AA Te | A .- : BAR RE PR Er Ir Be BR? Biologisches Centralblatt. iologisches Gentralblait. Unter Mitwirkung Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professoren in München, herausgegeben Dr. J. Rosenthal, Professor der Physiologie in Erlangen. Neunundzwanzigster Band. I90Q. Mit 67 Abbildungen und ıo Tafeln. Leipzig. Verlag von Georg Thieme. 1909. ht; Auer, As et % Inhaltsübersicht des neunundzwanzigsten Bandes. 0, == Original, R= Referat. Seite Abderhalden, Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. R. . . . 68 Arrhenius, Svante. Die Vorstellung vom We im Wandel der Zeiten, BR... .. RE RE ER Vu NZ Bateson, W. Methoden und Ziel der Velcshunesichie, DEREN ET E29 Bauer, Victor. Vertikalwanderung des Planktons und Phototaxis. O0. . 77 Becher, Siegfried. Die „Hörbläschen“ der Leptosynapta ee Ein Beitrag zur Kenntnis der statischen Organe. 0 .... 413 — Zentroepigenese? OO . . >, : DU = "506. 523. 955 Behrens, Wilhelm. Tabellen zum Gebrauch hr niktosEop@chen Ar- EIER U Sa ER NT RER. 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Oi ee nt a 33: 05 VI Inhaltsübersicht. Seite Fitting, Hans. Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. (A a nn 3 1 ERS ERDE che ER, 225 Frischholz, Eugen. Zur Biologie von Hydra. O0. . . . 182. 206. 239. 367 Gandolfi, Hornyold A. Herzog. Über die Nahrungsaufnahme der Spa- tangiden. O k “SD Goebel, K. Einleitung in Fa ee TRoepHeinbe a Pflanzen. R 487 Hartmann, Max. Polyenergide Kerne O0... .. 0.0.0... 48 491 Hegi, G. Illustrierte Flora von Mitteleuropa. R . 714 Hoffmann, B. Kunst und Vogelgesang. R i 3 ao Hollrung. M. Jahresbericht über das Gebiet der Pflanzenkrankliettene R: 296 Holmgren, Nils. Zur Frage der Inzucht bei Termiten. O. 12H Janicki, ©. v. ÜberKern und Kernteilung bei Entamoeba blattae Bütschli 0 381 Kant, Kritik der reinen Vernunft. R RO 762 Lange, F. A. Geschichte‘ des Materialismus R . 762 Lasswitz, Kurt. Seelen und Ziele. AR Ar 32 Linden, M. v. Tentakelartige Fortsätze an Opalina ala. 0 . 648 Lubosch, W. 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Die Ernährung der Wassertiere. R Woltereck, R. Internationale Revue der gesamteu Hydrobiologie a Hadıo- graphie. R Re A IE » " ” Ka Biologisches Centralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 1. Januar 1909. As 1, Inhalt: Fiebrig, Cecropia peltata und ihr Verhältnis zu Asteca Alfari, zu Atta sexdens und anderen Insekten; mit einer Notiz über Ameisen-Dornen bei Acacia Cavenia. — Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten. — Prowazek, Zysten von Bodo lacertae. — Poll, Mischlinge von Triton eristatus Laur. und Triton vulgaris L. — Thesing, Biologische Streifzüge. — et Seelen und Ziele. — Arrhenius, Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Zeiten. Cecropia peltata und ihr Verhältnis zu Azteca Alfari, zu Atta sexdens und anderen Insekten; mit einer Notiz über Ameisen-Dornen bei Acacia Cavenia. Ein kritischer Beitrag zur Ameisenpflanzen-Hypothese. Von Karl Fiebrig (San Bernardino, Paraguay). Während meines mehrjährigen Aufenthaltes in Paraguay habe ich mich eingehend mit dem Studium der berühmten Ameisenpflanze aus dem Geschlecht der Moraceen beschäftigt, und es mag daher erlaubt sein, im folgenden das Beobachtete mitzuteilen und einem kritischen Vergleich zu unterwerfen mit den Darstellungen, die mir über dieses Thema bekannt sind. Cecropia. Die von mir in Paraguay gefundene Art ist Ceeropia peltata L., welche hier ganz allgemein verbreitet zu sein scheint und die durch die großen handförmigen Blätter, durch die häufig kandelaberartige Form der Krone — welche durch die quirlartige Anordnung der oft fast rechtwinklig abstehenden und kurz vor der Spitze nach oben gebogenen Äste zustande kommt —, noch mehr aber durch die helle Farbe von Blatt und Stamm, der übrigen Vegetation gegenüber auffällt, da sich besonders die silberglänzende Unterseite XXIX. 1 2) Fiebrig, (eeropia peltata eie. der Blätter von dem sie umgebenden helleren oder dunkleren Grün » plastisch abhebt. Besonders häufig tritt uns (©. peltata entgegen bei einer Flussfahrt, und für den aus dem Süden den Paranä und Paraguay hinauffahrenden Fremden dürfte der, von den Guarani „Ambay“!) genannte Baum einer der wenigen sein, von denen sich, ın all dem grünen Pflanzendurcheinander, seinem Gedächtnis ein klares Bild einprägt. Doch wird es nicht allein der merkwürdige Habitus und die in dem reichen Grün der Tropen seltene hellgraue Färbung sein, die uns den Baum auffällig erscheinen lassen, sondern vielmehr der Umstand, dass ©. peltata besonders häufig an Fluss- ufern, an Sumpfrändern, Bächen und überall da vorkommt, wo der Boden, und namentlich der Untergrund, in höherem Grade feucht ist und wo die Gegenwart der (ecropia sich eher bemerkbar macht, als wenn sie nur mitten im Walde anzutreffen wäre. So sieht man den Ambay auch in den mit Gras bewachsenen Canaden (flachen Tälern), an Quellen und an den Rändern von Wald und Kamp, wo der Baumwuchs den Gramineen, infolge der größeren Boden- feuchtigkeit, das Feld räumen muss. (. peltata ist ein Wasser- freund!2), der allerdings auch zahlreich an trockenen Standorten, im Walde und auf Lomas (Anhöhen), wohin seine Samen durch die 1) „Ambay“ ist gleichbedeutend mit dem in Brasilien für Ü. adenopus (cf. Anm. 2) gebräuchlichen „Imbauba“. Ambay ist die Bezeichnung in Guarani, einem Idiom, das heute noch in Paraguay, wenn auch nicht offiziell, die Landes- sprache ist. Nach Montoya (Annales da Bibliotheca Nacional do Rio de Janeiro vol. VII) ist ambai (hier ambaib) „nome generico das cecropias, dado tamben & alguns ficus.“ Das brasilianische Imbauba dürfte ein durch Portugiesisch korrum- piertes Wort darstellen. Es sei hier noch erwähnt, dass der Ambay von den Ein- geborenen Paraguays geschätzt wird als Spender mehrerer wichtiger Heilmittel. la) Morphologisch dürfte (. peltata nicht ohne weiteres als hygrophil zu be- zeichnen sein, denn, wenn auch die sehr großen, geteilten Blätter, die schwache Verästelung und die Verteilung der Zweige (Kandelaberhabitus), der rasche Wuchs und das weiche Holz — die histologischen und anatomischen Eigenschaften lasse ich ununtersucht — eine Hygrophyte indizieren, so weist andrerseits der dichte Filz- überzug der Blattunterseiten auf eine Anpassung an Faktoren, die die Transpiration ungünstig beeinflussen. Bei näherer Betrachtung finden wir, dass diese beiden scheinbar sich widersprechenden Charaktere unserer Feigenart recht wohl eine Er- klärung möglich machen, wenn wir, nach dem was oben über den Standort gesagt ist, uns vergegenwärtigen, dass der Amba_ eine ausgeprägte Sonnenpflanze ist, welche, obwohl meist auf feuchtem Grunde stehend — um so mehr als sie meist sehr häufig frei steht — einer starken Insolation ausgesetzt ist. Ob etwa der Baum ursprünglich an weniger feuchten Standorten wuchs und sein heut so verbreitetes Vorkommen an relativ nassen Stellen jn erster Linie dem Umstande zuzuschreiben wäre, dass an diesen letzteren die Samen leichter zum Keimen kämen, mag dahingestellt bleiben ; es dürfte jedoch mit größerer Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass primär der Habitus hygrophil gewesen und dass erst später (durch Trocknerwerdung des Klimas) die Xerophyteneigenschaften zur Ausbildung gekommen sind. — Es sei noch be- merkt, dass im Wasser selbst Ü. peltata, wie es scheint, nicht zu existieren vermag, so habe ich wenigstens Bäume eingehen sehen an Stellen, die unter Wasser gesetzt wurden. Fiebrig, Ceeropia peltata ete. 3 Vögel verschleppt wurden, ein gedeihliches Fortkommen findet; er legt ın bezug auf den Standort eine Anspruchslosigkeit und eine Keine chrekeit an den Tag, wie sie in der Flora Paraguays ihresgleichen sucht. Nur in tonigen Gegenden, die häufigen Über- schwemmungen und senden Is na Trocken- perioden ausgesetzt sind, scheint der Ambay zu fehlen, und auf diese Weise suche ich es mir zu erklären, warum ich ihn im nörd- lichen Chaco nicht fand. CO. peltata ıst ein, in der Regel schwach verzweigter, immer- grüner oder vielmehr „immerweißer“ Baum, und die wenigen, nur an den Zweigspitzen befindlichen Blätter fallen einzeln ab, aus Alters- schwäche, und zwar sukzessive e, das ganze Jahr hindurch; jedes neu geborene Blatt lässt ein altes ins Grab sinken, und so ändet man den Baum zu jeder Jahreszeit mit Blättern aller Stadien und Größen und am Boden die steifstieligen, bleichen Blatthände (zum geringsten Teile freilich unmittelbar unterhalb der Krone des Baumes, weil die großen Blätter in der Regel vom Winde weiter fortgeführt werden und manchmal auch auf benachbarten Büschen hängen bleiben. Nur nach außergewöhnlich niedrigen Lufttemperaturen (nach „Frostwetter“), krampfen sich all die vielen weißen Riesen- hände auf einmal zusammen, um als geschlossene braune Fäuste zu Boden zu fallen. Bei größeren Bäumen kommt fast aus jedem Blattwinkel eine der en Blütenähren zur Entwickelung, während die andere meist abgeworfen wird; mehrere Monate lang .trägt ein mittelgroßer weib- licher Baum hunderte der vierteiligen Ährenbüschel, die als schmutzig- dunkelgrüne Feigenkätzchen von den Zweigspitzen herabhängen und deren süßes Fleisch zahllose Tiere herbeilockt. Bei ©. peltata, die namentlich in den ersten Jahren ziemlich schnell wächst, kommt der Unterschied im Habitus zwischen einer jungen Pflanze und einem älteren Baume nicht besonders auffallend zur Geltung. Die Internodien sind bei den jungen Exemplaren ge- streckter und bedeutend länger (oft 10:1 cm und mehr) als die- jenigen der größeren Bäume, auch bleiben deren Stengelwände natürlicherweise viel länger grün, zart und unverholzt; und obwohl die Verzweigung sich gewöhnlich erst bei 3—4 m Höhe bemerkbar macht, erscheinen die jungen Ambay-Bäume verhältnismäßig stärker belaubt als die älteren. Bei größeren, stärker verzweigten Bäumen geht die Verholzung relativ schnell voran und nur die wenigen, noch ganz jungen Internodien, etwa ein halbes Dutzend an jedem Zweige verbinden mit der Sich Färbung ihrer Rinde noch einen geringen Grad von ns resp. von Härte. Die stärkeren Äste und der Stamm selbst len mit der Zeit so stark, dass die Markröhre mehr und mehr verschwindet und schließlich einer massiven Holzmasse Platz macht, die Querwände aber hören sehr 1* A Fiebrig, Ceeropia peltata etc. spät auf zu existieren oder sie bleiben in gewissen Fällen be- stehen. An den jungen, noch grünen Internodien sieht man deutlich, vertikal über der Axıllarknospe, die Vertiefung, die bei den nur wenige Millimeter langen Internodien der Zweigspitzen größerer Bäume als Grübchen erscheint, bei längeren Internodien, nament- lich junger Bäume, jedoch einer oben etwas erweiterten Rinne ähnelt; diese Rinne ıst schon etwa vom 20. Internodium abwärts äußerlich kaum mehr zu erkennen, während die Blätter, Achsel- knospen und namentlich die Achsen der zur Reife gelangten In- floreszenzen noch lange deutliche Narben hinterlassen, ebenso wie die einst durchbohrten und wieder vernarbten Grübchenpforten. Wenn ich hier einige botanische Bemerkungen vorausgeschickt habe, so beabsichtigte ich damit nur das schon bekannte Bild ge- nauer auszuzeichnen und zu kompletieren (auf einige Details, z. B. die Blattstielpolster, will ıch zunächst nicht näher eingehen) und das hervorheben, was daran noch von Wichtigkeit sein könnte für die Frage der Myrmekophilie und was zum Teil nur im Heimat- lande der Pflanze beobachtet werden kann. Aus letzterem Grunde sah ich mich auch veranlasst, eine Reibe photographischer Auf- nahmen zu machen, mit deren Hilfe es auch Forschern, die nicht in der Heimat der Cecropia sich aufhalten, leichter werden wird, sich in bezug auf die angeregten Fragen ein selbständiges Urteil zu bilden !»). Azteca. Cecropia peltata ıst stets von Ameisen bewohnt. Ich habe mehrere hundert Bäume daraufhin untersucht und mit Ausnahme von einigen wenigen kleinen, noch ganz jungen Pflanzen — bis zu 2-3 m Höhe —, nie ein lebendes Exemplar ohne diese Be- wohner angetroffen, und zwar glaube ich von der typischen Ceeropia- Bewohnerin nur die eine Art gefunden zu haben, die von Prof. Aug. Forel als Axteca Alfari Emery var. mixta For. bestimmt wurde. Man bemerkt die Ameisen nicht so ohne weiteres, wenigstens nicht auf den größeren Bäumen, am eigentlichen Stamme trifft mau sie hier selten. Man kann daher gewöhnlich getrost hinaufklettern, ohne Gefahr zu laufen, überfallen zu werden. Auch an der Basis der unteren starken Äste wird man sie noch nicht finden, man muss noch höher hinauf. Erst dort, wo die Zweige kürzer sind, so dass man bis zu den Spitzen deutlich sehen kann, wird man einige schwärzliche oder rotgelbe Ameisen beobachten. Sie gehen durch die in das Innere der Zweigachse führenden kleinen Öffnungen ein und aus und entfernen sich nur kurze Strecken weit von diesen Pforten; es ist daher leicht, ihr Treiben hier draußen in ziemlicher Nähe zu beobachten. Ib) Die Figuren werden den späteren Abschnitten beigegeben werden. Fiebrig, Ceeropia pellata etc. 5 Doch versuchen wir den, in die kleinen Löcher verschwindenden Axteca zu folgen und schlagen wir zu diesem Zwecke einen dünnen Zweig ab. Sind wir bisher unbelästigt geblieben, so ändert sich dies jetzt mit einem Schlage. Durch die Erschütterung ihrer Woh- nung werden die Ameisen aufgeregt, sie stürzen aus den Löchern, ziehen in Zügen die Zweige hinab oder eilen in wilder Hast am Aste hin und her; bei wärmerem Wetter namentlich werden sie leicht zu recht unbequemen Rächern ihrer gestörten Ruhe, und so geht die weitere Manipulation mit dem zu untersuchenden Zweig- stück nicht ohne empfindliche Bisse ab. In der Mediane schneide ich die Zweigachse der Länge nach auf, bis hinauf zum Vegetations- kegel und lege die hohlen, durch Querwände getrennten Internodien bloß: sie wimmeln von Ameisen. Ich will hier ein Beispiel herausgreifen aus der großen Zahl von derartigen Untersuchungen, mit dem Bemerken, dass die Be- funde im wesentlichen nicht sehr verschieden voneinander waren: Die beiden ersten, schon deutlich voneinander getrennten Inter- nodien (von innen gesehen) sind von weißlichem Marke angefüllt; dieses Mark ist saftig, seine Zellen leben sicherlich noch und bergen reichlich Reservestoffe. Das Mark des dritten Internodiums zeigt eine mehr oder weniger große Höhlung. In dieser befinden sich mehrere Ameisenarbeiter; bei näherer Untersuchung stellt es sich heraus, dass die basale Querwand bereits durchbrochen ist (Fig. 1), während eine die Stengelwand perforierende Öffnung noch nicht vorhanden ist. In den folgenden Internodialkammern ist das Mark fast gänzlich verschwunden; an den Wänden, die wohl infolge eines durch die Ameisensäure bewirkten Oxydationsprozesses, jetzt mehr oder weniger braun gefärbt sind, sind die Ameisen fortgesetzt be- müht, sämtliche Markteilchen zu beseitigen, wie dies auch Fraß- spuren in den jüngeren Internodien beweisen, bis schließlich die letzten Reste der weicheren Schicht entfernt sind und die Wände vollkommen geglättet erscheinen. Die Querwände zwischen den Markhöhlen sind mehr oder weniger verdickt; an den dünneren peripheren Rändern befinden sich 1—2 und mehr Löcher von ver- schiedener Größe, die von einer Kammer in die andere führen. Vom ersten freigelegten Internodium an (etwa vom vierten) befindet sich in fast jeder Kammer, mit wenigen Ausnahmen an der als Grübchen bekannten Stelle die Pforte, die jedoch in den älteren, stärker verholzten Internodien allmählich durch Vernarbung wieder verschwindet. Im Gegensatz zu der in dieser Ameisenwohnung zur Geltung kommenden Regelmäßigkeit scheint die Verteilung der Ameisen mit ihrer Brut in den einzelnen Kammern der Zweige einer geringeren Gesetzmäßigkeit unterworfen zu sein, vielleicht hängt dies von dem Alter der Pflanzen resp. der Äste oder auch von der Jahreszeit ab. 6 Fiebrig, Cecropia peltata. ete. Sind geflügelte Geschlechtstiere vorhanden, was außerordentlich häufig ist, so findet man diese in den Zweigen meist in den ersten freien Internodienräumen in der Zweigspitze, offenbar auf Gelegen- heit zum Ausschwärmen harrend, während Brut, Proviant (Müller’- sche Körperchen) und Arbeiter über die übrigen Internodien regellos verteilt zu sein scheinen (Fig. 2). Die Zahl der bewohnten Inter- nodıen ın jedem Zweige ıst sehr verschieden und in erster Linie von der Frage der Störungen durch andere Tiere abhängig (siehe weiter unten); ich habe mehr als hundert Kammern in einer Folge bewohnt gefunden, von denen jedoch die zweite Hälfte, deren Pforten schon sämtlich geschlossen waren, von den Ameisen nur gelegentlich aufgesucht zu werden schien, während Brut und Proviant sich nur ın den jüngeren Kammern befanden. Von diesem Bilde, wie es sich ähnlich in der Regel bietet, unterscheiden sich wesentlich die ganz jungen, etwa 2—-4 Jahre alten Bäume, in denen Axteca zunächst nur in der „Gründungs- kammer“ (= der von einem befruchteten Weibchen okkupierte Internodialraum) anzutreffen ist, die übrigen Internodien aber noch unbesetzt sind, ebenso Bäume höheren Alters (oder auch kranke Pflanzen), deren Internodien, besonders der größeren Äste, manchmal streckenweis unbesetzt bleiben, in welchem Falle das Mark, das, obwohl abgestorben, häufig die kurzen Internodien noch ganz aus- füllt, eine matt dunkelrosa Färbung annımmt (Altersschwäche der Axteca-Kolonie!) Ebenso überraschend, wie auf mich die Tatsache wirkte, dass von all den vielen Ceeropia-Bäumen, die ıch untersuchte, kein eıin- ziger ohne diese Axteca-Ameisen war (mit Ausnahme, wie gesagt, der noch ganz jungen), ebenso interessant war es mir, festzustellen, dass sogar auf den größten Bäumen kein einziger Zweig unbesetzt geblieben war. Die Bewohner eines Baumes müssen als eine große Kolonie angesehen werden, die jeden frischen Seitentrieb so bald als möglich besetzen, und zwar gelangen sie in denselben, nach meinen Beobachtungen, stets von außen durch die Grübchenpforte, von wo sie dann, im Innern des Zweiges, nach oben und unten die Zwischenwände durchbohren und öfters auch eine Verbindung mit dem Hohlraume des Hauptastes resp. Stammes herstellen. Die Besiedelung und- folglich auch die Durchstoßung der Pforte der jungen Zweige des bereits von Azteca besetzten Baumes geht, soweit ich dies beobachten konnte, meist nicht von einem Weibchen aus, sondern von Arbeitern, die in den Kammern die Müller’schen Körperchen aufspeichern; erst später, wenn etwa schon ein Dutzend Internodialräume disponibel sind, fand ich Larven Aınd sogar auch Puppen, immer noch ohne Eier und Weibchen, so dass nichts übrig bleibt als anzunehmen, dass auch die Brut von den Arbeitern von anderen Zweigen dorthin gebracht worden sei. Fiebrig, Ceeropia peltata etc. 1 Ob eine solehe Baumkolonie durch Inzucht sich fortpflanzt oder ob die befruchteten Weibchen allein von außen hineinkommen, habe ich nicht mit Sicherheit feststellen können, jedenfalls findet man auf einer größeren Ceeropia, in der Regel, gleichzeitig mehrere eierlegende Weibchen, meist wohl in jedem größeren Aste eins und dies, wie es scheint, zu jeder Jahreszeit. Auch über eine etwaige gesonderte Behandlung der Larven und Puppen der Ge- schlechtstiere habe ich keine befriedigenden Beobachtungen machen können, wohl aber fand ich die Puppen der Männchen und Weibchen stets zusammen in großer Zahl, getrennt von anderer Brut in be- sonderen Kammern, entweder tieferliegenden oder dicht vor der Spitze und zwar dies letztere in ganz jungen Zweigen, in denen noch keine ausgebildeten Geschlechtstiere zu finden waren. Nie habe ich Beobachtungen machen können, die das Eierlegen seitens der Arbeiter wahrscheinlich machen dürfte. Als Nahrung für die Larven dienen die Müller’schen Körperchen, die anscheinend nur durch Vermittlung der Arbeiter zur Verfütterung kommen und die man oft zu hunderten in einer einzigen Kammer findet, untermischt mit größeren und kleineren Larven und auch mit Puppen. In den ringsum geschlossenen Gründungskammern der Weibchen auf jungen Pflanzen habe ich nie Müller’sche Körperchen angetroffen. Die Zahl der auf einer Cecropia anwesenden Azteca-Individuen ist natürlich abhängig von der Größe des Baumes, dann aber wohl auch, in gewissem Grade, vom Alter, denn es hat den Anschein, als ob z B. Axteca die Besiedelung der sehr großen Zweige älterer Bäume, wie oben schon angedeutet, nicht so intensiv zu betreiben vermöchte; diese Zahl dürfte endlich auch durch die Gegenwart von Raupen und andere (unten genannte) Ceeropia-Schädlinge be- einträchtigt werden. Rechnet man auf mittelgroßen Bäumen 50 Zweige zu durchschnittlich je 60 besetzten Internodien (mit oder schon ohne Blätter) und pro internodio fünf Imagines, so hätten wir im ganzen 15000 Ameisen, zu denen noch etwa die gleiche Zahl von Larven und Puppen kommen dürfte. Die Gründung der Axteca-Kolonien auf (©. peltata findet, wie dies aus vorstehendem erhellt, nur auf ganz jungen Bäumen statt, in der Regel etwa zwischen dem 10. und 20. Internodium (hier von der Stammbasis an gerechnet), in einer Höhe von vielleicht 1—2 m über dem Boden. Geschieht dies, wie es den Anschein hat, auch hier, stets in den zartesten, dem Vegetationskegel un- mittelbar folgenden Internodien, so muss man, da man die Weib- chen mit ihrer Brut, eingeschlossen in der Markkammer, oft noch in etwa 15 Internodien Entfernung von der Stengelspitze findet, für die Entwickelung der Imagines aus den Eiern eine verhältnis- mäßig lange Zeit von mehreren Monaten annehmen. Sobald einige Arbeiter sich entwickelt haben, durchbohren sie die inzwischen 8 Fiebrig, Ceeropia peltata etc. durch Vernarbung (oder vom Weibchen mittels Marksubstanz?) vollständig geschlossene Pforte und die Querwände der Kammern und schaffen das für die Larven nötige Futter herbei, während das Weibchen, wie ich vermute, bald das Brutgeschäft in eine der weiter nach vorn liegenden Kammern des jüngeren, saftigeren Stengel- teiles verlegen dürfte. Bis zu diesem Zeitpunkte ist die Ameisen- mutter für ihre eigene Ernährung und die der Larven auf das angewiesen, was sie in dem Raume, in dem sie eingeschlossen ist, vorfindet, und, da ich zu gleicher Zeit häufig Dutzende von Eiern, Larven und Puppen bei solch einem internierten Weibchen ange- troffen habe, so dürften die dafür nötigen Nahrungsstoffe allein kaum etwa dadurch gewonnen worden sein, dass das Weibchen einen Teil der gelegten Eier wieder verzehrt hätte, es wird vielmehr anzunehmen sein, dass die Axteca-Mutter sich von Stoffen ernährte, die die Pflanze ihr bot, von deren Saft und Marke, daher sind auch hier die Wände der Kammer abgenagt und begegnet man in den älteren Gründungskammern stets einem Haufen einer bräunlichen, körnigen Substanz, die wahrscheinlich die mehr oder weniger ver- brauchten Reste des Markes vorstellt. Auch in den Zweigen der größeren Bäume fand ich öfters, unweit der Spitze, in einem durch Querwandöffnungen und Pforte zugänglichen Internodium eine solche zerknetete, hier noch meist frische Masse (Fig. 5); hier lag die braune Markmasse einer Querwand an und umschloss eine, durch ein die Zwischenwand perforierendes Loch mit der Nebenkammer kommunizierende Höhlung, in der sich das (geflügelte oder unge- flügelte) Weibchen befand. Ich vermute, dass die derartig einge- schlossenen Weibchen von auswärts herbeigeflogene, der Kolonie fremde sind und auf diese Weise ungestört dem Brutgeschäfte nach- gehen können, während die im Stocke selbst gezüchteten Weibehen — wenn überhaupt (?) — ihre Eier frei in den jüngeren Internodien ablegen dürften. Als alleinige Gefährten des Weibchens in einer solchen „Separatkammer“ beobachtete ich mehrmals einige geflügelte Männchen. Wie man in den Zweigen größerer Bäume manchmal zwei aneinander stoßende Internodien von je einem Weibchen be- setzt findet, so trifft man auch auf jungen Pflanzen die Kolonie- gründer gelegentlich in mehreren, meist benachbarten Kammern an, oft aber entdeckt man in der rmgsum geschlossenen Kammer nur die Reste des Ameisenweibchens, d. h. die härteren und stärker chitinösen Teile, und zwar zerstückelt, während der Leib verschwunden ist; man wird nicht fehlgehen, für diese Morde ein Insekt verant- wortlich zu machen oder vielleicht eine Spinne, die in den Raum eingedrungen ist, so lange die Pforte noch nicht geschlossen war. Meine wenigen auf Experimenten basierenden Beobachtungen scheinen mir den Beweis zu liefern dafür, dass Axteca Alfari mixta psychisch eine ziemlich hohe Stufe einnimmt. So frappierte mich Fiebrig, Ceeropia peltata ete. 9) z. B. die Tatsache, dass diese Tiere einen die Zweigspitze trennen- den Längsschnitt innerhalb 24 Stunden vollkommen und sauber verklebt hatten mit Hilfe der gekneteten Marksubstanz, die sie aus den jüngsten, durch den Schnitt bloßgelegten Internodien ent- nommen hatten (Fig. 10). Diese Handlungsweise ist um so auf- fallender, als in der freien Natur Axteca kaum je Gelegenheit haben dürfte zu solchen Ausbesserungsarbeiten (ich habe nie dergleichen Verletzungen an der Cecropia beobachtet; die Spechtlöcher schließen sich durch Vernarbung). Ein anderesmal legte ich Müller’sche Körperchen — die übrigens, was mir nicht unwesentlich erscheint zu betonen, gewissen Larvenstadien dieser Ameisen in bezug auf Größe und Färbung etwas ähneln —, welche aus dem Innern eines Zweiges stammten, vermischt mit Sagokörnern, die mit jenen ähn- liche Größe, Farbe und wohl auch etwas ähnliche Konsistenz hatten, auf die breiten Blattstiele eines Cecropia-Zweiges und musste ge- wahr werden, wie die Ameisen vom Sago Körnchen für Körnchen ergriffen, damit bis an den Rand des Blattstieles liefen und sie dann fallen ließen (diesen Sago etwa in derselben Weise behandelnd wie die abgetragene Markmasse oder sonstigen Unrat), während die Müller’schen Körperchen Stück für Stück abwärts getragen wurden bis zu einer, und zwar einer bestimmten Pforte, durch die die Ameisen mit ihrer Last verschwanden, um sie im Innern des Stengels zu bergen. | Nach dieser allgemeinen Schilderung der Azteca-Kolonie, die für ©. adenopus und eine andere brasiliänische Azteca-Art vielleicht in ähnlicher Weise durch Fritz Müller?) und andere Forscher bereits bekannt sein dürfte, sei es gestattet, auf gewisse Einzel- heiten einzugehen und namentlich die Beobachtungen einer kritischen Prüfung zu unterziehen, die zur Klärung der Myrmekophiliefrage beitragen könnten. Die Wohnung (‚die Pforte“). Wie wir gesehen haben, warten die Ameisen — wenigstens in vielen Fällen — nicht ab, bis durch Zerreißen und Absterben der Markmasse im Internodium ein Hohlraum entsteht, sondern sie dringen, nachdem sie die trennende Zwischenwand durchbohrt haben, in das anstoßende, noch mit lebendem Marke angefüllte Internodium ein, dessen weiches Innere sie entfernen. Ich habe verschiedene Male die Ameisen diese Arbeiten verrichten sehen; die damit beschäftigten Arbeiter — es sind ihrer so viele als in 2) Leider habe ich die Arbeiten dieses genialen Forschers nicht einsehen können. In Forel, Einige biologische Beobachtungen an brasilianischen Ameisen‘ (Biol. Centralbl. 1905, XXV, 6, p. 175) finde ich: „Azteca Müller! Emery (die berühmte Imbaubaameise Fritz Müller’s) lebt in €. peltata.“ 10 Fiebrig, Ceeropia peltata etc. dem stetig größer werdenden Raume jeweilen Platz finden sind so emsig bei den Räumungsarbeiten, dass sie damit auch noch fortführen, nachdem der Zweig mitten durchgespalten worden war. Das Mark wird von den Ameisen, durch die Öffnungen der Quer- wand, Brocken für Brocken, nach unten gestoßen in den benach- barten Hohlraum, von wo aus es durch die hier befindliche Pforte nach außen geschafft wird. Bald nach der Freilegung einer Kammer scheint in der Regel die die Stengelwand durchbohrende Pforte hergestellt zu werden, häufig von außen her, wie z. B. bei der Koloniegründung und bei Besiedelung neuer Zweige; oft aber dürfte die Bohrung von innen her erfolgen, was der Umstand, dass ich solche, noch nicht ganz fertig gestellte Bohrlöcher an der Innenwand fand, sehr wahrschein- lich machen dürfte. Es ıst, wie aus dem vorher Mitgeteilten er- sichtlich, sicher, dass sowohl die Weibchen als auch die Arbeiter die Durchbohrung der Grübchen bewerkstelligen; es ist mir auf- fallenderweise nie gelungen, die Tiere dabei zu überraschen (nachts?). Mehrmals fand ıch außen, an den noch geschlossenen Grübchen einen schwärzlichen Saft und dabei Thysanopteren; ich möchte glauben, dass ın solchen Fällen eine Ameise mit der Nagearbeit schon begonnen gehabt hatte, doch konnten die kaum merklichen Verletzungen des Diaphragmas auch von einem anderen Insekt her- rühren (etwa gar von den kleinen Thripsiden?), wıe überhaupt an vielen Stellen dieser Pflanze, so namentlich an den dicken Blatt- stielen, vielfach Spuren von Insektenstichen wahrzunehmen sind, aus denen oft schwärzlicher Saft heraussickert. Ist der Beweis dafür erbracht, dass die Ameisen, um ein neues Internodium zu besetzen, nicht nötig haben, durch eine Öffnung von außen einzudringen, dass sie vielmehr in dasselbe durch die Querwand hindurch gelangen, so muss die Tatsache auffallen, dass überhaupt so viele Pforten angelegt werden und dass fast jede Kanımer eine nach außen kommunizierende Öffnung hat; stehen doch alle die Internodien, wie wir gesehen haben, durch die, in den Zwischenwänden befindlichen Löcher in Verbindung und ist somit durch eine einzige Pforte den Ameisen der Zugang zu allen Teilen der Wohnung ermöglicht. Beobachtet man’ das Treiben der Axteca auf der Cecropia so sieht man, dass diese Pforten neben den Fällen, in denen sie dem Einzuge eines befruchteten Weibchens gedient haben mögen, hauptsächlich zum Herausschaffen der ver- arbeiteten Markmasse und des Unrats benutzt werden und dem Ein- und Auspassieren derjenigen Individuen dienen, welche die Müller’schen Körperchen und eventuell anderen Proviant herbei- schaffen. Für beide Zwecke ist vielleicht eine größere Zahl von Pforten wünschenswert — jeweilen eine Pforte in unmittelbarer Nähe des Blattstielpolsters! —, da es Arbeit erspart und den Weg Fiebrig, Cecropıa peltata ete. 11 kürzt. Schon nach kurzer Zeit wird eine nicht mehr benützte Pforte durch Vernarbung resp. Wucherung des Randes oder durch Aus- scheidung von Harzen oder Kautschuk wieder geschlossen, und der Umstand, dass man in den jüngeren, noch Blätter tragenden Teilen der Zweige die Pforten benutzt und dadurch offen gehalten werden, bestätigt die Annahme, dass diese Pforten in gewissen Beziehungen stehen zu den Blättern, resp. den Müller’schen Körperchen und zu der Markmasse. Mehr als die Entstehungsart der Zugangspforte hat die Stelle, wo das Loch gebohrt wurde, Botaniker und Entomologen beschäftigt. Dass die Bohrstelle sich stets — oder zum mindesten in den weit- aus meisten Fällen — an einem ganz bestimmten Flecke befand, und dass diese Stelle im Vergleich zu dem übrigen Teile der Stengelwand wesentlich modifiziert war, führte zu den bekannten Behauptungen, die namentlich in Schimper ihre größte Stütze fanden. Ich schließe mich in bezug auf die Ansicht über die Bil- dung der Rinne und das für die Bohrstelle „prädestinierte“* Dia- phragma dem Urteile Rettig’s°) an, der die Entstehung des Grübchens, d.h. des Diaphragmas erklärt als Folge von Gewebeverschiebungen, die zu einer Erweiterung und Vertiefung der einstigen Druckstelle der Axıllarknospe führten, mit Berücksichtigung der Wirkung des von der Knospendüte ausgeübten Druckes. Eine strenge Scheidung zwischen Grübchen und Rinne wäre demnach nicht gerechtfertigt, da beides einzig und allein dem Drucke der Axillarknospe seinen Ursprung verdankt und das sog. Grübchen nur als das jüngste Stadium der Rinne aufzufassen wäre. In der Tat ist dementsprechend bei ganz jungen, sehr wenig verholzten Internodien, namentlich der Zweige, die Grenze zwischen Rinne und Grübchen schwer zu ziehen (Fig. 9), und in diesen weichen, oft noch keinen Zentimeter langen Internodien, werden die Bohrstellen angelegt; nie wird — so weit meine Erfahrungen reichen — in älteren, schon stärker verholzten Stengelabschnitten eine Pforte frisch gebohrt! Erfolgt das Bohren von außen, so ist durch die Vertiefung das Indizium gegeben für die hierzu günstigste Stelle, bei dem Durchfressen aber von innen her dürfte die geringe Stärke der Wandung im Verlauf der Rinne und namentlich in deren oberem Teile, dem Diaphragma, die Ameisen zum Durchbruch veranlassen. Es sei besonders für den letzteren Fall darauf aufmerksam gemacht, dass an der, der Rinne gegenüberliegenden Seite, die mächtige, das Haarkissen tragende Blattstielbasis liegt, deren Gegenwart das im Innern bohrende Insekt für den Ausweg auf die entgegengesetzte Seite weisen dürfte; für die von außen eindringende Ameise aber 3) Ernst Rettig, „Ameisenpflanzen-Pflanzenameisen“, Beiheft zum Botan. Centralbl. 1904. XVII. 12 Fiebrig, (eeropia peltata ete ist der Blattwinkel, der Ort neben der Achselknospe, augenschein- lich der günstigste und geschützteste Operationspunkt; in jedem Falle ist der den Herstellern der Pforte an dem jungen, kurzen, für die Anlegung der Pforten einzig in Betracht kommenden Inter- nodıum zur Verfügung stehende Raum zur Wahl einer geeigneten Bohrstelle nicht sehr groß. Ob das von Rettig am Diaphragma konstatierte Fehlen der Milchgefäße, die aber vielleicht in den jüngsten Internodien noch nicht völlig differenziert sein mögen, mitbestimmend ist für die Wahl des Bohrloches, entzieht sich meiner Beurteilung, es ist jedoch wahrscheinlich, dass Axteca bei der Bohrung an irgendeiner anderen Stelle der Stengelwand, wegen des hier unaufhörlich nachdringen- den Kautschuksaftes, größere Schwierigkeiten hätte die Pforten offen zu halten; auch spricht für die Ansicht Rettig’s der Um- stand, dass die Türöffnungen, im Gegensatze zu den Löchern der @Querwände, stets die gleiche Form und Ausdehnung, genau der Fläche des Diaphragmas entsprechend, haben. Dass die Ameisen die Stellen auswählen, deren Wandungen durch geringere Stärke vor den umliegenden Teilen sich auszeichnen, wird auch durch die, die Internodien trennenden Querwände be- wiesen, die stets an der Peripherie durchfressen sind (Fig. 8 u. 9); vielleicht würde man, wenn man deren Struktur nicht auf Grund mechanischer Gesetze zu erklären wüsste, auf die Idee kommen können, auch hier myrmekophile Anpassungen zu vermuten! Es ıst ohne weiteres klar, dass die Wohnung in den Inter- nodialräumen der Üecropien für die Axteca von eminenter Bedeutung ist, denn sie gewährt ihnen Sicherheit gegen manche Feinde und schützt ihre Brut und den für diese aufgespeicherten Proviant gegen ungünstige äußere Einflüsse. Die Nahrung. Aber auch die Nahrung, die der zur Heimat erkorene Baum liefert, ist von nicht geringerer Wichtigkeit. Die von den Ameisen geernteten und in den Kammern aufgespeicherten Müller’schen Körperchen bieten zweifellos die Hauptnahrung, sie werden vom Ambay in erstaunlicher Menge produziert. So zählte ich an einem mäßig großen, offenbar von den Ameisen noch nicht abgeernteten Blattstielpolster (eines „Raupenzweiges“: siehe weiter unten), dessen Produktion augenscheinlich noch nicht abgeschlossen war, 227 Müller’sche Körperchen und aufgestapelt in einer einzigen Inter- nodialkammer etwa 400 Stück (Fig. 23); nehmen wir das Volumen oder Gewicht eines solchen Nährkernes — dem Augenschein nach — an zu etwa dem vierfachen eines Axteca-Eies und — nach ober- flächlicher Schätzung — die Produktion der letzteren resp. der aus diesen zur Entwickelung kommenden Larven pro internodio zu zehn, Fiebrig, Cecropia peltata ete. 13 so würden, wenn man 300 Körnchen pro Blatt resp. Internodium rechnete und die Ernährung der Imagines außer Betracht ließe, zum Aufbringen einer Larve 30 Müller’sche Körperchen disponibel sein, oder das 120fache des Eigewichtes. Von wie großer Bedeutung jedoch diese eiweißhaltigen Körper- chen auch für den Haushalt der Axteca sein mögen, so hat es doch den Anschein, als ob die Dolichoderide noch andere Nahrungsquellen auf der Cecropia fände. Fritz Müller, glaube ich, gibt an, dass die auf C. adenopus wohnende Axteca-Art sich mit Aphidenzucht abgibt. Mir ist es etliche Male gelungen, im Innern von (. pel- tata Aphiden, und zwar in geringer Zahl, in Gemeinschaft mit den Ameisen zu entdecken, und ich habe nicht den Eindruck ge- winnen können, dass diese Tiere von der Azteca irgendwie kultiviert wurden; daher gelangte ich zu der Ansicht, dass diese wachs- absondernden rosafarbenen Rhynchoten, die ich zu wiederholten Malen an anderen feuchten, vom Lichte abgeschlossenen Orten, nicht in Gemeinschaft mit Ameisen (z. B. ‘an den unterirdischen Knollen von /pomoea batata, Manihot utilissima und an kranken Stellen ım Innern von Stämmen) angetroffen hatte, in keinem direkten Verhältnis zu diesen Ameisen stehen. Während jedoch die Müller’schen Körperchen vielleicht aus- schließlich als Futter für die Larven Verwendung finden, scheinen sich die Imagines und namentlich die eierlegenden Weibchen, wie ich oben erwähnte, zum Teil von den Säften des Baumes resp. von der noch saftreichen, frischen Marksubstanz zu ernähren und viel- leicht auch aus diesem Grunde werden die Weibchen meist in den Jüngeren, noch saftstrotzenden Internodialräumen ihrem Brutgeschäfte nachgehen. Wie sehr unsere Axteca abhängig ist von dem Satft- reichtum (oder nur Feuchtigkeit?), von der nur in der lebenden Pflanze vorhandenen Frische des von ihr besetzten Zweiges, beweist der Umstand, dass sie in abgehauenen, dem Vertrocknen preis- gegebenen Ästen, nur so lange verharren, als das Holz einen ge- wissen Feuchtigkeitsgrad behält; während sie in bezug auf Nahrung ein größeres Anpassungsvermögen zu haben scheinen und z. B. be- feuchteten Zucker begierig lecken. Auch die süßen Früchte müssen der Azzeca ihren Tribut zahlen. Wenn wir als unbefangene Beobachter den Baum zur Zeit der Fruchtreife betrachten, so möchte es uns fast scheinen, als ob die Ameisen nur dieser Feigen wegen da oben hausten. Es kommt ' den Ameisen noch besonders zugute, dass C. peltata verhältnismäßig lange reife Früchte liefert, hier etwa von Dezember bis März, ge- rade in der Zeit, in der die Ameisen das intensivste Leben ent- wickeln und am meisten Nachzucht zu verpflegen haben dürften. Da jedoch für die diözischen Ceeropien nur ein Teil — vielleicht die Hälfte — der Pflanzenindividuen als Fruchtspender in Betracht 14 Fiebrig, Ceeropia peltata etc. kommen kann, so muss man freilich, weil Azxteca sowohl auf männ- lichen als auch auf weiblichen Bäumen lebt, davon absehen, diesen Feigen als Nahrung eine zu große Bedeutung zuzuerkennen, denn, ob sie etwa von den Blüten der männlichen Pflanze etwas profitiert, erscheint mir unwahrscheinlich. Es dürfte jedenfalls keinem Zweifel unterliegen, dass A. Alfari ausschließlich von pflanzlichen Stoffen sich ernährt im Gegensatz zu der Mehrzahl der (in geringerem Grade pflanzensymbiotischen) Axteca-Arten, die nach meinen Beobachtungen karnivor sind. Die Feinde der Ceeropia. Nach diesen Mitteilungen über die Wohnungs- und Nahrungs- verhältnisse von Azteca A. m. auf CO. peltata wollen wır versuchen, das Verhältnis des Baumes zu anderen Tieren kennen zu lernen. Lassen wir die Blattschneiderhypothese bis später und orientieren wir uns darüber, wie es mit anderen Feinden steht und wie sich die „Schutzgarde“ des Feigenbaumes zu diesen verhält. Die Raupen (7584). Bei der Aufstellung einer Liste von den einem Baume schäd- lichen Insekten pflegen meist Schmetterlingslarven die erste Stelle einzunehmen. Auch (eceropia hat ihre Raupen, wie dies schon von Schimper erwähnt wurde. Die behaarte Larve von Diops ocellata Cr. frisst die großen Blätter, an deren weıßbefilzten Unter- seite sie infolge der kalkweißen, schwarz punktierten Färbung nicht leicht zu erkennen ist. Diese, bis 4 cm lange Raupe habe ich mehrfach in größerer Zahl an einem Baume angetroffen. Eine andere Larve von respektabler Größe lebt in der Cambiumschicht des Stammes, ihre Puppe ruht hinter der Rinde, die an dieser Stelle durch einen T-förmigen Spalt aufgetrennt ist, der dem schön chokoladenbraun und schwefelgelb gefärbten Schmetterling das Aus- schlüpfen ermöglicht. Der dem Baume durch diese Raupe zuge- fügte Schaden dürfte unbeträchtlich sein. Die dritte von mir auf Ceeropia beobachtete Raupe hingegen, zu der Motte 7584 gehörig, ist fraglos die schädlichste; sie macht der Axteca Konkurrenz und wohnt im Innern der Zweige, in dem jüngeren Teile, genau an solchen Stellen, an denen auch die Dolicho- deride anzutreffen ist. Derartige von Raupen besetzte Zweige findet man außerordentlich häufig, zu allen Jahreszeiten; ich habe sie zu gewissen Zeiten fast an jedem untersuchten Baume angetroffen und von großen Bäumen mit 60—80 Haupt- und Nebenzweigen 30—50. dieser Zweige von den stengelminierenden Raupen okkupiert ge- funden. Der Umstand, dass ich in solchen von Raupen besetzten Zweigen, in einer gewissen Entfernung von der Spitze (20.30. Internodium) Fiebrig, Cecropia peltata etc. 45 — anfangs — stets ein großes Loch fand, führte mich zu der Ver- mutung, dass diese Öffnungen von Spechten hergestellt worden wären und dass die Raupen nach einem solchen Spechtüberfalle in das Innere der Äste gelangt sein mochten; denn an trockenen, von xylophilen Ameisen bewohnten Ambay-Ästen sind solche Specht- löcher sehr häufig und auch an frischen Ceeropia-Zweigen habe ich vielfach derartige Öffnungen gesehen, die ohne Zweifel von diesen Vögeln herrührten und wahrscheinlich der Axteca und ihrer Brut gegolten hatten*), wie ich auch Spechte auf den Ambay-Kronen wiederholt bei der Arbeit beobachtet habe {in den ersten Morgen- stunden!),. Wenn es auch in vielen Fällen demnach nahe liegt an- zunehmen, dass die Raupen, da andere größere Öffnungen nicht vorhanden sind, infolge eines Spechtüberfalles in das Innere der Zweige dringen, so musste ich doch auf Grund eines umfangreichen Beweismaterials zu der Überzeugung kommen, dass in den weitaus meisten Fällen die Schmetterlingslarven auf anderem Wege in das Zweiginnere gelangen. Vielfach nämlich, und namentlich dann, wenn ich noch jüngere Raupenstadien antraf, konnte ich außer den ver- narbten kleinen Ameisenpforten keine Spur einer Öffnung entdecken, am allerwenigsten von einer größeren, die doch auch zum mindesten eine Narbe hätte hinterlassen müssen. Alle solchen mit diesen minierenden Larven besetzten Zweige waren ehemals mit Axteca besetzt, wie es das Vorhandensein der Ameisenpforten, die oftmals noch unvollkommen geschlossen waren, außer Frage stellte. Da ich aber außer diesen Raupen im Innern der lebenden, frischen Zweige nur Axteca angetroffen habe und nach meinen Befunden jeder neue Zweig sofort von der Dolichoderide in Besitz genommen wird, so bleibt nur die Folgerung übrig, dass diese Ameisen von den Raupen verdrängt wurden. Lange blieb ich im Unklaren über Zeit und Ort der Raupen- invasion, bis es mir gelang, die jüngsten, kaum mehr als einen Millimeter langen Stadien, in Gemeinschaft mit Axteca, und zwar in deren Gründungskammer zu entdecken! Hier fand ich die, wohl eben dem Ei entschlüpften Räupchen in dem ringsum geschlossenen Internodialraume, neben dem eierlegenden Ameisen- weibchen, zusammen mit Axteca-Biern und -Larven, eingebettet in der feuchten, von der Ameisenmutter zernagten braunen Markmasse, von der sie sich offenbar nährten. In gleicher Weise habe ich diese kleinen Raupen, bis zu einer Länge von 6 mm, zu verschie- 4) Nach Escherich („Die Ameise“ 1906, p. 177) ist auch in Europa eine in lebenden Bäumen wohnende Oamponotus-Art in hohem Grade den Verfolgungen von Spechten ausgesetzt und nach Wassmann (I. c.) scheint sich der Grünspecht zu gewissen Zeiten ausschließlich von einigen Formica-Arten zu ernähren. Für Ceeropia bezw. Azteca kommen in Paraguay mehrere Spechtarten in Betracht, darunter eine, deren Hauptnahrung Termiten zu sein scheinen. 16 Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten. denen Malen in den Gründungskammern sowohl junger Pflanzen als auch in den Zweigen älterer Bäume angetroffen, wiederholt in Gemeinschaft mit den eben ausgeschlüpften Azteea-Arbeitern, während ich Raupe und Ameise später, wenn nach Durchbohrung der Quer- wände etc. ein größerer Teil des Stengels den Ameisen zur Ver- fügung stand, nicht mehr beieinander beobachtet habe; wohl aber fand ich mehrmals, beide gesondert, Axteca in der äußersten Spitze des Zweiges und unterhalb, getrennt durch eine heile Querwand, die Raupen. Während also für den Anfang ein friedliches Zu- sammenleben von Ameise und Raupe konstatiert werden muss, was um so auffälliger ıst, als die kleinen „großköpfigen“ prononziert mandibulaten, Raupen durch die dunkle Färbung und den Habitus, namentlich durch die langen und steifen Borsten sich wesentlich unterscheiden von den weißen, fast nackten Axteca-Larven, räumt die „kriegerische* Ameise, deren Wanderung zweigaufwärts die Raupen sicherlich folgen, später offenbar sehr bald das Feld, um schließlich den Cecropia-Zweig den Lepidopterenlarven vollständig zu überlassen. Wir werden nicht fehlgehen, da ein aggressives Vorgehen von seiten der weichhäutigen Raupen ausgeschlossen sein dürfte, wenn wir annehmen, dass die Ameisen durch die, oft mit Gespinstfäden durchzogenen Kotmassen der Raupen vertrieben werden, welche die Kammern verstopfen und verpesten, ja es ist auch möglich, dass die Raupen, unterstützt durch eine starke Schleimabsonderung, sich des Gespinstes als eines direkten Abwehr- mittels bedienen. Erst nachdem die Mottenlarven den Ambay-Zweig, wenigstens den jüngeren Teil, völlig ausgefressen haben, unternimmt es eine kurz vor der Verpuppung stehende Raupe, eine ehemalige Ameisenpforte am Ausgangspunkte des Minenganges benützend, von innen her ein großes, die Stengelwand durchbrechendes Loch auszufressen, durch das ihr eigenes Imago und die übrigen Motten — alle durch dieselbe Öffnung! — ins Freie gelangen. (Fortsetzung folgt.) Die pilzzüchtenden Termiten'). Von Prof. K. Escherich. Vergleichen wir die Lebensweise der sozialen Tiere miteinander, so begegnen wir einer Reihe auffallend übereinstimmender Züge, — und zwar nicht nur bei systematisch nahestehenden Formen, sondern auch bei solchen, die verwandtschaftlich gar nichts miteinander zu tun haben und deren psychischen Qualitäten himmelweit voneinander abstehen. Wir fassen diese Übereinstimmungen als Konvergenz- 1) Siehe Kapitel IV meines soeben erschienenen Buches: Die Termiten oder weißen Ameisen. Eine biologische Studie. — Verlag von Dr. Werner Klinkhardt, Leipzig 1908. Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten. 47 erscheinungen auf, hervorgerufen durch das gesellige Leben, oder, wie Forel sagt, durch das Faktum der sozialen Gemeinschaft lebender Gehirne. Eine der frappantesten Konvergenzerscheinungen, nicht nur in bezug auf den Grad der Übereinstimmung (Genauigkeit der Kopie), sondern auch im Hinblick auf die Kompliziertheit des biologischen Vorgangs stellt die Pilzzucht der Ameisen und Termiten dar. Die pilzzüchtenden Ameisen sind allgemein bekannt; ihre Lebens- geschichte gehört, obwohl seit ıhrer ersten Entdeckung noch kaum 20 Jahre verflossen sind, nicht nur zu den bestgeklärten, sondern auch zu den beliebtesten und meist wiederholten Kapiteln der Ameisenkunde. Anders stehts um die pilzzüchtenden Termiten; deren Kenntnis reicht zwar viel weiter zurück als die von der Pilzzucht der Ameisen, trotzdem aber hat es lange gedauert, bis dieselbe ın weitere Kreise gedrungen und zum Allgemeingut der Biologen geworden ist. Diesem Umstande ist es auch zuzuschreiben, dass man bei den pilzzüchtenden Ameisen so lange im Dunkeln tappte. Deun die biologischen Verhältnisse sind in beiden Fällen so Ähnlich, dass jeder, der von der Pilzzucht der Termiten etwas wusste, bei jenen Ameisen ehestens auf den richtigen Gedanken kommen musste. Die ersten Angaben über die Termitenpilze von Termes bellieosus finden wır schon bei König (1779), der „an den Wänden der Magazine eine Art Schimmel fand (mucor stipulatus capsulıs globosis compositis niveis), welcher vielleicht den Jungen als Nah- rung dient“. — Bereits 2 Jahre später (1781) teilt Smeathman'’ mehrere Einzelheiten darüber mit (ebenfalls von 7. bellicosus) und äußert dabei Ansichten über die Bedeutung des Pilzes, die unserer heutigen Auffassung sehr nahe kommen. Er beschreibt recht an- schaulich die Pilzgärten, die er, da sie stets mit Larven angefüllt sind, „Wochenstuben“ nennt, und gibt auch eine gute Abbildung davon. Auch die eigentlichen Züchtungsprodukte, die weißen kugel- förmigen Körperchen sind ihm gut bekannt, und er nimmt auch, was besonders hervorzuheben ist, an, dass „die alten Termiten das Wachsen des Pilzes zu erzeugen und zu befördern verstehen“. Wenn wir unsere heutigen Kenntnisse mit denen Smeathman'’s vergleichen, so müssen wir gestehen, dass in den 125 Jahren nicht sehr viel hinzugekommen ist, — wenigstens in zoologischer Be- ziehung. Es sind wohl mehrfach noch die Pilzgärten beschrieben und verschiedene Formen davon bekannt gemacht worden, und wir wissen heute durch Desneux, Doflein, Haviland, Sjöstedt, Trägardh u. a., dass außer T. bellicosus noch eine ganze Reihe anderer Termiten Pilzzucht betreibt, doch über die Einzelheiten des Gärtnereibetriebes, d. h. über die erste Anlage des Pilzgartens, XXIX. 2 18 Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten. über die Methoden der Züchtung, über die Weiterverbreitung des Pilzes etc. sind wir noch recht schlecht unterrichtet. -— Weit besser ist es um die botanische Seite des Problems bestellt, die durch Holtermann (1899) und vor allem dutch Petch (1906) wenigstens etwas geklärt erscheint. — — — Das, was am meisten beı der Pıilzzucht auffällt, ist der sogen. Pilz - garten, auch Pilzkuchen, Wochenstube etc. genannt; er stellt das Substrat für den Pılz dar und dient gleichzeitig auch als Wohnraum für die Brut. Wer zum erstenmal den Hügel einer pilzzüchtenden Termite eröffnet, wird durch den Anblick der zahl- reichen, schwammiartig geformten Pilzgärten aufs höchste überrascht sein. Gewöhnlich liegt jeder Pilzgarten — selten finden sich deren mehrere in einer Kammer — in einer besonderen Höhle und zwar ganz lose, so dass sie beim unvorsichtigen Aufschlagen eines Nestes leicht herausfallen?). Die Form der Pilzgärten ist sehr verschieden, sowohl bei ein und derselben Art als auch — natürlich noch in viel stärkerem Maße — bei den verschiedenen Spezies. Ich gebe hier eine Anzahl Abbildungen (Fig. 2—5), welche die Formen- mannigfaltigkeit besser illustrieren dürften, als ausführliche Beschrei- bungen. Auch bezüglich der Größe sind die Schwankungen nicht geringer: wir kennen einerseits kleine Pilzgärten von Haselnuss- größe, andererseits große vom Umfang eines Menschenkopfes. Aber beı all diesen Verschiedenheiten existieren auch über- einstimmende Momente; so sind sämtliche Pilzgärten in ganz ähnlicher Weise von einem labyrinthartigen Gangsystem durchzogen, so dass beim Anblick eines solchen sich unwillkürlich der Vergleich mit einem Badeschwamm aufdrängt. Auch die Farbe ist überall ungefähr dieselbe, nämlich ein helleres oder dunkleres Braun. — Die Oberfläche der Pilzgärten zeigt eine körneliche Struktur, d. h. sie scheint aus lauter zusammengeklebten kleinen Kügelchen zu bestehen. Im Inneren erscheint das Ganze vollständig homogen, wenn man aber einen dünnen Schnitt mikroskopisch betrachtet, so sieht man, «dass die scheinbar homogene Substanz sozusagen ein festzusammengedrücktes Konglomerat von ursprünglich kugelförmigen Klümpehen ist, welche durch den Druck mehr oder weniger defor- miert sind (nach Trägardh). Das Material der Pilzgärten ıst ausschließlich vegetabilischen Ursprungs. Holtermann fand bei der mikroskopischen Unter- suchung meistens Epidermiszellen, Bastfasern, Tracheiden, Ring- gefäße und Steinzellen, dagegen niemals Grundparenchymzellen, oder ganz dünnwandige pflanzliche Elemente. „Mechanische Zellen 2) Meistens liegen die Pilzgärten in oberirdischen Erdhügeln; doch gibt es auch pilzzüchtende Arten, welche ihre Nester rein unterirdisch anlegen, wie z. B. Termes mycophayus Des. Diese Nester stimmen ziemlich genau mit denen der Attini überein (s. Fig. 1). Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten. 19 bilden jedenfalls den Hauptbestandteil. Es ist geradezu bewunderungs- würdig, wie schön isoliert die verschiedenen Elemente vorkommen. Die einzelnen Steinzellen wechseln mit Spiralfasern von Gefäßen und Tracheiden ab, die frei liegen, weil die Zwischensubstanz ge- schwunden ist. Besonders auffallend ıst, dass die mechanischen Elemente bisweilen als ganz dünne Scheiben vorkommen, als wenn sie von einem geübten Anatomen verfertigt wären.“ Holtermann nrımmt an, dass das Baumaterial sowohl von den Blättern als auch von Stammorganen herrührt; denn ın den Pilzgärten, die in der Nähe einer Teeplantage sich befanden, konnten die charakteristischen Steinzellen der Teeblätter beobachtet werden. „Im übrıgen erscheint es höchst wahrscheinlich, dass nur totes Holz und abgestorbene Blätter zur Verwendung kommen: denn aus lebenden Geweben lassen sich die mechanischen Elemente jeden- falls nur mit einer Kraftentfaltung entfernen, die man den Termiten wohl nicht zutrauen darf“ (Holtermann)?). Im frischen Zustand, d. h. direkt aus dem Nest genommen, fühlen sich die Pilzgärten ziemlich feucht an und sind mehr oder weniger bröckelig; allerdings scheinen bezüglich der lettzeren Eigen- schaft bei den verschiedenen Arten Unterschiede zu bestehen; denn einzelne Autoren berichten von einer großen Brüchigkeit der Masse, während z. B. die Pilzgärten von 7. bellicosus, die ich in Erythnea beobachtete, auch ım frischer Zustand ziemlich fest waren. — Werden die Pilzkuchen längere Zeit der Luft und Sonne ausgesetzt, so trocknen sie bald aus und bekommen dadurch eine harte, mit- unter sehr harte Konsistenz! Der Pilzgarten stellt das Mistbeet für den Termiten- pılz dar. Dieser präsentiert sich dem unbewaffneten Auge ın Form von kleinen weißen kugeligen Körperchen, welche jedem Pilz- garten in geringerer oder größerer Zahl zerstreut aufsitzen, während das bewaffnete Auge außerdem noch einen weißen, die Oberfläche des Gartens überziehenden Mycelfilz entdeckt. Die kugeligen Körperchen (Spberes, Knötchen, Mycelköpfe etc.) erreichen einen Durchmesser von 1!/,—2!/, mm, sind von ziemlich fester Konsistenz und haben eine festere äußere Fülle. Nach Petch, der die ein- gehendsten Untersuchungen über die Natur des Pilzes angestellt und dem wir hier folgen, entstehen diese kugeligen Gebilde direkt aus dem oberflächlichen Mycel durch Vereinigung einer größeren Anzahl von Fäden, die sich mehrfach verzweigen und an ihren Enden ovale Anschwellungen bilden; auf ihnen entstehen Conidien, 3) Diese Annahme erscheint mir durchaus nicht zwingend; denn einmal ist die Kraft der Termitenkiefer durchaus nicht so gering, und sodann braucht ja die Isolierung nicht unbedingt auf mechanischem Wege zu erfolgen, sondern kann ebensogut auch auf chemischen Wege stattfinden, indem die lebenden Gewebs- elemente durch die Darmsekrete aufgelöst werden. 9% ao 2) Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten, so dass wir also in den weißen Kugeln gewissermaßen Conidien- träger zu erblicken haben. — Es befinden sich darauf zweierlei Zellen: ovale und sphärische, von denen nur die ersteren zur Kei- nmıng gebracht werden konnten. — Das Mycel und die „Spheren* sind er einzigen Bestandteile, die auf den normalen, d. h. im be- setzten Nest befindlichen Pılzkuchen vorkommen. Nun aber findet man außerhalb auf den Nestern der pilz- züchtenden Termiten sehr häufig einen Hutpilz (Agaricus)*), der wohl mit dem Mycel der Pilzgärten zusammenhängt, d. h. die höchste Fruchtform jenes Pilzes darstellt. Dieser Agaricus erscheint in zwei verschiedenen Formen, von denen die eine als Pluteus (oder auch Lentinus, COollybia ete.), die andere als Armillaria be- schrieben ist. Beide, obwohl gänzlich verschieden, gehören zweifellos ein und derselben Spezies an, welche nach den Synominiegesetzen den definitiven Namen Volvaria eurhixa zu führen hat. — Das Er- scheinen der Agariei hängt zum Teil von der Feuchtigkeit des Bodens ab; schon ein schwacher Regen genügt unter ehren zahlreiche Hüte erstehen zu lassen. Man kann sie übrigens vereinzelt das ganze Jahr über antreffen, selbst ın Zeiten, in denen andere tropische Hutpilze nıcht zu finden sind. Es scheint alse, dass sie in gewissem Maße unabhängig von den sonst zum Wachstum der- artiger Hutpilze notwendigen Bedingungen sind. Petch versuchte mehrfach, aus den Agaricus-Sporen das Mycel und die „Spheren“ zu erhalten, jedoch’ stets ohne Erfolg, so dass also der streng exakte Beweis für den Zusammenhang des Agaricus mit dem Mycel der Pilzgärten noch nicht erbracht ist. Trotzdem aber dürfen wir einen solchen auf Grund der übrigen Tatsachen mit größter Wahrscheinlichkeit annehmen. — — — Nimmt man einen frischen Pilzgarten aus seiner natürlichen Umgebung und setzt ıhn ohne Termiten unter eine Glasglocke, so erfolgt nach Petch eine wesentliche Anderung der Pilz- vegetation: Die „Spheren“ verschwinden undanihrer Stelle treten die Stromata einer Xylaria auf und zwar kommen diese aus dem Inneren des Kuchens. Es ist dies eine so regel- mäßıge Er scheinung, dass wir annehmen müssen, dass die Xylaria- Mycelien stets in den Pilzgärten vorhanden sind, dass aber die Er- zeugung von Fruchtkörpern durch die Termiten verhindert wird, indem diese alle hervorsprossenden Mycelien abbeißen. — Wir haben also in den Pilzkuchen durchaus keine absolute Reinkultur des Termitenpilzes (Volvaria), wie manche früheren Autoren (Doflein etc.) angenommen haben, sondern es finden sich daneben noch andere Formen, zum mindesten die so häufige Xylaria. Wenn man bedenkt, mit wie viel Pilzen die Termitenarbeiter ) Von Holtermann als Agaricus rajap bezeichnet. Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten. De auf ıhren Streifzügen in Berührung kommen, so wäre es schwer begreiflich, wenn dem nicht so wäre. — Nun ist zwar die Ansicht ausgesprochen worden (Doflein), dass die Substanz der Pilzgärten durch die Verarbeitung im Darm partiell sterilisiert werde, in der Weise, dass das gekaute Holz durch die Wirkung der Darmsekrete ein Substrat würde, welches ausschließlich dem einen Pilz das Wachstum gestattete, während alle anderen Formen unterdrückt würden. Dies erscheint jedoch im höchsten Grade unwahrschein- lich, besonders wenn wir an die allverbreiteten und genügsamen Schimmelpilze u. s. w. denken. — Zudem spricht ja auch das regel- mäßige Vorkommen der Xylarien neben der Volvaria direkt da- gegen. Andererseits ist es wohl möglich, dass ım Darım durch die Ein- wirkung der verschiedenen Sekrete die Mycelien und Sporen der einen Pilze getötet werden, während andere davon unberührt bleiben, so dass also dadurch eine Reduktion der Pilz- flora auf wenige (zum mindesten zwei) Arten bewirkt wurde. Aber selbst wenn dies der Fall, müssen die Arbeiter, um das reine Wachstum des Termitenpilzes zu erzielen, demnach stets die her- vorsprossenden Mycelien der wenigen Begleitpilze ausjäten, wie dies ja auch die pilzzüchtenden Ameisen tun. Das Wachstum der Pilze ıst mit der Bildung von reichlichen Mengen Kohlensäure und anderer Gase verbunden. Doflein fiel es beim Abheben der Glasglocke, unter welcher Pilzkuchen aufbewahrt waren, auf, dass der Raum von einem Gasgemisch erfüllt war, das in seiner Zusammensetzung offenbar der atmo- sphärischen Luft sehr unähnlich war. „Beim Einatmen spürte man eine starke Beklemmung, auch strömte ein sehr auffallender Ge- ruch entgegen, welcher an die Gasentwickelung gärender Substanzen erinnerte,“ Waren Termiten mit unter der Glasglocke, so lagen diese nach 1— 2 Tagen massenhaft auf dem Rücken, wohl betäubt von eben diesen Gasen. — Diesem Übelstande der Gasvergiftung wird in der freien Natur, d. h’ in den Nestern, durch eine reich- liche Ventilation, auf welche schon Smeathman und neuerdings Doflein aufmerksam gemacht haben, vorgebeugt. Die Pilzzucht bedeutet in mehr als einer Beziehung einen großen Fortschritt in der Ernährungsweise. Das Holz ist bekanntlich sehr stickstoffarm; daher müssen solche Tiere, welche sich lediglich von Holz nähren, große Quantitäten zu sich nehmen, um daraus die nötigen Nährstoffe zu erhalten. Durch die Pilz- zucht fällt dies mehr oder weniger weg, da bier die Pilze das Ge- schäft der Nährstoffextraktion besorgen, indem sie mit ihren Mycel- fäden die Eiweißstoffe aus weiter Entfernung herbeiholen. Und so ersteht den Pilzzüchtern eine ziemlich konzentrierte Stickstofl- nahrung. Auf diese wichtige biologische Seite der pilzzüchtenden 22 Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten. Insekten hat erst vor kurzem Neger besonders hingewiesen. — Natürlich werden die Pilzgärten allmählich steril und müssen daher von Zeit zu Zeit gedüngt oder aber durch neues Material ersetzt werden, welch letzterer Modus nach Petch von den Termiten hauptsächlich geübt wird. Die alten völlig ausgezogenen Teile der Pilzgärten werden hinausgeschafft und an deren Stelle frischer Holzbrei eingefügt. Daher erklärt es sich, dass der Bedarf des Holzes niemals ein Ende nimmt und die Arbeiter ununterbrochen damit beschäftigt sind, Holz einzutragen, worauf auch die großen Jerstörungen durch Termiten zurückzuführen sind. Dass der Pilz den Termiten wirklich als Nahrung dient, ist von Petch, Doflein ete. durch direkte Beobachtung festgestellt worden. Während aber ersterer annımmt, dass alle Individuen ohne Ausnahme vom Pilz (und zwar von den Spheren, vom Mycel und selbst vom Stiel des Agaricus) sich nähren, behauptet Doflein, dass die Pilze in der Hauptsache Larvenfutter darstellen. Er hat dafür sowohl den anatomischen als biologischen Beweis zu er- bringen versucht. Der Darm resp. der Kropf sämtlicher unter- suchter Larven und Nymphen waren mit Spheren vollkommen angefüllt, während im Darmtraktus der Arbeiter und Soldaten lediglich fein zerlegte Holzelemente gefunden wurden. Damit stimmten auch die Fütterungsversuche überein, indem die Arbeiter und Soldaten niemals zur Annahme von Spheren gebracht werden konnten, während dies bei den Larven und Nymphen (wie auch bei der Königin) leicht gelang. Wenn diesen, nachdem sie einige Stunden bis Tage gehungert, auf einer ausgeglühten Nadel ein Mycelköpfehen dargereicht wurde, so nahmen sie es ohne weiteres an. „Es war interessant zu beobachten, wie sie es zunächst mit den Tastern befühlten, wie sie es dann zwischen die Mundwerk- zeuge nahmen und dort zunächst längere Zeit herumdrehten und es dabei offenbar mit den Spitzen der Mandibel bearbeiteten. Sehr auffallend ist dabei, dass ein Mycelköpfchen genau den Raum aus- füllt, der bei ganz geöffneten Mundwerkzeugen von diesen um- schlossen wird“. Für die Annahme Doflein’s sprechen noch andere Momente: nämlich einmal der Umstand, dass die Pilzgärten größtenteils von Larven bevölkert sind, weshalb sie ja Smeathman auch als „Wochenstuben“ bezeichnet hat; und sodann bedürfen die Larven als die wachsende Form zu ihrem Aufbau in viel höherem Maße stickstoffreiche Nahrung (wie sie in den Spheren gegeben ist), als die Arbeiter, die in der Hauptsache mit Kohlenhydraten auskommen; und endlich ist es doch sehr naheliegend, dass die Arbeiter von dem Holz, das sie ja in ihrem Darmtraktus heimschleppen, direkt die nötigen Nährstoffe für sich entnehmen. Wenn man be- denkt, dass die Arbeiter ununterbrochen Holz einschleppen, so wird Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten. 23 dieses durch den verhältnismäßig geringen Verdauungsprozess jeden- falls nicht so stark ausgezogen, dass es nicht mehr als Nährsubstrat für den Pilz dienen könnte. Die Pilzzucht der Termiten ist sehr verbreitet, jeden- falls viel verbreiteter wie die der Ameisen. Es kann dies durchaus nicht überraschen, da ja die Termiten ausgesprochene Holzinsekten sind, welche ihre Nahrung mit Vorliebe in totem Holze suchen. Da nun letzteres gewöhnlich eine reiche Pilzvege- tation besitzt, so haben die Termiten Gelegenheit genug, mit Pilzen in Berührung zu kommen. Nehmen wir dazu noch die weitere Gewohnheit der Termiten, Nahrungsvorräte in ihren Nestern anzu- sammeln, so ist es durchaus nicht mehr schwer, den Anfang der Pilzzucht sich vorzustellen: Aus dem eingetragenen Holz werden eben die verschiedenen Pilzmycelien, Conidien etc. herausgewachsen sein, welche den Termiten natürlich zunächst unterschiedslos eine willkommene Nahrung waren, und daher häufig von ihnen abge- grast wurden. Während nun die meisten der Pilze auf diese Be- handlung nicht besonders reagierten, wurde ein Pilz wesentlich verändert, indem er zur Bildung der eigentümlichen Spheren ge- bracht wurde. Und da diese Bildung besonders vorteilhaft für die Ernährung des Termitenvolkes sich erwiesen, so wurde, durch die natürliche Zuchtwahl unterstützt, der Instinkt der Termiten auf die Züchtung gerade dieses Pilzes gelenkt und immer mehr ver- vollkommnet. Wir wissen heute leider noch wenig über die ver- schiedenen Stufen des Gärtnereiinstinktes der Termiten, doch ist kaum daran zu zweifeln, dass bei einem genauen Studium in dieser Richtung sich eine allmählich aufsteigende Reihe von einem primi- tiven bis zu dem hochentwickelten Gärtnereibetriebes eines Termes bellicosus feststellen lassen wird, — wie eine solche ja auch bei den pilzzüchtenden Ameisen aufgestellt werden konnte. Nehmen wir den eben skizzierten Weg als den nächstliegendsten für die Entstehung und Entwickelung der Pilzzucht der Termiten an, so hat das übereinstimmende Vorkommen der Pilzzucht der Ameisen durchaus nichts Befremdendes, und ich kann wirklich nicht einsehen, wie diese Konvergenz „auf den ersten Blick etwas ganz wunderbares haben sollte, welches zu den abenteuerlichsten Hypo- thesen Anlass geben könnte“, wie Doflein meint. — Die Kon- vergenz beruht auf der übereinstimmenden Gewohnheit mancher Ameisen und Termiten, vegetabilische Vorräte in den Nestern anzusammeln. Damit ıst die Grundlage resp. der Anstoß zur Pilzzucht gegeben, denn mit den Vorräten werden stets auch Pilze eingebracht. Dass der Termitenpilz sich in unveränderter Form in der freien Natur im toten Holz finden sollte, wie Doflein an- nimmt, scheint nicht der Fall zu sein; wenigstens ist es Petch 94 Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten. 7 nicht gelungen, denselben außerhalb der Termitennester aufzufinden. — Auch von dem Ameisenpilz, Roxites gangylophora kennen wir die wilde Form noch nicht; dagegen ist es vor kurzem F. W. Neger’) gelungen, den „Ambrosiapilz*, d. i. ein Züchtungsprodukt der Holzborkenkäfer, als eine veränderte Wachstumsform des gewöhn- lichen Blaufäulenerregers nachzuweisen. — Die Zahl der bekannten pilzzüchtenden Termiten ist heute schon eine recht große und wird zweifellos noch be- trächtlich vermehrt werden. Zum weitaus größten Teil gehören sie der Gattung Termes s. str. (Wasmann) an, deren sämtliche Arten Pilzzüchter sind. Ich erwähne hier nur einige Formen; für Afrıka: 7. bellicosus, die bekannteste Art, deren Pilzzucht bereits von Smeathman beschrieben, ferner natalensis Estherae, vulgaris, incertus, goliath ete.; für Asien: T. obscuripes, redemanni, malayanus, fatalıs, mycophagus; für Amerika: T. dirus. — Auch die Mierotermes-Arten, die sich von den Termes durch ihre Kleinheit unterscheiden, gehören zu den Pilzzüchtern. Sie leben in der Regel in den Bauten der großen pilzzüchtenden Termes-Arten, und errichten Pilzgärten, die eine Miniaturausgabe der großen Gärten darstellen. Die Kleinheit der Mierotermes-Arten lässt uns vermuten, dass wir es mit Dieben zu tun haben, die das Material zu den Gärten wie auch den Pilz von ihren Wirten stehlen. — x * Die Ähnlichkeit in der eben geschilderten Pilzzucht der Ter- miten mit der der Ameisen bezog sich vor allem auf die Produkte der Züchtung, die sogen. „kuglichen Körperchen“, die ein voll- kommenes Seitenstück zu den „Ameisenkohlrabi* Möller’s dar- stellen, während das Material und die Form der Pilzgärten sowie die Art der Materialbeschaffung bei beiden etwas verschieden ist. Die obigen Termiten verwenden in der Hauptsache Holz, zu dem sie im Schutze gedeckter Galerien sich begeben, die Ameisen da- gegen benützen Blattstücke, die sie aus den Blättern lebender Bäume ausschneiden und in offenen wohlorganisierten langen Zügen hereinholen. Die Züge der Attini stellen eine sehr auffällige Er- scheinung dar, und waren schon lange bekannt, bevor man von der Pilzzucht etwas wusste. Nun gibt es auch einige Termiten, die ganz ähnliche Züge unternehmen wie die Attinö und auch bezüglich der Ge- wohnheit des Blattschneidens genau wie diese sich ver- 5) Neger macht den Vorschlag, alle jene Pilze, welche mit Tieren in ähn- lichen symbiotischen Beziehungen stehen, wie die Pilze der Ameisen und Termiten, „Ambrosia-Pilze“ zu nennen, wobei unter „Ambrosia‘“ diejenige Wachstumsform des Pilzes zu verstehen ist, welche den Tieren zur Nahrung dient. Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten. 35 halten. Die erste Kunde von diesen „Wander- und Blatt- schneidertermiten“ verdanken wir Smeathman, der ın Afrıka am hellen Tage einem großen Termitenzuge begegnete. Um welche Art es sich dabei gehandelt hat, ist schwer festzustellen. Smeath- man nennt sie Termes viarım und bemerkt dazu nur, dass sie viel größer als Termes bellicosus sei und gut ausgebildete Augen habe. Letztere Angabe macht es sehr wahrscheinlich, dass es eine Hodotermes-Art war. Da die Termiten allgemein als lichtscheue Tiere bekannt sind, die nur im äußersten Notfall dem Tageslicht sich aussetzen, so hegte man längere Zeit an der Smeathman’schen Erzählung Zweifel, bis deren Richtigkeit von anderer Seite mehrfach bestätigt wurde. So hat Haviland ın Natal ganz ähnliche Züge von Ter- miten beobachtet, und zwar ebenfalls von einer Hodotermes-Art (H. mossambieus). Der Bericht darüber, der zum erstenmal in Sharp’s „Inseets“ veröffentlicht worden ist, lautet etwa folgender- maßen: Die aus der Erde hervorkommenden Arbeiter waren des Tags über damit beschäftigt, frisches und welkes Gras abzuschnei- den, das in ungefähr ein paar Zoll langen Stücken in die Erd- gänge geschleppt wurde; auch Blattstückchen wurden in diese Gänge geschafft. Oft legten die Arbeiter ıhre Bürde an den Mündungen der Gänge, um welche herum das Gras ganz kurz ab- geschnitten war, ab, um gleich wieder umzukehren und noch mehr Material zu holen. In dieser Weise wurden bis gegen Mittag große Haufen gesammelt, die später, wenn die Hitze etwas abgenommen hatte, in die Gänge hinabgeschafft wurden. Haviland folgte den ungefähr 8 mm weiten Gängen bis 20 Fuß weit und 5!/, Fuß tief, ohne das eigentliche Nest finden zu können. Die Gänge blieben im ganzen Verlauf ziemlich gleich, nur ın der Nähe vom Eingang erweiterten sie sich hier und da zuKammern, in denen das einge- tragene Gras zeitweise untergebracht war. Doch waren dieselben von so geringer Ausdehnung dass darın höchstens das Material einer ein- oder zweistündigen Sammeltätigkeit Platz finden konnte. — Endlich besitzen wir noch von Sjöstedt eine anschauliche Dar- stellung eines am Tage beobachteten Termitenzuges. Merkwürdiger- weise handelt es aber sich hierbei nicht um eine mit Augen versehene Hodotermes-Art, wie ın den beiden vorigen Fällen, sondern um einen echten augenlosen Termes, den Sjöstedt als 7. Lilljeborgt beschrieben hat. Genannter Forscher begegnete dem Termitenzug, der in vielen Kolonnen vorrückte, mitten im dichtesten Urwald im Kamerungebiet. Gleich den Blattschneiderameisen streiften diese Termiten am hellen Tage umher und zwar stets in geordneten Reihen, die in zwei verschiedenen Richtungen sich bewegten: nämlich sowohl von wie auch zu den Erdlöchern, deren sich mehrere auf kleinem Raum beisammenfanden. Sowohl an den Seiten dieser 26 Escherich, Die pilzzüchtenden Termiten. Züge, als auch hier und da auf dem Terrain zwischen den einzelnen Zügen standen die stattlichen großen braungelben Soldaten mit ihren mächtigen schwarzen Köpfen und den großen drohenden Kiefern, zur Verteidigung gegen angreifende Feinde bereit. Auch mitten unter den vorrückenden Arbeitern marschierten einzelne Soldaten, sowohl von der großen als auch mehr noch von der kleineren Form. Sobald der Zug auf umherliegende Blätter traf, zerstreuten sich die Teilnehmer; die Arbeiter gingen ans Werk und schnitten aus den Blatträndern kleine zirkelrunde Platten aus, welche sie alsdann lotrecht zwischen den Mandibeln haltend, in ihre unterirdischen Gänge trugen. Wenn man die Gesellschaft störte, so schüttelten und rüttelten sich die auf den Blättern sitzenden Termiten wie rasend und brachten dadurch ein ziemlich lautes Geräusch hervor, welches sich deutlich als Warnungssignal erwies und die anderen veranlasste, sich schleunigst in die Erde zurückzuziehen. Hier und da standen, wie bereits erwähnt, die Wache haltenden Soldaten an den Seiten der Züge, aber auch aus allen Öffnungen guckten ihre kollosalen schwarzen Köpfe mit den Riesenmandibeln hervor, auch dann noch, nachdem sich die ganze Schar allmählich in die Erde verzogen hatte. — — — Vergleichen wir die Schilderung Haviland’s und Sjöstedt’s mit den Berichten über die Züge der Blattschneiderameisen (Attini), so gelangen wir zu einer ganz erstaunlichen Über- einstimmung zwischen den beiden. Das kolonnenweise Ausmarschieren, der Vorgang des Blattschneidens, die Art und Weise, wie die Blätter heimgeschleppt werden, die Begleitung und Beschützung durch ein Heer Soldaten etec. ıst hier wie dort völlig gleich, so dass man in der Schil- derung Sjöstedt’s, an Stelle von Termes lilljeborgi ruhig Atta cepalotes setzen könnte. Bei einer derartigen frappanten Übereinstimmung ist es wohl erlaubt, bezüglich des Zweckes der geschilderten Vorgänge einen Analogieschluss zu machen. Bei den Blattschneiderameisen war man sich lang über die Verwendung der so massenhaft ein- geschleppten Blattstücke ım Unklaren; man dachte, dass sie zu Bauzwecken verwendet wurden u. s. w., bis durch Belt und Möller festgestellt wurde, dass sie als Nährsubstrat für einen Pilz dienen. — Liegt es da nicht nahe, das gleiche auch betr. der von den Termiten eingeschleppten Gras- und Blattstücken anzu- nehmen? Um so mehr, als die Pilzzucht bei den Termiten ja überhaupt eine verbreitete Erscheinung ist. Jedenfalls sind die diesbezüglichen Vermutungen, die Havıland und Sjöstedt aus- gesprochen, vollauf berechtigt. Wenn man bisher über die Ver- wendung der eingeschleppten Blattstücke noch keine definitive Klarheit erlangen konnte, so lag dies wohl daran, dass man nicht Biol. Centralblatt. {>} Figuren Geöffneter Hügel von Termes bellicosus Sm wu Artikel Escherich in Nr. 1. Fig. 1. Schematischer Durchschnitt durch das unterirdische Nest von lermes myco- phagus Desn. A = Eingang; Bu, b — Vorrats- kammern; © —= Hauptgang; E = Pilzkammern; F = Pilzgarten Nach Desneux, ‚ mit Pilzgärten (Erythrea) Pilzgarten der Diebstermite Micro- termes globicola W asm. (Ceylon) Natürl. Größe. % Stück eines Blattes, aus welchem Dermes Lilljeborgi runde Scheiben herausgeschnitten haben, Nach Sjöstedt. Pilzgarten von Zermes obscewripes (Ceylon). 6 fi u k je k a R ” = el mr 2 ? - k . ER - 5 Mes > f 2 D & fr y La K - + = N ur A 4 Be: x . . - ‘ E eGeREReE G} ZA Le Are \ DALE { Set | ER vor NND Prowazek, Zysten von Bodo lacertae. 27 tief genug in die Erde emgedrungen ist; denn wie bei manchen pilzzüchtenden Ameisen dürften auch bei den Termiten das eigent- liche Nest mit den Pilzgärten ziemlich tief gelegen sein. Bei der Übereinstimmung der Materialbeschaffung dürften hier jedenfalls auch die Pilzgärten eine noch weitgehendere Ähnlichkeit mit denen der Ameisen aufweisen als in den obigen Fällen, in denen die Gärten durch ihre größtenteils holzige Beschaffenheit eine bedeutend härtere Konsistenz und ausgesprochenere für jede Art charakteristische Formen zeigten. — Damit wäre uns ein geradezu klassisches Beispiel für biologische Konver- genz gegeben, indem in zwei gänzlich verschiedenen Tiergruppen der doch so sehr komplizierte Vorgang der. Pilzzucht von Anfang bis zu Ende bıs in die Einzelheiten in der gleichen Weise verläuft. — Literatur. Doflein, Fr., Die Pilzkulturen der Termiten. In: Verhandl. deutsch. zool. Ge- sellschaft, 1905, p. 140-—149. Escherich, K., Die Ameise. Schilderung ihrer Lebensweise. Braunschweig 1906. — Eine Ferienreise nach Erythrea. Leipzig (Quelle u. Meyer) 1908, p. 32—33. — Die Termiten oder weißen Smeisen. Eine biolog. Studie. Leipzig (Dr. W. Klinkhardt) 1908. Holtermann, ©., Pilzanbauende Termiten. In: Bot. Untersuchungen (Festschrift Schwendener) 1899, p. 411- 420 Koenig, Joh. Gerh., Naturgeschichte der sogen. weißen Ameisen. In: Besch. Berlin. Ges. natnrf. Freunde. 4, 1779. Möller, Alfr., Die Pilzgärten einiger südamerikanischer Ameisen. Jena 1893. Neger, F. W., Die pilzzüchtenden Bostrychiden. ‘In: Naturw. Zeit. f. Forst- und Landwirtsch. 6, 1908, p. 274— 280. Petch, T., The Fungi of certain Termite nests. In: Ann. Royal Botan. Gardens Peradenyia. III. Part. 2, 1906, p. 185—270, Taf. V-XXI. Sharp, D., Insects. pat. I (Termitidae p. 356--389). London 1901. Sjöstedt, Yngve, TZermes Lilljeborgi, eine neue wahrscheinlich pilzbauende Tag- termite. Upsala 1896. Smeathman, H., Some account of the Termites. In: Philosoph. Tr.nsact. LXXI (1781). Trägardh, Ivar, Termiten aus dem Sudan. In: Results Swedish Exped. to Egypt. and the White Nile 1901. Part! 1, Nr. 12, 1903. Wasmann, E., Termiten, Termitophilen und Myrmecophilen. Gesammelt auf Ceylon von Dr. W.Horn. In: Zool. Jahrb. Syst. XVII, 1902, p. 99—164. Wheeler, M. W., The fungus-growing Auts of North-Amerika. In: Bull. Am. Mus. Nat. Hist. Vol. XXIII, 1907. Zysten von Bodo lacertae. Entgegnung zu dem Artikel: „Some Remarks upon the ‚Autogamy‘ of Bodo lacertae (Grassi)“ von ©. Dobell d. Zeitschrift XXVIII. Bd., p. 548. Von S. Prowazek. Im Biologischen Centralblatt — Bd. 28, Nr. 17, S. 548 — kommt ©. ©. Dobell zu dem Resultate, dass die Zysten von Bodo lacertae, die von mir als „Autogamiezysten“ beschrieben worden sind 28 Prowazek, Zysten von Bodo lacertae. (Arb. aus dem Kais. Gesundheitsamte, Bd. 21, Heft 1, 1904), nicht dem Bodo, sondern einem anderen Organismus und zwar einem Pilz angehören. Bezüglich der Tatsachen, die meinen Untersuchungen zugrunde lagen, bemerke ich folgendes: 1. Die Annahme, dass die beschriebenen Zysten nicht in den Entwickelungskreis des Bodo lacertae hineingehören, ist aus folgenden, jederzeit leicht zu wiederholenden Beobachtungen abzuweisen: a) Konnte ich jetzt in der Gametoidengeneration, die Dobell offenbar entgangen ist, dieselben Veränderungen an dem Kern des freien Flagellaten, wie in den Zysten verfolgen und dieselben öfters im Kurs demonstrieren. Besonders bei einem Bodo aus dem Darm von Tropidurus torquatus konnte ich wiederholt zwei Kerne wie in der Zyste Fig. 70 nebeneinander beobachten (Textfig. b, ce). Fig. 67, Taf. III ist nur ein seltener Ausnahmefall und soll allein die Zu- sammenlagerung der Zysten zur Darstellung bringen. b) Man findet im reichhaltigen Matersal alle Une von freien Flagellaten über le Formen, die noch Geißeln besitzen, bis zu den eigentlichen Zysten (vgl. Textfig.). c) In den Zysten habe ich bei guter Differenzierung (Fig. 68— 72, 74—76, 78) den für Flagellaten charakteristischen Blepharoplast, zum Teil auch den Rhizoplast beobachtet. Dobell bildet in Fig. 1a u. 2 etwas Ähnliches ab. Leider konnte ich damals die Kontinuität dieser Gebilde nicht nachweisen und ging daher nicht näher auf das Problem der Kontinuität des Blepharoplastzentrosoms ein, erwähnte dagegen den Tatbestand von der Existenz des Basalapparates in folgendem Satz (p. 27, 1c): „An günstigen Objekten kann man noch immer den Basalapparat der Geißeln, der allem Anscheine nach persistiert, erkennen“. Auf Grund von neuen Untersuchungen möchte ich noch folgendes hin- zufügen: Die sogen. Gametoidgeneration, die nicht immer vor- handen ist, führt meistens zur Zystenbildung; ferner sind die sogen. Chromidien dieser Generation vollkommen iden- tisch mit denen, die in den Zysten vorkommen und bei der Zystenbildung wird ein Teil des Blepharoplasts mit der verquellenden Geißel abgestoßen, während der andere Teil erhalten bleibt (Fig. 1a, Mi e). Die gametoiden Formen teilen sich ım beweakchen Zustand, u das „Chromi- dium“ mitgeteilt wird. War mir zur Zeit der ersten Untersuchungen die Existenz von Pilzzysten im Ridechsendarm (Löwenthal, Schaudinn) Biol. Centralblatt. da b Figur zu Artikel Prowazek in Nr. 1. bodo lacertae aus Tropidurus. beweglicher Flagellat mit Ausbildung des sogen. „Uhromidiums“ vor der Zystenbildung. Reduktion der Geißeln. — alte Zyste mit Basalapparat und zwei Kernen. (Zystenmembran durch Druck abgehoben.) Prowazek, Zysten von Bodo lacertae. 29 bekannt, doch konnte ich dieselben von den Bodo-Zysten unterscheiden. Konnte man aus dem Material, das nur Dodo-Zysten enthielt, nie Pilze züchten. Ich halte die Gebilde, die Dobell in Fig. 4 abbildet, nicht für identisch mit den Zysten der Fig. 1 u. 2. Falls es aber Dobell gelungen ist, aus unzweifelhaften Fla- gellatenzysten, deren Genese ich abermals verfolgt habe, Pilze zu züchten, so hat er eine fundamentale Entdeckung gemacht, die den Befunden Dunbar’s, der aus Algen Bakterien züchtete, gleichzustellen ıst. Ich selbst habe das Ausschlüpfen der Flagellaten nicht verfolgt. Dobell muss ich ın seinem Skeptizismus bezüglich der Be- zeichnung „Chromidium“ recht geben, und ich glaube ent- gegen meinen früheren Annahmen, dass echte Chromidien nur in wenigen Protozoenzellen (Testaceen, einige Amoeben, Helio- zoen, nicht aber Trypanosomen) und noch seltener in Meta- zoenzellen auftreten. ‘Bei der Diagnosestellung kann man sich auf reine Färbungen nicht mehr verlassen, da ja bei einigen Protozoen (Ookineten von Hämatozoen, Amöben) auch Plastin- kerne vorkommen können und nach Moroff und Ruzicka Chromatın und Plastin gleichsam nur Phasen einer Metagenese ein und derselben Substanz sind. Im Biol. Öentralbl., Bd. 28, S. 388 wurde auch darauf hingewiesen, dass auf Grund von Untersuchungen von Giemsa (Fällbarkeit durch HPO und Chro- matinfärbung von künstlichen Albuminphosphaten) sich alle Substanzen mit Kernfarbstoffen färben, die Metaphosphorsäure enthalten, selbst wenn sie keine Kernsubstanzen sind. Aber gerade bei Bodo wurde jetzt sowohl in der gametoiden Gene- ration, als auch in den Zysten der genetische Zusammenhang zwischen dem Trophonucleus und den „Ohromidien“ nachge- wiesen, und ich möchte daher an der alten, rein morpho- logischen Definition des Chromidiums von Schaudinn fest- halten und die Art der Färbung!) nicht besonders betonen. Bezüglich der Deutung der Zysten als Autogamiezysten kann man allerdings streiten und sie event. als besondere Regu- lationszysten auffassen. Manguinhos, 15. Okt. 1908. 1) Die Chromidien der Testaceen, die Glykogen produzieren, verändern sich färberisch ebenso wie die Chromidialmassen von Actinosphärium, die eine Art von „Pigment“ (Hertwig) liefern. Allerdings darf man dieses Pigment mit echten Pigmentkörnern nicht homologisieren. In einem Eidechsendarm hat Dr. A ragao zahlreiche Granulationen im Bodo-Zelleib unbekannter Funktion beobachtet, die mit „Stoffwechselprodukten“ eher zu vergleichen wären. Die Chromidien der game- toiden Generation teilen sich ebenso wie ein Kern. 30 Poll, Mischlinge von Triton eristatus Laur. und Triton vulgaris L. Mischlinge von Triton cristatus Laur. und Triton vulgaris L. Von Heinrich Poll. Im Verlaufe einer größeren, seit dem Jahre 1903 begonnenen Untersuchungsreihe über die Keimdrüsen von Mischlingen !), vor allem solchen der Vögel, erwies es sich als wünschenswert, die er- haltenen Ergebnisse an anderen Tierklassen nachzuprüfen. Im Frühjahr 1908 wurde der Versuch gemacht, die beiden weitverbreiteten heimischen Molche, den Kammolch, Triton eristatus Laur. und den kleinen Wassermolch, Triton vulgaris L., miteinander zu kreuzen und zwar auf dem Wege der künstlichen, trockenen Befruchtung nach der Methode von OÖ. Hertwig?): da keine andere gleichen Schutz von Irrtum und ebenso ausgiebige Kontrollversuche ermöglichte. Von etwa 200 Eiern beider Arten, die zu diesen Versuchen dienten, begann zwar ein beträchtlicher Teil die Entwickelung; die weitaus größte Anzahl starb auf den Stadien der Furchung, Morula und Gastrula ab; nur wenige erreichten die Form der ausgebildeten Larve: nämlich ein Mischling von Triton vulgaris gS und Triton cristatus 9 und sieben der umgekehrten Kreuzung. Der Mischlings- charakter trat alsbald in dem deutlich verzögernden Einfluss des eristalus-Spermiums auf die in der Norm sich schneller entwickelnden vulgaris-Eier deutlich zutage. Im September begann die Metamorphose der vier noch lebenden Mischlinge, deren Pflege und Untersuchung auf dahingehende Bitte der vielerfahrene und bekannte Urodelenforscher, Herr Dr. W. Wolterstorff-Magdeburg, in sehr dankenswerter Weise übernahm, nachdem er schon vorher das Unternehmen durch vielfache nütz- liche Ratschläge gefördert hatte. Die zoologisch-systematische Prüfung’) ergab, dass es sich um einen aus der Freiheit nicht be- kannten Molchmischling handelt, der mancherlei Anklänge an Triton vittatus erkennen lässt, im übrigen aber ein buntes Gemisch väter- licher und mütterlicher Charaktere darstellt. Dieser Hybride ist der erste rein auf künstlichem Wege erzeugte Amphibienmischling, der das Stadium der Metamorphose erreichte und überlebte. Als 1) Poll, H. Der Geschlechtsapparat der Mischlinge von Carina moschata (L.) g und Anas boschas var. dom. L. 2. Sitzber. d. Ges. naturf. Freunde Berlin, Jahrg. 1906, Nr. 1, p. 4—7. — Poll, H. und Tiefensee, W. Mischlingstudien II: Die Histiologie der Keimdrüsen bei Mischlingen. Ebenda, Jahrg. 1907, Nr. 6, p. 157”—167. — Poll, H. Mischlingstudien III: System und Kreuzung. Ebenda Jahrg. 1908, Nr. 6, p. 127—139. 2) Hertwig, O. Die Entwickelung des mittleren Keimblattes der Wirbel- tiere. Jen. Ztschr. f. Naturwissensch. Bd. 15, 1882, p. 289. 3) Wolterstorff, W. Über Polls Bastarde zwischen Triton eristatus Laur. und Triton vulgaris L., Zool. Anz. (wird demnächst erscheinen). Thesing, Biologische Streifzüge. BE Mischling reiht er sich dem aus der Freiheit als Triton Blasii de l’Isle bekannten Tiere an, dessen Hybridennatur Wolters- torff*) durch natürliche Kreuzbefruchtung zwischen Triton eristatus und Triton marmoratus im Jahre 1903 erwies. Berlin, Anatom.-biolog. Institut der Universität, 27. Nov. 1908. Dr. C. Thesing: Biologische Streifzüge. Eine gemeinverständliche Einführung in die allgemeine Biologie. 2. Aufl. J. F. Schreiber, Esslingen und München. Aus Vorträgen entstanden, welche der Verf., ehemals Assistent bei F. E. Schulze in Berlin, in den Wintersemestern 1905—1907 in der Urania und an der Humboldtakademie ın Berlin gehalten, stellt sich das bereits in 2. Aufl. erschienene Buch als eine sehr lesenswerte Zusammenfassung der herrschenden Ansichten über den Werdegang des Lebens dar. Von Thales bis Darwin und Häckel verfolgt der Verf. die Theorien über die Selbständigkeit oder genea- logische Zusammengehörigkeit der Formen der Lebewesen. Dass dabei die moderne Forschung am ausführlichsten besprochen wird, ist: selbstverständlich. Im Kap. 1, das die Überschrift trägt: „von Thales bis La- marck,“ gibt Verf. außer dem historischen Überblick eine ein- gehende Würdigung des Lamarckistischen Anpassungsprinzipes. Kap. 2 „Lebenserscheinungen und Bedingungen“ enthält einen Überblick über die für die Anpassung notwendigen physiologischen Voraussetzungen. Auf das 3. Kapitel „Die Kräfte im Organismus“ sei besonders hingewiesen. Es enthält u. a. das philosopische Glaubensbekenntnis des Verf., das in dem du Bois-Reymond'- schen „Ignorabimus“ gipfelt. Kap.4 „Die Bausteine der organischen Welt,“ Kap. 5 „Die Entstehung des Lebens,“ Kap. 6 „Die Ab- stammungslehre,* Kap. 7 „Die Faktoren der Entwicklung,“ Kap. 8 „Die Erhaltung des Lebens“ und Kap. 9 „Fortpflanzung und Ver- erbung“ sind treffliche Darstellungen. Es ist leider nicht möglich, auf den Inhalt im speziellen einzugehen, weil dadurch der Raum eines Referates weit überschritten würde. Auch ist es in dieser Zeit- schrift nicht nötig, da Verf., der sich an ein naturwissenschaftliches Laienpublikum wendet, selbstverständlich keine neuen, der Diskussion zu unterziehenden Probleme aufwirft. In diesem Buche kommt es auf die Form an, in welcher das wissenschaftlich Erkannte vorge- 4) Wolterstorff, W. Über Triton Blasii de l’Isle und den experimentellen Nachweis seiner Bastardnatur. Zool. Jahrb., Abt. f. Syst. Geogr. u. Biologie d. Tiere. Bd. 19, H. 5, 1903, p. 647-661. — Wolterstorff, W. Triton Blasti de l’Isle, ein Kreuzungsprodukt zwischen Triton marmoratus und Triton cristatus. Zool. Anz., Bd. 28, Nr. 3, 1904, p. 82—-86. 32 Arrhenius, Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Zeiten. setzt wird. Und diese Form ist ganz vortrefflich. Tritt also an den Naturforscher die Frage heran, welche Zusammenstellung der Entwickelungslehre er bildungsbedürftigen Laien empfehlen soll, so kann er das Thesing’sche Buch als wertvoll und höchst instruktiv bezeichnen. Die Fachgenossen mit diesen wenigen Worten auf das anerkennenswerte Buch hinzuweisen, ist der Zweck dieses Referates. Rawitz (Berlin). Kurd Lasswitz. Seelen und Ziele. Beiträge zum Weltverständnis. Kl. 8, XI u. 320 S., Leipzig o. T. (1908), Verlag von B. Elischer Nachfolger. Der Herr Verfasser, als Philosoph und feinsinniger Dichter rühmlich bekannt, hat ın diesem Buche eine Reihe von Aufsätzen vereinigt, in denen er seine in früheren Schriften niedergelegten plilosophischen Anschauungen im Sinne und Geiste Th. Flechner’s ergänzt. Einzelne Kapitel, z. B. das vierte, „Ein Grundgesetz des Lebendigen,“ das fünfte, „Die Grundlagen der Biologie“ u. a. be- sprechen unmittelbar biologische Probleme. Ueberall zeigt er sich als mit den Ergebnissen neuester Forschung gut vertraut. Dass er dieselben in sein Weltbild, wie er es auf Grund seiner Philosophie erlangt hat, einordnet, ist nur natürlich. Dass er dabei nicht immer die Zustimmung der Biologen von Fach finden wird, glaube ich wohl. Immer aber wird man den geistvollen Ausführungen, die in schöner Sprache vorgetragen werden, mit Interesse folgen. J. Rosenthal. Svante Arrhenius. Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Zeiten. Deutsch von L. Bamberger. Leipzig. 1909. Ak. Verlagsges. m. b. H. Dem von uns ausführlich besprochenen „Werden der Welten“ ist in dem vorliegenden Werk eine Fortsetzung geworden, die uns zurückversetzt „in den Geist der Zeiten“. Sagen der Naturvölker, Schöpfungslegenden, Schöpfungssagen, die Weltanschauung der Ge- lehrten in alter und neuer Zeit werden in ebenso fesselnder wie be- wundernswerter Weise, in Hinsicht des Überblickes über die Ge- schichte dieser Vorstellungen, vorgetragen. Die Schlusskapitel enthalten im engen Anschluss an den ersten Teil des Werkes eine Fortsetzung der geistreichen Betrachtungen über die Wärmesätze und den Unendlichkeitsbegriff in der Kosmogenie. Erich Marx. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Geniralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. RK Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Ba. XXIX. 15. Januar 1909. AR, Inhalt: Fiebrig, Cecropia peltata und ihr Verhältnis zu Asteca Alfari, zu Atta sewdens und anderen Insekten; mit einer Notiz über Ameisen-Dornen bei Acacia Cavenia (Fortsetzung). — Schimkewitsch, Nochmals über Tetraneurula. — Hoffmann, Kunst und Vogelgesang. — Schaufufs, ©. G. Calwer's Käferbuch. Cecropia peltata und ihr Verhältnis zu Azteca Alfari, zu Atta sexdens und anderen Insekten; mit einer Notiz über Ameisen-Dornen bei Acacia Cavenia. Ein kritischer Beitrag zur Ameisenpflanzen-Hypothese. Von Karl Fiebrig (San Bernardino, Paraguay). (Fortsetzung..) Es wäre denkbar, dass die Einquartierung der jüngsten, noch sehr zarten Stadien der Raupe in den Gründungskammern zum Teil dem Bedürfnis nach einer weichen, zerkleinerten, bis zu einem gewissen Grade schon vorbereiteten Nahrung entspränge, in welchem Falle diese Larven von 7584 als eine Art von Synoeken zu Arteca aufgefasst werden könnten; auf jeden Fall dürfte für die zartesten Larvenstadien dieses Cecropia-Schädlings das Unterkommen in den Stengelkammern, welches ihnen Azteca ermöglicht, unter dem Schutze (!) dieser Ameisen, ein für ihre Entwicklung und für die Ausbreitung der Art günstiges Moment bedeuten. Ob die Eier von der Motte direkt in das Zweiginnere geführt werden, oder ob die Larven sofort nach dem Ausschlüpfen von außen her eindringen, konnte ich nicht feststellen. Es fiel mir auf, dass ich nur in selteneren Fällen eine größere Zahl dieser Raupen beieinander fand; ich vermute daher, dass die Motte ihr Gelege über verschiedene Pforten hin verteilt; XXIX. 5} > 34 Fiebrig, Cecropia peltata etc. oder dürfte man etwa die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass die Motteneier zum Teil vom Azteca-Weibchen verzehrt werden? Das Innere eines von Raupen bewohnten Stengels bietet einen durchaus anderen Anblick, als ein von Axteca besetzter Zweig. Statt der Kammern sieht man eine zum großen Teile mit dunkel- braunen Kotmassen angefüllte, dunkelwandige Röhre, deren Quer- wände verschwunden sınd, während oft das Mark auch der aller- jüngsten, noch völlig unentwickelten Internodien bis zur Vegetations- spitze ausgefressen ıst (Fig. 13, 14 und 19a). Die Raupen nähren sich in erster Linie von der Marksubstanz, dann auch von den @Querwänden; die eigentliche (Holz-)Wandung des Stengels wird anscheinend nur in den jüngsten noch wenig differenzierten Inter- nodien in Mitleidenschaft gezogen. Es drängt sich hier der Ver- gleich auf zwischen den beiden so grundverschiedenen Bewohnern dieser Hohlräume: Die nur für die Gegenwart arbeitende Raupe, die keinen anderen Trieb zu kennen scheint als den, ihren Hunger zu stillen, die nicht für die Reinlichkeit der von ıhr nur relativ hurze Zeit benutzten Wohnung, nicht dafür Sorge trägt, was nach ihr werden wird — und jenem klugen Ameisenvölkchen, dessen Wohnräume stets frei von Unrat gehalten werden, das durch ein vorsichtiges und zweckentsprechendes Abbauen des von der Pflanze gebotenen Stoffes, durch systematische Räumearbeiten in der Stengel- mine und durch das Aufspeichern von Lebensmitteln für die eigene Zukunft und die späterer Generationen sorgt. Es sei bemerkt, dass einige Male, meist an jungen, stets aber schon von Axteca besetzten Pflanzen die 75S4-Raupen, welche auch hier ım Stengelinnern zu finden waren, die Vegetationsspitze von innen heraus total abgefressen hatten, während gleichzeitig, was mir sehr beachtenswert erscheint, die nächstliegenden Blattpolster ebenfalls frische Spuren von Insektenfraß (von diesen Raupen!) zeigten (Fig. 20 u. 20a); dies könnte, scheint mir, als Beweis dafür gelten, dass für diese Larven die Haarpolster (+ Müller’sche Körpercher) der zarten Markschicht analogen Geschmacks- und Nährwert haben dürften, womit die Raupen ähnliche Inklinationen wie die Axteca verraten, wenngleich in der Befriedigung derselben jene weniger rationell vorgehen als diese. Wir werden annehmen dürfen, dass jeder Zweig, der übrigens auch durch eine gewisse Verengung des Stengels — Aufhören des Dickenwachstums — namentlich an den jüngeren Teilen, die ihm widerfahrene Schädigung verrät, der ım übrigen aber fortfährt, Müller’sche Körperchen zu produzieren (die von Axteca an diesen Raupenzweigen nicht gesammelt zu werden scheinen!), nur eine gewisse Anzahl von Raupen ernähren kann, unter gewöhnlichen Umständen vielleicht nur eine Generation, d. h. die Nachkommen einer Motte. Es scheint aber als wenn diese Larven verhältnis- Fiebrig, Cecropia peltata etc. 35 mäßıg lange brauchen ehe sie zur Verpuppung kommen. Am Ende dieser Periode wird der Zweig, der anfangs weiterzutreiben ver- suchte, so geschwächt sein, dass er abstirbt, wie dies oft die vielen toten Zweige, die, nach meinen Beobachtungen, sehr häufig Spuren der Mark (und Querwand!)zerstörenden Tätigkeit dieser Larve zeigen, beweisen (Fig. 26). Der durch 7584 den Cecropien zugefügte Schaden wird höchstwahrscheinlich wesentlich vergrößert durch die ım Innern der Zweige belassenen Kotmassen, die mit der von der Raupe ab- geschiedenen „Feuchtigkeit* die Ursache zu Pilzbildungen und Fäulnis sein werden — man findet hier daher oft auch Fliegenmaden und Tylenchus-ähnliche Nematoden —, welche die schon in stärkerem Maße angegriffene Stengelwand vollends zerstören dürften. Und alle diese recht bedeutenden Schädigungen treffen den Baum trotz der Ameisenleibgarde! Ja wir dürften genötigt sein zuzugeben, dass die treulosen Ameisenwächter in einem gewissen ursächlichen Zusammenhange stehen mit den Invasionen dieser Raupe, denn — mögen die Raupen (resp. Eier) manchmal durch Spechtlöcher oder, in der Mehrzahl der Fälle, durch die von den Ameisen gefertigten Zugangspforten hineingelangen in das Innere des Stengels — in jedem Falle dürfte Axteca für deren Gegenwart verantwortlich zu machen sein, da ohne diese Öffnungen in der Stengelwand, die den zarten, jungen Rauven die Möglichkeit geben eine Zuflucht zu finden, diese Raupen schwerlich in solcher Ausdehnung die Cecropia heimsuchen dürften; Tatsachen aber, welche für dıe Mög- lichkeit sprächen, dass diese Mottenlarven, auch die eben dem Ei entschlüpften, in gewissen Fällen etwa selbständig die Stengelwand zu durchbohren versuchen sollten, habe ıch bisher noch nicht fest- stellen können. Durch das so häufige Auftreten dieser Eule auf dem Ambay wird das Beweismaterial für die außerordentlich große Anpassungs- fähigkeit dieser über alle Erdteile verbreiteten Raupe an Nahrung und sonstige äußere Verhältnisse um ein weiteres Argument ver- mehrt. Das Studium dieses von den Nordamerikanern bollworm genannten Insekts in seinem Verhältnis zu anderen gleicherorts mit Cecropia vorkommenden Pflanzen dürfte vielleicht zu interes- santen Ergebnissen führen, die möglicherweise auch einen prak- tischen Nutzen haben möchten. So könnte ich mir z. B. vorstellen, dass durch den Umstand, dass die Raupe auch während der Monate, in denen auch in den Tropen gewisse Kulturpflanzen in geringerer oder nur in nicht genügend entwickelten Stadien anzutreffen wären, der Ambay gleichsam als Mittelglied dienen würde, welcher eine zeitlich uneingeschränkte Entwickelung der Eule ermöglichen und der verhindern würde, dass deren Fortbestand durch Nahrungs- mangel Einbuße erlitte. Andererseits dürfte die auf der Ceeropia beobachtete Hebothis vielleicht auch systematisch interessant sein, 2% 3 ir 56 Fiebrig, Üeceropia peltata ete. wenn sie sich etwa als eine, diesem Baume in gewisser Beziehung angepasste Varietät entpuppen sollte. Andere Insekten ete. Unter den den Ambay heimsuchenden Käfern wäre eine kleine blattminierende Hispide? zu nennen, 5743°), die nicht selten ist und deren Larve einen Lappen des Blattes nach dem andern mit einem Minengange umgibt, um schließlich an der Basıs eines Lappens, in einem hügelförmigen Gallen zur Ruhe und zur Ent- wickelung der Imago zu kommen (Fig. 15). Ein anderer Schäd- ling ist eine zierliche, strohgelbe Cureulionide, 6718, die Infloreszenz und Fruchtstand heimsucht und die durch den Umstand, dass sie auch öfters zahlreich an Palmenblüten gefunden wird, für gewisse morphologische Analogien der Fortpflanzungsorgane dieser beiden Pflanzengruppen ein beachtenswertes „Verständnis“ an den Tag zu legen scheint (in ähnlicher Weise etwa wie die in den Maiskörnern so sehr verbreitete Calandra-Art, die ich oft genug in dem, einem Maiskolben ähnlichen, Fruchtkolben eines Phrlodendron angetroffen habe). Recht häufig findet man ferner die Larven einer Uhryso- melide, 4827, ın ziemlicher Anzahl, dicht aneinander gedrängt, an den Blättern fressend; sie zeichnen sich aus durch einen glän- zend schwarzbraunen, chitinösen diskusförmigen Forstsatz, den sie bei Gefahr, wie so viele Mitglieder dieser Familie mit ähnlichen (oft von Kot geformten!) Bildungen es tun, in die Höhe und über sich halten. Auch 5059 und 6495 finden sich oft zahlreich auf den Blättern. Endlich wären da einige Öerambyciden zu nennen, die sowohl ın trockenen Zweigen als auch ım Holze des lebenden Stammes minieren und eine Curculionide 4909, die mit ihrer schimmelfleckigen Färbung sich dem sie umgebenden weißen Filz der Blattunterseite vorteilhaft anzupassen versteht. Häufiger aber als alle diese Käfer, und oft ın großer Zahl, trıfft man die winzigen, kaum anderthalb Millimeter langen Bostrychiden, 7601, im Holze des Ambay, und zwar nicht allein in trockenen Zweigen, sondern oft auch in noch grünen von Axteca bewohnten Teilen, in deren noch frischer Cambiumschicht die Weibchen ihre Eier ab- zulegen scheinen, während die aus diesen schlüpfenden Larven diese Schicht vollständig zerstören und auch ım Holze bohren. Besonders zahlreich auf Ceeropia sind die Pflanzen- sauger. Die Anwesenheit mehrerer Arten von Lygaeiden, darunter in erster Linie die blassstumpfbräunliche 5061 und in geringerer 5) Für die Bestimmung eines Teiles der hier angeführten Insekten, wie auch für die Durchsicht der Druckbogen bin ich Herrn Prof. Dr. Rosenthal verpflichtet, dessen freundliches Entgegenkommen mir, bei den großen Entfernungen, von be- sonderem Werte ist. Desgleichen möchte ich hier nochmals Herrn Prof. Forel danken für die Bestimmung der Ameisen. Fiebrig, (eceropia peltata ete. 3 Zahl die zierliche, zartweiße 7597 verrät sich an der weißen Unter- seite der auch häufig welk (gelblich) und blassfleckig erscheinenden Blätter durch die braunschwarzen Kottröpfehen und dunklen Flecke des aus den Stichöffnungen herausquellenden Saftes, die oft die einzelnen Blattlappen dicht bedecken. Eine gedrungene braune Pentatomide, 5178, pflegt ihre Eier an der Basıs der Blattlappen, an der Unterseite, auf einem Haufen abzulegen und sie zu be- wachen bis zum Ausschlüpfen oder noch länger; so findet man oft an 2-3 oder mehr Lappen eines Cecropia-Blattes, bei je einem Eierhaufen, eine Mutter. Diese drei Wanzenarten sind sehr häufig und, ganz besonders 5061, auf einem Baume oft außerordentlich zahlreich, und sie dürften infolgedessen 'die Pflanzen nicht unbe- deutend schädigen. Von allen dreien findet man, ebenso wie von gewissen auch ziemlich häufigen, sehr zierlichen und schön gefärbten Jassiden, 7598, sämtliche Entwickelungsstadien und deren Häute oft auf einem Blatte. Eine willkommene Beute scheinen die Ambay-Bäume auch den Wanderheuschrecken zu bieten, die ich ganze Gruppen von Öecropien in wenigen Stunden fast kahl fressen sah, auch andere phyllophage Orthopteren fand ich häufig auf dem Ambay, ebenso Mantiden, z. B. die rindenähnliche, ungeflügelte 7599 (Fig. 17), die auf den oft isoliert stehenden Bäumen eine reiche Insekten- ausbeute finden dürften. Auffallend oft begegnet man gewissen Thysanopteren, die besonders zwischen dem oft Spinnfäden ähnelnden Filze der Blattunterseiten sich aufhalten, dort, wo auch beständig eine große Zahl sehr kleiner Milben anzutreffen ist. Die Zahl der von mir auf ©. peltata gefundenen, d.h. der auf dieser Pflanze lebenden Insekten (ich habe viele hier unerwähnt gelassen) ist eine beträchtliche. Wenn ich sie vergleiche mit den in Paraguay auf anderen Pflanzen beobachteten Hexapoden, so scheint es mir, als ob der Ambay in stärkerem Maße heimgesucht würde als die große Mehrzahl der hier einheimischen Holzgewächse, und das ist um so auffälliger, als der Baum „einladend saftiger* Blätter entbehrt und man glauben sollte, dass er durch den ıhm eigenen Saft gegen die meisten Feinde geschützt sei. Es würde von Interesse sein festzustellen, wieviele von den auf ©. peltata gefundenen Kerfen — die hier angeführten sind zum großen Teile das ganze Jahr hindurch auf dem Ambay zu finden — ausschließlich auf Ceeropia vorkommen. Da jedoch über die bisher in Südamerika gesammelten Insekten zuverlässige Angaben über die Nährpflanzen spärlich sind, so dürfte es schwer fallen aus einem Vergleich mit den Fundorten der bekannten Spezies zu einem be- friedigenden Resultate zu kommen‘). So weit ich die Insekten- 6) Das Berliner Zoologische Museum ist im Besitze einer großen Zahl von Insekten Paraguays, deren Nährpflanzen von mir angegeben worden sind und 35 Fiebrig, Cecropia peltata ete. funde auf anderen Pflanzen in Erinnerung habe, glaube ich, dass die hier angeführten Rhynchoten mir nur auf dem Ambay be- gegnet sind. Unter den Vertebraten sind es besonders Fledermäuse (Phyl- lostoma-Arten) und eine ganze Schar von Vögeln, namentlich die Tauben — eine große Taubenart kommt jeden Sommer (etwa anfangs Januar) aus dem Süden, zur Zeit der Reife der Ambay- Feigen und ist während ihres Aufenthaltes ın Paraguay, der etwas länger als die „Feigenzeit* dauert, fast nur auf den Üecro- pien anzutreffen —, die, neben den Affen und dem Menschen, den Früchten eifrig nachstellen; dadurch aber, dass sie durch Ver- schleppung der Samen zur Ausbreitung der Spezies, wie wir oben gesehen haben, in hohem Grade beitrageu, werden sie eher nützlich als schädlich sein. In besonderem Maße scheint das Faultier, wie allbekannt, von Cecropia abhängig zu sein, sicherlich wohl der Früchte wegen: ein Kamerad oder Konkurrent der Axteca? Oder sollte es gar hin und wieder einige unserer Axteca-Ameisen ver- schlucken wie sein naher, baumliebender Verwandter Myrmecophaga tetradactyla? Hier ın Paraguay scheint ersterer Edentate, wenigstens in vielen Gegenden, schon recht selten geworden zu sein. Sehr häufig findet man Vogelnester verschiedener Art in den von Stamm und Zweig gebildeten Winkeln auf dem Ambay. Ameisen, die der Ceceropia gegenüber indifferent. Außer den angeführten Tieren, die in den weitaus meisten Fällen die Cecropia stofflich berauben, will ich hier noch einige Bewohner erwähnen, die dem Baume weder Schaden noch Nutzen bringen dürften. Es sind dies ein paar Ameisenarten, welche offenbar in aller Eintracht, zusammen mit Axteca, auf den Cecropien nisten und das gleiche Revier mit diesen teilen: zwei Oamponotiden, 7593 und 7594 und eine Cryptocerine 7586. Alle drei finden sich sehr häufig auf dem Ambay, meist in den von der stengelminierenden Raupe in trockene Holzröhren verwandelten, oder in anderen toten Ästen, doch bevorzugt die größere Camponotide, 7593, die noch nicht ganz abgestorbenen, noch feuchten, manchmal noch treibenden . Zweige, in deren basalem Abschnitte sie sich zuweilen eingenistet hat, während in der Astspitze noch die Raupen ihr Wesen treiben, beide scheinbar in friedlichem Einvernehmen. 7586 hingegen fand ich nur in völlig trockenen Ästen, sie gehört offenbar zu den anspruchslosesten Gästen und scheint, im Gegensatze zu den an- deren, Karnivor zu sein. Sie spielt in dem heterogen zusammen- zwar in tausenden von Fällen, so dass aus diesbezüglichen Vergleichen ein Schluss in dieser Richtung und auch in bezug auf die Konstanz der von den Insekten er- wählten Pflanzen, soweit Paraguay in Betracht kommt, erlaubt sein dürfte. Fiebrig, Ceceropia peltata etc. 39 gesetzten Ambay-Tierstaat voraussichtlich die Rolle, die unter den Wirbeltieren Südamerikas den Aasgeiern zufällt, ich habe sie oft einen Insektenleichnam herumschleppen sehen, übrigens fand ich mehrfach an den Blättern der Cecropia einen dieser Oryptocerine außerordentlich ähnlichen Käfer, 5273. Die beiden Camponotus- Arten scheinen vegetarisch zu leben und suchen ihre Nahrung viel- leicht auch men. ts, ın der Umgegend des Baumes, 7593 eh sich möglicherweise sogar von pilzartigen Substanzen, welche sich auf dem Raupenkote, in der feuchten Atmosphäre der Stengelröhre bilden. Obwohl diese drei Ameisenarten (fast in jedem trockenen oder halbtrockenen Aste!) alle drei gleichzeitig auf einem Baume, zu- sammen mit Axteca, vorkommen und in Ten hohlen Ceeropia-Zweigen nit ihrer Brut ee geworden sind, so wird doch keine von ihnen als eine der Cecropia eigene Art gelten können, weil sie sonst im Holze allerorts, wo passende Unterkunft und Schutz für die Brut sich bietet, zu finden sind. Der Gegensatz zwischen diesen den Ambay bewohnenden Ameisen ist gewiss sehr lehrreich. Die auf dem Baume einheimische Azxteca lebt, nur ın lebenden, frischen Stengeln und hält vornehmlich deren jüngste, Blätter rechnen enden, Teile besetzt, während die Camponotiden in den, dem Tode ver- fallenen oder schon ganz trockenen, Oryptocerus aber nur in völlig abgestorbenen er hausen; jene ıst eben in mannigfacher Be- zıiehung abhängig von den Produkten des lebenden Ben diese hingegen suchen in seinen hohlen Ästen im wesentlichen nur Sehr für sich und ihre Brut. Zwischen diesen beiden Ameisengruppen steht die gefräßige, „selbstsüchtige* Raupe, die, während sie von dem Wohnsitz der Azteca Besitz nimmt, der Oamponotus und Orypto- cerus das Heim vorbereitet. Neben den genannten habe ich noch manch eine andere Ameisenart auf dem Ambay angetroffen, wie z. B. 7593a, stets, wie es scheint, vergesellschaftet mit 7503, meist aber wohl nur solche, die ihr Nest anderwärts hatten, also nur als temporäre Gäste an- gesehen werden konnten, darünter einige Myrmicinen, nie aber, wie ich glaube, eine andere Azteca-Art. Alle diese Ameisen dürften die Früchte besonders schätzen. Einmal beobachtete ich innerhalb eines hohlen Zweiges eine sehr kleine, gelbe, außerordentlich flinke Ameise in mehreren Exemplaren, in Gemeinschaft mit Axteca A. m.: ich konnte deutlich einen zweihöckerigen Petiolus wahrnehmen und glaubte daher, dass es sich um eine parasitäre Formicoxenus-ähnliche Myrmicine handeln mochte. Sonstige Parasiten, etwa Chalciden’), habe ich nicht beobachtet. 7) Sharp, Insects 1899. II, p. 158. 40 Fiebrig, (eeropia peltata etc. Atta. Wir müssen uns nun endlich mit der Ameise beschäftigen, die mit der Cecropia so eng verknüpft erscheint, dass es Leute gibt, die sich das eine ohne das andere gar nicht denken zu können scheinen, die die Vorstellung haben, als ob etwa das eine, die Ameise, beständig auf der Lauer liege, das andere, die Cecropia, zu vernichten und dass, wenn sich Ceeropia nicht beizeiten umgeben hätte mit der braven Leibgarde der kriegerischen Axteca, ihr Schicksal längst besiegelt wäre! Diese berüchtigte „baummordende* Ameise heisst bei den Paraguayern Isau?°), es ist hier Atta sexdens L. In den bewohnten Gegenden Paraguays ist, soweit mir bekannt, Atta sexdens die größte und verbreitetste Blattschneiderart (die kleineren Spezies spielen hier in bezug auf ihre blattschneidenden Leistungen eine so untergeordnete Rolle, dass wir sie hier im allge- meinen unberücksichtigt lassen können. Die Isaü legt ihre großen unterirdischen Kammern und Gänge mit Vorliebe in solchen Gegen- den an — d. h. in solchen kommt es zur Bildung einer Kolonie, während die Gründungen der auf ungünstiges Terrain verschlagenen Weibchen meist bald zugrunde gehen —, in denen der Boden, zum wenigsten in der für sie nötigen Tiefe, einen gewissen Grad von Bindigkeit besitzt. Diese Vorliebe für tonhaltige Bodenarten, die sie mit anderen — nicht allen — Arten ihrer Gattung teilt, ent- spricht sicherlich dem Bestreben, ihren oft recht umfangreichen, unterirdischen Kammern eine möglichst feste Wölbung zu geben und auf diese Weise einem Einsturze vorzubeugen, der bei mehr sandhaltigem Boden, namentlich nach stärkeren Niederschlägen zu befürchten wäre. So kommt es, dass einerseits die Anwesenheit der Attinen Schlüsse erlaubt auf eine gute, starklehmige Boden- qualität, es andererseits aber auch verständlich wird, warum der Paraguayer von der roten Erde (tierra colorada) oft behauptet, man könne darauf diese oder jene Pflanze nicht anbauen, weil sie sonst den Schleppern zum Opfer fallen würde (die stark tonhaltigen Erd- arten in Paraguay sind, soweit sie hoch, d. h. trocken liegen, meist in hohem Grade eisenhaltig und infolgedessen, wie in vielen anderen tropischen Ländern rot gefärbt [Laterit]). Es ist einleuchtend, dass die Isaü in nassem resp. mit Wasser gesättigtein Boden ihre Woh- nungen nicht anlegen kann, und aus diesem Grunde ist es ıhr un- möglich .den durch starken Humusgehalt schwarz gefärbten Ton der feuchten Kämpe, aus dem eine Termitenart oberirdische Bauten verfertigt, zu verwerten. 8) Für „Isaw‘ — dem brasilianischen Sauba gilt das in Anm. 1 über Ambay Gesagte. Nach Montoya (cf. 1. c.), der icaüb schreibt, bedeutet das Wort ub (= ib) soviel wie Haupt (= Meister, groß) (Ameise) und ist icä so viel wie „Geschnittener Zweig oder Stengel‘‘; das Ganze also etwa: „Große Stengelschneider (-Ameise).‘“ Fiebrig, Ceeropia peltata etc. 41 Weitere Angaben über die Wohnung der Attinen dürften hier nicht am Platze sein, dagegen erscheint es zweckmäßig über die von den Blattschneidern heimgesuchten Pflanzen einige Worte zu sagen. Das Material, welches den Isaü als Substrat für ihre Pilz- kulturen zur Verfügung steht, ist sehr mannigfaltig und in unge- heurer Menge vorhanden. Meine jahrelangen Beobachtungen haben mich zu der Überzeugung geführt, dass A. sexdens aus der großen Zahl der ihr zu Gebote stehenden Pflanzenarten, wenigstens der Holzpflanzen, nur sehr wenige zu verschmähen scheint. So habe ich bisher von ihr noch nicht schleppen sehen die Blätter z. B. von Cedrela brasiliensis, Trichilia catigua, Pilocarpus Selloanus, Pst- dium guayava, Lafoensia pacari, Qualea cordata, Tabernae montana hillariana, Ricinus communis, ferner von Bananen, Palmen und Farnen und auch nicht von Cecropias nächster Verwandten Fleus subtriplenerwius (nach Angabe eines zuverlässigen Beobachters soll jedoch diese letztere gelegentlich geschnitten werden). Damit ist aber durchaus nicht gesagt, dass Atta nicht wählerisch sei, d. h. dass sie aufs geradewohl die Blätter herbeischaffe. Sie hat zweifellos, wie so viele in Scharen auftretende Insekten, wıe z. B. auch die Wanderheuschrecken, eine Vorliebe für die Kultur- pflanzen (sie nımmt nach meinen Beobachtungen auch unter Um- ständen die frischen, Milchsaft führenden Blätter von Manihot utilissima®). In besonders hohem Grade ist der Apfelsinenbaum — so reich an ätherischen Ölen! — den Plünderungen durch die Isaü ausgesetzt, und doch gibt es in Paraguay keinen Kulturbaum, der auch nur in annähernder Menge angepflanzt würde!®); der Baum fehlt fast bei keiner Sıedelung und bildet in manchen Gegenden tatsächlich kleine homogene Waldungen von mehreren Hektaren Ausdehnung, er findet sich sogar in Abarten, verwildert, mitten ım Walde, und das ist um so auffallender als Oilrus Aurantium ın Paraguay vorzugsweise auf demselben roten Boden, der von der Atta so geschätzt wird, vorkommt. Aber es scheint für die Isau noch begehrenswertere Pflanzen zu geben als die Orangenbäume. In der Nähe meines derzeitigen Wohn- sıtzes befinden sich mehrere Dutzend Apfelsinenbäume, ebensoviele Paraisos (Melia Axedarach L.), einige stark belaubte Zitronenbäume, Pfirsiche, Weinstöcke, Ricinus, einige Bougamvillea, eine Thuja 9) Ich habe in einer früheren Arbeit berichtet über einen missglückten Ver- such einiger A. sexdens-Individuen, die Blätter der kautschukreichen Jatropha urens zu schneiden, wobei der Kautschuk den Ameisen die Mandibeln verklebte. Man sieht, dass die Attinen, wie es scheint, keine Pflanze unversucht lassen. 10) Nach den Mitteilungen des deutschen Konsuls in Asuncion, Herrn Schott- müller, wurden im Jahre 1906 aus Paraguay exportiert 101 262000 Stück Orangen, eine Menge, die wohl höchstens erst '/,, der Gesamtproduktion des Landes repräsen- tieren dürfte. 42 Fiebrig, Cecropia peltata etc. und verschiedene andere Kulturpflanzen und einige einheimische Bäume, wie Oedrela bras., Fieus subtr., Sapium biglandulosum. Während einer zweijährigen, nur während weniger Monate unterbrochenen Beobachtungszeit habe ich Atta sexdens, die dıcht am Hause (und zum Teil darunter!) ihren Bau hatte, fast ausnahmslos die Blätter von Melia Axedarach schneiden sehen und zwar immer und immer wieder deren von neuem getriebene Blätter, meist jedoch unter Schonung einiger Zweige; auf diese Weise sind einzelne Bäume in diesem Zeitraum 4—5mal oder öfter beschnitten worden (jetzt, im September, sind sie alle in Blüte und ım schönsten Blattschmuck und die Isau sind mit den Blättern von Lonicera caprifolum 1. beschäftigt), außerdem schleppten sie mehrere Male zwischendurch, für kürzere Zeit, die ebenfalls frischen Blätter der Bougainwillea und eines Weinstockes — alles Kulturpflanzen! —; auch die junge Konifere zeigte zur Zeit des Beginns meiner Beobachtungen Spuren eines kürzlich stattgefundenen Schlepperüberfalles und hat sich trotzdem bis heute zu einem stattlichen Baume ausgewachsen. Nicht ein einzigesmal habe ich während dieser Zeit die Attinen auf meinen Orangen- und Zitronenbäumen beobachtet, obwohl diese immer- grünen Fruchtbäume zum Teil dicht neben den beschnittenen Pflanzen en wohl aber beobachtete ich, wie eine kleinere Atta-Art frisch herabgefallene Blütenteile forttrug, wie überhaupt gewisse pilz- züchtende Ameisen — nicht nur Attinen! — eine Vorliebe zu haben scheinen für Blüten, und einigen Schleppern sogar mehrere Arten von Früchten, z. B. Maiskörner (!), gelegentlich als Substrat für die Pilzkulturen dienen. Bei dem Versuch etwas Verständnis in diese eben geschilderten Beobachtungen zu bringen möchte ich annehmen, dass zunächst jeweilen in einem gewissen Umkreis um den Zentralbau der Atta eine Pflanze existiert, die für die Schlepper ein Geschmacks- resp. Sinnesoptimum bedeutet, dass darnach eine neue Pflanze diese Qualitäten erwirbt, während die erste (hier der Orangenbaum) an Reiz verloren hat. Für die Wahl des jeweiligen Optimums dürften in erster Linie die Veränderungen des Laubes bestimmend sein, so dass z. B. der einen Pflanze, die sich anschickt frische Blätter zu treiben, der Vorzug gegeben wird vor der eben noch beschnittenen Art, deren Blätter nun als inferior klassifiziert werden. Hier muss ich für A. serdens entschieden die Ansicht vertreten, dass diese Blattschneider, wenigstens hier in Paraguay, im allgemeinen frisches, zartes, also wohl auch saftstrotzendes Laub bevorzugen, ja dass sie, wie wir gesehen haben, mit Vorliebe die nach jedem Schneiden wieder frisch getriebenen Blättchen und Spitzen abzwacken, ein Umstand, der Alle: dings für die Existenz der Pflanze — namentlich junger Pflanzen! — En: gefährlich werden könnte und doch, wie es scheint, ın den een Fällen deren Vernichtung zur Folge Fiebrig, Ceeropia peltata cte. en, hat. Die Vorliebe der Attinen für das Frische und Neue — und aus diesem Grunde sind speziell neue Kulturen besonders gefährdet, d.h. Pflanzen, die bis dato in irgend einer Gegend noch 'nicht oder nur selten angebaut worden waren — wird recht eklatant illustriert durch den Umstand, dass sie sich häufig auf Pflanzen stürzen mit denen sie vorher überhaupt nie in Berührung gekommen waren, so z. B. auf Gartenpflanzen, die aus eben erst von Europa importierten Samen gezogen worden waren. In bezug auf die Ausdehnung der durch Attinen verursachten Verwüstungen und des dadurch angerichteten Schadens bin ich mit von Ihering!!) und anderen Beobachtern der Ansicht, dass die diesbezüglichen Begriffe oft irrige und übertiebene sind, wenigstens den einheimischen, ja sicherlich allen einheimischen Pflanzen gegen- über. Wenn wir auch zu der Überzeugung kommen müssen, dass von den mehreren hundert Arten von Holzgewächsen der para- guayischen Flora nur wenige den Nachstellungen der Atita ent- gehen dürften — wir wissen überdies, dass die Blattschneider ge- legentlich auch kleine Gewächse, Gräser und Kräuter sich nutzbar machen — so werden wir doch, und vielleicht gerade aus diesem Grunde, zugeben müssen, dass eine bedeutende, die Existenz der Flora oder auch nur einzelner einheimischer Pflanzen bedrohende Gefährdung kaum ernstlich in Erwägung gezogen werden kann, was selbstverständlich nicht ausschließt, dass an besonders stark von Attinen heimgesuchten Orten die Kultur gewisser Pflanzen sehr erschwert wird und auch manchmal Bäume von der Isaü ver- nichtet werden. Wir haben gesehen, dass selbst die notorisch der Beraubung in hervorragendem Maße ausgesetzten, erst höchstens seit einigen Jahrhunderten eingeführten Kulturpflanzen das wieder- holte Schneiden der Blätter ım allgemeinen ohne wesentliche Schädigung zu ertragen pflegen, dass z. B. der von der Isaü be- sonders befehdete Orangenbaum fortfährt fast ohne jegliche Pflege der bedeutendste Kulturbaum Paraguays zu sein, wieviel eher sollten wir da nicht zu der Ansicht gelangen, dass die im Lande ein- heimischen Pflanzen trotz der Blattschneiderhorden eine gedeihliche Existenz weiterzuführen .vermöchten! Und zu diesen einheimischen Pflanzen gehört auch Cecropia. Wir sind, in der Tat, berechtigt zu fragen, warum man gerade von dieser Pflanzengattung vermutete, dass ihre Blätter von den Attinen als etwas ganz besonders Be- gehrenswertes angesehen werden sollten, denn nur bei einer solchen Voraussetzung wäre überhaupt, meines Erachtens, der Anspruch auf ein besonderes Schutzmittel erklärlich, sonst müsste man fragen, warum nicht alle die anderen von Atta bevorzugten Bäume der einheimischen Flora, z. B. mehrere Arten von Eugenia, ebenfalls 11) Berliner Entomol. Zeitschr. XXXIX, 1894, p. 356ff. 44 Fiebrig, Cecropia peltata ete. für ein Abwehrmittel gegen die Blattschneider sorgten. Mir scheint es, das will ich hier gleich vorausschicken, zweifelhaft, ob über- haupt Pflanzen spezifische Schutzvorrichtungen irgendwelcher Art gegen Schlepper besitzen. Wäre es nicht vielleicht natürlicher ge- wesen zu glauben, dass wenigstens die großen, filzigen, relativ harten Blätter von ©. peltata — wegen der rauhen Oberfläche von den einheimischen Tischlern zum Glätten des Holzes in ähnlicher Weise wie in Europa die Schachtelhalme benutzt — welche zum mindesten in den Hauptrippen und ım Blattstiel, die von den Schleppern ın vielen Fällen durchbissen zu werden pflegen, nicht frei sind von bitteren Klebstoffen, wenig geeignet sein möchten, die Begierde der Ameisen in besonderem Maße zu erregen? Tat- sächlich scheint freilich keine einzige dieser Eigenschaften der Blätter die Isaü abzuhalten; diese Schlepper nehmen z. B. scheinbar nicht ungern die harten Blätter von Lühea paniculata und verschmähen auch nich das Kautschuk liefernde Laub der Euphorbiacee Sapiım biglandulosum! Das Faktum, dass die Schlepper das Blatt von ©. adenopus und anderen Ceeropia-Arten, wie von Fritz Müller, Möller und anderen Forschern behauptet wurde, gelegentlich schneiden, resp. dass die Blätter einige Male geschnitten oder entführt wurden, dürfte (zumal die meist isoliert stehenden Cecropien, die mit ihren großen, weißen Blättern besonders die Aufmerksamkeit auf sich lenken, eher als andere Bäume einen solchen Attinenüberfall, der sie kahl gelassen, verraten würden) doch wohl allein nicht genügend sein, um als Beweis zu gelten dafür, dass die Ceeropia-Blätter von den Attinen ganz besonders begehrt werden, denn von den Isaü mehr oder weniger stark beschnittene Bäume verschiedener Art sind ja häufig genug anzutreffen. Will man eine negative Beweisführung in kontra zu Hilfe nehmen, so sei es die Erwähnung des Umstandes, dass ich hunderte von jungen, bis etwa 3m hohen Ambay-Bäume mit blätterreicher Krone gefunden habe, ohne verteidigungsfähige Azteca-Kolonie, aber auch ohne Spuren von Beraubung durch die Blattschneider resp. ohne bedeutenden Insektenfraß, denn — das sei hier hervorgehoben — so lange die Nachkommenschaft der die Kolonie gründenden Weib- chen noch in der Gründungskammer eingeschlossen ist, resp. so lange sie sich überhaupt noch nicht zu Imagines entwickelt hat, könnte selbstverständlich die Anwesenheit dieser Dolichoderide dem Baume nichts nützen! Es sei mir gestattet, bei" dieser Gelegenheit darauf aufmerksam zu machen, dass es mir in manchen Fällen als eine nicht ganz einfache Sache erschien, den von den Blattschneidern angerichteten Schaden so ohne weiteres von den Verheerungen ge- wisser anderer Insekten zu unterscheiden; ein sicheres Anzeichen eines rezenten Atta-Überfalles ist das Vorhandensein von am Boden Fiebrig, Ueeropia peltata etc. 45 liegenden abgeschnittenen Blättern resp. Blatteilen. Das Laub der Ambay-Bäume — das muss hier betont werden — ist in den seltensten Fällen intakt, und ın der Regel dürfte ein Baum mehr Blätter mit Spuren von Insektenfraß als ohne diese aufweisen. Ich bin der Ansicht, dass der größte Teil dieser Fraßstellen auf Raupen und Käferlarven zurückzuführen ist; sollten aber wirklich, wie ich nicht glauben kann, für einen großen Teil derselben die Attinen verant- wortlich zu machen sein, deren Attacken einem vielleicht eher entgingen, weil sie des nachts stattfänden, so würde dadurch allein die Annahme eines durch die Azteca der Cecropia gewährten Schutzes, meine ich, ad absurdum geführt. Es möge hier noch erwähnt werden, dass man an der Basıs der einzelnen Blattlappen, in etwa 2 em Entfernung von der Ansatzstelle des Blattstieles, häufig, auch an ganz jungen Blättern, Querrisse beobachtet, die — von der Pflanze, wie es scheint, spontan gebildet — sich durch den Einfluss des Windes etc. oft vergrößern und oft an Insektenfraß erinnern. Wir werden voraussichtlich kaum je darüber sichere Auskunft erhalten können, ob wirklich Ceeropia für die Attinen das non plus ultra von Wünschenswertem darstellen sollte — und nur unter dieser Voraussetzung wäre der teuer bezahlte Dienst der Schutz- wache verständlich —, d. h. ob ©. peltata, wenn Axteca sich nicht in ihrer Krone angesiedelt hätte, der Vernichtung anheimfallen würde; selbst der Versuch einer positiven Beweisführung mittels des Experiments dürfte wahrscheinlich keine einwandfreien Resultate ergeben. Wir können auf diesem Wege allein auch nicht den Be- weis zu erbringen versuchen dafür, dass ihre Blätter keines beson- deren Schutzes bedürfen, dass Cecropia gedeihe auch ohne ihre Ameisenleibgarde. Für die in Paraguay vorkommende €. peltata erscheint mir schon durch den Umstand, dass dieser Baum in großen Mengen zu finden ist an Orten, an denen Blattschneiderarten über- haupt nicht vorkommen !'a), das Argument geliefert zu sein, dassirgend- welche gegen die Attinen gerichteten Verteidigungs- oder Schutz- vorrichtungen unnütz oder überflüssig wären, denn, wie erwähnt, findet sich der Ambay hauptsächlich an, bei normalen Witterungs- verhältnissen mehr oder weniger nassen Stellen, während die meisten und namentlich die großen Attinen entgegengesetzt inkliniert und Freunde der festerdigen trockenen Höhen sind, in denen sie ihre lla) Dies ist nun in relativem Sinne zu verstehen. Es ist natürlich, zum Teil wegen der häufig eintretenden Hochzeitsflüge ete., außer an den von Wasser be- deckten Bodenflächen, ein Vorkommen, wenigstens temporär allerorts denkbar; und tatsächlich findet man z. B. in Trockenperioden die Isat-Ameisen an Stellen, die sonst sumpfig sind; das sind jedoch in solchen Fällen meist nur einzelne Tiere. Gefahrvoll für die Vegetation sind allein die in einem gewissen Umkreise befind- lichen Isai-Bauten, die — wie gesagt — nur in trocknem Gelände sich auf die Dauer halten zu können und von denen aus die Blattschneider ihre Raubzüge nach meinen bisherigen Beobachtungen — nur kurze Strecken weit auszudehnen pflegen. 40 Fiebrig, Ceeropia peltata etc. unterirdischen Bauten gegen Wassergefahr geschützt wissen; aber auch an vielen trockenen (sandigen!) Arten, an denen der Ambay anzutreffen war, habe ich vergeblich nach Schleppern gesucht. Die ‚ Axteca-Kolonien aber befinden sich auch, so weit ıch dies feststellen konnte, auf denjenigen Exemplaren von (. peltata, die in von Wasser gesättigtem Gebäude stehen; und warum sollten sie auch nicht? sind sie doch Baumbewohner ın der höchsten Potenz, die ich in der freien Natur nie habe zur Erde niedersteigen sehen (auf größeren Bäumen), die da oben an den äußersten Spitzen des Baumkandelabers alles das finden, was sie brauchen: Nahrung im Überfluss und eine Wohnung, die Schutz gewährt gegen Regen und Grundwassergefahr, gegen zu viel Licht, zu starke Verdunstung und zu starke Insolation und nicht zuletzt gegen gewisse Feinde. Ein großer Teil der Ambay- Bäume ist daher durch den Standort alleın unabhängig von den Attinen und ıhre Existenz ist, in konsequenter Folge, aus diesem Grunde ohne den Ameisenschutz gesichert. Abgesehen von der lokalen, durch die Bodenbeschaffenheit be- dingten, Einschränkung des Verbreitungsgebietes der Atta muss für dıe Prüfung der von dieser Ameise für Ceeropia zu erwartenden Schädi- gungen noch das Verhältnis der Häufigkeit des Auftretens der Blatt- schneider zu der Verbreitung dieses Baumes und der übrigen Pflanzen, d.h. zwischen der Zahl der Ameisen und der Vegetationsmasse, die für die Schlepper in Betracht kommen könnte, in Erwägung gezogen werden, und da wird man zu dem Resultate gelangen, dass, wenigstens in den von mir daraufhin untersuchten Gegenden, die Isau bei weitem nicht in der Menge auftritt, dass sie für die Landesflora einen be- drohlichen Charakter darzustellen vermöchte. Denn auch für die Ausbreitung der verschiedenen „Baummörder* gibt es ein Regulatıv, auch diese haben, wie andere pflanzenzerstörende Insekten, ihre Feinde, darunter einige Vogelarten, welche durch den Umstand, dass sie besonders den zum Hochzeitsfluge ausziehenden Weibchen nachstellen und diesen die ansehnlich dieken Leiber abbeißen, wie dies schon durch von Ihering'?) berichtet wurde, einer zu großen Ausbreitung dieser Attinen Schranken setzen. Möglicherweise ent- puppen sich einige der kriegerischen Ecitonen auch für die Isaü als gefährliche Räuber, wie sie es für gewisse Atta-Arten sicher- lich sınd. Ich möchte hier noch, in bezug auf etwaiges Blattschneiden, mit Rettig'?) auf das bedeutende Regenerationsvermögen von ©. peltata aufmerksam machen, das diesen Baum höchstwahrschein- lich mehr als irgend etwas anderes in erster Linie vor den üblen Folgen, die event. durch das Schneiden der Blätter hervorgerufen Fiebrig, Ceeropia peltata etc. 47 worden wären, bewahren könnte. So habe ich die Stümpfe frisch gefällter Bäume in der Regel wieder mehrere Schösslinge treiben sehen, von denen der eine oft genug sich zu einem hochstämmigen Baume entwickelte und ebenso treiben abgebrochene Äste von frischem aus. Es ist eine nicht sehr seltene Erscheinung, dass, namentlich an Bachufern ete., sämtliche Blätter junger Ambay- Gruppen in besonders kalten Wintern (siehe oben) total erfrieren, was die Bäume nicht hindert von frischem zu treiben, ebenso wie die Ceeropien bei Kampbränden größere Lebenszähigkeit an den Tag legen als manch andere Baumart. Wenn nach einem starken Froste oder durch Feuer auch die Spitzen der Zweige in Mitleiden- schaft gezogen werden, kommt es nachher zu Massentrieben, die quirlartig aus am Zweige weiter zurückliegenden Knospen sprießen. Dringt bei einem Brande die Flamme infolge sehr dichter, trockener Bodenvegetation bis unmittelbar zur Basis des Ceeropia-Stammes, so wird durch die dadurch verursachten Schädigungen der Baum allerdings zum Absterben gebracht. Besonders oft und, wie es scheint, häufiger als irgend ein anderer Baum Paraguays. das mag hier noch Fe werden, wird der Ambay — obwohl meist kaum zu den mittelgroßen Ssnmen (ca. bis 15 m hoch) gehörig — durch den Blitzschlag vernichtet, ein Umstand, der vielleicht durch des Baumes Vorliebe für einen wasserhaltigen Untergrund eine Erklärung finden könnte oder zum Teil durch seinen isolierten Standort; möglicher- weise steht der angeführte Umstand in ursächlichem Zusammen- hange mit der konstanten und intimen Vereinigung von Pflanze un Ameise, wodurch event. gewisse elektrische en aus- gelöst werden könnten (so babe ich das gleichzeitige Einschlagen — geteilter Blitz! — in eine Telegraphenstange und einen ca. zehn Schritt entfernten Ambay feststellen können). Nicht immer scheint übrigens ein Blitz, der den Ambay tötlich getroffen, die in allen seinen Teilen wohnenden Axteca und anderen Insekten zu töten, auch versucht ein solcher Baum mit einem schon abgestorbenen Stamme oft in der oben geschilderten Weise von Fast zu treiben (Fig. 26a), während eine Pyrenomycete, deren glänzend rötliche Stromata, namentlich an den schon teilweise zerstörten Haarpolstern zu finden sind, den Baum vollends zugrunde richtet. Das Verhalten der Azteca. Wenn aber bei event. Versuchen der Isaü, dem Laube des Ambay zu Leibe zu gehen, Axteca wirklich diesen Baum gegen die Überfälle der Blatträuber ee sollte, so wird man dennoch zugeben müssen, dass diese Doke de den Namen einer Schutz- truppe nicht länger beanspruchen kann, sobald wir festgestellt haben, dass sie gegen die anderen zahlreichen Feinde sich passiv verhält und vor ihren Angriffen den Baum nicht zu schützen ver- 48 Fiebrig, Ceeropia peltata ete. mag. Die minierende Tätigkeit von 7584 hat, wie es kaum anders erwartet werden kann, das Absterben von Zweigen im Gefolge, das je nach der Witterung etc. früher oder später eintreten dürfte — Vergleiche mit anderen Schädlingen des Ambay wollen wir nicht anstellen (5061!) —; ıst dagegen durch das Blattschneiden seitens der Attinen eine ähnliche Wirkung konstatiert worden, welche die Cecropia in annäherndeın Grade geschädigt hätte? Gibt es doch, wie wir gesehen haben, Bäume, die ein mehrmaliges Schneiden der Blätter innerhalb eines Jahres ohne augenfällige Schädigungen er- tragen! Es ist bedauerlich, dass wır keine Nachrichten haben über das weitere Ergehen jener Ceeropia-Bäume, die Möller, im Beginn des Winters 1892 bei Blumenau von Schleppern beschnitten gesehen hat!*). Ich bin bisher nicht in der Lage gewesen über ähnliche Vorgänge Beobachtungen zu machen, al en noch nicht ein ein- ziges Exemplar von 0. peltata angetroffen habe mit Insektenfraß, den ich mit Sicherheit auf die blattschneidende Tätigkeit der Attinen hätte zurückführen können, auch keines der großen Zahl von jungen, stark belaubten Pflanzen, die von Axteca noch nicht hätten ver- teidigt werden können. Wir müssen endlich, nach den Mitteilungen von Möller u. A., zu der Überzeugung kommen, dass auch den Attinen gegenüber dieser Ameisenschutz ein wenig befriedigender ist, denn wenn die, von Fritz Müller!?) in bezug auf Möller’s Beobachtungen stipu- herte und von Schimper!®) "akzeptierte Vermutung, dass Azteca die Cecropia-Blätter bei einer gewissen Temperatur Sad, mehr zu verteidigen vermöge, sich bestätigt, so könnten wir uns wohl vor- stellen, wie Ule ganz richtig andeutet, dass durch diesen Umstand allein, vorausgesetzt die Ceeropia-Blätter stellten ein für die Schlepper außerordentlich begehrenswertes Objekt dar, der Nutzen eines .Ameisenschutzes imaginär würde, um so mehr als Tage resp. Nächte mit recht niedrigen Temperaturen unter diesen Breiten (22—26° lat.) über einen großen Teil des Jahres vorkommen. Meine Beobach- tungen über den Einfluss der Lufttemperatur auf diese Ameisen sprechen allerdings für ein großes Wärmebedürfnis, was um so auffallender ist, als Axteca A. m. die Hauptarbeit, das Ernten der Müller’schen Körperchen, des nachts verrichtet und sich tagsüber im wesentlichen auf indoor work, z. B. Räumungsarbeiten, zu be- schränken scheint (die Fütterung der Larve dürfte wohl tags und nachts stattfinden) — daher etwa die zwiefache Färbung, bräunlich und schwärzlich, der Arbeiter? —; die Attinen aber, obwohl sie ebenfalls ausgesprochene Nachttiere sind — sicherlich wenigstens die Isau — und die Sonne oder vielmehr die Hitze scheuen, würden, 14) Rettig, l. Co 23 15) Rettig, 1. c. p. 24. 16) Pflanzengeographie 1898, p. 156. oO Fiebrig, Cecropia peltata etc. 46 ® da die Temperatur natürlicherweise nachts am niedrigsten ist, ihre nächtlichen Überfälle auf die Ceeropia in vielen Fällen a priori ohne jede Störung auszuführen vermögen, weil im kühlen Nächten die zu Wächtern bestellte Azteca-Garde, zur Zeit des Überfalles, sich einen pflichtvergessenen Schlafe ergeben hätte! Die Frage, ob überhaupt ein positiver Beweis erbracht worden ist dafür, dass die Arteca-Völker tatsächlich den Baum resp. dessen Blätter (vielleicht hätten es die Schlepper auch auf die Müller’- schen Körperchen abgesehen?) gegen die Angriffe der Attinen ver- teidigen, ıst, denke ich, noch offen. Ist es schon jemand gelungen, gelegentlich Zeuge zu sein eines Versuches der Attinen zu den be- gehrten Blättern zu gelangen und die Verteidigungserfolge ın fla- granti zu konstatieren? Hat man schon die großen Herden dieser Blattdiebe auf dem Ambay bei ihrem Handwerk beobachtet?; denn, dass Atta durch die Gegenwart alleın der Axteca abgehalten würde, kann nach den Möller’schen Funden nicht angenommen werden. Allem möglichen Getier, selbst auch ihren persönlichen Feinden wie den 7584-Raupen und den recht volkreichen Vettern, die all, wie sie selbst, Obdach und Nahrung auf dem Feigenbaume suchen, ist unsere Axzteca ein harmloser Genosse, sollte sie nur den In- vasionen der Attinen gegenüber Front machen? Eine Antwort hierauf kann nur die Praxis geben; nach meinen bisherigen Er- mittelungen scheint Arteca A. m. nur auf Erschütterungen (der Zweige) und manchmal auf das plötzliche Auftreten von etwas Un- gewohntem — sollten die Attinenbesuche hierher gehören? — zu reagieren. Ich habe Ambay-Zweige mit frischem (und trockenem) Laube und auch einzelne Blätter mit und ohne (Raupenzweige!) Arteca den Schlepperameisen, welche während mehrerer Nächte damit be- schäftigt waren, einen Baum zu entblättern, in den Weg gelegt, indem ich diese Teile in der Krone, am Stamm und am Fuße des betreffenden, von der Isaü in großen Scharen heimgesuchten Baumes plazierte. Als Resultat dieses, über mehrere Tage sich ausdehnen- den Versuches, konnte ich nur eine äußerst geringe Zahl verein- zelter (5!) Schnitte an den Cecropia-Blättern konstatieren; auch von einer größeren Zahl von Blattschnitzeln, die ich in entsprechender Größe mit der Schere hergestellt und vor dem Eingange zum Atta- Baue auf dem Boden gestreut hatte, wurde nur der kleinste Teil eingeschleppt. Einen Einblick in das Verhalten von Axteca den Isau gegenüber versuchte ich, weil ich die letzteren nur vereinzelt auf den Ambay-Zweigen beobachten konnte, dadurch zu erreichen, dass ich die Blattschneider in großer Zahl mit der Hand vom Boden aufnahm und auf die Zweigspitzen überführte (auf ein dort ange- brachtes Blatt Papier). Obwohl nun die eine oder andere Arteca mit einer Atta handgemein wurde, so schienen ihre Angriffe jedoch XXIX. 4 50 Fiebrig, Cecropia peltata etc. ® nicht den Stempel zu tragen einer allseitig einsetzenden, syste- matischen oder „bewussten“ Verteidigung ihrer selbst oder des Baumes, vielmehr kam es zu einem Rekontre, wie es schien, nur bei Gelegenheit einer zufälligen Begegnung (auf den Haarpolstern!), wobeı seitens der Axteca dıe Taktık beobachtet wurde, sıch an den langen Beinen der Isau, besonders der großköpfigen Soldaten, fest- zubeißen. Auf diese Weise wurden den Attinen die Beine, deren sie sich gewissermaßen auch als einer Art von Verteidigungsmittel, wie ich in einer früheren Arbeit zeigte!”), bedienen, öfters abge- zwackt, worauf es der Axteca sogar anscheinend einige Male gelang, die Atta zu töten, ohne dass es mir möglich war, eine klare Vorstellung zu bekommen über die schnelle Todesursache, da doch die Dolicho- deriden keine (ausgebildeten) Stacheln besitzen und ich bei ihren Angriffen auf meine eigene Person von einer Applikation etwaiger Analdrüsensekrete nichts verspürt habe, wohl aber einen empfind- lichen Schmerz jedesmal, wenn ein Tier seine Mandibeln in meine Haut eingegraben hatte, so dass ich zu der Ansicht kommen musste, dass Azteca beim Biss ein Gift abzusondern imstande ist. — Es scheint mir nach diesen Beobachtungen, deren Ergebnisse für die Beurteilung der ın Betracht kommenden Fragen allerdings, da es sich doch nur um Experimente handelt, welche die Verhältnisse der freien Natur nur unvollkommen nachzuahmen vermögen, nicht alleın maßgebend sein können, doch wahrscheinlich, dass Axteca event. Atta-Invasionen einen gewissen Widerstand entgegensetzen dürfte, wenn auch sicherlich nicht ın dem Grade, wie es andere Ameisen tun, sobald sich ihren Wohnungen ein Fremder oder gar ein Feind nähert, Ameisen, die es nicht dulden, dass ihr Wohnsitz — außer vielleicht von einigen Symbioten — geteilt werde von einer Schar von Insekten aller Ordnungen, wie dies bei der Cecropia- Bewohnerin der Fall ist. Die sogen. myrmekophilen Anpassungen. Sind wir nach allen den im vorstehenden mitgeteilten Be- obachtungen genötigt, der Schutzameisenhypothese, soweit sie sich auf O. peltata bezieht, skeptisch gegenüberzutreten, so drängt sich uns die Frage auf nach der Zweckmäßigkeit der sogen. myrme- kophilen Einrichtungen der Pflanze. Soweit diese letzteren die Wohnung der Axteca betreffen, würde man unter dem oben darüber Gesagten genügend Material finden, das dazu geeignet wäre die Wahrscheinlichkeit einer myrmekophilen Natur der Anlage ın Frage zu stellen. In bezug auf die Internodialhohlräume, die freilich nicht als echte Anpassungen aufgefasst werden, habe ich den Beweis er- bracht, dass Axteca A. m. nicht immer abwartet, bis der Hohlraum 17) „Zeitschr. f. wissensch. Insektenbiologie‘“ 1907, p. 154. Fiebrig, Ceeropia peltata etc. 51 resp. der erste Anfang hierzu von der Pflanze gebildet wird, sondern dass sie auf eigene Faust sich Raum und Unterkunft schafft, auf Kosten des, für die Pflanze noch wertvollen, saftreichen, lebenden Markstoffes. Für die Bildung des Grübchens resp. des Diaphragmas, der späteren Zugangspforte erscheint mir, wie gesagt, die oben erwähnte Erklärung Rettig’s ausreichend. Die geringe Wandstärke des Grübchens hat vielleicht dazu beigetragen, die Erfolge der ersten Eroberungsversuche zu beschleunigen. Es liegt aber, meines Er- achtens, keine Notwendigkeit vor, daraus eine myrmekophile An- passung zu konstruieren (sind im Pflanzenreiche keine analogen Fälle bekannt ohne die Gegenwart von Ameisen?). Der Umstand, dass Azteca A. m. auch von innen heraus, wie ich gezeigt habe, die Stengelwandungen durchbohrt (und häufig ın den Besitz der Kammern allein durch Perforierung der Querwände gelangt), dürfte nicht geeignet sein für die Wichtigkeit des Grübchendiaphragmas als myrmekophile Anpassung einen Beweis zu liefern, ebensowenig wie dıe Tatsache, die ıch hier nochmals betonen möchte, dass die Zugangspforten ausschließlich in den noch sehr weichwandigen, morphologisch wenig differenzierten Internodialwänden angelegt werden. Dass die Ameisen mit solcher Konstanz die zum Per- forieren günstigste Stelle auswählen wird, wie ich oben erörterte, eher als ein Beweis ihrer Intelligenz resp. einer durch Überlegung gewonnenen instinktiven Handlungsweise, denn als eine Aktion an- gesehen werden müssen, die gewissermaßen durch eine, von der Pflanze ausgehende, Suggestion ausgelöst wird. Weitaus bedeutsamer als die Markierung der Zugangspforten erscheint mir die Existenz der Haarpolster mit den auf diesen ab- gesonderten Müller’schen Körperchen. Ihr Nutzen für die Ameisen als Nahrungsmittel ist evident, und da wir biologisch und physiologisch nur wenig festgestellt haben und morphologisch sie als eine Art von Drüsen bezeichnen müssen, so sind wir nicht ın der Lage über diese auffallenden Produkte in ihrem biologischen Verhältnis zum pflanzlichen Organısmus etwas Positives zu sagen. Die Annahme, dass es sich hier um eine auf Myrmekophilie ba- sierende Anpassung handelt, erscheint so anschaulich, dass es als kühnes Wagnis erscheinen möchte, darın Zweifel zu setzen, wenn, nach meinen Ausführungen, die Existenz myrmekophiler Anpassungen überhaupt noch glaubhaft erscheinen könnte. Ist es aber statthaft, abgesehen von anderen Gründen, eine pflanzliche Bildung als An- lockungsmittel zu qualifizieren trotzdem wir wissen, dass die Pflanze das angelockte Tier nicht braucht, von ıhm keinen Vorteil zu er- warten hat? Man ist hier obendrein, scheint mir, mit Ule'®), be- 18) Bei Rettig (l. c.). 59 Fiebrig, Ceeropia peltata ete. rechtigt, auf das Preisgeben so gehaltvoller Stoffe hinzuweisen und zu fragen, ob die Opfer in einem Verhältnis stehen zu den ın Frage kommenden Diensten und ob somit die Hypothese der Myrme- kophilie noch zulässig erscheinen kann? Es möge hier noch Erwähnung finden, dass ich die von Rettig'’) an, in (Gewächshäusern kultivierten) Uecropien beobachteten Perl- drüsen bei C. peltata noch nicht angetroffen habe, auch nicht an jungen, noch nicht von Axteca abgesuchten Exemplaren. Vielleicht kommt bei dieser Pflanze die Bildung derartiger Emergenzen nur unter besonderen, der Gewächshausluft analogen, Witterungsverhält- nisen in der freien Natur vor. Dagegen beobachtete ich an beiden Seiten der Blätter harzartige Ausscheidungen von oft sehr kleiner Kugelgestalt, wie überhaupt winzige, meist rötliche, Harzpartikelchen überall an der Oberfläche der Epidermis nachzuweisen sind. Sollten wir wirklich, so lange Zweck und Wesen der Müller’- schen Körperchen unbekannt ist, in diesen eine myrmekophile An- passung erblicken wollen, so würden wir doch nicht umhin können zugeben zu müssen, dass die Wahrscheinlichkeit für eine solche Anpassung — wenigstens im gewöhnlichen Sinne —, eine äußerst geringe ist, weil keine Notwendigkeit vorzuliegen scheint an ein Schutzbedürfnis der Pflanze, an die Subventionierung einer Schutz- truppe zu glauben. „Ameisenpflanzen.“* Auf die Frage, warum aber eine besondere Ameisenart, wenn sie nicht im Verhältnis einer Schutztruppe stehe, mit solcher fast unfehlbaren Konstanz auf ein und derselben Pflanzenart vorkommt, ist die Antwort nicht schwierig, denke ich. Die Gaben, welche Axteca auf der Ceeropia vorfindet, entsprechen, obwohl sie nicht myrmekophilen Charakter zu haben scheinen, allen Ansprüchen des dendrophilen Ameisenstammes, so dass wir uns nicht zu wundern brauchen, die Tiere auf jedem größeren Baume, in jedem frischen Zweige zu finden. Nirgends vielleicht werden wir sonst ein Tier und überdies ein so stark verbreitetes und so volkreich aufiretendes, mit so absoluter Sicherheit an einem bestimmten Orte antreffen, nie wieder wohl Pflanze und Tier in einem so konstanten, un- trennbar erscheinenden Verhältnis! Was Wunder, wenn die Ent- decker, die ersten Beobachter, enthusiasmiert durch die eigenartigen Befunde, da ein Schutz- ‘und Trutzbündnis gefunden zu haben glaubten, wo eine nüchterne kritische Forschung, welche die bereits vorhandenen Thesen benutzen konnte, zu einem anderen, mehr realistischen Resultate gelangen musste! Aber wenn wir ern ee, sein werden das Bestehen eines echten, auf gegenseitiges Eintgesenkommen gegründeten Freund- 19),92e.>p: 161. Fiebrig, Ceeropia peltata etc. 53 schaftsverhältnisses zwischen Cecropia und Axteca, wenigstens wie es sich heutzutage darstellt, als den Tatsachen — wie es scheint — widersprechend in Frage zu stellen, so werden wir dennoch das größte Interesse bewahren für die Ergebnisse der Forschung, die . uns ein großartiges Beispiel liefern dafür, bis zu welchem Grade ein Tier es versteht, sich eine Pflanze nutzbar zu machen, wie die Ameisen ein Opfer nach dem anderen dem Baume abgerungen haben. bis sie schließlich mit wohlbestelltem Haus und Hof zu einem bequemen und gesicherten Leben gelangen konnten, einem Leben mit einem Minimum von Last und Mühe (das Futter vor der Tür!), wie es nur wenigen Insekten gegönnt sein dürfte: Nicht Cecropia ist abhängig von der Axteca, wohl aber die Ameise vom Feigenbaume! Die dieser Abhandlung zugrunde liegenden Beobachtungen be- zıehen sich, wie anfangs bemerkt, auf die einzige, von mir in Paraguay gefundene Cecropia-Art, peltata. Ich vermute, dass vieles davon auch für die brasilianische ©. adenopus?’) Geltung haben dürfte. Oder sollten die Untersuchungen an so nahe verwandten Pflanzen- und Tierspezies, welche durch so charakteristische Eigen- arten eine gleichartig exzeptionelle Stellung einnehmen, ın Nachbar- ländern, unter etwa den gleichen Breiten, zu wesentlich anderen Ergebnissen führen? Die wenigen anderen Arten Brasiliens und Mittelamerikas scheinen noch nicht so gründlich untersucht worden zu sein, dass man heute schon aus Vergleichen mit ihnen ein zuver- lässiges Resultat erwarten dürfte. Sehr wichtig erscheint mır die von Schimper entdeckte Corcovado-Ceeropia, welche des Grübchendia- phragmas und vor allem des Blattstielpolsters mit den Müller’schen Körperchen entbehrt und auf der noch keine Ameisen gefunden worden sind, wichtig, nicht für die Blattschneiderhypothese, die nach neueren Forschungen auch hier gar nicht in Betracht kommen dürfte, wohl aber, weil dieser Baum als Argument Verwendung finden könnte zur Erklärung gewisser Beziehungen zwischen baumbewohnenden Ameisen und den diesen von der Pflanze gewährten Opfern, den sogen. Anlockungsmitteln. Es ıst zu bedauern, dass wir noch so wenig biologische Daten haben "über Pouruma guianensis Aubl.*), die wir, meines Wissens, als die einzige Pflanze kennen, außerhalb des Genus Cecropia, welche den Müller'schen Körperchen ähnliche Emergenzen bildet. Müller’sche Körperchen (Hypothese). Sollten wir bei allen den Pflanzen, die den Müller’schen Körperchen ähnliche Gebilde (die Belt’schen würden vielleicht nicht 20%,CE Anm: 3% 21) In der mir von Prof. Forel gütigst übersandten Abhandlung über einige von E. Ule im Amazonasgebiet und Peru gesammelten Ameisen (Zool. Jahrb. 1904, XX 6, p. 697) ist eine Azteca-Art, A. duroiae nov. sp., als in den An- schwellungen der Zweige einer Pouruma gefunden, angeführt. 54 Fiebrig, Ceeropia peltata ete hierher gehören) produzieren, auf gewisse Beziehungen zu Ameisen stoßen, während solchen Pflanzen nahe verwandte Arten, wie z. B. die Corcovado-Ceeropia, weder diese Drüsen noch Ameisen aufweisen, so wäre man in der Tat berechtigt, an ein gewisses wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis zu glauben. Wäre aber ein solches aus- schließlich auf myrmekophiler Basıs denkbar? Können wir uns die Entstehung dieser Pflanzenprodukte nur spontan vorstellen, sollte es nicht gestattet sein, deren Bildung, wenn wir sie als An- lockungsmittel nicht qualifizieren können, vielmehr direkt durch die Aktivität der Ameisen, durch einen mechanischen Reiz uns ent- standen zu denken, als welchen wir vielleicht das beständige Bohren, das Aushöhlen ım Innern der jüngsten Internodien, unmittelbar neben der Blattbasıs, resp. dem Haarkıssen ansehen dürften, so dass endlich die Pflanze, auf den kontinuierlichen Reiz hin zu gewissen Reaktionen gezwungen worden wäre, die schließlich die Ausbildung von drüsenartigen Anlagen im Gefolge gehabt hätte, welche zuletzt konstant blieben und vererbt wurden? Gibt uns doch schon die nahe verwandte Ficus Carica ın ihren Gallenblüten ein Beispiel für derartige vererbliche Modifikationen, die, wenn auch ın diesem Falle insektophiler Natur, so doch direkt durch den von der Gallwespe ausgeübten Reiz zustande gekommen sein dürften, und eben dahin mögen einige bei den Pilzkulturen der Attinen beobachteten Er- scheinungen gehören, welche, wie Möller gezeigt hat, vererbungs- fähiıge Neubildungen darstellen. Das große Heer der Gallen- bildungen, mit den auffälligsten Formerscheinungen, bei denen es häufig auch zu palpillenartigen Emergenzen, die ihrem Habitus nach den Trichomen des Blattstielpolsters ähneln und manch- mal auch zu drüsenartigen Ausscheidungen kommt, wären solche erzwungenen, einzig auf Insektenreiz zurückzuführenden Reak- tionen, die freilich nicht konstant und vererbungsfähig sind. Von solchen gallenartigen Reaktionen zur Ausbildung bleibender Emer- genzen ist freilich ein weiter und schwer verständlicher Schritt; wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass wir uns die größte Zahl aller Arten von Anpassungen im Tier- und Pflanzenreiche nur als durch äußere Reize entstanden zu erklären vermögen, wobei es auch manchmal der direkte mechanische Einfluss von Tieren ge- wesen sein mag, der eine für den leidenden Organismus nicht immer günstige oder vielleicht nur sekundär die Entwickelung fördernde Anlage bei diesem entstehen ließ. Das unzertrennliche Verhältnis zwischen dem Ceeropia-Wirt und dem Axteca-Gast steht aber auch, wie ich glaube, einzig da! Bei keiner Cecidienbildung dürfte ein so kontinuierlicher Reiz in Aktion treten, der ohne Ausnahme in jedem Pflanzenindividuum und an allen Teilen der Pflanze, an der Basis jedes einzelnen Blattes, bevor dieses noch „geboren“ wird, zu allen Zeiten die zartesten Gewebe an den empfindlichsten Stellen Schimkewitsch, Nochmals über Tetraneurula, 595 irritiert! Es existiert wohl kaum außerhalb dieser Haarpolster- bäume eine Pflanze, die so systematischen, unaufhörlich währenden Reizen seitens eines Tieres ausgesetzt wäre! (Schluss folgt.) Nochmals über Tetraneurula. (Eine Erwiderung an Herrn Akademiker W. Salensky.) Von W. Schimkewitsch, St. Petersburg. In Nr. 19 dieser Zeitschrift hat Herr Akademiker Salensky die von mir ausgesprochene Ansicht über die Abstammung der Bilateralia von einer hypothetischen Tetraneurula einer Kritik unterzogen. „Der schwache Punkt der Schimkewitsch’schen Hypothese liegt in der Verwechslung der primären morphogenetischen Er- scheinungen mit den sekundären“ (S. 622— 629), sagt der genannte Autor. In dieser Hinsicht hat Salensky durchaus recht, allein er würde noch viel mehr im Rechte sein, wenn er gesagt hätte, dass der angeführte Vorwurf den schwachen Punkt aller unserer Hypo- thesen darstellt, die Hypothesen von Salensky selbst nicht aus- genommen. Ein sicheres und bestimmtes Kriterium für die Unterscheidung der Erscheinungen primären Charakters von denjenigen sekundären Charakters steht uns nicht zu Gebote und in den allermeisten Fällen lässt sich der Widerspruch in unseren Voraussetzungen darauf zurückführen, dass die von dem einen Autor als primär angesehenen Erscheinungen nach der Auffassung eines anderen Autors einen sekundären Charakter tragen sollen und umgekehrt. Wir wollen uns nun vor allem klar machen, ob die von Salensky selbst ausgesprochenen Voraussetzungen über die Ab- stammung der Bilateralia alle anderen Voraussetzungen wirklich überflüssig machen. Der Hauptsatz Salensky’s lautet folgendermaßen: „Durch das Abtrennen der zu beiden Seiten» der Achse liegenden Gastrovaskular- säcke tritt die Verwandlung dieses mesenchymatischen Organismus in einen mesoblastischen, cölomatösen und bilateral-symmetrischen ein“ (S. 630). Diese Behauptung stößt, wie dies Salensky selbst sehr wohl einsieht (S. 629), auf einigen Widerspruch, und zwar wegen des Vorhandenseins der Platodes, welche gar keine eölomialen Säcke besitzen, aber dennoch eine bilateral-symmetrische Gestalt erworben haben. Allerdings weist Salensky darauf hin, dass bei den Polyclada nach den Untersuchungen von Mead und Wilson „echte Urmesoblastzellen auftreten, welche symmetrisch gestellt sind, später aber in ihrer Entwickelung unterdrückt sind“. Salensky 56 Schimkewitsch, Nochmals über Tetraneurula. sagt nicht, wie wir hieraus folgern müssen, dass die Polyclada einstmals Cölomsäcke besaßen und dieselben wieder eingebüßt haben, sondern er hält die Polyclada und „alle ihnen verwandte Platodeen“ für mesoblastische, nicht aber für mesenchymatöse Würmer. Salensky wird demnach vor die Alternative gestellt entweder zugeben zu müssen, dass die Platodes vereinfachte Cölo- maten sind, oder aber dass das Auftreten der bilateralen Symmetrie durchaus nicht mit einer Differenzierung des Oöloms verbunden ist, sondern unabhängig von einer solchen vor sich gehen kann. Die erstere Annahme lässt sich nicht mit der Tatsache ın Ein- klang bringen, dass sich bei den Platodes mehr als bei allen übrigen Bilateralia Züge der radıalen Struktur erhalten haben, und dass dieselben überhaupt den Radiata näher stehen, als alle übrigen Bilateralia, worauf zum ersten Male von Lang hingewiesen worden ist. Woher sind nun diese Züge und diese Eigentümlichkeiten plötzlich bei einer Gruppe aufgetreten, deren Vertreter wir von dem Gesichtspunkte Salensky ’s ausgehend, als degradierte typische Cölomaten ansehen müssen? Der Übergang zur bilateralen Symmetrie konnte demnach trotz der Annahme von Salensky unabhängig von der Differen- zierung des Uöloms erfolgen und die von diesen Autor ausge- sprochenen Annahmen verhindern es durchaus nicht, dass auch noch andere Hypothesen möglich erscheinen. Es mag hier hervorgehoben werden, dass Salensky, indem er Beispiele der Offenbarung einer Tendenz zur bilateralen Sym- metrie bei den Radiata anführt — Beispiele, welche man nach seinen Worten „in den Lehrbüchern der Zoologie“ finden kann —, jenes Beispiel nicht angeführt hat, welches man „in jedem Lehrbuch der Paläontologie“ finden kann, und zwar die Tetracorallia, mit welchen ich die Tetraneurula denn auch verglichen habe. Als ich meinen Aufsatz verfasste, konnte die Annahme, dass die Tetraneurula vier Nervenstämme an der Basıs der vier Mesen- terialsepten besäße, noch nicht auf Beispiele aus der Morphologie der Üölenteraten gestützt werden. Im Jahre 1908 erschienen die Arbeiten von Kassıanow über die Oktokorallen (Zeitschr. f. wıss. Zool. Bd. 90), aus welchen hervorgeht, dass bei den Ortocorallia längs den Ansatzstellen der Mesenterialsepten die Nervenfasern des Peristoms nicht plexusartig, sondern radıär verlaufen, indem sie 8 deutliche Nervenbahnen bilden. Fügt man hinzu, dass sich in dem ektodermalen Teil des Schlundrohres eine stark entwickelte Nervenschicht befindet, welche längs der Ansatzlinie der Mesenterialsepten eine besondere Dicke erreicht, so erweist es sich, dass das von mir vorausgesetzte Schema des Baues des Nervensystems der Tetraneurula (in Gestalt eines Schlundringes mit vier an der Ansatzstelle der Septen liegenden Schimkewitsch, Nochmals über Tetraneurula. 57 Stämmen) gar nicht so weit von dem Verhalten entfernt ıst, wie wir es bei den Ortocorallia kennen. Nach diesen vorläufigen Bemerkungen will ich nunmehr zu der Besprechung der zwei Hauptpunkte in der Salensky’schen Kritik übergehen, von welchen sich der eine auf das Nervensystem, der andere auf die Anlage des Mesoblasts bezieht. Meiner Annahme zufolge entsteht das Nervensystem der Dila- teralia aus dem der Tetraneurula, wobei die paarigen Bauchstämme bei weitaus den meisten Dilateralia den Seitenstämmen der Tetra- neurula entsprechen, während der für eine ganze Reihe von Wirbel- losen beschriebene Rückenstamm, aus welchem das Nervenrohr der Wirbeltiere hervorgegangen ist, dem Rückenstamm der Tetraneurula entspricht; was nun den Bauchstamm betrifft, so ist es wohl mög- lich, dass derselbe durch den sogen. Mittelstrang der Annelida und Arthropoda repräsentiert wird. Die Einwendungen Salensky’s richten sich fast ausschließlich gegen diesen letzten Punkt meiner Annahme, indem ich den Hin- weis darauf, dass bei den Nematodes, wo diese vier Stämme zwar sämtlich vorhanden, aber nicht gleichmäßig stark entwickelt sind, nicht für eine ernst zu nehmende Widerlegung erachten kann. Im wesentlichen lässt sich die Entgegnung Salensky’s darauf zurückführen, dass derselbe, trotz der Angaben früherer Autoren, weder bei Polygordius noch bei Echiurus einen Mittelstrang finden konnte, ferner dass die dreifache Zusammensetzung der Nervenkette von Polygordius eine sekundäre Erscheinung ist!). Allein Salensky selbst scheint nicht ableugnen zu wollen, dass ein Mittelstrang bei den anderen Annelida vorhanden ist. Der Umstand, dass aus dem Mittelstrang die Elemente der Neu- roglia hervorgehen, welche nach Salensky bei Echiurus gerade fehlen, kann uns nicht daran verhindern, denselben für einen degenerierten Nervenstamm anzusehen. Allein der Kern meiner Annahme lag durchaus nicht hierin, sondern darin, dass durch dieselbe das Vorhandensein eines dorsalen Nervenstammes bei den Nematodes, Nemertini, Phoronida, Entero- pneusta, Pterobranchia, sowie des Nervenrohres der Chordata erklärt werden kann. Dass dieser dorsale Stamm ein beharrliches Gebilde darstellt, wird durch die Beobachtungen von Heymons (1901) erwiesen, welcher für Scolopendra einen dorsalen Nervenstrang beschreibt. Die unmittelbar längs dem Herzen liegende ektodermale Ver- 1) Die umfangreiche Arbeit Salensky’s ist erschienen, als mein Aufsatz in russischer Sprache gedruckt und in deutscher Übersetzung an die Redaktion des Biologischen Centralblattes eingesandt worden war. Ich musste mich daher daraut beschränken, einige die Arbeit von Salensky betreffende Zusätze in die Korrektur des deutschen Textes »inzufügen. 58 Schimkewitsch, Nochmals über Tetraneurula. diekung wird auch bei den Arachnida angelegt, allein ich konnte mir über ıhre Bedeutung nicht klar werden. Nach Analogie mit dem von Heymons beschriebenen Verhalten ist es jedoch sehr wohl möglich, dass wir es auch hier mit einem Rudimente des dor- salen Nervenstammes zu tun haben. Indem Salensky einen weniger wichtigen Punkt meiner An- nahme angreift, lässt er die Kardinalfrage bezüglich der Bedeutung des dorsalen Nervenstammes bei einer ganzen Reihe der oben- genannten Formen ganz unberührt. Und doch bildete diese Frage einen der Ausgangspunkte für die ganze Hypothese. Ich gehe nunmehr zu dem zweiten Punkte der Salensky’schen Kritik über, welchem eime viel größere Bedeutung beizulegen ist, als allen vorhergehenden. Dass Mesoderm und Cölom bilateral angelegt werden, ist jedem Zoologen ebenso wohlbekannt, wie es jedem Menschen bekannt ist, dass wır zwei Füsse und zwei Hände besitzen. Um dieses Faktum festzustellen, brauchte Salensky nicht auf seine eigenen Untersuchungen über die Archiannelida u. a. m. hinzuweisen. Die Abstammung der Bilateralia von vıerstrahligen Formen steht in Verbindung mit einer ganzen Reihe von Tatsachen, welche bis jetzt in der Tat noch wenig beachtet worden sind. Es sınd dies die Anlage der Gonaden bei den Chaetognatha und Copepoda in Gestalt von vier Zellen, das Vorhandensein von vier Gonaden beı den Brachiopoda und von vier Metanephridien bei Rhyncho- nella, hauptsächlich aber die Teilung der Längsmuskulatur in vier Bänder, eine Anordnung, welche nicht nur den Coelomata zukommt, sondern zum Teile auch schon bei den Protocoelia ausgesprochen ist. Dem von Salensky angeführten Umstande, dass die vier Muskelfelder von Protodrihıs bei Saceocirrus durch sechs Muskel- felder ersetzt werden (S. 625), kommt natürlich keinerlei entschei- dende Bedeutung zu. Es ist auch niemals von irgend jemandem die Behauptung aufgestellt worden, dass die erwähnte Teilung der Längsmuskulatur in vier Bänder beı allen Bilateralia vorkommt. Man braucht nur einen Blick auf Querschnitte durch Lembricus oder Hirudo zu werfen, um einen solchen Gedanken weit von sich zu weisen. Allein ich behaupte immer noch, dass diese Anordnung äußerst typisch für viele Bilateralia erscheint, darunter auch für die Arthro- poda und für die Vertebrata. Alle diese Tatsachen haben mich veranlasst, mir die Frage vorzulegen, wie dieselben mit der für mich keinem Zweifel unter- liegenden vier-radiären Natur der Bilateralia ın Verbindung zu bringen sind. Wenn die Vorfahren der Bilateralia vier Vorsprünge des Gastro- vaskularsystems besessen haben, so waren für mich zwei Lösungen Schimkewitsch, Nochmals über Tetraneurula. 59 der obigen Frage möglich: entweder sind die paarigen Cölom- höhlen (resp. Gonaden), welche die endgültige Modifikation dieser Vorsprünge darstellen, eine jede durch Verschmelzung zweier Höhlen entstanden, oder aber es haben von den vier ursprüng- lichen Anlagen zwei eine weitere Entwicklung durchgemacht, wäh- rend die beiden anderen eine Rückbildung erfuhren; in letzterem Falle drängt sich jedoch die Frage auf, wie man die Offenbarung des vier-radiären Baues bei den Produkten dieser Anlagen zu er- klären hat. Wenn nun die paarigen Mesodermanlagen eine genügend be- kannte Tatsache darstellen, so haben mir doch auch noch andere Tat- sachen vorgelegen, welche allerdings nicht ebenso allbekannt sein mögen, aber meiner Ansicht nach nichtsdestoweniger Beachtung verdienen. Zu derartigen Tatsachen gehört die Beobachtung von Lebedinsky (1897), wonach bei den Nemertinen das Rumpf- mesoderm in Gestalt von vier Mesodermstreifen angelegt wird, die aus vier Teloblasten hervorgehen, während das Rüsselmesoderm aus nur zwei Teloblasten entsteht. Ich war bei der Annahme stehen geblieben, dass ein jeder Cölomsack das Ergebnis der Verschmelzung zweier Säcke sei. Die Möglichkeit einer so innigen Verschmelzung zweier oder mehrerer Organe, dass sie nicht einmal im der Entwickelungsgeschichte des durch diese Verschmelzung hervorgegangenen neuen Organes zum Vorscheine kommt, wird in einer ganzen Reihe von Hypothesen zugegeben. Es wird vielfach angenommen, dass das Nervenrohr der Chor- daten das Ergebnis der Verschmelzung eines Paares von Nerven- stämmen darstelle, und doch ıst die Anlage des Nervenrohres stets unpaar. Es gibt eine ganze Reihe von Autoren, welche bis zum heutigen Tage die Konkreszenztheorie bezüglich der multituberku- lären Zähne der Vertebraten verteidigen, trotzdem ein jeder dieser Zähne in Gestalt einer einzelnen Anlage angelegt wird. Ich will hiermit nicht gesagt haben, dass ich diese beiden Annahmen als bewiesen erachte, sondern nur auf die Möglichkeit einer Anerkennung des von mir Aufgestellten hinweisen. Salensky nimmt an, das Mesenchym entstehe radıär und, ob- gleich er selbst ein Cölom bei Pilidium (1886) beschrieben hat, kann er diesen Gesichtspunkt auch auf die Entstehung des mittleren Blattes beı den Nemertinen anwenden, indem die Natur dieses Blattes noch unaufgeklärt ist. Entsteht denn aber das Mesenchym in Wirklichkeit stets radıal? Häufig bietet es die Erscheinung einer ebenso bilateral- symmetrischen Anlage, wie dies bei dem Mesoblast der Fall ist. Es ist ebenso auch möglich, dass das Rüsseleölom der Kntero- pneusta oder der ihnen verwandten Formen aus der Verschmelzung 60 Schimkewitsch, Nochmals über Tetraneurula. eines Paares von Cölomsäcken hervorgegangen ist, doch wird es stets unpaar angelegt. Die Zahl dieser Beispiele kann noch vermehrt werden, und die- selben sind Salensky selbst sehr wohl bekannt. Will man aber die Paarigkeit der mesodermalen Anlage als das Ergebnis einer Verschmelzung zweier Paare von Anlagen an- sehen, so wird die vierfache Anlage der Muskulatur eine primäre, nicht aber eine sekundäre Erscheinung darstellen. Ich gehe aber noch weiter. Wenn auch die Vorfahren der Bilateria niemals vier Cölombezirke, sondern nur deren zwei be- sessen haben, so kommt der erwähnten Anordnung der Muskulatur dennoch eine ungeheure Bedeutung zu. Von den Gegnern eines zweifachen Ursprunges des Mesoderms ist darauf hingewiesen worden, dass sich bei einer derartigen An- nahme die Übereinstimmung in der Anordnung der mesenchyma- tösen Muskulatur der Protocoelia mit der mesoblastischen der Coe- lomata nicht erklären lässt. Ich erkläre diese Ähnlichkeit damit, dass der Prozess des Er- satzes der mesenchymatösen Muskulatur durch die mesoblastische durch Methorisis erfolgt ist (Zool. Anz., XXXII. Bd., Nr. 17/18, 1908), d. h. durch den allmählichen Ersatz einer Anlage von be- stimmter Herkunft durch eine benachbarte Anlage von anderer Herkunft. Ein derartiger Prozess des Ersatzes hat augenschemlich in vielen Fällen stattgefunden, von denen einige in dem soeben zitierten Aufsatze mitgeteilt worden sind. Wenn wir sogar Salensky zugeben wollen, dass der Mesoblast ab origine bilateral und nicht radiär ist, so werden wir doch an- nehmen müssen, dass seine vierfache Muskulatur als Ersatz für die vier-radiäre mesenchymatöse Muskulatur entstanden ist. Etwas schwieriger, wenn auch immerhin nicht unmöglich, ist es auf diesem Wege, die Vierzahl der Gonaden und Metanephridien der Brachiopoden zu erklären. Ich beharre demnach, ungeachtet der von Salensky erhobenen Einwürfe, auf meiner Ansicht, dass die Bilateralia von 'vierstrahl- igen Scyphoxoa-artigen Vorfahren herstammen und glaube noch immer, dass diese Annahme keine größeren Schwierigkeiten bietet, als die Hypothese von der Abstammung der Bilateralia von medusen- artigen Vorfahren. Das Schema des aus einem Schlundring und vier Stämmen bestehenden Nervensystems halte ich als das geeignetste für die Erklärung des Vorhandenseins eines dorsalen Nervenstammes bei den Dilateria, und bin der Ansicht, dass die Annahme von dem Ursprung der rechten und der linken Cölomanlage je aus der Ver- schmelzung zweier Anlagen die Grenzen des bei der Aufstellung Hoffmann, Kunst und Vogelgesang. 61 von biologischen Hypothesen überhaupt Gestatteten durchaus nicht überschreitet. Die Ansichten Salensky’s über die Genitocöltheorie waren mir auch schon früher wohl bekannt. Aus diesem Anlasse eine Diskussion zu beginnen, was eine Revision der Polemik zwischen Salensky und Ed. Meyer zur Folge haben würde, halte ich für überflüssig, möchte jedoch betonen, dass ich die Genitocöltheorie nicht in ihrer reinen Gestalt akzeptiere, sondern in derjenigen Modifikation, wie sie von Haeckel und Ray-Lankester aufge- fasst wird. Das Cölom der Coelormata betrachte ich als die Gonaden der Protocoelia, die Gonaden der Protocoelia — als Bezirke der Gastral- höhle der Radiata. Ich will dabei nicht von vornherein die Frage entscheiden, ob die Genitalzellen den primären Blättern angehören, oder ob sie ein besonderes Blatt — das Genitoderm —- bilden, oder ob sıe zum Mesenchym gehören, wie Salensky dies annimmt, denn alle diese Annahmen lassen sich gleich gut mit dem oben dargelegten (Gesichtspunkte ın Einklang bringen. | Ich entnehme demnach dieser Theorie bei meinen Betrach- tungen nur dasjenige, was am wenigsten anfechtbar erscheint. B. Hoffmann. Kunst und Vogelgesang. 8. 224 Seiten. Leipzig. 1908. Quelle und Meyer. Wie es ım Vorwort dieses sehr interessanten Büchleins heisst, enthält die Arbeit die Ergebnisse langjähriger Beobachtungen und Untersuchungen auf dem Gebiet des Vogelgesanges. Sıe stützen sich im wesentlichen auf Beobachtung freilebender Vögel. Das Buch ist ın 2 Teile geteilt; der erste enthält ın 12 Ka- piteln übersichtlich geordnet alles, was sich von der „Kunst im Vogelgesang“* aussagen lässt. Der zweite Teil handelt vom „Vogelgesang in der Kunst“. Hier finden wir Nachweise aus frühester Zeit über Anlehnung an den Vogelgesang und seine Verwertung durch die Komponisten. Schon ein Canon aus dem 13. Jahrhundert hat den Kuckucksruf, dann findet er sich in einem Volkslied des 16. Jahrhunderts und im Hortus chelieus von Walter im 17. Jahrhundert. Dass Beethoven angeführt wird mit seiner Pastoralsinfonie, lässt sich denken, nach Beethoven’s eigenen Worten haben „Goldammern, Nachtigallen und Kuckucke mitkomponiert“. Der Verf. weist aber nach, dass eine hervorragende Rolle auch das Rotkehlchen gespielt hat, indem es zu dem Anfangsmotiv der „Szene am Bach“ die Anregung gegeben hat. Es werden dann noch zahlreiche Beispiele angeführt bis auf die neuesten Tondichter, wie Bruckneru.a. Wagner erscheint häufig, z. B. wird nachge- wiesen, dass er im „Waldesweben“ (Siegfried) fünf verschiedene Motive den Vögeln abgelauscht hat, Goldammer, Pirol, Baumlerche, 62 Hoffmann, Kunst und Vogelgesang. Nachtigall und Schwarzamsel. Besonders überraschend ist aber, dass auch das Motiv von Lohengrins Abschied an den Schwan einem Vogelruf, dem der Zippe (Turdus musicus L.), nachgebildet sein soll. Wir müssen uns versagen, noch mehr Beispiele an- zuführen und wenden uns zu der Kunst der kleinen Sänger selbst, die im ersten Teil behandelt ist. Das Interesse der Naturfreunde und Forscher reicht weit zurück, wenn auch nicht bis in jene Tage, wo die Musiker anfıngen, die Vogelstimmen in die Musik einzuführen. 1650 veröffentlicht Atha- nasius Kircher eine lateinisch abgefasste Schrift: „Musurgia uni- versalis sive ars magna consoni et dissoni,“ indem er besonders der Nachtigall gedenkt und den Gesang einiger Vögel mit Noten auf- zeichnet. In neuerer Zeit haben u.a. Oppel, Harting, Paolucei, Karl Löve, Voigt, Aufzeichnungen über den Gesang der Vögel gemacht. Oppel hat z. B. unter 157 Beobachtungen festgestellt, dass die große und dıe kleine Terz beim Kuckucks- und Amselruf bevor- zugt werden. Die psychologische Seite des Gesangs haben Darwin, Wallace und Groos zum Gegenstand ihrer Untersuchung gemacht. Doch ıst der Verf. der Ansicht, dass in allen diesen Arbeiten die musiktheoretische und künstlerische Seite des Gesanges mehr oder weniger außer Betracht geblieben ist und dass er im wesentlichen auf eigene Beobachtungen angewiesen war. Die verschiedenen Kapitel des ersten Teiles behandeln „Die Differenzierung des Gesanges bei ein und demselben Vogel und bei verschiedenen Vögeln“, — „Die Ele- mente der Kunst im Vogelgesang“, — „Der Rhythmus in der Vogel- musik“, — „Die Metrik ım Vogelgesang“ u. a. Als einen der wichtigsten Faktoren für die Ausbildung insbesondere der Elemente der Vogelstimmen meint der Verf., sei das Flugvermögen anzusehen, wodurch die Vögel sich leicht voneinander trennen, während doch die einzelnen Individuen derselben Art sich verständigen müssen. Dadurch haben sıch für die verschiedenen Vögel akustisch wahr- nehmbare Erkennungszeichen entwickelt. Bei der Kleinheit der meisten Vögel und ihrer Stimmorgane sind der Tonstärke beacht- liche Grenzen gezogen, die dann durch Ausbildung nach anderer Seite aufgehoben werden: die Vogelstimmen gehören zum größten Teil einer sehr hohen Tonstufe an und daher sind sie leichter wahrnehmbar als die einer tieferen Tonlage. Im Kapitel „Die Inter- valle“ wird an- zahlreichen Beispielen gezeigt, wıe bei den ver- schiedenen Arten der Drosseln verschiedene Stufen musikalischer Befähigung und Stimmausbildung wahrgenommen werden. Z. B. die Misteldrossel bringt bestimmte Töne hervor, die sich auf Grundton, Sekunde und Terz verteilen; dazu treten zuweilen leichte Vorschlags- töne. Vor allem zeichnen sich die Singdrossel oder Zippe (Turdus musicus L.) und die Schwarzdrossel oder Amsel (Turdus merula L.) „sowohl in bezug auf die Kraft als auch rücksichtlich der Klarheit und Remheit vieler Intervalle“ vor allen einheimischen Vögeln aus. Die melodische Tonfortschreitung wie die harmonische kommt beim Gesang der Zippe vor, sie bevorzugt aber Motive, die sich mit den Intervallen des Durdreiklangs decken. Aus dem Kapitel „Höhere musikalische Leistungen der Vögel Schaufuß, C. G. Calwers Käferbuch. 53 auf dem Gebiet der Komposition“, wollen wir folgende interessante Tatsache anführen: die Motive bilden nicht ein buntes Durcheinander der Töne bezw. der Intervalle, sondern ein Steigen oder Fallen oder eine dem Ohre wohltuende Verbindung, also eine gesetzmäßige An- ordnung. Auch sprung- und schrittweise Tonfolgen werden in herr- lichster Weise verwertet. Z. B. die Motive bauen sich sehr oft auf dem einfachen Dreiklang der Tonika auf, dazu treten, ganz wie bei unserer Tonkunst, wohlklingende Durchgangstöne; so hörte Verf. bei einer oft verhörten Amsel plötzlich ein ganz neues Motiv. Es erklang in reinster Form der A-moll Dreiklang, bei dem manchmal das Vorschlags-a mit dem folgenden e zu zwei Sechzehntel ver- bunden wurde (S. 123), wodurch das Motiv eine von der vorigen sehr unterscheidende Form erhielt. Da wir hier nicht in der Lage sind, an Notenbeispielen, wie sie in großer Zahl im Buch vorkommen, die zahlreichen Motive darzulegen, müssen wir uns auf das Angeführte beschränken. Als Ursache der erstaunlich künstlerischen Höhe der Ausbildung des Vogelsanges wird von verschiedenen Autoren das sexuelle Leben angeführt, aber es ıst anzunehmen, dass der Gesang auch für manche andere Stimmung oder Empfindung, die ın das Gebiet der Lustgefühle gehört, der äußere Ausdruck ist. Auch die Kraft- überschusstheorie von Spencer ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Ein Moment, das den Vogel veranlasst, auch zu anderer als zur Paarungszeit zu singen, ist der Unterricht des Vaters an seine Kinder, die zwar eine gewisse Anlage haben, aber ohne Vor- sänger es nur zu ungenügenden Leistungen bringen. Viele Beispiele der anmutigsten Art aus dem Musikleben der Vogelwelt werden in dem gehaltvollen Buch angeführt. Wir glauben, dass der Naturfreund wıe der Musiker reiche Anregung und Be- lehrung in demselben finden werden. : A. C. G. Calwers Käferbuch. Sechste, völlig umgearbeitete Auflage, herausgegeben von Camillo Schaufuß- Meißen. Stuttgart, Verlag für Naturkunde — Sprösser u. Nägele. Ein erfreulicher Beweis dafür, dass die Coleopterologie immer weitere Kreise von Forschern und Liebhabern anzuziehen vermag, ist die notwendig gewordene Neuauflage des altbekannten und be- liebten Calwer’schen Käferbuches. Die gediegene Verlagsfirma konnte in der Tat für diese Um- arbeitung keine geeignetere Persönlichkeit gewinnen, als die des in Zoologen- und speziell Biologenkreisen sehr geschätzten und infolge seiner jahrzehntelangen, selbstlosen Arbeitsleistung für seine Zeit- schrift, hochverehrten Redaktors des Entomolog. Wochenblattes Camillo Schaufuß in Meißen. Sein Name bietet von vornherein vollste Garantie nich* minder für gründliche Bearbeitung, wie für eine klare Darstellung des behandelten Stoffes. Wirklich ist denn auch der Calwer nicht nur umgearbeitet — man muss vielmehr sagen — er ist von Grund auf neu gearbeitet worden. Schon die Einleitung beweist, dass Schaufuß nicht nur vor- 64 Schaufuß, ©. G. Calwers Käferbuch. züglich in der einschlägigen Fachliteratur bewandert ist, sondern dass er eine über jene Kenntnisse weit hinausgehende allgemeine zoologische Bildung besitzt. In dem Kapitel , ‚Allgemeines von den Käfern“ findet sich ın einer Reihe von Absc ‘hnitten, wie: Körperbau, Entwickelung, Lebens- weise, eine solche Fülle verarbeiteten Literaturinhaltes, u lang- jähriger, eigener Beobachtung zu licht- und lebensvollen, oft leuch- en Begeisterung ausstrahlenden Bildern zusammengefügt, dass niemand diese Ausführungen ohne hohen (Genuss und reichen Wissensgewinn durchstudieren wird. Die weiteren Abschnitte jenes Kapitels: Fang und Zucht; Her- richten und Aufbewahren; Bestimmen und Ordnen; Kauf, Tausch und Versandt, zeigen den langjährigen Praktikus. Er versteht es, den Sammler als solchen in die ihm dienlichen Kenntnisse meister- haft einzuführen — ja er versteht Höheres und Edleres: er weiß dem ernster und tiefer angelegten Naturfreunde den Weg zu zeigen, äuf dem er sich aus einem bloßen Liebhaber der zierlichen Insekten- welt zu einem der Wissenschaft wertvolle Beiträge liefernden Forscher emporzuringen vermag. Dies wird erreicht, indem ın jedem Abschnitte des Buches, ja Seite für Seite, die neuesten Er- gebnisse der morphologischen und biologischen Forschung zur Er- klärung herangezogen werden, indem die Terminologie eingehend berücksichtigt und der Leser unwillkürlich tieferen Einblick in die verschiedenen Arbeitsgebiete der Entomologie zu tun veranlasst wird. In dem eigentlichen Werke: der systematischen Bearbeitung der europäischen Käferfauna ist, verglichen mit der früheren Auf- lage, wie bereits gesagt, in Wahrheit etwas Neues geliefert. Es er gibt sich dies schon daraus, dass Schaufuß hier ın der gesamten Anordnung der europäischen Käferwelt der grundlegenden Arbeit unseres ersten Coleopterologen Ludw. Ganglbauer — soweit diese erschienen — sonst aber den neuesten Fachwerken gefolgt ıst. Es war vielfach nötig, die Familien- und Gattungsdiagnosen umzu- gestalten, die Artbeschreibungen zu revidieren, die Liste der Spezies auf den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnis darüber zu bringen. (Größte Sorgfalt wurde namentlich auch auf die Angaben über die geographische Verbreitung der Arten, auf deren Lebensweise und Entwickelung verwendet. Der rühmlich bekannte Verlag hat sich mehrfache Verbesse- rungen der farbigen Tafeln, denen zumal für den Anfänger und gelegentliche Benutzung auch von seiten der Nichtentomologen hohe Bedeutung zukommt, in anerkennenswerter Weise angelegen sein lassen, auch eine neue, bionomische Schwarztafel hinzugefügt. Dieser ganz neue Schaufuß-Calwer kann nicht nur den Coleopterologen und Coleopterophilen, sondern auch den Lehr- anstalten aller Grade, sofern ihr Unterrichtsprogramm überhaupt Zoologie begreift, auf das Wärmste empfohlen werden. Prof. Dr. Standfufs. vb von Georg 1 aa: in a Rabensteinplatz 2. — a ge Ken Pe Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 1. Februar 1909. A 8, Inhalt: Fiebrig, Cecropia peltata und ihr Verhältnis zu Asteca Alfari, zu Atta sexdens und anderen Insekten; mit einer Notiz über Ameisen-Dornen bei Acacia Cavenia (Sehluss). — Bauer, Vertikalwanderung des Planktons und Phototaxis. — Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pfianzenläuse, Aphididae Passerini. Cecropia peltata und ihr Verhältnis zu Azteca Alfari, zu Atta sexdens und anderen Insekten; mit einer Notiz über Ameisen-Dornen bei Acacia Cavenia. Ein kritischer Beitrag zur Ameisenpflanzen-Hypothese. Von Karl Fiebrig (San Bernardino, Paraguay). (Schluss). Entwicklung der Symbiose (Hlypothese). Wenn ich zum Schluss den Versuch machen möchte mir eine Vorstellung zu bilden über die Art und Weise, wie Axteca zu den Errungenschaften kam, die mit der endgültigen Besitzergreifung des Baumes, mit dem erreichten Wohlleben zum Abschluss ge- langten, so machen diese Schilderungen keinen Anspruch auf faktischen Wert, sie werden die Möglichkeit irgendeiner anderen Evolutionsrichtung offen lassen und nur eine solche in großen Zügen zu skizzieren trachten, welche nach meinen Beobachtungen im Heimatlande von Pflanze und Ameise einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit haben könnte (die Müller’schen Körperchen und die Haarpolster will ich hier unberücksichtigt lassen, weil meine diesbezüglichen Vorstellungen, wie sie eben skizziert wurden, mir noch als zu vag erscheinen). Nach meinen obigen Ausführungen über den Standort von C. peltata ın Paraguay dürfte es erlaubt sein anzunehmen, dass XXIX. ) 66 Fiebrig, Ceceropia peltata ete. das Moment, welches bei den freiragenden Feigenbäumen den Be- such der Dolichoderide einleitete, wie sicherlich bei vielen anderen Ameisenpflanzen, das Wasser war ’?). Wenn nach stärkeren Nieder- schlägen oder bei Überschwemmungen die hart bedrängten Ameisen sich auf die über das Wasser hinausragenden Baumkronen zu retten trachteten, so mögen sie auch hin und wieder auf den ohnedies schon an tiefer liegenden Ortlichkeiten besonders häufigen feigen- tragenden Baumkandelabern gestrandet sein. Während dann, nach dem Rückgange des Wassers, die große Zahl andersartiger, erd- bewohnender Ameisen und anderer Tiere zum großen Teile die temporäre, durch die Not aufgezwungene Zufluchtsstätte wieder ver- ließen, mögen einige unserer Dolichoderiden, die schon vegetarisch inkliniert gewesen sein möchten und ganz oben, an den Spitzen, wo sie vor dem Wasser am besten geborgen waren und von den Früchten des Baumes genascht hatten, es nicht so eilig gehabt haben. Derartige Begebenheiten mögen sich in ähnlicher Weise unzählige Male wiederholt haben, und bei dieser Gelegenheit werden die einzelnen Individuen in der Verbannung allerlei angenehme und unangenehme, nützliche und wertlose Entdeckungen und Erfahrungen gemacht haben, die im Laufe der Zeit verwertet, weiter ausgebildet, vom Individuum auf die Gesamtheit übertragen und schließlich zum Instinkte erhärtet wurden. So werden andere Tiere und nament- lich Ameisen ihnen die süße Kost streitig gemacht haben, und während der Wassersnot werden sie in dem Tierchaos mannigfachen Kämpfen und Verfolgungen ausgesetzt gewesen sein, die auf die Ausbildung kriegerischer Anlagen gewirkt haben dürften. Einige Male mögen bei diesen Cecropia-Bäumen, etwa durch die Gewalt des Windes, ein paar Zweige abgebrochen sein, die in ihrem schrägen, splittrigen Bruche die hohlen Internodialräume bloßlegten, in denen 22) In Rettig’s „Ameisenpflanzen-Pflanzenameisen‘‘ finde ich auf S. 19 eine Mitteilung, die mich belehrt, dass schon Buscalioni und Huber für Ameisen- pflanzen eine, auf den Einfluss von Überschwemmungen gegründete Theorie aufge- stellt haben. Selbst in einer etwas verallgemeinernden Fassung möchte ich eine solche Hypothese unterschreiben. Meine Beobachtungen in dem Überschwemmungsgebiet einiger Teile des Chaco und von Matto-Grosso führten mich zu dem gleichen Resultate. Ich möchte noch bemerken, dass nicht immer allein das Wandern der Ameisenpflanzen, sondern ein seit langer Zeit allmählich trockener gewordenes Klima es sein dürfte, das in vielen Fällen für den heutigen relativ trockenen Standort solcher Pflanzen verantwortlich gemacht werden könnte. — Es dürfte keine zufällige Erscheinung sein, dass eine so große Zahl von den baumbewohnenden Azteca-Arten (und Cecropien!) gefunden wurden (von E. Ule) auf einer Expedition, welche im besonderen — meines Wissens — den Kautschukpflanzen gewidmet war und die in der Hauptsache den Nebenflüssen des (überschwemmungsreichen!) Amazonas folgte. Gewiss waren auch dort die Cecropien etc. zum Teil a priori geschützt gegen bedeutende Blattschneidergefahren, des Wassers wegen. E. Ule dürfte an der Hand seiner bei dieser Expedition gemachten Beobachtungen in der Lage sein in bezug auf die Ameisenpflanzenhypothese manch kritischen Beitrag zu liefern. Fiebrig, Cecropia peltata etc. 67 sich die Ameisen verkriechen konnten. Nach vielen derartigen Vorkommnissen lernte endlich Axteca sich hindurchfressen durch die, die einzelnen Hohlräume trennenden Querwände und brachte hier einen Teil ihrer Brut unter, den sie vor der Gewalt des Wassers zu retten vermocht hatte, womit die Bauminsel für sie zu einer zweiten Residenz wurde, die aber noch immer nur in Ausnahme- fällen als Aufenthaltsort diente. Als unsere aktiven Ameisen wieder einmal oben auf einem solchen Feigenbaume hausten, dessen Äste aber alle unverletzt waren, da mag es eine Ameise, wahrscheinlich ein befruchtetes Weibchen, das von seinem Brutgeschäfte hinweg hatte flüchten müssen, versucht haben, in banger Sorge um ihre Nachkommenschaft, die sie zu bergen wünschte, von außen her in den Zweig zu dringen, von dessen hohlem Innern sie von früheren Besuchen her eine Vorstellung hatte. Ganz oben, an der noch weichen Spitze des Zweiges gewahrte sie, gerade über der Blatt- stielbasis, eine kleine Vertiefung und hier bohrte sie sich ein. Jetzt war die Wohnung gefunden, dauernder Schutz und Sicherheit für die Brut... die Nachkommen dieses intelligenten Weibchens bildeten die erste Axteca-Kolonie auf der Cecropia! Ameisen-Mimosacee (Acacia Cavenia). Wie hier für die Cecropien so ist auch für andere Ameisen- pflanzen die Myrmekophilie durch exakte, an Ort und Stelle ange- stellte Forschungen in Frage gestellt worden, so namentlich in bezug auf die epiphyten Knollen-Rubiaceen der Alten Welt, deren Unabhängigkeit von den Ameisen zuerst Treub nachwies. Ein ziemlich gewichtiges Argument aber für die Ameisenpflanzen- hypothese fand man in dem Beispiele einiger Akazienarten, welche in riesigen Dornen ihrer Ameisengarde Quartier gewähren und sie in besonderer Weise nähren sollen (Belt’sche Körperchen). Auch in bezug auf diese Mimosaceen wird vielleicht eine kritische, systematische Prüfung das Beweismaterial beizubringen vermögen, das ein Zusammenleben zum Vorteil. der Ameisen bestätigt, nicht aber die Annahme der Abhängigkeit der Pflanze, nicht eines von den Ameisen seitens der Pflanze geforderten Schutzes zulässt, am wenigsten gegen die so übel beleumdeten Attinen. Einen Schritt vorwärts in dieser Richtung werden wir gelangen durch die Be- obachtungen, die ich im vorigen Jahre im Chaco?°) an der bolı- vianischen Grenze (etwa 21° lat.) machte und die ich hier kurz mitteilen will. Die in Frage kommende strauchartige gelbblühende Mimosacee (Acacia Cavenia H. et A., wie sie Herr Dr. E. Hassler die Güte hatte 23) Noch bevor ich mich eingehender damit beschäftigen konnte war ich ge- nötigt den Aufenthalt dort und die begonnenen Studien zu unterbrechen. 9" 68 Fiebrig, Cecropia peltata ete. zu bestimmen) zeichnet sich durch Dornen aus, die im Vergleich zu den sonstigen Dimensionen des Strauches, dessen Stengel zum größten Teile die Dicke von 1 cm nicht übertreffen, riesenhaft bis 90 x Smm groß sind und gerade so wie die bisher ın den Handbüchern abgebildeten, sogen. Ameisendornen, nach der Basis zu sich stark verdicken. Diese Dornen, die übrigens nur zu einer gewissen Zeit, wie es scheint durch besonders reichliche Nieder- schläge (hohe Luftfeuchtigkeit) diese Größe erreichen — nicht etwa durch einen von den Ameisen ausgehenden direkten Reiz (oder schon als vererbte, durch den Reiz hervorgerufene Neubildung?); ich fand vielfach besonders große Dornen, ohne jegliche Spuren von Insektenfraß innen oder außen, während gewöhnlich der weitaus größte Teil bedeutend kleiner ist, — zeigen sehr häufig wie bei Acacia sphaerocephala und, wie dort, meist unweit der ae eine Öffnung, und ıhr mehr oder weniger ausgefressenes Innere — von einem spontan gegebenen Hohlraum ist ne Rede! — ist ebenfalls meist von Ameisen bewohnt und zwar von Pseudomyrma Fiebrigi Forel. Aber viele Dornen und oft die größten, an denen man äußer- lich keine Öffnung wahrnehmen kann, findet man bei näherer Untersuchung ebenfalls mehr oder weniger ausgehöhlt, und zwar von einer Larve, welche von der Markschicht der Dornen lebt; die von mir angestellten Zuchtversuche ließen die Raupen sich zu un- scheinbaren Tineiden entwickeln, die durch ein von der Larve von innen her vor der Verpuppung markiertes, umnagtes Loch mit Hinterlassung der aus der Öffnung Be Puppenhülle ins Freie en waren. In bezug auf Lage, Ne und Größe ent- sprach das Ausflugsloch etwa der Öffnung bei den von den Ameisen bewohnten en Sowohl bei den von Raupen als bei den von Ameisen bewohnten Dornen beschränkten sich die ausgefressenen Hohlräume durchaus nicht immer auf den Dorn selbst, sondern sie erstreckten sich oft, durch die Holzschicht des Stengels hindurch, hinüber zu dem gegenüberstehenden Dorne oder gar, und das ziem- lich häufig, weit hinein in den Zweig selbst, diesen hinauf- oder hinabsteigend und manchmal auf diese Weise eine röhrenartige Verbindung zwischen zwei oder mehreren, übereinander liegenden Dornpaaren herstellend*). Der Umstand, dass ich unbesetzte, hohle 24) Bei Sharp (Insects, 1899, II, p. 168) finde ich in bezug auf die sogen. bull’s — horn thorn — Akazie: „he (Belt) supposes that the ants assume the rigths of proprietors und will not allow caterpillars (!!) or leaf-eutting ants to meddle with their property.“ An einer anderen Stelle (p. 158): „but there is reason to suppose that a critical view of the subject (der den Pflanzen von Ameisen gewährte Schutz) will not support the idea of the association being of supreme importance to the trees“, sicherlich eine schwerwiegende Bemerkung eines, auf dem Gebiete der Insektenbiologie so verdienstvollen Gelehrten! Fiebrig, Ceeropia peltata ete. 69 Dornen nicht gefunden und dass ich manchmal in den von den Ameisen okkupierten Spuren einer ehemaligen Anwesenheit von Raupen bemerkt habe, lässt keinen Zweifel darüber aufkommen, dass die durch die Raupen ausgefressenen Hohlräume — mit der zu diesen führenden Pforte — von den Myrmeeinen als Wohnung adoptiert worden waren. Es liegen hier also in dieser Beziehung die Verhältnisse umgekehrt wie bei den Ceeropien, d. h. nicht die Raupe folgt zunächst den Ameisen, sondern die Ameise besetzt die von den Raupen ausgehöhlten Bäume; bei Cecropia wurden die Raupenhöhlen allerdings, wie wir gesehen haben, auch wieder von Ameisen okkupiert. Es möge noch erwähnt werden — in bezug auf die diesbezüglichen irrigen Anschauungen — dass die zu durch- bohrende Wand dieser Dornen, auch im grünen Stadium, stets härter ist als die des Grübchendiaphragmas der von der Axteca durchbohrten, grünen Cecropia-Internodien. Über irgendwelche Beziehungen dieser zar tblätterigen „Ameisen- pflanze“ zu blattschneidenden nassen habe ich Keine positiven Beobachtungen machen können, weil dort, wo ich diese Mimosenart, die ohne Zweifel in noch weit höherem Grade als Cecropia peltata hygrophil ist und die, soweit ich dies feststellen konnte, nur auf lössartigem alluvialem Schwemmboden vorkommt, ausschließlich an- getroffen habe, Attinen nicht vorkommen, sowie ich auch in dem von mir besuchten Teile des Chaco deren Bauten nur an wenigen trockenen, höher gelegenen Stellen, andere sonst hier sehr häufige Erscheinungen aber von unterirdischer Minierarbeit, wie z. B. Ter- mitenhügel, überhaupt nicht finden konnte, was uns nicht Wunder zu ran braucht, wenn wir erfahren, dass jener Erdstrich durch fast jährlich wiederkehrende Üben enmeneen heimgesucht wird. — Belt’sche Körperchen habe ich nicht Dee Koch mögen sie mir entgangen sein, da ich nur wenige Pflanzen daraufhin unter- suchen konnte. Bevor ich diese Arbeit abschließe, möchte ich noch die Wichtig- keit der Aufstellung numerisch vergleichender Faktoren bei den hier behandelten Ameisenpflanzenhypothesen betonen; das gilt für das pro und contra. Statistisches Material wird in solehen Fragen nach vielen Richtungen hin ausschlaggebend sein müssen. Das für die Müller-Schimper’sche Hypothese beigebrachte Material erscheint mir in dieser Beziehung, soweit ich es kenne, nicht genügend, und auch ich habe es versäumt, von Anfang an die Befunde zahlen- mäßig festzulegen; das muss noch nachgeholt werden. Rekapitulation. Fassen wir die wichtigsten positiven Resultate zusammen, die ich in bezug auf eine Bike der Ameisenpflanzenhypothese auf auf Grund meiner Beobachtungen gewonnen kabe: 70 Fiebrig, Ceeropia peltata etc. In bezug auf Cecropia peltata: 1. Nicht nur die spontan gegebenen Internodialräume werden von Azteca besetzt, sondern die Ameisen schaffen sich auch selbst Raum oder vergrößern ıhn auf Kosten von zum Teil wertvollen Stoffen der Pflanze. 2. Die Bedeutung des Grübchendiaphragmas als myrme- kophile Anpassung wird beeinträchtigt dadurch, dass die Ameisen in das betreffende Internodium gelangen durch Perforierung der Querwände, bevor sie das Diaphragma durch- fressen haben, d. h. dass sie häufig in den Besitz des begehrten Raumes gelangen von innen und nicht von außen her, dass das Diaphragma in gewissen Fällen von innen her durch- bohrt wird und manchmal auch an einer anderen Stelle der Rinne die Öffnung sich vorfindet, dass die Anlage der Pforten nur in den jüngsten, noch ganz zarten, morphologisch unvollkommen differenzierten Internodien der Stengelspitzen erfolgt, zu einer Zeit, in der diese meist noch kaum 1 cm lang und die Stengelwände noch sehr dünn sind, das Diaphragma aber sich zu einer, die ganze Längsausdehnung des Internodiums einnehmenden Vertiefung ohne Rinne reduziert, so dass dem eindringenden Insekte kaum ein anderer Angriffspunkt übrig bleibt als der im Schutze des Blattwinkels. 3. Obwohl sämtliche lebenden Zweige stets von Azteca Alfari mixta besetzt sind wird in vielen Fällen ein Ameisenschutz über- flüssig, weil der Standort dieses Baumes zum großen Teile Angriffe von seiten der Blattschneider, zum mindesten von der gefährlichen Atta sexdens, ausschließt. 4. Der Umstand, dass die Attinen die Blätter des größten Teiles der Holzpflanzen Paraguays schneiden, dass trotzdem nicht ein einziger von diesen dadurch einen für das Fortbestehen wesent- lichen Schaden erleidet — in der Regel tun dies nicht einmal einige, ganz allgemein verbreitete Kulturpflanzen —, macht es in hohem Grade unwahrscheinlich, dass die mit hohem Regenerationsvermögen begabte CO. »peltata da, wo es der Standort zulassen würde, auch ohne die Anwesenheit der Axteca von den Blattschneidern in be- deutendem Grade geschädigt bezw. in ihrer Existenz gefährdet werden könnte. 5. Der Umstand, dass CO. peltata, obwohl von Axteca bewohnt, in der Jugend (2—3 Jahre lang) und bei niedrigen Temperaturen von diesen Ameisen nicht verteidigt wird, würde einen von den letzteren gegen die Attinen zu erwartenden Schutz imaginär machen. 6. Die Gegenwart von Axteca verhindert nicht den temporären oder konstanten Aufenthalt zahlreicher anderer Insekten, die zum Teil beträchtliche Verheerungen an den Blättern und an anderen Fiebrig, Cecropia peltata ete. 71 vitalen Teilen der Pflanze anrichten und den Baum zweifellos häufig wesentlich schädigen (daher wäre auch eine etwa dahingehende Auffassung, dass Axteca diese Cecropia gegen einen anderen Feind als die Blattschneider beschütze, kaum angängig). 7. Die Summe der Schädigungen, die der Baum durch die sich von ihm nährenden Insekten erleidet — dazu kommen noch die Müller’schen Körperchen und andere Stoffe, welche von Axteca regelmäßig in Anspruch genommen werden und wahrscheinlich für die Pflanze ein erzwungenes Opfer bedeuten — dürfte zweifellos größer sein als die event. von Attinen zu befürchtenden Verheerungen. Durch die Gegenwart von Axteca m dem hohlen Innern der Zweige werden einige Tiere angezogen (7584 und Spechte) bezw. wird deren Entwickelung begünstigt —, die dem Baume wesentlichen, ja wahrscheinlich den bedeutendsten Schaden zufügen von allen Tieren, so dass die sogen. Schutzameise zur indirekten Ursache wird für tiefeingreifende Zerstörungen, die das Ab- sterben eines Teiles der Pflanze nach sich ziehen können. Ferner in bezug auf Acacia Cavenia: 9. Die in gewissen Gebieten sehr häufige, oft große Flächen be- deckende Acacia Cavenia, welche in ihren großen Dornen Ameisen beherbergt, in derselben Weise wie Acacia cornigera und sphaero- cephala ist a priori, und ohne die Anwesenheit der auf ihr wohnen- den Ameise, geschützt gegen etwaige Verheerungen durch Blatt- schneider, el sie nur ın Den De, welche infolge häufiger ÜBerschvenmungden da Einnisten von erdbewohnenden Attinen ausschließt. 10. Der Umstand, dass häufig diese Dornen, bevor sie von den Ameisen besetzt werden, von Lepidopterenlarven ausgehöhlt worden sind, welch letztere auch die Eingangspforten herstellen, dass ferner durch die Raupen sowohl als durch die Ameisen auch ein großer Teil des Stengels selbst ausgefressen wird, dass überhaupt der Hohlraum nicht spontan gebildet, sondern stets durch gewaltsamen, die Pflanze schädigenden Eingriff entsteht, muss für die hier beobachtete Symbiose zwischen Acaca Cavenia und Pseudomyrma Fiebrigi die Annahme eines myrmekophilen Ver- hältnisses an sich sehr fraglich erscheinen lassen. Schlussbetrachtung. Wenn auch meine hier mitgeteilten Ausführungen einige Bei- träge liefern mögen zur Frage der Ameisenpflanzenhypothese, so bleibt in bezug ar Cecropia ee und ihre Gäste noch viel zu tun übrig, lich auch betreffs des Studiums der Lebensweise der Axteca selbst, mit dem ich mich noch nicht eingehender befasst habe. Scheinen mir auch meine Untersuchungen zu beweisen, dass 7) Fiebrig, Ceceropia peltata etc. eine die Ceceropia ernstlich gefährdende Blattschneidergefahr nicht vorhanden, dass der von Axteca gewährte Schutz imaginär, diese von der Cecropia „angelockte“ Ameise vielmehr dadurch, dass sie ihrerseits durch „ungewolltes Anlocken“ der vielleicht größten Feinde der Ceeropia, statt dem Baume zu nützen, ihm zum Verderben ge- reicht, so ist, durch den Umstand allein, dass meine Beobachtungen, obwohl sie sich über einen beträchtlichen Zeitraum und über eine große Zahl von Baumindividuen jeden Alters erstrecken, sich im wesent- lichen nur auf das in der nächsten Umgegend von San Bernardino und des Lago Ipacaray vorhandene Material beschränkten, eben dieses Ma- terial nicht in dem Maße ausreichend, dass ich mir daraus endgültige Schlussfolgerungen zu ziehen gestatten möchte; denn man muss bedenken, dass das Verbreitungsgebiet von ©. peltata ein ungeheuer großes ist und für das Vorkommen dieser Moracee Paraguay etwa die Südgrenze vorstellt, wo manche die Cecropia betreffenden Ver- hältnisse möglicherweise andere sind als ın vielleicht noch wärmeren und feuchteren Gebieten. Es fehlt mir vor allem noch immer an einer konkreten Vorstellung von dem Wesen der pflanzlichen Pro- dukte, die bisher als Anlockungsmittel für die Schutzameisen auf- gefasst wurden, ein Problem, für das durch vergleichende syste- matische Forschungen vielleicht allein ein befriedigendes Ergebnis erreicht werden kann. Das Studium der großen Zahl der dendrophilen Ameisen und speziell derjenigen der Gattung Axteca, für die Forel bereits fest- gestellt, dass von den ca. 70 bisher (1905) beschriebenen Arten nicht eine einzige in der Erde nistet, die nach demselben Autor und auf Grund der neuesten Entdeckungen Ules und nach meinen eigenen Beobachtungen in bezug auf die Wahl und Einrichtung ihrer Wohnräume ein hervorragendes und stark variiertes An- passungsvermögen (sogar innerhalb einer Art)®®) an den Tag legen, wird voraussichtlich reichlich Material liefern, von dem wir durch vergleichende Forschungen auch zur Klärung der Myrmekophilie- frage zu verwertende Beiträge erwarten dürften. Sollte die große Mehrzahl dieser Azxteca-Arten, denen in den wenigsten Fällen Hohl- räume wie auf der Cecropia zur Verfügung stehen dürften, nur mit Lockspeisen auf den Bäumen zu halten sein, sollten sie gar alle dazu „bestimmt sein“ die zur Wohnung erkorenen Pflanzen zu ver- teidigen gegen die blattraubenden Ameisen?! „Man sieht,“ sagt Forel (25), „wie innig die Axteca-Arten mit den Bäumen und Pflanzen des Waldes zusammenhängen“, so innig, möchte ich mir erlauben hinzuzufügen, dass z. B. ın dem sym- biotischen Verhältnis zwischen Ceeropia peltata und Axteca Alfari 25) Forel, Einige biologische Beobachtungen des Herrn Prof. Dr. E. Göldi an brasilianischen Ameisen (Biol. Oentralbl. 1905, XXV 6, p. 175). Fiebrig, Ceeropia peltata ete. 13 mixta diese Ameise eher als ein Parasit denn als ein Wohltäter dieser Pflanze gelten könnte! So schwer ist es manchmal zwischen Freund und Feind zu unterscheiden! Würde Ceeropia in ihren hohlen Stengeln keine Axteca beherbergen, blieben die Grübchen undurchbohrt, ihre Zweige würden nicht vom Specht durchlöchert, ihre Stengel vielleicht nicht von Raupen ausgefressen! Statt das Auftreten so vieler Arteca-Arten auf mehreren Ceeropia-Spezies vom entwickelungsgeschichtlichen Standpunkte als eine Phase anzu- sehen, während welcher der Baum sich durch spezielle Anpassungen gegen neu aufgetretene Feinde mit Erfolg zu schützen trachtet, dürfte vielmehr die Folgerung nicht allzu gewagt sein, dass diese Symbioseerscheinungen, bei denen der eine Teil fast parasitären Charakter hat, für dieses Genus der phylogenetisch alten Moraceen- familie einen Wendepunkt zum Niedergange bedeuten. Bei dem Studium der Ameisenpflanzen treten die Leistungen der Ameisen immer mehr in den Vordergrund, während die Stellung der Pflanze bei solchen Symbiosen immer deutlicher eine rein passive Natur verrät. Haben es die Ameisen gelernt alle möglichen Arten von Bauten zu schaffen, haben sie es verstanden, für ihre Nahrung Tiere zu züchten, Pilze zu kultivieren und die verschiedensten pflanzlichen Stoffe sich nutzbar zu machen, so werden wir annehmen dürfen, dass die neueren Forschungen in den Tropen, deren In- sektenleben noch so wenig bekannt ist, uns von Jahr zu Jahr mehr Beispiele liefern werden von engen Beziehungen, von einer gewissen Art von Symbiose zwischen Pflanze und Ameise, in denen aber wohl in jedem Falle die Pflanze der gebende, die Ameise der allein nehmende Teil sein wird. Wie groß die Zahl der tierischen Synoeken und Symphilen sein mag, die ohne Ameisen nicht zu existieren vermögen, in wie hohem Maße auch das große Heer phanerogamer Pflanzen von den Stammesgenossen der Ameisen, von den Bienen und Wespen abhängig sein mag, so wenig Aussicht scheint mir zu sein dafür, dass es Pflanzen geben sollte, welche von den Ameisen selbst, in symbiotischem Verhältnisse mit diesen einen wirklichen Nutzen haben, die mit Fug und Recht myrmekophile Pflanzen ge- nannt werden könnten. Nachtrag. Im Gegensatze zu Axteca Alfari scheint die besonders bissige und verhältnismäßig große Arteca Fiebrigi Forel rein karnivor zu sein. Sie wohnt hoch oben in der Krone der Bäume in einem kunstvoll und solid gefertigten freihängenden, meist etwa birnen- förmigen (ca. 40 X 20 cm) großen Neste und fahndet auf die an den benachbarten Sträuchern und Bäumen befindlichen Arthropoden, die sie in ihren Bau schleppt. Die phytophage Axteca Alfari dürfte aber sowohl in bezug auf die Nahrungsaufnahme als auch auf die Wohnungsanlage phylogenetisch auf höherer Stufe stehen. 74 Fiebrig, Ceeropia peltata etc. Erklärungen zu den photographischen Aufnahmen: Cecropia cc =] 10. peltata. Medianlängsschnitt einer Zweigspitze eines ca. 6 m hohen Baumes. Im dritten Internodium Beginn der Aushöhlung von der Querwand her; erste Pforte im sechsten Internodium. Etwa natürliche Größe. Längsschnitt eines Zweiges desselben Baumes wie bei 1. Internodien 16—21 mit den in denselben angetroffenen Ameisenobjekten (die auf die eine Seite geglitten sind): Puppen, Larven und Müller’sche Körperchen (besonders im 19.), in der Mitte des 20. die ursprünglich der Querwand anliegende Masse der gekneteten Markschicht, in der die Weibchen sich einbetten (s. Fig. 5). Etwas größer als 1:2. Medianschnitt. durch eine Zweigspitze des gleichen Baumes wie bei Nr. 1. Erstes und zweites Internodium noch vollmarkig. Erste Pforte im neunten Internodium, d.h. es sind acht Internodien ausgehöhlt von innen her (einige Querwandhälften abgebrochen). Etwas größer als 1:2. Medianlängsschnitt durch einen noch jungen Zweig desselben Baumes (1) zu dessen unteren Internodien die Ameisen sich noch keinen Zutritt geschaffen hatten und in denen infolgedessen das Mark, zum größten Teil, wohl abge- storben und eingetrocknet resp. gerissen, noch vorhanden ist. In der vierten Kammer von der ersten geschlossenen Querwand aufwärts eine Pforte. Größe etwa 1:2. Die Ameisen hatten sich in diesen Zweig verhältnismäßig spät angesiedelt; ich habe nur einmal einen derartigen Fall beobachtet. Längsschnitt (im Querschnitt größer als Halbkreis) durch ein Zweigstück eines Sm hohen Baumes. Im 13. Internodium ein geflügeltes Weibchen in der gekneteten Markmasse. In der Nähe des hinteren Leibesendes neben dem die Querwand perforierenden Loche (hier nicht sichtbar) zwei (oder drei?, Männchen. Größe etwa 4:3. Geflügeltes Weibchen in einem ganz jungen (dem dritten) Internodinm, dessen) Markschicht zum Teil zerrissen. Die Ovarien dieses Weibchen waren, wie eine nachträgliche Untersuchung mich belehrte, noch wenig entwickelt (die Kammern der Eiröhren noch kaum differenziert). Ein Internodium, das zwölfte (Längsschnitt), eines Zweiges mit drei Pforten, von denen die eine, nicht in der Rinnenyertikale befindliche, nicht durch- gestoßen worden ist. Größe etwa 1:1. . Dasselbe Stück wie Nr. 7 von der Außenseite (aufgenommen als es schon trocken war); die unterste Pfortenöffnung undeutlich. Größe etwa 1:1. An der Peripherie perforierte Querwände (Querschnitt) eines Zweiges (etwa neuntes und zehntes Internodium, ein jedes ca. 1 cm lang). . Medianer (Querschnitt einer die Internodialräume trennenden (Juerwand wie bei 8. Spitzen von Zweigen eines Sm hohen Baumes, welche die Grübchen zeigen (Achselknospen und zum Teil auch die Infloreszenzknospen abgeschnitten). Größe etwa 1:1. a) Grübehen im (von innen gezählten) vierten Internodium: ungeöffnet. p) Grübchen im (von innen gezählten) dritten Internodium: innen Fraß- spuren, außen die Rinde verletzt und schwärzlichen Saft absondernd. y) Grübchen im (von innen gezählten) vierten Internodium mit offener Pforte. Zweigspitze in der Mediane längsgespalten. Dieser Spalt wurde durch drei Internodien hindurch, quer längs der Zwischenwand von Azteca verklebt mit gekneteter, körniger Markmasse, auf allen drei Seiten innerhalb weniger als 24 Stunden. In der Querwand verblieb ein nach außen kommunizierendes Loch (die eine Hälfte der freien Spitze nachträglich abgeschnitten). Größe 4:3. Lebende und trockene Stengel mit Spechtlöchern. Größe 1:3. 12. 13a. 14. 14a. 15. 16. Fiebrig, (eceropia peltata etc. 75 c) Junger ca. 3'/, m hoher Baumstamm. Vom 9.—16. Internodium ab- wärts; die Wände eines jeden Internodiums durchbrochen von sehr großen Öffnungen (die größte 50 X 20 mm reichte fast über die ganze Länge des Internodiums). In mehreren Internodien (z. B. dem elften) je zwei Öffnungen. Der größte Teil dieser Löcher in etwa einer geraden (verti- kalen) Linie auf einer Seite des Stammes. Der Stamm war von der Spitze an besetzt mit Azteca, welche die großen, an den Rändern be- reits vernarbten Löcher zum Ein- und Auslaufen benutzten. Außerdem an einigen Internodien, die von den Ameisen hergestellten Zugangs- pforten. Die Zwischenwände zwischen den Internodien zum Teil durch- löchert, und zwar mehrfach (bis sechsfach), andere geschlossen resp. die Löcher wieder vernarbt. Einige wenige, mit einer Wasserschicht be- deckten Aphiden, die ich hier fand, saßen an den (von den Ameisen) frisch abgenagten Kammerwänden. In einigen der durch die großen Öffnungen bloßgelegten Internodien, mitten in der Azteca-Kolonie, mehrere Exemplare der großen 7593 mit zahlreicher Brut. In der 18. Internodialkammer etwa 1 Dutzend Azteca-Puppen, und zwar nur Weibchen mit einigen Müller’schen Körperchen; im 19. und 20. Inter- nodium mehrere hundert Larven und Arbeiterpuppen, gemischt mit Müller’schen Körperchen. ß) Junger ca. 3 m hoher Baumstamm, 2.—15. Internodium, jedes mit frischen Spuren eines Specht(?)Überfalles, sämtlich wieder an einer Seite (Vertikale) des Stengels. Kein Weibchen und sehr wenig Brut (die übrige wohl vom Specht gefressen), wenig Arbeiter. Trockener Ast eines ca. 12 m hohen lebenden Baumes. Vom Specht geschlagene Löcher. Im hohlen Innern des Zweiges Cryptoceriden. Früher, den Indizien gemäß, von Azteca und Raupen bewohnt. 6) Trockener Ast von dem gleichen Baume wie bei ,. Vom Specht © geschlagene, größere (mehr aufgerissene) Löcher, die mit zerkleinerten Holzpartikelchen bis auf eine kleinere Öffnung wieder verklebt waren. Im hohlen Innern des Astes 7593. Ein Loch im 19. Intern. eines lebenden, von Raupen besetzten Zweiges. Gr.1:1. Spitze des Zweiges ‘eines 6 m hohen Baumes (die durch den Längsschnitt getrennten beiden Hälften) ohne Ameisen. Im völlig ausgefressenen, sehr dunkeln Innern (ohne Querwände!): dunkler Raupenkot, zwei 20 resp. 30 mm lange Raupen, eine Puppe und zwei Puppenhüllen, Gespinstfäden; in der feuchten Kotmasse einige Kleine Fliegenmaden. Größe etwa 1:2 Außerste Spitze des Zweigstückes von Fig. 12, mit der sich einspinnenden Raupe; etwa natürliche Größe Drei längsgespaltene, etwa 40 em lange, jüngere Enden lebender Zweige eines ca. 12 m hohen Baumes. Nicht‘ von Ameisen, sondern von Raupen bewohnt. Ausgefressen und zum Teil mit Raupenkot angefüllt; in jedem Teile (dicht an der Basis) ein Loch. Größe etwa 1:6. Die Spitzen der Zweigenden von Nr. 14. Größe etwa 1: Blatt mit Miniergängen eines Käfers, 5743, aus Gallen Kifepuppen schlüpften Schmarotzerhymenopteren (trocken Ser Größe 1: Insektenfraß an Blättern. Größe 1: a) Cecropia peltata, die typischen ee zum Teil wahrscheinlich verursacht durch die auf Seite 27 angeführten, spontan gebildeten Querrisse, zum anderen Teil vielleicht durch Raupen und Orthopteren. ß) Ceceropia peltata, Blattstiel. y) Melia Azedarach, Zweigspitze vom Baume mit frisch getriebenen Blättern, die zum Teil bis auf den Stengel abgefressen sind. — Einzelne Blatt- teile am Boden liegend. Am Morgen nach dem Überfall. 6) Zwei Blätter von Lonicera caprifolium (an der Pflanze). > Du Fiebrig, Cecropia peltata etc. Ungeflügelte Mantide, infolge ihrer Färbung sich nur undeutlich von der Rinde abhebend. Am Stamm auf Raub ausgehend. Größe etwa 1:1. Vogelnest auf einem jungen, ca. 5 m hohen, mit Azteca besetzten Baume. Größe etwa 1:20. Drei Äste mit zum Teil bloßgelegtem Innern (mit verschiedenen Bewohnern), abgeschnitten von einem 11 m hohen Baum mit sieben Zweigquirlen und etwa 90 Zweigen und Nebenzweigen, von denen die Hälfte von der stengel- minierenden Raupe besetzt war, ohne dass jedoch schon, außer wenigen älteren abgestorbenen Ästen, der Baum äußerlich Zeichen von. Verfall zeigte. Größe etwa 1:8. a) Spitze (!) des Baumes vom letzten Quirl aufwärts (in drei Abschnitten). Der jüngste Teil, vom dritten Internodium ca. 90 cm abwärts, voll- ständig ausgefressen, ohne Zwischenwände, mit schwärzlichen Innen- wänden und Resten von Raupenkot, eine Puppe und eine Puppe in Gespinst. 48 cm entfernt von der Spitze ein 12 X 7 mm großes Loch. Der übrige Teil bis zum Quirle, 190 cm entfernt von der Vegetations- spitze, mit durchlöcherten Querwänden, besetzt mit der großen 7593 und ihrer Brut, ohne Azteca. Blätter und Trieb dieses Zweiges noch frisch (auf dem Bilde welk). Die bei der Gegenwart von Raupen typische Einengung des Stengels dicht vor der Spitze. 2 m langer Zweig vom untersten Astquirl; ein mit Azteca Alfari mixta typisch besetzter Cecropia-Zweig. In den ersten freien (4. u. 5.) Inter- nodien je ein Weibchen (ein ungeflügeltes, ein geflügeltes) im 13. Inter- nodium Separatkammer aus gekneteter Markmasse mit einem geflügelten Weibchen und drei (?) Männchen. Eier, Larven, Puppen, Arbeiter und einige weitere Geschlechtstiere. Tief untenin der Zweigrinne, etwa in der zehnten Internodialkammer, Puppen der Geschlechtstiere in großer Zahl. Keine Spechtlöcher. y) Teil eines vollkommen ausgehöhlten und trockenen Zweiges mit Crypto- cerus und Brut. Mehrere alte und frische Spechtlöcher. Junger, ca. 3 m hoher, dreistämmiger Baum, aus dem Stumpf eines vor zwei Jahren gefällten Baumes in einer Capoeira. Alle drei Vegetationsspitzen abgefressen, ebenso ein großer Teil der Haarpolster. Blätter reichlich, mit geringen Spuren von Insektenfraß (Raupen). In jedem Stamme eine oder mehrere Gründungskammern mit Weibchen und Brut und einigen Arbeitern; in einer Kammer zwei junge Raupen von 7584. Größe 1:50. Spitze eines Stammes von Nr. 20, mit abgefressener, offener Spitze und Fraß- spuren an den Haarpolstern; im Innern einige mittelgroße Raupen von 7584. Ca. 10 m hoher Baum an einer quelligen Stelle. Am Fuße Phrlodendron Sp., rechts im Vordergrund, gestrüppartig, Mimosa asperata. Links unten und rechts (nicht sichtbar) einige durch 7584-Raupen zum Absterben gebrachte trockene Zweige. (In der Spitze ein das Treiben der Azteca betrachtender Beobachter.) Größe 1: 120. Krone einer von Atta sexdens entblätterten, jungen Melia Azedarach (wurde in den nächstfolgenden Nächten bis auf einen Zweig vollkommen kahl ge- fressen. Größe 1:40. In einer Kammer (siebentes Internodium eines jungen Zweiges) ca. 400 Müller’sche Körperchen auf einem Haufen. Größe ca. 1:1. Raupen (oder Specht?) -Loch, zugewachsen ; mit Stromata einer Pyrenomycete. (Größe ca. 1:1. Haarpolster. Größe 1:1. a) Weiß, jung, noch ohne sichtbare Müller’sche Körperchen. ß) Bräunlichweiß mit 227 Müller’schen Körperchen. y) Asch-schwärzlichgrau, von abgestorbenem Blatte. => BON VEHTISLLOSZEI SU LITERNTEE HE Fig. 4. Fig. 3. C. Fiebrig, San Bernardino. Verlag von Georg Thieme, Leipzig. Fig. 6. Biesalll® Fig, 12. Big: Bd. AAIA. Biologisches Centralblatt. Fig. 15. Fig. 13a. Fig, 14. Fig. 16. Fig. 17. C. Fiebrig, San Bernardino. typischer Kande- laber-Zweig 18. Fig. Fig. 19. 2iE Fig. Fig. 20. eipzig, Thieme ‚on Georg ag v Verl Biologisches Centralblatt. Bd. XXIX. Tafel V. C. Fiebrig, San Bernardino. Verlag von Georg Thieme, Leipzie. Bauer, Vertikalwanderung des Planktons und Phototaxis. zur, 6) Schwärzlich, Haare in Gruppen zusammengeklebt, Stromata einer Pyre- nomycete. 26. Von Raupen ausgefressene, im Absterben begriffene Zweigspitze. 26a. Zweigspitze eines vom Blitz getroffenen Baumes mit frischen Seitentrieben. 27. Dornen von der im Chaco gefundenen gelbblühenden Mymosacee. Acacia sp. a) Von Raupen ausgefressene Dornen. Größe ca. 1:1. I. Von außen, aus dem Loch die Puppenhülle hängend (das Innere ausgefressen von der Larve der Tineide, die aus der Puppenhülle schlüpfte). II. Erst teilweise ausgefressener Dorn noch mit zum Teil durch Ge- spinstfäden verbundene Kotmasse der Raupen; ohne Öffnung nach außen. III. Das Innere eines solehen Dornes (wie bei I), mit Resten von Mark und Raupenkot, noch ohne Außenöffnung, von einer Raupe besetzt. f) Ausgefressener Dorn, besetzt mit Pseudomyrma Fiebrigi Forel. Größe casslık I. Ohne Öffnung nach außen, aber kommunizierend mit dem Stengel der Pflanze. II. Mit Öffnung (an der umgebrochenen Stelle). Vertikalwahderung des Planktons und Phototaxis. Erwiderung an J. Loeb. Von Vietor Bauer (Neapel). J. Loeb benutzt einen gegen eine Äußerung von mir ge- richteten Angriff, um die Resultate seiner bekannten Phototaxis- untersuchungen, soweit sie sich auf das Problem der periodischen Tiefenwanderung des Planktons beziehen, noch einmal im Zusammen- hang darzustellen'!). Ich glaube mich in der Erwiderung auf diesen Angriff um so eher kurz fassen zu können, als ich das Problem der Abhängigkeit der täglichen Vertikalwanderungen des Planktons vom Licht in meiner Arbeit nur kurz gestreift habe, ın der es mir wesentlich um andere Dinge zu tun war. Auf die von Loeb mit herangezogenen Untersuchungen, welche mit meiner Äußerung in keinem direkten Zusammenhang stehen, werde ich daher hier nicht eingehen. Loeb’s Vorwürfe beziehen sich auf meinen folgenden Passus: „Sie (nämlich „die vertikalen Wanderungen, welche der Tag- und Nachtperiode entsprechen“), setzen stets das Vorhanden- sein regulierender Apparate voraus, welche die Tiere bei abnehmender Tageshelligkeit ın hellere Schichten hinaufführen und wiederum aus zu intensiver Beleuchtung in die schützende Tiefe hinabtauchen lassen. Ganz allgemein hat man nun die Tiefenregulierungsreflexe mit der Phototaxis oder gerichteten Bewegung in einem horizon- talen Lichtgefälle identifiziert. Die bei der üblichen Phototaxis- 1) Loeb, J. (1908). Über Heliotropismus und die periodischen Tiefenbewegungen pelagischer Tiere. Diese Zeitschr., Vol. 28, p. 732—736. 78 Bauer, Vertikalwanderung des Planktons und Phototaxis. anordnung, d. h. in einem Glasgefäß mit seitlich angebrachter Lichtquelle, erhaltenen Resultate wurden auf die Verhältnisse im Freien übertragen und dementsprechend die Tiefenwanderung durch positive oder negative Phototaxis „erklärt“ (vgl. besonders die Ar- beiten von Loeb, z. B. On the influence of light on the periodical depth migration of pelagic animals, in Bull. U. S. Fish. Comm. 1893, N0.213..92.65): Wir sahen jedoch oben ım dritten und vierten Versuch, wie wichtig die Beachtung der Tatsache ist, dass die Lichtabnahme, die im Meer durch Absorption des Lichtes ım Wasser entsteht, in vertikaler Richtung erfolgt, während wir ım Phototaxisversuch ein Lichtgefälle in horizontaler Richtung erzeugen. Besonders drastisch ist für diese Betrachtung das Verhalten von Macropsis Slabberi v. Ben. Diese Art strebt einer seitlich angebrachten Licht- quelle unter allen Umständen zu, ist also positiv phototaktisch. Beleuchtet man sie aber von oben, wie es den natürlichen Ver- hältnıssen im Freien entspricht, so entflieht sie dem hellen Licht durch Untertauchen in die Tiefe. Die Regulierung der Tiefen- verteilung fällt, wie wır sahen, ganz anderen Muskelgruppen zu als die Regulierung der horizontalen Bewegungsrichtung.“ Loeb wirft mir nun zunächst vor, dass ich „nicht mit Plankton- organismen gearbeitet“ habe, „sondern mit Mysıs“. Er zitiert dann meine obigen Angaben über das Verhalten der Mysiden im verti- kalen und horizontalen Lichtgefälle und knüpft daran die Bemerkung: „Er hält es für selbstverständlich, dass die Planktonformen sich ebenso verhalten und ın sarkastischer Weise tadelt er mich, dass ich den Einfluss vertikal einfallenden Lichtes nie geprüft habe. Ich bedauere, dass Bauer meine Arbeiten nicht gelesen hat und dass er es außerdem unterlassen hat, ein paar Versuche mit richtigen Planktonformen (d. h. mit dem Planktonnetz gefangenen Organismen) anzustellen. Beides hätte er ın Neapel leicht ausführen können. Hätte er das getan, so hätte er sich davon überzeugen können, dass seine Behauptungen über meine Versuche und über das Ver- halten der pelagischen Planktonformen gegen vertikal einfallendes Licht unrichtig sind.“ Ich möchte dazu folgendes bemerken: Die Mysiden zu den Planktontieren zu zählen, scheint mir nicht unberechtigt, da Hensen selbst, welcher bekanntlich die Bezeichnung Plankton ein- führte, sie dazu zählt?2). Da aber Loeb ein eigenes Kriterium für „richtige Planktonformen“ anführt, indem er dazu nur „mit dem 2) Z.B. Hensen, Das Plankton der östlichen Ostsee und des Stettiner Haffs (VI. Bericht der Kommission zur Untersuchung der deutschen Meere, in Kiel, p. 108). Die Mysiden der Plankton-Expedition hat Hensen A. Ortmann zur Bearbeitung übergeben, welcher ihr Vorkommen sowohl im Hochsee- wie im Küstenplankton ausdrücklich betont. Bauer, Vertikalwanderung des Planktons und Phototaxis. 19 Planktonnetz gefangene Organismen“ rechnet, will ich nicht uner- wähnt lassen, dass die von mir untersuchten Tiere in der bequemsten Weise mit dem Planktonnetz gefangen werden können und sich häufig genug in dem an der Neapler Station täglich zur Unter- suchung gelangenden Auftrieb finden. Es beruht ferner auf einem Missverständnis, wenn Loeb meiner oben zitierten Bemerkung entnimmt, ich habe die „Be- rechtigung der Zurückführung der periodischen Tiefenbewegungen pelagischer Organismen auf den Heliotropismus“ bestreiten wollen. Ich habe nur die Berechtigung bestritten, aus den Resultaten von Phototaxisversuchen mit horizontal einfallendem Licht ohne weiteres Schlüsse auf das Verhalten der Tiere im vertikalen Lichtgefälle, wie es den natürlichen Verhältnissen entspricht, zu ziehen. Und ich halte auch jetzt die Ansicht aufrecht, dass zum Nachweis vertikaler Phototaxis Versuche mit senkrecht einfallendem Licht, wie sie z. B. von Rädl und Parker angestellt wurden, unerlässlich notwendig sind. Dass Loeb solche Versuche in seinen älteren Arbeiten beschrieben habe, davon hat mich auch die erneute Lektüre der von ıhm zitierten Stellen nicht überzeugen können. Der erste Versuch, welchen Loeb zitiert, um zu beweisen, dass er mit senkrecht einfallendem Licht gearbeitet habe, ist der Untersuchung entnommen, welche er mit Groom zusammen über die Phototaxis der Balanusnauplien angestellt hat’). Die Fort- setzung der wieder abgedruckten Stelle lautet dort auf p. 173: „Nur in denjenigen Punkten unterschied sich die periodische Wanderung in einem im Zimmer stehenden Aquarium von der auf hoher See vor sich gehenden, in welchen auch ein Unterschied der Beleuch- tung existiert: das ist erstens der Fall in bezug auf die Richtung der Liehtstrahlen*). Im offenen Meere, wo das Licht von allen Seiten, nur nicht von unten her die Tiere trifft, sind wesentlich die vertikal einfallenden Strahlen für die Richtung der Bewegung bestimmend, die Wanderung erfolgt in vertikaler Richtung. Im Zimmer, in welches Himmelslicht schräg von außen und oben ein- fällt, wird die Wanderung auch in schräger Richtung erfolgen müssen.“ Loeb hebt also ausdrücklich hervor, dass er im Versuch nicht den im Meere herrschenden Lichteinfall hergestellt habe, sondern dass ein Unterschied in der Einfallsrichtung des Lichtes gegenüber den natürlichen Bedingungen bestanden habe. Das zweite Zitat, welches Loeb mir vorwirft, nicht berück- sichtigt zu haben, entstammt seiner Arbeit „über künstliche Um- 3) Groom, Th. T. u. Loeb, J. (1890). Der Heliotropismus der Nauplien von Balanus perforatus und die periodischen Tiefenwanderungen pelagischer Tiere. Diese Zeitschr., Vol. 10, p. 160-177. 4) Von mir gesperrt. 80 Bauer, Vertikalwanderung des Planktons und Phototaxis. wandlung positiv heliotropischer Tiere in negativ heliotropische und umgekehrt“?). Marine Copepoden steigen in einer senkrecht ge- stellten Röhre bis zur Oberfläche auf, wenn sie „von oben ein- fallendem Hımmelslicht ausgesetzt werden“. Besonderen Wert legt der Verfasser auf den Umstand, dass die Tiere, wenn man den oberen Teil der Röhre mit einer dunklen Kappe bedeckte, „nur bis zum höchsten Punkte des dem Licht ausgesetzten Teils der Röhre emporstiegen und sich hier sammelten“. Gerade an diesem Punkte aber herrschen nach meiner Ansicht Beleuchtungsverhältnisse, die von den im Meer obwaltenden möglichst verschieden sind. Denn an der Grenze des hellen und dunklen Teils der Röhre werden gerade die senkrecht von oben einfallenden Strahlen, deren Ein- fluss geprüft werden soll, durch die dunkle Kappe abgeschlossen. Dagegen trifft die Tiere bei dieser Versuchsanordnung viel diffuses Licht von den Seiten und von unten her. Parker hat sogar den gleichen Versuch ausdrücklich deshalb angestellt, um zu zeigen, dass bei Beleuchtung von unten her die negative Geotaxis der Labidocera-Weibchen durch positive Phototaxis verdeckt wird). Ich komme zu dem Resultat, dass wenn Loeb sagt, er habe „wohl an Tausenden von positiv heliotropischen Formen experi- mentiert und stets gefunden, dass sie auch vertikal einfallendem Licht gegenüber positiv heliotropisch sind“, ich diese Tatsache aus seinen bisherigen Publikationen nicht habe entnehmen können. Auf die Versuche einzugehen, welche Loeb in dem gegen meine Äußerung gerichteten Artikel neu beibringt, verschiebe ich bis zum Abschluss eigener Untersuchungen. Ich hoffe durch sie zu zeigen, dass die Mechanismen der Tiefenregulierung bei den verschiedenen Formen recht verschiedene sind und dass die beispielsweise für eine Daphnidenform festgestellte Reaktionsweise nicht einmal für andere Arten derselben Familie, geschweige denn für alle Plankton- formen verallgemeinert werden kann. Mit einem Wort sei endlich Lo eb’s Kritik meiner Experimente mit Mysiden berührt. Wenn er glaubt, dass ich bei diesen Tieren eine vertikale Phototaxis deshalb nicht habe beobachten können, weil vielleicht die Mysiden überhaupt nur schwach phototaktisch seien, so muss ich demgegenüber betonen, dass sie vielmehr außer- ordentlich deutlich durch ein horizontales Lichtgefälle gerichtet werden, und zwar sind sie je nach ihrem Adaptationszustand bald positiv bald negativ phototaktisch. Aber auch dann, wenn sie, wie ich gezeigt habe, durch Adaptation an eine bestimmte Lichtintensität ihre Bewegungsfreiheit wiedererlangt haben, schwimmen sie zwar 5) In: Arch. ges. Physiol. Vol. 54 (1893), p. 81107. 6) Parker, G. H. (1901). The reactions of Copepods to various stimuli and the bearing of this on daily depth-migrations. In: Bull. U. S. Fish Comm., Vol. 21, p. 115. Bauer, Vertikalwanderung des Planktons und Phototaxis. S1 beliebig zur Lichtquelle hin oder von ihr weg, jedoch immer parallel zur Richtung horizontal einfallenden Lichts. Ebenso deutlich aber, wie ihnen eine bestimmte Bewegungsrichtung durch horizontalen Lichteinfall aufgezwungen wird, ebenso unabhängig sind sie bei der Vertikalbewegung. Diese besteht nämlich keineswegs darin, dass die Tiere bei Lichteinfall von oben senkrecht in die Tiefe tauchen, sondern statt wie normalerweise horizontal sind ihre Bewegungs- bahnen schwach nach unten geneigt. Sie sind dies auch dann — und das ist wohl ausschlaggebend —, wenn man sie, statt senk- recht von oben, von unten beleuchtet. Der Fluchtreflex in die Tiefe ist also keine Phototaxis, denn er wird zwar durch das Licht ausgelöst, die Richtung der Bewegung ist jedoch nicht von der Richtung des Lichtgefälles, sondern von einer andern richtenden Kraft, wahrscheinlich der Schwerkraft, abhängig. Ob sich dieses Verhalten der Mysiden für andere Plankton- formen verallgemeinern lässt, ist natürlich ohne spezielle Unter- suchung nicht zu sagen — am wenigsten halte ich es für „selbst- verständlich“ wie mir Loeb vorwirft. Ich möchte jedoch einige Angaben aus der Literatur zitieren, welche zeigen, wie wichtig auch bei Daphniden und Copepoden, die auch Loeb zweifellos zum Plankton rechnet, die Beachtung des Unterschiedes zwischen verti- kaler und horizontaler Beleuchtung ist. Rädl beschreibt bei einer nicht näher angegebenen Oladocerenart einen Fluchtreflex in die Tiefe, welcher bei intensiver Beleuchtung eintritt und nach seiner Ansicht „nicht als Phototropismus zu deuten“, sondern eine Reizerscheinung ist, „welche in ein anderes Gebiet gehört*”). Aber auch bei schwachem Licht, dem gegenüber die horizontal beleuchteten Tiere positiv phototaktisch sind (l. ce. p- 93, 94), ist ihr Verhalten bei vertikaler Beleuchtung abweichend: „Zwar schwimmen die von oben beleuchteten Cladoceren vorzugs- weise auf der Oberfläche, die von unten wieder am Boden, allein in diesen Ebenen in allen möglichen Richtungen“ (l. c. p. 92). Parker untersuchte die gerichteten Bewegungen des Cope- poden Labidocera aestiva Wheeler und beschreibt bei den Männ- chen einen Unterschied im Verhalten bei horizontaler und bei verti- kaler Beleuchtung: „Although it is generally not difficult to drive a male Labidocera by light back and forth horizontally through a jar, I found it almost impossible to drive them up or down through a thieckness of water equal to that through which they would move horizontally“ (l. e. p. 115). Es scheint hiernach bei den verschiedensten Formen nicht gleichgültig zu sein, ob man im Versuch die Verhältnisse im Freien 7) Rädl, E. (1903). Untersuchungen über den Phototropismus der Tiere. Leipzig, bei Engelmann, p. 93. XXIX. 6 89 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. nachzuahmen sucht, oder ob man die Tiere durch Beleuchtung von der Seite unter mehr oder weniger künstliche Bedingungen bringt. Natürlich schließt das nicht aus, dass es auch Formen gibt, bei denen ebenso vertikale Phototaxis wie horizontale vorkommt und dass event. sogar vertikale Phototaxis allein die tägliche Vertikal- wanderung bewirken kann. Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. Die zyklische Fortpflanzung der Pflanzenläuse. Von A. Mordwilko, Privatdozent a. d. Universität St. Petersburg. II. Die Migrationen der Pflanzenläuse. 3. Entstehung der gesetzmäßigen periodischen Migrationen bei den Pflanzenläusent). Einige Eigentümlichkeiten in der zyklischen Fortpflanzung der nicht migrierenden Läuse. Wir beabsichtigen in diesem Kapitel die Frage zu untersuchen, auf welche Weise bei vielen Pflanzenläusen die Erscheinung gesetz- mäßiger, in regelmäßigen Zeitperioden sich wiederholender Mi- grationen von den einen Pflanzen (den Hauptgewächsen, als welche nur holzartige auftreten) auf andere (die meist krautartigen Zwischen- gewächse) — worauf die Läuse nach einigen Generationen wieder auf die Hauptgewächse zurückkehren, wo ihr Generationszyklus denn auch zum’ Abschlusse kommt -- zur Ausbildung gelangen konnte. Zu Migrationen, wie auch überhaupt zum Herüberfliegen von der einen Pflanze auf eine andere, sind naturgemäß nur die mit Flügeln versehenen Individuen befähigt. Diese Eigenschaft besitzt unter den Pflanzenläusen nur ein Teil der parthenogenetischen Weibchen und nur bei einigen Arten der Unterfamilie der Aphidinae können auch die Männchen geflügelt sein (bisweilen bei gleichzeitigem Vorkommen ungeflügelter Männchen). Die geflügelten parthenogenetischen Weib- chen entwickeln sich aus noch indifferenten Larven dann, wenn die Ernährungsbedingungen auf der entsprechenden Nährpflanze ungünstiger werden. In solchen Fällen fliegen die geflügelten Weib- chen meist auf andere Gewächse der gleichen, oder einer anderen, ihnen passende Ernährungsbedingungen bietenden Art über. Sie beginnen auf den neuen Gewächsen zu saugen und setzen hierauf ihre Jungen resp. Eier (Phylloxerinae) ab. 1) Der dem nachstehenden Aufsatze zugrunde liegende Gedanke war von dem Verf. bereits im Jahre 1901 (Zur Biologie und Morphologie der Pflanzenläuse, russisch, T. 2, Hor. Soc. Entom. Ross., T. 33, pp. 999—1103 [992—996 des Sep.- Abdr.]) kurz ausgesprochen, aber nicht weiter entwickelt worden; dieses geschieht hier zum ersten Male. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 83 Zugunsten der Annahme, dass die geflügelten parthenogene- tischen Weibchen der Pflanzenläuse in der Tat nur bei Eintreten ungünstiger Ernährungsbedingungen zur Entwickelung gelangen, sprechen sowohl Beobachtungen über das Verhalten der Läuse ın der Natur, besonders auf krautartigen Gewächsen, dann aber auch einige direkte Versuche. Der erste Hinweis auf diesen Gegen- stand gebührt meines Wissens Macchiatı (1884). „Unsere erste Form“ (fondatrice Lichtenstein’s), sagt dieser Autor ?), „kann sich in mehreren Generationen wiederholen. Die zweite Form (&mi- grante nach Lichtenstein) tritt gewöhnlich dann auf, wenn die Pflanze, auf welcher die erste Form lebt, nicht mehr imstande ist, die nachfolgenden Generationen mit einer genügenden Menge der entsprechenden Nahrung zu versehen. Wir können sogar noch weiter gehen, indem wir mitteilen, dass es uns stets gelungen ist, nach unserem Wunsche Geflügelte bei allen Arten zu erziehen, welche wir beobachtet haben, und dies auf die einfache Weise, indem wir die Pflanze durch Wassermangel verwelken ließen. Es scheint, als ob die Läuse der ersten oder dritten Form), um die nachfolgenden Generationen sicher zu stellen, sodann Geflügelte der zweiten oder vierten Form hervorbringen, welche sich sofort auf eine andere Pflanze der gleichen oder einer anderen Art be- geben“ ?). Mit diesen Angaben von Macchiati stimmen auch einige meiner eigenen Versuche und Beobachtungen über das Verhalten der Pflanzen- läuse im Freien überein, ebenso auch die Beobachtungen anderer Autoren. Im Frühjahre 1895 erhielt ich in Warschau eine 'Tulpe in einem Blumentopf, auf welcher Pflanzenläuse der Gattung Siphono- phora Koch — sowohl ungeflügelte als auch geflügelte partheno- genetische Weibchen — saugten. Ich ließ die Pflanze mit den Läusen einige Zeitlang unter einer Glasglocke, ohne sie zu begießen. Teils infolge letzteren Umstandes, teils aber wegen der raschen Vermehrung der Läuse begann die Pflanze bald zu welken und zu vertrocknen. Dabei stellte sich heraus, dass zum Zeitpunkte des Ein- gehens der Pflanze nur noch geflügelte parthenogenetische Weibchen auf derselben saßen, welche dazu noch ım Vergleiche mit den an- fänglich auf der Tulpe lebenden Läusen von geringerer Größe waren. ' Ähnliche Erscheinungen habe ich öfters auch im Freien beobachten können. Auf den austrocknenden Zwischenpflanzen von Apkis evonymi Fabr., wie z. B. auf Rhoeum, Rumex u. a. m., entwickeln 2) Macchiati, L. A proposito della teoria del Chiarissimo Sig. J. Lichten- stein del titolo: „L’evoluzione biologica degli Aphidi in generale e della Fillossera in particolare.“ Bull. Soc. Ent. Ital. Anno 16, pp. 259—268. 3) Vgl. diese Zeitschr., . Bd. 27, 1907, p. 755, Anm. 17. Die erste und die dritte Form sind nach Lichtenstein ungeflügelt. 4) Macchiati, loc. cit., p. 267—268. 84 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. sich im Sommer vorzugsweise Nymphen und geflügelte Weibchen der Übersiedlerform (A. papaveris oder rumieis), wie ich dies z. B. in der zweiten Hälfte des Juni (a. St.) im Warschauer botanischen Garten beobachtet habe. Etwa um die gleiche Zeit stellte ich Ver- suche mit der Überführung von Läusen von Rhoeum auf die Triebe von Evonymus europaea an, welche in Flaschen mit Wasser ge- stellt und mit Glasglocken bedeckt wurden. Nach anderthalb bis zwei Wochen zeigten sich auf den im Verwelken begriffenen Trieben nur noch geflügelte Weibchen und Nymphen, welche überdies kleiner waren als die gleichzeitig mit den ungeflügelten Weibchen zum Zwecke des Versuches von Rhoeum genommenen geflügelten Weibchen. Auf noch saftigen Pflanzen der gleichen Art dagegen überwiegen zu derselben Zeit die ungeflügelten Weibchen an Zahl. An verschiedenen im Austrocknen begriffenen Gramineen kann man im Sommer ebenfalls vorwiegend geflügelte Weibchen und Nymphen von Aphis avenae (Übersiedlerform von 4. padi) antreffen. Mitte Juni (a. St.) 1898 setzte ich Triebe von Sambucus nigra mit unge- flügelten und geflügelten Weibchen von Aphis sambuei in ein Glas mit Wasser und bedeckte das Ganze mit einer Glasglocke. Im Ver- laufe der darauffolgenden Tage entwickelten sich vorzugsweise Nymphen und geflügelte Weibchen, besonders unterhalb der Blätter; nach einer Woche waren jedoch alle Läuse eingegangen, mit Aus- nahme zweier geflügelter Weibchen und zweier erwachsener Unge- flügelter. Lässt man einen Pflanzenstengel mit Läusen einige Tage hindurch in einem Glasröhrchen stehen, so werden sich unter diesen Bedingungen vorzugsweise geflügelte Weibchen der entsprechenden Arten entwickeln. Verschlechtern sich die Ernährungsbedingungen für die Pflanzen- läuse, so gelangen m gewissen Fällen neben geflügelten Weibchen auch ungeflügelte zur Entwickelung, wobei diese letzteren jedoch gewisse Merkmale der geflügelten zur Schau tragen, so z. B. in dem Bau der Augen und der Fühler, sowie in den hervortretenden Seiten des Mesothorax, wie ich dieses für Tetraneura caerulescens Pass. (eine Übersiedlerform von T. ulmi De Geer) beobachtet habe. Bei dieser Wurzellaus treten in solchen Fällen, außer den typischen ungeflügelten Weibchen mit 5gliedrigen Fühlern und 3facettierten Augen, auch noch ungeflügelte Weibchen auf mit 6gliedrigen Fühlern und Augen mit 3 besonderen und 6, 10°) oder zahlreicheren anderen gewöhnlichen Facetten‘). Bei Phylloxera quercus Boyer de Fonse. 5) Drei der Facetten bilden in den zusammengesetzten Augen einen nach hinten gerichteten Vorsprung; bei den Pemphiginae und den Phylloxerinae sind dies die ersten Larvenaugen; mit den Häutungen können zu diesen larvalen Facetten noch andere Facetten hinzutreten (und zwar in denjenigen Fällen, wo die erwachsenen Individuen aus vielen Facetten bestehende Augen besitzen). 6) Vgl. diese Zeitschr., Bd. 27, 1907, pp. 542—543, p. «81, Fig. 1.d. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 85 findet man neben geflügelten Sexuparae auch noch ungeflügelte, welche durch ihre wenig facettierten Augen und „jene Verstärkung des Mesothorax, welche durch die von den großen Vorderflügeln an diese Thoraxpartie gestellten Anforderungen bedingt ist, sich sonst ebenfalls nur bei Geflügelten findet“’), einigermaßen an Nymphen erinnern. Ähnliche Erscheinungen werden auch bei den Ohermesinen auf solchen Nadelhölzern beobachtet, welche den sogen. Zwischenpflanzen entsprechen, d. h. auf verschiedenen Arten von Larix, Abies und Pineus, so z. B. bei Ohermes-Dreyfusia picese Ratz., Nüssl. auf Abies pectinata, nordmanniana, nobilis u. a. m. Einige Aestivalis-Larven der zweiten Generation, welche nach der ersten Häutung begonnen hatten, sich zu geflügelten Sexuparen zu ent- wickeln oder nach der zweiten Häutung sogar Flügelscheidenstummel erhielten, ändern das Ziel ihrer Entwickelung, indem sie sich nun- mehr zu ungeflügelten parthenogenetischen Sommerweibchen, sogen. Aestivales (Börner) zu entwickeln beginnen. „So entstehen Aesti- valis-Mütter mit Nymphenaugen und Aestivalıs-Fühlern, mit oder ohne Flügelscheidenstummel.“ Nach C. Börner ist diese Erschei- nung dann zu beobachten, wann „bei viel Regen gleichzeitig die Temperatur niedrig bleibt und die Sonne nur selten durchdringt“ ®). Es erscheint sehr wahrscheinlich, dass die günstigen Ernährungs- bedingungen für die auf Abies lebenden Chermesinen im Frühjahre gerade mit diesen soeben geschilderten physikalischen Bedingungen zusammenfallen. Jedenfalls zeigen die Beobachtungen von Börner, dass sich auch bei den COhermesinen die noch nicht gehäuteten Aestivalis- Larven sowohl zu ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen, als auch zu geflügelten Sexuparen entwickeln können, wobei die Rich- tung, in welcher die Entwickelung erfolgt, durch die Einwirkung äußerer Faktoren auf den in der Entwickelung begriffenen Orga- nısmus bestimmt wird. Im Freien werden bisweilen erwachsene ungeflügelte Weibchen von Pflanzenläusen angetroffen, welche mit Flügelstummeln ver- sehen sind. So fand ich Ende Juli 1895 auf den Zweigen einer jungen Eiche unter ungeflügelten Weibchen, Nymphen und ge- flügelten Weibchen von Dryobius roboris L. (var. longirostris mıhi) ein großes (4!/, mm langes) ungeflügeltes parthenogenetisches Weibchen, welches dadurch auffiel, dass es rudımentäre Vorder- und Hinterflügel besaß, während die mit der Entwickelung der Flügel im Zusammenhange stehenden dorso-ventralen Muskeln und die dorsalen Längsmuskeln der Brust verkümmert oder sogar im 7) Dreyfus, L. Über Phylloxerinen. Wiesbaden 1889, p. 40. 8) Börner, ©. Eine monographische Studie über die Ohermiden. Arbeiten a. d. Kaiserl. Biolog. Anstalt für Land- und Forstwirtschaft, Bd. VI, Heft 2, 1908, pp- 145-—146. 86 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. Zustande der Zerstörung waren. Augenscheinlich war die Ent- wickelung des betreffenden Individuums anfänglich auf eine ge- flügelte Form angelegt, schlug jedoch schon nach der zweiten oder dritten Häutung den Weg zu einer ungeflügelten Form ein; den Anstoß zu diesem Umschlage konnten günstiger gewordene Er- nährungsbedingungen gegeben haben. In der Tat erreichte dieses Individuum die Dimensionen großer parthenogenetischer Weibchen (4—4!/,mm Länge), während zu gleicher Zeit gesammelte geflügelte Weibehen nur 3,10 mm, Nymphen dagegen 3,18 mm Länge aufwiesen. Fig. 1. Nyyk® = € DS STN e (ep) u SI S = Il: Ss III STÄS Ungeflügeltes parthenogenetisches Weibehen von Dryobius roboris L. (var. longi- rostris Mordw.) mit Flügelstummeln und normale Nymphe der gleichen Art; bei ein und derselben Vergrößerung gezeichnet. I—III — die drei thorakalen Segmente. Allein nieht alle Larven parthenogenetischer Weibehen ent- wickeln sich bei eintretender Verschlimmerung der Ernährungsbe- dingungen zu geflügelten Individuen. So ergeben vor allem die aus befruchteten Eiern ausgeschlüpften Fundatriceslarven, welche sich nicht selten auch in morphologischer Hinsicht von den Larven der parthenogenetischen Weibchen der nachfolgenden Generationen unterscheiden, ausschließlich ungeflügelte Fundatricesweibehen. Die einzige Ausnahme bildet vielleicht Drepanosiphum platanoides Schr., indem hier von den ersten Tagen des Frühjahres an ausschließlich geflügelte parthenogenetische Weibchen zur Ausbildung gelangen. Die unterscheidenden Merkmale der Fundatriceslarven bei den Pflanzenläusen sind von der Art, als hätten sich diese Larven im embryonalen Zustande und auch später bei sehr reichlicher Nahrung Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 87 entwickelt); so besitzen dieselben unter anderem kürzere Fühler und Beine und kürzere Dorsalröhrcehen (die sogen. „Saftröhrchen‘“), wo solche vorhanden sind, als die Larven der nachfolgenden Generationen !P). Allein in denjenigen Fällen, wo die latenten Eier von geschlechtlichen Weibchen abgelegt werden, die weder einen Rüssel noch sogar einen Darmkanal besitzen, enthalten die Eier offenbar weniger Reservenährstoffe, als für die Entwickelung der geschlechtlichen Weibchen verwendet worden waren. Hieraus wird man, unter Berücksichtigung meines Gesichtspunktes betreffend die Entwickelungsbedingungen der Parthenogenese, schließen müssen, dass bei der Befruchtung der latenten Eier zugleich mit den Sper- matozoen auch ein starkes Stimulum ın das Ei verpflanzt wird, welches bei der Entwickelung die Stelle der Erregung durch reich- liche Ernährung vertritt. Was nun die Bedingungen der weiteren Entwickelung betrifft, so entwickeln sich die Larven der Funda- trices in der Tat unter den allergünstigsten Bedingungen der Er- nährung, und zwar auf jungen Blättchen, jungen Trieben u. s. w. Eine bemerkenswerte Eigentümlichkeit weisen die Öhermesinen von den Nadelhölzern auf, welche den sogen. Zwischenpflanzen entsprechen, d. h. von Larix, Abies, Pinus. Bekanntlich über- wintern auf diesen Bäumen die noch nicht gehäuteten Chermesinen- larven und die aus diesen hervorgegangenen ungeflügelten parthe- nogenetischen Weibchen unterscheiden sich auch in morphologischer Hinsicht von den Larven und Imagines der nachfolgenden: Gene- ratıonen. Aus diesem Grunde führen die überwinternden Larven und die aus ihnen hervorgehenden ungeflügelten Weibchen einen be- sonderen Namen: Hiemales (Börner) oder Fundatrices spuriae (Cholodkovsky). Die Larven und die erwachsenen ungeflügelten Weibchen der folgenden Generationen dagegen werden Aestivales (Börner) oder Exules (Cholodkovsky) genannt. Es ist von Interesse, dass aus den Eiern ein und derselben erwachsenen Hiemalis oder Aestivalis-Weibchen, wie dies zuerst von Börner nachgewiesen worden ist, sowohl Hiemalıs- als auch Aestivalis-Larven zur Entwickelung gelangen können, wobei erstere bis zum nächsten Frühjahre unverändert bleiben. Bei Pineus pini, strobi und sibirieus sind die noch nicht gehäuteten Larven jedoch noch nicht als Hiemalis- und Aestivalis-Larven unterschieden!'), Die Bedingungen für die Bildung von Hiemalis- und Aestivalis-Eiern sind uns einst- 9) Vgl. diese Zeitschr. Bd. 27, 1907, p. 529—550, 561-575. 10) Vgl. Mordwilko, A. Zur Biologie und Morphologie der Pflanzenläuse. T. 1 (Russisch), Hor. Soc. Entom. Ross. Bd. 31, pp. 276—278 (Aphis padı), pp- 285— 287 (Schizoneura corni). 11) Börner, ©. Eine monographische Studie über die Chermiden. Arbeiten ete. 1908, pp. 124—194. — Vgl. auch Nüsslin, O. Zur Biologie der Ohermes piceae Ratz. Verhandl. d. deutsch. Zool. Gesellschaft. 1908, pp. 205. 8S Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. weilen noch nicht bekannt. Erwachsene Sexuparen können sich nur aus den ersten Aestivalis-Larven entwickeln, also in der zweiten Generation, wenn man die Hiemalis-Generation als erste ansieht. Ferner entwickeln sich auf gewissen Holzgewächsen im Sommer, trotz der für die Pflanzenläuse ungünstigen Bedingungen der Er- nährung, ausschließlich ungeflügelte parthenogenetische Weibchen, wenn auch von geringer Größe und etwas abweichender Färbung. Hierher gehören unter anderem Rhopalosiphum berberidis Kalt, Phyllaphis fagi L., Chaitophorus Iyropietus Kessl., Schixoneura lanigera Hausm., Loewia (Schixoneura) passerini Signoret.a. a. m. Augenscheinlich kommt wohl in diesen Fällen wie der verhältnis- mäßıg hohen Sommertemperatur so auch den spezifischen Eigen- tümlichkeiten der betreffenden Pflanzenläuse eine ausschlaggebende Rolle zu. Man wird wohl annehmen müssen, dass die hohe Temperatur, als Erreger während der Entwickelung, in der gleichen Weise wirken kann, wie reichliche Ernährung, d. h., dass sie eine stärkere Entwickelung der Fortpflanzungsorgane auf Kosten der Fortbewegungs- und Sinnesorgane bewirken kann!?). Allein die für erhöhte Lebenstätigkeit nicht genügende mangelhafte Ernährung macht sich dabei in der geringen Größe der ungeflügelten, parthe- nogenetischen Sommerweibchen der genannten Arten geltend. Es ist daher sehr wohl möglich, dass bei diesen Pflanzenläusen, der Anstoß zu der Entwickelung geflügelter Weibchen nicht nur in den schlechten Ernährungsbedingungen, sondern auch noch in der etwas herabgesetzten Temperatur zu suchen ist. An den Wurzeln von Tusstlago farfara erfolgt ım Sommer die Fortpflanzung von Aphis farfarae Koch (piri Koch). Allein an solchen Stellen, welche der Sonne ausgesetzt sind, entwickeln sich vorzugsweise ungeflügelte parthenogenetische Weibchen, am Wasser und an schattigen Stellen dagegen gelangen neben diesen auch noch geflügelte Weibchen zur Entwickelung. Nüsslin vermutet ebenfalls, dass durch die herabgesetzte Temperatur die Entwickelung von geflügelten Sexuparen bei Holx- neria (d. 1. Prociphilus Koch) poschingeri Holzn.'?) begünstigt wird. Allein bei dem dahingehenden Versuche von Nüsslin war gleich- zeitig auch noch eine andere Bedingung geliefert, und zwar eine ungenügende Ernährung, indem seine Pflanzenläuse längere Zeit hindurch (über einen Monat) im Eisschrank (bei einer Temperatur von 9° C.) gehalten wurden, und zwar natürlich auf einem abge- schnittenen Wurzelteil der Weißtanne!®). 12) Vgl. Mordwilko, Die zyklische Fortpflanzung der Pflanzenläuse. I. Heterogonie ete. Biol. Centralbl. Bd. 27, 1907, pp. 529—550, 561—575. 13) Prociphilus poschingeri Holzner ist eine Übersiedlerform von Pr. bumeliae Schr. (Mordwilko, Tullgren?). 14) Nüsslin, ©. Die Tannenwurzellaus. Allg. Forst- und Jagdzeitung- Dezemberheft 1899, pp. 6—17. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 9 Vergleichen wir jedoch die soeben erwähnten Pflanzenlausarten mit anderen Arten, und zwar namentlich mit solchen, welche Kräuter bewohnen, aber auch mit gewissen Arten von den holzartigen Ge- wächsen, bei denen gleichzeitig auch geflügelte Weibchen zur Ent- wickelung gelangen, so werden wir zu dem Schlusse kommen müssen, dass verschiedene Arten von Pflanzenläusen in etwas ab- weichender Weise auf ähnliche äußere Bedingungen reagieren, worin denn auch ihre spezifischen Eigentümlichkeiten zum Ausdrucke ge- langen. So neige ich z. B. der Ansicht zu, dass die unbedeutende Größe der ungeflügelten Sommerweibehen von Rhopalosiphum berberidis, Noch nicht gehäutete Larven der dritten Generation von Chaitophorus testudinatus Thornton von oben gesehen. Körperlänge 0,73 mm. a = ein Teil der Stirne und das erste Glied der (viergliedrigen) Fühler der rechten Körperhälfte. bu.c— Teile der mittleren und hinteren Beine. Aus der Zeichnung ist zu ersehen, dass die plättchenförmigen Anhänge am Rande des Körpers modifizierte Haare sind. Die Ränder des Körpers sind mit differenzierten Härchen besetzt (Befestigungsweise wie bei den Haaren; an den Hinterbeinen sind die Schüppchen durch Haare er- setzt). Offenbar wird durch die Schuppen ein innigeres Anschmiegen an die darunter- liegende Blattoberfläche ermöglicht. Phyllaphis fagi und einiger anderer Arten im Vereine mit deren Gewohnheit, vereinzelt und nicht haufenweise unter den Blättern der entsprechenden Pflanzen zu leben, als eine Anpassung zum Er- tragen der im Sommer ungünstigen Existenzbedingungen aufzufassen ist, indem eine geringe Körpergröße namentlich bei vereinzelter Lebensweise wohl geeignet ist, die Pflanzenläuse vor den Angriffen der räuberischen Insekten und Schlupfwespen zu schützen. Und zwar ist eine derartige sich anpassende Eigenschaft bei den noch nicht gehäuteten Larven der dritten Generation von Chaitophorus aceris Koch und Ch. testudinatus Thornton am deutlichsten ausge- sprochen, indem diese Larven fast während der ganzen 3 Sommer- monate unverändert auf und unter den Blättern einiger Ahorn- 90 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. arten verbleiben (Ch. aceris nur unter den Blättern, wo sie in kleinen Häufchen sitzen). Auf Grund meiner Beobachtungen werden diese Larven weder durch räuberische Insekten noch durch Schlupf- wespen beunruhigt, weshalb sie fast sämtlich bis gegen das Ende des Sommers erhalten bleiben, wo die Ernährungsbedingungen für diese Pflanzenläuse besser zu werden beginnen. In dem Kapitel „Uber die Heterogonie im allgemeinen und bei den Pflanzenläusen im speziellen“!°) wurde bereits darauf hin- gewiesen, dass in jedem, aus einer Aufeinanderfolge partheno- genetischer und einer zweigeschlechtigen Generation bestehenden Generationszyklus irgendwelcher Tiere, diese letztere (d. h. die zweigeschlechtige Generation) bei dem Eintreten einer Verschlech- terung der Ernährungsbedingungen zur Entwickelung gelangt. Woher kommt es nun, dass auf Holzgewächsen zum Ende des Früh- jahrs, wenn auf diesen die Existenzbedingungen für die Läuse un- günstiger werden, oder im Sommer auf vertrocknenden oder früh absterbenden krautartigen Gewächsen, keine geschlechtlichen Indi- viduen zur Entwickelung gelangen, sondern nur geflügelte parthe- nogenetische Weibchen, und dazu nicht einmal Sexuparae !%), sondern solche, welche wiederum Larven von parthenogenetischen Weibchen zur Welt bringen? Und warum entwickeln sich bei den Pflanzen- läusen, unter übereinstimmenden Lebensbedingungen gegen Ende des Sommers.und am Anfang des Herbstes, geflügelte oder unge- flügelte Sexuparae und geschlechtliche Individuen? In diesem Falle haben wir außer der Ernährung auch noch einen anderen Faktor, und zwar die Temperatur in Betracht zu ziehen. Und zwar werden wir annehmen müssen, dass die ver- hältnısmäßig hohe Temperatur in gleicher Weise auf den in der Entwickelung begriffenen Organismus der Pflanzenläuse wirkt, wie eine reichliche Ernährung, d.h. als ein starkes Stimulum, welches die Fortpflanzung überhaupt beschleunigend, gleichzeitig die Ent- wickelung der Fortpflanzungsorgane und namentlich der Genital- anlagen begünstigt und zwar zuungunsten verschiedener anderer Organsystemie und namentlich der Fortbewegungs- und Sinnesorgane. Mit einem Worte, die hohe Temperatur kann selbst bei ungenügen- der Ernährung solche Erscheinungen in der Entwickelung der Pflanzenläuse hervorrufen, welche zur Hervorbringung partheno- genetischer Weibchen führen. Bei herabgesetzter Temperatur tritt umgekehrt die Art der Ernährung in ihre Rechte, wobei eine reich- liche Ernährung zur Entwickelung parthenogenetischer Weibchen, eine ungenügende Ernährung dagegen zur Entwickelung von Sexu- parae (wenn diese sich von den gewöhnlichen parthenogenetischen 15) Diese Zeitschr., Bd. 27, 1907, p. 529, 561. 16) Eine Ausnahme bildete nur die Chermes-Arten auf deren Zwischen- gewächsen (Nadelhölzer), Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Planzenläuse, Aphididae Passerini. 91 Weibchen unterscheiden) und darauf von geschlechtlichen Individuen führt. Es lässt sich voraussetzen, dass man die gewöhnlichen geflügelten Sexuparae verschiedener Arten von Pflanzenläusen, wie 2. B. von Siphonophora rosae L., Aphis mali Fabr. u. a. m. im Herbste veranlassen kann, statt Larven von geschlechtlichen Weib- chen, solche von parthenogenetischen Weibehen abzulegen, wenn man nur für eine künstliche Erhöhung der Temperatur Sorge trägt, indem man zum Beispiel die Pflanzen mit den Läusen in ein Warm- haus verbringt. Einen Sommer hindurch hielt ich in Warschau verschiedene Gramineen, auf deren Wurzeln Kolonien von Tetra- neura caerulescens Pass. saßen, in Kristallisationsschalen auf den nach Süden gelegenen Fenstern. Obgleich die Pflanzen anfingen zu vertrocknen, entwickelten sich auf ihnen dennoch keine Nymphen und geflügelte Sexuparae, sondern es traten auf ihnen ununter- brochen nur ungeflügelte parthenogenetische Weibchen auf. Im Freien dagegen ruft das frühzeitige Absterben der Pflanzen bei der gleichen Art von Pflanzenläusen eine vorwiegende Entwickelung von geflügelten Sexuparae hervor (wohl infolge der niedrigeren Tem- peratur der Erde unterhalb der Grasnarbe). Von demselben Gesichtspunkte aus betrachtet können die Be- obachtungen und Versuche mit der Wurzelform der Reblaus von C. Keller und ©. Morgan mit denjenigen von P.Boiteau verglichen werden. Und zwar zeigen die Versuche von Keller und Morgan, dass die geflügelten Sexuparae von Phylloxera vastatrix bei unge- nügender Ernährung zur Entwickelung gelangen, doch wurde bei den Versuchen von Keller die Zimmertemperatur möglichst her- abgesetzt. Bis zum 23. Juli erfolgte bei den Versuchen von Keller nichts Außergewöhnliches: es gelangten noch keine Nymphen zur Entwickelung. Da indessen die Bündel von Rebenwurzeln auszu- trocknen begannen, so krochen die Rebläuse zum größten Teile auseinander und liefen an den Wandungen des Gefäßes herum. Am 27. Juli waren keine Läuse zu bemerken, allein am 1. August zeigte sich ein aus vielen Individuen bestehender Schwarm von geflügelten Sexuparae, worauf am 2., 3. und 6. August die übrigen Teile dieser Generation nachfolgten. Keller spricht sich über diese Erscheinung in folgender Weise aus: „Anstatt infolge von Nahrungsmangel unterzugehen, hatten sich die noch nicht aus- gewachsenen Blattläuse in Geflügelte verwandelt — ein Beweis für die große Anpassungsfähigkeit des Tieres.“ „Nahrungsentzug bedingt ein Aufhören der Parthenogenese“ !”.,. Aus den noch früher ange- stellten Versuchen von Morgan geht ebenfalls hervor, dass eine ungenügende Ernährung die Entwickelung von geflügelten Sexu- 17) Keller, ©. Die Wirkung des Nahrungsentzuges auf Phylloxera vastatrix. Zool. Anz. 1887, Nr. 264, pp 583—588. 99 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. parae begünstigt, eine reichliche Ernährung dagegen — dieselbe aufhält. Der früheste Termin, an welchem Morgan geflügelte Exemplare aufzog, war der 9. Juli (n. St.)!°). Boiteau hingegen, welcher im Verlaufe von beinahe sechs Jahren eine Reihe aufein- anderfolgender parthenogenetischer Generationen (1. g. 24 oder 26) in Glasröhrchen aufzog, erhielt erst ım zweiten Versuchsjahre Nymphen und geflügelte Sexuparae!®?). Aus den Angaben von Boiteau geht jedoch nicht hervor, bei welcher Temperatur er seine Läuse gehalten hat. Außerdem hatte dieser Autor für eine jede neue Generation wahrscheinlich auch neue Wurzeln genommen, so dass die Läuse bei günstigen Ernährungsbedingungen erzogen werden konnten. Wenn nun aber bei einigen Arten von Pflanzenläusen im Ver- laufe des Sommers vorwiegend und selbst ausschließlich ungeflügelte parthenogenetische Weibchen zur Entwickelung gelangen und vor- handen sind, so gibt es andererseits Arten von Pflanzenläusen, bei welchen im Sommer nur geflügelte parthenogenetische Weibchen vorkommen. Hierher gehören namentlich die Arten aus der Gruppe der Gallipterina: Callöpteroides betulae Koch, tuberculatus (Callip- terus) querceus Kalt., Pterocallis tiliae L. u. a., während bei Drepa- nosiphum platanoides Schr. sogar die Fundatrices geflügelt sind. Auf eine Verschlimmerung der Ernährungsbedingungen im Sommer reagieren solche Pflanzenläuse nur durch eine Herabsetzung der Reproduktionsfähigkeit, womit bisweilen gewisse Eigentümlichkeiten des äußeren Baues verbunden sind, wie dies z. B. bei Drepano- siphum platanoides der Fall ist. Die oben erwähnte Erscheinung (d.h. die ausschließliche Entwickelung von geflügelten parthenogenetischen Weibchen im Sommer) werden wir auch als eine Anpassung an das Ertragen ungünstiger Existenzbedingungen des Sommers auf- fassen müssen. Wenigstens sind die geflügelten Sommerweibchen mit ihrem verhältnismäßig leichten Fluge den Angriffen räuberischer Insekten wenig ausgesetzt, so dass sie die ungünstige Periode des Sommers verhältnismäßig gut überstehen. Mögen sich nun im Sommer nur ungeflügelte parthenogene- tische Weibehen entwickeln, oder neben diesen auch noch geflügelte, so treten doch stets bei allen Pflanzenläusen zum Ende des Früh- jahres und am Anfange des Sommers geflügelte Weibchen auf, welche dann von einer Pflanze auf eine andere überfliegen können. Ein solches Auftreten von geflügelten Weibchen haben wir schon 18) Morgan, €. F. Notes on experiments made with the winged form of Phylloxera vastatrix vadieicole. Trans. Ent. Soc. London, Proc. 1885, pp. 27—32. 19) Boiteau, P. Eine ganze Reihe von Aufsätzen in den Compt. rend. Acad. Sciences Paris: T. 83, 1876, pp 430—432; T.93, 1881, pp- 943—946; T. 105, 1887, pp. 157 u. ff.; T. 94, 1882, pp. 1453 u. ff.; T. 95, 1882, pp. 1200 u. ff.; T. 97, 1883, pp. 1180 u.ff.; T. 105, 1885, pp. 31 u. ff.; T. 105, 1887, pp. 157 u. ff. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 93 für Rhopalosiphun: berberidis Kalt., Chaitophorus Iyropietus Kessl., Phyllaphis fagi L. kennen gelernt. Ähnlich verhalten sich auch noch mehrere andere Arten von Pflanzenläusen, bei welchen im Sommer ebenfalls ausschließlich oder doch wenigstens in über- wiegender Mehrzahl ungeflügelte parthenogenetische Weibchen zur Entwickelung gelangen. So entwickeln sich z. B. bei dem an Kiefernnadeln saugenden Schixolachnus agilis Kalt. während des gesamten Sommers ausschließlich ungeflügelte Weibchen, allein Ende Mai (a. St.)(1895) fand ich auf den Nadeln von Pinus abchasia im Warschauer botanischen Garten außer Larven dieser Art fast nur noch Nymphen und geflügelte Weibchen. Genau ebenso ent- wickeln sich bei Lachnus nudus De Geer geflügelte Weibchen in großer Anzahl in der ersten Hälfte des Juni, wo sie neue Kolonien von Läusen auf jungen Kiefernstämmchen gründen; allein später- hin entwickeln sich bei dieser Art während des ganzen Sommers nur noch ungeflügelte parthenogenetische Weibchen, welche schließ- lich die geschlechtlichen Individuen hervorbringen. Bei der unter den Blättern von @uercus pedumculata u. a. Eichen saugenden Phyjl- loxera quercus Boyer deF. treten die ersten geflügelten Sexuparae Ende Juni, die zweiten — im August auf ?®). Soviel mir bekannt ist, sind bis jetzt bei Schöxoneura lanigera Hamm. noch von niemandem gegen Ende des Frühjahres geflügelte parthenogenetische Weibchen beobachtet worden, obgleich Fr. Löw angibt, dass nach Lichtenstein auch bei dieser Art eine geflügelte Frühjahrsgeneration auftreten soll?!). Eine sicher festgestellte Aus- nahme von der allgemeinen Regel bildet einstweilen Pemphigus spirothecae Pass., bei welchem die beiden ersten Generationen aus sich äußerst langsam entwickelnden ungeflügelten parthenogene- tischen Weibchen (diejenigen der ersten sind Fundatrices), die dritte — aus geflügelten Sexuparae besteht, welche im September bis November auftreten. Die Reihe parthenogenetischer Generationen schließt gewöhnlich Ende Sommer oder im Herbste mit der Entwickelung von Sexuparae, einer zweigeschlechtigen Generation und überwinderten Eiern. Bei allen Pemphiginae und Phylloxerinae treten die Sexuparae nur in Gestalt geflügelter Weibchen auf, doch besitzt Phylloxera quereus ‚außer geflügelten auch noch ungeflügelte Sexuparae (Dreifus, Bal- biani), ebenso auch Mindarus abietinus Koch und obliquus Chol. auf den Trieben von Picea alba (nach Nüsslin und Cholodkovsky). Bei Phylloxera caryae-venae Fitch. sind die Sexuparen nach Pergande 20) Dreyfus, L. Neue Beobachtungen bei den Gattungen Chermes L. und Phylioxera Boyer de F. Zool. Anz. 1889, Nr. 299 u. 300, p. 92. 21) Löw, Fr. Über das Vorkommen der Bluttlaus (Schizoneura lanigera Hausm.) in der Umgebung von Wien. Verhandl. zool.-botan. Gesellsch. Wien, Bd. 35, Sitz.-Ber. p. 25. 94 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. sogar normaliter ungeflügelt??). Was dagegen die Aphidinae anbe- trifft, so sehen wir hier eine große Mannigfaltigkeit je nach der Spezies. So sind die Sexuparae bei einigen Arten geflügelt und ungeflügelt (Siphonophora rosae L., S. pelargonii Kalt., Myzus cerasi Fabr., Aphis mali Fabr., A. brassicae L., Chaitophorus leucomelas Koch u. a. m.). Bei anderen Arten dagegen sind die Sexuparae entweder ausschließlich ungeflügelt (Myzus absinthüi L., Chaitophorus aceris Koch, Lachnus nudus De Geer u.a.), oder aber nur ge- flügelt (so z. B. bei allen Arten, wo sich auch im Sommer. nur geflügelte parthenogenetische Weibchen entwickeln, ferner bei Lachnus pinihabitans Mordw., L. juniperinus Mordw., P. spiro- thecae, Loewia passerini, Schixoneura lanigera u. a.). Die geflügelten Sexuparae (wie auch die nicht sexuparen geflügelten Weibchen, welche in der zweiten oder dritten Generation gegen Ende des Frühjahres und Anfang Sommers zur Entwickelung gelangen) können auf andere Pflanzen der gleichen oder einer nahestehenden Art herüberfliegen (was sie meistens auch tun), wo sie einer zwei- geschlechtigen Generation oder nur geschlechtlichen Weibchen (so z. B. bei Siphonophora rosae L., Aphis mali Fabr., Aphis viburni Scop., Myxus cerasi Fabr. und anderen Arten) den Ursprung geben und verhalten sich überhaupt wie die Sexuparae migrierender Arten; dieses Verhalten, bei gleichzeitiger Abnahme dieser Arten auf den gleichen Gewächsen im Sommer (und namentlich auf alten Gewächsen), hat denn auch Lichtenstein und Kessler offenbar veranlasst, diese Arten als migrierend anzusehen. Bei Schixoneura lanigera Hausm. hört die Fortpflanzung auf dem Stamme der Apfelbäume Mitte Sommers auf, oder wırd doch wenigstens ganz herabgesetzt, während sie auf den Trieben und Wurzeln noch andauert. Im September und Oktober dagegen er- streckt sich die Vermehrung der Läuse wiederum auch auf den Stamm. Um diese Zeit gelangen auch geflügelte Sexuparae zur Entwickelung, welche sich meist auf der Unterseite der Blätter des Apfelbaumes niederlassen. Zu gesetzmäßigen periodischen Migrationen von den einen Pflanzen auf andere gehen einzelne Arten aus verschiedenen Gruppen und selbst Gattungen über. Dieser Umstand weist darauf hın, dass die Erscheinung der Migrationen sich unabhängig von der Abstammung irgendeiner Form der Pflanzen- läuse herausgebildet hat, dagegen in Abhängigkeit von dem Vorhandensein gewisser passender Existenzbedin- 22) Pergande, Theo. North American Phylloxerinae affecting Hicoria (Carya) and other Trees. Proceedings of the Davenport Academy of Sciences, Vol. IX, 1904. Davenport, Jowa, pp. 185ff., pp. 239—243. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 95 gungen. Eine solche Existenzbedingung, und dazu noch die hauptsächlichste, haben wir zweifellos in der Poly- phagie einzelner Pflanzenlausarten zu erblicken, nament- lich, wenn sich dieselbe auf sehr verschiedene Pflanzen erstreckt, wie z. B. auf holzartige Gewächse einerseits nnd krautartige andererseits. Alle jetzt migrierenden Pflanzen- läuse wenigstens sind sicher polyphage Arten, und sind es auch, wie man wohl annehmen muss, von allem Anfange an gewesen. Es sind jedoch in bezug auf die Entstehung der Migrationen bei den Pflanzenläusen Hypothesen aufgestellt worden, welche auf der Annahme einer ursprünglichen Monophagie der jetzt migrieren- den Pflanzenlausarten aufgebaut sind, weshalb ich es für notwendig erachte, ausführlicher auf diese Frage einzugehen. Der erste Autor, der sich über den Ursprung der Migra- tionen bei den Pflanzenläusen ausgesprochen hat, war Fr. Bloch- mann, welcher jedoch nicht auf eine spezielle Besprechung dieser Frage eingegangen ist. Er sagt folgendes: „Ich schlage vor, ‚ur- sprüngliche‘ oder ‚Hauptnährpflanzen‘ (definitiver Wirt) bei allen wandernden Aphiden diejenige Pflanze zu nennen, auf welcher die Geschlechtsgeneration lebt und das befruchtete Ei ablegt, ‚Zwischen- pflanze‘ (Zwischenwirt) dagegen diejenige, auf welcher die betreffende Blattlausart nur in parthenogenetisch sich fortpflanzenden Gene- rationen vorkommt ??).* Der gleichen Auffassung haben sich später auch N. Cholod- kovsky und O. Nüsslin angeschlossen. Cholodkovsky wirft nachstehende Fragen auf: „Wie kam diese merkwürdige Erscheinung zustande und ist der periodische Wechsel der Nahrungspflanzen ursprünglicher als eine exquisite Monophagie oder umgekehrt? Welche Koniferen-Arten sind für ursprüngliche Chernes-Nahrungspflanzen zu halten, — ob die Arten des Genus Picea Lk. oder aber der Genera Pineus L., Larix Lk., Abies Lk.?“ Nachstehende Erscheinungen sind nach Cholodkovsky von ausschlaggebender Bedeutung: „1. das Zurückkehren der Sexu- paren, zum Erzeugen der Sexuales, immer auf die Fichte, 2. die Entstehung der gallenbildenden Fundatrix aus dem befruchteten Eie, welches stets auf der Fichte abgelegt wird, 3. das Ausfallen der Geschlechtsgeneration (vom obenerwähnten zweifelhaften Falle von Dreyfus abgesehen) auf Zwischenpflanzen, 4. das Vorhanden- sein ausschließlich auf der Fichte lebender, nicht emigrierender Chermes-Rassen **).“ „Ich glaube also“, fährt Cholodkovsky fort, 23) Bloehmann, Fr. Über die regelmäßigen Wanderungen der Blattläuse. Biol. Centralbl. IX, Bd. 1888-90, p. 272. 24) Derartige nicht migrierende und sich ausschließlich auf parthenogenetischem Wege auf der Fichte fortpflanzenden Rassen oder Arten, gibt es indessen, wie dies von C. Börner nachgewiesen wurde, in Wirklichkeit nicht. Börner sagt, „dass 96 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. „dass die Vorfahren unserer Chermes ursprünglich ausschließlich auf Picea-Arten und zwar einfach auf der Rinde lebten, und hier, wie viele andere Aphiden, am Ende Sommers zu ihrer Geschlechts- generation gelangten. Erst nachträglich ist die mit einer Wande- rung verbundene Komplikation eingetreten und hat den 1jährigen Zyklus in einen 2jährigen verwandelt. Die auf Fichten erzeugten Geflügelten konnten nämlich durch Wind oder anderswie auf fremde Koniferen-Arten übertragen werden, wo sie ihre Eier ablegten, wie dies auch heute zufälligerweise mit verschiedenen Blattläusen geschieht. Die von ihnen im folgenden Frühling erzeugten und infolge der ungewohnten Nahrung kleiner gewordenen Sexuparen konnten ebenso vom Winde wieder auf Fichten übertragen werden, wo sie zur Geschlechtsgeneration führten. So entstand ein 2jähriger Zyklus, welcher also seine Existenz der Mischung der Wälder ver- danken mag“ ?°). In ähnlicher Weise hat sich auch O. Nüsslin ausgesprochen. Die Fichte oder Rottanne war die ursprüngliche Nährpflanze der Chermes-Arten, auf welcher. sich der gesamte Generationszyklus ab- spielte. Sodann geht aber folgendes vor sich. Die geflügelten parthenogenetischen Weibchen können zufällig auf andere Koniferen überfliegen und dort eine ungeflügelte parthenogenetische Generation hervorbringen. „Wenn deren nächsten Nachkommen Sexuales sind, so wird die Wanderung für die Spezies ohne Ergebnis bleiben, da ein Gedeihen der Sexuales oder der nächstjährigen Fundatrix auf der fremden Wirtspflanze einmal unwahrscheinlich und jeden- falls für die Entstehung eines pentamorphen Zyklus wertlos ge- wesen wäre. — Nehmen wir dagegen an, die Nachkommen der ungeflügelten Generation auf der neuen Wirtspflanze seien Geflügelte geworden, so werden diese später bei der eintretenden Wanderung, ihrem ererbten Geruchsinstinkte folgend, zur Tanne zurückfliegen, und dort würden sie, wenn es normale Geflügelte, d.h. Sexuparae sind, das Winterei ablegen und den Zyklus aufs neue eröffnen?®).“ (Fortsetzung folgt.) ich die ‚Parallelreihen von Dreyfus‘ im weitesten Sinne habe bestätigen können, dass es biologische Arten im Sinne Cholodkovsky’s nach den bis jetzt gesammelten Erfahrungen unter den Chermiden nicht gibt.“ Vgl. Börner, C. Systematik und Biologie der Chermiden. Zool. Anz., Bd. 32, 1907, p. 413 ff. — Eine monographische Studie über die Chermiden. Arb. a. d. K. Biol. Anst. f. Land- u. Forstwirtsch., Bd. VI, Heft 2, 1908, pp. 81—320. — Über Chermesiden. Zool. Anz., Bd. 33, 1908, pp. 612—614. — Vgl. auch Mordwilko, Biol. Centralbl., Bd. 27, 1907, pp. 761—764. 25) Cholodkovsky, N. Beiträge zu einer Monographie der Koniferenläuse. Horae Soc. Entom. Rossicae, T. 30, 1895, pp- 49—51. 36) Nüsslin, ©. Zur Biologie der Gattung Chermes. Biol. Centralbl., Bd. 28, 1908, p. 333 ff. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblalt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 15. Februar 1909. A 4, Inhalt: Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. — Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. — Holmgren, Zur Frage der Inzueht bei Termiten. Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. | Die zyklische Fortpflanzung der Pflanzenläuse. Von A. Mordwilko, Privatdozent a. d. Universität St. Petersburg. (Fortetzung.) ©. Börner hat eine diametral entgegengesetzte Auffassung ausgesprochen. Nach diesem Autor sind als die ursprünglichen Nährpflanzen der migrierenden Chermes-Arten wie auch anderer Pflanzenläuse nicht die Hauptpflanzen, sondern die Zwischenpflanzen anzusehen. Allein bereits der gemeinsame Ahne der jetzt lebenden Ohermes-Arten flog auf die Rottanne über, um hier Gallen hervorzu- bringen; und „weil der Urahne der ganzen Sippe die Wanderung der Sexuparen auf eine Picea, die Einschaltung der Rottanne ın den diözischen Chermes-Zyklus, zum Gesetz fixiert hatte“, so blieb dieses Merkmal auch bei allen später von ihr hervorgegangenen Arten erhalten. An einer anderen Stelle sagt Börner, dass „die Diözie innerhalb der Uhermesinen nur ein einzigesmal erworben ist“ und dass wir „aus diesem Grunde auch nur eine Gallenpflanze für die Chermesinen kennen, die von allen Arten gleicherweise auf- gesucht wird“. Es folgt hieraus, dass „bei diözischen Blattläusen diejenige Pflanze der Stammwirt ist, auf dem die Sexuparen sich entwickeln, der Zwischenwirt jene andere, auf der die Sexuparen die Sexuales erzeugen und diese sich fortpflanzen“. Die haupt- XXIX. 7 98 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. sächlichste Begründung für seine Hypothese erblickte Börner ım dem Umstande, dass die Spaltung der ursprünglichen Chermes-Form in Arten angeblich nur in bezug auf verschiedene, nicht aber auf eine Nährpflanze (z. B. die Fichte) vor sich gehen konnte ?”); eine weitere Begründung sollte darin liegen, dass die parthenogenetischen Generationen einiger Chermes-Arten auf den sogen. Zwischenpflanzen (verschiedene Koniferen mit Ausnahme der Rottanne) den Aus- gangspunkt für die Sexuales abgeben, obgleich bis jetzt noch keine ihnen entsprechenden Fundatrices und Gallen auf der Fichte ge- funden worden sınd (Pineus pini Koch, strobi Htg., Dreyfusia piceae Ratz., Nüssl.), während bei den auf die Fichte beschränkten monözischen Zyklen der Formen Ch. abietis Cholodk. und Cnapha- lodes lapponicus Cholodk. niemals weder Sexuparae noch Sexuales auftreten ?°). Allein beide Hypothesen beruhen auf falschen Voraussetzungen, was sofort klar zutage treten wird, sobald wir uns der Frage über die Bildung neuer Arten bei den Pflanzenläusen zuwenden. Verhältnismäßig selten entstehen neue Arten von Lebewesen dadurch, dass sich für irgendeine Art, unabhängig von derselben, aus irgendwelchem Grunde die äußeren Lebensbedingungen ändern, so z. B. irgendwelche physikalische Faktoren oder der Bestand der betreffenden Fauna oder Flora. In den meisten Fällen jedoch entstehen die neuen Arten sogar ohne Veränderungen der äußeren Existenz- bedingungen, und zwar durch den Prozess der „Divergenz des Cha- rakters“ (Ch. Darwin), d. h. dadurch, dass irgendwelche ursprüng- liche, an die verschiedenen Lebensbedingungen wenig angepasste Form von Individuen, im Laufe der Zeit notwendigerweise durch mehrere neue Formen von Individuen ersetzt wird, von welchen eine jede an diese oder jene mehr spezielle Lebensbedingung bereits viel besser angepasst erscheint. Der gleiche Prozess der Anpassung an stets weitgehender spezialisierte Lebensbedingungen wird auch noch weiter andauern und zu einer weiteren Zerstückelung der syste- matischen Einheiten der Lebewesen führen. Dieser Prozess erfolgt notwendiger- und natürlicherweise infolge des Überlebens der mehr spezialisierten Individuenformen im Gegensatz zu der weniger spe- zialisierten ursprünglichen Form, mit anderen Worten: infolge der Wirkung der natürlichen Auslese. Die Bedeutung des Prozesses der Divergenz des Charakters liegt naturgemäß darın, dass dank diesem Prozesse in ein und derselben Ökonomie der Natur im Laufe der Zeit eine immer größere Anzahl von Individuen von Lebewesen Platz finden kann: da, wo eine noch wenig an gewisse spezielle Lebensbedingungen 27) Eine derartige Auffassung kann jedoch nicht als richtig anerkannt werden, wie dies übrigens aus dem Nachstehenden zu ersehen sein wird. 28) Börner, ©. Eine monographische Studie über die Chermiden. Arb. a. d. K. Biol. Anstalt f. Land- und Forstwirtschaft. Bd. VI, H.2, 1908, pp- 274—281. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 99 angepasste ursprüngliche Individuenform in einer annähernd be- stimmten Anzahl existieren konnte, wird nach dem Zerfall in mehrere spezialisierte Formen bereits eine viel größere Anzahl von Indi- viduen existieren können, obgleich diese Individuen sich nunmehr auf mehrere Formen (Arten) verteilen werden, statt auf eine einzige?®). Was nun die Pflanzenläuse betrifft, so wird man sich die Wir- kung des Prozesses der Divergenz der Merkmale in folgender Weise vorzustellen haben. Ursprünglich konnte eine beliebige bestimmte Pflanzenlausform verschiedene Pflanzen sowie verschiedene Teile dieser Pflanzen be- wohnen. Dabei konnte die Organisation „dieser Form naturgemäß nicht in gleichem Maße an die auf verschiedenen Pflanzen oder auf = buedenen Teilen ein und derselben Pflanze mehr oder weniger voneinander verschiedenen Lebensbedingungen angepasst sein: in einem Falle z. B. würde eine gewisse ns nl kan des Rüssels, der Beine, eine besondere Körpergestalt u. dgl. m. besser angepasst sein, in anderen Fällen — eine andere Konstruktion u. s. w. Aus diesem Grunde konnte die gesamte vorhandene Masse von Mitteln zum Leben von der betreffenden Pflanzenform nicht völlig ausge- nützt werden, und der Zerfall dieser Form in mehrere neue, weiter spezialisierte Formen musste auch zu einer vollständigeren Aus- nützung der vorhandenen Mittel zum Leben führen, d.h. mit anderen Worten zu einer beträchtlichen Vermehrung der Individuenzahl. Irgendeine ursprünglich polyphage Form (Art) von Pflanzenläusen muss demnach mit der Zeit notgedrungen in mehrere neue, allein nunmehr, da mehr spezialisiert, monophage Formen zerfallen; ebenso kann eine Pflanzenlausform, welche ursprünglich verschiedene Teile ein und derselben Pflanzen (z. B. Blätter, Blattstiele, Triebe u. s. w.) bewohnt hatte, mit der Zeit in mehrere neue Formen zerfallen, von welchen die eine an das Bewohnen der Blätter, eine andere an das Bewohnen von glatten Trieben, eine dritte an das Bewohnen der rauhen Rinde von Stämmen oder Ästen angepasst sein wird u. s. w Auf diese Weise sind denn auch die so hoch spezialisierten Pflanzen- lausarten, wie z. B. verschiedene Lachnus-Arten u. a. m. hervor- gegangen. Eine jede Konifere besitzt z. B. ihre eigenen, nur ihr zukommenden Lachnus-Arten, und dabei lebt eine jede Lachnus-Art unter ganz besonderen und ganz bestimmten Lebensbedingungen, 29) Angesichts einer derartigen Bedeutung im Leben der Lebewesen erweist sich der Prozess der Divergenz der Merkmale als so machtvoll, dass für sein Statt- finden weder eine örtliche (räumliche) noch eine sogen. physiologische Isolation (her- vorgehend aus der Unfähigkeit zur Vereinigung der Geschlechtsprodukte oder aber aus der Unfähigkeit der Individuen zur Paarung) irgendwie vonnöten ist. Im Gegen- teil, so sehr sich die physiologische Isolation für die Befestigung der Ergebnisse einer Divergenz der Merkmale nützlich und notwendig erweist, so schr kann sie auch selbst der Wirkung der natürlichen Auslese unterliegen. 400 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. ohne sich mit den anderen Arten zu vermischen. Die gleiche Er- scheinung bemerken wir auch bei vielen anderen Pflanzenlaus- gattungen?"). Wenn dagegen irgendwelche monophage Pflanzenlausarten aus ursprünglich polyphagen Formen hervorgegangen sind und dies in Anpassung an die Lebensbedingungen auf bestimmten Pflanzen, so sind diese Arten, wenn die gleichen Lebensbedingungen erhalten bleiben, nicht einmal in Gestalt einzelner Formen von Individuen zum Leben und zur Fortpflanzung aufirgendwelchen anderen Pflanzen befähigt. Wenn dies in Wirklichkeit auch der Fall wäre, so wäre damit nur bewiesen, dass, der Prozess der Anpassung der betreffen- den Form von Pflanzenläusen an das Leben auf irgendwelchen bestimmten Arten von Pflanzen noch nicht sein Ende erreicht hat. Der Prozess kann sich nur in der Richtung einer noch höheren Spezialisierung der Formen fortsetzen. Es ist demnach völlig unmöglich, dass irgendeine streng monophage Art von Pflanzenläusen zu gesetzmäßigen Migrationen von den einen Pflanzen auf andere übergeht. Zu gesetzmäßigen Migrationen können nur polyphage Pflanzenlausarten übergehen. Es stellt sich demnach heraus, dass einige der ursprünglich 30) Vgl. Mordwilko, A. Zur Biologie und Morphologie der Pflanzenläuse. T. II, 1901. Horae Soc. Entom. Ross., Bd. 33, pp. 392—418 (315—341 der Sep.) (Russisch). Im Prozesse der Bildung neuer Arten hat das Mutationsprinzip bei den Pflanzenläusen, ebenso wie auch bei verschiedenen anderen Tieren, keine irgend be- merkbare Rolle gespielt. Wenn dieses Prinzip sich geltend gemacht hätte, so hätte es sich im Prozesse der Bildung neuer Arten bei den Pflanzenläusen ereignen können, dass bei irgendeiner Art durch Mutation Formen von Individuen mit scharf ausge- sprochenen, aber für das Wohlbefinden der Art gleichgültigen Merkmalen aufge- treten wären, wobei diese Formen (d. h. neue Arten) unter den gleichen Wohnorts- bedingungen denn auch weiter gelebt und sich fortgepflanzt haben würden. Bei den Pierenlansen ist eine derartige Erscheinung jedoch noch niemals beobachtet worden: eine jede Art lebt hier in ihren besonderen, genau bestimmten Lebens- bedingungen und verschiedene Arten vermischen sich an ein und denselben Wohn- orten überhaupt nicht miteinander (Mordwilko, loe. cit.). Wenn überdies nur Mutationen stattgefunden hätten, so u man sich nicht eine solch strenge Über- einstimmung im Bau und dem Zyklus der Generationen der Pflanzenläuse mit ihren verschiedenen Lebensbedingungen erklären können. Hierher gehört z. B. die ver- schiedene Länge des Rüssels in Abhängigkeit von dem Umstande, ob die betreffenden Pflanzenläuse auf einer glatten oder rauhen Oberfläche saugen; bei den auf glatten Flächen lebenden Läusen bildet das Ende der Schiene mit der Basis des Tarsus eine Art Saugnapf, woher solche Läuse denn auch auf reinem Glase kriechen können (und dies sogar mit zur Hälfte amputierten Tarsen); bei den auf rauhen Oberflächen lebenden Pflanzenläusen haben die Beine einen anderen Bau, weshalb die Läuse auch nicht auf Glas kriechen können; hierher gehört ferner auch die verschiedene Körpergestalt, der verschiedene Bau der Fühler, der Augen u. dgl. m. Vgl. Mordwilko, A. Zur Biologie und Morphologie der Pflanzenläuse (Russisch). T. II; Kap. 2, pp. 162—544 (8S5—467 der Sep.) Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 101 polyphagen Pflanzenlausformen mit der Zeit eine jede in mehrere, mehr oder weniger streng monophage Formen zerfallen ist, andere dagegen zu Migrationen von den einen Pflanzenarten auf andere über- gegangen sind, d. h. zu einer diözischen Lebensweise. Natür- lich wird diese Diözie ım Zusammenhang mit periodischen Migra- tionen von einer Pflanze auf eine andere und vice versa die gleiche Rolle spielen, wie der Zerfall einer ursprünglichen Form von Pflanzenläusen in mehrere neue, höher spezialisierte Formen; beide Prozesse mussten in gleichem Maße zur Vermehrung der Individuen- zahl von Pflanzenläusen führen, denn würde die Diözie ım Verein mit Migrationen nicht eine solche Vermehrung der Individuenzahl zur Folge haben, so würde statt derselben naturgemäß eine Spal- tung der ursprünglichen Form in zwei und mehr neue Arten statt- gefunden haben. Die Divergenz der Merkmale und die Entstehung der gesetzmäßigen Migrationen bei den Pflanzenläusen müssen daher als analoge oder vikarierende Erscheinungen betrachtet werden. Es drängt sich nunmehr naturgemäß die Frage auf, durch welche Ursachen eine so verschiedenartige Entwickelung der ur- sprünglich polyphagen Formen von Pflanzenläusen hervorgerufen worden ist. Lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf die streng monophagen Gruppen von Pflanzenläusen, wie z. B. verschiedene Callipterina, oder verschiedene Lachnina, so bemerken wir, dass diese Gruppen fast ausschließlich nur Bewohner von holzartigen Pflauzen sind. Dabei weisen fast alle holzartigen Gewächse, wenigstens ist dies bei den Laubhölzern der Fall, übereinstimmende und gleichzeitig statthabende Schwankungen ın den Ernährungsbedingungen für die Pflanzenläuse auf, wahrscheinlich auch noch in anderen Bedingungen für deren Existenz. Selbstverständlich konnten bei den polyphagen Bewohnern solcher Pflanzen auf keine Weise gesetzmäßige periodische Migra- tionen von den einen Gewächsen auf andere entstehen, da, wie wir bereits aus dem Kapitel über die Ursachen der Migrationen bei den Pflanzenläusen ersehen haben, die gesetzmäßigen Migrationen es den entsprechenden Pflanzenlausarten gestatten, gerade die ver- schiedenen Bedingungen der Ernährung und der Existenz überhaupt in einem für sie günstigen Sinne auszunützen, welche Bedingungen ihnen gleichzeitig auf sehr verschiedenartigen Pflanzen geboten werden, wie z. B. auf holzartigen Pflanzen einerseits, und kraut- artigen andererseits. Ebensowenig konnte die Erscheinung der Migrationen auch bei polyphagen Arten entstehen, welche nur krautartige Pflanzen bewohnen. Die Erscheinung der Migra- tionen konnte nur bei denjenigen polyphagen Arten ent- stehen, welche von allem Anfange an sowohl auf holz- artigen Pflanzenalsauch aufkrautartigen(resp.aufWurzeln 102 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. von Hölzern) leben und sich fortpflanzen konnten, — über- haupt auf Gewächsen mit sehr verschiedenartigen Schwan- kungen bezüglich der Ernährung für die Läuse (und viel- leicht auch noch anderer Bedingungen ihrer Existenz). In solchen Fällen gerade bot die Diözie ım Verein mit Migrationen offenbar einer viel größeren Individuenzahl die Möglichkeit zur Existenz, als dies durch einfache Divergenz der Merkmale hätte erzielt werden können. Verschiedene migrierende Arten reagieren auf die Schwan- kungen der Lebensbedingungen auf diesen wie jenen Pflanzen durch Migrationen von einer Pflanze auf eine andere in entsprechenden Perioden; monophage und daher auch nicht migrierende Arten reagieren auf derartige Schwankungen ın verschiedener anderer Weise, worauf wir schon ın dem Kapitel über die „Ursachen der Migrationen bei den Pflanzenläusen“ hingewiesen haben°!). Durch die geflügelten beweglichen parthenogenetischen Weibchen, die sich im Sommer beı verschiedenen Orllipterina, bei Drepanosiphum Koch entwickeln, durch die besonderen Formen von Larven der dritten Generation bei Chaitophorus aceris Koch und (h. testudinatus Thornt. und andere Erscheinungen mehr ım Leben solcher mono- phager Arten, wird die Erhaltung dieser Läuse während der für die Ernährung ungünstigen Sommerperiode in genügendem Maße gewährleistet. Polyphage, aber nicht migrierende Arten kennen wir gegen- wärtig nur in der Unterfamilie der Aphidinae, und zwar ın der Gruppe der Aphidina’?). In dieser Gruppe können wir erkennen, dass sich die biologischen Merkmale der migrierenden Arten gar 31) Diese Zeitschrift, Bd. 28, 1908, pp. 632—639, 649—662. 32) In der Unterfamilie der Aphidinae Buct., Mordw. unterscheide ich drei Gruppen: die Lachnina, Callipterina und Aphidina. (Vgl. meinen Aufsatz: „Zur Faunistik und Anatomie der Aphiden [Russisch]. Warschauer Universitäts-Nach- richten, 1894—95). Mit Ausnahme der Wurzelgattung Trama Heyd. sind alle bis jetzt bekannten Vertreter der Gruppe Lachnina (die Gattungen Lachnus Burm., Schizolachnus Mordw., Tuberolachnus Mordw., Stomachis Bucton) Bewohner holzartiger Gewächse und dabei streng monophag. (Vgl. Mordwilko, Zur Bio- logie und Morphologie der Pflanzenläuse [Russisch|. Horae Soc. Entom. Ross., T. 33, 1901, pp. 398ff.) In der Gruppe Callipterina bewohnt nur die Gattung Sipha Pass. Kräuter und namentlich Gramineen, sowie die Gattung Callaphis Mordw. (caricicola Mordw. und carics Mordw.) die Blätter von Carex; von den anderen Gattungen dagegen (bradyaphis Mordw. |Br. antennata Kalt.], Cal- lipterus Pass., Callöpteroides Mordw. [Ü. betulae Koch], Myzocallis Pass., Tubereulatus Mordw. [T. quereus Kalt., querceus Kalt.|, Pterocallis Pass., Phyllaphis Koch., Symydobius Mordw. [S. oblongus Heyd.], Dryobius Koch) sind fast alle Bewohner holzartiger Gewächse und dabei monophag und nur Myzo- callis ononidis Kalt. lebt sowohl unterhalb der Blätter der kleinen Sträucher von Ononis spinosa und O. hircina, als auch auf den Kräutern Medicago sativa und Trifolium procumbens. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 103 nicht scharf von den Merkmalen polyphager Arten unterscheiden und beı diesen letzteren sozusagen unersetzt verloren gehen. Einige Arten der Gruppe Aphidina dagegen befinden sich sogar gleichsam auf dem Wege des Überganges zu gesetzmäßigen Migra- tionen. In Anbetracht dieses Umstandes wenden wir uns zunächst der Betrachtung solcher polyphager Arten zu. Siphonophora (2) ribicola Kalt.) „lebt an den Spitzen der jungen saftigen Triebe des Alpen-Johannisbeerstrauches, dessen obere Blätter sich zurückkrümmen und einen dichten Schopf bilden. Ende Mai. Im Juni fand ich sie,“ fährt Kaltenbach fort, „auch auf einem üppigen Exemplare von Crepis viridis mn großer Anzahl“. Ich selbst habe diese Pflanzenlausart nie beobachtet. Es ist sehr wohl mög- lich, dass dieselbe zu den migrierenden Arten gehört. Siphonophora ulmariae Schr. (pisö Kalt.) lebt sowohl auf perennierenden Kräutern, wie Medicago falcata und M. sativa (seltener), verschiedenen Arten von Lathyrus (ensifolius, odoratus u. a.m.), Spt- raea ulmaria (von mir ım Juni bis Juli in ungeheuren Mengen unter- halb der Blätter und auf Blütenstielen angetroffen) und auf zwei- jährigen, wie Chaerophyllum ternulum, Prifolium pratense, als auch auf einjährigen, wie Pisuwm sativum, Ervum, Capsella bursa pastoris; allein diese Pflanzenlaus lebt auch auf kleinen Gesträuchern, wie Ononis repens, ©. hirsuta, und wurde von verschiedenen Autoren auch auf den Sträuchern von Cohıtea arborea, Genista angetroffen °®*). Die von Ende August bis November auftretende zweigeschlechtige Generation besteht aus ungeflügelten geschlechtlichen Weibchen und ebensolchen Männchen, obwohl die letzteren bisweilen (Walker) auch geflügelt sein können. Geschlechtliche Individuen habe ich auch auf Ononis, Medicago falcata und Lathyrus angetroffen, nicht aber auf Erveum und Pisum sativum. Die überwindernden Eier werden an den Blättern, Stengeln und Früchten abgelegt. Siphonophora rosae L. lebt auf allen Gartenrosen, auf der wilden Rose (Rosa canina), ferner auch auf Scabiosen (Scabiosa arvensis, 33) Kaltenbach, J. H. Monographie der Familien der Pflanzenläuse. Aachen 1893, p. 33. Vgl. Koch, ©. L. Die Pflanzenläuse, Aphiden. Nürnberg 1857, pp. 194—196; Fig. 267—268. 34) Auf der gelben Akazie, Caragana arborescens, fand ich auf den Blättern, Früchten und jungen Trieben in der Umgebung von Warschau, den Gouvernements Wolhynien und Pskow sowie in Bjelowesh eine einigermaßen ähnliche grüne Art von Pflanzenläusen; allein auf Grund meiner Versuche mit Übersiedelungen (1898) sowie der Vergleichung der morphologischen Merkmale stellte es sich heraus, dass auf Caragana eine besondere Art lebt, und zwar Siphonophora caraganae Mordw. (Vgl. „Zur Biologie und Morphologie der Pflanzenläuse“. 1901.) In dem Katalog der Pflanzenläuse des St. Petersburger Forstinstituts von Prof. Cholodkovsky ist diese Art irrtümlich unter dem Namen Siphonophora pisi angeführt, allein später hat Prof. Cholodkovsky die Selbständigkeit dieser Art ebenfalls anerkannt (1908) und diese Art ebenfalls 5. caraganae (Cholodk.) benannt. 104 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. S. columbaria) und auf der Kardendistel (Dipsacus silvestris, D. pi- losus). Allein das Leben der Pflanzenläuse auf krautartigen Ge- wächsen ist noch von keinem Beobachter in gründlicher Weise untersucht worden; aus diesem Grunde sind geschlechtliche Indi- viduen bis jetzt nur auf Rosen konstatiert worden. Myzus rosarum Kalt. (tetrarhodus Walk.) lebt auf den Spitzen der Triebe und unter den Blättern von kultivierten Rosen. Hier pflanzt sich diese Art augenscheinlich ununterbrochen fort, indem Ferrari z. B. Läuse dieser Art im Juni”), G. Del Guercio da- gegen noch im November?) antraf. Ferrari fand im Juni Läuse dieser Art (?) auf Fieracium pilosellum. Es sind jedoch weitere Beobachtungen über diesen Gegenstand notwendig. Aphis rhamni Kalt. Kaltenbach fand im Mai und Juni große Kolonien von Läusen dieser Art (und zwar ungeflügelte und ge- flügelte Individuen) auf den Spitzen der Triebe und den Blüten- stielen des Faulbaums (Rhamnus frangula)‘”), Passerini dagegen fand Ende Oktober unter den Blättern dieses Baumes ungeflügelte Sexuales und geflügelte Männchen). Ferrari beobachtete Läuse dieser Art (?) auch auf Origanum vulgare®”). Aphis nerii Kalt. Vom Januar bis zum April fand Kalten- bach Pflanzenläuse dieser Art auf Nerium oleander (in Treibhäusern), Passerini dagegen um die gleiche Zeit (Januar bis März) auf Anagallis collina, Hortensia variabilis, Lubinia mauritiana, Uypho- mandra betacea und verschiedenen Acanthacei. Von Syphocoryne capreae Fabr., 8. xylostei Schr., Hyalopterus pruni Fabr. — arun- dinis Fabr., H. trirhodus Walk. — aquilegiae Koch, Aphis sam- buei L. ist schon früher die Rede gewesen’). Unter den gegenwärtig bekannten Pemphiginae gibt es, außer den notorisch migrierenden, keine Arten, welche gleichzeitig sowohl an holzartigen wie auch an krautartigen Gewächsen leben könnten. In der Unterfamilie der Phylloxerinae leben dagegen alle Arten ausschließlich auf Holzpflanzen, obgleich sich bei einigen Formen, besonders in der Gruppe der Chermesina die Erscheinung periodischer Migrationen herausgebildet hat. Man wird vermuten können, dass alle ursprünglich polyphagen Arten der Unterfamilien Pemphiginae und Phylloxerinae mit der Zeit zu typischen migrierenden Arten geworden sind. 35) Ferrari, P. M. Aphididae Liguriae. Annali del Museo civico di storia naturale di Genova, Vol. II, Aprile 1872, p- 61. 36) Guereio, G. Del. Prospetto dell’ Aphidofauna Italica. Nuove Relazioni intorno al lavori della R. Stazione di Entomologia agraria die Firenze. 1900, p. 152. 37) Kaltenbach. loc. eit., p. 64. 38) Passerini, J. Aphididae Italicae. Archivio per la zoologia. Vol. II, Fax. 2, p. 165. 39) Ferrari, J. loe. cit., p. ‚69. 40) Mordwilko. Diese Zeitschr., Bd. 27, 1907, pp. 810--816. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 105 Wir wollen nunmehr die Frage ergründen, in welcher Weise bei den Pflanzenläusen die Erscheinung gesetzmäßiger Migrationen von holzartigen auf krautartige Gewächse, seltener auf die Wurzeln holzartiger Gewächse (Aphidinae, Pemphiginae, Phylloxera vastatrix Planch.), oder aber von den einen Hölzern auf andere (Ohermesina, Hermaphidina) zur Entwickelung gelangen konnte. Wir haben bereits erfahren, dass auf den Holzpflanzen die Existenzbedingungen für die Pflanzenläuse im Sommer überhaupt mehr oder weniger ungünstig werden (obgleich dies vielleicht bei verschiedenen Pflanzen nicht in gleichem Maße der Fall ist), während auf den krautartigen Gewächsen die Ernährungsbedingungen für die Läuse um dieselbe Zeit durchaus günstige sein können. Wir wissen auch, dass bei einer Verschlimmerung der Ernährungs- bedingungen für die Läuse auf irgendeiner Pflanze vorwiegend ge- flügelte parthenogenetische Weibchen zur Entwickelung gelangen, welche auf andere Pflanzen überfliegen, wo sie neue Kolonien be- gründen. Bei den meisten Pflanzenläusen entwickeln sich die ge- flügelten parthenogenetischen Weibchen gegen Ende des Frühjahres und Anfang Sommers. Offenbar wird bei den Pflanzenlausarten, welche sowohl holzartige, wie auch krautartige Gewächse bewohnen, die Migration der geflügelten Weibchen im Anfang des Sommers hauptsächlich auf krautartige Gewächse erfolgen müssen, und die Läuse einer dieser Arten werden sich im Sommer auf diesen letzteren Gewächsen viel intensiver fortpflanzen als auf den Holzpflanzen. Auf letzteren wird die Fortpflanzung sogar ganz unterbrochen werden können. Allein gegen Ende des Sommers und am Anfange des Herbstes ändern sich die Ernährungsbedingungen für die Pflanzen- läuse auf den Holzgewächsen wie auch auf den krautartigen, indem sie einen gerade zu entgegengesetzten Charakter annehmen. Die einjährigen Kräuter und Gräser sterben am Ende der Vegetationsperiode gänzlich ab, während bei den mehrjährigen den Winter über nur die unterirdischen Teile erhalten bleiben, die oberirdischen Teile dagegen eintrocknen und den Pflanzenläusen nicht mehr als Nahrung dienen können. Die geflügelten Individuen, welche sich um diese Zeit auf den krautartigen Gewächsen ent- wickelt haben, finden hier keine Nahrung mehr und begeben sich teils auf andere Exemplare, teils auf andere Arten von Kräutern, hauptsächlich aber natürlich auf holzartige Gewächse, wo die Er- nährungsbedingungen für sie um diese Zeit immer noch mehr oder weniger günstig sein können. Jedenfalls geht die Fortpflanzung der Pflanzenläuse gegen Ende des Sommers und im Herbste auf Holzgewächsen in verstärktem Maße vor sich, während sie auf den krautartigen Gewächsen und namentlich auf deren oberirdischen Teilen immer schwächer wird und mit dem Absterben dieser Teile ganz aufhört. Wenn gewisse krautartige Gewächse verhältnismäßig 106 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. früh absterben, so können die geflügelten Individuen von ihnen auf andere, um diese Zeit noch gut vegetierende krautartige Gewächse übergehen, wie z. B. von Pisum sativum auf Lathyrus, Medicago, oder selbst auf holzartige Gewächse, wie die Sträucher Ononis (Siphonophora ulmariae Schr.); sie können auch von den früh ein- trocknenden Conium moculatım oder anderen Umbelliferen auf andere passende Umbelliferen, oder aber auf Sträucher übergehen, wie die Weide (Siphocoryne capreae Fabr.) oder das Geißblatt (Siphocoryne xylostei). Ein ähnliches Verhalten der Pflanzenläuse im Freien be- obachten wir z. T. auch bei Aphis evonymi Fabr. Die zweigeschlechtige Generation kann bei derartigen poly- phagen Arten ursprünglich sowohl auf Holzpflanzen als auch auf krautartigen Gewächsen auftreten, und zwar namentlich auf solchen krautartigen, deren Vegetationsperiode verhältnismäßig spät zu Ende geht, d. h. dann, wann die Temperatur der Luft und des Bodens schon etwas herabgesetzt ist, wie wir dies bei den monophagen, nur krautartige Gewächse bewohnenden Pflanzenläusen sehen, z. B. bei Phorodon eannabis Pass. auf dem einjährigen Cannabis sativa, bei Aphis brassicae L. auf verschiedenen Kreuzblütlern, bei Aphis plantaginis Schr., A. chenopodii Schr., Siphonophora absinthü L. u. a.m. Man kann sich jedoch leicht davon überzeugen, dass die Holzpflanzen bessere Bedingungen für die Erhaltung der Eier ım Herbst und Frühjahre bieten (während der Schneeschmelze und Frühjahrsüberschwemmungen). In noch weniger günstigen Be- dingungen für ihre Erhaltung könnten sich die aus solchen Eiern ausgeschlüpften Fundatrices-Larven erweisen. Auf Holzpflanzen hingegen können die Fundatrices-Larven, selbst wenn sie früh aus den Eiern ausgeschlüpft sind, ruhig das Aufgehen der Knospen und die Entwickelung der Blätter abwarten. Dazu kommt noch, dass die Holzpflanzen ihre Vegetationsperiode verhältnismäßig früh beginnen, und die Läuse daher schon früh günstige Ernährungs- bedingungen auf ihnen finden können; viele krautartige Gewächse, welche von Pflanzenläusen bewohnt werden, entwickeln sich dagegen mehr oder weniger spät, wenn auf den Holzpflanzen bereits eine oder selbst mehrere Generationen von Pflanzenläusen zur Ent- wickelung gelangt sind. Alles dieses weist darauf hin, dass die polyphagen Pflanzen- lausarten im Laufe des Herbstes bis zum Frühjahre am besten auf Holzpflanzen erhalten werden, d. h. dass die an Holzpflanzen abge- legten Eier und die daraus im Frühjahre, oder seltener noch im Herbste ausgeschlüpften Fundatrices-Larven auf Holzpflanzen die günstigsten Erhaltungsbedingungen während der genannten Zeit- periode antreffen werden. Auf »diese Weise wird die Zahl der- jenigen Individuen der betreffenden Art, welche die Tendenz besitzen, Ende Sommers und im Herbste auf Holzpflanzen zurückzukehren, Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 107 mit der Zeit immer mehr und mehr anwachsen und dementsprechend wird auch die Zahl der Individuen mit der Tendenz um die gleiche Jahreszeit auf krautartigen Gewächsen zu verbleiben und hier später in Gestalt latenter Eier zu überwintern, mit der Zeit immer ge- rınger werden. Allein eine jede besondere Tendenz erscheint not- wendigerweise als die Folge gleichzeitig hiermit vor sich gehender, oder sogar schon erfolgter zufälliger Änderungen in der Organi- sation, demnach auch in dem Keimplasma, in welchem ja überhaupt die Quelle aller erblichen Veränderungen in der Organisation irgend- welcher Formen von Lebewesen zu suchen ist. Der hier behandelte Vorgang kann schließlich dazu führen, dass sich auf den krautartigen Gewächsen am Ende ihrer Vegetationsperiode ausschließlich ge- flügelte Individuen (Sexuparen) entwickeln werden, welche dann auf Holzpflanzen überfliegen. Schon von diesem Zeitpunkte an werden Hauptgewächse (Holzpflanzen) von Zwischengewächsen (krautartigen Gewächsen) zu unterscheiden sein. Derartige Erscheinungen in der zyklischen Fortpflanzung der Pflanzenläuse sehen wir gegenwärtig bei Siphocoryne capreae Fabr., S. zylostei Schr., Hyalopterus pruni Fabr. und Aphis evonymi Fabr. Bei manchen dieser Läuse wird die Fortpflanzung auf den Holzpflanzen im Sommer in mehr öder weniger hohem Maße abge- schwächt und geht hauptsächlich auf den krautartigen Zwischen- pflanzen vor sich, auf welche sie von den holzartigen Hauptgewächsen übertragen wird. Allein gegen das Ende der Vegetationsperiode hin entwickeln sich auf den krautartigen Gewächsen ausschließlich oder doch vorwiegend geflügelte Individuen (Sexuparae und Männ- chen), welche dann auf Holzgewächse überfliegen, wo sie denn auch ihren jährlichen Generationszyklus beschließen. Hyalopterus pruni Fabr. pflanzt sich im Sommer auf den Zwischengewächsen (Phrag- mites communis) etwas stärker fort, als auf den Hauptgewächsen (Prunus domestica und P. institia), allein schließlich entwickeln sich auf den Zwischengewächsen nach meinen Beobachtungen ausschließ- lich geflügelte Sexuparae und geflügelte Männchen, welche dann auf die Pflaumenbäume herüberfliegen. Ebenso verhält es sich augenscheinlich auch mit siphocoryne capreae Fabr. und Aphis evonymt. Ich habe das Verhalten von A. evonymi auf den Zwischen- gewächsen im Herbste (auf verschiedenen Runmex-Arten) auf das Genaueste untersucht und kein einzigesmal geschlechtliche Weibchen oder überwinternde Eier auffinden können. Da die Fundatrices der Pflanzenläuse sich stets unter etwas abweichenden Existenzbedingungen entwickeln, und zwar auf im Entfalten begriffenen jungen Blättern oder auf jungen Trieben ihrer Nährpflanzen, so werden diejenigen Fundatrices-Individuen, welche ihrer Organisation nach am besten» an jene etwas abweichenden 3 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. o- oO ’ Existenzbedingungen angepasst erscheinen, natürlich die zahlreichste Nachkommenschaft hervorbringen; mit der Zeit haben diese Indi- viduen naturgemäß die größten Aussichten, die betreffende Organi- sation als ein Speziesmerkmal herauszubilden. Im Laufe der Zeit wird es sich sogar ereignen können, dass aus den befruchteten (latenten) Eiern Larven zur Entwickelung gelangen, welche sich auf den ersten Blick von den Larven der folgenden Generationen unter- scheiden, von den erwachsenen Individuen schon gar nicht zu reden. Mit anderen Worten, es konnte sich ereignen, dass die Fundatrices und vielleicht auch die Larven der zweiten Generation sich an das ausschließliche Saugen auf sich ausbreitenden Blättern und jungen Trieben ihrer Nährpflanzen anpassten, an welchen sie häufig ein Krümmen, Aufrollen, Falten, sackartige Vorwölbungen u. dgl. mehr hervorrufen. Eine solche Eigentümlichkeit der Fundatrices-Weibchen finden wir schon bei vielen nicht migrierenden Arten von Pflanzenläusen, besonders aber in der Unterfamilie der Pemphiginae, so z. B. bei Pemphigus spirothecae Pass., aber auch bei Vertretern anderer Unterfamilien, wie bei Aphis mal Fabr. u.a. m. Ganz besonders stark entwickelt ist jedoch die erwähnte Eigentümlichkeit der Fundatrices bei den migrierenden Pflanzenläusen (Aphis evonymi Fabr., A. padi Kalt. u. a. m.). Was nun die anderen Formen von Individuen der partheno- genetischen Weibchen betrifft, so konnten ursprünglich ein und dieselben parthenogenetischen Weibchen in gleicher Weise sowohl auf Holzpflanzen als auch auf krautartigen Gewächsen saugen und leben. Allein die Existenzbedingungen auf diesen und jenen Ge- wächsen können ja an und für sich nicht die gleichen sein. Die dies- bezüglichen Unterschiede können sowohl die Qualität der Nahrung, die Leichtigkeit, mit welcher der Saugapparat in das Gewebe der Pflanze eindringen kann, die Beschaffenheit der Oberfläche, auf welcher die Läuse sitzen u. dgl. m. betreffen. Man wird unschwer einsehen können, dass ein und dieselbe Organisation diesen oder jenen Existenzbedingungen nicht in gleichem Maße gut ange- passt sein kann. In Anbetracht aller möglichen individuellen Schwankungen in der Organisation werden aber häufig Fälle ein- treten können, wo gewisse Individuen der sich auf Holzgewächsen fortpflanzenden Läuse den Bedingungen des Lebens auf diesen Pflanzen etwas besser angepasst sind, während unter den sich auf krautartigen Gewächsen fortpflanzenden Läusen sich andererseits solche Individuen erweisen können, welche etwas besser an das Leben auf solchen Gewächsen angepasst sind; es werden sogar solche Fälle eintreten können, wo diese und jene Individuen im Laufe der Generationszyklen direkt voneinander abstammen. Indem derartige Zufälligkeiten zu eimer beträchtlichen Vermehrung der Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 109 Zahl von Individuen mit entsprechenden besonderen Merkmalen ihres Baues führen kann, werden diese eine Tendenz an den Tag legen, sich zu Spezies-Merkmalen herauszubilden. Auf diese Weise konnte es geschehen, dass in einer ununter- brochenen Reihe von Generationen diejenigen Generationen von Pflanzenläusen, welche sich auf Holzpflanzen entwickeln, mehr oder weniger von denen verschieden werden, welche auf krautartigen Gewächsen zur Entwickelung gelangen. Indem es nun vorzugs- weise die ungeflügelten parthenogenetischen Weibehen sind, durch welche die jeweiligen Ernährungsbedingungen am besten ausgenützt werden können*'), so wird der erwähnte Unterschied auch haupt- sächlich an diesen Individuen zutage treten, was in Wirklichkeit auch der Fall ist. Da ferner ein und dieselbe indifferente partheno- genetische Larve sich je nach den Bedingungen der Ernährung und der Temperatur bald zu einem ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen, bald zu einem geflügelten solchen entwickeln kann, so konnte es ebenso durch natürliche Auslese der entsprechenden Individuen auch dahin kommen, dass ein und dieselbe indifferente Larve sich bald zu einer dem Hauptgewächs entsprechenden Form, bald aber zu einer Form entwickeln konnte, welche dem Zwischen- gewächs entsprach (Übersiedlerform). Wir können diese Betrachtungen auch noch weiter ausführen. Ursprünglich konnten die gegen Ende des Frühjahres und anfangs Sommer auf den Hauptgewächsen zur Entwickelung gelangenden parthenogenetischen Weibchen, gleich den entsprechenden geflügelten Weibchen der einfachen polyphagen Pflanzenlausarten, sowohl auf andere Exemplare des Hauptgewächses als auch auf krautartige (Zwischen-)Gewächse herüberfliegen. Da indessen die Fortpflanzung der Pflanzenläuse auf den Zwischengewächsen im Sommer energischer vor sich geht, als auf den Hauptgewächsen, so ergeben die auf krautartige Gewächse herübergeflogenen geflügelten Weibchen eine zahlreichere Nachkommenschaft, als die auf die Hauptpflanzen herübergeflogenen Weibchen; aus diesem Grunde hatten denn auch gerade ihre Nachkommen größere Aussichten, gegen Ende des Sommers oder im Herbste (auf den Holzpflanzen) eine geschlecht- liche Generation und überwinternde Eier hervorgehen zu lassen. Eine solche Bevorzugung im Überleben der Nachkommenschaft der geflügelten Weibchen fand naturgemäß unzählige Male statt, bis endlich das Herüberfliegen von den Hauptpflanzen auf Zwischen- gewächse zu einem spezifischen Merkmale wurde. Dabei hatte natürlich jedesmal die Nachkommenschaft derjenigen geflügelten Weibchen die meisten Aussichten am Leben zu bleiben, welche 41) Vgl. Mordwilko, Heterogonie im allgemeinen. Diese Zeitschr. Bd. 27, 1907, pp. 529, 561. 110 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. ihre betreffenden Nährpflanzen am sichersten auffinden konnten, d.h. derjenigen Weibchen, welche mit den feinsten Sinnesorganen (Augen, Fühler mit Riechgrübchen und Tasthärchen) und den am besten ausgebildeten Fortbewegungsorganen (Flügeln) ausgerüstet waren. In der Tat besitzen die geflügelten migrierenden Weibchen der migrierenden Arten besser entwickelte Sinnesorgane als die geflügelten Weibchen der nicht migrierenden Arten. Besitzt z. B. das geflügelte Weibchen einer Pflanzenlausart viele oder sehr viele Riechgrübehen auf dem dritten und vierten oder dem dritten bis fünften, dritten bis sechsten Gliede der Antennen, so wird man dasselbe mit fast absoluter Sicherheit als das Weibchen einer migrierenden Art erkennen können. Auf diese Weise ıst denn auch durch die natürliche Auslese der entsprechenden Formen von Individuen die bei den migrierenden Pflanzenläusen so deutlich ausgesprochene, mit dem Polymorphismus ım Zusammenhange stehende Arbeitsteilung zwischen den verschie- denen Generationen und den verschiedenen Formen von Individuen zustande gekommen. Je früher die polyphagen Arten zu regelmäßig migrierenden Arten geworden sind (wie dies z. B. in der Unter- familie der Pemphiginae der Fall ıst), um so schärfer ıst bei ihnen auch die Arbeitsteilung sowie der Polymorphismus der Generationen und Individuen ausgesprochen, und umgekehrt: je später dieser Übergang eintritt (wie z. B. bei einigen Aphidina), um so undeut- licher ist auch die Arbeitsteilung ausgesprochen. Vielleicht entwickeln sich die Fundatrices von Siphonophora ulmariae Schr. in der Freiheit niemals auf der Saaterbse (Pisum sativum) und zwar einfach aus dem Grunde, weil diese einjährige Pflanze verhältnismäßig früh abstirbt, weshalb auf derselben auch keine geschlechtlichen Individuen zur Entwickelung gelangen können (namentlich in Anbetracht der verhältnismäßig hohen Temperatur des Sommers). Allein es ist mir gelungen, auf Erbsen auch Funda- trices und die nachfolgenden Generationen von S. ulmariae zu er- ziehen, indem ich vertrocknete Blätter und Stengel von Lathyrus ensifolius mit darauf überwinterten Eiern von S. ulmariae (26. März a. St.) au fin Blumenstöcken wachsende Erbsenstauden legte. Selbst bei Aphis evonymi Fabr. saugen nicht nur ungeflügelte Weibchen der zweiten und der folgenden Generationen auf jungen Pflanzen von Rumex mazimus, sondern auch Fundatrices-Weibchen (mit fünf- gliedrigen Fühlern. Ebenso können bei dieser selben Art die Sommer- kolonien von Übersiedlern mit Erfolg von den Zwischenpflanzen auf die Hauptpflanzen (den Spindelbaum) übergeführt werden. Ent- sprechend einem solchen Verhalten der verschiedenen Generationen von A. eronymi zu den Haupt- und Zwischengewächsen, sehen wir auch noch keinerlei halbwegs bemerkenswerten Unterschiede zwischen den verschiedenen Generationen dieser Art. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 111 Bei typisch migrierenden Pflanzenlausarten gelingt es jedoch nicht mehr, Fundatrices auf den betreffenden Zwischenpflanzen zu erziehen, wie dies aus meinen Versuchen mit Apkhis padi Kalt., A. piri Koch, A. cerataegi Kalt. und Schixzoneura corni Fabr. her- vorgeht. Die ungeflügelten Weibchen der zweiten Generation von A. padi saugen bereits an den oberirdischen Teilen von Gramineen, während die ungeflügelten Weibchen der zweiten und der darauf- folgenden Generationen von Sch. corni überhaupt nicht an den Wurzeln der Zwischengewächse (Gramineen) saugen. Bei 4A. piri und A. erataegi entwickelt sich fast die ganze zweite Generation zu Nymphen und geflügelten Weibchen. Die Nymphen pflegen nun gewöhnlich Zwischengewächse anzubohren (meine Versuche an Aphis padi, A. erataegt, Rhopalosiphrm lonicerae, Phorodon humuli), allein die Nymphen von Schixzoneura corni wollten bei meinen Ver- suchen nicht an jungem Hafer saugen. Umgekehrte künstliche Übersiedelungen von Zwischengewächsen auf Hauptgewächse im Sommer gelingen bei typisch migrierenden Arten nicht, wie dies aus meinen Versuchen an Schixoneura corni, Aphis padi, A. piri hervorgeht. Die im Sommer auftretenden ungeflügelten Weibchen unterscheiden sich bei den migrierenden Arten meist in mehr oder minder hohem Grade sogar von den ungeflügelten Weibchen der zweiten sowie der darauffolgenden Generationen, welche auf den Hauptgewächsen zur Entwickelung gelangen (so z. B. bei Schixo- neura corni, Aphis padi, A. piri u a.), und ın um so höherem Grade natürlich von den Fundatrices-Weibchen. Entsprechend dem oben dargelegten Entwickelungsgang der Erscheinung der Migrationen bei den Pflanzenläusen werden wir nicht erwarten können, bei den migrierenden Pflanzenlausarten irgendwelche durchaus neue Eigenschaften bezüglich des Baues, der Entwickelung oder des Verhaltens anzutreffen. Und in der Tat besitzen dieselben keine derartigen Eigentümlichkeiten. Alle ihre besonderen Merkmale stellen nur Verstärkungen oder Abschwächungen solcher Eigenschaften dar, welche auch den nicht migrierenden Pflanzenläusen zukommen. In Anbetracht dieses Umstandes werden wir einige besondere Eigenschaften der migrierenden Arten mit solchen der nichtmigrierenden Arten von Pflanzenläusen zu ver- gleichen haben. Bei den migrierenden Aphidina entwickeln sich auf den Zwischen- gewächsen nicht nur geflügelte Sexuparen sondern auch noch ge- flügelte Männchen, wobei diese wie jene in gleicher Weise auf die Hauptgewächse herüberfliegen. Wenn wir hierbei Phorodon humuli Schr. im Auge haben, eine Art, bei welcher auf dem Zwischen- gewächse (dem Hopfen) bis zum Ende der Vegetationsperiode dieses letzteren nur ungeflügelte parthenogenetische Weibchen zur Ent- 419 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. wickelung gelangen, so können wir deutlich erkennen, dass die ge- flügelten Männchen wie auch die geflügelten Sexuparen eben von den ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen hervorgebracht werden. Man wird jedoch annehmen können, dass die geflügelten Männchen auch bei allen anderen migrierenden Aphidina (auf den Zwischengewächsen) von ungeflügelten parthenogenetischen Weib- chen herrühren. Allem die geschlechtlichen Weibchen stammen bei allen migrierenden Aphidina von geflügelten Sexuparen ab, und zwar nach meinen Beobachtungen nur diese ersteren. Eine ähn- liche Eigenart kommt übrigens auch vielen nichtmigrierenden Arten der Aphidina zu. So legten die geflügelten Weibchen von Söphonophora rosae L., nach den von mir Mitte September des Jahres 1897 im Warschauer botanischen Garten angestellten Beobachtungen, ausschließlich Larven geschlechtlicher Weibchen ab. Die um die gleiche Zeit angetroffenen geflügelten Männchen hatten dagegen offenbar einen anderen Ur- sprung. Eines Jahres fand De Geer Anfang September an Trieben und Blättern der Rose Pflanzenläuse in vier Formen vor: unge- flügelte und geflügelte vivipare Weibchen, Junge geschlechtliche Weibchen und Nymphen, endlich Larven aller dieser Formen; die Nymphen verwandelten sich hauptsächlich in kleine geflügelte Männchen *). Da nach meinen Beobachtungen die geflügelten Sexu- paren nur Larven geschlechtlicher Weibchen ablegen, so mussten in dem von De Geer angeführten Falle die geflügelten Männchen offenbar von den ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen her- stammen. Bei Aphis mali Fabr. bringen die geflügelten Sexuparen unter den Blättern der Apfelbäume ebenfalls nur Larven von ge- schlechtlichen Weibchen zur Welt. Bisweilen kann man im Herbste unter den Blättern dieser Bäume folgende Formen der betreffenden Art antreffen: ungeflügelte und geflügelte parthenogenetische Weib- chen, geflügelte und ungeflügelte Männchen, endlich geschlechtliche Weibchen. Allein bisweilen sind auch auf den Trieben und unter den Blättern nur ungeflügelte Individuen zu bemerken, und zwar parthenogenetische Weibchen, geschlechtliche Weibchen und Männ- chen. Die geflügelten und die ungeflügelten Männchen von Aphis mali stammen daher von ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen ab, allein in gewissen Fällen stammen bei dieser Art von den un- geflügelten parthenogenetischen Weibchen auch die geschlechtlichen Weibchen ab. Es ist also wohl möglich, dass auch bei sehr vielen anderen Arten der Aphidina ähnliche Beziehungen vorliegen, doch besitzen wir einstweilen keine genügend genaue diesbezügliche Be- obachtungen. 42) De Geer. Abhandlungen zur Geschichte der Insekten. Bd. II, Übers., Nürnberg 1780, p. 65. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphidida2 Passerini. 113 Die migrierenden Arten der Gruppe Aphidina verhalten sich auf den Zwischengewächsen in verschiedener Weise: bei Phorodon humuli entwickeln sich auf dem Hopfen ununterbrochen nur unge- flügelte parthenogenetische Weibchen, bis dann endlich geflügelte Sexuparen und geflügelte Männchen zur Entwickelung gelangen; bei anderen Arten dagegen entwickeln sich neben ungeflügelten auch geflügelte parthenogenetische Weibchen, so bei Rhopalosiphum lactucae Kalt. (Übersiedierform von R. ribis Buct.), Aphis papa- veris Fabr. — A. rumieis L. (Übersiedlerform von 4. evonymi Fabr.), A. avenae Fabr. (padiL.). Bei Aphis farfarae Koch (A. piri Koch), auf den Wurzeln von Tussilago farfarae, entwickeln sich bisweilen, namentlich an belichteten Stellen, nur ungeflügelte parthenogene- tische Weibchen, bisweilen aber, und zwar namentlich an schattigen und feuchten Stellen, gelangen hier auch geflügelte Weibchen zur Entwickelung. Was Aphis ranunculi Kalt. (= A. erataegi Kalt.) betrifft, so fand Kaltenbach an den Stengeln und Wurzeln des scharfen und des kriechenden Hahnenfußes (Ranumeulus aceris und R. repens) ım August. und September ungeflügelte Weibchen und Nymphen dieser Art. Am 17. Mai 1907 setzte ich geflügelte Indi- viduen und Nymphen von Aphis erataegi mit Blättern des Weiß- dornes auf Stengel von Ranunculus repens, in Blumentöpfen. An- fang Juni entwickelten sich auf den Hahnenfußstengeln große Kolonien von 4. ranumeuli, welche aus erwachsenen ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen und deren Larven, oder auch aus Nymphen und geflügelten Weibchen zusammengesetzt waren, später- hin habe ich auch im Freien gemischte Kolonien von A. ranunculi angetroffen. Auch bei dieser Art entwickeln sich demnach die ge- flügelten parthenogenetischen Weibchen auf den Zwischengewächsen in Abhängigkeit von den äußeren Existenzbedingungen. Allein wir finden ebenso auch bei den nichtmigrierenden Arten ein verschiedenes Verhalten inm Sommer. Für gewöhnlich ent- wickeln sich neben den ungeflügelten auch geflügelte parthenogene- tische Weibchen, bisweilen überwiegen jedoch die ungeflügelten. Bei Aphis plantaginis Schr., auf den Stielen der an den Wurzeln sitzenden Blätter von Plantago major, und an den unteren Teilen der Stengel von Achillea millefolium entwickeln sich fast ausschließ- lich ungeflügelte parthenogenetische Weibehen, obgleich sich an den Stengeln und Ähren von Plantago im Sommer sowohl unge- flügelte, als auch geflügelte parthenogenetische Weibehen entwickeln. Das gleiche Verhalten lässt sich zum Teil auch bei Sipha glyceriae Kalt. auf verschiedenen krautartigen Gewächsen beobachten, nament- lich aber an solchen, welche in der Nähe des Wassers oder im Wasser selbst wachsen, wie Sagittaria sagittaefoha, Glyceria fluitans u. a. m.; ungeflügelte Weibchen wiegen vor, oder gelangen aus- schließlich zur Entwickelung, allein im Juni trifft man auch bei XXIX. s 114 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. dieser Art neben den ungeflügelten noch geflügelte parthenogene- tische Weibchen an. Bei den Fundatrices-Weibehen der nichtmigrierenden Arten sind überhaupt die Sinnesorgane (Augen und Fühler mit Riechgrüb- chen) sowie die Beine schwächer entwickelt als bei den ungeflügelten Weibchen der nächstfolgenden Generationen. Die Fühler sind häufig nicht nur verhältnismäßig kürzer als bei den ungeflügelten Weibchen der zweiten und der folgenden Generationen, sondern bestehen sogar aus einer geringeren Anzahl von Fühlergliedern. So bestehen die Fühler bei den Fundatrices von Aphis mali Fabr., Chaitophorus lyropietus Kessler, Ch. aceris Koch, Ch. testudinatus Thornton aus fünf Gliedern statt aus sechs. Ähnliche Verhältnisse haben sich bei den Fundatrices migrierender Arten erhalten. Die Fühler der Fundatrices von Aphis padi, A. piri, A. crataegi, A. sambuei, A. evonymi bestehen aus fünf Gliedern und die Augen und Beine sind gleichfalls verhältnismäßig schwächer entwickelt, als bei den unge- flügelten parthenogenetischen Weibchen der nachfolgenden Gene- rationen. Endlich ist noch eine Eigentümlichkeit zu vermerken, welche schon bei mehreren nichtmigrierenden Arten zu beobachten ist, aber ganz besonders bei den migrierenden Arten der Aphidina zum Ausdrucke gelangt. Und zwar sind die geschlechtlichen Weib- chen schon bei einigen der nichtmigrierenden Aphidina von ge- ringeren Dimensionen als die gewöhnlichen ungeflügelten partheno- genetischen Weibchen, so bei Siphonophora rosae L., Myxus cerast Fabr., Aphis mali Fabr. und anderen Arten *). Von geringer Größe sind auch die geschlechtlichen Weibchen bei den migrierenden Arten der Gruppe der Aphrdina. Dank ihrer kleinen Gestalt vermögen die geschlechtlichen Weibchen von Aphes padi und A. evonymi ihre Eier nicht allein an den Trieben in der Nähe der Knospen, sondern nach meinen Beobachtungen auch in tissen der Rinde und unter der abstehenden Rinde ablegen, wo diese Eier dann naturgemäß besser gegen dıe Einwirkung der Herbst- regen und der Frühjahrsschneeschmelze geschützt sind, als auf mehr offenen Stellen. . 3) Bei den meisten nichtmigrierenden Arten der Aphidina dagegen unter- scheiden sich die geschlechtlichen Weibchen ihrer Größe nach in keiner Weise von den ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen, doch kann man dieselben an den verdickten Schienen der Hinterbeine sofort erkennen und unterscheiden. Auf dieses Unterscheidungsmerkmal ist erstmals von Koch hingewiesen worden („Die Pflanzen- läuse“. Nürnberg 1871); späterhin habe ich gefunden, dass dieses Merkmal für alle Arten der Unterfamilie der Aphidinae gemeinsam ist. An diesen Schienen befinden sich besondere Sinnesorgane in der Art der antennalen Riechgrübchen ; diese Sinnesorgane können Beziehungen zu der Eiablage haben (zum Auffinden der Stellen für die abzulegenden Eier), vielleicht aber auch zu dem Akt der Paarung. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 115 Wir gehen nunmehr zu der Betrachtung einiger Eigentümlich- keiten bei den migrierenden Arten der Unterfamilie der Pemphi- ginae Mordw. über. In dieser Unterfamilie unterscheiden wir folgende Gruppen: die Vaeunina Mordw. mit der einzigen Gatt. Vacuna Heyd., die Schixo- neurina Licht. mit den Gattungen Mindarus Koch, Anoecia Koch (A. corni Fabr.), Pachypappa Koch, Schixoneura Hart., ColopkaMon., Loewia Licht. (mit flach zusammengelegten Flügeln und der bis jetzt einzigen Spezies L. passerini Sign.), die Pemphigina Licht. mit den Gattungen Pemphigus Hart., Prociphilus**) Koch (bumeliae Schr. — poschingeri Holzn., nidificus Löw, zylostei De Geer), Tetraneura Hart., Aploneura Pass., Paracletus Heyd. (mit der ein- zigen Spezies P. cimiforınis Heyd.*), Pentaphis Horv., Rhixoctonus Horv., sowie einige unterirdisch an Wurzeln lebende Arten, deren geflügelte Formen einstweilen zum Teile noch unbekannt geblieben sind (Ahizobius Burm., Tychea Koch, Endeis Koch). Dieser Unterfamilie schließt sich vielleicht auch die Gruppe der Horma- phidina Mordw. (Unterfamilie Hormaphidinae Börner) an, deren geflügelte Individuen einige Merkmale der Gattung Callipterus Pass. sowie einiger anderer benachbarter Gattungen aufweisen *°). In der Unterfamilie der Pemphiginae kennen wir gegenwärtig keine solchen polyphagen Arten, welche zu gleicher Zeit auf holz- artigen Gewächsen und auf Kräutern oder auf Wurzeln holzartiger Gewächse leben. Augenscheinlich sind alle derartigen ursprünglich polyphagen Arten späterhin zu typischen migrierenden Arten ge- worden. Sobald jedoch irgendwelche Pemphiginen zu periodischen Migrationen von den einen Gewächsen auf andere übergingen, mussten sie unter allen Umständen schon zu polyphagen Arten geworden sein; dabei konnten sich wenigstens die Sommergene- rationen nicht allein auf den holzartigen Hauptgewächsen, sondern auch auf den krautartigen Zwischengewächsen oder auf den Wurzeln holzartiger Gewächse entwickeln ®”). 44) Diese Gattung unterscheidet sich von der Gattung Pemphigus Hart. durch besondere wachsdrüsige Bezirke auf Kopf und Brust der geflügelten) wie auch der ungeflügelten) Individuen. 45) Die Beschreibung des geflügelten Weibchens von P. cimiciformis ist von Schouteden im Zool. Anz., Bd. 25, 1902, pp. 655—656 gegeben worden. 46) Vgl. diese Zeitschr., Bd. 27, 1907, pp. 792—795. 47) Bis jetzt sind die Zwischenpflanzen noch für folgende Arten der Pemphi- ginae festgestellt worden (vgl. diese Zeitschr. Bd. 27, 1907, pp. 764—767, 769— 798). Es unterliegt kaum einem Zweifel, dass Prociphilus poschingeri Holzn. (Nüsslin, ©. Die Tannen-Wurzellaus, Pemphigus [Holzneria] poschingeri Holzner. Allgem. Forst- u. Jagdzeitung, Dezemberheft 1899. — G. Del Gvercio. Intorno a tre specie rare di Mizozilini italiani. „Redia.“ Vol. III, fase. 2, 1905, pp. 365—371) nichts anderes ist, als nur eine Übersiedlerform von Proc. bumeliae Schr. Die schönen, stark weiß bestäubten Sexuparen von Pr. bumeliae fliegen in Bjelowesh (im Parke) von Ende August bis Mitte Oktober und selbst noch länger, wobei sie g* 116 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. Wir wollen zuerst die Entwickelung der nichtmigrierenden Arten besprechen. Hier ist vor allem die Gattung Vacuna Heyd zu nennen. V. dryophila Schr. saugt an der unteren Seite namentlich junger Blätter und an den Spitzen junger Triebe von Eichen (Quereus pedunculata), V. betulae Kalt. dagegen an den sich auf den Stämmen und Ästen von Fraxinus excelsior niederlassen, wo sie sich in die Risse oder unter abstehende Rinde verkriechen und dort geschlechtliche Indi- viduen hervorbringen. Durch ihre reichliche weiße Bestäubung sind die fliegenden Sexuparen schon von weitem zu bemerken und können dann leicht mit der Hand gefangen werden. Indem ich die von Prof. OÖ. Nüsslin gegebene Beschreibung der Sexuparen von Pemphigus poschingeri las, fiel mir die Übereinstimmung im Charakter der Bestäubung zwischen diesen Sexuparen und denjerigen von Pr. bu- meliae auf, was auf die Zugehörigkeit zu ein und derselben Gattung hinwies; die Übereinstimmung erstreckte sich auch auf den Bau der Flügel. Andererseits weisen die ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen von Pr. poschingeri in der Be- aubune Ähnlichkeit auf mit den Fundatrices von Pr. bumeliae, obgleich sie letzteren an Größe beträchtlich nachstehen (2 mm : 4,5 mm). Allein bei Nüsslin fehlte die Beschreibung der Fühler der geflügelten Weibchen von Pr. poschingeri, ebenso Angaben über die Körperlänge dieser letzteren. Aus diesem Grunde wandte ich mich brieflich an Herrn Prof. Nüsslin mit der Bitte, mir Präparate von geflügelten und ungeflügelten Weibchen von Pr. poschingeri zu senden, wobei ich bemerkte, „dass ich Pemphigus poschingeri für eine Übersiedlerform von P. bumeliae halte“. Herr Prof. Ö. Nüsslin war so liebenswürdig, mir je ein Präparat eines geflügelten und eines ungeflügelten Weibchens von Pr. poschingeri zu übersenden, worauf ich mich von der völligen Übereinstimmung von poschingeri und bumeliae auch in bezug auf den Bau der Fühler bei den Sexuparen überzeugen konnte. Für die Fühler der ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen finden wir gute Abbildungen bei Del Guereio; allein die Fühler der Fundatrices von Pr. bumeliae, welche zwar ebenfalls sechsgliedrig sind, unterscheiden sich doch durch ein abweichendes Größen- verhältnis der drei letzten Fühlerglieder. Jedenfalls muss auf Grund dieser Angaben die Frage über die gegenseitigen Beziehungen zwischen Pr. poschingeri und Pr. bumeliae im positiven Sinne entschieden werden. Durch die von mir ausgesprochene Vermutung angeregt, verglich Prof. Nüsslin seinerseits den Bau der Fühler der Sexuparen von Pr. poschingeri mit denjenigen der auf Rinde von Eschen abgestorbenen Sexuparen von Pr. bumeliae, wobei er eben- falls zu der Überzeugung gelangte, dass Pr. poschingeri nur eine Exulansserie von Pr. bumeliae darstellt. Ich vermute jedoch, dass auch Alb. Tullberg zu dem gleichen Resultate, wenn auch unabhängig von mir gelangt ist (in seinen „Experimentalfältet‘“), indem er mir in einem Briefe mitteilte, dass er auf den Wurzeln der Weißtanne Rhizo- marien gefunden habe, welche „eine Übersiedlerform der bekannten Pemphigus“ darstellen. Man wird demnach annehmen können, dass die Zwischenpflanze für Prociphilus bumeliae durch die Wurzeln der Weißtanne repräsentiert wird, auf welchen die Übersiedler, nachdem sie Ende Sommers und im Herbste einen Teil der geflügelten Sexuparen aus ihrer Mitte ausgeschieden haben, schließlich auch überwintern. Die andere Prociphilus-Art von der Esche, und zwar Pr. nidifieus Löw, habe ich in Bjelowesh nicht angetroffen, während diese Art in der Umgebung von Warschau sehr gemein ist. Prociphilus xzylostei De Geer migriert nach den noch nicht veröffentlichten Beobachtungen von Alb. Tullberg auf die Wurzeln der Fichte, wo die Exules augenscheinlich ebenfalls überwintern. In dem Park von Bjelowesh fliegen die Sexuparen dieser Art gleichzeitig mit den Sexuparen von Pr. bumeliae und ver- Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 117 Spitzen der Triebe und an jungen Blättern von Birken, V. alni Schr. endlich an den Spitzen der Triebe junger Erlen (Alnus glutinosa). Geflügelte Weibchen treten bei V. dryophila und V. betulae von Ende Mai und Anfang Juni auf. Offenbar steht ‚die Entwickelung geflügelter parthenogenetischer Weibchen in Abhängigkeit von äußeren Existenzbedingungen und ist nicht an irgendwelche bestimmte Zeitperioden gebunden. Bei V. dryophila beobachtete Lichtenstein in Montpellier geflügelte Sexuparen im Dezember, bei V. alni dagegen beobachtete er im Juli ungeflügelte Sexuparen. Die geschlechtlichen Individuen sind klein, jedoch mit Rüsseln ver- sehen, und saugen. Die latenten Eier werden bei V. dryophila nach Lichten- stein an den Zweigen von Eichen abgelegt. Obgleich demnach der Generations- zyklus der Vacunina noch nicht in genügendem Maße bekannt geworden ist, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass diese Gruppe in bezug auf ihre zyklische Fortpflanzung an die nicht migrierenden Vertreter der Unterfamilie Aphidinae erinnert. Loewia passerini Signoret. lebt auf der Rinde der Stämme von Pappeln (P. nigra, P. dilatata) an offenen Stellen, ebenso auf jungen Nebenschößlingen und auf der Rinde, welche die Risse in den Stämmen dieser Bäume überzieht‘s). Min- darus abietinus Koch lebt an jungen Trieben der Weißtanne, zwischen den Nadeln®); M. obliquus Cholodk. lebt auf der Rinde junger Zweige und Triebe von Pieea alba®°). Schizoneura lanigera Hausm. lebt auf der dünnen zarten kriechen sich ebenfalls in Risse und unter der Rinde der Stämme und Zweige von Lonicera tatarica. } Auf den Wurzeln des Riedgrases, Carex (paludosa?) fand ich im September und Oktober in Bjelowesh kleine, mit kurzem weißem Flaume versehene, gelblich- weiße ungeflügelte Individuen, seltener Nymphen, von Pemphiginen. Es gelang mir, aus den Nymphen mehrere Exemplare geflügelter Sexuparen von Colopha zu er- ziehen, welche sich bei ihrer Vergleichung mit geflügelten Emigranten von Ü. com- pressa Koch in den Dimensionen sowie in dem Bau der Fühler und der Flügel, als völlig übereinstimmend mit diesen letzteren erwiesen. Aus diesem Grunde halte ich die von mir gefundenen Läuse für Exules von C. compressa. Die ungeflügelten Exules (mit viergliedrigen Fühlern, wobei das vierte Glied nicht einmal deutlich vom dritten Gliede abgetrennt ist) überwintern auf den Wurzeln des Riedgrases. Es ist jedoch bemerkenswert, dass ich im Parke von Bjelowesh weder Ulmus effusa, noch Gallen von Colopha compressa angetroffen habe. Im diesjährigen Sommer (1908) ist es mir gelungen, Nachkommen geflügelter Emigranten von Schizoneura ulmi L. auf Wurzeln von Ribes nigrum zu erziehen. Durch diesen Versuch wird die Frage über den Zusammenhang von Schizoneura fodiens Buet. mit Sch. ulmi endgültig entschieden. Die Fühler der geflügelten Sexuparen von Sch. fodiens sind ihrem Baue nach völlig übereinstimmend mit den Fühlern der Sexuparen von Sch. ulmi, welche im September auf den Stämmen von Ulmus angetroffen werden. 48) Lichtenstein, J. Monographie des pucerons du peuplier. Montpellier 1886. — Ich selbst habe diese Art von Pflanzenläusen in der Umgebung von Warschau beobachtet. 49) Koch. Die Pflanzenläuse. Nürnberg 1870. — Nüsslin, O. Über eine Weißtannenlaus. Allgem. Forst- u. Jagdzeit., Juni 1899. — Cholodkovsky, N. Uber die auf Nadelhölzern vorkommenden Pemphiginen. Zool. Anz. 1896, Nr. 505. — Meine eigenen Beobachtungen über diese Art habe ich im Sommer 1907 im Dorfe Bjelowesh (Gouv. Grodno) angestellt. 50) Cholodkovsky, N. loc. eit. Zool. Anz. 1896; auch: Aphidologische Mitteilungen. 9. Zur Kenntnis der auf Nadelhölzern lebenden Schizoneurinen. Zool. Anz. Bd. 22, Nr. 602, 1899. — 17. Zur Geschichte der Schizoneura obligqua m. Zool: Anz. Bd. 24, Nr. 643, 1901. — Diese Art beobachtete ich in Bjelowesh im Jahre 1908. 118 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. Rinde der Stämme, Triebe und Wurzeln von Apfelbäumen, wobei sie durch ihr Saugen die Bildung missgestalteter Auswüchse oder Anschwellungen hervorruft®'). (Seh. piri Goethe lebt auf den Wurzeln von Birnbäumen, namentlich an dünnen Verästelungen °?). — Sch. americana Riley bringt ein Zusammenrollen der Blätter an Ulmus americana hervor, ähnlich wie Sch. ulmi an den europäischen Ulmus campestris ®). Pemphigus spirothecae Pass. bringt spiralige Gallen an den Blatt- stielen von Populus nigra und Pop. pyramidalis hervor°*). Als ausschließliche Bewohner von krautartigen Gewächsen kann man einst- weilen augenscheinlich nur die Vertreter der Gattung Pentaphis H orv.°°) ansehen, und zwar P. trivialis Pass. auf den Wurzeln von Poa trivialis, Triticum vulgare, Cynodon dactylon, Festuca elatior und F. duriuscula®°), P. marginata Koch auf Gramineenwurzeln in Ameisennestern, P. formicaria Heyd. ebenfalls auf den Wurzeln von Gramineen, unter Steinen und in Ameisennestern, endlich P. pawlowae Mordw.°’”) auf den Wurzeln von Bromus mollis, (Fortsetzung folgt.) Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. Von Carl Börner. (Aus der Kais. Biol. Anstalt f. Land- und Forstwirtschaft zu Dahlem-Berlin.) Herr Professor Nüsslin hat in Nr. 22 und 23 (Bd. XXVIH) dieser Zeitschrift!) meine Hauptarbeit über Systematik und Biologie der Chermiden?) einer eingehenden Kritik unterworfen, indem er von dem Grundsatz ausgeht, dass sie um so strenger ausfallen müsse, je mehr meine Darlegungen von den bisherigen Anschauungen ab- weichen. Dieser Standpunkt kann gewiss nur gebilligt werden. 5l) Goethe, R. Die Blutlaus. 2. Aufl., Berlin 1885. — Kessler, H. F. Die Entwickelungs- und Lebensgeschichte der Blutlaus, Schizoneura lanigera Hausm. Kassel 1885. — Keller, ©. Die Blattlaus und ihre Vertilgung. Zürich 1885. — Göldi, E. Studien über die Blutlaus. Schaffhausen 1885. — Portschinsky,J. Über die den Obstgärten in der Krim schädlichen Insekten. Die Blutlaus und einige andere Pflanzenläuse (Russisch). St. Petersburg 1886. — Mokrzecki, S. Einige Beobachtungen über den Zyklus der Geschlechtsentwickelung der Schizoneura lani- gera Hausm. M&m. Soc. nat. Nouv. Russie. Odessa, T. XXI, livr. 1, 1895. 52) Goethe, R. Die Wurzellaus des Birnbaums. Stuttgart 1834. — Meine Beobachtungen vom Herbst 1896 an dieser Art in der Umgebung von Warschau ergaben, dass wir es hier mit einer durchaus selbständigen Art zu tun haben. 53) Riley and Monell. Notes on the Aphididae of the United States, 1879. 54) Kessler, H. F. Die auf Populus nigra L. und Populus dilatata Ait. vorkommenden Aphiden-Arten. Kassel 1882. — Lichtenstein, J. Monographie des pucerons du peuplier, 1886. — Einige meiner Beobachtungen siehe: Mord- wilko. Zur Biologie und Morphologie der Pflanzenläuse, 1901. 55) Horvath, G. v. Eine alte und drei neue Aphiden-Gattungen. Wien. Entom. Ztg., XV. Jahrg., 1. Heft, 1896. 56) Mokrzecki, S. Die Wurzelläuse der Getreidearten. Journ. Sect. zool. Soc. Imp. amat. sc. nat. Moscou, T. II, Nr. 4, 1896. 57) Meine Beobachtungen über diese Art und deren Unterschiede von P. tri- vialis und P. marginata habe ich in nachstehender Abhandlung niedergelegt: Zur Biologie und Morphologie der Pflanzenläuse (Russisch), 1901, pp. 82—83. 1) Zur Biologie der Gattung C'hermes. II. 15. Nov. und 1. Dez. 1908. 2) Eine monographische Studie über die Chermiden. Arb. a. d. K. Biol. An- stalt, Bd. VI, Heft 2, 1908, S. 81-320, mit 3 Doppeltafeln und über 100 Textfig. Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. 119 Aber wie Nüsslin die älteren Resultate der Chermes-Forschung soweit irgend möglich zu rechtfertigen sucht und terminologisch, biologisch und teils auch systematisch zu ihm zurückkehrt oder zwischen ıhm und meinen Ansichten vermittelt, halte ich es für notwendig, die Hauptergebnisse meiner Studien den Nüsslin’schen Angriffen gegenüber zu verteidigen. Ungefähr gleichzeitig mit der Kritik Nüsslin’s sind bereits drei kleinere Aufsätze °”®) erschienen, in denen ich einige der Anschauungen Nüsslin’s besprochen und abgelehnt habe. Nüsslin’s bedeutungsvoller Aufsatz enthält jedoch noch verschiedene Punkte, welche einer Diskussion bedürfen, die ich an dieser Stelle fortführen möchte. Vorausgeschickt sei, dass ich die von mir vorgenommene Um- kehrung der Wirtsrelation nach dem Studium der klassischen Arbeiten Mordwilko’s°) aufgegeben und dass ich dieser Meinungs- änderung bereits im Zool. Anzeiger‘) und auch brieflich Herrn Professor Nüsslin gegenüber (lange vor Erscheinen seines Auf- satzes) Ausdruck gegeben habe. Aber Nüsslin hält mit Unrecht diesen Faktor meiner Hauptarbeit für wesentlicher als meine anderen Funde. Es war die Richtungsänderung der Migration für mich ein letzter Schluss aus meinen biologisch -morphologischen Unter- suchungen, deren Gültigkeit nicht fraglich erscheinen kann, sofern dieser eine Schluss hinfällig wird. Terminologisch führte mich derselbe allerdings zu einigen Änderungen, die ich indes auch heute noch für durchaus zweckdienlich halte, da eine Generätions- nomenklatur, welche morphogenetisch ist, einer rein bio- logischen, welche zudem buchstäblich nicht immer korrekt ist, meines Erachtens unbedingt vorzuziehen ist, da sie unabhängig bleibt von einer event. wechselbaren Migrationsrichtung. Ich werde deshalb auch in der folgenden Besprechung meine neuen Termini beibehalten und, um Verwechslungen auszuschließen, die Namen Nüsslin’s in Klammer beifügen. 1. Die Wirtsrelation. Wenn ich mich jetzt als Anhänger der Mordwilko’schen Theorie der Entstehung einer obligatorischen Migration bei den Pflanzenläusen bekenne und somit auch meimerseits Blochmann beipflichte, der generell die die Fundatrix tragende Pflanze (resp. deren Teil) als Hauptwirt angenommen hatte, so ist damit doch 3) Über Chermesiden. II. Experimenteller Nachweis der Entstehung diözischer aus monözischen Cellaren. Zool. Anz., Bd. 33, Nr. 17/18 (10. Nov. 1908). 4) Über Chermesiden. III. Zur Theorie der Biologie der Chermiden. Ibid., Nr. 19/20 (24 Nov. 1908). 5) Uber Chermesiden. IV. Dreyfusia piceae (Ratz.) und nüsslini n. sp. Ibid., Nr. 22/23 (22. Dez. 1908). 6) Vgl. diese Zeitschrift Bd. 27 u. 28, 1907 und 1908. 120 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. noch nicht die Beweiskraft aller der von Nüsslin vorgebrachten Punkte zugegeben. Ich selbst hatte bis auf einen, von Nüsslin bezweifelten Punkt alle seither, sowohl von seiten Blochmann’s und Cholodkovsky’s, wie auch die von mir für meine Ansicht vorgebrachten Gründe als subjektive gekennzeichnet, und ich muss nach reiflichster Überlegung abermals den subjektiven Charakter der früheren Beweismomente betonen. So sehr ich es auch be- dauern muss, mit den Mordwilko’schen Arbeiten (da sie im Original leider russisch erschienen sind) erst nach fast vollendeter Nieder- schrift meiner Chermes-Studie eingehender bekannt geworden zu sein, so kann es an sich doch nur nützlich sein, dass die beiden Möglichkeiten der Migrationsrichtung eimmal genauer durchdacht worden sind. Aber wir müssen uns bewusst bleiben, dass uns nur die von Nüsslin nach Mordwilko aufgestellte Stufenfolge von polyphagen, nicht eigentlich migrierenden Läusen über das Stadium der fakultativen Migration zur obligatorischen Diözie eine einiger- maßen sichere Grundlage zur Entscheidung dieser sehr subtilen Frage bietet. Ich möchte deshalb die von Nüsslın vorgebrachten zehn Punkte (sein elfter gehört nicht hierher) meinerseits einer Prüfung unterziehen. Zu 1 und 2. Nüsslın bezweifelt die von mir vorausgesetzte Anpassungsfähigkeit der Sexuales und der Fundatrix an neue Nährsubstrate und meint, dass bei der „biologischen Konzentration“ der Sexuales auf Erzeugung des amphigonen Wintereies diese kaum den Beginn einer Anpassung an neue Ernährungsbedingungen würden einzuleiten vermocht haben. Nüsslın gibt aber selbst an, dass die Chermiden-Sexuales ihr einziges befruchtetes Ei „unter wesent- licher Einschränkung ihrer Ernährung“ hervorbringen, ein forma- tives Prinzip, das bei den Pemphiginae und Phylloxerinae bekannt- lich zur Entstehung stechborstenloser Sexuales geführt hat, deren Darm funktionsunfähig geworden ist, die auch in der Tat keine Nahrung zu sich nehmen und lediglich mit Hilfe des ın ihnen noch vorhandenen embryonalen Dottermateriales heranreifen. Ich gebe zu, dass eine Anpassung der noch Nahrung von außen aufnehmenden Sexuales an neue Nährsubstrate frag- lich erscheinen kann, aber sie muss es nicht. Wir wissen noch keineswegs, ob die larvoide Spezialisierung der Chermiden-Sexuales schon zur Zeit eines polyphagen Stadiums stattgefunden hat, oder ob es nicht polyphage Chermiden gegeben hat, deren Sexuales sowohl auf der Fichte wie auf einer anderen Koniferenart gedeihen konnten, die aber schließlich auf die Fichte beschränkt blieben und erst nach fixierter Diözie ihre formalen Veränderungen und damit eine weitgehende Speziali- sierung erlitten und zugleich die Fähigkeit zu vielseitiger ander- weitiger Anpassung eingebüßt haben. Beweiskräftig ist das heran- Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. 12] gezogene Verhalten der Sexuales mithin nicht, denn bei Annahme der polyphagen Vorstufe könnte die Anpassung der Sexuales ge- rade auf dem späteren „Zwischenwirt“ erfolgt sein. Sobald die Sexuales keine fremde Nahrung mehr zu sich nehmen, wie bei den Pemphiginen und Phylloxerinen, fällt die Anpassungsnotwendigkeit für sie in bezug auf die Nahrung über- haupt fort. Sexuales von Phylloxeren und Schizoneuren habe ich unter abnormen Zuchtbedingungen ebensogut zur Eiablage bringen können, wie im Freien unter normalen Verhältnissen. — Anders wie mit den Sexuales steht es allerdings mit der Fun- datrix, obgleich auch für sie der Mangel einer Anpassungsfähig- keit an neue Nährsubstrate nicht bewiesen ist. Allerdings scheint beispielsweise die Reblaus-Fundatrix (wenigstens in Südeuropa) allein auf Amerikanerreben normal zu gedeihen, während die Wurzel- läuse (Virgogenien, Emigranten, Radicicolae) auf verschiedenen Rebenarten leben können. Aber innerhalb der Chermiden beschränkt sich die Polyphagie .der Virgogenien (Emigranten, Exsules) im allgemeinen auf nah verwandte Koniferenarten und wird ganz ähn- lich bei der Fundatrix von Onaphalodes strobilobius, Chermes abietis und Pineus pini beobachtet; ja, während die Fundatrix von Ohermes abietis auf sehr verschiedenen Picea-Arten gedeihen kann, sind deren Virgogenien nach den bisherigen Erfahrungen auf Larix europaea angewiesen, wie ebenso jene von Onaphalodes strobilobius. Es ıst folglich zurzeit nicht gut möglich zu entscheiden, ob die Fundatrix oder die Virgogenien (Emigranten) inner- halb der Chermiden die anpassungsfähigeren Formen ge- wesen sind. Dass die Gallenläuse als Kinder einer den neuen Verhältnissen angepassten Fundatrix keine Veranlassung haben konnten, die Nahrung ihrer Mutter zu verschmähen, liegt auf der Hand. Dass sie als Geflügelte zur ursprünglichen Wirtspflanze zurückfliegen konnten oder mussten, ist nicht schwerer vorstellbar, als ihre Auswanderung; in dieser Hinsicht stehen sich die geflügelten Virgoparen (Fundatrigenien) und Sexuparen gleichwertig gegen über. Wir sehen somit, dass sowohl bei der Theorie Blochmann’s, wie der meinen (von mir jetzt aufgegebenen), die Anpassungs- notwendigkeit an das neue Nährsubstrat in der Hauptsache auf eine Generation (Virgogenia oder Fundatrix) beschränkt ist. Die „Neigung einer Emigrans zur Polyphagie, Veränderlichkeit und An- passungsfähigkeit“, die Nüsslin annimmt, ist jedoch noch nicht so umfassend bewiesen, als dass damit diese Eigenschaften für die Fundatrix generell verneint wären. Zudem ist diejenige Form, welche Nüsslin als Hauptbeispiel für die Variationsfähigkeit der Virgines anführt, Dreyfusia pieeae, das Konglomerat von zwei scharf 1 [üe) 2 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden, getrennten Arten (piceae und nüsslini)’), deren jede alles andere als sehr variabel ist (wenn wir von der durch Nahrungsbeschrän- kung bedingten Rückbildung der Chitinsklerite, die bei allen Vir- gines der Pineinen und Dreyfusien zu beobachten ist, absehen). Zu 3. Zunächst zur Berichtigung, dass ich nie behauptet habe, dass ein Pineus-Urahn die Diözie eingeleitet hat; damit würde ich meinen eigenen phylogenetisch-systematischen Folge- rungen entgegen getreten sein. Allerdings erinnere ich mich, angedeutet zu haben, dass die ältesten (noch monözischen) Cher- midenahnen auf einer Konifere vielleicht aus der Gruppe der Kiefern gelebt haben könnten. Waren diese aber schon Pineus-Formen, die ich selbst als die morphologisch jüngsten Typen interpretiert habe? Es waren die theoretisch angenommenen, generisch noch nicht gegliederten Urchermiden mit tetra-pentamorphem Grund- charakter, von dem ich die heutigen Chermiden abzuleiten versucht habe, indem ich an drei verschiedenen Stationen eine Spal- tung des Hauptastes eingetreten sein ließ, und dies aus morpho- logischen Gründen, die einzig und allein bei generellen Verwandtschaftsbestimmungen in Frage kommen können. Diese Dichotomie des Chermidenphylums ist von Nüsslin nicht widerlegt worden, wenn er auch die zwischen Dreyfusia und Chermes bestehenden gemeinsamen Charaktere nur gering in Rechnung ge- setzt hat. Die von mir eingehend begründete dichotomische Cher- miden-Phylogenie hat mich zu der Annahme der einzigmaligen Entstehung der Migration innerhalb der Chermiden geführt’). Ich habe mich darzulegen bemüht, dass die Gesamterscheinung der Chermidenmigration das Produkt einer Konvergenz wäre, wenn — wie es die ältere Ansicht erforderte — die Ur- chermiden von der Fichte auf verschiedene andere Koniferen gewandert wären und demzufolge sich des weiteren spezifisch und generell gegliedert hätten (S. 279). Diesen Faktor hatte ich S. 280 in der Zusammenfassung als dritten Punkt erwähnt, auf dessen Bedeutung Nüsslin jedoch nicht eingegangen ist. Er allein zeigt uns aber, dass die Anpassung der Virgogenien (Emigranten) an die verschiedenen Nicht-Gallenpflanzen im Laufe der generellen Phylogenie vor sich gegangen sein wird, und wir dürfen auf keinen Fall mit dieser syste- matischen Differenzierung den Erwerb der Diözie als 7) Die neuen Gattungen Cholodkovskya CB. und Aphrastasia CB. machen meinen ersten Versuch einer Chermiden-Phylogenie keineswegs illusorisch. Sie ermög- lichen uns einen Einblick in die Morphogenie der Gattung Pineus CB., im übrigen ist jedoch die Kluft zwischen Onaphalodes und Chermes + Dreyfusia nicht verwischt worden; Cholodkovskya ist mit Onaphalodes, Aphrastasia mit Dreyfusia eng verwandt, beide zeigen mit Pineus gewisse Übereinstimmungen, unter sich selbst da- gegen keine. Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. 1923 solcher verquicken, zwei Erscheinungen, die voneinander völlig unabhängig sind und von mir zum erstenmal unter- schieden worden waren. Wenn wir berücksichtigen, dass zwischen den verschiedenen Generationen bei allen bekannten Chermiden ein gleichartiges Ab- hängigkeitsverhältnis besteht, dass die Biologie bei allen Formen trotz der größten Verschiedenheiten spezieller Art überaus einheit- lich ?) abläuft (als Gegensatz vergleiche man nur einmal die morpho- logisch viel einförmigeren, biologisch aber sehr verschiedenartigen Phylloxeren), so müssen wir entschieden annehmen, dass die heute lebenden Chermiden gemeinsam von einer und derselben bereits diözischen Ahnenform abstammen. Einerlei ob die Diözie von einer Sexupara- oder Virgopara-Fliege eingeleitet ist, oder ob (was mir jetzt wahrscheinlicher dünkt) eine polyphage Ahnen- form eine Beschränkung ihrer Generationen teils auf die Fichte, teils auf eine andere Konifere erlitten hat, wo- durch eine anfangs fakultative Migration in eine obligatorische ab- gewandelt worden ist: der Urahn der seither untersuchten Chermiden muss bereits obligatorisch migrierend ge- wesen sein, da wir sonst wohl irgendwelche biologischen Unter- schiede wesentlicherer Art zwischen den verschiedenen Chermiden erkennen müssten. Anzunehmen, die Diözie wäre innerhalb der Hauptgruppen Pineus, Onaphalodes und COhermes-Dreyfusia unabhängig erworben worden, muss ich entschieden ab- lehnen. Dies Resultat meiner seitherigen Chermesstudien bleibt also vollauf bestehen, aber ich gestehe ein, dass es die Entstehung der Diözie durch Vermittlung der Sexuparen nicht erklärt. Zu 4. Nüsslin möchte die generelle Gliederung der Cher- miden schon zu Zeiten der Monözie auf der Fichte eingetreten und von solchen differenten, nicht migrierenden Grundtypen die überaus gleichartige Erscheinung der Chermidenmigration in Konvergenz erworben sein lassen. Er sagt, dass ich „die artenzüchtende Kraft der einzelnen Pflanzenarten“ überschätzt hätte, da doch sowohl Pineus pini auf verschiedenen Pinus-, wie Ohermes und Cnapha- lodes als Gallenformen auf verschiedenen Picea-Arten lebten. Die von mir angeführten Beispiele der Entstehung neuer Arten (innerhalb der diözischen Chermiden) durch Anpassung an neue oder neue Organe schon besiedelter Nährpflanzen beziehen sich in erster Linie auf die spezifische Gliederung der Gattung Pineus. Genauer kennen wir von dieser Gattung pini, strobi und 8) Cholodkovskya viridana (Chol.) CB. ist biologisch noch nicht hinreichend aufgeklärt, es dürften aber die bekannten Generationen Virginogenien sein. Un- bekannt ist mir bedauerlicherweise auch noch Gwercioja populi (del Guercio) Mordw. geblieben, die in Italien auf Populus alba lebt und von Mord wilko als Chermide anerkannt worden ist. 124 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. sibireeus. Pini lebt ausschließlich auf Pinus-Arten der Unter- gattung Pinaster Endlicher-Eichler, strobi und sibiriceus auf zwei geographisch isolierten, morphologisch sehr verschiedenen (und deshalb von Endlicher auf zweı Untergattungen Cembra und Strobus verteilten) Arten der Untergattung Strobus Endlicher- Eichler. Und in Übereinstimmung damit lehrt uns die Systematik, dass morphologisch die Arten strobi und sibiricus enger mit- einander verwandt sind als mit pini, der beiden gegenübersteht! Möchte Nüsslin hier auch die Artengliederung auf die Fichte ver- legen? Und die von mir hervorgehobene Tatsache, dass wir keine einzige UÜhermidenart kennen, welche lediglich durch Anpassung an eine bestimmte Picea-Art entstanden sein könnte, lässt Nüsslin ganz außer acht. Die generische Spaltung der Chermiden durch An- passung der Virgogenien an generell verschiedene „Zwischenkoniferen“ habe ıch nur ın Diskussion gezogen, aber nicht dogmatisch erklärt (S. 278), wie es Nüsslin angenommen zu haben scheint. Es bleibt auch trotz Nüsslın auffällig, dass die (senera der Ohermiden m der Hauptsache an generell verschiedene Nicht-Gallenpflanzen gebunden sind (Pinus, Abies, Pseudotsuga, Larıx), aber Onaphalodes und C'hermes leben beide auf Larıx, so dass ich mir die Übersiedelung beider Typen auf Lärche so gedacht hatte, dass eine derselben (oder auch beide) von einer noch unbe- kannten, zwischen anderen Koniferen migrierenden Stammform ab- zuleiten sei. Denn die nachträgliche Überwanderung auf generell abweichende Wirtspflanzen ist selbstverständlich auch für solche Formen gegeben, welche ihre Entstehung bereits einer früheren besonderen Anpassung verdanken (z. B. pineoides auf Fichten ab- stammend von sirobi auf Weymouthkiefer). Ich habe die Ver- breitung der ÖChermiden auf die verschiedenen Abietinen- Gruppen mit der Verbreitung der Aphiden auf verschiedene Pflanzenkategorien verglichen und sie mit der systematischen Phylogenie in Verbindung gebracht, während ich die Mi- gration als einen davon unabhängigen Fall genereller Spezialisierung, der phylogenetisch vorangegangen sein muss, nachgewiesen habe. Ich bedaure es daher, wenn Nüsslin beide Momente wieder ohne Begründung vereinigt. Zu 6. Nüsslin sagt, dass die von mir morphologisch als älteste Form interpretierte Gattung C'hermes auch heute noch das „ausschließlichste Fichtenleben*“ führe. Diese Ansicht beruht aber leider auf der alten mangelhaften Kenntnis der Biologie von Chermes abietis, die von dem monomorphen, monözischen Lärchenzyklus dieser Art nichts wusste. Nüsslin lässt diesen von mir für alle Formen der Chermesini nachgewiesenen Zyklus deshalb bei «abietis nur als „Anhängsel“ gelten, um nur ja den pseudoarchaistischen Ruf Holmgren, Zur Frage der Inzucht bei Termiten. 125 der abietis-Biologie zu retten. Dass ich diese Auffassung nicht teilen kann, bedarf keiner weiteren Begründung, da C'hermes als Form mit junglarvaler Pentamorphie vor Pineus mit jung- larvaler Tetramorphie keinen Anspruch auf eine ursprünglichere Biologie erheben kann. Dass aber abietis auf der Lärche einen „kürzeren Aufenthalt“ nähme als die anderen Chermiden auf ihren Nichtgallenpflanzen, hat uns Nüsslin noch nicht bewiesen. (Schluss folgt.) Zur Frage der Inzucht bei Termiten. Von Dr. Nils Holmgren, Dozent an der Universität in Stockholm. In meiner Abhandlung: Studien über südamerikanische Termiten habe ich mich über die Fortpflanzung der Termiten so geäußert, als sollten sie sich ın der Regel durch Inzucht fortpflanzen. Ich stützte meine Annahme auf zwei Momente, nämlich 1. direkte Be- obachtungen während "des Schwärmens der Geschlechtstiere und 2. auf ein Experiment. Weil ich damals die volle Bedeutung meiner Darstellung nicht einsah, wurde die Frage sehr knapp behandelt. Da nun aber-Escherich in seiner höchst verdienstvollen Arbeit: Die Termiten oder weißen Ameisen (Leipzig 1909), p. 32, meine Resultate einer scharfen Kritik unterworfen hat, halte ich es für angemessen, mich hier näher über meinen Standpunkt in dieser Frage zu äußern. Als Material meiner Untersuchung diente Hutermes chaqui- mayensis, von dem bei der Gummibaracke Öhaquimayu (Prov. de Carabaya, Peru) in einem ziemlich kleinen Gebiet fünf Primär- und drei Ersatznester vorhanden waren. In zwei von den Primär- nestern kamen anfangs November Mengen von geflügelten Indi- viduen vor. Das eine dieser beiden Nester war an einem Baum- stumpf in einer neu angelegten Maispflanzung ungefähr 100 m südlich von der Baracke gebaut. Das andere lag ungefähr 100 m in west- licher Richtung von derselben Baracke. Die Geflügelten des ersten Nestes schwärmten anfangs November aus, die des anderen am Weihnachtstag. Bei den beiden Schwärmen schwärmten sowohl Weibehen wie Männchen gleichzeitig heraus. Bei dem ersten Schwarm bemerkte ich, dass die Tiere zu zweien oder dreien, ja sogar zu 4—5 zu Boden kamen!). Man konnte sie hier nun sehen, wie sie sozusagen einander verfolgten. Das eine Tierchen ging mit seinem Kopf in der Nähe der Hinterleibsspitze des anderen und sie bildeten sozusagen Ketten. Dies habe ich als den Beginn eines 1) Nach meinen Untersuchungen p. 90—91 gehört Eutermes chaquimayensis zu denjenigen Arten, welche mehrere Königinnen besitzen können. 126 Holmgren, Zur Frage der Inzucht bei Termiten. „Liebesspazierganges“ ?) gedeutet. Nach dieser Schwärmperiode be- gegnete ich oft in den anderen Baumstümpfen derselben Mais- pflanzung mehreren Termitenpaaren (9, 5) und auch 3—4 Termiten zusammen, welche unter der Rinde eingekrochen waren!). Die auf der Seite 94 meiner Abhandlung erwähnten zwei neugegründeten Kolonien, eine künstliche und eine natürliche, stammten aus zwei in Baumstümpfe in der Nähe des ersten Nestes eingekrochenen Termitenpaaren. Diese Beobachtungen sprechen ja gewiss, wenn auch nicht ganz einwandfrei, für meine Auffassung über das Vor- kommen von Inzucht bei Eutermes chaqwimayensis. Ein anderes Verhältnis, das gewiss auch für meine Theorie spricht, ıst, dass die Nester der Eutermes chaquimayensis fleckweise in größerer Anzahl vorkommen. Besonders ist dies außerordentlich deutlich im dichten Urwalde, wo die Nester oft sehr nahe beieinander gebaut sind. Dies hängt sicher davon ab, dass die Verbreitung der Geflügelten durch die Bäume wesentlich verhindert wird. Solche Gruppen von Nestern sind wahrscheinlich ursprünglich von einem Nest heraus- gebildet worden, indem von diesem Geschlechtstiere ausgeschwärmt waren und vom Urwalde an weiterer Verbreitung verhindert wurden. Sehr wahrscheinlich ist nun, dass die ersten neuen Kolonien durch Inzucht von einer Primärkolonie aus entstanden sind. In solchen Koloniengruppen kann 'nun eine Kreuzung geschehen, aber es ist dann immer nur eine Kreuzung zwischen nahen Blutsverwandten. Etwas anders verhält es sich in mehr offenen Gebieten, z. B. längs Wegen oder Fußpfaden im Urwalde. Hier haben die Termiten beim Schwärmen freies Feld für ihre Verbreitung längs dem Weg. Hier findet man auch Nester in großen Mengen an den beiden Seiten des Pfades am Rande der Waldung; aber nur wenige Schritte vom Weg hören die Nester auf oder sind ziemlich selten, wenn sie nicht eben in solchen Gruppen vereint sind, wie sie oben er- wähnt wurden. An offenen Plätzen ist somit die Möglichkeit einer Kreuzbefruchtung nicht ausgeschlossen, wenn z. B. zwei nahe bei- einander gelegene Nester gleichzeitig ihre geflügelten Geschlechts- tiere aussenden. Nun scheint es sich aber mit Eutermes chaqui- mayensis so zu verhalten, dass das Schwärmen gar nicht gleichzeitig stattfindet. Es ist außerdem sehr wahrscheinlich, dass nicht alle Nester jedes Jahr neue Schwärme aussenden. Eine Kreuzbefruch- tung muss deshalb wenigstens für Urwaldtermiten auf einen reinen Zufall beruhen, während eine Befruchtung zwischen nahen Bluts- verwandten hier die Regel ist. Das oben Gesagte ist das Wesentlichste meiner Beobachtungen 2) Das Ausschwärmen ist für Hutermes nicht durchaus notwendig, denn Ge- flügelte, welche aus einem Nest genommen waren und in eine Schachtel einge- schlossen wurden, gründeten hier eine neue Kolonie. Holmgren, Zur Frage der Inzucht bei Termiten. 197 über das Schwärmen der Termiten und die damit verbundenen Verhältnisse. Ich muss jedoch hervorheben, dass alle die oben dargelegten Verhältnisse mir noch nicht klar waren, als ich 1906 den fraglichen Teil meiner Abhandlung niederschrieb; erst später wurden diese Angaben aus meinen Aufzeichnungen zusammen- gestellt. Das Experiment, das ich erwähne und das Escherich kritisiert, beweist nicht, dass eine Kreuzbefruchtung nicht stattfinden kann, aber nicht aus den Gründen, welche Escherich hervorhebt. Das Experiment bestand darin, dass ich geflügelte Geschlechtstiere, Männchen und Weibchen, von den beiden oben erwähnten Nestern in einer Glasschale°) zusammenführte. „Sofort entstand ein wilder Kampf zwischen den zwei Gruppen von Geschlechtsindividuen, nach- dem die Überlebenden sich nach beiden Seiten zurückzogen.“ Nun sagt Escherich: „Ich muss gestehen, dass mir die Gründe Holm- gren’s durchaus unzulänglich erscheinen, einen solch schwerwiegenden Satz zu beweisen; denn einmal halte ich es für ungeheuer schwierig, wenn nicht für unmöglich, durch direkte Beobachtung beim Schwärmen festzustellen, ob nur Geschwister kopulieren oder ob nicht auch fremde Individuen von Nachbarstaaten sich darunter befinden; und was das Experiment betrifft, so besagt dies meiner Ansicht nach gar nichts. Es wäre vielmehr höchst wunderlich, wenn die in einer Glasschale zusammengesperrten Männchen und Weibchen sich fried- lich gegeneinander benommen hätten. Und wie ist denn festgestellt worden, dass die sich bekämpfenden Parteien den beiden verschie- denen Nestern entsprachen? Es können ‘doch ebensogut die Männ- chen desselben Nestes (also die Brüder) gegeneinander losgegangen sein! Von einem exakten, beweiskräftigen Experiment kann in diesem Falle keine Rede sein.“ Es scheint somit nach Escherich wunderlich, wenn die in einer Glasschale zusammengesperrten Männchen und Weibchen sich friedlich gegeneinander benehmen sollten. Darin liegt aber nichts wunderliches, denn ich habe in derselben Glasschale Hunderte von geflügelten Termiten aus demselben Nest tagelang gehalten, wobei sie so dicht zusammengedrängt waren, dass jede Bewegung für den Kameraden störend sein musste, und doch gingen sie nicht auf- einander los. Von mehreren anderen Termiten habe ich bemerkt, dass wenn Geflügelte (und andere Kasten) z. B. in eine Präparat- röhre eingesperrt sind, sie sich gleichwohl ganz friedlich benehmen. Legt man aber z. B. eine Termite einer anderen Art hinein, so wird sie ohne Erbarmen getötet. Also würde es höchst wunderlich sein, wenn die zusammengesperrten Männchen und Weibchen sich feindlich gegeneinander benommen hätten. Wenn eine solche 3) Der Boden der Schale war mit Erde bedeckt. 128 Holmgren, Zur Frage der Inzucht bei Termiten. Feindlichkeit wirklich existierte, wie sollten sich dann die Ge- flügelten vor dem Herausschwärmen im engen Nest benehmen? Was nun den anderen Einwand Escherich’s betrifft, nämlich die Schwierigkeit, festzustellen, zu welchem der beiden Nester die einander bekämpfenden Termiten gehörten, so erlaube ich mir mit- zuteilen, dass bei dem Experiment die Termiten so in die Glas- schale plaziert wurden, dass sie zwei Parteien bildeten, eine von jedem Nest. Mit einer solchen Versuchsanordnung ist es dann sehr leicht festzustellen, zu welchem Nest jeder der Kämpfenden gehörte. Ich betone hier, dass ich dies Experiment mehrmals ausgeführt habe, teils mit Geflügelten, teils mit Arbeitern und Soldaten, und immer mit demselben Erfolg. Es muss also aus- geschlossensein, dass die Männchen desselben Nestes gegeneinander losgingen. Obschon nun aber Escherich’s Einwände nicht zutreffen, so muss ich jedoch selbst seinem Schlussatz beistimmen: „Von einem exakten, beweiskräftigen Experiment kann in diesem Falle keine Rede sein.“ Der Grund, warum ich nunmehr mein eigenes Experi- ment nicht für ganz beweisend halte, ist darin gegeben, dass ein Teil der benutzten Geflügelten einem Nest entnommen wurde, deren Geflügelte im November ausschwärmten, während der andere Teil aus einem Nest stammte, das erst im Dezember seine Geflügelten aussandte. Die Geflügelten, welche zu dem Experiment benutzt wurden, befanden sich also auf verschiedener Stufe der Ausbildung; dies könnte ihre Abneigung gegeneinander erklären‘). Ob diese event. Verschiedenartigkeit der Ausbildung nun wirklich von Be- deutung ist, muss aber dahingestells werden. Die Frage über Inzucht bei Termiten muss also als noch nicht endgültig beantwortet bezeichnet werden, wenn auch sehr viel für einen derartigen Vorgang wenigstens bei Eutermes chaquwimayensis spricht. Allerdings liegt hier eine wirkliche biologische Frage vor, welche nicht nonchaliert werden darf. 4) Ich habe außerdem Anlass zu vermuten, dass die Abneigung, welche zwischen Termiten aus zwei Nestern besteht, auf Verschiedenheiten im Geruch beruht. Dass solch eine Verschiedenheit wirklich existiert, bemerkt man beim Eröffnen von mehreren Nestern einer Termitenart. Einige riechen gar nicht bemerkenswert, andere besitzen aber einen sehr ausgeprägten Harzgeruch. Ich halte es nun für sehr wahrscheinlich, dass dieser Geruch den Termiten eben als Erkennungszeichen dient. Wenn nun zwei Termiten (Z‘ und 2) denselben Geruch haben, so ist es natürlich, dass sie sich miteinander kreuzen können, auch wenn sie aus verschiedenen Nestern stammen. Ist der Geruch aber verschieden, so benehmen sie sich wahr- scheinlich als Fremdlinge und eine Kreuzung kommt nicht zustande. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwiekelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, - einsenden zu wollen. = A5. Bd. XXIX. äarz 1909. Inhalt: Börner, Zur Biologie und Syst matik der Chermesiden (Schluss), — Mordwilko, Beiträge zur Biologi: der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini (Fortsetzung). Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. Von Carl Börner. (Aus der Kais. Biol. Anstalt f. Land- und Forstwirtschaft zu Dahlem-Berlin.) (Schluss.) Zu 10. Mein zweites Argument für die Wirtsrelation im Sinne meiner früheren Theorie, dass die Diözie von der Sexupara- fliege ausgegangen sein müsse, da sich sonst die Virgogenien mehr gleichen müssten als es jetzt die Gallenformen tun, verwirft Nüsslin, indem er die größere Ähnlichkeit der Funda- tricen und Oellaren bezweifelt. Ich habe mit meinem Ausspruch einerseits die Rinförmig- keit der Fundatricen aller seither untersuchten Formen gegenüber der weitgehenden Spezialisierung der Virgino- genien (die im einzelnen zu analysieren hier unterbleiben kann), andererseits den nachweislich größeren Unterschied der Virginogenien gegenüber den Fundatricen und Cellaren bei Pineus pini und söbirieus im Auge gehabt. — Wenn Nüsslin zum ersten Vergleichspunkte Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Virgotypen aufführt, so sehe ich mich leider missverstanden. Es handelt sich nicht darum, ob es zwischen gewissen Virgogenien oder gewissen Fundatricen größere oder kleinere Unterschiede gibt, sondern darum, dass die Fundatrix bei allen Chermiden einheitlicher organisiert ist als die Virgogenien. Jene XXIX. B) 130 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. erscheint als Junglarve stets mit der typischen Zahl der Rücken- drüsen und -platten, als Mutter stets mit reichfacettierten Drüsen in meist ursprünglicher Anordnung, indem selbst die Hauptgruppen der Pineini und Chermesini als Fundatricen nur geringwertige Differenzen aufweisen (abgesehen selbstverständlich von den Gruppen- merkmalen [Stigmen, analen Wachsdrüsen]); diese haben in ihrer Drüsenentwickelung und -verteilung, Rückenplattenanordnung und anderen Merkmalen einen weit höheren Differenzgrad erreicht. — Im zweiten Falle übersieht Nüsslin gerade die wichtigsten Art- merkmale. Allerdings sınd die Virgojunglarven bei pini und sebirieus einander sehr ähnlich, aber sind sich die Fundatrix-Junglarven weniger ähnlich? Bei Pineus tritt der Artcharakter (wie bei den Phylloxeren) erst im Reifestadium schärfer hervor. Ich habe durch einen detaillierten Vergleich von Pineus pini, sibiricus und strobi zeigen können, dass die reifen Virgogenien u. a. durch die Drüsen- struktur des Kopfvorderbrustschildes scharf geschieden sind, vor allem pin von strobi und sibiricus (pini hat Drüsen mit isolierten, die beiden anderen solche mit polygonal zusammenhängenden Fa- cetten). Aber die reife Fundatrix hat bei sibiricus 1solierte cephale Facetten, zeigt also nicht diesen wesentlichen Artcharakter (die reife Fundatrix von pini wird jedenfalls auch isolierte cephale Facetten besitzen). Entsprechend sind die Sexupara-Nymphen der drei Arten zu unterscheiden, während die Cellaris-Nymphen bei pini und sibirieus cephale Drüsen mit isolierten Facetten tragen. Die feinere Struktur der Drüsen ıst als Diagnostikum wichtiger als Plattenverschmelzungen oder die Reduktion gewisser Drüsen; diese meine Annahme hat Nüsslin nicht widerlegt, so dass die von mir angeführte Tatsache als solche einstweilen bestehen bleibt. Aber ich gebe zu, dass ıhr kein objektiver Wert bei der Entscheidung der uns interessierenden Frage zukommt, weder ıhr noch allen anderen bisher erwähnten Punkten. Wenn Nüsslin übrigens selbst sagt, dass der erste „Anstoß zur Änderung durch Anpassung an den Zwischenwirt ausgelöst wird“, so erkennt er damit trotz seines Widerspruchs meine Ausführungen bis zu einem ge- wissen Grade an! Ist es demnach wirklich so unsinnig, den Arten- ursprung (d. h. den Beginn der Artendifferenzierung) auf die Nichtgallenpflanzen zu verlegen, wie ich es getan hatte? Widerlegt ist bei Anerkennung des letzten Satzes meine Annahme keineswegs. Nur ist eben die Artfrage unabhängig von jener nach der Entstehung der Diözie.. Als Gegenstück dazu ist es interessant, die Unterschiede zwischen den Phylloxera-Arten quereus B. de F. und florentina Tg.-Tz. zu vergleichen. Hier unterscheiden sich die auf verschie- denen Eichenarten (coceifera und ilex) lebenden Funda- Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. 13 trigenien (und wahrscheinlich auch die Fundatricen) relativ deutlich, während zwischen den in beiden Fällen auf Eichen der Robur-Gruppe lebenden Virginogenien bisher noch keine diagnostisch verwertbaren Unterschiede auf- gefunden werden konnten. Zu 9. Nüsslin gibt an, dass es ein Winterlatenzei bei den Phylloxeriden nicht gäbe. Bekanntermaßen überwintern aber alle Phylloxerinen als Latenzwintereier (Fundatrix), die heterözi- schen Arten außerdem als Virgogenien (meist im Junglarven- stadium), und nur bei den Ohermesinen ist an Stelle des Fundatrix- Wintereies die Fundatrix- Winterjunglarve getreten. Wir kennen sowohl Pemphiginen (Schixoneura, Pem- phigus, Tetraneura, Prociphilus) wie auch Phylloxerinen (Peritymbia, wahrscheinlich auch Moritziella), bei denen neben dem amphigonen Winterei eine Virgo überwintert; von diesen sind die meisten heterözisch, die Blutlaus aber mutmaßlich monözisch. Da nun die Fundatrix-Junglarve der Chermesinen dem Winterei der Aphiden und Phylloxerinen biologisch gleichwertig ist, müssen wir die Fundatrix-Winterlarve als eine sekundäre Spezialisierung be- trachten. Die Differenzierung virgogener Winterlarven hat mit der Entstehung der Fundatrix- Winterlarve nichts zu tun, da erstere bei den, biologisch den ursprüng- licheren Phylloxeren genäherten, Pineinen mit jung- larvaler Tetramorphie noch fehlt, die Chermesinen aber ausnahmslos junglarvale Pentamorphie,also den höchsten Grad polymorpher Spezialisierung zeigen, der uns über- haupt bekannt ist. Zu 8. Hier schneidet Nüsslin die Frage nach der durch Parthenogenese bedingten Degeneration an und bekennt sich trotz meiner gegenteiligen Darlegungen für den pathologi- schen Charakter der Biologie von Pineus strobi und Dreyfusia piceae (+ nüsslini mihi), die durch „eine zersplitterte unregelmäßige wirkungs- und aussichtslose Heimkehr rudimentär gewordener Generationen (Sexuparen und Sexuales) auf die Fichte“ gekenn- zeichnet sei. Brieflich hatte ich Herrn Professor Nüsslin meine Bedenken gegenüber dieser gänzlich unbewiesenen Annahme in dem in meiner Monographie geäußerten Sinne wiederholt, aber Nüsslin zitiert nur nach Cholodkovsky den Satz von der immer mehr verminderten Fähigkeit der Exsules zur Erzeugung von Sexu- paren, ohne meine Gegenerklärungen auch nur anzu- deuten. Man sieht, wie tief hier bei den Chermiden die Bal- biani’sche „Verjüngungstheorie* gewurzelt hat. Warum eilt denn COnaphalodes strobilobius nicht als Beispiel der Exulans- Wucherei als eines pathologischen Extrems? Treibt er es doch in dieser Beziehung fast am ärgsten! Nur dass er daneben 9* 133 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. normal heterogenetisch ıst. So ist es aber auch bei Pineus sibirieus in der Schweiz und Nordrussland, und bei pini in den Koni- ferenanlagen Mitteleuropas, in denen Picea orientalis ange- pflanzt ist. Ich nahm deshalb an, dass die Heimat der Arten strobi, piceae (nüsslini), u. a. nicht bei uns zu suchen sei, und von strobi wissen wir bereits, dass er in Nordamerika sehr häufig ist, während das normal-heterogenetische Vorkommen von nässlini im Kaukasus wahrscheinlich gemacht ist. Ehe wır also ein wahr- scheinlich dureh klimatische Einflüsse bedingtes abnormes Verhalten gewisser Chermiden in gewissen geographischen Be- zirken dogmatisch als „pathologische Extreme“ erklären, sollten wir lieber erst noch Studien über die geographische Verbreitung der fraglichen Formen anstellen, eine Notwendigkeit, die ich ver- schiedentlich angedeutet habe. Dass es äußere Faktoren sınd, welche die scheinbare Impotenz der Sexuales jener bei uns praktisch rein parthenogenetischen Arten bedingen (strobi, nüsslint, sibirieus [teils auch pini]), habe ich in meiner Studie immerhin wahrscheinlich gemacht. Ich bin der festen Überzeugung, dass es gelingen wird, unter den jeder Art ursprünglich zukommenden klimatischen und Ernährungsbedingungen auch die jetzt sexuell impotenten Formen zur normalen Heterogonie zurückzuführen, dass wir wohl auch jene wenigen Arten, deren Sexuparen noch unbe- kannt sind (piceae s. str., pineoides), zur Entwickelung dieser Gene- ration werden veranlassen lernen. Ein günstig verlaufener Fall dieser Art liegt bereits vor. Im temperierten Rebhaus ist es mir auf dem Reblausversuchsfelde der Kais. Biolog. Anstalt zu Villers ’Orme bei Metz gelungen, von den durch hiesige Reblaus-Sexuparen erzeugten Sexuales normale Winter- eier zu erzielen, während diese selben Sexuales bei uns im Freien „funktionsuntüchtig* sind, ganz wie jene von Dreyfusia piceae oder Pineus sibiricus oder anderen Arten. Und diese Impotenz der Reblaus-Sexuales währt in unseren Breiten schon über 30 Jahre! ’ Überdies geht Nüsslin zu weit, wenn er für Dreyfusia piceae (d.h. + nüsslini) oder Pineus strobi eine „Ausartung der Partheno- genese“ annimmt. Die Variabilität der Virgogenien (Emigranten) dieser (und anderer) Arten verläuft in sehr bescheidenen Grenzen, und ihre Anpassungsfähigkeit ist durchaus nicht viel größer als diejenige der Fundatricen, wenigstens nicht in bezug auf die Art des Wirtes. Es ist ein Trugschluss, dass durch diese partheno- genetische Wucherei „die Gamogenese der Art vernichtet und da- mit die Existenz auf dem ursprünglichen Wirt illusorisch gemacht“ sei. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass z. B. Pineus pini nor- malerweise auf Picea orientalis Gallen bildet, und dass P. strobi dies auf Picea alba oder einer anderen nordamerikanischen Tanne Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. 133 vollbringt?) Man bringe nur einmal unsere pathologisch veränderten Virgogenien (Emigranten) von strobi, sibirieus, nüsslini (auch pini) in ihre heimatlichen Verhältnisse zurück, und es wird sich mit Evidenz zeigen, dass ihre Sexuales noch so funktionstüchtig sind wie ehedem! Umgekehrt wird es sich herausstellen, dass die Virg en der genannten Arten dort, wo sie noch ee Ben esch (d. h. eigentlich Bye) sind, ganz dieselbe „pathologische Woher ei“ treiben; wir nn uns nur unseres heimischen strobilobius zu erinnern! Ist andererseits die gamogenetische Generation nicht auch innerhalb der monözischen Gallenzyklen vollständig unterdrückt worden? Hier fehlt überhaupt jegliche Andeutung eines Rudimentes der Amphigonie! Aber dieser Fall findet seine Aus- legung als archaistisches Relikt aus der Zeit der Monözie (obwohl bei monözischen Pflanzenläusen so etwas sonst nicht vorkommt), jener andere beweist, dass die Pflanze, auf der niemals Sexuales zur Differenzierung gelangen, der ursprüngliche Wirt sei!! Rücksichtlich der schwächenden Wirkung der Parthenogenese bedenke man auch, dass ich die Virgogenien von Pineus pini bei Darreichung frisch treibender Maitriebe zu normalen Larvenmüttern habe heranzüchten können, auch wenn ihre Mütter die „typischen“ Zeichen der Degeneration an sich trugen. Ich schloss hieraus (und aus anderen Daten), dass „nicht die andauernde Partheno- genese, sondern die schmälere Kost schwächend wirkt“ (S. 295). Wir sehen somit, wie wenig releiin die im vorstehenden besprochenen Gründe für oder lat: die eine oder andere Mi- grationstheorie anzuwenden sind; sie sind allesamt subjektiv und unschwer für die gegenteilige Meinung zu verwerten. Zu 5. In diesem Abschnitt leitet Nüsslin nach den For- schungen Mordwilko’s die obligatorische Diözie (Heterözie) aus einem Stadium fakultativer Diözie resp. beschränkter Poly- phagie her, dem ein weitgehend polyphages Anfangsstadium vorangeht. Diese Phylogenie der Diözie Mordwilko’s scheint in der Tat diejenige Pflanze als Hauptwirt zu „beweisen“, auf dem die Fundatrix lebt. Denn bei fakultativ migrierenden Pflanzen- läusen leben die Sexuales niemals auf dem Zwischen wirt. 9) So weit die Beschreibungen, welche ©. P. Gillette in seiner Arbeit „Cher- mes of Colorado Conifers‘“ (in Proceed. Acad. Nat. Sc. Philadelphia. January 1907, S.3—22, Taf I—XI) den von ihm untersuchten Arten gewidmet hat, in dieser Richtung einen Schluss zulassen, dürfte der auf Picea alba Gallen bildende Chermes montanusGillette als Gallenform des Pineus strobi in Frage kommen, während ich Chermes similis Gillette einstweilen als Gallen- form des Pineus coloradensis (Gillette) mihi ansprechen möchte, 134 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. Aber trotz alledem ist auch dieser Grund nicht zwingend. Geht wirklich allgemein ein polyphages Stadium dem fakultativ migrierenden vorauf, d. h. können anfangs alle Generationen der ursprünglich tetra-pentamorphen Art (mit junglarvaler Trimorphie) auf beiden (oder mehreren) Wirtstypen leben, so beweist der Ein- trıtt der fakultativen Migration nur eine Beschränkung gewisser Generationen auf einen der beiden Wirte, eine Spezialisierung, die sich für die Fundatrix und Funda- trigenien schließlich in den meisten Fällen auch dadurch kundgibt, dass diese Generationen biologisch höher diffe- renziert erscheinen (als Gallentiere), während die anderen im anpassungsfähigeren Stadium der nicht lokal be- schränkten Ahnenform verharren. Dass aber eine Spezialı- sierung einzelner Generationen allemal (wenn überhaupt) immer auf dem „Hauptwirt“ stattgefunden haben muss, ist eine rein subjektive Annahme. Namentlich bei den Chermesiden, die ausschließlich auf Laub- oder Nadelhölzern, nicht auch auf Kräutern, leben, scheint mir eine Spezialisierung gewisser Gene- 'ationen in Anpassung an die eine der beiden Wirtstypen als Anstoß zur Entstehung eines fakultativen und somit auch der obligatorischen Diözie (Migration) weit mehr Anspruch auf Wahrscheinlichkeit zu haben, als die Ableitung der diö- zıschen Formen von monözischen durch Auswanderung einer sexuparen oder virgoparen Fliege Die Reblaus- biologie verdient in dieser Hinsicht besonderes Interesse, da hier nur die Sexuparen, nicht aber die den „Migrantes alatae“ der Cher- miden entsprechenden Gallenläuse wandern. Ehedem dürfte die Reblaus (resp. ihr Ahne) (wie die Blutlaus am Apfelbaum), sowohl die ober- wie die unterirdischen Reborgane gleichmäßig besiedelt haben; mit der Spezialisierung der Fundatrix und ihrer nächsten Nachkommen zu Gallenläusen verloren diese die Fähigkeit zur nor- malen Wurzelbesiedelung, während umgekehrt die jetzigen Wurzel- läuse ihre Befähigung zum oberirdischen Stengel- oder Blattleben (das sich dann allerdings auch in Gallen vollzieht) noch nicht ganz eingebüßt haben. Mag man zwischen Haupt- und Zwischenwirt unterscheiden, praktisch ist es zweifellos; aber es ist nicht zweckmäßig, den einen oder anderen zum „Nebenwirt“ zu degradieren, da die Ver- suchung zu groß ist, die auf diesem Zwischenwirt lebenden Gene- rationen als „Schaltglieder“, nicht recht als vollwertig zu betrachten. Weil ich die potentielle Gleichwertigkeit aller Gene- rationen zum erstenmal verfochten habe, da „in ihnen allen die gesamten spezifischen Charaktere ın ihrer gesetz- mäßigen Aufeinanderfolge als Qualitäten enthalten sind“; da ferner „jeder Zyklus in sich existenzfähig sei, während Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. 135 ın ihm die Potenzen der anderen Zyklen latent ruhen“ (S. 285), hatte ich nach reiflicher Überlegung die einzelnen Gene- rationen der Chermiden nicht mehr numeriert, sondern statt dessen die zyklischen Schemata eingeführt, die uns wie eine synthetische Formel den biologischen Charakter der Art besser kundtun als Generationsnummern. Wenn Nüsslin gleichwohl auch mir solche Zahlen (natürlich ın anderer Reihenfolge) zuschreibt, so beruft er sich dabei auf meine lediglich terminologische Tabelle in meiner ersten vorläufigen Mitteilung. Biologisch habe ich die Chermidengenerationen nicht mehr gezählt; hätte ich es getan, würde die Fundatrix sicherlich auch von mir als I gezählt worden sein, da diese Zahl phylogenetisch festliegt. Das Hauptresultat dieser kritischen Betrachtungen lehrt uns, auf wie schwankem Boden auch heute noch die Migrationstheorien ruhen, dass weder die alte Blochmann’sche, noch meine (von mir selbst aufgegebene) definitiv bewiesen oder widerlegt ist, dass aber wahrscheinlich eine Unterscheidung von „Urwirtspflanze* und „Zwischenwirt“ wenigstens bei den CUhermesiden überhaupt unzu- treffend ıst, sofern wir an den drei Stufenfolgen Mordwilko’s und Nüsslin’s, die von polyphagen über fakultativ zu obligatorisch migrierenden Formen emporführen, festhalten. II. Die Nomenklatur der Generationen. Dass ıch bei der im 1. Kapitel geschilderten Lage der Dinge entschieden für die Anwendung meiner, zumal der jüngst vorge- schlagenen, Termini plaidieren muss, liegt wohl auf der Hand. Gerade die Unsicherheit, die wir zurzeit bei Bestimmung der Migrationsrichtung noch nicht überwunden haben (Nüsslin unter- scheidet nicht streng genug zwischen subjektiven und objek- tiven Beweisgründen), sollte uns warnen, die Nomenklatur der Generationen‘ auf die Migrationsrichtung zu basieren. Sodann habe ich letzthin gezeigt, dass die Nomenklatur der diözischen Typen in ihrer älteren Fassung nur spezielle, keine generelle An- wendbarkeit besitzt. Einen Typus Migrans und Emigrans zu nennen, der selbst nicht wandert (vgl. die nicht wandernde Migrans der Reblaus oder die nicht wandernden Emigrantes der Chermiden), geht doch mit dem besten Willen nicht gut an, und wenn auch durch solehe Namenänderungen Schwierigkeiten für das Verständnis der Biologie entstehen mögen, so bestehen diese doch nur für die jetzige Generation, welche den Wandel der Anschauungen mit er- lebt, nicht aber für die kommenden Forscher, denen mit meiner generell brauchbaren Nomenklatur sehr viel leichter verständliche Termini überliefert werden. 136 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. Wenn übrigens Nüsslin meiner Virgo den Sinn beilegt, dass sie die erste Generation des ganzen Zyklus sei und der Terminus folglich mit bezug auf die Wirtsrelation gewählt sei, so be- findet er sich damit in einem mir nicht begreiflichen Irrtum. Ich habe ($. 292) ausdrücklich gesagt, dass ich die parthenogenesierenden und -selbst parthenogenetisch entstandenen (apteren) Typen nach Dreyfus als Virgines bezeichne. Da ich die Chermiden-Virgmes mit denen der anderen Blattläuse bereits damals homologisiert habe, so geht daraus hervor, dass ich den Terminus Virgo durch- aus nicht in Beziehung zur Diözie bringen wollte. Ebenso ist Nüsslin’s Homologisierung meiner (Virgo) Hie- malis mit der alten Emigrans unzutreffend. Meine (ältere) Virgo ist identisch der älteren Emigrans + Exsul, meine Hiemalis eine spezialisierte Virgoform, die zum Teil mit der alten Emigrans zusammenfällt. Im Zoologischen Anzeiger habe ich bereits wiederholt auf diese Verhältnisse hingewiesen. Emigrans ist in der alten Nomenklatur nur die Tochter der geflügelten Gallen- laus, Exsul das Kind der Emigrans, einerlei ob dieses Kind ın Emigrans- oder in einer anderen Form erscheint, die im Laufe des Jahres doch allemal wieder in die erste Form der Emigrans überleitet. Ich habe Emigrans und Exsul miteinander homologisiert (sofern keine Differenzierungen beider Typen in Hiemalis und Aestivalis vorliegen), und dies ist eins der wichtigsten Ergebnisse meiner theoretischen Ausführungen. Bei Nüsslin kehrt aber immer noch die Exsul (in Emigrans-Gestalt!) wieder, trotz der von mir auch brieflich geäußerten Bedenken. Exsul will Nüsslin jetzt auf die Fälle beschränken, in denen wir die echte Emigrans noch nicht kennen (piceae, nüsslini, strobi), da es „geradezu un- wahrscheinlich“ sei, dass hier die Exsul durch ihre Anpassung an die neuen (geographischen) Verhältnisse keine Veränderungen erlitten habe. Hier unterscheidet Nüsslin die Artfrage nicht von derjenigen der polyzyklischen Biologie. Entsteht im ange- deuteten Sinne eine neue „Exsul“, so wird diese der Ausgangspunkt für eine neue Art (oder Rasse), die mit der Stammform nichts mehr zu tun und folglich auch ihr Exsul-Verhältnis zur alten Emigrans gelöst hat! Diese Exsulans Nüsslin’s ist etwas ganz anderes als die alte Exsulans, ein rein hypothetisches Gebilde und kein Gene- rationsglied einer schon bekannten polyzyklischen Art. Es freut mich jetzt um so mehr, dass ich neuerdings‘) auch Exsul als Ersatz für die migratorische Emigrans abgelehnt habe, denn es kann nicht geraten erscheinen, Begriffe mit so wandel- barem Inhalt an Stelle einer neuen eng begrenzten wieder ins Leben zurückzurufen. Die folgende Tabelle stellt die verschiedenen seither allgemeiner gebrauchten Termini, soweit sie nicht überein- stimmen, in gegenseitiger Homologie zusammen. Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. 137 Nüsslin Verfasser Verfasser | Cholodkovsky-Nüsslin 1908 1907 | 1895 —1903 1908 | | Fundatrigenia | Cellaris | Migrans Migrans cellaris dioeca | dioeca | alata | dioeca monoeca | monoeca | Alata non migrans monoeca Virginogenia | Virgo |Emigrans (Fundatrix) Emigrans-+ Exsul | spuria oder intermedia) | + Exsul | hiemalis ı Hiemalis _- Emigrans + Exsul aestivalis | Aestivalis | — Aestivalis II. Die Genese der dimorphen Virginogenien der Chermiden. Meine Ansichten über die Entstehung der Winter- und Sommer- typen der Virginogenien (Emigranten) der Chermesimi habe ich im 3. und 4. Aufsatz „über Chermesiden“ im Zoolog. Anzeiger +) bereits dargelegt. Ich kann mich deshalb bier auf einige wenige Punkte beschränken, die noch einer Klarlegung bedürfen, zumal meine Artikel vor Kenntnisnahme der genauen Ausführungen Nüsslin’s geschrieben waren. Zulund2. Chermes und Pineus. Nüsslin beginnt seine Betrachtungen mit der weiter oben bereits als irrtümlich nach- gewiesenen Angabe, dass ich den Terminus Emigrans in Hiemalis abgeändert habe. Ich muss dies entschieden hervorheben, da in der Darstellung Nüsslin’s der große Unterschied zwischen dem alten Begriff der Emigrans und meiner Hiemalis verwischt erscheint. Meine Hiemalis ist nur ein Teil der Emigrans, ein winter- harter Emigrans-Typus der bei allen Ohermiden einen in sich ge- schlossenen Jahreszyklus bildenden Virginogenien (Emigranten). Die Biologie einer Chermide (Chermes abietis) nicht als Ganzes, sondern getrennt in Hauptzyklus und „Anhängsel“ zu betrachten, vermag ich nicht zu rechtfertigen. Das Grundschema, welches Nüsslin (Fig. 1) für Ohermes abietis aufstellt, ist das Schema für einen diözischen Urtypus (verwirklicht bei gewissen Pemphiginen), aber nicht für eine Chermide mit junglarvaler Pentamorphie! Nüsslin’s Grundschema gilt nur für Formen mit junglarvaler Tetramorphie, aus dem sich der Pineus-Typ durch Wiederholung der „Emigrans“-Generation und deren zyklische Jahresverbindung herleiten lässt, wie ich es in meiner Monographie bereits angedeutet habe. Die Junglarven-Pentamorphie hat aber Nüsslin bei abietis übersehen. Er hat desgleichen nicht berücksichtigt, dass die Spaltung der Sexuparen und Virgogenien immer nur bei weichhäutigen Sommerformen mit relativ größerem Gehirn stattfindet, wie es noch heute bei den Pineinen, 138 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden, Phylloxeren und vielen Aphiden der Fall ist; dass wir keinen einzigen Anhaltspunkt haben für die Annahme, dass diese gleich- artige Sexupara-Virgo- (resp. Aestivalis-) Spaltung sich nicht überall an homologem Material vollzieht; dass seine eigenen Ansichten voraussetzen, dass die Virgo-Sexuparaspaltung von Pineinen, Phylloxeren und Aphiden der Hiemalis-Sexupara- spaltung der Chermesini gleichwertig sei, obwohl die Aestivalis- Sexuparaspaltung der letzteren mit der Virgo-Sexuparaspaltung der ersteren weit mehr übereinstimmt. Die Notwendigkeit, eine Form mit junglarvaler Pentamorphie einer anderen mit junglarvaler Tetra- morphie biologisch-phylogenetisch voranzustellen, vermag ich zurzeit nicht einzusehen. Wenn Nüsslin meint, dass ich mit meiner Erklärung der Pineus-Aestivales als Zwischenformen zwischen Virgo und Sexupara, die ersteren als sekundäre Derivate der Sexuparen interpretiere, so ist dies ebenfalls ungenau. Was ich unter Zwischenformen dieser Art verstehe, habe ich S. 145 u. 146 meiner Monographie deutlich genug gesagt. Solche Zwischenformen sind nur da mög- lich, wo eine scharfe Trennung beider aus gleicher Anlage entspringenden Typen stattgefunden hat, und das trifft biologisch (Fortpflanzung) und morphologisch für die Virgogenien (inkl. Aestı- valen) und Sexuparen bei allen Pflanzenläusen zu, sofern beide Typen beobachtet werden. Selbstverständlich hat sich die aptere Virgo aus der geflügelten Laus differenziert, aber nicht ausschließ- lich aus der Sexuparenform. Die aptere Virgo steht der ge- flügelten Virgino-Sexupara gegenüber, aber die systematische Biologie lehrt uns, dass bei heterözischen Arten die Sexu- paren nur noch mit den Virginogenien aus gleicher Anlage entspringen. Die Amphigonie ist bei den polyzyklischen Pflanzenläusen ein biologisches Rudiment und demge- mäß mehr und mehr auf ganz bestimmte „Junglarven- typen“, d. h. Generationsanlagen, beschränkt worden. Dass übrigens meine biologischen Schemata den Anschein erwecken könnten, als ob ich die Sexupara von einer Virgo ableiten wolle, wird wohl nur Nüsslin befürchten, ın dessen neuen Schematas bedauerlicherweise die Entstehung der Sexupara und Virgogenia oder Aestivales einerseits, der Cellaris monoeca und dioeca anderer- seits aus gleicher, erst postembryonal oder unmittelbar vor dem Schlüpfen differenzierter Anlage, welche von mir im Gegensatz zu den älteren Anschauungen einwandfrei nach- gewiesen worden ist, nicht zum Ausdruck gelangt ist. Ob man meine Schemata in Ellipsenform bringen will, ist Geschmacks- sache, ich persönlich halte die Kreisform für besser. Den Tren- nungsstrich der Wirtspflanzen durch die wandernden Generationen zu führen, ist immerhin diskussionsfähig, besser aber ist es meiner Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. 139 Sexuales Sexupara Fundatrix 4 Virgogenie Cellaris Sexuales Sexupara Cellaris Fundatrix & Hiemalis Cellaris dioeca — Biologisches Schema vou Ühermes. Ansicht nach, bei meiner Schemaform zu bleiben, weil in ihr einmal die Entstehung der Wanderformen auf der einen oder anderen 140 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. Wirtspflanze, andererseits ihr Wanderflug durch die Verbindung mit den jenseitigen Tochtergenerationen weit klarer zum Ausdruck gelangt (vgl. Fig. 1 und 2). Nüsslin unterscheidet nun die drei Hauptzyklen der Gattungen Chermes und Onaphalodes, als A-, B- und C-Zyklen. Ich meinesteils müsste die Buchstaben B und Ö vertauschen, da der B-Zyklus nur bei den genannten Gattungen, sonst aber bei keiner einzigen Pflanzenlaus beobachtet ist, also dem C-Zyklus gegenüber keinen Anspruch auf ein phylogenetisch höheres Alter hat. Zu 3. Dreyfusia. Seine von Nüsslin zur Erklärung der Bio- logie von Aphrastasia pectinatae im Sinne Cholodkovsky’s heran- Sexuales Sexupara Cellaris Fundatrix Monsei Hiemalis Cellaris dioeca Biologisches Schema von CUnaphalodes. gezogene Beobachtung der Entwickelung von Hiemalıs- (Emigrans-) Junglarven zu Sommerläusen hat sich nach meinen eigenen Unter- suchungen einmal dahin aufgeklärt, dass Nüsslin’s piceae aus zwei morphologisch streng unterschiedenen Arten (piceae Rtz. und nüss- lini mihi) besteht, dass ferner die vermeintlichen Hiemalis- Junglarven der echten piceae sehr wahrschemlich echte Aesti- valis-Junglarven sind. Wenn also bei pectinatae tatsächlich die Hiemalis-Junglarven schon während des Sommers heranwachsen können, so würde pectinatae sich biologisch an die Pıneinen an- schließen, d. h. es würden die Arten der Gattung Aphrastasia junglarvale Tetramorphie zeigen. Ich konnte letzthin dar- legen, dass die Dreyfusien biologisch in der Tat den Pineinen Börner, Zur Biologie und Systematik der Ühermesiden. 441 sehr nahe stehen, dass die Dreyfusien wahrscheinlich auch mor- phologisch eine ältere Stufe polymorpher Differenzierung einnehmen, während Cherines ın einigen anderen Merkmalen mor- phologisch ursprünglicher erscheint. w Würde sich diese Annahme beweisen lassen, d. h. ein Über- gang von Formen junglarvaler Tetramorphie ın solche junglarvaler Pentamorphie, so würde damit dem archaistischen Chermes die letzte Rettung seines alten unberechtigten Rufes abgeschnitten sein. Da nach meinen Untersuchungen pectinatae der Vertreter einer neuen Gattung Aphrastasia mihı!’) ıst, die in verschiedener Hin- sicht eine Art Mittelstellung zwischen Pineus und Dreyfusia ein- nimmt, dürfen wir den künftigen Forschungen mit großem Interesse entgegensehen. Zu 4. Cnaphalodes (strobilobius). Einmal möchte ich hier mein biologisches Schema dem von Nüsslin nicht gerade glücklich abgeänderten entgegenstellen (Fig. 3), sodann einige Worte über die „Latenzlarve“* (Hiemalis) anschließen. Die Latenzlarve als solche kann erst entstanden sein, nach- dem sich ein Wintertypus unter den Virgogenien differenziert hatte, dessen Entwickelung an die Winterruhe gebunden worden ist. Wenn ich für die Pineinen das Vorhandensein überwinternder Larven der ersten Sommergeneration in meiner Monographie nicht ganz verneint hatte, so kommt dies daher, dass ich im Banne meiner Hiemalis-Entdeckung das Fehlen dieses Typus für die Pineinen noch nicht als erwiesen annehmen konnte. Nachdem ich jetzt die Phylloxeren eingehend studiert habe, glaube ich, auch für die Pineinen das Vorkommen echter Winterläuse ne- gieren zu dürfen. Die monomorphen Virgogenien der Pineinen und Phylloxeren (Peritymbia, Moritziella) pflanzen sich während des ganzen Jahres fort, so lange Temperatur und Nahrungsverhält- nisse es gestatten. Ein Wintertypus (mit stärkeren Skleriten und kleinerem Gehirn) fehlt bei ihnen noch. Sobald er aber diffe- renziert war, musste sich seine Fähigkeit zu sommer- lichem Wachstum ohne voraufgegangene Winterruhe mehr und mehr verlieren. So liegen die Tatsachen bei deu Chermesini (vielleicht mit Ausschluss gewisser Dreyfusien). Wenn nun die erste Generation im Frühling (Hiemalis) in diesen Fällen bereits Hiemalis-Eier legt, so wäre es geradezu verwunderlich, wenn diese noch vor Wintersanfang geschlechtsreif werden würden! Dasselbe trifft natürlich für alle anderen bereits frühzeitig im Jahre geborenen Hiemales, auch wenn sie Kinder der Aestivales sind, zu. Dass der Hiemalis eine große zyklische Bedeutung 10) Vgl. ©. Börner: Aphrastasia pectinatae (Chol.) CB. Selbstverlag. Ausgegeben vom 4. Februar 1909. 142 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. zukommen muss, ist selbstverständlich, denn die Über- winterung ist für das Bestehenbleiben einer Polyzyklie geradezu vorauszusetzen. Dass diese Überwinterung durch Differenzierung besonders geeigneter Larven erleichtert wurde, ist auch nicht auffällig. Aber die Latenzlarve ist nicht das Haupt- charakteristikum des Hiemalıstypus, sondern seine Winter festig- keit überhaupt, die den Aestivales nicht eigen ist. Dass diese Latenzlarve endlich gar te amphigone Fort- pflanzung durch Amphimixis im Sinne der Konstanzerhaltung“* bei den Arten mit „ımpotenten* Sexuales (z. B. piceae, nüsslini) über- nommen haben soll, kann nicht angenommen werden, denn Amphi- gonie und verlangsamte, aber Snlamen nde Par thenogenese sind doch San! dasselbe! Überdies fordert Nüsslin (S. 725 unten) geradezu die Anpassung der Exsulans (d. h. der dauernd parthenogenetischen Hiemalis mit „Latenzlarvenstadium“) an neue klimatische und andere Verhältnisse, die auch gewisslich stattfinden wird. Wieso kann sie das aber, wenn sie die Konstanz der Art im Sinne der Amphimixis gewährleistet? Wenn Nüsslin endlich mit bezug auf das Vorhandensein eines monözischen Gallenzyklus bei COkermes und Cnaphalodes annimmt, dass dieser Zyklus bereits bei den gemeinsamen Ahnen dieser Gattungen vorhanden gewesen sein dürfte, so wiederholt er damit erfreulicherweise meine eigenen Vermutungen (S. 123). IV. Phylogenie und Systematik. Nüsslin hat meine Untergattungen Chermes s. str. und Drey- fusia ın Genera umgewertet, und ich bin ıhm darin im Zool. Anz. bereits beigetreten. Aber als Systematiker muss ich ganz ent- schieden daran festhalten, dass beide Gruppen enger miteinander verwandt sind als mit Onaphalodes oder mit Pineus und vor einer übermäßigen Betonung der biologischen Charaktere als systematischer Werte warnen. Unterschiede sind stets leichter hervorzuheben, als gemeinsame Charaktere festzuhalten. Es ist nicht allein der ganz abgeleitete eigenartige Bau der imaginalen Kopf- und Brust- drüsen, welcher Dreyfusia und Chermes verbindet, sondern auch die Aderung der Hinterflügel, das Getrenntbleiben der Kopf- und Vorderbrustplatten bei den Hiemalis-Junglarven, das Vorhandensein normaler Wachsdrüsen bei der Hiemalis-Generation als solcher, die ähnliche Differenzierung gepuderter Aestivalis-Junglarven, oder gepuderter Sexupara-Nymphen ete. Dass nach meinen jüngsten Studien viridanus in der Tat kein Pineus ist, sondern eine mit Onaphalodes nächst verwandte Gattung Oholodkovskya mihi!!) repräsentiert, kann meinen älteren Deutungs- 1) Vgl. ©. Börner: Cholodkovskya viridana (Chol.) CB. Selbst- verlag. Ausgegeben am 26. Januar 1909. Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. 143 versuch um so weniger herabsetzen, als Cholodkorskya keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen zu COhermes s. str. erkennen lässt, wonach die dem „viridanus“ ursprünglich beigelegte theoretische Bedeutung als einer virginogenen Parallelform zu Chermes abietis Chol., die mit der genannten in wridis Chol. wurzeln solle, definitiv widerlegt ist. Und diesen Nachweis hatte ich deutungsweise bereits in meiner monographischen Studie erbracht. Auch berücksichtige man, dass Cholodkorskya uns durch die Verdoppelung der vorderen abdominalen Marginaldrüsen und -platten, durch die Ausstattung der virginogenen Nymphen (? Sexuparen) mit Dorsaldrüsen, sowie bio- logisch durch sein Rindenleben eine unzweideutige Annäherung an Pineus oflenbart. Pineus ıst nach Aufklärung der Gattungen Aphrastasia und Cholodkovskya den Chermesini morphologisch wesent- lich näher gebracht worden. V. Heterogonie und Parthenogenese. Cholodkovsky hatte bekanntlich die Entstehung neuer Chermes-Arten durch ausschließlich parthenogenetische Fortpflanzung angenommen, indem er die Parthenogenese als artbildende Ursache ansah. Dieser Theorie war ich, obwohl ich die Parthenogenese als vollwertiges Äquivalent der Amphigonie betrachtet habe (S. 293) und damit Cholodkovsky’s Ansichten wenigstens teilweise ausdrücklich beigetreten war, aus phylogenetischen Gründen entgegengetreten. Nüsslin würde zur Charakterisierung meines Standpunktes besser noch einige Worte aus der Einleitung zu meiner Chermes- Studie zitiert haben, die lauten (S. 82): „... sollte es möglich sein, dass eine normalerweise zu gewissen Zeiten parthenogenesierende Art die Fähigkeit verlöre, ihr zweites Geschlecht zu erzeugen? Darum handelt es sich bei der Bewertung sogen. parthenogenetischer Arten. Die Möglichkeit ihrer Erhaltung bedeutet etwas ganz anderes als die Möglichkeit eines Verlustes ihres männ- lichen Geschlechtes. Jene müssen wir erfahrungsgemäß zu- gestehen, diese erscheint mir dagegen bei zweigeschlechtlichen Wesen als völlig ausgeschlossen. Die Trennung der Geschlechter ist wahrlich älter als die. jetzige Form der großen Mehrheit aller Organismen: sollten deshalb die beiden Geschlechter im Artenschoße nicht noch tiefer eingewurzelt seinals deren äußere Hülle mit ihrem spezifischen Charakter?“ Und des weiteren (S. 83): „Es kann sich nicht darum handeln, durch gesteigerte Parthenogenese neue Arten oder Rassen zu erzeugen... Denn die Parthenogenese kann ebensowenig wie die Am- phigonie die Grundursache einer Mutation werden, beide Erscheinungen sind vielmehr als natürliche Fortpflan- zungsarten die Vorbedingung einer organischen Entwicke- 144 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. lung,“ d. h. also nur konditionelle Ursachen. „Es entstehen nieht dureh. aber während der Parthenogenese und durch sıe begünstigt neue Rassen, Varietäten und Arten ganz ebenso- gut, wie bei der normalen Amphigonie, ohne dass wir uns über diese progressive Wirkung der eingeschlechtlichen Fortpflan- zung zu verwundern brauchen,“ folgerte ich dementsprechend (8. 294). Nüsslin kann sich meinem „dogmatischen Standpunkt“ nicht anschließen, erkennt aber meinenneben demjenigen Cholodkovsky'’s immerhin als „Sache des Gefühls, nicht der Erfahrung“ an. Wenn ich hier darauf nochmals zurückkomme, so tue ich es um hervorzuheben, wie weder Nüsslin noch auch v. Janickiı") (anderweitige Kritiken liegen mir noch nicht vor) trotz meiner nicht gerade zweideutigen Deduktionen erkannt haben, dass man vordem (nach dem Vorgange Cholodkovsky’s) die Frage nach der Re- lation der Parthenogenese zur Amphigonie mit jener anderen nach der systematisch-biologischen Phylogenie verquickt hatte, Fragen, die miteinander nichts zu tun haben. Wir werden in dieser Angelegenheit niemals zu einem befriedigenden Endergebnis kommen, wenn wir nicht mit aller Strenge beide Momente auseinander halten. Nüsslin glaubt, dass meine Ansichten „meiner Überzeugung als strenger Systematiker“ entsprungen sind, und darin kann ich ihm allerdings beistimmen. Darin liegt aber zugleich die Mahnung an die Biologen begründet, mehr systematisch zu arbeiten und nicht so oft durch an sich sehr verführerische Ideen der strengen Kritik einer logisch-phylogenetischen Systematik willkommene Angriffs- punkte zu bieten. Was nun speziell die Frage nach dem Fehlen der Amphigonie innerhalb der monözischen Gallen- oder Virgogenia-Zyklen (B- und C-Zyklen Nüsslin’s) anlangt, so habe ich bereits im Zool. Anz.) darauf hingewiesen, dass wir amphigone Generationen inner- halb der Virgogenia-Zyklen überhaupt nicht erwarten dürfen, da sie ihre Entstehung lediglich der über den Winter fortgesetzten Vermehrung der eingeschlechtlichen Virgines (Emi- granten) verdanken, die nie im Besitze einer Sexualis-Gene- ration gewesen sind. Bei den monözischen Gallenzyklen finden wir auch keine Andeutung einer Amphigonie mehr, und es ist immerhin möglich, die Entstehung von monözischen Fundatricen durch Vermittlung der monözischen Gallenfliegen der analogen Ent- stehung monözischer Hiemales durch monözische Aestivales zu parallelisieren. Wenn übrigens Nüsslin als Stützpunkt für seine Ansicht eines’ archaistischen Relikts des monözischen Gallenkreises 12) Vgl. sein Sammelreferat über die neueren italienischen Reblausforschungen in Nr. 12/13 des 15. Bandes des Zool. Zentralblattes vom 11. August 1908, S. 363. 13) Über Chermesiden. V. Die Zucht des Reblauswintereies in Deutschland. 7Zool. Anz., Bd. 33, Nr. 1 (2. Februar 1909). Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. 145 der Chermiden von Mindarus anführt, dass bei ihm durch Vermitt- lung der virgosexuparen Geflügelten gelegentlich eine Virgo (II) entstünde, welche von der Fundatrix (Virgo I nach Nüsslin) noch nicht verschieden sei, so ist m. W. die von der monözischen Chermiden- Fundatrix bekannte Winterfestigkeit für diese Virgo (ll) von Mindarus noch nicht erwiesen, eine potentielle Homologie zwischen der Fundatrix und Virgo bei Mindarus also noch nicht (wie die von mir aufgestellte zwischen der amphigonen und der monözischen Fundatrix von Chermes und Cnaphalodes) ent- schieden. Begrifflich sei auch darauf aufmerksam gemacht, dass ge- rade die Fundatrix keine Virgo, umgekehrt die Virgo keine Fundatrix ist, was Nüsslin bei Mindarus nicht streng genug unterschieden hat. VI. Rinden- und Nadelsauger und die @allenbildungen. Nüsslin hält das Nadelsaugen für ursprünglicher innerhalb der Chermiden, ich hatte umgekehrt das Rindensaugen für älter gehalten. Die Entscheidung in dieser Frage werden wir heute indes noch nicht fällen können. Ich möchte jedoch Nüsslin’s erstem Beweisgrunde entgegentreten, dass von fünf Generationen des normalen pentamorphen Zyklus schon drei nadelsaugend seien. Allerdings saugen die Imagiınes an Nadeln, aber nicht immer auch ihre Entwickelungstadien, deren Nahrungsaufnahme eine inten- sivere ist als die der ausgebildeten Fliegen. Die Sexuales aber sind die am meisten morphologisch spezialisierten Typen, so dass wir aus ihrer Art der Nahrungsaufnahme in dieser Richtung keine Schlüsse ziehen können. Ich gebe zu, dass wir ebensogut die Nadelsauger für älter halten können als die Rindensauger, aber es bleibt eine Entschließung in dieser Frage stets persönliche‘: An- sichtssache, so lange unsere Kenntnisse noch so geringe sind wie heute; deswegen hatte ich mich auch nur rein subjektiv hierüber geäußert. Dass aber die echte Fichtengalle der Chermiden keine reine Rindengalle sei, wie ich zuerst nachgewiesen habe, sondern ‚eine gemischte Rinden-Nadelgalle, wie Nüsslin meint, bedaure ich entschieden ablehnen zu sollen. Nüsslın sagt, da die Trennungs- zone zwischen Nadel und Rinde (d. h. Nadelbasis) bei der Gallen- entstehung rückgebildet wird und die Nadel folglich nicht selten sogar in die Bildung der Gallenschuppe ganz aufgeht (S. 222 meiner Monographie), sei damit eine Deformierung der Nadeln meinerseits zugegeben. Aber gerade meine von Nüsslin als Beleg herangezogene Figur 76 zeigt deutlich, dass es sich nicht um eine Mitdeformierung der Nadeln handelt, sondern dass die hypertrophierten Rinden- stielchen (Nadelbasis) die Nadelanlagen unterdrückt haben und somit XXIX. 10 146 Börner, Zur Biologie und Systematik der Chermesiden. die undifferenzierte Nadelanlage als solche, nicht aber die Nadel selbst in die Bildung der Gallenschuppe mit aufgegangen oder besser gesagt, mehr oder minder vollständig atrophiert ist. Dass die Basis der eigentlichen Nadel durch die Gallenwuche- rung der Rindenstielchen mit angegriffen wird, habe ich ermittelt (man vgl. z. B. meine Figuren 83a, b); die Galle selbst aber, die Deckschuppen sowohl wie die Kammerwände bestehen ausschließlich aus Rindenmaterial. Man bedenke auch, dass bei den Pineus-Gallen die Nadeln stets ziemlich normal, wenn auch vielfach verkürzt, erhalten bleiben und dass die höheren Stadien einer Nadelatrophie erst bei den soliden Gallen der Gattungen Aphrastasia, Dreyfusia, Chermes und Onaphalodes beobachtet werden; ist die Pineus-Galle nun etwa auch eine Rinden-Nadel-Galle? Nüsslin’s Ansicht beruht auf einer leider nicht selten geübten unrichtigen Auslegung entwickelungsgeschichtlicher Vorgänge. Wenn ein Organ rückgebildet wird, ein anderes benachbartes vergrößert oder auch nur allein erhalten bleibt, so ist das letztere doch noch lange nicht gleich der Summe der beiden zuerst vorhandenen Organe. Verwachsung zweier oder mehrerer Organe ist etwas ganz anderes als Reduktion oder Atrophie eines derselben, zwei Erscheinungen, die sich in der Regel bei näherer Prüfung des Sachverhalts unschwer unterscheiden lassen. In vorliegendem Falle kann es nicht zweifel- haft sein, dass durch die zur Gallenbildung führende Hyper- trophie der Rindenstielchen die Nadelanlage geschwächt wird, so dass (je nachdem, wieweit oder ob überhaupt eine Nadel- differenzierung bereits stattgefunden hat) die Nadel größer oder kleiner bleibt oder auch ganz versch windet. Damit, dass die Fundatrix-Junglarven von Aphrastasia peetinatae und @naphalodes strobilobius auf der Knospe sitzen, ist endlich eine Beeinflussung der jungen Nadelanlagen zwecks Gallenbildung noch keineswegs bewiesen. Dazu bedürfte es erst noch des Nachweises, dass die Stechborsten in die zu deformierenden Nadeln geführt werden und in sie hinein ihr Speichelsekret ergießen; der Länge der Steehborsten nach zu urteilen, reichen diese aber wahrschein- lich in die Rindenanlage des jungen Triebes hinein, den sie ganz ähnlich, nur intensiver, beeinflussen, wie die nicht auf der Knospe selbst: saugenden Fundatrieen der anderen Chermiden. Die Chermes-Fichtengalle ist eine echte Rindengalle, die Fichtennadeln sind wie ganz allgemein die Koniferen- nadeln zur Gallenbildung durch Chermiden nicht befähigt. St. Julien-Metz, den 10. Dezember 1908. (Korrigiert Ende Januar 1909.) Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 147 Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. Die zyklische Fortpflanzung der Pflanzenläuse. Von A. Mordwilko, Privatdozent a. d. Universität St. Petersburg. (Fortsetzung.) Die nicht migrierenden Arten der Gruppen Schixoneurina und Pemphigina bieten nachstehende Eigentümlichkeiten im Vergleiche mit den Aphidina. Vor allem ist bei ihnen die Arbeitsteilung zwischen den ver- schiedenen Generationen und den verschiedenen Formen von Indi- viduen in höherem Grade ausgesprochen, als bei der Unterfamilie der Aphidinae. Gewöhnlich besitzen die parthenogenetischen Weib- chen sechsgliedrige Fühler (fünfgliedrige nur bei Pentaphis und Pemphigus spirothecae), während die Fundatrices von Schixoneura lanigera Hausm. fünfgliedrige, die Fundatrices von Pemphigus spirothecae Pass. sogar nur viergliedrige Fühler besitzen. Bei den ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen von Sch. laniyera haben die Augen im allgemeinen drei Facetten, allein auch bei den un- geflügelten Weibehen der zweiten Generation von Pemphigus spiro- thecae weisen die Augen drei Facetten auf. Augen mit drei Fa- cetten sind überhaupt allen Fundatrices der Pemphiginae eigentümlich; doch können bei anderen ungeflügelten parthenogenetischen Weib- chen die Augen je nach der Spezies auch mit vielen Facetten ver- sehen sein, so z. B. bei Loewia passerini Signoret. Die Fundatrices der Pemphiginae snd die am plumpsten gebauten parthenogene- tischen Weibchen, indem sie einen aufgeblasenen Körper und ver- hältnismäßig kurze Beine besitzen Allein die ungeflügelten partheno- genetischen Weibehen der Gruppen Schöxoneurina und Pemphigina sind überhaupt verhältnismäßig plump gebaut und schwerfällig in ihren Bewegungen, und daher wenig dazu geeignet, ihren Wohnort selbst auf ein und derselben Pflanze zu verändern; doch sind diese Weibchen ausschließlich zur Fortpflanzung bestimmt. Die unge- nügende Beweglichkeit der erwachsenen ungeflügelten Weibchen wird durch die größere Beweglichkeit der noch nicht gehäuteten Larven kompensiert: indem diese letzteren einen dünnen und schlanken Körper, sowie dünne und starke Beine besitzen, können dieselben rasch auf dem Substrate herumlaufen und sich leicht einen passenden Wohnort aussuchen. Dieses sehen wir wenigstens bei den Larven von Schixoneura lanigera. Von Sexuparen sind in den Gruppen der Schixoneurina und Pemphigina nur geflügelte bekannt; nur bei Mindarus abietinus und obliquus beobachteten Nüsslin und Cholodkovsky auch unge- flügelte Sexuparen. Bei einigen Arten stellen die geflügelten Sexuparen augenscheinlich die einzige geflügelte Form dar. Mit 10* 148 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. Bestimmtheit ist dies einstweilen nur für Pemphigus spirothecae festgestellt worden, bei welchem die beiden ersten Generationen ungeflügelt sind, die dritte, im September bis November ihre volle Entwickelung erreichende Generation dagegen aus geflügelten Sexu- paren besteht, welche aus den Gallen auf die Rinde der Stämme und Zweige von Pappeln überfliegt. Bei Schixoneura lanigera und Loewia passerini sind einstweilen keine gegen Ende des Frühjahres und anfangs Sommer zur Entwickelung gelangende geflügelte Weibchen festgestellt worden. Bei Mindarus abietinus und obliquus werden geflügelte Sexuparen Ende Mai und Anfang Juni beobachtet. Bei Schixoneura lanigera gelangen geflügelte Sexuparen neben ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen zur Entwickelung, welch letztere fortfahren, sich fortzupflanzen. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass die Sexuparen in den Gruppen der Schixoneurina und Pemphigina zur Zeit ihrer vollen Entwickelung, d.h. nach der letzten Häutung, völlig entwickelte Embryonen geschlechtlicher Weibchen und Männchen in sich enthalten, welche sie in verhältnis- mäßig kurzer Zeit zur Welt bringen. Bei einigen Arten legen die Sexuparen ihre Jungen selbst an solchen Orten ab, wo dieselben nicht einmal saugen können; so legen die Sexuparen von Loewia passerini und Pemphigus spirothecae ihre Jungen auf die unebene Rinde der Stämme und Äste von Pappeln ab; wahrscheinlich bringen auch die Sexuparen von Schixoneura americana ihre Jungen auf der Rinde der Stämme und Äste von Ulmus americana zur Welt. Die Sexuparen von Schixoneura lanigera legen die Larven der ge- schlechtlichen Individuen nach Mokrzetzki an der Unterseite der Blätter von Apfelbäumen ab, und beenden diese Ablage am dritten oder vierten Tage, nachdem sie Flügel bekommen haben. Die Sexuparen von Mindarus abietinus und obliquus legen, nachdem sie auf den Trieben der Weißtanne ihre Entwickelung erreicht haben, ihre Jungen auf Weißtannennadeln ab. Die geschlechtlichen Individuen der nicht migrierenden Sehrxo- neurina (mit Ausnahme der Gattung Mindarus Koch) und Pemphi- gina entbehren eines Rüssels wie auch des Darmkanales, weshalb sie natürlich auch keine Nahrung zu sich nehmen; trotzdem machen sie die gewöhnliche Anzahl von Häutungen durch, nämlich vier. Eine Ausnahme hiervon bilden nur die geschlechtlicher Individuen der Gattung Mindarus, welche mit einem Rüssel versehen sind. Die geschlechtlichen Weibchen produzieren und legen nur je ein Ei ab. Bei Mindarus abietinus legen die geschlechtlichen Weibchen 58) Löw, Fr. Zur näheren Kenntnis der begattungsfähigen sexuierten Indi- viduen der Pemphiginen. Verh. k. k. zool.-bot. Ges. Wien. Bd. 30, 1881, pp. 615—620. — Kessler, H. F. Die Entwickelungs- und Lebensgeschichte der Blutlaus. Kassel 1885. — Witlaezil, E. Entwickelungsgeschichte der Aphiden. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 40, 1889, p. 613. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 149 Ü ihre Eier an der Rinde und den Nadeln der Weißtanne ab; bei Schixzoneura lanigera legen sie ihre Eier nach Mokrzecki, wenigstens in der Gefangenschaft, in die Ecken der Blattnerven und in die Blatt- winkel ab. Bei Loewia passerini und bei Pemph. spirothecae legen die geschlechtlichen Weibchen ihre überwinternden Eier in Vertiefungen und Risse der Rinde an den Ästen und Stämmen von Pappeln ab. Die Larven der Fundatrices kriechen gewöhnlich im Frühling des nächsten Jahres aus den Eiern. Für Schizoneura lanigera geben Kessler und Keller jedoch die Möglichkeit zu, dass die Larven der Fundatrices schon im Herbste aus den Eiern kriechen, worauf sie dann überwintern. Blanc:?) geht jedoch noch weiter. Er gibt näm- lich an, dass die Fundatriceslarven im Herbste nicht nur ausschlüpfen, sondern auch noch eine Nachkommenschaft von 20—40 Larven hervorbringen, welche sodann überwintern. In diesem Falle wäre es nun von Interesse, die morphologischen Merkmale der ersten im Frühjahre auftretenden ungeflügelten Weibchen kennen zu lernen, indem bei den Frühjahrs-Fundatrices von Sch. lanigera, welche sich aus den latenten Eiern entwickeln, die Fühler nach Kessler fünf- gliedrig sind, während die ungeflügelten parthenogenetischen Weib- chen der nachfolgenden Generationen sechsgliedrige Fühler besitzen. Der Generationszyklus der Wurzelarten aus der Gattung Pen- taphis Horv. ist noch bei weitem nicht vollständig erforscht worden. Geflügelte, nicht sexupare Weibchen hat Mokrzecki bei P. triwialis Pass. im Süden Russlands (Dnjeprovskybezirk des Taurischen Gouv.) an den Wurzeln von Winterweizen am 9. Juni angetroffen; ge- flügelte Weibehen von P. pawlowae fand ich dagegen in der Um- gebung von Warschau ım letzten Drittel des Mai ım Jahre 1899. Interesse verdient dabei der Umstand, dass diese geflügelten Weib- chen Embryonen sowohl von parthenogenetischen Weibchen (mit Rüsseln), als auch von geschlechtlichen Individuen (ohne Rüssel) in sich enthielten, — größere, von wässerig-weißer Farbe (geschlecht- liche Weibchen) ‘und kleinere von gelblicher Farbe (Männchen). Eines dieser geflügelten Weibchen hielt ich zwei Tage auf Wurzeln von Bromus mollis in einem Glasröhrchen, doch legte dasselbe hier keine Jungen ab. Als ich jedoch geflügelte P. trivwialis öffnete, welche mir in zuvorkommender Weise von Herrn Mokrzecki in Spiritus zugeschickt worden waren, fand ich in deren Innerem bis zu 13 Em- bryonen, welche alle Rüssel besaßen. Die geschlechtlichen Indi- viduen können demnach, wenigstens bei P. pawlowae, schon im Frühjahre hervorgebracht werden. Bei den migrierenden Pemphiginae gelangen im allgemeinen die gleichen Erscheinungen zur Beobachtung, wie wir sie soeben für 59) Blanc. Ce que devient le puceron des pommiers pendant P’hiver. Bull. Soc. Vaudoise sc. nat., XXI, p. 189 et suiv. (Ich zitiere nach Bertkau’s Bericht für 1885 im Arch. f. Naturgeschichte.) 450 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphrididae Passerini. die nicht migrierenden Arten dieser Unterfamilie beschrieben haben, doch treten einige Eigentümlichkeiten bei ersteren in Abhängigkeit von den Migrationen in noch verstärktem Grade auf. Eine Aus- nahme sehen wir bei Anoecia (Schixoneura) corni, welche in ver- schiedener Hinsicht mit den migrierender Arten der Gruppe Aphi- dina übereinstimmt. So fahren z. B. die geflügelten Emigranten und die geflügelten Sexuparen, nachdem sie auf neue Gewächse herübergeflogen sind, fort, an diesen zu saugen und legen erst später Junge ab; die erwachsenen ungeflügelten parthenogenetischen Weib- chen sind ziemlich beweglich, die geschlechtlichen Individuen sind mit Rüsseln versehen und saugen, obgleich sie von sehr unbeträcht- licher Größe bleiben (die Männchen von bis 0,9 mm Länge, die geschlechtlichen Weibchen bis zu 1,18 mm Länge). Allein die Fun- datrices besitzen Augen mit nur drei Facetten und Fühler mit nur fünf Gliedern, und die geschlechtlichen Weibchen (deren Augen ebenfalls drei Facetten haben, im Gegensatz zu den Männchen mit zahlreich facettierten Augen) legen nur je ein Ei, eine Überein- stimmung mit den übrigen Pemphiginae. Bei den migrierenden Pemphiginae finden wir ebenfalls eine deutlich ausgesprochene Arbeitsteilung zwischen den nicht gehäuteten Larven und den erwachsenen ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen. Ganz besonders wenig beweglich und schwerfällig sind die Funda- trices. Bei einigen Arten sind die Fühler sogar dreigliedrig und viergliedrig, während die Augen aller Arten drei Facetten aufweisen. Die Fundatrices-Larven dagegen sind sehr beweglich und besitzen meist fünfgliedrige Fühler mit wohlentwickelten Tasthärchen. Die soeben erwähnten besonderen Merkmale der Fundatrices-Larven lassen sich gut durch den Umstand erklären, dass dieselben von der Rinde der Stämme und Äste auf die sich öffnenden Knospen herübergehen müssen, zu welchem Zwecke nicht selten recht lange Märsche zurückzulegen sind. Dafür bringen diese Individuen dann aber auch ihr ganzes Leben an ein und derselben Stelle zu und gehen ganz in der Hervorbringung von Nachkommenschaft auf. Die ungeflügelten Weibehen der nachfolgenden Generationen, welche meist nur auf Zwischengewächsen auftreten, sind zwar im allge- meinen ebenfalls mehr oder weniger schwerfällig, besitzen aber meistens bereits sechs- oder doch fünfgliedrige Fühler, bisweilen aber auch, wie bei Tetraneura ceaerulescens, sowohl sechs- wie fünf- gliedrige (wobei die sechsgliedrigen Fühler bei dieser Art neben reichfacettierten Augen auftreten). Allein die ungeflügelten Weib- chen von Pemphigus ranuneuli Kalt. (Übersiedlerform von affinis Kalt.) sind ziemlich beweglich. Die Fundatrices der Pistacia- Pemphiginen besitzen nach Derbes viergliedrige Fühler, die un- geflügelten Weibchen der nachfolgenden Generation dagegen — fünf- gliedrige Fühler. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphrididae Passerini. 151 Die geflügelten Weibchen der migrierenden Arten besitzen wohlentwickelte, reichfacettierte Augen und zwar kurze, aber mit zahlreichen, gut entwickelten Riechgrübchen versehene Fühler, wo- bei diese Grübchen meist in Gestalt von Halbringen und kleinen Bogen auf dem 3.—5., seltener auf dem 6. Fühlergliede angeordnet liegen. Wohlentwickelte Sinnesorgane brauchen die migrierenden Pemphiginae schon wegen der bei dieser Gruppe auftretenden Eigen- tümlichkeit, dass in den meisten Fällen weder die geflügelten Sexu- paren noch die geflügelten Emigranten, nachdem sie auf neue Ge- wächse herübergeflogen sınd, zu saugen beginnen, sondern dass dieselben sofort anfangen, Junge abzulegen. Die Sexuparen fliegen gewöhnlich unmittelbar auf die Rinde der Stämme und Äste über und legen hier Larven einer zweigeschlechtigen Nachkommenschaft ab; die geflügelten Emigranten einiger Arten, namentlich solcher, deren Zwischengewächse Wurzeln sind, legen ihre Jungen unmittelbar im Grase oder überhaupt an der Erdoberfläche in der Nähe von Wurzeln der Zwischengewächse ab, worauf deren Larven dann ihre Wohnorte selbst aufsuchen. Dies trifft nach meinen Beobachtungen 2. B. bei Tetraneura ulmi (caerulescens) zu und wahrscheinlich wohl auch bei den übrigen Pemphiginae, deren geflügelte Emigranten ihre Jungen innerhalb eines kurzen Zeitraumes, fast unmittelbar eines nach dem anderen ablegen. So legte nach meinen Beobach- tungen ein aus der Galle emigriertes geflügeltes Weibchen von Schixoneura lanuginosa ım Verlaufe von einer halben Stunde unter dem Deckgläschen 28 Junge ab. Doch scheinen die geflügelten Emigranten auch derjenigen Pemphiginen, bei welchen sie sich auf oberirdischen Pflanzenteilen aufhalten, nicht an Zwischengewächsen zu saugen. Nach meinen Beobachtungen legte z. B. ein auf Frlago arvensis übergesetztes geflügeltes Weibchen von Pemphigus ovato- oblongus Kessler gegen 20 Junge in etwa einer Viertelstunde ab, indem es nach jeder Ablage etwas weiter nach der Seite hin kroch. Ebenso beenden auch die Emigranten von Pemphigus affinis auf Ranumeulus flammula die Ablage ihrer Jungen in sehr kurzer Zeit. In denjenigen Fällen, wo weder die geflügelten Sexuparen noch die geflügelten Emigranten saugen, nachdem sie auf andere Ge- wächse herübergeflogen sind, müssen sich diese Läuse bei der Aus- wahl der für sie passenden Gewächse hauptsächlich von ihrem Geruchssinne leiten lassen. So gleichen z. B. die oval-lanzett- förmigen Blätter von Populus balsamifera außerordentlich denjenigen von Weiden, und ich war einst im Herbste sehr erstaunt, auf der Rinde des Stammes solcher Bäume geflügelte Sexuparen von Pem- phigus ranunceul (affinis)‘°) zu bemerken, bis ich mich durch einen 60) Im Warschauer botanischen Garten, wo ich diese Beobachtung anstellte, befanden sich in der gleichen Abteilung verschiedene Hahnenfußarten. 152 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. Blick auf die angehängte Etikette davon überzeugt hatte, dass ich es nicht mit einer Weide, sondern mit einer Pappel zu tun hatte. In der Tat sind die Geruchsorgane auf den Fühlern bei den ge- flügelten Weibchen der migrierenden Pemphiginen sehr gut aus- gebildet. Es muss übrigens bemerkt werden, dass die Sexuparen der migrierenden Arten der Pemphiginae trotzdem sehr häufig bei der Wahl der passenden Hauptgewächse Irrtümer begehen. So reprä- sentiert der bereits mitgeteilte Fall des Auffindens geflügelter Sexuparen am Stamme von Populus balsamifera eine Verirrung der betreffenden Pappel-Pemphiginen, indem im Frühjahre keine ent- sprechenden Gallen von Pemphiginen auftreten. Auf Populus sua- veolens fand ich im Sommer 1907 nur einige wenige Gallen von Pem- phigus pyriformis Licht., allen im folgenden Sommer (1908) habe ich auf den gleichen Bäumen eine große Anzahl allerdings weniger gut entwickelter Gallen von P. pyriformis, ovato-oblongus und affinis gefunden. Im Herbste fand ich im Park von Bjelowesh an Stämmen von Populus tremula eine Menge Sexuparen von Pappel-Pemphi- ginen, deren Nachkommenschaft offenbar dem Untergange geweiht war. Einmal habe ich ım September, in der Umgebung von Warschau, eine geflügelte Sexupare von Anoecia corni mit einem Häufchen von Jungen unter einem Blatte von Ulmus effusa ange- troffen, wo deren Nachkommenschaft offenbar ebenfalls zugrunde gehen musste. Auf der Rinde der Stämme von Ubnus effusa habe ich in der Umgebung von Warschau Sexuparen von Tetraneura ulmi und Schixoneura ulmi angetroffen, allein diese Arten von Pflanzen- läusen bilden keine Gallen auf Ulmus effusa; die Nachkommen der geschlechthehen Individuen von T. ulmi und Sch. ulmi waren dem- nach im gegebenen Falle natürlich dem Untergange verfallen u. s. w. Anscheinend haben wir es in solchen Fällen mit andauernder Ein- wirkung der natürlichen Auslese zu tun, welche fortfährt, die weniger anpassungsfähigen Formen von Individuen aus dem Lebenswege zu entfernen. Auf den Zwischengewächsen entwickeln sich ın einer ganzen Reihe von Generationen vorzugsweise oder selbst ausschließlich so lange nur ungeflügelte parthenogenetische Weibchen, bis zu einem gewissen Zeitpunkte die Sexuparen zur Entwickelung gelangen. Nur bei Anoecia corni können in Abhängigkeit von äußeren Bedingungen einfache (d. h. nicht sexupare) geflügelte parthenogenetische W eib- chen zur Eutwickelung gelangen, welche auf neue Zwischengewächse herüberfliegen können. Bei Pempkhigus caerulescens (ulmi De Geer), P. ranunculi (affinis Kalt.) und P. filaginis (ovato-oblongus Kessl.) waren die um die Mitte des Sommers beobachteten geflügelten Weibchen ausschließlich Sexuparen. Bei P. ranunculi (einer Übersiedlerform von P. affinis) fand ich jedoch gegen Ende des Frühjahres auf dem Hahnen- Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 153 fuße (Ranunculus repens) Nymphen, und erzog aus diesen mehrere Exemplare geflügelter nicht sexuparer Weibchen. Im Dezember 1907 und Januar 1908 (a. St.) erzog ich im Zimmer überwinterte junge Individuen von P. ranuneuli, deren Nachkommen sich vorzugsweise zu geflügelten nicht sexuparen Weibchen entwickelten. Die Generationen migrierender Pemphiginae auf den Zwischen- gewächsen, d. h. die sogen. Exules, zeichnen sich vor den Gene- rationen auf den Hauptpflanzen in bedeutenderem Maße aus, als dies bei den migrierenden Aphidina der Fall ıst. Allerdings können die ungeflügelten Exules meistens mit keiner anderen auf den Haupt- pflanzen lebenden Form verglichen werden, da die Fundatrices- Weibchen bei den Pemphiginae sich überhaupt sehr stark von den ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen der nächstfolgenden Generationen unterscheiden. Bei den erwachsenen Fundatrices von Tetraneura ulmi De Geer besitzen die Augen drei Facetten, die Fühler sind dreigliedrig und die Färbung des Körpers ist dunkel- olivengrün, während bei den ungeflügelten Wurzelweibchen (T. eweru- lescens Pass.) die Fühler fünfgliedrig oder sechsgliedrig sind, die Augen drei oder viele Facetten besitzen und der Körper von zitronen- oder orangegelber Farbe ist. Bei Anoecia corni kann man die unge- flügelten Wurzelweibehen mit den ungeflügelten Weibchen der zweiten und der nachfolgenden Generationen auf den Hauptpflanzen vergleichen. Die letzteren sind fast ganz dunkelbraun oder schwarz gefärbt, die ungeflügelten Weibchen von An. venusta Pass. dagegen nicht durchgehends dunkelbraun und die jungen, noch nicht ganz erwachsenen, sogar gelb oder braungelb. Die ungeflügelten Funda- trices von P. affinis besitzen fünfgliedrige Fühler, dreifacettierte Augen, einen entweder länglichen oder fast kugelförmigen plumpen Körper von grüner Farbe mit weißem Flaum; die ungeflügelten Weibchen von P. ranımnculi dagegen besitzen einen länglichovalen, stark bestäubten, hellgelblich oder grünlichgelb gefärbten Körper von geringerer Größe, sechsgliedrige Fühler, dreifacettierte Augen. Allen bei den Fundatrices von P. bumeliae sind die Fühler sechsgliedrig, obgleich das dritte Glied nicht selten von dem vierten getrennt ist; bei den ungeflügelten Exules (P. poschingeri) sind die Fühler deutlich sechsgliedrig. Ebenso sind die Fühler auch bei den Fundatrices von Sch. ulmi sechsgliedrig. Allein bei den unge- flügelten Exules von Colopha compressa (auf den Wurzeln von Carex) sind die (viergliedrigen) Fühler sogar weniger entwickelt, als die (fünf- oder viergliedrigen) Fühler der Fundatrices. Auch die geflügelten Sexuparen unterscheiden sich in mehr oder weniger bedeutendem Maße von den geflügelten Emigranten. So kehren z. B. die Sexuparen von Tetraneura ulmi De Geer auf die Ulme nur in der Form caerulescens Pass. zurück (fünf Punkt- augen, mit Safthöckern am Abdomen, während die Emigranten 454 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. von T. ulmi nur drei Punktaugen und keine Safthöcker besitzen); auf den Ulmen dagegen gelangen nur äußerst selten geflügelte Emi- granten der Form caerulescens (z. B. in verschiedenen Jahren auf ein und denselben Bäumen) zur Entwickelung. Die Sexuparen von Pemphigus affinis (in der Form ranunculi) unterscheiden sich von den geflügelten Emigranten namentlich dureh den Bau ihrer Fühler, und dasselbe bezieht sich auch auf P. ovato-oblongus Kessler (= mar- supialis Courchet) (Sexuparen in der Form P. gnaphilüi Kalt. = filaginis Boyer de F.). Es unterscheiden sich auch die Sexuparen der Pistacia-Pemphiginen, weshalb Lichtenstein dieselben auch nach ihrer Ähnlichkeit mit den Emigranten einzelner Pistaeia-Pemphiginen auf oides benannte, was jedoch natürlich noch nicht als eine Garantie für deren Zugehörigkeit zu diesen oder jenen Arten dienen kann. Viele Pemphiginen migrieren auf mehrjährige, meist krautartige Gewächse oder aber auf Wurzeln von Bäumen (Pemphigus xylostei De Geer — auf die Wurzeln der Fichte, Pemph. bumeliae Schr. auf die Wurzeln der Weißtanne. Auf diesen letzteren können sich die Übersiedler fortpflanzen und nach Abstoßung eines Teiles der Sexuparen aus ihrer Mitte auch in irgendeiner Form über- wintern, namentlich aber in Gestalt nicht gehäuteter Larven und junger Individuen (Tetraneura rubra — xeae-maydis, T. ulmi — caerulescens, Pemph. bumeliae — poschingeri, P. xylostei, P. affinis-ranumeul, P. pyri- formis — lactucarins, Colopha compressa auf den Wurzeln von Carex), Handelt es sich um mehrjährige (und zwar mindestens um zwei- jährige) Kräuter oder um Wurzeln von Bäumen, so kann die Mi- gration von den Hauptpflanzen auf eine verhältnismäßig späte Jahreszeit übertragen werden, so dass es sich in diesem Falle ereignen kann, dass die geflügelten Sexuparen-Remigranten nicht mehr in dem gleichen Jahre zur Entwickelung gelangen werden. Bei den migrierenden Pemphiginen entwickeln sich die ge- flügelten Emigranten schon in der zweiten Generation, allein die erste Generation — die Fundatricees — und teilweise auch die zweite die Emigranten — entwickeln sich verhältnismäßig sehr langsam. Allerdings entwickeln sich bei Pemph. nidificus Löw (welcher Eschenblätter aufrollt) die geflügelten Emigranten schon von Mitte Mai an, um welche Zeit sie auch von den Eschen fort- fliegen, und Anfang Juni kann man hier schon keine Läuse dieser Art mehr antreffen. Aber bei P. bumeliae, welcher an der zarten Rinde der Stämme und Äste von Eschen saugt (so z. B. da, wo sich Risse und Anschwellungen gebildet haben), entwickeln sich die geflügelten Emigranten im Laufe des ganzen Monats Juni. Bei P. zylostei De Geer kann man Nymphen und geflügelte Emigranten in auf- gerollten Blättern. später auch an Trieben und unter normalen Blättern von Lonicera tatarica und xylosteum noch Mitte Juni und später antreffen. Verhältnismäßig spät entwickeln sich auch die Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 155 auf Ulmen und Pappeln gallenbildenden Pemphiginen, bei welchen die geflügelten Emigranten gegen Mitte Juni, bisweilen etwas früher oder später, zur Entwickelung gelangen. Die geflügelten Weibchen von Sch. ulmi migrieren etwas früher, und zwar Anfang Juni, wo- gegen die geflügelten Weibchen von Sch. lanuginosa (Gallen auf Ulmus campestris) und Colopha compressa (Gallen auf Ulmus effusa) in der zweiten Hälfte des Juni (a. St.) migrieren. In der Umgebung von Warschau beobachtete ich Nymphen und geflügelte Emigranten von Pemph. bursarius ım Juni und Juli und in einem Jahre fand ich sogar noch Mitte September (a. St.) Nymphen und geflügelte Emigranten in Gallen auf einer jungen Schwarzpappel. Alb. Tullberg teilte mir mit, dass er eine ähn- liche Beobachtung an P. pyriformis Lichtenstein angestellt habe (Ende September n. St.). Er fand bisweilen geflügelte Emigranten in Gallen schon im September. Ursprünglich, als die Erscheinung der Migrationen noch im Entstehen begriffen war, konnten die migrierenden Pemphiginen im Verlaufe der gesamten Vegetationsperiode ihrer Hauptpflanzen auf diesen letzteren saugen, wie wir dies noch jetzt bei den nicht migrierenden Pemphiginen beobachten. Von ganz besonderem In- teresse ist in dieser Hinsicht die nicht migrierende Art Schixoneura americana nach den Mitteilungen von Riley, vorausgesetzt, dass dessen Versuche ganz genau durchgeführt worden sind. Die aus den überwinterten Eiern hervorgegangenen Fundatrices verursachen durch ihr Saugen an der Unterseite der Blätter von Ulmus americana ein Aufrollen dieser Blätter zu Röhrchen, ähnlich wie diese von Sch. ulmi hervorgebracht werden. Hier entwickelt sich eine zweite ungeflügelte und eine dritte geflügelte Generation. Die von den geflügelten Weibchen abstammenden Larven der vierten Generation verursachen auf den Blättern ein neues Aufrollen der- selben, entwickeln sich ın denselben zu ungeflügelten Weibchen und bringen eine fünfte Generation geflügelter Sexuparen hervor. Diese letzteren fliegen auf die Rinde der Äste und Stämme hinüber, wo sie die rüssellosen Sexuales ablegen. Bei Prociphilus zylostei ver- ursachen die Fundatrices durch ıhr Saugen ein Aufrollen der Blätter von Lonicera tatarica und L. xylosteum. Ebendaselbst gelangen häufig auch geflügelte Emigranten zur Entwickelung, allein häufig kriechen dieselben als Nymphen oder selbst als Larven auf Triebe oder unter ausgewachsene Blätter herüber und erreichen hier, indem sie bisweilen ebenfalls Blätter aufrollen, ihre definitive Entwickelung. Ursprünglich aber konnte sich diese Art auf den Trieben und unter den Blättern wahrscheinlich auch noch weiter entwickeln. Bei den Pappeln und Weiden fahren die Triebe auch um die Mitte des Sommers fort zu wachsen und neue junge Blättchen hervorzubringen. Infolge dieser Eigenschaft der Pappeln konnten sich auch im Sommer 456 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. neue Gallen bilden, wie dies zum Teil aus dem Beispiele von Pemph. affinis Kalt. hervorgeht. Die Larven der Fundatrices beginnen unter den im Frühjahre-sich ausbreitenden jungen Blättehen von Populus nigra und P. pyramidalis zu saugen, wodurch sie die Bildung seit- licher Faltengallen verursachen, welche späterhin fester werden und den Fundatrices einen ziemlich soliden Schutz gegen die Außenwelt verleihen. Die Fundatrices erlangen ihre definitive Entwickelung etwa um die Zeit der vollen Entwickelung der ersten Blätter und beginnen sodann die Larven der zweiten Generation abzulegen. Diese letzteren verlassen die Faltengallen der Fundatrices und streben längs den Trieben nach deren Spitzen, wo sie die Unter- seite der neuen jungen Blätter in ziemlich dichter Menge bedecken. Da nun an der Unterseite der frischen jungen Blättchen nicht etwa einzelne Larven der zweiten Generation saugen, sondern eine mehr oder weniger beträchtliche Menge derselben, so biegen sich die Blätter mit ihren seitlichen Längsrändern nach unten um. Bei raschem und energischem Wachstum der jungen Blätter, wie dies namentlich auf jungen und kräftigen Pappeln der Fall ıst, sind nun die Seitenteile der Ränder bestrebt, sich wieder auszubreiten, so dass die Blätter eine recht verschiedenartige Gestalt annehmen. Hier entwickeln sich die Larven der zweiten Generation zu Nymphen und geflügelten Emigranten, wobei es nunmehr jedoch zu keiner neuen Gallenbildung mehr kommt. Wie es sich ursprünglich mit den Gallenbewohnern der Ulme verhalten hat, lässt sich gegenwärtig schwer sagen. Vielleicht be- saßen die Gallen von Tetraneura und Colopha ursprünglich noch keine so vollendete Gestalt, welche die Möglichkeit einer erneuten Gallenbildung auf den entwickelten Blättern der Ulme ausschließt, oder aber die geflügelten Weibchen der zweiten Generation konnten einfach unter den frischen Blättern dieser Bäume saugen, obne solch vollendete Gallen zu bilden, wie dies durch die Fundatrices geschieht. Bei den Pistacia-Pemphiginen entwickeln sich nach Derbes die geflügelten Emigranten in der dritten Generation, und zwar von Ende August an bis Ende Oktober. Es unterliegt keinem Zweifel, dass dieselben nur auf mehrjährige oder doch wenigstens zwei- jährige krautartige Pflanzen herüberfliegen können, obgleich Aplo- neura lertisci Pass. nach Liechtenstein auch an den Wurzeln von Bromus mollis und Hordeum vulgare saugen kann. Auf den Wurzeln von Gramineen saugt nach Courchet auch Pemph. semi- lunaris und P. follieularius. Allein im allgemeinen sind die Zwischen- gewächse der Pistacia-Pemphiginen noch recht wenig bekannt, ebenso auch das Verhalten der Läuse auf denselben. Jedenfalls entwickeln sich nach Derbes im Frühling auf den Zwischenpflanzen geflügelte Sexuparen, welche in der ersten Hälfte des Mai auf Pistacia-Bäume Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 157 herüberfliegen und hier in Rissen der Rinde und unter letzterer rüssellose Larven der zweigeschlechtigen Generation hervorbringen. Wie konnte nun bei den Pistacia-Pemphiginen eine so späte Migration von den Hauptpflanzen auf die Zwischenpflanzen zur Ent- wickelung gelangen? Zu der Zeit, wo sich bei anderen Pflanzen- läusen schon Sexuparen und Sexuales entwickeln, gelangen bei den Pistacia-Pemphiginen erst geflügelte Emigranten zur Entwickelung. Die Annahme, dass bei den Pistacia-Pemphiginen die ursprünglichen Sexuparen mit der Zeit zu Emigranten geworden sind, scheint mir ganz unzulässig, da man unmöglich annehmen kann, dass die Sexu- paren angefangen hätten, von holzartigen Pflanzen auf Kräuter über- zufliegen. Natürlicher erscheint die Annahme, dass eine so späte Migration der Pistacia-Pemphiginen sich nur aus einer früheren Migration entwickelt haben konnte, natürlich aber nur unter der Voraussetzung, dass die Zwischenpflanzen mehrjährig gewesen waren. Es ist sehr wohl möglich, dass vereinzelte Fälle sehr später (Herbst-) Migrationen auch bei den übrigen Pemphiginen vorkommen. Einen solchen Fall konnte ich in der Umgebung von Warschau für Pemph. bursarius nachweisen. In Bjelowesh habe ich noch in der ersten Hälfte des August 1907 (a. St.) sitzende Gallen von Pemph. pyri- formis Licht. und Gallen von P. ovato-oblongus mit Nymphen und geflügelten Emigranten gefunden. Tullberg hat noch Ende September Emigranten von P. pyriformis Licht. beobachtet. Nachforschungen in dieser Hinsicht werden noch mehr ähnliche Fälle zutage fördern. Damit jedoch aus zufälligen Erscheinungen einer späten Migration eine regelmäßige Erscheinung entstünde, musste die späte Migration notwendigerweise irgendwelche Vorteile ım Kampfe um das Dasein für die Art bieten. Doch ist es sehr schwer, schon jetzt eine Ant- wort auf die Frage zu geben, welcher Art die Vorteile sınd, die den Pistacia-Pemphiginen durch eine späte Migration geboten werden. Was nun den Umstand betrifft, dass sich die Sexuparen bei den Pistacia-Pemphiginen im Frübjahre entwickeln, so können sich diese Formen auf mehrjährigen Kräutern ja überhaupt bald gegen Ende des Sommers (und dies in den meisten Fällen) oder aber gegen Ende des Frühjahres entwickeln, wie z. B. bei Pentaphis pawlowae Mordw. Vielleicht wird durch spätere Beobachtungen noch nachgewiesen werden, dass sich auch bei den Pistacia-Pemphi- ginen die Sexuparen ebenfalls gegen Ende des Sommers entwickeln können, bei anderen migrierenden Pemphiginen dagegen umgekehrt ebenfalls im Frühjahre, wenn auch nur zum Teile und in verein- zelten Fällen. Ich habe feststellen können, dass bei Peınph. ranuneuli Kalt. (einer Übersiedlerform von P. affinis Kalt.) schon Ende Mai geflügelte parthenogenetische Weibchen auftreten (wenn auch keine Sexuparen). Allein es können sich hier möglicherweise auch Sexuparen entwickeln. Einstweilen fehlen dahingehende Beobachtungen über 158 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphidıdae Passerini. Tetraneura zeae-maydis Duf. (= rubra Licht.) und T. caerulescens Pass. (ulmi De Geer). Wir haben gesehen, dass die Exules (Übersiedler) vieler Pem- phiginae auf den Wurzeln (bisweilen aber auch auf den Stengeln, wie z. B. bei Pemphigus [affinis] ranuneuli) krautartiger Gewächse, oder aber auf den Wurzeln holzartiger Gewächse leben. Hier überwintern die Exules und können sich überhaupt eine unbestimmt lange Zeit hindurch fortpflanzen. Stellt man sich daher vor, dass in einer bestimmten Gegend das Zwischen- oder Haupt- gewächs aus irgendwelchem Grunde verschwunden sei oder über- haupt von jeher gefehlt habe, so wird folgende Erscheinung eintreten müssen. Jede beliebige migrierende Art wird nur auf mehrjährigen Zwischengewächsen erhalten bleiben können, muss aber mit dem Ausfall dieser letzteren unweigerlich verschwinden. So wird sich 2. B. Prociph. poschingeri (bumeliae) auf den Wurzeln der Tannen selbst in dem Falle fortpflanzen können, wenn in der betreffenden Lokalität die Esche (Fraxinus excelsior) aus irgendwelchem Grunde verschwinden würde; nur die Sexuparen werden in diesem Falle für die Art verloren gehen. Man wird aber nicht darauf rechnen können, Prociph. bumeliae auf Eschen in solchen Lokalitäten anzu- treffen, wo z. B. die Tanne verschwunden ist, wie dies unter anderem in einem ungeheuren Gebiete Mittel- und Südrusslands der Fall ist. Ich habe Proc. bumeliae in der Umgebung von Warschau gefunden, und auch auf einem Gute Gorodok bei Rovno (Gouv. Wolhynien), ferner im Parke von Bjelowesh. Für andere Lokalitäten Russlands liegen dagegen einstweilen noch keinerlei Angaben vor. (Parks mit ihren künstlichen Anpflanzungen können hierbei naturgemäß nicht in Betracht gezogen werden.) In Bjelowesh und dessen Umgebungen habe ich keine Ulmus effusa angetroffen und konnte aus diesem Grunde auch keine Gallen von Colopha compressa finden (dagegen finden sich in dem genannten Parke Exemplare von Ulmus campestris mit den diesen Bäumen zukommenden Pflanzenläusen: Schixoneura ulmi und Sch. lanuginosa, Tetraneura ulmi und T. pallida). Trotz des Fehlens von Ulmus effusa habe ich jedoch auf den Wurzeln von Carex (paluıdosa?) Exules von Colopha compressa angetroffen. Es ist natürlich sehr wahr- scheinlich, dass Ulmus effusa früher auch in der Umgebung von Bjelowesh vorkam, wie sie auch jetzt noch in den Wäldern von Bjelowesh angetroffen wird. Was in Bjelowesh in bezug auf Colopha compressa der Fall ist, wird an. anderen Orten bei dem Verschwinden von Ulmus cam- pestris auch in bezug auf Tetraneura caerulescens (ulmi) oder zeae- maydis (rubra) der Fall sein können. Recht rätselhaft erschemt der Lebenszyklus von Sehixoneura piri Goethe, welche sich ohne Unterbrechung auf den Wurzeln 159 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aph'didae Passerini. der Birnbäume, Pirus communis, fortpflanzt und hier auch über- wintert. Im Spätsommer und im Herbste entwickeln sich auf den Wurzeln der Birnbäume neben ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen auch geflügelte Sexuparen, welche die Erde verlassen. Das weitere Schicksal dieser letzteren ıst bis jetzt jedoch nicht festgestellt worden. Andererseits liegen einstweilen noch keinerlei Hinweise darauf vor, dass der Generationszyklus dieser Art sich nur auf den Birn- baum beschränkt. Von den europäischen migrierenden Arten der Gattung Schixoneura Hart. bleibt nur eine Art, Sch. lanuginosa Hart. übrig, für welche bis jetzt das Zwischengewächs weder nach- gewiesen noch vermutet worden wäre. Man wird daher vielleicht an- nehmen können, dass Seh. piri nur eine Übersiedlerform von Sch. lanu- ginosa darstellt. Allein in diesem Falle würden sich die Sexuparen mehr oder weniger beträchtlich von den geflügelten Emigranten unter- scheiden, was indessen bei Sch. ulmi-fodiens und Colopha compressa nicht zu bemerken ist. Leider besitze ich bis jetzt keine Sexuparen von Eschenstämmen, welche als Sch. lanuginosa angesehen werden könnten. Wenn der Versuch mit der Erzielung von Nachkommen geflügelter Emigranten von Sch. lanuginosa auf den Wurzeln des Birnbaumes ein negatives Resultat ergeben sollte, so wird man nur noch annehmen können, dass für Sch. piri die dieser Art ent- sprechende Hauptpflanze in Europa verschwunden ist, oder aber dass dieselbe nicht zusammen mit der Birne bis hierher vorge- drungen ist. Der Generationszyklus von Paracletus cimiciformis und ver- schiedenen Arten der Gattung Pentaphis Horvath ist bisher noch nicht in genügender Vollständigkeit erforscht worden. Das gleiche bezieht sich auch auf Rhixoctonus ampelinus Horv. (auf den Wurzeln der Weinrebe). In der Unterfamilie der Phylloxerinae Dreyfus lassen sich einstweilen zwei Gruppen unterscheiden, die COhermesina und die Phylloxerina. \ Wir wollen uns zunächst mit der zyklischen Fortpflanzung der Phylloxerinen ®!) beschäftigen. ' 61) Gegenwärtig kann man in der Gruppe der Phylloxerinae folgende Gattungen unterscheiden: A. Die ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen scheiden keinen Wachs- flaum aus. B. Die Fühler der geflügelten Weibchen sind deutlich viergliedrig.. . Gatt.: Notabilia Mordw., Typus: Phylloxera notabilis Prgd., bringt Gallen auf Hecoria (Carya) olivaeformis hervor. Hierher gehört auch Ph. caryae- fallax Riley auf Hicoria alba, Ph. globosum Schimer auf Carya glabra, amara, Ph. deplanata Prgd. auf Hicoria tomentosa. Nord- amerika. 460 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. Alle gegenwärtig bekannten Phylloxerinen sind Bewohner mehrerer Gattungen von Laubhölzern. Sie leben auf Blättern, seltener auf der Rinde der Triebe und Zweige und nur eine einzige Art, Xerampelus vastatric Planchon pflanzt sich auch auf den Wurzeln seiner Nährpflanze, der Weinrebe, Vitis vinifera, fort. Die Mehrzahl aller Arten bringt Gallen auf Blättern, Blattstielen und zum Teil auch auf frischen Trieben hervor. Die beträchtliche Mehrzahl der bis jetzt bekannten Phylloxerinen bewohnt Nordamerika; so sind z. B. auf verschiedenen Arten von Hicoria (Carya) 31 Arten be- schrieben worden, welche den beiden Arten Phylloxera Boyer de F. und Notabilia Mordw. angehören. In Europa dagegen finden sich nur einige wenige Arten der Phylloxerinae, und zwar Phylloxera quereus Boyer deF. (unterhalb der Blätter von Eichen), Ph. corti- calis Kalt. (in feinen Rissen der Rinde von Quereus pubescens) und Phylloxerina salieis (in Rissen der Rinde auf Stämmen und Ästen von Weiden (Salix). Xerampelus vastatrix in Europa ist bekannt- lich nordamerikanischer Herkunft. In Anbetracht des Umstandes, dass mit Ausnahme von X. vasta- trix alle Arten der Phylloxerinen nur oberirdische Teile von Laub- hölzern bewohnen, demnach in sich mehr oder weniger parallel verändernden Ernährungsbedingungen leben, mussten die ursprüng- lich polyphagen Formen der Phylloxerinen mit der Zeit in einfach monophage und streng spezialisierte Arten zerfallen und es konnten auf keine Weise migrierende Arten aus denselben hervorgehen. (Schluss folgt.) BB. Die Fühler der geflügelten Weibchen sind dreigliedrig (obschon sie mor- phologisch als viergliedrig angesehen werden müssen). C. Das dritte Glied der Fühler ist mit zwei ungleich gestalteten Riech- grübchen versehen: das Grübchen auf der ersten Hälfte des Gliedes ist rund, dasjenige der distalen. Hälfte — in die Länge gestreckt... Gatt.: Phylloxera Boyer de F., Typus: Ph. quereus Boyer de F. (coccinea Heyd.) unterhalb der Blätter von Quercus pedunculata, pubescens und vielleicht auch noch anderer Eichenarten. Europa. Hierher gehört auch die Mehrzahl der auf verschiedenen Hicoria in Nordamerika gallenbildenden Arten. CC. Das dritte Glied der Fühler ist mit zwei gleich abgerundeten Riechgrübchen versehen: das eine befindet sich in der basalen Hälfte des Gliedes, das zweite vor dem Gipfel der zweiten Hälfte... Gatt.: Xerampelus Del Guercio, Typus: Ph. vastatrix Planchon auf den Wurzeln und Blättern der Weinrebe (auf den Blättern Gallen bildend). Vaterland — Nordamerika. AA. Die ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen scheiden einen Wachs- flaum aus... .. Gatt.: Phylloxerina Börn., Typus: Ph. salicis Licht. in Rissen der Rinde auf Stämmen von Weiden (Europa). Hierher auch Ph. salicola Prgd. (=? salicis Licht.) auf der Rinde von Stämmen und Ästen, bisweilen auch unter den Blättern von Salix diseolor und humilis in Nordamerika. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralbla Unter Mitwirkung von Dr. K7 Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen. Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 15. nz 1909. AI 6, Inhalt: Sernander, Entwurf einer oosrannis der europäischen Myrmekoeboren. — Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini (Sehluss). — Frischholz, Zur Biologie von Hydra. — Müller-Pouillet's Lehrbuch der Physik. — Nagel, Handbuch der Physiologie des Menschen. Sernander, Rutger. Entwurf einer Monographie der europäischen Myrmekochoren. Kungl. Svenska Vetenskapsakademiens Handlingar. Bd. 41, Nr. 7. Upsala und Stockholm. Almquist und Wiksells Boktryckeri 1906. Mit 11 Tafeln. In dieser umfangreichen, ca. 400 Seiten starken Arbeit werden dem Biologen eine Reihe von höchst interessanten Tatsachen und neuen Beobachtungen über die gegenseitigen Beziehungen von Pflanzen und Ameisen mitgeteilt. Als Myrmekochoren werden solche Pflanzen bezeichnet, “deren Verbreitungseinheiten (Früchte, Samen) wegen besonderer Eigentümlichkeiten von Ameisen absıcht- lich aufgesucht, gesammelt, verschleppt und dadurch verbreitet werden. Bei einer sehr großen Zahl von Pflanzen konnte Ser- nander eigentümliche, ın vielen Fällen besonders differenzierte Organe nachweisen, welche auf die Ameisen eine anlockende Wir- kung ausüben. Da nun die eigentliche Anlockung von dem in diesen Gebilden fast regelmäßig auftr etenden fetten Oele ausgeht, bezeichnet der Verfasser diese Organe als Elaiosome (— Oelkörper). Daneben kann das Elaiosom allerdings gelegentlich noch eine Nebenfunktion ausüben. So ist es zuweilen (z. B. bei Samen) bei der Ablösung der Verbreitungseinheiten betätigt. Morphologisch kann das Elaiosom sehr verschiedener Natur sein. Bald ist es am Samen oder an der Frucht als deutlich erkennbares, differenziertes Anhängsel ausge- bildet, bald aber ein Teil des Perigons, der Blütenachse oder der Hochblätter. Bei einer Gruppe von Myrmekochoren wird über- XXIX. 11 162 Sernander, Entwurf einer Monographie der europäischen Myrmekochoren. haupt kein besonders differenziertes Elaiosom ausgebildet. Der- artige Samen zeigen dann eine dünne Samenhaut, deren Zellwände vollständig mit fettem Oel imprägniert sind (Alldum ursinum, Pusch- kinia seilloides, Ornithogalum-Arten). Nach der besonderen Aus- bildung des Elaiosoms werden die Myrmekochoren in 15 verschie- dene Typen gruppiert. Während eine größere Zahl von Typen ausschließlich auf die Verschleppung von Ameisen angewiesen ist, zeigen einige andere außer den Elaiosomen noch weitere Verbreitungs- einrichtungen (Ausschleuderungsmechanismen bei Euphorbia- und Viola-Arten, Flugorgane bei Polygala- und Centaurea-Arten). Diese letzteren sollen namentlich die erste Verbreitung und die Entfernung der Verbreitungseinheiten von der Mutterpflanze vermitteln. Dass es in der Tat das Elaiosom (bezw. fettes Oel) ist, welches auf die Ameisen eine anlockende Wirkung ausübt, stellteSernander durch eine große Zahl von sehr instruktiven Versuchen fest. So wurden z. B. solche Samen, bei denen das Elaiosom auf künstliche Weise entfernt worden war, von den Ameisen niemals aufgesucht; dagegen stürzten diese begierig auf die abgelösten Elaiosome los. Was die Aehnlich- keit verschiedener Verbreitungseinheiten mit Insekten anbetrifft, so glaubt der Verfasser die Mimikry in den meisten Fällen (z. B. Melampyrum, Helleborus foetidus) durch die Elaiosomen-Theorie erklären zu können. Sehr interessant sind die Ausführungen über die Organisation der Myrmekochoren. Es hat sich nämlich gezeigt, dass die Myrmekochoren schon äußerlich als solche zu erkennen sind und dass sie sich in ihrem morphologischen und zum Teil ana- tomischen Aufbaue von anderen verbreitungsbiologischen Typen (namentlich von den Anemochoren) wesentlich unterscheiden. Da die Ameisen nur während des Sommers sammeln, ist es für die Myrmekochoren von Vorteil, wenn sie die Früchte und Samen möglichst frühzeitig zur Reife bringen und ausstreuen können. In der Tat zeigt es sich, dass weitaus die Mehrzahl der Myrmekochoren zu den Tachysporen gehört, d. h. zu solchen Pflanzen, deren In- floreszenzen sehr schnell in die Postfloration übergehen und daher ihre Verbreitungseinheiten auch frühzeitig entleeren können. Die Anemochoren dagegen sind als Bradysporen zu benennen, die ihre Samen und Früchte nur sehr langsam, oft erst sehr spät (Spätherbst, Winter) ausreifen lassen. Weiter sind die floralen Achsen der Myrmekochoren durch eine schwache Ausbildung der mechanischen Elemente ausgezeichnet. Da sie in der Postfloration und zur Zeit der Fruchtreife keine Verstärkungen mehr erhalten, werden die Blütenachsen frühzeitig schlaff, fallen um und kommen auf den Boden zu liegen, wo: dann die schnell ausreifenden Samen den Ameisen leicht zugänglich werden. Bei den Anemochoren erhalten umgekehrt die Blütenachsen in der Postfloration eine Verstärkung der mechanischen Gewebe, weshalb sie zur Reifezeit starr aufrecht stehen und dadurch ihre Verbreitungseinheiten in eine für den Wind vorteilhafte Lage bringen können. Besonders deutlich treten die Verhältnisse bei solchen Gattungen zutage, deren Vertreter teils zu den tachysporen, teils zu den bradysporen Myrmekochoren ge- Sernander, Entwurf einer Monographie der europäischen Myrmekochoren. 163 hören. Zu der ersten Gruppe zählen z. B. Anemone ranunculoides, Primula acaulıs, Luxula prlosa, zu der letzteren Anemone silvestris, Primula elatior, Luxula multiflora. Von der allgemeinen Regel der Schwäche des mechanischen der floralen Achsen machen nun einige Myrmekochoren eine Ausnahme. So haben z. B. die mechanischen Gewebe der Halme und Stengel der Gramineen und Üyperaceen nur unbedeutende Reduktionen erfahren. Es soll dies mit dem fixierten Charakter, der auch mehrere andere Organe dieser beiden Familien auszuzeichnen scheint, zusammenhängen. „Ich erinnere z. B. an die Blattform, die bei Hunderten, um nicht zu sagen Tausenden von Gräsern und Halbgräsern so durchgehends einheit- lieh ıst, und doch leben so viele unter total verschiedenen Ver- hältnissen, die in anderen Familien die bunteste Mannigfaltigkeit der betreffenden Blatt-Grundtypen verursachen“ (p. 337). Dieser Auffassung muss selbstredend entschieden entgegen- getreten werden. Zugegeben, dass auch heute noch die Familien der Gräser und Scheingräser vielfach als eine crux botanicorum betrachtet werden, so sprechen doch schon die gerade von den Gräsern in die Biologie übernommenen Blattypen wie „Rollblatt“, „Falt- blatt“ für eine große Vielgestaltigkeit des Grasblattes. Wie in wenigen anderen Familien zeigen gerade die Gräser und Üyperaceen je nach den edaphischen und klimatischen Verhältnissen — ganz abgesehen von der Strohtunica, von den Scheinzwiebeln, von Wachs- überzügen, Behaarung, von den Bewegungseinrichtungen — äußerst verschiedenartige Blattformen, welche Unterschiede bekanntlich auch in der Anatomie in so hervorragender Weise zutage treten. So besitzen innerhalb der Gattung Festrıca die xerophil gebauten Formen der trockenen Bergabhänge und des sandıgen Bodens (F. amethystina, ovinda, Lachenaliti, Vallesiaca, spadicea) sehr schmale, borstenförmige, stark zusammengerollte Blattspreiten, während die Bewohner des Waldes und der feuchten Rietwiesen (F\ silvatica, gigantea, arun- dinacea) breite, flache, oft überhängende Blattflächen aufweisen. Auch eine Gegenüberstellung der Gattungen Zea, Sorghum, Kuchlaena, Pharus, Saccharum, Bambusa, Arundinarie, Hoplismenus Panicum (z.B. P. plicatum), Phalaris, Oryza, Dactylis, Phragmites, Pennisetum, Lagurus u. Ss. w. einerseits mit Vertretern der Gattungen Stipa, Ammophila, Melica (z. B. M. ciliata), Koeleria, Nardus, Weingaertneria, Agrio- pyrum (A. iunceum), Lygeum, Artstida etc. andererseits fällt sicher- lich nicht zugunsten der von Sernander vertretenen Ansicht von einer einheitlichen Gestaltung des Gramineenblattes aus. — In gleicher Weise wie die Blütenachsen zeichnet sich auch die Frucht- wand der Myrmekochoren durch eine starke Reduktion des mecha- nischen Systems aus. Dagegen wachsen die Kelchblätter (Borrago, Potentilla alba) oder die Hochblätter (Hepatica) ın der Postfloration nicht selten stark aus und werden zu lokalen Assimiliationsapparaten, deren Assımilate ohne Zweifel den heranwachsenden Verbreitungs- einheiten zugute kommen. Weiter erfahren bei den Myrmekochoren die karpotropischen Biegungen eine Vereinfachung und finden früh- zeitig ihren Abschluss. Vom ökologischen Standpunkte aus gehört l* 464 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. weitaus die Mehrzahl der Myrmekochoren zu den Mesophyten, eine kleinere Zahl auch zu den Xerophyten. Unter den Hydro- und Halophyten gibt es gar keine Myrmekochoren. Abgesehen vom Rosmarin und einigen lignosen Euphorbiaceen handelt es sich aus- schließlich um krautartige, perennierende oder einjährige Pflanzen, die vor allem der Wald- und Ruderalflora, zum kleinen Teil auch der Felsenflora (z. B. Öyclamen) zuzuzählen sind. Im arktischen Europa fehlen die Myrmekochoren vollständig; auch in der sub- arktischen Nadelwaldzone sind sie nur spärlich vertreten. Dagegen treten sie in der Zone der mitteleuropäischen Wälder sowohl in den Wiesen als auch in den Buschformationen und in den ver- schiedenen Waldtypen (besonders in den Eichenmischwäldern und in den Buchenwäldern, spärlich jedoch in den Birken- und Kiefer- wäldern) auf. In den "südeuropäischen Macchien, in den Garigues, im Karstwalde wie auch im pontischen Steppengebiet spielen sie eine geringe Rolle. In den Gebirgen lassen sich die letzten Posten bis in die Pinus pumilio-Region hinauf verfolgen. Besonders reich an Myrmekochoren scheinen die subalpinen Lärchenwälder zu sein. Was die myrmekochoren Ruderalpflanzen anbetrifit, so sind diese besonders ım Mittelmeergebiet stark vertreten. Etwa die Hälfte davon dringt in die mitteleuropäische Waldformation, neun Arten (Anchusa arvensis und officinalis, Centaurea eyanus, Fumaria offi- cinalis, Lamium amplexicaule und purpureum, Veronica agrestis, Viola arvensis und tricolor) bis im die eurasiatische Nadelwald- zone vor. Viele der Myrmekochoren sind als typische Schatten- pflanzen zu bezeichnen, die besonders da auftreten, wo andere als anemochore Verbreitungsvorrichtungen notwendig sind. Es ist deshalb ziemlich wahrscheinlich, dass die Myrmekochoren in den schattenreichen Pflanzenvereinen ihre ökologischen Eigen- tümlichkeiten erworben haben. Phylogenetisch sind die Myrme- kochoren als eine junge Gruppe zu betrachten. Der Großteil der- selben ist wohl aus den Anemochoren hervorgegangen, während ein kleinerer Teil (Zuphorbia, Viola) sich aus Formen mit explosiven Früchten entwickelt hat. Hegi. Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. Die zyklische Fortpflanzung der Pflanzenläuse. Von A. Mordwilko, Privatdozent a. d. Universität St. Petersburg. (Schluss.) Dank den Untersuchungen von Theo Pergande°°) kennen wir nunmehr den Generationszyklus verschiedener Hecoria-Phylloxerinen. Am genauesten erforscht ist der Generationszyklus bei Phylloxera pernieiosa Prgd., welche Gallen auf den Blättern, Blattstielen und 62) Pergande, Theo. North American Phylloxerinae affeeting Hicoria (Carya) and other Trees. Proc. of the Davenport Acad. of Se., Vol. IX, 1904, Davenport, Jowa, pp. 155 ff. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 165 jungen zarten Trieben von Hicoria tomentosa hervorbringt. Im Ver- laufe eines Jahres gelangen nur drei Generationen zur Entwicke- lung: ungeflügelte Fundatrices, geflügelte Sexuparen und ungeflügelte (mit rudimentärem Rüssel versehene) Geschlechtsindividuen. Reife Gallen mit den darin aufgewachsenen Fundatrices wurden schon am 8. Mai beobachtet. Die geflügelten Sexuparen entwickeln sich ın den Gallen gegen Ende Mai. Die Sexuparen lassen sich nach ihrem Austritte aus den Gallen vorzugsweise unter den Blättern des Baumes nieder und legen hier längs den Adern des Blattes und namentlich in deren Knotenpunkten Eier von geschlechtlichen Individuen ab, und zwar größere von Weibchen und kleinere von Männchen. Vom 4. Juli ab kann man schon aus den Eiern ge- krochene Larven von geschlechtlichen Individuen antreffen, wobei die Männchen die Weibchen um etwa 50°, an Zahl übertreffen. Viele geschlechtliche Individuen fallen mit den Blättern zusammen zur Erde. Vom 12. Juni an sind grüne (latente) Eier angetroffen worden, welche von den Sexuales je zu einem Ei vorzugsweise auf von Gallen infizierten Zweigen in die alten Gallen, in benachbarte Risse, sowie am Stamme unter der Rinde, in Rissen der Rinde, endlich unter und zwischen Flechten abgelegt werden. Bisweilen finden sich bis zu 50 Eier an einer Stelle, wobei hier gleichzeitig auch Häute abgestorbener Weibchen zu bemerken sind. Die Eier überwintern, die Larven der Fundatrices kriechen gegen das Einde der ersten Hälfte des Aprils aus denselben aus und verursachen sodann durch ihr Saugen die Bildung von neuen Gallen. Einen ebensolchen Generationszyklus weisen auch die meisten anderen Zlicoria-Phylloxerinen auf. Die Gallen reifen im allgemeinen ım Mai bis Juni, bei einigen Arten jedoch später, im Juli oder selbst im August (so z. B. Phylloxera (2) caryae-semen Walsh), während die Gallen von Notabilia globosum Shimer sogar erst ım Oktober ihre Reife erlangen. Andererseits verlassen die geflügelten Sexuparen von Phylloxera spinuloidea Prgd. ihre Gallen in der zweiten Hälfte des März. Bei den meisten Hicoria-Phylloxerinen gelangen nur geflügelte Sexuparen zur Beobachtung, allein bei Phylloxera (?) caryae-venae Fitch sind bisher nur ungeflügelte Sexuparen beobachtet worden. Was nun Notabilia deplanata Prgd. betrifft, welche Gallen auf den Blättern von Hicoria tomentosa erzeugt, so vermutet Pergande, dass die Fundatrices unmittelbar die Eier der geschlechtlichen Indı- viduen hervorbringen, bisweilen jedoch neben Eiern parthenogene- tischer Weibchen, aus welchen geflügelte Sexuparen hervorgehen. Da wir es hier mit dem ersten Falle zu tun haben, wo Fundatrices unmittelbar geschlechtliche Individuen hervorbringen würden, so wäre sehr zu wünschen, dass diese Erscheinung einer genaueren Untersuchung unterworfen würde. 4166 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. Von den übrigen nicht migrierenden Phylloxeren ist die euro- päische Phyllozera quercus Boyer de F. (coceinea Heyd., Kalt.), welche unterhalb der Blätter von Eichen (Quercus pedunculata, pubescens und vielleicht auch noch anderer Arten) saugt, am ge- nauesten untersucht wurden, wobei die an den Ausschnitten der Blattränder saugenden Fundatrices-Weibchen die Bildung von seit- lichen Falten hervorrufen, in denen sie ihre völlige Entwickelung erreichen und darauf um sich herum Eier ablegen. Die Fortpflanzung von Ph. quercus ist dank den Untersuchungen von G. Balbiani®%), J. Liechtenstein %), Dreyfus‘°), Del@uercio®) u. a. m. verhältnismäßig gut erforscht worden. Es erweist sich zunächst, dass auf der Unterseite der Eichenblätter eine ununter- brochene parthenogenetische Fortpflanzung (ungeflügelte Weibchen) vor sich gehen kann; außerdem wurden jedoch noch zwei Generationen geflügelter Weibchen (Sexuparen) beobachtet: Ende Juni (mehr läng- liche) und Ende August (mehr kurze und breite), sowie zwei Gene- rationen ungeflügelter Sexuparen: im Juli und im September. Die Sexuparen legen zweierlei Arten von Eiern ab: größere, aus welchen Larven von Sexuales-Weibchen und kleinere, aus welchen Larven von Männchen hervorgehen. Die ungeflügelten Sexuparen kriechen nach Balbiani auf die Zweige und legen eine mehr oder wenig beträchtliche Menge von Eiern unter die Schuppen der Rinde ab, namentlich an der Basis junger einjähriger Triebe, worauf sie selbst nach kurzer Zeit hier absterben. Die früher auftretenden geflügelten Sexuparen dagegen (und nur diese hat Balbianı unter den Sexuparen gekannt) fliegen alle von der Unterseite der Blätter fort, auf welchen sie sich entwickelt haben und gehen auf andere Blätter oder sogar auf andere Eichen über, wo sie eine geringe Anzahl von Eiern bald unter Blätter, bald auf die Rinde der Äste, besonders aber unter die Rindenschuppen an der Basıs des Stammes ablegen. Allein auch die später auftretenden ge- flügelten Sexuparen fliegen ebenfalls auf andere Eichen über. So beobachtete Lichtenstein gegen Ende des Augusts des Jahres 1874 eine Menge geflügelter Sexuparen sowohl in Spinngeweben 63) Observations sur la reproduction du Phylloxera du chene. Ann. d. Se. natur. V.ser. Zool., T.19, Art. 12, 1874. — Le Phylloxera du chene et le Phylloxera de la vigne, Paris 18S4. 64) Compt.-Rend. Acad. Sc. Paris, T. 97, 1874, pp. 598-600; C. Role lalsze pp. 527—529; — C. R. T. 89, 1877, pp. 611-612 und andere Arbeiten. 65) Über neue Beobachtungen bei den Gattungen Chermes und Phylloxera. Tagebl. d. 61. Vers. deutsch. Naturf. u. Ärzte zu Köln 1888. — Über Phylloxerinen. Wiesbaden 1889. — Neue Beobachtungen ete. Zool. Anz., XII. Jahrg., 1889, pp- 65— 73. 66) G. Del Guercio. Prospetto dell’ Apidofauna Italica. Soff. Fam. Cher- mesinae Pass. Nuove Relazioni intorno al lavori della R. Stazione di Entomologia agraria di Firenze. Serie prima, Nr. 2, 1900, pp. 173—236. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 167 als auch unterhalb der Blätter von @xercus coccifera und zwar jedenfalls ohne die übrigen Formen dieser Phylloxera, d. h. ohne Larven, ungeflügelte parthenogenetische Weibchen und Nymphen, indem hier im entgegengesetzten Falle keine Migration hätte ange- nommen werden können, wie Lichtenstein dies doch getan hat. Die geschlechtlichen Individuen entbehren eines Rüssels und eines Darmes, doch entspricht die Zahl ihrer Häutungen der für ungeflügelte Individuen der Phylloxerinae üblichen, d.h. sie häuten sich dreimal. Die befruchteten Sexuales-Weibchen verkriechen sich in Risse und Spalten der Rinde, wo sie je ein Ei ablegen; oft legen sie jedoch ihre Eier in der Nähe von Knospen ab, wo dieselben von verschiedenen Autoren nachgewiesen wurden (Balbiani, Del Guercio u. a. m.). Offenbar überwintern alle latenten Eier, ganz abgesehen davon, wann sie abgelegt worden sind, so dass alle Sexu- paren den Jahreszyklus der na onen zum Abschluss bringen. Was Phylloxerina salicis Licht. betrifft, so ist die han. Fortpflanzung dieser Art noch nicht bekannt. Auch sind geflügelte Individuen bei Ph. salicicola Prgd. (Nordamerika) bis jetzt noch nicht beobachtet worden. Pergande beobachtete im September ungeflügelte Sexuparen, ungeflügelte parthenogenetische Weibchen — nicht Sexuparen, endlich geschlechtliche Individuen mit rudi- mentären Rüsseln. Um uns den Ursprung des gegenwärtigen Generationszyklus von Xerampelus vastatrix besser ve eh zu machen, .müssen wir zuvor die Fortpflanzung von Schixoneura lanigera besprechen. Bei Seh. lanigera pflanzen sich die Läuse vom Frühjahre an auf der ganzen Pflanze fort, auf den Stämmen, Zweigen, wo sie teil- weise bis auf die Blätter übergehen, sowie auf den Wurzeln; um die Mitte des Sommers wird die Fortpflanzung an den Stämmen weniger intensiv, während sie an den Wurzeln und jungen Trieben in gleicher Weise fortdauert. Die geflügelten Sexuparen entwickeln sich im September bis Oktober sowohl auf Zweigen und Stämmen, als auch auf den Wurzeln. Sie fliegen sodann auf die Blätter über und bringen hier eine zweigeschlechtige Nachkommenschaft hervor. Stellen wir uns nunmehr vor, die Fortpflanzung der Läuse wäre nur auf den unterirdischen Pflanzenteilen erhalten geblieben, so haben wir ein Bild vor uns, wie es Phylloxera vastatrix auf euro- päischen Rebsorten darbietet. Die Reblaus konnte schon von der ‚Zeit an, wo sie entstanden war, auf Wurzeln und unter Blättern saugen, obgleich sie ursprünglich auf den Blättern keine solchen Gallen verursachte, wie zur Jetztzeit; man wird jedoch auch an- nehmen können, dass sie außerdem auch noch an der dünnen Rinde der Triebe saugte. Im Laufe der Zeiten haben sich jedoch die Orte, wo gesaugt wird, infolge der Bestrebungen der Art die ge- gebenen Existenzbedingungen möglichst vollständig auszunützen, 468 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. auf die Wurzeln und die jungen Blätter beschränkt. Ursprünglich entwickelten sich die Sexuparen und die geschlechtlichen Individuen natürlich auch an oberirdischen Pflanzenteilen, jedoch ebenso auch auf den Wurzeln. Welches mögen nun die Ursachen gewesen sein, welche zu einer Beschränkung des Auftretens dieser Formen auf die Wurzeln der Weinrebe führten? Augenscheinlich erfolgte der Ausfall der Entwickelung geflügelter Sexuparen unter den Blättern der Weinrebe in Abhängigkeit von der Bildung von Gallen be- sonderer Art. Und zwar sind diese Gallen so klein und werden augenscheinlich so rasch hart, dass nur ein einziges Individuum sich in ihnen vollständig entwickeln kann; für die Larven dagegen, welche aus den innerhalb der Gallen durch das ungeflügelte Weib- chen abgelegten Eiern ausschlüpfen, werden die in den Gallen herrschenden Ernährungsbedingungen schon so ungünstig, dass sie gezwungen sind, neue Wohnorte und namentlich neue junge Blätter aufzusuchen. Alle Blattgenerationen der Reblaus erweisen sich als gallenbildend wie die Fundatrices-Weibchen; aus diesem Grunde unterscheiden sie sich nur wenig von den Fundatrices und nur die Reproduktionsfähigkeit dieser ersteren gallenbildenden Weibchen nimmt mit der Zeit ab, was zweifellos mit der im Laufe des Sommers fortschreitenden Verschlimmerung der Ernährungsbedingungen ım Zusammenhange steht. Allein die Gallenreblaus, und sogar deren Sommerform, legt im allgemeinen doch eine beträchtlich größere Menge von Eiern ab, als die Wurzellaus (z. B. im Verhältnis von 200 : 40), oder mit anderen Worten, unterhalb der Blätter und im Sommer sind die Ernährungsbedingungen günstiger, als auf den Wurzeln. Wenn die aus den Eiern ausgeschlüpften Larven jedoch unter den Blättern keine passenden Existenzbedingungen mehr für sich finden können, so kriechen sie auf die Wurzeln der Reben hinüber. Weshalb keine größeren und anders gearteten Gallen zur Ausbildung gelangt sind, in welchen sich auch die Nachkommen der gallenbildenden Weibchen entwickeln könnten. ist augenblick- lich schwer zu sagen. Einer Bildung größerer Gallen konnte viel- leicht die Pflanze selbst entgegenwirken, oder aber eine solche entsprach aus irgendwelchem Grunde nicht den Aufgaben der be- treffenden Phylloxera-Art. Die Koniferen-Chermesinen. Die Chermesinen der Nadelhölzer bieten das Eigentümliche, dass fast alle gegenwärtig bekannten Arten derselben migrierend und heteröcisch sind, oder aber Generationszyklen durchmachen, welche für die Exules der migrierenden Arten charakteristisch sind. Im Gegensatze zu allen übrigen bis jetzt besprochenen migrierenden Pflanzenläusen, besitzen die migrierenden Chermesinen die be- merkenswerte Eigenschaft, dass bei ihnen oberirdische Teile holz- Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzer.läuse, Aphididae Passerini. 169 artiger Gewächse gleichzeitig als Haupt- und als Zwischengewächse dienen. Dabei treten als Hauptgewächse verschiedene Arten von Picea Lk. auf, als Zwischengewächse — verschiedene andere Gattungen von Nadelhölzern, wie Larix, Abies, Pinus. Bis jetzt sind noch keine Fälle bekannt, dass Sexupare auf Picea entstünden, die ge- schlechtlichen Individuen dagegen auf anderen Gattungen und Nadelhölzern. Die Sexuparen entwickeln sich nur auf Zwischen- gewächsen und fliegen von hier auf Picea hinüber. Wir sind schon früher zu dem für alle migrierenden Pflanzen- lausarten gemeinsamen Schlusse gekommen, dass nur solche ur- sprünglich einfach polyphage Formen von Pflanzenläusen zur Migration oder Heteröcie übergehen konnten, deren Nährpflanzen zu denselben Zeitperioden sehr beträchtliche Unterschiede im Verlaufe der in den Ernährungsbedingungen eintretenden Schwankungen aufweisen. Das gleiche müssen wir auch bezüglich der Koniferen-Chermesinen an- nehmen, obgleich uns bis jetzt noch unbekannt ist, wie sich die Ernährungsbedingungen für die Chermesinen auf den verschiedenen Nadelhölzern verändern. Würden die Ernährungsbedingungen auf den Picea-Arten einerseits, und auf verschiedenen anderen Koniferen andererseits parallele und gleichgeartete Schwankungen aufweisen, so würden die ursprünglich polyphagen Formen natürlıch einfach in verschiedene Arten zerfallen, von denen eine jede naturgemäß viel besser als die ursprüngliche Form an die etwas verschiedenen, speziellen Existenzbedingungen auf einer bestimmten Koniferenart angepasst erscheinen würde. So verhielt es sich z. B. wahrschein- lich mit der ursprünglichen Form von Mindarus Koch (aus der Gruppe der Schizoneurina), welche anfänglich ın gleicher Weise auf eben aufbrechenden Trieben von Abies pectinata wie auch auf solchen von Picea alba leben konnte. Da nun die Lebensbedingungen und namentlich diejenigen der Ernährung auf beiden genannten Bäumen parallele Schwankungen aufweisen, so zerfiel die ursprüng- lich polyphage (und zwar mindestens diphage) Mindarus-Form mit der Zeit in zwei neue Formen: Meindarus abietinus Koch und M. obliguus Cholodk. in Anpassung an einige sich unterscheidende Lebensbedingungen auf den frisch aufbrechenden Trieben von Abves einerseits und Picea alba andererseits. Eine Migration von einem Baume auf einen anderen, oder eine Heteröcie, konnte hier auf keine Weise zustande kommen. Was nun die Chermesinen betrifft, so verhält sich die Sache etwas anders. Ursprünglich bewohnten eine oder einige wenige polyphage Ohermes-Formen in gleicher Weise verschiedene Nadelhölzer, wobei sich die einzelnen Individuen nur langsam entwickelten und die zweigeschlechtige Generation auf diesen, wie auch auf jenen Arten 470 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. von Nadelhölzern auftrat. Um jene Zeit konnten sich auf den ein- zelnen Gewächsen nur wenige Generationen im Jahre entwickeln; so konnten z. B. auf die sich vom Frühlinge an entwickelnden ungeflügelten Fundatrices geflügelte Sexuparen folgen, vielleicht neben ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen; die zwei- geschlechtige Generation beschloss dann den Generationszyklus. Diese COhermes-Form existierte natürlich in einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Individuen. Die weitere Entwickelung der Form bestand darin, dass die- selbe in mehrere neue Formen zu zerfallen begann, von denen eine jede schon viel besser an irgendwelche spezielle Lebensbedingungen angepasst war. Dabei erwiesen sich mehr oder weniger überein- stimmende Lebensbedingungen für die einzelnen Formen auf ver- schiedenen Gewächsen, so z. B. auf Picea einerseits und auf anderen Koniferen-Gattungen andererseits, und zwar auf gleichnamigen oder auf verschiedennamigen Teilen dieser Gewächse. Schon zu dieser Zeitperiode konnten sich die Ahnen der zu- künftigen Gattungen der Gruppe Chermesina herausbilden. Augen- scheinlich erfolgte die Abtrennung dieser Formen in nachstehenden Richtungen. Die Gruppen Onaphalodes (On. strobilobius-lapponicus) und Ohermes s. str. (Ch. abietis-viridis) entwickelten sich in An- passung an bestimmte Teile (junge Triebe) von Picea excelsa und an gewisse Teile von Larix europaea; die Gruppe Chermes-Dreyfusia Börn. (Ch. coccineus Cholodk., piceae Ratz., Nüssl., funitectus Dreyf.) entwickelte sich in Beziehung zu einigen Picea-Arten einer- seits und verschiedenen Abies-Arten andererseits; die Gruppe Pineus: Börn. endlich (P. sibirieus Cholodk., orientalis Dreyf. — pini Koch, Börn., strobi Hart., Börn., pineoides Cholodk.) entwickelte sich in bezug auf einige Arten der Gattung Picea und verschiedene Arten der Gattung Pinus. Verschiedene Arten der Gattung Picea zeigten die Befähigung, als Antwort auf den durch das Saugen der Chermesinen hervorgerufenen Reiz, aus degenerierten Trieben und Nadeln verschiedene Arten von Gallen zu bilden. Dieses Ver- halten beweist, dass die Ohermesinen auf Picea vorzugsweise auf den sich eben öffnenden Trieben gesaugt haben. Es würde natür- lich den Gesetzen über die Divergenz der Merkmale widersprechen, wenn verschiedene Formen der Chermesinen auf Picea vollständig übereinstimmende Triebe oder deren Teile bewohnen würden, da sich in diesem Falle keine neuen Formen von Chermesinen hätten herausbilden können, Allein sogar ähnliche Teile von Pflanzen ein und derselben Art können einen durchaus verschiedenen Charakter aufweisen und aus diesem Grunde auch gänzlich verschiedene Lebensbedingungen für die Pflanzenläuse darbieten. Und in der Tat bringt Chermes abietis (viridis) seine Gallen hauptsächlich auf starken jungen Fichten (Picea excelsa) und auf saftigen Trieben Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 171 hervor, während Cnapkalodes strobilobius (lapponicus) seine Gallen ausschließlich auf kränklichen Fichten und auf dünnen schwachen Trieben erzeugt”). Nachdem nun die Ohermes-Formen in die Stammformen der heute migrierenden Arten zerfallen waren, und damit die Anpassung an spezielle Lebensbedingungen einen weiteren Fortschritt gemacht hatte, erwies es sich, dass die Ernährungsbedingungen auf den Picea-Arten einerseits und auf anderen Nadelhölzern andererseits bereits einen mehr oder weniger abweichenden Verlauf von Schwan- kungen in der gleichen Zeitperiode aufweisen. Ganz besonders konnte dies von der Zeit an eintreten, wo die Gallen auf Prcea anfingen, eine mehr oder weniger bestimmte Gestalt anzunehmen, indem damit zweifelsohne auch eine Verbesserung der Ernährung verbunden war. Allein unter solchen Bedingungen müssen sich vorzugsweise einfache geflügelte Weibchen entwickeln, welche wiederum Eier von parthenogenetischen Weibchen ablegen, nicht aber Sexuparen. Von diesem Zeitpunkte an konnte der weitere Prozess nur noch in zwei Richtungen vor sich gehen: entweder konnte er zu einem Zerfall der polyphagen Oher mes-Formen in monophage Arten führen, oder aber zu einem Übergange der poly- phagen Formen in Na errenila Arten. Da es sich aber nunmehr schon herausgestellt hatte, dass die Picea-Arten einerseits und die Arten der anderen Koniferengattungen andererseits nicht etwa parallele und gleichgeartete Veränderungen ın den Ernährungs- bedingungen der Ohermesinen darstellen, sondern zur gleichen Zeit- periode vollständig verschiedene, so konnten demgemäß die poly- phagen Chermesinen nur in migrierende Arten übergehen. Natürlich ging ım Anfange dieser Umwandlung parallel mit diesem Prozesse ein Zerfall der gleichen ursprünglichen Form in verschiedene Arten vor sich, welche sich in ihrer zyklischen Fort- pflanzung entweder auf die Picea-Arten, oder auf die Arten anderer Koniferengattungen beschränkten. So blieben z. B. einige Sexu- paren, welche sich auf gewissen Nadelhölzern entwickelt hatten, gleich auf denselben sitzen, oder flogen auf Bäume der gleichen Art über; ebenso blieben einige geflügelte parthenogenetische Weib- chen, nachdem sie die Gallen verlassen hatten, auf Picea sitzen. Da sich jedoch ın letzterem Falle eine viel geringere Anzahl von 67) Das gleiche Verhalten sehen wir auch in bezug auf einige andere Gattungen. So leben z. B. an den Trieben von Pinus silvestris folgende Arten der Gattung Lachnus Burm.: L. pineus Mordw., L. curtipilosus Mordw., L. hyperophilus Koch, L. pini L., Mordw., L, taeniatus Koch, L. taeniatoides Mordw., L. pinihabitans Mordw. Und alle diese Arten der Gattung Lachnus leben unter verschiedenen Lebensbedingungen, indem ihre Wohnorte bestimmte spezifische Eigen- tümlichkeiten aufweisen. Vgl. Mordwilko, Zur Biologie und Morphologie der Pflanzenläuse. T. II, 1901, Horae Soe. Entom. Ross., T. 33, 1901, pp. 321—327 (Russisch). 472 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. Cherines-Individuen ergeben konnte, als bei eintretender Heteröcie, so konnten auch die Formen von Individuen mit der Neigung zur Heteröcie schließlich die Individuen mit Neigung zur Monöcie vollständig verdrängen. | Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass die Bedingungen für die Entwickelung (Ernährung) der Chermesinen in den Gallen auf Picea viel günstiger sind, als um die gleiche Zeit auf den sogen. Zwischenkoniferen. Aus diesem Grunde sind auch die in der zweiten Generation auf Picea zur Entwickelung gelangenden geflügelten Emigranten im allgemeinen viel größer, als die sich ebenfalls in der zweiten Generation auf den Zwischenkoniferen entwickelnden geflügelten Sexuparen. Aus dem gleichen Grunde entwickeln sich in den Gallen auf Picea jetzt keine Sexuparen mehr, sondern ge- wöhnliche parthenogenetische Weibchen, welche Eier von wiederum parthenogenetischen Weibchen ablegen. Da die Chermesinen bei dem Verlassen der Gallen auf Picea keine halbwegs günstigen Be- dingungen für die Entwickelung neuer Generationen mehr antreffen, so sind die Sexuparen nur für die Zwischengewächse erhalten ge- blieben. Die Sexuparen, indem sie im Frühjahre auf die Nadeln von Picea überfliegen, sowie die sich aus deren Eiern entwickelnden ge- schlechtlichen Individuen können die sich ihnen um diese Zeit dar- bietenden Ernährungsbedingungen wenigstens noch zum Teile aus- nützen (die Emigranten entwickeln sich um diese Zeit bereits in Gallen). Ebenso können auch die geflügelten Emigranten später eine halbwegs für sie passende Ernährung nur noch auf den Nadeln der Zwischenkoniferen antreffen, indem die Nadeln von Picea im Sommer den Chermesinen offenbar keine Nahrung mehr bieten können, von der Rinde der Triebe gar nicht zu reden. Wenn die polyphagen Arten in monophage zerfallen wären, statt sich in heterö- cische Arten zu verwandeln, so hätte z. B. Onaphalodes strobilobius Kalt., wenn sie nur an Picea excelsa gebunden wäre, die ihr im Früh- jahre auf den Nadeln der Fichte gebotene Ernährung nicht aus- nützen können, da ihre zweite Generation sich um diese Zeit ın Gallen entwickelt, nach deren Öffnung die Fichtennadeln den Cher- mesinen schon keine Nahrung mehr bieten können. Ebenso hätte On. hamadryas Koch (Übersiedlerform von On. strobilobius) die Er- nährungsbedingungen auf den Nadeln der Lärche nicht so voll- ständig ausnützen können wie gegenwärtig, wo sich die Individuen- zahl dieser Art auf der Lärche durch die Emigranten von der Fichte mehr oder weniger beträchtlich vermehrt hat. Während nun in ersterem Falle ein größerer oder geringerer Teil der Nachkommen- schaft von On. hamadryas hätte zu geschlechtlichen Individuen werden müssen, kann sich diese Art nunmehr, nach Ausschaltung der Sexuparen aus ihrer Mitte, auf der Lärche nur noch partheno- Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 173 genetisch fortpflanzen, wodurch die Zahl der Individuen dieser Art unzweifelhaft bedeutend vermehrt wird. Es erweist sich demnach, dass die Heteröcie es einer Art gestattet, eine viel größere Zahl von Individuen hervorzubringen, als die Monophagie zweier Arten, unter der Bedingung natürlich, dass die Ernährungsbedingungen auf verschiedenen Gewächsen durchaus verschiedenartigen Schwan- kungen unterworfen sind. Wir haben bereits früher‘®) darauf hingewiesen, dass der mit Heteröcie verbundene Polymorphismus der Generationen dem Pro- zesse der Bildung neuer Arten durchaus entspricht und eine vika- rierende Erscheinung dieses Prozesses darstellt. Gewisse Eigentümlichkeiten im Zyklus der Generationen der gegenwärtig in Europa lebenden Ohermes-Arten können auf folgende Weise erklärt werden. Ebenso wie nur einige wenige Nadelhölzer europäischen Ursprungs sind, so werden sich auch nur einige wenige Chermesinen-Arten als von europäischer Herkunft heraus- stellen können. Es sind dies Onaphalodes strobilobius Kalt. (auf Picea excelsa und Larix europaea) und Chermes abietis L. (auf den gleichen Bäumen). Dabei geht Larix europaea östlich nur bis zum Königreich Polen, obgleich sie früher etwas weiter nach Osten verbreitet war; ım nordöstlichen Russland und in Sibirien wird diese Lärche durch Larix sibirica ersetzt. Die Chermes-Dreyfusia pectinatae Cholodk. (coceineus Cholodk.) kann mit ihren Nähr- pflanzen Picea excelsa und Abies sibirica ıhrem Ursprunge nach dem nordöstlichen Teile des europäischen Russlands und Sibirien zuge- zählt werden. Andere Arten dagegen verdanken ihren Ursprung wahrscheinlich anderen Ländern. So wird man annehmen können, dass Chermes-Dreyfusia piceae Ratz., Nüssl. nicht europäischen Ursprungs ist, indem die europäische Picea excelsa dieser Art ihre Hauptpflanze nicht ersetzen kann. Die Exules wohnen vorzugsweise auf der Rinde von Abies pectinata (europäischen Ursprungs), A. nord- manniana (kaukasischen Ursprungs), A. söbirica (Heimat Sibirien und Nordostrussland), A. balsamea, A. nobilis u. a. (nordameri- kanischen Ursprungs). Als Hauptpflanze ist, will man nach A. nord- manniana urteilen, vielleicht Picea orientalis anzusehen (Heimat: Kleinasien, südwestlicher Kaukasus), oder aber, nach A. balsamea, no- bis u.a. m. zu urteilen, P. alba, nigra oder eine andere nordameri- kanische Art. Pineus orientalis Dreyf. — pini Koch, Börn. stammt wahrscheinlich aus Kleinasien und dem Kaukasus (Picea orientalis und Pinus silvestris), Pineus sibiricus Cholodk. aus Sibirien und zum Teile aus Europa (Picea excelsa und Pinus sembra), Pineus strobi Hart., Börn. aus Nordamerika mit seiner Zwischenpflanze Pinus strobus (Osten Nordamerikas), die Hauptpflanze ist wahrschein- 68) Diese Zeitschr., Bd. 29, 1909, pp. 98ff. 474 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. lich Picea alba oder nigra. Schwieriger ist es, etwas Bestimmtes über Pineus pineoides Cholodk. auszusagen (auf der Rinde von Picea excelsa),; es ist sehr wohl möglich, dass diese Art sich mit P. excelsa als europäischen oder sibirischen Ursprungs herausstellen wird. In Europa mussten die -Öhermesinen fremdländischen Ur- sprungs notgedrungen den Verlauf ihrer zyklischen Entwickelung abändern, indem sie beispielsweise auf die Zwischengewächse allein angewiesen. wurden. Wenn dabei für Pineus orientalis-pini die Rottanne (Picea ewcelsa) auch P. orientalis ersetzen kann, so kann diese Rottanne für Chermes- Dreyfusia piceae und Pineus strobi deren Hauptnährpflanzen schon nicht mehr ersetzen. Obgleich sich daher auf den Abies-Arten und auf Pinus strobus noch geflügelte Sexuparen entwickeln, welche in Europa auf die Rottanne, Picea excelsa überfliegen, so gelangen hier geschlechtliche Individuen fast gar nicht, besonders aber keine Fundatrices zur völligen Entwickelung*”). Ebenso sind bei fehlender Lärche, Zarix europaea, in Wäldern mit Picea excelsa (wie dies in den meisten Wäldern des europäischen Russlands der Fall ist) die aus den Gallen auf der Fichte emi- grierenden Formen viridis (der Art Chermes abietis-viridis) und strobilobius (der Art Onaphalodes strobilobius-lapponieus) samt ihrer Nachkemmenschaft dem Untergange verfallen, und die Entwicke- lung der beiden entsprechenden Arten kann nur nach den abietis- und Zapponicus-Formen hin vor sich gehen, d. h. in monophager oder monöeischer Richtung mit Ausfall der zweigeschlechtigen (Generation. Was die zyklische Fortpflanzung bei den Vertretern der Gruppe Hormaphidina betrifft, so lassen sich auf dieselben durchaus alle Betrachtungen anwenden, welche wir in bezug auf die Chermesina angeführt haben, so lange es sich darum handelt, dass hier, wie bei den Koniferen-Öhermesinen, sowohl die Hauptpflanzen wie auch die Zwischenpflanzen durch holzartige Gewächse dargestellt sind. Nachtrag I. Wir wollen nunmehr den Ursprung eines Merk- males besprechen, welches sowohl migrierenden wie auch nicht migrierenden Arten der Unterfamilie Pemphiginae und der Gattung Phylloxera zukommt; es ist dies die Reduktion des Rüssels und des Darmes bei den geschlechtlichen Individuen, sowie die Fähigkeit der geflügelten Weibchen der Pemphiginae und Phylloxerinae eine Menge von Jungen oder Eiern auf einmal abzulegen. In der Unterfamilie der Aphidinae stehen die geschlechtlichen 69) Vgl. auch Börner, ©. Eine monographische Studie über die Chermiden. 1908, pp. 264—265 (Pineus orientalis-pini), p- 268 (Pineus sirobi). Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 175 Weibchen an Größe oft nicht hinter den ungeflügelten partheno- genetischen Weibchen zurück. Eine Ausnahme machen nur einige Arten aus der Gruppe der Aphidina (Siphonophora rosae, Aphrs malt, viburni, padi, piri, era- taegi u. a. m.), wovon schon weiter oben die Rede war. Ursprüng- lich wurden augenschemlich auch bei den Pemphiginae und Phyllo- xera die geschlechtlichen Individuen einfach kleiner im Verhältnis zu den ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen, wobei site jedoch ihren Rüssel und Darm beibehielten und Nahrung zu sich nahmen, wie dies auch jetzt noch bei den Vacunina, bei Anoecia (Schixoneura) corni, sowie bei den C'hermesinae der Fall ist. Sodann erfolgt wahr- scheinlich dieselbe Erscheinung, welche auch heute noch bei Schixo- neura americana beobachtet wird, wo, nach Riley, die geschlecht- lichen Individuen mit einem Rüssel zur Welt kommen, denselben aber mit der ersten Larvenhaut wıeder verlieren. Bei den geschlechtlichen Individuen von Pemphigus spirothecae ıst der Darm nach Witlaczil im ursprünglichen embryonalen Zustande vorhanden, wird aber später stark reduziert, während bei den Weibchen auch noch der Eierstock der einen Körperseite eine Reduktion erfährt. Ganz ebenso entbehren die geschlechtlichen Individuen von Phylloxera quercus nach Balbıanı eines Darmkanales, während bei den Weib- chen der Eierstock der einen Körperhälfte bis zum Stadium einer „petite dilatation, en forme de cul de sac, de l’extremite anterieure de l’oviducte, representant la trompe atrophiee de ce cöte- (droit) du corps“ reduziert wird; der Eierstock der anderen Seite ist nur durch eine einzige Eiröhre repräsentiert, in welcher nur ein Ei zur Entwickelung gelangt. Allein. obgleich die rüssellosen geschlecht- lichen Individuen auch keine Nahrung zu sich nehmen, so machen sie doch die gewöhnliche Zahl von Häutungen durch (bei den Pem- phiginae — 4, bei Phylloxera — 3). Unzweifelhaft haben die rüssel- losen geschlechtlichen Individuen diese letztere Eigenschaft von der Zeit her beibehalten, wo sie noch mit Rüsseln versehen waren und saugten. Die geschlechtlichen Individuen der Pemphiginen und der Gruppe Phylloxerına können natürlich nicht zur Vermehrung dienen, da die Sexuales-Weibchen nur je ein Ei ablegen; sie dienen ausschließlich nur zum Zwecke der Amphimixis. Die Einbuße der Fähigkeit, die Individuenzahl der Art zu vermehren, konnte bei den Weibchen nur aus dem Grunde vor sich gehen, weil die Vermehrung der Individuenzahl durch die vorangehende parthenogenetische Fort- pflanzung in genügendem Maße gewährleistet wird. Indem nun das Erreichen großer Dimension namentlich durch die geschlecht- lichen Weibchen und die Fruchtbarkeit zu einer für die Art gleich- gültigen Erscheinung geworden sind, so konnten die Dimensionen der geschlechtlichen Individuen infolge Panmixie etwas geringer 476 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. werden und es konnte auch eine teilweise Reduktion des Rüssels und des Darmes eintreten. Bei der weiteren Verringerung der Dimensionen konnten jedoch auch die Vorteile eine Rolle spielen, welche mit diesen Erscheinungen für die Art verbunden sind. Augenscheinlich ist es für die Pflanzenläuse von Vorteil, die über- winternden Eier in Aushöhlungen und Risse der Rinde und unter abstehende Rinde abzulegen, wo diese Eier im Herbste und im Früh- jahre besser aufbewahrt sind. Die oviparen (geschlechtlichen) Weib- chen von Drepanosiphum platanoides und den Chaitophorus-Arten vom Ahorn sind von verhältnismäßig beträchtlichen Dimensionen (3 mm resp. 2,5—3 mn) und hätten infolge einer solchen Größe nicht in die kleinen Spalten und Aushöhlungen der Rinde auf Ästen und Stämmen eindringen können. Allein das Abdomen dieser Weibchen ist in seinem hinteren Abschnitte, hinter den Röhrchen, in die Länge ausgezogen und verengert und dabei ist dieser ausgezogene Teil sehr beweglich, indem er sich senken und heben kann. Eine solche Konstruktion des Abdomens gestattet den geschlechtlichen Weibchen, ihre Eier in Höhlungen und Risse der Rinde abzulegen. Bei Lachnus agilis Kalt. legen die Weibchen ihre Eier nach meinen Beobach- tungen unter die Schuppen der Rinde auf Ästen und Trieben der Kiefern ab, allein die Möglichkeit, dieses zu tun, wird hier dadurch erreicht, dass bei diesen Weibchen der ganze Körper dünn und in die Länge gestreckt ist, so dass das Abdomen leicht unter die Rindenschuppen hinabgebogen werden kann. Die kleinen oviparen Weibchen von Aphis evonymi Fabr. und A. padi Kalt. legen ihre Eier nicht nur an der Rinde von Trieben und Zweigen ab, sondern auch unter abstehende Rinde, was ihnen infolge ihrer geringen Größe keine Schwierigkeiten verursacht. Die geschlechtlichen Individuen . der Gattung Vacuma Heyd. sowie diejenigen von Anoeeia (Schixoneura) corni sind mit Rüsseln versehen und saugen, allein nichtsdestoweniger wachsen sie fast gar nicht und in den Sexuales-Weibehen reift nur ein einziges Ei heran. Es mag hier eine Beobachtung von F. H. Kessler über An. corni mitgeteilt werden, welche ich auf Grund eigener An- schauung bestätigen kann. Im Herbste fliegen die Sexuparen von An. corni massenweise auf Hartriegel verschiedenen Alters über, allein im nächsten Frühjahre findet man keine Fundatrices dieser Art auf sehr jungen Hartriegeln mit glatter Rinde an Stämmen und Ästen; aus diesem Grunde hatte Kessler sogar vermutet, dass die geschlechtlichen Weibchen keine Eier auf glatter Rinde ab- legen’). Wenn jedoch Eier sogar auf glatter Rinde abgelegt werden sollten, so liegt es doch auf der Hand, dass solche Eier 70) Kessler, H. F. Die Entwickelungs- und Lebensgeschichte von Schizo- neura corni Fabr. Kassel 1883, p. 6. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. AR während der Herbstregen und der Frühjahrsschneeschmelze nicht erhalten bleiben können. Gerade durch ihre geringe Größe sind die geschlechtlichen Weibchen der Pemphiginen und der Phylloxerinen befähigt, behufs Ablage ihrer Eier sich in Höhlungen und Rissen der Bo unter deren Schuppen und überhaupt in verschiedenen verborgenen Orten zu verkriechen. Hat es sich jedoch als notwendig erwiesen, dass die geschlecht- lichen Individuen eine geringe Größe besitzen, so wird es gleich- gültig für die Art sein, ob dieselben saugen oder nicht, wenn sie nur entwickelte Geschlechtsprodukte in sich enthalten. Falls der Rüssel und der Darm bei solchen geschlechtlichen Individuen im Vergleich mit dem früheren Verhalten, als diese Organe noch eine Rolle spielten, etwas geringer werden konnten use) so wird weiterhin jenes Prinzip an gewesen sein können, welches besagt, dass wenn ein Organ aaa begonnen hat, sich zu ent- ale oder umgekehrt m seiner Entwiekelung Zueueuhleihenl dieser Prozess ch noch ferner in demselben Sihhe andauern muss, bis er durch die Wirkung der natürlichen Auslese aufgehalten wird: Denn wenn ein Organ sich weiter entwickelt, oder 2: umgekehrt in seiner Entwickelung nachlässt, so ist dies zweifellos das Er gebnis einiger Veränderungen im Keimplasma; sind aber diese Verde rungen aus nd hen Gründen einmal erfolgt, so wird man naturgemäß erwarten können, dass dieselben in diesem Sinne auch noch weiter fortdauern werden, und dass dies jedenfalls eher statt- finden wird als das umgekehrte Verhalten”). Es konnte demnach schon infolge des erwähnten Prozesses eine völlige Reduktion des Rüssels m des Darmes bei den geschlechtlichen Individuen der Pemphiginen und der Gruppe Phylloxerina stattfinden. Allein gleichzeitig konnte es sich auch als nützlich erweisen, das infolge der Reduktion von Rüssel und Darm frei werdende plastische Ma- terial zu irgendeinem Zwecke zu utilisieren, wie z. B. zum Wachstum und zur , der Geschlechtsprodukte. In diesem letzteren Falle konnte die Reduktion natürlich rascher vor sich gehen als in ersterem Falle. In der Unterfamilie der Pemphiginae saugen die Sexuparen nur bei den Arten der Gattung Vacuna und welleh. bei Anoecia corni, zum Teil ist dies auch bei Seh. lanigera und Mindarus Koch der Fall, allein bei anderen Arten hören sie nach der letzten Häutung auf zu saugen und legen direkt Larven der Ba Ferchlechäigen 71) Diesen Satz begründet Weismann auf der Germinalselektion. Vel. Weismann, A. Neue Gedanken zur Vererbungsfrage. Jena 1895, p. 11. -- Ders. Über Germinalselektion. C.-R. du 3. Congr. intern. Zool. Leyde 1896, p. 35—70. — Vorträge über Deszendenztheorie. Jena 1902, Bd. II, XXV u. XXIV. Vortr., p. 128. XXIX. 12 1478 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. (seneration ab, wobei sie diese Ablage in sehr kurzer Zeit beenden, da die Embryonen bei ihnen fast alle "gleich weit entwickelt sind. Ebenso verhält es sich offenbar auch bei den Sexuparen der Phyllo- zerinae, nur mit dem Unterschiede, dass diese letzteren nicht Junge, sondern Eier ablegen. In solchen Fällen können die Sexuparen zweifellos keine so zahlreiche Nachkommenschaft hervorbringen, als dann, wenn die Embryonen resp. die Eier (Phylloxerinae) je nach erfolgter Entwickelung resp. Reifung und folglich in größeren Zeitintervallen abgelegt werden. Und in der Tat kann in den Ei- röhren nur eine, bestimmte Anzahl reifer Eier oder entwickelter Em- bryonen enthalten sein und es können dann keine neue Eizellen mehr aus den Endkammern in die Ovarıialröhren treten; werden jedoch die Jungen resp. Eier nach Maßgabe erreichter Reife oder Ent- wickelung abgelegt, so können auch neue Eizellen aus den End- kammern ın die Eiröhren eintreten; außerdem können mehr Eier oder Embryonen verschiedener Altersstufen und folglich auch ver- schiedener Größe in den Eiröhren Unterkunft finden, als ganz gleichmäßig entwickelte Eier resp. Embryonen. In ersterem Falle wird der mütterliche Organısmus natürlich eine größere Menge plastischer Substanzen für die Entwickelung aller Eier oder Em- bryonen verausgaben müssen, und daher muss auch das partheno- genetische Weibchen (Sexupare) während des Ablegens der Eier oder der Embryonen Nahrung zu sich nehmen, wie wir dies denu auch an den Sexuparen in der Unterfamilie der Aphidinae, bei der Gattung Vacıma und bei Anoecia corni gesehen haben. Die hier besprochene Eigentümlichkeit der Phylloxerinae und Pemphiginae halte ich für ein Erbteil aus jenen Zeiten, wo die Pflanzenläuse sich noch nicht sehr stark vermehren konnten und wo ihre Organisation sich einer vollen und ganzen Utilisierung der vorhandenen günstigen Ernährungsbedingungen noch nicht angepasst hatte. Offenbar werden die geschlechtliche Individuen hervor- bringenden Sexuparen diese Eigentümlichkeit in reinerer Gestalt auf- weisen müssen, als die geflügelten parthenogenetischen Weibchen, welche wiederum parthenogenetische Weibchen hervorbringen, indem die parthenogenetische Fortpflanzung aus der zweigeschlechtigen hervorgegangen ist und die ersten geflügelten parthenogenetischen Weibchen der Pflanzenläuse wahrscheinlich Sexuparen gewesen sind. Nachdem die geflügelten Emigranten einiger Arten, namentlich der verhältnismäßig früh migrierenden Chermesinen, auf Zwischen- gewächse aus den Nadelhölzern herübergeflogen sind, beginnen sie in der Tat zu saugen und nur dann legen dieselben eine gewisse Menge von Eiern ab; was die Pemphiginae betrifft, so konnte ich mich nicht davon überzeugen, dass z. B. die Pemphigus affinis und P. ovato- oblongus auf krautartigen Zwischengewächsen saugten, obgleich die- selben auf Blättern und Stengeln dieser Gewächse saßen; jedenfalls Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 479 konnte ich feststellen, dass die großen und dieken Emigranten auf den Zwischengewächsen nicht saugten. Die ungeflügelten partheno- genetischen Weibchen der Pemphiginae und Phylloxerinae dagegen, da sie am besten an die Ausnützung günstiger Ernährungsbedingungen und somit auch an starke Vermehrung angepasst sind, legen ihre Jungen resp. Eier ab, sowie diese ihre Entwickelung resp. Reife erlangt haben. Allein schon in der Gruppe der Vacunina und bei Anoecia corni legen auch die geflügelten parthenogenetischen Weibchen ihre Jungen nach Maßgabe ihrer Reife ab, und das gleiche Ver- halten bemerken wir auch in der am weitesten vorangeschrittenen und veränderten Unterfamilie der Aphidinae. Natürlich müssen in den Lebensbedingungen der Pemphiginae und Phylloxerinae derartige Züge enthalten sein, welche die Bei- behaltung der alten Eigentümlichkeit der geflügelten Weibchen und namentlich der Sexuparen bei den Pflanzenläusen begünstigten. In einigen Fällen können diese Eigenheiten augenscheinlich festgestellt werden. So finden die geflügelten Sexuparen der Pemphiginae zur Zeit ihrer Entwickelung häufig bereits ungünstige Ernährungs- bedingungen auf ihren Nährpflanzen an; in Abhängigkeit oder aber auch unabhängig hiervon legen sie ihre Nachkommenschaft direkt auf die Rinde der Stämme und Äste von Bäumen ab (z. B. Loewia passerini, Pemphigus spirothecae und alle migrierenden Arten von Pemphiginen, mit Ausnahme von Anoecia corni). Nachtrag ll. Man kann im Freien häufig beobachten, dass sowohl geflügelte Emigranten-Weibchen als auch Remigranten- Sexuparen auf nicht für sie passende Gewächse geraten, wo ihre Nachkommenschaft natürlich dem Untergange verfallen ist. So beobachtete N.Cholodkovsky, „dass die Geflügelten von Ch. abietis Kalt. nicht selten ihre Eier, anstatt auf der Fichte, auf anderen Nadelhölzern ablegen, während z. B. die geflügelten Oh. lapponicus m.“ (i.e.Cholodk.) „unter ganz gleichen Bedingungen fast nıe dazu zu bringen sind“”?). Auch ich habe einmal beobachtet, wie geflügelte Sexuparen von Anoecia corni ihre Jungen unter die Blätter von Ulmus effusa ablegten (in der Umgebung von Warschau); ein anderesmal sah ich ziemlich viele Sexuparen der gleichen Art unter Blättern von Populus alba, wo sie ebenfalls Junge ablegten (Bjelo- wesh). Auf die Rinde der Stämme von Populus tremula setzen sich in ziemlich beträchtlicher Anzahl die Sexuparen von Pemphigus affinis-ranuneuli, ovato-oblongus — filaginis u. a. m. und legen hier Larven von geschlechtlichen Individuen ab, wie auch auf den Stämmen von Populus nigra, pyramidalis und suaveolens, obgleich 72) Beiträge zu einer Monographie der Koniferenläuse. Horae Soc. Entom. Koss, 7. 31,.1896, p. 10. 12% 480 Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. auf Populus tremula niemals irgendwelche Pempkigus-Gallen gebildet werden (Bjelowesh 1907 und 1908). Dasselbe Verhalten kann man auch in bezug auf die migrierenden Arten der Gruppe Aphidina beobachten, bisweilen aber auch bei den nicht migrierenden Arten. Alle derartigen Erscheinungen müssen augenschemlich in dem Sinne aufgefasst werden, dass der Prozess der Bildung streng an gewisse Lebensbedingungen angepasster Pflanzenlausarten bis zum heutigen Tage noch nicht sein Ende erreicht hat, d. h. dass auch gegenwärtig die natürliche Auslese noch in dem angegebenen Sinne weiter wirkt. Jedenfalls werden derartige Erscheinungen in keinem Falle als Ur- sachen für die Bildung neuer Arten angesehen werden können. Nachtrag III. Das I. Kapitel der vorliegenden Arbeit „Die Migrationen der Pflanzenläuse“”®) war kurz vor der vorzüglichen Monographie von ©. Börner über die Chermiden ”*) und fast gleich- zeitig mit dem Autoreferat über diese Monographie”°) im Drucke erschienen. Infolge der Untersuchungen von Börner und bezüg- lich O’hermes piceae auch infolge der Befunde von OÖ. Nüsslin"*), ist der von mir gegebenen Darstellung des Lebenszyklus der Cher- mesinen noch folgendes hinzuzufügen. ©. Börner stellt ganz bestimmt fest, dass die aus den Gallen auf der Rottanne hervorgehenden Formen geflügelter Weibchen: abietis und viridis ebenso wie auch strobilobius und lapponicus keine selbständigen Arten oder Varietäten darstellen, sondern — wie dies auf Grund theoretischer Betrachtungen auch zu erwarten war — nur verschiedene Formen von geflügelten ‚Weibchen der Arten: Ohermes abietis L., Kalt. (viridis Ratz.) und CUnaphalodes strobtlobius Kalt. (lapponieus Cholodk.) sind ””). Es gibt daher auch keine sogen. biologischen Arten oder Spezies-Sorores. Börner bestätigt ferner die Richtigkeit der Voraussetzung von L. Dreyfus, wonach Pineus orientalis Dreyf. und P. pini Koch ein und derselben Art angehören. Bei P. pini entwickeln sich auf dem Zwischengewächse, und zwar auf der Rinde namentlich junger 73) Diese Zeitschr., Bd. 27, 1907, pp. 747—167, 769fF. 74) Eine monographische Studie über die Chermiden. Arb. a. d. Kais. biolog. Anstalt f. Land- u. Forstwirtsch., Bd. VI, Heft 2, 1908, pp. 81—320, Taf. VII—IX. 75) Systematik und Biologie der Chermiden. Zool. Anz., Bd. 32, 1907, pp. 413—428. 76) Zur Biologie der Gattung Chermes Htg., insbesondere über die Tannen- rindenlaus CUhermes piceae Ratz. Verhandl. d. naturwiss. Ver. Karlsruhe, 16. Bd., 1903. — Die Biologie von (hermes piceae Ratz. Nat. Zeitschr. f. Land- u. Forst- wiss., 1. Jahrg., 1903, pp. 25—33, 59—67. — Zur Biologie der Chermes piceae Ratz. Verh. d. Deutsch. Zool. Gesellsch. 1908, pp. 205ff. x 77) Siehe auch die vor kurzem erschienene Schrift Börner’s: Uber Cher- mesiden. II. Experimenteller Nachweis der Entstehung diözischer aus monözischen Cellaren. Zool. Anz. Bd. 33, 1908, pp. 612 —61b. Mordwilko, Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse, Aphididae Passerini. 181 Kieferntriebe, in der zweiten Hälfte des Mai bisweilen geflügelte Sexuparen, welche auf Picea orientalis und P. excelsa herüberfliegen. Die Gallen auf diesen Fichten erinnern an die Gallen von Pineus sibirieus Cholodk. auf Picea excelsa, sınd aber zum Unterschiede von letzteren nicht gekrümmt, sondern gerade. Die Gallen sind von langer Gestalt, die Nadeln noch wenig verändert. Was die von Cholodkovsky’®) Ende Juni bis Anfang Juli auf den Kiefer- nadeln beobachteten Geflügelten Nichtsexuparen betrifft, so konnten dieselben nach Börner aus den Gallen auf Picea hierher geflogen sein. Allein Cholodkovsky bemerkt ausdrücklich, dass er auf den Kiefernadeln die entsprechenden Nymphen der geflügelten Über- siedler beobachtet hat. Eine ähnliche zyklische Fortpflanzung bietet auch Pineus strobi Hart., Börn. dar, doch ist die demselben entsprechende Picea-Art noch nicht bekannt. Nach den Vermutungen von Börner dürfte sich Picea alba als die Hauptpflanze dieser Art erweisen; das Vater- land dieser Fichte ist, gleich dem von Pinus strobus, Nordamerika. Die zyklische Fortpflanzung von Chermes- Dreyfusia pieeae Ratz., Nüssl. ist schon von Nüsslin gründlich untersucht worden. Diese Art lebt auf der Rinde von Abies pectinata, A. nordmannica u. a.m. Die Hiemales (nach Börner) oder Fundatrices spuriae (nach Cholodkovsky), welche sich aus den auf den Nadeln von Abies überwinterten Larven entwickelt haben, geben entweder den Aestivales (nach Börner) oder aber den Hiemales ihren Ur- sprung. Die Aestivales bringen wiederum Hiemales hervor, welche den Generationszyklus auf den Zwischenpflanzen beschließen "?). Bisweilen entwickeln sich aus den Larven der ersten Aestivales Nymphen und geflügelte Sexuparen, welche in Europa auf Prcea excelsa eben hosen, aber hier fast niemals eine Bildung von Gallen hervorrufen. Offenbar ist Picea excelsa nicht die ssanfe Haupt- pflanze für Ohermes-Dreyfusia piceae. Für die ungeflügelten parthenogenetischen Weibchen auf den nn schlägt Börner neue Bezeichnungen vor: Virgo hiemalis — Fundatrix spuria Cholodk. und Virgo aestivalis — Exsul Cholodk. Für die aus den Gallen auf Picea hervorgehenden geflügelten Weibchen schlägt Börner die Namen Cellaris dioeca und Cellaris monoeca vor, je nachdem ob diese Weibchen auf Zwischenpflanzen migrieren oder auf Picea sitzen bleiben. 78) Cholodkovsky, N. Aphidologische Mitteilungen. 25. Zum „Uher- mesiden-System“ von C. Börn. Zool. Anz., Bd. 32, 1908, p. 689, spez. 691. 79) Bisweilen kann man das gleiche Verhalten auch bei Unaphalodes strobi- lobius auf der Zwischenpflanze beobachten, allein bei Un. strobilobius ist die Zahl der Aestivales-Generationen eine größere. Bei Ohermes abietis bringen die Hiemales auf den Zwischengewächsen ebensolche Hiemales oder aber Larven von Aestivales hervor, welche sich alle in Nymphen und in geflügelte Sexuparen verwandeln (vgl. Börner, ©. Eine monographische Studie etc. 1909). 482 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Bemerkung zu Seite 785—786 des 27. Bandes dieser Zeitschrift 1907. Im Sommer 1908 gelang es mir, auf den Wurzeln von Ribes nigrum Nachkommen geflügelter Emigranten von Schixoneura ulmi zu erzielen. Die Frage über den Zusammen- hang von Sch. ulmi Deg. mit fodiens Buct. ist dadurch endgültig entschieden worden. Bezüglich Prociphilus bwmeliae-poschingeri und Oolopha com- pressa siehe oben. Bemerkung zu Seite 792—795 des gleichen Bandes. Neuerdings bin ich ‘der Ansicht, dass in der Gruppe der Horma- phidina die Gattungen Hormaphis und Hamamelistes (ausgenommen Oerataphis) zu unterscheiden sind und dass Hormaphis betulaeMordw. nunmehr Hamamelistes betulae heißen muss. Bemerkung zu Seite 814—815. Im Sommer 1908 ist es mir gelungen, in einem Glase auf Blättern von Phragmites communis Nachkommen geflügelter Weibchen zu erzielen, welche sich auf der Unterseite der Blätter von Prunus domestica entwickelt hatten. Druckfehlerberichtigung: In Bd. 27, 1907, S. 803, Z. 5 von oben lies Gramineen statt Gramineenwurzeln. Zur Biologie von Hydra. Depressionserscheinungen und geschlechtliche Fortpflanzung. Von Eugen Frischholz. (Aus dem zoologischen Institut München.) Inhalt. I. Einleitung. 1. Versuchsziele. 2. Übersicht der Versuchsanordnung. 3. Art der Kulturführung u. Beobachtung. 4. Systematisches. II. Der Verlauf der Kulturen. 5. Stammkulturen A, B, © (Depressionserscheinungen). 6. Serie I. 7. Serie I. | a) Hauptkulturen. b) Nebenkulturen (Durchlüftungen). 8. Serie III und IV. a) Anlage. b) Depressionen. c) Entwiekelung von Geschlechtsprodukten. d) Gonochorismus. e) Zusammenhang zwischen Depressionen u. geschlechtl. Fortpflanzung. 9. Serie V. (Aus Eiern gezüchtete Kulturen.) III. Schluss. Tabellen: I. Serie I. H. fusca: Einfluss der Temperatur auf Depressionen. ER N: PIE er eh] „ „ ’’ ”„ ,’ Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 183 III. Serie II. H. fusca: Einfluss von Temperatur und Fütterung auf die Stärke der Depressionen. IV... Er RE Knospung und Depressionen. Nee 11.0 7% = ” “ a De IE Einfluss von Durchlüftung auf den Verlauf von Depressionen. VI. zT grisea u. fusca: Graphische Darstellung des Kulturverlaufes. VI. „IV. „ grisea: Graphische Darstellung des Kulturverlaufes. IX. „ II „ gr. u f.: Depressionen durch neue Fütterung nach Fütte- rungspausen. X. „ . HIuIV. H.f.u. gr.: Hoden-(u. Ei-)Bildung nach Temperatur- änderungen. Einleitung. 1. Versuchsziele. Im Winter 1905/6 haben im hiesigen zoologischen Institut Krapfenbauer und zugleich Prof. R. Hertwig biologische Unter- suchungen ausgeführt über den Einfluss äußerer Bedingungen auf die Fortpflanzungsweise von Hydra. Die mit H. fusca durchgeführten Experimente ergaben als wesentlichstes Resultat, dass die Hydren regelmäßig zur Bildung von Hoden übergingen, wenn die Kulturen aus der Temperatur des geheizten Zimmers in Kälteräume von + 8 bis 10°C. gebracht wurden; dabei trat ausschließlich Hodenbildung ein, niemals Bildung von Eiern. Das gesamte zu diesen Versuchen verwendete Material stammte von sechs Hydren ab. Auf Anregung von Herrn Prof. Geh. Hofrat Dr. Hertwig be- gann ich im Sommer 1907 neue Kulturversuche mit Hydra, einer- seits um der Ursache nachzuforschen, welche jener auffälligen ein- seitig männlichen Geschlechtsentwickelung der Hydren in den Krapfenbauer’schen Versuchen zugrunde liegen mochte, und viel- leicht zugleich die Bedingungen festzustellen, welche zur Ausbildung von Eiern führen, und andererseits, um durch veränderte Versuchs- anordnungen zur allgemeinen Frage nach den Bedingungen der geschlechtlichen Ausbildung bei Hydra neue oder bestätigende Resultate zu erzielen. Herrn Geh. Hofrat Prof. Dr. R. Hertwig möchte ich an dieser Stelle nicht nur für die Anregung zu dieser Arbeit, sondern auch für sein 'stetes Interesse an derselben und manchen förderlichen Hinweis meinen verbindlichsten Dank aus- sprechen. 2, Übersicht der Versuchsanordnung. Die Ursache der oben erwähnten einseitig männlichen Ent- wiekelung könnte entweder im Material oder in den Versuchs- bedingungen liegen; in beiden Hinsichten musste ich daher nach Veränderungen streben. Dies gelang mir bezüglich des Materiales zunächst nicht; ich konnte trotz vielfacher Exkursionen in die Umgebung Münchens 154 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. während der ersten Hälfte des Monat Mai (1907) keine Hydren finden. Als ich endlich (23. Mai) einige H. fusca aus einem künst- lichen See des Schlossparkes Nymphenburg erbeutet hatte, entschloss ich mich, mit diesen die Experimente zu beginnen, wiewohl ich dann, ebenso wie es in jenen früheren Versuchen der Fall war, mit den Nachkommen einiger weniger Exemplare von H. fusca operieren musste. Es blieb also fürs erste nur die Variation der Versuchsbedingungen. Drei schöne kräftige Hydren wurden als Stammtiere ausgewählt und einzeln je in ein Kulturglas eingesetzt; diese drei Gläser bildeten die später noch zu schildernden Stammkulturen A, B und C. Diese Stammtiere wurden durch reichliche Fütterung zu starker unge- schlechtlicher Vermehrung gebracht und dann von dem so ge- wonnenen Material die eigentlichen Versuchskulturen abgezweigt: nach ca. 2 Monaten (Mitte Juli) eine erste Serie zu acht Kulturen, nach ca. 3 Monaten eine zweite Serie gleicher Anzahl von Kulturen, welche verschiedenen Bedingungen in bezug auf Fütterung, Tempe- ratur, Licht und die Beigabe von Pflanzen unterworfen wurden. Diese zwei ersten Serien verliefen hinsichtlich der Bildung von Geschlechtsprodukten nahezu resultatlos; dagegen traten in großem Umfange jene Erscheinungen auf, welche ich als Depressions- erscheinungen bezeichnen und im folgenden eingehend behandeln will. Das Studium dieser Erscheinungen, dessen Resultate einen wesentlichen Teil dieser Arbeit bilden, lag demnach nicht ım ur- sprünglichen Plane der Untersuchungen; ıhr starkes Auftreten in den ersten Serien aber und immerwährende spätere Wiederholungen führten zwingend zu eingehender Beachtung aller damit in Zu- sammenhang scheinender Verhältnisse. Die bedeutendste und erfolgreichste Erweiterung des Planes der Untersuchungen wurde aber ermöglicht, als ich nach vorläufigem Abschluss der Serie II bei neuen Exkursionen Mitte Oktober in einem Weiher bei Pasing ziemlich zahlreich Hydren vorfand, welche nach kurzer Beobachtung schon als verschieden von der bisher kultivierten Art sich zeigten; sie gehörten der Spezies Hydra grisea an. Fast gleichzeitig fand ich in einem fast ganz ausgetrockneten Altwasser der Isar bei Großhesselohe sowie im genannten Weiher bei Pasing geschlechtsreife Hydra fusca, und zwar solche mit Hoden und solche mit Eiern; von letzteren allerdings nur wenig Exemplare. Die neugefundenen Hydren, außer den geschlechtsreifen, wurden zunächst zusammen in einem Glase als Stammkultur zum Zwecke der Vermehrung durch Knospung gezüchtet; bald aber zeigte sich, dass unter den gesammelten Hydren auch fusca gewesen waren; dadurch wurden verschiedene Abzweigungen teils zur Kontrolle, teils zur Isolierung der Arten nötig. Die gefundenen geschlechtsreifen Hydren wurden teils einzeln Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 185 ın Gläser eingesetzt und kultiviert, teils zu mehreren zusammen; als dann Mitte November schon in den obengenannten Stamm- kulturen von grisea eine große Zahl Tiere kräftig Hoden und einige auch Eier zu bilden begannen, wurde ein Teil dieser Geschlechts- tiere gleichfalls zur Anlage neuer Kulturen verwendet. Es wurden so durch sorgfältige Isolierung sowohl Kulturen hergestellt, welche nur männlichen, wie solche, welche nur weiblichen Tieren ent- stammten; ferner solche, welche nur die Knospen von Tieren ent- hielten, welche Hoden gehabt hatten und solche, welche nur Tiere enthielten, welche selbst Hoden gehabt hatten. Ich fasse die Ge- samtheit dieser Isolationskulturen mit den Stammkulturen von grisea als Serie III zusammen. Diese zeitraubenden und umständlichen Isolations- und Rein- kulturen nahmen den ganzen November in Anspruch. In den letzten Tagen dieses Monates wurde dann aus den Stammkulturen von H. grisea eine neue Serie abgezweigt; diese Serie IV enthielt zehn Kulturen, welche wieder verschiedenen Bedingungen unterworfen wurden, ähnlich wie Serie I und Il. Zur Kontrolle wurden dieser Serie späterbin noch zwei Kulturen von Hydra fusca aus der Stamm- kultur A beigefügt; ferner eine Kultur von Hydren unsicherer Art, welche in einem der Gläser des Institutes vorgefunden wurden. Eine letzte fünfte Serie endlich bestand aus Hydren der Spezies fusca, welche aus Eiern gezüchtet waren. Dies waren teils Eier, abgelegt von den geschlechtsreif gesammelten Hydren, teils Eier, welche an Pflanzen und ım Abfall des Materiales einer Exkursion vom Ende November (Weiher Pasing) vorgefunden worden waren. Auch hier wurden zuerst zwei Stamnikulturen (44 u. 45) gezüchtet und von diesen zwei Versuchskulturen (55 u. 62) abgezweigt. 3. Art der Kulturführung und Beobachtung. Im ganzen wurden mit allen Hilfs- und Nebenkulturen 89 Kul- turen geführt, von diesen nur etwa 13 kürzer als 14 Tage, ca. 50 aber über 1 Monat und ca. 35 über 2 bis zu 10 Monate dauernd. Die Angaben, welche aus’ den gemachten Notizen abgeleitet sind, stützen sich also auf ein reichliches Materıal. Die Tiere wurden gezüchtet in sogen. Einmachgläsern von !/, bis zu 3 und 41 Inhalt, einzelne Nebenkulturen auch in Uhrgläsern oder Petrischalen; Pflanzen (meist Ceratophyllium, zum Teil auch Elodea) wurden nicht immer beigegeben (Näheres s. unten). Zu allen Kulturen wurde Wasserleitungswasser verwendet, hartes kalkreiches Gebirgswasser (Mangfallquellen); trotzdem fast alle Hydren aus dem Gebiet der Würm, dem Abfluss des Starn- bergersees stammen, welche weiches Wasser führt, ertrugen sie den Wechsel ohne jedes Anzeichen von Nachteil. Bei jeder UÜber- tragung von Tieren aus einem Gefäße in ein anderes wurde auf 186 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. mindestens !/,° genau gleiche Temperatur des Wassers in beiden Gefäßen hergestellt, entweder durch entsprechende Mischung kalten und heißen Wassers, oder durch mehrstündiges Nebeneinander- stellen der beiden Gefäße vor der Übertragung; für Zimmertempe- ratur wurde ohnedies immer abgestandenes Wasser bereit gehalten. Die Kulturen wurden teilweise kürzere oder längere Zeit mit schwachem Luftstrom durchlüftet mit Hilfe der im Institut einge- richteten Gebläse bekannter Konstruktion. Alle Gläser waren dauernd zur Vermeidung des sehr schädlichen Staub- und Bakterien. überzuges der Wasseroberfläche mit Glasplatten bedeckt. Gefüttert wurde anfänglich nur mit Daphnien, die teils aus ‘einem Bassin des Institutes stammten, teils gekauft werden mussten. Vom November an dagegen hauptsächlich mit einer Kopepodenart (Diaptomus sp.? [graeilis?]), welche in dem mehrerwähnten Weiher bei Pasing in Massen aufgetreten waren; als aber Ende Dezember starker Frost diesen Weiher mit diekem Eis überzog und zugleich die anderen Bezugsquellen versiegten, trat wieder öfterer Futter- mangel ein und damit manche unangenehme Störung im Plane der Kulturführung. Die Methode der Fütterung war folgende: nach einigem Stehen des Gefäßes mit dem zusammengefangenen Material, zum Absitzen von Schlamm ete., wurde das reine Wasser mit den Futtertieren durch ein kleines Gazesieb gegossen; dieses dann in eine flache Schale mit fingerhoch Wasser gesetzt; aus dem so erhaltenen dichten Gewimmel von Krustern wurde mit der Pipette je nach Wunsch in die betreffenden Gläser eine gewisse Menge übertragen, ohne dass jedoch jeder einzelnen Hydra direkt Krebse zwischen die Tentakel gegeben wurden; dies wäre bei der großen Zahl und Dauer der Kulturen nicht durchführbar gewesen. Die Beobachtung zeigte trotzdem stets eine gut gleichmäßige Aufnahme von Futter seitens aller Hydren. ich bezeichne es im folgenden als eine starke Fütterung, wenn so viel Material zugesetzt wurde, dass für die Dauer derselben jede Hydra fortwährend so viel aufnehmen konnte, als sie nur immer fähig war; in diesem Falle zeigten sich normale Tiere auch stets dick vollgepfropft mit Futter; ich habe bis sieben mittelgroße Daphnien im Magen einer Hydra gezählt. Als schwache Fütterung gilt jene, bei der die Hydren zwar Futter zur Verfügung haben, jedoch so wenig, dass in der Regel nur immer einzelne Kruster aufgenommen werden. Mäßige Fütterung bildet den mittleren Grad. Die erwähnten Kopepoden (Diaptomus) erwiesen sich als sehr geeignetes Fütterungsmaterial; durch ihre langsamen Schwimm- bewegungen, die sehr langen Antennen und die Eigenschaft, sich gleichmäßig im Glase zu verteilen, wurden sie leicht von den Hydren erbeutet; ihre relative Kleinheit (I—1,5 mm lang und sehr schlank) Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 187 gegenüber den meisten Daphniden und ihre gleichförmige Größe erleichterte die Aufnahme; sichtlich wurden sie auch, wenigstens von H. grisea, stärker und eifriger angenommen als Daphniden. Die Gläser wurden regelmäßig gereinigt, indem mit der Pipette Fütterungsabfall ete. entfernt wurde; nur beı langstehenden Stamm- kulturen oder sonst zu nur gelegentlicher Besichtigung zurück- gesetzten Kulturen mit Pflanzen wurde Algenbildung und Bildung eines geringen Bodensatzes zugelassen, denn es zeigte sich, dass dadurch balä ein Gleichgewicht sich herstellt zwischen der Bil- dung von Bakterien, Infusorien und der Neubildung von Ostra- coden und kleinen Cycelopiden ım Glase selbst und endlich der Fressenergie der Hydren, so dass solche Kulturen dann oft längere Zeit ohne Futterzufuhr sich selbst erhalten konnten. Wasserwechsel („Umsetzen“) wurde nur bei dringender Notwendigkeit vorgenommen, wenn Verpilzung (besonders nach längerer Durchlüftung) oder sonstige Verunreinigung, Anzeichen beginnender Fäulnis ete., die Kultur ernstlich zu schädigen drohte; dagegen musste, allerdings fast nur bei Wärmekulturen und durchlüfteten Kulturen gelegentlich der Verlust durch Verdunstung wieder durch Nachfüllung ersetzt werden. Stets wurde natürlich sorgfältigst auf Reinheit der verwendeten Gläser und Instrumente (Pipetten, Pinzetten) etc. geachtet. Die Versuche erstreckten sich, wıe erwähnt, auch auf die Eın- wirkung verschiedener Temperaturhöhen; hierbei kamen vier Ab- stufungen in Anwendung; als Regel und als Ausgangstemperatur jene des Zimmers, im Sommer gleich der jeweiligen Schatten- temperatur der Umgebung, ım Winter zwischen — 16° (nachts) und —- 21° (tags) ) schwankend'). Dann zwei Kältegrade; ein niederer zwischen + 2° und — 8° liegend kam nur ın ee von Ende November bis ca. Mitte Februar; er wurde erzielt sn Einstellen der Kulturen in eın ungeheiztes Kabinett des Institutes; die häufigste und Durchschnitts- temperatur war hier + 5°C. Eine sehr gleichmäßige Temperatur von — 10 bis 11°, die nur selten bis 4 9 oder + 15° ausschlug, konnte ich einwirken lassen, indem ich die Kulturgläser in ein größeres mit Wasser gelülltes Blechbassin einsetzte und dauernd frisches Leitungswasser durch dasselbe strömen ließ. Ähnlich erzielte ich eine hohe Temperatur von durchschnittlich — 25° C., allerdings etwas weniger konstant, mit Ausschlägen zwischen + 21 bis + 27° C., indem ein gleiches wassergefülltes Blechbassin ohne Durchfluss durch eine schwache Gasflamme ständig erwärmt wurde. Die angewendeten Temperaturen, wie ich sie ım folgenden Text stets kurz anführen werde, waren also: 1) Alle Temperaturangaben in dieser Arbeit in Celsius. 188 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Kälte + 5° (mit Schwankungen zwischen +2 bis + 8°). Kälte + 10° (mit seltenen Schwankungen zwischen 4 9 und 415°). Zimmer + 19° (in den Wintermonaten; schwankend zwischen + 16 und + 21°). Wärme -+ 25° (mit Schwankungen zwischen +21 und 427°). Wo die Schwankungen bedeutend sind und von Einfluss schienen, ist bei der Schilderung der Kulturen dessen Erwähnung getan. Während der Beobachtung kamen allerdings die in Bassins ge- haltenen Kulturen auch immer aus der betreffenden Temperatur; doch nur auf so kurze Zeit, dass eine merkliche Temperaturänderung in der relativ großen Wassermenge im Glas kaum eintreten konnte. Die Messung der Temperaturen geschah teilweise mit einem Maximal-Minimalthermometer, besonders in dem ungeheizten Kabinett, wo natürlich raschere und unregelmäßige Schwankungen unvermeid- lich waren. Einzelne Kulturen wurden unter Lichtabschluss gehalten, durch Überstülpen eines Blechzylinders mit Deckel über das Kulturglas. Die Beobachtungen wurden teils makroskopisch, teils mit einer Lupe von zehnfacher Vergrößerung gemacht und nach Bedarf einzelne Tiere unter dem Mikroskop (Leitz Obj. 3) betrachtet. Die Beobachtungen erstreckten sich nicht nur auf Depressionen und Bildung von Geschlechtsprodukten; es ergaben sich vielmehr zugleich vielfache Beobachtungen über andere biologische Verhält- nisse bei Hydra, so insbesondere über die Knospung, ihre Intensität und Morphologie, über Größenverhältnisse, Färbung, über Nahrungs- aufnahme und Hungererscheinungen, endlich über Phototaxis und Ortsbewegung; zudem wurde viel Material von normalen und ge- schlechtsreifen Hydren und insbesondere von allen Depressions- stadien konserviert. Es würde aber die Ausarbeitung des wesentlichsten Teiles der Ergebnisse ungebührlich verzögert haben und dieselben sehr be- schweren, wenn alles dieses zum Teil sehr umfangreiche Material hätte hier mit bearbeitet werden wollen. Hier wird daher nur das auf Depressionen und geschlechtliche Fortpflanzung direkt bezüg- liche verwertet. Die übrigen Beobachtungen und besonders das konservierte Material hoffe ich in baldmöglichst nachfolgenden Bearbeitungen noch nutzen zu können. 4. Systematisches. In neueren Arbeiten werden zum Teil außer H. viridis noch drei Spezies von nicht grünen Hydren angegeben (H. fusca, grisea und dioecia). , Ich werde im nachfolgenden nur H. fusca und grisea unter- scheiden; eine eingehende Begründung dieser Einschränkung und Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 189 Charakterisierung der Arten habe ich wegen des charakteristischen biologischen Verhaltens der beiden Spezies in einer gesonderten Abhandlung zusammengefasst, auf die ich hier verweise. Hier nur soviel, dass sich H. fusca durch den markanten, scharf abgesetzten Stiel, durch die enorme Dehnungsfähigkeit der Tentakel und die schon von Haacke (1880) als Artmerkmal angegebene und noch oft geschilderte gesetzmäßige Aufeinanderfolge der an einer Knospe neu entstehenden Tentakel auszeichnet; A. grisea zeigt keine scharfe Grenze zwischen Stiel- und Magenteil, die Tentakel sind meist nur wenig länger als der Körper und sämtliche neue Tentakel einer jungen Knospe entstehen nahezu gleichzeitig als ein Kreis von winzigen Höckerchen um das Peristom. Ein Verwechseln zweier Kulturen dieser beiden Spezies ist schon nach kurzer Beobachtung nicht mehr zu fürchten, so charakteristisch verschieden erscheint der Getamthabitus der Tiere. II. Der Verlauf der Kulturen. 5. Stammkulturen A, B, C. Die drei Ausgangskulturen A, B und C, aus je einer der ge- fundenen H. fusca gezüchtet, wurden ihrem Zweck als Stamm- kulturen entsprechend zunächst unter möglichst gleichförmigen Bedingungen gehalten. Sie befanden sich dauernd in Zimmer- temperatur, und soweit gelegentlicher Futtermangel nicht störend unterbrach, in gleichförmiger mäßiger bis schwacher Fütterung; einige kleine Zweige Elodea waren beigegeben und machten jeden Wasserwechsel unnötig. | Dieser gleichförmigen Behandlung entsprach auch das Verhalten der Tiere, wenigstens in A und B; zwar war die Vermehrung durch Knospen in den ersten 3 Wochen verschieden (50 gegen 130 Nach- kommen), jedoch traten weder Depression noch Bildung von Ge- schlechtsprodukten ein; erst als nach Abzweigung der Serien l und II (von Ende August an) die Fütterung dieser Kulturen fast ganz ein- gestellt wurde, fanden sich im September und Oktober vereinzelt Tiere in einem an Depression erinnernden Zustand; trotzdem er- hielten sich die nur selten gefütterten Kulturen lebenskräftig; Kultur B wurde erst Mitte Februar 1908 durch Konservierung der noch vor- handenen Hydren (ca. 20) abgeschlossen, Kultur A bis Mitte Mai 1908 weitergeführt, war erst Ende Juni nach völliger Vernach- lässigung ausgestorben. Anders verhielt sich Kultur ©. Sie wurde gleichzeitig mit A und B angelegt und genau gleich behandelt wie jene; bis Mitte Juli (nach Abzweigung der Serie I) war auch der Verlauf ganz ähnlich; ca. den 23. oder 24. Juli aber trat eine Störung ein. Die Kultur war am 29. Juli fast ganz ausgestorben (von vielleicht 100 Tieren auf kaum 10). Am 7. August aber hatten sich die über- 190 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. lebenden Tiere schon wieder soweit erholt, dass sie angebotenes Futter sofort und reichlich annahmen. In der Folge trat dann zwar ein starkes Schwanken in Fütterung und damit auch in der Vermehrung ein, aber die Sterblichkeit wiederholte sich nicht wieder. Der einzige Unterschied in den äußeren Bedingungen für C gegenüber A und B war in der Größe der Kulturgläser gegeben; jene von A und B hielten etwa 2 1, das von © nur '/, 1; hierdurch wurde die gleiche Futtermenge in © viel rascher und vollkommener aufgenommen als in A und B; denn hier waren die weiter zer- streuten Daphnien den Hydren nicht so leicht zugänglich als ın C. Die Ursache dieses Sterbens wurde zunächst von mir nicht richtig erkannt; ich musste zufällige Verunreinigung oder einen anderen nicht kontrollierbaren Einfluss annehmen; erst die Wieder- holung derselben Erscheinungen kurz nachher ın Serie I gab Ge- legenheit zur genaueren Beobachtung des Verlaufes, und damit auch zur Erkennung des Vorganges als einer Folgeerscheinung der Kulturbedingungen selbst; damit war allerdings erst die neue Frage nach der Art dieses Zusammenhanges aufgestellt; durch sorgfältige Beobachtungen und Notierungen und mühseliges Sichten der ange- häuften Notizen suchte ich der Lösung der Frage näher zu kommen. Ich nenne diese Erscheinungen Depressionen und verweise be- züglich der Berechtigung dieser Bezeichnung und ihrer allgemeinen Bedeutung auf den Schluss dieser Abhandlung. Die auffallendsten Merkmale der Depression bei Hydren sind folgende: Die Aufnahme von Futter hört auf; die Tentakel werden verkürzt auf etwa halbe Länge des Körpers, und erscheinen wie dieser, steif und bisweilen am Ende knopfig verdickt (schwache Depression); schreitet die Depression weiter, dann werden die Ten- takel bis auf !/,—1 mm verkürzt und stehen starr stäbchenförmig oder auch verkrümmt vom Körper ab (mittlere Depression); weiter- hin werden die Tentakel gänzlich oder zu stumpfen kurzen Höcker- chen reduziert; der Körper ist stark kontrahiert, keulenförmig oder schlauchförmig; die Tiere verlieren die Fähigkeit zum Anheften, sie liegen frei am Boden (starke Depression). Endlich erscheinen die Hydren nur mehr als kugelige oder ovale Klümpchen, meist schon mit beginnendem Zerfalle (hochgradige Depression)?). So führt häufig die Depression zum Tode; in anderen Fällen dagegen erholen sich die Tiere wieder, selbst aus hohen Stadien, indem sie ungefähr die umgekehrte Reihenfolge von Zuständen durchlaufen. Das erste und auch weiterhin vorauseilende Merkmal ist dabei die Verlängerung bezw. Neubildung der Tentakel. 6. Serie I. Die Serie I sollte Aufschluss darüber geben, ob außer den schon bekannten noch andere äußere Bedingungen Einfluss auf die Aus- ran) Vol. Fig. 5 bei Krapfenbauer (1907). Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 191 bildung von Geschlechtsprodukten haben. Es schien denkbar, dass neben Temperaturerniedrigung und Änderung der Ernährungsinten- sität auch andere Umstände noch von Einfluss sein könnten, wie etwa die folgenden: Schwankungen im Sauerstoffgehalt des Wassers; verschiedene Lichtintensität; Qualität der Nahrung; Größe der Kulturgläser. Etwaige Einflüsse der beiden letzten Bedingungen wurden aus- geschaltet durch gleichartige Behandlung; alle Kulturen der Serie I (und II) wurden in gleich großen Gläsern von je !/, 1 angelegt und sämtliche mit demselben Futtermaterial (Daphnien) gefüttert. Dagegen sollten die Kulturen verschiedenen Verhältnissen ın bezug auf die ersteren Bedingungen und zugleich auf Temperatur- höhe und Ernährungsintensität unterworfen werden; Verschieden- heiten im Sauerstoffgehalt sollten erzielt werden durch Zugabe oder Weglassen eines Pflanzenzweiges; einzelne Kulturen sollten durch Überstülpen eines Blechzylinders mit Deckel dauernd im Dunkeln gehalten werden. Es ergaben sich hieraus acht hauptsächliche Kombinationen ; wenn ich kurz bezeichne: W — Wärme (+ 25%), K = Kälte (+ 10°), Z = Zimmertemperatur (4- 19°), F — Futterkultur, H = Hunger- kultur, Pfl = Beigabe von Pflanzen, dann waren die so projektierten Kulturen 1a—7 die folgenden: Serie I Kultur Bedingungen Nr. La(8: W.E.Pfl Gesteigerter Stoffumsatz nad) SK ErI Verlangsamter Stoffumsatz 2 (10) KF dunkel Tichtenfzis 3 (1) KHodunkel f ee Be) 4(122) KF Sauerstoffimangel (gegen 1b) DS) KH Desgleichen gegen 6 BAUS IS HEN Hunger Ta AS) ZUR Kontrollkultur (normale Verhältnisse). Da das Projekt der späteren Serie II dieselben Kombinationen enthält, sind die Nummern 8—15 der entsprechenden Kulturen jener Serie hier gleich in Klammern beigefügt. Die Kulturen wurden am 20. Juli angelegt mit je neun Tieren (je drei aus A, B, C), zunächst alle in Zimmertemperatur, mit Pflanze und in freiem Licht gehalten; die Zimmertemperatur war in dieser Zeit (Juli!) sehr hoch. Bis 29. Juli wurden sie so unter ganz gleich- artiger Behandlung bei sehr starker Fütterung zu reichlicher Knospung gebracht; dann sollten erst obige Bedingungen hergestellt werden; aber schon in den nächsten Tagen begannen bei emigen Kulturen starke Depressionen aufzutreten; es musste bald die Fütterung ganz eingestellt werden; damit war der Plan der Serie schon gestört; ein Teil der Kulturen wurde in Kälte übertragen, ebenso den Kul- 199 Nagel, Handbuch der Physiologie des Menschen. turen 2—5 wie beabsichtigt die Pflanzen genommen; da nun Kälte die Depression zu hemmen schien, wurden nach und nach alle Kulturen in Kälte übertragen, wie auch bei allen die Fütterung eingestellt. Der Lichtentzug für 2 und 3 unterblieb. (Fortsetzung folgt.) Müller-Pouillet’s Lehrbuch der Physik. Bearbeitet von L. Pfaundler. 2. Bd., 2. Abteil. (Schluss), verfasst von ©. Lummer. Gr. 8, 309 S., 159 Textfiguren, 13 (zum Teil farbige) Tafeln. Braunschweig, Vieweg & Sohn. 1906. Das vorliegende Heft bringt die (Bd. XXVIIIl, S. 480) ange- zeigte Bearbeitung der Optik von Herrn Lummer zum Abschluss. Natürlich gilt das dort gespendete Lob auch diesem Schlussabschnitt in gleichem Maße. Der modernen Entwickelung der Physik ent- sprechend ist in diesem Bande die gesamte Lehre von der strahlen- den Energie zusammengefasst und damit die Lehre von der strahlen- den Wärme hier ım Zusammenhang mit den Lichtstrahlungen behandelt, auch die Beziehung zu den elektromagnetischen Erschei- nungen erörtert. Für den Biologen von besonderem Wert ist auch die genaue Behandlung der Rotationspolarisation und die Beschrei- bung der Apparate zur Messung der Drehung. J. Rosenthal. W. Nagel. Handbuch der Physiologie des Menschen. Bd. IV, 2. Hälfte, 2. Teil, Gr. 8, 164 S., 46 Figuren und 1 Tafel. Braunschweig. Vieweg & Sohn. 1908. Das große Handbuch ist mit diesem Heft noch nicht zum Ab- schluss gekommen. Es fehlt noch der Abschnitt über allgemeine Nervenphysiologie, welchen Herr Cremer (München) zu liefern versprochen hat. In vorliegendem Heft behandelt Herr Weiss (Königsberg) die Protoplasmabewegung (S. 629—665) und die Flimmerbewegung (S. 666-690). Da beide für die spezielle Physiologie des Menschen nicht von einschneidender Bedeutung sind, so begnügt sich der Verfasser damit, aus den zahlreichen, meist an niederen Tieren gewonnenen Forschungsergebnissen das zusammenzustellen, was für die Physiologie des Menschen als wichtig angesehen werden kann, wodurch eine wertvolle, nicht allzu- sehr in Einzelnheiten sich verlierende Uebersicht dieses interessanten Abschnittes der Biologie zustande gekommen ist. Den Schluss des Heftes (691-792) bildet eine eingehende Darstellung der Physio- logie der Stimmwerkzeuge aus der Feder des Herausgebers, Herrn W. Nagel. Auf Grund sorgfältiger Berücksichtigung der anatomisch-physiologischen wie der phonetischen Forschungsergeb- nisse hat Herr N. diesen Abschnitt zu einem der am besten durch- gearbeiteten des ganzen Handbuchs zu gestalten gewusst. Hoffentlich sind wir recht bald in der Lage, auch das Er- scheinen des Schlussheftes anzuzeigen und damit unser Urteil über das Gesamtwerk abzuschließen. J. Rosenthal. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen. Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 1. April 1909. 7, Inhalt: Fitting, Entwickelungsphysiologisches Problem der Fruchtbildung. — Frischholz, Zur Biologie von Hydra. — Wismann, Escherich’s neue Termitenstudie. Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. Von Hans Fitting (Straisburg Je BR). Wenn zwei fremdartige Organismen, namentlich solche von verschiedener Ernährungsweise, in innige Berührung oder Verbindung treten, so geschieht es häufig, dass einer von beiden an der Ver- bindungsstelle auffällige morphologische Veränderungen unter dem Einfluss des anderen erfährt. Es ist dabei, scheints, gleichgültig, ob und welche ernährungsphysiologische Beziehungen (z. B. Para- sitismus oder mutualistische Symbiose) zwischen beiden Organismen ausgebildet werden. So sind z. B. allbekannt aus botanischem Ge- biete die als Gallen bezeichneten seltsamen Geschwülste, die durch Gallinsekten, Pilze oder Bakterien veranlasst werden. Eigenartig gestaltete Gebilde kommen bekanntlich auch durch das innige Zu- sammenleben bestimmter Algen und Pilze zustande. Sie machen so sehr den Eindruck von einheitlichen Organismen, dass man, ehe ihre Entstehung bekannt war, im System eine besondere Gruppe, die der Flechten, für sie gebildet hat. Viele interessante Fragen über die Ätiologie solcher Gestalts- beeinflussungen tun sich auf, die fast sämtlich noch der Lösung harren. So viel dürfen wir wohl mit Sicherheit annehmen, dass als auslösende Faktoren auch chemische Anlässe in Betracht kommen. Freilich ist es bisher in keinem einzigen Falle gelungen, c XXIX. 13 194 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. aus den wirksamen Organismen irgendwelche Stoffe zu extrahieren, die nach Injektion in die Gewebe eine Gallenbildung bewirkt hätten. Infolgedessen wissen wir zurzeit nicht, welcher Art die chemischen Anlässe sind, ob es sich um „spezifische, gestaltsbeeinflussende Stoffe“ handelt und ob überhaupt chemische Einflüsse für die Ent- stehung der anomalen Gestaltung ausschließlich in Betracht kommen. Eine tiefere Einsicht in die Auslösung solcher Gallenbildungen wäre von größter Bedeutung für die Ätiologie der normalen Ent- wickelungsvorgänge. Darauf ist ja schon oft genug hingewiesen worden. Ebensogut nämlich, wie zwei fremdartige Organismen sich durch irgendwelche ausgeschiedene Stoffe, wie Stoffwechsel- produkte, Enzyme u. s. w., oder sonstwie chemisch in ihrer Ge- staltung beeinflussen, so könnten in ganz ähnlicher Weise auch die verschiedenartigen Organanlagen eines Organismus gegenseitig auf- einander, oder die fertigen Organe auf die neu entstehenden ge- staltend einwirken. Dieser Gedanke hat zweifellos einen hohen, heuristischen Wert. Denn er fordert Versuche darüber, ob nicht manche Gestaltungskorrelationen, die während der Entwickelung zwischen den Teilen eines Organismus sich geltend machen, durch quantitative oder qualitative chemische Einflüsse (vgl. dazu u. a. auch Jost, 1907) ohne Beteiligung von Reizleitungsvorgängen!) zustande kommen. Die normalen Entwickelungsvorgänge bereiten nun aber solchen Untersuchungen im allgemeinen die denkbar größten Schwierig- keiten. Denn alle die Störungen des normalen Entwickelungsganges, alle die von der Norm abweichenden Gestaltungen, welche durch teilweise Unterbrechung des Zusammenhanges der Teile oder durch Kultur des ganzen Organismus unter ungewöhnlichen Bedingungen zum Zwecke einer Veränderung der (Quantität und Qualität der Bildungsstoffe veranlasst werden, sind bezüglich ihrer Ätiologie außerordentlich vieldeutig. Dass die Zahl der Deutungsmöglich- keiten nicht kleiner wird, wenn man von solchen experimentell veranlassten Bildungsabweichungen Rückschlüsse auf die Ätiologie der unter anderen Bedingungen eintretenden „normalen“ Gestaltungs- vorgänge macht, leuchtet wohl ohne weiteres ein. Infolgedessen ist es denu bisher nicht gelungen, exakt nachzuweisen, dass auch nur ein Gestaltungsvorgang in der normalen Ontogenese der höheren Pflanzen, von der Ausbildung des Embryo bis zur Blütenbildung in erster Linie oder allein von solchen chemischen Anlässen ab- hängig ist, die innerhalb des Organismus durch Änderungen der Quantität oder Qualität der Bildungsstoffe (Nahrungsstoffe) selbst 1) Diese Vorgänge sind wohl sicher auch chemische Prozesse, aber beson- derer Art. Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. 195 geschaffen werden?). Hiermit soll freilich nicht gesagt sein, dass nicht eine sehr viel tiefer eindringende Analyse als bisher uns künftig viele derartige Chemomorphosen kennen lehren wird. Wissen wir doch seit langem, dass die Gestaltung niederer und höherer Pflanzen in hohem Maße von der Zusammensetzung der von außen dargebotenen Nährstoffe abhängt und dass Formänderungen durch die Einwirkung verschiedener chemischer Substanzen ausgelöst werden können (vgl. dıe Zusammenfassung bei Özapek, 1905, S. 929 ff.). Noch ein zweiter Weg bietet sich dar, um festzustellen, ob nicht manche Gestaltungsvorgänge als korrelativ veranlasste Chemo- morphosen anzusehen sind. Sollte es nicht vielleicht in manchen Fällen möglich sein, den korrelativen Einfluss der Organe, der sich in der Ausbildung anderer Organe geltend macht, durch solche chemische Stoffe zu ersetzen, die man aus den Organen extrahieren kann? Die Beantwortung dieser Frage, die, wie wir sahen, freilich bisher ohne Erfolg, auch bei den Gallbildungen versucht wurde, wäre bei der Unsicherheit, welche unsere Kenntnisse über die Ver- mittelung der Korrelationen bei den Pflanzen noch immer beherrscht, begreiflicherweise von hoher theoretischer Bedeutung. Positive Befunde böten um so größeres Interesse dar, weil wir im Tier- körper solche chemische Korrelationen kennen. So wissen wir, dass z. B. ın der Schilddrüse Stoffe gebildet werden, die auf die normale Ausgestaltung. des Körpers großen Einfluss haben und durch die Untersuchungen Lane Claypon’s und Starling’s (1906)?), dass die Schwellung der Milchdrüsen, die dem Beginne der Embryo- bildung alsbald folgt, durch einen aus den Fötusgeweben extra- hierbaren, in seiner Konstitution noch unbekannten chemischen Körper ausgelöst werden kann, der normalerweise ins Blut sezerniert zu werden scheint. Vor Analogieschlüssen vom Tiere auf die Pflanze muss man sich freilich gerade hier besonders hüten, weil der Pflanze ein den Blut- und Lymphgefäßen entsprechendes Zirkulationssystem fehlt. Die Frage, ob nicht auch aus Teilen der Pflanze solche Körper extrahierbar sind, welche nachweislich Einfluss auf die normalen Gestaltungsvorgänge haben, muss nun nach Untersuchungen, die 2) Am ehesten möchte man geneigt sein, in der Ausbildung von knollen- förmigen Reservestoffbehältern an normalen oder (infolge von experimentellen Ein- griffen) an abnormen Orten Chemomorphosen zu erblicken. Doch geht aus den ein- gehenden Untersuchungen Vöchting’s (1887 und 1900) hervor, dass auch die Bildungsbedingungen solcher Organe viel komplizierter sind. 3) Einen Hinweis auf diese Arbeit verdanke ich Herrn Prof. Bethe. Eine zusammenfassende Darstellung über chemische Korrelationen im Tierkörper, in der freilich hauptsächlich auf andere wie Gestaltungskorrelationen Rücksicht genommen wird, haben Bayliss und Starling (1906) gegeben. Vgl. auch Krehl (1907). 13* 196 Fitting, Entwiekelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. ich im vergangenen Jahre in den Tropen angestellt habe, im Prinzipe entschieden bejaht werden. Freilich lässt sich durch den Nachweis derartiger Chemomorphosen leider noch keine Entscheidung darüber treffen, obUhemomorphosen, die aufkorrelativer Beeinflussung beruhen, für den Ablauf der ontogenetischen Entwickelung der Pflanze irgendeine Bedeutung haben. Die wirksamen Stoffe habe ich ‘nämlich bei einer Gruppe von normalen Entwickelungsvorgängen gefunden, die sich von den gewöhnlichen ontogenetischen Gestaltungs- prozessen in mancher Hinsicht nicht unwesentlich unterscheiden, dafür aber in vielen Punkten Ähnlichkeit mit den Gallenbildungen zeigen. Es gelang mir (vgl. 1909), sie nachzuweisen bei denjenigen Gestaltsveränderungen, die sich am Blütensprosse infolge der Be- stäubung und Befruchtung abspielen. Die beiden Vorgänge, welche eine Gallenbildung zur Voraussetzung zu haben pflegt: die innige Berührung zweier fremdartiger Organismen und das Wachstum des Gallerregers scheinen Analoga zu den Vorbedingungen jener Ge- staltsveränderungen am Blütensprosse zu sein; Unterschiede be- stehen nur darin, dass die Teile, die sich berühren: die Frucht- blätter und der Pollen nicht verschiedenen Organismen anzugehören brauchen, sondern auch von derselben Pflanze stammen können und dass das Gleiche in noch höherem Maße gilt von denjenigen Teilen, deren Wachstum viele der Gestaltsveränderungen am Blüten- sprosse nach sich zu ziehen scheint: nämlich neben den Pollen- schläuchen von der befruchteten und zum Embryo auswachsenden Eizelle. So können wir uns nicht wundern, wenn wir bei den Um- bildungsvorgängen der Blüte zur Frucht auf ganz ähnliche ent- wickelungsphysiologische Probleme stoßen wie bei den Gallen. Auf einige von ihnen scheint durch meine Untersuchungen einiges Licht zu fallen. Dieser Umstand lässt es vielleicht gerechtfertigt er- scheinen, wenn ich im folgenden meine Beobachtungen mitteile, um so mehr als die Folgerungen, die sich daraus ergeben, für manche entwiekelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung von Wichtigkeit sind, die allgemeineres biologisches Interesse bean- spruchen dürfen. Die Tatsachen, um die es sich bei der Fruchtbildung handelt, sind in aller Kürze folgende. Die Eizelle ist bekanntlich bei den Monokotylen und Dikotylen in ein doppeltes Gehäuse eingeschlossen: zunächst in die Samen- knospe, die ihrerseits wieder vom Fruchtknotengehäuse umhüllt wird. Infolgedessen kann die Befruchtung des Eies erst nach einer ganzen Reihe vorbereitender Vorgänge erfolgen. Zunächst muss durch Insekten oder durch Luftbewegungen, manchmal auch (im Falle der Selbstbestäubung) durch entsprechende Krümmungs- bewegungen der Griffel oder Staubgefäße der Blütenstaub, der die männlichen Zellen enthält, auf die Narbe des Fruchtknotens über- Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. 197 tragen werden. Durch Baueigentümlichkeiten der Narbe ist nicht allein dafür gesorgt, dass die Pollenkörner haften bleiben, sondern auch, dass sie auskeimen, Pollenschläuche treiben. Diese Schläuche werden durch Zusammenwirken verschiedener Tropismen veranlasst, durch den Griffelkanal ın die Fruchtknotenhöhlung zu den Samen- knospen und durch das Gewebe der Samenknospen zur Eizelle hin- zuwachsen. Wenn die Pollenschlauchspitze bis zur Eizelle vor- gedrungen ist, werden die trennenden Wände aufgelöst und ein männlicher Kern tritt in die Eizelle über, die Befruchtung voll- zıehend. Ein zweiter männlicher Kern, ein Bruderkern des anderen, wandert aus den Pollenschlauch in den Embryosack und ver- schmilzt mit dem Embryosackkern. Bald danach fangen die Eı- zelle sowie das Verschmelzungsprodukt aus Embryosack- und männ- lichem Kern an, sich zu teilen: aus der Eizelle entwickelt sich der Embryo, aus dem Embryosack geht das sogen. Endosperm hervor. Die Keimung des Pollen beginnt meist so schnell nach der Bestäubung und das Wachstum der Pollenschläuche ist so rapid, dass oft schon wenige Stunden nach der Bestäubung die Befruchtung erfolgen kann. Früher oder später nach der Bestäubung machen sich nun äußerlich an den Teilen der Blüte mancherlei Gestaltsveränderungen bemerkbar. Sie sind es, die uns im folgenden eingehender be- schäftigen sollen. Von ihnen sind bisher eigentlich nur diejenigen näher beachtet worden, die direkt für die Fruchtbildung von Be- deutung sind; in erster Linie also die des Fruchtknotens und der Samenknospen. Die Fruchtknotenwandung und die Plazenten 'schwellen stark und verändern sich anatomisch in mancherlei Rich- tung; desgleichen die Samenknospen: Das Fruchtknotengehäuse bildet sich zur Frucht um, die Samenknospen zu den Samen. Aber auch noch andere Teile des Blütensprosses können sich an der Fruchtbildung beteiligen oder doch wenigstens Veränderungen er- fahren, die mit der Ausgestaltung der Frucht in enger Beziehung stehen: der Fruchtboden, auf dem die Fruchtknoten befestigt sind’ (Erdbeere) oder gar der Blütenstiel (Anacardium) oder der Blüten- boden, auf dem die Blüten z. B. bei der Feige sitzen, schwillt mächtig an und wird fleischig oder der Blütenstiel wird stark ver- dickt und verholzt, so dass er befähigt wird, die bei vielen Ge- wächsen sehr große Last der Frucht zu tragen. Gar nicht selten nımmt auch der Kelch oder die Blumenkrone an der Fruchtbildung teil. Alsdann erleiden auch diese Teile mannigfaltige Umbildungen. Eine Gestaitsänderung tritt am Blütenstiele nach der Bestäubung häufig auch durch eine Krümmungsbewegung ein, die auf einer Änderung der tropistischen Befähigungen beruht: ein negativ geo- tropischer Stiel wird an seinem oberen, der heranwachsenden Frucht 198 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. genäherten Ende positiv geotropisch oder ein positiv phototropischer wird negativ phototropisch. Eigentümlicherweise werden aber auch diejenigen Blütenteile durch die Bestäubung und ihre Folgen häufig auffällig beeinflusst, die an der Fruchtbildung nicht beteiligt sind, sondern nach der Bestäubung verwelken und abfallen. Diese Tatsache ist zwar seit langem bekannt, in kaum einem der älteren oder neueren Lehrbücher aber erwähnt. Nur Gärtner (1844 und 1849) berichtet etwas eingehender über solche Beobachtungen®). Namentlich die Dauer der Blüte wird durch die Bestäubung und ihre Folgen bei, wie es scheint, nicht wenigen Pflanzen verkürzt: die Blüten schließen sich, die Blütenblätter, die Kelchblätter und die Staubgefäße welken und fallen vorzeitig ab. Die Nektarsekretion innerhalb der Blüte hört vorzeitig auf; die Duftproduktion wird vorzeitig abgebrochen; die Befähigung zu Bewegungen, die manche Blütenteile auszeichnet, geht verloren; die Griffel stellen ihr Wachstum ein. Es hat keinen Zweck, hier auf Einzelheiten einzugehen. Doch empfiehlt es sich, schon zum Verständnis des folgenden, einige Bei- spiele aus einer Familie anzuführen, bei der diese Veränderungen der Blütenteile ganz besonders merkwürdig und auffällig sind, näm- lich aus der Familie der Orchideen. Ich wähle gerade diese Familie auch aus dem Grunde, weil ich eben bei ihr in den Tropen Unter- suchungen über die Ätiologie dieser Veränderungen gemacht habe, und weil sich auf die Orchideen auch Beobachtungen anderer Art erstrecken, die uns noch eingehend beschäftigen werden. Zum Ver- ständnis sind freilich zuvor einige Bemerkungen über den Bau der Orchideenblüten erforderlich. Die Blüten der Orchideen weichen nämlich in mancher Hinsicht von denen anderer Pflanzen ab. Wir finden in der zygomorphen Blüte sechs häufig recht bizarr gestaltete und gefärbte Blütenblätter, die auf dem unterständigen Fruchtknoten befestigt sind. Sie umgeben nichts als ein säulen- oder keulen- förmiges Gebilde, das Säulchen oder Gynostemium, das die Verlängerung des Fruchtknotens bildet und morphologisch als ein Verwachsungsprodukt des einzigen in der Blüte vorhandenen Staub- gefäßes und des Griffels aufzufassen ist. Auf seiner Unterseite, dem apikalen Ende genähert, liegt in einer Höhlung, der Narben- höhle, die von reichlichem Narbenschleim überzogene Narbe. Auf seiner apikalen Stirnfläche nahe oberhalb der Narbe ist ihm die aus zwei Pollensäcken bestehende Anthere aufgewachsen. Der Pollen erfüllt die Pollensäcke nicht wie sonst als ein lockeres Pulver; vielmehr sind die sämtlichen Pollenkörner jedes Sackes zu je einer einzigen großen Masse von rundlichem oder eiförmigem Umrisse miteinander verklebt. Jede der Pollenmassen, der Pollinien, läuft \ 4) Vgl. auch die Arbeit von Schulz (1902). Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. 499 innerhalb des Pollensackes aus in ein Stielchen, das in Verbindung steht mit einem Klebscheibehen. Die Klebscheibehen entstehen aus oherflächlich gelegenen Gewebeteilen des Säulchens direkt unter der Anthere und dicht oberhalb der Narbenhöhle; sie sind zur Blütezeit nur noch ganz locker mit dem Gynostemium verbunden. Indem sie ihre klebrige Seiten nach außen wenden, sind sie be- fähigt, sich Gegenständen fest anzuheften, die mit ihnen in Be- rührung gebracht werden. Entfernt man danach den Gegenstand, so bleiben die Klebscheiben kleben und samt ihnen mit ihren Stielen die Pollinien, die dabei aus der inzwischen aufgesprungenen An- there herausgezogen werden. So nahe auch die Pollenmassen neben der Narbenhöhle liegen, eine Selbstbestäubung ist bei den meisten Arten völlig ausgeschlossen. Zur Bestäubung ist vielmehr die Vermittlung von Insekten not- wendig. Durch die allbekannten Untersuchungen Darwin’s (1577) wissen wir, dass die Orchideenblüten mit ihren seltsamen Formen aufs engste angepasst sind an die Lebensgewohnheiten und die Körperformen derjenigen Insekten, durch welche die Bestäubung besorgt wird. Die Anpassung ist so eng, dass die Blüten unbe- stäubt bleiben, falls sich die betreffenden Insektenarten nicht zum Besuche einstellen. Es würde zu weit führen, wollte ich darauf hier näher eingehen. Es genügt hervorzuheben, dass das Insekt durch den Bau der Blütenblätter gezwungen wird, sich zur Ein- sammlung von Nahrungsstoffen, welche die Blüte ihm darbietet, ın solcher Weise auf die Blüte niederzulassen und sich in ihr zu be- wegen, dass es die Klebscheiben unter der Anthere berührt und die Pollenmassen, die Pollinien, entführt. Während es weiterfliegt, krümmen sich die Stielehen der Pollinien gerade so weit, dass das Insekt bei seiner Sammelarbeit in einer anderen Blüte der gleichen Art die Pollenmassen genau in die Narbenhöhle hineinstoßen muss. Hier bleiben sie an dem Narbenschleim hängen; die Stielchen reissen, wenn das Insekt fortfliegt; die Bestäubung ist vollzogen. Diese Einrichtungen der Orchideenblüten gehören zu den aller- interessantesten Tatsachen, die wir auf blütenbiologischem Gebiete kennen. Sie sind in erster Linie zu berücksichtigen, wenn man über die Entstehung von Anpassungen spekuliert. Außerordentlich merkwürdig ist es, wie sparsam die Orchideen- blüte mit der Produktion von Pollenstaub ist und wie sie gewisser- maßen alles auf eine Karte setzt: einem einzigen Insekt wird der gesamte Pollen der Blüte angeheftet. Ist das Insekt nicht, wie man sagt, blumenstet, sondern fliegt es zu den Blüten anderer Orchi- deen, die nicht an seine Körperformen angepasst sind, oder gar zu Blumen anderer Familien, so geht dieser gesamte Pollen seiner Bestimmung verloren und eine Orchideenblüte bleibt unbestäubt. Sind ferner die Insekten selten, an welche die Blüten angepasst 0 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. sind, so bleiben die Aussichten für eine Bestäubung der Blüten recht gering. Dies scheint in vielen Tropengegenden beispielsweise der Fall zu sein. Wenigstens ist es schon Darwin (1877, S. 241 ff.) und Forbes (1885, S. 83ff.) aufgefallen, dass in den Tropen die Blüten sehr vieler, auch einheimischer Arten unbestäubt bleiben. Ich habe die gleiche Beobachtung gemacht. Ob es mit den geringen Aussichten für die Bestäubung zu- sammenhängt, dass die Blüten bei vielen tropischen Orchideensorten eine ganz ungewöhnlich lange Dauer haben, lässt sich schwer ent- scheiden. Tatsache ist jedenfalls, dass die Blütendauer bei vielen Formen außerordentlich viel größer ist als in anderen Familien. Es gibt Arten, deren Blüten sich 2—3 Monate lang halten. Bei Phalaenopsis amabilis, vwiolacea und Rhynchostylis retusa bleiben die Blüten ca. 1 Monat frisch. Doch finden wir in der Familie der Orchideen auch Arten, deren Blüten nur 1 Tag lang offen sind (Dendrobium erumenatum Sw.) und zwar merkwürdigerweise auch in Gattungen, in denen manche Arten eine lange Blütendauer haben: so halten sich die Blüten bei Dendrobium superbum Rehb. min- destens 14 Tage. Um so größer ist bei den Blüten mit langer Dauer der Kontrast mit den bestäubten Blüten. Sowie nämlich die Bestäubung erfolgt ist, schließen sich und welken die Blüten auch bei lange blühenden Formen nach kurzer Zeit, in ein bis mehreren Tagen; ganz gleich- gültig, ob die Blüten vor der Bestäubung eben erst aufgeblüht waren oder ob sie lange auf die Bestäubung vergeblich hatten warten müssen. Aber nicht allein die Verkürzung der Blütendauer ist eine Folge der Bestäubung. Bei sehr vielen Formen schließt sich die Narbenhöhle in 1—2 Tagen’nach der Bestäubung und ver- schwillt das Säulchen von seiner Spitze bis zur Basis in selır auf- fälliger Weise. Danach fängt der Fruchtknoten an, zu schwellen, desgleichen die Samenknospen. Endlich gibt es eine ganze Anzahl von Formen, bei denen auch das Perianth sehr eigentümliche Um- bildungen erleidet: es vergrünt und bleibt ‚event. bis zur Frucht- reife am Leben. Besonders eigenartig verhält sich in dieser Hin- sicht nach meinen Beobachtungen das Perianth von Phalaenopsis wolacea. Zunächst nämlich, 1—2 Tage, nachdem die Bestäubung erfolgt ist, schließt es sich, vergilbt und fängt an zu welken. So- bald aber der Fruchtknoten angefangen hat, zu schwellen und zu ergrünen, wird der Welkprozess aufgehalten: die vergilbten, ange- welkten Blütenblätter vergrünen und erfahren anatomische Verände- rungen derart, dass sie feste, lederige Beschaffenheit annehmen. Alle die Veränderungen nun, die wir im Vorstehenden kennen gelernt haben — mögen sie mit der Fruchtbildung direkt in Be- ziehung stehen oder nicht — treten im allgemeinen, von Aus- nahmefällen abgesehen, nur dann ein, nachdem die Bestäubung der Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. 201 Blüten erfolgt ist. Verhütet man die Bestäubung, so bleiben sie aus. Alsdann halten sich die Blüten so lange, wie es ıhrer normalen, von Art zu Art wechselnden Lebensdauer entspricht, um schließlich zu verwelken und abzufallen. Diese Abblühprozesse, die wir auto- nome Postflorationsvorgänge nennen wollen, können übrigens recht verschiedenartig sein. — Für diejenigen Veränderungen und Umbildungen der Blüten- teile nun, die durch die Bestäubung und ihre Folgen veranlasst werden und die man induzierte Postflorationsvorgänge nennen kann, entsteht bei allen Familien das wichtige entwickelungsphysio- logische Problem, in welcher Weise sıe direkt oder indirekt von der Bestäubung abhängig sınd und welche von ihnen korrelativ miteinander verkettet sind. Da die auffällıgsten dieser Verände- rungen der Blütenteile: das Anschwellen der Fruchtknotenwand, des Frucht- und Blütenbodens u. s. w. mit der Fruchtbildung in engster Beziehung stehen und da die Ausbildung der Frucht nor- malerweise mit der Ausbildung der Samen und der ım Samen eingeschlossenen Embryonen Schritt hält, so liegt der Gedanke nahe, dass eine notwendige Bedingung dieser und der anderen Veränderungen die Befruchtung der Eizellen und die Entwickelung des Embryo aus der befruchteten Eizelle sei. Als Beweis dafür kann man eine Beobachtung anführen, die man bei verschiedenen Pflanzen gemacht hat, dass die Größe der Frucht von der Zahl der befruchteten und zu Samen heranwachsenden Samenknospen abhängt und dass Früchte, z. B. Äpfel und Birnen, auf einer Seite dicker werden, wenn nur einseitig in einem oder mehreren Frucht- knotenfächern sich Samen ausbilden (vgl. z. B. Müller-Thurgau, 1908; Ewert, 1906, 1908; Massart, 1902). Noch beweiskräftiger sind Versuche, die z. B. Massart (1902) an Cucurbitaceen gemacht hat. Nur darf man aus allen diesen Beobachtungen nicht folgern wollen, dass die Umbildung der Blütenteile zur Frucht allein von dem Wachstume der Embryonen abhängig sei. Darauf weisen Tatsachen hin, die-schon seit langem bekannt sind. Von ihnen ist zunächst besonders wichtig die Ausbildung solcher normaler Früchte, die keine Samen mit Embryonen umschließen. Namentlich unter den Kulturgewächsen kennt man schon seit langer Zeit Rassen, die ein solches „Fruchtungsvermögen“ (Gärtner, 1844) besitzen; so gibt es z. B. kernlose Bananen, Ananas, Orangen, Feigen, Traubenbeeren, Äpfel, Birnen und Gurken. Auch ist schon seit Gärtner (1844, S. 558ff.) bekannt, dass solche Früchte ent- stehen können, ohne dass eine Bestäubung der Narben vorher zu erfolgen braucht. Diese Tatsache wurde in neuerer Zeit wiederholt durch besondere Versuche nachgewiesen (vgl. z. B. Noll, 1902; Solacolu, 1905; Ewert, 1907; Müller-Thurgau, 1908), z. B. für die samenlosen Gurken, Äpfel, Birnen, Kirschen und Weintrauben. 202 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. No11(1902) schlug vor, die Befähigung mancher Pflanzen, autonom Früchte zu erzeugen, als Parthenokarpie, die Früchte selbst als „Jungfernfrüchte“* zu bezeichnen. Diese parthenokarpen Früchte können nach Größe und Beschaffenheit völlig mit den samenhaltigen Früchten anderer Rassen übereinstimmen, eben nur mit dem Unter- schiede, dass ihnen keimfähige Samen fehlen. Nicht immer aber ist das Fruchtungsvermögen so extrem ausgebildet; bei manchen Rassen entstehen Jungfernfrüchte von geringer Größe, die aber reif werden; bei wieder anderen fallen sie nach geringer Schwellung unreif ab (vgl. Ewert, 1907). Ein gewisses, geringes Fruchtungs- vermögen findet man manchmal auch bei einzelnen Blüten solcher Pflanzenindividuen, die im allgemeinen zur Fruchtbildung der Be- stäubung bedürfen. Unser Interesse beanspruchen besonders diejenigen Jungfern- früchte, die den durch Bestäubung entstandenen an Größe und Beschaffenheit nicht nachstehen. Denn sie zeigen augenscheinlich, dass die Ausbildung der Frucht ganz und gar nicht an das Wachstum des Embryo gekettet zu sein braucht. Die Veränderungen an allen denjenigen Blütenteilen, die überhaupt zur Fruchtbildung beigetragen haben, können also höchstens untereinander irgendwie korrelativ verkettet gewesen sein. Untersucht man die Samenknospen in solchen Früchten, so findet man, dass sie meist nicht ganz unent- wickelt geblieben sind: entweder sind sie nach geringer Volum- zunahme geschrumpft, oder sie sind stark gewachsen und die Samen- schale ist in geringerer oder größerer Vollkommenheit mit ihren anatomischen Eigentümlichkeiten ausgebildet worden (vgl. Ewert, 1907; Müller-Thurgau, 1908). ‚Ja, wenn ich einige Angaben Gärtner’s (1849, S. 99ff.) richtig deute, so fand dieser Forscher manchmal sogar ein ausgebildetes Endosperm im Samen (desgl. Fr. Müller; vgl. Kronfeld, 1890). Der Embryo fehlt aber völlig. Also selbst die Samenknospen sind autonom eines gewissen, unter Umständen weitgehenden Wachstums in der Richtung zum Samen fähig, ohne dass sie einen wachsenden Embryo umschließen. Sehr wertvoll für die Ätiologie solcher Jungfernfrüchte ist nun der Nachweis Ewert’s (1906, 1907, 1908), dass bei Pflanzen, die ein gewisses Fruchtungsvermögen besitzen, die Partheno- karpie oft nur dann beobachtet wird, die Jungfernfrüchte also nur dann sich ausbilden, wenn bei allen Blüten des Individuums die Bestäubung verhindert wird: sobald einige Früchte infolge von Bestäubung entstehen, tritt bei den übrigen unbestäubten keine Weiterentwickelung ein (vgl. dazu auch Noll, 1902). Einen günstigen Einfluss auf die Erzeugung von Jungfernfrüchten scheint außerdem auch die Entfernung eines Teiles der Blütenknospen und die Stauung der organischen Nahrungsstoffe in den blütentragenden Zweigen (vgl. außer den Arbeiten Ewert’s auch Müller-Thurgau, Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. 2053 1908) zu haben. Aus diesen Beobachtungen ist ersichtlich, dass die Ausbildung von Jungfernfrüchten irgendwie korrelativ von der Mutterpflanze, vielleicht von der Menge der in der Mutterpflanze disponiblen Nährstoffe, abhängen kann. An die Jungfernfrüchte mit tauben Samen lassen sich unge- zwungen die Jungfernfrüchte mit keimfähigen Samen anschließen. In ihnen entsteht der Embryo ohne Bestäubung und ohne Be- fruchtung der Eizelle, also parthenogenetisch oder apogam. Solche Jungfernfrüchte sind uns ebenfalls bei einer Anzahl Arten aus ganz verschiedenen Familien höherer Pflanzen bekannt geworden’). Sie unterscheiden sich von denen mit tauben Samen eigentlich bloß dadurch, dass die Samen eben Embryonen umschließen und sich in allen Teilen normal ausgebildet haben. Erinnert man sich daran, dass Jungfernfrüchte von normaler Beschaffenheit auch ohne Aus- bildung eines Embryo entstehen können, so wird man bei den Jungfernfrüchten mit keimfähigen Samen an die Möglichkeit zu denken haben, dass auch bei einigen von ihnen der Anstoß zur Bildung der Frucht unabhängig von der Auslösung des Embryo- wachstums ist, namentlich bei solchen Pflanzen, welche Jungfern- früchte mit und ohne Embryonen erzeugen (z. B. Cuelobogyne, Stras- burger, 1878, S. 664). Die bisher mitgeteilten Tatsachen weisen uns also darauf hin, dass eine Ausbildung von Früchten bis zur normalen Größe und Reife oder wenigstens die Anfänge der Blütenumbildung zur Frucht bei vielen Pflanzen auch möglich ist, unabhängig vom Wachs- tum der Embryonen, ja selbst unabhängig von der Bestäubung. Ein sehr wichtiger Fortschritt für die Einsicht in die frucht- bildenden Anlässe war der Nachweis, dass auch bei solchen Pflanzen, denen die Befähigung zur Parthenokarpie fehlt, die also Früchte nur nach erfolgter Bestäubung ausbilden, die Anregung zur Ausbildung der Frucht schon vor der Befruchtung erfolgt. Auch dieser Nach- weis gelang in ganz verschiedenen F: ber Besonders leicht war er in der ee der Orchideen (vgl. Hildebrand, 1863). Zu allen den anderen Eigentümlichkeiten, welche die Blüten der Orchı- deen darbieten, abe ken die, dass die Samenknospen zur Blütezeit noch ganz unentwickelt sind oder gar noch völlig fehlen. Erst nachdem die Narbe bestäubt worden ist und die Pollenkörner Pollenschläuche getrieben haben, fangen gleichzeitig mit der dauernd zunehmenden Schwellung der Fruchtknotenwände und Plazenten die Samenknospen an, weiterzuwachsen. Manchmal vergehen nach der Bestäubung Monate, bis in dem mächtig ange- schwollenen Fruchtknoten die Samenknospen befruchtungsfähige Eizellen gebildet haben. Erfolgt die Bestäubung aber nicht, so 5) Vgl. die Zusammenfassung bei Hans Winkler (1908). 204 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. unterbleibt die Weiterbildung der Samenknospen und der Frucht- knotenwand: der Fruchtknoten verwelkt zusammen mit der Blüte und fällt ab. So augenscheinlich hier die Wachstumsvorgänge des Fruchtknotens sich als abhängig von der Bestäubung erweisen, so deutlich ıst die Befruchtung der Eizellen ohne Belang. Besonders drastisch erweisen dies Versuche Hildebrand’s (1865, S. 246) und Strasburger’s (1586, S. 50 ff.), in denen die Schwellung des Frucht- knotens angeregt wurde durch Bestäubung mit Pollen, der über- haupt keine befruchtende Wirkung hatte, nämlich solchem fremder Gattungen (z. B. bei den Blüten von Orchis mascula mit Pollinien von (ypripedium parviflorum) oder von Arten anderer Familien (Pollen der Liliacee Fritillaria auf den Blüten von Orchis Morio und mascula), allerdings unter der Voraussetzung, dass der Pollen keimt und Pollenschläuche ın die Fruchtknotenhöhlung treibt. Die gleiche Vorbedingung muss übrigens nach Hildebrand (1863) und Strasburger (1886) auch bei dem arteigenen Pollen erfüllt sein. Die Wirkung der Pollenschläuche bleibt meist auf diejenigen Teile des Fruchtknotens beschränkt, die direkt von den Pollenschläuchen berührt werden. Manchmal genügt es jedoch nach Hildebrand (1863, S. 337 ff.), dass die Pollenschläuche irgendwelche Teile des Fruchtknotens berühren, um wachstumsanregend auch auf andere Teile des Fruchtknotens zu wirken. Ja nach Guignard (1886) sollen die Pollenschläuche das Wachstum des Fruchtknotens sogar schon etwas anregen, ehe sie das Gynostemium völlig durchwachsen haben. Wir werden später sehen, wie diese Angabe sich er- klären lässt. Diese Beobachtungen an Orchideenblüten und Beobachtungen an anderen Pflanzen zeigen deutlich, dass bei einer ganzen Reihe von Gewächsen aus verschiedenen Familien die Umbildung der Blütenteile zur Frucht nicht erst durch das Wachstum des Embryo, sondern schon durch das Wachstum der Pollenschläuche irgend- wie veranlasst wird‘). Sie nötigen zu der Frage, die bisher nicht näher bearbeitet wurde, ob derartige Beziehungen zwischen Pollen- schläuchen und Fruchtbildung nicht allgemeiner bei solchen Pflanzen vorkommen, die kein Fruchtungsvermögen zeigen. Mit dieser Einsicht tut sich aber sofort ein neues Problem auf, nämlich das, wodurch die Pollenschläuche befähigt werden, 6) Von großem Interesse ist es, dass bei einigen Pflanzen, so bei Opuntia vulgaris (Ganong, 1598, S 224ff.) und bei Colehicum autumnale (Furlani, 1905) die Pollenschläuche, ohne dass eine Befruchtung der Eizellen stattfindet, nicht nur die Fruchtbildung, sondern auch die Ausbildung von apogamen Embryonen aus vegetativen Zellen der Samenknospen auszulösen scheinen. Manche Beobachtungen sprechen dafür, dass bei einigen Pflanzen durch die Pollenschläuche auch die par- thenogenetische Entwickelung der Eizellen ausgelöst werden kann (vgl. Winkler, 1908). Fitting, Entwiekelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. 205 eine solche Reizwirkung auf die Teile des Fruchtknotens auszuüben. Mancherlei Möglichkeiten sind in Betracht zu ziehen, zwischen denen zurzeit eine Entscheidung ausgeschlossen ist. Weit verbreitet ist die Annahme, dass von den wachsenden Pollenschläuchen irgend- welche chemische Wirkungen ausgehen, die das Wachstum des Fruchtknotens veranlassen sollen. Vielfach scheint man sich En- zyme als maßgebend zu denken. Wir wissen nämlich, dass die Pollenschläuche mancherlei Enzyme ausscheiden. Bisher ıst es aber niemals gelungen, aus den Pollenschläuchen chemische Stoffe zu extrahieren, die nach Injektion in die unbestäubten Fruchtknoten auch nur die Anfänge einer Fruchtbildung hervorgerufen hätten. Man ist hier also in dieser Hinsicht um keinen Schritt weiter voran- gekommen als bei den Gallen. Dass die Wirkung der Pollenschläuche jedenfalls kein spezifische ist, ersieht man z. B. aus den oben erwähnten Bestäubungsversuchen an Orchideen mit Fritillaria-Pollen’). Darauf weisen auch einige Beobachtungen hin, die von allgemeinem biologischen Interesse sind, weil aus ihnen hervorgeht, dass eine Fruchtbildung bei solchen Pflanzen, die keine Befähigung zu autonomer Parthenokarpie haben, auch durch andere Einflüsse als die Bestäubung ausgelöst werden kann. Es handelt sich dabei um künstliche Parthenokarpie, die man im Gegensatze zu der autonomen als induzierte oder aitionome Parthenokarpie bezeichnen könnte. Treub fand nämlich (1583), dass an unbestäubten Blüten der Orchidee Liparis latifolia die Frucht- knoten und in ihnen die Plazenten und Samenknospen anschwollen, wenn sich in der Fruchtknotenhöhlung Larven irgendwelcher Art (eines Gallinsektes?) entwickelten. Das Gleiche beobachtete Forbes (1885, S. 85) für Arten der Orchideengattung Calanthe, Noll (1907) für die Fruchtknoten des Pfropfbastardes Cytisıs Adami, Müller- Thurgau (1908, S. 22) für verschiedene Birnensorten, Leclere du Sablon (1908) für die Feige. Bei der Feige regt nach diesem Autor die Entwickelung der Gallwespenembryonen in den Frucht- knoten interessanterweise nicht nur die Ausbildung des Frucht- knotens, sondern auch die des Feigenblütenbodens, ja sogar die des Endosperms, aber nicht die des Embryo an. Leider lässt sich damit unsere Einsicht in die auslösenden Ursachen nicht vertiefen. Das Gleiche gilt schließlich für eine Beobachtung, die Massart machte (1902, S. 94), dass bei Kürbissen das Wachstum des Frucht- knotens, wenigstens ein wenig, durch Verwundungen der Frucht- knotenwand veranlasst werden kann. Denn die Verwundungen stellen recht komplizierte Eingriffe dar. 7) Auch in anderen Familien lässt sich durch Bestäubung der Narben mit ganz fremdem, zur Befruchtung untauglichem Pollen die Ausbildung tauber Früchte induzieren (vgl. dazu z. B. Gärtner, 1544, Ss. 558#f., 1849; Darwin, 1878, S. 452; Strasburger, 1886, S. 77 ff.). 206 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Wenn ich diesen Ausführungen noch hinzufüge, dass man zur- zeit ım allgemeinen der Meinung huldigt, die Veränderungen, die, ohne direkt zur Fruchtbildung beizutragen, sonst etwa noch als Folgen der Bestäubung sich in der Blüte geltend machen, würden ebenfalls durch das Wachstum des Embryo oder durch das Wachs- tum der Pollenschläuche®) ausgelöst oder seien irgendwie mit der Schwellung des Fruchtknotens verkettet, und dass Massart (1902) bei Kürbissen den Fruchtknoten zwar nur dann stark schwellen sah, wenn die Pollenschläuche ın ihn hineingewachsen waren und die Samenknospen befruchtet hatten, eine Verlängerung der Lebens- dauer des Fruchtknotens gegenüber unbestäubten Blüten verbunden mit einer geringen Schwellung aber beobachtete, als er zerriebenen Pollen auf die Narbe brachte (eine Beobachtung, die leider nicht weiter verfolgt wurde), so ıst damit der gegenwärtige Stand der- jenigen entwickelungsphysiologischen Probleme charakterisiert, welche die Veränderungen der Blüte unter dem Einflusse der Bestäubung und ihrer Folgen uns stellen; wenigstens wenn man ein paar alte, nicht einwandfreie Angaben von Gärtner (1844) beiseite lässt, deren Erwähnung hier keinerlei Bedeutung hat. — (Schluss folgt.) Zur Biologie von Hydra. Depressionserscheinungen und geschlechtliche Fortpflanzung. Von Eugen Frischholz. (Aus dem zoologischen Institut München.) (Fortsetzung. Die Kulturen starben bald bis auf eine (5) aus; ich gebe gegen- überstehend eine Übersicht des Verlaufes, gruppiert nach dem Zeit- punkt der Übertragung in Kälte. Nur Kultur 5 hat also die Depression überstanden; sie blieb bei erneuter mäßiger bis starker Fütterung im Kältebassin bis 1. November; dann wurde sie in Zimmertemperatur und Anfang Dezember in das Wärmebassin übertragen; die Tiere bildeten weder Geschlechtsprodukte aus, noch zeigten sie eine zweite Depressions- periode; Mitte Dezember starb die Kultur durch Verpilzung aus. Ein Überblieken der Tabelle zeigt sofort einen deutlichen Zu- sammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Übertragung in Kälte und dem Eintritt der Depression. Infolge der genau gleichmäßigen Behandlung aller Kulturen bis zum 29. Juli darf wohl ein ziemlich gleichmäßiger Zustand der Tiere an diesem Datum angenommen 8) Diese Annahme macht z. B. auch Aug. Schulz (1902, S. 555) für die Blüten von Geranium pusillum, nachdem er darauf hingewiesen hat, dass Pollen, der auf der Narbe durch Regentropfen zerstört worden war, keine Wirkung mehr auf die Blüten ausübte. Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 907 werden; es ist dies, wie die vier letzten Kulturen (1b etc.) zeigen, ein Zustand nahe der Depression, und sicher wäre diese am 31. oder 1. bei allen Kulturen ausgebrochen, wenn dem nicht bei den Serie I. H. fusca. Tabelle I. . EN NER Einfluss der Temperatur auf Depressionen ANTRERE, “ Datum 2 | 4 3 | 5 1b 6 la | 7 Juli 20 | | 9 Tage sehr starke Fütterung bei Zimmertemperatur; dann Hunger „ 29 „ 30 Jin Kälte|in Kälte ca. 50? 58 92 il Depr. Depr. Depr. Depr. Beginn | Beginn | Beginn | Beginn Aug. 1 in Kälte in Kälte ca. 130 | ca. 100 stark stark |hochgrad.| stark a in Kälte in Kälte lin Kälte, ca. 25 | | 900° | ca.25 | 4 „ Be) | ir T Keng: schwach | schwach erholt? | erholt? 2 5 Depr. ea. 257 Beginn a6 Depr-. Depr. Beginn | Beginn RT. Depr. stark Beginn eh Re, 53 140 65 ed ca. 50 ca. SO r Le \\ 10 el „ 12 Mi r el äi u! ji „ 15 T „ 16 45 erholt | + — Ausgestorben. Die Zahlen (58, 92 etc.) geben die Anzahl der Tiere an dem betreffenden Tag. vier ersten Kulturen die Übertragung in Kälte (+ 12,5 bis 15,5° gegen 22—25° Zimmertemperatur) entgegengewirkt hätte; dies hatte zur Folge, dass der Eintritt der Depression in Kultur 2, 4, 3, 5 um 4—6 Tage sich verzögerte; diese Kulturen zeigten sogar am 2. August, 208 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. da die vier letzten sonst ganz gleich behandelten Kulturen schon in hochgradiger Depression waren, ein besonders gutes Aussehen; trotzdem trat auch bei ihnen dann die Depression ein. Temperaturerniedrigung hat also hier, bei bestehen- der Neigung zu Depression, den Eintritt derselben ver- zögert. Auffallend ist dabei das ziemlich gleichzeitige Eintreten der Erkrankung in beiden Gruppen. Die Kälteeinwirkung zeigt aber auch deutlichen Einfluss auf den Verlauf der Depression. Kultur 6 und 7 haben am 2. August gleichviel Tiere; 7 ver- blieb in Zimmertemperatur und war am 3. August ausgestorben; 6 dagegen, in Kälte verbracht, erhielt sich bis zum 9. August, also 6 Tage länger. Ebenso zeigt 1b eine Verlangsamung des Verlaufes gegen 7, auch bei Berücksichtigung der größeren Tierzahl am 2. August. Bei der früh ın Kälte übertragenen Kultur 2 ist die Dauer der Depression 7 Tage, bei 7 nur 4 Tage; die Tierzahl zu Beginn der Depression war ungefähr gleich. Bei 3, 4 und 5 ist die hohe Tierzahl von Einfluss auf die Dauer der Depression. Es hat also die Temperaturerniedrigung auch den Verlauf der Depression verzögernd beeinflusst. Eine genauere Verfolgung der Temperaturschwankungen im Kältebassin schien auch mehrmals eine Besserung des Zustandes der Depressionskulturen mit sinkender Temperatur zu zeigen; die schwache Erholung z. B. vom 4. August in Kultur 1b und 6 fällt mit einem Minimum von — 12,5° zusammen. Doch sind dies zu geringfügige Änderungen, um weiter verwertet zu werden. Hydren befinden sich überhaupt ın mäßiger Kälte sichtlich sehr wohl. 7. Serie I. a) Hauptkulturen. Diese zweite Serie wurde als Ersatz für die durch heftige De- pressionen gestörte erste Serie angelegt; die gleiche Zahl Kulturen wie dort sollte, in gleicher Weise angeordnet, der Lösung der Frage nach dem Einfluss der verschiedenen Bedingungen näher führen. Es gilt deshalb auch für Serie II das früher angegebene Projekt (S. 191), nur mit den Kulturnummern S—15 statt 1a—7. Die Kulturen wurden angelegt am 17. August; je 8 Tiere (je 3 aus A, B und 2 aus Ö) von kräftigem gesundem Aussehen, ohne Knospe wurden wie bei Serie I ın gleich großen Gläsern mit Pflanze zunächst in Zimmertemperatur bei ziemlich starker Fütterung ge- halten und so zu kräftiger Knospung gebracht. Diese Vorfütterung dauerte 9 Tage wie bei Serie I, doch war die Fütterung weniger intensiv. Am 26. August wurden sämtliche Kulturen bei sehr gutem und gleichmäßigem Aussehen in die projektierten Bedingungen übertragen. Frischholz, Zur Biologie von Hydra, 209 Die weitere Fütterung der nicht zu Hunger verurteilten Kul- turen war eine mäßige und möglichst gleichartige; die Kälte im Wasserbassin war gut konstant — 11 bis 12,5°C. Die Wärmekultur (8) wurde im Thermostat gehalten, dessen Temperatur durch unge- nügende Regulierung sich wider Wunsch hoch erhielt, zwischen 26,5— 30° C., im Mittel 27°. Über den Verlauf der Kulturen unter den verschiedenen Bedin- gungen (ab 26. Aug.) gebe ich wieder eine Übersichtstabelle (s. S. 210). Bezüglich der Abkürzungen gelten die Angaben von S. 191. Auch in dieser Serie verfielen sämtliche Kulturen einem De- pressionszustand. Während der ersten 9 Tage, der Vorfütterung, waren hier wie in Serie I alle Kulturen sehr gleichartig in Ver- mehrung und gutem Aussehen. Da nun in beiden Serien gerade die ohne Änderung der Bedingungen im Zimmer weitergeführten Kontrollkulturen 7 bezw. 15 rasch in Depression gerieten (7 nach 2 Tagen Fütterungspause, 15 nach 4 Tagen bei mäßiger Fortfütte- rung) ist wieder anzunehmen, dass die starke Vorfütterung Ursache der Neigung zu Depression ist; bestätigend ist hierfür neben dem Eindruck, den die direkte Beobachtung der Tiere in dieser Hinsicht machte, auch ein Vergleich mit Serie I: Em Unterschied in der Behandlung der Kulturen in den ersten 9 Tagen liegt nur in der schwächeren Vorfütterung bei Serie Il; dementsprechend sınd die Depressionen hier schwächer, oder der Verlauf langsamer; und es liegen hier bei den Kältekulturen z. B. zwischen dem Ende der Vorfütterung und dem Eintritt der Depression 20 Tage, ın Serie I nur längstens 9 Tage. Auch bei Stammkultur © wurde Überfütte- rung als wahrscheinliche Ursache der Depression erkannt (S. 190). Starke Fütterung erzeugt also Neigung zur Depression. Dies bestätigen auch die Resultate späterer Serien, welche zugleich zeigen, dass diese Wirkung zwar am stärksten unter Temperaturen um etwa 20°C. eintritt, aber auch bei niederer Temperatur nicht ausbleibt. Nimmt man hiernach eine gleiche Disposition zur Depression bei allen Kulturen am 26. August an: dann fällt sofort wieder ın die Augen die starke Verzögerung des Ausbruches der Krankheit bei allen in Kälte versetzten Tieren; sie beträgt gegen die Zimmer- und Wärmekultur 14 Tage (Kultur 10 nur 10 Tage); Kultur 9 unter- scheidet sich dabei z. B. ın den Bedingungen von Kultur 15 nur allein in der Temperatur; die Fütterung beider vor und nach dem 26. August, wie aller Futterkulturen, war ganz gleich, und doch ist die Zimmerkultur 15 nicht nur viel früher in Depression gekommen, sondern der Verlauf war auch viel heftiger; er führt innerhalb 7 Tagen zum völligen Aussterben; also eine nochmalige Bestätigung des Ergebnisses bei Serie I (S. 208), dass Kälte verzögernden Einfluss auf Ausbruch und Verlauf der Depression übt. XXIX. 14 210 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Der Beginn der Depressionen bei allen Kältekulturen ist dabei auffallend gleichzeitig; Kultur 10 ıst nur um 4 Tage voraus, alle Serie II. H. fusca. Tabelle U. Einfluss der Temperatur auf Depressionen | | Kältekulturen Datum | A nmer BWärıne | mit Futter | bei Hunger | | | 15 S | 10 | 12 | 9 13 li 14 F Pfl FPfl | dunkel | | ee dunkel Pfl ie. ren 4 l . ee ” P = B Ei ER Vene si. ——— —————— = — — — Zu ze — - Tz - —z oo — —_ — Aug. 26 12 14 | 13 11 | 15 15 22 16 |: Tiere’ | - Tiere Tiere | "Tiere. \/* Tiere Tiere Tiere Tiere Sept. 1| Depr. zT. Depr.| ca.25 | ca.25 ca. 25 ca. 30 ca. 40 ca. 30 | stark stark | | ca. 30 ca.55 | | 54 6| Mr z. 1. Depr:| 03, 30| ca. 5% | ea. 60 | Lca.\dn ea. 55 ca. 55 uanaert mäßig | ca. 45 Sach meist Depr |. cas79, ca, .L00 49 56 55 starke D. | Beginn | 220) 1.009 SEN MER | | EN 8 | Depr. norm. | norm. norm. norn. norm. wie vor. , mäßig ) ') ) Abegetöt. | | m 14 | stark Depr. Depr. Depr. | Depr. Depr. | Beginn | Beginn Beginn | Beginn | Beginn 8 | hochgr. stark | mäßig | schwach | schwach | schwach 13 a ET 40 N] | hochgr. mäßig mäßig schr | . norm. sehr in Durch- in Durch- Pflanze | schwach | ca. 285 | schwach lüftung | lüftun entfernt |in Durch- ’flanze = 5 a | lüftung | entfernt ca. 14 | | „24 stark mäßig mäßig norm. norm. casız ca. 30 ET. norm. norm. norm. | 12 a0) ca. 0 übrigen, sowohl Hunger- wie Futterkulturen, treten gleichzeitig am 14. September in Depression, nachdem sie am 12. noch ganz normal 3) Am 10. September letzte Fütterung von 10, 12 und 9. 4) Die Hungerkulturen 13, 11, 14 am 12. September etwas kümmerlich. Kultur 12: vom 1. bis 4. Oktober schwache Hodenbildung (ca. 2 Tiere unter 15). 9: vom 1. bis 6. Oktober schwache Hodenbildung (ca. 10°/,). a 9: vom 12. Dezember bis 17. Januar Depressionen stark bis mäßig. Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 3441 und alle von gleich gutem Aussehen befunden wurden; es ist frei- lieh.dabei, wie bei allen diesen Beobachtungen, immer in Rücksicht zu ziehen, dass die Angaben sich auf Massenkulturen beziehen. „Beginn der Depression“ bezeichnet die erste Beobachtung von mehr oder weniger Tieren in beginnender Depression, also nicht den Eintritt der Depression bei sämtlichen Tieren der Kultur; und die „Dauer der Depression“ bezieht sich ebenso auf den Zustand der ganzen Kultur, wobei natürlich die zuerst in Depression ge- kommenen Tiere lange vor dem Ende der gesamten Depression schon wieder normal geworden oder abgestorben sein können. . Für Protozoen haben R. Hertwig u. a. öfter den plötzlichen Übergang von starker Fütterung zu Hunger als Anlass zum Beginn von Depressionen angegeben. Nun hat hier zwar die Fütterung der Kulturen 12 und 9 fünf Tage vor Beginn der Depression aufge- hört; aber die Hungerkulturen hungern schon 20 Tage! Berück- sichtigt man ferner, dass Kultur 15, welche als Futterkultur diesem Impuls nicht ausgesetzt war, sehr rasch nach dem 26. August der erworbenen Disposition nachgibt, so erscheint bei Hydra eine aus- lösende Wirkung des Futterentzuges sehr zweifelhaft. Die Gleich- zeitigkeit des Depressionsbeginnes lässt sich nur zurückbeziehen auf das gleichzeitige Ende der starken Vorfütterung am 25. August; denn von da an beginnen alle Verhältnisse für die betreffenden Kulturen verschieden zu werden außer der Temperatur. Es scheint also, dass bei einmal erworbener Disposition der Eintritt der Depression durch die Art der weiteren Fütterung zeit- lich nicht beeinflusst wird, wohl aber durch Änderung der Temperatur. Verlauf und Dauer der eingetretenen Depressionen waren dann aber nicht so gleichmäßig wie der Zeitpunkt des Beginnes. Ich stelle die wichtigsten Daten, nach der Schwere der Depressionen geordnet, zusammen: Serie I. Tabelle III. Einfluss von Temperatur und Fütterung auf die Stärke der Depressionen Depressions- Tierzahl Abgestorben Kultur , ? RA ee Dauer Grad vor Depr. in Sa. täglich Ins 7, E Pf] 7 | hochgrad. | ca. 30 ca. 30 4 102 RUE d 17 hochgrad. 60 48 3 12% RC 13 stark 75 60 4,5 97 = HRORAPEI 13 mäßie * U UWROR N 50 4 8—= WFPi 3 mäßige | ca.dd ca. 44 3 IR=t!KH 10 schwach 49 32 3 le HR@SEINd 6 schwach | 56 | 28 4, 0 KU EBEN 10 schwach 55 25 2,5 > ul [Aw Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Ist auch diese Anordnung insofern etwas willkürlich, als sie auf einer gegenseitigen Abschätzung von drei Faktoren beruht, Dauer, Grad und Sterblichkeit, so lassen doch einige Beziehungen sich klar erkennen. Die Zimmerkultur 15 wurde am schwersten betroffen; sie war in kurzer Zeit bei hochgradigem Depressionshabitus aller Tiere ganz ausgestorben. Die Wärmekultur 8 dagegen, bei der hohen Temperatur von —- 27° gehalten und gefüttert wie 15, zeigt einen relativ leichten Verlauf der Depression nach Dauer, Grad und Sterblichkeit. Ins- besondere erlitten die Tiere auch keine so tiefgreifende habituelle Veränderungen wie ın anderen Depressionskulturen; fast schien das Aussterben mehr direkte Folge der zu hohen Wärme als einer eigentlichen Depression. Es scheint also ein Temperaturoptimum von etwa + 20°C. zu bestehen sowohl für die Erwerbung der Neigung zur Depression (s. S. 209), wie für Beschleunigung des Eintrittes derselben und auch die Heftigkeit des Verlaufes. Bei den sechs Kältekulturen zeigten deutlich die drei Futter- kulturen (10, 12, 9) schwerere Schädigungen als die drei Hunger- kulturen (13, 11, 14), welche sämtlich nur leichtere Habitusverände- rungen aufwiesen; Kultur 11 hat zwar hohe tägliche Sterblichkeit, aber nach 6 Tagen hatte die Kultur sich vollständig wieder erholt. Während bestehender ‚Depression wurde keine Kultur gefüttert. Aus dem Vorstehenden ım Zusammenhalte mit dem auf der vorigen Seite ausgesprochenen Resultate ergibt sich: Beı vorhandener Neigung zu Depression treten zwar beı fortdauernder Fütterung die Depressionen nicht früher ein als bei Unterlassung der Fütterung; aber die ein- tretenden Depressionserscheinungen sind nach fort- dauernder Fütterung viel heftiger als nach Hunger. Ein Einfluss des Lichtentzuges lässt sich nicht erkennen. Dagegen scheint die Beigabe einer Pflanze in etwas der De- pression entgegen zu wirken: Kultur 9 zeigt den mildesten Verlauf unter den Futterkältekulturen, Kultur 14 unter den Hungerkälte- kulturen. Ich habe nun, was ich an Einflüssen der vier angewen- deten Faktoren Temperatur, Fütterung, Licht und Sauerstoff auf die Depressionen erkennen konnte, geschildert; es blieb aber noch die Vermutung, dass die Intensität der Knospung, welche den De- pressionen vorausging, nicht belanglos für dieselben sein möchte; ich habe daher aus den regelmäßig notierten Zählungen Werte für die Intensität der Vermehrung durch Knospen berechnet und stelle sie hier zusammen. In Tabelle 4 sind die Kältekulturen der Serie II nach der Intensität der Knospung geordnet; die Zahlen (160 etc.) geben die Frischholz, Zur Biologie von Hydra. DAR Zahl sämtlicher Knospen, welche die Kultur vom Ende der Vor- fütterung (26. August) bis zum 10. September, also wenige Tage vor Eintritt der Depression hervorgebracht hat, inklusive der noch nicht abgelösten Knospen. Natürlich sind besonders die höheren Zahlen nur abgerundete Näherungswerte. Tabelle IV. { Vermehrung Kultur v O6 VIER 2 | Futter- En io [ kulturen en 2 | Hunger- en 1 j kulturen An Ein Vergleich mit Tabelle III zeigt: Die Reihenfolge der ın Tabelle III nach dem Grade der Depression geordneten Kulturen ist eine ganz andere als die Reihenfolge nach der Knospungs- intensität in Tabelle IV. Dasselbe bestätigt eine weitere Zusammenstellung für Serie I und II. Ich führe sämtliche Kulturen nach dem Grade ihrer De- pressionen auf und setze die berechnete tägliche Vermehrungsrate pro Tier bei für die Zeit von der Anlage der Kultur bis zum Ein- tritt der Depression; die Zahl 0,8 bei Kultur 4 z. B. gibt an, dass jedes Tier dieser Kultur in dieser Zeit durchschnittlich täglich 0,8 Knospen hervorgebracht hat. Tabelle V. Knospung und Depressionen in Serie I udII ı Vermehrung Vermehrung Kultur | „täglich Kultur täglich pro Tier pro Tier % 1,2 15 0,7 la 1,2 10 0,5 6 1,2 12 0,6 4 0,8 9 1,0 3 0,8 5 1,0 2 0,8 3 0,2 5 1,3 11 0,3 1b 1,4 14 0,3 Die letzten drei Kulturen sind Hungerkulturen und haben dem- nach eine geringe Vermehrung, zusammentreffend mit der schwächsten Depression; aber die höchsten Vermehrungsraten hatten nicht die Kulturen mit den stärksten Depressionen; es zeigt sich kein paralleles 214 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Steigen der Vermehrungsrate von der Kultur S mit geringer De- pression zur Kultur 7 mit der schwersten Depression. Der Grad einer Depression muss also nicht proportional sein der Intensität einer vorhergegangenen Knospung, wiewohl die Fütte- rung auf die Knospung sowohl wie auch direkt auf die Heftigkeit einer Depression (S. 212) Einfluss hat. Aus den weiteren Beobachtungen an den nach Beendigung der Depressionen noch etwa 1—2 Monate geführten Kulturen ist nichts von Bedeutung zu berichten. Nur Kultur 9 wurde länger fort- geführt; sie hatte vom 12. Dezember bis 17. Januar 1908 noch- 2 eine Depression en infolge Übertragung in Wärme und stärkerer Anfütterung. Trotz einer Beinen von 200 auf 10 Tiere wurde nachher die Kultur bei mäßiger Fütterung wieder stark und die Tiere sehr schön. Erst Mitte Juni 1908 war sie nach 2'/,monatigem Hunger dann ausgestorben. Ihren ursprünglichen Zweck, über etwaige Abhängigkeit der Bildung von Geschlechtsprodukten von den angewandten Bedienen Aufschluss zu geben, erfüllten auch die Kulturen dieser zweiten Serie sehr wenig (vgl. Tabelle II). Denn nur Kultur 9 und 12 kamen kurz nach Beendigung ıhrer Depression zu sehr mäßiger Hodenbildung; in beiden Kulturen wurden am 1. Oktober, d. i. 4—5 Tage nach Ende der Depressionen die ersten Hodentiere be- obachtet; in Kultur 9 bildeten ca. 10°/, dann Hoden (unter ca. 70 Tieren) während ca. S Tagen; in 12 nur 2 e während 4—5 Tagen; weiterhin wurde keine Hodenbildung mehr beobachtet. Beide Kulturen sind Futterkulturen, und vor Beginn der Hodenbildung 36 Tage in Kälte + 11°, die letzten 18 Tage ohne Futter. Aus diesen vereinzelten Fällen lassen sich natürlich irgend- welche Beziehungen nicht sicher feststellen; immerhin zeigen sie Übereinstimmung mit den Resultaten von Krapfenbauer (1907), wonach H. fusea bei Hunger oder Futter in Kälte und zwar meist nach vorheriger Depression zur Bildung von Geschlechtsprodukten gelangt; bemerkenswert ist, dass meine Kulturen gleichfalls wie dort, nur Männchen ergaben. 7b) Serie Il. Nebenkulturen. Aus den in Depression geratenen Kulturen der Serie I waren gelegentlich in Uhrgläschen einzelne Tiere übertragen worden, welche genauer beobachtet oder auch gezeichnet werden sollten. Einige Male blieben solche Tiere in den Uhrgläschen, gedeckt, über Nacht stehen; da zeigte sich am nächsten Tage fast stets, ve un- angenehm genug wenn die Tiere gezeichnet ne sollten), dass sie sich sichtlich erholt hatten und) nicht mehr die typischen habi- tuellen Depressionserscheinungen zeigten, wegen deren sie entnommen worden waren. Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 215 Diese Beobachtung reizte zu näherer Untersuchung. Es wurden daher bei Serie II Abzweigungen von Depressionskulturen als Neben- kulturen geführt, um der Ursache jener Erscheinung nachzuforschen. Kultur 8 und 15 waren am 1. September in stärker /Depression (s. Tabelle II S. 210). Es wurden je 5—6 Tiere mit starken Depressionserscheinungen in vier Uhrgläser in Zimmertemperatur übertragen, und so Kultur 8a aus acht am 1. September und die Kulturen 15a, b, e aus 15 am 2., 4. und 5. September abgezweigt. Der Erfolg war überraschend ; sämtliche Tiere der Nebenkulturen (außer zwei in höchstem Depressionsstadium in 15) erholten sich in 3-4 Tagen fast vollständig; nach einer Woche waren alle voll- kommen normal; die Kultur 15 selbst war in dieser Zeit vollkommen ausgestorben; Kultur 8 war nach 12 Tagen ausgestorben bis auf acht sehr kümmerliche Tiere. Die Nebenkulturen dagegen wurden einen Monat geführt und erst in der letzten Woche begannen die Tiere zu verkümmern, teilweise wieder Depressionserscheinungen zu zeigen, an denen einzelne auch starben. Nach der ersten Erholung ihnen gebotenes Futter (Ostracoden) hatten die Tiere nicht ange- nommen; die Tentakel schienen nicht wieder fähig geworden zu sein, Beute festzuhalten. Die Übertragung in Uhrgläser hatte demnach die starke De- pression bei allen Tieren rückgängig gemacht, wenn auch der dauernde Aufenthalt im Uhrglas allmählich wieder zur Verkümme- rung führte. Es galt nun, die Ursachen dieses Verhaltens festzu- stellen. Drei Faktoren schienen denkbar, denen eine solche Wir- kung zuzutrauen war. Erstens konnte der Wasserwechsel an sich das Heilsame sein; es mochte vielleicht das Wasser der Depressionskulturen durch Futterabfälle oder Stoffwechselprodukte schädliche Bestandteile er- halten haben. . Zweitens konnte die mechanische Erschütterung der Tiere beim Übertragen die Erholung ‚veranlasst haben; ich glaubte schon öfter beobachtet zu haben, dass passive Bewegung Tiere in Depression zu vorübergehender Streckung und Beweglichkeit anregt; hier hat die einmalige Übertragung vielleicht etwas unterstützend gewirkt, zur Erklärung der völligen Erholung ist diese Einwirkung wohl zu geringfügig. Am wahrscheinlichsten schien es endlich, die Wirkung zurück- zuführen auf die größere Sauerstoffmenge, welche den Tieren durch das Übertragen und im Uhrglas durch die große Oberfläche des Wassers im Verhältnis zur Menge geboten war. Um diese Annahme näher zu prüfen wurden neuerdings Neben- kulturen von Depressionstieren angelegt, welche künstlich durch- lüftet wurden. (Fortsetzung folgt.) 216 Wasmann, Escherich’s neue Termitenstudie. Escherich’s neue Termitenstudie!). Von E. Wasmann S. J. (Luxemburg). Nachdem Escherich vor einigen Jahren eine zusammenfassende Schrift über Ameisenbiologie veröffentlicht hatte (Die Ameise, Braunschweig 1906, s. Biol. Centralbl. 1906, S. 8O1ff.), gibt er ın der vorliegenden Schrift eine Zusammenfassung der Ter- mitenbiologie. Diese Arbeit war viel schwieriger, da unsere gegen- wärtige Kenntnis der Termiten, welche fast ausschließlich die Tropen und Subtropen bewohnen, noch weit unvollkommener ist als jene der Ameisen. Escherich hat jedoch auch diese Aufgabe mit viel Fleiß und Geschick gelöst, indem er das Beste aus der bisherigen Termitenliteratur in übersichtlicher Weise durcharbeitete. Auch zahlreiche gute Abbildungen, ein Literaturverzeichnis und Indices sind der Arbeit beigefügt, so dass diese Schrift allen, die sich für die Kenntnis der Termiten interessieren, sehr zu empfehlen ist. Auch bringt sie manches Neue aus den eigenen Beobachtungen des Verfassers in Erythraea. Wer Escherich’s Schrift aufmerksam durchstudiert, wird sich allerdings der Erkenntnis nicht verschließen können, dass die biologische Termitenkunde erst m einem An- fangsstadium sich befindet, und dass zahlreiche Probleme hier noch ihrer Lösung harren. Dadurch wird aber diese Schrift höchst anregend wirken auf die weitere Forschung. Auch auf die Termiten- systematik wird Escherich’s Arbeit klascnd wirken, indem sie die Notwendigkeit bestätigt, die Gattungen der ed mit Hilfe der Soldatenkaste fest abzugrenzen. m systematischen Anhang hat dies der Verfasser auch anne nahe getan, im biologischen Hape teil seines Buches wird es wohl in einer neuen Music vollständiger durchgeführt werden. Das „Vorwort“ wendet sich gegen die Vermenschlichung der Insektenstaaten und der Termitenstaaten insbesonders und weist auf die verschiedenen psychologischen Grundlagen derselben gegen- über den Menschenstaaten hin. Die hier gegebene Definition der Instinkte als bloßer „Nervenbahnen“ dürfte wohl nur auf einer zu knappen Ausdrucksweise beruhen. Denn sonst könnte ja von einer „Psychologie“ der Termiten überhaupt keine Rede sein, sondern nur von einer „Neurologie“ derselben, eine Ansicht, len: Escherich bezüglich der en (1906) jedenfalls nicht teilt. Die Hinleitulie der Schrift (S. 1—7) orientiert kurz über die Stellung der en im zoologischen System und in der ver- gleichänden Bionomie. Obwohl die Termiten als mit den Blattoidea stammesverwandte epimorphe Insekten zoologisch tiefer stehen als die holometabolen Ameisen, so sieht Hucherich doch ın der Ter- 1) K. Escherich, Die ? Termiten oder weißen Ameisen. Eine bio- logische Studie. 8°, 198 S. Mit 50 Abbildungen und einer Titeltafel. Leipzig, Klinkhardt, 1908. Preis Mk. 7 Wasmann, Escherich’s neue Termitenstudie. DT, mitenbiologie „den Kulminationspunkt des sozialen Tier- lebens“, und stellt die Termiten in dieser Beziehung sogar über die Ameisen. In bezug auf die mit der Epimorphose (durch die soziale Aktivität der verschiedenen Larvenstadien) zusammen- hängenden hochgradigeren Differenzierung der sozialen Instinkte beı den Termiten trifft dies sicherlich zu; ob es aber auch in bezug auf die individuelle Betätigung der Instinkte zutrifft, scheint sehr zweifelhaft. Soviel wir bisher wissen, ist letztere bei den Termiten einförmiger als bei den Ameisen ?). Allerdings bildet, wie Escherich mit Recht bemerkt, die Termitenpsychologie bisher noch eine „terra incognita“, zumal uns noch keine geeigneten Methoden zur Beobachtung der Termiten in der Gefangenschaft zu Gebote stehen. Ein kurzer Überblick über die Geschichte der biologischen Termiten- kunde beschließt diesen Abschnitt. Smeathman’s Verdienste als Vater der Termitenbiologie (1781) werden zutreffend gewürdigt. Das erste Kapitel (S. S—29) behandelt die Elemente des Termitenstaates, die einzelnen Kasten, ihre Entwickelung, Diffe- renzierung und ihre Funktionen. Das Schema S. 19 illustriert sehr gut dieses Problem der Kastendifferenzierung bei Termes s. str. Dass gewöhnlich nur ein echtes Königspaar vorhanden ist (5. 12), gilt nur für bestimmte Gattungen, z. B. für Termes s. str. Bei manchen Eutermes (z. B. arenarius-fulriceps Silv. nach Schmalz’) sind häufig mehrere echte Königinnen vorhanden, während E. Luja am Kongo bei Termes natalensis nur in einem unter vielen Nestern mehrere Königinnen und Könige traf). Auch müsste m. E. hier mehr hervorgehoben werden, dass die Erziehung neotener Ersatz- geschlechter vorwiegend von den Organisationsverhältnissen der verschiedenen Gattungen abhängt (nicht bloß vom Verlust des echten Königspaares). S. 12 unten wird es nur angedeutet, später (S. 47ff.) folgen weitere Angaben darüber. Dass man bei Termes s. str. meines Wissens noch nie neotene Geschlechtstiere angetroffen hat, dass sie bei anderen Gattungen (Kutermes, Armitermes etc.)’) auch häufig neben den normalen Geschlechtstieren vorkommen, dass sie endlich bei Leucotermes (lueifugus, flavipes) — wenigstens in der gemäßigten Zone — regelmäßig das normale Königspaar ersetzen, sind Momente, die in einer neuen Auflage vielleicht noch mehr berücksichtigt werden müssen). 2) Vgl. Wasmann, Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen, mit einem Ausblick auf die vergl. Tierpsychologie. 2., bedeutend vermehrte Aufl. Stuttgart 190). 3) 8. Biol. Centralbl. 1908, S. 73. Ferner Escherich, S. 47, Anm. 4) Nämlich vier echte, fast erwachsene Königinnen von 7 cm Länge und zwei echte Könige. (Aus Luja’s brieflichen Beobachtungen von Sankuru, unterer Kongo. Material im Naturh. Mus. von Luxemburg.) 5) Bei Capritermes capricornis Wasm. habe ich dies schon 1893 erwähnt (Wien. Ent. Ztg. XII, 7, S. 243). 6) Vgl. auch Escherich, 8. 47ff. 218 Wasmann, Escherich’s neue Termitenstudie. Bei der Frage, welche Faktoren die Differenzierung der ver- schiedenen Formen im Termitenstaat ontogenetisch bewirken bezw. auslösen, glaubt Escherich mit Grassi u. s. w. der Nahrung den Haupteinfluss zuschreiben zu müssen. Speziell mit der Ent- wickelung der Geschlechtstiere bringt er die Abwesenheit von Darmparasiten (Protozoen) bei denselben in Verbindung, während der Darm der Arbeiter zahlreiche Parasiten enthält. Er glaubt daher, dass bei den Arbeitern eine „parasitäre Kastration* (Emery) vorliege, „insofern als bei den Arbeiterlarven der mit Parasiten prall gefüllte Hinterdarmsack auf die Genitalanlagen drückt und deren Entwickelung hindert“ (5. 23). Ferner führt er die Ab- wesenheit jener Parasiten im Darm der neotenischen Geschlechtstiere auf die Ernährungsweise derselben zurück, nämlich auf ihre ausschließ- liche Speichelfütterung. Diese Hypothese hat viel Wahrscheinlich- keit für sich, enthält aber noch manche Schwierigkeiten. So dürfte bei dem hemmenden Druck, welchen der Darm der Arbeiter auf die Genitalanlage ausübt, wohl hauptsächlich die Füllung des Darms mit Erde maßgebend sein, nicht aber die in demselben anwesenden Parasiten. Die Bedeutung der letzteren für eine „parasitische Kastration“ bedarf daher noch der Aufklärung (s. auch S. 148— 149). Sogar die Differenzierung der Kasten durch die Ernährungsweise ist von Heath auf Grund semer Versuche bezweifelt worden’). Immerhin ist die von Grassi zuerst begründete Hypothese, dass die Speichelfütterung das Wachstum der Geschlechtsanlagen aus- löse, die beste, die wir für die ontogenetische Differenzierung der Termitenkasten besitzen. Bei der sozialen Rolle der verschiedenen Kasten im Termiten- staat ist besonders jene der Soldaten von Interesse, welche Escherich (S. 25—29) eingehend bespricht. Er kommt dabei zu dem Ergebnisse, „dass die Soldaten wirklich in erster Linie An- passungsformen an die Verteidigungsfunktion darstellen“ (S. 29). Außer dem eigentlichen Wehrdienst fällt ihnen auch der Wach- und Alarmdienst hauptsächlich zu, sowie auch eine Art „Polizei- dienst“ im Innern des Staates. „Man sieht sie gewöhnlich inmitten der Arbeiterschar herumspazieren, um da und dort durch Zitter- schläge säumige Arbeiter an ihre Pflicht zu erinnern und sie anzu- feuern“ (S. 27, vgl. auch S. 44 über die Rolle der kleinen Soldaten). Da Escherich im Vorwort seiner Schrift mit Recht gegen die anthropomorphistische Deutung der Vorgänge im Vermont sich ausgesproc hen hat, sind die obigen Ausdrücke (Pflicht u. s. w.) nur als eine ech Akkommodation zu betrachten, die in popu- lären Werken fast unvermeidlich ist. Im zweiten Kapitel (S. 30—52) wird die Fortpflanzung 7) "The habits of Californian Termites. 1902. Vgl. auch Wheeler, The Poly- morphism of ants, 1907, p. 72. Wasmann, Escherich’s neue Termitenstudie. 219 der Termiten besprochen, zuerst die Gründung neuer Kolonien, dann deren Wachstum und Erhaltung. Auch hier ist eine reiche Fülle des besten Materials verwertet. Allerdings zeigt sich, dass wir über manche Punkte noch wenig wissen, z. B. über die ersten Stadien der Koloniegründung. Soviel scheint aber festzustehen, dass die geflügelten Termiten erst nach dem Ausschwärmen aus dem Heimatnest geschlechtsreif werden, dass die Pärchen sich auf der Erde zusammenfinden und die erste Nestanlage graben, bevor die Paarung erfolgt („Brautzeit“). Zu den „normalen Verhältnissen* im Termitenstaat gehört die merkwürdige Erscheinung, dass der König eine dauernde Rolle zur wiederholten Befruchtung der Königin spielt, und dass die Königin eine ungeheuere Fruchtbarkeits- ziffer — ın 10 Jahren etwa 100 Millionen Eier — erreichen kann. Unter den „anormalen Verhältnissen“ behandelt Escherich eingehend die verschiedenen Formen der neotenischen Geschlechtstiere, zu denen sogar geschlechtsreife Arbeiter und Soldaten (S. 51)°) ge- hören können. Auf die Bedeutung dieser Erscheinungen für die Vererbung erworbener Eigenschaften wird in einer Anmerkung hin- gewiesen. Bei manchen Arten (z. B. Armitermes neotenicus, Leuco- termes lucifugus und flaripes’) scheinen die neotenischen Geschlechts- tiere sogar regelmäßig an Stelle der normalen vorzukommen. Sılvestri nimmt an, dass bei diesen Arten die Geflügelten nur noch zur Gründung neuer Kolonien erzogen werden (S. 49) und glaubt, dass klimatische Verhältnisse hierfür maßgebend sind. Unter einem gemäßigten Klima mit kaltem Winter könne die Eiablage der Königin nicht das ganze Jahr hindurch fortdauern wie in tropischen Gegenden. Deshalb müsse, um die Fruchtbarkeitsziffer der Kolonie zu erhöhen, die eine normale Königin durch viele Ersatzköniginnen vertreten werden. Ob diese klimatische Hypo- these zutrifft, wird sich wohl durch die Biologie von Leucotermes indicola Wasm.!®) später entscheiden lassen, da in Bombay, wo diese Art eine gemeine „Haustermite* ist, annähernd tropisches Klima herrscht. { Der Nestbau der Termiten bildet das dritte Kapitel (S.53—99). Eine außerordentlich große Mannigfaltigkeit der Nestformen herrscht hier, ähnlich wie bei den Ameisen, obwohl die Termitennester be- züglich des Materials nicht so vielfältig sind wie die Ameisennester (Gespinnstnester fehlen). Aber an konzentrierter Bauart, an Mannig- faltıgkeit der Formen und an Größe übertreffen sie die letzteren. Die 6 m hohen und 1,5 m Basaldurchmesser besitzenden Turm- S) Auffallend physogastre Soldaten wurden von E. Luja auch bei Acanthotermes spiniger Sjöst. (Sankuru, am unteren Kongo) gefunden. (In meiner Sammlung.) 9) Letztere nach Marlatt, The white ant, 1904 (zu S. 49 bei Escherich beizufügen). 10) Termiten, Termitophilen und Myrmekophilen von Ceylon ete. 1902, 8. 119. I Wasmann, Escherich’s neue Termitenstudie. nester von Eutermes pyriformis ın Australien sind die größten Tıierbauten, welche man kennt. Australien ıst überhaupt am reichsten an verschiedenen Formen solcher Riesenbauten der Ter- miten, die manchmal ganze „Termitenstädte* bilden. Aber auch die Hügelbauten der afrıkanischen Termes bellicosus und natalensis können mehrere Meter Höhe erreichen. Besonders merkwürdig sind die australischen Kompassnester, deren Breitseiten nach Osten und Westen, die Schmalseiten nach Norden und Süden gerichtet sind. Es ıst keine leichte Aufgabe, die verschiedenen Nestformen der Termiten unter bestimmte Kategorien zu bringen. Escherich unterscheidet (S. 56ff.) nichtkonzentrierte Nester und konzentrierte Nester; letztere teilt er ein in reine Erdnester, gemischte Nester (aus Erde und Holz) und reine Holzkartonnester. Die größten Termitenbauten gehören teils zu den reinen Erdnestern, teils zu den Beulen Nestern. Der fünfschichtige Typus der „konzen- trierten Nester“ Holmgren’s ist nur in wenigen Fällen ganz rein gewahrt (z. B. bei den Holzkartonnestern ndnn nes Khster mes). Der Abschnitt über die Baumethode und Genese der Nester (S. 92ff.) zeigt, wie viel hier noch durch neue Beobach- tungen ergänzt werden muss. In den Nestern von Termes natalensis (S. 72) sei noch bemerkt, dass E. Luja in diesen Termitenhügeln am unteren Kongo regelmäßig eine königliche Zelle gefunden hat, während Trägärdh im Sudan sie in den Bauten derselben Art nicht finden a Ferner will Petch (The fungi of certain termite nests 1906, S. 192) die auch von Escherich (S. 70) ange- nommene Deutung Ei „Kamine“ der Termitenhügel als Luft- schächte, die zur Ventilation dienen (Smeathman und Doflein) nicht für zutreffend halten. Das vierte Kapitel behandelt die Ernährung der Termiten (S. 100— 116). Die Hauptnahrung der Termiten ea in Pflanzen- stoffen. Am interessantesten ist ihre Pilzzucht!!), die hier noch weiter verbreitet ist als bei den Ameisen und eime biologische Konvergenzerscheinung darstellt. Die botanische Seite des Problems ist bisher besser erforscht als die zoologische, obwohl die Pilze der Termiten schon 1779 durch König erwähnt wurden. Esche- rich’s Angabe (S. 104), wonach König bei Termes bellicosus 1778 an den Wänden der Magazine eine Art Schimmel beschreibt, der aus kugeligen weißen Köpfchen bestand, ist wohl auf König’s Beobachtungen an „Termes fatalis“ auf Tranquebar (1779) zu be- ziehen, da T. bellicosus eine afrikanische Spezies ist. In der Liste der pilzzüchtenden Termiten, welche Escherich S. 113 gibt, ist auch Mierotermes globieola W asm. einzufügen (vgl. S. 121, Fig. 38), dessen Pilzgärten in den Hügeln von Termes Redemanni auf Ceylon 11) Über die Pilzzucht der Termiten hat Escherich im 1. Hefte 1909 dieses Centralblattes bereits ein ausführliches Autorreferat erstattet. Wasmann, Escherich’s neue Termitenstudie. 991 m viel feiner gebaut sind als jene der Wirtsameise. Sollte auch das Material der Pilzkultur von dieser Gasttermite (oder Diebstermite, wie Escherich sie nennt) aus den Pilzgärten von T. Redemanni gestohlen werden, wie Escherich vermutet, so wird es doch in eigenartiger Weise von ıhr kultiviert. Zu den interessanten Beobachtungen über „Wander- und Blattschneidertermiten“, welche Escherich (8. 114ff,) anführt, und die sich nicht bloß auf Hodotermes-Arten mit gut ausgebildeten Augen, sondern auch auf blinde Termes-Arten (T. klor gi D)Jöst.) Beichen. möchte ich bemerken, dass die auffallend dunkle Färbung der letztgenannten Termiten uns einen Wink gibt, auch bei in enss dunkel gefärbten Termes-Arten (z. B. T. gabonensis und nobilis Sjöst. in Afrika, T. carbonarius Hag. in Ostindien) eine ähnliche, dem Tageslicht exponierte Lebensweise zu vermuten. Auch in der Gattung Kutermes finden wir schwarze Arten (Kt. monoceros Kön. und Verwandte in ÖOstindien, Eutermes nigrita W asm. auf Mada- gaskar, ete.), deren Färbung uns die Vermutung nahe legt, dass ihre Lebensweise von derjenigen der lichtfremden „weißen Ameisen“ abweicht. Die hohe Ähnlichkeit, die zwischen den Beutezügen der Blatt- schneidertermiten und denjenigen der amerikanischen Blattschneider- ameisen (Afifa) besteht, ist von Escherich (S. 116) mit Recht hervorgehoben worden. In einem wichtigen Punkte jedoch — be- züglich der Soldaten — gleichen jene Termitenzüge weit mehr den Zügen der Wanderameisen (Keiton und Anomma); denn bei den großen Atta-Arten'?) bleibt die größte Arbeiterform, die den Soldaten vergleichbar ist, zu Hause und begleitet die blattschneidende mittlere Arbeiterform nicht auf ihren Expeditionen. Die von Esche- rich gezogene Parallele zwischen Zermes Lilljeborgi und Atta cepha- lotes muss daher etwas modifiziert werden. Sehr reichhaltig ist das fünfte Kapitel (S. 117—154), „Be- ziehungen der Termitenstaaten zueinander und zur übrigen Tierwelt.“ Die Anpassungen der Termitophilen an ihre Wirte übertreffen beinahe alles, was wir an tierischen Anpassungen kennen. „Man sehe nur eine Termitoxenia und eine Thaumatowena oder eine Corotoca (oder eine Spirachtha!) an. Eine groteske Phan- tasıe kann kaum abenteuerlichere Formen erfinden, als uns die Natur in diesen Tieren darbietet* (S. 117). Bezüglich der Deutung der Anpassungserschemungen sind wir allerdings ln noch auf Analogieschlüsse angewiesen. In seiner ee dieses Kapitels schließt sich Escherich im wesentlichen an die Unterscheidung 12) Mit Ausnahme von Atta columbica Gu6r., bei der auch die größten Ar- beiter vielfach ausgehen (Forel, Ameisen aus S. Paulo ete. Verh. Zool. Bot. Ges. Wien 1908, 8.349); aber stets fehlt die charakteristische Soldatenrolle bei den Ex- peditionen von Atta. 299 Wasmann, Escherich’s neue Termitenstudie. zwischen „Sozialer Symbiose“ und „Individueller Symbiose“ an, welche ich bereits 1902'3) näher ausgeführt hatte. Wenn daher Escherich (S. 118) meint, „die bekannten Wasmann'’schen vier Kategorien (Symphilie, Synoekie, Synechthrie und Parasitismus)*“ könnten nur für einen Teil jener Beziehungen gelten, so ist er ganz meiner Ansicht, erwähnt aber nur meine ältere Einteilung. Escherich gliedert dieses Kapitel folgendermaßen: A. Beziehungen der Termitenstaaten zueinander und zu anderen sozialen Tieren (Soziale Symbiose): 1. Das Verhalten der verschiedenen Termitengesellschaften zueinander. 2. Termiten und Ameisen. 3. Termiten und Bienen. 4. Termiten und Wespen. B. Beziehungen der Termiten zu nichtsozialen Tieren (Individuelle Symbiose s. lat.): a) Wirbellose Tiere (insbesondere Insekten) (Termito- philie s. str.): 1. Symphilie. 2. Synoekie und Synechthrie. 3. Ekto- und Entoparasitismus. 4. Trophobiose. b) Wirbeltiere. Unter diese Rubriken lassen sich wirklich alle tatsächlich be- obachteten Verhältnisse unterbringen. Die Darstellung derselben, die Escherich hier bietet, will natürlich nicht vollständig sein, hebt aber doch das Wichtigste gut hervor. Dass wir zwischen Trermiten verschiedener Arten bisher keine gemischten Kolonien, sondern nur zusammengesetzte Nester kennen, ist im Gegensatz zu den Ameisen besonders bemerkenswert. Echerich’s Beurteilung der Anpassungscharaktere der Termitengäste (S. 128, 130ff.) hebt auch die Bedeutung des Analogieschlusses auf diesem Gebiete zu- treffend hervor, indem wir aus der Körperbildung vielfach auf die noch unbekannte Lebensweise schließen können; denn die direkten Beobachtungen hierüber sind selbst bei den symphilen Termiten- gästen bisher noch sehr spärlich. In der Liste der physogastren Staphyliniden (S. 133) ist Phxlotermes zu streichen (nicht physo- gaster) und Xenista durch Xenistusa zu ersetzen. Beizufügen wären noch: Termitomorpha, Termitophya, Termitochara, Termitotropha, Termitogaster, Termitana, Termitopulex und Termitotelus‘*). Ich möchte ferner hervorheben, dass wir bisher noch keine physogastren Staphyliniden aus der indischen und australischen Fauna kennen, sondern nur aus Amerika (neotropische Region) und Afrika. Unter XIII. Kap. (Allgem. Ztschr. f. Entomol. Bd. VII). 14) Letztere beide Gattungen sind Übergangsformen zu den eigentlich physo- gastren Genera. Wasmann, Escherich’s neue Termitenstudie. 293 mt Kiefertaster zu erwähnen ’’), welche wahrscheinlich bei der Auf- forderung zur Fütterung eine Rolle spielt. Zu dem Vergleiche, welchen Escherich (S. 135) zwischen Xenogaster Wasm. und Termitomimus Trägh. bezüglich der Histologie der Exsudatknospen zieht, ist zu bemerken, dass auch bei Xenogaster unterhalb der Exsudatknospen die Hypodermis weit zurückgezogen ist und das symphile Sekret gleichsam filtriert !%). Das Exsudat selbst scheint bei beiden Gattungen etwas verschieden zu sein: bei Xenogaster ein direktes Derivat der Blutflüssigkeit, bei Termitomimus (nach Trägärdh) wahrscheinlich ein direktes Derivat des Fettgewebes. Die feinen Körnchen, welche Trägärdh innerhalb der Exsudat- knospen von Termitomimus zahlreich fand, fehlten bei Xenogaster auf meinen Schnitten stets, während jenseits des Septums der Hypodermis die Körnchen des Blutgewebes dichtgedrängt waren. Der S. 137 erwähnte Termes tubicola ist synonym mit frans- vaalensis Sjöst. Die termitophilen Histeriden der Gattung Mono- plius, welche mit ihren Larven in den oberirdischen Teilen der Hodotermes-Nester Südafrikas leben !”) und Termiten fressen, konnten Escherich noch nicht bekannt sein. Für die Abbildung von Ter- mitoxenia bezw. Termitomyia (S. 139) würde es sich empfehlen, außer der stenogastren Form auch die physogastre abzubilden, um den riesigen Unterschied beider zu zeigen!®), Recht interessant ist die Erörterung der „Umwandlung von Ameisengästen in Ter- mitengästen“ (S. 142ff.) und der verschiedenen Hypothesen über die Bedeutung der Protozoen im Termitendarm (S. 148). Das sechste Kapitel (S. 155—168) behandelt die Beziehungen der Termiten zum Menschen, d. h. ihren Nutzen und Schaden. Da die Termiten die Totengräber der Pflanzenwelt sınd und Holz, Papier u. s. w. gleich den übrigen Pflanzenleichen behandeln, ge- hören sie zu den ärgsten Feinden der menschlichen Zivilisation in den Tropen. Ihr Nutzen als Nahrung der Eingeborenen, als Eı- bauer von Back- und Hochöfen für dieselben, u. s. w. verschwindet gegenüber ihrer großen Schädlichkeit. Auch die anzuwendenden Vorbeugungs- und Vertilgungsmaßregeln werden von Escherich näher angegeben. Der Anhang (S. 169-179) gibt eine gedrängte Übersicht über die Systematik der Termiten. Innerhalb der Termitini werden 19 Gattungen, hauptsächlich auf Grund der Soldatenform, 15) Die Myrmekophilen und Termitophilen, 1895, S. 422. 16) Zur Kenntnis des echten Gastverhältnisses, Biol. Centralbl., 1903, S. 302. 17) Siehe den Abschnitt „Termitophilen“ in I. Sch ultze, Forschungsreise, I. S. 442ff. und Taf. XXIIa. Dort habe ich auch eine Übersicht über die Hodo- termes-Gäste gegeben. 18) Vgl. z.B. Biologie und Entwickelungstheorie (3. Aufl., Taf. V), die Figuren von Termitoxenia Assmuthr. 224 Wasmann, Escherich’s neue Termitenstudie. unterschieden. Die Gattung Oylindrotermes Holmgren!’), welche in dieser Übersicht fehlt, wäre an den Schluss der zweiten Gruppe, S. 176 nach Lewcotermes zu setzen. Einige Nachträge folgen S. 180—185. Dieselben behandeln den Unterschied zwischen Männchen und Weibchen, die Funktionen der Soldaten, eine Termitenschlacht, eierlegende Soldaten und end- lich psychologische Fragmente über das Orientierungsvermögen der Termiten und das Erkennen von Freund und Feind. Ein Literaturverzeichnis enthält die wichtigsten ein- schlägigen Arbeiten in alphabetischer Reihenfolge der Autoren und in chronologischer Reihenfolge bei jedem Autor. Nachzutragen wären noch: Berg, Carlos: La vida y costumbres de los Termitos. Buenos-Aires 1880. Kolbe, H.: Neue myrmekophile Käfer Afrikas aus der Gruppe der Cremasto- chilinen°°). (Annal. Soc. Ent. Belg. LI, 1907, S. 363—369). Petch, T.: Insects and fungi (Science Progress, Nr. 6,. Oct. 1907). Porter, J. F.: Trichonympha and other parasites of Termes flavipes (Bull. Mus. Compar. Zool. Harvard College XXXI, Nr. 3, 1897, S. 47—68 mit 5 Taf.). Pujiula, J.: Los termitos de los Alrededores de Tortosa (Bol. Soc. Aragon. d. Cienc. Nat. III, Nr. 1—4, 1904). Soerensen, W.: Traek af Nogle Sydamerikanske insecters biologi. Termiter (Entom. Tidskr. V, 1884, mit 1 Taf., Separ. 35 S.). Wasmann, E.: 1. Einige neue Termiten aus Oeylon und Madagaskar, mit Be- merkungen über deren Gäste (Wien. Entom. Ztg. 1893, 7. Heft, S. 239— 247). — 2. Uber termitophile Cicindeliden (Deutsch. Entom. Zeitschr. 1895, II, Ss. 289— 290). — 3. Die moderne Biologie und die Entwickelungstheorie, 3. Aufl., Freiburg i. B., 1906 (Uber Termitophilen handelt Kap. II, S. 35—45, Kap. X, 8. 355—365, 3855 392 u. Taf. IT uV). — 4. Zur Kastenbildung und Systematik der Termiten (Biol. Centralbl. XX VIII, 1908, Nr.:3, S. 6773). — 5. Termitophilen. Ein neues termitophiles Staphylinidengenus nebst anderen Bemerkungen über die Gäste von Hodotermes (L. Schulze, Forschungsreise im westl. u. zentral. Südafrika). 1 Taf. Jena 1908. Ein gutes Autorenregister und ein Sachregister schließen das Buch und erleichtern den Gebrauch desselben °!). Es sei noch- mals empfohlen. 19) Studien über südamerikanische Termiten, 1906, S. 22. F 20) Die neuen Trichoplus sind Hodotermes-Gäste. Enthält auch eine Über- sicht über die myrmekophilen und termitophilen Cremastochilinen. 21) Das Druckfehlerverzeichnis, das beigelegt ist, wäre um folgende Punkte zu vermehren: Bei „Termes“ lucifugus und flavipes muss es stets heißen Leucotermes (S. 12, 37, 49, 50, 57 ete.; vgl. S. 174); S. 10 (Figurenerklärung) Capritermes speciosus; S. 132 Rhopalomelus; S. 133 Xenistusa; S. 134 Ter- mitoph ya; S. 136 Chaetopisthes; S. 144 Cubitermes statt „Termes“ (fungifaber); S. 176 T. lucifugus Rossi. (Zu Leucotermes sind nach Desneux, Isoptera, p. 33, neun oder zehn Arten zu stellen.) Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen. Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Bd. XxXIıx. 15. April 1909. A 8. Inhalt: Fitting, Entwickelungsphysiologisches Problem der Fruchtbildung (Schluss). — Frisch- holz, Zur Biologie von Hydra (Fortsetzung). — Doflein, Probleme zur Protistenkunde. — Behrens, Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten. Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. Von Hans Fitting (Strafsburg i./E.). (Schluss). Überblickt man die mitgeteilten Beobachtungen und Versuche, so ist es sehr auffällig, dass sie sich immer nur auf die Verände- rungen derjenigen Blütenteile beziehen, die zur Fruchtbildung selbst beitragen, während alle anderen so gut wie gänzlich unbeachtet geblieben sind. Hier habe ich nun mit eigenen Untersuchungen auf meiner Tropenreise eingesetzt. Meine Vermutung, dass die Blüten tropischer Orchideen, deren aitionome Postflorationsvorgänge sich besonders auffällig durch die oben beschriebenen Veränderungen von den autonomen Abblühprozessen unterscheiden, zum Ausgang solcher Studien sehr geeignet seien, hat dabei in jeder Hinsicht eine Bestätigung gefunden. Da ich entsprechend der herrschenden Meinung glaubte an- nehmen zu dürfen, dass in der Blüte auch die Veränderungen, die mit der Fruchtbildung nicht direkt in Verbindung stehen, wie z. B. das vorzeitige Welken und das Schwellen des Gynostemiums, von - dem gekeimten Pollen, d. h. von den Pollenschläuchen, abhängig seien, so stellte ich mir zunächst die Frage, ob ich nicht einige dieser Veränderungen durch andere Anlässe als die Pollenschläuche würde auslösen können. Die zu ihrer Beantwortung unternommenen XXIX. 15 226 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. Versuche führten unerwartet schnell zum Ziele. Als ich nämlich etwas Flusssand vulkanischen Ursprungs auf die Narben kurze Zeit zuvor aufgeblühter Blüten von Rhynchostylis retusa brachte, schlossen sich und welkten die Blüten schon nach wenigen Tagen, während die Kontrollblüten fast einen Monat länger frisch blieben. Irgend- welche Schwellungsvorgänge am Gynostemium oder Fruchtknoten waren aber durch den Sand nicht ausgelöst worden: nur die Blüten- dauer war wesentlich und zwar fast ebenso sehr wie durch den Pollen verkürzt worden. Auch bei allen den anderen mir zugäng- lichen Orchideenarten, deren Blütendauer durch die Bestäubung auffällig verkürzt wird, nämlich bei Phalaenopsis amabilis, violacea, Esmeralda, Dendrobium superbum, Oncidium incurvum und Aerides odoratum, mit einziger Ausnahme von Vaunda tricolor hatte der Sand diese Wirkung. Bei anderen Formen dagegen, bei welchen der Pollen keinen sehr auffälligen Einfluss auf die Blütendauer hatte, versagte auch der Flusssand. An diese Beobachtungen schlossen sich naturgemäß eingehende Versuche, um zu ermitteln, worauf der Einfluss des Sandes beruht. Es stellte sich heraus, dass bei allen erwähnten Arten auch eine geringfügige Verwundung der Narbe, sei es durch Einschnitte oder Einritzungen in das Narbengewebe, sei es durch Abwischen des Narben- schleimes und der Narbenpapillen die Blütendauer ähnlich wie die Bestäubung abkürzt, ohne Schwellung des Säulchens und des Fruchtknotens auszulösen, dass aber Verwundungen der anderen Teile des Säulchens, selbst wenn sie sehr schwer sind, entweder ganz ohne Wirkung bleiben oder einen weit geringeren Einfluss auf die Dauer der Blüte ausüben. Durchschneidet man z. B. bei Rhynchostylis retusa oder Phalaenopsis amabilis das ganze Gyno- stemium unterhalb der Narbenhöhle, so bleiben die Blüten noch lange frisch. Dasselbe ist der Fall, wenn man in die Oberseite der Gynostemien in der Höhe der Narbe viele, wenig tiefe Ein- schnitte macht oder hier die ganze Epidermis abschabt. Dagegen wird die Blütendauer abgekürzt, wenn die Schnitte von der Ober- seite des Gynostemiums tief ins Gewebe des Säulchens bis nahe an die Gefäßbündel oder an das eigentliche Narbengewebe einge- drungen sind. Bei den übrigen Arten, bei denen solche Versuche gemacht werden konnten, bestehen ähnliche, doch nicht ganz so scharfe Unterschiede zwischen dem Einfluss der Verwundung der Narbfläche und dem der Verletzung anderer Teile des Gynostemiums. Verwundung anderer Blütenteile wie des Säulchens bleibt immer ohne jeden Einfluss auf die Blüte. Auch vermag die Verwundung der Narbe ebenso wie der Flusssand die Blütendauer nur bei denjenigen Formen abzukürzen, bei denen der Pollen eine solche Wirkung hat. Vielerlei spricht dafür, dass der Flusssand deshalb auf die Blütendauer einwirkt, weil er das Narbengewebe irgendwie schädigt. Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. 237 Um zu übersehen, welcher Art die Beziehungen zwischen der Narbenverwundung und dem Abwelken der Blüten sein können, wird es zunächst einmal nötig sein, einen kurzen Blick auf den ausgelösten Abblühvorgang selbst zu werfen. Er unterscheidet sich, wie genaue Untersuchung lehrt, von dem Abblühvorgang, der nach Ablauf der normalen Blütendauer bei Ausschluss der Bestäubung autonom eintritt, nur dadurch, dass er vorzeitig beginnt und abläuft. Infolgedessen kann die Abkürzung der Blütezeit durch die Be- stäubung oder durch die Verwundung der Narbe nicht einfach darauf zurückgeführt werden, dass diese Umstände schlechthin irgendeinen deletären Einfluss auf die Blüten ausüben. Der Ein- fluss der Bestäubung und Verwundung kann vielmehr offenbar nur so aufgefasst werden, dass dadurch ein Teil- und Endprozess der Blütenentwickelung früher als autonom ausgelöst wird. Aber nicht einfach um eine Beschleunigung des Ablaufes der Blütenentwicke- lung kann es sich dabei handeln. Darauf weist ein kleiner, aber wichtiger Unterschied zwischen autonomer und aitionomer Post- floration deutlich hin: Während nämlich die autonome Postfloration erst dann beginnt, nachdem die Blumenblätter während der Blüte- zeit bis zu einer gewissen Größe herangewachsen sind, lässt sich diese Wachstumsphase bei der aitionomen Postfloration völlig aus- schalten. Man kann durch Bestäubung oder durch Verwundung der Narbe in kurzer Zeit solche Blüten zum Welken bringen, die gerade erst angefangen haben, sich zu öffnen. Ein besonders auf- fälliges Wachstum der Blütenblätter geht dem Abwelken alsdann nicht voraus. Hierdurch aber gibt sich das induzierte vorzeitige Abblühen nicht als eine aitionome Beschleunigung, sondern als Vorgang einer aitionomen Entwickelungsumschaltung zu erkennen: die Phase der fortschreitenden Entwickelung wird durch die Be- stäubung oder durch die Verwundung der Narbe abgebrochen, die nächstfolgende Phase, das Verwelken, wird eingeschaltet. Die Be- stäubung oder die Verwundung wirkt nur als auslösender Anlass der Umschaltung. j In dem theoretischen Abschnitte meiner eingehenden Arbeit habe ich einige Beispiele von induzierten Entwickelungsumschaltungen aus dem Pflanzenreiche angeführt, denen sich der Abblühvorgang an die Seite setzen lässt. Hier will ich mich darauf beschränken, darauf hinzuweisen, dass sich auch manche Vergleichspunkte zwischen der Auslösung des vorzeitigen Vergehens der Blüten und der Aus- lösung der Eientwickelung finden lassen. Bei den Orchideenblüten wird normalerweise ein Anstoß zum Ablaufe von Entwickelungs- vorgängen gegeben durch die Bestäubung und ihre Folgen, bei der Eizelle durch die Befruchtung. In beiden Fällen lässt sich die Bestäubung und Befruchtung ersetzen durch andere Anlässe. Ein Unterschied besteht nur in der Art der ausgelösten Reaktion: 152 298 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. In der Blüte wird durch die Bestäubung Vergehen und Verwelken, in der Eizelle durch die Befruchtung eine aufsteigende Entwicke- lung veranlasst. Unter dem vorherrschenden Einfluss physikalisch- chemischer Auffassungen vitaler Vorgänge hat man sich daran ge- wöhnt, das Wesen der Entwickelungsauslösung in der Eizelle in einer Beschleunigung eines solchen Vorganges zu erblicker, der in der unbeeinflussten Eizelle unendlich langsam verläuft, infolge- dessen niemals von selbst eintritt. Die Frage scheint mir mit Rücksicht auf meine Beobachtungen durchaus berechtigt und einer Untersuchung wert, ob diese Ansicht haltbar ist, ob nicht vielmehr auch in der Eizelle eine Umschaltung maßgebend ist. Doch dies nur nebenher. Haben wir hiermit einen festen Standpunkt zur Beurteilung des vorzeitigen Abblühvorganges gewonnen, so müssen wir nun weiter versuchen, einen Einblick ın die auslösenden Faktoren zu tun. Da drängt sich zunächst die Frage auf: wie kommt es, dass die Verwundung der Narbe, nicht aber anderer Gynostemienteile die Blütendauer abkürzt?? Am wahrscheinlichsten ist es, dass bei der Verwundung der „Wundreiz“, d. h. ein Komplex zurzeit nicht näher analysierbarer, durch jede Verwundung geschaffener Einflüsse die Auslösung zur Folge hat. Dann müsste dieser Reiz aber von der Narbe aus in die verwelkenden Blütenblätter geleitet werden. Dass nicht schlechthin irgendwelche Diffusionsvorgänge an der Transmission beteiligt sein können, geht schon aus der Länge des Weges von der Narbe zu den Blütenblättern und aus der Schnellig- keit deutlich hervor, mit welcher die Welkvorgänge der Verwundung folgen. Alles drängt also zu der Annahme, dass bei den Blüten der Orchideen enge Reizbeziehungen besonderer Art zwischen der Narbe und der übrigen Blüte bestehen, dass die Narbe das Per- zeptionsorgan bei diesen Reizvorgängen ist und dass das Perzeptions- vermögen für den Wundreiz auf die Narbe lokalisiert ist. Wir kennen bei Pflanzen manche andere Fälle, wo durch Reizung der Reaktionszone oder der Gewebe zwischen Reaktions- und Per- zeptionszone eine Reaktion nicht ausgelöst werden kann. Nur bietet die Trennung der Perzeptions- und Reaktionszone in der Blüte in vieler Hinsicht ein besonderes Interesse dar. Einmal für die Auf- fassung der Funktionen der Blütenteile: Die Narbe erscheint danach nicht bloß als das Organ, befähigt den Pollen zu „empfangen“ und seine Keimung zu ermöglichen, sondern als ein Organ von viel größerer Bedeutung für die ganze Blüte, indem sie die Fähigkeit erhalten hat, bestimmte Einflüsse zu perzipieren und nach erfolgter Perzeption durch Reizleitung Entwickelungsumschaltungen in den übrigen Blütenteilen auszulösen, die für das Blütenleben sehr wichtig sind. Von Interesse ist die Aufdeckung dieser seltsamen Beziehungen Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. 229 aber auch für die allgemeinen entwickelungsphysiologischen Probleme an der Blüte. Denn sie weist augenscheinlich darauf hin, dass manche Veränderungen, welche an den Blütenteilen infolge der Bestäubung erfolgen, schon von der Narbe aus induziert werden können. Das Hauptinteresse konzentriert sich im Hinblick darauf nun naturgemäß auf die Fragen, ob der Einfluss, den die Verwundung der Narbe auf die Blüte hat, in irgendeiner Weise auch durch den Blütenstaub auf die Narbe ausgeübt werden kann. Es gelang mir, meine Untersuchungen in dieser Richtung erfolgreich fortzusetzen. Einige gelegentliche Beobachtungen drängten nämlich zu der Frage hin, ob nicht der ungekeimte Pollen schon die Blütendauer der Blüte abkürzt. Würde das so sein, so wäre mit großer Wahr- scheinlichkeit anzunehmen, dass die Wirkung des Pollen auf einem chemischen Einflusse beruht, und schiene die Möglichkeit gegeben, die Art dieses chemischen Einflusses näher zu erforschen. In der Tat zeigten entsprechende Versuche, dass nicht nur ungekeimter, sondern auch abgetöteter Pollen bei ganz verschiedenen Gattungen und Arten die Blütendauer abkürzt. Und nicht allein das! Die in Chloroform oder Wasserdampf abgetöteten Pollinien veranlassen, wenn sie auf die Narben übertragen werden, auch die Schließung der Narbe und die Verschwellung des Säulchens, ja bei einer Gruppe von Arten, nämlich bei Arachnanthe Sulingi, Rhynchostylis retusa und Aerides odoratum, nicht dagegen bei Phalaenopsis amabilıs, Ph. cornu cervi, Ph. violacea, Cymbidium Finlaysonianum, Coelogyne Swaniana, Stanhopea sp. und Zygopetalum Makayi sogar eine ge- wisse, wenn auch nicht beträchtliche Verlängerung und Anschwellung des Fruchtknotens, allerdings ohne das Wachstum der Plazenten und der Samenknospen anzuregen. Bisher habe ich keine Orchidee kennen gelernt, bei der der tote Pollen nicht die Blüten be- einflusst hätte, vorausgesetzt nur, dass der lebende Pollen ent- sprechende Veränderungen hervorruft. Sehr wichtig ist der Nachweis, dass auch die lebenden und toten Pollinien fremder Arten und "Gattungen, ja sogar fremder Unter- familien die Blütendauer abkürzen und die Gynostemien zur Ver- schwellung bringen, aber nur bei den Formen, bei welchen der eigene Pollen die gleiche Wirkung hat. Und besonders merkwürdig ist die Tatsache, dass solcher lebender oder toter Pollen, der bei der eigenen Art keine auffälligen Veränderungen in der Blüte aus- löst, bei anderen Arten und Gattungen schnell die Blüte zum Welken und die Gynostemien zur Verschwellung bringt. Eine entsprechende Reaktionsbefähigung muss eben vorhanden sein. Daraus ist aber ersichtlich, dass der tote Pollen nicht schlechthin Schwellung be- liebiger Narbengewebe veranlasst, mit denen er in Berührung ge- bracht wird. 230 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. Nicht immer sind übrigens die arteigenen Pollinien diejenigen, deren Wirkung am intensivsten ist: so schwollen die Fruchtknoten von Arachnanthe Sulinge und Rhynchostylis etwas stärker nach Be- stäubung der Narben mit toten Pollinien von Aerides odoratum, als bei Bestäubung mit eigenen Pollen. Weitere Fortschritte meiner Studie knüpfen an die Beobach- tung an, dass die Wirksamkeit des toten Pollen eng von der Art der Abtötung abhängt. Während der Pollen, den man in strömen- dem Wasserdampf abtötet, fast ebenso wirkt wie lebender, ist in kochendem Wasser getöteter Pollen ganz ohne oder fast ohne Wirkung. Dieser Unterschied fand eine sehr einfache Erklärung durch den Nachweis, dass der wirksame chemische Körper in kochendem Wasser leicht löslich ist: die Pollinien geben ihre Be- fähigung, auf die Blüten zu wirken, an das zur Abtötung benutzte Wasser ab. Engt man das Lösungsmittel auf ein kleines Volum ein, so erhält man einen Extrakt, der die gleichen Veränderungen in der Blüte auslöst, wie der in Wasserdampf abgetötete Pollen. Überblicken wir alle die Beobachtungen, die in den Versuchen mit abgetötetem Pollen und Pollenextrakt von mir gemacht wurden, mit Rücksicht auf ihre Bedeutung für die allgemeinen entwickelungs- physiologischen Probleme, welche uns die Fruchtbildung zu lösen aufgibt, so können wir folgende Sätze als gesichert ansehen: Auf- fällige Veränderungen der Blütenteile, welche Folgen der Bestäubung sınd, können schon von der Narbe aus veranlasst werden; es bedarf dazu nicht einmal der Keimung des Pollen. Selbst solche Ver- änderungen, die auf die Fruchtbildung direkt hinzielen, wie die Schwellung der Fruchtknotenwand, können, und dies halte ich für besonders wichtig, schon von der Narbe aus, wenn auch nur in geringem Maße durch den ungekeimten Pollen ausgelöst werden. Dass solche Beziehungen auch in den Blüten anderer Familien be- stehen, darauf scheint die nicht weiter verfolgte und nicht ein- deutige Beobachtung Massart’s (1902), die ich oben schon erwähnte, hinzuweisen, dass bei Kürbissen Belegung der Narbe mit zerriebenem Pollen die Schwellung des Fruchtknotens ein wenig anregte. Und endlich ıst es mir zum ersten Male mit Sicherheit gelungen, aus einem Pflanzenteil, dem Pollinium, chemische Stoffe zu extrahieren, die, von den übrigen Zellteilen durch Filtration befreit, sehr auf- fällige normale Gestaltsveränderungen an anderen Gewebeteilen, nämlich das Abblühen der Blüten, die Verschwellung der Gyno- stemien und (bei einigen Arten) eine gewisse Verschwellung der Frucht- knoten hervorruft. Sehr eigenartig und mit Rücksicht auf das Fehlen eines Zirkulationssystems in der Pflanze von großem Inter- esse ist es aber, dass die chemischen Stoffe im Pollinium wenigstens einen Teil dieser Veränderungen nicht dadurch bewirken, dass sie direkt mit den beeinflussten Organen, wie dem Fruchtknoten und Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. 231 den Blütenblattteilen in Berührung kommen, sondern dass sie dies ähnlich wie der Wundreiz durch eine korrelative Verkettung unbe- kannter Art zwischen der Narbe und den anderen Blütenteilen tun. Nur für die Schwellung der Narbe und unter Umständen der Gyno- stemiumspitze könnte ein direkter Reizeinfluss der wirksamen Stoffe auf das Zellgewebe in Betracht kommen. Zum mindesten um das Abblühen der Blüten auszulösen, muss vielmehr ein ähnlicher Reizleitungsmechanismus in Anspruch ge- nommen werden, wie er nach einer Verwundung der Narbe zwischen der Narbe und den anderen Blütenteilen in Tätigkeit trat. Darauf weist wieder der lange Weg hin, der von der Narbe bis zu den Blütenblättern zurückzulegen ist. Die volle Wirkung der toten Pollinien tritt nämlich auch dann noch hervor, wenn der Pollen nur mit der äußersten Spitze der Narbe in Berührung gebracht wird und wenn man von den unteren Teilen der Narbenfläche das Narben- sekret völlig entfernt. Dagegen besteht insofern ein wichtiger Unterschied zwischen dem Einflusse der Verwundung und der Pollinien, als die Verwundung allein oder hauptsächlich dann Ein- fluss auf die Blüte hat, wenn sie die Narbenfläche betrifft, während die toten Pollinien auch dann noch die charakteristischen Verände- rungen an der Blüte auslösen, wenn man sie ausschließlich mit Teilen des Griffelkanals in Berührung bringt. Der Nachweis, dass sich aus den ungekeimten Pollinien che- mische Stoffe extrahieren lassen, die eine ganze Anzahl .der auf die Bestäubung folgenden Umbildungen der Blütenteile auslösen, legt die Frage von neuem sehr nahe, ob nicht auch die Pollen- schläuche oder die wachsenden Embryonen oder Samenanlagen, wo sie nachweislich die Fruchtbildung beeinflussen, in ähnlicher Weise durch irgendwelche ausgeschiedene chemische Stoffe wirken. Besonders bei den Orchideen wird zu untersuchen sein, ob nicht die Schwellung des Fruchtknotens, soweit sie auf die Pollen- schläuche zurückgeführt werden muss, durch die gleichen Körper ausgelöst wird, die schon im ungekeimten Pollinium präformiert waren. Auch darauf habe ich natürlich mein Augenmerk gerichtet. Ganz entschieden ist diese Frage für die Orchideen aber noch nicht. Denn ich habe bisher nicht feststellen können, ob der wirksame Pollinienextrakt auf die Fruchtknoten schwellend wirkt, wenn man ihn in die Fruchtknotenhöhlung einspritzt. Immerhin aber darf ich sagen, dass meine sonstigen Beobachtungen der Annahme nicht günstig sind, dass die Pollenschläuche auf den Fruchtknoten durch den gleichen Körper wie die Pollinien auf die Blüten einwirken. Wenn man nämlich bei Phalaenopsis amabilis, einer Art, bei welcher Bestäubung der Narbe mit totem Pollen die Blütendauer ab- kürzt und das Gynostemium, nicht aber den Fruchtknoten ver- schwellen macht, tote Pollinien in den weiten Griffelkanal bis zur 232 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. Mündung der Fruchtknotenhöhle hineinstößt, so wird dadurch die Fruchtknotenwand nicht einmal an dieser Stelle zu erneutem Wachs- tum angeregt. Ferner konnte ich bei der gleichen Art experimentell feststellen, dass die Pollenschläuche auch so lange in gar keiner Weise auf den Fruchtknoten schwellend wirken, als sie nicht in den Fruchtknoten selbst eingedrungen sind. Verstopft man nämlich mit einem kleinen Wattepfropf den Eingang der Fruchtknotenhöhle vor der Bestäubung der Narbe mit lebenden Pollinien, so wachsen die Pollenschläuche durch den Griffelkanal bis zu dem Wattepfropf am oberen Fruchtknotenende. Der Fruchtknoten schwillt aber nicht im mindesten. Hier werden weitere Untersuchungen später einzu- setzen haben. Nachdem es mir gelungen war, aus den Pollinien wirksame Stoffe zu extrahieren, konzentrierte sich natürlicherweise mein Haupt- interesse auf die Ermittelung der Natur dieser Substanzen. Sehr erleichtert wurden die weiteren Nachforschungen in dieser Richtung durch die Beobachtung, dass die wirksamen Körper schon in kaltem Wasser sich aus den Pollinien lösen lassen, ohne dass das Wasser die im Zellsafte der Pollenkörner gelösten Stoffe extrahiert. Diese Tatsache in Verbindung mit den Ergebnissen einiger Versuche, die ich hier übergehen kann, nötigte zu der verblüffenden Auffassung, dass die wirksamen Substanzen überhaupt garnicht in den Pollen- körnern sich befinden, sondern dass sie die Oberfläche der Pollinien und der Pollenkörner zusammen mit in Wasser unlöslichen, mikro- skopisch nachweisbaren Substanzen, dem sogen. Visein, überziehen. Darauf komme ich später noch einmal in anderem Zusammenhange zurück. Die in kaltem Wasser in Lösung gehende Stofimenge besteht nun nicht etwa aus einem einheitlichen Körper: Mit absolutem Alkohol lassen sich zwei Stoffgruppen trennen. Die eine, in dem Alkohol nicht fällbar, ist es, welche die Gynostemien zur Schwellung bringt und die Blütendauer abkürzt. Die andere, in dem Alkohol fällbare ist aber merkwürdigerweise auch nicht ganz wirkungslos auf die Blüten: sie lässt die Blüten von Phalaenopsis amabilis ab- welken, ohne die Schwellung des Gynostemiums auszulösen. Beide Gruppen behalten selbst bei längerem Kochen ihre Wirksamkeit. Nur mit der ersteren habe ich mich näher beschäftigt. Das Ergebnis meiner weiteren analytischen Studien kann ich dahin zusammenfassen, dass der Körper, welcher die Blütendauer abkürzt und die Gynostemien schwellen macht, in den Orchideen- pflanzen nur innerhalb der Anthere vorkommt und dass es eine organische Verbindung ist, die in kaltem und heißem Wasser leicht, in Alkohol schwerer löslich, mit Alkohol aus wässeriger Lösung nicht ausfällbar und hitzebeständig ist, die Fehling’sche Lösung auch nach Kochen mit Salzsäure nicht reduziert, mit Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. 233 Bleiazetat keine Fällung gibt und, nach mehreren Analysen zu urteilen, höchstwahrscheinlich auch stickstofffrei ist. Alle che- mischen Substanzen, die auf ihre Wirksamkeit geprüft wurden, ergaben völlig negative Resultate, so z. B. Diastase, Mannit, Dextrin, Bernsteinsäure, Oxalsäure, Apfelsäure, Weinsäure und Zitronensäure. Ist es somit auch noch nicht gelungen, die Natur des wirksamen Stoffes aufzuhellen, so lassen doch meine Beobach- tungen mit Sicherheit den Schluss zu, dass ein Enzym nicht ın Betracht kommen kann. Denn alle Enzyme, die wir aus den Orga- nismen kennen, haben in der unreinen Form freilich, in der wir sie bisher nur gewinnen können, ganz andere Eigenschaften. Zu- dem habe ich mit den Enzymen, die in der üblichen Weise aus zerriebenen Pollinien extrahiert worden waren, keinerlei Ver- änderungen an den Blüten auslösen können. Dieses Ergebnis ist in zweierlei Richtung von Interesse: einmal deshalb, weil es dazu beiträgt, die immer noch weitverbreitete An- nahme zu erschüttern, dass hauptsächlich Enzyme („Wuchsenzyme‘*) als gestaltsbeeinflussend in Betracht kämen, und zweitens deshalb, weil die neueren Untersuchungen über die merkwürdigen Körper, die im Tierkörper Anlass zu chemischen Korrelationen geben, wie über das Sekretin, welches in gewissen Darmabschnitten entstanden die Pankreassekretion auslöst, über das Jodothyrin der Schilddrüse, über das Adrenalin der Nebennieren und über den Körper, welcher die Milchdrüsen nach Beginn der Embryobildung schwellen: macht, ganz ähnliche Resultate gehabt haben. So sind z. B. auch diese Körper hitzebeständig (vgl. hierzu Bayliss und Starling, 1906). Wichtig erschien des weiteren nach allen meinen bisherigen Beobachtungen eine Untersuchung darüber, welche der ermittelten Veränderungen an den Blütenteilen ausschließlich durch die den Pollinien anhaftenden chemischen Körper und welche auch durch andere Anlässe ausgelöst werden können. Es zeigte sich, dass der Abblühvorgang entschieden am wenigsten von diesen Stoffen allein abhängig ist. Er ließ sich nämlich auch, wıe ja schon erwähnt, durch Verwundung der Narbe, durch „Bestäubung“ mit vulkanischem Flusssande, bei Rhynchostylis ferner mit Speichel, bei Phalaenopsis amabilis mit 5°), Saccharose sowie durch lebenden oder toten Pollen der Zingiberacee Hedychium, der Malvacee Hibiscus und der Balsaminacee Impatiens hervorrufen. Die Schwellung der Gyno- stemien dagegen beobachtete ich nur noch bei Aerides unter dem Einflusse der Larve eines Insektes, die ein Loch in das Narben- gewebe gefressen hatte, sowie in geringerem Maße bei Bestäubung der Narben mit lebendem oder totem Pollen der Malvacee Abiscus. Die letzte Tatsache ist besonders wichtig, weil sie zeigt, dass ein wirksamer Stoff auch in den Antheren bei anderen Familien vor- kommt, und weil sie darauf hindeuten könnte, dass dieser Stoff 234 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. auch auf die Blüte von Hibiseus vielleicht in irgendeiner Weise einwirkt. Sind meine Untersuchungen einmal in der Hinsicht für die allgemeinen entwiekelungsphysiologischen Probleme an Blüte und Frucht von Interesse, weil sie uns einen weiteren und tieferen Blick in die äußeren auslösenden Faktoren tun lassen, so sind sie es weiter auch deshalb, weil sie manche Rückschlüsse auf die Korrelationen zwischen den Veränderungen der verschiedenen Blütenteile gestatten. Nach allen meinen Beobachtungen, die in Vorstehendem und in meiner ausführlichen Arbeit mitgeteilt sind, ist ersichtlich, dass diese Korrelationen nur sehr locker sein können. Die weitver- breitete Ansicht, dass die von der Bestäubung abhängige Post- floration in der Hauptsache ein einheitlicher Entwickelungsablauf sei, hat sich nicht bestätigen lassen; vielmehr hat sich herausgestellt, dass dieser Postflorationsvorgang bei den Orchideen augenscheinlich aus mehreren voneinander mehr oder weniger unabhängigen Teil- vorgängen sich zusammensetzt, die nur deshalb normalerweise sich kombinieren, weil die Bestäubung und ihre Folgen die richtige Kombination der auslösenden Außenumstände liefern. Eine engere Beziehung scheint nach meinen Untersuchungen höchstens zwischen der nachträglichen Vergrünung des Perianths und der Schwellung und Vergrünung des Fruchtknotens zu bestehen. Wenigstens habe ich die Vergrünung der Blütenblätter bei Phalaenopsis violacea nie- mals unabhängig von der Schwellung des Fruchtknotens, infolge- dessen auch nicht durch toten Pollen auslösen können. Für eine engere Vertretung spricht vielleicht auch die Beobachtung, dass die Blütenblätter erst dann zu vergrünen anfangen, wenn der Frucht- knoten zu schwellen und zu ergrünen begonnen hat. Die Beobachtung, dass die infolge der Bestäubung eintretenden Veränderungen der Blüte nicht unlösbar zu einem einheitlichen Ent- wickelungsvorgang aneinander gekettet sind, bestätigt für die Blüte aufs schönste die Auffassung, welche Klebs und Goebel bei einem Studium der ontogenetischen Entwickelung der Pflanze für andere Entwickelungsvorgänge gewonnen haben. Sie stellt für zukünftige Forschungen der Abblühprozesse bei anderen Familien die Forde- rung, diese Prozesse in ihre Einzelvorgänge zu zergliedern und die Einzelvorgänge auf die auslösenden Faktoren zurückzuführen. Für die richtigen Fragestellungen bei solchen Forschungen wird es schließlich nicht gleichgültig sein, welche Auffassung man sich über die Beziehungen zwischen den einwirkenden Einflüssen und den durch sie veranlassten Gestaltungsvorgängen bildet. Ich glaube, dass auch dafür meine Beobachtungen einige Anhaltspunkte geben. Schon oben wies ich auf die Ähnlichkeit hin, die in mancher Hinsicht zwischen der Auslösung des Abblühens und der Auslösung der Eientwickelung besteht. Diese Ähnlichkeit drängt zu Überlegungen Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. 935 darüber, ob sich nicht auch manche Parallelen zwischen der künst- lichen Auslösung der Wachstumsvorgänge des Fruchtknotens oder anderer Veränderungen an der Blüte und der Auslösung der par- thenogenetischen Eientwickelung ziehen lassen. Sie fordert in Ver- bindung mit der Tatsache, dass bei den Orchideenblüten die Narbe eine bevorzugte Perzeptionsstelle zur Auslösung solcher Verände- rungen in der Blüte ist, hauptsächlich zu einer Untersuchung der Frage auf, ob nicht durch Einwirkung anderer äußerer Reizanlässe (als des Pollen) auf die Narbe bei manchen Pflanzen eine aitionome Parthenokarpie auslösbar ist. Tatsachen, die mit Sicherheit auf die Möglichkeit einer solchen Induktion von Parthenokarpie hin- weisen, haben wir bisher nicht kennen gelernt. Wenn sonach die entwickelungsphysiologischen Probleme, welche Blüte und Frucht darbieten, auch viele weitere Untersuchungen erfordern, die unsere Einsicht in mehr als einer Richtung noch wesentlich zu vertiefen versprechen, so glaube ich doch, dass die Gesamtheit der nunmehr auf diesem Gebiete vorliegenden Beobach- tungen uns wenigstens die in prinzipieller Hinsicht wesentlichsten Aufschlüsse und die wichtigsten Fragestellungen für die weitere Arbeit geliefert haben. Wir wissen jetzt, dass in den Fällen, wo es überhaupt eines äußeren Anstoßes für die Umbildung der Blüte zur Frucht bedarf, die Auslösung dieser Umbildung zum Teil schon durch den ungekeimten Pollen und zwar durch eime an ıhm haftende organische Verbindung, die kein Enzym ist, zum Teil durch die wachsenden Pollenschläuche, zum Teil endlich durch das Wachstum der befruchteten Samenknospen erfolgt. Als ge- sichert darf ferner gelten, dass die Wirkung des Pollen und der anderen Außenreize nicht auf die Stellen beschränkt zu sein braucht, wo die Anlässe angreifen, dass vielmehr die Veränderungen der Blütenteile, ja sogar die Wachstumsprozesse des Fruchtknotens schon durch die Einwirkung der wirksamen Anlässe auf die Narbe eingeleitet werden können. Und endlich müssen wir mit der Tat- sache rechnen, dass viele Veränderungen, die an den Teilen der Blüte durch die Bestäubung und ihre Folgen hervorgerufen werden, untereinander entweder gar nicht oder nur locker korrelativ ver- kettet wird. Aufgabe weiterer Forschungen wird es nun auch sein müssen, festzustellen, wie weit bei den verschiedenen Familien Überein- stimmung in der Art der Auslösung der Fruchtbildung besteht. Dass wesentliche Verschiedenheiten vorkommen, dafür haben wir schon einige Anhaltspunkte. So machte August Schulz (1902, S. 555) bei Geranium pusillum die Beobachtung, dass die Aus- lösung des vorzeitigen Abblühens nicht mehr durch solchen Pollen bewirkt wird, der auf der Narbe kurz vor oder nach der Keimung durch Regentropfen zerstört worden war. Daraus scheint hervor- 256 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. zugehen, dass bei dieser Gattung die Pollenschläuche, nicht aber die ungekeimten Pollenkörner für die ersten Veränderungen der Blüte ausschlaggebend sind. — Die Vorgänge, die wır bei den Organısmen beobachten, be- dürfen nun nicht nur einer kausalen Erforschung, die eine Auf- gabe der Physiologie ıst. Sie fordern auch zu Betrachtungen ganz anderer Art auf, die das „Final“bedürfnis unseres Geistes uns stellt. Sie tragen teleologischen Charakter, indem sie zu bewerten, zu be- urteilen suchen, was die Lebensvorgänge und die Erfolge, die sie zeitigen, für den Organısmus leisten. So bleibt auch mir also noch übrig, einen Versuch zur Beantwortung der Frage zu unternehmen, ob die Tatsachen, die sich bei meinen Untersuchungen an den Orchideenblüten ergeben haben, von irgendwelcher Bedeutung für diese Pflanzen sein können und in welcher Richtung ıhr Nutzen zu suchen wäre. Besonders drängen zu einer Untersuchung ihres „Zweckes“ die auffallenden Tatsachen, dass schon der ungekeimte Pollen kurze Zeit, nachdem er mit der Narbe in Berührung ge- kommen ist, die Blüte abblühen macht und dass der wirksame chemische Körper nicht in, sondern auf den Pollenkörnern sich befindet, d. h. da, wo er sofort auf das Narbengewebe einwirken kann. Diese Tatsachen müssen den Eindruck erwecken, als käme es der Pflanze darauf an, dass die Blüten so schnell wie nur irgend möglich abblühen und dass die Narben sehr schnell verschlossen werden. Denn wäre den Pflanzen an dem Abblühen schlechthin gelegen, so könnte die Auslösung des Abblühvorganges z. B. auch durch die wachsenden Pollenschläuche bewirkt werden und noch dazu fast ebenso schnell wie durch den ungekeimten Pollen. In welcher Hinsicht könnte aber möglichst schnelles Verwelken der Blüten nach der Bestäubung von irgendwelchem Nutzen für die Pflanze sein? Für die bestäubte Blüte dürfte es ziemlich bedeutungslos sein, ob sie einen Tag früher oder später vergeht. Höchstens könnte der Verlust an organischer Substanz durch Atmung der Blüte ın Betracht kommen. Ob die Pflanze aber so ökonomisch arbeiten muss, ist mir sehr zweifelhaft. Dagegen sprechen mancherlei Be- obachtungen. Wäre diese Annahme richtig, so sollte man z. B. meinen, dass epiphytische Orchideen, deren Infloreszenzen Hunderte von Blüten produzieren, ihre Blüten ganz besonders schnell unter dem Einflusse des Pollen abwelken lassen müssten. Eine solche Regel besteht aber nicht. Ferner könnte man daran denken, dass das Atmungsmaterial nach Möglichkeit für die Fruchtbildung ge- spart werden soll. Da aber die Fruchtbildung bei vielen Formen, die nach der Bestäubung schnell ihre Blüten schließen, erst einsetzt, nachdem die Pollenschläuche in den Fruchtknoten eingedrungen sind, so wäre es völlig ausreichend, wenn die Abkürzung der Blüten- dauer ebenfalls durch die Pollenschläuche hervorgerufen würde. Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. ZA Ist also schnelles Abblühen für die bestäubte Blüte, wie es scheint, ziemlich bedeutungslos, so könnte es doch für die übrigen, noch Ste: bestäubten Sellöicht sehr wichtig sein. Schon oben habe ich erwähnt, dass nach meinen Beobachtungen und denen von Darwin (1877, S. 241ff.) und Forbes (1885, S. 3 fl.) der Frucht- ansatz bei vielen tropischen Orchideen sehr gering ist. Die Be- stäubung scheint bei manchen Arten zu den een zu gehören. Unter diesen Umständen werden für die Pflanzen alle = Ein- richtungen sehr vorteilhaft sein müssen, welche die Bestäubungs- möglichkeiten begünstigen. In diesem ein: wirkt z. B. die men Blütendauer. Das könnte nun auch für die möglichst schnelle Ans schaltung aller bereits bestäubten Blüten en Denn durch diese nd en wird es verhindert, dass eine der wenigen Blumen- besucher, an die die Blüten angepasst sind, eine bereits bestäubte Blüte besucht, die auch keine Pollinien mehr darbieten kann. Wären diese Überlegungen über den Nutzen der sehr seltsamen Beziehungen zwischen Pollen“ und Blüten bei den Orchideen richtig, so würden diese Beziehungen ein interessantes Schlussglied der früher erwähnten merkwürdigen Blüteneinrichtungen bilden, die wir seit Darwin’s Untersuchungen (1877) in dieser Familie kennen. Ich verfüge über kein genügendes Beobachtungsmaterial, um den ausgesprochenen Gedanken auf seine Richtigkeit prüfen zu können. Doch muss ich hervorheben, dass es auch ohnedies mir sehr zweifelhaft ist, ob er richtig sein kann Er macht es nämlich ganz und gar nieht ver- Sahdllich, warum die Pollinien auch ollehir Arten den wirksamen chemischen Körper enthalten, bei denen der Pollen weder eine Verschwellung der Narbe noch eine Verkürzung der Blütendauer auslöst. Alle diese Überlegungen scheinen mir darauf hinzuweisen, dass die von mir aufgefundenen Beziehungen zwischen Pollen und Blüten überhaupt keiner teleologischen Deutung fähig sind, weil sie eben der Pflanze keinen ersichtlichen Nutzen bringen. Ebenso schwer fällt es, einzusehen, warum die Blüten infolge einer geringfügigen Verwundung der Narbe oder des angrenzenden Gynostemiumgewebes abwelken. Man wird also erwägen müssen, ob nicht alle die Tat- sachen, die ich bei den Orchideen ermittelt habe, zu der großen ‚Gruppe derjenigen Lebenserscheinungen zu rechnen sind, De den Organismen weder nützen noch schaden. Gewiss muss Ted Orga- nismus im großen und im einzelnen so gebaut sein und so arbeiten, dass er sich behaupten und erhalten kann. Außer den in diesem Sinne „zweckmäßigen“ Einrichtungen des Organismus, deren Nutzen bei einer genügend tiefen Einsicht in das Lebensgetriebe sich beurteilen lässt, werden sich aber auch noch viele „zwecklose“ Eigenschaften em können, wenn sie einmal entstanden sind, vorausgesetzt, dass sie die Existenz des Organısmus nicht gefährden, obwohl sie 238 Fitting, Entwickelungsphysiologische Probleme der Fruchtbildung. nicht dazu beitragen, den Organismus erhaltungsfähiggr zu machen. Dass solche chen weiter verbreitet sind, als man früher annahm, nen viele Tatsachen nahezulegen, auf die man neuer- dings aufmerksam geworden ist. 1906. 1905. 1817. 1878. 1906. 1907. 1908. 1909. 1855. 1905. 1844. 1849. 1898. 1886. 1863. 1865. 1907. 1907. 1890. 1906. 1908. 1902. 1908. 1902. 1907. Zitierte Literatur. Bayliss, M. W. und Starling, E. H. Die chemische Koordination der Funktionen des Körpers. Ergebn. d. Phys. V, S. 664ff. Czapek, F. Biochemie der Pflanzen. Jena. II. Darwin, Ch. 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September Dauer | gestorben 10 60 stark 145) 3 in Kälte 12 75 schwach _ 13 4,5 ohne g 120 schwach 13 4 Durchlüftung 10a 14 hochgradig 6 0 in Zimmer 12a 6 mäßig 3 0 mit 9a 5 schwach 3 0 Durchlüftung (ab 14. September) Die Erholung war also eine sehr rasche; und besonders inter- essant war Kultur 10a, wo 14 Tiere aus hochgradiger Depression in 6 Tagen zu völlig normalem Zustande sich erholt hatten; be- sonders wichtig aber ist, dass kein einziges der Tiere in den durch- lüfteten Kulturen der Depression erlegen ist. 5) Tage. 240 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. ‘Die drei Nebenkulturen wurden im ganzen 40 Tage geführt, ohne Futter; 9a und 12a wurde nur 16 Tage durchlüftet, 10a dauernd. Die Kulturen gingen durch Verpilzung der Gläser und Hunger allmählich ein; Verpilzung ist eine regelmäßige Begleit- erscheinung auch bei allen späteren Durchlüftungen von längerer Dauer gewesen. Bei diesen Versuchen waren die kranken Tiere in neue Gläser mit frischem Wasser umgesetzt worden; es blieb also noch nach- zuweisen, ob dieser Wasserwechsel bedeutenden Einfluss habe. Es wurden deshalb endlich die Depressionskulturen 10, 12 und 13 selbst in Durchlüftung versetzt (20. September, s. Tabelle II S. 209). Kultur 10 hatte nur noch 12 Tiere in hochgradiger Depression; diese wären sicher in 1—2 Tagen abgestorben; in der Durchlüftung blieben aber sämtliche 12 Tiere am Leben und waren nach 7 Tagen wieder ganz normal; ebenso starb in 13 kein Tier mehr und die nur schwache Depression endete nach 4 Tagen. Kultur 12 dagegen erholte sich zwar auch innerhalb 7 Tagen von mäßiger Depression, doch starben in dieser Zeit noch ca. 4 Tiere täglich ab; ein Ver- halten, das bei keiner späteren Durchlüftung sich wiederholt hat und als einzelner Fall deshalb kein Gewicht hat. Diese Durchlüftungen hatten also ohne gleichzeitigen Wasser- wechsel ein ähnliches Resultat ergeben wie die Nebenkulturen 9a, 10a, 12a. Damit konnte es als sicher gelten, dass die Luftzufuhr das wesentliche an diesem Heilverfahren sei, event. mitwirkend die mechanische Bewegung des Wassers, die dabei stets erzeugt wird; Wasserwechsel allein, bei Uhrglaskulturen z. B. ist freilich der Er- holung auch förderlich, wie viele spätere Erfahrungen bestätigt haben; auch Krapfenbauer (1907) hat bei seinen Kulturen die Erholung aus Depression durch wiederholten Wasserwechsel erzielt; aber ich glaube die vorstehenden Versuche haben gezeigt, dass dabei immer die Anreicherung des Wassers mit Luft das wirksame ist, die ja auch durch Umgießen oder Schütteln erreicht werden kann. Es zeigte sich also Erhöhung des Luftgehaltes im Wasser durch künstliche Durchlüftung geeignet, selbst hohe Grade von Depressionen rückgängig zu machen; auch passive Bewegung der Depressionstiere scheint der Erholung günstig (vgl. S. 252). 8. Serie III und IV. (Hierzu Tabelle VII und VIII.) a) Anlage. Diese beiden Serien umfassen im ganzen 45 Kulturen, meist von H. grisea, den Verlauf der wichtigsten habe ich in Tabelle VII für Serie III und in Tabelle VIH für Serie IV graphisch dargestellt, kleinere unwichtige Hilfskulturen sind nicht dargestellt; darauf weist dann im Text stets die Bezeichnung Hilfskultur hin. Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 34 Serie III, eine Reihe von meist äußerst mühsamen und arbeits- reichen Kulturen, diente hauptsächlich der Heranzucht von neuem Material, außerdem der Zucht reiner Kulturen männlicher oder weiblicher Hydren (s. S. 155), sie stellt daher nicht eigentlich eine geschlossene Serie mit einheitlichem Versuchziel dar, mag aber im Interesse der Übersicht als solche zusammengefasst en Die Ende Oktober neu im Freien Ben H. grisea (mit fusca) (s. S. 184) wurden zunächst als Stammkultur 16 weiter ge- züchtet, von welcher bald eine zweite Stammkultur 25 abgezweigt wurde; beide blieben. dauernd in Zimmertemperatur; von - diesen zwei Kulturen stammt der größere Teil der Kulturen der Serie III; ein kleinerer von geschlechtsreifen Tieren, welche als solche im Freien gefunden wurden bezw. deren Nachkonimen (Isolations- kulturen). Ich glaube, eine ermüdende Schilderung aller dieser Abzweigungen, Über tragungen und Isolierungen ersparen zu können, wenn ich für jede a auf die Notizen verweise, welche den graphischen Darstellungen auf Tabelle VII beigegeben sind. Die Kulturen der Serie III wurden im Oktober und November zunächst in Zimmertemperatur geführt, mit Ausnahme von einigen Einzelkulturen geschlechtsreifer Tiere, welche in Kälte sich besser zu halten schienen (Kulturen 20,28 und Hilfskulturen 24, 30). Später- hin wurden die Kulturen (außer den zwei Stammkulturen) unter den verschiedensten Bedingungen weitergeführt, als Ergänzungen und Sicherung zu den Beobachtungen an der (seit 27. November) gleichzeitig geführten Serie IV. Im Dezember, Januar und Februar waren so 28, bezw. 36 und 40 Kulturen gleichzeitig in Beobachtung, welche eine Fülle bio- logischer Notizen lieferten, deren Sichtung und Beurteilung wieder ausgiebige Arbeit bot. Die Versuchsbedingungen für alle wichtigeren Kulturen sind am besten aus den graphischen Darstellungen in den Tabellen er- sichtlich; ich will nur im allgemeinen darauf hinweisen, dass in Serie III (Tabelle VII) die ersten drei Kulturen 16, 25, 43 von nicht geschlechtsreifen H. grisea ausgingen, während alle übrigen dargestellten Kulturen aus männlichen oder weiblichen AH. grisea und fusca gezüchtet wurden. Für Serie IV war, wie für I und H ein einheitliches Projekt der anzuwendenden Bedingungen entworfen, es sollte neben Tem- peratur und Fütterungseinflüssen besonders auch die Wirkung dauernder Durchlüftung zur Beobachtung kommen; dagegen wurden sämtliche Kulturen dieser Serie ohne Pflanze geführt (außer 53). Das Projekt wurde jedoch nicht streng eingehalten, nach Be- darf und Interessen wurden einzelne Änderungen getroffen. Im folgenden sind die projektierten Kombinationen von Bedingungen aufgezählt; die wichtigsten Abänderungen sind in Klammern bei- XXIX. 16 Ich. Ari HT, [Tispl Doegaplatil fi DM GEMLLA Le y% Sereanesuhaug von Voprettiouew Verüdeugeahl Aruchrbblug nad Voruperadusu. Alernug? Decemen Damman Ehruor Ö [9 Ichruuon vom Oeb. Lerifftinun Se, An 29. dam. rmugeretäl s a ———äng—— nn 1 are). (FAT) ——— lo (>®, 04 7 42} 3a 2 . A + Pr o = Ze Vene au ib vugerchat, (6.0) ne Armen - Ka Inner [nn ENSEHHEEEIE AT (55) Aw. Fohzlı wm, Sliere auı A6 (2 unmer]singetehit. (ar .Kt.) vmmen - Kölle - Jim. R x x en + ion. Aslunlichen Kr. Alien muk Kodew ungerecht 4 an dem Frei. (+A0°C.) ; Bi un -kade wealsslud Ange F B E NN at . Momubahe Wer, san mm MHıdew um deu a NL ne ame Freiun it DU immu-Kallle. 28 Auen „WE blicken Uaten. Alien nut Bivu u A.treiem tot) mach, Altos bil): 1, 20 vom Depressimn. e ‚ Gutterung : Kutdunz"Yorlauf: ; Tr % == z q a : IB AraahLd.Jeahl.Liere mnher ioh + Achwache Ban. 0 0A ziehen. MH ———; Nolan Bon u.“ GE ee a ae A Mae 4u (ab. FE m. UM ; BE le 685 Bozeinhueu Tawupe- FT } ra 25% +4 Ba u Keryari Gflunı z Aanha ehe Ver te ton, i u + sulomhe Fit. uk tHläge, Arisdequutg Kahl (eiäge]" Salunweehul, Tuigehit Mars dan . 254 u. 272. Eu L La zl® oz or z|® all rn 02 Tem Drmmdworlerg yo ma um mer = BRUSE h Eg Ve) LOEANITE = Rn) yes = + Ö ze D SE (NS Frw RN) x Ve DEE IT Pop ayanz krass ZH, 1 L io oe er Ks Lu e sarık N se DEDEERELH ISDEW I —— LH —h— nn \ — PO DEN, VII N br mung HER v+ OR EETS po werd 7 or T I287 = 7 ; or TG ne = o o = or . | R isE % e v 212 23 ® =E Eee a, ne rap Prag kr Dr ERETPTRE Popper or en eaagmen Irmrgnamnı ER 7 op m DRURLN 16* 944 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. beigesetzt. (O, bedeutet ständige Durchlüftung, s. a. Abkürzungen S. 191.) 3|KFO, 33IWFO, 34/|KF 39|WF (KR) 35|KHO, (WFO,) 4|WHO, 361KH 44I|WH (KF 37IKFd 42|ZF (Kontrollkultur) Diese zehn Kulturen wurden am 26. und 27. November aus 16 und 25 abgezweigt; je sechs schöne H. grisea (vier aus 16 und zwei aus 25) Sana in Gläser von je "/a1 Inhalt eingesetzt. In der Tabelle sind die Kulturen in anderer Reihenfolge dar- gestellt, um gewisse Zusammenhänge anschaulicher zu machen. Die Serie IV enthält außerdem noch zwei später angelegte Kulturen fusca (46, 47) aus der alten Stammkultur A zum Vergleiche mit den grisea-Kulturen; ferner Kultur 57 und 53, deren Zweck später erläutert wird; dann Hilfskultur 33a, 34a, 39a. 8b) Depressionen. Ich beginne mit der Betrachtung der Depressionen, ohne zu- nächst die Bildung von Geschlechtsprodukten näher zu berück- sichtigen. Beim Überblicken der Tabellen (s. Zeichenerklärung daselbst) fällt sofort bei den meisten Kulturen eine periodische Wiederholung von Depressionen (Zeichen +, ——+ und ——+--) auf, abwechselnd mit Perioden geschlechtlicher Ausbildung (9 und 5). Dies erinnert sofort an das Bild einer Lebenskurve von Stylonichia, wie es Popoff (1907) nach dem Verlaufe einer mehrere Monate geführten Kultur dieses Infusors gezeichnet hat; jene Kurve zeigt, zwischen Perioden lebhafter Vermehrung durch Teilung, immer rascher sich wieder- holende und immer heftiger auftretende Depressionen, wobei im gleichen Maße die Neigung zu Konjugationen während dieser De- pressionen wächst. Aber es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen jener Kultur Popoff’s und den meinen; jene Stylonichia-Kultur wurde unter unveränderten äußeren Bedingungen fortgezüchtet, meine Kulturen waren sehr wechselnden äußeren Bedingungen ausgesetzt, besonders in Temperatur und, zum Teil durch gelegentlichen Futter- mangel, in der Ernährung. Bei genauerem Durchforschen der Tabellen und Notizen fand ich denn auch bald, dass für die meisten Depressionen ein be- sonderer gleichzeitiger äußerer Anstoß sich erkennen lässt, dass die periodische Wiederholung hier nur eine scheinbare ist, die ohne Annahme eines inneren Zusammenhanges sich in Einzelvorgänge auflösen lässt; und das gleiche gilt für die Bildung von Geschlechts- produkten. Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 245 Die Erkennung des Zusammenhanges, zwischen den Versuchs- bedingungen und den Depressionen ist freilich sehr schwierig ge- wesen; die Kulturführung war auf Erzielung von Geschlechts- produkten gerichtet, und in Verfolgung dieses Zweckes wurde die Versuchsanordnung sehr wechselnd und für die Beobachtung der Depressionen ohne Einheitlichkeit. Es war ungemein verwirrend, in den vielen Kulturen immer wieder Depressionen unter den scheinbar heterogensten Umständen auftreten zu sehen; erst all- mählich fiel die Wiederholung einzelner Begleitumstände auf. Doch schien es nahezu unmöglich, direkt aus den schriftlichen Notizen Klarheit zu gewinnen. So entstand der vorliegende Versuch, den Verlauf der Kulturen nebst den wichtigsten Bedingungen in gra- phischer Darstellung übersichtlicher darzustellen; ıch hoffe, das Resultat soll den Versuch rechtfertigen °). Während der Kulturführung war mir aufgefallen, dass häufig Depressionen plötzlich eintraten wenige Tage nach stärkerer oder auch mäßiger Neufütterung von Kulturen, die einige Zeit kein Futter erhalten hatten; in anderen Fällen, dass Kulturen, welche aus irgendeinem Grunde in ein anderes Glas mit neuem Wasser übertragen wurden, ohne Änderung der Fütterung oder sonst er- kennbare Ursache nach einigen Tagen in Depression waren. Von dieser Erfahrung der direkten Beobachtung ausgehend, begann ich die Tabellen vergleichend zu durchmustern. Zunächst fielen mir bei den Dezemberdepressionen der Serie IV (Tabelle VIII) in solcher Richtung weisende Verhältnisse auf. Alle gleichzeitig angelegten Kulturen waren dort sofort in verschiedene Temperaturen verbracht worden, aber zunächst. gleichmäßig stark gefüttert während 10—11 Tagen. Aus Serie I und I hat sich er- geben, dass solche starke Fütterung in Zimmertemperatur Neigung zu Depression erzeugt. Die ersten fünf Kulturen der Serie waren während dieser Anfütterung in Kälte; Kälte soll den Ausbruch der Depression verzögern. Es sind aber nur zwei Kältekulturen (36, 35), bei denen im Dezember keine Depression eingetreten ist; drei andere (34, 37, 33) zeigen Mitte Dezember heftige Depressionen. Nun ist kein anderer Unterschied zwischen jenen zwei und diesen drei, als dass bei den letzteren drei am 12. Dezember erneut mit starker Fütterung eingesetzt wurde, bei jenen zwei aber nicht; Kultur 35, welche keine Depression hatte, war wohl dabei ständig in Durch- lüftung; aber 36 blieb auch ohne Durchlüftung ohne Depression; und ich werde später noch nachweisen, dass gegen die Entstehung einer Depression die Durchlüftung wenig vermag. So bleibt nur übrig anzunehmen, dass starke Fütterung von 6) Die Reproduktion dieser Tabellen ist leider durch ein Versehen etwas zu klein ausgefallen und damit die Schrift schwer leserlich geworden. 946 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. einiger Dauer (hier 10—11 Tage) auch in Kälte Neigung zur De- pression erzeugt, dass aber der Ausbruch derselben nur durch die erneute starke Fütterung nach 3—4 Tagen Pause veranlasst war. Nun galt es, nach Bestätigungen bei den späteren Depressionen und in anderen Kulturen zu suchen. Die Ausbeute war nicht gering; ich kann die Verhältnisse nicht besser klarstellen, als wieder durch tabellarische Aufzeichnung, deren Richtigkeit sich durch Vergleich mit den Darstellungen in Tabelle VII und VIII kontrollieren lässt. Es ist dabei zu beachten (Rubr. 3), dass allen diesen Depressionen eine starke Fütterung von verschiedener Dauer („Vorfütterung“) meist bei Zimmertemperatur vorausgegangen ist, welche die Ursache der Neigung zur Depression ist; zum Teil ist diese „Vorfütterung* noch vor dem Fange der sichtlich im Freien reichlich genährten Tiere gelegen. Die letzte Rubrik der Tabelle („Eintritt* etc.) gibt die Zeit (in Tagen) vom Beginn der neuen Fütterung bis zum Eintritt der Depression. Serie III. Tabelle IX. Depressionen durch neue Fütterung nach Fi ütterungspausen Alle Zeiten in Tagen Kultur| Monat Vorfütterung! Eintrittd. Bemerkungen >| Pause Dauer Depress. 31 Jan. 30 39 | sofort hochgrad. Depression (Hilfskultur) 27 7 26 35 | = sehr schwache Depression 16 2. ca, 12 Mon‘;.22D » schwache Depression 29 ’ , ” &2) 13 2 20 | Dez. 18 I) 3 schwach 43 „ea. 12), Mon. | 3 28 a 37 4 4 sehr schwach (kurze Pause!) 22 N 26 SR 6 Anfütterung schwach (Zimmertemp.) 43 FAR) 30 6 8 16 “ 30 6 11 schwache Depression Serie IV 42 | Dez. ca. 50 He sofort > IR > 100 3 il vorher sehr schön; ebenso nachher 37 ei) 3 2 39 > 30 3 2 ln : : 39. dan. i4 E50 1 | 3 j Kurz nacheinander 53 „» | ea. 21], Mon. |35(40?) 5(0%)| sehr schwache Depression 33 Dez. | ca. 50 PS 6 SUB Jan. 71 7.7 DOM 2 6 kurz nach obigen von 39. 33 948) 250 Ko) >) 7 schwach; danach sehr schön 42 | Febr. | ca. 4 Mon. 24 8 sehr schwach; Anfütterung kurz 39 Dez. | ca. 50 | 3(2) | 141?) | Ursache unsicher | Betrachtet man die hier aufgeführten Depressionen in Tabelle VII und VIII, dann wird man das Zusammenfallen jeder derselben mit einer neuen Fütterung nicht verkennen können. Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 947 Die Stärke der Depressionen, auch die Art des Verlaufes ist von der Schnelligkeit des Eintrittes unabhängig; ein eigentümlicher Zusammenhang ist dagegen aus der Tabelle für Serie III erkennbar: je länger die Fütterungspause war, desto rascher folgt eine Depression auf den Beginn der neuen Fütterung; bei 31, 27 und 16 nach Hunger von durchschnittlich 1 Monat tritt bei Anfütterung sofort Depression ein. Serie IV zeigt nicht das gleiche Verhältnis; die Ursache wird sich im nachfolgenden ergeben. Die Wirkung einer solchen plötzlichen Anfütterung scheint eine sehr starke zu sein; sie unterdrückte in diesen Fällen sogar deut- lich den sonst wieder mehrfach erkennbaren verzögernden oder be- schleunigenden Einfluss der Temperatur; trotzdem sind natürlich Ausnahmefälle zu finden, aber nur sehr vereinzelt; Kultur 20 z. B. (Tabelle VII) zeigt Anfang Januar trotz starker Anfütterung nach langer Pause keine Spur von Depression, vielleicht wegen der Ein- wirkung der starken Kälte. Überzeugend dagegen wirkt auch eine Gegenprobe. Oft tritt bei langer starker Fütterung keine Depression ein, wenn die Fütterung ohne Unterbrechung weitergeht und auch sonst kein auslösender Faktor dazutritt. So ist (Tabelle VII) die Kultur 28 von Dezember bis Februar stark gefüttert und doch kommt es nur zu schwachen Andeutungen von Depression. Kultur 20 im Januar dauernde Fütterung ohne Depression. Ähnliches zeigen Kultur 27 im Januar und Februar. In Serie IV sind 34 im Januar bis Februar und 53 im Februar Beispiele. Auch 33 im Januar bis Februar; die letzte Depression dieser Kultur dagegen, Ende Februar, welche rasch zum Aussterben führte, ist ohne klare Ursache eingetreten; vielleicht ist die lange Einwirkung starker Kälte beteiligt. Auch in Fällen, in welchen nach längerer starker Fütterung eine Hungerperiode ohne erneute Anfütterung oder sonstigen An- lass folgte, unterblieben die Depressionen. Beispiele sind (Tabelle VIII): Kultur 40 im Dezember und. Januar, Hunger und gleichmäßige Wärme (4- 25°) ohne Depression. „ 36 im Dezember und Januar, 48 Tage Hunger bei Kälte N (410°) sehr schön und kräftig, ohne Depression. Ähnlich 35 im Dezember für kürzere Zeit. Insbesondere habe ich auch in erledigten Kulturen, deren ich manche ohne Fütterung noch wochenlang stehen hatte unter gelegentlicher Kontrolle, nie typische Depressionen oder gar plötzliches Aussterben bemerkt, sondern nur allmähliches Verkümmern der Tiere. Demnach scheint Hunger bei Hydra auch nach langer Fütterung in Kultur nicht Anlass zum Ausbruch einer Depression zu sein. 248 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Wohl würden der beschleunigte Eintritt der Depression nach längerer Fütterungspause (S. 247) sowie vielleicht die geschilderten Beobachtungen an Serie I (Tabelle I S. 207) auch den Schluss zu- lassen, dass der Hunger Neigung zu Depression erzeuge; dies wäre eine teilweise Übereinstimmung mit den für Protozoen festgestellten Verhältnissen, wo durch plötzliches Versetzen in Hunger sehr rasch ausgesprochene Depressionserscheinungen hervorgerufen werden. Aber es widerspricht dem neben den vorgenannten Beobachtungen über lange ohne jede Depression geführte Hungerkulturen ins- besondere auch das Verhalten der Kältekulturen in Serie II (Tabelle II S. 209), wo Futter- und Hungerkulturen gleichzeitig in Depression kamen. Ich kann daher diese Frage aus meinen Beobachtungen nicht sicher entscheiden, da überhaupt Serie I und II einerseits und Serie III und IV andererseits ım Verhalten bezüglich der De- pressionen nicht die wünschenswerte vollkommene Übereinstimmung zeigen. Ich will jedoch auf die Frage der Hungerwirkung im Schlusse dieser Arbeit noch kurz zurückkommen. Als sicheres Ergebnis der letzten Ausführungen bleibt aber bestehen, dass bei Hydren, welche lange Zeit (!/,—2°/, Monat) in Kultur stark gefüttert wurden, neu einsetzende Fütte- rung nach einer Fütterungspause von wenigen Tagen bis über 1 Monat den Ausbruch einer Depression sofort oder in ca. 1-10 Tagen zur Folge hat (vgl. Tabelle IX und S. 247). Als ein Impuls zum Beginn einer Depression war auch das Umsetzen von Kulturen in neue Gläser beobachtet worden. Am 12. Februar wurden die Kulturen 36 und 38 (Tabelle VIII) umgesetzt, am nächsten Tage schon zeigten beide Depression; 36 hatte sich dabei eben erst fast ganz von einer Depression erholt gehabt, verfiel aber nach dem Umsetzen sofort wieder in sehr schwere Depression; das gleiche war in Kultur 29 (Tabelle VII) der Fall, nur in schwächerem Grade. Dagegen war bei allen anderen am gleichen Tage beobachteten Kulturen, welche nicht umgesetzt waren, keine Spur von Depression bemerkbar, wiewohl sie sonst vielfach unter ganz ähnlichen Bedingungen standen (z. B. 27 gegen 29 ete.). Gleichfalls am 12. Februar wurde eine Hilfskultur (61) von 20 Tieren aus Kultur 27 (Tabelle VII) abgezweigt; in 27 zeigt sich keine Spur von Depression; die Hilfskultur dagegen war sofort in mäßiger Depression. Hilfskultur 54, am 13. Januar aus 22 (Tabelle VII) abgezweigt, hatte sofort starke Depression; 22 selbst weder ım Januar noch Februar eine Spur. Kultur 41 (Tabelle VIII) erleidet Anfang Januar 1 Tag nach Umsetzen starke Depression ohne Neufütterung; auch die Über- tragung in starke Kälte ist nicht Ursache der Depression; es wurden gleichzeitig mehrere andere Kulturen in den Kälteraum versetzt, Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 949 ohne Auftreten von Depression (z. B. 34, Tabelle VIl) Anfütterung Mitte Januar hat dann bei 41 immer weitere aber schwache De- pressionen auftreten lassen. Auch bei Kultur 43 Anfang Dezember ist Umsetzen wohl mit an der ziemlich starken Depression beteiligt; denn 16, woher 43 stammt, ist sonst gleich behandelt und hat erst später eine ganz schwache Depression. Depressionen gleicher Ur- sache sind auch jene ın Kultur 25 im November (Tabelle VII), ferner starke Depressionen, welche in den Hilfskulturen 18 (aus 17, Depression Anfang November), 26 (November, aus 16) und besonders in 32 (November, aus 16), wo sie bald zum Aussterben führte, in 5-10 Tagen nach Umsetzen eintraten. Endlich beruht auf der Wirkung des Umsetzens sichtlich auch der Unterschied, der in Tabelle IX (S. 246) zwischen Serie III und IV besteht, wo die Kulturen der Serie IV nach viel kürzeren Futter- pausen schon zu raschem Ausbruch der Depressionen geneigt sind; das Umsetzen aller Tiere bei Anlage der Serie am 27.,28. November hatte die Disposition wesentlich erhöht; und Kultur 42, als Zimmer- kultur, folgt auch am 28. November sofort dem Impulse. Man könnte nun nach den Erfahrungen bei Serie I und II über die Wirkung der Durchlüftung vermuten, dass Sauerstoff- mangel des Wassers, ın das die Tiere umgesetzt wurden, Ursache der Depressionen sei; tatsächlich ist ja oft Quellwasser (Leitungs- wasser) arm an O. Ich habe aber, eben wegen jener früheren Erfahrungen, bei jeder Neuanlage oder Versetzung einer Kultur das Wasser durch mehrmaliges Umschütten oder kurzes Durch- lüften vorher mit Luft gesättigt. Ich konstatiere deshalb hier nur die Tatsache der Wirkung des Umsetzens; über eine vielleicht mögliche Erklärung werde ich am Schlusse der Arbeit einiges anfügen. Das Ergebnis ist: Das Um- setzen vonHydren, welche zu Depression geneigt sind, in ungebrauchtes gut durchlüftetes Wasser, verursacht einen meist sofortigen Ausbruch von Depression. Endlich wurde noch als dritter deutlich wirkender Impuls zu Depressionsbeginn erkannt eine’ rasche Erhöhung der Temperatur. Solche Depressionen nach Versetzung in höhere Temperatur zeigen z. B. in Serie III: nach Übertragung aus dem Kult. as im ps zieml. starke Depr. am a Tagen nn (+10 11°C) An Zim- a a 2 RR 9 2 mer (+ 19° C.). (Die Tiere 9 17 BD AR? ” 2 2 ” 10 19 22 | kamen beim Fang sichtlich aus 2 ag 2 2 % 2 EL ae starkem Nahrungsüberfluss.) Direkte Beobachtungen während der Kulturführung selbst habe ich besonders in Serie IV notiert. Kultur 36 war Ende Januar bei Kälte + 10° und dauerndem Hunger in sehr schwacher Depression; am 31. Januar wurde sie in Zimmertemperatur übertragen; nach 4 Tagen war auffällig starke 350 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Depression eingetreten. Kultur 37 (Kälte + 10°) zeigte am 19. Januar 2 Tage nach wieder verstärkter Fütterung nur Spuren von De- pression durch Unlust zum Fressen; aber bis 31. Januar kam keine Depression zum Vorschein; an diesem Tage wurde die Kultur ins Zimmer versetzt und am 1. Februar war Depression da, welche stärker und stärker wurde und zum völligen Aussterben der vorher sehr kräftigen und schönen Kultur führte. Ebenso hat die De- pression in Kultur 35 zu Anfang Januar gleiche Ursache; hier zeigt sich aber wieder die verschiedene Wirkung von hoher Temperatur (+ 25°) gegen mittlere (+ 19°); diese Depression in 35 (bei + 25°) ist nur schwach, die oben erwähnten in 36 und 37 (bei —+ 19°) sind stark; wie überhaupt die Depressionen bei den Wärmekulturen dieser Serie sich wieder durchschnittlich milder erwiesen als jene der Kältekulturen (außer 39, wo Neufütterung starke Depression erregt). Deutlich ist auch an dieser Serie wieder der verzögernde Ein- fluss der Kälte zu erkennen: Kultur 42 in Zimmertemperatur reagiert sofort auf den Impuls beim Umsetzen; nach wenigen Tagen folgen die Wärmekulturen 40, 38 und 41 noch während der gleichmäßigen Vorfütterung; bei den Kältekulturen dagegen tritt Depression im Dezember überhaupt nicht mehr ein, wenn kein neuer Anreiz dazu kommt (36, 35); und 36 zeigt so erst Ende Januar schwache Spuren von Depression. Rasche Temperatur — Erhöhung um ca. 10—15°, hat also bei Hydren, welche zu Depression geneigt waren, in 1—10 Tagen zum Ausbruch der Depression geführt. Die verzögernde Wirkung der Kälte (s. S. 208) hat sich be- stätigt. So ließen sich aus Serie III und IV durch Vergleich der Kul- turen drei Hauptfaktoren erkennen als wirksam beim Eintritt einer Depression; es ist dabei natürlich, dass auch gelegentliche Aus- nahmen zu finden sind. Doch glaube ich, durch die angeführten Fälle die Wirkung der genannten Faktoren im allgemeinen bewiesen zu haben. Immer ist es irgendein rascher Wechsel in gewissen Existenzbedingungen (Faktoren), der einer Depression kurz vorangeht. Wo die Bedingungen gleichmäßig bleiben, konnte ich in meinen Kulturen auch keine oder nur sehr schwache Depressionen be- obachten; und bisweilen genügten dann auch Schwankungen nur eines Faktors noch nicht, um stärkere Depression auszulösen. Sicher dagegen treten starke Depressionen ein, wenn zwei Faktoren rasch wechseln. Ich kann das Resultat der bisherigen Untersuchungen an Serie III und IV dahin zusammenfassen, dass neben einem ur- sächlichen Faktor, welcher bei den Hydren die Neigung zu Depression erzeugt (längere reichliche Fütterung), Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 251 gewisse auslösende Faktoren (rascher Wechsel in gewissen Existenzbedingungen, s. S. 248—250) für den Zeitpunkt des Eintrittes der Depression und zum Teil auch für den Grad derselben bestimmend sind. Bleiben solche auslösende Faktoren ausgeschaltet, so würden doch wohl auch bei dauernd gleichmäßiger Kulturführung endlich Depressionen auftreten, nur viel später; eine dauernde Fütterung würde allmählich die Disposition so steigern, dass Depression spontan eintritt; in meinen so vielfach wechselnden Kulturen kann, ich viel- leicht höchstens die Depressionen der Kulturen 36 (Ende Januar) und 33 (Ende Februar Tabelle VIII) als solche spontane Depressionen bei lange gleichmäßig gehaltenen Kulturbedingungen auffassen. Eine Wiederholung solcher spontanen Depressionen würde den Perioden entsprechen, wie sie Popoff (1907) für eine Stylonichen- Kultur beschrieben hat. Es scheint nach den Zeiten bei meinen Kulturen, dass analoge Perioden bei Hydra viel weiter auseinander- liegen würden. Krapfenbauer (1908) gibt bei der Schilderung seiner Stammkultur (S. 18) an, dass er dieselbe vom November ab bıs zum 23. Februar in Zimmertemperatur, täglich sehr gut ge- füttert, gehalten habe, „ohne Besonderheiten verzeichnen zu können“; er hat nur zeitweise das Wasser teilweise erneuert mit Wasser, das zur Hälfte abgestanden, zur Hälfte abgekocht, also arm an Sauerstoff war. Am 23. Februar, also nach mindestens 3 Monaten gleichmäßiger Pflege und Fütterung trat erst Depression (stark) ein; und nach der Erholung konnte die Kultur in gleicher Weise weitergeführt werden bis 30. April, wo sie aufgegeben wurde; wieder über 2 Mo- nate; dies spricht also für sehr lange Perioden. Eine Beziehung von Eintritt und Stärke der Depressionen zur Intensität der vorangehenden Knospung konnte auch bei diesen Serien nicht festgestellt werden. Es wäre noch interessant gewesen festzustellen, ob die Dis- position einer Hydra zu Depression auf ihre Knospen übergeht und in diesen auch nach der Ablösung in gleicher Weise vorhanden ist; leider kann ich hierüber nichts aussagen; die wenigen Beobach- tungen, welche ich gelegentlich gemacht habe, widersprechen sich, und systematische Versuche nach dieser Richtung habe ich nicht angestellt. Ein Unterschied im Verhalten bei Depressionen zwischen H. fusca und grisea ist nicht erkennbar. Endlich muss ich noch kurz über die Resultate berichten, welche ich in diesen zwei Serien mit der Anwendung der Durch- lüftung erzielt habe. In den meisten Fällen von ernsteren Depressionen wurden die betreffenden Kulturen in Durchlüftung gestellt; und immer war 252 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. das Resultat gleich sicher: nach 2—3 Tagen deutliche Anzeichen von Erholung und in wenigen weiteren Tagen Wiederherstellung bis zum normalen Typus. Keine Kultur in Depression mit Durch- lüftung ist ausgestorben; drei Kulturen dagegen, bei denen sie unterlassen wurde (35 und 37, Tabelle VIII ım Februar und Hilfs- kultur 31 ım Januar). In Hilfskultur 18 (November aus 17) da- gegen wurden zwei Tiere im Uhrglas vom höchsten Depressions- stadıum (aber ohne Beginn von Zerfall) durch täglichen Wasserwechsel in 4 Tagen zu völlig normalem Aussehen gebracht. In Kälte und Wärme oder Zimmer, bei Hunger- und Futterkulturen war die Wirkung der Durchlüftung stets dieselbe; sie ist an sich unabhängig von den sonstigen Kulturbedingungen, scheint aber bei höherer Temperatur etwas rascher als in Kälte. Einige Male stieg nach zu früher Beendigung der Durchlüftung die Stärke der Depression sofort wieder an (17, Tabelle VII ım November und Hilfskultur 54); in anderen Fällen zeigten sıch De- pressionen sehr hartnäckig, waren aber bei Einsetzen von Durch- lüftung in Kürze beseitigt (43, Tabelle VIII im Dezember). Es ıst also kein Zweifel, dass Durchlüftung selbst sehrhohe Stadien von Depression, soferne nicht schon Zerfall begonnen hat, rückgängig machen kann (vgl. S. 240), und ihr Einfluss auf die Dauer einer Depression ist deut- lich erkennbar aus folgendem Resultat der Zusammenstellung aller wichtigeren Depressionen: es haben gedauert: Starke Depressionen: mit Durchlüftung in 11 Fällen im Mittel S—10 Tage ohne % RN is > 17 5 Mäßige Depressionen: mit Durchlüftung in 9 Fällen im Mittel 6 Tage ohne 2 EN a LO Ma Schwache Depressionen: mit Durchlüftung in 5 Fällen im Mittel 4 Tage ohne r O6 Be ln Om Durchlüftung verkürzt den Verlauf der Rau sion einer Kultur. Um so merkwürdiger war mir die Erfahrung, welche ich mit dauernder Durchlüftung als Vorbeugungsmittel gegen Depressionen machte; es wurden zu diesem Zwecke in Serie IV von Anfang an vier Kulturen unter Durchlüftung gestellt, 35 und 33 in Kälte, 38 und 40 in Wärme, und verblieben darin den ganzen Dezember und zum Teil darüber hinaus. Ein Blick auf die Tabelle zeigt aber, dass auch in diesen Kulturen dem Auftreten der erwähnten „aus- lösenden Faktoren“ die Depressionen sogleich gefolgt sind; in 38 ist Ende Dezember bei fortdauernder Durchlüftung sogar noch eine Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 253 zweite schwache Depression aufgetreten; auch die zweite ziemlich starke Depression im Dezember bei 39 ist während bestehender Durchlüftung eingetreten. Hieraus ergibt sich, dass andererseits dauernde künst- liche Durchlüftung bei bestehender Neigung zu Depression nicht imstande ist, den Ausbruch einer Depression beim Auftreten eines auslösenden Faktoren zu verhindern. So lange dauernde Durchlüftungen sind überdies schädlich, weil sie fast stets zu starker elhrn: der Gläser und damit zu allmählicher Verkümmerung (nicht Depression!) der Tiere führen, wenn nicht durch a Reinigung oder Glaswechsel Hilfe ge- bracht wird. 8c) Entwickelung von Geschlechtsprodukten. In den Kulturen der Serie III und IV konnte ich endlich auch die ursprüngliche Absicht dieser ganzen Untersuchungen erreichen und Beobachtungen machen über den Zusammenhang zwischen Existenzbedingungen und Übergang zu geschlechtlicher Fortpflanzung bei Hydra. Schon Ende Oktober hatte ich in einem Glase, in dem ich bei Zimmertemperatur Daphnien als Futter für meine Hydr en zu züchten versuchte, und deshalb darin den Abfall manches Exkursions- atenales vereinigt hatte, einige Hydren bemerkt, welche zufällig so hineingeraten sein mochten; und darunter waren einige; Sekhe an ihrem Magenteile die charakteristischen Hodenbläschen, in ge- ringer Zahl zwar, ausgebildet hatten. Ich hielt dies im ein ZUu- fälliges Verona, denn ich erwartete nach den Resultaten Krapfenbauer’s mein Heil in diesem Falle nur von der Wirkung der Kälte, um so mehr, als ich um die gleiche Zeit im Freien bei einer een von — 10 bis 11°C. (gemessen) mehrere ge- schlechtsreife Hydren mit Hoden gefunden hatte (s. Kultur 17, Tabelle VII. Am 1. November aber fand ich in der neuen Stamm- kultur 16 (Tabelle VII), welche seit 18. Oktober bestand und fast nur Tiere enthielt, welche am 18. und 25. Oktober bei ähnlicher Wassertemperatur und ohne Geschlechtsprodukte, im Freien ge- funden waren, einen kleinen Teil der Insassen (ca. 5°/,) im Besitz von Hoden. Nun wurde ich auf diese Erscheinung aufmerksam, denn auch diese Hodenbildung war wieder bei Zimmertemperatur eingetreten; inzwischen hatte ich auch erkannt, dass in diesem neuen Stammglas vorwiegend eine andere Spezies Hydren enthalten war, als ich sie bisher gezüchtet hatte, und ich bestimmte sie provi- sorisch als H. grisea; gleichzeitig waren auch in geringerer Zahl H. fusca vorhanden; aber es waren ausschließlich Tiere der Art grisea, welche Hoden gebildet hatten und auch die Tiere aus jener Daphnienkultur erwiesen sich als H. grisea; dies erinnerte mich an 254 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. einige mir zunächst bekannte Literaturangaben, wonach für A. grisea die Zeit der Geschlechtsreife im Sommer liegt; und als dann gegen Mitte und Ende November in der genannten Kultur 16 und der davon abgezweigten Stammkultur 25, welche nur H. grisea enthielt, eine starke Ausbildung von Hoden: einsetzte (20 und bezw. 40 °/,), war es mir sehr wahrscheinlich geworden, dass die höhere Tempe- ratur des Zimmers (19°) bei H. grisea der Ausbildung der Hoden günstig sein müsse; denn auch in 16 waren wieder ausschließlich grisea geschlechtsreif geworden, keine einzige der darin enthaltenen fusca. Ich beschloss daher, meine weiteren Versuche mit grisea auf die Beantwortung dieser Frage einzurichten; und ich hatte die Ge- nugtuung, eine volle Bestätigung meiner Vermutung zu erhalten. Für die folgende Schilderung der Ergebnisse verweise ich wieder auf Tabelle VII und VIII und die dort gegebene Zeichenerklärung; ich füge nur hinzu, dass unter jeder Geschlechtsperiode”’) neben der Prozentzahl der geschlechtsreifen Tiere eine Zahl in Klammern beı- gefügt ist, welche die Gesamtzahl der Tiere der ganzen Kultur angibt, um so eine richtige Beurteilung des Gewichtes der einzelnen Fälle zu ermöglichen. Dem angegebenen Zwecke diente hauptsächlich die Serie IV (Tabelle VIII); ihre Herkunft und Anlage ist schon geschildert worden (S. 241 etc... Sie bestand nur aus H. grösea. Im wesentlichen sollte die Einwirkung von Temperaturände- rungen studiert werden, und zwar nach drei Richtungen: 1. in auf- steigender Richtung von Kälte zu Zimmertemperatur, entsprechend den Verhältnissen, wie sie bei jenen ersten Hodenbildungen in den erwähnten Kulturen 16 und 25 wirksam gewesen sein mochten; diese Kulturen (34, 37, 36, 35, 33) wurden also zunächst ins Kälte- bassin (4- 10°) verbracht, um später von da ins Zimmer übertragen zu werden; 2. in aufsteigender Richtung von Zimmer zu hoher Temperatur (41, 39, 38, 40); 3. in absteigender Richtung von hoher Temperatur zu Zimmer oder Kälte; hierzu wurden die Kulturen unter 2 nachträglich be- nutzt; in gleicher Richtung verwertbar sind die Kulturen unter 1 durch ihre Übertragung aus Zimmer in Kälte gewesen. Endlich wurde eine Kontrollkultur unter unveränderter Tempe- ratur gehalten (42). Zu beachten ist, dass alle Tiere dieser Serie vor Beginn dieser Versuche 34 bezw. 41 Tage in Zimmertemperatur bei guter 7) Ich gebrauche in dieser Arbeit den Ausdruck „Geschlechtsperiode“ mangels eines geeigneteren stets in bezug auf eine ganze Kultur, also abkürzend für: „Periode des Auftretens von Geschlechtstieren in einer Kultur.“ Doflein, Probleme der Protistenkunde. x 255 Fütterung (in Kultur 16 und 25) waren (seit ihrem Fang Ende Oktober). Die Ergebnisse sind sehr klar; ın keiner der grisea-Kulturen, welche einer Temperaturminderung ausgesetzt waren, wurden Ge- schlechtsprodukte gebildet. Bei den Kulturen, welche sofort in hohe Temperatur versetzt wurden, war in drei Fällen (39, 38, 40 im Dezember) nach 10—13 Tagen schwache bis mäßige Hodenbildung zu bemerken; doch ist es nicht ganz sicher, ob dies auf Rechnung der Temperaturerhöhung zu setzen ist; denn in der Stammkultur 25 (Tabelle VII), aus der ein Teil der Tiere stammt, und welche in Zimmerteniperatur ver- blieb, ist nur wenige Tage später gleichfalls Hodenbildung, und zwar starken Grades (40°/,) verzeichnet; es ist also möglich, dass die Steigerung zu hoher Temperatur die Ausbildung nicht veran- lasst, sondern nur bei vorhandener Neigung nicht ganz unter- drückt hat. Dagegen sind in zwei Fällen nach Übertragung von Kälte in Zimmertemperatur Perioden starker Hodenbildung eingetreten (34, 41, Februar), während weder in den betreffenden Stammkulturen (16, 25) noch in der Kontrollkultur (42) zu dieser Zeit solche zu finden sind. Ganz dieselben Resultate nach Temperaturerhöhung kamen auch in den gleichzeitig weitergeführten grisea-Kulturen der Serie III zur Beobachtung; nur in zwei Fällen kam überhaupt eine Hoden- bildung von grisea in der Kälte vor (43, 20 im Dezember, Tabelle VII), die ich nachher zu besprechen haben werde; in vielen Fällen da- gegen bei Zimmertemperatur. (Schluss folgt.) F. Doflein, Probleme der Protistenkunde., I. Die Trypanosomen, ihre Bedeutung für Zoologie, Medizin und Kolonialwirtschaft. Jena, G. Fischer, 1909, 8°, 57 S., 22 Abbild. Doflein veröffentlicht hier.den Vortrag, den er auf der letzten Naturforscherversammlung gehalten hat. Er berichtet in allgemein- verständlicher Form über alle Tatsachen, die wir von den Trypanosomen sicher wissen und die auf einem der im Titel genannten Gebiete von wesentlicher Bedeutung sind. Im besonderen aber erörtert er noch die Frage, in der er von der augenblicklich herrschenden Meinung abweicht; die meisten Protozoenforscher nehmen gegen- wärtig der Autorität Schaudinn’s folgend an, dass auch bei den Trypanosomen ein Wechsel ungeschlechtlicher mit geschlechtlicher Fortpflanzung, verbunden mit einem regelmäßigen Wirtswechsel statthaben müsse, der aber noch in keinem Fall vollkommen ver- folgt werden konnte. Doflein nun vertritt die Anschauung, haupt- sächlich gestützt auf die Uebertragung des T. eqwiperdum, des Erregers der Dourine, ausschließlich durch den Coitus, dass ein Generations- 956 Behrens, Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten. wechsel bei den Trypanosomen nicht statthabe und die Insekten nur als Überträger, nicht als Zwischenwirte fungieren. Im Zu- sammenhang damit steht seine Meinung, das die en ursprünglich Bewohner des Darms nicht blutsaugender Wassertiere und Insekten gewesen seien und ıhre Anpassung an den Parasitismus innerhalb der Wirbeltiere erst verhältnismäßig spät erfolgt sei; die charakteristische Gestalt, den Besitz einer undulierenden Membran hält er für eine erst bei dieser Gelegenheit erworbene, vergäng- liche Eigenschaft, wie die Umwandlung zur Herpetomonasgestalt in künstlichen Kulturen und innerhalb von Insektenmagen beweise. Das Auftreten ähnlicher Formen im Zeugungskreis anderer para- sitischer Protisten brauche deshalb auch nicht eine nähere Ver- wandtschaft dieser Formen mit den Trypanosomen zu beweisen, sondern sei als konvergente Anpassung zu erklären. Die kleine Schrift ist mit außerordentlich klaren Abbildungen ausgestattet, die der demnächst erscheinenden neuen Auflage von Doflein’s Protozoenwerk entnommen sind. W.R. Wilhelm Behrens, Tabellen zum Gebrauch bei mikroskopischen Arbeiten, 4. verbess. Aufl., herausgeg. v. Ernst Küster, Leipzig, S. Hirzel, 1908, 8°, 245 8. Es ist sehr zu begrüßen, dass dieses allen älteren Mikroskopikern wohlbekannte Nachschlagewerk nach 10jähriger Pause in erneuter Form erschienen ist, nach dem frühen Tode des Verf. von anderer Hand besorgt. Die bewährte Anordnung ist erhalten geblieben und die Neuerungen sind mit wenigen Ausnahmen keine auffallenden, wenn sich auch der Herausgeber das Ziel gestellt hat, veraltetes auszumerzen, um für neue Verfahren Raum zu schaffen. 3 Tafeln sind neu: Protozoenfärbungen, von Prowazek nach den Objekten geordnet und 2 für mineralogische Zwecke. Bei dieser wenn auch mäßigen Vermehrung des Inhalts be- dauert es der Referent, dass nicht auch die bakteriologischen Färbe- methoden einer neuen erweiternden Durchsicht unterzogen wurden, um so mehr als schon im Vorwort der 3. Aufl. bemerkt war, dass nur aus Rücksicht auf den Umfang des ganzen von einer ausführ- licheren Darstellung dieser Färbungen abgesehen wurde. Eine andere kleine Lücke, die dem Referenten auffiel, ist, dass in der Tabelle der Farbstoffe die ausschließlich in der Mikroskopie verwendeten, hier aber um so wichtigeren, wie Methylenazur und die anderen Derivate des Methylenblaus, über die es doch eine ganze Reihe von Spezialuntersuchungen gibt, fehlen. Gerade bei diesen ziemlich kostspieligen und auch im Handel, abgesehen von einigen Spezialfirmen kaum bekannten Stoffen, kann man, wie Ref. aus Erfahrung weiß, in die Lage kommen, sie auf ihre Echtheit prüfen zu müssen und wird dann von den sonst so treuen Tabellen ım Stich gelassen. Werner Rosenthal (Göttingen). Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der kel. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut, einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 1. Mai 1909. Dar Inhalt: Frischholz, Zur Biologie von Hydra (Schluss). — v. Prowazek, II. Studien zur Biologie der Zellen. —- Hollrung, Jahresberieht über das Gebiet der Pfanzenkrankheiten. — Müller, Jahrbuch für wissenschaftliche und praktische Tierzucht einschliesslich der Züchtungsbiologie. Zur Biologie von Hydra. Depressionserscheinungen und geschlechtliche Fortpflanzung. Von Eugen Frischholz. (Aus dem zoologischen Institut München.) (Schluss). Dem stehen schroff entgegen zwei Kulturen von fusca (22, 28, Tabelle VII); diese Tiere, aus dem Freien (ca. + 11° ©.) ins Zimmer übertragen und lange in dieser Temperatur gehalten, zeigten keine Spur von Hoden- oder Eibildung; nachdem aber dann beide wieder in Kälte versetzt worden waren, kam die eine Kultur sehr rasch zu starker Hodenbildung, die andere zwar später, aber gleichfalls sehr ausgiebig zur Bildung von Eiern. Um ohne langwierige Aufzählungen alle Resultate meiner Kul- turen nach dieser Hinsicht anschaulich zu machen, muss ich wieder tabellarische Zusammenstellung zu Hilfe nehmen. In Tabelle X sınd alle Kulturen aufgeführt, welche eine Temperaturänderung erfahren haben und ersichtlich gemacht, in welchen Fällen danach Bildung von Geschlechtsprodukten eingetreten ist und in welchen nicht; erstere Fälle sind kenntlich durch die Angabe der Prozent- zahl an Geschlechtstieren (2. Rubr.); bei diesen Fällen gibt die Zahl in Rubrik 4 die Dauer ın Tagen an, von der Temperatur- änderung bis zur ersten Beobachtung von Geschlechtstieren. XXIX. 17 268 Tabelle X. Frischholz, Zur Biologie von Hydra. steigende Temperatur Hoden-(und Ei-Jbildung nach Temperaturänderungen fallende Temperatur 5 _ | Verweilen | Bemer- | 5 Verweilen f 3 Sen Tage kungen | ne Tage BEICERUD En) 2 ere in (Serie) 12 iere in (Serie) % 2 3 | 4 5 6 7 3 5} Toms a) grisea K zZ a) grisea Z K 34 | Febr. 40°, | 64 | 9 IV. 43 |Dez. 9°),| 51 8 |III. vgl. Per. 20 = 50915456 “rel. LET(SRee.2) Dez. in 25 41 N (Tab. VII) 34a | Jan. 100°, | 44 | 14 [Hilfsk. 9 |20| „ 4°),| 18 14 |11I. 2& Tiere! a \| Febr. 5591 | 32 | 14 III. Tiere LER (Spee.?) 53 0308], 2A NEVE Geschl.- 43 Jan. 20%, | 23 Zu UNE Tiere (16 | Nov. 5°), lca.20| 14) unsicher [27 !Ende Dez. 70 32 II. 16 Inoy.) 2 » | 26 OT. Jgüne 129| „ , 74 28. III. 16bf ı 3% im 34| Nov. ca. 40| 64 |IV. 25-\|: Nova A09l.| -,; .1i88- JUIT-APRen az, » | 64 IV. 57 |März ca. 8°.| 1 8 ‚Hilfskult. [36 a % 64 |IV. 39 | + 22 3. Lyz z | Ww 32 „ | 90 |IvV. 39 Dez. 20°, jea. 40) 11 |)wahrsen. 157 | Febr S 18 |Hilfskultur 38 „ 3 ur „» 12 Krane 40 R 99], er 13 |)s- S. 255 ZW K 41 Dez. 140+14| 50 |IIV. Ohne Geschl.- 39) { 40-133) 56 IIV. Tiere K zZ | a 29 Ende Jan. | 27 | 58 |III.2Kult. | w z 36 Febr. 64 | 40 |IV. 38| Febr. 64 25. IIV. 3 0, 64 | 40 b) fusca x ol Geschl.- 35 Dez. 31 | 60 Tiere zZ K vb) f 22 |Jan.40°|,| 67 (Ol REIT, ) Tusca 28 |Febr.55°(, 41 | 36 |IIL. Eier! Ohne Geschl.- Tiere K zZ Ohne 22 Okt. \ea. 25 72 |Iv.|Kälte Dh | 28 Nov. ca. 45| 41 |IV.fpeeien |... nr | Hilfskul- L 46 Jan. 210 ‘ca. 100| | turen; aus vol. T.VII | 47 4 210 35 Stamm- 47 Febr. 35 | 20 | Hilfskult. kultur A! 20 "lo ! Betrachten wir zuerst die Resultate bei steigender Temperatur: Zunächst sind 13 grisea-Kulturen aufgeführt, welche aus Kälte (K) in Zimmertemperatur (Z) versetzt wurden (34—57); in allen trat danach Hodenbildung ein, und zwar an 5—55°/, der Tiere (100°/, bei einer Kultur von nur 9 Tieren); nur in zwei Fällen an weniger als Ferner, drei Kulturen grisea, vom Zimmer (Z) in höhere ‚Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 969 Wärme (W) übertragen, ebenfalls mit Hodenbildung, aber geringeren Prozentsatzes. Diesen 16 Fällen von meist sehr starker Hodenbildung bei grisea nach Erhöhung der Temperatur stehen vier gegenüber (29— 35), in welchen diese Wirkung ausgeblieben ist; ich werde sogleich dies zu besprechen haben. Kulturen von AH. fusca wurden dreimal aus Kälte in Zimmer versetzt; bei allen drei (22, 28, 47) blieb Hodenbildung gänzlich aus; sie waren der Einwirkung der Kälte 25—45 Tage ausgesetzt, und danach 20—72 Tage im Zimmer beobachtet: nach gleich langer oder kürzerer Kältewirkung hatten die meisten grsea-Kulturen im Zimmer innerhalb längstens 33 Tagen mit der Hodenbildung begonnen, wie die Zahlen unter K und Z zeigen. Es liegt also ein prinzipieller Unterschied im Verhalten von fusca und grisea vor, nicht etwa eine Wirkung ungleicher Kulturführung. Am besten zeigt dies die G@egenprobe, das Verhalten beider Arten nach Temperaturerniedrigung. Unter der Rubrik „fallend“ sind zunächst wieder alle grisea- Kulturen aufgeführt: Zwei Fälle mit Hodenbildung von 4 und 9°/, nach Übertragung von Z zu K. Dagegen: Elf Fälle ohne Hodenbildung nach Temperaturminderung von Z zu K oder Z undW zu K, oder W zu Z; wobei alle betreffenden Kulturen lange Zeit den Einwirkungen: sowohl der höheren wie der nachfolgenden niederen Temperatur ausgesetzt waren. Anders fusca: Zwei Fälle starker Hodenbildung bezw. Eibildung nach Über- tragung in Kälte; dagegen zwei Fälle ohne Wirkung. Entnehme ich aus diesem allem als Regel, dass ZH. grisea durch Ansteigen der Temperatur, fusca dagegen durch Sinken derselben zu geschlechtlicher Ausbildung.veranlasst wird, dann habe ich in meinen Resultaten drei Gruppen von Ausnahmen; diese will ich nun näher untersuchen. Unter „steigend“ sind vier Kulturen grisea aufgeführt, bei denen keine Geschlechtstiere auftraten. Kultur 29 war, wie auch die drei anderen Kulturen (36, 37, 35), genügend lang der Kälte ausgesetzt und fast 2 Monate dann im Zimmer beobachtet; aber diese Kultur ist von Tieren gezüchtet, welche rein weiblich waren, d.h. nur Eier, ohne Hoden hatten; für diese scheint eine längere Einwirkung nötig zu sein zur Erzielung von Geschlechtsprodukten als für rein männliche Tiere, wie die weibliche Kultur 28 von fusca (gegen 22, Tabelle X „fallend“) und Angaben Whitney’s (1907) für H. viridis vielleicht vermuten lassen; 17% 270 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. doch ist dies sehr unsicher. Wahrschemlicher ist, dass die bei Übertragung von K zu Z bestehende Depression Ursache der Unter- drückung der Eibildung ist; denn auch bei den drei anderen Kul- turen, welche ohne Geschlechtstiere geblieben sind, liegt der gleiche Fall vor: 36, 37 und 35 haben schon bei der Übertragung oder den Tag danach starke Depression; andererseits ıst unter den 16 Kulturen, welche zur Hodenbildung kamen, nur eine einzige, welche zur Zeit der Übertragung in Depression war (43, Dezember). Bei 35 war vielleicht auch die zu hohe Intervalle K bis W hemmend. Die zweite Ausnahme bilden zwei grisea-Kulturen, welche unter „fallend“ mit Geschlechtstieren notiert sind. Kultur 43 wurde wie Kultur 25 aus 16 während einer dort bestehenden Geschlechtsperiode (November) abgezweigt; es waren nur Tiere ohne Hoden, aber sicher zum Teil mit hoher Disposition dazu; diese Neigung zur Hodenbildung, oder wohl richtiger die teil- weise schon begonnene Entwickelung konnte nun die kurze Kälte- einwirkung von 8 Tagen nicht mehr unterdrücken, nur bedeutend schwächen; zu gleicher Zeit ist in der Schwesterkultur 25 in Zimmer eine viel stärkere Geschlechtsperiode eingetreten; die Hodenbildung in 43 im Dezember ist also nicht eine Folge der Kältewirkung, daher keine Ausnahme für grisea. Ganz analog liegt der Fall für Kultur 20. Tabelle VII zeigt, dass das Stammtier geschlechtsreif Anfang November in Kälte ge- halten war; nach Rückbildung der Hoden kam eine Versetzung ins Zimmer auf 18 Tage; diese hat in der inzwischen vermehrten Kultur teilweise Disposition zu Hodenbildung veranlasst und die nachfolgende Kälte konnte dieselbe in den ersten 18 Tagen nicht ganz unterdrücken. Ich will hier gleich beifügen, dass HM. fusca kein analoges Verhalten zeigt, dass vielmehr in einigen Fällen Hydren dieser Spezies, welche junge Hodenanlagen besaßen, nach Rückversetzung in höhere Temperatur die ganz oder teilweise aus- gebildeten Hoden unter krankhaften Erscheinungen (starke gelb- liche Verfärbung der Hoden, Depressionshabitus) vollständig rück- bildeten und zum Teil an diesem Prozess zugrunde gingen. Die dritte Ausnahme bilden unter Rubrik „fallend“ zwei Kul- turen von fusca (46, 47), welche trotz sehr langer Kultur in Zimmer und Kälte keine Spur geschlechtlicher Entwickelung zeigten; man könnte denken, die sehr lange Zimmerkultur (210 'Tage) habe abnorme Verhältnisse geschaffen und es ist dies vielleicht möglich; aber diese Tiere stammen aus der alten Stammkultur A zu Serie I und II; und ich habe dort (S. 214) schon angegeben, dass diese Kulturen sehr wenig auf die Kälte reagierten; es waren sieben Kulturen nach langer Zimmerkultur 2 Monate und länger in Kälte, und nur bei zweien kam eine sehr schwache Hodenbildung zur Beobachtung; Kultur 9 zeigte ein ganz merkwürdiges Verhalten; Frischholz, Zur Biologie von Hydra. ST nachdem Anfang Oktober 1907 ca. 10°, Hodentiere beobachtet waren, wurde die Kultur von Monat zu Monat ungefähr einem regelmäßigen Wechsel von Zimmertemperatur und Kälte unter- worfen, so dass sie noch drei langen Kälteperioden unterworfen war bis Anfang Mai 1908; dabei wurde sie wechselnd gefüttert, und meist waren die Tiere von ausnehmend schönem und kräftigem Aussehen; aber nicht ein geschlechtsreifes Tier konnte in der oft stark bevölkerten Kultur in der ganzen Zeit gesehen werden; und ähnlich wurde Kultur 5 aus Serie I weitergeführt bis Mitte Dezember 1907, d. i. 4!/, Monate mit dem gleichen negativen Erfolg. Es besteht demnach sichtlich bei den Hydren, wenig- stens bei fusca, bisweilen eine in ihren Ursachen zunächst unbekannte fast absolute Sterilität in bezug auf Ausbil- dung von Geschlechtsprodukten; in diesem Zustande unterbleibt jede Reaktion auf sonst wirksame Tempe- raturänderung. Ich dürfte auf meine wenigen Resultate bezüglich der Hoden- bildung von fusca keinen großen Wert legen, außer vielleicht auf jene typische starke und wiederholte von Kultur 22 (Tabelle VII) in Kälte, Januar und Februar; aber die vollkommene Überein- stimmung mit den Ergebnissen von Hertwig (1906) und Krapfen- bauer (1907) berechtigt mich, sie in das Gesamtresultat der bis- herigen Vergleichung aufzunehmen. Ehe ich aber dies aussprechen darf, muss ich noch auf eine interessante Beziehung aufmerksam machen, welche durch die tabellarische Anordnung der Kulturen sichtbar geworden ist. Die Zahlen für die Dauer der Einwirkung der verschiedenen Tempe- yaturen in Tabelle X ließen vielleicht noch mancherlei Schlüsse ziehen; ich will aber hier nur darauf hinweisen, dass bei den unter „steigend“ angeführten grösea-Kulturen mit Geschlechtstieren (34—57) sich deutlich zeigt, dass der längsten Einwirkung der Kälte am raschesten der Beginn der Hodenbildung nach der Versetzung in die höhere Temperatur folgt; diese 11 Kulturen sind angeordnet nach der Dauer ihres Verweilens in Kälte; ungl ganz deutlich parallel dem Abnehmen dieser Dauer von 64 bis zu 18 Tagen nimmt die Zahl der Tage von 9-33 zu, welche verstreichen von der plötz- lichen Erhöhung der Temperatur bis zum Beginn der Hodenbildung. Als Gesamtresultat dieses Abschnittes ergibt sich nun das Folgende, wobei ich aber sogleich auf die späteren Feststellungen verweise, wie sie auf S. 275 angegeben sind: Bei A. grisea trat Hodenbildung und in einigen Fällen auch Eibildung ein, wenn sie nach vorübergehender oder längerer Einwirkung einer niederen Temperatur rasch ın höhere Temperatur versetzt wurde. Schon die kürzeste in Anwendung gebrachte Kälteeinwirkung (18—20 Tage) 2372 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. zeigte sich wirksam; je länger aber die Einwirkung der Kälte dauerte, um so rascher nach der Versetzung in höhere Temperatur begann die Hodenbildung; bei zwei- monatiger Einwirkung nach 9 Tagen, bei 20 Tagen Ein- wirkung nach 33 Tagen. Die Wirkung scheint verschieden, nicht nur nach der Größe des Unterschiedes der beiden Temperaturen, sondern auch nach der Höhe der Endtemperatur; das Optimum liegt bei einer Diffe- renz voa 10—15° mit einer Endtemperatur von ca. + 20° C.; bei noch höherer Endtemperatur scheimt die Intensität der Hoden- bildung herabgemindert. H. fusca ging zur Bildung von Hoden und ebenso von Eiern über, wenn sie nach vorübergehendem oder längerem Verweilen in mittlerer Temperatur (ca. 4 20° C.) einer erniedrigten Temperatur von 4 5 bis höchstens + 12° 0. ausgesetzt wurde; die Hoden oder Eier wurden innerhalb 6—35 Tagen nach der plötzlichen Temperatur- änderung sichtbar. Nach rascher Erhöhung der Temperatur hat A. fuseca weder Hoden noch Eier gebildet. Ich habe bisher alle anderen Faktoren außer der Temperatur nicht berücksichtigt; denn der Einfluss der Temperatur überwiegt bei der Bildung von Geschlechtsprodukten sichtlich weitaus jenen aller übrigen etwa wirksamen Faktoren; stets war offenbar der Zeitpunkt des Eintretens einer erstmaligen Geschlechtsperiode in einer Kultur nur abhängig vom Zeitpunkt der vorausgegangenen Temperaturänderung. Ein deutlicher Einfluss war nur bei der Stärke der Fütterung noch erkennbar; sie bestimmt jedoch nicht den Zeitpunkt des Ein- trittes, sondern die Intensität der Hodenbildung. Die yrisea-Kulturen mit Geschlechtstieren in Tabelle X (unter „steigend“) zeigen dies; die Prozentzahlen (d. h. die Intensität der Hodenbildung) haben sichtlich wenig Zusammenhang mit der Dauer der Kälteeinwirkung oder der Schnelligkeit des Erscheinens der Hoden; ich habe aber dann die Fütterung der einzelnen Kulturen verglichen und es zeigte sich deutlich, dass den stärksten Fütterungen die höchsten Prozent- zahlen entsprachen; auch war gleichzeitig die Intensität der Aus- bildung von Hoden am einzelnen Tiere (durchschnittliche Zahl der Bläschen) die höchste; ın den Tabellen VII und VII ıst unter jeder Geschlechtsperiode diese Intensität der Hodenbildung an den einzelnen Tieren ebenfalls angegeben und mit „schwach“, „mäßig“ oder „stark“ unterschieden. Die Stärke der Fütterung bestimmt demnach die Stärke der Hodenbildung und zwar sowohl bezüglich der Zahl der Geschlechtstiere in einer Kultur, wie auch der Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 273 Stärke der Hodenbildung am einzelnen Tier. Die Fütte- rung hat aber keinen merklichen Einfluss auf den Zeit- Dual des Eintrittes einer Geschlechtsperiode nach einem Temperaturwechsel. Bisher wurden nur jene Fälle von Hodenbildung besprochen, welche direkt auf einen raschen Temperaturwechsel gefolgt sind; ein Vergleich der Tabelle VII und VIII zeigt aber, dass ın vielen en diesen ersten noch andere Geschlechtsperioden gefolgt sind, welche sich zunächst als periodische Wiederholungen dar- stellen: denn sie sind ohne jede neue Temperatureinwirkung nach bestimmten Zwischenräumen erfolgt: für grisea bei dauerndem Ver- weilen im Zimmer und Wärme, für fusca in Kälte; und dieses interessante Verhalten ist keinesw egs selten. Starke Perioden wiederholter Hodenbildung sind: bei grises in Zimmertemperatur: Kultur 16, Jan. 22°, 2 25,.Dez.) 20.7, i 434 Behr 252, 1 Tabelle#V. I, R 17 Dez. 20%, Y 27, Dez. 20%), grisea bei Wärme: Kultur 39, Mitte Dez. 20°, AU Der. 9n fusca bei Kälte: Kultur 22, Ende Jan. 70°), | Ro nenn 300, Tabelle VI. Außerdem wurde noch etwa zwölfmal das Vorkommen einzelner Geschlechtstiere (2—-3) bei unveränderter Temperatur in den Zwischen- zeiten beobachtet. ‘Der weiteste Abstand einer solchen starken Geschlechtsperiode von der vorhergehenden Temperaturänderung beträgt 80 Tage; ver- einzelte Geschlechtstiere von grisea wurden noch 3 Monate und mehr nach der letzten Temperaturerhöhung gefunden (17 im Februar; 42 im März). Die früheste Wiederholungsperiode war 40 Tage nach der Übertragung ins Zimmer zu beobachten. Von den ersten Geschlechtsperioden stehen die starken Wieder- holungen um 20-60 Tage ab; nur bei 22 (fusca, Tabelle VI) ist dieser Abstand nur 7 Tage und eine zweite Wiederholung von dieser ersten nur 18 Tage entfernt; hier sind die Perioden zugleich von sehr hoher Prozentzahl. Diese zeitlich so weit von der erstmals wirksamen Temperatur- änderung abgelegenen Fälle von Geschlechtsproduktenbildung wird man wohl kaum mehr auf Rechnung derselben setzen dürfen. Viel- mehr wird man nach einer anderen Ursache für dieses Verhalten suchen müssen. | Tabelle VII (s. 8. 255), 274 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Es ist nun lediglich ein Einfluss der Fütterungsstärke bei diesem wiederholten Auftreten von Geschlechtsprodukten erkennbar, und auch dieser nicht in dem Sinne, dass bei ganz fehlender Fütterung auch jene Wiederholungen ausbleiben würden; vielmehr traten diese sowohl nach langem Hunger ein (bei 16 ım Januar nach 28 Tagen, bei 17 ım Februar nach 18 Tagen Hunger), wie auch während und nach starker Fütterung; dagegen zeigt ein Überblicken der Kurven auf Tabelle VII und VII: stärkere Fütterung rückt die Wiederholungen näher zusammen (43, 22), während Hunger oder schwache Fütterung die Abstände vergrößert (25, Dezember bis Februar) und es scheint auch, dass, allerdings nicht ohne Ausnahme, starke Fütterung hohen Prozentsatz in den Wieder- holungen bedingt. Dagegen vermag auch die stärkste dauernde Fütterung in Kälte die H. grisea, oder ım Zimmer die H. fusca nicht zur Hodenbildung anzuregen; die grisea-Kulturen 34, 37, 33 der Tabelle X z. B., welche nach sinkender Temperatur ohne Geschlechtstiere geblieben sind, waren 64—90 Tagen in Kälte bei zum Teil sehr starker Fütte- rung ohne ein Geschlechtstier hervorzubringen. Ebensowenig aber hatte Hunger allein unter den genannten Temperaturverhältnissen eine solche Wirkung (Kultur 36, Tabelle VIII ım Dezember und Januar). Wenn nun auch meine Notizen ganz bestimmt in den Zwischen- räumen zwischen den meisten dieser Perioden das Fehlen von Ge- schlechtstieren angeben, so ıst doch möglich, dass einzelne Tiere auch in dieser Zeit Hodenbläschen, allerdings nur sehr schwach, ausgebildet haben; solche Tiere mit ein oder zwei kleinen Bläschen sind, besonders in größeren Kulturen, sehr leicht zu übersehen; andererseits sind auch, wie erwähnt, solche vereinzelte Tiere zwischen den eigentlichen Perioden gelegentlich beobachtet. Es sind deshalb diese Wiederholungen wohl nicht als streng gesonderte Perioden aufzufassen, sondern als ein abwechselndes Zunehmen und Abnehmen eines an sich fortdauernden Prozesses, wobei nur dessen Intensität von äußeren Bedingungen abhängig ist. Die wiederholte Ausbildung von Geschlechtsorganen, sei es an demselben Tiere oder dessen Nachkommen, erscheint dann bedingt durch innere, in den normalen Lebensfunktionen des Organismus selbst liegende Ursachen, während äußere Einflüsse (Fütterung) nur regulierend, hemmend oder fördernd eingreifen. Durch bestimmte Temperaturen aber wird, wie es scheint, die Wirkung jener inneren Ursachen ganz aufgehoben. Danach glaube ich, ist es dann nicht unberechtigt, zu sagen, dass auch die ersten Perioden nach einem Temperaturwechsel nicht durch diesen Wechsel selbst oder seine Größe bedingt sind, sondern lediglich dadurch, dass die Tiere von diesem Zeitpunkt an sich in Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 2375 jener Temperatur befinden, welche für sie die geeignete zur Aus- bildung von Geschlechtsprodukten ist, welche jenen inneren Ur- sachen nicht entgegenwirkt; dass es also die Höhe der Temperatur an sich ist, welche die Hydren zur Bildung von Hoden und Eiern befähigt; die vorherige Einwirkung einer entgegengesetzten Tem- peratur, für grisea einer niederen, für fusca einer höheren scheint nicht Bedingung, wenn auch nach solcher Einwirkung die Hoden- bildung beschleunigt eintritt. Es lässt sich also folgendes Ergebnis der zuletzt geschilderten Beobachtungen aufstellen: Die Bildung von Geschlechtsprodukten bei Hydra setzt nicht notwendig die Einwirkung eines Temperatur- wechsels voraus, wenn sie auch durch einen solchen be- schleunigt werden kann (S. 272), sondern sie wird ermög- licht schon allein durch das dauernde Verweilen in einer Temperatur von bestimmter Höhe; diese geeignete Tem- peratur ist für A. fusca und grisea auffallend verschieden und beträgt für: H. fusca: ca. +5 bis 13°C. bei einem Optimum von ca. + 10°C. H. grisea: ca. +15 bis 25°C. bei einem Optimum von ca. + 20°C. Die Geschlechtstiere erscheinen bei diesen Tem- peraturen in Kulturen wiederholt nach bestimmten Zeit- räumen, und zwar gleichzeitig in größerer Menge, ver- einzelte jedoch auch in den Zwischenzeiten. Die Abstände der Hauptperioden unter sich betrugen 20—40 Tage, und sind vom Grade der Fütterung abhängig (s. S. 274); aber auch bei längerem Hunger bleiben die Wieder- holungen nicht ganz aus. Bei dauerndem Verweilen in der entgegengesetzten Temperatur (fusca in Wärme, grisea in Kälte) werden niemals Geschlechtsprodukte gebildet, weder bei Hunger, noch bei Fütterung beliebiger Stärke. Bezüglich des letzten Satzes erinnere ich jedoch an die S. 270 geschilderten Beobachtungen, wonach H. fusca auch bezüglich der Möglichkeit, schon in Bildung begriffene Geschlechts- produkte vollkommen auszubilden strenger an die Eın- haltung der betreffenden Temperaturhöhe gebunden ist, als A. grisea. Nur kurz will ich nach diesem noch eine Frage berühren, die sich bei diesem wiederholten Auftreten von Geschlechtstieren auf- drängt, nämlich die Frage, ob die Geschlechtstiere einer Wieder- holungsperiode dieselben Tiere sind wie jene der vorhergehenden Periode, oder ob es deren Knospen oder andere Hydren sind, welche 276 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. in der vorhergehenden Periode überhaupt nicht zur Hodenbildung gelangt waren. Beobachtungen an meinen Isolationskulturen (s. S. 185), die ich im einzelnen hier nicht aufzählen will, scheinen unzweideutig dafür zu sprechen, dass hauptsächlich jene Knospen, welche nach einer Periode neugebildet und abgelöst werden, in der nächsten Periode als geschlechtsreife Tiere auftreten. Aber derartige Fest- stellungen an Massenkulturen sind natürlich sehr schwierig und vielleicht unsicher; auch ist es dann schwer erklärlich (wenn auch theoretisch vorstellbar), warum auch bei jenen späteren Wieder- holungen die Geschlechtstiere immer gleichzeitig in Masse auftreten und nicht zerstreut nacheinander, da doch die Knospen nicht gleich- zeitig gebildet und abgelöst werden. Andererseits wieder entspricht sichtlich einer stärkeren Knospung zwischen zwei Perioden auch eine größere Intensität der nächsten Periode. Ich muss diese interessante Frage, deren Verfolgung vielleicht zur Feststellung eines gesetzmäßigen Generationswechsels bei den Hydren führen könnte, leider offen lassen. 8d) Gonochorismus (hierzu Tabelle VII). Bei Beginn meiner Untersuchungen an Hydra war es eines der vorgesteckten Ziele, die Ursachen womöglich aufzudecken, welche bei den Versuchen Hertwig’s und Krapfenbauer’s das ausschließ- liche Auftreten von männlichen Geschlechtstieren veranlasst haben mochten. Diesem Zwecke sollten neben der Verwendung neuen Materiales vor allem die mannigfachen Kombinationen verschiedener Kulturbedingungen dienen; es sollte durch eine dieser Kombinationen womöglich auch Eibildung erzielt werden. Aber es schien alles umsonst; ich bekam zwar etwa 4 Wochen nach Beginn der Zucht jener neuen im Oktober gefangenen Tiere einige Geschlechtstiere von H. yrisea mit Eiern (ohne Hoden) (16, November), welche isoliert und sorgfältig als Kultur 29 weitergezüchtet wurden; aber dieses Resultat war zu gering (unter 200 Tieren nur 5), und die Tiere noch zu kurz in geregelter Kultur, als dass irgendwelche zuverlässige Schlüsse möglich gewesen wären. Weiterhin aber von Monat zu Monat brachten alle Nachkommen jenes neuen Materiales, alle aus der Stammkultur abgezweigten und wieder verzweigten Kulturen immer nur männliche Geschlechts- tiere; unter vielfach wechselnden Bedingungen, durch viele Gene- rationen, waren immer die Geschlechtstiere, wo solche auftraten, nur mit den charakteristischen Hodenbläschen bedeckt. Ich war trotzdem immer noch geneigt, anzunehmen, dass es nur daran liegen möge, eine geeignete Kombination oder Auf- einanderfolge von Bedingungen zu finden, um diese Tiere auch zur Bildung von Eiern zu bringen. Frischholz, Zur Biologie von Hydra. DT Da trat aber Anfang Februar ein Erfolg in einer meiner Kul- turen ein, der sofort eine ganz andere Auffassung der Sachlage veranlasste. Anfang November hatte ich ein Exemplar fusca ım Freien gefunden, welches zwei reife beschalte Eier am Magenteil trug; dieses Tier wurde allein in ein frisches Glas gesetzt und es gelang mir wirklich, dasselbe, nachdem es seine beiden Eier abgelegt hatte, am Leben zu erhalten und weiterhin zur Erzeugung vieler und ge- sunder Nachkommen durch Knospung zu bringen; die beiden abge- legten Eier waren natürlich entfernt und gesondert aufbewahrt worden. Die Kultur war anfänglich nicht leicht; das Tier war während und einige Zeit nach der Eiablage dauernd kränklich und zum Teil in typischer schwerer Depression. Sobald aber die Knospung begonnen hatte, unterschied die Kultur sich in nichts mehr von anderen fasca-Kulturen. Nach etwa 1!/, Monaten Zimmeraufenthalt wurde diese Kultur 28 (vgl. Tabelle X und VII) in Kälte versetzt; lange war nichts Be- merkenswertes zu sehen, die Tiere bei der starken Kälte im unge- heizten Raum (ca. 4 5° C.) ziemlich kümmerlich trotz guter Fütte- rung; Ende Januar begann die Temperatur etwas zu steigen (ca. 4- 7° C.); und am 4. Februar, nachdem vorher einige Tiere schwache Depressionserscheinungen gezeigt hatten, fand ich em Tier mit deutlicher Anlage von zwei Eiern; schon am nächsten Tage waren noch drei weitere Hydren mit solchen Anlagen vorhanden; die Kultur wurde in mäßige Kälte (+ 10° C.) versetzt; als nach 14 Tagen die Geschlechtsperiode beendet war, hatten 55°, der allerdings kleinen Kultur normale Eier gebildet; aber nicht ein einziges Tier hatte Hoden bekommen; trotz sorgfältigster Beobachtung konnte an keinem Tiere auch nur ein Bläschen bemerkt werden. Zugleich wurde ich nun auf das Verhalten jener vorerwähnten Kultur 29 von fünf weiblichen grisea aufmerksam; sie war mit anderen grisea-Kulturen Ende Januar aus Kälte in Zimmertempe- ratur versetzt worden; alle diese anderen Kulturen, soweit sie nicht sofortige Depression hinderte (36, 37, vgl. S. 269/270), bildeten innerhalb 14 Tagen kräftig Hoden (27, 20, 34, 41); 29 dagegen, ohne Depression, blieb dauernd ohne Hodenbildung; Anfang März aber glaubte ich, nach fünftägiger Pause der Beobachtung zwei Tiere zu sehen mit den Resten von Eipolstern, also nach abgelegtem Kı. Jedenfalls war demnach diese ursprünglich weibliche Kultur durch sonst geeignete Einwirkung nicht zur Hodenbildung zu bringen; und ich bin fest überzeugt, wenn diese Kultur Geschlechtstiere ge- bracht hätte, wären es nur weibliche gewesen; nur scheint mir die Hervorbringung von Eiern im ganzen einer längeren und stärkeren Einwirkung zu bedürfen als jene von Hoden. Leider konnte weder Kultur 29 noch 28 wegen des drängenden Abschlusses und der 278 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Ausarbeitung der Untersuchungen zweckmäßig weiterkultiviert werden; ichkann deshalb über etwaige Wiederholungsperioden an weib- lichen Kulturen auch nichts aussagen; wohl aber brachte ich wieder einige der Tiere aus 28 nach Ablage der Eier zu erneuter Knospung. Das Resultat war also ein erblicher Gonochorismus aller Tiere in meinen Kulturen; nie ist, bei einer Kulturführung von teilweise über 4 Monaten, eine Abweichung davon vorgekommen. Kultur 28 hat zugleich gezeigt, dass geschlechtsreife weibliche Tiere wieder zur Knospung, und diese Nachkommen wieder zu geschlechtlicher Ausbildung gebracht werden können. Für männliche Tiere konnte ich das gleiche Experiment viel öfter und stets mit Erfolg machen. Es hat sich für A. fusca & und 9 und grisea & folgendes ergeben und gilt wahrscheinlich auch für weibliche AH. grisea: Geschlechtstiere sterben nach Ausreifung und Ab- lage ihrer Geschlechtsprodukte bei geeigneter Kultur- führung nicht ab; sie können wieder zu ungeschlechtlicher Vermehrung gebracht werden (auch H. grisea 9), und ihre Nachkommen (die Muttertiere selbst wahrscheinlich nicht) können wieder Geschlechtsprodukte bilden; dies geschieht unter den für die betreffende Spezies auch sonst wirk- samen Bedingungen. Alle bei den vorliegenden Versuchen gesammelten oder gezüchteten Geschlechtstiere waren rein gonocho- ristisch, und der Geschlechtscharakter erbte sich streng fort.durch alle Generationen bei einer Kulturführung von zum Teil über 4 Monaten; alle Nachkommen männ- licher Tiere konnten nur wieder zur Hodenbildung, alle Nachkommen weiblicher Tiere nur wieder zur Eibildung gebracht werden; dieäußeren Bedingungen hatten keinen Einfluss auf den Geschlechtscharakter der Tiere; die Ei- bildung geschah, wenigstens bei A. fusca, unter denselben äußeren Bedingungen wie die Hodenbildung. Se) Zusammenhang zwischen Depression und geschlechtlicher Fortpflanzung. Krapfenbauer (1907) erwähnt bei der Schilderung der Hoden- bildung in seinen Kulturen (S. 28 das.), dass bei den Futter-Kälte- kulturen stets der Hodenbildung ein an Depression erinnernder Zustand vorausging. Bei Protozoen ist in vielen Fällen (Popoff, 1907 etc.) ein Zusammenfallen von Depression und Konjugations- neigung beobachtet, das auf eine Verwandtschaft beider Vorgänge schließen lässt. So war ich veranlasst, auch in meinen Kulturen nach einem solchen Zusammenhang zu forschen. Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 379 Ich kann sogleich das Ergebnis voranstellen: ich konnte in meinen Kulturen der Serie III und IV ein solches Zusammenfallen von Depression und geschlechtlicher Ausbildung in keinem Falle sicher nachweisen. Vielmehr traten meist die Geschlechtstiere auf, ohne dass vorher in den Kulturen sich irgendwelche Depressions- erscheinungen gezeigt hätten, ja meist sogar bei besonders gesundem und kräftigem Aussehen der Tiere; oder es war in einigen Fällen nur sehr schwache partielle Depression in einer Kultur vor dem Auftreten zahlreicher Geschlechtstiere zu beobachten (vgl. Tabelle VII und VID. In wenigen Fällen wurde allerdings ein direktes zeit- liches Zusammentreffen beobachtet; aber es ist natürlich in Massen- kulturen sehr schwierig zu bestimmen, ob auch eben jene Tiere, welche in Depression waren, nachher Geschlechtsprodukte bilden; denn die Depressionen sind oft nur partielle, und nie haben alle Tiere einer Kultur Geschlechtsprodukte gebildet (höchstens 55°/,). Andererseits habe ich schon früher (S. 270) erwähnt, dass Kulturen trotz geeigneter Einwirkung nicht zur Bildung von Geschlechts- produkten kamen, wenn sie in Depression waren, wiewohl gleich- zeitig in anderen genau gleich behandelten aber normal gebliebenen Kulturen zahlreiche Geschlechtstiere auftraten. . Jedenfalls war es nicht möglich, in der Aufeinanderfolge und den Abständen der zahlreichen Depressionen und Perioden ge- schlechtlicher Ausbildung irgendwelche Regelmäßigkeit zu erkennen, weder in den einzelnen Kulturen, noch bei Vergleichung der Kul- turen untereinander (s. Tabelle VII und. VIII); dem entspricht auch die im Abschnitt 8c geschilderte Beobachtung, dass die Bildung von Geschlechtsprodukten nicht durch dieselben Einwirkungen ver- anlasst wird, wie der Eintritt einer Depression. Es ließen sich demnach zwischen den Erscheinungen bei Hydra, welche ich als Depressionen geschildert habe (vgl. Abschnitt III „Schluss“*) und der Neigung zur Ausbildung von Geschlechtsprodukten bei Hydra keine einigermaßen regelmäßigen Beziehungen erkennen. 9. Serie V. Ende November 1907 hatte ich eine Anzahl Aaydra-Eier ge- sammelt, teils von geschlechtsreif gefundenen Hydren, die nach der Eiablage meist eingingen, teils an Pflanzen und im Bodensatz des Materiales einer Exkursion vom 30. November. Die Durchsuchung des letzteren Materiales ergab 16 Eier; von Hydren aus meinen Aquarien hatte ich fünf erhalten, von denen aber zwei zwar auch beschalt waren, aber nicht normal schienen. Von diesen 21 Eiern erhielt ich 15 junge Hydren, ein ziemlich gutes Resultat; das Aus- schlüpfen geschah unter folgenden Umständen: Das gesamte Eimaterial, ungefähr gleichzeitig gesammelt, war 280 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. zunächst ım Kältebassin bei ca. + 11° C. gehalten, ungefähr der Wassertemperatur im Freien entsprechend (November sehr mild). Schon ın dieser Temperatur schlüpfte eine Hydra aus, wahr- scheinlich aus einem ca. 5 Wochen alten Ei; ıch hatte leider das Material zum Teil vereinigt, so dass eine Identifizierung schwierig war. Dann wurden die übrigen Eier etwa 14 Tage bei ca. 16° ©. gehalten; in dieser Temperatur kamen weitere sieben Hydren zum Vorschein; endlich im Zimmer bei + 20° der Rest von acht jungen Tieren; eine Hydra verließ das Ei erst zwei volle Monate nach der Anlage der Eikultur; die übrigen S—31 Tage danach; unbekannt ist natürlich, wie alt die Eier am Tage des Einsammelns schon waren; da sechs Eier durch Verpilzung zugrunde gingen, kann ich auch nicht sicher sagen, ob jene Eier von Hydren meiner eigenen Zucht in dieser Zeit zum Ausschlüpfen kamen. Die Eier waren dabei dauernd in zwei großen Uhrgläsern auf- bewahrt, ohne Pflanze, aber bei häufigem Wasserwechsel. Die Temperatur schien also keinen Einfluss auf die Schnellig- keit der Entwickelung zu haben, doch fehlt für sichere Beurteilung das Datum der Eiablage; wichtig ıst aber, dass auch bei dauerndem Verweilen eines Eies in mäßiger Kälte (+ 10°) die Entwickelung zum Abschluss und das junge Tier zum Ausschlüpfen kam; alle diese jungen Hydren erwiesen sich als fusca; so ıst es also möglich, diese Spezies vom befruchteten Eı ab, das ja bei fusca gerade in jener Temperatur von — 10° am leichtesten erhalten wird, ohne jeden Temperaturwechsel zum Embryo, zur jungen Hydra und weiter zu züchten. So ließe sich direkt experimentell beweisen, ob, wie ich im Abschnitt Sc gefolgert habe, Hydren, welche nie- mals einem Wechsel der Temperatur ausgesetzt waren, bei dauerndem Verweilen in geeigneter gleichmäßiger Temperatur doch zur Ge- schlechtsreife kommen. Ich wollte das erhaltene Material zu ähnlichen Versuchen ver- wenden, leider aber fiel die Zeit des Ausschlüpfens mit der Hoch- flut meiner übrigen Kulturen zusammen; 50—40 Gläser waren zu füttern, zu beobachten, zu wechseln etc. So fehlte es meinen jüngsten Hydren an der geeigneten Pflege, und der größte Teil der Tierchen ging ein, ehe ich sie in regelrechte Kultur nehmen konnte. Dies beruht darauf, dass die junge Hydra sehr wenig widerstands- fähig gegen Nahrungsmangel ist; das im Ei aufgespeicherte Reserve- material wird wohl meist für die Entwickelung ganz aufgebraucht. Von meinen anderen Hydren, diesen Hungerkünstlern, ın dieser Beziehung verwöhnt, schenkte ich diesem Umstande nicht genügend Beachtung und verlor so anfänglich das meiste Material. Es ist nötig, den ausgeschlüpften Hydren sogleich Futter in Form kleiner Daphnien oder Oopepoden reichlich zu bieten; denn sie sind zunächst auch wenig geneigt oder geschickt zum Fang; spärliches Futter Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 981 bleibt leicht unbeachtet; und schon Hunger von 4—5 Tagen kann sie zur Verkümmerung bringen und dauernd unfähig machen zur Nahrungsannahme; dann gehen sie allmählich ein. Ich vermute, dass dieser Umstand neben den tödlichen De- pressionen bei starker Ernährung, die Übersetzung der Gewässer im Freien mit Hydren verhindert, deren ungeschlechtliche Ver- mehrung bei reichlicher Nahrung im Laufe eines Sommers sonst ungeheure Mengen ergeben würde; nur selten aber werden ın der Literatur massenhafte Funde von Hydren erwähnt; und besonders im Frühjahr scheint die Zahl der Tiere oft sehr gering, wie auch meine eigenen in der Einleitung erzählten Erfahrungen beweisen. Als wesentlichste Beobachtungen bei diesen Eikulturen erscheinen mir folgende: Befruchtete, abgelöste Eier (Embryonen) von H. fusea wurden gefunden im Freien Ende November bei einer Wassertemperatur von ca. + 10°C. Diese Embryonen entwickelten sich bei Temperaturen von + 10° bis 20°C. weiter und kamen zum Ausschlüpfen. Die jungen Hydren ertragen selbst kurze Hungerperioden (4—5 Tage) nach dem Ausschlüpfen nicht; sie werden unfähig zur Nahrungs- aufnahme, verkümmern und sterben ab. Die Resultate der Kulturen, welche ich von den aus dem Eı gezüchteten und am Leben gebliebenen Tieren anlegen konnte, sind kurz geschildert; sie sind gleichfalls durch die zu große Arbeit an anderen gleichzeitigen Kulturen und dann durch die Notwendig- keit des Abschlusses der Untersuchungen beeinträchtigt. Es wurden zwei Stammkulturen angelegt: Kultur 44 mit 5 Tieren ” 45 ” 2 N Beide Mitte Dezember angelegt und in Zimmertemperatur bis Mitte Mai normal geführt, ergaben nichts Bemerkenswertes; Ver- mehrung, Aussehen etc. war gleich anderen fusca-Kulturen; meist aber waren die Tiere von besonders schönem und kräftigem Aus- sehen; Depressionen kamen bei der mäßigen und ziemlich gleich- förmigen Fütterung ohne Temperatur- und Glaswechsel nicht vor; ebensowenig wegen der Führung in Zimmertemperatur (fusca!) Bil- dung von Geschlechtsprodukten. Von Kultur 45 wurde Ende Januar eine Versuchskultur 55 abgezweigt und in Kälte versetzt; es waren 25 der schönsten Tiere. Mitte Februar wurde dann aus 44 eine gleiche Kultur 62 mit 16 Tieren angelegt und gleichfalls in Kälte versetzt. Ich stelle die Schicksale dieser Tiere vom Datum ihres Aus- schlüpfens an kurz zusammen. Tiere der Kultur 62: Ausgeschlüpft: ca. 10. Dezember. 382 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. In Zimmertemperatur bei mäßiger Fütterung und Knospung 70 Tage (bis 17. Februar). In Kälte + 11° bei Hunger: über 3 Monate. 4 Tage nach Versetzung in Kälte: mäßige Depression, welche unverändert, ohne Absterben ca. 40 Tage dauerte. Geschlechts- produkte wurden nie beobachtet. Tiere der Kultur 55: Ausgeschlüpft ca. 15. Dezember. In Zimmertemperatur bei mäßiger Fütterung und Knospung: 58 Tage (bis 3. Februar). In Kälte + 11° bei schwacher Fütterung: über 3 Monate. Ohne Depression; aber nach 55 Tagen Kälte bei schwacher Fütterung Beginn von undeutlicher Gonadenbildung; 5—6 Tage vorher einmalige starke Fütterung. Pflege und Beobachtung dieser Tiere waren, wie gesagt, etwas unregelmäßig, und das Resultat dieser Kulturen scheint weniger beweiskräftig, überdies auch weniger bedeutend. Ich würde sie auch hier nicht aufgeführt haben, wenn nicht das Ausbleiben von Geschlechtstieren trotz langer Einwirkung geeigneter Temperatur merkwürdig wäre; denn auch in Kultur 55 war die nach fast zwei- ‚ monatiger Kältewirkung eingetretene Erscheinung keine normale Gonadenbildung; nur wenige Tiere bekamen normale Hoden; ein größerer Teil zeigte stark verdicktes Ektoderm, gelblich und höckerig, ohne dass sie Hoden, noch auch reife Eier ausgebildet hätten. Im ganzen zeigten 15 Tiere (unter 40) solche Veränderungen oder normale Hoden. Dieser Zustand dauerte während des ganzen April bis in den Mai hinein fort. Das Aussehen der Tiere war oft jenem bei beginnender Eibildung sehr ähnlich; aber ich habe auch nie ein entwickeltes Ei an den Hydren, noch sonstwo im Glase ge- funden. Kultur 55 war dabei nur mäßig gefüttert, Kultur 62 ganz ohne Futter. Die Tiere waren im ganzen vom Ausschlüpfen ab 5—6 Monate in Kultur und Beobachtung. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Jugend der Tiere die Ursache ihrer Sterilität sei; und vielleicht waren auch die Stamm- tiere zu meinen Ausgangskulturen A, B, © (s. Kap. 5), welche ich im Frühjahre ganz isoliert gefunden habe, jung ausgeschlüpfte Tiere; denn auch alle Abzweigungen aus diesen Kulturen haben sich fast ganz steril gezeigt (s. S. 271), wiewohl ich einzelne dieser fusca- Kulturen bis zu 10 Monaten in Kultur und Beobachtung hatte; dabei mag freilich zuletzt die geringe Fürsorge, welche ich ihnen noch widmen konnte, störend eingewirkt haben. Immerhin bleibt eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass neuaus- geschlüpfte Hydren bis zu einem gewissen Alter (ver- schieden nach Umständen) überhaupt nicht zur Ge- schlechtsreife kommen. Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 255 III. Schluss. Im experimentellen Teile dieser Abhandlung habe ich der Schilderung der Depressionserscheinungen bei Hydra einen sehr breiten Raum gewährt. Dies rechtfertigt sich durch die hohe theo- retische Wichtigkeit der im Zusammenhange mit dem Begriff „De- pression“ zurzeit diskutierten Fragen. Die Bezeichnung Depression hat zuerst Calkins gebraucht für Zustände auffallender Verminderung der Lebensenergie, welche er an Protozoen in Kulturen beobachtet hatte. R. Hertwig und seine Schüler haben dann solche Erscheinungen, für welche Hert- wig den Namen Depression beibehielt, an einer Reihe von Protozoen beobachtet und eingehend biologisch und morphologisch untersucht. Mit diesen an Protozoen beobachteten Depressionen zeigen nun die geschilderten, von mir bei Hydra beobachteten Vorgänge weit- gehende Analogien; ich glaubte deshalb berechtigt zu sein, für dieselben gleichfalls den Namen Depressionen zu wählen, um so mehr, da Hertwig selbst schon (1906a) und nach ihm Krapfen- bauer (1907) gelegentlich beobachtete Erscheinungen dieser Art bei Hydra als Depressionen bezeichnet, und sie dadurch ihrem Wesen nach den Depressionen der Protozoen gleichgestellt hat. Die Depression bei Protozoen äußert sich im Aufhören der Nahrungsaufnahme bei reichlich vorhandenem Futter, in Behinderung der Bewegung, in gewissen Formänderungen, in großer Sterblich- keit und dem Unterbleiben von Teilungen (Hertwig, 1903a; Popoff, 1907; Prandtl, 1907). Solche Erscheinungen wurden be- obachtet an Tieren in Kulturen, und zwar nach lange fortgesetzter Züchtung bei starker Fütterung. Eine Einwirkung äußerer Be- dingungen hat sich ferner ergeben bezüglich der Temperatur; es seien Depressionen bei Wärme seltener aber schwerer, bei Kälte rascher aufeinanderfolgend, aber weniger gefährlich (Hertwig, 1903 a, 1905, 1907). Hunger endlich nach starker Fütterung ver- setzt die Tiere rasch in Depressionszustand (Kasantzeff, 1901: Hertwig, 1905). - Die meisten dieser Merkmale konnte ich bei den Depressionen der Hydren in ganz analoger Weise beobachten; es treten dieselben äußeren Anzeichen der Funktionsstörung ein, die Verweigerung der Nahrungsannahme, die verminderte oder ganz aufgehobene Be- wegungsfähigkeit, auffallende Formveränderungen, das Unterbleiben der Knospung, und endlich große Sterblichkeit in den Kulturen; und ebenso wie bei Protozoenkulturen hat sich bei meinen Kulturen gezeigt, dass länger fortgesetzte Züchtung bei starker Fütterung die Tiere diesem Zustande der Funktionsunfähigkeit nähert. In einzelnen Punkten haben aber meine Resultate Abweichungen ergeben von den bei Protozoen gemachten Beobachtungen. Ich musste neben dem, die Neigung zu Depression erzeugenden XXIX. 18 284 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Einfluss der Fütterung noch besondere Einwirkungen annehmen, welche erst; den jeweiligen Eintritt der sichtbaren Depressions- erscheinungen veranlassen; ich habe dieselben „auslösende Faktoren“ genannt. Als solche haben sich immer plötzliche, rasche Änderungen von Existenzbedingungen nach einer bestimmten Richtung hin, er- wiesen; rasche Erhöhung der Temperatur, neue starke Anfütterung nach einer Fütterungspause, Umsetzen in neues sauerstoflreiches Wasser hatten fast ausnahmslos baldige Depressionen zur Folge. Die Wirkungsweise dieser Faktoren im einzelnen war aber nicht dieselbe, wie die oben für Protozoen angegebene. Solche Abweichungen können natürlich nicht als Widersprüche gegen die an Protozoen gewonnenen Erfahrungen geltend gemacht werden; die Beziehungen der Zellen eines Metazoons zur Außen- welt sind stark beeinflusst durch die gegenseitigen Beziehungen der Zellen und Zellgruppen des Organismus selbst, die sich aus der verschiedenartigen Belek ne und der Arbeitsteilung im vielzelligen Organismus ergeben. So bewirkt bei Hydra z. B. die enorme Fähigkeit des Entoderm zur Aufspeicherung von Reserve- nährstoffen einen gewissen Grad der Unabhängigkeit der Lebens- vorgänge von einem Wechsel in der äußeren Nahrungszufuhr. Die Speicherungsfähigkeit spricht sich schon äußerlich in der intensiven Dunkelfärbung und der Verdickung des Entoderm nach starker Fütterung aus, während das Ektoderm fast stets vollkommen glas- hell Tl dünn bleibt. Wenn sich daher plötzliches Une der Fütterung bei meinen Versuchen nicht wie bei Protozoen als ein Mittel zur Hervorrufung von Depressionen erwiesen hat, so scheint dies leicht erklärlich; eine Hydra wird dadurch nicht sofort in eigentlichen Hunger versetzt, in jenem Sinne wie eine einzelne Zelle; dieser tritt erst allmählich ein durch Verbrauch der auf- gespeicherten Reserven. Eine andere Abweichung meiner Resultate ist gegeben in der Beziehung der Depressionen zur Sexualität. Bei Protozoen haben sich Hinweise auf Beziehungen zwischen den Depressionen und der Neigung zu Konjugation ergeben, in häufigem zeitlichem Zusammen- fallen beider Erscheinungen in den Kulturen sowohl wie auch durch Beobachtungen gleichartiger histologischer Veränderungen der Zellen in den rl Fe (Hertwig, 1899; Popoff, 1907). Ein analoger zeitlicher Zu eins zwischen Depressionen und dem sen von Geschlec pe Meien war bei den Hydren in meinen Kulturen absolut nicht festzustellen. Depressionen und die Zeiten geschlechtlicher Ausbildung der Tiere in den Kulturen zeigen weder ein häufigeres Zusammenfallen noch eine irgendwie erkennbare Regelmäßigkeit der Aufeinanderfolge. Trotzdem besteht die Möglichkeit, dass auch hier die Reifung der Geschlechtszellen in Beziehung steht zu Depressionszuständen derselben. Man gesteht Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 2855 den germinativen Zellen im Metazoenkörper eine gewisse Unab- hängigkeit vom Soma zu in bezug auf Entwickelung und funktionelle Tätigkeit. Es wäre danach denkbar, dass die bei Hydra be- obachteten Depressionen nur Teildepressionen sind in bezug auf den ganzen Organismus, und dass neben ihnen analoge Vorgänge z. B. im interstitiellen Lager, der Bildungsstätte der Keimzellen, zeitlich unabhängig und ohne äußerlich wahrnehmbare Symptome gesondert verlaufen; dass also sozusagen „somatische* und „germi- native* Depressionen zu unterscheiden wären. Dafür fehlt natürlich hier jeder Beweis; es ist möglich, aber keineswegs sicher, dass eine Bestätigung oder Widerlegung dieses Gedankens sich gewinnen ließe aus der histologischen Untersuchung entsprechender Stadien bei Hydra; ich habe solches Material reichlich konserviert, leider aber war mir bis jetzt eine Verarbeitung desselben noch nicht möglich. Ich wollte mit diesen hypothetischen Erklärungsversuchen nur darauf hinweisen, dass die Abweichungen in meinen Resultaten gegenüber den erwähnten Beobachtungen an Protozoen nicht ohne weiteres gegen dieselben und die daraus gezogenen Folgerungen geltend gemacht werden dürfen. Die Frage nach der Ursache der Depressionen und ihrer Be- deutung im Leben der Organismen ist noch strittig. R. Hertwig und andere haben in zahlreichen Beobachtungen bei Protozoen im Zustande der Depression ausgesprochene Kernhypertrophie fest- gestellt (Hertwig, 1903a; Popoff, 1907; Prandtl, 1907). Hert- wig ist der Ansicht, dass dieses abnorme Wachstum des Kernes eine Folge der natürlichen Funktion der Zelle ist und dass diese Veränderung des Organismus die Ursache der eintretenden Funktions- unfähigkeit sei (Hertwig, 1903a, 1905). Eine vollkommen entgegengesetzte Anschauung vertritt En- riques auf Grund seiner Versuche mit Protozoen; die Depressionen seien lediglich die Folge ungünstiger äußerer Bedingungen, ins- besondere starker Vermehrung der Bakterien bezw. der Produkte derselben im Wasser der Kulturgefäße; die Kernhypertrophie bei den in Kulturen gezüchteten Protozoen könne so eine Folge der Giftigkeit des umgebenden Wassers sein, es bestehe keine „physio- logische Degeneration“ nach Hertwig, sondern nur eine patho- logische (Enriques, 1907). Ich glaube, einige meiner biologischen Ergebnisse sprechen gegen diese Anschauung. Wie oben erwähnt, traten häufig gerade nach Übertragung von gut gefütterten Tieren in andere Gläser mit frischem reinem Wasser sehr rasch Depressionen ein, während in sonst gleich behandelten Parallelkulturen ohne solches Umsetzen sich keine Depressionserscheinungen zeigten; eine toxische Wirkung des Mediums kann in diesem Falle wohl nicht angenommen werden. Leicht erklärlich scheint dagegen diese Be- obachtung bei Annahme der Entstehung der Depression durch die 18” 286 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. Funktion der Zellen, da es wahrscheimlich ist, dass die Übertragung in das stets gut durchlüftete frische Wasser eine rasche Erhöhung des Stoffwechsels der Tiere bewirkt. Auch die übrigen äußeren Einwirkungen, welche nach meinen Beobachtungen den Eintritt von Depressionen bewirkten, waren, wie oben erwähnt, solche, welche geeignet sind, plötzlich eine bedeutende Steigerung der funktionellen Tätigkeit der Zellen zu veranlassen. Endlich scheinen mir auch die Resultate, welche ich mit Durchlüftung der Kulturen erzielte, mit der Annahme toxischer Wirkungen bei Entstehung von Depressionen schwer vereinbar. Wenn Kulturen, in welchen Tiere in Depression gekommen waren, mittelst des Gebläses einige Tage durchlüftet wurden, erholten sich sämtliche Tiere ın dieser Zeit zu vollkommen normalem Zustande; wurden dagegen neu angelegte gesunde Kulturen dauernd gleichmäßig durchlüftet, dann traten in ihnen unter denselben Umständen und ziemlich gleichzeitig wie ın nicht durchlüfteten Parallelkulturen die Depressionen ein. Hätte im ersteren Falle die Durchlüftung eine zerstörende Wirkung auf irgendwelche schädliche Stoffe im Wasser gehabt, dann müsste sich eine solche auch äußern bei dauernder Durchlüftung von Kulturen und also Depressionen verhindern; sind letztere aber durch die Dauer und Intensität der funktionellen Tätigkeit der Zelle selbst bestimmt, dann ist es wohl denkbar, dass infolge Anpassung der Zellen an eine dauernd gleichmäßige äußere Einwirkung (Durch- lüftung) der Organismus auf andere, den Stoffwechsel plötzlich und stark beeinflussende Einwirkungen wieder ebenso mit Depressionen reagiert wie sonst. Solchen Rückschlüssen haftet freilich immer eine gewisse Un- sicherheit an; und dies um so mehr hier, wo mir die Kontrolle morphologischer Untersuchungen noch fehlt, um etwa durch Fest- stellung jener Veränderungen in den Zellen, welche nach Hertwig die Ursache der Depressionen bilden sollen, Bestätigungen nach der einen oder anderen Seite zu gewinnen. Die vorstehende Arbeit will auch zunächst nur Erfahrungsmaterial für das Verhalten eines vielzelligen Tieres bei Depressionen bieten; denn für Metazoen fehlt bisher jede systematische experimentelle Untersuchung dieser Erscheinungen; und doch sind diese wichtig genug, dass jeder Bei- trag zu ihrer Klärung erwünscht erscheinen mag; einerseits durch die Beziehungen zur Sexualität, welche, wie oben erwähnt, sich als wahrscheinlich ergeben haben; Hertwig hält die Befruchtung für einen notwendigen Vorgang der Reorganisation bei Zellen, welche durch fortgesetzte funktionelle Tätigkeit der Funktionsunfähigkeit nahe gekommen und nicht mehr fähig sind, durch Selbstregulation sich wieder in normalen Zustand zu versetzen (Hertwig, 1902, 1905); und weiter folgert er andererseits, es seien Zellen, denen die Möglichkeit solcher Reorganisation fehlt, dem physielogischen Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 987 Tode ausgesetzt durch Summation der Schädigungen, welche die Zelle durch die andauernde Funktion erleidet (Hertwig, 1906 b, 1907; Popoff, 1907). So ıst die Frage nach der Ursache der Depressionen in letzter Linie von Wichtigkeit für die Frage nach der Ursache des natürlichen Todes vielzelliger Organismen. Wenn die Depression eine pathologische Erscheinung ist, spontan ver- anlasst durch äußere Einwirkung, dann fallen natürlich die obigen Folgerungen weg; und Enriques kommt dementsprechend auch zu einem solchen Resultate. Zum Schlusse, möchte ich noch über jene Fälle aus der Lite- ratur kurz berichten, welche eine Beobachtung von Depressions- erscheinungen bei Hydren erkennen lassen. Experimentelle Be- obachtungen hierüber liegen, wie gesagt, außer den kurzen Angaben von Hertwig und Krapfenbauer nicht vor; aber es lässt sich bei Durchsicht der Literatur, welche ich zu anderem Zwecke gründ- lichst vorgenommen habe, erkennen, dass Depressionen bei Hydren auch schon früheren Beobachtern nicht selten aufgefallen sind, wenn sie natürlich auch nicht als solche benannt und gedeutet wurden. Jedenfalls ist damit wenigstens für ein vielzelliges Tier der Nachweis erbracht, dass auch hier Depressionen, mögen sie aus welchem Grunde immer eintreten, regelmäßig auftretende Erschei- nungen sind. Schon Trembley (1744) beschreibt (S. 55) die Formänderungen und den endlichen Zerfall von Polypen durch une maladie tres dangereuse; die zugehörige Abbildung Fig. 10, Taf. IV zeigt deut- lich eine Hydra in Depressionshabitus. Taf. VII, Fig. 11 bildet er dann eine Hydra ohne Tentakel ab, dicht besetzt von „Läusen“. Seine Beschreibung (Übersetzung Goeze, S. 185 etc.) lässt keinen Zweifel, dass diese „Läuse“ die häufig auf Hydren vorkommenden Stylonichen sind, und die Abbildung stellt aufs getreueste eine Hydra m hoher Depression dar. Trembley glaubt, die Läuse haben den Hydren die Arme abgefressen. Naiv mutet die An- merkung an, welche der Übersetzer Goeze zu dieser Stelle macht: „Ich habe welche gesehen, die sich vor Angst auf den Kopf stelleten, und denen die Arme bereits halb abgefressen waren. Da die Polypen ein sehr zartes Gefühl haben; so stelle man sich ihre Empfindungen vor, wenn viele Tausend solcher Läuse mit unzähligen Füßen an ihnen herumlaufen.“ Ob allerdings die Stylonichen und Trichodinen auf den Hydren lediglich Raumparasiten sind, oder ob sie dieselben auch irgendwie schädigen, scheint mir nicht entschieden zu sein. Ich konnte nur feststellen, dass diese Tierchen dann besonders ın Masse auftreten, wenn die Hydren durch Verkümmerung, Depression oder sonstwie geschwächt oder schon anormal sind. Endlich beschreibt Trembley (S. 183/4; Goeze, S. 240 etc.) noch ein Vorkommnis, welches Beachtung verdient, weil es höchst - 288 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. wahrscheinlich als Beobachtung von Depressionen im Freien auf- aufzufassen ist. Er hat ım Juli 1742 an einer Stelle eines Grabens eine außergewöhnliche Menge von Hydren und zugleich eine sehr starke Bevölkerung mit Wasserflöhen (Daphniden) entdeckt. Ziemlich lange, ıns Wasser gefallene Zweige etc. seien „ohne die Sache zu übertreiben, ganz damit, wie eine Peruke mit Haaren bedeckt“ ge- wesen. Ein Stück eines solchen, dicht mit Hydren besetzten Zweiges stellt seine Taf. IX dar; mit künstlerisch schöner Linien- führung ist das Gewirre der zahllosen Tentakel wiedergegeben. Weiterhin gibt aber Trembley an: „einige Tage nachher verminderte sich die Anzahl derselben mit einemmal“; nach 8 Tagen fand er an derselben Stelle an Zweigen etc. „nur solche Reste von Polypen daran, die bloß denen noch kenntlich waren, die dergleichen hatten sterben sehen“; er vermutete Vernichtung durch die „Läuse“. Dieser Vorgang lässt sich wohl, da die Angaben Trembley’s als unbedingt zuverlässig gelten müssen, wie seine Beobachtungen stets sehr sorgfältige und eingehende sind, sicher als ein Aussterben der ganzen Hydren-Kolonie durch Depression erkennen, welches eingetreten ist nach der vorangegangenen außergewöhnlich starken Vermehrung der Tiere durch Knospung infolge des Überflusses an Nahrung; denn von einem so raschen Absterben dieser lebenszähen Tiere aus irgendeinem anderen Anlasse berichtet kein einziger Be- obachter. Dieser Fall ist interessant, weil hier Depression unter natür- lichen äußeren Bedingungen eingetreten ıst; denn man kann doch annehmen, dass wohl kaum in dem (nach Trembley’s An- gaben) langgestreckten, pflanzenbewachsenen und von der Sonne bis auf den Grund durchleuchteten Graben eine Ansammlung schäd- licher Stoffe an einer begrenzten Stelle stattgefunden habe, wie in einem engen Kulturglase, insbesondere nicht die Anhäufung schäd- licher Stoffwechselprodukte von Bakterien. Die Angaben der übrigen Autoren kann ich kürzer behandeln. Baker beschreibt im 8. Kapitel seiner umfangreichen Schrift über die Polypen (1744), wie er häufig nicht mehr festsitzende Polypen gesehen hat, deren Körper und Tentakel äußerst verkürzt waren, die schlaff, weißlich, ohne Bewegung waren, und endlich verschwanden, wenn nicht sofort Wasserwechsel stattfand; aber auch dann blieben sie einige Tage in diesem Zustande Er hält hartes Wasser für schädlich und für die Ursache dieser Krankheit; aber er gibt etwas später auch an, dass die „Läuse“ den Polypen die Arme abfressen und sie nach und nach ganz zerstören. „Die Läuse quälen sie sichtlich oft so, dass man sich nicht enthalten kann, einiges Mitleid mit ihnen zu haben.“ Schäffer (1754) bildet auf Taf. II, Fig. 13 u. 14 zwei typische Stadien der Depression ab; im Text (S. 21) schildert er den Zerfall Frischholz, Zur Biologie von Hydra. 289 solcher Polypen. Ebenso deutlich zeigen den Habitus der Depression in verschiedenen Stadien seine Figuren 7—9 auf Taf. Ill seiner Abhandlung vom Jahre 1755; hier bezeichnet er im Text diese Formen als „Missgeburten*. Rösel (1755) schreibt (S. 529), dass die Polypen „im Sommer gar leicht sterben“, sie ziehen die Arme ein, dass man nicht das Geringste mehr davon sieht, und „sind insgemein den zweyten Tag alle tod“. Haucock (1850) bildet auf seinen, durchweg sehr guten Tafeln auch Hydren mit geknöpften Tentakeln ab (Taf. 4, Fig. 5). Eine merkwürdige Beobachtung will Wilson (1891) gemacht haben; er beschreibt, wie Hydren an den Boden des Gefäßes wandern, dort Schlamm fressen, so dass der Körper platzen zu wollen scheint, wie sie starr, halb kontrahiert am ‘Boden liegen, oder matt und bewegungslos an den Seiten des Aquariums hängen. Er will deutlich den Vorgang des Fressens und Auswerfens gesehen haben. Tatsache ist nach meinen häufigen Beobachtungen, dass bei beginnender Depression die Tiere, welche an der Gefäßwand sitzen, gegen den Boden zu wandern; ob aktiv oder durch unfrei- williges Abgleiten konnte ich nicht feststellen; ferner stoßen sie im Zustande hoher Depression oft durch die Mundöffnung eine trübe, körnige halbflüssige Masse aus; dies hat schon der alte Schäffer beobachtet, und diese Körnchen für die Eier der Polypen gehalten. Krapfen bauer (1908) sagt, in Übereinstimmung mit Hertwig (1906), dass gute Ernährung zunächst ‚die ungeschlechtliche Ver- mehrung durch Knospung fördert, dass dies jedoch nicht unbegrenzt weiter geht, sondern nach einiger Zeit Zustände eintreten, welche an die Depressionen bei Protozoen erinnern; und solche Erschei- nungen gingen stets der Bildung von Geschlechtsprodukten voraus. Er hält dies für die Ursache der häufig beobachtbaren großen Sterb- lichkeit der Hydren zur Zeit der Geschlechtstätigkeit. Ich habe, wie oben erwähnt, ein solches zeitliches Zusammenfallen nicht fest- stellen können. Auf Einzelheiten der Arbeiten von Hertwig und Krapfenbauer bin ich schon im experimentellen Teile eingegangen. Hanel (1908) hat häufig Depressionen in ihren Kulturen be- obachtet, dieselben aber nicht näher beschrieben. Sie fand, wie ich, dıe Depressionen unabhängig von der gelegentlich beobachteten Bildung von Geschlechtsprodukten. Die Literatur über die biologischen Verhältnisse bei der Aus- bildung von Geschlechtsprodukten bei Hydra habe ich in der schon oben (S. 189) erwähnten gesonderten Abhandlung (Lit -Verz.) zu- sammengestellt und dort im Zusammenhange mit einer eingehenden Prüfung der systematischen Merkmale der Hydra-Arten festgestellt, dass, den Ergebnissen meiner Experimente entsprechend, tatsäch- lich H. fusca regelmäßig ım Freien im Winter oder in Kulturen 290 Frischholz, Zur Biologie von Hydra. bei niederer Temperatur geschlechtsreif gefunden wurde, H. grisea dagegen im Sommer, bezw. in Kulturen bei höherer Temperatur. Zum Schlusse weise ich noch darauf hin, dass eine Zusammen- stellung der experimentellen Resultate dieser Arbeit sich ergibt aus den im Text gesperrt gedruckten Sätzen. Literatur. 1744. Trembley, A. Memoires pour servir a l’histoire d’un genre de Polypes d’eau douce, ä bras en forme de cornes. Leiden (Übersetzung von Joh. Aug. Eph. Goeze, Quedlinburg 1775: Des Herrn Trembley Abhandlungen zur Geschichte einer Polypenart etec.). 1744. Baker, Henry. Essai sur !’hist. nat. du Polype-Insecte. Traduit de l’Anglais par M. P. Demours, Medecin de Paris. Paris. 1754. Schäffer, J. Ch. Die Armpolypen in den süßen Wässern um Regens- burg. Regensburg. 55. — Die grünen Armpolypen ete. Regensburg. 5. Rösel von Rosenhof, Aug. Joh. Der monatlich herausgegebenen In sektenbelustigung dritter Teil. Nürnberg. 1850. Hancock, Alb. Notes on a species of Hydra found in Northumberland Lakes. The Annals and Magazin of nat. hist. Second Series. Vol. V. {London. 1891. Wilson, E. B. The Heliotropism of Hydra. The American Naturalist; Philadelphia. Vol. XXV. 1899. Hertwig, R. Was veranlasst die Befruchtung der Protozoen? Sitzungs- ber. d. Ges. f. Morph. u. Phys. München. I. Heft. 1901. Kasanzeff, W. Experimentelle Untersuchungen über Paramaecium cau- datum. Jmaug.-Diss. Zürich. j 1902. Hertwig, R. Über Wesen und Bedeutung der Befruchtung. Sitzungsber. d. k. bayr. Akad. d. Wiss. Bd. XXXI, Heft I. 1903a. — Über das Wechselverhältnis von Kern und Protoplasma. Sitzungsber. d. Ges. f. Morph. u. Phys. München. Nov. 1902 u. Mai 1903. 1903b. — Über Korrelation von Zell- und Kerngröße und ihre Bedeutung für die geschlechtliche Differenzierung und die Teilung der Zelle. Biol. Centralbl. Bd. XXIII. 1905. — Über das Problem der sexuellen Differenzierung. Verhandl. d. deutsch. zool. Ges. Breslau. 1906a. — Über Knospung und Geschlechtsentwickelung von Hydra fusea. Biol. Centralbl. Bd. XXVI. 1906b. —- Über die Ursache des Todes. Öffentl. Vortrag. (Erschienen: Allgem. Zeitung Nr. 288—289.) 1907a. — Über den Chromidialapparat und den Dualismus der Kernsubstanzen. Sitzungsber. d. Ges. f. Morph. u. Phys. München. 1907b. — Wie vor! 1907. Popoff, Meth. Depression der Protozoenzelle und der Geschlechtszellen der Metazoen. Arch. für Protistenkunde. Suppl. I. Festband für R. Hertwig. : 1907. Enriques, Paolo. La conjugazione e il differenziamento sessuale negli Infusori. Arch. f. Prot.-Kunde. Bd. IX. Jena. 1908. Hanel, Elise. Vererbung bei ungeschlechtlicher Fortpflanzung von Hydra grisea. Jen. Zeitschr. f. Nat.-Wiss. Bd. XLIII. 1908. Krapfenbauer, A. Einwirkung der Existenzbedingungen auf die Fort- pflanzung von Hydra. Inaug.-Diss. München. 1909. Frischholz, E. Biologie und Systematik im Genus Hydra. Zool. Annalen. Königsberg. (Zurzeit im Druck). v. Prowazek, II. Studien zur Biologie der Zellen. 2391 II. Studien zur Biologie der Zellen. 2. Zelltod und Strukturspannung. Von Dr. S. v. Prowazek. Aus dem „Instituto Oswaldo Cruz“ in Manguinhos. Leiter Dr. OÖ. Cruz. Rio de Janeiro. Die Methodik für ein erfolgreiches Experimentalstudium der Oberflächenspannung der Zellen ist in der letzten Zeit in mannigfacher Weise bereichert worden und wir können uns auf Grund von Ausbreitungserscheinungen der flüssigkolloidalen Proto- plasten an Wassertropfen (Stentor, Ranaeier) oder an Luftblasen, sowie auf Grund ihres Verhaltens in osmotisch wirksamen Sub- stanzen ein ungefähres Bild von der Natur der äußeren Um- grenzung der Zellen machen. Wesentlich erschwert wird aber in diesem Sinne das Studium der Spannungszustände im Entoplasma bezw. ım Inneren des Protoplasten überhaupt, obzwar auf Grund der hier bereits mitgeteilten Versuche mit Saponin, 1°/, cholal- sauerem Natron, Galle ete., kein Zweifel mehr darüber bestehen kann, dass auch im Inneren der Zellen eine sogen. morphogene Strukturspannung bestehen muss, an der die Zell-Lipoide wesent- lich beteiligt sind. Durch Hervorbringen kolloidaler, flüssiger Ein- schlüsse im Plasma von Protozoen, deren Spannungszustände her- nach studiert wurden, konnten wir experimentell in diesem Sinne einen kleinen Schritt vorwärts tun. Züchtet man nämlich Protozoen wie Amöben (der Limax- Gruppe), Colpidien, Paramäcien, Blepharisma, Acineta, Stylonychia pustulata in t/,—1®°|, Lezithinlösungen, so entstehen meist bereits nach 24 Stunden zahlreiche lipoidartige Tröpfehen im Protoplasma dieser Protisten. Leider verderben die Lezithinlösungen sehr leicht und sind im chemischen Sinne durchaus nicht einheitlicher Natur; 1°/, Lezithinlösungen der Marke „Agfa“ sind für Paramäcien mitunter bereits giftig und man muss sie daher langsam in Zwischen- räumen hinzufügen, besser eignet sich das Kahlbaum’sche Lezithin. Durch die erwähnten Tröpfchen, die besonders bei Paramaecium ein dunkles Aussehen der Organismen bedingen, wird die Zyklose im Entoplasma der Infusorien sehr verdeutlicht. Die Tröpfchen besitzen infolge ihrer Kleinheit eine große Oberflächenspannung, trotzdem können sie sich zu größeren Tropfen nicht vereinigen, da derartigen Vorgängen die innere Strukturspannung der Zelle entgegenarbeitet. Beim Zerfließen der Colpidien unter Deckglasdruck oder in einem noch günstigeren Falle, sobald von der Seite des Präparates eine Luftblase vorrückt und die Protisten zum Zerfließen veranlasst, kann man dagegen unter Umständen eine!Vereinigung dieser Lipoidtröpfchen direkt beobachten. 299 v. Prowazek, II. Studien zur Biologie der Zellen. Im letzteren Falle vereinigen sie sich, während das Protistenplasma als Flüssigkeit an der Oberfläche der Blase sich etwas ausbreitet, zu Jänglichen oder linsenförmigen Tröpfchen, die der Blasenober- fläche anliegen (Fig. 1). Sobald die Protisten abzusterben beginnen und die innere Zell- spannung unter Lipoidauflösung der Zellstrukturen aufhört, ver- einigen sich die Tröpfchen infolge einfacher physikalischer Gesetze gleichfalls zu größeren Tropfengebilden. Für das Wesen der Todes- erscheinung als einer Auflösung der Strukturspannung in erster Linie ist ferner von Wichtigkeit, dass die Tropfenvereinigung bei Amöben, vor allem bei Paramäcien und Öolpidien in gleicher Weise erfolgt, ob die Protisten nun durch Sauerstoffmangel (Ersticken), Wärme (Paramäcien über 42° C.), Zerfließenlassen (Paramäcien), Chinin (Paramäcien 1: 10000—-20 000, Lezithinamöben 1:20 000 — 40000), Nikotin (Paramäcien 1:100), Nentralrot (Paramäcien ca. unter 1:10000, durch Alkohol (1:100), oder im Laufe der Zeit im Lezithin (Paramäcien Agfalezithin 1°, —-) selbst zum Absterben gebracht werden. Am spätesten treten bei Paramaecium die gröberen Tropfen beim Absterben in osmotisch wirksamen Substanzen, wie ın 1°], Kochsalzlösung auf; die Paramäcien zerplatzen zunächst in diesem Falle und es treten auf der Peripherie größere, paraplasmatische Tropfen auf; mitunter bilden sich die Tropfen erst nach 12—24 Stunden aus. Die osmotisch wirksamen, schrumpfenden Zellgifte sollen jedoch später studiert werden. — Das 1°/, Lezithin als Kulturmedium absorbiert viel von dem Chinin, Neutralrot und Nikotin und so ist es erklärlich, dass Para- mäcıen, die durch Chinin in Verdünnungen von 1:20000 abgetötet werden, mehrere Stunden in Chininlezithinlösungen 1:20000 leben können. Das gleiche gilt auch vom Neutralrot. Lezithincolpidien leben in Neutralrot 1:1000, vermehren sich in Lösungen von Neutralrot 1:2000 nach 48 Stunden; besonders lebhaft ist die Vermehrung in Lösungen von 1: 10000. Auf- fallenderweise reduzieren die Colpidien innerhalb einer Woche das Lezithinneutralrot (1:4000—20000) etwas, färben sich aber so gut wie gar nicht mehr. Wäscht man dagegen durch Zentrifugieren und sukzessives Verdünnen das Lezithin aus der Kulturflüssigkeit aus, so sterben die lezithinierten Paramäcıen manchesmal selbst v. Prowazek, II. Studien zur Biologie der Zellen. 295 in Lösungen von Chinin 1:80000 ab, während sie ohne Lezithin- einschlüsse noch leben. Offenbar reisst das intrazelluläre Lezithin das Gift an sich und gibt es später ab. Das Auswaschen des Lezithins ist eine allerdings technisch schwierige Prozedur, bei der oft die Infusorien geschädigt werden und dann für den Versuch nicht geeignet sind. Sowohl Neutralrot als auch Chinin muriaticum fällen das 1°/, Lezithin und zwar gibt Chinin im Lösungen 1 : 800 : 1000 : 2000 : 4000 nach 24 Stunden deutliche Ausflockung, die stufenweise abnimmt und bei 1:10000 ausbleibt. Bei 1:400 treten größere Lezithin- tropfen auf, die auf der Oberfläche schwimmen. Die verschiedenen Lezithinpräparate liefern allerdings etwas abweichende Resultate. Neutralrot fällt 1°/, Lezithin von 1: 100 stufenweise bis 1: 4000 —6000. Die Fällungszone für Neutralrot ist etwas anders als für Chinin. Die erwähnten Lezithinflocken binden das Chinin und Neutralrot im physikalischen Sinne. Vergrößert man nämlich die Tröpfchen durch kurzes Erwärmen auf 57—60° C!) und lässt das Sediment längere Zeit stehen, so geben die sich vergrößernden Tröpfchen die Giftstoffe wie Neutralrot, 1: 2000 wieder ab, das Medium färbt sich mit Neutralrot lebhafter und tötet nach einiger Zeit die Paramäcıen bei 1:2000 ab, während sie in dem unvorbehandelten Sediment noch mehrere Stunden am Leben bleiben; Colpidien vermehren sich sogar ım letzteren Falle nach 24 Stunden, während in dem erwärmten Sediment alles im Verlaufe von einigen Stunden abge- tötet wird. Deutlicher fällt dieser Versuch bei Anwendung von Chinin aus; Colpidien leben in dem Chininlezithinsediment 1: 800 ca. 1 Stunde, 1:1000 ca. 2 Stunden, in 1:2000 können sie sich sogar nach 24 Stunden etwas vermehren, sterben dagegen in dem erwärmten, also gröberen Sediment 1:800 nach 20 Minuten, ın 1:1000 nach 1 Stunde, in dem erwärmten Sediment von 1:2000 leben nach 24 Stunden unter Umständen nur ganz wenige Proto- zoen. Die über dem Sediment befindliche Flüssigkeit tötet Colpidien in den Chininverdünnungen 1:800 nach 20 Minuten, 1:1000 nach 1 Stunde (Mehrzahl) ab. Normal werden Colpidien vom Chinin bereits ın Verdünnungen 1:6000 nach ca. !/, Stunde abgetötet. 1) Technische Notiz: Das möglichst konzentrierte Sediment erwärmt man auf höchstens 60° ©. in einer Kapillare, da sich die größeren Tropfen derart besser bilden. Bei 70° entstehen im Lezithinneutralrot myelinartige Figuren, die selbst Neutralrot speichern und dann den entgegengesetzten Effekt zur Folge haben. Es müssen sich unter allen Umständen mikroskopisch kontrollierbare, größere Tropfen von Lezithin aus dem Sediment bilden. Aus mir unbekannten Gründen entstehen manchesmal spontan größere Tropfen, die natürlich in gleicher Weise die Protozoen abtöten. Die Versuche müssen sorg- fältig mit Kontrollen angestellt werden, da sie nicht immer gelingen. 294 v. Prowazek, II. Studien zur Biologie der Zellen. Die Giftstoffe waren demnach nicht chemisch, sondern nur physi- kalısch gebunden; die Absorption steht in einer Beziehung zur Oberflächenspannung der Tröpfchen, werden die Tropfen größer, wobei die Spannung verringert wird, so nımmt die Konzentration an ihrer Oberfläche zu und die Giftstoffe werden leicht von den Zell-Lipoiden der Paramäcien und Oolpidien an sich gerissen. Bei einer kleinen Limax-Amöbe konnte ein analoger Vorgang in vivo in der Zelle selbst beobachtet werden; durch die lebhaften Kriech- bewegungen verschmolzen die Lezithintröpfchen zu größeren Gebilden und gaben dann das Chinin, das sie gebunden hatten, auf der Ober- fläche ab. Die Amöben rundeten sich sodann in Chininlösungen 1:40000 ab, hafteten nicht mehr auf der Unterlage und starben nach ca. 24 Stunden, während in den Kontrollen (Chinin 1: 40000) ohne Lezithinzusatz sowohl die Amöben als auch Polytoma, Col- pidium und Chilomonas noch weiter lebten. Die Lezithintropfen speicherten in tödlicher Dosis das Chinin, gaben es aber erst mit der Abnahme der Spannung von ihrer Oberfläche ab. Wichtig scheint besonders das Absorptionsvermögen der Giftstoffe an den Oberflächen der Zelleinschlüsse zu sein, in gleichem Sinne ist von Dauve, Hofmeister u. a., auch das Absorptionsvermögen der Enzyme und verschiedener Kolloide an verschiedenen Oberflächen betont worden. . Die Zelle hat es gleichsam in der Gewalt, durch strukturelle Änderungen der Einschlüsse und Vakuolen im physikalischen Sinn verschiedene Stoffe an verschiedenen Stellen des Protoplasmas in den chemischen Betrieb einzuleiten oder wieder aus ihm zu nehmen. Nach Metcalf (Zeitschr. f. physik. Chem. 1905) treten die Reaktionen an der Oberfläche der Lösungen auf, die deren Ober- flächenspannung herabsetzen und die fraglichen Stoffe sammeln sich hier in Form von unlöslich fester Substanz an. In dieser Weise wäre uns auch das Auftreten der verschiedenen Cavula in Protisten- zellen (Pelomyxa, Stole), sowie in Metazoenzellen (Salamanderdrüsen) bis zu einem gewissen Grade verständlich. — Nach früheren Untersuchungen von Giemsa und mir (Verh. d. Deutsch. tropenmed. Gesellsch. 1908) erleidet das Protoplasma der Infusorienzelle bei Uhinineinfluss (1:6000) zunächst eine tropfige Ent- mischung, der Kern dagegen zum Teil eine globulitische Ausfällung; die dem Chinin ausgesetzten Colpidien stoßen nach den Export- gesetzen (Rhumbler) die Nahrungsvakuolen aus und der Körper wird infolge der nachlassenden Strukturspannung aufgebläht. Auch Stylonychia pustulata rundet sich m gleicher Weise wie vor der Enzystierung ab. Die Ergebnisse dieser Beobachtungen lauten folgendermaßen: Sowohl Neutralrot als Chinin fällen 1°/, Lezithin in Verdünnungen von 1:100 bezw. 1:400—1 : 4000 (6000); das Sediment speichert im v. Prowazek, II. Studien zur Biologie der Zellen. ; 995 physikalischen Sinne die giftig wirksamen Lösungen und gibt sie nach Erwärmung auf 60° © unter Zusammenfließen zu größeren Tropfen und Abnahme der Oberflächenspannung an die Protisten ab, die sodann früher abgetötet werden. Unter ‘Umständen kann dieselbe Erschei- nung auch im Organismus des Infusors eintreten (Limax-Amöbe). Durch die Aufnahme des Chinins, Neutralrots und Nikotins in die im Inneren der Zelle vorkommenden Lipoide, die hauptsächlich die sogen. innere Strukturspannung bedingen, wird diese je nach der Konzentration der Stoffe verändert (Entmischung) oder aufgehoben, die Infusorien blähen sich auf und die künstlich in ihnen durch die Kultur auf !/,—1°/, Lezithin erzeugten Tröpfchen treten zu erößeren Tropfen zusammen. Der Tod der Zelle ist innig ver- bunden mit der Aufhebung der inneren Strukturspannung und die Agglutination der Lezithintröpfehen, sowie ihre Vergrößerung tritt auch bei Wärmeeimfluss Ersticken, Alkohol, Kochsalz, Zer- fließen etc. ein. Eine Art Entmischung und zentrale Agglutination der Dotter- körnchen wurde auch in toten Seeigeleiern bei Zusatz von Sperma- extrakt, Ultrafiltrat aus Spermatozoen, Brillantkresylblau und spezifi- schem Eiserum ete. beobachtet. Hypothetisch ziehe ich aus diesen Beobachtungen den Schluss, dass in den meisten Fällen das Todes- phänomen der Zellen nicht so sehr in erster Linie ein chemischer Vorgang als ein physikalischer Prozess ist, durch den die ver- schiedenen kleinen chemischen Strukturlaboratorien in der Zelle eingerissen und die spezifisch abgestuften chemischen Vorgänge in der Zelle in ihrer Art unmöglich gemacht werden. Der Zelltod meldet sich unter allen möglichen Umständen, die die spezifische Strukturspannung beheben, in derselben Art zu Wort. Der stets arbeitfähige dynamische Gleichgewichtszustand der Organismen (Du Bois-Reymond, Hoeber) ergibt sich aus den stetig sich ändernden physikalischen Strukturspannungen des Plasma- kolloids, die demnach den Zustand des Lebens bedingen, ein echter chemischer Gleichgewichtszustand wäre allein zu diesen beständigen Arbeitsleistungen ohne Systemverschiebungen von außen unfähig. Die gegen eine spezifische Morphe gerichteten Einflüsse können entweder außerer (Druck, Wärme, sogen. Protoplasmagifte) oder auch innerer Natur (Altersdegeneration, Ausflockung der Kolloide etc.) sein und in der Zelle selbst ruhen. So wurden aus einem Indı- viduum längere Zeit Colpidien gezüchtet, die schließlich der Degene- ration anheimfielen, wenig Cilien besaßen und ihre normale Gestalt unter Abrundungserscheinungen einbüßten. Indem die innere Strukturspannung nachlässt, können die Protoplasmaeinschlüsse und Kerne agglutinieren wie bei Myxosporidien (Keysselitz, Arch. f. Protistenkunde 11) Triehosphaerium (Schaudinn) und Pelomyzxa 296 Hollrung, Jahresbericht über das Gebiet der Pflanzenkrankheiten. (Stole). Im Alter verändern sich auch die Zell-Lipoide und die Zellen werden nach Zangger (Korrespondenzbl. f. Schweizerärzte, XXXVIII, 1908) mit fortschreitendem Alter reicher an ungesättigten Fettsäuren, nach Bredig (Anorganische Fermente 1901) „altern“ auch die Kolloide unter Beimengungen von Elektrolyten und flocken aus (Hysteresis). Nach Kotkovsky (Arch. Se. sc. Biolog. St. Peters- burg 1896) nehmen wohl infolge einer Lipoidentmischung äther- lösliche Substanzen in absterbenden Zellen an Menge zu. Über das Verhalten des Kernes beim Absterben der Zellen soll später berichtet werden, bei diesen Untersuchungen wurde er zu- nächst nicht berücksichtigt. Jahresbericht über das Gebiet der Pflanzenkrankheiten. Unter Mitwirkung (verschiedener Gelehrter) herausgegeben von M. Hollrung. 9. Band: Das Jahr 1906. Berlin, P. Parey, 1908, 8°, 298 S., 15 Mk. Jahrbuch für wissenschaftliche und praktische Tierzucht einschlie[slich der Züchtungsbiologie. Unter Mitarbeit (verschiedener Gelehrter) herausgegeben von R. Müller. 3. Jahrg., Hannover, M. & H. Schaper, 1908, 8°, 227 S., 9 Mk. Es sei Referent gestattet, an dieser Stelle wiederum auf die beiden genannten Jahresberichte über angewandte Biologie hinzu- weisen (s. Biol. Centralbl. Bd. 28, S. 62-64), da gerade diese Disziplin ungemein viele und wertvolle Beiträge zur Lösung allge- mein-biologischer Fragen bringt, die entsprechende Literatur aber den „reinen“ Biologen meist unbekannt oder schwer zugänglich ist, so dass gerade hier derartige Jahresberichte doppelt schätzens- wert sind. Die allgemeine Bedeutung der Phytopathologie beruht ın dem Studium des Einflusses der verschiedensten äußeren Einwir- kungen auf Pflanzen. Die Kulturpflanzen geraten schon alleın durch ihre Kultivierung unter Bedingungen, die von den natürlichen ab- weichen. Der Zweck der Kultur ist größtmögliche Ausbildung bestimmter, dem Menschen nützlicher Eigenschaften, meist unter völliger Vernachlässigung anderer, im Kampfe ums Dasein wichtigerer. Die Pflanze wird so in ihrem Gleichgewichtszustande gestört. Be- dingt diese Störung an sich schon eine Schädigung, so bieten die vernachlässigten Eigenschaften den schädigenden äußeren Einflüssen zahlreiche günstige Angriffspunkte. Dazu kommt noch die allge- meine Verweichlichung als Folge der Kultivierung. Es ist daher die Kräftigung der ganzen Pflanze durch entsprechende Pflege auch der nicht gerade nutzbaren Figenschaften eine immer mehr an Be- deutung gewinnende Maßnahme. So begnügt man sich jetzt nicht nur mit einer Düngung der Obstbäume, die auf die Fruchtbildung förderlich einwirkt, sondern man gibt ihnen immer mehr Kalk und Müller, Jahrbuch für Tierzucht. 297 Phosphate, um auch das Holz kräftig und widerstandsfähig, nicht nur gegen ungünstige Witterung, sondern auch gegen Pilze (Krebs) und saugende Insekten (Blutlaus) zu machen. Ferner legt die künstliche Zuchtwahl immer mehr Wert auf allgemeine konsti- tutionelle, bezw. spezifische kräftigende Eigenschaften. So hat man erkannt, dass der Kieselsäuregehalt der Getreidehalme ein wesent- liches Schutzmittel gegen viele äußere Einflüsse (schwere Wetter, Getreidefliegen u. s. w.) ist, dass er also nicht völlig neben dem Körnerertrag vernachlässigt werden darf. Mehr noch sucht man gegen bestimmte Schädiger immune Sorten zu züchten, wie z. BD. nematodenfeste Rüben. Ganz besondere Erfolge hat man hier mit der Pfropfung erreicht. Die reblausempfindlichen europäischen Reben pfropft man mit Erfolg auf reblausfeste amerikanische, blut- lausempfindliche Apfelsorten auf blutlausfeste, u. s. w. Auch das Studium der Pflanzenfeinde an sich wirft Licht auf zahlreiche allgemeinere biologische Probleme. Wir brauchen nur an die biologischen Rassen der Bakterien, Pilze und Nematoden zu erinnern. Die Abhängigkeit der pflanzlichen und tierischen Para- siten von der Konstitution der Wirtspflanze, von Witterungs- verhältnissen, von anderen Organismen, ist eine der wichtigsten, aber noch im ersten Stadium der Untersuchung stehenden biologi- schen Fragen. Es ist bedauerlich, gerade in Schriften der „reinen“ Biologen oft eine recht große Unkenntnis aller dieser praktischen Fragen zu finden. Theoretische Spekulationen, wie sie gerade hier so ver- führerisch sind und soviel geübt werden, mögen ja recht hübsch sein und sind in vielen Fällen sicher auch zur schärferen Frage- stellung und zur Anregung zu Versuchen und Beobachtungen sehr wertvoll. Weiter kommen wir aber durch sie nicht, sondern nur durch praktische Arbeiten, wie solche schon in Hülle und Fülle in der angewandten Biologie, im besonderen in der Phytopathologie vorliegen, und nur der ordnenden Hand warten. Allerdings leidet die diesbezügliche Literatur nicht nur unter größter Zerstreutheit, sondern auch unter Unkritischkeit. Um so wertvoller sind daher solche Jahresberichte, wie der Hollrung’sche, in dem von meist ausgezeichneten Autoren die betreffenden Kapitel kritisch bear- beitet sind. \ Das Jahrbuch für Tierzucht beginnt wieder mit einer Reihe von Originalaufsätzen. P. Sabatini untersucht „die Dauer der Tragzeit bei unseren wichtigsten Haustieren, beeinflusst durch Frühreife, Erstgeburt, sowie Zahl und Geschlecht der Föten“. Frühreife ist die Eigenschaft, die Entwickelung zeitiger abzuschließen als andere Tiere derselben Gattung; sie ist Folge einer nach Güte und Menge reichlichen fötalen Ernährung; sie ist physiologisch oder wirtschaftlich. Die physiologische Frühreife besteht in schneller Entwickelung, verfrühtem Er- wachsensein. Die Schädelnähte verknöchern vorzeitig, daher hört der Kopf früh auf zu wachsen und bleibt klein. Auch die Epi- physen der Röhrenknochen verknöchern früh, so dass die Beine mu 298 Müller, Jahrbuch für Tierzucht. kurz bleiben und das ganze Tier kleiner erscheint. Umgekehrt bleiben die Knorpelverbindungen der Rumpfknochen sehr lange, oft das ganze Leben bestehen, daher der Rumpf lang wird. Die Knochen zeichnen sich durch höheren Gehalt an Mineralstoffen aus. Die Lunge bleibt leichter. Da die rasche Entwickelung bereits im Uterus beginnt, ist die Tragzeit geringer; auch alle späteren Vorgänge (Ausbruch und Wechsel der Zähne, Geschlechtsreife) treten früher ein. Die Fruchtbarkeit frühreifer Tiere lässt im allge- meinen zu wünschen übrig. Wirtschaftliche Frühreife ist frühe Nutzbarkeit, oft schon vor dem Erwachsensein. Ein früh- reifes Tier kann kein minderwertiges Futter verarbeiten; es bedarf konzentrierter, nährstoffreicher, teuerer Futtermittel. Ursprünglich ist die Frühreife individuell, wie auch heute noch bei Neuzüchtungen ; jetzt aber hat man manche frühreife Rassen. Doch vererbt sich hier nur die Anlage der Frühreife; ihre Ausbildung muss mehr als irgendeine andere Eigenschaft durch die „Haltung“ der Tiere unterstützt werden. — Betreffend der Tragzeit kommt Verfasser zum Schlusse, dass, mit Ausnahme des Schweines, Frühreife, Zwillinge und Erstgeburt eine kürzere, männliches Geschlecht eine längere Tragzeit bedingen. A. Sokolowsky erörtert die bei Hagenbeck gemachten Er- fahrungen über „Haustierakklimatisation“. Danach ist es leichter, Tiere aus kalten Klimaten in wärmeren zu akklimatisieren, als umgekehrt, da kalte Klimate widerstandsfähigere Tiere züchten. Zur Akklimatisation in den Tropen — denn darum handelt es sich doch meistens — eignen sich am besten jüngere Tiere, robuste Landschläge besser als verfeinerte, überzüchtete; auf verschiedene Nutzleistung hin gezüchtete besser als einseitig gezüchtete; an Weidegang gewöhntes, abgehärtetes Vieh besser als verweichlichtes Stallvieh. Die besten Erfolge erzielt man, wenn man das importierte Vieh mit dem einheimischen kreuzt. E. ©. Arenander behandelt Fälle von Mutation. Das plötz- liche Auftreten hornloser Tiere unter gehörnten Rassen ist aller- dings als Rückschlag, nicht als Mutation aufzufassen. — Eine Kuh der schwedischen Fjellrasse vererbte niedrigen Fettgehalt der Milch, Farbenabzeichen und Form nicht nur auf ihre Töchter und Enkelinnen, sondern auch durch einen Enkel auf Urenkelinnen. Sie vererbte ihre von der Rasse abweichenden Eigenschaften sieg- reich gegen vier reinrassige Stiere Arenander stellt allerdings selbst die Frage, ob wir es hier mit einer Mutation oder einer ganz außerordentlich starken Vererbung einer neu auftretenden Eigenschaft zu tun hätten? Die Referate des „Jahrbuches“ umfassen folgende Kapitel: Anatomie, Physiologie, Biologie, Geographische Verbreitung, Ge- schichte der Haustierrassen, Hygiene, Fütterung, Züchtung, Bücher- besprechungen. Sie enthalten ebenfalls eine Menge wertvollen biologischen Materiales. Reh. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr RK. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 15. Mai 1909. x 10. Inhalt: Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. — Werner, Gibt es phylogenetisch be- deutungsvolle Bewegungen? — Tigerstedt, Handbuch der physiologischen Methodik. — Ferienkurse. Methoden und Ziel der Vererbungslehre'). Von W. Bateson. Vorbemerkung: Die Professur für Biologie an der Uni- versität Cambridge wurde 1908 für einen Zeitraum von 5 Jahren gegründet, teils durch die Stiftung eines nicht genannten Wohltäters, teils durch die Universität. Der Zweck der Stif- tung war die Förderung von Untersuchungen über die Vor- gänge der Vererbung und Variation, ein Gegenstand, den man in England jetzt als „Genetics“ bezeichnet. Es steht nunmehr fest, dass ein Fortschritt auf diesem Gebiete vor allem von der Anwendung experimenteller Me- thoden abhängt, namentlich der auf Mendel’s Entdeckung begründeten. Der Zweck dieser Antrittsvorlesung ist die Ziele dieser Bestrebungen in einer allgemein verständlichen Weise darzustellen. 1) Mit Genehmigung des Verfassers und des Verlegers geben wir eine Über- setzung von „Ihe methods and scope of geneties, an inaugural lecture delivered 23. October 1908 by W. Bateson, professor of biology in the University of Cam- bridge (Cambridge at the University Press 1908). Der Verfasser hat einige An- merkungen (mit W. B. bezeichnet) hinzugefügt. Besonders sei hier darauf hin- gewiesen, wie wichtig die Gründung besonderer Professuren für diese Disziplin auch in Deutschland sein würde. RG: XXIX. 19 300 Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. Selten ist es einem Mann der Wissenschaft vergönnt, vor solchen Mitstrebenden zu sprechen, welche auf einem anderen Ge- biete tätig sind, als er selbst. Eine dieser seltenen Gelegenheiten bietet sich dar durch die Gründung der Professur, auf die zu be- rufen werden ich die Ehre hatte. Obwohl diese Professur kurz als die für „Biologie“ bezeichnet ist, ist sie gegründet mit der Ab- sicht, dass ihr Inhaber sich einer besonderen Klasse von physio- logischen Problemen, wie sie in der Vererbungslehre gegeben sind, widmen soll. Die Bezeichnung „genetics“ ist neu, und obwohl die Fragen, um die es sich dabei handelt, zu den ältesten unter denen gehören, welche sich dem Menschengeiste aufgedrängt haben, sind die Methoden, durch welche sie erfolgreich in Angriff genommen werden können, ebenfalls jüngsten Ursprungs. Es scheint deshalb angemessen, wenn diese Gelegenheit benützt wird, um die Ziele der Vererbungslehre und die Methoden, durch welche wir diese Ziele zu erreichen hoffen, zu erläutern. Sie werden sehen, dass diese Ziele hoch gesteckt sind, aber ich hoffe zeigen zu können, dass wir dazu ein Recht haben. Jeder, der sich in der Jugend dem Suchen nach natürlicher Wahrheit widmet, hat den Ehrgeiz durch seine Arbeit sich in der Richtung zu beteiligen, in der der Fortschritt vor allem stattfindet. So lange als er etwas von der unbegrenzten Hoffnung, mit der er seine Ent- deckungsreise begann, behält, dauert auch sein Mut und seine Lust. Den Augenblick fürchten wir vor allem, in welchem es zutage kommen mag, dass wir schließlich doch unsere Kräfte der Erforschung nur eines kleinen Nebenflusses, oder, was noch schlimmer ist, eines Altwassers des Hauptstromes gewidmet haben. Da aber die Ver- erbungslehre noch in dem ungeteilten Hauptstrom der Biologie vorwärts dringt, so erscheint es mir nicht als eine Anmaßung, wenn wir kühn erklären, dass die, welche mit uns marschieren, so viele Schwierigkeiten ihnen auch beschieden sein mögen, doch eine Enttäuschung oder eine Verschwendung ihrer Arbeit auf Neben- sächliches nicht zu befürchten brauchen. In der Wissenschaft wie bei jeder Entdeckungsreise kommen dann aufregende Zeiten, wenn plötzlich eine neue Gegend durch Auffindung eines neuen Schlüssels erschlossen ist. Dann ist die Eroberung leicht und jedem winkt ein Preis. Es traf sich für uns glücklich, dass in unserer Zeit nicht wenige solcher „Neuländer“ dem Auge der Menschen enthüllt worden sind. Ich möchte nicht behaupten, dass das Feld der Vererbungslehre an Größe und Glanz mit dem nun in der Physik und der Astronomie erschlossenen ver- glichen werden kann, denn der Ruhm des Himmlischen ist ein anderer als der des Irdischen. Ich möchte aber sagen, (dass für den Menschen von gewöhnlicher Begabung, der sich nicht in jene aus dem Bereiche seiner Kraft liegenden Höhen wagen kann, Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. 301 Mendel’s Weisung den Weg zu einem Reich der Natur gezeigt hat, das an überraschender Neuheit und Abenteuerlichkeit kaum zu übertreffen ist. Es ist keine übertriebene Redensart, wenn ich sage, dass Mendel’s Entdeckung uns in eine neue Welt führt, deren Existenz man vorher nicht einmal ahnte. Der Weg dahin ist einfach und leicht zu finden. Wir gehen aus von einer gewöhnlichen, wohl bekannten Tatsache, dass alle unsere bekanntesten Tiere und Pflanzen ihr Einzelleben mit der Vereinigung zweier Zellen, einer männlichen und einer weiblichen beginnen. Diese Zellen sind als „Gameten“ bekannt. Nun muss die Formverschiedenheit zwischen den einzelnen Tieren und Pflanzen offenbar irgendwie in den Gameten vorhanden sein, denn sie sind es, welche in jeden Organismus alles das hinein- bringen, was er enthält. Es ist zwar eine Wechselwirkung zwischen dem Organismus und den Bedingungen, unter denen er aufwächst, vorhanden, und unter Umständen kann eine „Entwickelungsmöglich- keit“ verwirklicht werden, die ohne einen speziellen Anlass latent geblieben wäre. Aber wenn wir auch beiläufig zugeben, dass diese Frage nach speziellen Anlässen eine Wichtigkeit besitzt, die eines Tages sich geltend machen kann, so bleibt doch eines sicher: dass alle physischen und psychischen Fähigkeiten, welche ein Lebewesen besitzt, von einer oder beiden Keimzellen stammen, mit deren Vereinigung seine Existenz begann. Dass zwei Zellen bei der Dane der sewöhnlichen Lebe- wesen beteiligt sind, ist seit langem a und die Kenntnis dieser Tatsache gehört zu dem Vorrat an elementaren Kenntnissen bei allen Gebildeten. Die vollständigen Folgerungen aus dieser Doppelnatur scheint aber vor Mendel niemand gezogen zu haben. So einfach die Tatsache ist, so habe ich doch gefunden, dass manche sie nicht leicht sich ganz zu eigen machen. Wir sind gewohnt, einen Menschen, einen Schmetterling oder einen Apfelbaum als etwas Einheitliches zu betrachten. Wenn wir aber die Bedeutung des Mendelismus verstehen wollen, müssen wir uns durchaus mit der Tatsache vertraut machen, dass jene Wesen Doppelwesen sind, doppelt in jedem Teile ihres Aufbaues. Vielleicht gibt es keine bessere Vorbereitung für Untersuchungen über Vererbungslehre, als die Leute, denen man im täglichen Leben begegnet, zu prüfen und im Groben die zwei Eigenschaftsvereinigungen auseinanderzuhalten, die in ihnen vereinigt sind. Dass wir Vereini- gungen oder Gemische unserer elterlichen Eigenschaften sind, ist klar. Jedermann weiß, dass jemand das Haar seines Vaters, die Farbe seiner Mutter, die Stimme des Vaters, die Unempfänglichkeit der Mutter für Musik haben kann u. s. w., aber das ist nicht genug. Eine solche Unterscheidung ist wichtig, soweit die verschiedenen 19° 302 Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. Eigenschaften unabhängig voneinander vererbt werden, aber sie trifft nicht den Hauptpunkt. Denn in jeder dieser Beziehungen ist das Individuum doppelt; und um ein getreues Bild der Zusammen- setzung des Individuums zu erhalten, müssen wir uns vorstellen, wie jede der zwei ursprünglichen Gameten ausgerüstet war in Hin- sicht auf Körpergröße, Haar, Farbe, Anlage für Mathematik, Ge- stalt der Nägel und die anderen Eigenschaften, die den Menschen, den wir kennen, charakterisieren. Der Beitrag jeder Gamete in jeder Hinsicht muss so gesondert in Betracht gezogen werden. Könnten wir ein Verzeichnis aller der Eigenschaften, die zusammen einen Menschen ausmachen, aufstellen und feststellen, wie er hin- sichtlich jeder von diesen beschaffen ist, so würde eine Wertrubrik für diese Eigenschaften nicht ausreichen, sondern wir müssten zwei Rubriken machen, eine für das Ei und eine für das Spermatozoon, welche sich bei der Befruchtung zur Entstehung dieses Menschen vereinigt haben, und in jeder Rubrik müssen wir darstellen, wie diese Gamete rücksichtlich jeder der Bestandteile in unserer Liste ausgerüstet war. Stellen wır das Problem der Vererbung so dar, so müssen wir auf den ersten Blick eine der Hauptfolgerungen entdecken, zu denen die Untersuchungen über Vererbung geführt haben. Denn es ist einleuchtend, dass die Beiträge der männlichen und der weiblichen Gameten rücksichtlich irgendeines Bestandteiles entweder gleich oder verschieden sein können. Jedesmal wenn der von jeder der zwei Zellen stammende Beitrag derselbe ıst, ist der entstehende Organismus — in unserem Beispiel der Mensch — für diese Eigenschaft rein (pure-bred) und in jeder Beziehung, in welcher der Beitrag von den zwei Elternseiten verschieden ist, ist der Organısmus gekreuzt (cross-bred). Es ıst nicht leicht, eine leichtverständliche Darstellung des nächsten Schrittes in der Analyse zu geben, ohne teilweise Kunstausdrücke anzuwenden. Wir sind gelangt bis zu der Anschauung, wonach das Indi- viduum sich aufbaut aus einer großen Zahl von einzelnen Eigen- schaften, die von zwei Quellen stammen und es kann betreffs jeder dieser Eigenschaften zwei ähnliche oder zweı unähnliche Anteile erhalten haben. Wir gehen nicht weit fehl, wenn wir unser Bild folgendermaßen ausdehnen und ausarbeiten. Stellen wir uns den Inhalt jeder Gamete als eine Flüssigkeit vor, die entstanden ist, indem man einen Tropfen von je einer in bestimmter Zahl in einem Schrank befindlichen Flaschen nimmt, welche Tinkturen der einzelnen Eigenschaften enthalten. Es ist ein Schrank vorhanden, welcher das Material für die männlichen Gameten liefert, ein ähnlicher mit einer entsprechenden Anzahl von Flaschen liefert die weiblichen. Aber ın jedem Schrank können eine (oder mehrere) Flaschen leer sein, dann wird kein Vertreter dieser Eigenschaft abgegeben, und wenn entsprechende Flaschen in beiden Schränken leer sind, dann Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. 303 enthält das Individuum, welches aus Vermischung der zwei Tropfen- sammlungen entstanden ist, die fehlende Eigenschaft überhaupt nicht. Es folgt daraus, dass ein Individuum „rein“ (d. h. nach beiden Seiten seiner Zusammensetzung betreffs jeder Eigenschaft) sein kann, auf doppelte Weise: indem es entweder die Eigenschaft von dem männlichen und dem weiblichen Schrank oder von keinem erhalten hat. Umgekehrt kann es betreffs irgendeines Bestandteils „Kreu- zungsprodukt“ (cross-bred) sein, insofern es das Vorhandensein des- selben von der einen Gamete und das Fehlen desselben von der anderen erhielt. Der zweite Begriff, der uns nunmehr ganz geläufig werden muss, ist der eines Individuums zusammengesetzt aus was wir Anwesenheiten und Abwesenheiten aller kierin möglichen Bestand- teile nennen. Dieser Begriff bildet die Grundlage allen Fortschrittes in der die Vererbungslehre betreffenden Analyse. Erlauben Sie mir, Ihnen zwei Erläuterungen davon zu geben. Blaue Augen haben ihren Grund in der Abwesenheit eines Faktors, welcher Farbstoff auf der Vorderseite der Iris bildet. Zwei blauäugige Eltern erzeugen daher, wie Hurst bewiesen hat, keine dunkeläugigen Kinder. Dunkle Augen verdanken ihren Ursprung entweder einer einfachen oder einer doppelten Dosis des bei blauen Augen fehlenden Bestand- teiles. Dunkeläugige Personen können daher ganz dunkeläugige Nachkommen haben, oder solche, die aus dunkeläugigen und hell- äugigen Kindern nach gewissen, im Durchschnitt festen .Verhält- nissen zusammengesetzt sind. Zwei Exemplare von Oenothera, welche ich Ihnen hier vorlege, veranschaulichen denselben Sachverhalt. Eines derselben ist die gewöhnliche Oenothera Lamarckiana. Ich biege den Stengel, er bricht nicht oder nur mit Schwierigkeit, wegen der zähen Fasern, die er enthält: der Stengel des anderen Exemplars, eine der be- vühmten Mutationen, die wir de Vries verdanken, bricht sofort wie Blätterteig-Gebäck, weil er nicht den zur Faserbildung not- wendigen Bestandteil enthält. Solche Pflanzen können Geschwister- pflanzen sein, die durch Selbstbefruchtung von einer Elternpflanze entstanden sind und dennoch sind sie verschieden in ihrer Zusammen- setzung und ihren Eigenschaften, eine Verschiedenheit, die von dem Dasein oder Nichtdasein von Elementen abhängt, die als selbständige Wesenheiten behandelt worden waren, als die Bildung der Keimzellen geschah. Wenn wir von solchen Eigenschaften, wie Farbstoffbildung in einem Auge oder Fasernbildung in einem Stengel als durch die Übermittlung von Elementen oder Bestandteilen veranlasst, sprechen, werden Sie vielleicht fragen, ob wir uns irgendeine Idee über die wirkliche Natur solcher Faktoren gebildet haben. Was mich an- betrifft, so gestehe ich ein, dass ich geneigt bin, meiner Einbildungs- kraft betrefis solcher fernliegender Frage die Zügel stramm zu 304 Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. halten. Es kann nicht lange dauern, dann werden wir wissen, was einige dieser Faktoren sind und bis dahin können wir auf Raten verzichten. Mittlerweile kann es keinen Schaden tun, wenn wir zugeben, dass mehrere derselben sich wie Fermente verhalten, andere, als ob sie die Substanzen aufbauten, auf welche die Fermente wirken. Man darf jedoch keinen Augenblick annehmen, dass das Fer- ment oder die Substanz, auf die es wirkt, als solche (erblich) über- mittelt werden. Was übermittelt wird, ist nur die Kraft oder die Fähigkeit, das Ferment oder die Substanz, auf die es wirkt, zu er- zeugen. Somit haben wir nur unser Augenmerk auf die Zusammen- setzung des Individuums aus Bestandteilen gerichtet, welche die beiden Gameten ihm zugeführt haben. Bei dem nächsten Schritte unserer Betrachtung kehren wir den Prozess um und fragen, wie die Bestandteile, aus welchen es ursprünglich zusammengesetzt war, auf die Gameten, die sich schließlich von ıhm ablösen, verteilt sind. Lassen Sie uns zuerst den Fall mit bezug auf die Komponenten nehmen, betreffs welcher es als „rein“ zu betrachten ist. Erwarten würde man natürlich, dass alle von ihm stammenden Keimzellen, was diese Bestandteile anbetrifft, einander gleich sind und die Be- obachtung bestätigt die Richtigkeit dieser Erwartung mit einigen seltenen Ausnahmen, in denen es sich um die Bildung von Varia- tionen handelt, deren Ursachen noch im Dunkeln liegen. Soweit widerspricht im ganzen nichts der allgemeinen Erwartung, obschon niemand ohne die experimentale Bestätigung sicher sein konnte, dass die Tatsachen wirklich so sind, wie ich sie be- schrieben habe. Wenn wir aber nun ferner fragen, wie die Keimzellen zusammen- gesetzt sind, wenn das Individuum, von dem sie stammen, in irgend- einer Hinsicht Kreuzungsprodukt (cross-bred) ist, d. h. einen Bestandteil nur von einem, aber nicht von dem anderen der Eltern hat, so erhalten wir eine Antwort, die allen vorgefassten Ideen über Vererbung, seien dieselben auf der Wissenschaft oder dem gesunden Menschenverstand basiert, vollständig widerspricht. Wir finden nämlich definitive experimentelle Beweise in beinahe allen Fällen, die untersucht.worden sind, dafür, dass in von solchen Indı- viduen stammenden Keimzellen der Bestandteil vorhanden oder nicht vorhanden ist, je nachdem er in den ursprünglichen Gameten vorhanden oder nicht vorhanden war. Falls beide Gameten eine gewisse Eigenschaft mitbrachten, haben alle Tochtergameten dieselben, wenn keine sie mitbrachten, dann hat sie auch keine der Töchter. Falls sie von der einen Seite, aber nicht von der anderen kam, dann wird sie in durchschnittlich der Hälfte der von ihnen abstammenden Gameten vorhanden und in Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. 305 der Hälfte nieht vorhanden sein. Diese letztere Erscheinung, welche man Spaltung nennt, bildet den Kern der Mendel’schen Entdeckung. Wir können nun, indem wir zu dem Gleichnis des durch Mischung von Tinkturen dargestellten Menschen zurückkehren, die Wiederverteilung seiner Eigenschaften unter den Keimzellen durch ein Zurücksortieren der Tinkturen in die doppelte Reihe von Flaschen veranschaulichen. wobei je ein Paar von Flaschen einer Eigenschaft entspricht und jede der Keimzellen, wie sie damals ge- macht wurden, aus einem Tropfen aus der einen oder der anderen Flasche jeden Paars; und in unserm Bilde können wir das Phä- nomen Spaltung in primitiver Weise dadurch veranschaulichen, dass wir annehmen, die Flaschen, die keine Tinktur enthielten, seien nicht leer, sondern enthielten eine nicht wirksame Flüssig- keit, z. B. Wasser, mit welchem die Tinkturen sich nicht vermischen. Wenn die neuen Keimzellen gebildet werden, trennen sich die Flüssigkeiten, anstatt einander zu verdünnen, einfach wieder. Es ist diese Tatsache, die uns erlaubt, von der Reinheit der Keim- zellen zu sprechen. Diese sind rein insofern sie einen Bestandteil besitzen oder nicht besitzen und diese Bestandteile oder Faktoren, wie wir sie gewöhnlich nennen, sind Einheiten, weil sie als solche in den Bildungsprozess der neuen Gameten so auftreten und weil sie bei dem Prozesse der Spaltung in demselben Zustand ausge- schieden werden, in welchen sie bei der Befruchtung eingetreten sind. Aus diesen Tatsachen lässt sich folgern, dass, wie kompliziert auch der Ursprung von zwei gegebenen Eltern sein mag, die Zu- sammensetzung der Nachkommenschaft, die sie erzeugen können, beschränkt ist. Nur eine begrenzte Anzahl von Typen kann durch eine neue Wiederzusammenstellung der elterlichen Bestandteile (Eigenschaften) gebildet werden und die relative Anzahl, in welcher jeder Typus auftreten wird, lässt sich oft nach sehr einfachen arıth- metischen Regeln vorausbestimmen. 7. B. wenn weder Vater noch Mutter einen gewissen Faktor besitzen, wird auch keiner der Nachkommen ihn besitzen. Wenn beide je zwei Dosen des Faktors besitzen, werden auch alle Kinder ihn haben. Wenn eines von den Eltern eine Dose davon hat und das eine keine, dann wird im Durchschnitt die Hälfte der Familie ihn besitzen und die andere Hälfte nicht. Zu wissen, ob von den Eltern eins den Faktor besitzt, mag zuweilen aus sogleich anzugebenden Gründen schwer sein; manchmal jedoch ist es ganz leicht und kann sofort festgestellt werden, weil es viele Eigenschaften gibt, die ein Individuum nicht besitzen kann, ohne es zu verraten. Ich möchte die Vererbung eines solchen Faktors bei einer Familie erläutern, in welcher eine besondere Art von Nachtblindheit existierte. Die daran leidenden Mitglieder, welche Personen heirateten, die davon frei waren, hatten eine 306 Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. Mischung von affızıerten und nichtaffizierten Nachkommen, jedoch die nichtaffizierten Kinder derselben können den Faktor, den sie nicht besitzen, auch nicht vererben ?). In einer solchen Untersuchung sind zwei Punkte in auffälliger Weise durch Beispiele klargelegt, nämlich 1. die Tatsache der Fort- dauer der Einzeleigenschaft (unit), 2. die Tatsache, dass das Vor- handensein von einer Mischung von Typen in einer Familie be- deutet, dass eins oder das andere der Eltern in irgendwelcher Hinsicht Kreuzungsprodukt (cross-bred) ıst und Gameten von mehr als einem Typus abgibt. Das Vererbungsproblem ıst demnach in erster Linie ein ana- lytisches. Wir müssen die Faktoren auffinden und aufzählen, aus welchen die Tier- oder Pflanzenkörper aufgebaut sind und ebenso die Gesetze ihrer Verteilung auf die Keimzellen ermitteln. Alle die von mir erwähnten Vorgänge vollführen sich durch Zellteilungen und durch die einmalige Zellverschmelzung, welche bei der Be- fruchtung stattfindet. Wenn wir die Faktoren, während sie sich bei der Zellenteilung voneinander scheiden, beobachten könnten oder wenn wir wenigstens die sehr mannigfache Verschiedenheit, welche in der Zusammensetzung der Keimzellen aller gewöhnlichen Individuen sicherlich existieren muss, mikroskopisch wahrnehmen könnten, so würden die mit dem Studium der Vererbungslehre ver- bundene Arbeit weit einfacher sein wie sie ist. Bisher jedoch ist eine solche direkte Methode der Beobachtung noch nicht entdeckt worden. Statt dessen müssen wir daher die Zusammensetzung der Keimzellen durch künstliche Züchtung er- mitteln und zwar so, dass jede Paarung so angeordnet ist, dass sie die Zusammensetzung eines Individuums in einer oder mehr vorher gewählten Richtungen prüft, d. h. wir müssen die Keim- zellen dadurch erproben, dass wir die Zahl aller Arten von Nach- kommenschaft ermitteln, die sie produzieren können. Wie be- schwerlich eine solche Methode auch notwendigerweise sein muss, sie. erlaubt uns dennoch an die Natur Fragen zu richten, die zuvor niemals an sie gerichtet worden sind. Sie ist, wie man gesagt hat, 2) Die Untersuchung dieser bemerkenswerten Familie wurde zuerst von Cunier vorgenommen. Die Tatsachen wurden dann von Nettleship verifiziert und der Stammbaum bedeutend erweitert. Die numerischen Resultate sind etwas unregel- mäßig, doch ist die Sache besonders deswegen interessant, weil wir hier den größten Stammbaum einer menschlichen Krankheit oder eines menschlichen Gebrechens haben, der jemals angefertigt worden ist. Er umfasst 2121 Personen und erstreckt sich auf zehn Generationen. Unter dieser Zahl sind 135 Personen, von denen wir wissen, dass sie nachtblind waren. In keinem einzigen Falle wurde diese Eigen- tümlichkeit von einem Mitgliede übertragen, das sie nicht selbst besaß. Es muss erwähnt werden, dass für Nachtblindheit ein derartiges System von Vererbung eigentümlich ist. Gewöhnlich folgt sie dem für Farbenblindheit beschriebenen Plan. Worin die Eigentümlichkeit dieser Familie begründet ist, ist nicht bekannt. Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. 307 ein unwilliger Zeuge, und unsere Fragen müssen so formuliert werden, dass ein direktes „ja“ oder ein direktes „nein“ die einzig mögliche Antwort sein kann. Durch in dieser Weise gestellte Fragen haben wir erstaunliche, sehr tief unter die Oberfläche gehende Antworten erhalten. So erstaunlich aber auch diese Antworten sein mögen, sie sind trotzdem wahr; denn wenn unsere Zeugin auch Ausflüchte machen mag, lügen kann sie nicht. Bei der Zusammenstellung dieser Antworten, beim Verstehen der Andeutungen von diesem und jenem Versuche ergründen wir nach und nach, was in dieser verborgenen Welt der Gameten vor- geht. Indem wir in dieser Weise fortschreiten, erhalten wir zu- weilen, wie es ja auch unseren Genossen in anderen Wissenschaften geht, unverständliche oder sogar einander widersprechende Ant- worten. Nach und nach jedoch kann ein genügendes Beweismaterial zusammengetragen werden, welches zeigt, was die Regel ist und was die Ausnahme. Heute muss meine Absicht sein, mehr von dem Regelmäßigen als von dem Unregelmäßigen zu sprechen. Eine klare Ausnahme jedoch kann ich wohl erwähnen. Castle findet, dass bei einer Kreuzung zwischen dem Kaninchen mit langen herabhängenden Ohren und dem kurzöhrigen Typus Nachkommen mit Ohren von mittlerer Länge geboren werden, und dass diese Mittelformen annähernd gleiche Nachkommenschaft haben. Ausnahmen im allgemeinen müssen an anderer Stelle erörtert werden. Nichtsdestoweniger möchte ich Anfängern als ein Wort des Rates zurufen: Schätzen Sie Ihre Ausnahmen besonders hoch! Wenn es solche nicht gibt, wird die Arbeit so langweilig, dass nie- mand Lust hat, sie noch weiter fortzusetzen. Halten Sie die Aus- nahmen stets unzugedeckt und wo man sie sehen kann: Ausnahmen sind wie offenes Backsteinmauerwerk in einem im Bau begriffenen Gebäude; sie deuten an, dass noch mehr kommt und wo die nächste Bauarbeit einsetzen muss. Sie werden leicht begreifen, dass die hier gegebene Darstellung der Erscheinungen nur die einfachst möglichen Umrisse gibt. Einige Einzelheiten können wir nunmehr einschalten. Ich habe z. B. von den charakteristischen Merkmalen des Organismus, seiner Farbe, Gestalt u. s. w. gesprochen als ob diese von je einem Bestandteile oder Faktor abhängig seien. Mit bezug auf einige davon ist diese Darstellung sicher richtig; wir kennen jedoch bereits zahlreiche körperliche Eigentümlichkeiten, zu deren Zustandekommen das Zu- sammenwirken mehrerer Faktoren notwendig ist. Nichtsdesto- weniger, obschon die Eigentümlichkeit erst dann zutage tritt, wenn alle die zu diesem Zusammenwirken notwendigen Bestandteile gleich- zeitig vorhanden sind, folgt doch ein jeder dann an und für sich und unabhängig, was seine Übertragung betrifft, den einfachen Regeln, welche ich beschrieben habe. 308 Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. Diese gegenseitig ergänzende Tätigkeit kann durch einige be- merkenswerte Resultate illustriert werden, welche Herr Punnett und ich, als wir Experimente mit bezug auf die Höhe der spanıi- schen Wicke (Lathyrus odoratus) unternahmen, erreicht haben. Es gibt zwei Zwergvarietäten dieser Wicke; die eine ist die am Boden liegende „Cupido*, die andere ist die halbzwerghafte oder „Busch“-Spielart. Wenn man diese Spielarten kreuzt, so entsteht ein Kreuzungsprodukt, das die volle Höhe hat. Es muss daher ein Element in der „Cupido“-Spielart sein, das, wenn es mit dem er- gänzenden Element in der „Busch“-Spielart zusammentrifft, die charakteristische Höhe der gewöhnlichen spanischen Wicke erzeugt. Es mag hierbei häufig darauf aufmerksam gemacht werden, dass diese Tatsachen gleichzeitig die Natur der Variation und Reversion klar machen. Die Reversion tritt ein, weil die bei den zur Er- zielung der Höhe der ursprünglichen spanischen Wieke notwendigen Faktoren, nachdem sie getrennt waren, wieder zusammen kommen: und die Variationen, durch welche eine jede der Zwergwicken erstand, muss dem Ausfallen des einen oder des anderen dieser Faktoren zugeschrieben werden. Umgekehrt gibt es auch Faktoren, welche durch ihre Gegen- wart das Entfalten und Auftreten neuer Faktoren, die vorhanden aber nicht wahrnehmbar sind, verhindern oder hemmen. So z. B. können alle zur Färbung nötigen Faktoren in einem Tier oder in einer Pflanze gegenwärtig sein, aber die gleichzeitige Gegenwart eines anderen Faktors bewirkt, dass das Individuum weiß oder nahezu weiß bleibt. Es gibt Fälle, in welchen die wirksamen Faktoren sozusagen übereinander geschichtet sind, d. h. einer auf dem andern ruht — und nicht eher als bis einer dieser Faktoren nach dem andern be- seitigt wird, macht sich der Effekt des darunter liegenden Faktors bemerkbar. So ist z. B. das Haarkleid der Maus, wenn kein anderer die Färbung bestimmender Faktor gegenwärtig ist, schokoladen- farbig. Wenn der nächste Faktor in der Serie vorhanden ist, wird es schwarz. Wenn noch ein anderer hinzukommt, tritt die braun- graue Färbung der gewöhnlichen wilden Maus ein. Umgekehrt entstand durch Variation, bei welcher der oberste Faktor fortfiel, eine schwarze Maus. Durch den Verlust des schwarzfärbenden Faktors entstand die schokoladenfarbige Maus, und es ist nicht ausgeschlossen, dass noch andere Möglichkeiten tiefer unten ver- borgen sind. Zur Entwirrung des Knäuels von Eigenschaften und des Auf- einanderwirkens dieser elementaren Faktoren ist die Wissenschaft, welche wir zu Hilfe rufen müssen, die physiologische Chemie. Die Beziehungen der Vererbungslehre zu anderen Zweigen der Biologie sind enge. Eine solche Arbeit kann nur von Personen durchge- Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. 309 führt werden, die das Glück haben, auf die fortwährende Hilfe und den Rat von Spezialisten in den verschiedenen Zweigen der Zoologie, Physiologie und Botanik rechnen zu können. Oft haben wir Fragen zu lösen, mit denen sich nur ein Zytologe befassen kann, und oft auch müssen wir die Erfahrung eines Systematikers um Beistand anrufen. Das Institut für Vererbungslehre in Cam- bridge beginnt insofern unter günstigen Auspizien, als wir um uns Kollegen haben, die dazu qualifiziert und wie wir oft erfahren haben, auch bereitwillig sind, uns den nötigen Beistand unverkürzt zu leisetn. Mit chemischer Physiologie aber stehen wir in noch engerer Beziehung, und nach dem Wenigen, das ich mit bezug auf die Wirkung und das Aufeinanderwirken der Faktoren zu sagen wagte, ist es augenfällig, dass für die Entwirrung dieser Probleme dereinst eine enge und dauernde Verbindung {mit physiologischen Chemikern notwendig werden wird. Da nun der ganze komplizierte Prozess, durch welchen die verschiedenen Elemente unter die Gameten verteilt werden, inner- halb weniger Zellentrennungen, oder vielleicht in nur einer einzigen, durchgeführt werden muss, so ist es nicht überraschend, dass zu- weilen ein Aufeinanderwirken von Faktoren stattfindet, welche ganz verschiedene Rollen zu spielen haben. Dieses Aufeinanderwirken ist wahrscheinlich mannigfaltiger Art. Eine dieser Arten, die ich sofort beschreiben will, kann vielleicht als eine gegenseitige Ab- stoßung zwischen zwei Faktoren gekennzeichnet werden. Eine Folge davon ist es, dass bei der Verteilung der verschiedenen Faktoren unter die Gameten, wenn das Individuum Kreuzungs- produkt mit bezug auf die beiden Faktoren ist, die einander ab- stoßen, d.h. wenn es nur eine Dose von jedem der beiden Faktoren hat, — die Gameten so aufgebaut werden, dass eine jede nur einen der gegenseitig sich abstoßenden Faktoren, aber nicht beide aufnimmt. Gegenseitige Abstoßungen dieser Art spielen wahrscheinlich eine bedeutungsvolle Rolle in Vererbungserscheinungen. Ein ein- ziger konkreter Fall, welchen Herr Punnett und ich mehrere Jahre lang studiert haben, wird mehrere dieser Prinzipien erläutern. Wir kreuzten eine reine weiße spanische Wicke mit aufrecht stehender Fahne mit einer anderen weißen Wicke, die aber eine kapuzenförmige Fahne trug. Das Resultat ist, wie Sie sehen, eine violette Blüte mit aufrecht stehender Fahne. Die Farbe kommt von dem Zusammenwirken ergänzender Elemente. Eine Dosis eines gewissen Bestandteiles von einem der Eltern übernommen kommt mit einer Dosis eines andern von dem andern der Eltern zusammen und beide vereint erzeugen Farbstoff in der Blume. Von anderen Experimenten wissen wir, dass die violette Farbe des Farbstoffes von einer Dosis eines dritten Bestandteiles stammt, welcher von 310 Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. dem mit kapuzenförmiger Fahne versehenen Individuum des Eltern- paares herrührt und dass ın Abwesenheit dieses blauen Faktors, wie wir ihn nennen wollen, die Blüte rot sein würde. Die Fahne ist aufrecht, weil sie eine Dosis von dem aufrecht stellenden Faktor des Elternindividuums mit aufrechter Fahne erhalten hat und das mit kapuzenförmiger Fahne versehene Elternindividuum verdankt, wie leicht bewiesen werden kann, dem Fehlen dieses Elementes seine eigentümliche Gestalt. — Unsere violette Pflanze ist demnach Kreuzungsprodukt (cross- bred) mit bezug auf vier Faktoren, von welchen sie nur je eine Dosis enthält. Wir lassen sie sich selbst befruchten und finden unter ihrer Nachkommenschaft alle die Kombinationen, welche mittelst dieser vier Faktoren und deren Abwesenheiten infolge der genetischen Konstitution dieser Pflanze möglich sind. Beachten Sie aber, dass eine der Kombinationen, die wir zu finden erwarten, fehlt. Wir finden weıß-aufrechte und weiß- kapuzenförmige Exemplare (weiß, weil der eine oder der an- dere der zur Ergänzung von Pigment nötigen Bestandteile fehlt. Wir finden violett-aufrechte und violett-kapuzenförmige, von denen die violett-aufrechten notwendigerweise alle vier Faktoren und ebenso die violett-kapuzenförmigen alle mit der Ausnahme des- jenigen, welcher das Aufrechtstehen erzeugt, enthalten müssen. Wenn wir jedoch zu den roten Exemplaren kommen, finden wir zu unserem Erstaunen alle aufrecht und keines kapuzenförmig. Eine der möglichen Kombinationen fehlt also. Wenn Sie diese Reihe von Tatsachen untersuchen, werden Sie sehen, dass nur eine einzige Deutung dieser Erscheinung möglich ist, nämlich dass der- jenige Bestandteil, der die violette Färbung bestimmt — wir können ihn vielleicht Alkalinität nennen — niemals in dieselbe Keimzelle tritt, in welcher sich der Bestandteil befindet, welcher das Aufrecht- stehen der Fahne bewirkt. Auf vielerlei Weise ist die Richtigkeit dieser Erklärung zu prüfen. So z. B. muss die Folge sein, dass die violettfarbigen aufrechtstehenden Exemplare einer solchen Fa- milie für alle Zeiten als Nachkommen haben werden: ein violett- kapuzenförmiges, zwei violett-aufrechtstehende und ein rotes auf- rechtstehendes Exemplar; und ferner, dass alle weiß-kapuzenförmigen mit reinen roten gekreuzt violette Nachkommen haben werden u. s. w. Diese Experimente sind gemacht worden; es entsprach das Resultat in jedem Falle der Erwartung. Zwischen den beiden Faktoren, dem, welcher Violettfärbung und dem, welcher Aufrechtstellen der Fahne bewirkt, muss ein Antagonismus, eine gegenseitige Abstoßung bestehen. In irgend- welcher Weise müssen daher chemische und geometrische Eigen- tümlichkeiten in der Vererbung Beziehungen zueinander haben. Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. Sa Es wird vielleicht jemand sagen, dass alle diese Sachen ganz schön und gut als wissenschaftliche Kuriositäten sind, aber dass sie mit praktischem Leben nichts zu schaffen haben. Die rechte Antwort auf eine derartige Kritik ist natürlich die stolze Erwide- rung, dass die Wissenschaft und ihre Anwendung verschieden sind, dass der Forscher seinen Blick einzig und allein auf den Weg zur Wahrheit wendet, und dass seine Aufmerksamkeit nicht durch die Trivialitäten der Anwendung gestört werden darf. Obschon wir jedoch diese Antwort geben und wenigstens versuchen, in dem Geiste, dem sie entspringt, zu arbeiten, wissen wir doch in unserem Innern, dass dieses vom Standpunkt der Vollkommenheit aus sprechen heisst. Ich habe den Verdacht, dass sogar der Astronom, der mittelst seines Spektroskops die Zusammensetzung der Vega oder der Oapella analysiert, zuweilen dennoch ein Auge frei hat für die Angelegen- heiten unseres Planeten, oder,“ dass wenigstens die Tatsache, dass seine Entdeckungen Licht auf unsere Bestimmungen werfen können, seinen Ehrgeiz, noch weitere Entdeckungen zu machen, nicht ver- mindert. Und unter den Wissenschaften ist es freilich gerade die Vererbungslehre, von der wir Aufklärung über die Bestimmung des Menschen erwarten dürfen. Es wäre lauter Heuchelei, dieses zu bestreiten. Vorläufig will ich also dies Recht der Verteidigung von dem höheren Gesichtspunkte aus vorbehalten und als Ant- wort sagen: dass bei unseren Experimenten wir in der Tat immer wieder aufs neue menschlichen Angelegenheiten sehr nahe kommen. Kein praktischer Hunde- oder Samenzüchter kann von den Resul- taten der Mendel’schen Rekombination hören, ohne sich zu sagen, dass das ein Stück von Wissenschaft ist, das er sofort zur Anwendung bringen kann. Kein Soziologe kann seinen Blick auf die Stamm- bäume werfen, welche die Übertragung einer Verunstaltung oder angeborenen Krankheit auf die Nachkommenschaft illustriert, ohne zu sehen, dass dieser neue Kenntniszweig eine solide Basis für ein praktisches Vorgehen liefert, welches Modifikationen in der Zu- sammensetzung einer Rasse herbeiführen würde, falls die mensch- liche Gesellschaft dieses gestattet. Und mehr noch als dieses. Wir wissen aus einer Arbeit von Professor Biffen, dass die Fähigkeit, einer Krankheit Widerstand zu leisten, welche durch das Eindringen eines pathogenen Organismus (Weizenrost) verursacht wird, der Abwesenheit eines jener einfachen Faktoren oder Be- standteile zu verdanken ist, von dem ich gesprochen habe. Und was wir in diesem einen Falle als richtig wissen, fangen wir an als ebenso richtig mit bezug auf Widerstandsfähigkeit auch gegenüber anderen Krankheiten als richtig zu vermuten. Kein Pathologe kann ein solches Experiment wie das von Professor Biffen ge- machte beobachten ohne zu begreifen, dass wir es hier mit 312 Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. 27 einem Beitrage ersten Ranges zur Physiologie der Krankheit zu tun haben. Es fehlt nicht an Nützlichkeit und direkter Anwendbarkeit bei dem Studium der Vererbungslehre. Ich habe auf einige durchaus praktische Resultate hingewiesen. Wenn wir Mangold bauen wollen, der nicht in Samen schießt, oder eine Kuh züchten wollen, die mehr Milch in kürzerer Zeit gibt, oder Milch mit mehr Butter und weniger Wasser, können wir uns an die Vererbungslehre mit Zu- versicht wenden, dass etwas für die; Verwirklichung dieser lobens- werten Absichten geschehen kann. Hier jedoch möchte ich für etwas plaidieren, das ich nicht umhin kann als eine höhere Nütz- lichkeit unserer Arbeit zu betrachten. Die betreffs der Vererbungs- lehre angestellten Untersuchungen haben das Ziel, Gewissheit in eine Region menschlicher Kenntnisse und Begriffe zu bringen (und ich glaube, sie werden dieses Ziel erreichen), von denen man an- nehmen möchte, dass sie auf Jahrhunderte hinaus in das Gebiet des Visionärs gehören würden. Man hat lange gewusst, dass gewisse Schulen glaubten, dass unsere Fähigkeiten und unsere Handlungs- weise von unserer physischen Beschaffenheit abhängig seien und dass andere Schulen behaupteten, dass nach Galton’s Antithese „nurture not nature“ (Erziehung und nicht Geburt) den überwiegen- den Einfluss auf unsere Karriere haben. Sobald es jedoch zum Allgemeinwissen wird — (d. h. nicht nur philosophische Spekulation, sondern Gewissheit), dass Empfänglichkeit für oder Widerstands- fähigkeit gegen Krankheit, Hang zu einem besonderen Laster oder zum Aberglauben von der Anwesenheit oder Abwesenheit eines gewissen Bestandteiles in uns abhängt und schließlich, dass diese Charaktereigenschaften nach bestimmten und vorher bestimmbaren Regeln auf unsere Nachkommen übertragen werden, müssen die Ansichten des Menschen über seine eigene Natur, seine Ideen über Gerechtigkeit, kurz seine gesamte Weltanschauung eine weitgehende Änderung erfahren. Was jedoch die mehr auf der Hand liegende dieser physischen und geistigen Charaktereigentümlichkeiten anbe- trifft, kann kein Zweifel darüber herrschen, dass, ehe viele Jahre verflossen sein werden, die Gesetze ihrer Übertragung sich in ein- fachen Formeln werden ausdrücken lassen. Die tölpische Grausamkeit, die wir Kriminaljustiz nennen, wird dann der natürlichen Sanktion entkleidet vor uns stehen, als ein Überbleibsel der raubgierigen Erfindungen der Wilden. Wohl darf eine solche Justiz blind genannt werden. Wer könnte sagen, ob es die Verbrechen oder Strafen seien, die größere Leiden in die Welt gebracht haben? Wir mögen es noch er- leben, zu wissen, dass sich in der tiefsatirischen Vision Sam Butler’s auf den lieblichen Bergen von Erewhon nicht nur eine mildere, sondern auch eine weisere Einrichtung offenbarte, wie Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. 313 das grimmige Gesetz, das Moses aus den Flammen des Sinai ver- kündete °). Wenn es menschliche Gesellschaften gibt, die dies neue Wissen anzuwenden sich weigern, so kann dieser Fehler nicht der Ver- erbungswissenschaft zur Last gelegt werden. Ich glaube, es bedarf nur einer geringen Beobachtung der neuen Zivilisationen, um zu erkennen, dass sie jedes Stücklein wissenschaftlicher Kenntnis zur Anwendung bringen werden, das ihnen in dem Existenzkampfe helfen kann oder von dem sie glauben, dass er es tun kann, und ich bin ein zu guter Anhänger der natürlichen Zuchtwahltheorie, um nicht zu glauben, dass wenn der Tag dazu kommt, das Schicksal der sich weigernden Gemeinwesen besiegelt sein wird. Die Exstase des Entdeckungseifers wird nicht geschwächt durch den Umstand, dass die Entdeckung anwendbar ist. Es schadet dem Forscher nicht, wenn er nur der Versuchung, von seinem Ziel abzuweichen, widerstehen kann. Mit sehr wenig Ausnahmen sind diejenigen Entdeckungen, welche zur Basis physischen Fortschrittes geworden sind, keinem anderen Gedanken entsprungen als dem, die Wiss- begierde zu befriedigen. Für diese Tatsache liefern wenige Bei- spiele einen besseren Beweis wie diejenigen, welche Mendel’s Arbeit uns bietet. Ungestört von irgendeinem Gelüste, größere Kartoffeln zu ziehen oder das Brot billiger zu machen, ging er in der Abgeschlossenheit eines Klostergartens an die Auf- gabe, die Gesetze der Bastardierung zu entdecken, und er traf dabei einen Schatz von Wahrheit, der an Glanz und Wert uner- schöpflich ist. ; Ich möchte nun hervorheben, dass es durchaus nicht unwahr- scheinlich ist, dass sogar bei einer so weit abliegenden Unter- suchung, wie die oben beschriebene, in bezug auf die spanische Wicke, wir einem Geheimnis auf der Spur sein können, welches uns alle auf das Allernächste angeht, nämlich das Problem des physiologischen Charakters des Geschlechts. Wenn ich die Auf- fassung der Verschiedenheit der Geschlechter, welche durch unsere Experimente uns nahe gelegt-wird, als praktisch bedeutsam be- zeichnen, so will ich nicht damit sagen, dass, wie in den anderen von mir erwähnten Fällen unsere diesbezügliche Kenntnis voraus- sichtlich unserer Spezies sofort zum Nutzen gedeihen wird, sondern nur, dass, wenn sie richtig ist, sie zu dem Ideenschatz der Mensch- heit einen Beitrag liefert, den niemand als unbedeutend betrachten kann. In dem Lichte Mendel’schen Wissens heisst es, dass, wenn 3) Das oben erwähnte Buch (S. Butler, Erewhon or over the Range, Londen 1872) ist in England weit bekannt. In diesen Utopien (Erewhon = Nowhere) werden körperliche Krankheiten gesetzlich untersagt und streng bestraft, während das Verbrechen im Krankenhaus ärztlich behandelt wird. WB; 14 Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. eine Familie aus mehr als einem Typus besteht, die Keimzellen des einen oder des andern der Eltern von mehr als einer Art sein müssen. Mit bezug auf Geschlecht sind die Familienmitglieder zweierlei Art und es sind überwältigende Gründe für die Richtigkeit der Annahme vorhanden, dass dieser Unterschied einem Unter- schiede in den Keimzellen entspricht. Ferner, da man für alle praktischen Zwecke die Zahl der Nachkommen für jedes Ge- schlecht als die gleiche annehmen kann, so bietet das Geschlechts- problem den Fall, in welchem eine Familie aus zwei Typen besteht, die an Zahl gleich sind, einem männlichen und einem weiblichen. Nun habe ich aber Ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache gelenkt, dass Gleichheit der Typen dann sich ergibt, wenn eines der Eltern (eross-bred) Kreuzungsprodukt mit bezug auf den betreffenden Charakter war, d. h. wenn es nur eine Dose von dem Faktor, von welchen er abhängt, erhalten hat. Wir dürfen daher ziemlich sicher sein, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern von der Anwesenheit eines ungepaarten Faktors in dem einen oder dem andern von ihnen abhängt. Diese Schlussfolgerung scheint mir sich so direkt aus allem, was wir über genetische Physiologie gelernt haben, zu ergeben, dass wir es mit vollem Vertrauen als dem wahren Verhalten der Dinge entsprechend aneignen können. Die Frage, welches der beiden Geschlechter den ungepaarten Faktor enthält, ist nicht so leicht zu bestimmen, doch gibt es mehrere konvergierende Beweislinien, welche zu dem Schlusse führen, dass unter den Wirbeltieren wenigstens und auch unter einigen neuen Typen es das Weibliche ist, und ich habe nur ge- ringen Zweifel, dass es uns gelingen wird, zu beweisen, dass in diesen Typen Weiblichkeit ein bestimmter Mendel’scher Faktor ist, welcher dem Männlichen fehlt, und den gewöhnlichen Mendel’- schen Regeln folgt. Ehe ich Ihnen erkläre, wie das Resultat der Experimente mit der spanischen Wicke uns in dieser Forschung hilft, muss ich Ihnen noch das Resultat einiger anderer Experimente mitteilen. Das erste derselben betraf den gewöhnlichen Stachelbeerfalter Abraxas grossulariata. Es gibt davon auch eine bestimmte hell- farbige Spielart, welche man lacticolor nennt. Mit diesen beiden Arten hat Doncaster eine bemerkenswerte Reihe von Experi- menten veranstaltet. Als er diese begann, war lacticolor nur weiblich bekannt. Diese wurde mit der männlichen grossulariata gekreuzt, und die Nach- kommenschaft bestand ausschließlich aus yrossulariata, was beweist, dass die männliche Form „rein“ als Typus war. Die Hybriden untereinander hatten als Nachkommenschaft sowohl männliche wie weibliche grossulariata, aber nur weibliche lactieolor. Die männ- lichen Hybriden brachten mit weiblichen lacticolor alle vier der Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. 315 möglichen Kombinationen hervor: männliche und weibliche grossu- lariata, sowohl wıe männliche und weibliche lacticolor. Als man alsdann die männlichen lacticolor mit den grossulariata-W eibchen verband, sei es, dass die letzteren Hybriden waren oder wild aus einer Gegend kamen, wo es lacticolor nicht gibt, ergab sich, dass alle männlichen Nachkommen grossulariata und alle weiblichen lacticolor waren! Es ıst schwierig, das Resultat dieser Experimente bei einmaligem Hören zu würdigen, und was ich Sie im Gedächtnis zu behalten bitte, ıst nur: erstens dass wir hier eine Reihe von Verbindungen haben, welche sehr merkwürdige Verteilungen der Typen- und Spielartcharaktere unter den beiden Geschlechtern zeigen. Und ferner, was vielleicht das Bemerkenswerteste von allem ist, dass das wilde grossulariata-Weibchen, wenn es mit lacti- color-Männchen gekreuzt wird, lauter weibliche Zacticolor-Nachkommen zeugen kann. Diese Tatsache kann, wie wir wissen, nur eine Be- deutung haben, d. h. dass diese wilden Weibchen in Wirklichkeit Hybriden von lacticolor sind; eine Tatsache, welche, da die Männ- chen reine grossulariata sind, in dem natürlichen Lauf der Dinge niemals zu unserer Kenntnis gelangt wäre. Wenn wir einer solchen Reihe von Erscheinungen begegnen, ist es unsere Pflicht, einen symbolischen Ausdruck zu finden, welcher alle dabei in Betracht kommenden Faktoren repräsentiert und zeigt, wie sich ein jeder bei der Vererbung verhält. Solch ein System oder Schema haben wir schließlich entdeckt und ich bin geneigt anzunehmen, dass es das richtige ist. Wenn Sie diesen Fall studieren, so werden Sie finden, dass es neun verschiedene Arten der Zuchtvereinigung gibt, welche zwischen der Spielart, dem Typus und dem Hybriden gemacht werden können, und dass das Schema für die ganze Gruppe der Resultate passt. Es gründet sich auf zwei Annahmen: 1. Dass das Weibchen Kreuzungsprodukt ist, oder, wie wir es nennen, heterozygotisch für den Weiblichkeitsfaktor ist, der dem Männchen fehlt. Die Eier sind daher von Anfang an prädestiniert entweder männlich oder weiblich zu werden, aber die Spermatozoen gleichen alle einander insofern sie nicht weiblich sind. 2. Dass eine Abstoßung zwischen dem Weiblichkeitsfaktor und dem grossulariata-Faktor besteht. Eine solche Abstoßung zwischen zwei Faktoren sind wir ge- rechtfertigt als möglich anzunehmen, weil wir den Beweis für eine ähnliche Repulsion mit bezug auf die beiden Faktoren in den spani- schen Wicken hatten. Wenn der Fall betrefis dieses Falters allein stünde, würde er schon interessant sein, aber seine Wichtigkeit wird sehr erhöht durch die Tatsache, dass wir zwei Fälle für Vögel kennen, die eine sehr nahe Vergleichung gestatten. Der einfachere Fall, auf XXIX. 20 316 Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. welchen ich allein hinweisen will, betrifft den Kanarıenvogel. Wie bei dem Stachelbeerfalter gibt es bei ihm eine Art Albino, den Zimtkanarienvogel, und Männchen dieser Abarten erzeugen mit Weibchen des gewöhnlichen grünen Kanarienvogels dunkle Männ- chen und Zimtkanarienvögel, die alle Weibchen sind; während das grüne Männchen mit dem Zimtweibchen eine weibliche und eine männliehe Nachkommenschaft hat, die alle grün sind. Dieser Fall, welcher von Miss Durham experimentell studiert worden ist, bietet einige Verwickelung, ist aber in seinen großen Umrissen genau derselbe, wie der des Falters und beide gestatten dieselbe Deutung. Die Erklärung *) mag im einzelnen unvollkommen oder zum Teil sogar falsch sein, aber dass wir überhaupt nun endlich imstande sind, eine anwendbare Hypothese für derartige Erscheinungen zu formulieren, ist eine ermutigende Tatsache. Wenn wir recht haben, ‘wie ich sehr geneigt bin zu glauben, erhalten wir eine Ahnung von der Bedeutung der populären Idee, dass in gewissen Be- ziehungen Töchter dem Vater und Söhne der Mutter zu gleichen pflegen, eine Erscheinung, welche sicherlich zuweilen beobachtet werden kann. Es gibt einige weitere Anzeichen dafür, dass wir mit unserer Theorie über Geschlechtsbestimmung auf dem richtigen Wege sind. Eines davon, das sich auf die besondere Vererbbarkeit von Farben- blindheit bezieht, ist besonders interessant. Diese Krankheit findet sich häufig beim männlichen, selten beim weiblichen Geschlecht. Männer mit Farbenblindheit können diese vererben, Männer mit normalen Augen nicht. Frauen dagegen, welche augenscheinlich normal sind, können farbenblinde Söhne haben, und farbenblinde Frauen haben, soweit wir wissen, nur farbenblinde Söhne). Mendel’sche Analyse dieser Tatsachen zeigt, dass Farbenblind- heit nicht, wie man annehmen könnte, auf dem Fehlen irgendeines Bestandteiles im Körperbau beruht, sondern auf dem Vorhanden- sein von etwas, welches das Sehen beeinflusst. Ebenso wie Nikotinvergiftung den Farbensinn paralysieren kann, kann es ein Sekret im Körper geben, das dieselbe Wirkung hat. Wenn Frauen verhältnismäßig verschont sind, so heisst das also, 4) Die Vermutung, dass Weibehen @ SZ, und Männchen 5g' sind, beschränkt sich natürlich bis jetzt auf die hier erwähnten Fälle. Wahrscheinlich ist das Ge- schlecht nicht gleich bei allen Tieren gebildet. Bei den Insekten von E. B. Wilson und T. H. Morgan untersucht, wo die Spermatozoen, die das akzessorische Chro- mosom enthalten, die Weiblichkeit offen verursachen, müssen die Weibchen 2%, und die Männchen 95 sein, oder Mendelisch gesagt, sind die Weibchen DD und die Männchen DR. Wie Correus gezeigt hat, ist dies auch vielleicht die einfachste Darstellung der Tatsachen von Bryonia dioica. WW. .B. 5) Wir kennen jetzt sieben farbenblinde Frauen, die im ganzen 17 Söhne — alle farbenblind — haben. Die meisten dieser Fälle hat Nettleship gesammelt. Bateson, Methoden und Ziel der Vererbungslehre. 317 dass bei ihnen ein positiver Faktor vorhanden ist, welcher dem Farbenblindheitsfaktor entgegenwirkt, und es ist nicht unwahr- scheinlich, dass dieser entgegenwirkende Faktor nichts anderes ist als der Weiblichkeitsfaktor selbst. Ich glaube genügend bewiesen zu haben, dass schließlich alle diese bei spanischen Wicken und Kanarienvögeln beobachteten Kuriositäten eine nicht gerade fernliegende Wichtigkeit für einige sehr bezaubernde Probleme des Menschenlebens haben. Schließlich brauche ich wohl kaum hervorzuheben, dass sie für das Entwickelungsproblem von Bedeutung sind. Die Tatsachen der Vererbung und der Variabilität liefern das Material für den Aufbau aller Entwickelungstheorien. Endlich erhalten wir durch die experimentellen Untersuchungen über Vererbung unanfechtbare Tatsachen, frei von den Schattenseiten, die bei den älteren Zu- sammenstellungen unvermeidlich waren. Überblicken wir diese Materialien, so können wir die Änderungen einigermaßen beurteilen, welche zu ihrer Einfügung in dem orthodoxen Gebäude gemacht werden müssen. Aber es hieße voreilig sein, wenn man jetzt schon einen Neubau vornehmen wollte. Die Ergebnisse der Versuche über Vererbungslehre sind so überraschend neu, dass wır Zeit brauchen, und eingehendes Studium ihrer gegenseitigen Zusammen- hänge, ehe wir sie in ihrem ganzen Werte und ihrer vollen Be- deutung würdigen können. Wer hat bei all den Erörterungen über Konstanz und Anpassung der Arten die Möglichkeit erwogen, dass je bei einer wilden Art eines der Geschlechter beständig hybriden Charakters sein könne? Wenn ich von Abenteuern sprach, denen man beim Studium der Vererbungserscheinungen begegnen könnte, dachte ich an so erstaunliche Entdeckungen wie diese. Es gibt andere, nicht weniger überraschende. Wer würde für möglich ge- halten haben, dass die Pollenzellen einer Pfianze alle einem, die Eizellen aber zwei Typen angehören? Miss Saunders’ Experi- mente beweisen, dass dies bei gewissen Levkoien zutrifft, bei denen die Pollenkörner alle Füllung der Blüten übertragen, während von den Eizellen die einen „einfach“, andere „gefüllt“ sind. Wir können noch nicht daran denken, diese verwickelten Verhältnisse auf ein Schema zurückzuführen. Was wir wissen ıst nur, dass für unsere Forschung jetzt eine Welt von mannigfaltigen, gesetzmäßigen und eigenartigen Wundern sich öffnet, in welche wir bis jetzt nur einen Blick geworfen haben. Positive Anschauungen über den Ursprung und den Zusammenhang der Arten im allgemeinen darzulegen, würde ein Versuch sein nicht minder aussichtslos als der eines Chemikers, welcher die Verwandtschaft der Elemente feststellen wollte, ehe ihre Eigenschaften untersucht sind. Zum erstenmal haben jetzt die Begriffe „Variation“ und „Rück- schlag“ (Reversion) einen bestimmten, greifbaren Sinn, bisher waren 20* 318 Werner, Gibt es phylogenetisch bedeutungsvolle Bewegungen ? sie bei allen Erörterungen über Entwickelung bequeme Geister, die gefällig genug waren, so viel oder so wenig auszuführen, als der Beschauer wünschte. Dieser Nebelzustand ihrer Existenz ist vorüber, wir sehen Variationen sich zu einem bestimmten physio- logischen Vorgang gestalten, die Hinzufügung oder den Ausfall eines oder mehrerer bestimmter Bestandteile; und Rückschlag zu der besonderen Addition oder Subtraktion, welche die Gesamtheit der Bestandteile zu dem Bestand zurückbringt, der früher in der Geschichte der betreffenden Rasse vorhanden war. Die Zeit für allgemeine Erörterungen über das Evolutions- problem ist vorüber. Wir treten diesem Problem jetzt entgegen als einem, welches durch peinlich genaue Analyse zu entscheiden ist. Lord Acton sagte in seiner Antrittsvorlesung, dass wir beim geschichtlichen Studium im Beginn der dokumentären Aera stehen. Niemand wird mich mangelnder Ehrerbietung vor dem großen Manne zeihen, dessen Zentennarfeier wir dieses Jahr begehen, wenn ich diese Worte auf die Geschichte der Evolution anwende. Darwin hat uns zuerst gezeigt, dass die Arten eine lesbare Geschichte haben. Wenn sich bei einer neuen Lektüre dieser Geschichte Abweichungen von dem von ihm zuerst festgestellten Text ergeben — seinem furchtlosen Geiste werden sie nichts anhaben. Gibt es phylogenetisch bedeutungsvolle Bewegungen? Von Dr. F. Werner-Wien. Nachstehende Betrachtungen stellen einen kleinen Anhang zu dem von Darwın in den ersten Kapiteln seines Werkes „Der Aus- druck der Gemütsbewegungen“* mitgeteilten Fällen vor, in denen gewisse, namentlich von Haustieren ausgeführte, uns gegenwärtig sinnlos erscheinende Bewegungen — wie das Umkreisen des Lager- platzes vor dem Niederlegen bei Hunden, das Verscharren der Exkremente bei Katzen — auf ethologisch bedeutungsvolle Hand- lungen ıhrer wilden Stammformen zurückgeführt werden können. Jedem, der zahlreichere Arten lebender Tiere, sei es in freier Natur oder .in geeignet eingerichteten Behältern, längere Zeit be- obachtet hat, fällt es auf, dass sich gewisse Arten der Bewegung in verschiedenen Gruppen derselben Kategorie wiederholen, Be- wegungen oder Stellungen, die nicht notwendigerweise mit der Art und Weise des Nahrungserwerbes, der Fortpflanzung und Aus- scheidung etc. zusammenhängen. Wo sich solche Bewegungen oder Stellungen ohne weiteres als Schutzeinrichtungen oder Anpassung an bestimmte gleichartige Lebensverhältnisse erkennen lassen, da ist es naheliegend und sicherlich auch richtig, anzunehmen, dass in jeder der Tiergruppen, bei denen sie beobachtet werden, seib- Werner, Gibt es phylogenetisch bedeutungsvolle Bewegungen ? 319 ständig entstanden sind; und wir werden in diesem Falle auch stets kleine Modifikationen desselben Typus vorfinden, welche dafür sprechen, dass die Anpassungen unabhängig voneinander vor sich gegangen sind. Diese Fälle werden wir daher von vornherein aus unseren Betrachtungen ausscheiden können. Dagegen ist in anderen Fällen die Bedeutung der Bewegung für das Tier ganz und gar unklar.und lässt sich mit keiner seiner Lebensfunktionen in Beziehung bringen. Oder aber wir finden diese Bewegung noch rudimentär bei manchen Arten oder Gattungen, können sie aber auf eine Bewegung, die bei anderen Arten oder Gattungen vorkommt und der hier eine Bedeutung wirklich zukommt, zurückführen. In solchen Fällen werden wir nun fragen können, ob diese besondere Art der Bewegung nicht phylogenetisch alt ist. Als solche Bewegungen möchte ich die charakteristische selb- ständige Einrollung und Streckung der Antennen bei gewissen Tra- cheaten ansehen. Bei dem in der Umgebung von Smyrna häufig vorkommenden großen Japyx (gigas?), den ich in mehreren Exem- plaren auch noch in Wien lange Zeit am Leben erhalten konnte, fiel mir das Spiel der Antennen zuerst auf; sie sind von außer- ordentlicher und vielseitiger Beweglichkeit, so dass sie fast an einen kleinen Ringelwurm oder Geophilus erinnern. Später fand ich einen ähnlichen Grad der Beweglichkeit der Antennen (auch hier bei beiden ganz unabhängig voneinander) bei Campodea staphylinus und schließlich auch noch bei einer ägyptischen schwarzen und einer sudanesischen Embia-Art, sowie in geringerem Grade auch bei einigen Forficuliden. Alle diese Insekten (wenn man die Campo- deiden überhaupt als solche bezeichnen will) haben gleichartige, mehr weniger perlschnurförmige, mäßig lange Antennen, alle stehen im System auf den unteren Stufen und sind Formen ohne oder mit unvollkommener Verwandlung. Ich hege keinen Zweifel, dass sich diese Bewegungsweise der Antennen auch noch bei anderen primitiveren Insekten mit wohlentwickelten Antennen noch wird nachweisen lassen. Eine zweite bei Insekten zu beobachtende Art der Bewegung ist die Schaukelbewegung der Mantodeen und Phasmodeen, besonders deutlich bei Larven zu beobachten. Die Tiere schwingen dabei, auf den Mittel- und Hinterbeinen (Mantodeen) oder allen sechs Beinen aufgerichtet, in eigentümlicher Weise hin und her. Bei manchen Mantiden hört diese Bewegung im Imagostadium auf; dagegen wird sie bei den Empusiden sicherlich auch im diesem Stadium noch ausgeführt (vgl. die von Vosseler als mimetisch betrachtete, mit der einer vom Winde bewegten Windenblüte verglichene einer Empusa egena). Bemerkenswert ist hier, dass die beiden Familien durchaus nicht näher verwandt sind und dass bei der den Man- toden zunächst stehenden Blattodeen keine Spur einer solchen 320 Werner, Gibt es phylogenetisch bedeutungsvolle Bewegungen ? Schaukelbewegung zu beobachten ist. Sie fehlt auch bei Acridiern und Grillen, ist aber bei Laubheuschrecken, namentlich den Phane- ropteriden noch schwach zu erkennen (ich hielt im vorigen Herbste die einheimische Phaneroptera falcata längere Zeit in Gefangenschaft und beobachtete außerdem im Freileben außer an dieser Art noch an Tylopsis lliifolia und Acrometopa macropoda eine geringe Schaukel- bewegung vor dem Auffliegen oder nach einigen hastigen Geh- bewegungen. Bei den ungeflügelten Phaneropteriden (Orphania, Barbististes, Poecilimon, Isophya, Leptophyes, Odontura) habe ich aber niemals etwas davon bemerkt. Da es sich in allen diesen Fällen um recht langbeinige Arten handelt, so mag das Schwanken (welches aber absichtlich hervorgebracht wird) damit zusammenhängen, doch ist die Möglichkeit, dass diese Bewegung auf eine gemeinsame sehr alte Stammform zurückgeht, nicht ausgeschlossen, um so mehr, als wir sehen, dass Mantodeen, Locustodeen und Phasmodeen in vieler Beziehung in auffällig gleicher Weise sich differenzieren. Eine in ihrer Bedeutung zum mindesten sehr zweifelhafte Be- wegung oder vielmehr Stellung ist das Hochhalten, bezw. über den Vorderkörper (Thorax oder Thorax und Kopf) nach vorne Herüber- schlagen des Abdomens bei kurzflügeligen Insekten und bei Larven von Insekten mit unvollkommener Verwandlung, also bei Forfi- culiden, Staphyliniden, den Larven der Mantodeen und Phasmodeen, sowie beı flügellosen Phasmodeen auch im Imagozustande (Gratidia z. B.). Aber nur bei solchen Formen, in denen das Abdomen in der Zahl der Abdominalsegmente wenig von der ursprünglichen abweicht, also nicht verkürzt ıst, wird diese Haltung des Abdomens beobachtet; Staphyliniden mit kurzem Abdomen und relativ wohl- entwickelten Elytren lassen natürlich eine Aufwärtsbiegung des Abdomens nicht erkennen. Was soll nun diese Haltung bedeuten? Bemerkt möge noch werden, dass m. W. keine aquatische Insektenlarve ihr Abdomen in dieser Weise trägt, obwohl gerade bei diesen, vorwiegend primi- tiven Formen ein langgestrecktes, vielgliedriges Abdomen die Norm ist (Ephemeriden, Perliden, die meisten Odonaten u. a.). Es ist dies aber leicht erklärlich; denn das Abdomen flottiert bei den aquatischen Insektenlarven und das Tragen in horizontaler Richtung verursacht dem Tiere keine Mühe; dagegen wäre gerade das „Über den Rücken schlagen“ des Abdomens im Wasser ein erhebliches Hindernis der Fortbewegung, da die Angriffsfläche für den Gegen- druck des Wassers stark vergrößert wird. Und damit kommen wir nun auch zu der Bedeutung des umgeschlagenen Abdomens; es wird dadurch das Tragen erleichtert und die Reibung des Ab- domens auf dem Boden vermieden. Es ist aber nun sehr die Frage, ob beide Erklärungen in allen Fällen wirklich zutreffen. In puncto Reibung scheint dies wirklich Werner, Gibt es phylogenetisch bedeutungsvolle Bewegungen’? 321 zu stimmen; was aber die Erleichterung des Tragens anbelangt, so wird das Abdomen nicht selten in einer Inuene hechzchallen, die mir eher eine Vermehrung als eine Verminderung der Muskel- tätigkeit notwendig zu machen scheint, nämlich schief nach hinten -. aufwärts, in einem Winkel von 45600 gegen die Horizontale (so auch bei vielen Schlupfwespen mit akesn Abdomen); andere Formen, wie die Larven von Mantodeen Ed Phasmodeen, tragen das Abdomen senkrecht aufgerichtet und nur gewisse Lllennrankken: larven (Empusiden, Harpagiden) direkt auf den Thoraxrücken ge- legt. Auch finden wir gerade bei einer Arthropodengattung mit sehr schwerem (Post- \Abdomen, bei der Skorpionengattung Prio- nurus, dass das Postabdomen normalerweise nachgeschleift, also nicht so getragen wird, wie man es gerade bei Skorpionen Anzu- nehmen he ist rn dass Euscorpius es sehr häufig in hori- zontaler Ebene, schwach eingerollt, an der Seite des Körpers zu tragen pflegt. Wir finden also in. diesem Falle keine absolut zutreffende Er- klärung für die Haltung des Abdomens bei diesen Tieren und wir müssen entweder annehmen, dass für verschiedene Formen ver- schiedene Ursachen für diese Haltung vorliegen, oder dass sie auf verwandtschaftlichen Beziehungen beruhen. Trotzdem nun die Mantodeen durch die tieferstehenden Blattodeen zweifellos mit den Coleopteren und sicher auch an der Wurzel ihres Stammbaumes auch mit den echten Orthopteren, also auch den Gressoria und Dermaptera, verwandt sind, so wage ich es dennoch in diesem Falle nicht, eine phylogenetische Bedeutung anzunehmen, die über die betreffenden einzelnen Ordnungen (Maniodea etc.) hinausgeht. Ebenso zweifelhaft ist die schützende Fallbewegung bei gebüsch- bewohnenden Rüssel- und Blattkäfern; die Eigentümlichkeit, sich bei Gefahr auf den Boden herabfallen zu lassen, ist eben nur auf Formen mit bestimmter Lebensweise, also in unserem Falle der sehr exponierten Lebensweise auf Blättern beschränkt und der Zusammenhang dieser Erscheinung in dem ganzen Komplex der phytophagen Käfer (im ethologischen Sinne, also mit Einschluss der Elateriden, Buprestiden, Curculioniden) wird sich schwer- lich nachweisen lassen. Auch gebüschbewohnende ÖCerambyeiden, namentlich die relativ kurzbeinigen Agapanthia, Oberea und ver- wandte Arten zeigen dieselbe Gewohnheit, was allerdings für eine wenigstens in der Gruppe der phytophagen Käfer (hier im systematischen Sinne) verbreitete und hier vielleicht doch alte Gewohnheit sprechen würde. Die gebüschbewohnenden flug- unfähigen Heuschrecken aber (aus den Gruppen der Phanero- pteriden, Deeticiden, Locustiden, Ephippigeriden) springen bei Gefahr in die Tiefe ihres Wohngebüsches und ‘zwar gelangen sie dabei in der Regel in die Mitte, rischen die aus Boden her- 3939 Werner, Gibt es phylogenetisch bedeutungsvolle Bewegungen ? vorkommenden Stämmchen, während die Käfer sich direkt fallen lassen und außerhalb der Stämmchen ins Gras gelangen. So gering dieser Unterschied ist, so scheint es mir doch genügend, um in dieser Erscheinung, die auch bei Spinnen, Blattiden u. a. noch be- obachtet werden kann, eine, wie auch zu erwarten ist, ın jeder Gruppe selbständig entstandene Schutzeinrichtung zu sehen. Das- selbe gilt für die bei Käfern weitverbreitete Gewohnheit des sich Totstellens, die bei den gebüschbewohnenden Fallkäfern, aber auch bei terrestrischen Formen (Byrrhiden, Histeriden, Coprophagen) häufig vorkommt. Weit bessere Anhaltspunkte finden wir für das Vorkommen alter Bewegungsformen bei Vertebraten. Wer jemals Gelegenheit hatte, Polypterus und Amia lebend zu beobachten, dem wird die außerordentliche Ähnlichkeit in der Art und Weise der Bewegung im großen und ganzen, namentlich der Brust- und Schwanzflosse, aufgefallen sein, die sich bei keinem mir bekannten echten Teleostier, an: aber noch bei Lepisosteus (den ich nur kurze Zeit und unter ungünstigen Umständen ım Berliner Aquarium beobachten konnte) Br Da sich diese Bewegungen schwer definieren lassen, wenn- gleich sie sehr charakteristisch sind, so will ich sie nicht weiter in Betracht ziehen und gleich eine andere auffällige Bewegungsweise, nämlich die bipedale Bewegung der Eidechsen besprechen. Saville- Kent!) und nach ihm noch eine Anzahl anderer Autoren haben in erster Linie für die Familie der Agamiden nachgewiesen, dass sie im erschreckten Zustande auf den — im Vergleich zu den Vorderbeinen stets merklich verlängerten — Hinterbeinen aufrichten und bipedal flüchten. Diese Erscheinung ist m. W. bei den Gat- tungen Chlamydosaurus?) und Physignathus®) zuerst beschrieben worden, findet sich aber auch bei Amphibolurus, indischen Aga- miden (Otoeryptis*), Calotes’)) und wurde auch bei Vertretern anderer Familien, sogar von Teiiden (Tupinambis!), Ameiva!)) und Lacer- tiden (Zacerta®), bei dieser ebenso wie bei Agama!) nur spurweise ausgeprägt beobachtet. Sie ist absolut gebunden an das Vorhanden- sein stark entwickelter Gliedmaßen, von welchen die hinteren stärker entwickelt sind als die vorderen. Daher finden wir sie, mit einer Ausnahme, durchwegs in Familien, bei welchen nicht einmal die Tendenz zur Gliedmaßenreduktion vorhanden ist, während bei Seineiden, Gerrhosauriden, Anguiden, auch unter den mit kräftig 1) Proc. Internat. Congr. Zool. 1898, p. 168—168. 2) Vgl. auch Schnee, in: Zool. Garten XLI, 1900, p. 61. 3) Von mir selbst mehrfach beobachtet. 4) Green, in: Nature, LXVI, p. 49. 5) Annandale, ebenda p. 577. 6) Rose H. Thomas, in: Nature, LXVI, p. 55l. Werner, Gibt es phylogenetisch bedeutungsvolle Bewegungen ? 323 entwickelten Gliedmaßen versehenen Gattungen keine Spur einer bipedalen Bewegung zu beobachten ist. Nun sind gerade die Agamiden, unter welchen die meisten und extremsten Fälle von Bipedalia sich finden, sicherlich recht alte Formen unter den jetzt lebenden Eidechsen, so alt, dass Osawa trotz aller wesentlichen Unterschiede Sphenodon dieser Gruppe zu- weisen möchte (worin ihm zwar kaum irgendein anderer Forscher zustimmen wird, aber immerhin ein Hinweis auf gewisse verwandt- schaftliche Beziehungen, die größer sind als mit anderen rezenten Eidechsen, gelegen ist), während die Zahl der bipedalen Arten unter den jüngeren Familien minimal ist. Die Iguaniden, die nach ihrem Gebiss noch älter sind als die Agamiden (wie Siebenrock nach- gewiesen hat, geht das akrodonte Agamidengebiss ontogenetisch aus einem pleurodonten hervor), sind nach Prestoe und Rosen- berg ebenfalls zu bipedaler Bewegung befähigt, wie Rosenberg namentlich für Basiliscus feststellen konnte. Saville Kent zieht aus der weiten Verbreitung dieser Bewegungsart den gewiss nicht zu weitgehenden Schluss, dass sie von gemeinsamen Ahnen, die vielleicht den Dinosauriern nahe verwandt waren (von denen zum mindesten Iyuanodon”) sich in gleicher Weise bewegt hat), ererbt ist. Da nun die Iguaniden und Agamiden miteinander nahe ver- wandt, erstere durch eine Reihe von Formengruppen (Familien) mit den Teiiden verbunden sind und diese sicherlich den Lacertiden nahestehen, so ist dadurch eine Kontinuität des Vorkommens bipedaler Bewegung sehr wahrscheinlich und wir können eher an- nehmen, dass sie, wo sie fehlt, im Zusammenhang mit einer Änderung der Lebensweise (Versteck in Erdlöchern oder unter Steinen und damit zusammenhängend Reduktion der Hinterbeine in der Länge und dorso- ventrale Abplattung des Körpers) sekundär verloren gegangen ist. In diesem Fall taucht sie aber auch in Familien, wo die Reduktion der Hintergliedmassen die Regel geworden ist, auch dann niemals wieder auf, wenn einzelne Arten wieder eine vorwiegend oberirdische Lebensweise führen; es gibt unter den Scinciden, Zonuriden, Anguiden zwar noch mehr oder weniger gute Springer, aber keine Bipedalläufer mehr. Unter den Schlangen finden wir einige zweifellos alte Arten der Bewegung, bezw. Körperhaltung. Die Umschlingung der Beute mit dem Körper, vielleicht ursprünglich weniger zum Töten als zum Festhalten in Betracht kommend, ist bei den Schlangen universell verbreitet und nur bei den bereits sehr spezialisierten Viperiden vollständig zugrunde gegangen. Es hängt dies nicht mit der Ver- kürzung des Rumpfes zusammen, denn auch sehr kurze Boiden, wie x) Vgl. Dollo, Les Allures des Iguanodons d’apres les empreintes des pieds et de la queue. Bull. Sc. France Belg. XL, 1905. 394 Werner, Gibt es phylogenetisch bedeutungsvolle Bewegungen? Python regius haben das Schlingvermögen noch im höchsten Grade entwickelt; sondern mit einer geringeren Ausbildung der in Be- tracht kommenden Muskulatur, wie sie auch schon bei den fisch- und froschfressenden Colubriden festzustellen ist. Hier aber sehen wir, wie ich schon früher bemerkte, dass die Bewegung häufig noch ausgeführt wird, und zwar in ganz typischer Weise, dass aber die Schlingen des Körpers nicht um das Beutetier herumgelegt, sondern ganz ohne Rücksicht auf dieses ein- und wieder aufgerollt werden; mitunter wird dabei ein Ast oder ein Stein für kurze Zeit um- wickelt und festgehalten. Da die fischfressenden Boiden niemals reine Fischfresser sind, sondern durchwegs auch höhere Wirbeltiere verzehren (manche Exemplare sogar ausschließlich), so ist bei ihnen die Schlingfähig- keit nicht im mindesten reduziert. Aber auch bei Wurmschlangen (Typhlops) ist. sie sicherlich noch in einem sehr hohen Grade er- halten; leider ist mir so gut wie nichts Sicheres darüber bekannt, in welcher Weise sich diese Schlangen ernähren und ob die Schling- fähigkeit bei ihnen noch eine ee hat. Bei den nenn Nattern ist sie wohl, vielleicht abgesehen von den degenerierten, calamarienartigen Formen (von nen wir freilich gar nichts Bio- logisches wissen), durchwegs erhalten, auch bei solchen, deren Giftwirkung eine sehr heftige ist (Coelopeltis, Psammophis); bei den Proteroglyphen fehlt sie aber wohl in der Regel, wohl ım Zu- sammenhang mit der eigentümlichen Nahrungsauswahl (vorwiegend langgestreckte Tiere, Amphisbaenen, Schlangen, Aale) und der stärkeren Bisswirkung — wie bei den Viperiden. — Es scheint mir daher nicht zuviel gesagt, wenn ich die Fähigkeit der Umschlingung der Beute als eine primäre Eigenschaft der Schlangen betrachte, als eine solche, die auch bei den schlangenähnlichsten Eidechsen niemals in Erscheinung tritt, aber sekundär bei Giftschlangen mehr weniger der Rückbildung verfällt. Es gibt aber einige Bewegungsarten, die nur einzelnen Familien zukommen, nämlich die kugelförmige Einrollung bei Boiden, die horizontale Ausbreitung des Halses bei Colubriden, die Rassel- bewegung des Schwanzes bei Colubriden und Viperiden. Die erste Bewegungsart, die bei Python regius, bei Eryx jaculus und (nach Cope) auch bei Lichanura trivirgata zu beobachten ist und durch die auf einen äußeren Reiz die Schlange zu einem rund- lichen Klumpen sich zusammenballt, in welchem der Kopf häufig versteckt ist, wurde bisher bei keiner anderen Schlange, als eben bei diesen Boiden beobachtet, ist aber von Python regius den Groß- tierhändlern und Schlangenbändigerinnen, welche diese Schlange als „Ballschlange“ bezeichnen, wohl bekannt. Bei Eryx tritt zu der Einrollung noch eine starke rinnenartige Aushöhlung der Ventral- seite hinzu, e. bei Python regius, die keine Wüstenschlange ist Werner, Gibt es phylogenetisch bedeutungsvolle Bewegungen ? 325 und deren Ernährungsverhältnisse weit günstiger sind, nicht so deutlich, aber immerhin merkbar hervortritt. Lichanura habe ich niemals lebend gesehen. Da alle drei Arten kleinere, relativ wenig beisslustige Boiden sind, so könnte diese Einrollung eine Art schützender Totstellung vorstellen, deren Nutzen mir freilich nicht wesentlich erscheint. Sie wird sich gewiss noch bei anderen, kleinen Boiden finden und ist, wenn wir ihr Auftreten bei drei geographisch weitgetrennten Arten (Lichanura in Ober- und Niederkalifornien, Erye im Mediterran- gebiet und Python regius im tropischen Afrika) sicherlich, wenn auch polyphyletisch entstanden, doch aus einer gemeinsamen Art der Reaktion bei ursprünglichen Boiden entsprungen. Die Ausbreitung des Halses durch die horizontal ausgespreizten Rippen ist bei Boiden niemals beobachtet worden, dagegen über- aus verbreitet bei den verschiedensten Colubriden und zwar mit oder ohne Aufrichtung des Vorderkörpers. Ob diese Erschei- nung durchwegs und von vornherein als Schreckmittel gebraucht wurde oder ob die allen Colubriden gemeinsame Fähigkeit, die Körper dorsoventral abzuplatten und zu verbreitern (dies geschieht häufig, wenn sie sich sonnen oder aber beim Hindurchkriechen durch enge Spalten) bei den betreffenden Arten nur lokalisiert und damit einer bestimmten Aufgabe dienstbar gemacht wurde, ist schwer zu entscheiden. Wir finden diese Ausbreitung des Halses in extremer, schon ‚lange bekannter Weise an proteroglyphen Colubriden, besonders bei den Arten der Gattung Naia, die dadurch schon seit den ältesten Zeiten die Aufmerksamkeit des Menschen auf sich gelenkt haben. Die hochaufgerichtete, den Hals ausbreitende ägyptische Naia hate ist in den bildlichen Darstellungen Altägyptens eine überaus häufige Erscheinung. Aber dasselbe gilt nicht nur bei Naia, sondern auch bei der südafrikanischen Gattung Sepedon („Ringhals“) und wahrscheinlich bei allen Elapiden, bei welchen die Zahl der Schuppenreihen in der Halsregion eine größere ist als in der Körpermitte und auch die Form der Schuppen dieselbe ist wie bei Naia. Außerdem ist bei Coelopeltis moilensis (opisthoglyph), bei Dispholidus typus (opisth.), bei Spölotes pullatus, Tropidonotus piscator, bei Macropisthodon und Pseudoxenodon, schließlich auch noch bei Heterodon platyrhinus und Dasypeltis (aglyph) diese Erweiterbarkeit des Halses in der Er- regung deutlich zu beobachten. Es gibt aber noch eine Möglichkeit der Erklärung. Da alle diese Schlangen lebhafte, bissige, furchtlose Tiere sind, die zwar vor dem Menschen fliehen, aber in die Enge getrieben, sich energisch zur Wehr setzen, auch kleineren, Schlangen verzehrenden Raub- tieren standhalten, so könnte diese schildförmige Ausbreitung des Halses die Bedeutung haben, die Angriffe des Gegners abzuwehren, 326 Werner, Gibt es phylogenetisch bedeutungsvolle Bewegungen ? da bei geeigneter Haltung des Schildes an der breiten Oberfläche Bisse unwirksam abgleiten müssen. Es wäre diese Einrichtung dann keine bloße Schreckeinrichtung, sondern ein ganz wirksames Verteidigungsmittel. Für alle Schlangen, die unter allen Umständen die Flucht vorziehen und erst dann sich verteidigen, wenn sie schon in der Gewalt des Feindes sind, hätte dieser Schild keine Bedeutung mehr, daher das vereinzelte Vorkommen in der Colubridengruppe. Wenn auch diese Ausbreitung des Halses unter den Colubriden wahrscheinlich polyphyletisch entstanden ist, so unterliegt es doch keinem Zweifel, dass sie von einer allen Colubriden — und noch den Viperiden — gemeinsamen Fähigkeit, die Rippen in der ganzen Rumpfregion horizontal auszuspreizen, ihren Ursprung genommen hat. — Ganz unabhängig davon ist die Ausbreitungsfähigkeit des Halses bei den Eidechsen der Gattungen Chlasnydosaurus und Amphibolurus (barbatus) entstanden, indem hier diese Fähigkeit nicht: mit den Rippen, sondern mit dem Zungenbeinapparat in Ver- bindung steht, so dass trotz der bei den Eidechsen- weitverbreiteten Fähigkeit des Rippenspreizens (beim Sonnen bei allen dorsoventral abgeplatteten und nicht gepanzerten Formen deutlich zu beobachten), die Entwickelung des Schreck- und Abwehrapparates in beiden Unterordnungen der Schuppenreptilien auf verschiedenem Wege zustande gekommen ist, ebenso wie auch die (vertikal fächerartig aufrichtbaren, seitlich kompressen) Kehlsäcke der arborikolen Leguane (Anolis, Iyguana) durch die Tätigkeit der Zungenbeinmuskulatur auf- gerichtet werden. Was nun die Rasselbewegung des Schwanzes anbelangt, so ist sie unter Colubriden und Viperiden allgemein verbreitet und ein Zeichen der Erregung, welches durch die Ausbildung der Rassel bei Sistrurus und Crotalus zum deutlich hörbaren Ausdruck ge- kommen, aber jedenfalls viel älter ist. Wenngleich unter den amerikanischen Schlangen die vibrierende Bewegung des Schwanzes bei zahlreicheren Arten beobachtet wurde, als bei altweltlichen, so darf man nicht vergessen, um wieviel reicher die nearktische Fauna an Schlangen ist, als die paläarktische, deren Biologie Ja relativ am besten bekannt ist und wieviele Beobachtungen auch namentlich über brasilianische Schlangen vorliegen, um wieviel häufiger auch wieder brasilianische Nattern lebend nach Europa gelangen als indische oder äthiopische. Wenn wir von den Ürotalinen absehen, unter denen die Vibration des Schwanzes in der Erregung anscheinend allgemein verbreitet ist, so habe ich diese Erscheinung bei (oro- nella getula, Coluber longissimus, Spilotes pullatus in besonders aul- fälliger Weise, aber auch bei verschiedenen anderen Nattern, nament- lich Ooluber-Arten noch merkbar beobachten können. Auch in der Literatur liegen immerhin einige Angaben darüber vor. — Die über- einstimmende Art und Weise, wie der Schwanz bewegt wird, die Werner, Gibt es phylogenetisch bedeutungsvolle Bewegungen ? 3237 weite Verbreitung der Erscheinung, die in vereinzelten Fällen auch bei Arten beobachtet wird, die normalerweise keine Spur mehr erkennen lassen, lässt darauf schließen, dass die Fähigkeit des Schwanzrasseln ein alter Charakter der Colubriden und der von ihnen abgeleiteten Viperiden ist. Bei Boiden habe ich es niemals beobachtet, auch bei den heftigst erregten Individuen. Aus der Gruppe der Vögel liegen mir nur wenige Beobach- tungen vor, die auf eine Beibehaltung alter Bewegungsformen schließen lassen und auch diese müssen bei dem starken Vorwiegen der Konvergenzcharakter im Vogelorganismus mit Vorsicht behandelt werden. (Schlagen des Bodens mit den Füßen bei Tadorna, Phoeni- copterus, Rhinochetus bei Erwartung der Fütterung |vgl. Darwin, Kap. 1.) Einige Bewegungen aquatischer karnivorer Vögel aus den primitiveren Ordnungen (Colymbiformes etwa bis Laridae, bei Gadow, in Bronn’s Klassen und Ordnungen), namentlich nach dem Trinken oder Verschlingen größerer Nahrungsbrocken, erinnern ganz auffällig an das entsprechende Verhalten von Eidechsen und Schlangen. Das Indieluftwerfen der Beute vor dem Verschlingen, das von den Wiedehopfen so bekannt ist, kommt schon in der niedrigst- stehenden Familie der Coraeciiformes, den Coraciidae vor, ebenso bei den Nashornvögeln; freilich aber auch bei den Kormoronen, die zu den Coraciiformes keine näheren Beziehungen mehr haben. Die eigentümliche Art und Weise, wie die Tukane in der Ruhe ihren Schwanz tragen (auf den Rücken gelegt), ist auch bei ameri- kanischen Arten der nahe verwandten Bartvögel (Capitonidae) be- obachtet worden. Der in der Ordnung der Gruiformes verbreitete Paarungstanz scheint ebenfalls alt und phylogenetisch nicht un- wichtig zu sein; er fehlt anscheinend nur bei den Rallen. Auch das Reiten der Jungen auf dem Rücken der Mutter bei Colymbiden und Podieipitiden gehört vielleicht noch hierher. — Von Säugetieren sind mir besondere Bewegungsformen, die etwa über eine größere Kategorie als ein Genus verbreitet wären, nicht bekannt, abgesehen von ‘dem, was Darwin bereits erwähnt. Besonders bemerkenswert, weil wahrscheinlich sehr alt und weit- verbreitet, ist die Gewohnheit, in bösartiger Stimmung die Ohren zurückzulegen, bei Carnivoren und Ungulaten. Bei dem Umstande, dass beide Gruppen, so auffallend verschieden sie gegenwärtig auch erscheinen, doch an der Wurzel miteinander zusammenhängen, hat dieser Ausdruck der Kampfbereitschaft eine besondere Bedeutung. Alles, was sonst in dieser Beziehung übereinstimmend gefunden werden könnte, wie das Anklammern der Jungen mit dem Schwanz an den der Mutter bei den südamerikanischen Affen und Opossums (eine Erscheinung, welche die gerade in den neotropischen Ur- waldsgebieten bei so vielen Säugern verbreitete Ausbildung eines 328 | Tigerstedt, Handbuch der physiologischen Methodik. mw Wickelschwanzes zur Vorbedingung hat) ist zweifellos in das Gebiet der Konvergenz zu verweisen. Einige charakteristische Körperstellungen treten bei niedrigeren Tierformen noch vereinzelt auf, während sie bei höheren allgemeiner verbreitet sind. Es sind dies die Schlafstellungen gewisser Reptilien (primitive Geckoniden, Krokodile), welche ın ganz überraschend ähnlicher Weise bei den ÜUarnıvoren wiedergefunden werden, da- gegen bei der Hauptmasse der Reptilien und Säuger nicht einmal spurweise anzutreffen sind. Sie sind aber jedenfalls als Konvergenz- fälle zu betrachten. Es scheint mir aber aus dieser Betrachtung hervorzugehen, dass mit der fortschreitenden Entwickelung der psychischen Tätig- keit bei den Tieren das Auftreten derartiger Bewegungen, wie sie vorhin beschrieben wurden, immer seltener und eingeschränkter wird und zwar wohl deshalb, weil ber Tieren, welche auf der Ent- wickelungshöhe der Säuger stehen, die Ausführung solcher instinkt- mäßiger, nicht selten gegenwärtig bedeutungsloser' (oder freilich uns vielfach nur so erscheinender) Bewegungen durch die notwendige lebhaftere Reaktion auf mannigfache Einwirkungen der Außenwelt in vielen Fällen zurückgedrängt und zum Schwunde gebracht werden. R. Tigerstedt. Handbuch der physiologischen Methodik. 2. Bd., 3. Abteil. Muskelphysiologie. Gr. 8, 488 S., 179 Fig., 11 Tafeln. Leipzig, S. Hirzel, 1908. Die experimentelle Muskelphysiologie ist in diesem Bande von berufenen Fachmännern in einer Ausführlichkeit dargestellt, wie sie wohl einzig in der Literatur dasteht. Zunächst bearbeitet Bürker (Tübingen) die Thermodynamik der Muskeln. In historischer Dar- stellung werden die von verschiedenen Forschern angewandten Me- thoden zur Bestimmung der Muskeltemperatur und ıhrer Verände- rungen bei der Tätigkeit und anderen Zustandsänderungen besprochen und durch zahlreiche, meist schematische Figuren erläutert. Den größten Raum nehmen natürlich die thermoelektrischen Bestim- mungsmethoden ein, die Arbeiten von Beequerel und Breschet (1835), Helmholtz (1847), Meyerstein und Thiry (1863), Heiden- hain (1864), Fick (1878), Blıx (1881) und des Herrn Bürker selbst (1900) werden ausführlich erläutert, die sinnreich konstruierten Thermoelemente des letzteren beschrieben und ın Abbildungen dar- gestellt. Kürzer werden die anderen Methoden behandelt, die bolo- metrische, die radiomikrometrische, die mikrokalorimetrische von Cy- bulski und von Blix. Hierauf folgt eine eingehende Kritik der Methoden zur Emittelung der Temperaturdifferenz, dann dıe Verfahren zur Bestimmung der spezifischen Wärme der Muskeln (Adamkiewicz, Tigerstedt, Handbuch der physiologischen Methodik. 329 J.Rosenthal), des Wärmeleitungsvermögens. Der folgende Abschnitt behandelt die dynamischen Verhältnisse der Muskeln, die'Änderungen der Länge, der Dicke, des Volums (welches bei der Kontraktion unverändert bleibt), der Spannung. Die Methoden der Untersuchung des thermodynamischen Verhaltens des Muskels in der Ruhe und in der Tätigkeit werden auseinandergesetzt, dann folgen 52 „Leit- sätze“, welche die Ergebnisse aller bisherigen Untersuchungen zu- sammenfassen, endlich ein sorgfältig bearbeitetes Literaturverzeichnis über 107 Veröffentlichungen aus dem einschlagenden Gebiet, deren letzte aus dem Jahre 1907 stammt. Im folgenden Abschnitt behandelt Herr M. v. Frey (Würz- burg) die Methoden der allgemeinen Muskelmechanik. Auf 33 Seiten (einschließlich des Literaturverzeichnisses) wird erst die Unter- suchung der elastischen Eigenschaften des Muskels abgehandelt, dann die der mechanischen Eigenschaften des tätigen Muskels; in einem dritten Teil die Ausmessung und Analyse der Muskelkurven. Die durch gute, meist schematische Figuren erläuterte Besprechung der Arbeitsmethoden und die sorgfältige Kritik dessen, was sie zu leisten vermögen, ergänzt sehr gut dasjenige, was der gleiche Ver- fasser im Handbuch der Physiologie über diesen Abschnitt der Physiologie veröffentlicht hat (vgl. Biol. Centralbl. XXVII. 544). Der dritte Abschnitt behandelt die Methodik der speziellen Bewegungslehre aus der Feder des Herrn Otto Fischer (Leipzig). Diese Lehre ist bekanntlich durch die Arbeiten des Herrn F. auf eine ganz neue Grundlage gestellt worden. So bietet diese Dar- stellung einen sehr wertvollen Bestandteil des ganzen Werkes. Er behandelt zunächst die Untersuchung der Gelenke und Gelenk- systeme. Nach einem theoretischen Überblick wird zuerst die Bestimmung der Bewegungsfreiheit in einem einzelnen Gelenk, dann die der Bewegungsfreiheiten in Gelenksystemen abgehandelt. Dann folgt wieder ein theoretisches Kapitel über den Zusammen- hang zwischen der Form der Gelenkflächen und der Art der Gelenk- bewegung. Sodann wird die Bestimmung der speziellen Art der Be- wegung in einem einzelnen Gelenk besprochen. Ein zweiter Abschnitt behandelt die Bestimmung der Dimensionen, Massen und der die Massenverteilung charakterisierenden Größen der verschiedenen Abschnitte eines Organismus, die Bestimmung der Schwer- und Hauptpunkte, der Trägheitsmomente sowie der für die Wirkung eines Muskels maßgebenden anatomischen Eigenschaften desselben. Der dritte Abschnitt behandelt die Methoden der Muskelstatik und Muskelmechanik, wobei die Methoden der photographischen Regi- strierung ausführlich besprochen werden. Ein ausführliches Literatur- verzeichnis ist beigegeben. Wir müssen uns mit dieser summarischen Angabe des Inhalts begnügen, da eine eingehende Wiedergabe des Inhalts weit über 330 Ferienkurse. den Rahmen einer Buchanzeige hinausgehen würde. Vielleicht nehmen wir Gelegenheit, auf dieses biologisch wichtige Thema einmal zurückzukommen. Den Beschluss des vorliegenden Bandes bildet die Elektro- physiologie, bearbeitet von Herrn Garten (Leipzig — jetzt Gießen). Haben wir es hier nicht wie bei dem vorhergehenden Abschnitt mit einer fast ausschließlich auf eigener Untersuchung des Dar- stellers beruhenden Arbeit zu sehen, so merkt man doch durchweg den genauen Kenner des bearbeiteten Gebiets und kann auch diesem Teil das Zeugnis ausstellen, dass er zur Förderung der Kenntnisse jedem angehenden Physiologen warm empfohlen werden kann. Zahlreiche gute Figuren vermehren noch den Wert der Darstellung. Auch ihm ist ein sorgfältig bearbeitetes Literaturverzeichnis bei- gegeben. Alles in allem genommen muss dieser Teil des Handbuchs als eine sehr nützliche Bereicherung der physiologischen Lite- ratur bezeichnet werden. J. Rosenthal. An der Biologischen Station zu Plön werden alljährlich im Juli und August Ferienkurse abgehalten. In jedem Kursus werden die nachstehend ver- zeichneten Dinge behandelt: 1. Kurzer Abriss der Geschichte der Süßwasserbiologie in Form eines eın- leitenden Vortrages. Schilderung der Lebensbedingungen, die ein Binnensee inner- halb seiner Uferzone, am Grunde und im Bereiche der übrigen Wassermasse darbietet, Hinweis auf die verschiedenartigen Mittel, womit die Organismen dem freien Schweben in ihrem Elemente angepasst sind. 2. Vorzeigung und Erklärung der gebräuchlichen Fanginstrumente ( Käscher, Schlammsauger, Grundschöpfer, Planktonnetz, Schließnetz u. s. w.). 3. Demonstration der hauptsächlichsten Uferformen und der Planktonwesen unter dem Mikroskop, sowie Anleitung zum Studium des feineren Baues derselhen unter Zuhilfenahme von Abbildungen und Lehrbüchern. Anfertigung eigenhändiger Skizzen und Zeichnungen von den beobachteten Objekten, weil hierdurch erfahrungs- gemäß die Erinnerung unterstützt wird. 4. Anleitung zum Konservieren und Präparieren von Einzelobjekten und ganzen Planktonfängen. Praktische Ausübung der Fürbetechnik nach verschie- denen Methoden. Herstellung von Dauerpräparaten, welche den Kursisten als Eigentum verbleiben. 5. Mikroskopische Durchmusterung derartiger Präparate, um die konservierten Objekte, welche vielfach ein verändertes Aussehen zeigen, identifizieren zu lernen. Vergleichende Untersuchungen an Material aus einer Sammlung von Plankton- füngen anderweitiger Herkunft. Rekapitulation des Gelernten und Bekanntschaft mit der neuesten Fachliteratur. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXIX. un 30083: 311. Inhalt: Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. — Emery, Über den Ursprung der dulotischen, parasitischen uud myrmekophilen Ameisen, Wachstum und seine analytische Darstellung. Von Paolo Enriques (Bologna). Inhaltsverzeichnis. I. Einleitung. — II. Individuelles Wachstum, vom biologischen Gesichtspunkt aus. — Wachstum und Differenzierung. — Wachstum und chemische Differenzierung bei Pflanzen. — Wachstum und Veränderungen der Körperform. — III. Die analytische Darstellung des Wachstums und der biologischen Tatsachen im allgemeinen. — IV. Zusammenfassung. I. Einleitung. Einige Autoren haben gesucht, das individuelle Wachstum der Pflanzen und Tiere mit analytischen Formeln darzustellen; besonders hat Brailsford Robertson!) von einer solchen Darstellung viele Folgerungen abgeleitet. Er benutzt dieselbe logarıthmische Funktion, die für die chemischen autokatalytischen Reaktionen gilt und er- reicht mit einer solchen eine gute Annäherung zwischen beobachteten und berechneten Zahlen. Er schließt daraus, dass das individuelle Wachstum als eine autokatalytische Reaktion aufzufassen ist; so ist der letzte Teil der Gewichtskurve der Organismen, die senile Gewichtsabnahme, als ein sekundäres Phänomen zu betrachten, das sich von neuen Ursachen, ganz verschieden von denen des Wachs- tums selbst ergibt; es fehlt in der Tat eine solche Senkung voll- 1) Robertson, T. B.: On the normal rate of growth of an individual and its biochemical significancee. Arch. Entw.-Mech. V. 25 u. 26, 1908. XXIX. 21 332 Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. ständig, ebensowohl bei autokatalytischen Reaktionen wie bei der benutzten logarithmischen Funktion. Wäre diese Annahme richtig, könnte man natürlich nicht mehr sagen, dass die Senilität mit ihren mehrfachen Erscheinungen, als die Fortsetzung derselben Prozesse zu betrachten sei, die schon vorher, lange vorher, seit den ersten Stadien der ontogenetischen Entwickelung angefangen haben. Im Gegenteil hatte ich in einem Artikel über den Tod?) für eine solche Annahme gekämpft. Ich wollte daher die Frage des Wachstums näher studieren, von ihren biologischen Seiten, und besonders untersuchen, welchen Wert man seinen analytischen Darstellungen geben kann. — So habe ich folgende Fragen studiert und in diesem Artikel auseinandergesetzt: 1. Besitzt die autokatalytische Natur des Wachstums einen echten biologischen Grund? Wenn eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Bedingungen des Wachstums und denjenigen einer autokata- Iytischen Reaktion existiert, geht sie so weit, dass man sagen kann, dass die Ursachen des Wachstums und der senilen Herabsetzung des Gewichtes nicht dieselben sein können, von einem allgemeinen Gesichtspunkt aus? 2. Befinden sich die logarıthmischen Funktionen, die Robertson benutzt hat, in einer besonderen, privilegierten Stellung, ım Ver- hältnıs zu anderen Funktionen, die für denselben Zweck von anderen Autoren benutzt wurden, oder benutzt werden können? Und zwischen denselben logarıthmischen Funktionen, die aus der Inte- gration einer ganzen algebraischen Funktion herstammen, befindet sich gerade diejenige, die Robertson benutzt hat, in einer privi- legierten Stellung im Verhältnis zu den anderen ? Zuerst betrachte ich die biologische Seite der Frage, wo ich hoffe zeigen zu können, bis zu welchem Grade die Bedingungen des Wachstums von denen einer autokatalytischen Reaktion ver- schieden sind; dann die mathematische Seite, und mit dieser Kritik will ich beweisen, dass man mit den analytischen Darstellungen des Wachstums keine Gesetze entdeckt, sondern nur eine künst- liche Nachahmung gemacht hat. Il. Individuelles Wachstum. vom biologischen Gesichtspunkt aus. Ich habe, wie gesagt, in meinem vorigen Artikel zu beweisen gesucht, dass die Veränderungen, die im Organismus für das Alter charakteristisch sind, ihren Ursprung in den allerersten Stadien der Ontogenese haben. Was besonders das Wachstum betrifft, habe ich damals fast gar nicht davon geredet. Nun will ich hier die Frage untersuchen, wie es möglich ist, dass zwei verschiedene Perioden bei Ontogenese vorhanden sind, die erste von einer Zu- > 2) Enriques, P.: La morte. Riv. di Scienza V. 2, 1907. Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. 333 nahme des Gewichtes, die andere (das Alter) von einer Abnahme charakterisiert. Loeb, den Robertson auch zitiert, hat eimen Vergleich ge- macht, zwischen dem Wachstum der Kernstoffe, bei der Teilung des Eies, und einer autokatalytischen Reaktion. In den ersten Stadien der Ontogenese teilen sich die zwei Kerne, die aus dem Befruch- tungskern entstehen, so schnell wie der Befruchtungskern selbst u. s. w.; so dass die Bildung der Kerne mit der Zeit annähernd ın geometrischer Progression zunimmt. In den autokatalytischen Re- aktionen, nach einer Periode, während der die Geschwindigkeit der Reaktion der schon gebildeten Stoffe proportionell ıst, folgt eine andere, mit abnehmender Schnelligkeit. Es nımmt ın der Tat das chemische Ungleichgewicht ab und oft erscheint auch eine depri- mierende Wirkung dem schon gebildeten Stoff. Wollen wir das Wachstum der Organismen als die Wirkung des Ungleichgewichtes zwischen Kern und Plasma betrachten, wie es oft getan wird, so müssen wir auch bedenken, dass die Geschwindigkeit des Wachs- tums infolge des abnehmenden Ungleichgewichtes abnimmt. Wir sind hier also in denselben oder ganz ähnlichen Bedingungen wie bei autokatalytischen Reaktionen. Leider ist aber eine solche Auffassung ganz unhaltbar, sobald wir die Tatsache etwas tiefer betrachten. Fangen wir „ab ovo“ an, so haben wir hier, ın Übereinstimmung mit den herrschenden Anschauungen eine große Menge Zytoplasma, und wenig Kernstoff. Die Befruchtung ver- doppelt den Kernstoff, ohne einen wesentlichen Einfluss auf die Plasmamenge auszuüben; und trotzdem fängt die Teilung der Zelle und das Wachstum gerade nun an, gerade im Augenblicke, wo das vermutete Ungleichgewicht zwischen Kern und Plasma augenschein- lich vermindert wird. Aber sehen wir davon ab und verfolgen den Prozess des Wachstums weiter. Die wiederholte Teilung des Kies macht die Kernmenge größer im Verhältnis zu dem Plasma, so dass man denken könnte, dass ein Gleichgewicht erreicht wird. Das Wachstum hört aber nicht auf. Nach der Verminderung der Kernplasmarelation setzt sich» das Wachstum gleicherweise fort, während die Relation selbst wieder zunimmt. Wie kann man solche Tatsachen als die Wirkung des Ungleichgewichtes zwischen Kern und Plasma interpretieren? Tatsächlich haben wir keinen Beweis für ein solches Ungleichgewicht vor uns, das wir nur aus der Tatsache des Wachstums selbst ableiten könnten. Jedenfalls, auch wenn ein solches Ungleichgewicht eine objektive Bedeutung besitzt, haben wir folgendes Dilemma vor uns: entweder entspricht das Gleichgewicht zwischen Kern und Plasma einem bestimmten quantitativen Verhältnis zwischen diesen Teilen, oder es ist ver- änderlich mit der Zeit und den verschiedenen Entwickelungs- bedingungen. Nehmen wir das erste an, dann können wir nicht 27% 394 Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. schließen, dass das Wachstum vom Ungleichgewicht zwischen Plasma und Kern verursacht wird: es fängt in der Tat an, wann, wie ge- sagt, das quantitative Verhältnis zwischen Kern und Plasma mit der Befruchtung zugenommen hat; und die Teilung des Eies führt zu einer weiteren Zunahme dieses Verhältnisses; außerdem kann die Bildung vieler kleinen Zellen mit großen Kernen nicht als eine Tendenz zum Gleichgewicht interpretiert werden, weil nachher das Wachstum die entgegengesetzte Veränderung verursacht. — So muss man ın diesem Falle annehmen, dass das Wachstum von anderen Ursachen bewirkt wird, als von dem Ungleichgewicht zwischen Kern und Plasma. — Wollen wir im Gegenteil den an- deren Fall annehmen, so können wir immer sagen, dass das Wachs- tum vom Ungleichgewicht zwischen Plasma und Kern verursacht wird: es ist nur nötig hinzuzufügen, dass die hypothetische Kern- plasmarelation, der das Gleichgewicht entspricht, größer oder minder groß ıst als die in jedem Augenblicke tatsächlich beobachtete Re- lation, je nachdem das Wachstum in dem betrachteten Augenblick zu einer Vergrößerung resp. Verminderung der Kernplasmarelation selbst führt. Was bedeutet denn ein solcher Begriff, das Gleich- gewicht in der Kernplasmarelation, wenn nicht die tatsächliche Be- obachtung der Veränderungen, denen sie selbst unterworfen ist? Jedenfalls, es ıst nötig, auch ın diesem Falle anzunehmen, dass hier andere Ursachen, ganz unbekannte Ursachen, die erste Rolle spielen, den Sinn und den Wert des Ungleichgewichtes zwischen Kern und Plasma in jedem Augenblicke bestimmend. Es ist so ein einziger Schluss möglich, dass ın jedem Falle, unabhängig von irgendwelcher Hypothese, das Wachstum andere Ursachen besitzt als das Ungleichgewicht zwischen Kern- und Plasmamenge, als die oft falsch in Betracht gezogene Zerstörung der Kernplasmarelation mit der Befruchtung). Wir haben also, von einer Seite das Wachstum, von einer anderen die unbekannten Ursachen desselben zu erforschen. Mit dem Begriff des Ungleichgewichtes introduzieren wir eine neue 3) Die zytologische Seite der Frage wünsche ich hier nicht zu behandeln; es ist aber viel besser, anzunehmen, dass die Befruchtung — ein wesentlich nukleares Phänomen — in erster Linie das Wachstum des Kernes für sich verursacht, indem das Plasma zuerst passiv bleibt; die Kernplasmarelation kommt also hier gar nicht in Frage. Später wächst das Plasma wieder, nicht weil es zu wenig geblieben war — das ist eine naive Erklärung, warum in der Tat, war es zu wenig geblieben ? — sondern weil die Differenzierung beginnt. Wenn man mich übrigens fragen will, welche Ursache die Differenzierung bewirkt, so werde ich antworten, dass die Assi- milation und ihre progressive ontogenetische Verminderung (vgl. meinen Artikel über den Tod), die die Differenzierung begleitet, ganz allgemeine Lebenserscheinungen sind, die viele andere Tatsachen erklären können; wenn man sie aber mit anderen Tatsachen erklären will, dann verliert man die Zeit und gibt eine Erklärung, die nur ein Verbalismus ist. Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. 535 Veränderliche, und das Wachstum und ihre Ursache werden als Funktion desselben dargestellt; es kommt also keine Erklärung heraus, es wird nur ein neuer Begriff hineingeschoben, der besser als ein hier nutzloser Parameter zu eliminieren ist. Wachstum und Differenzierung. Also, abgesehen von diesem hier ganz nutzlosen Begriff, wollen wir uns fragen, was für Zytoplasma während des Wachstums nimmt zu? Das ist meiner Ansicht nach besonders bemerkenswert, dass die Zellen, bei denen das Zytoplasma zunimmt, gerade diejenigen sind, die wenig oder gar nicht reproduktionsfähig werden (Ganglien- zellen, Muskelzellen u. s. w.); es sind gerade die Zellen, die die funktionelle Assimilation noch ausüben können, nicht aber die mor- phogenetische. Dieser Gegensatz berechtigt die Annahme, dass das Wachstum des Zytoplasmas nur in den ersten Stadien in einer geometrischen Progression zunimmt, ehe die Differenzierung ange- fangen hat; nachher wird notwendigerweise das Wachstum lang- samer. Das gilt, natürlich, nicht nur für das Zytoplasma, sondern auch für die ganze Masse des Körpers, weil die differenzierten Zellen in toto wenig reproduktionsfähig sind. So befinden wir uns hier gerade in ähnlichen Bedingungen wie bei autokatalytischen Reaktionen: das Wachstum des Stoffes wird zur einschränkenden Ursache des Wachstums selbst. Der Mechanismus dieser Wirkung ist aber gründlich verschieden und komplizierter, da sich ein Teil des gebildeten Stoffes in einen anderen Stoff umgestaltet, der minder assimilationsfähig ist. Aus diesen allgemeinen Beobachtungen folgt dann, dass das individuelle Wachstum zuerst schnell vor sich gehen muss, dann langsamer; was tatsächlich geschieht, wenn man von den unbedeutenden sekun- dären Schwingungen absıeht. Wir haben bei einer anderen Gelegenheit fast zufällig erwähnt, dass das Regenerationsvermögen mit dem Alter abnimmt; was die Tatsache selbst betrifft, so ist sie wohl bekannt und man braucht nur an das starke Vermögen zu denken, das das Embryo besitzt, neue Teile zu bilden und auf der anderen Seite an die Schwierig- keit, mit welcher die Wunden, auch wenn aseptisch bleiben, bei alten Tieren heilen. Nun, es ist leicht zu sehen, wie diese Tat- sache mit der Differenzierung in Zusammenhang steht. Wir haben gesehen, dass die Differenzierung schon in den ersten Stadien zu der Bildung von Zellen führt, die wenig morphogenetisch assimi- lieren können. Dies ist aber keine augenblickliche Veränderung der ersten Stadien, sondern eine progressive des ganzen Lebens. Die differenzierten Zellen nehmen immer mehr zu, und die- jenigen, die ihr morphogenetisches Vermögen vollständig behalten, 336 Euriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. immer mehr ab. So kommt man zu einem Punkt, wo die morpho- genetisch starken Zellen nur den täglichen Verlust kompensieren können. Dieser Punkt entspricht den Jahren der Virilität. Dann setzt sich dieselbe Veränderung weiter fort: die morphogenetischen Zellen genügen also nicht mehr, den täglichen Verlust zu kompen- sieren, und das gesamte Gewicht des Organismus nimmt ab. Die Ursache dieser Abnahme ist also gerade dieselbe des Wachstums, ein und dasselbe Phänomen kommt vor und nach der Virilität zum Vorschein, nämlich die progressive Abnahme der morphogenetisch starken Zellen, im Verhältnis zu den differenzierten. Wir können nicht mit dem Gedanken übereinstimmen, dass das Fettgewebe einen ganz besonderen Platz ım Verlauf des Wachs- tums einnimmt. Robertson sagt, dass man dieses Gewebe, dessen morphologische Assimilation Null ist, nicht mit den anderen ver- gleichen kann, die im Gegenteil morphologisch assimilieren. Das ist ja richtig; es ist aber noch einmal zu betonen, dass in erwachsenen, und schon in den jungen Tieren und Pflanzen nur spärliche Zellen dieses Vermögen vollständig behalten, und die anderen — gerade wie auch die Fettzellen — wachsen können, nicht aber sich teilen. So spielt das Fettgewebe, in der allgemeinen Bilanz des Organismus, eine ähnliche Rolle wie die anderen. Ihre Haupteigenschaft, Reserve- stoffe zu behalten, ist nie eine besondere Eigenschaft; die Muskel- zellen, die Leberzellen u. s. w., besitzen viele Reservestoffe und können auch, wie die Fettzellen, stark in ihrer Größe abnehmen, wenn die gesamte Bilanz passiv wird. Es ist also Robertson’s Annahme ganz falsch, dass es ein allgemeines Gesetz für das ge- samte Wachstum geben muss, das Fettgewebe aber ausgeschlossen. Tatsächlich beweisen die Resultate dieses Verfassers nur, dass einige Male die beobachteten und berechneten Zahlen ganz ver- schieden untereinander sind; der Verfasser erklärt es mit der An- wesenheit von Fett; wir werden aber sehen, dass andere Ursachen eine solche Verschiedenheit bewirken. Die gemachte Korrektion ist übrigens, wie gesagt, von einem biologischen Gesichtspunkt aus ganz unhaltbar. Mit unserer Annahme, dass das Fettgewebe keinen besonderen Platz im Organismus besitzt, haben wir noch etwas zu erklären, nämlich warum es in besonderen Augenblicken der Ontogenese vorkommt. Wir wissen in der Tat, dass die säugenden Kinder häufig sehr viel Fett besitzen und dass nach der Erreichung der größten Statur — bei Menschen im allgemeinen zwischen 35 und 45 Jahren —, das Fettgewebe stark zunimmt. Erstens ist zu be- merken, dass sich jedes Gewebe in bestimmten Perioden der indi- viduellen Entwickelung differenziert, so dass es nicht wunderbar ist, wenn dasselbe auch für das Fettgewebe gilt. Zweitens, die spezielle Ursache dieser Erscheinung ist leicht zu finden und be- Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. Bar weist immer mehr eine progressive Abnahme der morphologischen Assimilation während des Lebens. Bei Kindern kann man das Dickwerden vermeiden, wenn die Nahrung vermindert wird — was in gewissen Grenzen so möglich ist, dass die Gesundheit nicht darunter leidet; so ist es bewiesen, dass hier das Fettgewebe zunimmt, weil die Nahrung zu reich ıst “und die Kinder sie ohne Schaden absorbieren und zum Teil assı- milieren können. Im Gegenteil ist in den Jahren der Virilität das Diekwerden oft unvermeidlich; man kann die Nahrung vermindern, der Mensch wird zuerst krank und nur nachher mager. So ist ein gewisser Grad von Dickwerden hier eine biologische normale Eigenschaft. Die Gewebe im allgemeinen können also nur dann assimilieren, wenn die Nahrung so reichlich ist, dass ein Teil als Fett übrig bleibt. Die Tatsache beweist ganz gut, wie dürftig in diesem Augenblicke das morphogenetische Vermögen ist; es kommt nur bei starkem Überschuss der Bilanz in Frage. Dann wird auch das Fett verbraucht, weil die progressive Abnahme des morphogene- tischen Vermögens die Gewebe schlechten Bedingungen unterwirft, so dass ein Überschuss der Bilanz gar nicht mehr existieren kann. Wollen wir die bis jetzt gemachten Betrachtungen resümieren, so können wir sagen, dass die Bedingungen des Wachstums, während des ganzen Lebens, denen einer autokatalytischen Reaktion zum Teil ähnlich sind: sie sind ihnen ähnlich, insofern das Wachstum zuerst dem schon gebildeten Stoff proportionell ist und dann ver- langsamt wird. Ein wesentlicher Unterschied besteht aber darin, dass die Ursache solcher Verlangsamung in beiden Fällen ver- schieden ist: bei autokatalytischen Reaktionen nimmt das chemische Ungleichgewicht — nämlich die Ursache selbst der Reaktion — ab, so dass sich höchstens die Reaktion vollziehen, nicht aber eine Wiederabnahme der gebildeten Stoffe stattfinden kann. Im Gegen- teil ist die Ursache der Verlangsamung des Wachstums, bei Orga- nismen, solcher Natur, dass sie selbst die nachfolgende Abnahme des Gewichtes erklären kann. .In der Tat spielt die Differenzierung der gebildeten Stoffe die Hauptrolle, von denen nur ein Teil sich weiter fortpflanzt, der andere wenig assimilierende Zellen bildet (die differenzierten Gewebe); die progressive Verminderung des ersten Teiles im Verhältnis zu dem zweiten verursacht dann die Unmöglichkeit, dass die stark assimilierenden Substitutions- oder Regenerationszellen, den täglichen Verlust an differenzierten Zellen kompensieren: es folgt daher eine Abnahme des Gewichtes. Wachstum und chemische Differenzierung bei Pflanzen. Wir haben bis jetzt Tatsachen betrachtet, die in gleicher Weise den Tieren und Pflanzen angehören, außerdem die spezielle Tat- 338 Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. sache des Diekwerdens, die den Tieren eigentümlich ist. Wir wollen nun besonders Tatsachen studieren, die nur den Pflanzen ange- hören und die uns noch besser gestatten, die Verschiedenheiten zwischen Wachstum und autokatalytischen Reaktionen klarzumachen. Eine starke Verschiedenheit existiert zwischen den chemischen Verhältnissen der differenzierten Gewebe bei Pflanzen und Tieren. Bei den ersteren besitzen die differenzierten Gewebe einen kleineren Prozentgehalt von Eiweißstoffen — also von Stickstoff — als die morphogenetisch assimilierenden Gewebe. Bei den Tieren existiert ein solcher Gegensatz eigentlich nicht, weil z. B. die Muskelzellen ungefähr dieselbe Menge Stickstoff besitzen wie die Substitutions- zellen der Epithelien. Die in Frage stehende Eigenschaft der .Pflanzen hängt von der Tatsache ab, dass die differenzierten Ge- webe der Pflanzen viele Kohlehydrate bilden. So können wir ganz gut voraussehen, dass der Prozentgehalt des Stickstoffes während des Wachstums der Pflanze abnimmt. Um diese Tatsache zu verifizieren, habe ich die schönen Unter- suchungen geprüft, die im botanischen Institut von R. Chodat gemacht worden sind. Die Tatsache, die ich auf theoretischem Weg vermutet hatte, wurde von diesen Untersuchungen vollständig bewiesen. Für meinen Zweck war es aber nicht genug: ich wollte ent- scheiden, ob die gesamte Kurve der Veränderung des Stickstoffes, während des Lebens, derjenigen der anderen Stoffe etwas voran- geht. Wenn dies der Fall ıst, dann kann man daraus schließen, dass ebensogut die ontogenetische Zunahme, wie auch die Abnahme des Gewichtes, von dem morphogenetisch assimilierenden Stoffe abhängt, nämlich von ihren Veränderungen. Ich habe die Data der obengenannten Untersuchungen durchgesehen, was den Augen- blick betrifft, wo der Stickstoff sein Maximum erreicht, und den- jenigen, wo er die größte Geschwindigkeit seines Wachstums er- reicht; und diese Data habe ich mit den entsprechenden der gesamten trockenen Stoffe verglichen. Die Ergebnisse sind in den Tafeln 1—2 dargestellt. Sie beweisen ganz gut die Präzedenz des Stickstoffes gegen andere Stoffe. Die Autoren haben diese Versuche ın der Weise unternommen, dass sie mehrere Analysen für jede Pflanzenserie gemacht haben, ungefähr eine pro Woche. Diese Analysen sind in ihren Tabellen mit progressiven Zahlen bezeichnet, und solche Zahlen habe ich ın meinen Tabellen wieder angeführt. Es resultiert z. B. aus der ersten Reihe der Tab. I, dass der Stickstoff seinen größten absoluten Wert in dem Augenblick der 8. Analyse erreicht, die trockenen Stoffe in demjenigen der 9. u. s. w. — Was die Geschwindigkeit betrifft, da diese Werte von den Unterschieden zwischen zwei sukzessiven Zahlen abgeleitet sind, kommt natürlich die Zwischen- Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. 339 Gesamte Nicht N und Verfasser Pflanzenart trockene N ae Sn Dee Stoffe organische | organische Stoffe Stoffe Deleano®) I Hafer (1. Reihe) | g y 5 ” ee Ener) 5 9 7 » END Te) 9 9 2 R H MATURE IMMER) (11) 7 und (11) „ Hafer (gesamte 1—4 Reihen) ) 10 | I) » II Prunus (Früchte) | 12 12 11 5 „ (Blätter) Ira 14 IN srl Monnier’) Hafer | 14 | 14 11 Deleano III | Mohrrübe (Wurzeln) 1. Jahr Bl 11 (15) » = (über den Boden befindliche Teile) I) 8 und (15) | 12 und 14 r 2 (sämtl. Pflanzen) 10 9 und 13 | (15) » 2 (Wurzeln) 2. Jahr | S | 3 und 8 1 und 6 » E (obere Teile) | 7 | 7 7 » 35 (sämtl. Pflanzen) 2 6) 7 Tab. II. Punkte der größten Wachstumsgeschwindigkeit der verschiedenen Pflanzenstoffe. Ten | Gesamte Nicht N und Verfasser Pflanzenart \ trockene Dale Anal. | Stoffe organische | organische | Stoffe | Stoffe Deleano I Hafer (1. Reihe) ini 6.5 6,5 6,5 » En DE aeg) 5,5 6,5 5: » Or Eu) | 6,5 6,5 6,5 » ER) | 6,5 6,5 5,5 » Hafer (gesamte 1—4Reihen) 6,5 6,5 5,9 h = 1uf Prunus (Früchte) | 10,5 10,5 | 5 = „ (Blätter) » |8,5 und 11,5 [85 und 13,5 18,5 und 11,5 hr III | Mohrrübe (Wurzeln) 1. Jahr 7,8 7 1 % % (obere Teile) | 5 | 6,5 5,5 » „> (sämtl. Pflanzen) | 6,9 7 25 » > (Wurzeln) 2. Jahr. 25 25 | 5,5 5 e (obere Teile) 5 6,5 | 5,5 5 Re (sämtl. Pflanzen) 4,5 | 6,5 5,5 4) Deleano, N.T.: Etude sur le röle et la fonction des sels mindraux dans la vie de la plante. I. Universit& de Geneve, Institut de Botanique (7), 9" fasc., 1907; II. plantes bisannuelles. Ibid. (8), 2° fasc., 1908; III. ibid. (8), 3° fasc. 5) Monnier, A.: Les matidres minerales et la loi d’aceroissement des vegetaux. Univ. Gen®ve, Inst. Botanique (7), 3° fasc. 340 Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. zahl vor; so z. B. für die vier Reihen von Analysen, die Del&eano mit dem Hafer gemacht hat, liegt die größte Geschwindigkeit des Wachstums des Stickstoffes zwischen der 5. und 6. der Analysen, und für die nicht stickstoffhaltigen organischen Stoffe, und die ge- trockneten Stoffe, zwischen I 6. (od der 7. — on einmal eine gerade Zahl für die Geschwindigkeit vorkommt, so bedeutet es, dass zwei sukzessive Unterschiede gleich sind. — Übrigens, wenn der Zeitunterschied zwischen den Analysen nicht konstant ist, ist die Rechnung der Unterschiede der Werte auf die täglichen Inkremente reduziert. Außerdem ist auch zu bemerken, dass manchmal mehr als ein Maximum vorkommt; endlich, in der Ta- belle der Gewichte habe ich einige Zahlen zwischen Klammern ge- schrieben, wenn sie den letztgemachten Analysen entsprechen; das bedeutet, dass die Werte der Gewichte zugenommen haben, bis dann Analysen gemacht worden sind, ohne Abnahmen sehen zu lassen; das ist z. B. für die Mohrrüben des ersten Jahres geschehen. Die Tatsache, dass die Analysen nicht jeden Tag gemacht worden sind, kann natürlich verhindern, dass ein kleiner Zeitunter- schied zwischen den Maxima zweier Stoffe wahrgenommen wird. Das Ergebnis ist aber klar und bestimmt, wenn die größten Werte des Stickstoffes immer vor oder gleichzeitig mit denjenigen der gesamten Stoffe gefunden sind; und das ist der Fall. So können wir daraus schließen, dass die Kurve des Stiekstoffes etwas ver- früht ist, im Verhältnis zu dem nicht stickstoffhaltigen organischen Stoffe und mit den gesamten getrockneten Stoffen. Die Ausnahme der Mohrrüben während des ersten Jahres ihres Lebens, ist keine wirkliche Ausnahme. In der Tat veralten sie nicht im ersten Jahr, sondern trocknen ein und bleiben in einem Zustande von latentem Leben. Hier ist also nicht die Assimilation abnehmend, sondern sie wird nur unterbrochen, bis dann mit der neuen Jahreszeit ein neuer aktiver Zustand erscheint. So ist der Verlauf des Stickstoffes, der bis zum letzten Tag zunimmt, ganz gut verständlich. Mit einem synthetischen Überblick sehen wir aus allen oben- genannten Tatsachen, wie ähnlich die chemische Differenzierung der morphologischen ist, was die Frage des Wachstums betrifft. Hier ergibt sich — genau wie zuerst in bezug auf die verschiedenen Zellarten —, dass das Wachstum die wachstumsfähigen Stoffe zu- nehmen lässt, und gleichzeitig die wachstumsunfähigen; und diese Differenzierung geschieht in der Weise, dass der assimilatorische Stoff (für welchen wir annähernd als Index den Stickstoffgehalt an- nehmen können) im Verhältnis zu dem nicht assimilatorischen, abnimmt: er wird also verdünnt; die Verlangsamung des Wachs- tums geschieht gleichzeitig mit Her Verdünnung des »ssimilatarisehen Stoffes: — m el Dei den autokataly tischen Reaktionen wird Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. 34 die Verlangsamung der Reaktion von der zunehmenden Konzentration der wachsenden und assimilatorischen Stoffe verursacht. Dieser gründliche Unterschied, der sowohl im Pflanzen- wie im Tierreich besteht, und immer zur Erscheinung kommt, von welcher Seite auch — entweder von einer morphologischen oder von einer chemischen — die Frage betrachtet wird, ist die Ursache des verschiedenen Verlaufes der Kurve, je nachdem das Wachstum der Organismen oder die autokatalytische Reaktion betrachtet wird. Das senile Sinken der organischen Wachstumskurven wird gerade von dem Wesen der Beschränkung des Wachstums verursacht; dieselbe graduelle Veränderung, die zuerst den Verlauf des Wachs- tums reguliert, mit der steigenden Verdünnung der morphogene- tischen Zellen und Stoffe, bringt unvermeidlich die Abnahme des (Gewichtes hervor. Wachstum und Veränderungen der Körperform. Außerdem, noch eine Ursache existiert, die als eine Grenze des Wachstums zu betrachten ist. Die Form ist eine Funktion der Größe: diese Frage habe ich schon bei anderen Gelegenheiten ®) behandelt, ich will aber hier die Bedeutung derselben klar machen, was die Wachstumskurve betrifft. Die absorbierenden Organe ım allgemeinen müssen größer im Verhältnis mit dem Körpergewicht werden, wenn das Tier oder die Pflanze wächst; sonst kann nicht ihre Tätigkeit, die eine oberflächliche Tätigkeit ıst, für die ganze Masse des Körpers genügen; sie werden daher auch komplizierter, und von dieser Tatsache habe ich schon Beispiele gebracht, was die Nervenzentren der Evertebraten betrifft. Wenn sie nicht kom- plizierter werden können, so wird das Wachstum verhindert; jeden- falls wird es verhindert, wenn auch etwas später, da die Kom- plexität der Organe selbstverständlich eine Grenze besitzt. Es handelt sich nicht nur um absorbierende Organe; bestimmte Ver- hältnisse des Körpers von Volumen und Oberfläche existieren bei allen Organen, so dass das Wachstum die Form verändern muss — im allgemeinen sie komplizierter machen — und dann verhindert wird. Nun, diese Grenzen besitzen eine gewisse Ähnlichkeit mit denen der autokatalytischen Reaktionen; sie gestatten nicht ein Zurück- laufen der Veränderungen, die mit dem Wachstum geschehen; wären also diese die einzigen Ursachen, die das Wachstum auf- hören lassen, so würde die Wachstumskurve nach einer endlichen Grenze streben. Die Differenzierung besitzt, wıe gesagt, einen ganz 6) Enriques, P: La forma come funzione della grandezza. Prima memoria: L’economia di sostanza nelle ossa cave. Seconda memoria: Ricerche sui gangli nervosi degli Invertebrati. Arch f. Entw.-Mech, V. 20 u. 25, 1906, 1908. 342 Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. verschiedenen Einfluss; es ist genug, dass einige Ursachen ein Zurücklaufen der Kurve bewirken, um es tatsächlich beobachten zu können. III. Die analytische Darstellung des Wachstums und der biologischen Tatsachen im allgemeinen. Betrachten wir nun die mathematische Seite der Frage von einem allgemeinen Gesichtspunkt aus. Betrachten wir zuerst die Art und W eise, mit welcher die logarithmischen Funktionen, die aus der Tneerlion einer differentiellen algebraischen Funktion entstehen, eine gegebene Kurve annähernd nachahmen können. Solehes ist der Fall auch für die Berechnung von Brailsford Robertson; er hat nämlich die differentielle Gleiohuns: dx iR an —x(A— x) eingeführt, nämlich eine algebraische Funktion des zweiten Grades nah x Ce das bekannte Glied (den praktischen Einfluss dieses Mangels werden wir nachher besprechen). Wir wollen im allge- meinen die Gleichung 2. v=a-tbx-+ cx?’+dx°. betrachten, wo v die Geschwindigkeit des Pranonene (x) darstellt. Wenn das in Frage stehende Phänomen einige Maxima oder Minima besitzt, so enlerrechen diese chend dem Wert v=0(, nämlich den realen Wurzeln der Gleichung: 3. a-bx+cex?+dx?...=0. Nun besitzt, wie bekannt, das Integral i\ Se N = [ü=14+6, das von der Gleichung 2 herstammt, eine Summe von Gliedern, von denen einige den realen Wurzeln von Gleichung 3 entsprechen; und diese sind von dem folgenden Typus: 1 Dal wo a eine reale Wurzel der Gleichung darstellt. Diese beiden Ausdrücke werden — © für x=a. Es wird nämlich die Zeit t—= ©, wenn x ein Maximum oder ein Minimum besitzt; mit anderen Worten, man kann überhaupt nicht ein endliches Phänomen, das Maxima oder Minima besitzt, mit solchen Formeln darstellen. Andererseits, nehmen wir irgendein Phänomen, dessen Ge- schwindigkeit wir mit einer Funktion von dem Typus 2 nachahmen wollen; wir betrachten natürlich nur einen auf- oder absteigenden Teil des Phänomens, dessen experimentelle Kurve wir mit einer gewünschten und gegebenen Approximation immer mit der theo- retischen aehabden können; der Grad der möglichen Approx1- D. log (x — a) oder — Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. 343 mation hängt in der Tat sowohl von der Komplexität der gegebenen Kurve, wie von der Zahl der Glieder in der algebraischen Funktion ab; außerdem können wir auch eine solche Zahl von Gliedern wählen, dass nicht nur die experimentelle Kurve der Geschwindig- keit, sondern auch die experimentelle Kurve des Phänomens selbst mit einer irgendwelchen gegebenen Approximation von der theo- retischen Integralkurve 4 nachgeahmt sei. Wenn diese Operation in der Nähe eines Maximums oder Minimums des Phänomens ge- macht wird, dann folgt die Unmöglichkeit einer Extrapolation: nämlich, wollen wir die theoretische Kurve ein wenig außerhalb der Grenzen der Nachahmung betrachten, so finden wir hier kein Maximum oder Minimum, kein Herab- resp. Aufsteigen der Kurve, wie es ın der experimentellen Kurve der Fall ist. Zum Schluss haben wir hier eine Klasse von Kurven, die sehr bequem zum Gebrauch ist und gute Dienste darbieten kann, so weit man nur auf- oder herabsteigende Teile von gegebenen Kurven nachzuahmen hat; die Unmöglichkeit der Nachahmung von Maxima oder Minima hängt von den Eigenschaften der Kurven selbst ab. Haben wir denn eine Nachahmung gemacht ın der Weise, dass wir natürlich nur auf- oder absteigende Teile der gegebenen Kurve betrachtet haben, so können wir in keiner Weise aus der Unmöglichkeit der Extrapolation schließen, dass der gegebenen Kurve, von dem Punkte des Maximums aus, andere Ursache zu- zuschreiben ist wie vorher. Um die oben gemachte Bemerkung zu dokumentieren, habe ich einige Kurven mit denselben logarıthmischen Funktionen nach- geahmt. Zuerst habe ich eine Kurve der Muskelkontraktion benutzt, die ich im Jahre 1903 an der Zoologischen Station zu Neapel vom Sipunculus nudus genommen hatte. Es wurde der zurückziehende Muskel des Rüssels benutzt, und die Registrierung wurde so gemacht, dass die Kurve gut für den in Frage stehenden Zweck dienen konnte. Der Zylinder des Apparates drehte sich mit starker Geschwindig- keit, und eine Stimmgabel registrierte die Zeit (1“/400) für einige Drehungen des Zylinders; dann sank die Muskelkurve langsam und die Stimmgabel wurde vom Zylinder entfernt, während ein anderer Apparat die Sekunden registrierte. Nur nach vielen Drehungen erreichte die Muskelkurve die Aszisse wieder. Kein Hebel wurde benutzt: der Muskel lag im Meereswasser, mit der unteren Extremität befestigt; an die obere war ein Faden gebunden, der über eine obere Kurbel glıtt und nachher frei endete, ein Gewicht tragend. Ein kleines Papierstück war an den Faden gebunden, zwischen dem Muskel und der Kurbel, und schrieb ziemlich regulär aufden Zylinder, den es leicht berührte. So stellt unsere Kurve genau den Verlauf der Kontraktion dar, 344 Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. Die Tabelle, die hier folgt, gibt die Werte der Kontraktion in Millimetern als Funktion der Zeit (eine Zeiteinheit = 1/400). Bei den beobachteten Zahlen sind die berechneten geschrieben. Tab. III. Nachahmung der Muskelkurve (Sipuneulus) mittels der Funktion log re — 0,008 (t— 7). x —+ =. ' Kontraktion (x) in mm | Dilterene i | | (=! 9) beobachtete berechnete | nen 0 0 1 Zu] 4 1 | 2,4 Abu 6 Ay | 2,5 —0,7 Se 52 4,5 NT 10 | 72 5,3 — 1,9 3d N 13,7 gm An RE re 30 16,7 IE Ne AO 0 N 20 N EAN 504 go 21,5 iR es) en, Bose Rinuaaı I 1102 100 | BIT 36,2 +2, LION RER 200,2 Paar ar li es 300 N BANE 49,8 +5 400 47,3 50,1 258 500% "9 N 750 50,3 | 90 | 5083 50:3 48 | 0 1000 50,3 | 1500 | 48,8 2000. 12, 45.1 | Die theoretischen Werte habe ich mit einer Funktion berechnet, die nur sehr wenig von der Robertson’s verschieden ist, nämlich og Eu 0, die der differentiellen Gleichung entspricht: dx —atbx+ ex”. dt Wie man sieht, der einzige Unterschied von der Formel von Robertson besteht darin, dass hier das bekannte Glied a erscheint, das eine Konstante B im Zähler der logarithmischen Glieder ein- führt. Der Zweck einer solehen Veränderung ist folgender: mit Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. 345 « q der Formel der autokatalytischen Reaktionen (wo B = 0 ist) besitzt die Geschwindigkeit ein Maximum für x—= 4A; A stellt den größten Wert dar, den das Phänomen x erreichen kann (für t = ©); da in meiner Kurve das Maximum der Geschwindigkeit der Kontraktion (nämlich der Inflexionspunkt), vor der Hälfte der Kontraktion selbst liegt, war es unmöglich, die autokatalytische Formel ohne weiteres zu benutzen. Es ist übrigens zu bemerken, dass ein solches Ver- hältnis auch bei Wachstumskurven überhaupt nicht existiert; wir werden später die betreffende Frage behandeln. Es ist leicht zu sehen, dass in der logarithmischen Funktion die größte Geschwindigkeit dem Wert x = entspricht; A ist 2 bekannt, da es den Wert der größten Kontraktion darstellt; so ist auch B sofort berechenbar. Das rechte Glied kann ın die Form K (t— t,) verwandelt werden, wo t, die Zeit der größten Geschwindig- keit darstellt. So bleibt nur K zu bestimmen. Setzt man ın der Formel wirkliche Werte für x und t, so wird sofort auch K be- stimmt; man kommt natürlich zu einigen nicht ganz gleichen Werten, je nachdem wir die verschiedenen x-Werte betrachten; da ich einen Mittelwert gewählt habe, so kommen wir endlich zu der Formel: x 42,3 a (0% —— (00 —— 1). 08 50,3 — x re Wie aus Tab. III ersichtlich, sind die mit solcher Formel be- rechneten Werte den beobachteten stark ähnlich, was besonders bemerkenswert ist, da das Maximum der-Geschwindigkeit sehr nahe dem Anfang der Kurve ist. Es ist hier zu bemerken, dass die Ähnlichkeit zwischen der biologischen Kurve und einer theoretischen besteht, welche der der autokatalytischen Reaktionen nicht gleich ist; jedenfalls hängt die Ähnlichkeit nur von der Eigenschaft unserer Formel ab, die zıemlich plastisch ıst, um sich verschiedenen Kurven anzupassen. Die Tab. IV stellt die Nachahmung einer anderen Kurve dar, mit derselben Formel wie oben, bei welcher die Konstanten ver- schieden sind, nämlich: Se U | 05 321,1—x Die Approximation zwischen der gegebenen und der theoretischen Kurve ist noch besser wie vorher; hätten wir diese Ähnlichkeit wie Robertson zu betrachten, so hätten wir auch zu sagen, dass die Ursache des Verlaufes der gegebenen Kurve ın dem nach- geahmten Teil in keiner Weise ein Sinken derselben in den folgen- den Teilen erklären kann. Tatsächlich sinkt die gegebene Kurve, nach dem nachgeahmten Teil, und sinkt und steigt wieder ıns Un- 346 Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. endliche; sie ist keine biologische Kurve, sondern diejenige, die der folgenden Formel entspricht: x ET ae Von dieser periodischen Kurve habe ich einen Teil gewählt, der zwischen einem Minimum und Maximum liegt; die Aszisse war dann so verschoben, dass das Minimum mit dem Nullpunkt zu- sammenfällt. t 5X0,434... Tab. IV. Nachahmung derKurvex=260-+e °*" COS X en, mittels der Kurve log, 351 1x 1 | | Berechnete — | Grade | \ | beshnchteie) (berschnets) bee del erte 120 | 67 lim x— —4L,1 | t= —o 140 12 160 0) — 5,2 180 1 25 24 —] 200 2 71 | 68,8 —2,2 220 3 128 | 127,4 — 0,6 240 4 186,8 189 +22 260 5 237 4 |. 948,8 ie Pd 280 | 6 278,3 275,3 —3 300 | 7 305,3 | 290,2 — 15,1 320 8 318,7 305,8 — 12,9 340 1) 321,1 314,6 — 16,5 360 10 316,1 lan x = 32111 | b=>=00 Diese Nachahmung, die viel besser ist als viele von denen, die Robertson gemacht hat, beweist, dass die für die Nach- ahmung gebrauchten Formeln so plastisch sind, dass man fast immer mit ihnen eine nur auf- oder herabsteigende Kurve mit einem ein- zigen Inflexionspunkt nachahmen kann. Reziprok, mit einer Kurve von dem Typus x=e "cos (b+cx) könnte man ebensogut eine logarithmische Kurve nachahmen, und 7) Die Zahl 0,434... — log,,e habe ich nicht in die Berechnung eingeführt, sondern die Werte x:5 berechnet und in den Tafeln die diesen Werten entsprechenden Zahlen (als Logarithmen mit der Basis 10 betrachtet) gesucht; so habe ich nicht x x 5 ARE - 5X 0.434 genau e ” berechnet, sondern, wie in der obigen Formel, e Ir Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. 347 ebensogut eine biologische Gewichtskurve; ich glaube sogar des Verlaufes dieser Kurven wegen, dass man mit Be letzten Formel das Ziel noch besser erreichen könnte; nur ıst sie natürlich nicht bequem zum Gebrauch wegen der Schwierigkeit, hier die Kon- stanten zu wählen. Betrachten wir nun die verschiedenen Kurven des Typus 4 im Verhältnis zu ihrer Anwendbarkeit. Wenn die Differentialgleichung ersten Grades in bezug auf x ıst, hat man dann die Integralfunktion log (a+bx) = bt+C, oder log (A+Bx) =k(t—t,), die keinen Inflexionspunkt besitzt; die theoretischen mit solcher Formel be- rechneten Zahlen würden daher gewiss als nicht richtig betrachtet werden. Warum sind aber gerade diejenigen Zahlen als richtig zu betrachten, die aus der Differentialfunktion zweiten Grades in bezug auf x abgeleitet sind, wie es Robertson getan? Es liegt ja hier eine Schätzungsfrage vor; es scheint mir z. B., dass sie nicht richtig sind, wo die realen Werte oft doppelt so groß als die theoretischen sind! Der Verf. erklärt diese Ungleichheit mit der Anwesenheit von Fett, wir haben aber ım vorigen Kapitel bewiesen, dass eine solche Erklärung ganz unhaltbar ist. So ist es möglich zu sagen, dass die benutzte Formel in keiner Weise eine privilegierte Stellung in bezug auf die Nachahmung zwischen den anderen von demselben Typus besitzt, sondern nur einen Grad besserer Approximation darstellt im Verhältnis zu den Formeln, die aus einer algebraischen Funktion ersten Grades nach x herstammen. Es wäre aber noch besser, eine algebraische Funktion dritten, vierten u. s. w. Grades zu benutzen, und hätten wir es gemacht, so hätten wir uns ın keiner Weise mehr von der richtigen Interpretation der biologischen Tatsachen entfernt; nur hätten wir auch die Möglichkeit vor uns, eine bessere Approximation zu gewinnen und mehrere Inflexions- punkte nachzuahmen. Hier ist aber ein merkwürdiger Punkt in Robertson’s Be- trachtung. Er hatte in der Tat zwei Inflexionspunkte nachzuahmen, mit einer Formel, die nur einen solchen besitzt. So hat er die gegebene Kurve in zwei Teile. geteilt und jeden Teil mit einer logarıthmischen Formel nachgeahmt. Es war aber möglich — und hier liegt der praktische Wert seiner Formel — De Formeln zu summieren, weil die Werte der Funktion außerhalb des betrachteten Teiles praktisch konstant bleiben. Mit dieser Methode braucht die Gesamtkurve des Gewichtes der Menschen mindestens drei sum- mierte Kurven, also 9 willkürliche Konstanten. Aber mit einer algebraischen Funktion 8. Grades, x—a+bt+c? +dt +... + it, die 9 Konstanten besitzt, konnte man ebensogut und noch viel besser die gesamte Kurve des Wachstums vom Embryo an bis zum Tod darstellen! Es ist die hohe Zahl der Konstanten, die eine XXIX. 22 348 Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. gewisse Approximation zu erreichen erlaubt, nicht die besondere Art der Funktion. Wo der Verf. eine einzige Funktion benutzt hat, für die Maus und die Oueurbita pepo, und in den Fällen der zweiten Abhandlung, sind die theoretischen Werte sehr verschieden von den beobachteten. Für die Maus denkt der Verf. an das Fett, wie oben gesagt; was, wie auch gesagt, die Bedeutung der Un- gleichheit nicht vermindern kann; um so mehr, als es ganz unwahr- scheinlich ist, dass die Mäuse ‚während der ersten 120 Tage ihres Lebens 196 g Gewicht, ohne Fett, erreicht haben, und daher in den 600 folgenden Tagen 112 g Fett — nur Fett -— gewonnen haben. Ein einziger Schluss ist möglich, dass die Formel zu einer guten Approximation zwischen beobachteten und berechneten Zahlen führt, wenn sie mehrere Male wiederholt wird — also mit vielen will- kürlichen Konstanten —, sonst nicht. So wird auch bewiesen, dass die Zyklen des Wachstums keine andere oder bestimmtere Bedeutung besitzen, als die wohl bekannte, dass z. B. bei Menschen die Geschwindigkeit des Wachstums min- destens drei Maxima besitzt, eins ım fötalen Leben, die anderen nachher. Der Verf. spricht von einer wichtigen Eigenschaft dieser Zyklen, nämlich der Tatsache, dass für jeden von diesen die größte Geschwindigkeit dem Augenblick entspricht, wo das infolge des Zyklus selbst gewonnene Gewicht genau die Hälfte desjenigen ist, das mit dem ganzen Zyklus erreicht wird, nämlich wenn v = A/2. Diese Eigenschaft folgt sofort aus der Formel; was aber die reale Kurve betrifft, so ıst wieder zu bemerken, dass in den Fällen,: wo eine einzige Formel benutzt worden ist, wo ein einziger Zyklus (nämlich ein Inflexionspunkt) existiert, die Werte des letzten Teiles des Wachstums ganz verschieden von denen der Formel sind, näm- lich die Hypothese, dass die größte Geschwindigkeit des Wachs- tums der Hälfte des Gewichtes entspricht, ist ganz ırrig; mit anderen Worten, will man die logarıthmischen oben betrachteten Funktionen benutzen, so ist es nicht gestattet, a— 0 in die Formel 2 zu setzen. Wenn die Gewichtskurve ın mehrere Teile geteilt wird, von denen jeder einem Zyklus entspricht, dann nähert sich die theoretische Kurve sehr der realen; die Determination des Augenblickes, wo ein Zyklus beginnt oder endigt, hängt von den Formeln selbst ab, und von der Hypothese, dass die Zyklen die oben erwähnte Eigenschaft besitzen (a—= 0); diese folgt also in keiner Weise und in keinem Fall aus den Tatsachen selbst, sondern entweder folgt sie über- haupt nicht, oder sie gilt für die künstlich bestimmten Zyklen. Eine ganz ähnliche Kritik ist für andere Nachahmungen der Wachstumskurve anwendbar, die von anderen Autoren gemacht worden sind. Th. Hedlung?) hat die Funktion 9) Hedlung, Th.: Über den Zuwachsverlauf bei kugeligen,, Algen während des Wachstums. Särtryck ur Botanika Studier, Upsala 1900. Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. 349 691 log — —b(x— x) für eine monozellulare Alge benutzt, die natürlich in der folgenden Form ausgesprochen werden kann: log x—- Ax=Bt+C (A,B,C,x,, K sind Konstanten, x stellt den Diameter der Alge dar.) Der Differentialquotient lautet also: ISBN.X dt atbx nämlich, wir haben hier für die Geschwindigkeit eine gebrochene algebraische Funktion ersten Grades. Die Möglichkeit, eine so einfache Funktion zu benutzen, ist interessant und muss gewiss der Tatsache zugeschrieben werden, dass es sich hier um einen Orga- nismus handelt, der keiner Differenzierung unterworfen wird. So scheint es, dass auch vom mathematischen Gesichtspunkt aus die biologische Differenzierung als eine Ursache betrachtet werden muss, die den Verlauf des Wachstums komplizierter macht. Die Frage ist aber noch immer sub judice und ich hoffe sie experimentell lösen zu können. Von einigen Autoren sind Hyperbolen benutzt worden, um das Wachstum nachzuahmen. Nur Teile sind von diesen Hyper- bolen benutzt worden in der Weise, dass die einzelnen Teile eine kontinuierliche Kurve bilden. Man kann die Arbeiten von Fräulein Stefanowska!°), Ch. Henry et L. Bastien'!), A. Monnier”) lesen. Die Versuche sind besonders ım Pflanzenreich gemacht worden. Die einzelnen Teile endigen ın den Punkten der experi- mentellen Kurve, wo Inflexionspunkte liegen. Die Autoren haben ım allgemeinen nur den ersten, aufsteigenden Teil der Kurve nach- geahmt. Henry et Bastien haben das Menschenwachstum dar- gestellt (Gewicht und Statur), von dem ersten Monat des intra- uterinen Lebens bis zum Tod. Sie haben die experimentelle Kurve in 4 Teile gebrochen, so dass jeder Teil einen ganz einfachen Verlauf besitzt und natürlich ganz leicht mit einer Kurve 2. Grades nachgeahmt werden kann. Da die willkürlichen Konstanten der 4 Hyperbolen 9 sind (nicht 12, weil 3 Punkte gemeinsam zweien verschiedenen Hyperbolen sind), entspricht die gemachte Nach- ahmung, was die Möglichkeit betrifft, eine gute Approximation zwischen beobachteten und berechneten Werten zu gewinnen, der Benutzung 10) Stefanowska, Micheline: Sur la croissance en poids de la souris blanche. C. R. Acad. Sc. 1903; id. des vegetaux ibid. 1904. 11) Henry, Chr. et L. Bastien: Recherches sur la croissance de !’homme ete. C. R. Ass. Franc. Avanc. Sc. 1904. 12) 1. cit. 99%: au 350 Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. einer Funktion 8. Grades, was noch einmal die nur technische Be- deutung solcher analytischen Darstellung beweist. @Quetelet hat den Verlauf der Statur des Menschen mit einer algebraischen Funktion dritten Grades dargestellt: x— 1000 en x) — + (zitiert von Ch. Henry) (x die Statur, t die Zeit, A der größte Wert der Statur, — die Buchstaben sind von der originellen Formel verändert, um die hier schon gebrauchten zu benutzen). Da die Statur einen Verlauf besitzt, der gewiss nicht kompli- zierter, vielleicht einfacher ıst als der des Gewichtes, so ist ganz leicht zu verstehen, wie es möglich ıst, ihr Wachstum von der Geburt an bis zu ıhrem größten Wert mit einer Funktion nach- zuahmen, die 4 Konstanten besitzt. Sie sind schon genügend, um die wichtigen Punkte der Kurve festzustellen. Es liegt denn hier nur ein technischer Wert ın dem Versuche. Kövessi") (zitiert von Del&eano I) hat gefunden, dass das Volumen der Bäume wie der Cubus der Zeit wächst. Ich kenne die originale Arbeit nicht, so kann ich nicht wissen, mit welcher Approximation und zwischen welchen Grenzen die Beobachtung gemacht worden ist; es handelt sich gewiss um eine kurze Periode des Wachstums, weil die erwachsenen Bäume sehr wenig oder gar nicht mehr wachsen, also &ewiss nicht nach diesem Gesetze. Nun wollen wir eine Vergleichung mit den analytischen Dar- stellungen in der Physik machen. Die Physiker stellen zuerst eine Hypothese auf, die erlaubt, eine Funktion zu konstruieren. Sie be- obachten dann, ob die aus dieser berechneten Zahlen den experi- mentellen entsprechen. Ganz dieselbe Methode wie sie z. B. Ro- bertson benutzt. Kein prinzipieller Unterschied besteht also zwischen der Darstellung des Fallens der Körper mit der Parabel, und der Darstellung des Wachstums mit der logarıthmischen Funktion von den autokatalytischen Reaktionen, solange man nur das psychische Verfahren des Verfassers in Betracht zieht. Es bestehen aber einige wichtige Unterschiede zwischen beiden Fällen: erstens, dass die Approximation zwischen den beobachteten und berechneten Zahlen, im Fall des Fallens der Körper, viel größer ist als wenn eine andere Funktion, mit wenigen willkürlichen Konstanten, be- nutzt würde; das ist im Gegenteil für das Wachstum nicht der Fall: eine ähnliche Approximation kann erreicht werden, wenn andere Funktionen mit gleicher Zahl von willkürlichen Konstanten gebraucht werden. Zweitens, die Zahl selbst der Konstanten ist 13) Ad. Erdezzeti Kiserletese V. 8, Enriques, Wachstum und seine analytische Darstellung. 351 für das Wachstum erheblich groß, und keine Extrapolation mög- lich — was natürlich mit der hohen Zahl der Konstanten zu- sammenhängt. Es fehlen bei der Darstellung des Wachstums die Bedingungen, die erlauben, der analytischen Darstellung eine wesentliche Bedeutung zuzuschreiben, nämlich: eine kleine Zahl von willkürlichen Konstanten, die Unmöglichkeit, mit anderen Funktionen, die nicht noch mehr Konstanten enthalten, eine bessere oder ähnliche Approximation zu erreichen, die Möglichkeit der Extrapolation. Es handelt sich also um eine nur künstliche Dar- stellung, wie es übrigens auch der Fall ist bei vielen physikalischen Theorien. Es bleibt dann nur der technische Wert der Darstellung übrig. Was aber ein besonderes Interesse besitzt, ist die Analyse der wesentlichen Bedeutung der wichtigsten analytischen Darstellung von biologischen Tatsachen, nämlich der mit der Galton’s Kurve. Kann man hier eine ähnliche Kritik anwenden, wie für die obigen Fälle? Es ist leicht zu sehen, dass diese Darstellung eine ganz besondere Stellung zwischen allen anderen besetzt. Mit einem Beispiel werden wir die Sache leichter erklären. Haben wir die Länge eines Tieres zu messen, dann können wir, ehe wir wissen, ob es einige Mikron oder viele Meter lang ist, be- stimmen, dass wir 1000 Individuen messen wollen, und die be- obachteten Zahlen in 10 Klassen verteilen. Diese zwei Zahlen sind also ganz aprioristisch, sie sind nicht von den Ergebnissen der Messungen abgeleitet. Die Kurve ist von denselben schon vollständig bestimmt; es ist in der Tat möglich, die Vergleichung zwischen berechneten und beobachteten Zahlen in der Weise zu vollziehen, dass man die Koeffizienten der neunten Potenz des Binoms nimmt und sie mit einer solchen Zahl multipliziert, dass ihre Summe gleich 1000 wird. Die Serie der theoretischen Werte, die so bestimmt werden, muss den beobachteten Zahlen gleich sein. Beide willkür- liche Konstanten, die man benutzt hat, waren also vor der Be- obachtung schon bestimmbar. Die Ähnlichkeit zwischen berechneten und beobachteten Werten, wenn vorhanden, erreicht also eine merk- würdige Bedeutung und Wichtigkeit. Zusammenfassung. Mit unserer Darstellung haben wir die Bedingungen des Wachs- tums studiert und seine Verhältnisse zu der chemischen und mor- phologischen Differenzierung; so dass wir klar gemacht haben, wie es von den autokatalytischen Reaktionen verschieden ist, besonders weil die Grenze der Fortsetzung des Prozesses in beiden Fällen ganz verschieden ist; bei den autokatalytischen Reaktionen ist die Existenz einer Grenze ohne ein Zurücklaufen von sich selbst augen- scheinlich; bei den Organismen sehen wir im Gegenteil während 359 Emery, Über den Ursprung der dulotischen, parasit. u. myrmekoph. Ameisen. des Wachstums einige Veränderungen immer mehr zunehmen, die nach einem gewissen Grad von Zunahme dann fähig werden, eine Abnahme des Gewichtes zu bewirken. - Andererseits kann man bei der analytischen Darstellung des Wachstums in gleicher Weise Funktionen benutzen, die nach einer Grenze streben, oder andere, die ein Maximum besitzen und wieder abnehmen; die erste Klasse von Funktionen befindet sich in keiner privilegierten Stellung, was die in Frage stehende Darstellung be- trifft, so dass die Möglichkeit der ame der ner: mit der nach einer allahen Grenze strebenden Funktion, die die autokatalytischen Reaktionen darstellt, in keiner Weise zu schließen erlaubt, dass die Ursache der Ahrens des Gewichtes im Alter von denen des Wachstums selbst verschieden ist. Also wird die Annahme,‘ dass die Senilität das notwendige Ende derjenigen progressiven Veränderungen darstellt, die die zu- nehmende Entwickelung der Organismen verursacht haben, in keiner Weise von dem analytischen Studium der Gewichtsveränderungen beeinträchtigt; und sie wird im Gegenteil von dem Studium der ed Bedingungen, unter line sich das Wachstum selbst entwickelt, ee Über den Ursprung der dulotischen, parasitischen und myrmekophilen Ameisen. Von Prof. C. Emery (Bologna) '). Wasmann?) hat eine geistreiche Theorie ersonnen, um zu erklären, wie gewisse Formica-Weibchen anstatt ein Nest einzeln nach üblicher Weise zu gründen, der Hilfe der Arbeiterinnen ge- wisser verschiedener Arten bedürfen. Er vermutet, dass die ım Wald lebenden, zumeist in gewaltigen Kolonien aus einer Anzahl von in regem Verkehr stehender Nester zusammengesetzten Formicae acervicolae einen Raum von vielen hundert Quadratmetern in ihrer Gewalt hatten; dass es infolgedessen schwierig wurde, für die Weibchen na dem P ne. eine Bere Stelle zu finden; immer und immer begegneten sie Arbeiterinnen des eigenen Volkes oder feindlicher Völker im Besitz des Grundes; sie setzten sich een wo sie günstigen Empfang fanden und gründeten mit Hilfe der ner des eigenen Volkes neue Ansiedelungen entweder in Abhängigkeit von dr Gesamtkolonie oder frei. 1) Übersetzung einer in der Sitzung vom 17. Januar d. J. der Accad. d. Seienze di Bologna vorgelegten Abhandlung. 9) Die moderne Biologie und die Entwickelungstheorie, 3. Aufl., 1906, p. 39: ff. — Ursprung und Entwickelung der Sklaverei bei den Ameisen. Biol. Centralbl., Vol. 25, pp. 117—291, 1905. Emery, Über den Ursprung der dulotischen, parasit. u. myrmekoph. Ameisen. 353 Nach vielen Generationen gewöhnten sich die Weibchen derart an jenes Verhältnis, dass sie dessen nicht entbehren konnten; da sie nicht überall der Hilfe der Arbeiterinnen der eigenen Art ge- nießen konnten, so gingen sie aus Not zu einer anderen Art der- selben Gattung, nämlich zur F. fusca herüber. Zuerst pflegten die Weibchen die Larven und Puppen (#". rufa, pratensis, sanguinea), dann ließen sie die Sorge für die Brut den Arbeiterinnen; anders gesagt, die Weibchen wurden zu mehr oder geringerem Grad Schmarotzer der Arbeiterinnen (F! truncicola u. S. w.). Diese phylogenetische Erklärung wird von Wheeler°) ım all- gemeinen angenommen, jedoch nimmt er eine Änderung vor. Seine Beobachtungen über F. sanguinea zeigen, dass die Weibchen dieser Art ıns fremde Nest nicht als Adoptionsfreunde oder als Parasiten eindringen, sondern im Gegenteil als Räuber, die Larven und Puppen sammeln und die Arbeiterinnen vertreiben oder töten. Wheeler nimmt ein primitives Stadium, entsprechend der F. rufa und pra- tensis an, welches sich ın zwei Richtungen verändert hat: — einer- seits gab es die Änderung gegen den Parasitismus nach dem Typus der F\. trunecicola oder associans,; — anderseits die Raubänderung nach dem Typus sangwinea. Diese führte zur Dulosis, d. h. zum Raub der Puppen, um dieselben als sogen. Sklaven zu züchten. In welcher Weise Wheeler das parasitäre Leben des Polyergus- Weibchen vom räuberischen der F. sanguwinea ableitet, habe ich nicht genau verstanden. Viehmeyer*) hat diese Schwierigkeit gefühlt und nimmt an, dass es eine von Adoption ableitbare Dulosis (Polyergus) gibt, die wieder von Raubweibchen abgeleitet werden muss (F. sangwinea). Im großen und ganzen nehmen diese Autoren die Theorie Wasmann’s an, welche die acervwicolae des Typus rufa zum Aus- gangspunkt hat. In einer populären Schrift schildert Wasmann?°), wie als Anpassung an eine arktische Waldflora die F! rufa ent- standen sei; von der rufa stamme die truncicola ab; als letztes Stadium als Anpassung an eine Steppenflora erscheine die F\ san- guinea, welche die Gewohnheit erwarb, die Nester der F. fusca zu plündern und Puppen als Sklaven zu erziehen. Die F. rufa-Hypothese ist verführerisch, aber nach meinem Ermessen unannehmbar. Huber‘) beschreibt das Verhalten der Arbeiterinnen den Weib- 3) The origin of slavery among ants. Popular Science monthly. Vol. 71, p- 550—559, 1907. 4) Zur Koloniegründung der parasitischen Ameisen. Biol. Centralbl., Vol. 28, p. 18ff.,: 1908. 5) Zur Geschichte der Sklaverei beim Volke der Ameisen. Stimmen aus Maria Laach, Vol. 70, p. 526ff., 1906. 6) Recherches sur les moeurs des Fourmis, p. 115. . 354 FEmery, Über den Ursprung der dulotischen, parasit. u. myrmekoph. Ameisen, chen gegenüber nach der Kopula: nach obiger Schilderung ergibt sich, obgleich der Autor die Art gewöhnlich nicht erwähnt, welche er beobachtet hat, dass die Adoption eine habituelle Erscheinung ist seitens des Ameisennestes, von dem das befruchtete Weibchen aus- ging und keineswegs beschränkt ist auf die Gattung Formica. Die Ameisen der rufa-Gruppe haben also nichts Neues erfunden, indem die Weibchen sich adoptieren lassen von Arbeitern derselben Art, vielmehr desselben Nestes oder Volkes; denn es ist keines- wegs bewiesen, wie Wasmann vermutet, dass Ameisen verschie- dener Nester, also feindlich gesinnter Bevölkerung, fremde Weibchen willig annehmen. Dagegen ıst eine hochwichtige Neuerung das Zusammenleben des rufa-Weibchens mit fusca-Arbeiterinnen. Ich glaube nicht, dass fusca-Arbeiterinnen kurzweg als Stellvertreter der rufa-Arbeiterinnen betrachtet werden können; der Sprung wäre zu gewaltig groß. Wasmann rechnet zu viel mit weisellosen Nestern von fusca. Sind letztere so sehr häufig vorhanden?, so sehr geneigt, eine fremde Königin und zwar eine Königin von einer verschiedenen Art zu empfangen? Die Aufnahme einer rufa-Königin von ihrem eigenen Volke ist meiner Ansicht ein wesentlich anderes Ding als die Adoption eines rufa-Weibchens von einer frsca-Kolonie, sie sei weisellos oder nicht. Es handelt sich im ersteren Fall um eine normale Erschei- nung im Leben vieler Ameisen (d. h. derjenigen, die mehrere Weibchen im Nest aufnehmen). Im zweiten Fall hätten wır das Eindringen eines fremden Weibchens, d. h. eines Feindes ın ein fremdes Nest; gelingt es jenem Weibchen, eine Aufnahme zu er- langen, so hat es entweder Gewalt brauchen müssen oder es hat als Parasit in irgendwelcher Weise sich annehmbar gemacht. Dass die Gründung der r«fa-Nester infolge von Adoption so selten vorkommt, wird dadurch erklärt, dass die r«fa-Nester und Nebennester einen enormen Umfang erreichen und dass die fusca- Nester selten in solchen Verhältnissen sich vorfinden, um die rufa- Weibehen aufzunehmen; dass die gemischten Nester in den An- fangsstadien ihrer Entwickelung sehr wahrschemlich zerstört werden durch die größeren Völker, ihre bevorzugten Rivalen. Also die Bildung der neuen Nester der F! rufa findet fast ausschließlich durch Sonderung von Kolonien (im Sinne Forel’s) statt, aber dieses ist m. E. sekundäres Verfahren; die Adoption durch F. fusca ıst der primitive Gründungsprozess. So stelle ich mir die Phylogenese der Bildung vorübergehender und bleibender gemischter Nester in der Gattung Formica in folgender Weise vor: Emery, Über den Ursprung der dulotischen, parasit. u. myrmekoph. Ameisen. 355 Der primitive Zustand der Weibchen muss räuberisch und nicht parasitisch gewesen sein; es ist für mich undenkbar, dass ein räuberisches Tier aus einem Parasiten entstehe; ıch kenne kein Beispiel davon; im Gegenteil, Parasiten zählen sehr häufig Raub- tiere unter ihren Ahnen auf. Das primitive Stadium dürfte also der F. sanguwinea sehr ähn- lich gewesen sein. Ich kann mir ein noch primitiveres Anfangs- stadium vorstellen; ich darf voraussetzen, dass ein Vorfahr der F. sangwinea, seinem Instinkt entsprechend, den unterirdischen Bau eines fusca-Weibchens ın Besitz nahm. Nachdem er die gesetz- mäßıgen Eigentümer desselben getötet oder in die Flucht getrieben hatte, fand er ın der Höhle die Brut, Larven und Puppen, von welchen er einige verzehrt haben mag, andere gezüchtet. Ich nenne jenes hypothetische Stadium „Ein mieterzustand“ des eindringenden Weibcehens. Wahrscheinlich ist dieses Stadium von kurzer Dauer. Vom Einmieterzustand ausgehend leiten zwei Straßen der phylo- genetischen Entwickelung: die eine führt zur F. sangwinea, indem die Weibchen immer mehr auf Raub angewiesen wurden; die andere leitet langsam fortschreitend zum Parasitismus. Das F. sanguinea-Weibchen dringt in ein Nest der F. fusca eın, tötet oder treibt das Weibchen und die Arbeiterinnen aus und raubt die Larven und Puppen, um dieselben aufzuziehen. Dieses Verhältnis wollen wir „Raubzustand“ des Weibchens nennen. Mit diesem Stadium verlassen wir das Feld der Hypothese, um bereits den festen Grund der Tatsachen zu betreten. Das Verhältnis der F. rufa und pratensis tritt entschieden in die Reihe der Adoption ein und führt zum Parasitismus. Das Weibchen ist nicht gezwungen zu einem tödlichen Kampf mit F. fusca; es ist dazu fähig, von deren Arbeiterinnen einen Empfang zu erzwingen nach mehr oder weniger bitteren Streiten beim Ein- gang in die neue “esellschaft; aber es nimmt ein lebhaftes Interesse an den fesca-Puppen, die es um sich sammelt und manch- mal gegen die fausca-Arbeiterinnen verteidigt, ungefähr wie die F san- guinea tut”). Wir bezeichnen dieses Stadium als „subparasitischer Zustand“ des Weibchens. Dieses zeichnet den Übergang zu einem mehr ausgesprochenen Zustand des Parasitismus; den finden wir bei F. truncicola ver- wirklicht. Die Weibchen scheinen nicht für die Larven und Puppen des fremden Nestes besonders eingenommen zu sein‘), deswegen verdient es den Namen von „parasitischem Zustand“ der Weibchen. 7) Wasmann. Weitere Beiträge zum sozialen Parasitismus und der Sklaverei bei den Ameisen. Biol. Centralbl., Vol. 28, p. 364ff., 1908. 8) Viehmeyer. loc. cit., p. 24. 356 Emery, Über den Ursprung der dulotischen, parasit. u. myrmekoph. Ameisen. Sehr wahrscheinlich gehören zur selben Serie der parasitischen Weibchen die F. consocians und andere amerikanische Formen mit kleinen Weibchen, sowie die Formen der exsecta-Gruppe. Der dulotische Charakter der F, sanguwinea ist, nach meinem Erachten, gewöhnlich schlecht verstanden worden und die Erklärung Darwin’s ist noch die am meisten befriedigende. Die F. sangwinea ist hauptsächlich eine Raubameise:. sie plündert die Nester der F. fusca und rufibarbis (sowie anderer Ameisenarten, z. B. der F. pratensis), die Larven und Puppen forttragend. — In schwachen Nestern, sagt Wasmann?°), wird der größte Teil der Puppen auf- gezogen, während in volkreicheren der größte Teil der Beute ver- zehrt wird. Im Verhältnis zur sangzinea-Bevölkerung ist die Zahl der fusca veränderlich, in dem Sinn, dass verhältnismäßig mehr Hilfsameisen in einem kleinen Nest als in einem großen und blühenden enthalten sind; es gibt sogar in Europa Nester, die allein von san- gwinea ohne Sklaven bewohnt werden und in Amerika existiert eine Varietät (aserva For.), die meist ohne solche lebt. Im allge- meinen darf man sagen, dass die mächtigeren Nester der F\ san- guwinea keine Sklaven halten, „weil sie der fremden Arbeits- kräfte nicht mehr bedürfen“). Es versteht sich von selbst, dass bei ihrem Beginn die Nester, welche noch im primär gemischten Stadium sind (Stadium 3 Was- mann) in bestmöglichen Verhältnissen sich befinden, um Puppen von Hilfsameisen zu erziehen, wenn während diesem Stadium das sanguinea-Volk einen Raubzug auf fusca (oder rufibarbis) unter- nimmt. Das dulotische Stadium wäre also nur eine Fortsetzung des primären gemischten Verhältnisses, beruhend auf das Vorhanden- sein der F. fusca im gleichen Nest. Mit anderer Ausdrucksweise, die Erziehung der heimgebrachten Puppen von F. fusca wäre haupt- sächlich den ursprünglichen Hilfsameisen des sangıwinea-Weibchens zuzuschreiben !'). 9) Die zusammengesetzten Nester und gemischten Kolonien der Ameisen, Münster 1591, p. 50. 10) Wasmann. Die moderne Biologie ete., 1906, p. 401. 1l) Wasmann (Weitere Beiträge ete. 1908, p. 321; Nachtrag p. 727) hat dagegen bewiesen, dass die Nester von F. truncicola und exwseeta nach dem Tode der letzten Hilfsameisen die Fähigkeit besitzen, fusca-Puppen aufzuziehen, wenn dieselben nur in Überzahl geliefert werden. Es ist wahrscheinlich, dass dasselbe von Nestern der F. sanguinea geleistet würde selbst bei absolutem Mangel an Hilfs- ameisen, wenn die fusca-Puppen in genügender Zahl auf natürlichem oder künst- lichem Wege verschafft werden. Ein Nest von F. sanguinea, welches anscheinend der Sklaven der normalen Art entbehrte, ist Wasmann gelungen, durch künstliche Anhänfung der rufa-Puppen bis zur Sättigung, diese Art Hilfsameise einzupflanzen (Ursprung und Entwickelung der Sklaverei etc. 1905, p. 210). Es ist also nicht Emery, Über den Ursprung der dulotischen, parasit. u. myrmekoph. Ameisen. 357 Aber F\ sanguwinea ıst nicht auf der ersten Stufe auf der Straße der Dulosis; sie ist auch nicht so vorgeschritten, dass man nicht die Spuren seines Ganges erkennen möchte. Es erhellt zunächst, dass der Vorgang der Dulosis seinen Ursprung im Raubinstinkt des Weibchens nimmt; er wird fortgesetzt durch Neigung der fusca- Arbeiterinnen, die dem Weibchen bei der Gründung des Nestes vergesellschaftet waren und der ersten von letzteren erzogenen Sklaven, zum Züchten der Puppen derselben Art; die Dulosis er- lischt endlich, wenn das Nest in voller Blüte steht. Die amerikanischen Arten F! dakotensis (mit subsp. wasmannt) und F. pergandei scheinen, obschon wenig bekannt, nicht so weit vorgeschritten zu sein als sanguwinea auf dem Weg der Dulosis. Der Fall von Polyergus, phylogenetisch betrachtet, ist schwierig zu erklären, denn wir haben bloß das Endresultat, ohne Mittel- stadien, die notwendig sind, um uns zu benachrichtigen über den Weg, dem gefolgt wurde mittelst morphologischer und ethologischer Anpassungen. Die Gattung Polyergus ıst nach meiner Ansicht aus Formica abzuleiten; sie muss zweifellos nördlicher oder amerikanischer Ab- stammung sein, wie die Formica-Arten, die sie zu Sklaven erzieht. Dieses angenommen, muss die Stelle, wovon die Stammlinie von Polyergus abzweigt, sehr wahrscheinlich in der Höhe der F\ san- guinea oder ihrer Vorfahren sich befinden. Die Weibchen des Stammes des Polyergus waren räuberisch; die Arbeiterinnen waren zum plündern der Formica-Nester geneigt und hatten in stärkerem Grad als F. sanguinea dulotische Gewohn- heiten. Die Weibchen fingen an, allmählich parasitisch zu werden, in stärkerem Maß als F. truneicola, imdem sie die Fähigkeit, sich zu ernähren, verloren. Die Arbeitermnen verlernten Hand in Hand beinahe sämtliche Gewohnheiten des geselligen Lebens, mit Aus- nahme des kriegerischen Instinktes, die sie zum höchsten Grad trieben, die korrespondierenden morphologischen Eigenschaften ver- vollkommnend. h Die Gattung Strongylognathus bietet in ihren zwei Arten oder Formengruppen eine ganz besondere und sehr wichtige Reihe. Von der Gattung Tetramorium entstanden, wie dıe Antennen des Männ- chens (welche 10 Glieder zählen) beweisen, hat Strongylognathus seine Evolution im dulotischen Sinne vollendet mit merkwürdiger streng notwendig, dass der Drang zur Erziehung der Sklaven von der F. fusca komme. Wenn die F. truneicola, exsecta und andere Raubameisen gewöhnt wären, die Puppen anderer Ameisen haufenweise heimzutragen, dann würden sie wie die F. sanguwinea zur Dulosis gelangt sein. 358 Emery, Über den Ursprung der dulotischen, parasit. u. myrmekoph. Ameisen. Übereinstimmung in den morphologischen Charakteren mit Polyergus. S. huberi und seine Unterarten (rehbinderi ete.) sind in vollem Sta- dium der Dulosis; S. testaceus ist parasitisch, lässt aber Spuren früherer kriegerischer Instinkte erkennen. S. testaceus verbindet scheinbar die dulotischen Ameisen mit der immer zahlreicheren Gruppe, in welcher der Parasitismus zum Schwund der Arbeiterkaste leitete. Es ist nach meiner Ansicht nicht die Dulosis, welche zu solchen extremen Folgen führte, sondern der Parasitismus der Weibchen und dieser allein. Die Dulosis in sich im Gegenieil leitet die Arbeiterinnen zu aktivem Leben. Die Degeneration des S. testaceus hat begonnen, seitdem das Zusammenleben eines Tetramorium-Weibehens mit Säbelameisen möglich wurde. Das Tetramoriun-Weibechen erzeugte sogen. Sklaven zur Genüge, so dass es nicht notwendig wurde, Puppen zu rauben; die Hilfsameisen sind allmählich zu Hauptameisen geworden und die S.-Arbeiterinnen wurden nutzlos. Diesem Verhältnis, welches ich als eine Ausnahme betrachte, verdankt 8. testaceus seinen gegenwärtigen Zustand. Es ist keine Ameise bekannt, die der Arbeiterinnen entbehrt, welche die legitime Königin des Gastnestes am Leben lässt. S. Zestaceus nähert sich den Verhältnissen der myrmekophilen Ameisen (Formicoxenus ete.; vide infra). Infolge aller dieser Umstände betrachte ich 8. testaceus als ein Unikum unter den parasitischen Ameisen. Ich betrachte das von Wasmann entdeckte Vorhandensein des Tetramorium-Weibchens im Nest von 8. testaceus als die uner- wartete Erklärung der beginnenden Atrophie der Arbeiterinnen desselben. Der Grundsatz, dass die Dulosis als Ursache der Degeneration gelten muss, ist falsch: er gehört zu der anthropomorphistischen Vorstellung, wovon die Ethologie der sozialen Insekten voll ist und die trotz der von Wasmann selbst betriebenen Bekämpfung noch hie und da zum Vorschein kommen. Wasmann ist von der verhängnisvollen Einwirkung der Dulosis derart suggestioniert, dass, wenn er auf Anergates atratulus zu sprechen kommt, er nicht einen Augenblick zweifelt, ihm eine dulo- tische Vergangenheit zuzuschreiben, durch Stadien übergehend, die vergleichbar mit S. testaceus und Wheeleriella (Wheeleria) sind. Nehmen wir nun einmal an, eine auf der Entwickelungsstufe von S. testaceus stehende Ameisenart sei vor alter Zeit noch weiter nach Norden vorgedrungen und sei dann durch die nördlichen Klimaverhältnisse, welche eine Herabsetzung der Beweglichkeit und Lebensenergie bei der aus dem Süden stammenden Ameise zur Folge hatten, noch weiter degeneriert. Die Abhängigkeit der ehe- malıgen Herren von ihren Sklaven würde dadurch immer größer geworden sein, bis schließlich die eigene Arbeiterform der ersteren, Emery, Über den Ursprung der dulotischen, parasit. u. myrmekoph. Ameisen. 359 die schon früher für die Erhaltung der Art nutzlos geworden war, gänzlich ausstarb. Wir hätten dann zwischen dieser Ameise und den Rasenameisen, bei denen sie sich einnistet, ein ähnliches Ver- ‚hältnis, wie es gegenwärtig in Nordafrika zwischen Wheeleria und Monomorium besteht. Die Männchen und Weibchen jener Schma- rotzerameise würden dann, wie es bei Wheeleria der Fall ist, noch den normalen geflügelten Geschlechtern anderer Ameisen entsprechen. Sänke nun aber diese Gattung noch weiter herab auf der ab- schüssigen Bahn der parasitischen Degeneration, so würde sie schließlich die Stufe von Anergates erreichen !?).* Diese wirklich dichterische Seite ist wert, im Text aufgeführt zu werden. Pater Wasmann, wenn das Dogma und die katho- lische Tradition ihm die Schwingen nicht kürzt, ist manchmal ver- wegen wie kaum ein Schriftsteller der romantischen Periode des beginnenden Darwinismus. Ich glaube, dass man einen anderen Weg einschlagen muss, um erklären zu können, wie gewisse Ameisen Schmarotzer geworden sind und wie sie Arbeiterinnen zu erzeugen aufgehört haben. Die Dulosis hat nichts mit der Sache zu schaffen; daran ist nur der Parasitismus der Weibchen schuld, was, wie ich glaube, zur Er- klärung genügt. Es ist nötig, vorauszusetzen, dass der Polymorphismus im weiblichen Geschlecht in einer gegebenen Art einzig und allein auf Unterschieden der Ernährung und auf bestimmten Gesetzen der Entwickelung des Individuums beruht; das habe ich damals zu be- weisen versucht !?). Diese meine Anschauungen werden bestärkt durch die Biologie von Oraxema viridis Ashm. und die Wirkungen des Parasitismus jenes Insekts auf Pheidole kingi instabilis. Indem Wheeler!*) jenen Fall von Parasitismus und viele andere ähnliche beschreibt, lässt er kritische Erwägungen über Polymorphismus folgen. Im allgemeinen ist er geneigt, meinen Standpunkt, allerdings mit Vorbehalt, anzunehmen. Es ist vor allem festzustellen, in welchen Verhältnissen jene parasitischen Weibchen leben, wenn sie sich einmal in einem gast- lichen Neste eingebürgert haben: 12) Die moderne Biologie ete., 3. Aufl., p. 415—416. 13) Emery. Le polymorphisme des Fourmis et la castration alimentaire, Compte rendu 3. Congr®s internat. Zoologie, Leyde 1896, p. 395—410. — Der- selbe. Studi sul polimorfismo et la metamorfosi nel genere Dorylus. Mem. Acc. Bologna (5), Vol. 9, 1901, p. 415—433. — Derselbe. Zur Kenntnis des Poly- morphismus der Ameisen. Zool. Jahrb., Festschr. Weismann 1904, p. 587—-610. 14) Wheeler. The polymorphism of Ants with an account of some sin- gular abnormalities due to parasitism. Bull. Amer. Mus. Nat. Hist., Vol. 23, p. 1—93, 1907. 360 Emery, Über den Ursprung der dulotischen, parasit. u. myrmekoph. Ameisen. 1. Die Königin der Wirtsart lassen sie nicht am Leben; die Weise, wie die Tötung erfolgt, ist unbekannt außer für Wheeleriella: die Arbeiterinnen von Monomorium bringen die eigene Königin um und adoptieren den Eindringling. 2. Sie leben als Schmarotzer, d. h. sie lassen sich von der Wirtsart füttern ( Wheeleriella ist von selbst zu essen unfähig) und lassen ihre Brut von denselben aufziehen (Anergates, Wheeleriella; von den übrigen liegen keine Beobachtungen vor). 3. Sie sind viel kleiner als die Weibchen der Wirtsart und kommen in der Größe den Arbeiterinnen des Wirtes zunächst. 4. Sie üben die Parasitenkunst im höchsten Grad: es gelingt ihnen, in volkreiche Gesellschaften sich hineinzuschieben, in denen im Verhältnis zur Zahl der Arbeiterinnen die schmarotzenden Weib- chen Schutz und Nahrung für die eigene Brut genießen. Jene Verhältnisse vorausgesetzt, bei der geringen Zahl der Eier, die diese winzigen Weibchen imstand sind, zu legen "), ist es wahrscheinlich, dass die Arbeiterinnen die Brut des Gastes eichlich nähren werden; so reichlich, dass in bezug auf die geringen Ansprüche jener Larven das Quantum, das erforderlich ist, um die Entwickelung zu Arbeiterinnen zu bestimmen, über schritten wird und die Ausbildung völlig fruchtbarer Weibchen gestattet. In dieser Weise ist der Mangel der Arbeiterinnen kompensiert durch reichliche Entwickelung fruchtbarer Weibchen; dieses ist un- mittelbar bedingt durch die Arbeiterinnen der Wirtsart, welche, da sie keine eigenen Larven zu nähren haben, den fremden Larven die Nahrung im Überfluss reichen. Phylogenetisch hängt es zu- sammen mit dem parasitischen Charakter des Weibchens, dessen Größe je nach der Vollkommenheit der Anpassung an das Schma- rotzerleben stufenweise geringer wird. Ich stelle mir den Typus jener primitiven Gesellschaften von parasitischen Ameisen folgendermaßen vor: ein räuberisches, starkes und lebhaftes Weibchen, welches gewaltsam in das Nest einer schwächeren verwandten Ameisenart eindringt, vertreibt die Ar- beiterinnen und das bezügliche Weibchen, bemächtigt sich der Larven und Puppen und gründet derart sein eigenes Nest. Obiger Typus existiert: Harpagoxenus (Tomognathus) sublevis entspricht fast genau meinen Voraussetzungen 'f). 15) Das phyrogastre Weibchen von Anergates bildet eine Ausnahme. 16) Wasmann und Wheeler erwähnen Harpagoxenus unter den dulotischen Ameisen; die Beobachtungen von Adlerz lassen sich in diesem Sinne erklären. Viehmeyer erwähnt die einzige Beobachtung eines allerdings etwas zweifelhaften Raubzuges von Harp. gegen ein Leptothorax acervorum-Nest. Die Lebensweise von Harp. ist also zum geringen Grad dulotisch verändert. Harpagoxenus ist offenbar aus einem Leptothorax von der Gruppe des acer- Emery, Über den Ursprung der dulotischen, parasit. u. myrmekoph. Ameisen. 361 Nach der Darstellung von Adlerz und Viehmeyer gründet ein Weibehen von Harpagoxenus sublevis sein eigenes Nest, indem es gewaltsam als Raubameise in einen Bau von Leptothoraxw acer- vorum eindringt, die Arbeiterinnen und das Weibchen vertreibt oder tötet und die Brut erobert. Das Nest ist klein und entspricht der niederen Stufe der Differenzierung der Wirtsart, Die Raubweibehen sind nach und nach parasitisch geworden und bei der Abnahme des Umfanges des Weibchenkörpers, der all- mählich sich dem der Arbeiterin näherte, ist der Arbeiterstand ge- schwunden, um der ausschließlichen Züchtung der Weibchen und Männchen Platz zu machen. Daher ist es keineswegs notwendig, dass die Arbeiterinnen dulotische Gewohnheiten annehmen. Die Hypothese, welche ich versuche geltend zu machen, ist möglichst einfach, und aus jener Einfachheit entspringt ihr haupt- sächlicher Verdienst. Ich behaupte keineswegs, alles zu erklären: um so mehr, als unter den Arten der parasitischen Ameisen es viele Arten gibt, deren Sitten ganz unbekannt oder kaum be- kannt sind. Wer weiß, welche Verhältnisse aus der Untersuchung solcher Arten auftauchen mögen, welche derart sein können, dass sie nicht vereinbar sind mit einer Erklärung der bereits bekannten Tatsachen. Indessen ergibt sich aus dem Studium der parasitischen sowie der dulotischen Ameisen eine allen Arten gemeinsame el welche für die Phylogenie höchst bedeutend ist: Die dulotischen und die vorübergehend wie die dauernd parasitischen Ameisen stammen sämtlich von nahe verwandten Formen ab, die ihnen als Sklave oder Wirtsart dient. Es gibt Ausnahmen, wenigstens scheinbare: es sind Ameisen, die ich möchte als „myrmekophile“ bezeichnen. Sie bauen ihr Nest selbständig inmitten des Baues anderer Ameisen; es ist wenigstens gewiss für Formicoxenus nitidulus und Leptothorax emersoni Wheeler. Trotz den Untersuchungen von Adlerz und Wasmann ist es nicht gelungen, zu entdecken, wovon Formicoxenus sich nährt. Wheeler hat mehr Glück gehabt in bezug auf Leptothorax emersont: es ergibt sich aus seinen Beobachtungen, dass diese Ameise in Nestern von Myrmica brevinodis bettelnd um ıhr Futter geht; be- nimmt sich also als echtes Myrmekophil. vorum (Subg. Mychothorax Ruzsky) entsprungen; die Männchen gleichen den Männchen von L. acervorum zum verwechseln. Harp. americanus Emery, der mit L. curvispinosus lebt und Myrmoxenus gordiagini Ruzsky, der sich mit L. serviceulus Ruzsky gesellt, sind noch zu schlecht bekannt; um sich einen Begriff zu bilden von den Verhältnissen, in welchen sie leben, sind weitere Untersuchungen nötig. 362 Eimery, Über den Ursprung der dulotischen, parasit. u. myrmekoph. Ameisen. Die myrmekophilen Ameisen stammen nicht von ihrer Wirtsart verwandten Formen ab, sondern aus anderen Gattungen, sogar aus anderer Subfamilie. In dieser Beziehung sind sie mit Ameisen, die unter dem Zu- stand der Parabiose und der Kleptobiose leben, vergleichbar; diese Zustände sind zwar ganz verschieden, aber sie sind der Myrme- kophilie ähnlich, indem sie keine Verwandtschaft der beiden sym- bionten Ameisen erheischen. Dulotische, parasitische oder | Gattung, | myrmekophile Art oder wovon sie ab- | Wirtsart oder Sklave Gattung”) stammt Formica rufa, exsexta- Zeitweise Gruppereie 2. ren. Formica .... | Formica fusca, palide- parasit. ' _fulva u. Unterarten Ameisen | Bothrionyrmex ne Tapinoma ... |Tapinoma erraticum Aphaenogaster tenneseensis Aphaenogaster, | Aph. fulva Formica sanguinea, dako- - tensislete: " »Mbea mlehe . : Dulotische | Polrerens Y Formica .... | Formica fusca etc. oderipara me se N ae . . . se 4 Strongylognathus ... ... Tetramorium. . | Tetramorium caespitum en Harpagoxenus sublevis . . | Leptothorax acervorum ix e americanus | } Leptothorax . L. eurvispinosus Myrmoxenus gordiagini J L. serviculus Sympheidole elecebra.... Xpn.: Pheidole ceres Epipheidole inquilina . . MuErzE Ph. pilifera Arbeiter- | Wheeleriella santschii. . Monomorium salomonis innenlose | Epixenus andrei.. . . M. venustum Pa zn u an Y Monomorium Parasiten | Epoeeus pergandei .... ? Monomorium |, M. minutum ? Myrmica myrmicoxena. Myrmica.... |Myrmica lobicornis Anergates atratulus!) .. | ?....c0.. ' Tetramorium caespitum Formicoxenus nitidulus. . , ? Leptothorax. | Form. rufa e pratensis Symmyrmica chamberlini | Leptothorax .. | Myrmica mutica Leptothorax emersoni. .. | Leptothorax .. |M. brevinodis ? Xenomyrmex stolli . . . | 3% a Camponotus abseissus Myrme- kophile Ameisen 17) Die folgenden Arten und Gattungen konnten nicht in dieser Übersichts- tabelle begriffen werden, da die Nachrichten durchaus ungenügend sind, über die wir verfügen. Von manchen wissen wir kaum die Wirtsameise, mit der sie lebt (Phacota noualhieri mit Monomorium salomonis, Formicoxwenus ravouxi mit Leptothorax unifaseiatus), oder wir ahnen etwa, dass die Art parasitisch leben müsse (Formicoxenus corsicus, Stifolinia laurae). 18) Die Abstammung von Anergates ist dunkel. Beide Geschlechter und namentlich das Männchen sind derart degeneriert, dass eine nähere Verwandtschaft vorläufig nicht erkannt werden kann. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und. DR. Hertwie Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd: XXIX. 15. Juni 1909. As 12, Inhalt: Dobell, The ‚„Autogamy‘ ot Bodo lacertae. — Buitendyk, Zur Physiologie der Urnen von Sipunculus nudus. — Mordwilko, Uber den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten bei den tierischen Parasiten. — Janicki, Uber Kern und Kernteilung bei Entamoeba blatta- Bütschli. — Meerwarth, Lebensbilder aus der Tierwelt. — Nagel, Handbuch der Plıysioe logie des Menschen. The „Autogamy“ of Bodo lacertae. A reply to Dr. v. Prowazek. By C. C. Dobell. In a recent number of this journal (XXVIII. Bd., Nr. 17), I brought forward evidence to show that Dr. Prowazek’s description of „autogamy“ in Bodo lacertae was exceedingly questionable — he having probably taken stages ın the development of a yeast for stages in. the life-history of Bodo. As Dr. Prowazek has since published (this journal, Bd. XXIX, Nr. 1) a reply, perhaps I may be permitted to point out here that he has done little — if anything — to answer my objections. Dr. Prowazek makes the following statements: He says he has been able to demonstrate „im Kurs“ the same processes, which he described in the cysts, in the free flagellates. If by this Dr. Prowazek means that he was able to demon- strate beyond question an autogamy in the free living animal, then he has made a discovery of profound importance, and it is to be hoped he will soon give us a complete description of his work. For in this case all my objections are void. Dr. Prowazek then says that his fig. 67, Pl. III is „nur ein seltener Ausnahmefall“ and repeats that „die sogen. Gametoid- XXIX. 23 364 Dobell, The „Autogamy“ of Bodo lacertae. generation ... führt meistens zur Zystenbildung.“ He does not answer my objections. For if the „gametoid generation“ forms the „auto- eamy“ cysts, how ıs ıt that they — already possessing a chro- be) * ” Z I . ” Oo midium — form it ın the cyst? Further, he states that he knew of the existence of fungi in the Iizard’s gut. I knew this, and have already given him credit for it. 'Lastly, Dr. Prowazek states that he does not believe my fig. 4 shows the same organısms as fig. 1 and 2. l am prepared to stand by my statement that they are the same, because I have repeatedly watched the whole process ın the living organısm. To what flagellate does Dr. Prowazek imagine the cysts in fig. 1 belong? I cannot imagine, because IT am acquainted with the ceysts of allthe flagellates which oceur in the frog’s gut. For a long time I thought these cysts might belong to some proto- zoon living in the gut, but I have now proved that they belong to a yeast. ÜOertainly there can be no question of their being Bodo cysts — for no Bodo occurs m frogs!). That the eysts which I figured all belong to the same organısms can easıly be confirmed by anyone. There is certainly no justification for Dr. Prowazek’s insinuation that I have discovered a case of heterogenesis — having bred yeasts from Protozoa. His remarks in this respect are irre- levant. The structures which Dr. Prowazek takes for blepharoplasts in my figures are merely granules in the eytoplasm — one or more often appearing in Heidenhain preparations. I am glad, however, that Dr. Prowazek agrees with me in regarding chromidia with sceptieism, and I heartily agree „dass echte Chromidien nur in wenigen Protozoenzellen ... und noch seltener in Metazoenzellen auftreten“. That eysts of Bodo do exist, I do not for a moment doubt. If Dr. Prowazek’s observations are just as he believes — lam puzzled to know what he means by sayıng „Bezüglich der Deutung der Zysten als Autogamiezysten kann man allerdings streiten und sie event. als besondere Regulationszysten auffassen“. We are not concerned with an interpretation. If he has seen an autogamy — which includes not only formation of „chromidia* but also regular nuclear divisions, fusions ete. — then it is a fact: ıf he has not, then my objections are fully justified. Trinity College, Cambridge. February 1909. 1) The forms described as Bodo by Ehrenberg are probably other flagellates. Cf. my paper on the Protozoa in frogs, Quart. Journ. Mic. Sci., Feb. 1909. Buytendyk, Zur Physiologie der Urnen von Sipuneulus nudus. 365 Zur Physiologie der Urnen von Sipunculus nudus, Von F. J. J. Buytendyk. (Aus der Zoologischen Station zu Neapel.) Durch die Arbeiten von Metalnıkoff!) und besonders von Selensky?) wurde absolut sicher gestellt, dass die sogen. Urnen (oder Töpfchen), welche im Blute von Sipunculus nudus sich be- finden, endothelial gebildete Elemente sind, welche, wie Selensky nachgewiesen hat, auf der Wand der Poli’schen Blasen entstehen. Die physiologische Bedeutung dieser Urnen lässt sich wohl schwer anderswo finden als in dem Umstand, dass die Fremdkörper, welche in der Öölomflüssigkeit herumschwimmen, agglutinieren. Es lassen sıch unter dieser Annahme verschiedene Fragen stellen, von welchen ich einige zu lösen versucht habe. 1. Welcher Art ist die normale Tätigkeit der Urnen? 2. Haben sie noch eine andere Wirkung als Agglutination? 3. Ist ihre Wirkung spezifisch und bestehen chemotaktische Einflüsse ? 4. Einfluss einiger Salze auf die Tätigkeit. der Urnen. 1. Wenn man ein großes Exemplar von Sipumeulhuıs nudus auf- schneidet, findet man, in der Leibesflüssigkeit herumschwimmend, aber auch öfters der Darmwand anliegend, mehrere sogen. braune Körner, welche glattwandig und ziemlich schwer zerreißbar sind. Es lässt sich sehr leicht nachweisen, dass diese Fremdkörper durch die Tätigkeit der Urnen entstanden sind. (Sie enthalten Eisen, das wohl aus den zugrunde gegangenen Blutkörperchen stammt.) Man sieht nämlich erstens Urnen mit einem mehr oder weniger langen An- hang (Schwanz, Klumpen) versehen, welcher aus denselben Bestand- teilen zusammengesetzt ist wie die großen braunen Körner. Weiter konnte ich bei verschiedenen Individuen sehen, auf welche Weise diese größeren Partikel aus den kleineren aufgebaut wurden. Man sieht nämlich sehr oft eine große Anzahl Urnen mit ihren anhängen- den Massen zusammenkleben, und in diesem Falle habe ich be- obachten können, dass bei leichtem Schütteln des Objektträgers die entstehende Flüssigkeitsströmung nicht imstande war, die große verklebte Masse aufzulösen, sondern dass eine oder mehrere Urnen sıch losrissen wieder frei herumschwammen und von neuem Partikel ansammelten. Auch sieht man bei Durchmusterung von frischem Sipunculıs-Blut sehr oft frei schwimmende abgefallene Schwänze, welche ich auf dem Objektträger untereinander verkleben sah, ebenso fest, als ob sie noch von den lebenden Urnen mitgeschleppt würden. Es geht hieraus hervor, dass die großen braunen Stücke ohne er- 1) Metalnikoff, Zeitschr. Wiss. Zool., 68. Bd., p. 261—322. 2) Selensky, Zool. Anz., 32. Bd., p. 329—336. 366 Buytendyk, Zur Physiologie der Urnen von Sipuneulus nudus. hebliches Zugrundegehen von Urnen entstehen, und dass weiter die Bestandteile, welche normalerweise von den Urnen gesammelt werden, keine späteren Veränderungen erleiden. Der wunderbare Anblick der Ansammlung von Partikeln durch die Urnen ist schon durch jeden Autor beschrieben worden. Am schönsten sieht man diese Erscheinung wohl mit der Dunkelfeld- beleuchtung durch einen Spiegelkondensor von Reichert. Man sieht dann, wie die Teilchen durch die Flimmerhaare in eine strudelnde Bewegung geraten, indem der Wimperschlag nach der Urne zu mit mehr Kraft erfolgt wie der Rückschlag. Die Partikel, welche gegen den an die Urne grenzenden Teil des Schwanzes anschlagen, werden da fixiert. So wächst der Schwanz an seinem zentralen Ende. Sehr deutlich sieht man dies auch bei dem Versuch von Oue- not), wobei die später gesammelte Touche sich gegen das vorher ge- sammelte Karmin an der Basis der Urnen schön abzeichnet. Ouenot beobachtete auch, dass die normalen Blutkörperchen nicht ange- heftet werden, eine Erscheinung, welche ıhm rein mechanischer Natur zu sein scheint. Ich glaube dieses allerdings nicht, indem die Blutkörperchen von Anneliden durch den Sipunculus-Urnen sehr gut agglutiniert wurden. Die Blutkörperchen werden von den Cilien geschlagen und machen dabei sehr lebhaft den Eindruck von Säckchen mit Flüssig- keit gefüllt, selbst noch mehr als wenn man sieht, wie Froschblut- körperchen bei einer Kapillarverzweigung hängen bleiben. Die Agglutination der verschiedenen Teilchen geschieht durch eine Substanz, welche an der Basis abgeschieden wird. Man kann durch gewisse Einflüsse, z. B. ein Übermaß von KÜ] (auch wohl CaCl,), oft die Abstoßung der angehängten Partikel erzeugen. Mehrmal ssah ich dann Urnen herumschwimmen oder ohne Wimperbewegung still liegen, an welchen nur ein Gerüste aus einem durchsichtigen Stoff statt der gewöhnlichen großen Anhangspartikel (in den Ex- perimenten meistens Karmin) übrig geblieben war. Es scheint als ob diese Bindesubstanz eine gewisse Elastizität und Kohäsion be- sitzt, indem kleine Fremdkörper zur Seite geschoben werden, ohne erheblich die Form des Klebstoffgerüstes zu verändern. Eine große Zähigkeit lässt sich auch an den großen braunen Körnern in der Cölomflüssigkeit nachweisen. 2. An die Frage der agglutinierenden Fähigkeit der Urnen schließt sich die weitere Frage an, ob mit dem Klebstoff auch ein proteolytisches Ferment ausgeschieden wird. Selensky hat nach- gewiesen, dass das gesammelte Lackmus und Phenolphthalein ihre Farbe nicht ändern, also wahrscheinlich dıe Reaktion neutral ist, was für Verdauungszwecke wenig geeignet ist. 3) Cu¬, Arch. Zool. Exper. 1902. Buytendyk, Zur Physiologie der Urnen von Sipuneulus nudus. 367 Zweckmäßiger erscheint es noch, zu beobachten, ob eine Ver- änderung der gesammelten organischen Partikel selbst eintritt. Bakterien, beim lebenden Tier in das Blut gespritzt, werden von den Urnen sehr gut gesammelt. Bei Betrachtung eines anhängenden Klumpens konnte ich auf dem an der Wimperscheibe grenzenden Teil sich noch stark bewegende Stäbchen beobachten. Im äußeren, älteren Ende aber war keine Bewegung mehr zu sehen, dennoch war Form und Färbbarkeit tadellos erhalten. Es scheint, als ob die Klebesubstanz in einiger Zeit eine Bewegungshemmung bewirkt, ohne die eingeschlossenen Teilchen zu beeinflussen. Dieselben Elemente wie in den Anhängen der Urnen konnte ich auch in den braunen Körnern wieder erkennen. Bei einem Tiere, dem einige Kubikzentimeter einer Bakteriensuspension ein- gespritzt wurden, fand ich an den braunen Fremdkörpern nach 24, bei einem anderen nach 40 Stunden noch unveränderte Bakterien. Einige Male habe ich in den braunen Körpern kleine Bläschen finden können, welche mit einer Kultur der eingespritzten Bakterien gefüllt waren. Dieses überzeugt uns, dass bei Ansammlung größerer Massen von Bakterien die Agglutination unzureichend ist, um die Cölomhöhle von Mikroben ganz zu befreien. — Auch die mit Uro- spora sepunculi (Koll.)*) gefüllten Bläschen, welche man sehr viel in der Leibesflüssigkeit findet und bis 2 mm Diameter groß werden können, beweisen, dass die Sporen dieser Parasiten, wenn sie durch die Urnen gesammelt werden, nicht zugrunde gehen, sondern sogar sich zu Bläschen weiter entwickeln. Diese Bläschen findet man fast immer in den braunen Körper eingebettet. Es ist wahrschein- lich, dass die frei gewordenen Tiere nach dem Platzen der Bläschen wieder gesammelt werden. Vielleicht werden sie zum Teil auch ausgeschieden. Nachweisen habe ich dies allerdings nicht können. Wenn man auf einen Objektträger einen Tropfen Sipumenlus-Blut mit zerriebenen Bläschen dieser Urospora zusammen bringt, kann man leicht sehen, wie die Urnen diesen Inhalt sehr schnell wieder aufsammeln. 3. Wenn man in einigen Tropfen nebeneinander ungefähr die gleiche Anzahl Urnen hat und Suspensionen von verschiedenen Stoffen zusetzt, sieht man, dass die Klumpen bei Zusatz von zer- riebenen braunen Körpern am schnellsten wachsen. Wenn man diese Erscheinung genauer beobachtet, sieht man, dass nicht eın mehr oder weniger lebhafter Cilienschlag die Ursache ist, sondern dass von den durch die Cilien zugeführten Teilchen mehr oder weniger sofort ankleben. Es fragt sich also, ob dieses bessere An- kleben der Pigmentkörper aneinander seine Ursache findet ın einem spezifischen Agglutinin oder eine rein physikalische Er- 4) S. a. L&ger, Tablettes Zool., Vol. 3, p. 46. 368 Buytendyk, Zur Physiologie der Urnen von Sipuneulus nudus. scheinung ist. Die Urnen aus normalen frischen Tieren, die also nur Pigmentkörner u. s. w. gesammelt haben, und hierfür eine ge- wisse Spezifität hätten bekommen können, sammeln ebenso schnell wie die zerriebenen braunen Körper aus ihrer eigenen Cölomhöhle zerriebene Karminstücke oder Tushe aus anderen Tieren, welchen seit einer Woche oder länger diese Stoffe täglich eingespritzt wurden. Umgekehrt sah ich auch nie ein lebhafteres Ansammeln frischer Karminemulsion nach wiederholten Einspritzungen. So konnte ich auch bei keinem meiner Versuchstiere einen agglutinierenden Stoff aus den braunen Körpern (oder Karmin- stücke, welche angesammelt waren nach wiederholten Injektionen) extrahieren, ebensowenig aus den Urnen. Man kann die Urnen zu diesem Zweck sehr gut durch vorsichtiges und wiederholtes Öentri- fugieren in großer Anzahl isolieren und dann mit destilliertem Wasser ausziehen. Auch nach Bakterieninjektionen hatte das Aus- ziehen der Körner oder Urnen mit destilliertem Wasser kein Re- sultat. Ganz sicher konnte ich aber in den Blutproben, welche ich täglich meinen Tieren entnahm, eine Zunahme der Urnen nach wiederholten Teilcheneinspritzungen nachweisen. Besonders war diese Erscheinung nach Bakterieninjektionen sehr deutlich; zu gleicher Zeit nahmen die degenerierten Formen (Zwillingsurnen, Schälchen etc.) in Anzahl beträchtlich zu. Auch chemotaktische Einflüsse konnte ich nicht nachweisen. Kapillaren mit Extrakten oder Aufschwemmung von braunen Körnern, Bakterien etc. ge- füllt, erzeugten keime Änderung in der Verteilung der Urnen ın einem Tropfen unter dem Mikroskop beobachtet. 4. Die Cilienbewegung sowie das Ansammeln der Teilchen geht im Seewasser oder künstlichem Seewasser (van 't Hoff’s Heossh) 24 Stunden und oft länger vor sich; die Cilienbewegung dauert immer noch länger wie die Agelutination. Es ist bemerkenswert, dass die Aktivität der Urnen innerhalb sehr weiter Grenzen unabhängig von Änderungen des chemischen Milieus ist. Leider stand mir keine Methode zur Verfügung, um Ausschlag und Frequenz der Cilienbewegung zu messen. Ich konnte also nur Änderungen der Schwimmgeschwindigkeit und grobe Änderungen der Citenan frequenz en. In schwach saurer und schwach alkalischer Lösung geht die Sammlung von Karminkörnchen gut vor sich, aber entschieden besser bei alkalischer Reaktion. Seewasser, zur Hälfte verdünnt mit destilliertem Wasser, schädigt die Urnen stundenlang gar nicht; in auf ein Drittel verdünnten Seewasser halten die Urnen es noch einige Minuten aus und können dann nach Zurückführung in normale Konzentration weiter leben. In Verdünnung auf ein Viertel und mehr gehen sie sofort zugrunde. Auch die einzelnen Salzlösungen vertragen die Urnen gut. Nach Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 369 20 Stunden fand ich noch lebende Töpfchen in 3,45°/, NaCl-Lösung. Sie hatten fast alle in die Lösung mit übergegangenen roten Blut- körperchen gesammelt. Nach 24 Stunden standen viele mit noch anklebenden Klumpen still. Nach Zusatz von etwas Na,00, sah ich manchmal die Cilienbewegung wieder anfangen. Ein Übermaß von Na,CO, gab wieder Stillstand. Wie schon gesagt, sind die Urnen ziemlich wenig empfindlich für ein Übermaß von CaCl, oder KCl. In Lösungen mit Seewasser, isotonisch und auf ein Drittel oder weniger damit verdünnt, sieht man bei CaCl, bei KCI auch in noch größerer Verdünnung Stö- rungen eintreten. Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten bei den tierischen Parasiten'). Von A. Mordwilko, Privatdozent a. d. Universität St. Petersburg. Die Frage über den Ursprung der Zwischenwirte, oder, mit anderen Worten, des Wirtswechsels im Leben vieler Entoparasiten, war bis in die allerletzte Zeit hinein eine offene geblieben, wenn- gleich auch schon früher, angefangen von Leuckart (1579), Ver- suche zu ihrer Lösung unternommen worden sind. So spricht sich u. a. Prof. M. Braun, indem er die Ansichten von R. Leuckart und R. Moniez über die Entstehung des Wirtswechsels anführt, in folgender Weise aus: „aus dem Bestehen dieser diametral entgegen- gesetzten Anschauungen erkennt man ohne weiteres die große Schwierigkeit der Frage. An und für sich erscheint es natürlicher, anzunehmen, dass der Parasitismus allmählich entstanden ist und das gleiche dürfte auch für den Wirtswechsel gelten?). Die übliche Einteilung der Parasiten in Ektoparasiten und Entoparasiten findet ihre Begründung, so lange wir die Lebens- bedingungen der Parasiten während ihres Parasitierens in Betracht ziehen. Allein diese Einteilung umfasst nicht die verschiedenen Arten der Infektionen der Wirtstiere sowie verschiedene andere, mit der Infektion verbundene Eigentümlichkeiten im Leben der Parasiten. In dieser letzteren Hinsicht können nur solche Parasiten als typische Entoparasiten bezeichnet werden, mit welchen die Wirtstiere durch die Mundöffnung infiziert werden oder doch wenig- stens früher auf diese Weise infiziert worden sind, indem solche 1) Der nachstehende Aufsatz ist eine verkürzte Umarbeitung meiner in russischer Sprache unter dem gleichen Titel im „Annuaire du Musee Zoologique de l’Academie Imperiale des Sciences“, Tom. XIII, 1908, Juni, pp. 129—222 erschienenen Arbeit. Ein kurzes Resum& dieser Arbeit ist in den „Bulletins de ’Acad&mie Imperiale des Sciences, St. Petersbourg, 1908, Februar, pp. 359—362 enthalten. 2) Braun, M. Die tierischen Parasiten des Menschen. 4. Aufl., Würzburg, 1908, p. 24. 370 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. Entoparasiten Darmparasiten sind, oder doch wenigstens ursprüng- lich solche waren und erst später einem Leben in anderen Organen ihres Wirtstieres übergingen. Wenn dagegen irgendwelche Para- siten durch die äußere Haut hindurch in die Leibeshöhle oder in innere Organe gelangen, so schließen sich solche „Entoparasiten“ ın bezug auf die verschiedenen Eigenheiten ihres Lebens unmittelbar an die Ektoparasiten an. Der Darm mit seinen verschiedenen Anhängen erscheint über- haupt als der ursprüngliche Wohnort aller typischen Entoparasiten und aus diesem Grunde wird als die ursprüngliche Infektionsweise das unmittelbare Verschlucken von Jugend- oder Larvenstadien, resp. von Eiern, welche Embryonen der Parasiten enthalten (in bezug auf verschiedene parasitische Protozoen — von deren Zysten) während der Nahrungsaufnahme oder beim Trinken, zu betrachten sein. Es unterliegt keinem Zweifel, dass auch der Darmparasitismus selbst durch das Verschlucken ursprünglich freilebender Lebewesen (der zukünftigen Parasiten) bei der Nahrungsaufnahme oder beim Trinken der Tiere (der zukünftigen Wirte) entstanden ist, wobei es gleichgültig erscheint, ob die zukünftigen Parasiten in Gestalt von Embryonen enthaltenden Eiern oder aber in Gestalt freilebender Jugendstadien verschluckt wurden, welch letztere bisweilen, wie z. B. bei den Rhabditidae unter den Nematoden, sich in einge- kapseltem Zustande befinden können (bei den parasitischen Proto- zoen erfolgte das Verschlucktwerden im Stadium der Zyste). Selbst- verständlich handelt es sich im gegebenen Falle nicht darum, welche Stadien von Tieren (der zukünftigen Parasiten) von den Wirts- tieren verschluckt wurden, indem zweifelsohne alle möglichen Stadien diesem Schicksal unterlagen, sondern darum, welche von diesen Sta- dien, bei sonst gleichen Bedingungen, die meisten Aussichten hatten, die erste Einwirkung der Magen- und Darmsäfte des Wirtes und, namentlich bei den Vertebraten, die Wirkung des anaöroben Mediums zu überstehen. Für unsere Zwecke ist es außerordentlich wichtig, den Bildungs- prozess der darmparasitierenden Formen zu verfolgen. Zu diesem Zwecke wenden wir uns am besten den Nematodes und Protoxoa zu, bei welchen wir einerseits die meisten und verschiedensten Arten des Parasitismus, andererseits dagegen auch die verschiedensten Infektionsweisen ihrer Wirtstiere antreffen. Im nachstehenden werde ich hauptsächlich über die Nematoden sprechen, doch lässt sich das gleiche sehr leicht auch auf die Protozoen übertragen. Indem verschiedene Arten und verschiedene Individuen irgend- welcher Rhabditidae, z. B. zufällig in den Darm irgendwelcher Tiere geraten waren, verhielten sie sich den für sie ungewohnten Lebens- bedingungen gegenüber auch in verschiedener Weise: die einen Individuen wurden ohne weiteres verdaut oder starben einfach ab Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 371 und wurden mit den Exkrementen des Wirtes nach außen befördert; andere gingen durch den Darm des Wirtes hindurch, ohne irgend- welche Veränderungen zu erleiden und ohne in demselben zu ver- weilen; wiederum andere blieben im Darme zurück und verblieben hier eine mehr oder weniger lange Zeit hindurch am Leben. Diese letzteren Individuen legten den neuen Lebensbedingungen gegenüber wiederum ein verschiedenes Verhalten an den Tag: die einen Indı- viduen entwickelten sich noch etwas weiter, verließen aber den Darm des Wirtes mit dessen Exkrementen noch vor Eintritt ihrer Geschlechtsreife; andere dagegen erreichten im Darme des Wirtes ihre Geschlechtsreife und brachten eine Nachkommenschaft hervor, in Gestalt von Eiern oder von Larven oder überhaupt von Jugend- stadien, je nachdem, zu welcher Art die betreffenden elterlichen Individuen gehörten. Sehr häufig hatten sich die soeben aus Eiern ausgeschlüpften Larven wohl einfach nicht im Darme des Wirtes festhalten können, weshalb sie mit den Exkrementen nach außen gelangten. Allein einmal ins Freie gelangt, unterlagen die Eier und Larven solcher zufälliger Parasiten fernerhin der gleichen Weiterentwickelung, wie wenn sie im Freien entstanden wären, ausgenommen diejenigen Fälle, wo sie ihrerseits wiederum in den Darm von Wirtstieren der gleichen oder einer nahestehenden Art gelangen konnten. Da es keinem Zweifel unterliegen darf, dass die Würmer ın dem Darme ihres zufälligen Wirtes bessere Ernährungsbedingungen antreffen konnten, als im Freien, so war es ihnen schon aus diesem Grunde möglich, hier eine etwas erhöhte Fruchtbarkeit zu erreichen, und zwar den einen Individuen eine etwas größere, den anderen eine etwas geringere, was natürlich von ihrer individuellen Eigenart abhıng. Dabei wurde die erhöhte Fruchtbarkeit nicht selten auf Kosten einer Verringerung der Dimensionen eines jeden einzelnen Eies erzielt, wobei aber eine gewisse Grenze der Befähigung zum parasitischen Leben seitens der aus den Eiern ausschlüpfenden klei- neren Larven nicht überschritten werden darf. Indem in Anbetracht dieses Umstandes die Zahl der Nachkommen der zum Parasitismus geeigneten Individuenformen zunahm, so wurden gleichzeitig auch die Aussichten größer, dass wenigstens ein Teil derselben in den Darın des entsprechenden Wirtstieres gelangen konnte. Im Laufe der Zeit wuchs dann die Menge der parasitischen Individuenformen einer gegebenen Art von Würmern immer mehr und mehr an. Da sich indessen von solchen zur parasitischen Lebensweise befähigten Individuenformen im Laufe der Zeit hauptsächlich die- jenigen unter ihnen vermehrten, welche, indem sie zu Parasiten wurden, die größte Nachkommenschaft hervorbrachten, d. h. mit anderen Worten diejenigen, welche in Anbetracht irgendwelcher individueller Eigenschaften den Bedingungen der parasitischen 372 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. Lebensweise zufällig am besten angepasst erschienen, so mussten offenbar diese selben Individuenformen eben dadurch mit der Zeit auch immer weniger für das freie Leben geeignet werden. Wenn sich nun deren Brut anfänglich auch noch im Freien entwickeln konnte, gleich den Nachkommen der Individuen, welche zufällig nicht zu Parasiten wurden, oder aber der Fähigkeit ermangelten, zu solchen zu werden, so konnte diese Brut späterhin, bei größerer Anpassung an die Bedingungen des parasitischen Lebens, im Freien schon nicht mehr eine so vollständige Entwickelung erreichen wie früher, indem sie z. B. schon nicht mehr imstande war, sich selbst beı Vorhandensein der früheren Nahrung in normaler Weise zu er- nähren — entweder weil es ıhr schwerer wurde, diese Nahrung zu erlangen, oder aber, weil ihre Verdauungsorgane weniger geeignet wurden, diese Nahrung zu assimilieren. Bei den parasitisch lebenden Individuenformen trat auf diese Weise statt einer durchaus normalen, freilebenden Generation zuerst eine Generation auf, welche nicht imstande war, sich im Freien gut zu entwickeln und daher einen nur geringen Entwickelungs- grad erreichte und eine nur geringe Nachkommenschaft hervor- brachte, die das Mutterindividuum mit einem noch geringeren Vor- rat an Nährsubstanzen verließ und noch weniger dazu befähigt war, sich ım Freien zu entwickeln; für diese Nachkommen war die Übertragung in das Wirtstier, zur Ermöglichung eines weiteren Lebens und einer weiteren Entwickelung, bereits zur unbedingten Notwendigkeit geworden. Noch später kam es dazu, dass die Brut außerhalb des Wirtstieres ihre Reife überhaupt nıcht mehr erlangen konnte, sondern nach einigem Verbleiben im Freien, womit gewisse Veränderungen des Baues verknüpft waren, behufs ihrer ferneren Entwickelung unbedingt in den Darm ihres Wirtstieres gelangen musste. Auf diesem Wege entstanden die parasitischen Individuen- formen, die parasitischen Arten. Wir haben vorausgesetzt, dass die Brut der Darmparasiten in irgendwelcher Gestalt nach außen verbracht wurde. In Wirklich- keit konnte aber von Anfang an diese Brut sich auch in Gesell- schaft ihrer Eltern weiterentwickeln und sogar die Geschlechtsreife erlangen. Allein die übermäßige Vermehrung der Parasiten im Darme des Wirtes musste diesen letzteren unausbleiblich dem Unter- gange entgegenführen, wobei gleichzeitig auch die Parasiten selbst zugrunde gingen, welche demnach ihre Eigenschaften nicht mehr auf ihre Nachkommen übertragen konnten (denn hatte die Brut solcher Parasiten einmal die Fähigkeit erlangt, sich im Darme ihres Wirtstieres gut zu entwickeln, so besaß sie natürlich schon keine besondere Befähigung mehr zur Entwickelung im Leichnam oder im Freien, d. h. unter sehr veränderten Lebensbedingungen). Was Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 3753 nun den Umstand anbetrifft, dass die Larven oder Eier der Para- sıten, bevor sie die Fähigkeit erlangen, sich im Darme des Wirtes weiter zu entwickeln, im Freien gewisse Veränderungen erleiden müssen, so kann dies ein Ergebnis des Überlebens derjenigen para- sitischen Individuen darstellen, welche zur Entwickelung neben ihren Eltern nicht befähigt sind. Auf diese Weise ist nun, als das Ergebnis einer Wirkung der natürlichen Auslese, jene bemerkens- werte Eigentümlichkeit der Parasiten hervorgegangen, dass deren Brut, um die Befähigung zur weiteren Entwickelung zu erlangen, unbedingt in das Freie gelangen musste?). Allein die Befähigung der Brut vieler Entoparasiten, im Freien einen gewissen Grad der Entwickelung zu erreichen, hat eine ganz andere Bedeutung. Indem in vielen Fällen die Erhöhung der Fruchtbarkeit der Entoparasiten nur auf Kosten einer Verminderung der Dimensionen der Eier erfolgen konnte, demnach auch auf Kosten einer Verkürzung der Grenzen der Embryonalentwickelung, so würden sehr wenig entwickelte Larven der Parasiten vielleicht nicht zu einer Ansiede- lung und Entwickelung im Darme ihrer Wirte befähigt gewesen sein, wo sie mit allen Mitteln zur Befestigung sowie zur Nahrungs- aufnahme und Assimilierung ausgerüstet auftreten müssen. In solchen Fällen erlangen kleine und wenig entwickelte Larven ge- wissermaßen ihre etwas vollere Entwickelung im Freien, außerhalb des Körpers ihres Wirtes,-wie dies z. B. bei verschiedenen. Darm- strongyliden der Fall ıst. Allein ın vielen der Fälle, wo die Frucht- barkeit der Parasiten einfach auf Kosten der Vergrößerung der Körperdimensionen erhöht wird, wo demnach eine Verminderung der Dimensionen der Eier nicht notwendig erscheint, konnte es sich sogar als vorteilhaft erweisen, wenn die Larven oder Embryonen überhaupt kein freies Leben führten, sondern in der Eihülle ver- blieben; unter deren Schutze konnten die Embryonen im Freien natürlich viel länger am Leben bleiben und demnach auch eine viel längere Zeit hindurch die Befähigung zur weiteren Entwicke- lung bewahren, bis sie endlich durch einen glücklichen Zufall ın den Darm des betreffenden Wirtstieres gerieten. Ein solches Ver- halten finden wir z. B. bei vielen Ascaridae und Trichotrachelidae. Im allgemeinen kam es jedoch auf ganz natürlichem Wege ‚dazu, dass vorwiegend nur solche parasitische Individuenformen an- dere überlebten und sich verbreiteten, deren Larven sich entweder im Freien einigermaßen entwickelten und veränderten, oder aber solche, deren Larven im Freien überhaupt nicht ausschlüpften, sondern in der Eihülle verblieben, welche mit der Zeit eine be- 3) Vgl. Leuckart,R. Die Parasiten des Menschen. 2. Aufl., 1. Bd., Lief. 1, 1879, pp. 63—64, 68. — Looss, A. Schmarotzertum in der Tierwelt. Leipzig 1892, p. 92. — Keller, C. u. a. m. 374 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. deutende Dauerhaftigkeit und Hlastizität erlangte. Diese Eigen- schaften konnten natürlich auch von freilebenden Vorfahren auf die Parasiten übertragen worden und erst während des parasitischen Lebens dauerhaft geworden sein. Die Rhabditidae unter den Nematoden umfassen sowohl freilebende Vertreter als auch parasitische, welche im Darme von Evertebraten und Vertebraten schma- rotzen *). Denselben schließen sich ihrem Ursprunge nach einerseits die Strongylidae, andererseits die Ascaridae unmittelbar an. Diese Familien bilden eine natürliche sruppe, welche als Athabditidea bezeichnet werden könnten. Fassen wir die Rhabditidae (Rhabditidae Oerley und Rhabdonemidae Oerley oder Angiosto midae) ins Auge, welche im Darme oder in den Atmungsorganen von Vertebraten parasitieren, so werden wir dieselben je nach dem Grade der Entwicke- lung ihres Parasitismus in folgender Weise anordnen müssen: Angiostomum Duj. (= Rhabdonema Leuck.) nigrovenosum Rud. Die hermaphroditische Generation (die sogen. „hermaphroditischen Weibchen“, Claus, 1869) parasitieren in den Lungen von Fröschen, besonders von Rana temporaria. Die Jungen entwickeln sich im Freien, allein nur schwach, wobei sie ihre rhabditis- artige Gestalt beibehalten; die Weibchen bringen meist nur 4 Junge hervor. Die filarienartigen Larven der neuen Generation erreichen ihre vollständige Entwickelung erst in den Lungen des Frosches (Heterogonie)’). — Strongyloides intestinalis (= stereoralis Bavay). Die hermaphroditischen Weibchen parasitieren im Darme des Menschen in heißen und warmen Erdstrichen. Ihre Brut entwickelt sich im Freien zu einer rhabditisähnlichen getrenntgeschlechtlichen Generation (Rhabditis stercoralis Bav.), während die filarienähnliche Brut dieser letzteren für ihre weitere Entwickelung zu Parasiten werden muss. Allein in warmen Ländern, wie z. B. in Italien, entwickelt sich die von den hermaphroditischen Weibchen herstammende Brut im Freien meist unmittelbar zu filarienähnlichen Larven, d. h die freilebende getrenntgeschlechtliche Generation wird übergangen ‘). — Bei Strongyloides longus Grassi endlich, welcher im Dünndarm des Kaninchens, des Schafes, des Schweines und noch einiger anderer Säugetiere parasitiert, entwickelt sich die Brut bereits nor- malerweise im Freien zu filarienähnlichen Larven’). Bei der den Rhabditidae sehr nahestehenden Gattung Oxyuris Rud. (Fam. Ascaridae), schlüpfen die Larven der Parasiten landbewohnender Wirte schon nicht mehr im Freien aus den Eiern aus, obgleich ihre Embryonen noch nicht sehr lebens- fähig sind. Allein bereits bei einigen Arten der Gattung Ascaris L;; 8072... B.. bei Ascaris lumbricoides L., bewahren die Eier ihre Lebensfähigkeit während einer Zeit von bis zu 4 Jahren. Wenn von einer beliebigen freilebenden Art von Würmern eine oder mehrere parasitische Arten abstammen, so bedeutet dies 4) Über die Lebensweise der Rhabditiden vgl. Schneider, „Monographie etc.“, 1866, R. Leuekart, „Die menschlichen Parasiten‘, 1876 (Bd. II), L. Oerley, „Die Rhabditiden“, 1886, E. Maupas, 1899 u. 1900 u. a. m. 5) Meeznikoff, E. Über die Entwickelung von Ascaris nigrovenosa. Arch. f. Anat,, Phys. und wiss. Medizin. Jahrg. 1865, pp. 409—420. — Leuckart, R. Zur Entwickelungsgeschichte der Ascaris nigrovenosa. Ibid. pp. 641—658. — Oerley, L. Die Rhabditiden u. a. 6) Vgl. Braun, M. Die tierischen Parasiten des Menschen. 4. Aufl., 1908, pp. 288—291,: 442 —443. 7) Grassi, B. et R. Segre. Nvove osservazioni sull’eterogonia del Rhab- donema (Anguillula) intestinale. -— Considerazioni sull’eterogenia. Rendic. Accad. Lincei 49, Vol. 31, 1887. pp. 100—108. — Rovelli, D. Ricerce sagli organi geni- tali degli Strongyloides (Anguillula, Rhabdonema), Come 1888. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 375 natürlich noch nicht, dass die Art, aus welcher die parasitischen Formen hervorgegangen sind, als freilebende Form zu existieren aufhört. Ein solches Verhalten könnte nur in dem Falle eintreffen, wenn alle freilebenden Individuen einer gegebenen Art durch den Darm irgendwelcher anderer Tiere hindurchgehen würden. Allein dies kann überhaupt niemals der Fall sein. Es geraten ja wohl ohne allen Zweifel viele Individuen kleiner freilebender Tierformen recht häufig zufällig mit der Nahrung oder dem Wasser in den Darm irgendwelcher größerer Tiere, wobei die Mehrzahl derselben hier auch zugrunde geht; allein solche Zufälligkeiten bedrohen das Weiterbestehen der betreffenden Spezies von kleinen Tieren, wie leicht zu ersehen ist, in keiner Weise. Bei freilebenden Lebewesen (Protozoen, Würmern od. dgl. m.) kann sich der Parasitismus nur in bezug auf diejenigen Wirtstiere entwickeln, welche ihren zufälligen Parasiten sehr beträchtliche Vorteile des parasitischen Lebens vor dem Leben im Freien zu bieten imstande sind, z. B. durch ihre Langlebigkeit und durch guten Schutz gegen ver- schiedene äußere Einflüsse des Lebens. Zu solchen Wirten konnten vorzugsweise nur Wirbeltiere werden, aus welchem Grunde man auch annehmen muss, dass erst mit dem Auftreten und der Entwickelung der Wirbeltiere auch deren zahlreiche Parasiten ent- standen sind; zum Parasitismus in den Wirbellosen dagegen konnten wiederum nur Organismen mit kurzer Lebensperiode und sehr ge- ringem Schutz gegen äußere Einflüsse übergehen, wie z. B. die Protozxoa, die Rhabditidae unter den Nematoden, die Phabdocoela unter den Turbellarien. Es wird hier am Platze sein, auch die Frage über die Divergenz der Merkmale und die Bildung neuer Arten sowie anderer taxo- nomischer Einheiten bei den tierischen Entoparasiten zu erörtern. Anfänglich geriet irgendeme Art freilebender Würmer oder anderer Tiere zufällig in den Darm nicht etwa einer bestimmten Art von Wirtstieren, sondern überhaupt verschiedener Tiere, welche an ähnlichen Wohnorten lebten. Natürlich konnte in dieser An- fangsperiode nicht die Rede davon sein, dass irgendeine freilebende Art von Würmern, welche späterhin parasitische Formen abgeben sollte, imstande gewesen wäre, sich ausschließlich nur in einigen wenigen bestimmten Arten von zukünftigen Wirtstieren einzuleben; im Gegenteil konnte dieselbe aller Wahrscheinlichkeit nach mit gleichem oder fast gleichem Erfolge im Darme sehr verschiedener Tiere heimisch werden und dazu noch in sehr verschiedenen Ab- schnitten des Darmes. Musste sich doch in diesen ersten Zeiten der Unterschied zwischen dem Leben im Freien und dem para- sitischen Leben als zu beträchtlich erweisen, als dass die verschie- ‘denen Eigenschaften der Lebensbedingungen eines bestimmten 376 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. Wirtstieres und in einem bestimmten Abschnitte seines Darmes eine besondere Wirkung auf die anfänglich zufälligen Parasiten hätte ausüben können. Diese Unterschiede konnten sich erst später als beträchtlich für die Parasiten herausstellen, als die parasitische Form anfıng, sich immer mehr und mehr an den Entoparasitismus anzupassen und ihren Zusammenhang mit ihren freilebenden Ver- wandten immer mehr und mehr einbüßte. Der Grund hierfür liegt darin, dass die Lebensbedingungen im Darme verschiedener Wirte und in den verschiedenen Abschnitten des Darmes ein und des- selben Wirtes in Wirklichkeit sehr voneinander verschiedene sind, und dass es natürlich nicht der Fall sein kann, dass eine Form von Würmern oder anderen Tieren, welche sich an die Bedingungen des parasitischen Lebens anpasst, sich ‘unter so wesentlich ver- schiedenen Lebensbedingungen gleich gut fühlen würde. In diesem Unterschied der Lebensbedingungen und in dem Bestreben der Lebewesen nach Möglichkeit alle unbesetzten Plätze in dem Haushalt der Natur auszufüllen, ist nun eben die Ursache für die Divergenz der Merkmale bei der Bildung neuer taxonomischer Einheiten von Lebewesen enthalten’). Bei dem Übergang irgendwelcher freilebender Organismen zum Entoparasitismus konnte es sich stets ereignen, dass einige Indi- viduen der Parasiten infolge zufälliger Eigenheiten ihrer Organı- sation sich als besser an das Leben im Darme eben dieser und nicht anderer Wirtstiere und dabei in einem ganz bestimmten Teile ihres Darmes angepasst erwiesen, andere Individuen dagegen an das Leben im Darme anderer Wirtstiere u.s.w. Natürlich konnten alle solchen Individuen auch im Darme nicht ganz für sie passender Wirtstiere oder in ihnen nicht ganz passenden Abschnitten des Darmes ein und desselben Wirtstieres am Leben bleiben. Allein ın letzteren Fällen waren einzelne Individuen der Parasiten nicht im- stande, eine besonders zahlreiche Nachkommenschaft hervorzubringen, so dass die Aussichten für ihre Brut, in bestimmte Wirtstiere zu gelangen, überhaupt nicht sehr groß waren. Gerieten jedoch irgend- welche Individuen der Parasiten in dasjenige Wirtstier, an welches sie sozusagen am besten angepasst erschienen, so konnten dieselben eine zahlreichere Nachkommenschaft hervorbringen, welche in An- betracht ihrer Anzahl jetzt schon gewisse Aussichten besaß, sowohl in nieht passende als auch in passende Wirtstiere zu gelangen. In diesem letzteren Falle konnte die Brut nach erlangter Reife ebenfalls eine mehr oder weniger zahlreiche Nachkommenschaft hervorbringen u. s. w. Im Laufe der Zeit musste aber die Zahl S) Darwin, Ch. Über die Entstehung der Arten. Übers. von J. V. Carus, 8. Aufl., 1899, IV. Kap.... Divergenz des Charakters, p. 129 ff. — Wallace. A. Darwinism, an exposition of the Theory of Natural Seleetion. London 1889, Ch. V, pp. 102 ff. ME Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 377 der höher spezialisierten Individuenformen immer mehr und mehr zunehmen, indem der gleiche Prozess auch bei anderen Individuen- formen vor sich ging, d. h. bei Formen mit anderen individuellen Eigentümlichkeiten in bezug auf andere Wirtstiere. Auf diese Weise geschah es, dass im Laufe der Zeit vorwiegend solche Indi- viduenformen der Parasiten überlebten und sich weiter verbreiteten, welche an bestimmte Wirte oder bestimmte Teile des Darmes ein und desselben Wirtes am besten angepasst erschienen. Es versteht sich von selbst, dass, wenn irgendeine Form parasitischer Individuen sich an irgendwelche bestimmte Bedingungen des Lebens, d.h. an das Leben in bestimmten Wirten oder in bestimmten Teilen des Darmes der Wirte gut angepasst hat, diese Form dann nicht mehr gut an andere Lebensbedingungen angepasst erscheinen kann; und wenn eine solche Form zufällig in nicht für sie passende Wirte gerät, so wird sie dann höchstens viel weniger zahlreiche Nach- kommen hervorbringen können als die ursprünglich parasitische Form, welche sich verschiedenen Wirten gegenüber noch ziemlich indifferent verhalten konnte. Und je geringer die Zahl der Nach- kommen war, um so geringer waren natürlich auch deren Aus- sichten, in den Darm eines halbwegs passenden Wirtstieres zu gelangen. Es konnte sich aber auch ereignen, dass irgendeine spe- zialisierte Form parasitischer Individuen, indem sie m einen für sie nicht passenden Wirt geriet, überhaupt keine Nachkommenschaft her- vorbrachte. Das zufällige Geraten in nicht passende Wirtstiere konnte demnach keine Einwirkung auf den Verlauf des Prozesses ausüben. Natürlicherweise blieb in den ersten Stadien des erwähnten Prozesses der Divergenz der Merkmale stets eine gewisse Anzahl von Individuenformen übrig, welche ın Anbetracht von besonderen Eigenschaften ihrer Organisation weder an diese noch an jene spe- ziellen Lebensbedingungen wohl angepasst erschienen, wohl aber gleich schlecht an alle Lebensbedingungen (natürlich nur im Ver- gleich mit den mehr spezialisierten Individuenformen). Allein von solchen nicht spezialisierten Individuenformen bleiben nach Aus- scheidung einer beträchtlichen Anzahl von spezialisierten Formen überhaupt nur wenige zurück; mit der Zeit wurde ihre Zahl dann immer geringer: indem sie in irgendein Wirtstier gerieten, ergaben sie jedesmal eine im allgememen nur geringe Nachkommenschaft; außerdem konnten unter den Nachkommen solcher Individuen zu- fällıg aber auch solche Individuen auftreten, welche an bestimmte Wirte mehr oder weniger wohl angepasst erschienen. Im Laufe der Zeit wird denn irgendeine ursprünglich para- sitische Form (Spezies) in mehrere neue Formen von Individuen zerfallen, welche jedoch nunmehr schon an mehr bestimmte, mehr spezialisierte Lebensbedingungen angepasst sind, d.h. im Laufe der Zeit werden mehrere neue parasitische Arten entstehen. Der gleiche 378 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. Vorgang der Anpassung an immer mehr spezialisierte Lebens- bedingungen wird auch noch weiter andauern und zu einem neuen Zerfall der systematischen Einheiten der Parasiten führen, welche sich im Laufe der Zeit immer mehr und mehr voneinander unter- scheiden werden. Die Bedeutung des Prozesses der Divergenz der Merkmale ist darin enthalten, dass dank diesem Vorgang in ein und derselben gemeinsamen Ökonomie der Natur im Laufe der Zeit eine immer größer werdende Zahl von Individuen der Lebewesen ihren Platz finden wird: da, ‘wo eine ursprüngliche, noch wenig an gewisse spezielle Lebensbedingungen angepasste Individuenform annähernd in einer gewissen Anzahl von Individuen existieren konnte, wird nach Tennan Zerfall in mehrere spezialisierte Formen en schon eine viel größere Anzahl von Individuen, wenn auch in verschiedenen Formen, leben können. In Anbetracht einer derartigen Bedeutung im Leben der tierischen Organismen, erweist sich der Prozess einer Divergenz der Merkmale als so mächtig, dass, um sein Vorhanden- sein zu ermöglichen, weder eine lokale (räumliche), noch eine sogen. physiologische Isolation für irgendwelche gegebene Individuenformen notwendig erscheint. Im Gegenteil, insofern die sogen. physiologische Isolation zur Festigung der Resultate des Prozesses einer Diver- genz von Merkmalen dient, unterliegt sie sogar selbst der Wir- kung der natürlichen Auslese’). In bezug auf Parasiten führt das Prinzip der Divergenz von Merkmalen dazu, dass im Laufe der Zeit einzelne parasitische Formen sich als besonders streng an bestimmte Lebensbedingungen, d. h. an bestimmte Wirte und an bestimmte Körperteile ein und desselben Wirtes, angepasst erweisen mussten. Dem entspricht denn auch das Bestreben der zeitgenössischen Parasitologen zur Spaltung der früheren taxonomischen Einheiten der Parasiten und zur Feststellung der geringfügigen Unterscheidungsmerkmale zwischen denselben. Allein man wird bei der Aufstellung einiger benachbarter Formen mit gleichem Wohnorte große Vorsicht walten lassen müssen, indem nur eine einzige Art an irgendwelche be- stimmten Lebensbedingungen durchaus angepasst sein kann, und weil in keinem Falle, als das Ergebnis des Prozesses der Divergenz von Merkmalen, mehrere sich nahestehende, an dieselben Lebens- bedingungen in gleicher Weise angepassten Arten nebeneinander auftreten können. Wir wenden uns nunmehr der Frage über die Entstehung der Zwischenwirte bei den tierischen Parasiten zu. 9) Gegen Guido Schneider, Die Ichthyotaenien des Finnischen Meerbusens. Festschr. f. Palmin. Helsingfors 1905. Auch Biolog. Centralbl., Bd. 25, 1905, pp- 349—352, und andere Autoren. Mordwilko, Uber den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 379 Der Entwickelungsweg des Parasitismus, wie wir ihn soeben dargestellt haben, wurde ohne jede Abänderungen und Kompl- kationen nur von den Parasiten der phytophagen Tiere durchlaufen. Bei den Parasiten der Raubtiere und anderer Fleischfresser da- gegen konnten schon von allem Anfang an Komplikationen dieses Entwickelungslaufes eintreten, welche späterhin zu ganz speziellen Arten der Infektion der Wirte durch ihre Parasiten führten. Nehmen wir an, es entwickle sich bei solchen Raubtieren oder Fleischfressern irgendeine Form von Darmparasiten. Ein Fleisch- fresser muss sich notgedrungenerweise an denselben Orten auf- halten, wo sich seine Beute aufhält — meist phytophage Verte- braten oder Evertebraten, je nach der Art des Fleischfressers oder Raubtieres. Wenn sich sogar noch in gegenwärtiger Zeit ein Raub- tier unmittelbar mit der Brut seiner Parasiten infizieren kann, wie z. B. der Hund und die Katze mit den Eiern von Ascaris canis u..A. felis, welche Embryonen dieses Wurmes enthalten, so werden sich um so eher und häufiger auch verschiedene, an denselben Orten lebende phytophage Tiere mit der Brut derselben Parasiten infi- zieren können, und zwar sowohl solche Tiere, welche den Fleisch- fressern zur Beute dienen, als auch noch verschiedene andere. Genau in derselben Weise, wie die Brut der Parasiten die Wirkung des Darm- und Magensaftes ihres karnivoren Wirtes verträgt, ebensogut kann sie auch die Wirkung der verdauenden Säfte anderer, wenn auch nicht aller Tiere aushalten. Ihren neuen, zu- fälligen Wirtstieren gegenüber kann sich die Brut der Raubtier- parasiten in verschiedener Weise verhalten: sie kann, ohne Ver- änderungen zu erleiden, durch den Darmkanal hindurchgehen, wobei nicht einmal die Eihülle, wenn eine solche vorhanden ist, aufgelöst wird; sie kann aber auch eine gewisse Zeit hindurch im Darme des neuen Wirtes am Leben bleiben, ohne jedoch ihre volle Ent- wickelung erreichen zu können); sie kann endlich das Bestreben an den Tag legen, irgendwohin, z. B. nach den inneren Organen auszuwandern, um den für sie wenig passenden Lebensbedingungen zu entgehen. Da nun eine beträchtliche Anzahl von Opfern des Raubtieres mit der Brut des Parasiten infiziert werden wird (außer verschiedenen anderen Tieren), so wird dieses Raubtier, indem es beständig seiner Beute nachstellt, häufig mit dieser letzteren auch die Brut seiner Parasiten verschlucken, welche nunmehr an dem ihr zukommenden Ort angelangt ist. Derartige Fälle kommen un- 10) Auf keine Weise konnten auf diesem Wege Darmparasitenformen dieser provisorischen Wirte zustande kommen, und zwar weil diese letzteren als definitive Wirte für die Parasiten von ganz geringem Werte waren, oder aber aus dem Grunde, weil — selbst wenn diese provisorischen Wirte phytophage Wirbeltiere gewesen wären — der Prozess der Divergenz von Merkmalen die betreffenden Parasiten anderen Wirtstieren zuführte. XXIX. 24 380 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. zweifelhaft auch noch heutigen Tages vor. Für Raubtiere oder andere Fleischfresser werden demnach in der ersten Periode der Entstehung ihrer Parasiten stets zwei Wege der Infektion mit letzteren möglich sein: eine direkte Infektion, durch die Brut der Parasiten und eine solche durch Vermittelung jener Tiere, welche ihnen zur Nah- rung dienen und in bezug auf die Parasiten der Raub- tiere in zufälliger Weise zu Zwischenwirten derselben werden. Die Infektion der karnivoren Wirtstiere durch Vermittelung von Zwischenwirten bietet den Entoparasiten beträchtliche Vorzüge gegen die unmittelbare Infektion ihrer Wirte. In der Tat besitzen diejenigen Tiere, welche sich von vegetabilischer Nahrung oder von in der Zersetzung begriffenen Stoffen ernähren und sich an den Wohnorten der Raubtiere aufhalten, denen sie zur Nahrung dienen, viel mehr Aussichten sich mit der Brut der Parasiten dieser letzteren zu infizieren. In diesem Falle suchen die Raubtiere, indem sie ihrer Brut nachspüren, gewissermaßen selbst ihre eigenen Parasiten auf, welche sie denn natürlich auch mit Erfolg auffinden. In Anbetracht dieses Umstandes war es von den zwei ursprünglichen Infektionsweisen — der direkten, ohne Zwischenwirte, und derjenigen durch diese letzteren — vor- wiegend die zweite Infektionsweise, welche die Parasiten zu ihrem Ziele führte, weshalb die Zahl derjenigen Individuen der Parasiten von Raubtieren immer mehr und mehr zunahm, welche zusammen mit den Zwischenwirten in das Innere derselben gelangten. Allein auch auf diesem zweiten Wege erreichten nicht alle Entoparasiten ihr Ziel mit gleichem Erfolge. Blieben z. B. die Jugendstadien der Parasiten nur kurze Zeit hindurch in dem Darme des Zwischenwirtes und wurden dann zusammen mit den Exkre- menten nach außen befördert, so versteht es sich von selbst, dass eine solche Brut nur verhältnismäßig selten ihren definitiven Wirt erreichen konnte. Wenn es dagegen den Jugendstadien gelang, auf irgendeine Weise in die Leibeshöhle oder in das Innere irgend- welcher Organe oder Gewebe des Zwischenwirtes zu gelangen, wo sie eine mehr oder weniger beträchtliche Zeit hindurch am Leben bleiben konnten, so eröffneten sich ihnen in diesem Falle viel größere Aussichten in das definitive Wirtstier zu gelangen. Im Laufe der Zeit konnten sich Vorrichtungen zur Erhaltung im Zwischen- wirte herausgebildet haben, wie die Bildung verschiedener Zysten und Kapseln, in welchen die Brut der Parasiten lange Zeit hin- durch am Leben erhalten wird. Da nun eine große Anzahl, in ge- wissen Fällen vielleicht sogar die Mehrzahl der phytophagen Tiere früher oder später das Opfer irgendwelcher Raubtiere werden, so ist es offenbar, dass mit der Bildung von Zysten und Kapseln Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Eintamoeba blattae Bütschli. 381 in dem Zwischenwirt die Parasiten der Raubtiere die größte Aus- sicht auf die Erreichung ihrer wahren oder definitiven Werte er- langten. (Fortsetzung folgt.) Über Kern und Kernteilung bei Entamoeba blattae Bütschli. Von C. v. Janicki. (Istituto di Anatomia Comparata della R. Universitä di Roma.) Bei der großen, im Enddarm von Periplaneta orientalis para- sitierenden Entamoeba blattae, welche zunächst ausführlich von Bütschli!), später von Grassi?) und im neuerer Zeit eingehend von Schubotz°) bearbeitet worden ist, haben sich die Kern- teilungsvorgänge stets der Untersuchung entzogen. Erst im vorigen Jahr konnten Mercier*) und ich’) unabhängig voneinander einige Angaben über Kernteilung machen. Es mögen hier in Kürze weitere eigene Beobachtungen mitgeteilt werden. Der deutlich sichtbare ovale, seltener rundliche Kern ist durch seine Größe ausgezeichnet, indem er im längeren Durchmesser bis 0,025 mm erreicht. Seine zystenhautartige, doppeltkonturierte Mem- bran fällt durch ihre bedeutende Dicke auf‘). Charakteristisch für den Kern von Entamoeba blattae ist seine schon Bütschli bekannte Eigentümlichkeit, an einem Pol einen schnabelförmigen Aufsatz zu tragen, an dessen Bildung sich die an dieser Stelle dünner werdende Kernmembran beteiligt (Fig. 1a). Der schnabelförmige Fortsatz ist ein Residuum des bei der Teilung die beiden Kernhälften ver- bindenden Stranges (vgl. weiter unten), worauf Mercier hingewiesen hatte, und kann in seltenen Ausnahmefällen schlauchförmige Gestalt und monströse Größe annehmen, in der Länge den größeren Kern- durchmesser erreichend. Gleichfalls ausnahmsweise zeigt der Kern an seinen beiden Polen des längeren Durchmessers einen normal entwickelten Fortsatz. Dass der Kern, nach Schubotz, während der Teilungsruhe aktive Formveränderlichkeit zeige”), kann ich nicht 1) OÖ. Bütschli, Beiträge zur Kenntnis der Flagellaten und einiger verwandter Organismen. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. XXX, 1878. 2) B. Grassi, Intorno ad aleuni protisti endoparassitici ete. Atti della Soc. Ital. scienc. nat., Vol. XXIV, 1882. 3) H. Schubotz, Beiträge zur Kenntnis der Amoeba blattae (Bütschli) und Amoeba proteus (Pall.). Arch. f. Protistenk., Bd. VI, 1905. 4) L.Merecier, La schizogonie simple chez Amoeba blattae Bütschli. ©.R. Acad. Scienc., 1908, Nr. 18. 5) C. Janicki, Oontribuzione alla conoscenza di alcuni protozoi parassiti della Periplaneta orientalis. Rendie. R. Accad. dei Lincei. Cl. sc. fis., mat. e nat., Vol. XVII, 1908. 6) Die Angabe von Schubotz, die von Mercier wiederholt wird, dass die Kernmembran bis 2 « in der Dicke messen kann, muss ich allerdings als über- trieben betrachten. 7) Schubotz, I. ce. DIE: [4 389 Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Entamoeba blattae Bütschli. bestätigen. Es handelt sich um äußerst langsam zustande kommende, zunächst kaum wahrnehmbare Drehungen des Kernes innerhalb des Protoplasmas der Amoebe, wodurch die Gestalt des Kernes in wechselnder Lage sich darbietet, — eine Erklärung, die Schubotz freilich ausschließen zu müssen glaubt.” Wohl aber konnte ich leb- hafte Gestaltsänderungen des Kernes unter Beteiligung der Kern- membran während der letzten Phasen der Kerndurchschnürung konstatieren (vgl. weiter unten). Im lebenden Zustand beobachtet man am Kerninhalt eine peri- pherisch gelagerte dichte Schicht von stark lichtbrechenden, gelb- lichen bis schwach bräunlichen runden Körnchen, welche sei es über die ganze Fläche des Kernes verteilt, sei es nur in einer Hälfte desselben, dem einen Pol entsprechend, angesammelt er- scheinen. Der von den Körnchen nicht eingenommene Kernraum trıtt als eine helle, transparente Partie zum Vorschein und zwar, nach dem Vorstehenden, entweder in der Mitte des Kernes (vgl. Bütschli’s Fig. 26a u. b, Taf. XV resp. Schubotz’ Fig. 1, Taf. ]), oder einen Pol desselben einnehmend. Die stark lichtbrechenden Körnchen werden durch übliche Präparationsmethoden, welche mit Kanadabalsam abschließen, vollständig aufgelöst und sind demnach auf Dauerpräparaten nicht sichtbar (desgleichen nicht auf den folgenden Figuren). Nur ausnahmsweise werden sie in einem halb- aufgelösten Zustand erhalten, es dürfte sich wohl um Präparate handeln, die besonders schnell die Passage durch Alkohol ete. durch- gemacht haben. Die ın Rede stehenden lichtbrechenden Körnchen müssen, meiner Ansicht nach, als Reservestoffe des Nukleus auf- gefasst werden, über ihre chemische Natur konnte ich noch nicht ıns Klare kommen, so viel ıst aber sicher, dass sie nıcht aus Fett bestehen. Sıe beginnen bereits ın den kleinen rundlichen Kernen der Amoebenzysten zu erscheinen, erreichen aber das Maximum ihrer Ansammlung in den großen Kernen der Amoeben vegetativen Stadiums. Es wird vielleicht nicht fehlgegriffen, wenn man ihre Existenz mit der Fähigkeit der Kerne von Eintamoeba blattae in Be- zıehung setzt, auch frei, außerhalb des Amoebenkörpers, im Darm- inhalt der Periplaneta zu persistieren (vgl. weiter unten). — In sehr seltenen Fällen habe ich die von Mercier bei Entamoeba blattae beschriebenen Nukleophagaparasıten Dangeard’s®) im Kern ange- troffen; dieselben sind größer als die vorhin erwähnten Reserve- körperchen, weniger lichtbrechend und erfüllen anscheinend den gesamten Kernraum. Anders ist die Ansicht des Kernes auf konservierten und ge- färbten Präparaten’). Ich kann den von Schubotz mit Hilfe von 8) L. Mercier, Un parasite d’Amoeba blattae. C©.r.Soc. Biol. T. LXII, 1907. 9) Nach Schubotz soll selbst in gut gelungenen Totalpräparaten wenig mehr zu schen sein als an lebenden, etwas gepressten Tieren. Dem kann ich, namentlich Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Entamoeba blattae Bütschli. 383 Schnittmethode erkannten feineren Bau des Kernes bestätigen und durch Aufdeckung des Karyosoms bereichern. Im Kernraum unterscheidet man einen peripheren schwach körnigen oder nahezu homogenen, sich gleichmäßig dunkel färbenden Teil, welcher einen scharf begrenzten, blasenförmigen, helleren Innenraum umschließt (Fig. 1a,b, ec). Dieser letztere weist eine zarte feinkörnige Struktur auf, welche von Schubotz als Wabenwerk erkannt werden konnte. In ihrer gegenseitigen Ausdehnung zeigen die beiden differenten Kernanteile ein variables Wechselverhältnis. Wo die beiden Kern- zonen ineinander übergehen, findet man mehr oder weniger gleich- mäßıg im ganzen Umkreis verteilt zahlreiche chromatische Nukleolen. Der Kerninnenraum beherbergt in seinem peripheren Teil, ın der Medianlinie des Nukleus, das für unsere Entamoeba sehr charakte- ristische große Karyosom. — Aus einer näheren Analyse der einzelnen Kernbestandteile scheint hervorzugehen, dass der hellere Innenraum Fig. 1a. Fig. 1b. Kiste als der eigentliche Kern anzusehen ist, was auch durch die von Schubotz bei künstlicher Verdauung des Kernes gewonnenen Re- sultate bekräftigt wird. Diese zentrale, äußerst fein verteiltes Chromatin (in einem Alveolarwerk?) führende Kernzone ist es, die, allem Anschein nach, an die periphere Zone chromatinhaltige Sub- stanzen abgibt, welch letztere zu den peripheren, mit allen Kern- farbstoffen stark tingierbaren Nukleolen zusammentreten. Erwähnens- wert ist, dass der zentrale chromatische Kernraum von der inneren Begrenzung der peripheren Zone sich mehr oder weniger weit zurück- ziehen kann und alsdann zwischen beiden Kernzonen eine voll- kommen transparente mit Kernsaft erfüllte Schicht zum Vorschein kommt (Fig. 1b). Die chromatischen Nukleolen nehmen an Größe zu (Fig. 1b), sie wachsen auch bedeutend an der Zahl (Fig. 1 ec), alles Vorgänge, welche auf fortgesetzte Abgabe von färbbaren Sub- stanzen vom zentralen Teil des Kernes nach außen schließen lässt. Es dürften auch in gewissen Phasen des Lebens unserer Eintamoeba weitgehende Umänderungen im Bestand der chromatischen Nukleolen 384 Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Entamoeba blattae Bütschli. vorkommen; so werden mitunter nur wenige Nukleolen von sehr bedeutender Größe angetroffen, die dann nicht selten durch Besitz winziger transparenter Vakuolen ausgezeichnet erscheinen. Das Karyosom konnte nicht in einem jeden Kern nachgewiesen werden, das hängt aber damit zusammen, dass dieser Kernbestand- teil überhaupt nicht leicht zur Darstellung zu bringen ıst!"). Am Leben wird das Karyosom nicht beobachtet. Es baut sich aus voll- ständig homogener achromatischer Substanz auf, mit Kernfarbstoffen färbt es sich nicht, besonders deutlich tritt hingegen das Karyosom zum Vorschein nach Konservierung in Osmiumgemischen, z. B. Hermann’scher Lösung, ferner auch nach Eisenhämatoxylinbehand- lung. Selten erscheint dasselbe in runder Gestalt, meist ist es ge- streckt oval und indem die Lage des Karyosoms im Kern im großen und ganzen als eine konstante sich erweist — es liegt im peri- pheren Teil des zentralen Kernraums, in der Medianlinie, von dem zipfelförmig ausgezogenen Kernpol abgewandt — resultiert, dass die längere Achse des Karyosoms mit dem Längsdurchmesser des Kernes einen Winkel von 90° bildet (Fig. 1a u. b). Durch die Lage des Karyosoms sowie durch die ungleiche Ausbildung der Membran an den beiden Kernpolen, wird eine gewisse Heteropolie des Kernes bei unserer Entamoeba herbeigeführt. Eine Vergrößerung des Ka- ryosoms, gewissermaßen Aufblähung, wurde mehrfach beobachtet; inwieweit dieser Vorgang etwa mit den durch Hartmann bekannt gewordenen zyklischen Metamorphosen am Karyosom von Entamoeba tetragena (Viereck)'!) in Beziehung zu setzen ist, konnte ich nicht feststellen. Die vorwiegend gestreckt-ovale Gestalt des Karyosoms was Kernverhältnisse anbetrifft, nicht beistimmen. Meine Untersuchung ist an Totalpräparaten (Deckglasausstrich) ausgeführt. Andererseits freilich konnte Schu- botz auf Schnitten auch in die feinsten Einzelheiten (Wabenstruktur) eindringen. 10) In der Beschreibung von Schubotz wird das Karyosom nicht genannt. Möglicherweise aber entspricht der große längliche Nukleolus im Kern seiner Fig. 8, Taf. I dem Karyosom; der Nukleolus ist allerdings stärker gefärbt als die übrigen kleinen Nukleoli. Auch bei Mercier findet sich keine Angabe über das Karyosom. — Was Neresheimer bei A. blattae als Karyosom bezeichnet, von dem er „bei einer in Enzystierung begriffenen (?), rotierenden Amoebe Nukleolen einer nach dem anderen sich ablösen und durch die Kernmembran ins Plasma übertreten sah“, ist mir nicht klar, sicher kann es sich nicht um das von mir als Karyosom erkannte Gebilde handeln. Vel. E. Neresheimer, Über vegetative Kernveränderungen bei Amoeba Dofleini nov. sp., Archiv f. Protistenk.. Bd. VI, 1905, S. 152, 153. — Vielleicht ist der Nukleolus im Kern von A. murina nach Wenyon mit Karyosom von Entamoeba blattae in Beziehung zu setzen; der Nukleolus ist zwar in diesem Fall chromatinhaltig, mit seiner Teilung aber wird nach Wenyon das erste Sta- dium der Kernteilung eingeleitet. Vgl. C. M. Wenyon, Observations on the Pro- tozoa in the Intestine of Mice. Archiv f. Protistenk., Suppl. I, Festband f. R. Hert- wig, Es 1) M. Hartmann, Eine neue Dysenterieamoebe, Entamoeba tetragena (Vier- eck) ni Entamoeba africana (Hartmann), Verhandl. d. deutsch. tropenmediz. Gesellsch., I. Tagung, 1908. Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Eintamoeba blattae Bütschli. 385 steht mit dessen Vorbereitung zur Teilung in Zusammenhang. Und in der Tat kann man an Kernen, die, soweit man beurteilen kann, sonst noch keine Anzeichen der sich nähernden Teilung verraten, _ bereits zwei etwas gestreckte mit Eisenbämatoxylin sich stark schwärzende Körperchen an den beiden Polen des Karyosoms fest- stellen — die Centriolen (Fig. 1a). Das Karyosom von Entamoeba blattae muss als ein intranukleäres Centrosom aufgefasst werden, oder eigentlich, da es fast immer in Vorbereitung zur Teilung an- getroffen wird, richtiger als Zentralspindel (Netrum) im Sinne) Bo- veri’s. Ob die zwei Oentriolen durch Teilung eines einzigen zen- tralen ihren Ursprung nehmen, muss ich dahingestellt sein lassen. Die Kernteilung im vegetativen Zustand der Amoebe ist nur selten anzutreffen. Der Teilungsprozess vollzieht sich auf zwei Fig. 2b. EHE NETTER >: A ER Wegen, amitotisch und mitotisch, ohne dass es bis jetzt möglich gewesen wäre einzusehen, unter welchen Umständen der eine oder der andere Teilungsmodus platzgreift'?). In beiden Fällen bleibt die Kernmembran während des Kernteilungsprozesses erhalten, was bereits mehrfach bei Rhizopoden konstatiert worden ist. Die direkte Teilung (Fig. 2a, b, c) verläuft ähnlich wie ın dem durch Schaudinn bekannt gewordenen Typus der Amoeba erystal- ligera. Eine einfache Durchschnürung des Karyosoms muss voraus- gehen, denn das jüngste von mir angetroffene Teilungsstadium wies bereits zwei den beiden Kernpolen genäherte Karyosome auf (Fig. 2a). Im übrigen erleidet die Zusammensetzung des Kernes während der Teilung keinerlei wesentliche Änderung: die periphere Kernzone, 12) Die amitotische Kernteilung ist Mercier unbekannt geblieben. Vgl. Mercier,|.c. 386 Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Eintamoeba blattae Bütschli. der zentrale Kernraum wie die Schicht der chromatischen Nukleolen beteiligen sich alle an der Durchschnürung des ın die Länge ge- streckten Kernes. Es bilden sich auf diese Weise zwei rund um- schriebene Zentralräume des Kernes, ein jeder mit seinem Karyosom ausgestattet und von der Schicht chromatischer Nukleoli umgeben (Fig. 2b). Zuletzt resultieren zwei gleich große Kerne von etwa birnförmiger Gestalt (Fig. 2c), die Pole, an welchen die beiden Kerne miteinander ın Zusammenhang gestanden haben und welche zunächst noch eine halsförmige Streckung beihehalten, erleiden eine Umänderung, bis an einem jeden Kerne als bleibendes Gebilde der typische Fortsatz zustande kommt. In Fig. 2b ist an einem der Pole des sich durchschnürenden Kerns noch ein deformierter Rest des von der vorausgegangenen Teilung herrührenden Fortsatzes an der Kernmembran zu sehen; später verschwindet in der Regel jede Spur des Fortsatzes, wenn auch die oben erwähnten äußerst seltenen Fälle von Kernen, die an beiden Polen mit typischem Fortsatz ausgestattet erscheinen, wahrschemlich eben auf eine Persistenz des alten Fortsatzes während und nach der Teilung zurückzuführen sind. — Einer Beobachtung lebender Amoebe, welche zwei Kerne eben nach ihrer Durchschnürung enthielt, entnehme ich folgende Punkte !*). Unmittelbar nach der Kerndurchschnürung zeigte der eine der Kerne deutliche und lebhafte amoeboide Be- wegungen, an denen sich die dicke, aber in diesem Zustande äußerst schmiegsame Kernmembran beteiligte. (Gestaltsveränderungen des Kernes bei Amoeben sınd, soweit mir bekannt, von Neresheimer bei A. Dofleini und von Schaudinn bei Entamoeba histolytica be- obachtet worden, über amoeboide Änderungen der Kerngestalt bei Noctiluca liegen Angaben von Doflein vor). Wenige Minuten nach der vollendeten Kerndurchschnürung erfolgte die Teilung des mäßıg mit Nahrungsballen erfüllten Amoebenkörpers in zwei gleiche Hälften. Die mitotische Kernteilung in den vegetativen freien Amoeben besitzt relativ einfachen Charakter. Sie beginnt mit einer Um- bildung des Karyosoms, oder richtiger wohl des intranukleären Uentrosoms, zu einer Zentralspindel oder Netrum (Fig. 3a). An- sätze dazu lassen sich ja, wie erwähnt, vielfach ın ruhenden Kernen beobachten (Fig. 1a) und doch wird die mitotische Kernteilung selbst nur äußerst selten angetroffen. Da im ruhenden Kern die längere Achse des Karyosoms resp. der Zentralspindel konstant senkrecht zur Längsachse des Kernes eingestellt ist, so erscheint 13) Die in Rede stehende Kernteilung im lebenden Zustande halte ich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit für amitotisch auf Grund der Verteilung von lichtbreehenden Reservekörperchen im Kern: dieselben waren an den abgewendeten Polen angesammelt, während die Pole, die an der Durchschnürung beteiligt waren, körnchenfrei erschienen, was bei mitotischer Teilung sich anders verhält (vgl. weiter unten), Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Eintamoeba blattae Bütschli. 387 eine Aufrichtung der Zentralspindel und ihre Drehung um 90° als die wahrscheinlichste Annahme, und die ersten Phasen einer solchen Drehung werden tatsächlich durch Beobachtung bestätigt’). An den beiden Polen der Zentralspindel nehmen die Centriolen an Größe zu. Leider bin ich nicht imstande, über weitere Schicksale der Zentralspindel in dem mitotisch sich teilenden Kern zu be- richten. — Das Stadium der Äquatorialplatte habe ich nie ange- troffen. Die Fig. 2b bringt bereits die Anaphase zur Darstellung. In dem seine Kernmembran bewahrenden Kern von spindelförmiger Gestalt liegen an den Polen rosettenförmig angeordnet deutliche Chromosomen von stäbehenförmiger Gestalt, ihre Zahl scheint sechs zu übertreffen'!’). Eine achromatische Spindel ist nicht vorhanden. Die von den Chromosomen eingenommenen Kernpole erscheinen von einem transparenten Saft erfüllt. Der übrige Kernraum ist mit Eiez ab: feinen Körnchen erfüllt, über deren Natur ich mich nicht mit Be- stimmtheit aussprechen kann. Während der Telophase (Fig. 3 ec) beginnen die Chromosomen sich zu krümmen, wodurch ein knäuel- artiges Aussehen des Chromatinbestandes an den beiden Polen herbei- geführt wird; die knäuelartigen Gebilde liegen auch hier in einem trans- parenten Saft. ee zeigt die Ker Be ekealhrr an eine Einschnürung in der Äquatorialebene. — Nach Beobachtung im lebenden nenne kann ich berichten, dass die Kernteilung außer durch biskuitförmige Einschnürung in der Mitte des bedeutend in die Länge Brccken Kernes durch das Vorhandensein von rundlich umschriebenen, körnchenlosen und transparenten Polfeldern, welche eben den von 14) Die Fig. 3a ist in dieser Hinsicht nicht instruktiv, weil der Kern runde Gestalt besitzt, 15) In jedem Fall kann ich die Angabe Mercier’s, wonach von vier stern- förmig angeordneten Chromosomen der Metaphase je zwei nach den zwei Polen des Kernes hinwandern, namentlich in ihrem zuletzt genannten Teil nicht bestätigen. [5 388 Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Eintamoeba blattae Bütschli. Chromosomen eingenommenen Stellen entsprechen, charakterisiert wird. Dieselben sind in dem schon weiter in Teilung fortgeschrittenen Kern der nach dem Leben entworfenen Fig. 4 zu sehen. Die beiden Kernhälften entfernen sich voneinander immer mehr und mehr und der sie verbindende immer dünner werdende Faden zieht sich sehr bedeutend in die Länge, was auch von manchen anderen Amoeben bekannt ist. Der Kernteilungsvorgang dauert mehr als eine Viertelstunde. Eine Teilung der Amoebe folgte nicht nach. Dieser letztere Umstand erlaubt, an eine interessante Erschei- nung anzuknüpfen, nämlich, dass normal entwickelte Kerne von Entamoeba blattae sich auch außerhalb des Amoebenkörpers frei im Darminhalt der Periplaneta vorfinden. Auf diese Eigentümlichkeit, deren man nicht etwa nur in Ausnahmefällen begegnet, hatte zuerst Grassi ım Jahre 1882 aufmerksam gemacht, während Bütschli in seiner Bearbeitung von 4A. blattae vom Jahre 1878 derselben nicht gedenkt; ebenso wird diese Erscheinung von Schubotz nıcht erwähnt und es scheinen diesem Autor auch die Angaben von Grassi unbekannt ge- blieben zu sein. Die freien Kerne, wie gesagt völlig normal, im Bau und Aussehen zunächst gänzlich mit denen in Amoeben eingeschlos- senen übereinstimmend, liegen bewegungslos im Enddarminhalt des Wirtes. 3 Tage unter wachsumrandeten Deckglas ım Darminhalt, dem physiologische Kochsalzlösung zugesetzt war, gehalten, zeigten sie keinerlei Verände- rung. Künstlich zur Austrocknung gebracht und nach einigen Tagen wieder befeuchtet, hatte eine Anzahl von ihnen eine gewisse Re- sistenzkraft erwiesen. Viele von den freien Kernen sind mit ehromatischen Nukleolen in der peripheren Kernzone, ähnlich wie die Nuklei der Amoeben, aus- gestattet. Bei anderen, offenbar in fortschreitender Entwickelung (oder Degeneration?), erscheint die überwiegende Menge von Chro- matin der peripheren Kernzone in die Substanz eines wohl aus Linien zusammengesetzten Fadens (ob kontinuierlichen?) aufge- nommen (Fig. 5a), der in der Folge in mehrere Segmente zerfällt (Fig. 5b, hier auch das Karyosom sichtbar). — Die Entstehung der freien Kerne dürfte auf den Umstand zurückzuführen sein, dass nicht selten auf die Kernteilung keine Körperteilung folgt (s. oben), und auf diese Weise große Amoeben mit 2-—3 normal ausgebildeten Kernen beobachtet werden. Durch Ausstoßen des resp. der überschüssigen Kerne glaube ich die Bildung der freien Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Entamoeba blattae Bütschli. 389 Kerne erklären zu können. Grassi (1882) hatte ebenfalls das Aus- stoßen der Kerne zur Erklärung der Existenz von freien Kernen heran- gezogen, er meinte aber, dass das Ausstoßen an einkernigen Exem- plaren von Amoeben sich vollziehe, und somit auch zur Bildung von kernlosen Amoeben, dieGrassi gelegentlich beobachtet hatte, beitrage. Nach meinen Beobachtungen steht das äußerst seltene Vorkommen von kernlosen Amoeben in keinem Verhältnis zu der häufigen, ja konstanten Erscheinung der freien Kerne, so dass mir nur die oben vertretene Erklärung übrig bleibt. — Welche Bedeutung den freien Kernen zukommt und welches ihr weiteres Schicksal ist, konnte ich leider bis jetzt nicht nachweisen. Sicher haben wir es hier mit einer physiologisch normalen Erscheinung im Entwickelungszyklus unserer Amoebe zu tun, deren Bedeutung nach zwei Richtungen, allerdings sehr stark divergierenden Richtungen, gesucht werden müsste. Schon Grassi hatte angedeutet, dass das Vorkommen freier Kerne vielleicht auf einen besonderen Reproduktionsmodus hinweise — freilich zu einer Zeit, wo man von tiefgreifenden Um- änderungen, welche der Kernbestand bei manchen Protozoen er- Bios na Fig. 5b. leiden kann, kaum etwas oder nur wenig wusste —, und in der Tat spricht ihr normales lebenskräftiges Aussehen, vor allem aber der Besitz ausnehmend starker, zystenhautartiger Kernmembran, sowie von lichtbrechenden Körperchen, für welche die Deutung als Reservekörper die nächstliegende erscheint, ferner eine gewisse Resistenzkraft der freien Kerne zugunsten einer solchen Annahme. In diesem Fall müsste der Kern, unseren Kriterien gemäß, eben etwas mehr als ein Kern sein, etwa der Zentralkapsel der Radio- larien vergleichbar. Auf der anderen Seite aber bleibt es nicht ausgeschlossen, dass die in Rede stehende Erscheinung lediglich als Kernreduktion aufzufassen wäre, wie eine solche namentlich durch die Untersuchungen R. Hertwig’s während der Enzystierung von Actinosphaerium Eichhorni, und hier ganz besonders intensiv ein- greifend, bekannt geworden !°), welche aber auch sonst bei Proto- J 16) R. Hertwig, Über Kernteilung, Richtungskörperbildung und Befruchtung von Actinosphaerium Eichhorni. Abh. d.k. bayer. Akad. d. Wiss., II. Kl, XIX. Bd., III. Abt,, 1898. 390 Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Entamoeba blattae Bütschli. zoen in mannigfacher Form Verbreitung findet und noch unlängst durch R. Hertwig einer vergleichend-kritischen Betrachtung unter- zogen worden ist !”). In diesem Fall wären die freien Kerne der Entamoeba blattae dem Untergange geweiht. In Übereinstimmung mit Schubotz sei hervorgehoben, dass Abgabe von Chromidıal- substanz vom Kern an das Plasma der Amoebe nicht beobachtet wird. — Eine Entscheidung über das Schicksal der freien Kerne steht noch aus. Die Zysten werden in der Regel von kleineren achtkernigen Amoeben gebildet, die sich durch sehr lebhafte Plasmaströmungen sowie Abwesenheit von Nahrungskörpern ım Plasma charakteri- sieren!*). Als Vorstufe zur Zystenbildung erscheinen vierkernige Amoeben. Eine solche abgerundete, aber noch nicht enzystierte Amoebe mit vier Kernen in Telophase ist in der Fig. 6 abgebildet. Der mitotische Teilungstypus entspricht dem von den großen Kernen im vegetativen Stadium der Amoeba bekannten. Dagegen verläuft die mitotische Kernteilung innerhalb der Zysten etwas ab- weichend (die folgen- den Bilder beziehen sıch auf achtkernige Zysten). Auch hier ıst das erste Anzeichen der Kern- teilung ım Karyosom zu sehen; dasselbe nımmt etwas schlankere Ge- stalt an und zeigt an seinen beiden Enden deutliche Oentriolen (Fig. 7 a), womit es seine Natur als Zentralspindel (Netrum) dokumentiert. Hervor- gehoben sei es, dass die Centriolen außer durch Eisenhämatoxylin auch durch Delafield’s Hämatoxylın gefärbt werden. Ob dieselben von einem ursprünglich einheitlichen Centriol abstammen, bleibt mir unbekannt. Eine Verbindungsbrücke zwischen den zwei Üen- trıolen, vie sie z. B. bei Kernteilung von Amoeba froschi (nach Hart- 17) R. Hein ig, Uber den ee und den Dualismus der Kern- substanzen. Sitzungsber. d. Gesellsch. f. Morph. u. Phys. in München, 1907. 18) Vgl. Janicki, l.c. S. 151. Somit bestätigt sich nicht die Vermutung von Schubotz, dass die Zystenbildung erst nach vollendeter oder nachezu vollendeter Kernteilung zustande käme. Nur ausnahmsweise habe ich noch nicht enzystierte Amoeben mit 12—1S Kernen beobachtet. — Außer dieser physiolologischen Zysten- bildung kann es auch eine akzidentelle geben; diese betrifft unter wiederholter Kernteilung große, vegetative Amoeben, che in nicht normale Verhältnisse (Über- nachtstehenlassen unter wachsumrandeten Deckglas) versetzt werden. Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Eintamoeba blattae Bütschli. 391 mann und Prowazek) oder Entamoeba tetragena (nach Hart- mann) auftritt, wurde hier nicht beobachtet. Das Chromatin auf diesem Stadium der Zystenkerne erscheint sehr spärlich und un- deutlich. Leider kann ich auch für die Zystenkerne nicht sagen, was aus der sich bildenden Zentralspindel wird. Während des Teilungs- prozesses bleibt die Kernmembran erhalten. Die einzelnen Phasen der Teilung verlaufen in allen Kernen, ob es sich um 8 oder 16 Kerne ee in der Regel synchron. Das Stadium der Äquatorial- platte, das relativ leicht anzutreffen ist, erscheint charakterisiert durch spindelförmige Gestalt der Kerne (Fig. 7 b), im Innern zieht durch die ganze Kernlänge eine deutliche achromatische Spindel; die korn- förmigen Chromosomen sind mindestens in der Zahl von sechs vorhan- den, wahrscheinlich aber mehr. In der Telophase, die hier nicht zur Abbildung gelangt, bleibt die achromatische Spindel, den ganzen Kernraum ausfüllend, noch deutlich erhalten; an den Polen des Kernes sammeln sich schwer analysierbare Chromatinmassen. Nach vollendeter Kerntei- lung tritt in einem jeden der Kerne das = Karyosom im Ruhe- zustand neben dem körnchenartig ver- teilten Chromatin deutlich zum Vor- schein. — Durch den geschilderten Kern- teilungsprozess wer- den aus ursprünglich achtkernigen Zysten solche mit über 30 Kernen hervorgebracht. Der Kern von Entamoeba blattae darf nach den obigen, wenn auch nur fragmentarischen Beobachtungen als ein Zentronukleus im Sinne Boveri’s bezeichnet werden, sein aus achromatischer Sub- stanz bestehendes Karyosom zeigt, geradezu als ein intranukleäres Centrosom, Beziehungen zur Teilung des Kernes, welche sowohl mitotisch wie auch amitotisch verlaufen kann. Seit den klassischen Untersuchungen Schaudinn’s an Amoeba erystalligera, Paramoeba und Acanthocystis wurden bei einer Anzahl von Rhizopoden Teilungs- organe aufgedeckt, welche als Homologa des Centrosoms der Meta- zoenzelle erscheinen; soweit sie im Kern ihre Lage haben, werden sie in der neueren Literatur allgemein mit dem een Kary osom belegt. Im einzelnen Ben recht mannigfache Verhältnisse. Als ein einfacher, wenig färbbarer Nukleoluee der sich hantel- förmig durchschnürt, erscheint das Karyosom bei Amoeba erystalligera (Sehaudinn). Bei Amoeba himax führt das große, fast den ganzen Kern einnehmende Karyosom chromatische wie achromatische Sub- a ES = 399 Janicki, Über Kern und Kernteilung bei Entamoeba blattae Bütschli. stanz in sich und bildet während der Teilung die achromatische Spindel, die großen chromatischen als Uentrosome fungierenden Polkörper, sowie auf Kosten dieser letzteren drei Chromosomen der Äquatorialplatte aus (Vahlkamp). Beziehungen des Chromatins zum Karyosom liegen auch bei der eigentümlichen Amoeba diploidea vor, deren stark ausgebildete Karyosome während der Teilung sich strecken, das Außenchromatin in sich aufnehmen, später an den Polen dasselbe wieder abgeben, bei der Bildung der fertigen Syn- karyen aber vollends, nach Abgabe des Außenchromatins ans Plasma, das gesamte Chromatin des Kerns in sich kondensieren (Hartmann und Nägler). Desgleichen ıst das Karyosom von Entamoeba tetra- gena in seiner peripheren Schicht chromatinhaltig, unter Abgabe dieses Chromatins an den Kern und Wachstum des Karyosoms spielen sich zyklische Vorgänge an diesem letzteren ab, deren Zen- trum das allein konstante Centriol erscheint; bei der Teilung teilt sich zunächst das Öentriol, worauf das Karyosom eine Spindel aus- bildet, die den größten Raum des Kernes einnimmt !®?) (Hartmann). Das Karyosom von Entamoeba buccalis bildet eine typische intra- nukleäre Spindel aus (Prowazek) und dasselbe tut der Binnen- körper von Amoeba vespertilio (Doflein). Der Kernteilung von Amoeba froschi und Amoeba lacertae geht die Teilung des Centriols und Ausbildung der Zentralspindel voraus (Hartmann und Pro- wazek), ähnliches liegt auch in den „division-centers“ der kleinen Kerne von Amoeba proteus (Calkins) sowie bei der Karyosomteilung von Entamoeba histolytica (Werner) vor?) Bei Actinosphaerium Eichhorni entsteht das die Richtungsteilungen beherrschende Cen- trosom durch eine Art von Kernknospung (R. Hertwig). Der be- kannte Schaudinn’sche Nebenkörper von Paramoeba Erlhardi funktioniert als ein extranukleäres Uentrosoma. Desgleichen das Zentralkorn von Acanthocystis, welches nukleären Ursprungs ist und zwar, wie Keysselitz in Fortführung der Schaudinn’schen Untersuchungen zeigen konnte, entsteht dasselbe aus dem Karyosom des Kernes. — Die Mannigfaltigkeit in der Entwickelung der Teilungs- organe bei den Rhizopoden (wie übrigens auch bei anderen Proto- 19) Wenn Hartmann die die Centriolen verbindende Faser als Zentralspindel bezeichnet, so dürfte das kaum zutreffend sein. Die ganze Karyosomspindel wäre als Zentralspindel aufzufassen, während die Faser dem die Centriolen etwa bei Diaulula verbindenden Fädchen entspricht. Vgl. hierzu M. Hartmann, Eine neue Dysenterieamoebe ete., 1. c. und T. Boveri, Zellenstudien 4. Über die Natur der Centrosomen. 1900. 20) Gewiss ist das Karyosom im Amoebenkern auch in mancher Amoeben- studie älteren Datums nicht übersehen worden; sicher dürfte das z. B. für Amoeba fluida Gruber gelten, in deren Kernen Gruber nach Behandlung mit Osmium- säure und Pikrokarmin einen deutlichen „Nukleolus“ zur Darstellung gebracht hatte. Vgl. A. Gruber, Über einige Rhizopoden aus dem Genueser Hafen. Ber. Naturf. Ges. Freiburg. i. Br., Bd. IV, 1888. Nagel, Handbuch der Physiologie des Menschen. 393 zoengruppen) dürfte u. a. darin begründet sein, dass die Zentren, wie das kürzlich von Hartmann und Prowazek zusammenfassend dargetan worden ist, außer an der Teilung, in vielen Fällen wenig- stens, auch an zyklischen Stoffumsätzen im Kern beteiligt sind’?'). Ohne auf die viel besprochene Frage nach der Phylogenie des Centrosoms und dem Kerndualismus einzugehen, möchte ich mir erlauben, auf einen Vergleich der Kernverhältnisse bei Ent- amoeba blattae und Paramoeba eilhardi hinzuweisen. Dicht neben dem Kegn von Paramoeba liegt nach Schaudinn „stets“ der Neben- körper, „in der Umgebung des Kerns und des Nebenkörpers er- scheint das Plasma nicht vakuolär,“ also dichter gestaltet, wie das auch aus Schaudinn’s Fig. 2 resultiert; ferner findet bei der mul- tiplen Kernteilung jeder der zahlreichen kleinen Kerne den zuge- hörigen Nebenkörper, dem er sich dicht anlegt??). Also eine Kon- stanz von Beziehungen zwischen Kern und Nebenkörper, die nur eine gemeinsame, beide Organe umschließende Membran erheischen würde, um einen Öentronukleus von Entamoeba blatlae, wie er ın Fig. 1a abgebildet ist, hervorzubringen — vielleicht ein Weg, um der von Boveri ausgesprochenen Vermutung, dass auf einer tiefen Stufe „ein im Protoplasma aufgetretenes Uytozentrum sich mit anderen im Protoplasma entstandenen Differenzierungen zu einem einheitlichen Gebilde, einem ‚Kern‘ vereinigt“ habe??), eine festere (Gestalt zu geben. Diese kurze Mitteilung möchte ich nicht schließen, ohne Herrn Prof. Grassi für freundliche Aufnahme in seinem Institut meinen herzlichen und aufrichtigen Dank auszudrücken. W. Nagel. Handbuch der Physiologie des Menschen. Bd. I. 2. Hälfte, 2. Teil. Gr. 8. S. 609—874. Dazu Vorwort zum ganzen Werk (VIII Seiten). Braunschweig. 1909. Vieweg & Sohn. Laugsam nähert sich dies schon mehrfach in diesen Blättern angezeigte Werk seinem Abschluss. Der durch den Tod einzelner, in Aussicht genommener Mitarbeiter oder andere Umstände herbei- geführte Wechsel der Bearbeiter einiger Abschnitte hat, wie dies bei solchen Sammelwerken nicht zu vermeiden ist, Verzögerungen herbeigeführt. Der jetzt ausgegebene Teil, der Schluss des ersten Bandes, enthält erstens: Elemente der Immunitätslehre von Carl Oppenheimer (Berlin). Das Gebiet wird sonst nicht zur Physio- 21) M. Hartmann und 8. v. Prowazek, Blepharoplast, Karyosom und Centrosom. Ein Beitrag zur Lehre von der Doppelkernigkeit der Zelle. Arch. f. Protistenk., Bd. X, 1907. — Die vegetative Funktion des Karyosoms bei Coceidien resp. Gregarinen wird von Siedlecki und Moroff überhaupt in den Vordergrund gestellt. 22) F. Schaudinn, Über den Zeugungskreis von Paramoeba eilhardi n. g. n. sp. Sitzungsber. d. kgl. preuß. Akad. d. Wiss. 1896, I, p. 34, 35, 37. 23 RL, Boveri,sl.:c., p. 189. 394 Meerwarth, Lebensbilder aus der Tierwelt. logie gerechnet. Die große Bedeutung aber, welche ihm für die Entwickelung der theoretischen Anschauungen über Lebensvorgänge zukommt, rechtfertigt wohl seine Aufnahme ın ein Handbuch der Physiologie und viele Physiologen werden dem Verfasser dankbar sein für seinen Versuch, ihnen das schwierige, vorläufig noch in lebhafter Aenderung begriffene Wissensfeld zu erschließen. Den Rest des Heftes nımmt die Darstellung der Mechanik des Kreislaufs von G. F. Nicolai (Berlin) ein. Herr N. gibt keine lehrbuchmäßige Uebersicht der Kreislaufslehre, sondern verweist den Leser auf die Darstellungen von Rollett (so schreibt sich der bekannte, leider schon verstorbene Physiologe, nicht mit einem t, wie in der Anmerkung auf S. 661 gedruckt ist) und Tigerstedt. Er will, wie er sagt, diese beiden klassischen Werke nicht er- setzen, nur ergänzen. Aus demselben Grunde habe er auch die spezielle Physiologie des kleinen Kreislaufs, die Tigerstedt ın den „Ergebnissen der Physiologie“ erst kürzlich behandelt habe, weg- gelassen. Ob dieser Standpunkt für em „Handbuch“ richtig ist, kann füglich bezweifelt werden. Wer ein solches kauft, will doch die Grundtatsachen im Zusammenhang dargestellt haben. Von dem einmal eingenommenen Standpunkt aus gibt nun der Verfasser eine große Zahl von Einzelheiten, zunı Teil ganz elementarer, zum Teil sehr spezialisierter Art und theoretische Auseinandersetzungen über Fragen des Kreislaufs und der Herzbewegung, welche neben All- bekanntem auch manches Neue enthalten, J. Rosenthal. Meerwarth. Lebensbilder aus der Tierwelt. Erste Folge: Säugetiere. Gr. 8. VII u. 628 S. Zweite Folge: Vögel. VIII u. 596 S. Leipzig. 1908. R. Voigtländers Verlag. Dieses großangelegte Werk, von welchem bisher die zwei oben genannten Bände vorliegen, ist kein Lehrbuch der Zoologie und will es nicht sein. Es lehrt uns aber die Tierwelt kennen und zwar die lebende Tierwelt, wie sie sich in freier Natur, ın der gewohnten Umgebung der Tiere darstellt. Dieser Zweck wird er- reicht durch vortreffliche photographische Aufnahmen der lebenden Tiere in ihrer natürlichen Umgebung, begleitet von lebensvollen Charakterschilderungen des Treibens und Benehmens der Tiere aus der Feder vorzüglicher Kenner, des Herausgebers selbst und vieler anderer. Aus dem ersten Band mögen hervorgehoben werden die Schilderungen des Fuchses und des wilden Kaninchens von Meer- warth, die verschiedenen Beiträge von H. Löns und die Schilde- rung des Edelhirsches von Fritz Bley, welche allein über 200 Seiten füllt, aus dem zweiten Band die der Schleiereule von Martin Braess. Eine Aufzählung der anderen Beiträge unterlassen wir, da eine solche Aufzählung keine Vorstellung von dem intimen Reiz der lebendigen Schilderungen gibt, empfehlen vielmehr das Studium des Werkes selbst, das Belehrung und Unterhaltung zugleich in hohem Maße bietet. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck ler kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herı'n Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthai, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Ba xxıe. 1. Juli 1909. N Inhalt: Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten bei den tierischen Parasiten (Fortsetzung). — Becher, Die ‚‚Hörbläschen‘“ der Leptosynapla bergensis. — Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne. Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten bei den tierischen Parasiten. Von A. Mordwilko, Privatdozent a. d. Universität St. Petersburg. (Fortsetzung.) Bevor die Erscheinung der Zwischenwirte im Leben der Ento- parasiten der Raubtiere begonnen hatte, die Rolle eines hauptsäch- lichen vorwiegenden Mittels der Infektion der definitiven Wirte zu spielen, musste die in den Eiern und zum Teile auch im Freien entwickelnde Brut sich auf einem solchen Stadium der Entwicke- lung befinden, welches es derselben gestattete, nach dem Eindringen in den Darm ihres Wirtes sich sofort an ihrem definitiven Wohn- orte festzusetzen und mit der Nahrungsaufnahme zu beginnen, oder mit anderen Worten, die Brut musste mit allen Existenzmitteln ausgerüstet sein (wobei die Geschlechtsorgane natürlich noch nicht ihre Reife erlangt zu haben brauchten). Infolgedessen mussten entweder die von den Weibchen der betreffenden Formen von Parasiten abgelegten Eier die zu diesem Zwecke erforderliche Größe besitzen, oder aber die aus den Eiern ausschlüpfende Brut musste einen Teil ihrer Entwickelung, bevor sie ihren Wirt verlässt, durch- laufen, oder die Möglichkeit besitzen, sich auch im Freien bis zu XXIX. 25 396 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. einem gewissen Grade weiter zu entwickeln'!). Und fast so ver- hält es sich auch in der Tat bei den Entoparasiten der phyto- phagen Tiere, welche ihre Entwickelung ohne Vermittlung von Zwischenwirten durchlaufen. Hatte aber die Brut der Entoparasiten einmal den Weg in die inneren Organe der Zwischenwirte gefunden, wo sich derselben die Möglichkeit eines langen Verweilens eröffnete, so verlor der verhält- nismäßig hohe Entwickelungszustand der Brut vor dem Eindringen in den Zwischenwirt, damit auch seine Bedeutung für dieselbe da diese Entwickelung leicht durch osmotische Ernährung im Körper des Zwischenwirtes erreicht werden kann. Da nun andererseits für alle Entoparasiten überhaupt eine möglichst große Fruchtbarkeit von Vorteil ist, zu deren Erzielung auch eine größtmögliche Ver- ringerung der Eidimensionen eine Bedeutung hat, so konnte es späterhin dazu kommen, dass die sich mit Anteilnahme von Zwischenwirten entwickelnden Entoparasiten Eier von verhältnismäßig geringeren Dimensionen, aber diese da- für in größeren Mengen hervorzubringen begannen. Indem die Brut der Parasiten jedoch angefangen hatte, einen gewissen Teil ihrer Entwickelung im Körper von Zwischenwirten zu durchlaufen, verlor sie damit auch die Fähigkeit der unmittelbaren Infektion des definitiven Wirtes. Bei einigen Entoparasiten können wir auch in gegenwärtiger Zeit noch beobachten, wie in gesetzmäßiger Weise zwei parallel verlaufende Infektionsweisen nebeneinander bestehen — die eine mit Zwischenwirt, die andere ohne einen solchen. So verhält es sich z. B. nach Walker!?) in bezug auf Syngamus trachealis v. Sieb., welcher in der Trachea und in den großen Bronchien der Krähe, der Dohle, der Elster, der hühnerartigen Vögel, der Ente, des Storches und anderer Vögel parasitiert. Nach Walker bildet der Regenwurm den natürlichen Zwischenwirt von Syngamus trachealis. 11) Von Interesse ist der Umstand, dass im Darme von Regenwürmern Jugend- stadien gewisser Strongyliden phytophager Tiere angetroffen werden, so z. B. Stron- gylus mierurus Mehlis, Str. elongatus, Str. filaria, Str. pergracilis. Natürlich können die Regenwürmer aber nicht zu wahren Zwischenwirten für diese Parasiten werden, indem” diese Würmer nur ganz zufälligerweise in seltenen Fällen in den Darm von Grasfressern unter den Säugetieren gelangen können. Die ausgewachsenen Larven von Str. mieruris verlassen den Darm der Regenwürmer mit den Exkre- menten dieser letzteren und können dann zufällig in ihre wahren Wirte gelangen Ip obbold, vgl. Raillet, A. Trait de zoologie me@dicale et agricole. 2. €d. Paris, 895, ‚BP 430436). 12) Walker, H. D. The gape worm of fowls (Syngamus trachealis): the Garthworm (Lumbrieus terrestris) is original host. Bull. Buffalo Soc. N. H. Vol. 5, 1886, pp. 47—71. — Vgl. auch: Raillet, A. Traite de zoologie medicale et agrieole. 2. edit. Paris 1895, pp. 453—455. — Idem. Mode de propagation des syngames. Compt. rend. d. seances de la soci6t& de Biologie. S&ance du 23 Fevr. 1901. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 397 Die Embryonen des Parasiten verbleiben im Verlaufe eines ganzen Jahres in dem Darm dieses Zwischenwirtes. Von jungen Hühnern als Speise verzehrt, dienen die infizierten Regenwürmer als Mittel zur Ansiedlung der Parasiten in den ersteren. Die frei gewordenen Embryonen gelangen dabei längs den Wandungen des Ösophagus in die Luftwege. Hier befestigen sie sich an der Schleimhaut im unteren Abschnitt der Luftröhre oder an deren Übergang in die Bronchien und kopulieren bereits 7 Tage nach erfolgter Infektion. Am 7. Tage findet man im Uterus der Weibchen schon reife Eier, welche jedoch nur nach dem Zerplatzen der Leibeswand der Weib- chen frei werden. Durch Husten werden die Parasiten nach außen befördert, worauf deren Eier infolge Zersetzung des Organismus der Mutter frei werden und ın feuchte Erde oder eine Wasser- pfütze gelangen. In infizierten Gegenden sind fast alle Regen- würmer angesteckt. — Andererseits wurde bereits von Ehlers nachgewiesen, dass S. trachealis sich auch ohne Vermittlung eines Zwischenwirtes entwickeln kann, indem er nach der Fütterung von Vögeln mit Eiern, welche Embryonen enthielten, bereits nach 12 Tagen die Anwesenheit von kopulationsreifen Parasiten kon- statierte; nach 17 Tagen waren die Weibchen der Parasiten bereits mit völlig ausgebildeten Eiern angefüllt. Dasselbe wurde, ebenfalls auf experimentellem Wege, späterhin auch von Walker und anderen Autoren bestätigt. Auch Mequin gelang es, durch Verfütterung ganzer Syngamus-Würmer an einen Papagei, in diesem letzteren die Brut jener Würmer anzusiedeln. — Was nun Ollulans trieuspis betrifft, der in der Mucosa des Magens der Katze parasitiert und lebende Junge zur Welt bringt, so erfolgt dessen Entwickelung nach Leuckart wahrscheinlich schon normalerweise durch Ver- mittlung von Zwischenwirten, in diesem Falle von Mäusen. Indem Leuckart diese letzteren mit Brot fütterte, unter welches Speise- brei aus dem Magen von Katzen mit jungen Larven der Parasiten gemischt war, fand er nach 6 Wochen in den Mäusen Hunderte eingekapselter Muskelwürmer (den Kapseln fehlten die für die Trichinen so charakteristische innere Hülle) '?). Es ıst wohl möglich, dass Ascaris lumbricoides, vor allem aber A. canis u. felis ihre Wirte nicht nur auf direktem Wege zufällig infizieren können, sondern auch durch Vermittlung irgendwelcher Zwischen- wirte, welche aus Zufall die Beute der definitiven Wirte werden. Ascaris depressa dagegen, ein Parasit von Raubvögeln, entwickelt sich normalerweise nur durch Vermittlung von Zwischenwirten (Maulwürfen und Erdmäusen); dasselbe bezieht sich wahrscheinlich auch auf A. acıs, einen Parasiten von Raubfischen, welcher nach Leuckart Leueiseus alburnus zum Zwischenwirte hat, ebenso auf einige Heterakis, einige Oxyuris (auch aus Raubkäfern) u. a. m. 13) Leuckart, R. Die menschlichen Parasiten, Bd. 2, 1876, pp. 102—106. 2 5 * 398 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. Beispiele von Infektion auf zweierlei Wegen lassen sich auch für die Parasiten unter den Protozoen anführen, wie dies von Schaudinn für Coceidium schubergi Schaud. nachgewiesen wurde, einen Parasiten aus den Zellen des Darmepithels von Zithobius forficatus, welcher eine räuberische Lebensweise führt!*). Die Sporen enthaltenden Oozysten von C. schubergi gelangen mit den Fäkalien nach außen und können zu einer direkten Infektion der Myriapoden führen, wenn sie zufällig von diesen letzteren verschluckt werden, indem Versuche der Fütterung von Myriapoden mit Oozysten, welche dem Fleische von Mehlwürmern beigemischt wurden, positive Resultate ergeben haben. Die Myriapoden können sich auch da- durch infizieren, dass sie sich untereinander auffressen. Die nor- malere Infektionsweise der Myriapoden erblickte Schaudinn jedoch in dem Vorhandensein von Zwischenwirten, wie z. B. von Keller- asseln und einigen kleinen Arthropoden, welche an den gleichen Orten wie die Myriapoden lebend, mit den Exkrementen dieser letzteren auch die Oozysten der Öoccidie verschlucken können. Die Oozysten erleiden zwar in dem Darme dieser Tiere keine Verände- rung, doch unterliegt es keinem Zweifel, dass auch durch solche Zwischenwirte leicht eine Infektion der Myriapoden erfolgen kann. Dasselbe bezieht sich offenbar auch auf die Coceidie Adelea ovata, welche in den gleichen Myriapoden parasitiert. Ebenso liegt die Möglichkeit vor, dass die Hausmaus und die Ratte mit Coceidium faleiforme Eimer nicht nur auf direktem Wege, sondern auch durch Vermittlung von Mehlwürmern u. dgl. m. infiziert werden können. Allein es liegen bis jetzt noch keine Hinweise darauf vor, dass die Infektion durch Zwischenwirte bei irgendwelchen Coceidien und Gregarinen zu einer gesetzmäßigen Erscheinung geworden wäre. Wir wollen hier auch die gegenwärtige Infektionsweise bei der Trichine, Trichinella spiralis Owen, auf ihren Ursprung hin be- trachten. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Infektion ihrer jetzigen Wirte (der Ratten, Mäuse, Schweine und des Menschen) durch die Trichine ursprünglich einfach durch Verschlucken von deren Eiern oder Larven mit der Nahrung oder mit Wasser er- folgte, worauf diese letzteren mit den Exkrementen nach außen befördert werden mussten, wie dies auch jetzt noch bei anderen im Darme parasitierenden Trichotracheliden der Fall ist’). Als jedoch die Trichinenweibchen anfingen, in das Innere der Schleim- haut der Darmzotten in den Lieberkühn’schen Drüsen einzu- dringen und dort ihre Jungen abzulegen, so konnten vorerst zwei 14) Schaudinn, Fr. Untersuchungen über den Generationswechsel bei Coc- eidien. Zool. Jahrb. Anat. Abt., Bd. 13, 1900, p. 197 ff. 15) Vgl. Railliet, A. Trait6 de Zoologie me&dicale et agricole. 2. edit. Paris 1895, pp. 477—499. — Braun, M. Die tierischen Parasiten des Menschen. 4. Aufl., 1908, pp. 311—323. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete.. 399 Arten von Infektion stattfinden: direkt durch Verschlucken der ın das Freie gelangten Eier oder Jugendstadien der Trichine durch die Wirte, oder aber durch das Verzehren von lebenden oder toten trichinösen Tieren. Auch jetzt noch kann die Infektion mit Trichinen nach Höyberg sozusagen auf dem ursprünglichen Wege vor sich gehen, z. B. indem man der Nahrung nicht infizierter Ratten Fäkalıen infizierter Ratten beimischt!%). Vielleicht kann auch die Infektion mit Trichosoma contorta ÖCrepl. auf zweierlei Art — ohne Zwischen- wirt und mit einem solchen — vor sich gehen, welche in der Speiseröhre der Stelzenfüßler, der Palmipeden, der Sperlingsvögel und der Raubvögel lebt, bisweilen aber auch in die Schleimschicht, unter dieselbe oder in die Anschwellungen der Speiseröhren-Submu- cosa eindringt!”). Wir wollen nunmehr versuchen, die Wege anzudeuten, wie die Art und Weise der Infektion entstanden ist, gmäß welcher die Wirbeltiere heutigen Tages mit den Blutparasiten (den sogen. Haematozoa) angesteckt werden, zu denen verschiedene Filariiden mit ihren im Blute schwimmenden Larven, die Blutflagellaten und die Haemosporidia gehören. Alle diese Blutparasiten waren ursprünglich Darmparasiten und sind erst im Laufe der Zeit zu Blutparasiten geworden. So sehen wir unter den Filariidae ganze Gattungen, welche Para- siten des Darmtraktus von Wirbeltieren sind: Dispharagus Du)., Gongy- lonemaMolin ‚z. T. Spiroptera Rud., ferner Cucullanus Müll., Dacnitis Duj. u.a.m. Obgleich die Art und Weise der Infektion für viele Formen der Filariiden noch nicht festgestellt ist, so wird man doch annehmen können, dass die Infektion phytophager Tiere auf direktem Wege erfolgt, d. h. ohne Zwischenwirte; für einige Filariiden der Raubtiere oder anderer Fleischfresser dagegen ist festgestellt worden, dass letztere durch Zwischenwirte mit ihren Parasiten angesteckt werden. So besitzt Oucullanus elegans, welcher im Magen, im Darme und in den pylorischen Schläuchen des Barsches, des Sandarts und des Kaulbarsches, im Darme des Stichlings, des Hechtes und anderer Fische parasitiert, als Zwischenwirte kleine Crustaceen, wie Cyclops, 16) Vgl. Höyberg, H. M. Fütterungsversuche mit trichinösen Fäkalien. Centralbl. f. Bakter., Parasitenk. und Infektionskrankh., I. Orig., Bd. 41, 1906, pp- 210--211. 17) Es ist von großem Interesse, dass auch bei der Strongylide Ollulanus tricuspis, welche im Magen der Katze parasitiert, ein Teil der neugeborenen Larven ebenfalls in die inneren Organe (Pleura, Diaphragma, Leber und Lungen) der Katze eindringt, in welcher sie zur Welt gekommen sind; hier kapseln sie sich ein, gehen aber doch nach einiger Zeit zugrunde (Leuckart, R., 1876, pp. 102—106). Allein bei Ollulanus trieuspis konnte eine Infektionsweise wie bei Trriehinella spiralis nicht zustande kommen, indem die Katzen die Leichname ihrer Genossen nicht auf- fressen. 400 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. sowie Insekten, z. B. Agrion-Larven, ın deren Inneres die frei- lebenden Larven von Cxcullanus durch den Mund der Zwischen- wirte eindringen !?); Spiroptera obtusa, aus dem Magen der Ratte (Mus decumanus) hat als Zwischenwirt die Mehlwürmer, welche die Eier der Parasiten in sich aufnehmen, indem sie die Kotballen der Ratten benagen'’); Dispharagus uncinatus Rud., em Parasit in den Knötchen des Oesophagus und im Vormagen der Hausgans und der Ente hat Daphnien zu Zwischenwirten?®). Spiroptera sangwinolenta Rud., welche in den Anschwellungen des Magens und des Oesophagus der Hunde und Wölfe parasitiert, verdient insofern besonderes Interesse, als dieser Parasit augen- scheinlich seine Wirte auf zweierlei Weise infizieren kann. Grassi stellte fest, dass die Hunde sich infizieren können, indem sıe Küchenschaben fressen, denen sie gerne nachstellen und in deren Bauchhöhle sich die Larven von Sp. sangwinolenta en- zystieren®!). In die Schaben konnten wiederum nur die Larven solcher Filariidenweibchen gelangt sein, welche im Oesophagus und Magen ihrer Wirte gelebt hatten. Alleın Sp. sanguinolenta wurde auch in verschiedenen anderen Organen des Hundes angetroffen: freilebend ım Oesophagus, an der äußeren Oberfläche des Zwölffingerdarmes, in den Auftreibungen der Aortenwand, in einer Geschwulst unterhalb der Nierengefäße, ferner in den Iymphatischen Ganglien, in den Lungen, Bronchien, der Trachea und den Nasenhöhlen des Hundes. Da diese Fila- riide lebendig gebärend ist und selbst in solchen Organen gefunden wurde, wie die Aorta (in den Knötchen ihrer Wandungen), so erscheint es sehr wahrscheinlich, dass‘ die Larven des Parasiten häufig in den Blutstrom gelangen, wo sie denn in der Tat auch schon auf- gefunden worden sind. Nach Leuckart steht die Höhlung der Knötchen, in denen die Würmer eingeschlossen sind, sogar nicht selten in offener Verbindung „mit dem anliegenden Gefäß (auch dem Darme)*?2). Es unterliegt keinem Zweifel, dass wenn die Larven von Sp. sanguinolenta im Blute der Hunde zirkulieren können, die- selben auch zusammen mit diesem Blute von verschiedenen stechenden und saugenden Insekten verschluckt werden können, wie dies u. a. für die Embryonen von Filaria immitis Leid. und F. bankrofti Cobb. 18) Leuckart, R. Die menschlichen Parasiten. II. Bd., 1876, pp. 109—112. 19) Ibid. pp. 113—115. 20) Hamann, O. Die Filarienseuche der Enten und der Zwischenwirt von Filaria uncinata R. ÜCentralbl. f. Bakter. u. Parasitenkunde, I., Bd. 14, 1893, pp. 555 —597. 21) Grassi, B. Beiträge zur Kenntnis des Entwickelungszyklus von fünf Parasiten des Hundes. Ibid. Bd. 4, 1888, pp. 609—620. 22) Leuckart, R. Die menschlichen Parasiten. Bd. II, 1876, p. 613. — Railliet, A. Trait@ de Zoologie medicale et agricole. 2-&me ed. Paris 1895, pp: 536—538. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 401 nachgewiesen worden ist. In der Leibeshöhle der Hundeflöhe fand Grassi die Embryonen von Nematoden, welche jedoch keine Ähn- lichkeit mit denen von Sp. sanguinolenta besaßen (vielleicht aus dem Grunde, weil sie im Körper der Flöhe bereits gewisse Meta- morphosen durchgemacht hatten). Selbstverständlich könnten diese oder auch andere, das Blut von Hunden saugende Insekten, wenig- stens zu zufälligen Zwischenwirten der Filariide werden und wiederum zu einer Infektion der Hunde führen. Wenn die Larven von Sp. sanguinolenta eher zufällig als nor- malerweise in das Blut der Hunde gelangen, so gibt es doch andere Filariiden, bei denen gerade das umgekehrte Verhalten beobachtet wird. Einige Leibeshöhlenfilariiden wurden gleichzeitig sowohl ın der Leibeshöhle wie auch im Darme der Hunde aufgefunden. So wurde Fülaria eygni Gmd. von Redi in einer Anzahl von etwa 200 Exemplaren in der Bauchhöhle eines schr mageren Schwanes angetroffen, gleichzeitig aber auch in ziemlich beträchtlicher Anzahl im Darme und in den Blinddärmen>®). Selbst für die hauptsächlich in der Bauchhöhle von Ochsen und Hirschen parasitierende Fllaria labiato-papillosa Alldr. sind Fälle bekannt, wo dieser Parasit im Lumen des Darmes aufgefunden wurde?*). Ebenso ist auch die beim Pferde in der Leibeshöhle und deren Divertikeln parasitierende Filaria equwina Abilg. von Rudolphi auch im Darme des Pferdes gefunden worden?°). Die Embryonen dieser beiden einander sehr nahestehenden Filariidenarten dringen normalerweise in die Blut- bahnen ihrer Wirtstiere ein. Wenigstens haben Wedl (1848) und Sonsino (1876) Filariidenlarven (Filaria.sanguinis equi) im Blute des Pferdes beobachtet, wobei Sonsino bei der Sektion eines Pferdes auch die Filariide selbst entdeckte. Deupser fand im Blute eines mit F. equina infizierten Pferdes Larven, welche mit frisch ausge- schlüpften Filariidenlarven große Ähnlichkeit besaßen (allein ım Mageninhalt und in der Blase fand der genannte Autor keine Spur von diesen Parasiten®®). Für F. labiato-papillosa konnte No& fast zweifellos feststellen, dass dieselbe die Fliege Stomoxys caleitrans zum Zwischenwirt hat. Die mit dem Blut des Hornviehs in den Darm der Fliege übergegangenen Filariidenlarven dringen durch die Darmwand in die Leibeshöhle der Fliege ein, hierauf in deren Kopf, wo sie zwischen dessen Muskeln ihre larvale Entwickelung 23) Railliet, A. Ibid. p. 533. 24) Diesing, ©. M. Systema helminthum. Vindobonae. Vol. II, 1851, pp: 272—274. — Cholodkovsky, N. Helminthologische Notizen. Arch. f. Bakter. u. Parasitenkunde, Bd. 18, 1893, pp- 11. 25) Vgl. Railliet, A. loc. eit., pp. 524—526. 26) Deupser, ©. Experimentelle Untersuchungen über die Lebensgeschichte der Filaria papillosa. Inaug,-Dissert. Breslau 1894. Vgl. Railliet, loc. eit, pp: 525—526. 402 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. beendigen und von hier endlich, bei neuen Stichen durch St. calei- trans, zweifellos in das Blut des Hornviehs gelangen ’?”). Wenn nun die hier erwähnten Filariiden im Darme ihrer Wirte angetroffen werden können, so liegt für dieselben — einerlei ob sie sich von allem Anfang an im Darme entwickelt haben oder aus der Leibeshöhle in denselben eingedrungen sind — doch die Mög- lichkeit vor, ihre Wirte durch den Mund dieser letzteren zu infi- zieren, und zwar direkt, wie dies bei Frlaria equina und F. labiato- papillosa der Fall sein kann, oder durch Vermittelung irgendwelcher anderer Tiere, was wahrscheinlich bei F. eygni zutrifft. Es wäre von Iuteresse, wenn Versuche auch in dieser Richtung angestellt werden würden. Von anderen Blutfilariiden, d.h. von solchen, deren Embryonen ım Blute ihrer Wirte herumschwimmen, können nachstehende Arten erwähnt werden: Filaria bankrofti Cobb., F. immitis Leidy, F. trieuspis Linst., F. attenuata Rud., F. loa u.a.m. Die Zwischen- wirte von F! bankrofti und immitis sind Mücken der Gattungen Anopheles und Culex, ın deren Körper die Filarienlarven gewisse Veränderungen durchmachen und schließlich in die Höhlung der Unterlippe (des Rüssels) eindringen?®). Es ıst von Interesse, dass für F. bankrofti noch eine andere Art der Infektion des Menschen durch dieselbe nachgewiesen worden ist. Die Larven dieser Filarie können zwar aus der Mücke auch direkt bei dem Stich ın das Blut des Menschen übergehen, allein sie können auch zuvor in (Gemüse und Obst übergehen, an welchen die Mücken ebenfalls saugen, und dann erst von hier aus (mit dem Gemüse oder dem Obst) in den Menschen, demnach auf dem Umwege über den Darm in die inneren Organe ?). Es drängt sich nun die Frage auf, wie die eben erwähnte Art der Infektion mit Blutfilaruden durch die Vermittlung von blut- saugenden Insekten zustande kommen konnte? Indem die Filariiden, welche in der Leibeshöhle oder in ver- schiedenen inneren Organen ihrer Wirtstiere unter den Vertebraten leben, anfänglich zweifellos Parasiten des Darmes waren, so müssen in den ersten Zeiten des Übergangs solcher Filariiden von Para- siten des Darmes zu Parasiten der Leibeshöhle u. s. w. sehr häufig Fälle eingetreten sein, wo ein und dieselbe Filariidenart sich bald im Darme, bald in anderen inneren Organen der Wirte entwickelte, 27) No®, G. Studi sul cieclo evolutivo della Frlaria labiato-papillosa Aldr. Rendic. Acad. Lincei. Vol. XII, Sem. 2, pp. 387—394. 28) Vgl. Braun, M. Die tierischen Parasiten des Menschen. 4. Aufl., 1908, pp- 295 ff. 29) Taniguchi, N. Beiträge zur biologischen und klinischen Forschung der Filaria bankrofti Cobb. Chiusei Tho. 1905 (Ref. v. K. Miura [Tokio]) im Centralbl. f. Bakt., Parasitenk. u. Inf., I. Abt., Refer., Bd. 37, 1906. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 403 wie wir dies auch heute noch bei Spiroptera sanguinolenta beobachten können. Es ist sogar sehr wohl möglich, dass in allem Anfang der Parasitismus in der Leibeshöhle oder in irgendwelchen inneren Organen eine nur zufällige Erscheinung war. In solchen Fällen ereignete es sich naturgemäß, dass die Brut dieser Filariiden ent- weder mit den Exkrementen nach außen gelangte, wenn sie im Darme des Wirtes abgelegt worden war, oder aber in das Blut dieser letzteren geriet, wenn sie in der Leibeshöhle und in anderen inneren Organen entstanden war. In den Blutbahnen konnten die Larven längere Zeit hindurch am Leben bleiben, als die in das Freie gelangte Brut. War nun in den ersten Zeiten die Infektion der Wirte durch deren Mund die mehr normale Erscheinung ge- wesen (mochte diese Infektion nun direkt oder durch Vermittlung von Zwischenwirten erfolgt sein), so konnten natürlich solche Fälle möglich sein, wo lange ım Blute ihrer Wirte verbliebene Filaruden- larven von blutsaugenden Insekten verschluckt wurden. Innerhalb dieser letzteren konnten sie nun ein verschiedenes Schicksal er- leiden: sie konnten verdaut oder mit den Exkrementen nach außen befördert werden, oder aber sie konnten ın die Leibeshöhle der Wirte eindringen. In letzterem Falle konnten die Larven auf ihren Wanderungen in der Leibeshöhle in die Unterlippe der Mücken gelangen, und von hier, wenn diese Insekten von neuem ver- schiedene Wirbeltiere stachen, ın das Blut dieser letzteren über- gehen. Diese zweite Art der Infektion bot den Filariiden sehr bedeu- tende Vorteile gegenüber der erstgenannten Art. Nachdem nämlich die Brut der Filarıiden in das Blut des Wirtstieres gelangt war, besaß sie die Möglichkeit, hier sehr lange Zeit hindurch am Leben zu bleiben, vielleicht selbst Jahre hindurch, während es für die ın das Freie gelangte Brut unbedingt nötig wurde, möglichst rasch in den definitiven oder den Zwischenwirt überzugehen, wobei eine Menge von Individuen, ohne ıhr Ziel zu erreichen, zugrunde ging. Hieraus ist schon leicht zu ersehen, woher die Infektionsweise durch blut- saugende Insekten aus einer ursprünglich nur zufälligen mit der Zeit zu einer gesetzmäßigen Erscheinung wurde. Konnte diese In- fektionsweise aber die anfänglich vorherrschende Infektion durch den Mund des Wirtes gänzlich verdrängen? Man wird offenbar annehmen müssen, dass, während ein Teil der Darmfilariiden aus dem Darme in andere innere Organe übergehen konnte, ein anderer Teil nicht zu einem solchen Übergang befähigt war und daher fortfuhr, sich auf die alte Weise fortzupflanzen, d. h. dass demnach auch hier wahrscheinlich nur von einer Spaltung von Formen (einer Divergenz von Merkmalen) die Rede sein konnte. Wir wollen nunmehr zu den Haematozoen unter den Protozoen übergehen, d. h. zu den Blutflagellaten (den Parasiten des Blut- 404 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. plasmas) und den Haemosporidien (den Parasiten der roten Blut- körperchen). Ohne allen Zweifel waren sowohl diese wie jene anfänglich Parasiten des Darmes derselben Wirte oder ihnen nahestehender Tiere. Was die Blutflagellaten betrifft, so wird deren Ursprung aus Darmparasitenformen schon einfach dadurch erwiesen, dass ın ein und denselben oder in einander nahestehenden Gattungen der- selben die einen Arten im Darme ihrer Wirte wohnen, andere da- gegen in dem Blutplasma. So lebt z. B. Trypanoplasma ventriculi Keysselitz (1905) im Darme von Cyelopterus lumpus, andere Arten der gleichen Gattung dagegen in der Blutflüssigkeit ihrer Wirte, u. zwar Tr. borreli Lav. et Mesn. im Blute der Karpfen und anderer Oypri- niden, Trypanosoma eberthi im Darme und namentlich in den Lieber- kühn’schen Drüsen von Vögeln, Tr. noetuae Gelli et San Felice dagegen im Blute der Eule (Schaudinn, 1904) u. s. w. Von großem Interesse ist die Angabe von Danilewsky bezüglich Hexa- mitus intestinalis Duj., wonach diese im Darme von Rana esculenta und Bufo vulgaris parasitierende Flagellate bei eintretenden Ver- schlechterungen der Ernährungsbedingungen ihres Wirtes in die Lymphe, das Blut, die Galle oder den Harn dieses letzteren über- geht und sich hier fortpflanzt. Doflein zweifelt zwar an der Richtigkeit dieser Angabe, allein die Befähigung der Blutflagellaten durch die Darmwandungen in das Blut überzugehen, steht gegen- ‚ärtig außer allem Zweifel (vgl. namentlich Jakimoffu.N. Schiller, 1907). Was dagegen die Haemosporidia betrifft, so gilt für sie die Angabe von Doflein: „Für sämtliche Formen ist jedoch festzu- stellen, dass sie eine nahe Verwandtschaft mit den Coceidien nicht verleugnen können. Man kann sie direkt als an den Blutpara- sitismus angepasste Coccidien bezeichnen ®®).“ Mit anderen Worten, die Vorfahren der Haemosporidien waren anfänglich eben- falls Parasiten des Darmes (d. h. des Darmepithels) ihrer Wirte und wurden erst im Laufe der Zeit zu Parasiten des Blutes. In jenen Zeiten, als die Haemosporidien und die Blutflagellaten noch Darmparasiten waren, erfolgte die Infektion ihrer Wirte ent- weder durch Zysten, wie dies auch jetzt noch bei den Darmflagellaten der Fall ist, oder aber durch Oozysten (wie bei den Coceidia) und zwar in gewissen Fällen unmittelbar, in anderen dagegen vielleicht auch durch Vermittlung von Zwischenwirten. Selbstverständlich konnte die Verwandlung der Darmparasiten in Parasiten des Blutes nicht plötzlich erfolgen, sondern sie trat allmählich ein, und dabei konnte dieser Übergang nur unter der Bedingung stattfinden, wenn die in das Blut gelangten Parasiten auf irgendeine Weise zur In- 30) Doflein, R. Die Protozoen als Parasiten und Krankheitserreger. Jena 1901, p. 121. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 405 fektion neuer Wirte führten. Dies konnte nun entweder auf die Weise der Fall sein, dass die Parasiten behufs Bildung der Zysten oder Oozysten wiederum durch die Wandungen des Darmes in dessen Höhlung übergingen, oder aber die Infektion erfolgte durch Vermittlung verschiedener blutsaugender Arthropoden und Hiru- dineen. Allein die Infektion durch blutsaugende Tiere bietet den Blutparasiten unleugbare Vorteile vor der Infektion (in Gestalt von Zysten oder Oozysten) durch den Mund und den Verdauungstraktus des Wirtes. Der Übergang der Darmparasiten zum Parasitismus im Blute erfolgte demnach gleichzeitig mit dem Auftreten einer neuen Infektionsweise durch blutsaugende Tiere. Man wird sich aber diesen Vorgang nicht etwa so vorstellen dürfen, als ob eine Art von Darmflagellaten mit der Zeit in der Gesamtheit ihrer Indi- viduen zum Blutparasitismus übergegangen wäre. Im gegebenen Falle hat vielmehr, wie auch in vielen anderen Fällen, eine Spaltung der ursprünglichen Form in zwei neue Formen stattgefunden: einige Individuen bewahrten die Fähigkeit, durch die Darmwandung in das Blut überzugehen, andere besaßen diese Fähigkeit nicht mehr, so dass schließlich im Darme noch eine Form von Individuen zu- rückbleiben konnte, welche gar nicht mehr fähig war, durch die Darmwandung in das Blut des Wirtstieres überzugehen. Gegenwärtig ist die Infektionsweise schon für eine genügende Zahl von Blutparasiten (Trypanosoma, Trypanoplasma) festgestellt worden, wobei nachstehende Tiere als Zwischenwirte funktionieren: bei den Parasiten warmblütiger Tiere die blutsaugenden Insekten Glossina morsitans und @l. pallidipes (für Trypanosoma brucei und Tr. gambiense, vgl. Braun), Stomoxys caleitrans und Tabanus sp. (für Tr. evansi), Haemotopinus spinulosus und verschiedene Apha- nipteren (für 7r. lewisi), bei den in Fischen parasitierenden Flagel- laten dagegen — Hirudineen (Hemiclespis marginata, Piscicola)®!). Dafür, ob in gegenwärtiger Zeit bei irgendwelchen Blutflagel- laten eine Infektionsweise vermittels Zysten existiert, wobei letztere mit den Exkrementen des Wirtes nach außen befördert werden, liegen einstweilen keine Beweise vor. Doch verdient schon der Umstand großes Interesse, dass wenigstens einige Arten von Fla- gellaten die Fähigkeit besitzen, die entsprechenden Wirte durch die Wandungen ihres Darmes zu infizieren, wenn an diese Wirte 31) Laveran, A. et Mesnil, F. Trypanosomes et trypanosomiases. - Paris 1904. — Schaudinn, Fr. Generations- und Wirtswechsel bei Trypanosoma und Spirochaete. Arb. a. d. Kaiserl. Gesundheitsamte. Bd. 20, H. 3, 1904. — Pro- wazek, S. Studien über Säugetiertrypanosomen. Ibid. Bd. 22, H. 2, 1905. — Keysselitz, G. Generations- und Wirtswechsel von T’rypanoplasma borreli Laver. et Mesn. Berlin (Dissert.) 1905. — Brumpt, E. Trypanosomes et trypanosomose. Rev. scient., Ser. 5, T. IV, 1905, pp. 321—333. — Braun, M. Die tierischen Parasiten des Menschen. 4. Aufl., 1908, pp. 61—89. 406 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. weiche und zerkleinerte Teile von Organen mit Trypanosomen infi- zierter Tiere verfüttert werden, wie dies durch die Versuche von W. Jakimoff und N. Schiller an Trypanosoma lewisi, Tr. brucei u. a. m. nachgewiesen worden ist®?). Gleiche Resultate wird man auch ın auf die Blutflagellaten der Fische erwarten können. Für die Bätien. welche die ihrer Artgenossen fressen, kann die Infektion mit Trypanosomiase durch den Darm sogar eine be- trächtliche Rolle neben der Infektion durch Flöhe oder Läuse spielen. Jedenfalls kann die Fähigkeit der Trypanosomen, durch die Darm- wandungen in das Blut ihrer Wirte einzudringen, als ein Hinweis auf die ursprünglichen Verhältnisse dienen, wo die betreffenden Flagellaten noch die Fähigkeit besaßen, sowohl im Darm ıhrer Wirte als auch in deren Blutplasma zu leben und sich fortzupflanzen. Die gleiche Entstehungsweise der Infektion vermittels blut- saugender Tiere werden wir auch für die Haemosporidia annehmen müssen. Besonderes Interesse für die Aufklärung dieser Entstehungs- weise verdienen die Untersuchungen von R. Hinze, eines Schülers von Fr. Schaudinn, über Lankesterella minima Chaussat (= Dre- panidium ranarım Lankester), eines Parasiten der roten Blut- körperchen des Frosches, Rana esculenta°?). Die Parasiten entwickeln sich in den roten Blutkörperchen des Frosches, werden indessen später häufig in dem Blutplasma oder in den Zellen der Milz, des Darmes u. s. w. angetroffen. Zuerst runden sich die anfangs sichelförmigen Haemosporidien ab (Schi- zontenstadium), ihr Kern teilt sich und der Schizont zerfällt in eine verschiedene Anzahl von Teilstücken, die Merozoite, welche mit dem Blute zerstreut werden und einen neuen Entwickelungszyklus beginnen u. s. w. Allein im Körper der Frösche „kommt neben der Schizogonie, der ungeschlechtlichen Vermehrung, auch bei Lankasterella eine zweite Art der Vermehrung vor, die den Zweck hat, die Haemosporidie auf andere, bis dahin nicht infizierte Frösche zu übertragen“. Einige Merozoite wachsen zu Makrogameten aus, andere dagegen verwandeln sich zu Mikrogametozyten, aus denen nach multipler Teilung des Kernes und Zerfall des Körpers die Mikrogameten hervorgehen. Diese letzteren kopulieren mit den Makrogameten. Die befruchtete Gamete, die „Kopula* des Autors, verlässt das Blut, dringt in eine Darmepithelzelle ein, umgibt sich hier mit einer Membran (Oozyste), innerhalb welcher sie in Sporo- zoite zerfällt (Schizogonie) und mit dem Darminhalt des Minzene ihren früheren Wirt verlässt. 32) Jakimoff, W. L. u. Schiller, N. Zur Trypanosomeninfektion durch die Schleimhaut des Verdauungstraktes. Centralbl. f. Bakter., Parasitenk. u. In- fektionskrankh., I. Abt. Orig., Bd. 43, 1907, p. 694— 702. 33) Hinze, R. Lebensweise und Entwickelung von Lankasterella minima (Chaussat). Zool. Jahrb. Anat. Abt., Bd. 15, 1902, pp. 693—730. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 407 Die Schizogonie erfolgt demnach bei Zankasterella neben der Sporogonie, wie dies auch bei den in Darmepithelzellen verschie- dener Tiere (bei einigen Insekten auch in der Leibeshöhle) para- sitierender Coiceidia der Fall ist. Das Füttern von dritten Fröschen mit der Milz, Leber und dem größten Teil des Darmes eines infizierten Frosches führte zu deren Infektion mit der Haemosporidie, während das Füttern eines besonderen Frosches mit den Muskeln keine Infektion zur Folge hatte. In dem zum Füttern verwendeten Froschdarm hatten sich bei der vorangegangenen Untersuchung Oozysten der Haemosporidien erwiesen. Es erscheint daher sehr wahrscheinlich, dass es gerade diese Oozysten mit den darin enthaltenen Sporozoiten gewesen sind, durch welche die Infektion der Frösche erfolgt war. Ist dem aber so, dann erfolgt die Infektion auch im der Natur wenigstens teil- weise durch Oozysten. Es muss bemerkt werden, dass bei ganz jungen Fröschen keine Haemosporidien beobachtet worden sind. Es ist sehr wohl möglich, dass bei Lankasterella minima auch noch andere Infektionsweisen vorkommen, nämlich durch Vermitt- lung von Blutegeln, wie dies später auch für die Haemosporidien der Schildkröten nachgewiesen worden ist. Wenn aber Schaudinn darauf (1903) nur diese zweite Infektionsweise für die Haemo- sporidien des Frosches zuzulassen begann, annehmend, dass Hinze bezüglich der Darmzysten bei dem Frosche in einen Irrtum ver- fallen war, so ist ein derartiges aprioristisches Leugnen der direkten Infektion des Frosches mit Haemosporidien natürlich durchaus un- begründet, indem auf Grund des von. uns dargelegten Gesichts- punktes bei beliebigen Haemosporidien im Gegenteil das Vorhanden- sein von zweierlei Art und Weise der Infektion ihrer Wirte angenommen werden muss. Jedenfalls wird durch die Versuche von Hinze unzweifelhaft nachgewiesen, dass L. minima, sei es in Gestalt von Sporozoiten oder aber in Gestalt von Merozoiten, durch die Darmwandungen des Wirtes in dessen Blut gelangen kann. Gibt man aber zu, dass die Frösche sich direkt mit den Oozysten von Lankasterella infizieren können, so werden sich auch Fälle von Infektion durch Vermittlung irgendwelcher kleiner Tiere, welche den Fröschen zur Nahrung dienen, als möglich erweisen können. Die Infektion der Schildkröte Emys hıtaria mit der Haemo- sporidie Haemogregarina stepanowi erfolgt durch Vermittlung von Blutegeln, welche diese Schildkröte angreifen. In dem Darme dieser Blutegel verwandeln sich die schlangenförmigen Haemosporidien teils ın Makro-, teils m Mikrogameten und hier findet auch die Kopulation statt; sodann dringen die Produkte der Befruchtung, die Ookineten, in die Bluträume ein, welche die Darmdivertikel der Blutegel umgeben, hierauf in das Herz und schließlich in die Zellen der sogen. Pharyngealdrüsen, welche gleich hinter dem Rüssel 408 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. in einer gemeinsamen Öffnung nach außen münden. Gleichzeitig hier- mit erfolgt die allmähliche Verwandlung der Ookineten in Sporo- zoitoblasten. Die reifen Sporozoite werden frei und dringen in das Lumen der Drüse ein, von wo sie bei einem neuen Angriff des Blutegels auf eine Schildkröte in das Blut dieser letzteren übergehen. Von Interesse ıst auch noch der Umstand, dass die Sporozoiten auch in den Speicheldrüsen noch unreifer, sich von Dotter ernähren- den Blutegelembryonen aufgefunden wurden; es kann demnach außer den Blutegeln, welche das Blut mfizierter Schildkröten ge- trunken haben, auch noch deren Brut zur Infektion von Schild- kröten dienen). Die Haemosporidien der Eidechsen infizieren ihre Wirte nach den Beobachtungen von Schaudinn durch Vermittlung der Larven von Ixodes rieinus, in deren Darm die Kopulation zwischen den Mikro- und Makrogameten sowie die Bildung der Ookineten vor sich geht. Dabei fand Schaudinn, „dass die Übertragung sowohl durch dieselbe Generation der sich infizierenden Zeckenlarven er- folgen kann, als durch ihre Tochtergeneration“ ®). Ähnliche Be- obachtungen wurden später (1906) von R. Koch auch für Piro- plasma Koch mitgeteilt, einen Parasiten der roten Blutkörperchen des Hornviehs, der Pferde und der Hunde in heißen und zum Teil auch in warmen Landstrichen; für diesen Parasiten dienen eben- falls Zecken als Zwischenwirte. Proteosoma (oder Haemoproteus) danilewskyi Kruse endlich ®®), ein Parasit der roten Blutkörperchen verschiedener Vögel, hat zum Zwischenwirt die Mücken der Gattung Ouler, während den Arten der Gattung Plasmodium, Parasiten der roten Blutkörperchen des Menschen, vorzugsweise die Gattung Anopheles®”) als Zwischen- wirt dient. Einige Autoren bezeichnen die blutsaugenden Insekten irrtüm- licherweise als die eigentlichen Wirte der Blutflagellaten und der Haemosporidien, weil in dem Darme dieser Wirte die Bildung der geschlechtlichen Individuen und deren Kopulation vor sich geht, 34) Siegel. Die geschlechtliche Entwickelung von Haemogregarina stepanowi im Rüsselegel Placobdella catenigera (vorl. Mitt). Arch. f. Protistenk., 2. Bd., 1903, pp. 339—-342. 35) Schaudinn, Fr. Anm. auf S. 340 des Arch. f. Protistenk. 2. Bd. 36) Doflein, Fr. Die Protozoen als Parasiten ete. 1901, pp. 150—158. — Koch, R. Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Piroplasmen. Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh., Bd. 44, 1906. — Braun, M. Die tierischen Parasiten. 4. Aufl., 1908, pp. 110—132 und andere Autoren. 37) Vgl. Doflein, F. Die Protozoen als Parasiten etc. 1901, pp. 241—249. — Braun,M. Die tierischen Parasiten des Menschen. 4. Aufl., 1908, pp. 116—131. — Grassi, B. Die Malaria-Studien eines Zoologen. 2. Aufl., Jena 1901. — Schaudinn, Fr. Studien über krankheitserregende Protozoen. II. Plasmodium vivax. Arb. a. d. Kais. Gesundheitsamte Berlin. Bd. 19, 1902, pp. 169—250 und andere Autoren. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 409 verschiedene Wirbeltiere dagegen als deren Zwischenwirte. Allein dies ist schon eine spätere Erscheinung. Als die Vorfahren dieser Blutparasiten noch Parasiten des Darmes waren, so erfolgte die Bildung von geschlechtlichen Individuen sowie die Kopulation ım Darme der Wirbeltiere, worauf die von einer Zyste umschlossenen „Copulae“ (die Zysten der Flagellaten und die Ooczysten der Coc- cidien) mit den Exkrementen der Wirte nach außen geschafft wurden. Als jedoch diese Parasiten zum Teil auch zu Blutparasiten ge- worden waren, so konnten sie sich im Blute nur auf ungeschlecht- liche Weise fortpflanzen, während zur Zeit der geschlechtlichen Fortpflanzung einige der Blutindividuen wieder in den Darm des Wirtes eindringen mussten. Bei Lankasterella minima sind dies bewegliche „Copulae* (Ookyneten), welche sich hauptsächlich in dem Darmepithel mit einer Zyste umhüllen und erst dann nach außen geschafft werden. Von verschiedenen blutsaugenden Tieren konnten mit anderen auch derartige Stadien der Parasiten zufälliger- weise verschluckt werden, welche im Darme dieser Tiere zur ge- schlechtlichen Fortpflanzung und zur Bildung von „Uopulae* ge- langten; allein diese letzteren hörten mit der Zeit auf, sich hier mit Zysten zu umhüllen und wurden somit zu sogen. Ookyneten. Die geschlechtliche Fortpflanzung der Blutparasiten wurde auf diese Weise aus dem Darme von Wirbeltieren in den Darın blutsaugerder Tiere übertragen, d. h in den Darm provisorischer Wirte. Trematoden und Cestoden. Die größten Schwierigkeiten für das richtige Verständnis ihres Entstehungsganges bieten zweifelsohne die jetzt geltenden Verhält- nisse bei den entoparasitischen Trematoden. Die in der Jetztzeit vorliegenden Verhältnisse bei den ento- parasitischen Trematodes, mit deren zwei aufeinanderfolgenden Zwischenwirten und dem Generationswechsel (Heterogonie), welch letzterer im gegebenen Falle mit dem Wirtswechsel im Zusammen- hang steht, bieten zweifellos die größten Schwierigkeiten für eine richtige Auffassung derselben und für die Beantwortung der Frage über die Wege und die Ursachen ihrer Entstehung. Bei der Beantwortung der Frage von dem Ursprung der gegen- wärtigen Verhältnisse bei den entoparasitischen Trematoden werden wir von dem nicht anzuzweifelnden Satze ausgehen müssen, dass die Trematodes in innigster Verwandtschaft mit den Turbellaria stehen und zwar als Turbellaria anzusehen sind, welche entsprechend den Bedingungen des parasitischen Lebens gewisse Veränderungen erlitten haben. Auch die jetzt lebenden Rhabdocoelen und Trieladen haben eine gewisse Anzahl parasitischer Formen entstehen lassen, und zwar sowohl Ektoparasiten als auch Entoparasiten (letztere sind bıs 440 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. jetzt nur unter den Rhabdocoela bekannt)3®). Und bereits bei diesen parasitischen Turbellarien finden wir einige mehr oder weniger an- gedeutete oder ausgesprochene Merkmale der Trematoden: die Bildung von Saugnäpfen, den Verlust des Wimpernkleides, die Ver- lagerung des Pharynx nach dem vorderen Körperende. Bei den rezenten Trematoden hat sich die ventrale Lage des Mundes nur bei Gasterostomum v. Sieb. erhalten°?). Der Entoparasitismus entwickelte sich bei den Trematoden in den meisten Fällen aus dem Ektoparasitismus, nicht aber unmittelbar aus dem freilebenden Zustande. Zugunsten dieser Annahme spricht u. a. schon die Erhaltung der Filamente der Eier bei vielen ento- parasitischen Trematoden u. a. m. Wir müssen uns dabei aber gänzlich von dem Prinzip lossagen, welches von van Beneden der Einteilung der Trematodes in die Monogenea‘ und die Digenea zugrunde gelegt worden ist*°), d. h. je nachdem, ob die betreffen- den Trematoden sich direkt, ohne Generationswechsel, oder mit einem solchen entwickeln; denn der Parasitismus der Trema- toden musste, wie wir später sehen werden, notwendigerweise zu einer komplizierteren Entwickelungsweise mit Wirtswechsel und (Generationswechsel (Heterogonie) führen, und zwar unabhängig von ihrem Ursprunge, einerlei ob sie von den Trielada oder den Rhab- docoela abstammen !'). Berücksichtigt man, dass freibewegliche ektoparasitische Trema- toden bei sich dazu bietender Gelegenheit sehr leicht von einem Wirte auf einen anderen übergehen können — und dass unter den Vertebraten ursprünglich nur die Fische solche Wirte abgaben — so liegt es auf der Hand, dass die anfänglich freischwimmenden Larven ihre frühere Bedeutung als Verbreiter der Spezies eingebüßt haben. Bei diesen neuen Bedingungen des Lebens erwies es sich sogar als vorteilhaft, eine wenn auch quantitativ geringe, aber von vornherein zum selb- ständigen parasitischen Leben befähigte Nachkommenschaft hervor- 38) Braun, M. Über parasitische Strudelwürmer. Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenk., Bd. 2, 1887, pp. 452, 478; Bd. 5, 1889, p. 41. — Graff, L. von. Die Turbellarien als Parasiten und Wirte. Graz 1903 (Autoreferat im Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenk. u. Inf., I., Ref., Bd. 34, 1904, pp. 456-460). 39) Vgl. Ziegler, Ernst. Bucephalus und Gasterostomum. Zeitsch. f. wiss. Zool., Bd. 43, 1883, pp. 538—571. 40) In ähnlichem Sinne spricht sich u.a. auch Monticelli aus (Cotylogaster Michaelis n. g. n. sp. e Revisione degli Aspidobothridae. Festschr. z. 70. Geburts- tage Leuckart’s, 1892, pp. 168—214). 41) Von bedeutendem Interesse ist die von Th. Odner beschriebene ekto- parasitische Trematode Aporocotyle simplex (auf den Kiemen von Pleuronectes limanda und Pl. flesus), welche durch ihre unpaare Öffnung der Exkretionsorgane und die Ausführgänge ihrer Geschlechtsorgane an die sogen. Digenea erinnert. Vgl. Aporoecotyle simplex n.g. n.sp., ein neuer Typus von ektoparasitischen Trematoden. Centralbl. f. Bakt., Par. u. Inf., I., Bd. 27, Orig., 1900, pp. 62—66. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. A141 zubringen; auf diese Weise hat auch das Wimpernkleid der das Ei verlassenden Brut seine Bedeutung fast vollständig eingebüßt und ist nur bei einigen wenigen Arten, wie z. B. bei Diploxoon para- doxum erhalten geblieben und auch das nur ın unvollständigem Grade. Die Eier wurden am Wohnort der erwachsenen Individuen abgelegt und vermittelst der sogen. Filamente (Fortsätze der ver- schmälerten Eienden) am Körper der Wirtstiere befestigt, worauf aus diesen Eiern eine in der Entwickelung ziemlich weit fortge- schrittene, zum parasitischen Leben fast völlig angepasste Brut hervorging. (Ganz besonderes Interesse verdient der Umstand, dass einige ursprünglich zweifellos ektoparasitische Formen mit der Zeit zu Entoparasiten wurden, wobei sie jedoch stark entwickelte Anheftungs- organe oder andere Organe beibehielten, deren die Entoparasiten schon nicht mehr in gleichem Maße bedürfen. So ist z. B. die Gattung Polystomum Zeder fast durchwegs zur entoparasitischen Lebensweise übergegangen, obgleich andere Gattungen der gleichen Familie der Polystomidae van Beneden auf den Kiemen von See- fischen leben — nur Sphyranoura olseri Wr. auf der Haut und in der Mundhöhle von Necturus (Menobranchus) lateralis (Amerika)*?). Indem die Gattung Polystomum zum Entoparasitismus überging, veränderte sie sich im allgemeinen nur sehr wenig. Allein die Ent- wickelung und die Infektionsweise ist leider nur für P. integerrimum aus der Harnblase junger Frösche festgestellt worden '*). .Dieser Parasit legt seine Eier im Frühjahre unmittelbar in das Wasser ab, ohne seinen Wohnort zu verlassen. Die Eier sinken auf den Boden nieder und nach einigen Wochen schlüpfen aus ihnen bereits weit vorgeschrittene, mit Wimpern und einer Saugscheibe am hinteren Körperende ausgerüstete Larven (von 0,30 mm Länge) aus, wobei die Saugscheibe jedoch noch nicht mit Saugnäpfen versehen ist. Im Wasser herumschwimmend, suchen diese Larven die Kaulquappen auf, durch deren Kiemenöffnung sie in das Innere der Kiemenhöhle gelangen. Hier wachsen sie noch ein wenig, wobei sie einige weitere Veränderungen ihres Baues erleiden und wandern dann (zur Zeit der Verwandlung der Kaulquappe zum Frosche) in Gestalt von Jungen Trematoden längs des Darmes in die Blase des Frosches. Augenscheinlich gibt es keine andere regelmäßige Art der Infektion der Frösche durch die Trematoden, indem andernfalls der Aufent- haltsort von P. integerrimum nicht vorzugsweise auf die jungen Frösche beschränkt wäre. Allein ausnahmsweise kann vielleicht auch eine andere Infektionsweise vorkommen. Was die übrigen Arten 42) Vgl. Braun, M. in Bronn’s Klass. u. Ordn. IV, Bd. 1, Abt. a. 43) Zeller, E. Untersuchungen über die Entwickelung ete. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 22, 1872, pp. 1—28. — Weiterer Beitrag: Ibid., Bd. 27, 1876, p. 238. XXIX. 26 412 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. der Gattung Polystomum betrifft, welche in dem Schlunde und der Nasenhöhle, aber auch in der Harnblase (P. oblongum) von Schild- kröten schmarotzen, so wird man in deren Entwickelung ganz natur- gemäß das Auftreten von Zwischenwirten erwarten können, wenn auch nur von zufälligen. Von der Gattung Aspidogaster v. Baer parasitiert A. conchicola v. Baer in dem rotbraunen Organ, der Perikardialhöhle und den Nieren der Unioniden. Die Entwickelung ist eine direkte **). A. limacoides Dies. lebt ım Darme von Idus melanotus und von Squalius dobula, — doch hat die Entwickelung und die Infektions- weise für diese Art leider noch nicht festgestellt werden können, was sich auch auf die übrigen Aspidobothridae bezieht, die im Darme resp. in der Gallenblase von Seefischen sowie im Darme von Schild- kröten schmarotzen *). Doch wird man bei diesen letzteren auch einen Wirtswechsel erwarten können. Die Brut der Darmparasiten von Wassertieren wird über haupt wohl kaum in Gestalt von zum Boden sinkenden Eiern in den Darm ihrer im Wasser schwimmenden Wirte gelangen können; eine Ausnahme machen vielleicht diejenigen Wirtstiere, welche ihre Nahrung eben ım Schlamme aufsuchen. - Normaler- weise kann die Brut nur in Gestalt von frei im Wasser schwimmen- den Larven in ihre Wirte (definitive und Zwischenwirte) gelangen und zwar passiv, indem sie hauptsächlich von kleineren Tieren als Beute erhascht wird, oder aber aktiv, indem sie selbständig ihre Wirte aufsucht und durch den Mund oder das Körperintegument in deren Inneres gelangt. Aus eben diesem Grunde mussten sich aus den in das Wasser gelangten Eiern die entoparasitischen Trema- toden schwimmende Larven (resp. junge Individuen) entwickeln und zwar mussten die Larven von Anfang an von ziemlicher Größe sein und dabei selbständig die betreffenden Wirtstiere aufsuchen können, wie dies z. B. bei den Larven von P. integerrimum der Fall ist. In Anbetracht des Umstandes, dass die Fische, diese ursprüng- lieh vielleicht einzigen Wirte der entoparasitischen Trematoden, sich entweder ausschließlich von anderen Tieren nähren (z. B. von Mollusken, Arthropoden, Würmern) **), von den Raubfischen gar nicht zu reden, oder aber neben vegetabilischer Nahrung auch noch gewisse Tiere verzehren, seltener von letzteren allein leben, kann es fast f 44) Voelzkow, A. Aspidogaster comchicola. In.-Diss. Wiesbaden 1888, pp. 32—34. 45) Monticelli, S. Cotylogaster Michaelis n. g. n. sp. Festschr. z. 70. Ge- burtstage R. Leuckart’s. 1892, pp. 168—214. 46) Vgl. z. B. Susta, J. Die Ernährung des Karpfens und seiner Teich- genossen. 2. Aufl., 1905. — Brehm’s Tierleben. Bd. VIII. — Sabanejev. Die Fische Russlands. 2. Aufl. (russisch). Moskau 1892 u. a. m. Becher, Die ‚Hörbläschen‘ der Leptosynapta bergensis. 413 keinem Zweifel unterliegen, dass bei den entoparasitischen Trema- toden schon vom ersten Auftreten dieser Parasiten angefangen, bereits zwei Arten der Infektion ihrer Wirte nebeneinander vor- kamen: eine direkte Infektion durch die Trematodenlarven und eine Infektion durch Vermittlung verschiedener provisorischer Wirte, d. h. von Tieren, die den definitiven Wirten zur Nahrung dienen. Ebenso wie in anderen Fällen, von denen oben die Rede war, hat sich auch hier von diesen beiden ursprünglichen Arten der In- fektion mit der Zeit die zweite Art, d. h. die Infektion durch Ver- mittlung provisorischer Wirte, festgelegt, welche die Parasiten mit größerer Sicherheit zu ihrem Ziele führt. (Fortsetzung folgt.) Die „Hörbläschen“ der Leptosynapta bergensis. Ein Beitrag zur Kenntnis der statischen Organe. Von Dr. Siegfried Becher, Privatdozent an der Universität Gießen. Seit der Zeit, als Johannes Müller (1850 und 1852) zum ersten Male von Synaptidenlarven die „Bläschen mit zitternden Doppelkörnern“ beschrieb, sind diese Organe vielfach Gegenstand der Untersuchung gewesen. Thomson (1562) beobachtete dieselben an Jugendstadien der Leptosynapta inhaerens, Keferstein — dessen Beobachtung jedoch von allen Forschern unberücksichtigt blieb sah diese Organe (wenigstens ein Paar) bei Ahabdomolgus ruber (1862) und zwar am ausgewachsenen Tiere. Auch die „Kalkkonkretionen“ im Innern dieser Otolithenblasen waren ıhm nicht entgangen. Dem- gegenüber konnten eine ganze Reihe anderer Forscher bei er- wachsenen Tieren keinen Inhalt ın den Bläschen finden, so Baur (1864), dem zu Ehren die in Rede stehenden Organe auch als Baur’sche Bläschen bezeichnet werden, so Theel, Danielssen und Koren und Hamann. Da auch das Vorhandensein einer nervösen Verbindung mit den Radıiärnerven beim erwachsenen Tier in Abrede gestellt wurde, so schien Hamann’s Ansicht (1584, S. 24), der die Bläschen als Larvenorgane erklärte, wohlbegründet. In- dessen hatten inzwischen Theel und Danielssen und Koren an Tiefseeholothurien die Organe wiedergefunden und hier auch bei erwachsenen Tieren eine Menge (bis über 100) fester Otolithen an- getroffen. R. Semon (1837, 2) fand dann die Inhaltskörper auch bei den Synaptiden, bei denen ihr Fehlen so bestimmt in Abrede gestellt worden war. Ihre Identität mit Joh. Müller’s Doppel- körnern erklärte er dadurch in befriedigender Weise, dass er zeigte, dass die Inhaltskörper Zellen sind, deren Plasma durch einen Ein- schluss zu einer dünnwandigen Hohlkugel aufgetrieben ist. So lange der Einschluss bei Larven noch klein ist, liegt er neben dem runden 26* 414 Becher, Die „Hörbläschen‘“‘ der Leptosynapta bergensıis. Kern und bildet mit ihm zusammen das Doppelkorn. Später wird der Kern durch das starke Wachstum des Einschlusses platt ge- drückt und liegt dann in dem dicksten Teile der Plasmahaut der Zelle als flaches Scheibchen. Der Einschluss der Zelle soll nach Semon flüssig sein. Derselbe Autor zeigte auch, dass die vermisste nervöse Verbindung mit dem Radiärnerven doch vorhanden sei und begründete so im wesentlichen die Ansicht, die sich in der Folge- zeit immer wieder bestätigt hat. Die Hörbläschen der Synaptiden liegen immer nahe dem Ur- sprung der fünf Radialnerven aus dem Nervenring und zwar immer zu zweien, an jeder Seite des Nervenstammes eins (s. Fig. 1). In Fig. 1. Umrisse eines radialen (durchlochten) Kalkring- gliedes, des durchtretenden Radiärnerven und der die- sem ansitzenden zwei Stato- zysten. Mit dem Zeichen- apparat nach dem Leben gezeichnet. Zeiß, Obj. cc, Ocul. 1, Vergr.. 112. eleicher Lage wurden diese Organe bei allen darauf untersuchten Synaptiden gefunden, so dass man ihr allgemeines Vorkommen in dieser Gruppe von Holothurien mit großer Wahrscheinlichkeit an- nehmen kann. Von dem histologische Bau mag an dieser Stelle nur noch erwähnt werden, dass die Wand des Bläschens aus einer einfachen Lage kubischer Zellen gebildet wird, die an der dem Nerv zugekehrten Stelle etwas höher sind. Außen legt sich eine dünne Lamelle wahrscheinlich bindegewebigen Ursprungs an. — Lange Zeit hindurch hat man die Baur’schen Bläschen als Gehörorgane, als Otozysten angesehen. Wenn diese Ansicht auch nicht ganz widerspruchslos geblieben war, so schien sie doch die nächstliegende Annahme zu sein. Für Semon, der die Funktions- Becher, Die „Hörbläschen“ der Leptosynapta bergensis. 445 fähigkeit der Organe beim fertigen Tier dargetan hatte, musste auch die Frage nach dem Zweck derselben an Interesse gewinnen. Er bestätigte aber (1887, 1, p. 286) die Beobachtung von Quatrefages, dass die Tiere für gewöhnliche Töne taub sind; d. h. wenigstens nicht darauf reagieren. Daraus folgt jedoch nicht, dass sie nicht möglicherweise dazu da sind, „andersartige Schwingungen zu per- zipieren“ (l. e.). Die Synapten sind z. B. für Erschütterungen außerordentlich empfindlich und vielleicht könnten die Baur’schen Bläschen dazu da sein, diese Erschütterungen wahrzunehmen (l. c.). In seiner zweiten Mitteilung (1887,2) beschränkt sich Semon auf den Hinweis, dass die Besonderheiten der Synapta-Otozysten (keine langen Sinneshaare, nicht kristallinische Einschlusskörner) wohl auf eine Besonderheit der Funktion gegenüber den entsprechenden Organen anderer Tiergruppen hinwiesen, dass aber ja auch bei diesen die Funktion meist sehr dunkel sei. Gerade in den 80er Jahren begann sich nun die Ansicht von einer statischen Funktion der Gehörbläschen anderer Tiergruppen Bahn zu brechen. In dem Sinnesorgan am oberen Pol der Üteno- phoren hatte man ein solches statisches, die Bewegungen regelndes Organ kennen gelernt; der neue Gesichtspunkt wurde ebenso auf andere mit „Hörbläschen“ versehene Tiergruppen ausgedehnt und gab Anlass zu entscheidenden und hochinteressanten Experimenten. In demselben Jahre wie Semon’s Mitteilungen über die Baur- schen Bläschen der Synaptiden erschienen Delage’s Untersuchungen „Sur une fonction nouvelle des otocystes comme organes d’orien- tation locomotrice“ (1887) und bald wurden die hier mit dem Experi- ment belegten Anschauungen auch von einem französischen Forscher auf die Hörbläschen der Synaptiden ausgedehnt: nämlich von L. Cuenot im Jahre 1891. Cu6not konnte diese Ansicht (s. 1891, p. 506) um so mehr vertreten, als er selbst der Meinung war, dass der Einschluss der Inhaltszellen ein fester mineralischer seı (l. c., p. 499). Solche schwere, immer an die unterste Stelle der Blase sinkende Inhaltskörper mussten der Hypothese einer statischen Funktion natürlich weit günstiger sein als die flottierenden Zellen mit Fiüssigkeitsvakuolen, wie sie Semon beschrieb. Weitere Aufklärungen über die Funktion der „Hörbläschen“ verdanken wir H. L. Clark. Schon in seiner Abhandlung über Synaptula hydriformis (Synapta vivipara) (1898, S. 78) sprach dieser Forscher die Ansicht aus, dass es sich in den Baur’schen Bläschen um Organe handelt, die den Zweck hätten, die Lage des Tieres anzuzeigen. Damals glaubte er annehmen zu müssen, dass die Inhaltszellen mit ihrem flüssigen Finschluss in der Flüssigkeit der Blase schwämmen und stets die höchste Stelle einnähmen. Bei einer Lagenänderung wechselt die höchste Stelle und demnach auch der Reiz, den die Inhaltszelle auf die Bläschenwand ausübt. Die 416 Becher, Die „Hörbläschen“ von Leptosynapta bergensis. Reizänderung kann dem Tier also die Lageänderung anzeigen. Von dieser Erklärung ist die Annahme eines Schwimmens und Nach- obensteigens zu verwerfen (oder sicherlich nicht allgemeingültig). Die statische Funktion der Organe aber hat Clark bald darauf (1899) experimentell bestätigt. Damit war an Stelle der Hypothese der Beweis getreten. — Ich stellte meine Beobachtungen an Leptosynapta bergensis an. Diese neue von Ostergren aufgestellte Art gehört auch zur deutschen Meeresfauna: sie kommt ın Helgoland vor. Die dort vor etwa 2 Jahren zuerst gefischten Tiere wurden von mir als Leptosynapta bergensis bestimmt. Die neue Art ist früher von der ähnlichen Leptosynapta inhaerens nicht unterschieden worden, doch scheinen mir schon die „Hörbläschen“ ein Unterscheidungsmerkmal an die Hand zu geben. Während bei der meist untersuchten Leptosynapta inhaerens nur ein!) (s. z. B. Becher, 1906, Fig. 3) oder (wie ich an Schnittpräparaten sehe) auch wohl zwei Inhaltskörper vorkommen, sind dieselben in den Bläschen der L. bergensis sehr zahlreich — ich zählte z. B. zuweilen 20. Jedenfalls ist die einmal aufgetauchte Vermutung, dass alle Synaptiden nur einen Inhaltskörper in jeder Statozyste besäßen, sicher unrichtig. Auch bei Rhabdomolgus (1907) und L. minuta Becher fand ich zahlreiche Inhaltszellen, so dass in dieser Hinsicht kein Unterschied gegenüber den Statozysten der Elpididen besteht. Aber die große Zahl der Inhaltskörper war es nicht, auf die ich durch diese Mitteilung im besonderen das Interesse lenken wollte. Was mich bei der Beobachtung der statischen Organe von L. ber- gensis besonders fesselte, war der Umstand, dass dieselben zweierlei Arten von Statouthen besitzen. Als ich vor 2 Jahren lebende Tiere dieser Art untersuchte, hatte ich bereits in einem Hörbläschen neben vielen kleinen einen außerordentlich großen Inhaltskörper gesehen. Da es mir damals jedoch nur gelungen war, eines der zehn Organe der Synapta unter dem Kompressorium deutlich zu sehen, so konnte ich die Möglichkeit, dass es sich hier um ein anormal vergrößertes Inhaltskörperchen handelte, nicht ausschließen. Später untersuchte ich die „Hörbläschen“ auf Schnitten von fixierten Tieren. Auch an Schnitten kann man die Inhaltszellen bei ge- eigneter Färbung viel leichter zur Darstellung bringen, als das von früheren Forschern angegeben wird. Trotzdem gelangte ich auf diesem Wege zu keinem einwandfreien Resultat. Beim Fixieren oder Entkalken verschwindet der Einschluss der Inhaltszellen, so dass dieselben leicht kollabieren. In vielen Fällen platzen dieselben 1) Es ist mir daher fraglich, ob Cu@not in dem Exemplar, dessen Statozysten er mit vielen Inhaltszellen zeichnete (1891, Taf. 28, Fig. 48) die echte L. inhaerens vor sich hatte. Becher, Die „Hörbläschen“ von Leptosynapta bergensis. 417 überhaupt — wenn auch wohl nicht so regelmäßig, wie Semon annahm. Nun fand ich zwar auf Schnitten neben den kleinen auch gelegentlich eine große Hohlzelle in den Statozysten, konnte aber natürlich nicht sicher sein, ob es sich nicht um eine bei der Fixierung entstandene Blähung kleiner Zellen handelte. Ich war somit zur Entscheidung der Frage wieder auf die Untersuchung von lebendem Material angewiesen. Vor kurzem (Mitte März) konnte die Biologische Anstalt in Helgoland meinem Wunsche, lebende Synapta bergensis zu bekommen, entsprechen. Die Exemplare blieben nach dem Transport noch mehrere Tage am Leben, obgleich schon viele bei ihrer Ankunft durch einge- tretene Zerstückelung, Auspressen des Darmes durch Mund oder Körperwand die Störung der normalen Bedingungen zu erkennen gab. Um die Statozysten im Leben beobachten zu können, muss man den Kopf der Tiere dicht hinter dem Tentakelkranz abschneiden. Das Spiel der Tentakel wird dann allerdings für einige Zeit ein- gestellt; indessen kann ein solches Kopfstück noch lange Zeit leben und unter günstigen Bedingungen auch wohl regenerieren. Nun Fig. 2. Statozyste der Leptosynapta bergensis mit zahlreicher kleinen und einem großen Inhaltskörper. Mit dem Zeichen- apparat nach dem Leben gezeichnet. Zeiß Apochr. 2,5 Comp.-Ocul. 2. Vergrößerung 210. wird das Kopfstück auf einen Objektträger gebracht und unter einem Deckglas womöglich so gepresst, dass alle Fühler radıär ab- stehen. Wenn man den Druck durch Absaugen des Wassers ver- stärkt, so wird bald der Kalkring sichtbar. Durch die fünf durch- lochten Kalkringglieder sieht man die Radiärnerven verlaufen und gerade dort, wo sie den Kalkring verlassen, tragen sie an jeder Seite eine Statozyste (s (s. Fig. 1). An so behandelten Kopfstücken, die übrigens bei vorsichtiger Behandlung stundenlang unter dem Deckglas lebend bleiben, kann man auch die Statozysten mit stärkerer Vergrößerung untersuchen. Ich konnte nun durch Präparation von einer großen Zahl von Kopfstücken nachweisen, dass die Verschiedenartigkeit der Inhalts- körper eine normale Eigentümlichkeit der „Hörbläschen“ der L. ber- gensis ist. Schon vor 2 Jahren hatte ich eine genaue Zeichnung der einzigen, damals beobachteten Statozyste nach dem Leben ge- macht (Fig. 2) und darin neben den zahlreichen klemen nur einen einzigen großen Inhaltskörper angegeben. Dementsprechend fand ich auch bei den jetzt untersuchten Blasen stets nur eine große Inhaltszelle. Dieser große „Statolith“ fand sich neben den kleinen, 418 Becher, Die „Hörbläschen“ von Leptosynapta bergensis. aber regelmäßig in allen zehn Blasen des Tieres. Bei gut gelungener Orientierung und gleichmäßiger Quetschung gelingi es oft, an einem Kopfstück alle zehn Hörbläschen zu sehen. Fig. 3—12 geben z. B. die zehn Blasen eines Exemplars wieder und zeigen in überein- stimmender Weise die hervorgehobene Verschiedenheit. Die Kon- Fig. 4. Ein Hörbläschenpaar mit zahlreichen kleinen und je einem großen Inhaltskörper. In Fig. 3 ist versucht worden, das natürliche Aussehen wiederzugeben. An einigen kleinen und dem großen Inhaltskorn sieht man an einer Seite die dickste Stelle der Plasmawand, in der der Kern liegt. Beide Figuren mit dem Zeichenapparat nach dem Leben entworfen. Zeiß Obj. F. Oecul. 1. Vergr. 440. Fig. 5. Fig. 6. Ein anderes Stato- zystenpaar von dem- selben Tier. Erklärung wie Fig. 4. Es sind nur die Um- risslinien gezeichnet. Vergrößerung wie bei Fig. 3 u. 4. turen aller dieser Figuren sind mit dem Zeichenapparat nach dem Leben gezogen; in Fig. 3 habe ich durch Schattierung das natür- liche Ansehen der statischen Organe und der Inhaltskörper wieder- zugeben versucht. Die Zahl der kleinen Zellen ist in Wirklichkeit größer als in den Zeichnungen, sie lagen zum Teil übereinander, so dass eine exakte Wiedergabe aller nicht möglich war. Auch Becher, Die „Hörbläschen“ von Leptosynapta bergensis. 419 die Umrisslinien der Blasenwand waren nicht immer an allen Stellen deutlich und fehlen deshalb teilweise in den Zeichnungen. Aus diesen Abbildungen ist ferner zu erkennen, dass die dicken Inhaltszellen nicht etwa durch weniger dicke mit dem Extrem der kleinen verbunden sind, sondern unvermittelt neben denselben stehen. Dieser Umstand spricht natürlich für einen besonderen Zweck der Verschiedenheit. Bevor wir uns aber zu der physio- logischen Frage wenden, die durch diese Verschiedenartigkeit der Inhaltszellen aufgedrängt wird, will ich bemerken, dass der große Inhaltskörper wie die kleinen gebaut ist. Auch er ist zelliger Natur und ein vergrößertes Abbild der kleinen. Unsere Figuren zeigen bei einigen der kleinen wie der großen Statolithen auch die verdickte Stelle der Plasmawand, wo der Kern liegt. Wim- pern habe ich an der Innenwand der Statozyste nicht wahr- nehmen können. Die Stelle, an der in den Figuren die Um- Big. 7. Ein weiteres Hörbläschen- paar in derselben Ver- größerung wie diejenigen der Figuren 3—6. Bei der links dargestellten Stato- zyste war der innere Umriss der Blase nicht deutlich zu sehen; er ist deshalb in der Zeichnung nicht an- gegeben. risslinien unterbrochen sind oder an der die Bläschenwand am dicksten ist, gibt die Seite an, mit der die Statozyste dem Nerv zugekehrt ist. Ob der Einschluss der Inhaltszellen fest oder flüssig ist, ist schwer festzustellen. Er pflegt bei der Fixierung zu ver- schwinden. Bei Zusatz von Säuren wird er, wie mehrere Beobachter konstatierten, unsichtbar, ohne dass Kohlensäurebläschen entwickelt werden. Das macht wahrscheinlich, dass es sich bei der Substanz des Einschlusses nicht um kohlensauren Kalk handelt, obwohl natürlich die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass eine schnelle Lösung der geringen entstehenden Kohlensäuremenge eintritt. An- dererseits kann es sich bei dem Einschluss auch nicht um eine ölartige Flüssigkeit handeln; denn die Inhaltszellen sind deutlich schwerer als die Bläschenflüssigkeit. Ich habe die Frage nach dem festen oder flüssigen Aggregatszustand des Einschlusses auch da- durch zu entscheiden versucht, dass ich durch starke Quetschung ein Aneinanderliegen der Körner herbeiführte und nun darauf 420 Becher, Die „Hörbläschen‘“ von Leptosynapta bergensis. achtete, ob eine Deformation auftrat. Indessen ist es auch dabei schwer, ein sicheres Resultat zu erzielen, weil geringe Abplattungen der Inhaltszellen auch durch die plasmatische Wand bei festem Einschlusskorn entstehen können. Über die Funktion der „Hörbläschen“ unserer Art ist zunächst hervorzuheben, dass sie jedenfalls wie bei der von Clark geprüften Art als statische Organe dienen. Man kann in der Tat durch Drehung des Präparates unter dem umgelegten Mikroskop leicht feststellen, dass die Inhaltskörperchen immer die tiefste (im mikro- skopischen Bild die höchste) Lage in der Blase einnehmen. Das gilt sowohl von der kleinen wie von der großen Einschlusszelle. Die in Rede stehenden Organe sind also sicher imstande, bei einer Lageänderung durch die korrespondierende Änderung des Druck- Fig. 9. Fig. 10. N Ein weiteres Statozystenpaar desselben 2 ® Exemplars von Leptosynapta bergensis. Erklärung und Vergrößerung wie oben. ) In der Figur links ist nur ein Teil des Bläschens zur Darstellung gebracht. reizes der Inhaltszellen dem Tier von seiner Stellung Kunde zu geben. Jeder Stellung des Tieres entspricht die Reizung einer be- stimmten Partie der Blase: es kann sich also ein System von Lokalzeichen für die Orientierung über die Lage ergeben. Auch die Tatsache, dass in den Statozysten der L. bergensis wie in denjenigen der Synaptiden überhaupt besonders ausgezeichnete reizempfängliche Stellen fehlen, ist leicht verständlich. Wenn ein Tier gewohnt ist, eine bestimmte Lage zur Senkrechten anzunehmen, wenn das Tier etwa durch einen bilateral-symmetrischen Bau oder einen dorsi-ventral differenzierten Körper zur Einhaltung einer solchen Stellung bestimmt ist, so werden die Statolithen gewöhn- lich in ihren Lageveränderungen auf ein kleines Feld beschränkt sein. Dieses begrenzte Feld kann dann zur Unterscheidung kleinster Lageschwankungen besonders differenziert sein, mit Sinneshaaren versehen werden ete. Bei radiär gebauten und überdies grabenden “Becher, Die „Hörbläschen“ von Leptosynapta bergensis. 421 und an keine besondere Stellung gebundenen Tieren fallen die Ur- sachen einer solchen Differenzierung fort, und so kann es uns nicht wundernehmen, dass die „Hörbläschen“ der Synaptiden einfache, in ihrer Innenwand ganz gleichartig ausgebildete Hohlkugeln darstellen, die überall gleich reizempfänglich zu sein scheinen. Wimpern habe ich auf der Innenwand der Statozyten niemals wahrnehmen können. Semon hat das Vorhandensein solcher Wimpern vermutet, weil die Inhaltszellen in zitternder Bewegung beobachtet wurden. Daraufhin ist die Bewimperung der Innen- wand als Tatsache in Lehrbücher aufgenommen worden. Auch H. L. Clark stellt in seiner Monographie der apoden Holothurien den Wimperbesatz einfach als Tatsache hin (1907, S. 46). Ich habe bereits in meiner Arbeit über Rhabdomolgus ruber darauf hinge- wiesen, dass diese Annahme nichts weniger als bewiesen ist. Für Fig. 11. Fig. 12. > Oo O OÖ Letztes der fünf ‘Hörbläschenpaare desselben Tieres. Erklärung und Vergrößerung wie oben. In dem Bläschen rechts war der innere Umriss der Wand nicht zu erkennen. IRthabdomolgus konnte ich dieselbe als überflüssig ablehnen; denn bei dieser Art vermisste ich die Zitterbewegung der Statolithen (1907, S. 600). Bei L. bergensis habe ich dieselbe aber deutlich beobachtet. Die kleinen ruckartigen Bewegungen und Verschie- bungen in dem Statolithenhaufen machen mir aber auch hier nicht den Eindruck, als wenn sie durch Wimpern und einen von ihnen erzeugten Flüssigkeitsstrudel erzeugt wären. Ich glaube vielmehr, dass es sich in dem Zittern um Brown’sche Molekularbewegung handelt. Deshalb ist mir das Vorhandensein der Wimpern — die noch kein Beobachter am lebenden Objekt oder an Schnittpräparaten gesehen hat — im höchsten Maße unwahrscheinlich. Dass sich die bekannte Semon’sche Abbildung mit eingezeichneten Wimpern somit zur Aufnahme in Lehrbücher nicht eignet, bedarf danach keiner Worte mehr. Die zitternde Bewegung habe ich übrigens nur an den zahl- reichen kleinen Inhaltszellen, nicht aber an der großen beobachtet. 499 Becher, Die „Hörbläschen“ von Leptosynapta bergensis. E Das bringt uns zu dem Hauptpunkt unserer Mitteilung zurück: zu der Verschiedenheit der Inhaltskörper. Worin kann der Zweck dieser Einrichtung bestehen, die jedes Hörbläschen in derselben Form besitzt? Die Tatsache, dass die kleinen Körner alleın eine deutlich merkbare zitternde Bewegung ausführen, kann unwesent- licher Natur sein. Zunächst liegt der Gedanke nahe, ın den Organen der ZL. bergensis könnte ein statischer Apparat mit einem Gehör- organ vereinigt sein. Es könnten z. B. die kleinen Körner viel- leicht durch Schallwellen zu besonderen Bewegungen veranlasst werden, die große Inhaltszelle aber alleın den Reizvermittler für die Wahrnehmung der Lage darstellen. Aber auch das ist un- wahrscheinlich, denn ich glaube nicht, dass L. bergensis ın bezug auf die Gleichgültigkeit gegen Schalleindrücke sich von Z. inhaerens und Zapidoplax digitata unterscheidet. Ich habe auch bei Beobach- tung ‘lebender Tiere bei Erzeugung von Tönen keine besonderen Bewegungen der Inhaltskörner beobachten können. Ferner habe ich versucht, den Einfluss zu beobachten, den periodische Erschütte- rungen hervorbringen, die ich durch Reiben einer Zahnradstange an der Tischkante erzeugte. Auch dabei wurde keine Änderung der ruckartigen Körnerbewegung in den Statozysten bemerkbar. Natürlich beweist das nicht, dass die Z. bergensis für Erschütte- rungen unempfindlich wäre. Von anderen Synapten ist ja das (segenteil bekannt. Mit Sicherheit können wır annehmen, dass die Synapten die Stellung ihres Körpers mittels der Statozysten wahrzunehmen ım- stande sind. Für Tiere, die im Sande etc. graben, müssen solche Organe für die Wahrnehmung der Körperstellung von höchster Bedeutung sein. Die Körperoberfläche steht ja beim Graben an allen Stellen in inniger Berührung mit dem Sande, die Sensationen der Haut können daher für die Orientierung nur wenig oder gar keinen Wert haben. Dagegen vermag eine Synaptide, die ganz im Sand vergraben ist, vermittelst ihrer Statozysten z. B. stets die Richtung nach oben (die in den meisten Fällen aus dem Boden hinausführt) zu finden. Danach mag man ermessen, wie außer- ordentlich wichtig diese Organe gerade für die Synapten sind. Schon eine gewöhnliche Statozyste mit gleichartigen Inhalts- zellen wird aber auch eine Vorstellung von der Schnelligkeit einer aktiven oder passiven Körperbewegung geben können. Nach einer ruckartigen Bewegung werden die Statolithen in anderer Weise zu dem neuen tiefsten Punkt der Blase gelangen als nach einer ganz langsamen Drehung. Bei einer plötzlichen Bewegungsänderung werden die Inhaltskörner durch ıhre Trägheit an die Wand stoßen oder von ihr abfliegen, wie der Reisende beim plötzlichen Beginn oder Aufhören der Fahrt im Abteil des Eisenbahnwagens. Solche Überlegungen, die sich leicht weiter ausführen ließen, dürften zur Becher, Die „Hörbläschen“ von Leptosynapta bergensis. 423 Genüge deutlich machen, dass neben der Wahrnehmung der Lage, die Wahrnehmung der Bewegungen und der Schnelligkeit ihrer Änderungen durch die in Rede stehenden Organe ermöglicht wird. Die statischen Organe sind gleichzeitig dynamische Organe. Das gilt nicht allein für die „Hörbläschen® der Synap- tiden, sondern auch für die als „statische Organe“ erkannten ähn- lichen Bildungen, die in anderen Tiergruppen vorkommen. Von diesem Gesichtspunkte aus dürfte auch etwas Licht auf das Vorkommen von zweierlei Inhaltskörpern bei Z. bergensis fallen. Mit der rein statischen Funktion scheint mir diese Differenzierung nichts zu tun zu haben; wohl aber mit der dynamischen. Bedenken wir, worauf diese dynamische Funktion beruht. Die Stärke des Stoßes, mit der die Inhaltskörper bei einer ruckartigen Bewegung gegen die Wand anschlagen, oder die Geschwindigkeit, mit der sie nach schneller Drehung (vielleicht nicht an der Wand der Blase gleiten, sondern) direkt durch die Flüssigkeit nach unten fallen, hängen ab von der Reibung der Inhaltskörper an der Bläschen- flüssigkeit und von der Trägheit des Statolithen. Je größer die Trägheit und je kleiner die Reibung (die den Körper bei einer Be- wegung mitzureißen sucht), um so stärker wird der Anprall an die Wandung sein. Die Trägheit wird an der „Masse“ des Körpers gemessen; sie ist also bei dem großen Inhaltskörper größer; die Reibung im Verhältnis zur Masse ist aber bei dem großen Körper kleiner als bei den kleinen Inhaltszellen; denn die Reibung wächst mit der Oberfläche und somit mit der zweiten Potenz des Radius, die Masse aber mit dem Rauminhalt und der dritten Potenz. Die relativ zur Masse geringere Reibung wird also nach dem oben Ge- sagten in demselben Sinne wirken wie die größere Trägheit. Der große Inhaltskörper wird also einen stärkeren Anstoß und kräftigeren Reiz bei plötzlichen Bewegungsänderungen hervorrufen als ein kleiner, und ähnliche Differenzen ergeben sich für das Fallen durch die Flüssigkeit. Somit stellt das Vorhandensein des großen Inhalts- körpers neben den kleineren eine Verbesserung der Bläschen als dynamische Organe dar. Der, Unterschied zwischen dem großen und den kleinen Inhaltskörpern wird sich um so mehr ausprägen, je größer die Beschleunigung einer Bewegung ist, d.h. je ruckartiger dieselbe auftritt. Die Reize werden also derartig differenziert, dass nicht nur der Eintritt einer Bewegung, sondern auch ihr spezieller Charakter dein Tiere angezeigt werden kann. Wir wollen diese Ansicht über den Zweck der Verschiedenheit der Inhaltskörper nicht weiter spezialisieren, als es unsere jetzige Kenntnis des anatomischen Baues der in Rede stehenden Organe und unser Wissen von den Reaktionsweisen des Tieres gestatten. Soviel scheint mir aber festzustehen, dass die Hörbläschen sowohl eine statische wie eine dynamische Funktion haben und dass das A924 Becher, Die „Hörbläschen“ der Leptosynapta bergensis. Auftreten der dicken Inhaltszelle eine vollkommene Bewegungs- perzeption möglich macht. Die Bewegungen, an die ich hier in erster Linie denke, sind nicht nur allgemein kleine Erschütterungsbewegungen, für die die Synapten nach Quatrefages sehr empfindlich sind, sondern ins- besondere Bewegungen des Seewassers, durch die die Tiere hin- und hergerüttelt werden. Wie prompt Synapten auf solche Be- wegungen des Seewassers reagieren, habe ich (1907, S. 554—-555) an dem Beispiel von Rhabdomolgus ruber gezeigt. Dieses Tier hat die besondere Eigentümlichkeit, sich bei Beunruhigung des See- wassers sofort mit seiner Tentakelkrone festzuheften, und diese Re- aktion tritt so schnell auf, dass sich die Tiere in der Glasröhre, mit Hilfe deren man die Tiere aus dem Aquarium zu nehmen ver- sucht, gewöhnlich schon angeheftet haben, wenn man sie mit dem Wasser der Röhre in das Beobachtungsgefäß gleiten lassen will. Andere Synapten verkriechen sich eilig im Sande, wenn das Wasser beunruhigt wird. Diese Beobachtungen scheinen mir darauf hin- zuweisen, dass die Tiere in der Tat gut funktionierende dynamische Organe haben müssen. Bei L. bergensis wären dann diese Organe zur Wahrnehmung von Bewegungen in besonderer Weise weiter ausgebildet. Das ist die Deutung, die uns für die Eigentümlichkeit der „Hörbläschen“ der Synapta bergensis nach den Tatsachen am nächsten zu liegen scheint. Im März 1909. Verzeichnis der angeführten Schriften. 1864. Baur, Albrecht: Beiträge zur Naturgeschichte der Synapta digitata in: Nova Acta Acad. Leop. Carol. Vol.31, S.1—119, Taf. 1—8, Dresden. 1906. Becher, Siegfried: Über Synapta minuta n. sp., eine brutpflegende Synaptide der Nordsee, und über die kontraktilen Rosetten der Holo- thurien, in: Zool. Anz. Vol. 30, Nr. 16, S. 505—509. 1907. — Rhabdomolgus ruber Keferstein und die Stammform der Holothurien, in: Zeitschr. wiss. Zool. Vol. 88, S. 545—689, Taf. 32—36. 1898. Clark, Hubert Lyman: Synapta vivipara: A contribution to the Mor- phology of Echinoderms. Mem. Bost. Soc. Nat. Hist. Vol. 5, S.53—88, Taf. 11—15, Boston. 1899. — The Synaptas of the New England Coast. Bull. U. S. Fish Com. Vol. 19, S. 21—31, Taf. 10—11, Washington. 1907. — The apodous Holothurians, a Monograph of Synaptidae and Mol- padiidae. Smithsonian Contributions to knowledge. Part of Vol. 35, S. 1—231, Taf. 1—13, Washington. 1891. Cu&@not, L.: Etudes morphologiques sur les Echinoderms. Arch. Biol. Vol. 11, S. 313—680, Taf. 24—31. 1887. Delage, Yves: Sur une fonction nouvelle des otocystes comme organes d’orientation locomotrice. Arch. Zool. exp. et gen. 2e serie. Vol. 5, S. 1—26. Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne. 425 1884. Hamann, Otto: Beiträge zur Histologie der Echinodermen. Heft 1. Die Holothurien. S. 1—100, Taf. 1—6, Jena 1884. 1862. Keferstein, Wilh.: Über Rhabdomolgus ruber gen. et sp. n. eine neue Holothurie, in: Unters. üb. nied. Seetiere. Zeitschr. wiss Zool. Vol.12, S. 34—35, Taf. 11. 1850. Müller, Johannes: Über die Larven und die Metamorphose der Echino- dermen. Abhandl. Berl. Akad. Wissensch. 3. Abhandlung aus den Jahren 1849— 1850. 18552. -—- Ebendort. 4. Abhandlung aus den Jahren 1850 und 1851, 1887,1. Semon, Riehard: Beiträge zur Naturgeschichte der Synaptiden des Mittel- meeres. Erste Mitteilung. Mitteil. zool. Stat. Vol. 7, S. 272—300, Taf. 9--10, Neapel. 1887,2. — Zweite Mitteilung ebendort $. 401—422, Taf. 15. 1862. Thomson, Wyville: On the Development of Synapta inhaerens. Quart. Journ. Mier. Seience. New Ser. Vol. 2, S. 131—146, Taf. 5—6, London. Schiefferdecker, P., Muskeln und Muskelkerne. Leipzig, Joh. Ambros. Barth, 317 S., 20 Abb. Verf. hat schon im Jahre 1903 eine umfangreiche Arbeit ver- öffentlicht, in der er acht menschliche Muskeln (Deltoides) beschrieb, von denen einer normal und die übrigen in verschiedener Weise erkrankt waren, sowie weiter einen Muskel des Hundes, bei dem der Zustand der Aktivitätshypertrophie mit dem des normalen Muskels verglichen wurde (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde Bd. 25, 1903). Diese Untersuchungen wurden mit einer ganz neuen Methode ausgeführt, welche auf der Ausmessung einer großen An- zahl von Muskelfaserquerschnitten und der dazu gehörigen Kern- querschnitte beruhte. Es wurden damals Ergebnisse erzielt, die mit den bis dahin gebräuchlichen Untersuchungsmethoden zu er- halten unmöglich gewesen wäre. Verf. hat zu jener Zeit schon Arbeiten an normalen Muskeln begonnen, welche mit derselben neuen Methode ausgeführt wurden, und sie bis jetzt hin fortgesetzt, wobei die Methode fortdauernd verbessert wurde. In dem vor- liegenden Buche gibt Verf. nun eine Zusammenstellung dieser Ar- beiten, in denen Augenmuskeln und Skelettmuskeln des Menschen, weiße und rote Muskeln des Kaninchens, weiße und rote Muskeln der Karausche behandelt werden und in denen auch wieder auf jenen Hundemuskel zurückgegriffen wird, der schon in der vorigen Arbeit behandelt wurde. Ein besonderer Abschnitt ist sodann den Muskelkernen gewidmet und ein anderer dem Bindegewebe des Muskels und den Ergebnissen. Die umfangreiche Arbeit basiert auf sehr umfangreichen Untersuchungen, bei denen über 30000 Muskelfaserquerschnitte und noch etwas mehr Kernquerschnitte auf- gezeichnet und ausgemessen wurden, während die aus diesen Mes- sungen resultierenden Zahlen in 60 mehr oder weniger umfangreichen 426 Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne. Tabellen zusammengestellt wurden. Aus den Resultaten dieser Tabellen werden dann die Schlüsse auf den Bau der untersuchten Muskeln gezogen. Entsprechend der ganz neuen Methode sind auch die Ergebnisse durchaus neu und würden mit einer anderen Me- thode überhaupt nicht zu erhalten gewesen sein. Außer den Muskeln erwachsener Menschen wurden, soweit es möglich war, auch solche von Embryonen und Neugeborenen untersucht und so konnten auch wichtige Schlüsse auf die Vorgänge bei der Entwickelung der Muskeln gezogen werden. Die Einblicke im den Bau der Muskeln, welche diese Untersuchungen gewähren, sind, wie schon erwähnt, ganz eigenartig und lassen den Muskel in einem ganz neuen Lichte erscheinen. So ergibt es sich, dass der Muskel ein recht kompli- zıertes Organ ıst, bei dem nicht nur das Muskelgewebe selbst, sondern auch das Bindegewebe und das elastische Gewebe für den einzelnen Muskel sich ganz spezifisch erweisen; so ergibt es sich weiter, dass das Verhältnis zwischen Kern und Faser, welches nach verschiedenen Richtungen untersucht werden kann, ein für die Funktion des Muskel sehr wesentliches ist; so zeigt es sich, dass die Kernverhältnisse beim Embryo ganz eigenartige sind, die sich bis zum Neugeborenen hin ın ganz bestimmter Weise ändern, dass die Muskeln des Neugeborenen schon ganz spezifisch differenziert sind und in wesentlichen Punkten denen des Erwachsenen ent- sprechen, so dass von dem Neugeborenen bis zum Erwachsenen hin nur noch Wachstumsveränderungen eintreten. Es scheint das sogar so weit zu gehen, dass der Muskel des Neugeborenen als eine Art Modellmuskel anzusehen ist, der gewissermaßen den Grund- typus des Muskels aufweist, ohne die während der weiteren Ent- wickelung mehr und mehr eintretenden individuellen Abweichungen. Weiter konnte man erkennen, dass der einzig wesentliche Unter- schied zwischen der weißen und roten Muskulatur, natürlich abge- sehen von der Farbe, ın den Kernverhältnissen liegt. Endlich ergab sich auch, dass der Muskel ein außerordentlich veränderliches Organ ist, wobei die verschiedenen Kernverhältnisse mit verändert werden; er ıst deshalb ein sehr günstiges Studienobjekt, um die Bedeutung der Kerne zu untersuchen, und es ıst daher wahrschein- lich, dass man an ihm verhältnismäßig leicht die Kernveränderungen bei physiologischen und pathologischen Veränderungen studieren kann, und so zu Ergebnissen gelangen kann, die auch für andere (sewebe Geltung haben, und die daher für die ganze Zellenlehre von Bedeutung sind. Die hier hervorgehobenen Punkte werden genügen, um einen Schluss auf den reichen Inhalt des Buches machen zu lassen. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von Dr, K. Goebel und "DIR. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 15. Juli 1909. a Inhalt: Demoll und Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. — Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten bei den tierischen Parasiten (Fort- setzung). — Weismann, Charles Darwin und sein Lebenswerk. — Müller-Pouillet’s Lehr- buch der Physik. Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. Von Dr. R. Demoll (Giefsen) und Dr. J. Strohl (Zürich). In Pflüger’s Archiv veröffentlichte kürzlich Jaeques Loeb (1) Versuche über den Temperaturkoeffizienten der Entwickelung und Lebensdauer beim Seeigelei, an deren Resultate er interessante biologische Schlüsse glaubt knüpfen zu können. Bekanntlich hat van t’Hoff für chemische Reaktionen die Regel aufgestellt, dass bei einer Temperatursteigerung um 10° die Ablaufgeschwindigkeit chemischer Reaktionen eine Verdoppelung bei Verdreifachung erfährt. Diese Formel hat ihre Bestätigung nicht nur für enzymatische Prozesse im chemischen Laboratorium gefunden, sondern ist auch für die Organismen als gültig erklärt worden!). Eine erste Bestätigung ergab sich aus den Unter- suchungen von Clausen (2), welcher für je 100 g Lupinenkeimlinge, Weizenkeimlinge und Syringablüten die m 1 Stunde unter ver- schiedenen Temperaturen abgegebenen C0,-Mengen ermittelt hatte. Versuche bei 20° ergaben eine 2!/,mal größere CO,-Abgabe als solche bei 10°, mit anderen Worten, der einem Temperaturintervall von 10° entsprechende Quotient Q,, beträgt für gedachte CO,-Ab- 1) Vgl. hierzu R. Hoeber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. Leipzig, W. Engelmann, 2. Aufl., 1906. XXIX. 27 428 Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer, gabe im Mittel 2,5. Dieser Quotient gilt allerdings nur für das, augenscheinlich innerhalb der „Behaglichkeitsgrenze* der Pflanze gelegene Intervall 10—20°. Weiterhin nimmt der Quotient andere Werte an und oberhalb 40° scheint sogar umgekehrt eine Herab- setzung der Reaktionsgeschwindigkeit stattzufinden. Mit diesen Abweichungen beschäftigte sich vor einiger Zeit an dieser Stelle Professor Jost (3) und suchte sie zu erklären auf Grund vortrefl- licher Versuche (ebenfalls über CO,-Produktion und Atmung der Pflanzen) von Miss Gabrielle Matthaeı. Aber auch von zoologischer Seite kamen Bestätigungen. So wurde ein ähnlicher Quotient von Cohen aus Versuchen Oskar Hertwig’s (4) über die Entwickelungsgeschwindigkeit der befruch- teten Eier von Rana fusca und R. esculenta berechnet. Sogar be- sonders auf diesen Punkt hingerichtet sind die auf Anregung Abegg's (5) von Peter (6) angestellten Versuchsreihen an Seeigel- eiern, für welches Material schon früher Driesch (7) im einem An- hang seiner entwickelungsmechanischen Studien die beschleunigende Wirkung der Wärme auf die Entwickelung festgestellt hatte. Die Versuche waren von Hertwig und Peter so angestellt, dass ge- wisse leicht erkennbare Entwickelungsstadien wie Gastrulatıon, Anfang der Mesenchymbildung etc. ins Auge gefasst und deren rascheres oder langsameres Auftreten in verschieden temperierten Kulturen verglichen wurden. Für die Entwickelung von Fischeiern berechnete R. ©. Herzog (8) innerhalb bestimmter Grenzen einen ähnlichen Quotienten. Ferner wies Abegg (9) darauf hin, dass be- reits Hugo Schulz für die 0O,-Produktion bei Rana ebenfalls einen Quotienten von etwa 2 erhielt, und dass desgleichen aus den Untersuchungen Pflüger’s über die CO,-Produktion des Kaninchens bei variierter Körpertemperatur sich ein Quotient Q,, = 1,9 be- rechnen lasse. Die meisten dieser Quotienten und eine ganze Reihe anderer (für Herzschlag, Muskeltätigkeit, Reizleitung im Nerven u.s. f.) finden sich übrigens, wie wir eben sehen, von Charles D. Snyder(10) in einer übersichtlichen Tabelle zusammengestellt. Weiterhin hat es seither Kanitz (11) unternommen, die Gültigkeit der Reaktions- geschwindigkeitstemperatur-(RGT-)Regel auch auf die Dauer der normalen Gravidität auszudehnen, indem er vermutet, ohne einst- weilen allerdings Beweise zu bringen, dass das Variieren der Schwangerschaftsdauer auf geringe Temperaturschwankungen der Gravida zurückzuführen sein dürfte. Neues bringt Jaeques Loeb (1) insofern, als er neben dem Temperaturkoeffizienten der Entwickelungsgeschwindigkeit einen weiteren, besonderen für die Lebensdauer ermittelt zu haben glaubt. Auf Grund von Experimenten an Strongylocentrotus kam er zu der Ansicht, dass man zwei chemische Prozesse zu unterscheiden habe, die unabhängig voneinander ablaufen sollen und von denen der Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. 429 eine die Entwickelung, der andere die Lebensdauer bestimmen würde, so zwar, dass „der Tod durch spezifische destruktive Pro- zesse bedingt wird, die nicht identisch sind mit den Vorgängen, welche den Entwickelungs- und Differenzierungsvorgängen zugrunde liegen*. Zu dieser Auffassung führte ihn die Feststellung zweier verschiedener Temperaturkoeffizienten, von denen der eine (der für die Entwickelung) mit den von Hertwig und Peter hierfür ge- fundenen Werten übereinstimmt, der zweite (der für die Lebens- dauer) dagegen wesentlich höher sein soll. Während nämlich jener für 10° sowohl beı Fröschen als auch bei Seeigeleiern etwa den Wert 2,8 hat, erreicht letzterer für ein Grad bereits den Wert 2, mithin für 10° den Wert 2!° = 1024; so wäre dieser also fast 400mal größer als jener! Betrachten wir zunächst die von Loeb aus seinen Versuchen gezogenen Schlüsse, um nachher die Experimente selbst einer Kritik zu unterziehen. Dass die Temperaturkoeffizienten für die Entwickelung und Lebensdauer nicht nur nicht identisch sind, sondern in so hohem Maße differieren sollen, ıst für den biologisch Denkenden sicherlich ein überraschender Befund. Loeb mag dies vorausgesehen haben, da er ım Hinblick auf Weismann’s (12) Ansichten schreibt: „Für denjenigen, der gewohnt ist, die Lebenserscheinungen als chemische Vorgänge anzusehen, ist der Gedanke, dass die Organismen deshalb sterben, weil sie mit der Fortpflanzung ihre Pflicht gegen die Art erfüllt haben, nicht förderlich ?).“ — Wenn es auch gewiss förderlich ist, ein Problem von verschiedensten Gesichtspunkten auf- und an- zufassen, so ist damit nicht gesagt, dass es auch förderlich sei, die von anderen Gesichtspunkten gewonnenen Resultate außer acht zu lassen! Dies scheint aber gerade der vorliegende Fall zu demon- strieren, wo die vom chemischen Standpunkte aus sich ergebende Anschauungsart mit den biologischsn Tatsachen nicht zu vereinen ist. Loeb ist zunächst der Ansıcht, dass bei Wechsel des Milieus die Geschwindigkeit der Entwickelungsvorgänge sowie der Lebens- 2) Allerdings hat Rubner (13) kürzlich ermitteln können, dass die von Weis- mann angeführte Ansicht Leuckart’s und Herbert Spencer’s, wonach die er- nährenden Flächen des Magendarmkanals der Tiere mit steigender Körpergröße nur im Quadrat wachsen, während das Gewicht im Kubus zunähme, nicht richtig ist. Er zeigte vielmehr, dass die zur Verdoppelung des Lebendgewichtes eines Tieres aufgewandte Kräftesumme dieselbe ist, gleichgültig, ob die Tiere rasch oder langsam wachsen. Bei dem langsam wachsenden Pferde findet keinerlei „Verschwendung“ von Energie statt, sondern der gleiche Verbrauch, wie bei dem schnell wachsenden Kaninchen oder der Maus, obschon diese Tiere zur Zeit ihrer Geburt um das Tausendfache im Körpergewicht verschieden sind. Damit ist gezeigt worden, dass bei gleichem anatomischem Substrat die physiologischen Leistungen verschieden sein können und umgekehrt. Dagegen ist hiermit nichts gegen die von Weismann verteidigte Beziehung zwischen Lebensdauer und Fortpflanzung gesagt. | 27% 430 Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwiekelung und Lebensdauer. dauer unabhängig voneinander und unabhängig von dem biologisch hieraus erwachsenden Nachteil sich ändern. Das spricht sich in dem Beispiel aus, das er zur Stütze seiner Ansicht anführt. Wenn nämlich bei tieferen Temperaturen die Entwickelungsgeschwin- diekeit nur langsam abnimmt, die Lebensdauer dagegen um fast das 400fache zunimmt, so folgt aus der langen Lebensdauer der Individuen ein Nebeneinandervorkommen viel zahlreicherer Gene- rationen, d. h. ein größerer Individuenreichtum der Fauna. Auf diese Weise sucht Loeb die auffallend reiche Planktonfauna der polaren Meere zu erklären®). — An anderer Stelle seiner Arbeit (p. 422) führt Loeb aus, „dass in jedem Ei bestimmte Stofle vor- handen sind, die für jede Art spezifisch sind und die sich stetig zersetzen“. Weiter unten aber (p. 425) kommt er zu dem Schluss, „dass der von uns gefundene Temperaturkoeffizient für die Lebens- dauer kaltblütiger Tiere sehr weit, wenn nicht allgemein gültig ist“. Unterstreicht man nun den ersten Satz, dass die Substanzen bei verschiedenen Arten verschieden sind, so müsste man wohl an- nehmen, dass in jeder Art eben die Plasmasubstanzen sich ent- wickeln, die ihr eine Lebensdauer gewährleisten, wie sie der Art von Vorteil ist, d. h. eine Dauer, die von der Entwickelungs- geschwindigkeit resp. der Geschlechtsreife bestimmt ist. Denn auch ein in dieser Hinsicht zu langes Leben muss negativen Selektions- wert haben, indem solche Individuen andern, der Art noch nützen- den, das Futter wegnehmen. Damit fällt aber die Unabhängigkeit 3) Schon Abegg (5) hatte den Einfluss der Temperatur auf die Entwicke- lunesgeschwindigkeit in Beziehung gebracht „zu den bekannten Unterschieden in der Entwickelungsgeschwindigkeit der Rassen in den Polar-, gemäßigten und tro- pischen Regionen“, Übrigens ist auch vor Loeb schon der Versuch gemacht worden, den größeren Lebewesenreichtum der kalten Me£eresteile zu erklären. K. Brandt: „Über die Bedeutung der Stickstoffverbindungen für die Produktion im Meere“ (Beihefte zum bot. Centralbl., Bd. 16, 1904) macht die Tätigkeit der denitrifizierenden Bakterien dafür verantwortlich. Er schreibt: „Da im allgemeinen die Spaltpilze bei höherer Temperatur eine stärkere Wirksamkeit entfalten als bei niedriger, so ist weiterhin wahrscheinlich, dass in den tropischen Meeren Nitrate und Nitrite durch die denitrifizierenden Bakterien in stärkerem Grade zerstört werden als z. B. in unseren heimischen Meeren. Auf Grund dieser Überlegungen gelangte ich 1899 („Der Stoffwechsel des Meeres‘, Rektoratsrede Kiel) zu einer Erklärung der sehr auffallenden Erscheinung, dass im Gegensatze zum Festland der Ozean im tropischen und subtropischen Gebiete verhältnismäßig arm, im kühleren und kalten Gebiete dagegen reich an Organismen ist“. — Derselbe Autor berichtet auch über die Er- klärungsversuche von Hensen und von Reinke, welche beide die Armut der wärmeren Meere auf die geringere Zufuhr von Stieckstoffverbindungen durch atmo- sphärische Niederschläge im Vergleich zu den kühleren Meeresgebieten zurückführen. Brandt selbst hält allerdings diese Erklärung für unwahrscheinlich im Hinblick auf die Befunde von Muntz und Marcano (C. R. Acad. Sc. Paris T. 108 und 113), denen zufolge in den Tropen infolge der stärkeren elektrischen Entladungen etwa !Omal so viel Salpetersäure durch die atmosphärischen Niederschläge (dem Lande) zugeführt werden als in den gemäßigten Regionen, [Anmerkung bei der Korrektur. ] Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. 431 beider Faktoren voneinander (wenn auch damit noch nicht gesagt ist, dass auch eine Korrelation zwischen beiden Prozessen besteht!) und das Beispiel der polaren Planktonfauna hat dann insofern nichts mit Loeb’s Anschauungen zu tun, als ihr Reichtum nieht durch die Verlängerung der Lebensdauer über die Geschlechtsreife hinaus bedingt sein kann. Legen wir jedoch den Nachdruck auf den zusammenfassenden Satz, in dem für alle Wirbellosen ein gleicher Temperaturkoeffizient für die Lebensdauer vermutungsweise angenommen wird, so müsste das notwendig zu dem Resultat führen, dass alle Tiere, dıe ın gleich temperiertem Medium sich befinden auch dieselbe Lebensdauer be- sitzen. Wir sehen also, dass der Biologe wohl kaum Loeb’s An- schauungen annehmen kann. Bevor wir jedoch versuchen, auch vom Standpunkt des Chemikers die Ergebnisse zu werten, sei noch einiges gesagt über den Versuch Loeb's, den Planktonreichtum der Antarktis zu einer ganz besonderen Stütze seiner Ansichten zu machen. Als Beleg für diesen „Reichtum“ führt Loeb einige Stellen von „Aus den Tiefen des Weltmeeres“ an, jenem wunder- vollen Werke des erfahrenen Leiters der Valdiviaexpedition. Es scheint sich aber um einen Irrtum in der Auslegung jener Zitate zu handeln. Denn, wie wir einer uns freundlichst gemachten brieflichen Mitteilung Herrn Geheimrat Chun’s entnehmen, dürfte es sich bei dem Reichtum des antarktischen Planktons weniger um äuffallend große Mengen je einer Art handeln (wie nach Loeb anzunehmen wäre), sondern es scheint vielmehr eine ungeheuere Mannigfaltigkeit durch die schwierigen Lebensverhältnisse hervorgerufener, extremster Anpassungen zu bestehen. In diesem Lichte dürfte der „Reichtum des Polarplanktons* aber kaum etwas zu tun haben mit Loeb’s Ansichten über den Einfluss der Temperatur. Aber auch von anderm Gesichtspunkte aus erscheint die dies- bezügliche Loeb’sche Hypothese unhaltbar. Die Individuenzahl einer Art wird bestimmt einmal durch die Geburtsziffer und dann durch die Vernichtungsziffer. In die Geburtszifier lässt sich, falls man die Tatsache anerkennt, dass der natürliche Tod ın allen Tiergruppen in direkter Beziehung zur F ortpflanzungsfähigkeit steht, insofern auch die Lebensdauer einbegreifen, als man außer der eigentlichen Vermehrungszahl auch die Zeit mitberücksichtigt von der Geburt eines Individuums bis zum Erlöschen seiner Fort- pflanzungsfähigkeit, also die noch in Fortpflanzung begriffenen Indi- viduen mitrechnet. Nehmen wir aber nun einmal mit Loeb an, diese Beziehung bestünde nicht. Ließe sich dann der Plankton- reichtum in der Antarktis auf die angeführte Weise erklären? Wir konstatieren, dass die Normalzitfer der Individuenzahl bei weitem 432 Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. der meisten Arten sich annähernd konstant bleibt. Diese Konstanz, noch mehr aber das Schwanken der Zahl um einen Durchschnitts- wert, zeigt uns, dass mit zunehmender Geburtsziffer auch die Ver- nichtungsziffer steigt, so dass sich auf die Dauer eine Änderung des ersten Faktors gar nicht bemerkbar machen wird. Nun wird uns aber Loeb einwerfen, dass eben hier die Vernichtungsziffer nicht mitgestiegen ist; dann müsste freilich die Individuenzahl an- wachsen. Nehmen wir aber nur ein minimales anfängliches Über- wiegen der Geburtsziffer über die Vernichtungsziffer an, so würde in kurzer Zeit eine so übermäßige Vermehrung hieraus resultieren, dass die ganze Antarktis die Individuen nicht mehr fassen könnte. Darwin’s Beispiele ın dieser Art sind bekannt genug, als dass wir sie hier wiedezugeben brauchten. Nun dürfte aber zudem die Individuenzahl ın der Antarktis ebenfalls wie anderswo konstant seın und nicht, wie man nach Loeb erwarten müsste, stetig ansteigend*), d. h. Geburts- und Vernich- tungsziffer haben sich auf ein — von dem ın anderen Meeren aller- dings verschiedenen — Gleichgewicht eingestellt. Der ausschlag- gebende Faktor bei solchen Gleichgewichtsänderungen liegt in der Vernichtungsziffer und diese wiederum wırd bedingt vor allem durch die Nahrungsverhältnisse. Ändern sich letztere, so’ wird sich auch die Vernichtungsziffer ändern, die Individuenzahl wird zunächst steigen oder sinken, ın kurzer Zeit sich jedoch auf eine neue Durch- schnittskonstante eingestellt haben. Ändern sich jedoch die Nah- rungsverhältnisse nicht, so kann eine Änderung der Geburtsziffer oder der Lebensdauer auch keine Erhöhung der Individuenzahl be- wirken, da der konstant bleibende Ernährungsfaktor so nur zu einer proportional aufsteigenden Vernichtungsziflfer führt). — Somit kann wohl der in Frage stehende Individuenreichtum der Antarktis ın Loeb’s Hypothese keine Erklärung und Loeb’s Hypothese in jenem keine Stütze finden. = * Gehen wir nun zu den Experimenten selbst über, die Loeb zur Aufstellung eines besonderen Temperaturkoeffizienten für die Lebensdauer veranlassten. Er brachte frisch befruchtete Seeigeleier in Wasser von 20°, andere in solches von 22° u. s. f., 4) Wenigstens besteht, wie sowohl Herr Geheimrat Chun als Herr Dr. Ra- covitza, der Zoologe der Belgicaexpedition, uns brieflich bestätigten, keine Tat- sache, die eine solche Annahme zu stützen geeignet wäre. 5) Es sei hier nur eine neue Arbeit Benecke’s (14) erwähnt, welcher in Er- weiterung Klebs’scher Versuche den Nachweis erbringen konnte, dass der Gehalt des Wassers an Stickstoffverbindungen es ist, welche die Periodizität in der Ent- wiekelung der Spirogyra reguliert, und dass die Bildung von Zygoten durch Zusatz von Ammoniumsalzen verhindert werden kann. Es erscheint so wahrscheinlich, dass das Verschwinden der Alge und die Bildung der Zygoten an den natürlichen Stand- orten der Alge auf Mangel an N-haltiger Nahrung beruht. Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. 435 schließlich auch welche in Wasser von 32°. Jeweils nach bestimmten Zeitintervallen wurde eine Probe dem Gefäß entnommen, in normal temperiertes Seewasser gebracht und nun beobachtet, ob die Eier sich hier noch weiter entwickelten oder zugrunde gingen. Als Kriterium der normalen Entwickelungsfähigkeit wurde die Tatsache benützt, dass die Larven des Seeigels an die Wasseroberfläche steigen, sobald sie das Blastulastadium erreicht haben und ihre volle Entwickelungsfähigkeit besitzen. Es wurde nun im normalen Seewasser für die Eier aus jeder Temperatur festgestellt, in welchem Gefäß die Larven eben noch imstande waren, an die Oberfläche zu steigen und in welchem Gefäß dies unmöglich wurde. Zwischen beiden Grenzen lag die Zeit, die von Loeb als Maß für die Lebens- dauer gewählt wurde. Beı den Versuchen mit Spermatozoen arbeitete Loeb mit noch höheren Temperaturen. Die Lebensfähigkeit wurde hier durch die Befruchtungsfähigkeit bestimmt. Wir lassen hier Loeb’s Tabelle 3 folgen: Expositions- Zahl der befruchteten Eier dauer 260 | BEN | 309 ne == = ee NEN ——— tern >= > > == 1 Minute K00,0], 280,100,°]% ., 1.210040] 2 Minuten | AAÜRR H 100 01008 SAN, ENG 1 LA LOOR, A | 10,588 18,100, 5 ar | — | Ze 100% Ga | — | One 41008; DORN | = 1.00, AN | —_— | = 100 „ 35 * | — — | 90%, 55 „ Fa wrT | 20 „ 67 ” Dew wu 3 » Hierzu bemerkt Loeb: „Wiederholte man die Zählung 10—12 Stunden später, so fand man Werte, die um ein geringes höher waren, zum Zeichen, dass sich inzwischen einige Spermatozoen von der Wärmewirkung erholt hatten und nunmehr imstande waren, in das Eı einzudringen.“ Diese Erholungsfähigkeit nach Stunden spricht aber gegen Loeb’s Ansicht, „dass das Leben auf der Gegenwart eines spezi- fischen Stoffes im Körper“ beruht, der allmählich aufgebraucht oder zersetzt wırd®)? Denn nimmt man an, dass diese destruk- tiven Prozesse stetig fortlaufen und keine Regeneration erfahren können auf dieser Annahme aber ruht die ganze Loeb’sche Auf- fassung — so ist auch nicht möglich, dass Spermatozoen, die ge- rade noch vor dem Tode günstigen Bedingungen ausgesetzt werden, ’ 6) Von uns gesperrt! D. u. St. 434 Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. sich wieder erholen und Eier zu befruchten vermögen. Sind die Prozesse nahezu ganz abgelaufen, so kann nur ad günstigenfalls der letzte Rest etwas verzögert werden, nicht aber eine Erholung ermöglichen. Entweder hat man es hier nicht mit stetig ablaufenden Prozessen zu tun, oder aber der Tod bei Temperaturerhöhung be- ruht nicht auf dem nur rascher zu Ende gekommenen Ablauf dieser Reaktionen. » Loeb scheint alle Lebensvorgänge auf die Prozesse, wie wir sie im Reagenzglas beobachten, zurückführen zu wollen”). Stellen wir uns nun auch auf denselben Standpunkt, so können wir den- noch nicht seine Meinung teilen. Die Lebensprozesse Ed exothermische Prozesse, sie gehen mit Wärmeabgabe einher. Nun zeigen aber solche exothermischen Re- aktionen, wenn sie zugleich reziprok°) verlaufen, eine Abhängigkeit von der Temperatur, nicht nur insofern, als bei erhöhter Tempe- ratur die Reaktion schneller verläuft, sondern auch insofern, als das Endprodukt oder besser gesagt der Gleichgewichtszustand ein ganz anderer wird, indem er sich nach dem Ausgangsprodukt hin verschiebt. So können exothermische Prozesse zu endothermischen werden. Sinkt die Temperatur wieder, so wird das ursprüngliche Gleichgewicht wieder hergestellt. Diese hochwichtigen Prozesse hat Loeb hier außer acht gelassen. Er nimmt an, dass die Temperatur den Verlauf nur zeitlich beeinflusst. Nun ist ja freilich nicht bewiesen, dass es sich hier tatsächlich um reziprok verlaufende Prozesse handelt. Doch wird dies sehr ‘) An anderer Stelle sagt Loeb (15) über die Vererbungsträger: „Ich glaube vielmehr, dass die Übertragung der erblichen Eigenschaften ein rein chemisches und nicht ein histologisches Problem ist.“ Hierzu sei nur erwähnt, dass rein chemisch und histologisch keine sich ausschließenden Begriffe sind, dass die Histologie im wesentlichen auf chemischen Differenzen beruht, und .dass sie der rein chemischen Methode gegenüber, so weit sie anwendbar ist, den Vorteil bietet, uns zu der Kenntnis chemischer Differenzen auch die der Form der chemischen Körper zu vermitteln. Lassen wir die nicht zu verkennenden Fortschritte der Zytologie auch ganz außer acht, so ist es doch eine logische Forderung, dass die Vererbungsträger chemische Körper sind, da sie sich von dem übrigen Plasma unterscheiden und folglich eine Form besitzen. Will man aber das Vorhandensein von korpuskulären Elementen punkto Vererbungsträger in Zweifel ziehen und auch in der Entwicke- lung nicht einfache Kristallisationsprozesse sehen, dann bildet diese Frage nicht ein chemisches, sondern ein vitalistisches Problem. Aber selbst dann, vom vitalistischen Standpunkt aus, wird man von Formen ausgehen müssen, um andere Formen ent- stehen zu lassen. 8) Als reziproke Vorgänge werden Gleichgewichtsreaktionen bezeichnet, „im (Gegensatz zu solchen Reaktionen, welche nur in einer einzigen Richtung verlaufen. Denn wenn es auch denkbar ist, dass jede Reaktion unter gewissen Bedingungen reziprok sein kann, so sind doch diese Bedingungen nicht immer verwirklicht.“ Für solche reziproke Prozesse gilt: „Wenn der Übergang der Form A in die l’orm B unter Wärmeentwickelung stattfindet, wird eine Erhöhung der Temperatur Zunahme des Stoffes von der Form A verursachen“ (van Deventer [16)). Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. 435 wahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass überall, wo man näher in die Chemie der lebenden Substanz und in die physiologischen Vor- gänge eingedrungen ist, das Bestehen reziproker (reversibler) Re- aktionen wahrscheinlich wurde. Es sei hier in erster Linie an die neuesten Ergebnisse auf dem Gebiet der Pflanzenphysiologie erinnert. Das klassische Beispiel ist die Wirkung der Hefemaltase, welche sowohl Maltose in Dextrose zu spalten vermag, als auch aus Dextrose ein Disaccharid (vielleicht nicht Maltose, wohl aber Isomaltose) syn- thetisch entstehen lässt. Ebenso hat soeben wieder ein Autor, Hamsik (17), die reversible Wirkung der Darmlipase bestätigt, welche sowohl das Fett zu spalten, als synthetisch aus den Spalt- produkten wieder aufzubauen imstande ist. Auch für die Zerstörung und den Wiederaufbau der Harnsäure haben kürzlich Ascolı und Izar (18) einen reversiblen Prozess annehmen zu können geglaubt, ohne allerdings auch Bedenken dagegen zu verschweigen. Jeden- falls ist die weite Verbreitung der reversiblen oder reziproken Pro- zesse in der organischen Welt sehr wahrscheinlich und ein Analogie- schluss auf die Lebensprozesse unter den bestehenden Umständen wenn nicht zwingend, so doch erlaubt. Sind die exothermischen Prozesse aber reziprok, so besteht auch eine Abhängigkeit von der Temperatur und — was zwar hier wohl weniger in Betracht kommen mag — vom Druck. Es wäre mithin die erste Aufgabe Loeb’s gewesen, sich eine Basis für seine Anschauung zu schaffen durch Erbringen des Beweises der Wahr- scheinlichkeit, dass es sich hier nicht um reziproke Prozesse handelt. Solange ihm das nicht gelingt, wird der. entgegengesetzten Ansicht der Vorzug gebühren und das um so mehr, als sie die Lebens- prozesse, die Erkrankung, die Erholungsmöglichkeit und nicht zu- letzt speziell auch die Ergebnisse der Loeb’schen Versuche viel ungezwungener zu erklären vermag. Der Tod bei erhöhter Tempe- ratur würde dann nicht dadurch eintreten, dass die Lebensprozesse rapid zu Ende laufen, sondern dadurch, dass eine veränderte Re- aktion stattfindet, indem das Ausgangsprodukt dem Endprodukt gegenüber an Masse zunimmt und so die Reaktionsgeschwindigkeit wohl eine höhere wird, das Verhältnis von Ausgangsprodukt zu Endprodukt dagegen ungünstiger sich gestaltet. Indem so die Bil- dung des Endproduktes immer mehr verhindert wird, werden die Lebensprozesse immer mehr unterdrückt, bis sie schließlich ganz zum Stillstand kommen müssen. Sinkt jedoch die Temperatur wieder, bevor die hierdurch bedingten Schädigungen den Tod her- beigeführt haben, so wird das normale Gleichgewicht wieder her- gestellt werden können, d. h. der Organismus wird sich wieder erholen können. Eine solche Auffassung der Lebensvorgänge ist auch mit den Ausführungen von Rubner (19) viel eher in Übereinstimmung zu 436 Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. bringen. Dieser kommt zu dem Resultat, dass die lebendige Sub- stanz befähigt sei, nur eine ganz bestimmte Menge einer Energie- form (potentielle Energie) in eine andere Energieform (kinetische Energie) überzuführen, und dass das Maß dieser Befähigung, das bei allen bisher beobachteten Tieren annähernd gleich zu sein scheint, die Lebensdauer bestimmt. Dabei nimmt er konsequenterweise an, dass ein Wachsen und Regenerieren der lebenden Substanz zu einer Lebensverlängerung führt. Ferner sieht er zwischen Lebens- dauer und Fortpflanzungsfähigkeit eine direkte Beziehung, indem er vermutet, dass die Wachstumspotenzen allmählich an die Fort- pflanzungsprodukte gebunden werden und so ein weiteres Verlängern der Lebensdauer ausschließen. Rubner respektiert somit die bio- logischen Tatsachen als Tatsachen und kommt so zu viel „disku- tableren“ Anschauungen. So wie Loeb annımmt, dass die chemischen Prozesse in See- igelspermatozoen bei 36° nur eine zeitliche Veränderung erfahren, so überträgt er seine Anschauungen vom schnelleren Ablauf der Lebensprozesse auch auf die event. tödliche Wirkung des Fiebers. Dies erscheint aber unmöglich deshalb, weil der Fiebertod nicht durch die Dauer, sondern durch die Höhe des Fiebers bestimmt ist. Auch ıst nicht bekannt, dass sehr hohes Fieber, welches den Patienten bereits in Todesgefahr gebracht hat, bei Erholung des- selben eine Verkürzung des Lebens bedingt hätte. Dehnen wir aber weiter die Vorstellungen Loeb’s auch auf die Lebewesen aus, die bei sehr hoher Temperatur leben, wıe z. B. die Algen an den Felsen der Fumarolen bei Casamicciola auf Ischia, die einer Temperatur von 64,7° ©. ausgesetzt sind, so gelangen wir zu ganz abenteuerlichen Resultaten. Gehen wir von der Temperatur 15° C. als Normaltemperatur für die übrigen Algen aus, so finden wir, dass die Entwickelung ın den Fumarolen 145mal so schnell, die Lebensdauer aber 1000 000000000000mal so schnell abläuft. Mithin wird das Leben um ca. 7000000000 000mal mehr verkürzt als die Entwickelung! Oder was soll man dazu sagen, dass Papilio machaon-Puppen, die vom 20. Februar bis zum 7. März, also 15 Tage lang einer Tem- peratur von 37° ausgesetzt wurden, erst etwa 4 Wochen darauf Schmetterlinge lieferten? Müssten doch, nach Loeb, die Lebens- prozesse um das 1000000000fache schneller ablaufen als normal, also die Puppe fast momentan absterben. Auch auf das unbefruchtete Echinodermenei dehnt Loeb (20) seine Auffassungen der nur in einer Richtung ablaufenden Lebens- prozesse aus und glaubt annehmen zu müssen, dass dieses deshalb schnell absterbe, weil die destruktiven Prozesse ın ıhm zu Ende gelaufen sind. Diese Auffassung wird jedoch durch die Experi- mente von Lillie (21) unwahrscheinlich gemacht. Der bekannte Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. 437 amerikanische Forscher konnte unbefruchtete Asterias-Eier durch momentane Temperaturerhöhung auf 35--38° zur Entwickelung bringen. Nach Loeb (1) dagegen müsste dadurch der Tod nur noch mehr beschleunigt werden. Stehen so der Annahme Loeb’s durch seine eigenen Ergebnisse sowie durch die auderweitiger Autoren unüberwindbare Schwierig- keiten entgegen, so lassen sich andererseits manche Beobachtungen anführen, die zugunsten der Hypothese sprechen, dass es sich hier um reziproke Prozesse handelt. Nicht unwichtige Daten finden sich wieder bei Loeb (22a u.22b) selbst. Er hat die Versuche von Strassburger (23) und die Beobachtungen Massart’s (24) weiter ausgedehnt und nachgewiesen, dass Gopepoden, Larven von Poly- gordius, Limulus und Loligo, die bei bestimmter Temperatur —+ helio- taktisch sind, bei bestimmter Temperatur negatıv heliotaktisch werden. Was dürfte nun wohl für jemanden, der wie Loeb einer Reaktion den Ablauf eines chemischen Prozesses zugrunde zu legen geneigt ist, naheliegender sein, als in diesem Wechsel der Reaktion von + zu — einen gleichmäßigen (ebenfalls von + zu — ver- laufenden) Wechsel chemischer Prozesse zu sehen, einen Umschlag, wie wir ıhn eben gerade bei reziproken exo- und endothermen Prozessen durch Temperaturänderung hervorrufen können? Spricht es nicht sehr für diese Annahme, dass, wie Loeb beobachtet hat, jene Organismen hinsichtlich ihres heliotaktischen Verhaltens auch durch Veränderung der Konzentration des Wassers, in dem sie leben, umgestimmt werden ‚können? Diese Tatsachen scheinen eine Identität dieser Prozesse mit denen, wie wır sie bei den Pflanzen finden, wahrscheinlich zu machen. Dass aber dort dıe wesentlichen Reaktionen reziproke Prozesse sind, wurde oben schon erwähnt. Eine ganz besonders erfreuliche Bestätigung unserer Annahme ergibt sich auch bei näherer Prüfung aus den Peter’schen Ver- suchsreihen. Dieser Autor fand nämlich, dass die Beschleunigung der Entwickelung durch Temperaturzunahme größer ist, so lange man mit relativ niederen Temperaturen experimentiert (bei Tempe- raturen von 1—24°). Weiterhin wird die Beschleunigung immer geringer. Es ergibt sich daraus für uns, dass zwar mit Erhöhung der Temperatur die Geschwindigkeit der Reaktion steigt, dass aber durch die sich immer ungünstiger gestaltenden Bedingungen für die Bildung des Endproduktes ein immer langsameres Zunehmen bedingt wird. Mit anderen Worten: Wir dürften es also bei diesen Vorgängen mit reziproken, exothermischen Prozessen zu tun haben und der bei hohen Temperaturen erfolgende schnellere Tod (falls nicht durch Gerinnung der Eiweißkörper en) beruht nıcht darauf, dass gewisse Prozesse einfach schneller zu Ende gelaufen sind, sondern vielmehr hinsichtlich der Bildung des Endproduktes langsamer, dass sie event. ganz aufgehört oder sich sogar in ent- 438 Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. gegengesetzter Richtung verschoben haben. Hier ließen sich auch die eingangs erwähnten Resultate von Ulausen anführen, über den Umschlag, den die zunächst durch Temperaturerhöhung ge- steigerten Atemprozesse bei anormal hoher Temperatur erfahren. So. scheinen uns denn die beiden wesentlichen Punkte in Loeb’s Anschauung unhaltbar: L 1. Die vollständige Isolierung der die Lebensdauer bestimmenden Prozesse von denen, die der Entwickelung zugrunde liegen. Die Gegenbeweise finden wir in biologischen Tatsachen. 2. Die Annahme, dass die Lebensdauer durch den stetigen Ablauf chemischer Prozesse bedingt ist, die weder regeneriert werden können — Loeb spricht dies nicht direkt aus, doch wäre ohne diese Annahme seine ganze Anschauung hin- fällg — noch die Eigenschaften der reziproken Reak- tionen besitzen. Auch hier sind es einmal biologische Tatsachen, dann aber auch der Vergleich mit andern uns bekannten chemischen Reaktionen in lebenden Organismen, die zur Ablehnung dieser An- nahme zwingen. Schließlich seı noch, um Missverständnissen vorzubeugen, darauf hingewiesen, dass mit dem Vorhandensein bestimmter Beziehungen zwischen den Entwickelungsprozessen und denen, welche die Lebens- dauer bestimmen, noch nicht gesagt ist, dass diese Beziehungen in einer Korrelation beider bestehen müssen, falls es sich hier überhaupt um zwei getrennte Vorgänge und nicht um ein und denselben handeln sollte. — Es bleibt immerhin noch die Möglichkeit, dass diese beiden Prozesse nur insofern miteinander in Beziehung treten als der Ablauf des einen einen ganz bestimmten Ablauf des andern für das Tier vorteilhaft werden und so durch Selektion entstehen lässt. Gegen die Annahme einer Korrelation scheint der Befund Antedon Echiniden 9 Bastarden „die Entwickelung, nicht aber die Lebensfähigkeit der ganzen Bastardorganismen von einem gewissen Entwickelungs- stadium an dauernd sistiert oder nur zeitweise beeinträchtigt wird.“ Allerdings sind diese Experimente ganz und gar nicht dazu ge- eignet, diese Frage zu entscheiden, wie sie denn auch in ganz anderer Absicht angestellt wurden und die zitierte Stelle nur eine beiläufig gemachte Beobachtung in der Untersuchung Godlewski’s darstellt. Aber auch wenn man eigens ım Hinblick auf diese Frage Experimente anstellen und genau die Lebensdauer der in ihrer Entwickelung stehengebliebenen Formen feststellen würde, so dürfte man dennoch nicht auf einen sicheren Entscheid hierin hoffen, Godlewski's (25) zu sprechen, nach welchem bei Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. 439 da, falls die Prozesse nicht identisch sind, die gegenseitigen Be- ziehungen beider (teils chemischer, teils physikalischer Natur)”) voraussichtlich viel zu kompliziert sein werden, um schon durch bloße Elimination des einen Faktors einen richtigen Einblick ın den normalen Verlauf des anderen zu ermöglichen. Nun ist hier noch eine Arbeit von Kanitz (26a) zu erwähnen, die bereits an die Anschauungen von Loeb anknüpft und im wesent- lichen eine Wiederholung einer schon früher (26 b) bei Gelegenheit eines Referates aufgestellten Hypothese ist. Indem er nämlich die bestimmenden Faktoren für den Anfang des Lebens aufzudecken sucht, die, wie er meint, von Loeb so „überzeugend“ für das Ende des Lebens festgelegt wurden, glaubt er in der Loeb’schen Unter- suchung eine wichtige Stütze für seine Anschauung zu finden. _ Es ließe sich ihm zwar zunächst ganz leicht nachweisen, dass beide Arbeiten eigentlich nichts oder nur ganz äußerlich etwas mit- einander zu tun haben, indem Kaniıtz weder die für Loeb so wichtige Trennung durchführt zwischen Prozessen, welche die Lebensdauer, und solchen, welche die Entwickelung bestimmen, noch auch den zweiten Teil, der Loeb’schen Hypothese berück- sichtigt. Dagegen führt Arıstides Kanitz zwei Momente an, die wenig geeignet sind, Loeb’s Arbeit zu stützen. Er sagt: „In manchen Fällen wäre vielleicht an Verschiebung der Gleichgewichte mit der Temperatur zu denken.“ Also eine Auffassung, der auch nach unserem Ermessen viel Wahrscheinlichkeit zukommt. Ferner er- wähnt er die „Erscheinungen des ‚Optimums‘ als von Superposition verschiedensinniger Vorgänge herrührend.* — Diese Erscheinungen aber sind ein Hinweis darauf, dass die Lebensprozesse, welcher Art sie auch seien, nicht als ein isoliert von allen anderen ablaufender chemischer Prozess gedacht werden dürfen, sondern dass stets ein mannigfaltiges, gegenseitig bestimmendes Ineinandergreifen der ein- zelnen Prozesse stattfindet. Literaturverzeichnis. 1. Loeb, Jacques. Über den Temperaturkoeffizienten für die Lebensdauer kalt- blütiger Tiere und über die Ursache des natürlichen Todes. Pflüger’s Arch. ges. Physiol., Bd. 124, 1908. . Clausen, H. Beiträge zur Kenntnis der Atmung der Gewächse und des pflanz- lichen Stoffwechsels. Tandwirtschaftl. Jahrb., Bd. 19, 1890. . Jost, L. Über die Reaktionsgeschwindigkeit im Organismus. Biol. Centralbl., Bd. 26, 1906. DD N) 9) Diese Beziehungen, die man früher ebenfalls als Korrelationen bezeichnete und die nur in einem chemischen oder physikalischen Aufeinanderangewiesensein be- stehen, sind streng zu trennen von dem kausal gefassten heute geltenden Begriff der Korrelationen. A440 Demoll u. Strohl, Temperatur, Entwickelung und Lebensdauer. 4. Hertwig, Oskar. Über den Einfluss der Temperatur auf die Entwickelung von Rana fusca und Rana esculenta. Arch. mikr. Anat., Bd. 51, 1898. 5. Abegg, R. Der Temperatureinfluss auf die Entwickelungsgeschwindigkeit ani- malischen Lebens. Zeitschr. Elektrochem., Bd. 11, 1905 (p. 529). 6b. Peter, Karl. Der Grad der Beschleunigung tierischer Entwickelung durch erhöhte Temperatur. Arch. Entw.-Mech. Org., Bd. 20, 1906. . Driesch, Hans. Entwickelungsmechanische Studien. IV. Experimentelle a des Typus der Furchung und ihre Folgen. Zeitschr. wiss. Zool., Bd. 55, 1893. S. Herzog, R. O. Über den Temperatureinfluss auf die Entwickelungsgeschwindig- keit der Organismen. 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Über die Natur der Bastardlarve zwischen dem Echinodermenei (Strongylocentrotus franeiscanus) und Molluskensamen (Chlorostoma fune- brale). Arch. Entw.-Mech. Org., Bd. 26, 1908. 16. van Deventer, Ch. M. Physikalische Chemie. Amsterdam-Leipzig 1906. 17. Hamsik, Ant. Reversible Wirkung der Darmlipase. Hoppe-Seyler's Zeitschr. physiol. Chem., Bd. 59, 1909; 1. Heft. 15. Ascoli, M. und G. Izar. Quantitative Rückbildung zugesetzter Harnsäure in Leberextrakten nach vorausgegangener Zerstörung Hoppe-Seyler’s Zeitschr. physiol. Chem., Bd. 58, 1909; 6. Heft. 19. Rubner, M. Das Problem der Lebensdauer und seine Beziehungen zu Wachs- tum und Ernährung. München-Berlin, R. Oldenbourg, 1908. 20. Loeb, Jacques. Über Eireifung, natürlichen Tod und Verlängerung des Lebens beim Seesternei. Pflüger’s Arch. ges. Physiol., Bd. 93, 1902. 21. Lillie, Ralph S. Momentary Elevation of Temperature as a Means of Produeing Artificial Parthenogenesis 3 Starfish Eggs and the Condition of its Action. Journ. exper. Zool., Vol. 5, 1908. 22a. Loeb, Jacques. Über an Umwandlung positiv heliotropischer Tiere in negativ heliotropische und umgekehrt. Pflüger’s Arch. ges. Physiol., Bd. 54, 1893. 22b. — Über Heliotropismus und die periodischen TieienbenezuZE u pelagischer Tiere. Biol. Centralbl., Bd. 28, 1908. 23. Strasburger, E. Wirkung des Lichtes und der Wärme auf Schwärmsporen. Jena 1878. 24. Massart, ‚J. Recherches sur les organismes inferieurs. Bull. Acad. Belge. Vol. 22, 1891. 25. Godlewski, E. jun. Plasma und Kernsubstanz in der normalen und der durch äußere Faktoren veränderten Entwickelung der Echiniden. Arch. Entw.- Mech. Org., Bd. 26, 1908. =] .. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 441 26a. Kanitz, Aristides. Bezüglich der gleichgrundlegenden Bedeutung extrem großer Temperaturkoeffizienten für das Entstehen und für die Dauer des Lebens. Zeitschr. Biol., Bd. 52, 1908. 26b — Arbeiten über die RGT-Regel bei Lebensvorgängen. Zeitschr. Elektrochem., Bd. 13, 1907. Chambers, R. Einfluss der Eigröße und der Temperatur auf das Wachstum und die Größe des Frosches und dessen Zellen. Arch. mikr. Anat., Bd.72, 1908. (Diese Arbeit nur der Vollständigkeit wegen ins Literaturverzeichnis aufgenommen!) Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten bei den tierischen Parasiten. Von A. Mordwilko, Privatdozent a. d. Universität St. Petersburg. (Fortsetzung..) Allein die im Darme der Fische und zum Teil auch der Am- phibien parasitierenden Trematoden gingen infolge der besonderen Art der Ernährung dieser Wirtstiere, mit der Zeit zu einer weiteren Komplikation ihrer Lebensgeschichte über. Die primitiveren Ver- hältnisse dagegen konnten sich nur in denjenigen Fällen erhalten, wo die Nahrung der definitiven Wirte fast gar keine Mollusken enthält. Derartige mehr oder weniger ursprüngliche Verhältnisse zeigen uns gegenwärtig noch die Holostomidae, welche ın ihrer Organisation und ihrer Entwickelung noch ziemlich viele ursprüng- liche Züge aufweisen, die aus den Zeiten des Ektoparasıtismus auf dieselben übergegapgen sind. So besitzen die Holostomidae außer zwei Saugnäpfen am vorderen Körperende auch noch ein besonderes stark wirksames Befestigungsorgan, eine Vorrichtung, welche den Ektoparasiten mehr zukommt wie den Entoparasiten. Außerdem legen die Holostomidae große (und daher auch weniger zahlreiche) Eier ab, aus denen dank ihrer Größe ın der Entwickelung be- reits beträchtlich vorgeschrittene (mit Anlagen der Geschlechts- organe und des Bauchsaugnapfes versehene), wenn auch immerhin noch mit einem Wimpernbelag bekleidete Larven hervorgehen. Diese Larven bohren sich in Mollusken, Egel, Fische, Amphibien, Reptilien, seltener in Säugetiere ein '”), enzystieren sich daselbst 47) Von großem Interesse sind die Beobachtungen v. Linstow’s an Zetracotyle typica (Larven von Holostomiden). Dieser Autor fand enzystierte Tetracotylen zu Hunderten in der Leber von Limnaea stagnalıs, sparsam in Limnaea ovata und in vereinzelten Exemplaren an der Körperoberfläche der Egel Nephelis vulgaris, Clepsine und Aulostomum. Diese letzteren Tetracotylen waren noch freibeweglich, obgleich schon ohne Wimperkleid, und besaßen noch nicht den Tetracotylen-Typus (0,35 mm Länge, 0,26 mm Breite). Bei fernerem Wachstum verwandelten sie sich zu Tetracotyle (0,42 mm Länge, 0,37 mm Breite) und umgaben sich mit einer Zyste (Helmintholog. Studien. Jen. Zeitschr. f. Naturwiss. 28. Bd., 1594, pp. 3283—332). Obgleich v. Linstow keine jungen Tetracotylen im Körper der Egel antraf, so weist doch Braun darauf hin, dass er in einigen Jahren Dutzende eingekapselter 449 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. und verwandeln sich innerhalb derselben in junge Distomeen, welche unter den Namen Diplostomum und Tetracotyle bekannt geworden sind. Die weitere Entwickelung verläuft sodann ın den definitiven Wirten; als solche dienen für die Holostomidae Wasservögel, Kroko- dile, zum Teil auch Säugetiere und nur selten Fische und Amphi- bien ®). Obgleich die Fische und Amphibien im allgemeinen als die ursprünglichen Wirte für alle Trematoden überhaupt angesehen werden müssen, so wird der Umstand, dass dieselben gegenwärtig wenig Parasiten aus den Holostomidae aufweisen, wahrscheinlich nur darauf zurückzuführen sein, dass überhaupt alle entoparasıti- schen Trematoden der Fische und Amphibien mit der Zeit zu anderen Arten der Infektion ihrer Wirte übergehen mussten. Die Entoparasiten sehr beweglicher Wirtstiere haben überhaupt einen großen Vorteil von der Erhöhung ihrer Fruchtbarkeit, indem dadurch die Wahrscheinlichkeit einer Infektion ihrer Wirtstiere vermehrt wird, und der Entoparasitismus sich überhaupt nur dann erfolgreich entwickeln kann, wenn die Fruchtbarkeit der Parasiten zunimmt. Allein bei den sich ohne Zwischenwirte entwickelnden Entoparasiten müssen die Eier, wie wir dies schon weiter oben hervorgehoben haben, solche Dimensionen bewahren, dass die aus ihnen hervorgegangene Brut sofort zum parasitischen Leben ım Darme ihrer Wirtstiere befähigt ıst. Erst wenn ın der Lebens- geschichte eines Parasiten die Erscheinung der Zwischenwirte sich festzulegen beginnt, in denen die Brut der Parasiten einen Teil ihrer Entwickelung durchmachen kann, erst dawn werden die Eier der Parasiten noch kleiner werden können, wobei ihre Menge gleich- zeitig naturgemäß größer werden wird. Aus kleineren Eiern mussten nun wiederum weniger hoch entwickelte Larven hervorgehen. Die ektoparasitischen Trematoden verloren das Wimpernkleid ihrer Vorfahren, indem dasselbe bei der neu erworbenen Fortbewegungs- weise (unter vorwiegender Teilnahme der Saugnäpfe) seine Be- deutung für dieselben verloren hatte. Das Wimpernkleid erhielt ich, wenn auch nur potential, bei den ganz jungen Entwickelungs- stadien, welche noch im Ei verlaufen und bleibt nur sehr selten nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei bestehen (so z. B. bei Diplo- xoon paradoxum). Da nun bei eintretender Verringerung der Ei- dimensionen bei den entoparasitischen Trematoden aus den Eiern nun- mehr noch weniger weit in der Entwickelung fortgeschrittene Larven Tetracotylen in Nephelis angetroffen hat. Demnach machen wenigstens einige Holo- stomiden ihre ersten Entwickelungsstadien als Ektoparasiten durch und dringen erst als Tetracotyle in das Innere ihrer provisorischen Wirte ein (Braun, M., Centralbl. f. Bakt. u. Parasitenk., Bd. 15, 1894, pp. 967—968. 48) Vgl. Braun, M. Helminthologische Notizen. IV. Zur Entwickelungs- geschichte der Holostomiden. Centralbl. für Bakterien und Parasitenkunde, 1894, pp. 680—682, Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 445 hervorgehen mussten, so blieb diesen letzteren auch das Wimper- kleid erhalten. Durch den Umstand, dass für sehr viele entoparasitische Trema- toden eben die Mollusken sich als Zwischenwirte erwiesen haben, wurden alle nachfolgenden wie die gegenwärtigen Verhältnisse beı den in Fischen und Amphibien schmarotzenden entoparasitischen Trematoden überhaupt und zwar aus folgenden Gründen und auf folgende Weise. Gerade die Mollusken waren es, welche den ın dieselben ge- ratenden jungen Larven („Mirocidien“) der entoparasitischen Trema- toden für deren osmotische und andere Ernährung besonders gün- stige Bedingungen bieten konnten. In meinem Aufsatz über die Heterogonie*?’) habe ich nun den Versuch gemacht, jenen Satz oder jenes Gesetz festzustellen und zu begründen, wonach die Ge- schlechtszelllen sich um so stärker entwickeln und um so rascher heranreifen- (wobei die Differenzierung derselben zu weiblichen Zellen begünstigt wird) und die Entwicke- lung des Individuums im Sınne der Komplikation der Differenzierung um so früher unterbrochen wird, je besser sich die Ernährungsbedingungen während der ersten Ent- wickelung des Individuums gestalten; es resultiert zu- nächst ein normales weibliches, sodann aber ein redu- ziertes und umgestaltetes weibliches Individuum, wie es durch die parthenogenetischen Weibchen verschiedener Tierformen repräsentiert wird. In Anbetracht dieser Verhält- nisse konnten sich die Ovarıen bei den jungen Individuen der entopara- sitischen Trematoden, welche im Körper der Mollusken aus Mira- ciden hervorgegangen sind, etwas weiter entwickeln und zwar auf Kosten der Hoden, während ihre Organisation selbst sich mehr oder weniger vereinfachen konnte. Und je jünger die in den Körper der Mollusken geratenden Trematodenlarven waren, um so mehr konnten sie sich in der soeben angegebenen Richtung verändern. Den Charakter solcher Veränderungen zeigen uns in gegenwärtiger Zeit deutlich jene Larven von Polystomum integerrimum, denen zu- fälligerweise die Möglichkeit geboten wird, sich länger als dies normalerweise der Fall ist, in der Kiemenhöhle von Kaulquappen zu entwickeln, wo sie augenscheinlich bessere Ernährungsbedingungen antreffen, als dies in der Harnblase der Frösche der Fall ist: die Entwickelung einer solchen Brut geht viel rascher vor sich, das Ovarıum entwickelt sich stärker als der Hoden, die Befestigungs- organe erreichen einen geringeren Grad der Entwickelung ). 49) Mordwilko, A. Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse... 1. Hetero- gonie im allgemeinen und bei den Pflanzenläusen im speziellen. Biol. Centralbl. Bd. 27, 1907, pp. 529-550, 561575. 50) Zeller, E. loc. eit. XXIX. an2s 444 Mordwilko, Uber den Ursprung der Erscheinung von ?wischenwirten ete. Bei günstigen Ernährungsbedingungen jedoch reifen die weiıb- lichen Geschlechtszellen nicht nur rascher heran, sondern sie er- langen noch die Fähigkeit, sich auch ohne vorhergehende Befruch- tung zu furchen und zu entwickeln, indem das stimulierende Element, welches sonst mit den Spermatozoen in die Eizelle eingeführt wırd, hier von der Erregung durch günstige Ernährung ersetzt wird. Bei der weiteren Entwickelung des erwähnten Prozesses erlangen die (eschlechtszellen die Befähigung zur Furchung, wobei anfangs nur einige wenige £rscheinungen ihrer definitiven Reifung auslallen, später vielleicht alle derartigen Erscheinungen, indem sıe z. B. über- haupt keine Richtungskörperchen mehr abgeben !), wie dies augen- scheinlich bei der Pädogenese der Trematoden der Fall ist’). Auf diese Weise geschah es denn auch, dass die Geschlechts- zellen der ın dem Körper von Mollusken sich entwickelnden Trema- todenbrut die Möglichkeit erhielten, sich parthenogenetisch zu ent- wickeln. Die Parthenogenese der Brut (Pädogenese) aber erwies sich bei den Trematodenals ein neuer und äußerst wichtiger Faktor ım Leben der Art und konnte durch die natürliche Auslese rasch zur ständigen Erscheinung werden, indem sie die Zahl der parasitischen Individuen ın jedem einzelnen definitiven Wirtstier, welches beim Verschlucken von Mollusken zugleich eine gewisse Menge von Para- sıten aufnahm, bei jeder günstigen Gelegenheit beträchtlich ver- mehrte. Dieser Umstand führte seinerseits dazu, dass hierauf eine noch größere Menge von kleinen Tieren zu Zwischenwirten wurde u.s.w. Dabei konnte die in dem Körper von Mollusken sich partheno- genetisch entwickelnde Brut ihrerseits eine neue Generation hervor- gehen lassen. Es versteht sich von selbst, dass die parthenogene- tische Fortpflanzung der Trematoden in jedem einzelnen Mollusk so lange fortdauern konnte, so lange in einem bestimmten Organ des Mollusken, wie z. B. in der Leber, noch eine genügende Menge von Nahrung für dieselben vorhanden war. Eine ım Körper von Mollusken neu auftretende Brut konnte sich, indem sie ‚keine für sie günstigen Ernährungsbedingungen mehr vorfand, nicht mehr zu parthenogenetischen (pädogenetischen) Individuen entwickeln, sondern verwandelte sich einfach zu Larven hermaphroditischer Individuen, welche natürlich im Vergleiche mit den parthenogene- tischen Generationen höher differenziert erschienen. Ferner ging auch noch folgende Erscheinung vor sich. Die Brut der hermaphroditischen Generation, welche zuletzt im Körper der infizierten Mollusken zur Entwickelung gelangt war, konnte entweder daselbst verbleiben und sich enzystieren, oder aber sie konnte zufälligerweise ihre früheren Wirtstiere verlassen und ın 5l) Mordwilko, A. Heterogonie ete. Biol. Centralbl., Bd. 27, 1907. 52) Rossbach, E. Beiträge zur Anatomie und Entwickelungsgeschichte der Redien. Zeitschr. f. wiss. Zool., 84. Bd., 1906, pp. 361—445. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 445 andere Mollusken oder sonstige Tiere, z. B. in Arthropoden über- gehen. Was dagegen die Brut von Trematoden betrifft, welche in sehr großen Exemplaren von Mollusken zur Entwickelung gelangt war, die von den entsprechenden Fischen nicht als Nahrung auf- genommen werden konnten, so war dieselbe einfach dem Unter- gang verfallen, wenn sie nicht zufällig ihre Wirte verließ und in andere Mollusken oder andere Tiere eindrang, welche eine Beute der definitiven Wirte der betreffenden Trematoden werden konnten. Es ist sehr wohl möglich, dass eine solche auswandernde Brut ur- sprünglich vermittels egelartiger Bewegungen (mit Hilfe von Saug- näpfen) ihre Wirte verlassen und sich im Freien fortbewegen konnte, letzteres vielleicht auch vermittels schlangenartigen oder egel- artigen Schwimmens, jedenfalls aber durch eine sehr unvollkommene Art und Weise der Fortbewegung. Allein jede Möglichkeit zu solchen Übersiedlungen in neue Wirtstiere bot schon bedeutend größere Aussichten für eine Infektion der wirklichen (definitiven) Wirte und musste daher jedesmal zu einer Vermehrung der Zahl von Individuen führen, deren ım Körper der Mollusken sich zuletzt entwickelnde Brut die Neigung und dıe Fähigkeit besaß, in neue Wirte überzugehen. Ausschließlich nur auf diesem Wege konnten die verschiedenen Formen von Üercarien entstehen, als Larven hermaphroditischer Individuen der Parasiten, welche mehr oder weniger zum Schwimmen befähigt waren. Anfänglich konnte eine Infektion der definitiven Wirte ın gleicher Weise durch jene Brut entoparasitischer Trematoden erzielt werden, welche in Arthropoden, Würmer und andere Zwischen- wirte gelangte, wie auch durch die Brut, welche die Mollusken infizierte. Als jedoch diese letztere Brut anfing, die Fähigkeit zur parthenogenetischen (pädogenetischen) Fortpflanzung (die gegen- wärtigen Sporozysten und Redien) und zur nachfolgenden Aus- wanderung einer neuen Generation weiter entwickelter Larven (Cer- carien) in neue provisorische Wirte zu erlangen, so begann sie auch vorwiegend zur Infektion der definitiven Wirte zu führen. Denn mit der Zeit vermehrte sich immer mehr und mehr die Zahl der Trematodenindividuen, welche die vorwiegende Fähigkeit besaßen, in Mollusken einzudringen und sich in denselben zu entwickeln, wobei eine neue Brut hermaphroditischer Individuen (Üercarien) von hier in neue provisorische Wirte auswanderte; andererseits konnte die Zahl solcher entoparasitischer Trematoden immer kleiner werden, deren aus befruchteten Eiern entwickelte Brut noch die Fähigkeit besaß, in Arthropoden, Würmer oder andere Tiere ein- zudringen. Hierzu konnte noch der Umstand hinzutreten, dass es gerade die der Trematodenbrut für deren osmotische und sonstige Ernährung besonders günstige Bedingungen bietenden Mollusken sind, welche es verursachten, daß die (befruchteten) Eier der ento- 28* 446 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinüng von Zwischehwirten ete. parasitischen Trematoden sehr kleine Dimensionen annehmen konnten. in Anbetracht dieses Umstandes kam es im Laufe der Zeit dazu, dass die sich aus befruchteten Eiern entwickelnden Trematoden- larven, indem sie immer kleiner wurden und im Zusammenhang hiermit sich immer weniger weit entwickelten, schließlich nur noch in den weichen Körper von Mollusken eindringen konnten und die Fähigkeit verloren, in den Körper von Arthropoden, Würmern und anderen Tieren zu gelangen. Auf diese Weise kam es mit der Zeit dazu, dass diejenigen Tiere, welche früher neben den Mollusken die einfachen provisori- schen oder Zwischenwirte: für die entoparasitischen Trematoden abgaben, ım Laufe der Zeit ausschließlich zu zweiten Zwischenwirten (Hilfswirten nach Looss, 1892, 1894) wurden, wobei sie sich bis- weilen mit den Mollusken in dieser Rolle teilten. Allein in Ab- hängigkeit von den Bedingungen der Lebensweise und namentlich der Nahrung der definitiven Wirte (Fische oder Amphibien) konnten nur bestimmte Mollusken zu „Hilfswirten“ werden, oder aber diese letzteren konnten zum Teile oder auch ganz ausfallen. Im Körper der Mollusken gelangen für gewöhnlich mehrere parthenogenetische Generationen zur Entwicklung: aus den Larven (Miracidien), die aus befruchteten Eiern hervorgehen, entwickeln sich im Körper der Mollusken die sogen. Sporozysten, oder rich- tiger gesagt, die Miracidien verwandeln sich zu Sporozysten, indem sie auf der gleichen Stufe morphologischer Differenzierung ver- bleiben oder selbst einen Regress erleiden (Verlust des Wimpern- kleides, Reduktion der Darmanlage und der primitiven Augen); aus den Geschlechtszellen der Sporozysten entwickeln sich bisweilen wiederum Sporozysten (so z. B. bei Gorgodera cygnoides), meistens aber Redien, welche ın der Komplikation ıhres Baues die Sporozysten bereits etwas übertreffen; so besitzen die Redien z. B. einen un- paaren, sogar funktionierenden Darm, eine besondere Öffnung zum Austritt der sich in ıhnen entwickelnden Brut nach außen, und und noch einige andere Merkmale. Aus den Geschlechtszellen der Redien entwickeln sich entweder wiederum Redien, oder aber Cer- carıen. Die Gercarien sind die Larven der hermaphroditischen Indivi- duen, und sind schon mit fast sämtlichen Organen der erwachsenen hermaphroditischen Individuen ausgestattet. Die Miracidien, diejungen Redien und die Gercarien stellen demnach drei Etappen einer und der- selben Entwicklungsreihe dar, wobei die Miracıidien die niedrigste, die Cercarien dagegen die höchste Entwicklungsstufe dieser Reihe dar- stellen ’®). Ein solcher Generationswechsel entspricht durchaus den 53) Vgl. Looss, A. Amphistomum subelavatum und seine Entwickelung. Festschrift zum 70. Geburtstage R. Leuckarts. Leipzig 1892, p. 147—167. „li. Em- bryo (Sporoeyste), Redie und Cercarie zeigen in ihren jüngsten Zuständen fast vollkommen den gleichen Bau, welcher durch die sehr frühzeitige Keimballen- Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 447 Ernährungsbedingungen ım Körper der Wirtstiere: anfangs, solange in irgend einem Organ noch wenig Parasiten vorhanden sind, ent- wickeln sich Sporocysten, sodann Redien; ist die Zahl der Parasiten jedoch beträchtlich herangewachsen, die für dieselben vorrätige Nahrung demnach entsprechend herabgeschmolzen, so entwickeln sich Cercarien, welche ın den meisten Fällen das Wirtstier ver- lassen, in welchem sie entstanden sind. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Redien und die Öercarien sich aus ein und denselben noch nicht differenzierten Furchungskugeln entwickeln und dass das Moment, welches bestimmt, ob die Entwickelung zu einer Üercarie oder zu einer Redie erfolgen wird, durch die Quantität der Nahrung im Körper der Mollusken repräsentiert wird, bisweilen vielleicht auch noch durch die Bedingungen der Temperatur ’*). Anders ver- hält es sich mit den Miracidien, oder „Embryonen“, welche sich aus den befruchteten Eiern entwickeln. Indem dieselben meist als die ersten ın den Körper der Mollusken gelangen, wenn sich noch nicht zuvor Sporocysten oder Redien anderer Herkunft in demselben haben entwickeln können, so ist ihre Organisation viel- leicht sozusagen von vorneherein dazu bestimmt, sich zu Sporocysten zu entwickeln, wobei eine solche Eigenart natürlich nur als das Ergebnis der Wirkung der natürlichen Auslese — als nützlich für die Erhaltung der Art — entstehen konnte. Dieses ist die Entwickelungsweise der meisten entoparasitischen Trematoden der Fische. Die gleiche Entwickelung müssen ‚auch die Trematoden der Amphibien und anderer Tiere durchgemacht haben, welche sich, wenn auch nur zum Teil, nebenbei von Mollusken er- nährt haben’). Allein schon bei den entoparasitischen Trematoden der Fische begegnen wir verschiedenen Abänderungen des geschil- derten Entwickelungstypus, was natürlich auf die Art der Nahrung und einige andere Lebenserscheinungen derselben Fische zurückzu- führen ist. In noch höherem Maße treten diese Abänderungen bei den Entoparasiten der landbewohnenden Wirbeltiere zu tage. Wir werden natürlich vermuten können, daß bereits die Vor- fahren der Amphibien ihre entoparasitischen Trematoden besessen haben, und daß sich gleichzeitig mit der Entstehung unserer jetzigen Amphibien aus diesen Vorfahren, auch deren Parasiten eine Ab- änderung erlitten haben; mit der Veränderung der Lebensweise und der Nahrung der neuen Wirte konnten sich auch die ursprüng- lichen Infektionsweisen verändern. Das Gleiche können wir auch bildung kaum als wesentlich beeinträchtigt erscheint. — 2. Die Form der Redie kann direkt auf die des Embryos zurückgeführt werden und entsteht aus dieser durch Weiterentwickelung einzelner Organe des Embryos; auch der Bau der Cercarie schließt sich in vielen Zügen direkt an den der Redie an“ (p. 166-167). 54) Vgl. Mordwilko, A. Heterogonie ete. Biol. Oentralbl. Bd. 27, 190f. 55) Uber die Nahrung der Amphibien siehe Brehms Tierleben Bd. VII. 448 Mordwilko, Uber den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. bezüglich der Entoparasiten von Reptilien und anderen Wirbel- tieren voraussetzen. Allein es ist vielleicht auch möglich, daß irgend welche Amphibien, Reptilien, Vögel oder Säugetiere von neuem irgend welche Trematoden erworben haben, z. B. Parasiten von Fischen oder Amphibien u. d.m., indem sie zu der entsprechenden Nahrung übergegangen sind. Wenn z. B. irgend ein Amphib oder Vogel Insekten erbeutet, welche sich im Wasser entwickelt haben und Jugendstadien eines Fischtrematoden ın sich enthalten, oder wenn irgend ein Vogel oder Reptil beginnt sich von Fischen zu ernähren, die sowohl entwickelte, als auch junge Trematoden ent- halten, oder von Mollusken mit enzystierten Cercarien in ihrem Innern, so ist es vielleicht auch möglich, dass dies zur Verwandlung eines Teiles der Fischtrematoden zu Trematoden anderer Wirbel- tiere führen wird u.s. w. Viele solche Fragen können erst nach erschöpfender Bearbeitung der Systematik und Phylogenie der einzelnen Trematodengruppen gelöst werden. Verschiedene andere Arten der Infektion der Wirte durch entoparasitische Trematoden können leicht aus dem hier mitgeteilten Grundtypus abgeleitet werden, wenn man die verschiedenen Eigen- tümlichkeiten ım Leben der betreffenden Wirtstiere in Betracht zıeht, z. B. den Ausfall des zweiten Zwischenwirts bei den Trema- toden der landbewohnenden Tiere, deren Beute aus ebenfalls land- bewohnenden Tieren besteht, oder bei den Trematoden der Gras- fresser unter den Säugetieren, bei denen die Rolle des zweiten Zwischenwirts durch die am oder im Wasser wachsenden Kräuter übernommen werden kann. | Ich halte es für zweckmäßig hier eine ausführlichere Betrach- tung von Beispielen des Wirtswechsels und der Heterogonie der entoparasitischen Trematoden einzuschalten, wie sie von den ento- parasitischen Trematoden der Fische und Amphibien (und nur z. T. auch anderer Tiere) geboten werden: einerseits wird man nach- weisen können, dass meine Hypothese sich mit den bisher genau festgestellten Tatsachen ın vollem Einklang befindet, andererseits werden auch einige Lücken in unserer Kenntnis von der Lebens- geschichte der Trematoden gezeigt werden können. Asymphylodera (Distomum) perlata v. Nordm. parasitiert fast ausschließlich im Darme der Schleie (Tinca vulgaris), doch wurde diese Artvon Looss auch im Darme von Abramis brama angetroffen, während v. Linstow Barbus fluviatilis als den Wirt dieser Tre- matode („Distomum ferruginosomum“) bezeichnet *). Die Zwischen- wirte sind nach Lo0ss Bythinien, in welchen sich die Sporozysten entwickeln, aus denen die ungeschwänzten ÜÖercarien hervorgehen 56) Looss, A. Die Distomen unserer Fische und Frösche. Bibl. Zool. Heft 16, 1894, p. 24. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. 449 (Cercaria Distomi perlati Looss —= Distomum armatum de Fil. + D. inerme de Fıl.). „Bemerkenswert ist bei dieser Cercarie*, sagt Looss, „dass sie, den ihr das Attribut des freien Lebens, der Ruderschwanz, remerlı dennoch ihren Wirt verlässt, um en im Freien ihren Weg zu suchen. Wie sie dabei verfährt, habe ich noch nicht herausbekommen, doch traf ich sie einmal lebendig und agil im Bodensatz des Wassers, in dem zahlreiche, zum Teil infizierte Bythinien saßen; andererseits wiesen diese alle nach und nach sehr reichlich enzystierte junge Distomum perlatum in ihren Geweben auf, ohne selbst mit den Keimschläuchen infiziert zu sein“ °”). Boe fügt zwar sofort hinzu „Wie die weitere Über- tragung erfolgt, weiß ich noch nicht“, doch wird man wohl kaum daran zweifeln können, dass diese Übertragung einfach auf die Weise erfolgt, dass namentlich die Schleien (Tinca vulgaris), aber auch Abramis brama und Barbus fluwiatilis infizierte Bithynien fressen®®). Da nun die Schleien die fast ausschließlichen Wirte von As. perlata bilden und sich gleichzeitig hauptsächlich von Schnecken und Muscheln ernähren, so ist es sehr wahrscheinlich, dass es nicht Arthropoden sind, welche As. perlata als zweite Zwischenwirte dienen. Großes Interesse verdient der Umstand, dass sich die ungeschwänzten Uercarien nach Looss sowohl im Körper derselben Bithynien enzystieren können, in denen sie entstanden sind, aber auch zu diesem Zwecke in andere Individuen der Bythi- nien übergehen können. Sphaerostomum globiporum Rud. parasitiert im Darme von Perca fluviatilis, Tinca vulgaris, Squalius cephahıs, Chondrostoma nasus, Oyprinus carpio, Barbus fluwiatilis, Abramis blicca, A. wimba, Leu- ciscus rutilus, Scardinius erythrophlhalmus u. a. m.°°). Die ent- sprechende Cercarie (Cercaria micrura de Fil.) entwickelt sich „ın schlauchförmigen Sporozysten von sehr regelmäßiger Gestalt ın Di- Ihynia tentaculata“ und „zeichnet sich in ıhrem jüngeren Alter durch den Besitz eines ganz kurzen, stummelförmigen Schwanzes aus, der später aber noch innerhalb der mütterlichen Sporozysten ab- geworfen wird“. Nach Looss verlassen die Cercarien die Sporo- zysten, in welchen sie sich entwickelt haben, gewöhnlich nicht, en- zystieren sich dagegen meist in diesen letzteren ®). Allein schon ın Anbetracht essen daß die betreffende Gercarie von Wagener 57) Ibid., p. 32, ebenso p. 239. 58) Bezüglich der Nahrung von Tinca vulgaris und Abramis brama sowie einiger anderer Süßwasserfische vgl. Susta, J. Die Ernährung des Karpfens und seiner Teichgenossen, 2. Aufl., 1905; Nahrung der Schleie p. 207, des Brachsen p- 212. Bezüglich der Nahrung von Barbus fluviatilis vgl. Sabanejev, Die Fische Rußlands, 2. Aufl. (Russisch), Moskau 1892 59) Looss, A. Loco eit, p. 42. 60) Einmal wurde die Cercarie der entsprechenden Art auch von Ssinitzin innerhalb einer Zyste enzystiert angetroffen (1905). 450 Mordwilko, Uber den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. freilebend in der Leber von Limnaea stagnalis, von v. Linstow dagegen enzystiert im Fusse von Limnaea ovata gefunden wurde, war Looss veranlasst zuzugeben, dass: „wird ... zugleich der Be- weis geliefert, dass dieselbe gelegentlich auch ihren Wirt verlassen und sich außerhalb desselben an anderer Stelle einkapseln kann.“ Zum Schlusse bemerkt Looss: „Über ihre "weiteren Schicksale herrscht zur Zeit freilich noch Dunkel“). Wenn sich jedoch Cer- caria mierura wenigstens zum Teile in denjenigen Schnecken en- zystiert, in welchen sie sich entwickelt oder zu diesem Zwecke in andere Schnecken ‘übergeht, so könnte man wohl erwarten, dass wenigstens einige Fische mit der betreffenden Distome infiziert werden, indem sie einfach die Schnecken fressen (so z. B. die Schleie, der Karpfen, der Barsch u.a. m.%). Allein die Cercarien verlassen nach Ssinitzin normalerweise ihre früheren Wirte und suchen sich als neue Wirtstiere Egel der Gattung Nephelis auf, unter deren Haut sie sich dann enzystieren®). Man wird jedoch annehmen können, dass es nicht Egel sind, sondern irgendwelche anderen Tiere, die normalerweise die Zwischenwirte unserer Distomen abgeben. Oreadium tsoporum Jo00ss parasitiert in Cyprinus carpio, Pho- xinus laevis, Leueiscus rutilus, Abramis brama, Squalius cephalus, Tinca vulgaris. lLooss vermutete, die entsprechenden Cercarien entwickelten sich in an Sporozysten erinnernden Redien innerhalb von (yclas cornea und Ü. rivicola. Die ÜÖercarien besitzen einen zıemlich stark entwickelten Schwanz, was darauf hinweist, dass die- selben normalerweise aus ıhren ersten Wirten auswandern, um sich darauf in irgend welche andere Wirte einzubohren. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt geblieben ®*). Hemiurus appendieulatus Rud. lebt im Magen und Darme von Olupea harengus, Alosa vulgaris u. a. m. Der erste Zwischenwirt ist unbekannt, als zweiter treten verschiedene Oopepoden auf, wie Luecullus acuspes, Oentropagus hamatus ®°). Von Interesse ist die Entwicklung von Gasterostomum fim- briatum aus dem Darme von Süßwasser-Raubfischen: Esox lucius, Perca fluwiatilis, Lucioperca sandra. Die Eier gelangen mit den Faeces des Wirtstieres in das Wasser, und da sich in denselben nackte, unbewimperte Embryonen entwickeln, so verlassen diese 61) Looss, A. Loco eit., p. 47—48. 62) Selbst im Darme von Leueiscus rutilus fand J. Arnold Bruchstücke von Pisidium. Fischerei-Bote (Russisch), Bd. 17, St. Petersburg, 1902, p. 39—69. 63) Looss, A. Loco cit. p. 49, 54—55. 64) Sinitzyn, D. Beiträge zur Naturgeschichte der Trematoden. Die Di- stomen der Fische und Frösche der Umgebung von Warschau. (Russisch). Nach- richten der Warschauer Universität, 1905, p. 113—121. 65) Vgl. Braun, M. in Bronns Klassen u. Ordn. IV. Bd. Vermes p. 864. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 451 letzteren das Ei erst im Darme des Zwischenwirtes, in diesem Falle von Süßwasser-Unioniden (Anadonta, Unio). Wahrscheinlich ge- langen die Eier von Gasterostomum, wie dies bei denen von Aspido- gaster conchicola der Fall ist, zuerst mit der Strömung des Wassers in die Mantelhöhle und darauf erst in den Darm der Muscheln. Im Körper der Muscheln wächst aus den Embryonen „ein mehrere Centimeter langer fadenförmiger Keimschlauch und an diesem werden durch: Knospung Seitenzweige gebildet, die auch lang auswachsen“ (Sporozyste). „Meistens sind ın den infizierten Muscheln die Leber und der Eierstock dicht mit parasitischen Fäden durchwoben. Nahe an der Haut scheinen die letzteren besonders zu gedeihen“ ®®), Innerhalb der Sporozysten entwickeln sich eigenartige Üercarien, die sogen. Bucephalen (mit einem büffelhörnerartig gegabelten Schwanze). Die Bucephalen verlassen die Muschel mit dem durch den Analsipho strömenden Wasser, schwimmen eine Zeit lang im Wasser herum und sinken nach etwa 15 Stunden zum Boden herab. Ziegler hat experimentell festgestellt, daß die Rotfeder (Scar- dinius erythrophthalmus) den zweiten Zwischenwirt dieses Parasiten bildet; er setzte diese Fische in ein Aquarium mit infizierten Muscheln, hat jedoch die Frage offen gelassen, auf welche Weise die Infektion der Rotfedern vor sich geht. Nach einigen Wochen fand Ziegler in den Rotfedern enzystierte Parasiten „unter der Haut in dem Bindegewebe und den Muskeln aller weichen Stellen an der Mund- und Kiemenhöhle mit Ausnahme der Kiemen“. Allein man wird angesichts der bedeutenden Größe des Schwanzes der Cercarien (die Körperlänge beträgt ca. 0,25 mm, ein jeder Ast des Schwanzes je nach dem Grad der Kontraktion 0,5—2,5 mm) an- nehmen. können, dass dieselben kleinen Fischen zur Beute dienen %) oder aber einfach bei der Atmung in die Kiemen- und Mundhöhle der Fische geraten. Ziegler hatte zu seinen Versuchen ganz zu- fällig ‚Scardinius erythrophthalmus ausgewählt, doch können offenbar auch andere Arten von kleinen Fischen sich mit der Rotfeder in die Rolle des zweiten Zwischenwirtes teilen, namentlich karpfen- artige Fische. In v. Linstow’s „Nachtrag“ zum „Compendium der Helminthologie“ sind die Cysten der jungen Gasterostomen auch für Gobio fluviatilis angeführt („ad branch., museul. in caps.“, p. 90). Die Hechte und Barsche infizieren sich mit den Parasiten, indem sie ihre Beute verzehren. : Die Amphibien sind ausnahmslos Fleichfresser, wobei sehr viele 66) Ziegler, H. Ernst. Bucephalus und Gasterostomum. Zeitschr. f. wiss Zool. Bd. 43. 1883, p. 538—571, die betreff. Stelle p. 563. 67) Vgl. die Beobachtungen von M. Braun über die Cercarien ‚freischwim- mende Sporozysten“ in „Die sogen. freischwimmende Sporozyste“. Centralbl. für Bacteriol. u. Parasitenk. X. Bd. 1891, p. 215 u. ff. (die betr. Stelle p. 218-219). 452 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. unter ihnen auch Wasser- und Landschnecken erbeuten, so z. B. die Tritonen, Kröten und Frösche. „Kerbthiere, Würmer, Schnecken*, sagt Brehm‘), „bilden ihre bevorzugte Nahrung, Fischlaich und kleine Fischehen dienen ebenfalls zur Speise; die größten Arten der Ordnung wagen sich sogar an kleine Säugetiere und Vögel“. Speziell über die Nahrung von Rana eseulenta sagt unser Autor: „Für gewöhnlich bilden Kerbthiere, nach Gredlers Beobachtungen auch stechende Immenarten, beispielsweise Wespen, außerdem Spinnen und Schnecken seine Hauptnahrung* (p. 575)°®); die Jagd von Rana temporaria „gilt den verschiedenen Kerbthieren, nackten Erdsehnecken und ähnlichem Kleingethier“ (p. 579); bezüglich des amerikanischen Frosches, Rana pipiens sagt Brehm „Kerbthiere, Land- und Süßwasserschnecken bilden eine Hauptnahrung“ (p. 581); Pelobates fuscus (p. 589), Bombinatar igneus : „Ihre Haupt- nahrung besteht in Ungeziefer der verschiedensten Art, insbeson- dere in Würmern, Schnecken, Kerfen und kleinen Wirbelthieren ...“ (p. 594); Bufo: „Neben dem genannten Kleingethier scheinen Nackt- schnecken beliebt zu sein ...* (p.598). Die Nahrung der Urodela besteht nach Brehm „aus Weichthieren, Spinnen, Kerfen und mancherlei Wirbelthieren. Einzelne von ihnen sind ausgezeichnete Räuber, die meisten so rücksichtslos, dass sie schwächere ihrer eigenen Art ohne weiteres auffressen“ (p. 611). Speziell „Die Tri- tonen sind von ihrer frühesten Jugend Räuber, welche sich aus- schließlich von thierischen Stoffen nähren. Anfänglich jagen sie auf sehr kleine Wesen . . ., später gehen sie größere Beute an, so allerlei Kerfe, welche auf der Oberfläche des Wassers schwimmen, Schnecken, überhaupt Weichthiere, Regenwürmer, Froschlurche, kleine Fischehen, vielleicht auch junge Frösche oder die Larven ihrer eigenen Art“ (p. 628). Opisthioglyphe endobola Duj., mit welcher Distomum retusum v. Bened. nach Looss identisch ist, bewohnt vorzugsweise den mittleren Abschnitt des Darmes von Rana esculenta, allein häufig auch von Rana temporaria sowie von Triton eristatus. Nach P. J. van Beneden’’®) entwickeln sich die Cercarien dieser Art in Keim- schläuchen in der Leber von Limnaea stagnalis. Mit Hilfe ihres Schwanzes schwimmen die Cercarien gleich herum, wobei sie Be- wegungen wie Fgel oder Spannerraupen „des (sangsues el des chenilles arpenteuses“) ausführen. Die Cercarien enzystieren sich ent- weder im Kürper derjenigen Schnecken, in welchen sie sich ent- 68) Brehm’s Tierleben. 2. Aufl. VII. Bd. 1575, p. 550. 69) Auch nach den Beobachtungen von K. Th. Kessler (Naturgeschichte des Bezirkes Kiev. Reptilien und Amphibien. Russ. 1853, p. 54) frisst Kanı es- cuenta neben anderen Tieren noch Schnecken (Limnaea, Succinea). 70) Beneden, P. J. van Memoire sur les vers intestinaux. Paris, 1858, p. 94—9. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 453 wickelt haben, oder aber sie dringen in den Körper im Wasser lebender Insektenlarven ein, so z. B. von Phryganıden, auf deren Malpighischen Gefäßen sie sich enzystieren. Indem er in den Darm von Fröschen freibewegliche Oercarien einführte, traf van Bene- den dieselben nach 6 Stunden in der Schleimschicht des Darmes enzystiert an, wobei der Schwanz der Öercarie häufig neben der Cyste lag. Dieser Umstand weist darauf hin, daß Frösche oder Tritonen sich nur durch Verschlucken enzystierter junger Trema- toden infizieren können, d. h. mit ihrer Nahrung, welche aus In- sekten und aus Schnecken besteht. Nach v. Linstow entwickeln sich die Distomum endobolum ent- sprechenden Cercarien in großen farblosen Sporozysten im Körper von Limnaea ovata. Nach den Beobachtungen dieses Autors lassen sich die Cercarien in die ım Wasser lebenden Larven von Lim- nophilus rhombicus (auch L. griseus, Phryganea flavicornis, Anabolia nervosa, ebenso Ephemera vulgata, Ohlocon dipterum) ein, „um sich nach Verlust des Ruderschwanzes und des Stachels im Fettkörper einzukapseln“. Eingekapselte Larven wurden an eine Rana tempo- raria verfüttert, deren Exkremente keine Trematodeneier enthielten. Am 13. Tage nach der Infektion wurde der Frosch obduziert, wobei in seinem Darme junge O. endobola angetroffen wurden, deren Zahl einem Drittel der zum Versuch verwendeten Zysten entsprach ”'). Schwarze beschreibt seine Versuche mit der Aufzucht von O. endobola aus Cercaria armata, die sich in Limmnaea stagnalis ent- wickelt hatten, in folgender Weise: „Ich verfütterte zunächst, um mich selbst von dem ferneren Schicksal der Cercaria armata zu überzeugen, einige mit ihr infizierte Limnaeen, welche meistens zahlreiche Zysten enthalten, an Rana esculenta .... Der Versuch wurde etwa 20mal mit Erfolg wiederholt, und zwar an Fröschen, welche geraume Zeit vorher keine Nahrung erhalten hatten. Einige Frösche wurden 8 Stunden nach der Fütterung geöffnet, und ich fand im vorderen Darmabschnitte eine große Anzahl von jungen Distomen. Daneben waren auch einige nicht eingekapselte Gercarien lebendig in den Darm gelangt“ Doch „zeigen sie nur noch ge- ringe Lebensenergie, so daß sie wahrscheinlich nie zur vollen Ent- wickelung gelangen dürften“. Was die verschiedenen Altersstufen der bei der Öffnung der Frösche beobachteten Distomen betrifft, so bemerkt Schwarze: „die meisten enthielten jedoch noch keine Eier und einige beobachtete ich gerade beim Ausschlüpfen aus der Zyste“”2), Was nun die mehr erwachsenen Distomen anbelangt, die bei dem Öffnen der Frösche bald nach erfolgter Verfütterung an- 71) v. Linstow. Helminthologische Untersuchungen. Zool. Jahrb. Syst. Abt. 3. Bd. 1888, p. 97-101. — Jen. Zeitschr. f. Naturw., Bd. 28, p. 332—333. 72) Schwarze, W. Die postembryonale Entwickelung der Trematoden. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 43, 1885, p. 41 u. ff. 454 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. getroffen wurden, so waren dieselben natürlich anderer Herkunft; doch ist es nicht zulässig aus diesem Grunde allein den Versuchen von Schwarze jegliche Bedeutung abzusprechen, wie dies Ssinitzin getan hat: es sind doch von Schwarze auch ganz junge und sogar eben erst aus den Zysten ausschlüpfende Distomen beobachtet worden, und diese letzteren konnten nur bei den Versuchen in den Darm der Versuchsfrösche gelangt sein. Die Angabe von Ssinitzin, die Frösche fräßen niemals Schnecken, ist an und für sich un- richtig, indem dieselbe den positiven Beobachtungen anderer Autoren direkt widerspricht. Ssinitzin ist der Ansicht, die der ©. endobola entsprechende Gercarie sei die Oercaria gibba de Filippi, welche sich in einfachen Sporozysten in der Leber und den Geschlechtsdrüsen von Lim- naea peregra, L. stagnalis, L. palustris (Ercolanı, Ssinitzin) und selbst von Paludina vivipara (Ercolanı) entwickeln. Die Uercarien erwählten sich, nach den Beobachtungen von Ssinitzin, nur Frösche und Kaulquappen zu Wirten (doch ist zu bemerken, daß ihnen von Ssıniıtzin keine Schnecken angeboten wurden!) unter deren Haut sie sich einbohrten und hier enzystierten. Ssinitzin hatte ver- mutet, daß diese Eigenheit der Cercarien darauf berechnet wäre, dass ältere Frösche häufig jüngere Artgenossen verschlingen’”?). Es dürfte jedoch wahrscheinlicher erscheinen, dass dieses Verhalten von Cercaria gibba darauf gerichtet ist, dass die Frösche bei ihrer Häutung ihre alte Haut auffressen; auf dieses Auffressen der alten Haut durch die Frösche ist nach A. Lang auch die Erscheinung berechnet, dass die Cercarien von Diplodiscus subelavatus sich bis- weilen auf der Haut der Frösche enzystieren. Ob sich die O. endobola entsprechenden Cercarien in Wirklich- keit sowohl in Schnecken (Zimnaea) (van Beneden, Schwarze), als auch in Larven von Wasserinsekten (van Beneden, v. Lin- stow) sowie auf der Haut von Fröschen und Kaulquappen (Ssi- nitzin) enzystieren können, bedarf noch einer Bestätigung durch weitere Versuche. Haplometra eylindracea Zeder parasitiert fast ausschließlich in den Lungen von Rana temporaria. Ihre Entwicklung wurde durch v. Linstow’*) festgestellt. „In den Lungen, welche von Distomum bewohnt werden, findet man die Eier massenhaft; durch Flimmerbewegung werden sie von hier in die Luftröhre, in den Schlund, den Magen und Darm und von da mit den Exkrementen ins Freie befördert“. Ein anderer Weg, auf dem die Eier nach außen gelangen, 73) Ssinitzin. Loco eit. p. 121—136. 74) Über den Bau und die Entwickelung des Distomum eylindraeeum Zed. Arch. f. mikr. Anst., 36. Bd., 1890, p. 173—191. s : 3 . A F R R Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 455 wurde von M. Braun”’) nachgewiesen. Die Trematoden treten aus den Lungen der Frösche, die soeben aus dem Winterschlafe er- wacht sind, in die Mundhöhle über und gelangen sodann durch die Nase in das Wasser, wo sie absterben und ihre Eier frei werden. Nach einigen Wochen oder Monaten schlüpfen aus den Eiern schwimmende Miracidien aus. Diese letzteren bohren sich in Limnaea ovata ein und verwandeln sich in deren Leber zu Sporozysten. In diesen letzteren gelangen geschwänzte Öercarien zur Entwicklung, welche die Schnecken verlassen und im Wasser herumschwimmen oder am Grunde desselben herumkriechen. Die enzystierten Larven fand v. Linstow in einem kleinen Schwimm- käfer, Ihbius fuliginosus F., doch vermutet dieser Autor, dass die Cercarien sich nicht m die Käfer selbst, sondern in deren weich- häutige Larven einbohren und sich dort mit einer sehr zähen und widerstandsfähigen Kapsel umgeben. Diese letzteren verlassen die jungen Distomen erst im Magen des Frosches und gelangen von hier durch den Oesophagus und die Mundhöhle in die Bronchien und die Lungen des Frosches, wo sie sich ansiedeln. Außer H.eylindracea ist der volle Entwickelungszyklus auch noch für Gorgodera eygnoides Zed. festgestellt worden, die in der Harnblase von Fröschen, namentlich von Rana esculenta schmarotzt. Wagener hat ihre Entwickelung von der Miracidie bis zur Cercaria maerocerca sorgfältig untersucht. Die Miracidien befestigen sich an den Kiemen von Pisidium und Sphaerium (Cyelas), wo sie sich zu Sporozysten ver- wandeln, in deren Inneren sich neue Sporozysten entwickeln. In diesen letzteren gelangen Öercarien mit sehr langem und kräftigem Schwanze zur Entwickelung, welche bald im Wasser herum- schwimmen, bald mit Hilfe ihrer Saugnäpfe herumkriechen, „wobei sie den Schwanz oft energisch zu schütteln pflegen“. Diese Cer- carien können im Wasser mehrere Tage am Leben bleiben. Das weitere Schicksal der Cercarien schildert Wagener wie folgt: Diese Fähigkeit der Üercarie, sich durch Kriechen und Schwimmen fortzubewegen, kann es möglich machen, daß sie in den Mastdarm eines Frosches gerät, durch dessen After ein kurzer Weg zur Blase führt“ ”%). Allein in Wirklichkeit verhält sich die Sache anders. Nach den Beobachtungen von Ssinitzin wurden die Cercarien von Odonatenlarven (z. B. Epitheca? und Agrion) und einem kleinen Käfer als Beute verschluckt. ‚Diejenigen Cercarien, welche der Tätig- keit der Kiefer dieser Insekten entgehen, werfen ihren Schwanz ab und dringen in die Wandung der Speiseröhre oder in die Leibes- höhle ein, wo sie sich enzystieren. Das Verfüttern von Zysten 75) Braun, M. Notiz über Auswandelung von Distomen. Centr.-Bl. f. Bakt. wrbar-K.,.. Bd,. 1800, p.:568: 76) weinen G. R. Beiträge zur Entwier ge ehte der Eingeweide- würmer. 1857, p. 29—42. 456 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc, mit Cercarien an Frösche führte zu einer Infektion dieser letz- teren ””). Wahrscheinlich infizieren sich die Frösche im Freien, indem sie aus dem Wasser kriechende oder in dessen Nähe herum- schwimmende Odonaten sowie Käfer verschlucken. Als Zwischenwirte für die Cercarien anderer Froschtrematoden gibt Ssinitzin folgende Tiere an: für Hematoloechus variegatus Rud. — (alopteryx virgo, für Halipegus ovocaudatus Vulp. (Cercaria cystophora, welche sich ın kleinen Planorbis-Arten entwickelt) -— ebenfalls Oxlopteryx virgo, für Prosotocus confusus Looss — Aeschna, Cordulia sowie die Larven eines Käfers, für Plewrogenes medians Ols. — Agrion und die Larven desselben Käfers für Pleurogenes claviger — die Larven eines kleinen Wasserkäfers. Von großem Interesse ist die Beobachtung, dass sich die jungen Individuen von Haem. va- riegatus und Hal. ovocaudatus nicht im Körper ıhres provisorischen Wirtes enzystieren, sondern frei bleiben, dabei aber durchaus be- fähıgt sind ıhre definitiven Wirte zu infizieren ”®). Von Interesse ist die Entwickelung von Diplodiscus (Amphisto- mum) subelavatus Rud., welcher ım Mastdarm fast aller euro- päischen Molche und Frösche parasitiert, „am häufigsten bei den vorzugsweise im Wasser lebenden Arten“ (Looss). Die Eier werden mit völlig entwickelten Miracidien abgelegt. Diese letzteren dringen nach dem Verlassen der Eier ın die Atemhöhle verschiedener Pla- norbis-Arten ein, sodann ın deren Leibeshöhle, zwischen die Säcke der Leber und der Zwitterdrüse. Die Miracıdien verwandeln sich darauf zu Sporozysten, in denen sich die Redien entwickeln. Die neugeborenen Redien begeben sich zur Zwitterdrüse. Innerhalb der Redien entwickeln sich die ÜCercarien, welche die Schnecke ver- lassen und ın das Wasser gehen, aber hier nicht lange herum- schwimmen, sondern bereits nach wenigen Stunden zu Boden sinken und sich enzystieren. Solche Zysten häufen sich während des Sommers am Grunde des Gewässers an; im Winter werden sie von den sich zu dieser Jahreszeit im Schlamme vergrabenden Fröschen mit dem Schlamme verschluckt. Im Darme solcher Frösche fand Looss im Schlamme sowohl ganze Amphistomen, als auch Über- reste von Zysten. Durch Lang wurden jedoch auch noch andere Infektionen der Frösche festgestellt. Looss beobachtete Uysten auf Schnecken, Lang dagegen fand Zysten auf der Haut von Mol- chen und Fröschen. Da diese Amphibien während ihres Lebens im Wasser sich öfters häuten und dabei meistens die abgeworfene Epidermis auffressen, führen sie auf diese Weise auch die Zysten von Amphistomum in ihren Darm ein. Natürlich können sie aber auch durch Schnecken infiziert werden. 77) Ssinitzin, D. Beiträge etc. (Russ.) 1905, p. 52—2. 78) Ssinitzin, D. Ibid. p. 137—146. Müller-Pouillet’s Lehrbuch der Physik. 457 Bei den Trematoden der ausschließlich landbewohnenden Wirbel- tiere, deren Nahrung aus ebenfalls landbewohnenden Tieren oder aber aus Gras oder anderen Pflanzen besteht, fallen diese zweiten Zwischenwirte auf sekundärem Wege aus oder werden durch das Gras ersetzt. Hierher gehören z. B. Urogonimus macrostomus, ein Parasıt des verschiedener Singvögel”®), Harmostomum lep- tostomum Olss. (Distomum caudatum v. Linst.), Parasiten im Darme des Igels°"), keit hepatica aus den Gallengängen der Leber vieler Grasfresser, wie Dos, Bison, Orvis, Cervus u. a.m.*'), Param- phistomum. cervi (Amphistomum conieum®?). (Schluss folgt.) August Weismann. Charles Darwin und sein Lebenswerk. Festrede gehalten zu Freiburg i. B. am 12. Februar 1909. Gr. 8. IV u. 32 8. Jena. 1909. Gustav Fischer. Unter den zahlreichen Schriften, welche die Hundertjahrsfeier von Darwin’s Geburtstag veranlasst hat, nimmt diese kleine Schrift des bekannten Freiburger Zoologen eine hervorragende Stellung ein. In schlichten Worten wird das Lebensbild Darwin's entworfen, sein Werdegang und der Inhalt seiner Werke dargestellt, der Ein- fluss, welchen seine Lehre auf die Entwickelung der biologischen Wissenschaften ausgeübt hat, klargelegt. Die unbefangene Wür- digung des von Darwin Geleisteten ist, ganz geeignet, auch denen, die den biologischen Wissenschaften fernerstehen, eine Kenntnis der Darwin’schen Lehre zu vermitteln, welche sie aus den aus- führlicheren, aber häufig auch einseitigen Darstellungen anderer Bücher kaum erlangen können. — Für eine neue Auflage mache ich auf zwei stehen gebliebene Druckfehler aufmerksam: S. 2 Tre- viranus statt Travöranus und S. 14 Galapagos-Inseln statt Galdpagos- inseln. R. Müller-Pouillet’s Lehrbuch der Physik. 10. Aufl. Herausgeg. von L. Pfaundler. 2. Bd. 2. Abteil. (Schluss) bearbeitet von OÖ. Lummer. Gr. 8. XXVII u. 309 S. 13 Tafeln. — 3. Bd. XIV u. 9238. bearbeitet von L. Pfaundler, K. Drucker, A. Wassmuth und J. Haun. — 4. Bd. 1. Abteill. XII u. 622 8., bearbeitet von W. Kaufmann und A. Coehn. Braunschweig. 1907 und 1909. Vieweg & Sohn. Die 2. Abteilung des 2. Bandes bringt die Optik zum Schluss. Herr Lummer (Breslau), welcher diesen Abschnitt schon in der 9. Auflage bearbeitet hat, hat ihn jetzt einer völligen Umarbeitung 79) Zeller, 1874; Heckert, 1889. 80) Bloehmann, Fr. 1892; K. Hofmann, 1899. sl) a 1882; Lutz, 1892, 1893 u. a. Autoren. 82) Looss, 1896 (Recherches sur la faune parasitaire de ’Egy pte. Partie 1. M&m. de l’Insi. 2a T.3. Le Caire, 1896, chap. 2). 458 Müller-Pouillet’s Lehrbuch der Physik. unterworfen und dabei die ganze Lehre von der strahlenden Energie mit einbezogen. Leider musste er dabei, um den Umfang nicht allzusehr anschwellen zu lassen, manche Kürzungen vornehmen, insbesondere in der für den Biologen wichtigen Abbildungslehre vieles streichen. Er verweist zum Ersatz dafür auf die englische Uebersetzung der betreffenden Abschnitte seiner früheren Dar- stellung, welche Herr Sylvanus P. Thompson herausgegeben hat. Im Abschnitte vom Auge sind die neuesten Errungenschaften physiologischer Forschung, namentlich die Ergebnisse der Unter- suchungen von v. Kries über die Funktionen der Stäbchen und Zapfen und von Chun über die Augen der Tiefseefische berück- sichtigt worden. Die vorliegende 2. Abteilung des 2. Bandes behandelt das elliptisch polarisierte Licht, die chromatische Polarisation, die Rotationspolarisation, wobei die für den Biologen wichtigen Apparate zur Messung der spezifischen Drehung ausführlich besprochen werden, die Theorie der Reflexion und der normalen und anormalen Dis- persion, endlich die magneto-optischen Erscheinungen. In allem bewährt sich das Buch als ein zuverlässiger Führer auch für die, welche der Physik als einer Hilfswissenschaft bedürfen. Der 3. Band enthält die Lehre von der Wärme. Herr Pfaundler hat die Thermometrie und Kalorımetrie bearbeitet, Herr Drucker (Leipzig) die chemisch-physikalische Statik, die Umwandlung der Aggregatzustände und die Thermochemie, Herr Wassmuth (Graz) die Thermodynamik, die Wärmeleitung und die kinetische Wärme- theorie, endlich Herr Hann (Wien) die Meteorologie. Auch in diesem Bande wird der Biologe wertvollen Aufschluss über für ihn wichtige neue Errungenschaften der physikalischen Wissenschaft finden, z. B. über die Phasenlehre und vieles andere, das nicht ım einzelnen aufgezählt werden kann. Nebenbei mache ich auf einige Druckfehler aufmerksam, die mir aufgestoßen sind. S. 286 u. 237 ist die „Brücke’sche Lupe“ (nach dem berühmten Physiologen Ernst Brücke benannt, wie im 2. Bd. S. 507 richtig angegeben ist) als „Brügge’sche Lupe“ bezeichnet und S. 286 2.2 v. u. steht „Säure“, wo es wohl „Säule“ heißen soll. Im 4. Band hat Herr Kaufmann (Königsberg) die Elektrizitäts- lehre ganz neu bearbeitet; das 7. Kapitel (Elektrochemie) stammt aus der Feder des Herın Coehn (Göttingen). Der vorliegende 1. Teil des Bandes enthält die Lehre vom Magnetismus in der neuen durch Faraday und Maxwell begründeten Form, die Elektrostatik, den elektrischen Strom und die Elektrizitätsleitung und -erregung. Ueberall geht die Darstellung von den Versuchen aus, welche in anschaulicher Weise geschildert werden und mit möglichst einfachen Mitteln anzustellen sind, und aus diesen werden die Gesetzmäßigkeit induktiv abgeleitet. So bildet die Arbeit des Herrn Kaufmann eine mustergültige elementar-wissenschaftliche Dar- stellung der modernen Elektrizitätslehre. I. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herren Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Ba. XXIX. 1. August 1909. As 15. Inhalt: Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten bei den tierischen Parasiten (Schluss). — Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. — Hartmann, Polyenergide Kerne. — Goebel, Einleitung in die experimentelle Morphologie der Pilanzen. Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten bei den tierischen Parasiten. Von A. Mordwilko, Privatdozent a. d. Universität St. Petersburg. (Schluss.) | Bei oberflächlicher Betrachtung der Frage kann der Umstand wohl merkwürdig erscheinen, dass die entoparasitischen Trema- toden, nachdem ihre Brut die Fähigkeit erlangt hat, sich im Körper der Mollusken fortzupflanzen, nicht zu ausschließlichen Parasiten dieser letzteren geworden sind. Allein dies konnte gar nicht ein- treten, indem die meisten Mollusken sich gar nicht zu wahren Wirten der Trematoden eignen, was schon aus der Tatsache her- vorgeht, daß nur aus wenigen Formen der Rhabdocoela Entoparasıten von Mollusken hervorgegangen sind. Aus diesem Grunde erscheint auch die Annahme von R. Leuckart durchaus unbegründet, wo- nach die miracidienartigen Larvenformen der Trematoden zur Bil- dung solcher Parasiten führen konnten, wie es die Dieyemidae und Orthonectidae sind ®). Der Entwickelungsgang dieser Parasiten führte im Gegenteil zweifellos durch die entoparasitischen Rhab- docoela. 83) Leuekart, R. Zur Entwickelungsgeschichte des Leberegels. Arch. f. Naturgesch. 48. Jahrg. I. Bd., 1882, p. 95 —96. XXIX. 29 460 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete, Verhält sich nun die Sache in Bezug auf die entoparasitischen Trematoden so, wie wir es weiter oben dargestellt haben, so wird man fragen können, warum nicht auch bei den Cestodes, deren Ver- wandtschaft mit den Turbellaria und namentlich mit den Rhabdo- oela wohl kaum einem Zweifel unterliegen kann ®*), eine übereinstim- mende Infektionsweise der Wirtstiere entstehen konnte? Dies konnte aber aus dem Grunde nicht der Fall sein, weil das sehr starke und langandauernde Wachstum der Öestoden, wozu meistens noch die Bildung zahlreicher Proglottiden kommt, von denen eine jede ein- zelne eine ungeheure Menge von Eiern enthält, die Bildung einer so großen Menge von ana zur Folge hat, daß letzteren die Möglichkeit geboten wird in eine uinaelbran Anzahl von wahren Zwischenwirten wie auch in viele ler: Tieren zu gelangen. Wenn nun die Öestodenbrut aus irgend welchem Grunde die Fähig- keit erlangt hat, sich im Körper des Zwischenwirts fortzupflanzen (durch Knospung), so wird dem entsprechend sowohl die Zahl der Proglottiden einer Kette, als auch die Fruchtbarkeit der erwach- senen Üestoden überhaupt herabgesetzt werden können, wovon wir denn auch bei Taenia echinococeus ein Beispiel sehen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Cestoden ursprünglich noch nicht den Cha- rakter von Ketten oder „Strobilae“ aufwiesen, sondern ihrem äußeren Baue nach am ehesten wohl den rezenten Caryophyllaeus, Bothri- monus, Ligula unter den Bothriocephaliden®) ähnlich gesehen haben werden. In Anbetracht ihrer Herkunft dürften die ursprüng- lichen Cestodes wohl ausschließlich oder doch vorwiegend Parasiten von Fischen gewesen sein. Als eine Erscheinung sekundären Charakters konnten bei den Cestoden der phytophagen Wirbeltierformen, wie z. B. bei einigen Nagern und den Wiederkäuern und Band die Zwischenwirte ausfallen. Allein bis ‚jetzt ist dies nur für Hymenolepis murina Duj., einem Parasiten von Mus decumanus, M. pumilius, M. mus- culus®') nachgewiesen worden. Es wäre von grossem Interesse die Arten der Gattungen Moniexia und Anoplocephala sowie einiger anderer in diesem Sinne zu untersuchen. $4) Lönnberg, E. Beiträge zur Phylogenie der parasitischen Plathelminthen. Centr.-Bl. f. Bakt. u. Paras.-K., I, Bd. 21 1897, p. 674—684. — Graff, L. von. Die Turbellarien als Parasiten und Wirte. Graz, 1903. ©) Vel. Bene J. PN Die Monozootie der Cestoden. Zeitschr. f. wiss. Zool. € . Bd., 1905, p. 252 u. ff. — Schneider, Guido. Bothriomonus nylan- dieus n. . sp. Arch. f. er Kran 68, Bd. 1 P- a CE . Grassi, B. Come le Taenia nana arrive nel nostro organismo. Centr.-Bl. f. Bakt. u. Parasitenk. Bd. 2, 1887, p. 94-95. — Einige weitere Nachrichten . . p- 282 — 285, — Entwickelungszyklus der nich nana ... p.305—312. Grassi, B. u. G. Rovelli. Embryologische Forschungen an Cestoden. Centr.-Bl. f. Bakter. u. Parasitenk., Bd.V, 1889, p. 370-377, 4014—10; — Ric. embr. sui Cestodi. Atti Acc. Gisen. se. nat. Catania. 4 ser. IV, 1892; vgl. auch Blanchard, R. Histoire zoologiqne et medicale des Taenia des du genre Hıymenolepis Weinland. Paris, 1591. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 461 Die in den vorstehenden Betrachtungen ausgesprochenen Prin- zipien können auch auf verschiedene andere Fälle der Erscheinung von Zwischenwirten angewendet werden. Die Erscheinung der Zwischenwirte hat sich dem- nach ausschließlich auf dem Wege der Entoparasiten zur erfolgreichsten Infektion ihrer definitiven Wirte entwickelt, und konnte anfänglich nnr bei den Ento- parasiten der Fleischfresser und Raubtiere entstehen. Unter den Parasiten der nicht fleischfressenden Tiere weisen nur verschiedene Haematozoa der Wirbeltiere die Erscheinung von Zwischenwirten auf, welche hier im Zu- sammenhang mit dem Übergang der Vorfahren der Hae- matozoa von Darmparasiten zu Parasiten des Blutes und anderer innerer Organe der Wirtstiere, entstanden ist. Die Heterogonie hat sich bei den entoparasitischen Tre- matoden nur im Zusammenhange mit dem Wirtswechsel herausgebildet und zwar anfänglich nur in solchen Fällen, wo es verschiedene Mollusken waren, die zum Teil oder ausschließlich als Zwischenwirte dienten. Nachtrag. Historisches und Kritisches. Meine Anschauungen in der Frage über den Ursprung der Zwischenwirte im Leben vieler Entoparasiten unterscheiden sich prinzipiell von denen aller anderen Autoren, welche diese Frage vor mir behandelt haben. Nur von W. Schimkewitsch (1898) ist für Linguatula (Pentastoma) rhinaria. eine Entstehungsweise der jetzt giltigen Verhältnisse dargelegt worden, welche meiner Ansicht nach mehr oder weniger der Wirklichkeit entspricht. Ich möchte vor allem die Hypothesen der früheren Autoren in zwei Kategorien einteilen. Die Hypothesen der einen Kategorie gehen davon aus, daß die gegenwärtigen Zwischenwirte als die ur- sprünglichen Wirte anzusehen sind, und dass die gegenwärtigen definitiven Wirte sich denselben erst später angereiht haben. Es sind dies die Hypothesen von R. Leuckart, W. Schimkewitsch und D. Ssinitzin. Nach den Hypothesen der zweiten Kategorie werden im Gegenteil die definitiven Wirte als die in der Lebens- geschichte der Parasiten zuerst auftretenden Wirte betrachten. Hierher gehören die Hypothesen von R.Moniez, C.ÜOlaus, A.Sa- batier und A. Looss. Obgleich die ungeheure Majorität der Parasiten gegenwärtig den Wirbeltieren zukommt, so erschien es Leuckart doch un- wahrscheinlich, daß es vor dem Auftreten der Vertebraten keine Para- siten gegeben haben sollte; diese letzteren mussten nach Leuckart auch schon früher existiert haben und waren damals an die Wirbel- losen gebunden, wurden aber, mit dem Auftreten der Wirbeltiere 2yr 462 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. vorzugsweise zu Parasiten dieser letzteren, wobei die ursprünglichen Wirte zu Zwischenwirten wurden °”). Gegen diese Angaben von Leuckart wird man Folgendes emwenden können. Natürlich exi- stierten Parasiten auch schon vor dem Auftreten der Wirbeltiere, so z. B. die parasitischen Protoxoa, Rhabdocoela, Rhabditidae und Oxyuris, die Mirmitidae und die Gordiacea, wie sie auch noch gegen- wärtig vorhanden sind. Allein auf keinen Fall konnten solche Parasiten im Darme von Wirbellosen leben und sich entwickeln, wie es die Trematoden sind, namentlich die von den Trielada abstaımmenden, ferner die Cestodes und die Acanthocephali. Diese Parasiten konnten erst mit dem Auftreten der Wirbeltiere erscheinen. Wenn die Hypo- these von Leuckart der Wirklichkeit entsprechen würde, so müssten wir auch jetzt noch bei Wirbellosen als definitiven Wirten irgend welche dieser letzteren Parasiten finden können, indem na- türlich nicht alle solche wirbellosen Wirte mit der Zeit zur Beute oder Nahrung für diese oder andere Wirbeltiere werden konnten. In Wirklichkeit ist dies aber nicht der Fall. Andererseits können wir uns aber auch nicht vorstellen, dass sich bei irgend welchen Tieren geschlechtsreife Trematoden oder Cestoden nicht im Darme ihrer Wirte, sondern in den Geweben und in der Leibeshöhle entwickeln, denn wie könnte dann die Brut dieser Parasiten nach außen ge- langen? Ferner können wir auch unter den Parasiten, welche Wirbellose zu definitiven Wirten haben, das Auftreten von Zwischen- wirten beobachten, wie dies z. B. für die Gordiacea der Raubkäfer festgestellt worden ist, ferner von Schaudinn für Coccidium schu- bergi und wie es überhaupt ın Bezug auf die Darmparasıten der räuberischen oder fleischfressenden wirbellosen Tiere höchst wahr- scheinlich der Fall ıst. Auch W. Schimkewitsch°®®) und D. Ssinitzin °) hielten die Zwischenwirte für die ursprünglichen Wirtstiere, wenn auch aus anderen Gründen als R. Leuckart. In Bezug auf den Wiırts- wechsel bei den entoparasitischen Nematodes vertritt W. Schimke- witsch folgende Auffassung: irgend ein kleines Tier, welches später den Zwischenwirt darstellt, verschluckt das Larvenstadium der Nematode; in seinem Körper enzystiert sich diese Larve und wenn dieser Wirt eine Beute des definitiven Wirtstieres wird, so kann die Nematode im Darme dieses letzteren die Geschlechtsreife erreichen. So konnte sich nach Schimkewitsch z. B. der gegen- wärtige Entwicklungszyklus von Filaria medinensis herausgebildet 87) Leuckart, R. Die Parasiten des Menschen. 2. Aufl., 1. Bd. 1. Lief., Leipzig 1879, p. 147—153. 88) Schimkewitsch, W. Populäre biologische Skizzen. (Russ.), St. Peters- burg 1898. Kap. V. Der Parasitismus und sein Ursprung, p. 108—133. 89) Ssinitzin, D. Beiträge zur Naturgeschichte der Trematoden etc. (Russ.). Warschauer Universitäts-Nachrichten, 1905, p. 160 —200. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. 465 haben. In Wirklichkeit erscheint der angenommene gleichzeitige Ursprung der parasitischen Nematodenform (dazu noch einer solchen wie Filaria medinensis) und ihres Zwischenwirtes völlig unmöglich. Im vorliegenden Falle wäre vor allem die Frage von dem Ür- sprunge der Filariidae überhaupt zu beantworten, indem der Zerfall der Filariidae in einzelne Gattungen erst dann erfolgt ist, nachdem diese Tiere bereits zu Parasiten geworden waren. Dazu kommt noch, daß wenn die Larven irgend einer Nematode von dem Zwischen- wirt aufgefressen werden konnten, dieselben in vielen Fällen doch auch in den Darm anderer Tiere, darunter auch ihrer definitiven Wirte, gelangen mussten. Und wie würde sich die Sache in diesem letzteren Falle verhalten haben? Der Ursprung der gegenwärtig bei den entoparasitischen Trema- toden vorliegenden Verhältnisse wurde zuerst von W. Schimke- witsch (1898) und nach ihm von D. Ssinitzin (1905) im wesent- lichen übereinstimmend dargestellt. Der einzige Unterschied zwischen den Auffassungen dieser beiden Autoren besteht darin, dass Schimke- witsch die Trematodes von den Planarien, Ssinitzin dagegen von den Rotatoria ableitete, welche letztere Annahme natürlich keine Wahrscheinlichkeit verdient °). Nach beiden Autoren waren die ursprünglichen Wirte der entoparasitischen Trematoden Mollus- ken, in welche die Brut der hermaphroditischen Würmer eindrang und in denen die Parasiten mit der Zeit die Fähigkeit zur partheno- genetischen Fortpflanzung erlangten; die Generationen mit solcher Fortpflanzungsweise wechselten mit freilebenden hermaphroditischen Generationen ab. Hierauf begann auch die Brut der hermaphrodı- tischen Generation auf die eine oder die andere Art in den Darm von Wirbeltieren zu gelangen, wo sie ihre volle Reife erreichte. Die zweiten Zwischenwirte entstanden erst späterhin. Wenn dies aber in Wirklichkeit der Fall gewesen wäre, so würden wir es auch jetzt noch mit Fällen zu tun haben, wo bei irgendwelchen in Mollusken parasitierenden Trematoden oder Turbellarien zwei Gene- 90) Seine Annahmen über die genetischen Verhältnisse der digenetischen Trematoden begründet Ssinitzin auf dem Bau der Redie, als einem Stadium des Parasiten, auf welchem derselbe zur Fortpflanzung befähigt ist. Allein dieses Vor- gehen ist durchaus unrichtig, indem die Redien ohne allen Zweifel modifizierte Larvenstadien der gegenwärtig lebenden Trematoden darstellen, und bei Erörterungen über genetische Beziehungen eben nur als modifizierte Larven herangezogen werden können, wobei man sie mit den Larven resp. den entsprechenden Entwickelungs- stadien irgendwelcher anderer Tiere vergleichen muss. Wird es doch niemanden einfallen, nur oder doch hauptsächlich auf Grund des Baues der sich parthenogene- tisch fortpflanzenden Larven von Heteropeza Winnert (Miastor Meinert) die genetischen Beziehungen dieser Ceeidomyidengattung zu diskutieren. Was nun die Rotatoria betrifft, so kennen wir 'trotz deren weiten Verbreitung im Wasser wie auch auf dem Lande, einstweilen noch keine Rädertiere als Darmparasiten irgend welcher Tiere; dieser Umstand weist darauf hin, dass den Rotatoria überhaupt keine Fähigkeit zum Parasitismus innewohnt. 464 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. rationen miteinander abwechselten — eine freilebende hermaphro- ditische und eine parasitische parthogenetische; denn alle derartigen pa- rasıtıschen Formen würden ohne allen Zweifel nicht in gleichem Maße die Möglichkeit gehabt haben, in ihrer hermaphroditischen Genera- tion mit der Zeit auch zu Parasiten von Wirbeltieren zu werden. Wenn aber andererseits irgend welche Turbellarien zu Parasiten von Mollusken geworden wären, so würden sie zuletzt ausschließ- lich bei diesen schmarotzt haben, wie dies bei den gegenwärtigen parasitischen Rhabdocoela der Fall ist, demnach ohne Übergang zur Heterogonie, zu welcher im gegebenen Falle auch gar kein Grund vorlag ’!). Für Linguatula (Pentastoma) rhinaria jedoch, welche ım er- wachsenen Zustande in den Nasen- und Stirnhöhlen bei Hunden, Wölfen, Füchsen, seltener bei Pferden, Ziegen und Schafen para- sitiert, hat Schimkewitsch den Entwickelungsgang für die Er- scheinung der Zwischenwirte in einer Weise geschildert, die der Wirklichkeit recht nahe kommt. „Es ist sehr wohl möglich“, sagt dieser Autor, „dass auch bei Pentastomum zweı Generationen neben- einander existiert haben; die eine verlief einen geraderen Weg, d.h. ihre Embryonen gelangten, nachdem sie die mit dem Nasenschleim irgendwelcher Raubtiere zur Erde gefallenen Eier verlassen hatten, selbständig in die Nasenhöhle desselben Raubtieres und erreichten dort ihre Geschlechtsreife; es entstand aber noch eine andere Ge- neration aus den Eiern, welche zufällig von Kaninchen und Hasen mit dem Grase gefressen wurden; die aus diesen Eiern hervor- gegangenen und teilweise schon zum Parasitismus vorbereiteten (d. h. zum Leben in den Stirnhöhlen bestimmten) Embryonen er- weisen sich als dazu geeignet, ein Leben in den inneren Organen der Kaninchen oder Hasen auszuhalten. Wenn sie späterhin samt ihren Wirtstieren von Raubtieren gefressen wurden, ergaben diese Embryonen, nachdem sie an diejenige Stelle gelangt waren, wohin sie auch bei der direkten Infektion gerieten, wie ın diesem letz- teren Falle die geschlechtsreife Form. Natürlich hat sich dieser ganze Zyklus nur durch die Wirkung der natürlichen Auslese und um den Preis des Unterganges unzähliger verirrter und an ihnen nicht passende Orte geratener Embryonen, herausbilden können.“ 91) In meinem Aufsatze über die Heterogonie habe ich bereits vermerkt, „dass die meisten Ursachen für die Entwickelung der Parthenogenese bei denjenigen Tieren vorhanden sein mussten, bei welchen im Laufe eines Jahres mehrere Generationen zur Entwickelung gelangen, indem bei solchen Tieren wenigstens einige Gene- rationen sich in verhältnismäßig mehr oder weniger günstigen Ernährungsbedingungen befinden können“. (Biol. Centralbl., Bd. 27, 1907, p. 545). Bei den entoparasitischen Trematoden dagegen konnte sich die Heterogonie erst nach der Festlegung der Er- scheinung des Wirtswechsels in ihrem Entwickelungszyklus, und zwar in Abhängig- keit von dieser Erscheinung, entwickeln. Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 465 R. Moniez?) verfällt in seinen Betrachtungen über die Ent- stehung des Wirtswechsels bei den tierischen Parasiten von vorne- herein in einen Irrtum, indem er annımmt, daß überhaupt alle Entoparasiten Zwischenwirte besitzen, was jedoch gar nicht der Fall ist: Zwischenwirte kommen nur beı den uleparesen von Raubtieren oder überhaupt fleischfressenden Tieren vor, ferner z.B. bei solchen Tieren, von deren Blute sich verschiedene Insekten, Milben, Egel u. dergl. m. ernähren. Dabei folgerte Moniez seinen grundlegenden Gedanken, -— von der verderblichen Wirkung der aufs äußerste vereinfachten Lebensbedingungen auf die Entwicke- lung der Parasiten — aus einem Vergleich der Entoparasiten mit Oo den Ektoparasiten, wobei es, nach Moniez, nur die Ektoparasiten sind, welche mit den verschiedenen Faktoren des äußeren Mediums in im die regelmäßige Lebenstätigkeit nobwenligen Wechselbezieh- ungen stehen. Moniez war der Ansicht, dass die verderbliche Wirkung der Einfachheit der Lebensbedingungen besonders darin zur Gel- tung komme, dass die Brut der Entoparasiten so wenig entwickelt aus den Eiern schlüpft, dass sie für die weitere Entwickelung un- fähig sein müßte, wenn nicht die neuen Zwischenwirte die nötige Abwechslung in der Wechselwirkung mit dem äußeren Medium wieder herstellen würden. Wie wir jedoch bereits hervorgehoben haben, konnte nur die Brut derjenigen Entoparasiten einen solchen Charakter annehmen, welche sich mit der Teilnahme von Zwischen- wirten entwickeln, und dabei nur als eine Folge des Auftretens von Zwischenwirten: erst dann, als sich der Brut der Entoparasiten die Möglichkeit bot einen Teil ihrer Entwickelung im Körper von Zwischenwirten durchzumachen, wo sie sich auf osmotischem Wege ernähren konnte, erst dann konnten die Eier der betreffenden Parasıten an Größe abnehmen und wurden auch wirklich kleiner, weil auf Kosten der Größe des einzelnen Eies die Menge des Eier oder die Fruchtbarkeit der Parasiten überhaupt zunehmen konnte, was für alle Entoparasiten von größtem Nutzen ist. Dafür, daß die Entoparasiten nicht gleichsam dem Untergange nahe sind, wie dies von Monıez angenonmen wird, spricht am besten der Um- stand, dass die Mannigfaltigkeit ıhrer Formen eine geradezu un- geheure ist. Claus°’) nahm an, daß die Zwischenwirte ım Leben der be- treffenden Entoparasiten gleichzeitig mit den definitiven Wirten 92) Moniez, R. Essai monographique sur les ceysticerques. Travaux de l’In- stitut Zoologique de Lille. T. 3. Fasc. I. Paris, 1850. 3-&me partie, Resultats gene- raux, p. 135 u. ff., speziell III. p. 144 u. ff. 93) Claus, ©. Zur morphologischen und phylogenetischen Beurteilung des Bandwurmkörp:rs. Arbeit a. d. Zoolog. Institute, Wien. Bd. VIII, 3. Heft, 1889, p: 313—326, die betr. Stelle p. 10—14. 466 Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten etc. aufgetreten sind, „dass die jugendlichen Würmer schon beim Be- ginne des phyletischen Vorganges in Wirbellose einwanderten, hier aber ihre volle Ausbildung und geschlechtliche Reife nicht zu er- reichen vermochten, dagegen durch die veränderten Ernährungs- bedingungen eine den Verhältnissen entsprechende zweckmäßige Umgestaltung erfuhren, vermöge der sie selbst, oder erst in ihren paedogenetisch erzeugten Nachkommen, den Zwischenträger mittelst aktiver oder passiver Wanderung wieder verlassen konnten und nun unter günstigen Ernährungsbedingungen in den Organismus eines Vertebraten übergeführt, in ihrem neuen Wirt, als he defini- tiven Träger des Geschlechtstieres, ihre morphologische Ausgestal- tung und digen-sexuelle Ausbildung erlangen“ °*). Es konnten natürlich in Wirklichkeit die Erscheinungen ein- getreten sein, welche Claus für die ursprünglichen hielt, allein diese Erscheinungen waren nur zufälliger Natur und spielten nicht die Hauptrolle. Wie bereits weiter oben ‘angeführt worden ist, konnte sich der Parasitismus verschiedener Würmer und anderer Tiere vorzugsweise in Bezug auf Wirbeltiere entwickeln, indem diese letzteren die am besten passenden Wirtstiere darstellen. Natürlich konnte es sich in den Anfängen der Entwickelung des Entoparasitismus häufig ereignen, dass die Brut dieser Parasiten ın wirbellose Tiere gelangte und erst von hier aus auf irgendeine Weise in die wahren Wirte unter den Wirbeltieren, wo sie dann ihre Geschlechtsreife erreichte. Allein es darf ja auch keinem Zweifel unterliegen, dass gleichzeitig mit derartigen Erscheinungen die Brut derselben tn ih gleich von vornehein m ihre wahren Wirte gelangen konnte. Der Umstand, dass Olaus diese Möglichkeit außer acht gelassen hat, beweist zur Evidenz, dass die Vorstellungen dieses Autors von dem Ursprung der Er- scheinung der Zwischenwirte von der Wirklichkeit weit entfernt waren. Die Ursachen für das Auftreten des Wirtswechsels bei den Cestodes erblickt Sabatıer ın dem Mangel von Haftapparaten und der Notwendigkeit, solche erst im einem Zwischenstadium auszu- bilden®’). Im gegebenen Falle kann dasjenige wiederholt werden, was oben über die Hypothese von Moniez gesagt worden ist. Looss®®) stellt sich den Ursprung der Erscheinung von Zwischen- wirten in der Weise vor, dass durch diese Erscheinung die direkte Infektion der wahren Wirte durch die Eier oder Embryonen ihres Parasiten gleichsam ersetzt worden ist. „Namentlich besitzt eine 94) Moe, Pi, Pl 2: 95) Nach Braun, Die tierischen Parasiten des Menschen. 4. Aufl. 1907, 23—24 96) Looss, A. Schmarotzertum in der Tierwelt. Leipzig, 1892, p. 107—111 (Zwischenwirte). Mordwilko, Über den Ursprung der Erscheinung von Zwischenwirten ete. 467 sehr große Zahl von Parasiten im Jugendzustande eine nur geringe Lebenszähigkeit, sei es, dass sie im Freien sich nicht zu ernähren vermögen, sei es, dass ihr außerordentlich kleiner und zarter Körper den Einwirkungen des Wassers und der Atmosphärilien nur kurze Zeit widerstehen kann. Die Aussichten für eine rechtzeitige Be- förderung an den geeigneten Ort würden für diese Geschöpfe dem- nach nur sehr geringe sein, wenn sich die Natur hier nicht eines sehr einfachen Auskunftsmittels bedient hätte, um dem erwähnten Übelstande abzuhelfen. — Die jungen Parasiten verzichten darauf, sofort in ihren eigentlichen Träger übergeführt zu werden, sondern nehmen mit irgend einem beliebigen Tiere, wel- ches gerade zur Hand ist, vorlieb, und dringen aktıv oder passiv in dasselbe ein.“ In diesem provisorischen Träger, in irgend welchen Organen desselben, kann die Brut der Parasiten, indem sie sich dabei häufig noch mit einer Hülle umgibt, längere Zeit hindurch und dabei besser erhalten bleiben, als im Freien, bis sie nicht durch einen glücklichen Zufall (samt ihrem provisorischen Träger) in den definitiven Wirt gelangt ””). Allein in Wirklichkeit ist die Ursache des Ursprungs der Er- scheinung von Zwischenwirten, wie wir bereits nachgewiesen haben, eine ganz andere, und was Looss für diese Ursache gehalten hat, erweist sich in Wirklichkeit nur als eine Folge des Auftretens von Zwischenwirten. Denn man wird doch nicht zugeben können, dass bei dem Übergang beliebiger Tiere vom freilebenden Zustande oder vom Ektoparasitismus, wobei deren Brut mehr oder weniger lebens- fähig war, zum Entoparasitismus, diese selbe Brut plötzlich ganz geringe Körperdimensionen annahm und zugleich sehr zart, und daher weniger lebensfähig wurde. Wenn solches auch in Wirklich- keit eintraf, so geschah dies nur aus dem Grunde, weil die Körper- dimensionen der Brut und ihre Widerstandsfähigkeit gegen un- günstige äußere Einwirkungen im Leben der Art der betreffenden Parasiten ihre Bedeutung verloren hatten, was wiederum nur dann eintreten konnte, nachdem sich die Erscheinung der Zwischenwirte in dem Leben der Art fest eingebürgert hatte. Erst als die Brut der Parasiten die Möglickeit erlangt hatte, einen Teil ihrer Ent- wickelung im Körper von Zwischenwirten durchzumachen, wo sie sich auf osmotischem Wege ernährte, erst dann konnten sich die Dimensionen der einzelnen Eier verringern, welcher Umstand sich nunmehr in der Beziehung als sehr vorteilhaft erwies, dass die Fruchtbarkeit der betreffenden Entoparasiten dadurch bedeutend erhöht wurde. Eine solche Erhöhung aber hat für die Entopara- siten eine ungeheure Bedeutung, indem sie deren Aussichten auf die Infektion geeigneter Wirte bedeutend vermehrt. 97) Looss, A., 1892, 1. c. p. 107—108. 468 Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. Die Ernährung der Wassertiere. Nach den Untersuchungen von A. Pütter. Von Dr. Max Wolff (Bromberg). Für die nicht-parasitären tierischen Organısmen galt es bisher als unumstößliches Dogma, dass die Nahrungsaufnahme, gleichviel durch welche Organelle oder Organe vermittelt, stets sich nur auf geformte Nahrung erstreckt, die den Wasserbewohnern in Gestalt von anderen pflanzlichen und tierischen Organısmen, vor allem im Plankton, — ım letzten Grunde in der phytoplanktonischen „Ur- nahrung“ dargeboten wird. Als Problem sui generis ist die Ernährung der Wassertiere freilich überhaupt nicht behandelt worden. Vielmehr setzte man in den nicht eben sehr zahlreichen Arbeiten, die darüber handeln, voraus, dass die Wassertiere selbstverständlich ganz wie die Land- tiere ausschließlich auf die Aufnahme geformter Nahrung ange- wiesen sind, die erst durch mechanische und chemische Verarbei- tung zur Einführung in das Stoffwechselgetriebe geeignet gemacht werden muss. Darum beschränkte man sich auch, z. B. bei Fischen, durchgängig auf Magenuntersuchungen, um so nach Maßgabe des vorgefundenen geformten Inhaltes einen Aufschluss über die Art der Ernährung zu erhalten. Negative Befunde, auch wenn sie mit befremdender Konstanz erhoben wurden, machten niemanden unter der Alleinherrschaft jenes Dogmas stutzig. Sie wurden als zufällig, oder als mit der Unzulänglichkeit der Methoden oder der Ungunst sonstiger als maßgebend angesehener Verhältnisse (Fang- zeit, u. s. w.) leicht zu erklärend hingenommen. Versuche, den Nahrungsbedarf.der Wasserbewohner, besonders der niederen plank- tonisch lebenden, näher quantitativ und auf die Zeiteinheit bezogen, zu bestimmen, fehlten gänzlich. So lag es schließlich an der nicht alle Eventualitäten genügend erschöpfenden Fragestellung, dass auch die ausgedehnten planktologischen Forschungen das Problem der Ernährung der Wassertiere nicht befriedigend zu lösen ver- mochten. Die Planktologie gab Antwort auf die Frage, wie groß die Menge niederer Organismen ist, die den höheren zur Ernährung zur Verfügung steht. Aber sie hat nicht die Fragen beantwortet: Welches Quantum planktonischer Nahrung vermag diese oder jene Tierspezies sich überhaupt zugängig zu machen, sich einzuverleiben (mittelst ihrer Fangorgane, sonstigen der Erbeutung von Nahrung dienenden Vorrichtungen, in der aktiv oder passiv ausfischbaren Wassermenge, u. s. w.), und in welchem Verhältnis steht dieser praktische Verbrauch zu dem theoretisch zu berechnenden (aus dem ebenfalls zu berechnenden Bedarf, den Bau- und Betriebsstoffwechsel erheischen), unter der Voraussetzung, dass wirklich das Meer seinen tierischen Bewohnern nur geformte Nahrung zur Verfügung stellt? Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. 469 Man würde bei dem Versuche, diese Fragen zu beantworten, ohne weiteres dazu gekommen sein, Umschau zu halten, ob nicht das Meer außer der geformten Nahrung auch noch solche ın Lösung enthalten könne, in einer für seine tierischen Bewohner direkt assı- milierbaren Form. A. Pütter geht in seinen Arbeiten — ich möchte im folgenden den Leser mit den Ergebnissen der drei wichtigsten!) bekannt machen, da ihnen wirklich eine epochale Bedeutung zukommt —, von einer solchen dogmatischen Voraussetzung nicht aus. Er ver- sucht vielmehr zunächst zu bestimmen, ob nicht das Meerwasser doch, — außer dem in organischer Substanz gebundenen Kohlen- stoff —, auch in Lösung erhebliche Mengen komplexer Kohlen- stoffverbindungen enthält. Dieser Teil seiner Untersuchungen ist in methodologischer Hinsicht kurz nach Erscheinen der ersten Ar- beit von Henze einer Kritik unterzogen worden, die an sich in gewisser Weise — wie auch von Pütter in seiner letzten Mit- teilung zugegeben wird —, berechtigt ist, aber nichts an der Richtig- keit und Berechtigung der von Pütter gezogenen Schlüsse zu ändern vermag, wıe wir gleich sehen werden. Pütter bestimmte nämlich, in der Meinung, dass die Methode Minimalwerte liefere, den Gehalt des Seewassers an komplexen Kohlenstoffverbindungen auf nassem Wege nach Messinger, wo- bei eine Oxydierung des gesamten Kohlenstoffes erfolgt, der dann als Kohlensäure bestimmt wird. Es würde hier zu weit führen, auf eine Auseinandersetzung darüber einzugehen, warum die Me- thode doch einen Kohlenstoffgehalt des Seewassers vortäuscht, wie er in Wirklichkeit bei weitem nicht erreicht wird. Pütter hatte ihn mit der Messinger’schen Methode auf 92 mg im Liter, nach Abzug der normalerweise in Form von Kohlensäure vorhan- denen 27 mg Kohlenstoff also den Gehalt des Seewassers an kom- plex-gebundenem Kohlenstoff auf 65 mg im Liter berechnet. Die Gesamtmasse der in einem Liter Seewasser durchschnittlich suspendierten Planktonorganismen enthält in Form von Eiweiß, Fetten und Kohlehydraten 0,00394 mg Kohlenstoff, also Y/,,o00 der in komplexen Verbindungen gelöst gegebenen Kohlenstoffmenge, wie sie Pütter nach Messınger’s Methode fand. An dem hieraus sich ergebenden Schlusse, — dass es höchst unwahrscheinlich ist, dass die Planktonorganismen mit ihrer mini- malen Kohlenstoffproduktion einzig und allein als Nahrungsquelle für die höheren Wassertiere in Betracht kommen sollten —, ändert sich nun in der Tat nichts, wenn Henze nachweist, dass die 1) 1. Die Ernährung der Wassertiere. Zeitschr. f. allg. Physiol., Bd. VII, p- 281—320; 2. Der Stoffhaushalt des Meeres. Ebenda, Bd. VII, p. 321-368; 3. Die Ernährung der Fische. Ebenda, Bd. IX, p. 147—242. — 1907— 1909. 470 Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. Messinger’sche Methode in der von Pütter gehandhabten Form zu hohe "Werte gibt. Denn wir haben die einwandfreien Bestim- mungen der im Meerwasser gelösten organischen Substanzen durch Natterer. Sie geben immer noch eine Kohlenstoffimenge von 7—9 mg im Liter Seewasser, die dann also doch nach wie vor ganz le den Planktonkohlenstof — um das 1700—2250fache näm- lich, übertrifft Dass eine so enorme Menge gelöster organischer Substanz keine oder auch nur eine bloß nebensachln Rolle ın der Ernährungsphysiologie der Meerestiere spielen sollte —, das ist mehr wie unwahrscheinlich. Dass die Dinge in der Tat ganz anders liegen, beweisen die Überlegungen aa Versuche, die Pütter ın Schar iumiesten Weise miteinander zu verknüpfen gewusst hat. Er zeigt nämlich an einer Reihe von Wassertieren, dass ıhr Nahrungsbedart ein so großer ist, dass die ihnen zugänglichen Planktonorganismen bei weitem nicht ausreichen, um den "Kohlenstoffumsatz zu ermöglichen, der dem Betriebsstoffwechsel zugrunde legt. Zunächst ein Schwamm: Suberites domuncula. Ein Exemplar von 60 g Lebendgewicht setzt in einer Stunde 0,92 mg Kohlenstoff um. Ein solches Individuum müsste also in einer Stunde ein (Quantum Wasser ausfischen können (restlos!), dessen Gehalt an Ein ktonore inienen diese Kohlenstoffmenge repräsentieren würde. 0,92 nıg Planktontenkohlenstoff sind 242 Liter Seewasser gegeben. BD an müsste mithin die geradezu monströse Fähigkeit besitzen, in einer Stunde an Wasser das rund 400V0fache des eigenen Volumens durch sein Gastrovaskularsystem pumpen zu können. Er vermag jedoch nichts weniger als das, nämlich höchstens das 5fache seines Volumens — das wären 300 cem Wasser — zu bewältigen. Und da der langsame Wasserstrom größere und leb- hafter schwimmende Organismen nicht mitreisst, gelangen nur die etwa !/, des Planktontenkohlenstoffes a. Protisten zur Aufnahme. Die ausgefischte Wassermenge liefert also dem Schwamm nur etwa !/y300 der zur Ernährung pro Stunde erforderlichen Kohlenstoffmenge in Gestalt von geformter Nahrung! Legen wir die Zahlen Natterer’s, der von Pütter als be- rechtigt anerkannten Rektifikation Henze’s gemäß, zugrunde, so er- halten wir folgendes: Rund gerechnet?) — d. h. indem wir der Bequemlichkeit halber einen Minimalwert wählen, der noch unter dem Natterer’s liegt —, ist schon in 142 cem, der Hälfte des in einer Stunde ausgefischten Wassers, die erforderliche Kohlen- 2) Anstatt die Pütter’schen Zahlen der ersten Arbeit nur als ?—9mal zu hoch gegriffen zu rechnen (statt 65 mg nur 7—9 mg C pro Liter), rechne ich sie 10mal zu hoch gegriffen, also pro Liter nur den 10. Teil Kohlenstoff. ° Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. 471 stoffmenge als Lösung komplexer Verbindungen enthalten, — voraus- gesetzt, dass diese voll ausnutzbar sind. Mögen die Schwierigkeiten nun, über die Ausnützbarkeit der gelösten Kohlenstoffverbindungen ein sicheres Urteil zu erlangen, so groß sein, wie sie wollen, — die Tatsache steht fest: Suberütes domuneula müsste 2300mal soviel Wasser, als er in Wirklichkeit bewältigen kann, ausfischen, um sich vom Plankton allein (hinsicht- lich der Deckung des Kohlenstoffbedarfes) zu ernähren, eine reine Planktonnahrung ist also ein Ding der Unmöglichkeit für ihn. Dagegen bringt schon die Hälfte der in der Zeiteinheit bewältigten Wassermenge die erforderliche Kohlenstoffmenge in Lösung in das Bereich seiner resorbierenden Gewebselemente. Die Ernährung durch die gelösten komplexen Kohlenstoff- verbindungen ist also theoretisch möglich. Ähnlich liegen nach Pütter’s Berechnungen die Verhältnisse bei Cucumaria grubei. Er berechnet auch für eine Reihe von ma- rinen Protozoen und Evertebraten den minimalen Kohlenstoffbedaärf. Wieder ergibt es sich, dass das Plankton der für die betreffenden Tiere ausfischbaren Wassermenge bei weitem nicht ausreicht, um ihren Kohlenstoffbedarf zu decken. Collozoum müsste das 94000- fache, Rhixostoma das S50fache, Carmarına das 790fache, Cestus das 320fache, Pterotrachea das VS0fache, Tethys das 1500fache, Crona das 2000fache, Salpa pinnata das 1000fache und Salpa tilesii das 170fache des eigenen Volumens stündlich abfischen können, um aus den erbeuteten Planktonorganismen den Kohlenstoffbedarf decken zu können. D. h., während die aufgezählten Spezies stündlich zwischen 3140 (Salpa pinnata) und 227000 (Tethys) ccm Seewasser nach geformter Nahrung durchfischen müssten, finden sie schon ın etwa 20—140 cem (unter Zugrundelegung der Natterer’schen Zahlen) Seewasser den erforderlichen Kohlenstoff gelöst m Form von komplexen Kohlenstoffverbindungen. Diese Berechnungen erklären nun allerdings mit einem Schlage die sehr zahlreichen negativen Befunde, die die Untersuchung niederer Meerestiere auf ihren geformten Darminhalt bisher ergeben hat, und weiter fällt jetzt neues Licht auf das Problem der Er- nährung der Tiefseeorganismen. Wenn schon die Algen des Oberflächenplanktons quantitativ absolut nicht ausreichen, um das Nahrungsbedürfnis der Tierwelt zu decken, so kann noch weniger die bathybische Fauna direkt oder indirekt (da zu ihr nur die toten, nicht assimilierbaren Skelette hinabsinken) auf geformte Nahrung allein angewiesen sein. Zwecklos ist die Aufnahme geformter Nahrung sicher nicht, obgleich sie bisweilen, bei den rhizostomen Medusen z. B., fast unmöglich ist. Pütter nımmt an, dass wahrscheinlich gewisse lebenswichtige Stoffe in hoher Konzentration oder in bestimmter 472 Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. Bindung (etwa der Stickstoff, dessen die niederen Meerestiere nur in sehr geringer Menge bedürfen) den Tieren mit der geformten Nahrung zugeführt werden. Als Aufnahmeorgan sieht Pütter außer dem Gastrovaskular- system und analogen Darmbildungen und -derivaten die oft (z. B. bei den Tunicaten) im Verhältnis zu dem wirklichen O-Bedarf ge- radezu monströs ausgebildeten Kiemen an. In vielen Fällen kann es als sicher betrachtet werden, dass die Darmschleimhaut nicht oder fast gar nicht für die Nahrungsverarbeitung in Anspruch ge- nommen wird. Dann hat sie höchstwahrscheinlich mehr oder weniger ausschließlich andere wichtige Funktionen (wohl sekre- torıscher Art) übernommen. So stellt denn — das ist das eminent wichtige Resultat der ersten Arbeit (l. e.) —, nach Pütter’s Forschungen das Meer für eine große Zahl wirbelloser Tiere eine Nährlösung dar, aus der sie die darin vorhandene Nahrung so aufnehmen, wie es die Gewebszellen und die Parasiten aus der Körperflüssigkeit oder ihrem sonstigen Medium, und wie es die Pflanzen aus dem Bodenwasser oder aus den Wasserbecken, in denen sie schwimmen oder submers gedeihen, tun. Das Meer: das unerschöpfliche Reservoir einer vollkommenen Nährlösung! Die zweite oben zitierte Arbeit Pütter’s entrollt ein Bild des Stoffhaushaltes des Meeres. Für diesen müssen in erster Linie die im Meerwasser enthaltenen Mengen organischer Stoffe und das Verhältnis der gelösten zu den geformten organischen Komponenten als maßgebend betrachtet werden. Pütter’s Untersuchungen er- gaben (nach Vornahme einer Rektifikation entsprechend den Nat- terer’schen Minimalwerten, die wir hier durchweg anbringen wollen) eine dem Kohlenstoff der organisierten Substanz rund 2300mal übertreffende Masse in Lösung (komplex gebundenen) befindlichen Kohlenstoffs. Aus dem geringen Sauerstoffgehalt des Meerwassers ergibt sich, dass nur ein relativ geringer Teil der Umsetzungen im Meere Oxydationen darstellen kann. Die Sauerstoffkapazität der vorhandenen C-Verbindungen ist nämlich 25mal größer, als die vor- handene Sauerstoffmenge. Wenn auch in Wirklichkeit etwa 20mal mehr Stoffe zur Verarbeitung gelangen, als der Sauerstoffverbrauch anzeigt, so lässt sich dieser doch als Indikator für die Intensität der Stoffwechselprozesse gut verwenden. Pütter trennte nun Algen und Bakterien des Meerwassers durch Filtration und mittels Licht- entziehung voneinander, um das normalerweise bestehende Stoff- wechselgleichgewicht zwecks Bestimmung des Sauerstoffverbrauches zu stören. Schon bei einer Temperatur von 13° ©. ergab sich ein bedeutender und zwar bemerkenswerterweise für Algen und Bak- terien gleicher Sauerstoffumsatz. Es verbrauchten die Bakterien etwa 1 mg Sauerstoff pro Tag und Liter —, die Algen lieferten Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. 4713 pro Tag und Liter 1 mg Sauerstoffüberschuss. Demgemäß beträgt bei einem Sauerstoffgehalt von 7,6 mg pro Liter der Umsatz 13,2%], der Gesamtmenge des Sauerstofles. Auffälligerweise wird übrigens nieht nur ım Lichte, sondern vielmehr auch bei völligem Lichtabschluss durch bakterielle, aber ihrer chemischen Natur nach völlig un- bekannte Prozesse Sauerstoff frei gemacht! Pütter konnte auch bei 16tägiger, völliger Dunkelhaltung der Versuchsaquarien infolge der Intensität dieser bakteriellen Prozesse kein sauerstoff- freies Seewasser erhalten. Im Gegenteil nahm nach einem anfäng- lichen Rückgange der Sauerstoffgehalt wieder zu! Prozesse solcher Art müssen für die Sauerstoffversorgung des Abyssos von eminenter Bedeutung sein. Was die Herkunft der gelösten ©- und N-Verbindungen ım Meere anlangt, fand Pütter, dass Änderungen der Zusammen- setzung des Planktons den Bestand der in Lösung befindlichen Substanzen verändern. Der Kohlensäuregehalt wuchs gleichsinnig mit der Bakterienwirkung. Diese selbst war in den Stationsaquarien um ?/, größer als im Neapeler Golf, während die Algenwirkung nur halb so groß war. Das erwähnte quantitative Übereinstimmen des Sauerstoff- umsatzes von Bakterien und Algen überrascht, da die Algen (Ge- halt eines Liters Meerwasser) die Bakterien um das 22fache an Masse übertreffen. Pütter glaubt daher mit vollem Recht, die Planktonkomponenten nicht im Sinne ihres Volumens und ihrer Masse in die Stoffumsatzrechnung einstellen zu dürfen, da vielmehr gerade die Intensität des Stoffumsatzes mit abnehmender Größe des Individuums zu wachsen scheint, wohl ausschließlich gemäß der Veränderung der Proportion (Gesamt-)Inhalt: Oberfläche. Drückt man die Oberfläche der vier großen Gruppen von Planktonorganismen in °/,, der Gesamtoberfläche aller Plankton- organismen aus, so ist die Oberfläche der Plankton-Protophyten 423, ” ” n „ -Bakterien A400, ” 3) ” her -Protozoen 29, r ‚ „ -Metazoen 148. a ” 7 ” Entsprechend verhält sich in der Tat die Stoffwechselintensität. Die Masse anlangend, ist: der Stoffwechsel der Bakterien bei weitem der lebhafteste. Die an Masse den Algen + Bakterien etwa um das Doppelte überlegenen Metazoen haben nur einen Anteil von rund 15°), am Gesamtumsatz, — 5,6mal weniger, als auf Algen —+- Bakterien kommt. Nimmt man für einen gegebenen Moment Stoffwechselgleich- gewicht im Meereswasser an, so zeigt uns das Verhältnis der ge- formten zu den gelösten Stoffen das Verhältnis von Baustoffwechsel- 474 Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. intensität zur Betriebsstoffwechselintensität (also — vgl. oben, etwa STR im Minimum — 1: 2000), vorausgesetzt, dass die Plankton- organismen die Verteilung der Stoffe im Meere durch ihre Lebens- tätigkeit bewirken. Die übrigen Erfahrungen stimmen hiermit voll- kommen überein: denn, wie wir sahen, bedingt Änderung der Stoffwechselprozesse des Planktons sofort Änderung der Verteilung der gelösten Stoffe. Auch die Intensität des ass ineen die Planktonorganismen verhält sich dem Gesagten entsprechend. Zusammenfassend kommt Pütter über die Stoffumsetzungen ım Meere zu folgendem Ergebnis: „Im Stoffwechsel der Algen werden in großer Menge lösliche Kohlenstoffverbindungen gebildet und an das Meerwasser abgegeben, vielleicht nachdem ein erheblicher Teil schon durch die den Algen anhaftenden Bakterien Veränderungen erfahren hat. Bedeutende Mengen Sauerstoff werden hierbei im Lichte frei, während die Bakterien (vielleicht Nitrobakterien) auch im Dunkeln Sauerstoff entbinden können. Von den gelösten Kohlenstoffverbindungen, sowie zum sehr geringen Teil von den Leibern der Planktonalgen, lebt die ganze Masse der Meerestiere, d. h. sie baut einerseits ihre gesamte Körper- substanz aus diesen Stoffen auf und verwendet sie außerdem als Nahrung im Betriebsstoffwechsel, und diese letztere Verwendung stellt vieltausendmal höhere Anforderungen an die Stoffzufuhr, als der Baustoffwechsel. Bei der großen Sauerstoffarmut des Meeres können in über- wiegender Masse nur unvollständige Oxydationsprodukte im Be- triebsstoffwechsel der Bakterien sowohl, wie der höheren Meeres- tiere, entstehen und die Notwendigkeit der Vervollständigung des Zyklus der Umsetzungen ım Meere führt zu dem Postulat, dass die Planktonalgen nicht nur CO,, sondern auch derartige lösliche Verbindungen verarbeiten und in Formen überführen können, in denen sie anderen Organısmen wieder als Energiequelle und als Baumaterial dienen können. Ein Beweis des Vorkommens solcher Prozesse ıst für Planktonalgen noch nicht erbracht, hier besteht also noch eine bedeutende Lücke in der Lehre vom Stoffhaushalt des Meeres. Das Problem der Grenzen der Produktion des Meeres an Orga- nismen erscheint hiernach gleichfalls in einem neuen Lichte, und seine Lösung muss darin gesucht werden, dass „für den Organismen- bestand des Meeres, für die Verteilung aller Stoffe auf Organısmen und Lösung maßgebend ist: das Verhältnis von Bau- und Betriebs- stoffwechsel. Die große Wahrscheinlichkeit, dass dieses Verhältnis mit einer Veränderung der Temperatur sich in bestimmtem Sinne ändern wird, gibt ein Verständnis für die Unterschiede im Orga- nismenreichtum der kälteren und wärmeren Meere.“ Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. 4 1) In ähnlicher Weise scheinen nach meinen Erfahrungen übrigens auch die Süßwasserbewohner auf die Aufnahme gelöster Nahrung angewiesen zu sein. Über Versuche, die ich in dieser Richtung ‚mit einigen Vertretern der Protozoenfauna der Ackerkrume ange- stellt habe, hoffe ich in einiger Zeit an dieser Stelle ausführlich berichten zu können. Mitteilen will ich nur noch, dass es mir kürzlich gelungen ist, Simocephalus in bakterienfrei filtriertem Aquarienwasser zum Stoffansatz, nämlich zu lebhaftem Wachstum, das an der Anzahl der Häutungen gemessen werden konnte, zu bringen, obwohl das täglich erneuerte Wasser organische Substanzen einzig und allein in Lösung, nicht geformt, enthielt, wie die Unter- suchung des Darmes und vor allem die regelmäßig vorgenommene bakteriologische Prüfung des Wassers bewies. Abgesehen von dem Widerspruch, den einige Autoren gegen die Angaben der beiden soeben mitgeteilten Arbeiten Pütter’s erhoben haben, veranlasste mich wesentlich die dritte, sogleich zu besprechende Publikation zur Anstellung dieser Versuche. Es wird gerade nach den hierin enthaltenen Darlegungen eine Hauptaufgabe künftiger Untersuchungen sein, die noch bestehenden Lücken der Beweisführung an der Hand bequemer Untersuchungsobjekte auszufüllen. In diesem Sinne dürfte die beiläufige Mitteilung memes Versuches mit Simocephalus nicht ohne Interesse sein. Die Aufgabe, die sich Pütter in seiner Arbeit über die Er- nährung der Fische gestellt hat, ist nun sicherlich allein dadurch eine außerordentlich schwierige, dass die experimentelle Ernährung eines so diffizilen Organismus, wie es der eimes Vertebraten ist, in einer Nährlösung erhebliche Anforderungen an die Vollkommenheit der Methode stellt. Es kann, mangels entsprechender Vorarbeiten, nicht wundernehmen, dass Pütter hier mit Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt hat, deren Überwindung nicht vollkommen gelungen ist. Sie ist ihm aber — und darauf kann es für uns jetzt nur an- kommen —, vollkommen ausreichend soweit geglückt, dass an der Gültigkeit seiner Theorie auch für die Fische nicht mehr gezweifelt werden kann. Pütter geht aus von der Tatsache, dass bei der Untersuchung des Darminhaltes der Meeresbewohner das negative Resultat so häufig ist, dass der Verdacht sehr nahe liegt, es könnten für die Kenntnis der Nahrung der Fische z. B. noch andere Feststellungen erforderlich sein, als bei den Säugern, Vögeln, u. s. w., wo uns die Untersuchung des Darminhaltes über die Natur der zur Nahrung zu dienenden Substanzen aufklärt. So stellt er sich denn zunächst mit glücklichstem Erfolge die ‘Aufgabe, nachzuweisen, dass allein aus der vorliegenden Literatur sich der Beweis führen lässt, dass es einer ganzen Reihe von XIX. 30 476 Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. Fischen möglich sein muss, „gelöste Nahrungsstoffe aufzu- nehmen und zu verwerten“. Weiter sucht er zu zeigen, dass und in welcher Menge gelöste Stoffe aufgenommen werden, indem er aus der ge- leisteten Arbeit den minimalen Wert für den Stoffbedarf ermittelt und die danach umzusetzende Stoffmenge mit der aus den Depots des Körpers wirklich umgesetzten Stoffmenge vergleicht, alles auf eine Lebensperiode be- zogen, in der geformte Nahrung nicht aufgenommen wird: vom aufsteigenden Lachse! Ferner versucht Pütter eine Anzahl mariner Fische in natür- lichen Nährlösungen zu halten, um aus der Berechnung des Sauer- stoffverbrauches Aufschluss darüber zu erhalten, ob die in Lösung dargebotene Nahrung wirklich in den Stoffwechsel der Tiere ein- treten kann. Im positiven Falle müsste der Sauerstoffverbrauch im Versuchsaquarium größer sein, als es dem Brennwert der aus den Körperdepots umgesetzten Stoffe entspricht. Es würde sogar Sauerstoffverbrauch ohne Verbrauch von Körpersubstanz festgestellt werden müssen, wenn die gelösten Stoffe etwa allein in der Lage sein sollten, dem Stoffbedarf des Betriebs- und des Baustoffwechsels zu entsprechen. Endlich macht Pütter auch den Versuch, nach Zusatz künst- licher gelöster Nährstoffe zu emem nährstoffarmen Wasser die Auf- nahme und Oxydation dieser Stoffe durch Versuchsfische nachzu- weisen. Zum Schlusse wird die Frage nach dem Wege, den die gelösten Stoffe speziell bei der Aufnahme nehmen, erörtert und die event. Bedeutung der geformten Nahrung gestreift. Ich will nun das Wichtigste aus den einzelnen eben kurz cha- rakterisierten Hauptabschnitten der Arbeit herausheben, da ein ein- gehenderes Referat den interessierten Leser auch nicht besser davon überzeugen könnte, dass er die in jeder Beziehung wichtige und lesenswerte Arbeit im Original einsehen muss. Eine sehr große Bedeutung misst Pütter für das Problem semer Arbeit den Fütterungsversuchen Susta’s bei. Schon die direkte Futterwirkung, die sich bei seinen Versuchen ergeben hat, zwingt zu der Annahme, dass nicht die Planktonorganismen allein die Nahrung der Versuchsfische ausgemacht haben können. Denn das gereichte künstliche Fischfutter wurde weit besser ausgenützt, als es in diesem Falle (wenn das Futter auf dem Umwege über die Planktonorganismen aufgenommen worden wäre) hätte der Fall sein können. Von größtem Interesse ist weiter die Tatsache der indirekten Futterwirkung. Pütter führt folgenden Versuch (Karpfen) an. „Ein kleiner Teich wird durch ein Drahtgitter in zwei Abteilungen geteilt. Das Gitter verwehrt den Fischen jede Kommunikation, Wolff, Die Emährung der Wassertiere. 477 während einem Austausch der Kleinfauna und -flora (sowie erst recht dem Austausch gelöster Stoffe) nichts entgegensteht. In einem gleichen Teich wird der Naturzuwachs der Karpfen bei gleich starkem Besatz beobachtet. Im Versuchsteich wird der einen Ab- teilung (a) kein Futter gegeben, dagegen erhält Abteilung b Futter, z. B. Fleischmehl. Der Besatz beider Teichabteilungen ist natür- lich derselbe. Der Erfolg war folgender: In- Abteilung ar... „„.2% Kesske Zuwachs Naturzuwachsee 0 2... .. 7 see risun. Indirekte Futterwirkung . . . 40 kg. In Abteilung b Gesamtzuwachs . . 338 kg davon ab Naturzuwachs” x... 0.1.2848, direkte + indirekte Futterwirkung 290 kg indirekte Futterwirkung . . . . 40, direkte Futterwirkung . . . . . 250 kg. Die gesamte „indirekte“ Futterwirkung im ganzen Teich ist also SO. kg, die direkte 250 kg, so dass 24,2°/, der gesamten Futter- wirkung „indirekte* Wirkung war.“ Nun nützen die Organismen der Kleinfauna 100 Futterteile höchstens so aus, dass sie daraus 30—50 Teile Körpersubstanz auf- bauen. Der Karpfen wieder vermag aus 30—50 Teilen Organismen der Kleinfauna höchstens 15—25 Teile des eigenen Gewichtes auf- zubauen, — im allergünstigsten Falle würden also 4 Teile Futter auf 1 Teil Neishee an ne Tem (während in Wirklichkeit rund 2 Teile Futter auf 1 Teil Fischgewicht kommen!). Da rund 330 kg Zuwachs durch Futterwirkung erfahrungsgemäß mit 640 kg?) Futter erzielt werden, wovon 75,8°/, (d. ı. 500 kg zu 250 kg Ansatz) direkt ausgenutzt werden, so können die übrigen 160 kg Futter, die indirekt ausgenützt werden, gar nicht über die Plankton- organismen gegangen sein. Denn dann könnte nach dem eben Gesagten die indirekte Futterwirkung nicht 160, sondern im aller- günstigsten Falle nur 40 kg insgesamt, pro Abteilung also 20 kg betragen. Es bleibt danach nur die Annahme übrig, lese ach die „indirekt“ wirkenden Nährstoffe direkt, nicht auf dem Umwege über die Planktonorganismen ausgenützt werden. Auf eine interessante Zusammenstellung der wichtigeren Fisch- arten nach ihrer bisher bekannten, durch Darmuntersuchungen fest- gestellten Ernährung muss verwiesen werden. Pütter unterscheidet drei Gruppen. Erstens: Fische, für die die Ernährung durch größere Nahrungsbrocken belegt ist, zweitens: Fische, die während des ge- 3) Soll wohl heißen 660 kg! (genauer 650,1 kg). 478 Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. samten Lebens, und drittens solche, die nur in der Jugend Mikro- organismen verzehren. Am meisten springt wohl der Vergleich von Barsch und Karpfen ins Auge. Im Darme des ersten sind immer die Reste mehr oder weniger stark verdauter Fische zu finden, deren Länge fast '/, von der des Räubers selbst betragen kann, d. i. bis !/,, seines Raum- inhaltes. Im Darm des Karpfens trifft man im günstigsten Falle einige 100 Stück kleiner Süßwasserkruster, der Volumen !/g 900000 des Fisches nicht übersteigt. Sollen wir annehmen, dass der Nahrungsbedarf des Karpfens mindestens vieltausendmal geringer oder die Entfernung des Darm- inhaltes bei ihm vieltausendmal schneller als beim Barsche ıst? Man kann dem Verf. wohl unbedenklich zustimmen, wenn er diese Annahme für alle derartigen Fälle als undiskutierbar ablehnt und andere Energiequellen, die nicht aus geformter Nahrung fließen, für diese Fische zu finden sucht, wobei er wohlgemerkt sehr wohl die Fälle würdigt, in denen enorme Mengen von Kleinkrebsen, die als Nahrung genügen konnten, in Magen und Darm aufgefunden werden. Von der Geschwindigkeit, mit der die Nahrung den Darm passiert, verschafft uns Pütter übrigens durch Messung der in 24 Stunden von Goldfischen entleerten Sandkotsäulenlänge emen klaren Begriff. Bei 19° ©. wird in 24 Stunden eine Kotsäule von 1,08 der Körper- länge ausgestoßen. Dabei wirken die mechanisch stark reizenden Sandkörnchen sicher beschleunigend auf die Peristaltik em! Nachdem der Verf. eine interessante Berechnung des Nähr- wertes der wichtigsten Planktontenkategorien gegeben hat (ausnutz- bare Trockensubstanz eines Kopepoden durchschnittlich = 0,0081 mg, — nach ihrem Energiegehalt als Nährstoff entsprächen 5000 Dia- tomeen — 2270 Peridineen — 1 Kopepoden!) wendet er sich der Berechnung des Nahrungsbedarfes der Fische aus ihrem Baustofl- wechsel zu. Wir übergehen die Aufzählung von Einzelheiten. Der Verf. weist überzeugend nach, dass Stint, Finte und Karpfen un- möglich ihren Nahrungsbedarf mit geformter Nahrung decken können. Ganz prachtvoll ist die schlagende Beweisführung, die Pütter mit der Berechnung des Nahrungsbedarfes des stromauf gehenden Lachses gibt. Bekanntlich nehmen die Tiere während ihres über Smonatlichen Aufenthaltes im Süßwasser keine Spur geformter Nahrung zu sich und verlieren, wie Miescher in seinen klassischen Arbeiten gezeigt hat, von ihrer Muskulatur mehr (Trocken-)Substanz organischer Art, als in Hoden und Ovarien (die sich während dieser Zeit zur Reife entwickeln) angebaut wird. Pütter benützt nun in höchst geschiekter Weise die von Miescher über diese „Selbst- zehrung“ gegebenen Daten — die also angeben, wieviel von der Körpersubstanz während des Süßwasseraufenthaltes im Betriebs- stoffwechsel umgesetzt wurde —, um nachzuweisen, dass „die Ge- Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. 479 samtmenge der Arbeit, die ein Lachs während seines Aufenthaltes im Süßwasser aus den Stoffdepots seines Körpers zu leisten imstande ist*, sich auf 1360000 mkg beläuft, während die Arbeitsmenge, die er leisten muss, um bis Basel stromauf zu schwimmen, 17200000 mkg — rund das Zwölffache —, beträgt! Einen ganz ähnlichen Wert erhält der Verf. auf Grund einer biochemischen Berechnung, die sich auf den Sauerstofiverbrauch stützt. Auch der Lachs muss eine außerhalb seines eigenen Körperdepots und nicht in geformter Nahrung plank- tonischer Art gegebene Energiequelle zur Verfügung haben, um die Arbeit.zu leisten, die er vollbringt bei seinem Aufsteigen in die Flussläufe! Verf. ist es nun zwar nicht gelungen, in der natürlichen Nähr- lösung, die ja das Meer z. B. nach seiner früheren Arbeit tatsächlich darstellt, einen erwachsenen Fisch im Stoffwechselgleichgewicht zu halten, einen Jungfisch zum Stoffansatz zu bringen, — weil eben das Wasser auch des zweckmäßigsten Aquariums nicht die natürlichen biologischen Verhältnisse des Meeres bietet (dass es möglich 1st, niedere Krebse in einer natürlichen Nährlösung zum Stoflansatz zu bringen, konnte der Ref., wie oben kurz erwähnt wurde, einwand- frei feststellen), aber er konnte doch wenigstens das mit völlig befriedigender Deutlichkeit zeigen, dass die Versuchstische Hippo- campus, Balistes, Scorpaena, Gobius und Heliastes) gelöste Stoffe aus dem Aquarienwasser aufnahmen und in ihren Stoffwechsel ver- wendeten. Es wurde rund die Hälfte des Gesamtumsatzes aus den Körperdepots, die andere Hälfte aus den in Lösung vorhandenen komplexen Ö-Verbindungen gedeckt. Bei Balistes waren die Lösungs- stoffe sogar mit 75°/, und bei Gobius mit 88°/, beteiligt. Pütter hat auch den Versuch gemacht, die verschiedenen Fischarten in künstlichen Nährlösungen zu halten. Die Versuche basieren alle auf derselben Methode, die auf folgender Überlegung aufgebaut ist: „Wenn wir ein Tier unter Ausschluss geformter Nahrung leben lassen und, während die Zusammensetzung zu An- fang des Versuches durch geeignete Kontrollanalysen festgelegt ist, nach einer gewissen Zeit die Zusammensetzung wieder bestimmen, so ersehen wir, welche Mengen und Arten von Stoffen umgesetzt worden sind. Würden alle diese Stoffe vollständig oxydiert sein, so. würde dazu eine genau bestimmte, berechenbare Sauerstoffmenge verbraucht werden. Treten bestimmte Abbauprodukte der umgesetzten Stoffe unvollständig oxydiert aus dem Körper aus, so wird die Sauerstofl- menge, die im Stoffwechsel verbraucht wird, geringer. Für die Fische wissen wir, dass ihr Stoffumsatz prinzipiell ın derselben Weise abläuft wie bei den Säugetieren, Kohlehydrate 480 Wolff, Die Ernährung der Wassertiere. und Fette werden vollständig oxydiert, aus Eiweiß wird in bedeu- tender Menge Harnstoff gebildet. Dieses letztere Moment ist wichtig, denn es wird infolge der Ausscheidung dieses unvollständigen Oxydationsproduktes weniger Sauerstoff verbraucht, als zur vollständigen Eiweißoxydation nötig wäre. Jedenfalls aber sind wir, unter Berücksichtigung dieses Um- standes, in der Lage, anzugeben, wieviel Sauerstoff ein Fisch ver- braucht, um eine gegebene Menge seiner Körperstoffe zu verarbeiten. Wird nun während der Dauer des Lebens ohne geformte Nah- rung der Sauerstoffverbrauch direkt bestimmt, so muss seine Menge mit der berechneten Menge übereinstimmen, wenn keinerlei gelöste Nahrung "aufgenommen wurde.“ Pütter vermag nun in der Tat an Goldfisch und Stichling die Brauchbarkeit seiner Methode (mit einem Fehler von nur 5°/,, wie er kleiner aus Gründen der Methodik gar nicht erwartet werden konnte) darzutun. RS An der Hand dieser Methode untersucht er nun die Frage, ob aus natürlichen Nährlösungen von den Fischen organische Stoffe entnommen werden und im Stoffwechsel zur Verwertung gelangen, selbstverständlich unter Vermeidung von Fehlerquellen, deren sichere Ausschließung bei derartigen Versuchen unbedingt zu verlangen war, besonders störender bakterieller Prozesse. Das Resultat dieser Versuche war ein eindeutig positives. Eine Ausnutzung gelöster Stoffe seitens der Fische findet tatsächlich statt. Denn es liegt auf der Hand, dass, wenn ein wirklich hungernder Fisch nach Verbrauch von etwa der Hälfte seiner Körperstofle stirbt, die Versuchsfische, die in bezug auf geformte Nahrung hungerten, nicht wirklich gehungert haben können, wenn sie während des Versuches ®/,, ?J1, ja in einem Falle (Gobius, der 373 Tage ohne geformte Nahrung gehalten wurde) sogar fast das Dreifache ihrer Sauerstoffkapazität verbrauchten, was — wirkliches Hungern vorausgesetzt —, bedeutet hätte, dass nur noch 25°%,, 10° oder — ein Irrationalis in der Tat —, weniger wie nichts von den Tieren übrig geblieben sein würde: der Gobius musste sich 3mal selbst verzehrt haben. Es ist hiermit also ebenso zwingend, wie durch die Überlegungen, die sich auf den Rheinlachs beziehen, beweisen, dass die Tiere, obwohl keine geformte Nahrung ihnen zu Gebote stand, Nahrung aufgenommen haben, die im Aquarienwasser gelöst enthalten war. Der Anteil der ge- lösten Stoffe am Gesamtumsatz lässt sich sogar durch Zusatz einer pro Kubikzentimeter 0,147 mg N enthaltenden Nährlösung (aus Ulven hergestellt) — 50 ccm zu 50 Liter Seewasser —, um fast 15°/, steigern. In 10 Liter-Aquarien gelang es sogar, wenn als einzige Stickstoffquelle Asparagin und als event. Kohlenstoffquelle Hartmann, Polyenergide Kerne. 481 Glyzerin geboten wurde, den Goldfisch zur Deckung von 56,2°/, seines Gesamtumsatzes durch die gebotenen Stoffe, den Stichling zum Stoffansatz zu bringen. Da der Fisch „trocken frisst“, wie Schiemenz gezeigt hat, d. h. kein Wasser mit den Nahrungsbissen verschluckt (und auch sonst kein Wasser in seinen Magen gelangt), aber überhaupt a priori die Aufnahme des 2—6fachen Figenvolumens an Wasser pro Stunde durch den Darm als ein Ding der Unmöglichkeit betrachtet werden darf, so bleibt als Weg für die Aufnahme der gelösten Nahrung einzig und allein die respiratorische Oberfläche des Körpers: Haut und Kiemen übrig. Da bei den Fischen die Atmung durch die schlecht vaskularisierte Haut sehr gegenüber der Kiemenatmung zurücktritt, kann nur das Kiemenepithel, das den im Wasser ge- lösten Sauerstoff resorbiert, für die Aufnahme der im Wasser ge- lösten Nahrungsstoffe in Frage kommen. Und in der Tat gehen stündlich weit größere Wassermengen durch die Kiemen hindurch, als zur Lieferung der gelösten Nährstoffe erforderlich ist, wie Pütter rechnerisch nachweist. Nach den Pütter’schen Untersuchungen haben wir also in den gelösten ausnutzbaren Stoffen, die in den natür- lichen Gewässern vorhanden sind, die Grundlage der Fischnahrung zu sehen. Inwieweit etwa daneben in ein- zelnen Fällen und unter gewissen Bedingungen auch ge- formte Nahrung zur Verfügung stehen muss, ist vorläufig noch nicht zu entscheiden gewesen. Ein prinzipieller Unterschied ist wohl kaum gegeben in den beiden Er- nährungsarten. Wahrscheinlich spielt die geformte Nah- rung im allgemeinen eine um so größere Rolle, je weniger gelöste Stoffe vorhanden sind. Alles in allem stehen wir hier einer Entdeckung von weittragender Bedeutung gegenüber. Die Perspektiven, die uns Pütter eröffnet hat, sind so völlig neuartig und überraschend, dass über die Wichtigkeit dieser For- schungen kein Wort weiter verloren zu werden braucht. Polyenergide Kerne. Studien über multiple Kernteilungen und generative Chromidien bei Protozoen!). Von Max Hartmann. (Aus dem Kgl. Institut für Infektionskrankheiten in Berlin.) Bekanntlich hat Sachs vor einer Reihe von Jahren den Be- sriff der Energide in die Biologie einzuführen versucht, wobei er 1) Nach einem am 9. März 1909 in der Gesellschaft naturforschender Freunde in Berlin gehaltenen Vortrag. 489 Hartmann, Polyenergide Kerne. als Energide jeden Kern mit der von ihm beeinflussten Protoplasma- zone definierte. Eine vielkernige Zelle besteht demnach aus vielen Energiden; sie ist eine polyenergide Zelle. Diese Auffassung hat sehr viel für sich, besonders wenn man mit dem Zellbegriff zugleich die Vorstellung von einem Elementarorganismus verbindet; und eine Reihe von Einwänden, die man gegen die Auffassung der Zelle als Elementarorganismus mit Recht erhoben hat (Withman, Gur- witsch) lassen sich dabei beseitigen. Besonders tritt die Berech- tigung dieser Auffassung bei den meisten vielkernigen, also poly- energiden Protozoen zutage, die bei der Fortpflanzung einfach in so viele einkernige, monoenergide Teile zerfallen, als vorher Kerne vorhanden waren (multiple Teilungen). Hier ist es zweifellos, dass jede kernhaltige Plasmapartie ohne weiteres als Elementarorganismus und vollwertige Individualanlage gelten muss. Nun kommen aber bei Protozoen nicht nur multiple Zellteilungen vor, sondern auch multiple Kernteilungen, bei denen in ähnlicher Weise wie dort die Zelle, hier der Kern mit einem Schlage in eine größere Anzahl von Tochterkernen zerfällt. In konsequenter Anwendung des Energide- begriffes müsste man hierbei die Auffassung vertreten, dass wie dort polyenergide Zellen, so hier polyenergide Kerne vor- liegen, mit anderen Worten, dass auch ein Kern nicht immer eine einzige Einheit, eine Energide darstellt, sondern schon viele Ener- siden in ihm enthalten sein können. Diese Auffassung hat sich mir zum ersten Male aufgedrängt, als ich im Winter 1904/5 in Neapel und Messina beim Studium der Fortpflanzung der Radiolarien mehrmals beobachtete, wie sich unter meinen Augen eine große (ca. 5—S mm) einkernige Thalas- sophysa in eine Kolonie von Tausenden von mehrkernigen Indi- viduen umwandelte 2), worauf sich diese einzelnen Individuen wiederum ihrerseits in eine große Anzahl von Schwärmern auflösten. Im Laufe der letzten 4 Jahre habe ich dann diese Idee stets im Auge behalten und allmählich auch noch eine Reihe anderer eytologischer Probleme der Protistenkunde damit in Beziehung bringen können. Ich bin jedoch damit noch nicht an die Öffent- lichkeit getreten, weil ich meine damals hauptsächlich am lebenden Material und Totalpräparaten gewonnene Auffassung noch nicht durch lückenlose entwickelungsgeschichtliche Kernstudien beweisen konnte und ich durch meine Übersiedlung nach Berlin nicht dazu gekommen war, diese Untersuchungen weiterzuführen. In der bis- herigen Literatur lag aber nur eine einzige Angabe von Schaudinn (1904) für die Mikrogametocytenkerne von Halteridium vor, die man als Beweis für diese Auffassung hätte anführen können. Erst im Laufe des letzten Jahres wurde es mir durch die Mitarbeit des 3) Soweit hatte schon Brandt (1902) zuvor den Vorgang beobachtet. Hartmann, Polyenergide Kerne. 485 Herrn Kollegen Dr. Hammer möglich, mein reiches fixiertes Ma- terial zu bearbeiten, und wir können nun die erwähnte Auffassung auch cytologisch vollständig bestätigen. Zu gleicher Zeit hat einer meiner Schüler, Herr Jollos (1909) bei der Coceidie Adelea ovata einen besonders einfachen und klaren Fall der Entstehung eines polyenergiden Kernes aufgefunden, und Frl. Dr. Zuelzer, die mir öfters ihre Präparate demonstrierte, hat bei den verschiedenen Ver- mehrungsarten der interessanten Heliozoe Wagnerella ebenfalls überzeugende Befunde für das Vorkommen polyenergider Kerne gemacht, die trotz etwas größerer Komplikation sich leicht dem Jollos’schen Fall anreihen lassen. Schließlich sei noch erwähnt, dass inzwischen auch über Radiolarien einige Arbeiten erschienen sind (Brandt, 1905; Häcker, 1907), die sich in diesem Sinne ver- werten lassen, und dass vor allem in einer demnächst erscheinenden Arbeit Borgert (1909) bei Aulacantha ganz übereinstimmende Be- funde bringt, die er auch in diesem Sinne deutet. Der Zeitpunkt scheint mir daher geeignet, all diese Befunde übersichtlich im Hinblick auf die oben geäußerte Idee zusammenzustellen, sowie ihre Beziehungen zu anderen eytologischen Problemen speziell der Bildung der sogen. generativen Chromidien zu erörtern. Ich beginne mit der Schilderung der Verhältnisse bei dem Coceid Adelea, bei dem sich, wie ich schon erwähnt, der einfachste Fall eines polyenergiden Kernes findet. Die gewöhnliche Fort- pflanzung der Coceidien im infizierten Wirtstier ist eine multiple Zellteilung, die sogen. Schizogonie. Hier teilt sich in der Regel der Kern durch eine primitive Mitose, bis eine Anzahl Tochter- kerne entstanden ist, und diese polyenergide Zelle zerfällt dann ziemlich plötzlich in so viele Einzelzellen, als Kerne vorher gebildet waren. . Für Adelea haben nun Schaudinn und Siedlecki (1897) sowie Siedlecki (1899) eine multiple Kernteilung beschrieben. Bei einer Neuuntersuchung fand Jollos (1909) nun bei derselben Art alle Übergänge von einer gewöhnlichen Zweiteilung der mono- energiden (einkernigen) Zelle bis zu dem von Siedlecki beschrie- benen Vorgang. Die Kernteilung vollzieht sich bei der Zweiteilung in Form einer primitiven Mitose, die sich ganz am Karyosom abspielt, während der Außenkern, der zu Beginn der Teilung kaum mehr chromatische Substanz enthält, ganz unbeteiligt ist. Derartige Kernteilungen sind ja bei Protozoen nichts Neues; besonders für Amöben und Trypanosomen (Hartmann und Prowazek, Nägler, Rosenbusch) sind sie neuerdings beschrieben worden. Wie bei den Kernen jener Amöben und Flagellaten ist auch hier im Karyosom ein Centriol als Teilungsorgan eingeschlossen, was für die richtige Beurteilung dieser Kerne von großer Bedeutung ist. Mit dem Karyosom kann sich nun auch der ganze Kern zugleich in zwei Kerne teilen und dem kann, wie wir ja das sonst bei Zellen ge- 484 Hartmann, Polyenergide Kerne. wohnt sind, auch die Zellteilung unmittelbar folgen (Fig. 1a u. b), was allerdings eine seltene Ausnahme ist. Gewöhnlich geht sogar die Teilung des ganzen Kernes nicht direkt Hand in Hand mit der Karyosom-Mitose, sondern vollzieht sich nachher. Der Prozess wiederholt sich dann, bis mehrere Kerne in der Zelle gebildet sind (Fig. 1c). Der weitere Fall ist der, dass im Innern der erhalten Fig. 1. Verschiedene Teilungsweisen bei Adelea ovata (nach J ollos). bleibenden Kernmembran das Karyosom sich nicht einmal, sondern mehrmals hintereinander mitotisch teilen kann und dieser Kern, der also schon mehrere Tochterkerne im Innern enthält, sich dann nach und nach in die Einzelkerne zerschnürt (Fig. 1d). Der letzte Modus schließlich vollzieht sich so, dass auch diese Zerschnürung des ganzen Primärkernes unterbleibt; die Kernmembran des Primär- kernes wird einfach zum Schluss aufgelöst und die vorgebildeten Sekundärkerne zerstreuen sich hierauf im ganzen Plasma (Fig. 1, e—h). Hartmann, Polyenergide Kerne. 455 Hier ist es wohl ohne weiteres klar, dass dieser letztgeschilderte Modus der Kernvermehrung sich von einer fortgesetzten primitiven Mitose des Kernes ableiten lässt, wobei einfach die Membran und die Kernhöhle des Primärkernes erhalten bleibt, weil eben alle wichtige Substanz im Karyosom konzentriert ist und die Mitose somit nur an letzterem stattzufinden braucht. Ebenso sicher ist es, dass jedes durch primitive Mitose entstandene Tochterkaryosom im Innern des Primärkernes als totipotenter Kern gelten muss. Der große Kern vor der multiplen Teilung ist somit unbedingt ein polyenergider Kern im eingangs erwähnten Sinne. Man kann ihn auch im Gegensatz zu einem monoenergiden Kern (Monokaryon) als Polykaryon bezeichnen. Bei einer anderen Coccidie der Kimeria schubergi hat Schau- dinn (1900) bei der Mikrogametenbildung gleichfalls eine multiple Teilung beschrieben, wobei sich das Karyosom in eine große An- zahl feiner Körner im ganzen Protoplasma zerstreut, aus welch letzteren sich dann die Mikrogametenkerne bilden. Später hatte Schaudinn (1903) diese Karyosomzerstreuung als Chromidien- bildung aufgefasst. Nach Untersuchungen an dem nahverwandten Kanincheneoceidium, Eimeria stiedae, die Herr Dr. Viereck in meinem Laboratorium unternommen hat, scheint es mir im hohen Grade wahrscheinlich, dass es sich auch bei dieser sogen. Chro- midienbildung nur um den Zerfall eines polyenergiden Kernes handelt. An die Befunde von Jollos schließen sich ganz die noch unver- öffentlichten Ergebnisse von Frl. Dr. Zuelzer an der Heliozoe Wag- nerella an, deren Benutzung mir Frl. Dr. Zuelzer in liebenswürdiger Weise gestattet hat. Auch hier teilt sich im Innern des Primär- kernes das mit einem Centrio| ausgestattete Karyosom fortgesetzt durch Zweiteilung, und so entstehen Kerne mit einer großen An- zahl von Karyosomen, von denen jedes einen Sekundärkern dar- stellt (Fig. 2a—d). Wie bei der Adelea, so haben auch hier die einzelnen Karyo- some (Sekundärkerne) eine verschiedene Größe, was durch das ungleiche Wachstum der einzelnen Tochterkerne bedingt ist. Meist sind sie von einer helleren Zone mit radialgestellten Lininwänden umgeben (Fig. 2a, e, d). Ich will hier nicht auf die verschiedenen komplizierten Fortpflanzungsweisen und das genaue Verhalten der Kerne dabei. eingehen (multiple Kernteilung, Kernknospung etc.) und verweise auf die vorläufige Mitteilung von Zuelzer und ıhre demnächst erscheinende ausführliche Arbeit. Erwähnt sei, dass bei der sogen. dicken Generation die Teilung der Karyosome im Primär- kern besonders gut zu erkennen ist (Fig. 2), während bei dem polyenergiden Primärkern der dünnen Generation, bei der sich Kern und Zelle durch Knospung vermehrt, die Kernnatur der 486 Hartmann, Polyenergide Kerne. Karyosome (Sekundärkerne) sich mit aller Deutlichkeit aus ihrem morphologischen Bau ergibt. Der Hinweis auf die oben genauer geschilderten Vorgänge bei Adelea genügt wohl, um zu begreifen, dass es sich bei der Zerfallteilung, wie bei der fortgesetzten Kern- knospung einfach um das Freiwerden aller resp. einzelner vor- gebildeter, totipotenter Sekundärkerne aus dem polyenergiden Pri- märkern (Polykaryon) handelt. Besonders erwähnen möchte ich noch die Bildung der Gameten- kerne bei Wagnerella, weil der Vorgang große Ähnlichkeit mit manchen Prozessen bei der später zu besprechenden Gameten- bildung der Radiolarien (spez. Anlacantha) aufweist. Es treten nämlich in der Umgebung des großen Polykaryons kleine von einem hellen Hof umgebene Chromatinbrocken auf, die sehr an die bei Foraminiferen beschriebenen Chromidien erinnern. Es sind offenbar Fig. 2. Kernteilungen bei Wagnerella (nach Zuelzer). Sekundärkerne, die aus dem Primärkern ausgetreten sind, wie wir es bei Radiolarien noch genauer kennen lernen werden. ‚Jedes Chromatinkorn wird nun zu einem kleinen Kern, der sich weiterhin durch eine außerordentlich charakteristische Mitose vermehrt. Für die verschiedenen komplizierten Kernvermehrungsvorgänge der Wagnerella dürfte die Berechtigung unserer Auffassung mithin ohne weiteres einleuchten. Eine Reihe der von Zuelzer beschriebenen Vermehrungs- vorgänge erinnert auffallend an Verhältnisse, wie sie Schaudinn und neuerdings Winter (1907) für verschiedene Foraminiferen beschrieben haben. - Speziell für Caleituba hatte Schaudinn (1895) eine Kernvermehrung angegeben, die prinzipiell mit den nach.Jollos und Zuelzer soeben geschilderten übereinstimmt. Beim Zerfall des polyenergiden Kernes weist derselbe eine Anzahl äußerst gleich- mäßiger Binnenkörper (Karyosome) auf, die sich dann als toti- Goebel, Einleitung in die experimentelle Morphologie der Pflanzen. 487 potente Kerne erweisen. Leider lässt sich aus der alten Arbeit von Schaudinn nicht erkennen, ob nicht auch hier die vielen Karyosome wie bei Adelea und Wagnerella durch fortgesetzte Zwei- teilung entstehen. Dieser Punkt, der mir nach den Erfahrungen an Wagnerella äußerst wahrscheinlich vorkommt, müsste durch er- neute Untersuchung des Objekts aufgeklärt werden. Bei Polystomella und Peneroplis wiederholen sich diese mul- tiplen Kernteilungen in der agamen Generation fortgesetzt, bis das ganze Protoplasma der Foraminiferen mit einzelnen Kernbrocken durchsetzt ist. Diese Kernbrocken werden von Schaudınn und Winter als ein Chromidialapparat betrachtet, aus dem sich später in der Geschlechtsgeneration einmal durch Zusammenfließen von einer größeren Anzahl derartiger Brocken ein sekundärer somatischer Kern?) bildet, während aus den anderen jedes einzelne Korn durch Aufblähung zu einem echten kleinen Kern wird, der sich zweimal mitotisch teilt und hierauf bei der Zerfallteilung (Gametogsnie) zum Gametenkern wird. Durch den Vergleich mit den oben geschilderten Verhältnissen bei Adelea und vor allem bei Wagnerella, wo wir eine ganz Ähnliche Kernvermehrung und bei letzteren Objekt auch eine sehr ähnliche Gametenbildung kennen gelernt haben, scheint es mir im hohen Grade wahrscheinlich, dass auch bei den Foraminiferen die Verhältnisse in demselben Sinne zu deuten sind und dass so- wohl die multiple Kernteilung ım Beginn der agamen Generation, als vor allem auch die sogen. Chromidienbildung nur als fortgesetzte Teilung polyenergider Kerne zu deuten sind. Hierfür spricht auch der Umstand, dass die sogen. Chromidien stets aus gesonderten Körnern bestehen, die in derselben Weise wie kleine Karyosomkerne bei anderen Protozoen von einer hellen Kernsaftzone umgeben sınd und dass jedes einzelne Korn später zu einem vollkommenen Ga- metenkern wird. (Schluss folgt.) Goebel, K. Einleitung in die experimentelle Morphologie der Pflanzen. Leipzig 1908. Verlag von B. G. Teubner, In seiner amerikanischen Kongreßrede!) hat Goebel Zweck und Ziele der experimentellen Pflanzenmorphologie klargelegt und die Grenzen für die junge Disziplin abgesteckt. Im vorliegenden Werke macht er zum erstenmal den Versuch, die Ergebnisse, welche die experimentelle Forschung für die morphologischen Probleme bisher gezeitigt hat, im Zusammenhang darzustellen, die Wege zu zeigen und die Arbeitsmethoden anzugeben, die dem erstrebten Ziele näher führen können. 3) Derselbe ist natürlich seiner Entstehung nach auch polyenergid. 1) Goebel, Die Grundprobleme der heutigen Pflanzenmorphologie, s. diese Zeitschr. Bd. XXV, p. 65. A8S Goebel, Einleitung in die experimentelle Morphologie der Pflanzen. Die ausgesprochene Ansicht des Verfassers?), dass die Morpho- logie noch weit davon entfernt ist, eime exakte Wissenschaft zu sein, deren Resultate mit zwingender Notwendigkeit sich ergeben, mag wohl die Erklärung dafür sein, dass Goebe ’ für seine bedeut- same Veröffentlichung die anspruchslose Form der gedruckten Vor- lesungen gewählt hat. Sie bietet vor allem den Vorteil, dass der Autor den werdenden und wachsenden Stoff in seiner Bildsamkeit nach allen Richtungen drehn und wenden und durch anschauliche Beispiele, und Gleichnisse verständlich machen kann unbehindert durch die Forderung einer strengen Gliederung der Darstellung, wie sie ein Lehr- oder Handbuch verlangt. Äber die gewählte Form hat doch auch ihre Nachteile insbesondere in bezug auf den Eindruck, den sie bei dem Leser hervorruft: der eine erw wartet unter dem Titel gedruckter Vorlesungen nur eine für den Anfänger be- stimmte schulgemäße Zusammenstellung des gesicherten wissen- schaftlichen Besitzes der behandelten Disziplin und lehnt es ab, sich eingehender mit ihr zu befassen; der andere verliert sich in den Einzelheiten der Darstellung und "sieht den Wald vor Bäumen nicht. Man braucht nur die in den botanischen Fachblättern er- schienenen Besprechungen des Buches anzusehen, um die Richtig- keit dieser Beobachtung bestätigt zu finden. Um den Lesern dieser Zeitschrift von dem Wesen des Buches eine Vorstellung zu verschaffen, erscheint es mir nicht erforderlich, Einzelheiten zu diskutieren noch auch zu erörter n, wie weit der Inhalt der leitenden Sätze aus eigenen Experimenten des Verfassers oder aus fremden Beobachtungen abgeleitet ist. Vielmehr sehe ich meine Aufgabe darin, die allgemeinen Grundanschauungen des Verfassers über die Vorgänge der Formgestaltung im Pflanzenreiche, die das Resultat seiner Studien und zugleich die Grundlage für die weitere Fragestellung bilden, zu skizzieren, soweit das ım Rahmen eines kurzen Referates möglich ist. Der Gegenstand der experimentellen Erforschung ist der Ent- wickelungsvorgang am Individuum. Den Ausgang für diesen Ent- wiekelungsvorgang bildet der lebende Organismus und eine be- stimmte Konstellation der äußeren Umstände. Dem Organismus kommt eine spezifische Organisation zu, deren Natur in gewissem Grade in dem Endresultat jedes Entwickelungsvorganges mit zum Ausdruck kommt. Eine Äußerung dieser spezifischen Organisation ist unter anderem die Beschränkung der Entwickelungsmöglichkeiten auf die im Variationsbezirk der "betreffenden Art gelegenen Ge- staltungsverhältnisse. Dabei bleibt allerdings vorbehalten, dass die Entwiekelungsmöglichkeiten durchaus nicht ın der normalen Ge- staltung der betreffenden Art erschöpft zu sein brauchen; durch das Experiment können, ähnlich wie etwa durch den Stich eines Gallentieres, auch Formverhältnisse erzielt werden, die spontan nicht vorkommen. Jedes Entwiekelungsgeschehen am Pflanzenindividuum lässt sich ansehen als das E ndglied einer Kausalitätskette, die rückwärts durch Goebel, Einleitung in die experimentelle Morphologie der Pflanzen. 489 den Organismus nach außen reicht. Der Entwickelungsgang wird durch die äußeren Bedingungen, unter denen er sich vollzieht, tief- gehend beeinflusst, aber der äußere Einfluss ist nicht allein aus- schlagg gebend für die im Entwickelungsvorgang wahrnehmbar wer- dende Reaktion, sondern auch der ım Organısmus liegende Teil der Kausalitätskette spielt dabei eine wesentliche Rolle. Dieselben äußeren Umstände haben zu verschiedenen Zeiten verschiedene Folgen und ebenso können verschiedene äußere Umstände die gleichen Folgen ım Entwickelungsgang hervorrufen. Wir müssen demnach bei jedem Entwickelungsvorgang die äußeren und die inneren Bedingungen zur Erklärung heranziehen. Die inneren Be- dingungen sind der Beeinflussung durch die äußeren Umstände unterworfen und werden dadurch dem Experiment zugänglich. Sie können aber auch durch die Lebensvorgänge im Organısmus ohne äußere Einwirkung sich ändern. Die Wirksamkeit der inneren Bedingungen ist indessen nicht etwa so zu verstehen, als ob, wie man das*früher wohl ausge- sprochen hat, jede normale Entwickelungsphase in dem Lebens- gange des Individuums die kausale Folge der voraufgegangenen und die Ursache der folgenden sei. Jede Entwickelungsphase hat ihre eigenen inneren Bedingungen zur Voraussetzung unabhängig von der vorausgegangenen Phase. Durch die Beeinflussung dieser inneren Bedingungen im Experiment lässt sich die Phasenfolge verändern, abkürzen oder selbst umkehren. Im normalen Ent- wickelungsgange ist die regelmäßige Reihenfolge der Phasen nur dadurch gewährleistet, dass ohne gewaltsamen Eingriff die Wand- lung der inneren Bedingungen den“ entsprechenden Weg durchläuft. Unter äußeren Bedingungen ıst die Konstellation aller äußeren nach Maß und Zahl variablen Lebensbedingungen zu verstehen, auch das relative Mengenverhältnis der einzelnen Faktoren, der Nährstoffe, der Sauerstoff- und Kohlensäurezufuhr u. s. w. kann varlierend auf die inneren Bedingungen und damit auf ‘das End- resultat des Entwickelungsvorganges einwirken. Die inneren Be- dingungen beziehen sich entweder auf die Organısation oder auf die jeweilige Lage der Betriebsmechanik: z. B. kann eine Adventiv- bildung ausbleiben, entweder weil keine zur Reaktivierung befähigten Zellgruppen vorhanden sind oder weil keine Baustoffe disponibel sind oder weil die Enzyme mangeln, durch die vorhandene Bau- stoffe in den Stoffwechsel einbezogen 'werden könnten u. s. w. Für die Erklärung eines Entwickelungsvorganges genügt nicht eine bloße Umschreibung, auch teleologische Erwägungen. wie die Anerkennung einer Formgestaltung als Anpassungserscheinung können nicht an die Stelle der kausalen Erklärung treten. Die Anschauung Nägeltr's, dass das Bedürfnis als Reiz wirke, ıst nicht haltbar; eine direkte Anpassung würde ein Wahlvermögen der Pflanze voraussetzen, die Pflanze wählt aber nicht, sie tut, was sie tun muss. Den zwingenden Grund des Geschehens in den inneren und äußeren Bedingungen aufzudecken, ist das Ziel der experimentellen Untersuchung. Dabei ist vorderhand nicht zu erwarten, dass es gelingen könnte, die ganze Kette der Kausalität klarzulegen, aber schon die Bestimmung ein- 490 Goebel, Einleitung in die experimentelle Morphologie der Pflanzen. zelner Glieder ıst ein Gewinn und gibt die Basıs für eine weiter- gehende Fragestellung ab. Das sind ın allgemeinen Zügen dıe Grundgedanken, von denen ausgehend der Autor die Fragestellung und die Deutung der ım Experiment erhaltenen Beobachtungstatsachen unternimmt. Sein Bestreben ist bei den Versuchen zunächst darauf gerichtet, durch die Abwandlung äußerer Verhältnisse die inneren Bedingungen zu ändern und aus dem Endresultat im Entwickelungsgange rück- schließend die erzielte Aenderung zu bestimmen. Aber auch eine direkte Beeinflussung der inneren Bedingungen gelingt durch ope- rative Eingriffe, wie durch Wegnahme von Reservestoffbehältern, Unterbrechung von Leitungsbahnen ‚ Entfernung von Vegetations- punkten, Befreiung von Gliedern aus dem Abhängigkeitsv erhältnisse durch Isoherung u. s. w. Indem der Autor die verschiedenartigsten morphologischen Verhältnisse und Entwickelungsvorgänge zum (Gegenstand der experimentellen Prüfung macht, führt er ein um- fassendes Tatsachermaterial dem Leser vor. Die Kompliziertheit der Verhältnisse bedingt es, dass in gar manchen Fällen das Ver- suchsergebnis keine eindeutige Antwort auf die Frage bringt, sondern eine Diskussion verschiedener Möglichkeiten erfordert. Nur lang- sam tastend kann vorwärts gedrungen werden, jeder Zweifel er- fordert neue experimentelle Prüfung. So zeigt uns der Verfasser ein unermesslich weites Feld, das der Bearbeitung harrt, das aber auch dem verständigen und ge- wandten Arbeiter reichen Erfolg ın Aussicht stellt. Es ıst wohl verständlich, wenn Goebel neben den Forschern, die wie Klebs, Vöchting u. a. seit langem neben ihm auf dem gleichen Gebiet arbeiten, eine zahlreiche Schar eifriger Mitarbeiter "erstehen sehen möchte; aber ich kann ıhm doch nicht beistimmen, wenn ei den Wunsch äußert: es möchten auch Lehrer, wissenschaftlich gebildete Gärtner u. a. an den geschilderten Experimenten Interesse finden und selbständige Unte rsuchungen dieser Art anstellen, zu denen nach Goebel’s Worten nicht viel anderes mehr gehört als eine Pflanze, ein Topf mit Erde und eine Fragestellung. Ich vermag die optimistische Anschauung, dass damit der Wissenschaft ein ersprießlicher Dienst erwiesen werden könnte, nicht zu teilen. Mir scheinen die Erfahrungen, welche mit der Mitarbeit der Laien auf dem Gebiete der Anpassungsbiologie gemacht worden sind, vor jeder derartigen Einladung zur Mitarbeit, die auch an die un- gezügelte De Doberan gelangen könnte, zu warnen. Goebel übersieht offenbar, dass zur erfolgreichen Anwendung der experimentellen Forschungsmethoden außer der Fı rage und dem Blumentopf doch auch noch ein weiteres wichtiges Requisit gehört, nämlich die Befähigung, auf Grund einer reichen persönlichen Er- fahrung und einer umfassenden Literaturkenntnis die Antwort, welche die Natur dem Experimentator gibt, richtig zu inter- pretieren, — ein Forschungsmittel, das er selber mit so bewunderns- werter Mterechaft zu handhaben weiß. Giesenhagen. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, "Rabensteinplatz 2 2. — Druck der kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. giologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prot. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 15. August 1909. x 16. Inhalt: Hartmann, Polyenergide Kerne (Schluss). — Becher, Zentroepigenese? — Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne. Polyenergide Kerne. Studien über multiple Kernteilungen und generative Chromidien bei Protozoen. Von Max Hartmann. (Aus dem Kgl. Institut für Infektionskrankheiten in Berlin.) (Schluss). Derartig polyenergide Kerne scheinen überhaupt bei Rhizopoden weit verbreitet, so z. B. sind offenbar die Kerne von Pelomyxa polyenergtde Kerne. Ferner scheint der Riesenkern, den Schröder von dem eigenartigen auf der Südpolarexpedition erbeuteten Rhizo- poden Hehinogromia beschrieben hat und der aus lauter von radial gestellten Lininwaben umgebenen Binnenkörpern zusammen- gesetzt ist, ein derartiger pölyenergider Kern zu sein. In Prä- paraten, die mir Herr Kollege Schröder in liebenswürdiger Weise übersandt hat, glaube ich nach Umfärbung, die allerdings nicht sehr gut ausgefallen ist, auch Centriolen in den Binnenkörpern (Karyo- somen) beobachten zu können, was, falls es sich bestätigt, diese Deutung im hohen Grade sicherstellen wird. Ich gehe nun zu der Darstellung unserer Radiolarienbefunde über und beginne hierbei mit den koloniebildenden Radiolarien, den Sphärozoen oder Polycyttarien. Bei denselben gibt‘ es drei Arten von Fortpflanzungen, eine vegetative Teilung der mehrkernigen Individuen, die zur Vermehrung der Individuenzahl einer Kolonie XXIX. 31 [2] 499 Hartmann, Polyenergide Kerne. resp. zur Vermehrung der Kolonien führt. Zweitens eine Agameten- bildung (Isosporen der früheren Autoren) und drittens eine Gameten- bildung, die wiederum in zweierlei Weise stattfinden kann*). Hier interessiert uns nur die Kernteilung in jungen vegetativen Kolonien von Colloxoum. Dabei finden sich nämlich verschiedenartige Über- gänge von multiplen Mitosen zu regulären zweipoligen Mitosen. Selbstredend ist die multiple Mitose, die besonders in jungen Indi- viduen sich findet, die abgeleitete Form und kommt dadurch zu- stande, dass, ehe eine zweipolige Mitose vollkommen durchgeführt ist, die Pole schon wiederum zu einer weiteren Teilung sich an- schicken, wobei die ursprüngliche Kernmembran immer noch erhalten Fig. 3. Multiple Mitose bei jungen vegetativen Kolonien von Collozoum. bleibt. Ein Blick auf die beigefügte Fig. 3 zeigt dieses klarer, als es Worte zu tun imstande sind. Es handelt sich um eine intra- nukleäre vierpolige Mitose (der 4. Pol liegt in eimer anderen Ebene, deren Pole [Centriolen] bereits wieder geteilt sind). Später, wenn die Teilungsenergie nicht mehr so stark ist, folgen dann reguläre zweipolige Mitosen, die auch vollständig durchgeführt werden. Bei diesem Fall ıst es klar, dass zu Beginn der Kernvermehrung infolge der regen Teilungsenergie polyenergide Kerne zustande kommen, deren Charakter als polyenergider Kern gerade durch das 4) Bezüglich der näheren Vorgänge bei der Fortpflanzung vergleiche die vor- läufige Mitteilung von Hammer und mir in den Sitz.-Ber. naturf. Freunde Berlin. Hartmann, Polyenergide Kerne. 493 Zuständekommen durch multiple Mitosen im Innern der erhaltenen Kernmembran vollkommen sicher ist. Diese Verhältnisse bei Oolloxoum werfen nun ein Licht auf die Verhältnisse bei den großen monozoen Radiolarien, den Colliden, die durch ihre Riesenkerne, welche nach Borgert und Haecker über tausend von sogen. Chromosomen (Einzelknäuel) aufweisen, ganz aus dem Rahmen einer Protozoenzelle herausfallen. Wie ın der Einleitung erwähnt, zerfällt die monozoe Thalassophysa in kurzer Zeit in eine Kolonie von Tausenden von mehrkernigen Einzelindi- viduen, und man kann eine derartige Kolonie nicht von manchen Fig. 4. Thalassieolla bei Beginn der Gametenbildung. Collozoum- oder Sphaeroxoum-Arten unterscheiden. Das brachte mich schon damals auf den Gedanken, dass in dem großen Kern schon Tausende von Tochterkernen vorgebildet sein müssen und dass wahrscheinlich die sogen. Uhromosomen (Einzelknäuel von Haecker) die vorgebildeten Tochterkerne darstellen. Die cyto- logische Untersuchung von Thalassophysen wie anderen Colliden sp. Thalassicolla und Physematium bei Beginn dieses Vermehrungs- aktes lieferte nun den Beweis für die Richtigkeit dieser Anschauungen. So konnten wir ermitteln, dass bei Thalassicolla jedes sogen. Uhro- mosom durch die Poren der Kernmembran zu Beginn der Gameten- bildung herauswandert und im Endoplasma zu einem vollkommenen kleinen Kern mit Centriol und’ einer geringen Anzahl (etwa 10-12) 31* 494 Hartmann, Polyenergide Kerne. Chromosomen wird (Fig. 4). Die Zahl der Chromosomen entspricht nun der der Kerne der Polyeyttarıen. Jeder dieser kleinen Kerne teilt sich hierauf im Endoplasma in ganz ähnlicher Weise wie die Kerne bei der Gametenbildung der koloniebildenden Radio- larien durch eine fortgesetzte typische Mitose®). Prinzipiell die gleichen Vorgänge, wenn auch in verschiedener Modifikation, konnten wir, wie gesagt, für drei Gattungen feststellen, nämlich Thalassophysa, Thalassicolla und Physematium, bei Thalassophysa sowohl bei der Agameten- als bei der Gametenbildung. Nach der Darstellung von Brandt(1905) kann dies auch für die Agameten-(Isosporen)-Bildung von Thalassicolla gelten, wobei der große Kern einfach auseinander- fließt und sich ın die Sekundärkerne auflöst, die, wie wir zeigen könnten, ja bereits in Form von sogen. Chromosomen im Primär- kern vorgebildet sind. Besonders interessant für das uns hier beschäftigende Problem sind unsere Befunde bei Physematium, auf die ich deshalb etwas näher eingehen möchte, während bezüglich unserer übrigen Ergeb- nisse auf unsere vorläufige Mitteilung verwiesen sei, die demnächst in den Sitzungsberichten der Gesellschaft naturforschender Freunde erscheinen wird. Bei Physematium tritt bei der Gametenbildung ein Teil der Chromosomen, die als sogen. Einzelknäuel im Innern des Riesenkernes erscheinen, in das Endoplasma über, vermutlich in Ähnlicher Weise wie oben für Thalassicolla angegeben. Ein Teil jedoch bleibt zurück und man kann häufig bei jedem Einzelknäuel ein von einem hellen Hof umgebenes Centriol erkennen, das sich hantelförmig teilt (Fig. 5). Zugleich vollzieht sich damit auch die Teilung eines Einzelknäuels, der sich mit anderen Worten im Innern des großen Primärkernes durch eine primitive Mitose vermehrt, also genau in derselben Weise, wie wir es oben schon für Adelea und für Wagnerella kennen gelernt haben’). Das herausgetretene Chromosomenmaterial bildet dagegen in der Umgebung des Kernes Nester von dichten Chromatinnetzen, also ein richtiges Chromidial- netz, wie es neuerdings für viele Protozoen beschrieben worden ist (Fig. 5). Aber ın diesem Chromidialnetz kann man oft mit aller Deutlichkeit besondere Körnehen erkennen, die mit einem hellen Hof umgeben sind und sich hantelförmig teilen. Es sind offenbar die gleichen Gebilde wie die vorher erwähnten Centriolen bei dem Einzelknäuel im Primärkern, mit anderen Worten, das sogen. Chro- midialnetz besteht aus lauter individualisierten monoenergiden Ele- inenten, deren Chromatinteile jedoch ineinandergeflossen sind. Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich denn auch mit aller Sicher- heit aus der weiteren Entwickelung dieser Gebilde. In den mitt- 5) Daneben kommt es im Primärkern auch zur Bildung rein somatischer, poly- energider Sekundärkerne. Hartmann, Polyenergide Kerne. 495 leren Teilen des Endoplasmas werden nämlich aus diesen Chromidıal- nestern eine Anzahl von gleichartigen Chromatinbläschen mit einem Korn im Zentrum, in dem jedes Oentriol ein derartiges Bläschen bildet. Diese Bläschen, die sich eine Zeitlang schwach färben, sind komplette Kerne, die durch Auseinanderweichen in der äußersten Schichte des Plasmas sich zerstreuen und nun durch reguläre Zwei- teilung sich weiterteilen. Die beigefügte Fig. 5 erläutert die eben geschilderten Verhältnisse, Fig. 5. Gametenbildung bei Physematium. N Ähnlich wie bei Thalassicolla sind offenbar auch nach Haecker (1907 und 1908) die Verhältnisse bei der Agametenbildung von Oroscena zu deuten. Auch hier wandern, wie ein Vergleich der Abbildungen 566, 569 u. 570 von Haecker (1908) deutlich zeigt, die sogen. Chromosomen (Einzelknäuel) als solche gesondert ins Endoplasma, um sich dort mitotisch weiterzuteilen, wobei jedes sogen. Chromosom (Sekundärkern) in eine geringe Anzahl von echten Chromosomen zerfällt. Haecker hat allerdings die Verhält- nisse etwas anders dargestellt, weil er fälschlicherweise Stadien der Agameten- und Gametenbildung in eine Reihe gebracht und dadurch zu anderen Deutungen gekommen ist. 496 Hartmann, Polyenergide Kerne. Außerordentlich klar stellen sich die Vorgänge nach der schönen Arbeit von Borgert (1909) bei der tripyleen Radiolarie Auda- cantha dar. Bei der Bildung der Gameten differenzieren sich aus dem sogen. Chromatingerüst des großen Primärkerns die sogen. Chromosomen (Sekundärkerne) zunächst in der Peripherie des Kernes. Die Kernmembran löst sich dann völlig auf und die Sekundärkerne (sogen. Chromosomen) treten nach und nach ins Endoplasma über (Fig. 6a). Sie erscheinen meist als kleine Karyo- somkerne, die von einer hellen Kernsaftzone umgeben sind. Manch- mal hat auch das Karyosom noch die lebend (Chromo- somen-) Form. Später zerfallen die Sekundärkerne ın ca. 10—12 richtige Chromosomen, und die ganzen Kerne teilen sich dann china in ähnlicher Weise wie die Sekundärkerne der Colliden und die Kerne der Polyeyttarien. Auch bei Aulacantha bildet ein Fig. 6. Gametenbildung bei Aulacantha (nach Borgert). großer Teil des chromatischen Materials (der im Primärkern vor- Eebildeien Sekundärkerne) einen großen kernartigen ‚Binnenkörper, der später aufgelöst wird (Fig. 6b); er ist wohl als ein somatischer vielwertiger Ken (Polykaryon) zu deuten. Die prinzipielle Übereinstimmung mit unseren Befunden an den Colliden, und die Berechtigung unserer Auffassung liegt wohl auch hier klar zutage, trotzdem die Entstehung des polyenergiden Primärkernes noch nicht aufgeklärt ist. Bo hat übrigens eine Abbildung des Kernes einer jungen Castannellide gegeben, der von ziemlich le: Karyosomen ganz erfüllt ist, ähnlich wie die oben abgebildete Fig. 2d von Wagnerella nach Zuelzer. Da im letzteren Fall die Genese klar gestellt ist, so scheint mir auch für diese Radiolarien dieselbe Genese ziemlich sicher. Borgert selbst deutet übrigens seine Befunde bei der Gametenbildung von Anlacantha in ähnlichem Sinne wie wir und hat den Primärkern Hartmann, Polyenergide Kerne. 497 als zusammengesetzten Kern bezeichnet und dann auf meinen Vor- schlag hin auch den Ausdruck polyenergider Kern angewandt. Bei den monozoen Oolliden wie bei den Tripyleen gibt es nun aber außer der Sporenbildung (Agameten- und Gametenbildung) auch noch eine Zweiteilung der ganzen Zelle, wobei sich der große polyenergide Kern nach den Untersuchungen von Karawa- jew, Borgert und Haecker unter dem Bilde einer Mitose teilt. Diese Mitose hat aber aller- hand Merkwürdiges (Fig. 7). Zu- nächst fällt die ungeheure Zahl von Chromosomen auf (über 1000). Dann ist nach Borgert (1900), dem wir die genaueste Schilderung verdanken, die Zahl der Chromosomen eine außer- ordentlich wechselnde und sie teilen sich zweimal, wobei die Teilhälften nicht wie sonst bei einer Mitose nach entgegenge- setzten Polen rücken, sondern unregelmäßig verteilt werden. Borgert hat ferner manche Abweichungen der Mitose (sogen. Manchettenform), die sich mehr einer Amitose nähern, schließ- lich eine ausgesprochene Amitose (Kernzerschnürung) beschrieben. Alle diese Kernteilungen fallen ganz aus dem Rahmen unserer übrigen Erfahrungen über die Kernteilungen der Protozoen. Denn neuere Befunde (Hart- ınann und Prowazek, Keysse- a ra ger: lıttz, Nägler, Rosenbusch, Fig. 7. Sogen. Mitose bei der Zwei- Berliner, Jollos) zeigen, dass teilung von tripyleen Radiolarien (nach auch die primitivsten fast schein- Buneezı, bar amitotischen Kernteilungen der Protozoen mit Einrichtungen verbunden sind, die auf eine mög- lichst genaue Halbierung des Kernes abzielen (Uentriolen). Alle diese Schwierigkeiten fallen jedoch hinweg, wenn man sich vergegenwärtigt, dass es sich ja bei den betreffenden Radio- larien um polyenergide (vielwertige) Kerne handelt und dass die sogen. Chromosomen gar keine Chromosomen, sondern, wie wir bei 498 Hartmann, Polyenergide Kerne. der Gametenbildung gesehen, bereits ganze monoenergide Kerne sind. Wenn wir an dieser Erkenntnis, die, wie mir scheint, durch die oben mitgeteilten Befunde völlig sichergestellt ist, festhalten, so kommen wir aber zu dem Schluss, dass die sogen. Mitose der monozoen Radiolarıen gar keine Mitose, sondern die gleichzeitige, parallele Teilung der mehr als 1000 bereits vorgebildeten Sekundär- kerne ist. Für diese Auffassung spricht auch der Umstand, dass an den Polen der parallelfaserigen Spindel kein Centrosom vorhanden ist, sich aber nach Borgert eine große Anzahl von Körnchen findet, in denen dieser Forscher Homologa des Öentrosoms vermutet. Ich glaube, dass diese Ansicht richtig ist und dass diese Körnchen die zu den einzelnen Sekundärkernen (Chromosomen) gehörigen Üen- triolen darstellen. Man könnte vielleicht Anstoß an dieser Deutung nehmen, weil das Bild der ganzen Teilungsfigur des Polykaryons, vor allem der Bau der schleifenförmigen Chromosomen (Sekundärkerne) so ganz Fig. 8. Fig. 9. Kernteilungen bei Sphaeromyza (Fig. 8) nach Amoeba albida vor der Schröder und Myxobolus (Fig. 9) nach Reduktionsteilung (nach Keysselitz. Nägler). mit echten Chromosomen bei einfachen Mitosen übereinstimmt. Doch ist es bei Protozoen gar keine Seltenheit, dass ganze Kerne das Aussehen eines Ühromosoms aufweisen. Diese Uhromosomen- kerne sind etwa den Sammelchromosomen von Ascaris (Boveri, 1902) an die Seite zu stellen. Die Befunde von Keysselitz (1908) und Schröder (1907) an den Myxosporidienkernen zeigen dies klar. Bei Sphaeromyza treten nach Schröder bei der Kernteilung die ganzen Kerne als einzelne schleifenförmige Chromosomen auf, die sich längsspalten, ganz ähnlich wie die Sekundärkerne von Aulacantha (Fig. 8); bei Myzxobolus dagegen finden sich nach Keysse- litz vier Chromosomen, die aber im den Telophasen ebenfalls zu einem einzigen Faden verschmelzen (Fig. 9). In diesem Zusammen- hang sei auch erwähnt, dass nach Nägler (1909) der ganze gene- ratıve Kern von Amoeba albida vor der Reduktionsteilung das Aus- sehen einer Chromosomentetrade bei der Ei- und Samenreife der Metazoen aufweist (Fig. 10). Herr Prof. Poll hat in der Diskussion zu meinem Vortrag auch auf die Befunde von Haecker (1900) an ätherisierten Uope- Hartmann, Polyenergide Kerne. 499 podeneiern hingewiesen, wo die Chromosomen als bläschenförmige Kerne (Chromosomenbläschen) erscheinen. Aber hier liegt die Sache meiner Meinung nach gerade umgekehrt, und man muss sich hüten, von unserem neu gewonnenen Standpunkte (Energide) aus nicht in den umgekehrten Fehler zu verfallen und nun eine der- artige Eizelle deshalb für polyenergid zu halten. Denn es liegt weder entwickelungsgeschichtlich noch experimentell (entwickelungs- physiologisch) der geringste Anhaltspunkt vor, diese Chromosomen- bläschen der ätherisierten Copepodeneier für echte Kerne anzusehen. AN die angeführten Beispiele lehren eben, dass morphologisch völlig gleiche Bilder nicht immer homologe Bildungen sind. Die einfache vergleichend-morphologische Betrachtung genügt eben nicht zur Erkennung cytologischer Homologien; dies ist auf Grund ver- gleichender und experimenteller entwickelungsgeschichtlicher Studien möglich. Die bei Radiolarien gewonnene Auffassung der Teilung des Primärkernes oder Polykaryons ist weiterhin zur Beurteilung der Mechanik der Kern- und Zellteilung von prinzipieller Bedeutung. Geht doch daraus hervor, dass biologisch völlig differente Prozesse sich unter dem gleichen morphologischen Bild abspielen können, indem die Teilung eines einzelnen monoenergiden Kernes (Mono- karyons) wie die gleichzeitige parallele Teilung vieler Kerne (resp. eines Polykaryons) ganz ähnlich als Mitose erscheint. Das mahnt zur größten Vorsicht in der Beurteilung derartiger Bilder. Viel- leicht darf man aus der morphologischen Übereinstimmung dieser verschiedenen Vorgänge schließen, dass ähnliche physikalisch-che- mische Bedingungen auch ähnliche morphologische Bilder bedingen, auch wenn die betreffenden Vorgänge nicht homolog sind. Im folgenden wollen wir nun die Beziehungen der multiplen Teilung polyenergider Kerne zur Chromidienfrage noch etwas näher erörtern. Bei ÜCoccidien (Coce. schubergi), Heliozoen (Wagnerella), Foraminiferen und vor allem bei Radiolarien (am deutlichsten beı Physematium) haben wir gesehen, dass bei der Aufteilung poly- energider Kerne in ihre monoenergiden Einzelelemente (Sekundär- kerne) Bilder zustande kommen, die bisher als Chromidien be- schrieben und aufgefasst wurden. Diese Chromidien sind, da ja aus ihnen wieder echte Kerne hervorgehen, natürlich generative Chromidien (Sporetien nach der Nomenklatur von Goldschmidt, 1904). Nun haben wır aber bei den erwähnten Objekten gesehen, dass es sich bei den scheinbaren Chromidien stets um lauter ge- sonderte Kernindividuen handelt, wie entwickelungsgeschichtlich mit Sicherheit festgestellt werden konnte. Bei Wagnerella, den Foraminiferen, Anlacantha und manchen Colliden erscheinen die sogen. Chromidien auch morphologisch ohne weiteres als gesonderte 500 Hartmann, Polyenergide Kerne. Kernindividuen; mit anderen Worten, es handelt sich nicht einmal morphologisch um einen Chromidialapparat, sondern eben um echte kleine Kerne. Aber auch bei Physematium, wo wir ja echte Chro- midialnetze kennen gelernt haben (s. Fig. 5), hieß sich deren Zu- sammensetzung aus wohlindividualisierten Einzelelementen (Ener- giden, Kernen) durch den Nachweis von Centriolen erweisen, wie oben gezeigt wurde. Das morphologische Bild des Chromidıial- netzes kommt in diesem Falle dadurch zustande, dass die chroma- tischen Elemente, die, wie bekannt, zyklischen Umänderungen unter- liegen (Hartmann und Prowazek, 1907) bei der dichtgedrängten gruppenweisen Lagerung der Kernindividuen ineinander übergreifen und so ein gemeinsames chromatisches Netz bilden. Wie oben gezeigt, kann aber an der dauernden, gesonderten In- dividualität der Einzelele- mente nicht gezweifelt wer- den. Unsere Erfahrungen an den sogen. Chromidien der erwähnten Objekte (Cocci- dien, Foraminiferen, Radio- larien) legten mir nun die Frage nahe, ob es denn überhaupt echte generative Chromidien bei Protozoen gibt. Wir wollen daher ein- mal alle bisher bekannten Fälle der Reihe nach einer kritischen Betrachtung un- Fig. 11. Multiple Mitose bei Aggregata terziehen. jaequemeti (nach M oroff). Die Coccidien, Helio- zoen, Foraminiferen und Ra- diolarien, die bisher als Beispiele generativer Chromidien galten, schei- den nach unseren obigen Darlegungen schon aus. Im Anschluss hieran möchte ich gleich den einzigen Fall von generativen Chromidien bei Gregarinen besprechen, der gleichfalls in dem oben ausgeführten Sinne gedeutet werden kann, wie meiner Meinung nach der Ver- gleich mit den schönen Befunden von Moroff (1908) bei Aggre- gaten zeigt. Bei den Aggregaten kommen nämlich nach Moroff bei der Gametenbildung multiple Mitosen vor, ähnlich wie sie oben für Collosoum beschrieben wurden. Hier geht jedoch die Sache noch weiter, indem sich die Polkegel (Centriolen) immer von neuem weiterteilen, ehe die Chromatinteilung schon durchgeführt ist. So kommt es in der Peripherie der Zelle schließlich zu einem dichten gleichmäßigen Chromatinbelag (Chromidialnetz), dessen Zusammen- Hartmann, Polyenergide Kerne. 501 setzung aus einzelnen Kernindividuen durch die sehr stark ausge- prägten Polkegel hier aber besonders deutlich hervortritt (Fig. 11). Denkt man sich die Polkegel weg, dann haben wir ein Chromidial- netz, wie es Berndt und Kuschakewitsch (1907) für Gregarinen aus dem Mehlwurmdarm beschrieben haben. Schon die Entstehung dieses Chromidialnetzes, wie sie Kuschakewitsch, der neueste Untersucher dieser Verhältnisse, schildert, spricht ganz dafür, dass sie prinzipiell mit denen der Aggregaten übereinstimmen. Hier wie dort rückt nämlich der Kern zunächst an die Peripherie der Zelle und verteilt sich dann zu dem Chromidienring (Fig. 12). Eventuell werden bei anderer Fixierung und Färbung auch bei diesen Gre- Fig. 12. Sogen. Chromidienbildung bei @regarina cumeata (nach Kuschakewitsch). (Vgl. Text.) garinen sich noch die Centriolen und deren Teilung nachweisen lassen. Die hier gegebene Darstellung erscheint um so wahrschein- licher, weil sonst bei allen übrigen Gregarinen auch die den hier besprochenen nächstverwandten (Löger und Dubosq) die Gameten- kerne durch ausgesprochene fortgesetzte Mitosen sich vom Primär- kern (resp. einem Teil desselben) herleiten. In ganz anderer Weise erledigt sich die Frage nach den gene- rativen Chromidien bei Infusorien. Hier hatte Neresheimer für Opalina ranarım n.? angegeben, dass vor der Gametenbildung Chromidien aus den Kernen austreten und aus diesen Chromidien sich dann die Gametenkerne bilden, während die ursprünglichen Kerne als rein somatische Kerne zugrunde gehen sollen. Wie aber Metcalf (1909) besonders bei der, zweikernigen Opalina in- 502 Hartmann, Polyenergide Kerne. testinalis, aber auch für andere Arten mit aller Deutlichkeit gezeigt hat, gehen die ursprünglichen Kerne aber überhaupt nicht zugrunde, sondern färben sich nur schwer, teilen sich aber mitotisch weiter und werden zu den Gametenkernen. Die Chromidien dagegen wandeln sich in glykogenartige Reservestoffe um, sind mithin keine generativen, sondern rein trophische Chromidien. Bei der verwandten Gattung Opalinopsis kommt zwar nach Gonder ein unzweifelhaftes morphologisches Chromidialnetz vor, das auch alles generative Material enthalten muss, da sonst über- haupt keine Kerne vorhanden sind; aber hier handelt es sich wohl auch nur um aufgelöste und ineinanderfließende Tochterkerne, wo- für mir nachträglich manche Beobachtungen von Gonder und mir zu sprechen scheinen. Das Objekt kann übrigens schon aus dem Grund vorderhand weder in dem einen noch in dem anderen Sinne verwertet werden, da die weitere Entwickelung dieser Stadien noch nicht aufgeklärt ist. Bei Flagellaten gibt es überhaupt keine generativen Chromidien; denn bei dem einzigen Fall (Bodo lacertae), wo Prowazek (1904) anfangs von einem Chromidium gesprochen hatte, handelt es sich, wie er neuerdings selbst betont (1907), um einen echten Kern. Wir kommen nun zu den Rhizopoden, und hier bleiben uns, da wir ja die Radiolarien, Foraminiferen und Heliozoen schon er- ledigt haben, nur noch die Amöben, Mastigamöben und Thecamöben, die aber gerade bisher die Hauptobjekte der generativen Chromidien bildeten. Bei nackten Amöben hatte Sehaudinn (1905) für Entamoeba coli, die harmlose Darmamöbe des Menschen, angegeben, dass die beiden Gametocytenkerne aus Ohromidien ihren Ursprung nehmen, während die ursprünglichen Kerne zugrunde gehen sollen. Wohl findet vor der Reduktionsteilung der beiden Kerne eine reichliche Chromidienbildung statt und es kommt zweifellos zu einer Sonde- rung von tropischem und generativem Chromatin wie bei Foramini- feren ete.; aber ich glaube, dass sich Schaudinn gerade durch den Vergleich mit Foraminiferen in der Deutung seiner Beobach- tungen hat etwas irreführen lassen. Ich habe wenigstens bei einer Nachuntersuchung, bei der ich im übrigen alle Angaben von Schau- dinn bestätigen kann, die Überzeugung gewonnen, dass umgekehrt die Chromidien zugrunde gehen, also wie in dem oben erörterten Fall von Opalina rein somatisches Kernmaterial darstellen, dass dagegen von den ursprünglichen Kernen die Karyosome erhalten bleiben. Zu demselben Resultat ist auch Wenyon (1907) bei der in der Entwickelung sonst völlig übereinstimmenden Mausamöbe gelangt. Die zweite Amöbe, für die Schaudinn das Vorkommen gene- rativer Chromidien angegeben hat, ist die Dysenterieamöbe Ent- amoeba histolytica. Hier sollen aus dem Kern Uhromidien austreten Hartmann, Polyenergide Kerne. 503 und sich im Plasma stark vermehren, während der ursprüngliche Kern zugrunde geht. Dann wölben sich chromidienführende Plasma- knospen vor, schnüren sich ab und umgeben sich mit einer derben Membran. Es sind das die Dauer- und Infektionseysten dieser Dysenterieamöbe. Diese Angaben von Schaudinn kann ich ın allen Punkten bestätigen. Doch ist auch hier noch eine andere Deutung möglich. Ich habe nämlich einige Frühstadien der Chro- midienbildung beobachtet, bei denen augenscheinlich ein Teil des ganz an die Kernperipherie gerückten Karyosoms abgeschnürt wird. Da bei diesen und anderen Amöben nach den Untersuchungen von Prowazek, Hartmann und Prowazek, Hartmann, Nägler etc. alles generative Material im Karyosom enthalten ist, so würde die Abspaltung von Karyosomteilen und deren V ermehrung durch Teilung im Plasma auf gewöhnliche Kernteilung hinauslaufen. Jedenfalls gedenke ich unter diesem Gesichtspunkt das Objekt nochmals zu untersuchen, sowie ich dazu Gelegenheit bekomme. Bis zu einer erneuten Untersuchung muss das Beispiel aus der Diskussion scheiden schon aus dem Grunde, weil die sonstige Ent- wickelung, speziell die Befruchtung noch nicht bekannt ist. Zwei scheinbar sichere Fälle von generativen Chromidien hat Goldschmidt (1907) bei Mastigamöben aufgedeckt. Hier treten am Kerne Chromidialbrocken auf, die sich vermehren und später zu Gametenkernen werden. Aber ich sage scheinbar; denn so ein- leuchtend die schönen Befunde von Goldschmidt auch sind, sie weisen eine Lücke auf, die den Einwand erlauben, dass die Chro- midien und die später daraus entstehenden Gameten event. gar nicht zu den betr. Mastigamöben gehören, sondern dass es sich um parasitische Organismen handelt. Der Einwand ist um so berech- tigter, als man neuerdings gerade bei Amöben vielfach ähnliche Parasiten beobachtet hat, von denen manche Stadien nicht von Chromidialbrocken zu unterscheiden sind (Prandtl, Dangeard, Doflein, unveröffentlichte Untersuchungen von meinen Mitarbeitern und mir). Auch diese Fälle können daher noch nicht als Beweis für das Vorkommen generativer Chromidien gelten. Es bleiben somit nur noch die Thecamöben übrig. Dass hier echte generative Chromidien vorkommen, kann wohl nach den Untersuchungen von R. Hertwig, Schaudinn (1903) und den Hertwig’schen Schülern nicht in Zweifel gezogen werden. Es wäre höchstens möglich, dass in dem Chromidialnetz, bisher un- erkannt, einzelne Individualanlagen verborgen sind, in ähnlicher Weise wie bei Radiolarien (Physematium), die durch fortgesetzte Teilung entstanden sind. Allerdings muss ich gestehen, dass unsere Erfahrungen an Radiolarien und Gregarinen nicht so ohne weiteres auf die Verhältnisse bei Thecamöben übertragen werden können. Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Chromidien hier nicht erst 504 Hartmann, Polyenergide Kerne. bei der Gametenbildung gebildet werden, sondern schon sehr früh, und durch alle agamen Generationen von Zelle zu Zelle übertragen werden. Ich war daher lange im Zweifel, ob sich für Thecamöben meine Auffassung überhaupt könnte nachweisen lassen. Allerdings geben alle bisher vorliegenden Untersuchungen keinen Aufschluss über die Art der ersten Entstehung der Chromidialnetzer. Eine Beobachtung an jungen eben aus der Kopulation hervorgegangenen Individuen von Centropyzis scheint mir nun doch einen Weg zu zeigen, wie auch hier die oben angedeutete Auffassung bewiesen werden könnte. Ein Teil der erwähnten jungen Centropyxis wies nur einen einzigen ziemlich großen Kern auf, während andere da- neben noch einen zweiten kleinen Kern enthielten, ähnlich dem Mikronukleus der Infusorien. Von Chromidien war dagegen keine Spur zu beobachten. Es scheint mir nun wahrscheinlich, dass das Chromidialnetz einfach durch fortgesetzte Teilung des Kleinkernes und Ineinanderübergreifen der Teilprodukte zustande kommt, wie etwa in den oben erörterten Fällen bei Gregarinen. Das Chro- midialnetz wäre dann einfach eine polyenergide Kernmasse von vorwiegend generativem Charakter. Ob diese Auffassung richtig ist, müssen weitere Untersuchungen zeigen. Falls sie sich bestätigt, können wir aber jetzt zu einer ein- heitlichen Auffassung der so überaus mannigfaltigen Kernformen und ihrer Vermehrung bei Protozoen ge- langen. Denn nicht nur die multiple Kernteilung lässt sich dann auf die einfache mitotische oder primitiv- mitotische Zellteilung zurückführen, sondern auch die so merkwürdige Entstehung neuer Kerne aus einem Ohro- midialnetz ist dann nichts anderes als das Deutlicher- werden vorher schon vorhandener durch fortgesetzte Zweiteilung entstandener Kernindividuen. Endlich wäre noch die Frage zu erörtern, ob und wie weit auch bei Metazoenzellen polyenergide Kerne vorkommen. In erster Linie wäre dabei an die Riesenkerne in Geschwülsten ete. zu denken, sowie an manche Leucocytenkerne speziell solche, die mehr als zwei Oentriolen enthalten (Heidenhain). Vielleicht lassen auch die Ei- und Samenzellen sich in gewissem Sinne als polyenergid erweisen, wenn sich die Auffassung von Woltereck (1898), R. Hertwig und Popoff bestätigt, dass das sogen. Leptotänstadium als eine nicht ganz zur Durchführung ge- brachte Kernteilung zu betrachten sei. Da allerdings allen unseren Erfahrungen entsprechend später der in die Reduktionsteilung tretende Teil des Ei- und Samenkernes nur monoenergid (resp. diploid) ist, so muss man annehmen, dass alle Kernindividuen (Energiden) bis auf eine somatischer Natur seien und zugrunde gehen, was dann wohl in den Vorbereitungen der Reduktion, in Hartmann, Polyenergide Kerne. 505 die ja nur ein kleiner Teil des Kernes eintritt (&puration nucleaire), stattfinden würde. Damit ließen sich auch die Anschauungen von Moroff gut vereinigen. Doch möchte ich auf die hier gestreiften Probleme der Metazoencytologie nicht näher eingehen und mich mit diesen kurzen Andeutungen begnügen. Zum Schluss noch einige Worte zur Zelltheorie. Die triftigen Einwände von Whithman und Gurwitsch gegen die Auffassung der Protozoenzellen als Elementarorganismen be- ziehen sich nur auf die Oiliaten. Nun sind aber zweifellos dıe Ciliaten keine monoenergiden, sondern mindestens bienergide Zellen in Anbe- tracht ihres Makronukleus oder Mikronukleus. Viele Ciliaten haben zudem mehrere Mikronuklei und dann in der Regel einen äußerst großen, oft aus mehreren bis vielen Einzelgliedern bestehenden Makronukleus. Hier liegt der Gedanke nahe, dass es sich dann um einen großen Polykaryon handelt. In manchen Fällen wissen wir sogar, dass der Makronukleus nach der Befruchtung aus mehreren Mikronukleen verschmilzt. Hier wäre dann seine polyenergide Natur direkt erwiesen. Wenn wir an Stelle der Zelle die Energide als Elementarorganısmen annehmen, so verlieren event. auch die Ein- wände von dieser Seite her ihre Bedeutung. Lissabon, April 1909. Literatur. Borgert, A. (1900). Untersuchungen über die Fortpflanzung der tripyleen Radio- larien. I. Teil, Zool. Jahrb., Abt. f. Anat. u. Ontog., Bd. 14. — (1909). II. Teil, Arch f. Protistenk., Bd. .14. Brandt, K. (1902). 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Man hat oft genug die Bedeutung der wissenschaftlichen Kontro- verse für die Ausbildung entgegengesetzter wissenschaftlicher Theorien betont. Die fördernde Wirkung des Widerstreits der Meinungen für die größten Probleme wie im speziellen Forschungsgebiet ist uns allen so geläufig, dass es überflüssig erscheint, das Richtige des alten „noleuos navıwv nano“ genauer deutlich zu machen. Angebrachter wäre es in vielen Fällen, sich der ungünstigen Folgen zu erinnern, die der Streit verschiedener Gedankenrichtungen mit sich bringt. Der Streitende greift die schwachen Stellen des Gegners an, widmet ihnen einen ungebührlichen Raum und stellt sie in das Zentrum des Interesses, eine Stellung, die den ange- griffenen Behauptungen nach ihrer Tragweite im Gedankengebäude des Gegners gar nicht zukommt. Mit dem verfehlten Teil wird dann das Ganze verworfen und so der Eindruck einer völlig un- überbrückbaren Kluft zwischen Meinungen hervorgerufen, die ın Wirklichkeit viel Gemeinsames haben oder wenigstens haben könnten. Der Gegensatz wird in unnatürlicher Weise verschärft. Der Streit Becher, Zentroepigenese ? 507 fördert nur die Verschiedenheiten, oft genug solche nebensächlicher Natur. So wird für eine Zeit lang jeder Vermittlungsversuch un- möglich gemacht. Den Gedanken einer Vereinbarkeit des Wertvollen der entgegengesetzten Anschauungen lässt man nicht aufkommen, und eine Ansicht, die denselben durchzuführen trachtet, wird mit einem verächtlichen „nicht warm und nicht kalt“ beiseite geschoben oder mit dem Worte „Kompromiss“ und dem ihm nun einmal an- haftenden üblen Beigeschmack von Müdigkeit und Unvollkommen- heit gebrandmarkt. Beispiele sind leicht zu finden. Ob eine Zahl „exakter“ Bio- logen nicht am Herzen der Gegner vorbeischießt, wenn sie im Vita- lismus immer den Mystizismus bekämpft? Ob sie recht daran tun, die Anerkennung und Beachtung psychischer Vorgänge in der Tier- und Pflanzenphysiologie zu bekämpfen, um — die durch- gängige gesetzmäßige Bedingtheit (Kausalıtät) der Lebensvorgänge zu retten? Würde der junge Neolamarckismus es auch bei ruhigster Betrachtung der Sachlage noch verantwortlich finden, die Selektions- theorie mit dem Hass zu überschütten, der dem Materialismus gilt, wenn er bedächte, dass die Selektionstheorie vom Vitalisten und Psychobiologen ebenso gut verwertet werden kann, wie vom Ma- terialisten? Würde er sich nicht vielleicht entschließen, die weg- werfende Bemerkung „nur negativ“, „lediglich ausmerzend wirksam“, zu einem ansehnlichen Kapitel mit einer sachlichen Erörterung über verschiedene Arten, Komplikationen und über die Tragweite der Ausmerzung auszudehnen, wenn er sich deutlich machte, dass die Auslesetheorie mit Mutationen ebenso arbeiten kann, wie mit Va- rıationen; dass sie im Grunde genommen nichts notwendig hat, als ein überreiches Material, um in Wirksamkeit zu treten? Würde der Streit um die Naturzüchtungslehre nicht fruchtbarer werden können, wenn man ihr nicht mehr den törichten Vorwurf machte, sie erkläre die Hauptsache — nämlich den Umstand, dass über- haupt Artänderungen im zweckmäßigen Sinne aufträten — nicht, ein Vorwurf, der sie nicht trifft, weil sie keine Hypothese über die Ursachen der letzten Lebensprozesse geben, sondern deutlich machen will, weshalb die Entwickelung neben vielen anderen vom Organismus versuchten Wegen, nur einen, nämlich den durch die größere Zweckmäßigkeit charakterisierten Lauf einschlug. Variation und Mutation sind Tatsachen. Man kann versuchen, diese Tat- sachen zu erklären; aber als Tatsachen kann man sie auch ohne solche Erklärung zur Grundlage anderer Erkenntnisversuche machen. Beides sind große Aufgaben. Die Selektionshypothese versucht sich an der zweiten. Die erste Aufgabe ist schon von Darwin und in neuerer Zeit wieder von zahlreichen Forschern in Angriff genommen worden. Muss hier ein Versuch den anderen notwendig bekämpfen, ihn als nichtig oder unwesentlich hinstellen ? XXIX. co 189) 508 Becher, Zentroepigenese? Noch ein Beispiel sei uns gestattet? Tut der junge Psycho- lamarckismus gut daran, mit dem Ungestüm des Gießbaches, der sich selbst trübt, alles in seine spezielle Bahn reißen zu wollen, was die selbstsichere Existenz des Psychischen als einer materiellen Erklärung nieht zugänglich und nicht bedürftig ansieht? Wäre es nicht besser, scharf hervorzuheben, dass eine Psychologie, ein Er- forschen der Psyche von Tieren, Pflanzen und Zellen aus ihren reagierenden Bewegungen, auch bei voller Anerkennung der mecha- nischen Naturauffassung — wohlbemerkt nicht Weltauffassung- Materialismus — möglich ist: gerade die Parallelismushypothese hat in Fechner auch den ersten ernsthaften pflanzenpsychologischen Gedankengängen Bahn gebrochen. Auf dem Gebiete der mensch- lichen physiologischen Psychologie — und die kommt bier wohl in erster Linie in Frage — hat sich eine sichere Entscheidung zwischen Parallelismus und Wechselwirkungshypothese von Leib und Seele nicht erbringen lassen. Der Parallelismus hat seine Schwierig- keiten; aber mit der Bemerkung, er stelle einen verkappten Ma- terialismus dar oder führen zum Deismus, ist eine solche wissen- schaftliche Hypothese nicht zu erledigen. Die Wechselwirkungs- hypothese gibt eine näherliegende Auffassung der Willenshandlungen, kommt aber z. B. um die Tatsache, dass das Gesetz der Erhaltung der Energie beim lebendigen Organismus gilt (Rubner, Atwater), nur durch fernliegende Hilfsannahmen herum. Sollte es also nicht geratener sein, die Wechselwirkungshypothese etwas weniger kritiklos auf psychologischem Gebiet zu proklamieren? — Es wäre ein Leichtes, die Yahl solcher Beispiele zu vermehren. Sie bieten sich in besonderer Deutlichkeit dort, wo eine neue For- schungsriehtung, auf viele richtige neue Gedanken und Tatsachen gestützt, sich mit elementarer Gewalt Bahn brieht. Wir verzichten im übrigen auf eine weitere Ilustrierung der Schattenseiten der wissenschaftlichen Kontroverse und wenden uns direkt zu dem eroßen Beispiel, das der Streit um die Berechtigung einiger Hypo- thesen der ontogenetischen Entwickelung bietet. Scharf präzisierte Anschauungen scheinen sich hier gegenüberzustehen. Die Frage: Präformation oder Epigenese hat die Biologen in zwei Lager ge- schieden. Nicht weniger scharf sind die Gegensätze zwischen den Voraussetzungen über die Natur der Keimsubstanz oder die Ver- schiedenheiten, die sich durch Annahme oder Verwerfung einer qualitativen, erbungleichen Kernteilung ergeben. Freilich wird sich auch hier bei genauem Studium etwa der Ansichten von Roux auf der einen, von Driesch auf der anderen Seite ergeben, dass die Gegensätze bei weitem nicht so scharf sind, wie es die allgemein bekannten Schlagwörter vermuten lassen; um so mehr ist es mit Freuden zu begrüßen, wenn ein Forscher den direkten Versuch macht, das Wertvolle an den entgegengesetzten Anschauungen auf Becher, Zentroepigenese ? 509 seine Unvereinbarkeit zu prüfen. Diesen Versuch hat in trefflicher Weise Eugenio Rignano unternommen, sowohl in seinem größeren Werke!) (zitiert als: 1907) als auch in kurzer aber sehr anregender Form in einem Aufsatz aus dem Jahre 1908 (zitiert als: 1908) 2). Seine Darlegungen über die Beziehungen der verschiedenen ent- wickelungstheoretischen Ansichten (1907, S. 116-121), seine Kritik der Berechtigung der Alternativen: Präformation oder Epigenese, präformistische Keime oder nicht repräsentative Vererbungsstoffe und erbgleiche Kernteilung oder Kernsomatisierung sind äußerst verdienstlich. Aus diesen Erörterungen wird auch derjenige Nutzen ziehen, der den Mittelweg, den Rignano zwischen den scheinbar unvereinbaren Gegensätzen einschlägt, nicht mitgehen mag. Ri- gnano sucht das beste der entgegengesetzten entwickelungstheo- retischen Anschauungen in seiner zentroepigenetischen Hypothese zu vereinen. Er nimmt mit den Epigenesisten erbgleiche Kern- teilung, mit den Präformisten die Kernsomatisierung an. Er hält die Annahme einer großen Zahl potentieller Elemente in der Keim- substanz für unumgänglich, betrachtet diese Elemente aber nicht als Determinanten im gewöhnlichen Sinne des Wortes. In der Betonung der korrelativen, abhängigen Differenzierung steht er auf dem Boden der Epigenese, entfernt sich aber von ihr durch die Annahme, der gestaltende Einfluss gehe nicht von allen Teilen auf alle, nicht vom ganzen Körper aus, sondern von einem Teile, von der Zentralzone. Diese Zentralzone gleicht in ihrer wesentlichen Unveränderlichkeit, in der sie während der Differenzierung verharrt und immer das Ganze unversehrt repräsentiert, sowie in ihrer Kon- tinuität, dem „Stirp“ und Keimplasma der Präformisten. Rignano nimmt an, diese Zentralzone übermittle durch Zellbrücken hindurch ihre Wirkung in ähnlicher Weise (durch „nervöse* Ströme), wie der Kern einer Protozoen- oder Pflanzenzelle seine morphogenen Fähigkeiten durch einen dünnen Plasmafaden äußern kann. Jedes spezifische potentielle Element kann eine ganz bestimmte Wirkung, einen spezifischen nervösen Strom, hervorbringen. Von einem genau entsprechenden aber durch funktionellen Reiz erzeugten nervösen Strom ist das potentielle Element einst während der Phylogenese gebildet worden. Funktionelle Reize (im weitesten Sinne) bilden den Organısmus um und erzeugen gleichzeitig durch nervöse Ströme in der Zentralzone solche potentielle Elemente, die späterhin im- stande sind, dieselben nervösen Ströme wieder hervorzurufen. Während der Ontogenese treten nicht gleichzeitig alle potentiellen Elemente in Wirksamkeit. Jedes derselben kann sich vielmehr 1) Eugenio Rignano, Über die Vererbung erworbener Eigenschaften, Hypo- these einer Zentroepigenese. 399 S. Leipzig 1907. Wilhelm Engelmann. 2) Die Zentroepigenese und die nervöse Natur der Lebenserscheinung. Zeitschr. Ausbau. Entwickelungsl. Vol. 2, Heft 8/9, S. 245—266. Stuttgart 1908. 32* 510 Becher, Zentroepigenese ? erst dann „entladen“, wenn die Ontogenese bis zu dem Punkte vorgeschritten ıst, der demjenigen phylogenetischen Stadium ent- spricht, auf dem das betreffende potentielle Element — auch Akkumulator genannt — gebildet wurde. Jedes potentielle Element repräsentiert somit weniger eine spezielle körperliche Eigentüm- lichkeit, als vielmehr die Umwandlung eines Stadiıums dynamischen Gleichgewichtes (während der Onto- oder Phylogenese) in ein anderes. Das biogenetische Gesetz findet auf diese Weise eine plausible Er- klärung. Auch ist ohne weiteres deutlich, dass die Vererbung erworbener Eigenschaften auf Grund der Voraussetzung verständlich wird, dass der einem funktionellen Reiz korrespondierende nervöse Strom im neuen Organısmus durch das spezifische potentielle Element wieder erzeugt werden kann, das durch jenen Strom abgesetzt wurde. Es muss allerdings hinzugefügt werden, dass die Geschlechts- produkte ihre Erbmasse der Zentralzone verdanken. -— In dem sich entwickelnden Embryo erhalten (bei erbgleicher Kernteilung) alle Zellen die Gesamtheit der potentiellen Elemente. Diese Elemente hindern sich aber in der Entladung, und es werden nur diejenigen der lebenskräftigsten Zellen zu Betätigung gelangen. Damit er- halten diese lebenskräftigsten Zellen nun ein für ellemal die Leitung in der Entwickelung, während die anderen immer stärker unter ihrem gestaltenden Einfluss differenziert werden (Kernsomatisierung trotz erbgleicher Teilung). So sondert sich schon frühzeitig die /entralzone von dem Soma ab und bleibt von ıhm als nicht differenzierter Teil immer — wenn auch nicht in äußerlich auf- fallender Weise — getrennt. Beim fertigen Tier soll sie in indiffe- renzierten Teilen des Nervensystemes liegen. Eine genauere Darstellung von Rignano’s Hypothese ist an dieser Stelle nicht angebracht. Auch bei Rignano’s eigener Dar- stellung bleibt die Unwahrschemlichkeit bestehen, dass im Organis- mus ein durch seine hochwichtige besondere Funktion ausgezeichneter Teil histologisch keine entsprechende Auszeichnung erfahren haben soll. Nicht dieses Moment allein macht die Hypothese dem exakten Biologen unwahrscheinlich. Wenn aber Rignano’s Versuch die einzige Möglichkeit böte, jene oben angedeuteten Gegensätze zu überwinden, so würde sie gleichwohl das größte Interesse verdienen. Wir erachten es daher für unsere erste Aufgabe, zu prüfen, ob es neben Rignano’s Hypothese nicht noch einen anderen Mittelweg zwischen den Extremen gibt. Die zentroepigenetische Hypothese erfüllt ihre vermittelnde Aufgabe durch eine ganz neue und hochinteressante — aber wie uns scheint unwahrscheinliche Annahme; sehen wir daher zu, ob dasselbe nicht auf gangbarerem, vertrauterem Pfade zu erreichen ist. Zu dem Zwecke können wir zunächst ein Stück Wegs mit Rignano gehen und uns einen Versuch zunutze machen, ver- Becher, Zentroepigenese ? 511 schiedene unter den Schlagwörtern Präformation und Epigenese zusammengeworfene Anschauungen und Annahmen zu trennen. Wenn sich aus zwei befruchteten Eiern unter annähernd gleichen Bedingungen etwa im Seewasser verschiedene Tiere entwickeln, so muss daraus der Schluss gezogen werden, dass in der speziellen Natur jeder der Zellen die Bedingungen für die Entstehung des Verschiedenen gegeben sind. Die naivste nächstliegendste Annahme ist hier diejenige des alten Ovisten und Spermatisten, die im Ei oder Samentierchen verkleinerte vorgebildete Tiere suchten, welche im wesentlichen durch Wachstum („Entfaltung“, „Entwickelung“), nicht durch Neubildung (Epigenese) zum ausgebildeten Organismus werden sollten. Die Schwächen dieser alten Hypothese liegen auf der Hand. In modernisierter, weniger schroffer Form tritt dieselbe in der Annahme wieder auf, die Erbsubstanz bestände aus zahl- reichen Determinanten, durch die die einzelnen vererbbaren körper- lichen Eigentümlichkeiten repräsentiert würden, und diese Deter- minanten müssten, wie Weismann wahrscheinlich zu machen sucht, in einer festen, von Generation zu Generation übertragbaren Gruppen- bildung vorhanden sein®). Sonst würden Vererbung von Zebra- streifung oder von einer Nasenform unbegreiflich sein. Man sieht sofort, dass diese Form der Theorie noch vollauf den Namen einer präformistischen verdient, erkennt aber auch, dass die Determinanten nicht Abbilder einzelner Körperteile sind, sondern nur die Fähig- . keit haben, die Zellen zu ihrer Bildung zu bestimmen. Die An- sicht einer festen Ordnung der Determinanten in der Erbmasse zieht aber die Annahme einer qualitativen erbungleichen Kernteilung ge- wöhnlich (wenn auch nicht absolut notwendig) nach sich. Die Verwerfung qualitativer Kernteilung und der Verzicht auf die Annahme einer festen Determinantengruppierung bringen uns der der Präformation entgegengesetzten Anschauung wiederum einen Schritt näher (De Vries). Während bei Weismann die Hauptursache der Differenzierung in der Kernteilung liegt, müssen bei dieser Form der Hypothese andere Momente für die Auslösung der einzelnen Determinanten, die ja in allen Zellen in gleicher Zahl vorhanden sind, in Betracht kommen. Von dieser Ansicht bis zu der vieler Epigenesisten, z. B. von O. Hertwig, die auch eine Mannigfaltigkeit von Anlagen annehmen, aber in diesen Anlagen nicht mehr Repräsentanten einzelner Körperteile sehen, ist nur ein Schritt. Und weiterhin ist der Weg zu den chemischen Theorien der Vererbung und Entwickelung, die mit wenigen verschiedenen Stoffen auszukommen glauben und zu den Ansichten von einer Homo- genität der Keimsubstanz (Haacke, Spenzer) nicht mehr allzuweit. 3) A. Weismann, Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung. Jena 1892, 828. ul 3echer, Zentroepigenese ? Berücksichtigt man so nur die Haupttypen von Annahmen über die Natur der Keimsubstanz, so zeigt sich, dass zwischen den Ex- tremen zahlreiche Übergangsstufen vorhanden sind. Das ist wichtig; denn es könnte der Fall sein, dass solche Zwischenformen dasselbe leisteten wie Rignano’s Hypothese. Bevor wir aber zur Prüfung dieses Punktes übergehen, müssen wir auf einen anderen Gegensatz hinweisen, auf denjenigen von Selbstdifferenzierung und abhängiger oder korrelativer Differenzierung. — Jede Entwickelungstheorie will die Entstehung der Mannig- faltigkeit eines fertigen Organismus erklären. Je mehr sie von dieser Mannigfaltigkeit in Form von Determinanten einzelner Teile in der befruchteten Eizelle voraussetzt, um so weniger braucht sie davon auf Rechnung der Vielheit von Einflüssen zu setzen, denen diese Determinanten im Laufe der Entwickelung ausgesetzt sind. Je mehr Determinanten, um so weniger braucht jede einzelne zu leisten. Sucht man dagegen mit wenigeren verschiedenen Stoffen in der Vererbungssubstanz auszukommen, so muss man notgedrungen jedem eine größere Zahl von Reaktionsmöglichkeiten zuschreiben, um ihn zu befähigdn, auf die Mannigfaltigkeit von Bedingungen hin, welche die Ontogenese bietet, auch mit der entsprechenden Zahl von morphogenen Reaktionen antworten zu können. Eine Hypothese mit ausgeprägt präformistischem Charakter verlegt die Ursachen mehr in die Eizelle selbst und ebenso in ihre Teilprodukte, während die entgegengesetzten Hypothesen mehr auf die (mehr oder weniger „äußeren“) Auslösungsfaktoren zur Erklä- rung der Entstehung von Mannigfaltigkeit angewiesen sind. Prä- formistische Hypothesen werden also gewöhnlich die Bedeutung der Selbstdifferenzierung betonen, die entgegengesetzten Meinungen aber mehr zur Annahme einer ausgedehnteren Wirksamkeit der abhängigen, korrelativen Differenzierung neigen. Aber auch hier muss wieder hervorgehoben werden, dass diese Beziehungen zwischen den Hypothesen keine unlösbaren sind. Rig- nano bezeichnet eine entwickelungstheoretische Ansicht, die sich auf die Annahme von der tonangebenden oder ausschließlichen Be- deutung der Selbstdifferenzierung stützt, als evolutionistisch, eine Hypothese, die die korrelative Differenzierung in den Vordergrund stellt, als epigenetisch, und er bemerkt nun sehr richtig, dass es nicht nur einen Evolutionismus mit präformistischen Keimen und eine Epigenese ohne solche geben könne, sondern dass auch umgekehrt Evolutionismus ohne und Epigenese mit präformistischen Keimen möglich sind (1907, S. 116—121). Das wird ohne weiteres klar, wenn wir die Bedeutung der Begriffe Selbstdifferenzierung und abhängige Differenzierung etwas näher betrachten. Im Anschluss an Roux redet man bei einem Teile eines Organismus von Selbstdifferenzierung, wenn die Ursachen Becher, Zentroepigenese? 515 seiner spezifischen Differenzierung in ihm selbst liegen; dagegen spricht man von abhängiger oder korrelativer Differenzierung, wenn jene Ursachen außerhalb des sich differenzierenden Teiles gesucht werden müssen. Um diese Unterscheidung anwendbar und fruchtbar zu machen, muss man unbedingt zwei Punkte ins Auge fassen. Erstens muss man bedenken, dass die Gesamtursache neben dem auslösenden Moment aus einer großen Zahl wesentlich notwendiger Bedingungen besteht, und dass, wenn die Auslösungsursache eine äußere ist, gleichwohl ebenso wichtige Faktoren der spezifischen Differenzierung im Inneren des sich entwickelnden Organes liegen können; umge- kehrt können bei innerer Auslösung in äußeren Einflüssen not- wendige Vorbedingungen bestehen. Damit ergibt sich, dass der Gegensatz von Selbstdifferenzierung und korrelativer Differenzierung in Wirklichkeit nicht kontradiktorischer Natur sein kann, sondern die konträre Verschiedenheit zweier Extreme einer Reihe bezeichnet. Wie sich zwischen die Annahmen einer präformistischen oder homogenen Natur der Kernsubstanz eine große Zahl von weniger einseitigen Hypothesen einschieben ließen, so offenbart sich auch bei dem Gegensatz von Selbstdifferenzierung und abhängiger Diffe- renzierung das Vorhandensein unzähliger Übergänge und damit die Unwahrscheinlichkeit, dass von jenen zahlreichen Möglichkeiten gerade eine der beiden extremsten verwirklicht ist. Es ist viel- mehr Sache der experimentellen Forschung und Beobachtung, die Bedeutung innerer Faktoren und Bedingungen gegenüber den äußeren Ursachen abzuwägen und zu präzisieren. Zweitens ist es von nicht geringerer Wichtigkeit, sich deutlich zu machen, dass die Unterscheidung von korrelativer und Selbst- differenzierung sofort ihren relativen Charakter zu erkennen gibt, wenn man sie in ihrer Abhängigkeit von der Größe und Komph- kation des Körperteiles betrachtet, dessen Entwickelungsursachen in Frage stehen. Denn wenn auch die Differenzierung eines Körper- teiles in ihrer Unabhängigkeit von anderen Körperteilen als Selbst- differenzierung bezeichnet werden muss, so könnten jene inneren Differenzierungsursachen für kleinere Teile, etwa für die Zellen des betreffenden Organes, doch als äußere Ursachen wirken. Kurz ge- sagt: die Selbstdifferenzierung emes Körperteiles kann in größerem oder geringerem Maße auf abhängiger Differenzierung seiner Ele- mente beruhen. Das beste Beispiel für eine möglichst ausschließ- liche Selbstdifferenzierung bietet die Entwickelung des Organismus als Ganzes. Von zwei Eiern verschiedener Tierarten, die etwa im Meerwasser ganz gleichen Bedingungen ausgesetzt sind, schlägt doch ein jedes seinen eigenen Weg ein. Aus dem Kuckucksei wird auch im fremden Nest ein Kuckuck. Hier müssen also die Grund- faktoren, die die Verschiedenheit bedingen, in der Tat ın den 514 Becher, Zentroepigenese ? Eiern selbst liegen. Aber selbst in diesem Falle ist die Form- bildung nicht im allerstrengsten Sinne als Selbstdifferenzierung zu bezeichnen; wissen wir doch, dass z. B. die chemische Zusammen- setzung des Seewassers (in anderen Fällen richtige Temperatur etc.) wenigstens notwendiige Bedingungen normaler Differenzierung sind. Ohne direkt das Leben unmöglich zu machen, kann die Modifikation solcher Bedingungen spezifische Änderungen in den Gestaltungs- prozessen bedingen. Wenn aber die Entwickelung des ganzen Organismus keine vollkommene Selbstdifferenzierung darstellt, so gilt das in noch viel höherem Maße von kleineren Teilen. Freilich beweisen bekannte Experimente über Transplantationen an Pflanzen und am (embryonalen) Tierkörper, dass auch die Gestaltung größerer Organe noch vorwiegend Selbstdifferenzierungscharakter trägt. Aber schon in bezug auf einzelne Gewebe kennen wir die große Be- deutung abhängiger Differenzierung, und in noch viel ausgeprägterer Form dürfte ein Gleiches von den einzelnen Zellen gelten. — Beachtet man diese beiden hier hervorgehobenen Punkte, so erhellt ohne weiteres, dass die präformistische Hypothese — wenn sie nicht in der ältesten, völlig unmöglichen Form auftritt — der korrelativen Differenzierung nicht entbehren kann. Und die Theorie einer homogenen Keimsubstanz kann weder die Tatsache der Selbstdifferenzierung großer Körperteile wegleugnen, noch auch ver- kennen, dass in der Spezifität der Erbmasse Faktoren liegen, die in jedem Vorgang epigenetischer Natur eine Nuance von Selbst- differenzierung hereinbringen. Selbst unsere kurze Betrachtung dürfte davon überzeugen, dass es im Grunde genommen unmöglich ist, in entwickelungstheore- tischen Dingen eine der extremen Anschauungen streng ausschließ- lich durchzuführen und die entgegengesetzte in Bausch und Bogen verwerfen zu wollen. Die Frage sollte nicht lauten: homogene Keimsubstanz oder Präformation? abhängige- oder Selbstdifferen- zierung?, sondern: eine wie hohe Komplikation müssen wir ın der Erbsubstanz voraussetzen; mit wie viel kommen wir zur befriedigen- den Erklärung aus? wie weit reicht die Geltung der Selbstgestaltung, wo haben wir korrelative Differenzierung, und wie greifen beide ineinander? Die Methode der experimentellen Entwickelungs- geschichte verführt gar zu leicht dazu, die „entscheidenden“ Experi- mente für allzu entscheidend zu halten, und die Frage auf ein schlecht gestelltes „Entweder, oder“ zuzuspitzen. Man sollte aber stets bedenken, dass man auch mit der experimentellen Methode in dem Gebiete der „beschreibenden“ Naturwissenschaften bleibt, einem Gebiete, in dem es sich mehr um die Analyse einer unge- heuren Komplikation, einer Verwicklung von überaus zahlreichen Faktoren handelt, als um die Auffindung und genaue gesetzmäßige Bestimmung relativ weniger großer Agentien, wie etwa in der Becher, Zentroepigenese ? 515 Physik. Daran kann keine Methode etwas ändern. Aber es ist eben doch etwas charakteristisch, dass vielfach gerade die experi- mentell-biologische Forschung dazu neigt, ın den Lebenserschei- nungen nicht mehr die Folge einer ungeheuren Komplikation, sondern die eigenartige Wirkungsweise eines einzigen neuen selb- ständigen Naturfaktors zu sehen. Man kann — wenn man eine paradoxe Formulierung erlaubt — geradezu sagen, dass diese Form des Vitalismus in gewissem Sinne exakter, physikalischer erscheint, als der ältere physiko-chemische Erklärungsversuch. Aber kehren wir zu dem oben erreichten Resultat zurück. Die entgegengesetzten Hypothesen, zwischen denen man sich nach der kurzen Formulierung in Schlagwörtern einfach glaubte entscheiden zu müssen, waren uns als unwahrscheinliche Extreme zahlreicher anderer Möglichkeiten erschienen. Diese anderen Möglichkeiten sind nicht lebensunfähige Zwischenformen, sondern jene Extreme sind einseitige Übertreibungen erster Analysen, die hier die Notwendig- keit des einen Faktors, dort die Unentbehrlichkeit des anderen gewiss machten; ferner bemerkten wir, dass die Gegensätze: homo- gene Keimsubstanz und Präformismus und auf der anderen Seite: abhängige Differenzierung und Selbstdifferenzierung einander nicht decken, sondern immerhin bis zu einem gewissen Grade unabhängig voneinander sind. Damit hängt es zusammen, dass z. B. das Wort Epigenese (wie auch Evolution) einen Doppelsinn einschließt, ın dem dasselbe einmal den Gegensatz zu Präformation, dann aber auch den abhängigen Charakter der Differenzierung ausdrücken soll. In seinem ursprünglichen Sinne, ın Haller’s „nulla est epigenesis“ sollte das Wort wohl so viel wie Neubildung bezeichnen im Gegen- satz zu der Evolution, die in der Ontogenese lediglich eine Ent- faltung schon vorhandener Anlagen sah. Man sollte daher das Wort Epigenese am besten auf die Theorie einer nicht präfor- mistischen einfachen Keimsubstanz beschränken. In Wirklichkeit wird das Wort aber auch ebenso häufig (vgl. z. B. Rignano, 1907, S. 116 und 117 und 1908, S. 245) angewendet, um die Hypothese zu bezeichnen, die in der Entwickelung wesentlich korrelative Diffe- renzierungsprozesse sieht. Genau entsprechendes gilt von dem Ge- brauch des Wortes Evolution. Für Leser, die sich komplizierte Gedankenbeziehungen in anschaulich-tabellarischer Form einzuprägen und übersichtlich zu machen lieben, mag die beigefügte graphische Darstellung wiedergegeben werden. In diesem Schema habe ich längs der horizontalen Linie von links nach rechts die verschiedenen Annahmen über die Struktur der Keimsubstanz eingetragen, vom ausgesprochensten Präformismus bis zur Annahme homogener Keım- substanz. Außer dieser Linie zeigt unsere Darstellung eine andere Gattungsreihe von Annahmen, nämlich diejenige, die von der aus- schließlichen Betonung des Selbstdifferenzierungscharakters der Absolute Selbstdifferenzierung. Selbstdifferenzierung durch erbungleiche Kernteilung. gend Selbstdifferenzie- Anerkennung einiger rung mit äußerer Aus- © nn © = © on .— >P & z a, 2 Vollständige Prae- = Wenige Erbstoffe Homogene Erbmasse = . - — = S formation im alten sche Keime (Determinanten) ohne feste An- en nicht praeformistischer mit zahlreichen mit einer Unzahl von = Sinne. Spermatisten u. Oyisten. in fester Ordnung. ordnung. Natur. Reaktionsmöglichkeiten. Reaktionsmöglich- Ey > keiten. S) &D Sure = = SR} B = 33 © 5 2x . ra Er ST l SS = So j 25 vo end correlative SE Produktion von die sich fort- twicklungsbedingungen. Differenzierung. Mannigfaltigkeit durch während verändernden En Rein correlative Differenzierung. Produktion aller Complikation der Bedin- Manniefaltigkeit durch gungen („iructificierende Kausalität“). 516 Becher, Zentroepigenese ? Den Öntogenese zu der Behauptung der ausschließlich korrelativen Natur der Differenzierung hinüberführt. Beide Reihen fallen nıcht zusammen, deshalb sınd sie getrennt dargestellt; andererseits ist die Verwandtschaft des Präformations- gedankens mit der Selbstdifferenzierungshypothese und die Be- ziehung zwischen den Annahmen homogener Keimsubstanz und korrelativer Differenzierung nicht zu verkennen; deshalb ıst die zweite Linie nıcht senkrecht zur ersten gestellt, sondern so geneigt, dass sich die verwandten Extreme näher liegen. Wir haben einen mittleren Schnittpunkt beider Linien angenommen, um anzudeuten, dass mittlere Formen beider Hypothesenreihen die beste Vereinigung zu gestatten scheinen. Alle bekannteren Kombinationsmöglichkeiten sind durch Verbindungsstriche angedeutet. Bei einigen ıst der Name desjenigen Forschers hinzugeschrieben, der eine ähnliche Verbindung vertreten hat. Eine exakte Wiedergabe der Eigenart der Anschauungen eines Forschers ıst ın so schematischer Weise natürlich unmöglich. Ich weıß sehr wohl, dass man ein ganzes Gedankengebäude nicht durch ein paar Striche wiedergeben, dass man den vielen Nuancen von Meinungen auf solche Weise nicht gerecht werden kann. Ich fühle mich verpflichtet, das mit allem Nachdruck bei dem Schema hervorzuheben. Trotzdem scheint mir die hier versuchte Darstellung exakter als die beliebte Methode, alle die verschiedenen möglichen Formen von Hypothesen über die Entwickelung als Präformation bezw. Epigenese zu stempeln und damit abzutun. Die Betrachtung unseres Schemas dürfte aber vor allem dartun, dass man nicht zu einer Hypothese mit neuen fraglichen Annahmen zu greifen braucht, um das Wertvolle von Präformation und Epi- genese zu vereinigen. Rıgnano hat der Darstellung seiner eigenen Hypothese eine Erörterung der Unzulänglichkeit von Präformation und Epigenese beigefügt, um die Notwendigkeit einer neuen Hypo- these zu rechtfertigen. Prüfen wir jetzt, ob seine Kritik auch für alle Zwischenformen jener extremen Hypothesen zutrifft, die neben der Zentroepigenese möglich sind. Rignano’s Kritik von Präformation und Epigenese. Nehmen wir zunächst die Gründe, die gegen die Präformation geltend gemacht werden. Sie alle treffen nur extreme Formen des Präformismus. Da heisst es zunächst, die Annahme einer starren Anordnung der Pangene mache es unverständlich, wie diese Ma- schinerie sich in den Geschlechtszellen teilen könne ohne ein halbes zu werden (1907, S. 134 und 167; 1908, S. 250). Bekanntlich hat Driesch einen ähnlichen Gedanken in die Form eines Beweises für den Vitalismus gegossen. Aber es ist ohne weiteres klar, dass dieser Beweis nur für eine krasse Maschinentheorie, dass Rignano’s. 518 Becher, Zentroepigenese? Demonstration nur gegen den krassen Präformismus gilt, der die feste Anordnung der Determinanten annimmt. Dann wird darauf hingewiesen, dass transplantierte Somateile (ohne Zentralzone) en weiteres Wachstum, nicht aber weitere Differenzierung zeigten (1907, S. 135—137). Auch dies würde nur gegen eine Präformation sprechen, die jeden Einfluss stark ver- änderter Bedingungen leugnete. Das braucht aber nicht einmal Weismann’s Theorie. Denn dass geänderte Ernährung wie eine Modifikation zahlreicher anderer Faktoren, die an und für sich keinen sehr spezifischen morphogenen Einfluss haben, doch einfach als Hemmungen wirken können, ist selbst für eine gemäßigte Prä- formation durchaus annehmbar. Außerdem bleibt die Tatsache einer wenn auch geringen Weiterdifferenzierung nach den Experi- menten von Zahn*) und Fischer’) bestehen. Dass die Knochen- bildung in transplantierten Geweben erst beginnen kann, ist doch eine Tatsache, die die Fortdauer gewisser Differenzierungsprozesse unter Wegnahme der normalen Umgebungsbedingungen direkt be- weist. En ano bemerkt dazu (S. 136, 1907): „Aber dieser Knochen- bildungsvorgang kann nur als bloße Häufung und dadurch bewirkte Steigerung von Wirkungen der Be Lebenstätigkeit ange- sehen werden, die, schon vor der Abtrennung wirksam, auch a der Verpflanzung unverändert fortdauert.“ Es mag dem Leser überlassen bleiben, zu entscheiden, ob diese Bemerkung die Sachlage ändert. Dass der Organismus und die Ontogenese einen Charakter von Starrheit und Unveränderlichkeit durch präformistische Theorien bekommen (1907, 8. 137), ist nicht zu leugnen, aber diese Starrheit ist um so geringer, je mehr man sich der Epigenese nähert. Dass die Bildung der Gallen (1907, S. 137) in der Tat eine strenge Präformation, die n Ursachen morphogener Prozesse lediglich in der Erbsubstanz sucht, unmöglich macht, werde ich ae be- streiten; war es doch gerade Be Tatsac he, die mir persönlich die Unzulänglichkeit streng präformistischer Annahmen zuerst völlig deutlich machte. Gerade die Gallenbildung habe ich immer als ein von der Natur mit glänzenden Mitteln ausgeführtes hochbedeut- sames Experiment angesehen. Ähnliches gilt von der Veränderung des Magens von Seeschwalben bei veränderter Nahrung (l. e. S. 137—138). Die Zeichnung des Dottersackes von Enmduuhks, die wahrscheinlich durch chemotaktische Anziehung auf die Pigment- zellen von den Blutgefäßen aus (Loeb) bewirkt wird, und die Zeichnung von Blutegeln, die mit dem Verlauf der Muskelfasern ı) Zahn, Über das Schicksal der in a Organismus implantierten Gewebe. V En 5 Beh 1884, Vol. 95, Heft 3 (bes. S. 382 HH). ) Fischer, Über Transplantationen von organischem Material. Deutsche Zahn Chirurgie, 1882, Vol. 17, Heft 1—4. Siehe: S. 362—363 u. 370— 371. Becher, Zentroepigenese? 519 zusammenhängen soll, sind zwar bemerkenswerte Beispiele für die epigenetische Entstehung von Eigentümlichkeiten, für die der Prä- formist wohl geneigt sein könnte, besondere Determinanten oder Anordnungen von solchen anzunehmen; aber diese Tatsachen liegen doch wohl innerhalb des Rahmens dessen, was auch Weismann an epigenetischen Prozessen in seine Theorie aufnehmen könnte. Und dass diese Beobachtungen nicht einer Zwischenhypothese widersprechen, liegt vollends auf der Hand. Die Frage ıst nur, wie weit solche spezifizierenden Prozesse typische Repräsentanten aller morphogenen Vorgänge sind. Für die Bildung der Röhren- knochenarchitektur trifft eine ähnliche epigenetische Betrachtung zu; das ist durch die Untersuchungen über den Umbau der Spon- giosa nach Knochenbrüchen sichergestellt, aber es bleibt zu be- denken, dass in diesem Falle die inneren Faktoren lediglich in der Fähigkeit bestehen, in den Linien stärksten Druckes Knochen zu bilden und sich deshalb die Sache leichter überblicken lässt. In anderen Fällen werden diese inneren Faktoren komplizierter sein, und dementsprechend wird das Resultat kein so offenbares Doku- ment der äußeren Einwirkung werden. So glauben wir denn auch sagen zu können, dass die Teratogenese (1907, S. 139) wohl die Mitwirkung epigenetischer Gestaltung beweist, nicht aber die abso- lute Unrichtigkeit leicht präformistischer Anschauungen. Wenn Weismann‘) eine gewisse Freiheit in dem Lauf der Ontogenese anerkennt, so ist es unserer Ansicht nach nicht richtig, darin nur eine Unkonsequenz gegenüber der Determinantenlehre zu sehen (1907, S. 140, 141); es muss vielmehr die Aufgabe sein, aus dem Grade dieser Freiheit auf den Grad der Determination in der Erb- substanz zu schließen. Auf diesem Wege wird man zu einer Zwischenhypothese kommen, die sich nach unserer Ansicht der Epigenese näher halten muss als W eismann’s Theorie; es ist aber Aufgabe der speziellen Analyse der einzelnen Tatsachen, den ge- naueren Ort und das präzisere Verhältnis dieser Zwischenhypothese zu den Extremen festzustellen. Rignano spielt Born’s bekannte Verwachsungsversuche nicht nur gegen die Epigenese, sondern auch gegen die Präformation aus (1907, S. 129—130 und 141— 144). Die Tatsache, dass abge- trennte Schwanzstücke nicht nur fortfahren, weiter zu wachsen, sondern auch nach vorn zu regenerieren, die Ausglättung von Körper- und Organkonturen an der Verwachsungsstelle, das Ver- schmelzen (und „Sichsuchen“) des Gefäßsystems und der Vornieren- gänge, die bei der Operation nicht genau aufeinanderkamen, dies alles spricht gewiss für das Mitwirken epigenetischer Prozesse. Hier entstehen Bildungen, zeigen sich Vorgänge, die der normalen Onto- 6) A.Weismann, The Effect External of Influences upon Development. The Romanes Lectures 1894, S. 16—17. 520 Becher, Zentroepigenese ? genese fremd sind und offenbar durch die veränderten Bedingungen, nicht durch besondere Anlagen in der Keimsubstanz hervorgerufen werden. Die Geschwulstbildungen bei schlecht anwachsenden fremden Pfropfreisern oder bei Transplantation mit umgekehrter Polarität dürften auf botanischem Gebiet analoge Tatsachen sein. Aber sowohl die Transplantationsversuche am Pflanzenkörper wie Born’s Versuche ’) beweisen in Wahrheit nur die Unrichtigkeit auschließlicher Selbstgestaltung (und ausschließlicher korrelativer Differenzierung); mit den Vermittlungshypothesen stehen sie ın bestem Einklang. Auch die Versuche über Entwickelung einzelner Blastomeren, über die Erzeugung von Doppelbildungen aus einem Ei oder eines einzigen Embryos aus zwei Blastulae ete. (1907, S. 145—147) be- weisen doch gegen die Evolutionstheorie nur, dass die Gestaltung der ersten Blastomeren außer von den inneren Ursachen noch von den Bedingungen abhängen, die in der normalen Vereinigung der Blastomeren (und ihrer Nachwirkung nach Trennung) gegeben sind. Für die allerersten Furchungszellen ıst dieser Einfluss sogar höchst- wahrscheinlich ein im wesentlichen mechanischer, in Druck- und Lage- verhältnissen gegebener. Dass er trotzdem bei Regulationseiern dar- über entscheidet, ob sich aus der Halbblastomere ein ganzer oder ein halber Embryo entwickelt, steht fest. Aber von der Fähigkeit über- haupt einen ganzen oder halben Embryo besonderer Art bilden zu’ können, muss man trotzdem ein gut Teil in die Erbmasse selbst verlegen. Diese Gruppe von entwickelungstheoretischen Experi- menten beweist wiederum, dass die Annahme bedingungsloser Selbst- differenzierung nicht zulässig ist; sie machen ferner das Vorkommen von erbungleicher Kernteilung unwahrscheinlich, aber sıe lassen nicht nur Rignano’s, sondern ebensogut andere Vermittlungshypothesen zu. Von besonderer Bedeutung sollen die sich aus der Regene- ration ergebenden Gründe gegen die Präformation sein (1907, S. 147ff.; 1908, S. 246ff.). Es ist ohne Zweifel richtig, dass eine Präformationstheorie mit der Annahme, der wesentliche Grund der Differenzierung bestehe ın erbungleicher Verteilung von Erbanlagen bei der Kernteilung, durch die Tatsachen der Regeneration zu un- wahrscheinlichen Hilfshypothesen gezwungen wird. Auch beweist die Regeneration ohne Zweifel die hohe Bedeutung epigenetischer Faktoren. Es ist eine immer wieder betonte Tatsache, dass sich’ die Regeneration „mit Rücksicht auf, das Ganze“ vollzieht. Schon die einfache Beobachtung, dass ım allgemeinen das regeneriert wird, was fehlt, zeigt, dass bei der Regeneration die Neubildung in Korrelation zu dem stattfindet, was noch vorhanden ist. Der regenerierende Stumpf oder der ganze Organismus muss also einen 7) Born, Über Verwachsungsversuche mit Amphibienlarven. Leipzig, Wilh. Engelmann, 1597. Becher, Zentroepigenese ? 521 Einfluss auf die Regeneration ausüben.” Reine Selbstgestaltung ist also direkt ausgeschlossen. Dass aber bei der weiteren Ausbildung des Regenerates nicht einzelne Teile in ihrer weiteren Differenzierung vorwiegend selbständig sein können, beweisen die Regenerations- vorgänge keineswegs. Auch ist zu bedenken, dass die Beziehung zum Ganzen oft nur sehr unvollkommen zum Ausdruck kommt. Schneidet man einem Regenwurm nur wenige vordere Segmente ab, so wird das Fehlende genau regeneriert. Schneidet man aber mehr ab, so wird die ganze Zahl der entfernten Segmente nicht mehr ersetzt. Das mag seinen Grund darın haben, dass von einer bestimmten Zone ab die Segmente so ähnlich werden, dass auch die von ihnen ausgehenden Regenerationsreize sich nicht mehr unterscheiden. Aber ähnliche Fälle zeigen deutlich, dass in dem neuwachsenden Stück selbst Faktoren am Werk sınd, die von dem Stumpf her nicht entscheidend beeinflusst werden. Es unterliegt für uns ebensowenig wie für Rignano irgend- einem Zweifel, dass die Vorgänge bei Roux’ Postgeneration (1907, S. 147-148; 1908, S. 246), bei der Regeneration .von Planaria maceulata (l. ec. und 1908, S. 248), bei der sich nach Morgan die normale Gestalt wesentlich durch Vorgänge ınnerhalb des alten Gewebes wiederherstellt, dass überhaupt alle Regeneration durch Morpholaxis®) deutlich auf merkwürdige, korrelativ bedingte Vor- gänge im Organismus hinweisen. Dass die Regeneration eines Körperteiles keine Rekapitulation seiner Ontogenese ist (1907, S. 153 und 1908, S. 246 und 247), dass z. B. der Schwanz des fertigen Salamanders gleich als runder Schwanz regeneriert wird?) ist gleichfalls eine hochbedeutsame Tatsache, die darauf hinweist, dass der Differenzierungsprozess je nach dem Entwickelungszustand des Körpers einen anderen Weg einschlagen kann. Die Differen- zierung ist also von in dem Zustand des Körpers gegebenen Ur- sachen beeinflusst; sie ıst abhängige Differenzierung. Roux selbst hat sehr wohl erkannt, dass ın der „atypischen“ Generation, also bei Regeneration abhängige Differenzierungsprozesse in den Vordergrund!®) treten. Da Roux andererseits für die Onto- genese der Selbstdifferenzierung größere Bedeutung zuschreibt, so wird ihm jene Anerkennung epigenetischer Vorgänge als Wider- spruch gedeutet (1907, S. 152). Das ist aber durchaus unberechtigt. Erstens soll man einen Autor nicht zu unrichtiger „Konsequenz“ und Einseitigkeit drängen, und zweitens ist Roux’ Unterscheidung völlig oder doch im wesentlichen zu Recht bestehend. Rıgnano hält es für einen Widerspruch, „für zwei ım Grunde völlig iden- 8) Cfr. Th. H. Morgan. Regeneration. Übersetzt von Max Moszkowski. Leipzig, Wilhelm Engelmann, 1907, S. 15ff. 9) Ahnliche Beispiele liefern die Regeneration von Krebsbeinen u. a. 10) Roux’ Gesammelte Abhandlungen II. S.819—870, Leipzig, W. Engelmann. 522 Schiefferdecker, Muskeln und Muskelkerne. tische Vorgänge zwei verschiedene Naturen anzunehmen“ (1907, S. 152). Gewiss, das wäre unerlaubt, wenn Ontogenese und Regene- ration im Grunde völlig identische Vorgänge wären, und wenn sich Selbstdifferenzierung und abhängige Differenzierung völlig aus- schlössen. Es handelt sich aber doch nur um ein Vorherrschen, um ein Mehr oder Weniger von Prozessen der einen oder anderen Art. (Fortsetzung folgt.) Schiefferdecker, P., Muskeln und Muskelkerne. IV + 317 p., mit 20 Fig. im Text. — J. A. Barth, Leipzig, 1909. — Mk. 10.—. Das vorliegende Werk ist mit pekuniärer Unterstützung der Frau E. Waldthausen veröffentlicht worden und stellt eine Samm- lung von acht, vom Verfasser selbst und einer Anzahl seiner Schüler ausgeführten statistischen Untersuchungen dar über Muskeln, Muskel- kerne und Bindegewebe, speziell über das Verhältnis ihrer Masse und ihrer Zahlen, ferner über ihre Verteilung und sonstigen Lage- rungsverhältnisse beim Menschen und einer Anzahl anderer Wirbel- tiere, im normalen und im pathologisch-veränderten Zustande. Einen erheblichen Teil dieser Untersuchungen machen die un- endlich mühsamen Ausmessungen und Auszählungen der auf Milli- meterpapier mit dem Abbe’schen Zeichenapparat entworfenen Zeichnungen aus, eine wahre Danaidenarbeit, von der man dem Verf. schon glauben darf, dass ihre Bewältigung, wenn eine einiger- maßen genügende Genauigkeit der Zahlen erreicht werden sollte, fast die Kräfte eines einzelnen überstieg. Und doch lag wieder, um den subjektiven Fehler möglichst klein zu halten, alles daran, dass die Ausmessungen von ein und derselben Person vorgenommen wurden. Auf die Fülle der in dem Buch niedergelegten und den Ana- tomen, den Zoologen, den Physiologen, Pathologen, Neurologen und Kliniker in gleichem Maße interessierenden Resultate kann an dieser Stelle nicht näher, des Raumes halber, eingegangen werden. Wir verbinden daher mit dieser kurzen Anzeige des Buches den aufrichtigen Wunsch, es möge die Beachtung finden, auf die es als erster Pfadweiser in ein großes, bisher vollkommen unerschlossenes Gebiet ein Anrecht hat. Sein Autor kann das wahrlich nicht ge- ringe Verdienst für sich in Anspruch nehmen, als erster gezeigt zu haben, dass die einzelnen Muskeln durchaus spezifisch in ihrem Baue differenzierte Organe sind, deren spezifische Struktur ın engstem Zusammenhange mit der jeweiligen funktionellen Bean- spruchung steht, ja sogar sehr empfindlich und event. sehr nach- haltig auf deren Äenderung und auf besondere Insulte reagiert. Dr. Max Wolff (Bromberg). Berichtigung zum Aufsatz der Herren Demoll und Strohl. S. 429, Anm. 2, 4. Zeile: statt „nicht riehtig ist“ soll es heißen: nicht maßgebend ist. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Centralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwiekelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 1. September 1909. As 1%. Inhalt: Becher, Zentroepigenese? (Fortsetzung). — Agassiz, Internationale Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. — Prowazek, Bemerkung zu der „Autogamy‘‘ von Bodo lacertae. Zentroepigenese? Bemerkungen zu einigen Problemen der allgemeinen Entwickelungsgeschichte. Von Dr. Siegfried Becher, Privatdozent der Zoologie an der Universität Gießen. (Fortsetzung.) Um noch klarer zu machen, dass Roux in der Anerkennung der vorwiegend abhängigen Gestaltung bei Regeneration keine In- konsequenz beging, sondern einen wirklichen typischen Unterschied erkannt hat, gestatte man mir folgenden Vergleich: Ein Mensch sucht ein Ziel zu erreichen, einmal auf einem bekannten, ein anderes- mal auf unbekanntem Wege.: Der bekannte Pfad ist vielleicht täglich gegangen worden. Er ist dem Menschen geläufig, gewohnt, wie die Ontogenese, die zu dem Ziel des fertigen Organismus führt, dem spezifischen Plasma der betreffenden Art. Der bekannte Weg wird sicherer zurückgelegt, ohne dass ein Achten auf jeden Kreuz- weg, auf jede Unebenheit des Bodens notwendig wäre. Ein Be- obachter würde einen wesentlichen Einfluss der Umgebung auf den Gang des Menschen kaum beobachten können. Im interessantesten Gespräch, bei weltentrückender Träumerei, macht der Mensch den Weg mit fast gleicher Sicherheit. Unser Beobachter muss also annehmen, dass die wesentlichen Ursachen, die die Erreichung des XXIX, 33 JO 524 Becher, Zentroepigenese? Zuieles auf diesem Wege gestatten, in dem Wanderer selbst liegen müssen. Wie anders gestaltet sich das Bild, wenn derselbe Mensch dasselbe Ziel — durch irgendeinen Grund veranlasst — auf anderem Wege suchen muss. Jeder Eindruck der Umgebung wird beachtet, jeder unbequeme Stein, jede Wurzel auf dem neuen Pfad bilden Ursachen besonderer Bewegungen. Ein freier Durchblick im Wald gibt den Anlass, eine bestimmte Wegabzweigung einzuschlagen, an anderer Stelle wirkt ein angebrachter Wegweiser in derselben Weise. Eine zu starke Steigung veranlasst zum Beschreiten eines Um- weges u. S. f. Unser Beobachter wird in diesem Falle, wo der Mensch demselben Ziele auf unbekanntem Wege zustrebt, ohne Zweifel finden, dass der Weg, der eingeschlagen wird und die Er- reichung des Zieles ın tausendfältiger Weise von äußeren Einflüssen abhängig sind. In diesem Falle, der eine Analogie zur atypischen Entwickelung und zur Regeneration bildet, erhalten wir also ein Analogon zur größeren Bedeutung abhängıiger Differenzierung. Auch im ersten Falle haben die Eigentümlichkeiten des Weges, seine Krümmungen, Steigungen etc. ihren Einfluss gehabt. Aber dieser Einfluss ıst kein auffallender. Die durch lange Gewohnheit erzeugten Eindrücke und gewonnenen Fähigkeiten geben dem ganzen einen automatischen, vorwiegend von innen bedingten Charakter. So scheint uns auch in der Ontogenese die Abhängigkeit von (in diesem Sinne) „äußeren“ Einflüssen, dıe korrelative Differenzierung wohl vorhanden und von Bedeutung, aber die Reaktionen auf die- selben sind so prompt und so sehr von anderen in den betreffenden Teilen des Organismus liegenden Faktoren mitbestimmt, dass wir mehr den Eindruck von bloßen „Auslösungen“ als von neu ge- staltenden Ursachen erhalten. Unter anormalen Bedingungen er- scheinen solche Einflüsse in viel höherem Maße als neu gestaltende Ursache. Kurz und grob ausgedrückt: Der normal-ontogenetisch sich entwickelnde Organismus gleicht dem Wanderer, der den Weg kennt und somit wesentlich in seinen größeren und zum Teil auch in geringfügigeren Bewegungen durch sich selbst bestimmt wird. Der regenerierende Körperteil ist dem Fremden zu vergleichen, der, wie es zunächst scheint, nur durch Wegweiser geleitet wird, und in unselbständiger, „abhängiger“ Weise sein Ziel erreicht. So sehr unser Vergleich auch hinken mag, so sehr er auch vielleicht auf eine mnemische Theorie oder auf die psycho- biologische Richtung zugeschnitten erscheinen mag, so scheint er uns doch darin zu treffen, dass unter nicht normalen Verhältnissen die Abhängigkeit der Entwickelung deutlicher werden muss als unter den normalen. Die normale Zusammensetzung des Seewassers ist für die normale Entwickelung durchaus notwendig, aber dieser Faktor spielt die bescheidene Rolle einer Entwickelungsbedingung. Man ändert die chemische Zusammensetzung, und ein dem Koch- Becher, Zentroepigenese ? 525 salzgehalt ganz entsprechender Faktor wird hier im anormalen Ge- schehen die Ursache einer eklatanten Wirkung. Die Beachtung solcher Tatsachen scheint mir für das richtige Verständnis des Ver- hältnisses von Selbstgestaltung und abhängiger Differenzierung bei Ontogenese und Regeneration von großer Bedeutung. Selbstverständlich kann uns diese Verteidigung einer Behaup- tung Roux’ keineswegs veranlassen, mit den Präformisten weiter zu gehen, als es die Tatsachen notwendig machen. Wie bereits bemerkt, halten wir die Annahme einer Selbstdifferenzierung durch allmähliche Aufteilung der verschiedenen Erbanlagen bei fortwährend qualitativer Zellteilung für unzulässig. Dagegen spricht nicht nur die verschiedene Zahl von Teilungen, die bei gleicher Zellgröße der verschiedenen Größe der einzelnen Individuen zugrunde liegen muss (Argument von Roux cfr. 1907, S. 144—145), sondern vor allem die Komplikation der Nebenidioplasmabypothese. Die Ersatzdeter- minanten der Teile eines Armquerschnittes müssten alle zueinander passen (1907, S. 152), und alle Querschnitte eines Regenwurmes oder einer Hydra müssten die Ersatzdeterminanten der allerver- schiedensten Art enthalten (1907, S. 155 und 156). Bedenkt man ferner die fast völlige Totipotenz selbst kleiner Stücke von Pla- narien, so scheint es richtiger, alle Zellen mit dem gesamten Idio- plasma ausgerüstet zu denken. Dabei fällt die durch keine Be- obachtungen gestützte Annahme erbungleicher Kernteilung weg, und Ursachen, die die Regenerationsfähigkeiten (bei voller Erbaus- rüstung) hindern, sind in der Einwirkung spezieller Funktion der Gewebe ja auch dann in genügender Zahl und Bedeutung vorhanden. Damit nehmen wir Abschied von der Prüfung der Gründe, die Rignano gegen die Präformation vorbringt. Wiır glauben, dass unsere Betrachtung gelehrt hat, dass diese Gründe einer Zwischen- hypothese gegenüber nicht stichhaltig sind. Auch die Argumente, die Rignano gegen die strengen Epı- genetiker vorbringt, verlieren ihre Beweiskraft, wenn man sich nicht auf die ausschließlich korrelative Abhängigkeit aller Differenzierung versteift; z. B. die halben Froschembryonen R oux’ (1907, S. 121— 124) und 1908, S. 247). Diese beweisen, dass die Entwickelung einer Körperhälfte in hohem Grade von der anderen unabhängig ist. Aber sie beweisen nicht die absolute Unabhängigkeit. Es bleiben nach dem Abtöten einer der ersten Furchungszellen die Dotter- lagerung und die Abplattung an der Berührungsfläche erhalten, und solche auch nach der Tötung der einen Furchungszelle bleibenden Bedingungen sind der Grund dafür, dass sich nicht ein ganzer sondern nur ein Halbembryo entwickelt. Man mag diese Bedingungen als äußerliche, rein grobmechanische bezeichnen, aber sie sind immerhin vorhanden und zeigen, dass selbst die Differenzierung der linken und rechten Körperhälfte nicht ganz „unabhängiger“ Natur 33* 526 Becher, Zentroepigenese ? sind. Und diese Abhängigkeit der einen Körperseite von der anderen würde um so deutlicher hervortreten, je mehr man die Gestaltung kleiner an der Medianebene liegender Teile ins Auge fasste. Bekanntlich sind die Epigenetiker um eine Erklärung der Vor- gänge bei „Mosaikeiern“ nicht verlegen gewesen. Es gibt eben kaum so strenge Formen der epigenetischen Hypothese, dass sie jede Selbstdifferenzierung: leugneten. Wenn man sich unsere obigen Ausführungen darüber vergegenwärtigt, dass die Selbstgestaltung größerer Körperteile auf abhängiger Gestaltung seiner kleineren und besonders der kleinsten Elemente beruhen kann, wird die Ver- träglichkeit jener von Rignano angeführten Experimente Roux’ mit einer Vermittlungshypothese ohne weiteres einleuchtend. Noch deutlicher zeigt sich die Fruchtbarkeit solcher Erörte- rungen gegenüber einem anderen Beispiel Rignano’s (1907, S. 124), das ebenfalls von Roux übernommen ist. Wenn man Tritonen alle vier Beine abschneidet, so findet trotzdem Regeneration statt. Also kann die Gestaltung der Organe der einen Seite nicht von Einflüssen der entsprechenden Teile der anderen Körperhälfte korre- lativ beeinflusst worden sein. Das ist natürlich richtig; beweist aber doch nichts gegen die Bedeutung korrelativer Wirkungen anderer, weniger entfernter Teile des Organismus. Es ist im Grunde genommen immer dieselbe Betrachtung, die man auch den folgenden gegen die Epigenese angeführten Einwänden entgegenhalten kann, Zitieren wir z. B. mit Rignano (1907, S. 125) folgende Worte Roux’!!), „Wie sich diese (epigenetischen) Auffassungen OÖ. Hert- wig’s mit den von mir beobachteten Anachronismen in der Ent- wickelung der Keimblätter oder gar mit dem Fehlen des unteren Blattes (Anentoblastia) bei wesentlich normaler Anlage der Teile der beiden anderen Blätter und mit der Bildung der halben Em- bryonen vertragen, kann wohl dem eigenen Urteil der Leser über- lassen werden. Denn wenn so große Teile in der Entwickelung zurückbleiben oder gar fehlen können, ohne dass die andern Teile dadurch in ihrer Entwickelung gestört werden, so folgt mit Sicher- heit, dass die Entwickelung dieser letzteren nicht an die Wechsel- wirkung mit den fehlenden Teilen gebunden ist, dass sie also nicht durch die Wechselwirkung aller Teile des Ganzen sich vollzieht.“ Wir unsererseits können es dem Leser überlassen, diese an und für sich treffenden Darlegungen in ihrem Verhältnis zu einer Zwischen- hypothese zu beurteilen, zu einer Epigenese, die nicht eine Wechsel- wirkung aller Teile behauptet, sondern diese Wechselwirkung auf die Fälle beschränkt, in denen das Experiment sie wahrscheinlich macht, und in denen die nachbarliche Lage der Zellen und Gewebe 11) W. Roux, Über Mosaikarbeit u. s. w. Anat. Hefte S. 320. Gesammelte Abhandl. II, S. 559. Becher, Zentroepigenese? Da oder innere Sekretion und andere Mittel eine solche Wechsel- wirkung ermöglichen. Das Auftreten von kopflosen oder fast nur aus einem Kopfe (Cephalidie) bestehenden Missbildungen bedarf keiner neuen Be- merkung (1907, S. 125 und 126). Von großerem Interesse ist da- gegen eine Betrachtung der Doppelbildungen mit „doppelter Sym- metrie der Organanlagen“ (Roux). Bei solchen Doppelbildungen können an der Vereinigungsebene bei jedem der Teile verschieden große Stücke fehlen, ohne dass die typische Differenzierung der übrigen Teile dadurch gehindert worden wäre. In dieser mittleren Symmetrieobene können aber ferner verhältnismäßig Kleine Organe, wie z.B. Augen, zusammenstoßen und dabei kann eine Kornea oder Linse mit dem Umriss einer 8 auftreten, und das spricht in der Tat dafür, dass selbst solche Teile sich verhältnismäßig sehr selb- ständig entwickeln. Aber auch damit ist die hohe Bedeutung korre- lativer Differenzierungsprozesse nicht unwahrscheinlich gemacht; denn selbst wenn in den einzelnen Werkstätten des Organismus die Differenzierung in durchaus epigenetischer Weise entstände, so könnten jene einzelnen Betriebe im großen Werk des Organismus doch sehr selbständig voneinander arbeiten. Oben wurden bereits einige Regenerationserscheinungen am abgeschnittenen Kaulquappenschwanz bezw. bei Born’s Verwach- sungsversuchen von Amphibienlarven als Dokumente epigenetischer Differenzierung erwähnt. Die in Betracht kommenden Erscheinungen zeigten sich bei genauer Beobachtung der nach vorn an der Schnitt- fläche des abgetrennten Schwanzes auftretenden Neubildung und beim Studium des Verhaltens der Organe an den Verwachsungs- stellen bei Born’s Experimenten. Auffälliger aber sind bei diesen Versuchen die Tatsachen, die umgekehrt die Bedeutung der Selbst- differenzierung erweisen. Nach Vulpian’s und Born’s Angaben fährt auch der abgetrennte Kaulquappenschwanz fort, sich ın typischer Weise weiter zu differenzieren. Und ebenso wurden die an einen ganz fremden Ort transplantierten Teile (etwa ein Kopf) in ihrer normalen Weiterentwickelung nicht gestört. Rignano scheint daher im Recht zu sein, wenn er Born’s Experimente so- wohl mit der Präformations- wie mit der Epigenesistheorie ın Widerspruch findet (cfr. 1907, S. 128—132 und 1908, S.247). Aber sollte es nicht besser sein, die Sache so auszudrücken, dass diese Versuche teilweise der einen und zum anderen Teil der anderen Hypothese Recht geben? Wenn man Präformation und Epigenese als starre ee Gegensätze ansieht, so wird in der Tat durch Born’s Ergebnisse, die mit keinem diesen unnachgiebigen Gegensätze übereinstimmen, eine ganz neue dritte Hypothese ge- fordert. Aber gerade diese Versuche zeigen doch, dass trotz der Selbstdifferenzierung großer Teile an demselben Organismus korre- 598 Becher, Zentroepignnese ? lativ bedingte Bildungsprozesse stattfinden, und so können wir wohl behaupten, dass diese (wie ja auch manche andere) Erfahrungen nicht sowohl Präformation und Epigenese beseitigen, sondern viel- mehr zu ihrer Vereinigung, zu einer Vermittlung drängen. Endlich sollen die Präformisten nach Rignano den Epigenesisten entgegenhalten können (1907, S. 132—153), dass sie das Aufhören der Entwiekelung nicht so gut erklären, wie es etwa die Annahme einer Verteilung der Determinanten vermag; diese Determinanten- verteilung muss ja selbstverständlich einmal ihr Ende erreichen. Aber dem lässt sich entgegenhalten, dass das Ende der Entwicke- lung auf der anderen Seite auch kein so scharf bestimmtes Ereignis sei, wie es eine extreme Präformation glauben macht. Außerdem wird dieser Einwurf gegenüber einer Epigenese, die eine größere Zahl von determinierenden Elementen annimmt, die z. T. nach- einander aktiviert werden, hinfällig. Damit soll nicht bestritten werden, dass die vielfach vorgebrachte Erklärung der Beendigung der Ontogenese durch Herstellung eines Gleichgewichtes etwas un- bestimmt ist. Weshalb, so fragt Rignano weiter, verharren denn die Organismen nicht auf ontogenetischen Stadien, die doch phylo- genetische Gleichgewichtsstadien rekapitulieren? Aber auch der Epigenetiker kann demgegenüber erwidern, dass jene phylogene- tischen Stadien doch auch, wenn auch langsam, sich umgewandelt haben, und dass der promptere Eintritt dieser Umwandlungen wäh- rend der Ontogenese eben nur eine Folge der allgemeinen onto- genetischen Abkürzung und Beschleunigung sei. Darauf könnte Rignano fragen, wo denn jetzt die Ursachen für jene Umwandlungen lägen, die früher in funktionellen (z. T. äußeren) Ursachen gegeben waren? Wenn man nicht alle Umwandlungen auf innere Ursachen (die sich mit dem Bau in der Ontogenese wiederholen könnten) zurückführen will, so muss man in der Tat annehmen, dass jene äußeren Ursachen im Organismus in irgendeiner Weise reproduzier- bar oder wenigstens nutzbar sind. Damit nähert man sich aller- dings außerordentlich einer mnemischen Entwickelungstheorie, wenn auch nicht notwendig der Rignano’schen Form. Übrigens ändert sich für manche Epigenetiker (z. B. OÖ. Hertwig) dieses Problem dadurch, dass sie die Richtigkeit des biogenetischen Gesetzes bestreiten. — Unsere Betrachtung der von Riguano gegen Präformation und Epigenese vorgebrachten Gründe dürfte in der Ansicht be- stätigen, dass diese entgegengesetzten entwickelungstheoretischen Ansichten einzeln, wenn sie „konsequent“ gefasst werden, zur Er- klärung allerdings nicht hinreichen, dass jedoch die Tatsachen auf eine Vermittlungshypothese hinweisen und vor allem, dass eine solche Vermittlungshypothese von Rignano’s Einwänden nicht getroffen wird, auch dann nicht, wenn sie keinen zentroepigenetischen Charakter trägt. Becher, Zentroepigenese ? 529 Homogene oder präformistische Keimsubstanz. Auch dieser Gegensatz wird von Rignano in ähnlicher Weise behandelt, wie derjenige von Präformation und Epigenese. Freilich ist manches, was gegen präformistische Erbsubstanz gesagt werden kann, schon im vorhergehenden Abschnitt erwähnt worden; denn Rignano hatte nicht den reinen Gegensatz von Selbstdifferenzierung und abhängiger Gestaltung betrachtet, sondern gleich einen Evo- lutionismus mit präformistischen Keimen zur Kritik herangezogen (s. 1907, S. 120). Auch zwischen den Annahmen homogener Keim- substanz und präformistischer Erbmasse sind, wie wir sahen, Zwischenformen möglich. Nun gilt es auch hier zu prüfen, ob die letzteren denselben Einwürfen ausgesetzt sind, die Rignano gegen die Extreme erheben kann. Gegen die Hypothese präformistischer Keime lässt sich ein- wenden, dass es fast undenkbar sei, für alle Differenzen von Zellen im Organismus, für alle kleinsten erblich übertragbaren Eigentüm- lichkeiten einen besonderen Repräsentanten in den Geschlechts- zellen annehmen. Schwieriger noch scheint es, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie ein Instinkt im Keimplasma durch eine oder mehrere Determinanten vertreten sein soll (1907, S. 164). Mag man diese Schwierigkeiten für entscheidend halten oder nicht, jedenfalls bestehen sie für eine Zwischenhypothese, die weniger Determimanten annimmt und einen beträchtlichen Teil der Mannigfaltigkeit durch Fpigenese erklärt, in geringerem Maße. Auch die Vererbung von Instinkten, die bestimmte komplizierte Reaktionsweisen des Orga- nismus darstellen, wird bei der Mitwirkung epigenetischer Gestaltung vielleicht verständlicher. Einer der schwerwiegendsten Gründe, die man gegen die An- nahme präformistischer Keime vorbringen kann, ist der, dass man sich dieselben in festem Bau vorstellen müsse (1907, S. 166-167; 1908, S. 249—250). Wenigstens hält Weismann diese Annahme für unumgänglich, um die Vererbung der Zebrastreifung, eines ge- sägten Blattrandes od. dgl. zu erklären. Schwarze und weiße Determinanten allein können nicht die regelmäßige Abwechslung erklären, und Sägepangene kann es nicht geben. Die Annahme einer bestimmten Orientierung der Determinanten zueinander macht aber insofern Schwierigkeiten, weil man sich schwer vorstellen kann, wie ein nach drei Dimensionen verschiedenes System (von Pangenen) sich in zwei gleiche Teile etwa in den Geschlechtszellen teilen soll. Jedenfalls muss man hier wieder mit Hilfsannahmen, wie „Affinität“ der einzelnen Elemente nachhelfen. Das ist — etwas grob ausgedrückt — ungefähr so vorzustellen, als wenn eine Dampf- maschine sich dadurch in zwei Tochtermaschinen teilen könnte, dass zunächst jeder Teil sich spaltete und dass alsdann durch 530 Becher, Zentroepigenese ? Affinität der Kolben in den neuen Zylinder spränge, sowie Stangen- und Räderwerk die richtige Lage annähmen. Bleibt nun diese Schwierigkeit bei Anerkennung epigenetischer Bildung von Mannigfaltigkeit? Wir glauben, dass man dasjenige, was Weismann durch die bestimmte Anordnung der Determinanten erklären will, im Prinzip durch die verschiedenen Bedingungen, denen gleiche Pangene ausgesetzt sind, ersetzen kann. Im ein- zelnen freilich wırd es außerordentliche Schwierigkeiten bieten, etwa die Lokalisation schwarzer Streifen auf der Haut auf regel- mäßıg abwechselnde, auslösende Bedingungen zurückzuführen. Aber mit jener Annahme ist doch auch im besten Falle nur eine Ver- schiebung der Schwierigkeit erreicht; denn damit versteckt man das Problem ın die Zellteilung, die hier die rätselhafte Fähigkeit zu richtiger Verteilung der verschiedenen Eigentümlichkeiten besitzen muss. Die Zwischenhypothese kann große Schwierigkeiten, die sich bei der erbgleichen Teilung der Geschlechtszellen, wie bei der erb- ungleichen der somatischen Zellen ergeben, dadurch umgehen, dass sie die Lokalisation der Verschiedenheiten nicht auf ein festes System der Determinantenordnung, sondern auf die sich während der Ontogenese ergebenden bestimmt verteilten Auslösungsreize zurückführt. Die Tatsache, dass Weismann eine bestimmte Anordnung der Pangene gegenüber De Vries anzunehmen genötigt ist, scheint uns damit zusammenzuhängen, dass der erstgenannte Forscher die epigenetische Gestaltung möglichst ausschließt, der letztgenannte ıhr große Bedeutung zuschreibt. — Wie Rignano’s Einwände gegen präformistische Keime nur die extremen Formen der Theorie treffen, so besitzen auch seine Gründe gegen die Hypothese nichtpräformistischer Keimsubstanz nur für die Annahme völliger Homogenität der Erbmasse volle Beweiskraft. Der wirklich zwingende Grund, der gegen die homo- gene Natur der Erbsubstanz angeführt werden kann, liegt in der Tatsache der „particulate inheritance“. Kleinste Teile des Körpers, ein Grübcehen im Kinn oder in der Wange, ein Muttermal u. s. w. können unabhängig variieren und vererbt werden. Bei einem Kind, das im allgemeinen ganz dem Vater gleicht, kann doch allein das Ohrläppchen, das dicke Lid des Auges und Ähnliches ganz an die Mutter erinnern. Galton und Weismann sind im Recht, wenn sie darin triftige Gründe für eine besondere Repräsentation auch so unbedeutender Eigentümlichkeiten in der Erbsubstanz sehen. Indessen muss auf der anderen Seite hervorgehoben werden, dass die gesonderte Vererbbarkeit so geringfügiger Merkmale vielfach Becher, Zentroepigenese? 531 übertrieben wird. Oft wird in solchen Fällen eine bestimmte Wachs- tumstendenz od. dgl. vererbt und diese oder eine ähnliche allge- meinere Eigentümlichkeit treten in einem scheinbar selbständigen Merkmal nur besonders deutlich in Erscheinung. So wird sich z. B. nicht mancher Forscher veranlasst sehen, besondere Determinanten eines Doppelkinnes oder einer Falte am Munde anzunehmen. Solche auffallende scharf charakterisierte Eigentümlichkeiten sind, wie leicht ersichtlich, die Folge von allgemeinen Gewebseigenschaften, von Neigung zu subkutaner Fettbildung oder von Lagebeziehungen ver- schiedener Teile. Wenn man z, B. menschliche Gesichter daraufhin betrachtet, so wird man finden, dass dieselben nicht aus bunt zu- sammengewürfelten Augen-, Nasen-, Mundformen bestehen, sondern dass sich fast immer ein gewisses Zueinanderpassen, eine gegen- seitige Bedingtheit der Teile zu erkennen gibt. Bei einer Stumpf- nase ist häufig auch die Mitte der Oberlippe nach oben gezogen. Die Nasenmundwinkelfalte bietet ein anderes keiner weiteren Aus- führung bedürftiges Beispiel für solche Beziehungen. Wenn man in die Mannigfaltigkeit und Feinheit solcher Beziehungen genügen- den Einblick hätte, so würde, glaube ich, auch das Beispiel des Grübchens im Kinn für eine gemäßigte Epigenese nicht mehr un- erklärbar bleiben. Man wird mir entgegenhalten, dass auch ein einfacher etwa weißer Fleck des Pelzes, eine warzenartige Stelle der Haut vererbbar wären. Nun ist ja wiederum zunächst ohne weiteres zuzugeben, dass ein ausgesprochener Präformismus solche Tatsachen in nächstliegender Weise erklärt. Aber andererseits ist auch hier zu beachten, dass die Vererbung solcher Eigentümlichkeiten gewöhnlich keine scharfe ist. Ein weißer Fleck auf dem Kopf einer Hauskatze mag sich auf ein Junges übertragen, aber er pflegt etwas kleiner oder größer zu sein und etwas anders zu liegen. Man kann von Vater oder Mutter Warzen ähnliche Bildungen erben, aber dann wird der Ort, an dem solche Gebilde sitzen, meist nicht genau derselbe sein. Was sich also vererbt hat, ist nicht eine Warzendeterminante, die am Ende der Ontogenese durch erbungleiche Zellteilung an die Körperstelle befördert wird, die ihr nach der festen Anordnung der Determinanten zukommt, sondern es ist die Fähigkeit der Zellen vererbt worden, unter ganz bestimmten Bedingungen in der Haut besondere Wucherungen (resp. weiße Haare zu bilden u. s. w.). Meist sind diese Bedingungen bei den Nachkommen an etwas an- derer Stelle erfüllt, zuweilen bietet aber auch dort nur derselbe Ort die notwendigen gleichen Bedingungen. Das letztere ist besonders dann der Fall, wenn es sich um einen Lena ll JE altvererbten Artcharakter handelt. Wir haben hier Fragen berührt, die in der Tat zu den schwierigsten Problemen der Epigenese gehören. Warum, so kann 532 Becher, Zentroepigenese ? man fragen, hören die Haare so plötzlich auf der Stirne auf. Es ist schwer verständlich, dass sich in der Kopfhaut die Bedingungen der Haarbildung so plötzlich ändern sollen. Aber auch wenn das nicht der Fall wäre, bliebe die Möglichkeit, dass jene Wachstums- reize und -bedingungen erst von einer bestimmten Stärke ab im- stande wären, der Haarbildung — und dann auch gleich vollständig — zu genügen. In solchen Fällen ist die präformistische Erklärung mit ihrer Determinantenverteilung ja ohne Zweifel einfacher; aber es ist doch die Frage, ob die epigenetische Theorie in ihrer Unbe- stimmtheit den vielgestaltigen Verhältnissen im Grunde nicht besser entspricht als jenes. Schema. Dass z. B. die scharfe Lokalisation des Haarwuchses dıe Folge vorhandener oder fehlender Bedingungen sein kann, lehren doch einige Formen der Kahlheit, bei denen die Grenze des Haares eine außerordentlich scharfe ist. Das Beispiel zeigt aber, dass viele für die Differenzierung hochwichtige Verhält- nisse und N erschiedenheiten tatsächlich len sind, ohne sich durch sofort auffallende morphologische Unterschiede zu manl- festieren. Wir wollen nicht weiter in das Lokalisationsproblem eindringen; denn unsere Betrachtung dürfte bereits deutlich gemacht haben, dass hier trotz der ee Überlegenheit des Praformiemus kein Grund gefunden werden kann, der uns einer extremen Form dieser Theorie unbedingt in die Arme führen müsste. Wenn wir daher einer allzu weitgehenden Präformation nicht zustimmen können, und vor allem die Gründe, die für eine feste Ordnung der Determinanten und für ihre Verteilung im Laufe der Ontogenese sprechen, nicht als zwingend anerkennen, so können wir doee die Epigenese nicht mehr in Schutz nehmen, wenn sie so weit geht, nur eine einzige homogene Masse als Erbsubstanz an- zunehmen. Denn wenn en eine einzige Substanz, wenn auch noch so komplizierter Na in den Geschlechtszellen vorhanden wäre, so wäre der komplizierie Mechanismus der Kernteilung völlig unv = andlieh. Dieser Mechanismus weist darauf hin, dass es Sn nicht um die quantitativ gleiche Teilung einer homogenen Masse han- ‚delt, sondern um die genau halbieren Teilung einer großen Anzahl vei rschiedenartiger Hlemente, die deshalb nen. auf einen Faden aufgereiht werden, damit keines bei der Teilung ganz in die eine oder andere Tochterzelle gelangt. Wenn die Substanz der Chromosomenteile gleichartig wäre, so würde eine Querteilung eines ın die Länge wor Ken — ähnlich wie bei ds amitetischen Teilung — völlig zur Halbierung hinreichen. Mag es auch überflüssig sein, „Grübchen“determinanten od. dgl. anzunehmen, so ist es doch im höchsten Maße wahrscheinlich, dass etwa de Vries’ Argumente für eine besondere Repräsentation von Blütenfärbung, von vielen physiologischen und chemisch-physio- Becher, Zentroepigenese ? 53: logischen Fähigkeiten, der Organismen zu recht bestehen. Wir leugnen eine direkte, reine Präformation von Gestalt, halten aber eine selbständige Repräsentation von Faktoren, die (unter Mit- wirkung der epigenetischen Bedingungen und Auslösungsursachen) auch die morphologischen Eigentümlichkeiten bestimmen, für sehr wahrscheinlich. Die Anhänger einer homogenen Keimsubstanz mögen uns einwerfen, dass der hochkomplizierte Bau der lebenden Eiweißkörper die Vorstellung möglich mache, dass alle die tausend Reaktionsmöglichkeiten, deren Annahme die Epigenese erfordert, in einer Substanz mit ihren verschiedenen chemischen Gruppen bezw. Seitenketten lägen. Ferner könnten diese Gruppen sich ändern und sich ersetzen, ohne dass das Ganze in seinem typischen Bau dadurch wesentlich beeinflusst würde. Dieser Gedanke ıst gewiss beherzigenswert, und er mag davor warnen, die Zahl der repräsen- tativen Elemente ins Ungemessene zu steigern; aber näherliegender und wahrscheimlicher ıst — schon wegen der angeführten Gründe, die aus der Kernteilung sich ergeben —, dass an Stelle der vıelen Gruppen einer physiologischen Einheit, eines Lebensmoleküles, viele relativ selbständige verschiedene Elemente vorhanden sind. Man gestatte mir auch hier wıeder einen Vergleich, der frei- lich, wie alle solche Vergleiche (in bezug auf die ungemein feinen Lebenselemente), die Verhältnisse etwas vergröbert. Bei der Fort- pflanzung von grünen Algen, von Flagellaten u. s. w. wird neben dem Kern und Plasma mit letzterem auch immer ein Quantum Chlorophylikörner übertragen. Bei den höheren grünen Pflanzen sind es farblose Chromatophoren, die von Zelle zu Zelle bei der Teilung weitergegeben werden und sich dann noch weiter in Chloro- plasten, Chromoplasten und Leukoplasten differenzieren können. Die Fähigkeiten dieser Chromatophoren werden also unabhängig vom Kern übertragen und von Zelle zu Zelle, von Organısmus zu Organismus vererbt. Ich möchte annehmen, dass die erblichen An- lagen im Kern ın ähnlicher Weise selbständig voneinander sind und wirken, wie die Uhromatophoren selbständig in bezug auf den Kern sind. Wie diese Ohromatophoren je nach verschiedenen Reizen in den Blättern im Licht zu Chlorophylikörnern, in den Blüten zu Ohromoplasten, ın den Reservestoffbehältern zu Stärke- bildnern werden können, so werden auch jene Erbsubstanzen ım Kern eine Reihe bestimmter Reaktionsmöglichkeiten haben (die bei den einzelnen verschieden sind), und diese Reaktionsmöglichkeiten befähigen dann die Teilchen bei gegebenen Anslösungsreizen, wie sie normalerweise die Ontogenese bietet, das zu bilden, was sie „vererben“. Die Elemente der Erbsubstanz sind demnach keine völlig selbstfertigen Repräsentanten, sondern richtiger gesagt poten- tielle Elemente, um einen Ausdruck, den Rignano in etwas anderem Sinne gebraucht, hier zu übernehmen. — 534 Becher, Zentroepigenese? Nun müssen wir noch einen Punkt hervorheben. Rignano findet nämlich, dass der Einwand, die Epigenesisten könnten die „particulate inheritance“ nicht erklären, sich mit Recht nicht nur gegen die Hypothese einer homogenen Keimsubstanz erheben ließe, sondern ebenso gegenüber der Annahme einer Keimsubstanz, „die zwar verschiedenartig wäre, bei der aber jeder ıhrer Bestandteile gleich vom ersten Augenblick der Entwickelung an ın Wirksamkeit treten würde“ (1907, S. 163; s. auch 1908, S. 249). Bei solchen Voraussetzungen, bei einem Evolutionismus mit chemischer Ver- erbungstheorie, wäre es schwer verständlich, warum bei dem gleich- zeitigen Wirken und Inkrafttreten der verschiedenen Stoffe, trotz- dem so auffallend lokalısierte Verschiedenheiten auftreten sollten, von deren gesonderter Variabilität und Erbbarkeit die particulate inheritance berichtet. Aber eine Zwischenhypothese, wie wir sie uns denken, ist doch weit entfernt eine sofort einsetzende Tätig- keit aller Erbstoffe vorauszusetzen. So wie die farblosen Chromato- phoren nur im Licht zu Uhloroplasten, nur etwa in den Blumen- kronenblättern zu Chromoplasten werden, so könnten auch die potentiellen Elemente der Keimsubstanz erst dann und nur dort aktiviert werden und in die morphogenetischen Prozesse eingreifen, wenn ım Lauf der Ontogenese an den dazu bestimmten Orten die notwendigen auslösenden Reize und Bedingungen erfüllt sind. Diese auslösenden Reize mögen in bezug auf die Zelle äußere oder innere sein. Innere zelluläre Reize können hier insofern mit angenommen werden, als in der Tätigkeit eines Elementes oft die Aktivierungs- ursache eines anderen gegeben sein wird. Rignano untersucht nun, „ob eine verschiedenartige Keim- substanz ohne präformistische Keime, deren Bestandteile nicht gleich vom ersten Augenblick der Entwickelung an in Wirksamkeit treten, sondern vielmehr sich einzeln, der Reihe nach, von Anfang bis Ende der Entwickelung betätigen, geeignet ist, die von uns ge- suchte passende Erklärung für die particulate ınheritance ab- zugeben“ (1907, S. 168). Nun nımmt zwar Rignano sofort folgende Voraussetzung auf: „die verschiedenen nacheinander in Wirksamkeit tretenden Anlagen der Keimsubstanz befinden sich alle in einer bestimmten Zone des Organısmus, von wo sie ihre gestaltende Wirkung ausstrahlen“*, und „so werden offenbar die einzelnen Punkte des Soma gleichzeitig die bestimmende Wirkung der väter- lichen und der mütterlichen Keimanlage erfahren müssen“ (1907, S. 169). Diese Voraussetzung erscheint uns aber keineswegs un- umgänglich notwendig zu sein. Das Vorhandensein der väterlichen und mütterlichen Anlagen ın allen Kernen tut im wesentlichen dieselben Dienste. Auch bei dieser Voraussetzung kann je nach der Natur des auslösenden Reizes eine gleichmäßige Aktivierung der väterlichen und mütterlichen Anlagen und damit ein Misch- Becher, Zentroepigenese ? 535 charakter oder aber eine Bevorzugung eines der Charaktere und damit eine Vererbung des einen Öharakters in voller Reinheit auf- treten. So ist auch allgemein die Erklärung der „particulate inheri- tance“ unabhängig von der zentroepigenetischen Hypothese; denn trotz der Allgegenwart aller Elemente im ganzen Organismus kann sich durch die speziellen Bedingungen eines Ortes dort allein eine Aktivierung bestimmter Anlagen vollziehen (Blütenfarbe), oder sich durch Zusammenwirken unauffälliger Wachstumstendenzen (od. dgl.) eine scharf lokalisierte Wirkung ergeben (z. B. Gesichtsfalten etec.). So gelangen wir denn auf Grund unserer Vermittlungsannahme zu demselben Schluss wie Rignano auf Grund einer Zentroepigenese; wir können mit ihm zusammenfassend sagen: „Wir glauben somit, als Endergebnis behaupten zu dürfen, dass die Hypothese einer verschiedenartigen Keimsubstanz, deren Anlagen nicht gleich alle bei Beginn der Entwickelung in Wirksamkeit treten, sondern sich vielmehr einzeln nacheinander im ganzen Laufe der Entwickelung betätigen, die Erscheinungen, zu deren Erklärung allein die prä- formistischen Keime erdacht wurden, nicht minder befriedigend erklärt, und zugleich keinem der triftigen Gründe ausgesetzt ist, welche die Haltlosigkeit der präformistischen Keime mit Sicherheit dartun“ (1907, S. 172). Auch das Dilemma: präformistische Keime oder homogene Erbmasse zwingt uns somit nicht zur Annahme einer Zentroepigenese, sondern lediglich zu einer Vermittlungshypothese. Erbgleiche Kernteilung und Kernsomatisierung. Rignano bemüht sich zu zeigen, dass auch in diesem Gegen- satz kein Dilemma vorliegt. Man kann die erbgleiche Kernteilung mit den Epigenesisten annehmen ohne die Kernsomatisierung ver- werfen zu müssen. Freilich soll auch hier nach dem genannten Forscher nur die zentroepigenetische Hypothese jenen Ausweg bieten. Das ist es aber, was hier zu prüfen ist. Rignano ist davon überzeugt, dass alle mitotischen Kern- teilungen erbgleiche Hälften ergeben. In Weismann’s Präformis- mus ist aber die qualitative erbungleiche Teilung gleichzeitig die Ursache für die fortschreitende Differenzierung und für die Somatı- sierung der Kerne. Wenn man also die erbungleiche Kernteilung verwirft und trotzdem die Gründe, die für Kernsomatisierung sprechen, für entscheidend hält, so muss man sich nach einer neuen Ursache der Kernsomatisierung umsehen. Diese neue Erklärung liefert die Zentroepigenese. Durch die mannigfaltigen, im Laufe der Ontogenese von der Zentralzone aus- gehenden spezifischen nervösen Ströme (1907, S. 18) und später durch die wesensähnlichen funktionellen Reize des ausgebildeten Zustandes werden in den einzelnen Kernen verschiedene potentielle 536 Becher, Zentroepigenese ? Elemente abgesetzt und ihre speziellen Funktionen bestimmt. Zu- nächst halten sich neben den neuen spezialisierenden Elementen noch alle anderen, und in dieser Periode würden jene Zellen unter veränderten, geeigneten Bedingungen noch imstande sein, einen. ganzen Organismus aus sich hervorgehen zu lassen (1907, 5. 94, 319; 1908, S. 253). Mit der Zeit aber verschwinden durch die erbgleiche Zellteilung mitgegebene potentielle Elemente aus Nah- rungsmangel; sie werden verdrängt durch die immer zahlreicher werdenden Elemente, die die spezielle Funktion bedingen (1907, °S. 18, 28, 95 und 96). Indessen können auch auf diese Weise vollständig somatisierte Kerne, wenn es die Notlage erfordert, unter den veränderten Bedingungen von neuem mit anderen histogenen Elementen versorgt werden. So soll es sich beispielsweise erklären, dass die ganz spezialisierten, pigmentierten Iriszellen der Tritonen noch die Linse neu bilden können (1907, S. 99 und 100). Drängen nun die Tatsachen in der Tat zu diesem merkwürdigen Ausweg? Keineswegs! Präformistische Theorien, die die Ab- hängigkeit der Differenzierung vernachlässigen, müssen die Ursachen für die spezielle Funktion eines Gewebes natürlich in der Sonder- natur seiner Oberleitung, seines Idioplasmas suchen. Aber man kann auch den ersten Grund der speziellen. Funktion in den be- sonderen Verhältnissen erblicken. Rignano behält von der prä- formistischen Erklärung der Kernsomatisierung das Primat der Idio- plasmaänderung bei und lässt durch nervöse Ströme von seiten der Zentralzone erst eine spezifische Kernänderung eintreten. Uns will es wahrscheinlicher dünken, dass eine Zellgruppe durch die Reize und Bedingungen ihre Lage zu einer spezifischen Funktion veranlasst wird, und dass nun diese Funktion, wenn sie von ge- nügender Intensität und Dauer ist, auch die Kernsubstanz einseitig macht. weil immer nur einige oder eins ihrer Elemente und dies im Übermaß zur Betätigung gezwungen ist. Möglich, dass dieses Element wächst und die anderen verdrängt oder wenigstens zurück- drängt. Wir belassen es bei der Feststellung der Möglichkeit, dass einseitige Funktion eine mit der Totalität der Krbanlagen ausge- rüstete Zelle ebenso spezialisieren kann, wie ein spezieller Beruf einen zunächst für alles Mögliche geeigneten Menschen in eine als- dann allein beherrschte Richtung drängt. Erklären sich in dieser Weise die Tatsachen, die eine Kernsomatisierung wahrscheinlich machen, nicht ebenso gut? Im Grunde genommen ist ja auch Rignano’s Erklärung eine ganz ähnliche, auch er muss die ner- vösen Ströme, die mit den funktionellen Reizen identisch sind, als Hauptgrund der Somatisierung anführen. Dazu kommen bei seiner Theorie allerdings vor Erreichung des ausgebildeten Zustandes die nervösen Ströme der Zentralzone. Doch sollen auch die von diesen Strömen abgesetzten Elemente wie alle anderen später durch die- Becher, Zentroepigenese? 997 fenigen, die der definitiven Funktion entsprechen, verdrängt werden (efr. 1907, S. 95). Beachtet man lediglich die Wirkung der einseitigen Funktion, so findet das Hauptargument für die Kernsomatisierung — nämlich die Abnahme der Regenerationsfähigkeit mit dem Alter (efr. 1907, S. 99) — eine völlig hinreichende Erklärung. Die Verschiedenheit der Kernstruktur (1908, S. 252) in verschiedenen Geweben erklärt sich auf diesem Wege ebenfalls ın befriedigender Weise. Auch ist diese Verschiedenheit gar nicht so groß, wie es Weismann’s Vorstellung über die Kernsomatisierung, wie auch Rignano’s Mei- nung, erwarten lassen. Betrachtet man die zahllosen und wirklich beträchtlichen Verschiedenheiten, die der Zelleib in den verschie- denen Geweben aufweist, so kann einem vorurteilsfreien Beobachter an der Kernstruktur nur deren relative Konstanz auffallen. Dem- entsprechend scheint mir auch Weismann’s Argumentation zu schrof. Weismann folgert: „Das Chromatin ist imstande, der Zelle, in deren Kern es liegt, einen spezifischen Charakter aufzu- drücken. Da nun die Tausende von Zellen, welche den Organismus zusammensetzen, einen sehr verschiedenen Charakter besitzen, so kann das Chromatın, welches sie beherrscht, nicht das gleiche, es muss vielmehr in jeder Art von Zellen ein verschiedenes sein“ 12), Wir würden statt dessen sagen: die Mannigfaltigkeiten ın Bau und Funktion der Zellen eines Organısmus weisen darauf hin, dass die Kerne dieser Zellen in verschiedener Weise funktionieren, wenigstens wenn man — wozu Grund vorhanden ist — annimmt, dass der Kern die Lebensvorgänge und Gestaltungsprozesse der Zelle be- herrscht. Die Ursache der verschiedenen Funktion der Kerne werden die verschiedenen Bedingungen sein, denen sie ausgesetzt sind. In diesem Gewebe werden diese, in jenem andere Fähigkeiten der Kerne aktiviert werden. Die andauernd einseitige Funktion kann dann eine Änderung in den Kernen selbst hervorrufen. Für die Größe der Änderung gibt es zwei Stufen. Entweder ist die Ände- rung eine so starke, dass auch das Aufhören der Funktion eine Wiederherstellung der ursprünglichen Leistungsfähigkeit der Kerne nicht herbeiführt, oder aber die Änderung schwindet beim Wegfall der spezialisierenden Funktion einigermaßen. Das letztere muss in gut regenerationsfähigen Geweben der Fall sein. Die durch die Verletzung eintretende Unterbrechung der Funktion ist daher eine der wesentlichen auslösenden Ursachen der Regeneration. Auch hier liegt es nahe, einen Vergleich zu ziehen. Dauernde Arbeitslosigkeit wird einen alten, im speziellen Handwerk stumpf- sinnig gewordenen Arbeiter völlig hilflos machen; während jüngere 12) A. Weismann, Das Keimplasma, eine Theorie der Vererbung. Jena, Gust. Fischer, 1892. 538 Becher, Zentroepigenese ? oder elastischere Naturen dadurch veranlasst werden, sich ihrer anderen noch gebliebenen Fähigkeiten zu erinnern und zu bedienen. Es mag SE unseren Darlegungen dem Leser überlassen bleiben, zu beurteilen, ob Rignano im Recht war, wenn er behauptete (1907,.8. 132): „Doch die Präformisten können den Epigenesisten gesenüber noch einen fundamentalen Einwand erheben, auf den letztere bisher vergebens nach einer Antwort suchten, nämlich dass die Epigenese nn Verzicht auf die Kernsomatisierung erfordert. Denn diese beiden Hypothesen vertragen sich durchaus nicht mit- einander. Daraus folgt, dass jede Tatsache oder jeder Grund, der für die Bernsomalisie une spricht, zugleich einen Beweis gegen die Epigenese abgibt. Wie wir aber im vorigen Kapitel gesehen, zwingt uns eine ganze Reihe von Tatsachen und Gründen, deren Wieder- holung en: überflüssig wäre, gerade die Kernsomatisierung als eine unbestreitbare Wahrheit an Unsere Ausführungen dürften uns auch gestatten, den Ausspruch Rignano’s zurückzuweisen (1907, S. 103): „Hat man aber einmal gleiche Kernteilung und allmahliehe Ker nsomatisierung durch einen Yore gang ee Natur zugestanden, so folgt daraus mit Not- he die Hypothese einer "Zentroepigenese. Denn wenn sich die a in den Zellen der verschiedenen Körpergewebe zuletzt vollständig somatisieren, so steht ‘es doch fest, dass ein bestimmter Teil der den Organismus bildenden Kerne sich nicht somatisiert, nämlich derjenige Teil, dessen Aufgabe es ist, den Fortpflanzungs- zellen die Keimsubstanz zu En Und somatisieren sich die ersten Kerne durch einen Vorgang epigenetischer Natur, so muss dieser Vorgang, obwohl er den Gesamtorganismus umfasst, doch die anderen Kerne unverändert lassen. Dies wird aber nur dann möglich sein, wenn dieser Vorgang von Wirkungen abhängig ist, die von der Zone der Keimkerne ausgehen und Ds Betätigung seitens dieser letzteren in einer Weise geschieht, dass die betreffende Keimsubstanz dadurch nieht verändert wird.“ Jene Integrität der Keimkerne kann ebensogut dadurch gewahrt werden, dass sie niemals intensiven Funktionseinflüssen mit Dauer- wirkung ausgesetzt sind. Es ist daher durchaus unrichtig, wenn Rıgnano a. ihrt: „Die Kontinuität der Keimsubstanz, die Spe- zifität der Kerne und die epigenetische Natur des Grestaltungsvorganges der Organismen, diese drei Begriffe, die einzeln, jeder für sich, bei der Mehrzahl der Biologen Beifall finden, schließen also, wenn : gleichzeitig vorhanden sind, den Begriff der Zentroepigenese ein.‘ Prüfung der nach Rignano auf das Vorhandensein einer Zentralzone hinweisenden Momente. tignano hat den Gegensätzen von Präformation und Epi- genese, von präformistischen Keimen und homogener Erbsubstanz, Becher, Zentroepigenese? 539 von erbgleicher Kerpteilung und Kernsomatisierung eine ausführ- lichung Besprechung gewidmet, um die Unzulänglichkeit jener ent- gegengesetzten Annahmen darzutun, und um eine Hypothese als einzige Rettung aus diesen Dilemmata hinzustellen. Wir kamen bei unserer Prüfung dieser Fragen zu dem Ergebnis, dass in der Tat eine Vermittlung zwischen diesen Gegensätzen geboten sei, dass aber solche Vermittlungshypothesen ohne jeden zentroepigene- tischen Charakter diesen Zweck mindestens ebensogut erfüllten, wie Rignano’s Annahmen. Das Bestreben, jene unrichtigen Ex- treme zu vermeiden, liefert also — entgegen Rignano’s Meinung — keinen entscheidenden Grund zur Annahme einer zentroepigene- tischen Entwickelungstheorie. Nachdem wir diese Basis der Zentroepigenese als ungenügend befunden haben, müssen wir nun untersuchen, ob denn andere Er- scheinungen vorhanden sind, die auf das Wirken einer Zentralzone hinweisen. Mit anderen Worten: als Vermittlungsausweg bedürfen wir der Hypothese Rignano’s nicht; aber es könnten vielleicht andere Gründe vorhanden sein, die uns nötigten, neben anderen geraderen Wegen, gerade diesen zu wählen. Wenn man jedoch die Gründe durchgeht, die Rignano ın dem Abschnitt seines Buches: „Erscheinungen, die auf das Vor- handensein einer Zentralzone der Entwickelung hindeuten“ (1907, S.61-- 86), vorbringt, so wird man darin kaum etwas entscheidendes finden. Geben wir kurz den Grundgedanken. Die hohe Bedeutung des Kernes für die morphogenen Prozesse der Protozoen, besonders der Infusorien ist erwiesen. Man kann den Kern daher — wenn man das nicht für überflüssig hält — als die Zentralzone des Protozoenkörpers bezeichnen. Diese Zentralzone kann ihre morpho- gene Wirkung bekanntlich durch einen dünnen Plasmafaden hin- durch äußern. Der Metazoenkörper ist nach neueren Auffassungen (besonders Sedgwick’s, Whitmann’s u. a.) mehr als Syneytium denn als ein Aggregat abgeschlossener einzelner Zellen anzusehen. Zell- brücken, Plasmodesmen, vermitteln den Zusammenhang der zahl- reichen Zellen und Gewebe. Damit erhebt sich die Vermutung, ob vielleicht ım Metazoenkörper "ein ähnlicher das Ganze leitender Teil vorhanden sei, wie ım Protozoenkörper. Früher hat man jede Metazoenzelle mit einem Protozoon verglichen; wenn man es jetzt für richtiger hält, den ganzen durch Zellbrücken vereinheitlichten Metazoenkörper mit einem Einzeller zu vergleichen, so muss man ein Analogon zum Kern des Protozoons suchen. Und das wäre dann die Zentralzone, die nun durch die Zellbrücken hindurch ihre Wirkungen in derselben Weise äußern soll, wie der Kern einer einzelnen Zelle seinen morphogenen (etwa zellhautbildenden) Ein- fluss durch einen dünnen Plasmafaden betätigen kann. Von Vor- XXIX. 34 D40 Becher, Zentroepigenese ? kommen, Anordnung und Größe der Zellbrücken hängt natürlich die Verteilung jener Wirkungen, der „nervösen Ströme* im Orga- nismus ab, und schon allein dadurch sollen sich eine Reihe von Erscheinungen leicht erklären lassen. Das Hochbedeutsame und Beachtenswerte an diesem Gedanken wollen wir durchaus nicht bestreiten. Wir werden unten noch einmal darauf zurückkommen. Wir bezweifeln aber, ob sich die Analogie in der von Rignano präzisierten Weise durchführen lässt. Da werden z. B. H. D. King’s Beobachtungen?) über Regeneration von Seesternarmen angeführt (1907, S. 69). Abgetrennte Seestern- arme leben noch etwa 14 Tage, vermögen aber das ganze Tier nicht zu regenerieren. Dagegen findet Regeneration statt, wenn ein größerer Teil der Scheibe (zuweilen genügt '/,) am Arme bleibt. Die Scheibe oder eins ihrer Organe ist also hier notwendige Be- dingung der Regeneration, genau so wie der Kern bei Protozoen. Nur fragt sich unserer Ansicht nach, ob der notwendige Teil der Scheibe hier in wesensgleicher Weise durch „nervöse Ströme* seine Wirkung äußert. Könnte in diesem Falle die notweudige Bedingung nicht in gröberen Faktoren bestehen? Jedenfalls steht soviel fest, dass Teile der Scheibe das Ganze auch aus dem einfachen Grunde leichter regenerieren könnten, weil sie dem zu regenerierenden Teil ähnlicher sind. Ein Teil der Scheibe enthält Teile des Ringkanals, des Nervenringes, der ringförmigen Blutlakune, der oralen Sinus- und der aboralen ringförmig angeordneten Organe. Dass ein solcher Teil allein imstande ist, eine ganze Scheibe und weiterhin das ganze Tier zu regenerieren, kann uns somit auch ohne Annahme einer zentroepigenetischen Hypothese nicht wundernehmen. Ferner soll die Tatsache, dass der Durchmesser des Regenerates bei Regene- ration eines Armes viel kleiner ist, als derjenige des Stummels, an den sich dasselbe ansetzt, zeigen, dass der die Regeneration leitende Einfluss nicht von dem Querschnitt herkommt, sondern von der Zentralzone herrührt. Aber auch diese Tatsache ist auf andere Weise leicht erklärlich. Um es verständlich zu finden, dass die regenerierte Armspitze zuerst nur an einem zentralen Teil der Wundfläche ansitzt und der dieke Stummel plötzlich in das schmale Regenerat übergeht, braucht man nur zu bedenken, dass die wich- tigsten radiären Organe des Armes, der radiale Wassergefäßkanal, das Nervenband der Epineuralspalte, das tieferliegende Nerven- system, das radiale Blutgefäß und die Pseudohämalkanäle (Sinus) dicht zusammengedrängt liegen, und dass es auf diese wichtigsten Teile bei der Regeneration wohl zunächst ankommt! Endlich wird zu demselben Zweck die von King festgestellte Tatsache angeführt, dass die Regeneration um so lebhafter ist, je 3) Helen Dean King, Regeneration in Asterias vulgaris. Arch. f. Entw.- Mech. Vol. 7, 1898. Becher, Zentroepigenese ? 541 näher der Arm an der Scheibe abgetrennt wurde. Schneidet man einem Seestern (Asierias) alle fünf Arme in verschiedener Ent- fernung von der Scheibe ab, so zeigt sich, dass am meisten ver- kürzte Arme in derselben Zeit am meisten regenerieren. Frei- lich sind die nur wenig verstümmelten Arme wegen der ge- ringen Größe des neuzubildenden Stückes trotzdem früher fertig. Man könnte hier daran denken, dass die Zunahme der Regene- rationsgeschwindigkeit nach der Armbasis zu eine zweckmäßige durch Naturzüchtung hervorgerufene Eigentümlichkeit sei. Bei Ver- letzungen pflegen diese Tiere die Arme nahe dem Ansatz an die Scheibe abzuwerfen, und es wäre nicht unmöglich, dass die überall vorhandene Regenerationsfähigkeit an dieser Stelle gesteigert worden ist. Ich weiß sehr wohl, dass man gegen diese selektionistische Erklärung mancherlei einwenden kann, aber Rignano’s Annahme, dass die Entfernung von der Zentralzone hier die Abnahme der Regenerationsgeschwindigkeit nach der Spitze der Arme zu bedinge, ist doch eben auch nur eine Annahme. Wenn schon dieses Beispiel, dass eine oberflächliche Analogie zu den angedeuteten Vorgängen bei Protozoen darbietet, durchaus keinen Beweis für die Existenz einer Zentralzone gibt, wenn es sogar leicht ist, einige jener Regenerationserscheinungen bei Asterias in anderer näherliegender Weise zu erklären, so kann man von den übrigen Tatsachen, die Rignano für das Vorhandensein einer Zentralzone anführt (1907, S. 70—78), wohl sagen, dass sie nichts beweisen. Rignano behauptet zwar: „Andererseits geht das Vor- handensein dieser gestaltenden Zentralzone fast mit Notwendigkeit aus Roux’ schon früher erwähnten Versuchen über die Bildung halber Froschembryonen hervor“ (l. e., S. 70). In Wirklichkeit aber sprechen diese Erscheinungen wie auch die kopflosen oder andere Halb-, Doppel- und Missbildungen, die Anachronismen der Entwickelung u. s. w. nur dann für eine Zentroepigenese mit ziem- lich „unabhängigen Korrelationsnetzen“ (S. 74), wenn die zentro- epigenetische Annahme schon zugegeben ist. Die ganzen Erörte- rungen Rignano’s in dem angegebenen Abschnitt zeigen höchstens, dass die Zentroepigenese auch mit jenen Erscheinungen wie mit den Deformations- und Quetschungsexperimenten an jungen Em- bryonen und mit den Eigentümlichkeiten der Mosaikeier in Ein- klang gebracht werden kann. Aber wir suchten Erscheinungen, die lediglich durch die Zentroepigenese erklärt werden können. Wenn daher Rignano meint, alle diese Erscheinungen bestätigten „teils direkt, teils indirekt, die Hypothese von der Zentroepigenese mit sich abzweigenden selbständigen Korrelationsnetzen“ (S. 78), so kann das nur in dem Sinne anerkannt werden, dass eine Hypo- these in den Erscheinungen, mit denen sie im Einklang steht, auch Bestätigungen sehen kann; aber es gibt andere Hypothesen, die 34* 542 Becher, Zentroepigenese ? mit denselben Tatsachen in Einklang stehen, und daher ist die Forderung aufzustellen, dass weitere, eine wirkliche Entscheidung gebende Erscheinungen angeführt werden. Rignano ıst Kludklicher in seinen Deduktionen, wenn er Vor- gänge bespricht, die lediglich allgemein auf eine gestaltende Wir- Be von Teilen des Soma auf andere hinweisen: „Spallanzanı a, einem Salamander sechsmal, Bonnet einem anderen acht- mal hintereinander Schwanz und Füße ab, und jedesmal wuchsen die Füße genau in dem früheren Maße nach, ohne irgendwelche Zu- oder Abnahme. Diese Vorgänge beweisen, dass das gestaltende Agens, welches es auch immer sein mag, sich stets außerhalb des gestalteten Teiles befindet, mithin auf die ganze Entwickelung dieses Teiles und während deren ganzer Dauer eine beständige Wirkung ausübt, ferner dass es auch nach vollbrachtem Werke unverändert bleibt, dieses folglich bei jeder günstigen Gelegenheit wieder auf- zunehmen vermag“ (1907, S. 20 und 21). Ohne Zweifel legen solche Tatsachen, ähnlich wie Roux’ Post- generation und die Linsenregeneration aus dem fremden Material der Iris den Gedanken einer „dauernden mittelbaren Fernwirkung“ (l. e., S. 22) des ganzen Organismus auf das Regenerat nahe. Und dass diese Fernwirkung nach Art der morphogenen Kernreize bei Protozoen zu denken sei und durch die Zellbrücken stattfände, ist eine durchaus beachtenswerte Hypothese. Freilich wird man sich auch hier vor voreilig-einseitigen Hypothesen hüten müssen. Neben solchen Zellbrückenreizen können direkte Stoffwechselreize der Zellen des regenerierenden Teiles in Betracht kommen. Schon Roux bemerkt: „Ich nehme an, dass die fortschreitende Differenzierung bei unserer Postgeneration durch direkte assimilierende und: diffe- renzierende Wirkung differenzierter Zellen auf ihnen unmittelbar benachbarte, weniger differenzierte Zellen sich im Raume ausbreitet.“ Gerade die Entscheidung darüber, von wieweit her jene gestaltende Wirkung kommt, ist eine außerordentlich wichtige. Das Experi- ment muss hier entscheiden. Uns scheint es unwahrscheinlich, dass sie von einer oft sehr weit entfernten Zentralzone herkommen soll. Andere Forscher haben an eine vitalistische Erklärung solcher Fernwirkungen gedacht. Th. H. Morgan!*) glaubt, dass es sich in solchen Erscheinungen um die Wirkung von Gewebsspannungen und Störungen derselben handelt. Alle diese Faktoren können bei der Regulierung und Leitung des Regenerationsgeschehens eine Rolle spielen. Weshalb soll man a priori einen davon als allein gültig hinstellen? In komplizierten Fällen, wie in demjenigen der Linsenregeneration von dem Irisrand aus kann man auch nach den 14) Th. H. Morgan, Regeneration, deutsch von M. Moszkowski. 437 S., 77 Fig. Leipzig, W. Engelmann, 1907, S. 386—337. Becher, Zentroepigenese ? 543 neueren Feststellungen höchstens Auslösungsfaktoren dieses merk- würdigen Geschehens angeben. Aber Rignano’s Hypothese gibt dafür auch keine sachliche Erklärung. Wenn kleine Körper- oder Organteile, etwa der Irisrand eine für das Ganze zweckmäßige Re- aktion zeigen, so liegt gewiss der Gedanke nahe, dass sie zu dieser Tätigkeit auch vom Ganzen oder dessen Repräsentation in einer Zentralzone angeregt werden. Andererseits müsste man dann an- nehmen, dass der Gesamtorganismus oder die Zentralzone den Mangel gleichsam überbliekt und die Mittel zur Hebung derselben darauf- hin zwecktätig setze. Wenn man in solchen Fällen nicht die histo- rische Betrachtung zu Hilfe heranziehen wollte, so würde man danach dem Organismus eine Reaktionsfähigkeit von so hoher Zweck- mäßigkeit zuschreiben, dass es wieder unverständlich wäre, wie man (auch z. B. bei der Linsenregeneration) durch kleine Variationen des Experimentes die zweckmäßige Reaktion in eine unzweckmäßige verwandeln kann. So scheint es mir denn auch in solchen Fällen am besten, zu- nächst einen Versuch mit den Potenzen der Organteile selbst zu machen. Und ganz so hoffnungslos, wie es gern dargestellt wird, liegen die Dinge nicht einmal bei der Linsenregeneration von Triton. Es ist z. B. leicht verständlich, dass die Iris durch das Fehlen der Linse auch normaler Bedingungen und Reize für die Erfüllung ihrer Aufgabe verlustig geht. Weiterhin ist nicht schwer verständlich, dass daraufhin eine Entdifferenzierung eintritt, weil Aufhören der normalen spezialisierenden Bedingungen — wie wir erwähnten — in diesem Sinne wirken muss. Der Pigmentverlust ist aber viel- leicht nur eine Folge dieser Entdifferenzierung. Wucherung des Irisrandes kann aber gleichfalls vielleicht die Folge der Zurück- versetzung in den embryonalen Zustand sein. In der Tat tritt ja auch zunächst Wucherung am ganzen Irisrand auf. Jedenfalls kann ınan diese Wucherung des ganzen Randes noch nicht als etwas sehr zweckmäßiges ansehen. An einer Stelle, nämlich dem oberen Irisrand, wird diese Wucherung dann stärker. Wenn hier auch, wie neuere Versuche gelehrt haben, nicht einfach die Schwerkraft den lokalisierenden Faktor bildet, so wiederstrebt doch auch diese Tatsache der Beschränkung stärkerer Tätigkeit nicht einer rein physiko-chemischen Erklärung. Dann hätten wir also einen durch Wucherung verdickten zweiblätterigen Auswuchs vor dem Augen- becher. Dass aber nun dieser zweischichtige Auswuchs vor dem fertigen Augenbecher, von dessen Rand ja auch in der Ontogenese der Anstoß zur Linsenbildung vermittelt zu werden scheint, sich gerade so differenziert wie das zweischichtige Linsensäckchen vor dem embryonalen, ist durchaus nicht wunderbarer (sondern einfacher) als die typische Ausgestaltung der Regenerationsknospe vor dem Stummel eines fertig entwickelten Beines. 544 Agassiz ete., Internat. Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. Wir glauben daher, dass die Schwierigkeiten gerade dieses Regenerationsvorganges übertrieben worden sind. Wir glauben hier ohne mehr oder weniger rätselhafte Fernwirkungen auszu- kommen. Anders liegen die Dinge bei den Korrelationserschei- nungen zwischen entfernten Organen. Aber es ist in der letzten Zeit gelungen, auch darüber etwas Licht zu verbreiten. Die Be- di anaen über innere Sekretion haben uns hier eine Vorstellung über das Substrat jener Fernwirkung und Übertragung en An Stelle der hypothetischen Verzweigungsnetze für nervöse Ströme der Zentralzone tritt die Bildung von Substanzen mit lokalisierter Reaktion. Man kann hier als Analogie die „Lokalreaktion“ von Giftwirkungen anführen. Wie der Pharmakologe oder experimen- telle Mediziner mit den Wirkungen seiner Substanzen ganz be- sondere Gewebe oder das besondere Eiweiß von Parasiten treffen will, so trifft der Organismus mit seinen komplizierten Produkten mit Sicherheit die richtige Stelle. Die experimentelle Therapie muss, wie Paul Ehrlich sagt, „zielen lernen“; der Organismus gibt im normalen und zum Teil auch im pathologischen Geschehen Beispiele von größter Treffsicherheit bei seiner Wirkung mit den von ihm erzeugten Antikörpern oder ähnlichen Produkten. (Schluss folgt.) Internationale Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. Unter Mitwirkung von A. Agassiz, C. Chun, F. A. Forel, V. Hensen, R. Hertwig, A. Fürstv. Monaco, 8.J. Murray, F. Nansen, O. ne A. Weismann herausgegeben von B. Helland-Hansen (Bergen), G. Karsten (Halle), A. Penck (Berlin, ©. Wesenberg-Lund (Hilleröd), R. (Leipzig) und F. Zschokke (Basel); redigiert von R. Woltereck. Verlag von Dr. W. Klinkhardt, Leipzig. I. Bd., XXII + 900 p. mit 148 Fig. im Text und 25 Tafeln und Karten. Leipzig 1908. Dazu als Supplement: Jahresüber- sicht der hydrographischen und hydrobiologischen Literatur für das Jahr 1908. 76 p.: Limnographie, Ozeanographie, Süßwasserbotanik, Marine Botanik, Angewandte Hydrobiologie (Abwässer und Wasserversorgung), Süßwasser- zoologie (exkl. Vertebraten)'). Die neue Zeitschrift, deren erster Band nunmehr abgeschlossen vorliegt, dürfte ın einer "glücklichen Stunde ins Leben getr eten sein: denn gerade jetzt hat alle für sie in Frage kommenden Faktoren eine so lebhafte Bewegung ergriffen, dass die Forderung, ein ihnen allen gemeinsam dienendes rg san zu schaffen, ın der Luft lag. Niemand wird in Abrede stellen wollen, dass gegenwärtig speziell die biologischen Disziplinen so wesentlich indirekt wie direkt den 1) Im Druck befinden sich und werden dem II. Bande beigegeben werden: Marine Zoologie (exkl. Vertebraten), Fischkunde und Fischerei des Meeres und Süß- wassers, mit Anhang: Aquarienkunde, Potamologie mit: Moorkunde, Thermen und Höhlengewässer. Agassiz ete., Internat. Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. 545 Fortschritt der angewandten Wissensgebiete bedingen, dass sie voraussichtlich bald eine Rolle spielen werden, die jener der exakten Wissenschaften, im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts be- sonders, nicht nachsteht. Im Rahmen der Revue würde sich das Gesagte vor allem auf die angewandte Gewässerkunde beziehen: Hydrologie, Fischerei- wesen, Abwässerkunde. Hier ist es für jeden, der einigermaßen die Dinge kennt, klar, dass wir aus den ersten tastenden Anfängen einer wissenschaftlichen Grundlegung jetzt in ein Stadium der „brauch- baren Resultate“, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, gelangen, — auf dem einen Gebiete mehr, auf dem anderen weniger. Es ıst gewiss, dass ein solcher Fortschritt immer das Produkt einer weit- gehenden Spezialisierung der Forscher ist. Und ebenso gewiss ist es, dass sich dabeı stets das Bedürfnis einer ebenso intensiv aus- greifenden Herstellung und. Aufrechterhaltung des Zusammen- hanges mit den integrierenden Nachbargebieten ergibt für jeden, der nicht sich und sein Arbeitsland einem öden und sterilen Nichts- als-Spezialistentum anheimfallen lassen lassen will. Daher wird gerade hier das Bedürfnis, ein der Synthese dienendes Organ zu besitzen, täglich größer. Wir haben ältere, speziell der Synthese der biologischen Dis- zıplinen dienende Zeitschriften, deren Gedeihen der beste Beweis für ihre Notwendigkeit ıst, ebenso dafür, dass auch die theoretischen Disziplinen sehr einer solchen bedürfen, um sich ständig frisches Leben zuzuführen. Hier tritt .die neue Zeitschrift mit Zielen auf den Plan, die in der Weise bisher noch ın keinem wissenschaftlichen Organ ver- wirklicht worden sind. Die Herausgeber beabsichtigen, vor allem sich die Förderung der Synthese unseres biologischen und hydro- graphisch-geologischen Wissens von den Gewässern angelegen sein zu lassen. Wo uns das Wasser als geologisch gestaltender Faktor begegnet, ist es zugleich Lebensmedium und umgekehrt. Seitdem die Hydrobiologie aufgehört hat, bloße Systematik und Biogeographie (z. T., wie in den Planktonlisten, die eine gewisse Kategorie von Feld-, Wald- und Wiesen-„Naturforschern® zu produzieren den Drang fühlt, von recht zweifelhaftem Werte!) zu sein, seitdem die Forschung ein Hauptgewicht auf das Eindringen über das Bloß- deskriptive in die kausalen — sagen wir mit Verworn und prä- ziser: konditionalen —, Momente der Gestaltung, Verbreitung und Lebensweise der Wasserbewohner legt, — seitdem muss der Bio- loge sich das wissenschaftliche Rüstzeug zugänglich zu machen wissen, das ihm das Verständnis der Physik, Ühemie und Geologie der Gewässer ermöglicht und ıhn über die ın Betracht kommenden Fortschritte dieser Disziplinen auf dem Laufenden erhält. Und der Hydrograph, mag er nun vom Standpunkte des Physikers, Chemikers oder Geologen aus theoretische oder praktische Hydrographie treiben, muss weit mehr, als bisher — im Durchschnitt wenigstens —, bio- logisch arbeiten und denken, muss sich die Universalität eines Darwin zum Muster dienen lassen, wenn er wirklich tiefer ın 546 Agassiz ete., Internat. Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. seinen Gegenstand eindringen und unsere Kenntnis prinzipiell fördern will. Nur kann eben nicht mehr, wie es früher vielleicht noch bis zu einem Grade möglich war, diese synthetische Vor- und Durcharbeit jeweils von einem einzelnen geleistet werden. Und selbst auf rein biologischem Gebiete verhält es sich so. Z. B. gilt das für die Beziehungen der marinen zur Süßwasser-Hydrographie (Biologie und abiologische Disziplinen inbegriffen). Das Meer, der uralte und unerschöpfliche Schoß des Lebens hat, wie die Heraus- geber treffend hervorheben, in seinen z. T. mit großer Treue be- wahrten ursprünglichen Verhältnissen eine große Bedeutung für den Süßwasserbiologen, dessen Arbeitsgebiet wieder für den Ozeano- graphen (im weitesten Sinne) den Wert eines „Versuchsaquariums“ besitzt. Wir hielten es für angebracht, den Leser mit dem Vorstehenden ausdrücklich über die Absichten der Herausgeber der neuen Zeit- schrift zu unterrichten. Denn nur so wird der gleich kurz zu skizzierende Inhalt der Revue (wir denken vor allem an die Original- beiträge) als durchaus in ihren Rahmen gehörig verstanden werden können. Wir möchten einer Stimme der referierenden zoologischen Literatur gegenüber, die uns die Aufgaben der Revue nicht richtig erfasst zu haben scheint, das alles besonders hervorgehoben haben ’?). Und zwar gerade, weil die Herausgabe so gearteter Zeitschriften eine Sache von prinzipieller Bedeutung und ein Symptom für die Bedürfnisse der Wissenschaft und dies speziell für die „arbeits- methodischen“ ihrer Vertreter ist. Hatten wir doch eigentlich bisher nur im Biol. Centralblatt eine ebenfalls bewusst stark in den Dienst streng wissenschaftlicher Synthese eines allerdings anders umgrenzten Gebietes, eben der gesamten Biologie, gestellte Zeitschrift. Wir meinen nun, dass solche Zeitschriften außer der oben an- gedeuteten noch eine andere nicht zu unterschätzende Bedeutung haben, die uns wert scheint, hier hervorgehoben zu werden. Denn sie bedingt, dass die Herausgeber in der Tat die Grenzen sehr weit bei der Auswahl dessen, was ihnen als der angestrebten Synthese dienlich erscheint, zu ziehen haben. Und wir begrüßen mit größter Genugtuung die Art, wie das in dem vorliegenden ersten Bande geschehen ist. Zeitschriften wie die neue Revue erfüllen nämlich unseres Erachtens die wichtige Aufgabe, dem in ihrem Arbeits- gebiet tätigen nicht nur Zeit, sondern, was leider doch vielfach ebenso rar ist: Geld zu sparen. Es ist ja für die meisten — halten wir uns an den konkreten Fall —, der marinen oder Süßwasser- biologie dienenden Institute ganz unmöglich, alle die Zeitschriften und Sonderpublikationen auf einmal, letztere wenigstens bald nach ihrem Erscheinen zu beschaffen, deren Kenntnis wünschenswert ist. Und erst recht geht es so dem privatım sich diesem Arbeitsgebiet widmenden Forscher?). Wir möchten an dieser Stelle daher aus- 2) Im Zool. Centralbl. Bd. 16, 1909, p. 171. 3) Wir denken dabei — es betrifft uns zufällig persönlich —, auch an die wissenschaftlichen Mitglieder solcher Institute, die vorwiegend andere Gebiete, etwa Agassiz ete., Internat. Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. 547 drücklich dem Wunsche Ausdruck verleihen, dass die Herausgeber sich nicht abschrecken lassen mögen, auf dem bisher bei der Um- grenzung des für die Aufnahme von Originalbeiträgen in Frage kommenden Gebietes eingeschlagenen Wege zu verharren. Sie werden damit allgemein berechtigten Dank ernten. Nichts kann willkommener sein als die Konzentrierung der literarischen Arbeitsmittel. Wir hoffen, dass sie es noch einmal ermöglichen wird, das Netz der kleinen staatlichen und privaten biologischen Stationen so weit auszudehnen und so zu verdichten, wie es ım Interesse intensiver Förderung unseres biologischen Wissens so dringend erforderlich ist. Wir müssen uns wieder ständig mehr von den Rieseninstituten losmachen, die neben vielen Vorteilen, die ein geschickter Forscher durch mancherlei persönliche Quali- täten oft zu ersetzen vermag, auch viele Nachteile haben, die meist allein schon in ıhrer Lage mitten in recht „abiologischen* Verkehrsmilieus fühlbar zutage treten. Wir denken, dass mit der Vereinfachung, mit dem „Handlicherwerden“ des wertvollsten, aber am schwierigsten zu vereinfachenden Arbeitsmittels, eben dem Lite- rarıschen, der Schaffung kleiner Stationen — besser noch: einfacher, isolierter Arbeitsstellen —, vortrefflich der Weg geebnet ist. Anschließend an das eben Gesagte wird es nützlich sein, die Gestaltung des referierenden Teiles der neuen Revue näher zu betrachten, der uns ebenfalls aufs glücklichste das Ziel einer mög- lichst weit ausgreifenden Synthese der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie zu erstreben scheint. Wir wollen weiter unten dem Leser ein Bild von dem Charakter der Originalbeiträge zu ver- schaffen suchen. Bei der Besprechung des referierenden Teiles der Zeitschrift müssen wir uns natürlich mit kurzen Andeutungen be- gnügen. | Heben wir das Wichtigste an erster Stelle hervor: die Jahres- übersicht der hydrographischen und hydrobiologischen Literatur für das Jahr 1908! Mit dieser füllt die Zeitschrift eine seit langem sehr schmerzlich empfundene. Lücke aus. Vor Jahren geriet, kaum dass die Hoffnung auf einen, z. T. wenigstens ähnlichen, Jahres- bericht erweckt worden, das betreffende Unternehmen sofort und anscheinend definitiv ins Stocken. Wir können der Redaktion der Revue und ihrem Mitarbeiterstabe für die außerordentlich mühsame und ın gleichem Maße wertvolle Zusammenstellung nicht dankbar genug sein. Treten wir nur einmal vom zoologischen Standpunkte an den Bericht heran: mit wie vielen Arbeiten, die für uns. wichtig und lesenswert sind, macht uns der Bericht nicht bekannt, die wir, der Natur der Sache nach, in keinem unserer vorzüglichen Fach- jahresberichte und referierenden Zeitschriften erwähnt finden würden! Und sind, selbst ın einem der hervorragenderen akademischen Zentren, dem Zoologen die ozeanographischen u. s. w. Literatur- Pflanzenpathologie, pflegen und daher bei der Anschaffung zoologischer und bota- nischer Zeitschriften und Werke nicht auf die privaten wissenschaftlichen Interessen, die jene nicht vernachlässigen möchten, viel Rücksicht nehmen können. D48 Agassiz ete., Internat. Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. berichte etwa gerade immer zugänglich? Und hat er Zeit, das aus der Menge von speziellen Arbeiten herauszuschälen, was die Hilfs- wissenschaft für ıhn an wertvollen neuen Tatsachen gefördert hat? Das ıst selbst bei der umfassendsten Vorbildung und einer nur wenigen Glücklichen zuteil gewordenen Muße einfach ein Ding der Unmöglichkeit! Die Auswahl der ım Jahresbericht berück- sichtigten Arbeiten ist mit großer Sorgfalt vorgenommen worden. Bei Arbeiten, die nicht als Einzelreferate ın dem speziell-referierenden Teil der Zeitschrift erschienen sind oder erscheinen sollen, ıst der Inhalt kurz und doch ausreichend charakterisiert worden. Das tatsächlich erreichte Resultat ıst nun, dass die Revue eine Bekanntschaft mit sämtlichen ım Laufe des Jahres erschienenen, irgend nennenswerten Arbeiten auf dem Gesamtgebiet der Natur- wissenschaft der Gewässer vermittelt. Damit allein dürfte die Revue sich überall einen sicheren Platz erobert haben, wo irgendwelche Beziehungen zu diesem Gebiete gepflegt werden. Und gewiss werden uns die Leser dieser Zeitschrift gern darin zustimmen, dass die Biologie nie sich wieder so, wie in früheren Zeiten, von der Natur- geschichte der Wasserbewohner wird emanzipieren dürfen. Häckel hat das einmal gesprächsweise sehr treffend in einem scheinbaren Paradoxon ausgedrückt: Von zwei absolut genommenen gleich- wertigen Entdeckungen würde er stets die an einem Wasser- bewohner gemachte für die wertvollere ansehen! ”4yıorov user Böwo! Der Bericht ist übrigens noch nicht vollendet; wie oben be- merkt, werden die weiteren Abschnitte in einem der nächsten Hefte erscheinen, ebenso das für die schon erschienenen Nachzutragende. Die Limnographie umfasst vorläufig 51, die Ozeanographie 113, die Süßwasserbotanik 152, die marine Botanik 115, die angewandte Hydrobiologie 53, die Süßwasserzoologie (exkl. Vertebr.) inkl. allgem. biolog. Schriften 260 Nummern. Im übrigen möchten wir auf die wertvollen „Berichte und Sammelreferate“ aufmerksam machen. Wir nennen nur zwei um- fangreiche, mit zahlreichen Kartenskizzen ausgestattete Berichte über den Scottish Lake Sur vey von Scourfield und von Collet, einen Bericht über die marine “Forschung ın Oesterreich von Oori, ein Sammelreferat über die Resultate der zoologischen Erforschung hochalpiner Wasserbecken seit 1900 von F. Zsch okke, einen Bericht von G&za Entz jun. über die biologischen Resultate der Balaton- forschung, fortgesetzte Sammelreferate aus dem Gebiete der Aquarien- kunde aus der Feder verschiedener Autoren u. a. Ueber das gesamte Instituts- und Stationswesen, Arbeits- bedingungen, Vorlesungen und Kurse werden ausführliche Notizen und Anzeige .n fortlaufend gebracht, vorwiegend von den betreffenden Institutsleitern. Also auch über dieses wichtige Gebiet wird der Leser, selbst wenn er weitab von jedem, einen persönlichen Konnex mit den Fachgenossen ermöglichenden Orte seine Arbeitsstätte auf- geschlagen hat, dauernd auf das zuverlässigste orientiert. Wir gehen zum Schlusse dazu über, die Originalbeiträge, die der vorliegende erste Band bringt, kurz anzuzeigen. Wir bemerken Agassiz etc., Internat. Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. 549 zuvor, dass die Zeitschrift unter der Rubrik: Notizen und Zu- schriften kurze, meist möglichst eines umständlichen literarischen Apparates entkleidete Mitteilungen bringt, die etwa den Charakter vorläufiger Mitteilungen tragen, “jedoch weniger als diese prioritäts- rechtliche Prätensionen einschließen und insofern erquicklicher zu lesen sind. Es wird damit eine Art wissenschaftlicher Sprechsaal, — ım besten Sinne des Wortes geschaffen. Jedenfalls scheint uns dieser Publikationsmodus in einer Zeit der Vielschreiberei, die be- sonders bei uns in Deutschland dazu geführt hat, dass die Arbeiten nach der Elle gemessen und — geschrieben werden, sehr zu be- grüßen sein. Vielleicht wird seine Pflege dahin führen, dass man sich dieser kürzeren Publikationsform mehr zuwendet, die schnell und sicher den Leser erkennen lässt, was denn der Schriftsteller nun eigentlich selber beobachtet hat oder sagen will. Wir geben nun — das wird dem Leser ja wohl am schnellsten einen Ueberblick verschaffen —, zunächst ein Verzeichnis der in dem vorliegenden Bande veröffentlichten Originalarbeiten: Weismann, A., Eine hydrobiologische Einleitung. Murray, J., The distribution of organisms in the hydrosphere as affected by varying chemical and physical conditions. Hertwig, R., Ueber die Bedeutung der Stationen für Süßwasserbiologie. Issel, R., Sulla biologia termale (Con particolare riguardo alla fauna). Gran, H. H. u. Nathanson, A., Beiträge zur Biologie des Planktons. I. Na- thanson, A., Ueber die allgemeinen Produktionsbedingungen im Meere. Fischel, A., Untersuchungen über vitale Färbung an Süßwassertieren, insbesondere bei Cladoceren. Klausner, C., Jahreszyklus der Fauna eines hochgelegenen Alpensees. Götzinger, G., Der Lunzer Mittersee, ein Grundwassersee in den niederöster- reichischen Kalkalpen. I. Teil: Morphologie, Wasserhaushalt und Strömungen. Lohmann, H., Ueber die Beziehungen zwischen: den pelagischen Ablagerungen und dem Plankton des Meeres. Götzinger, G., Der Lunzer Mittersee ete., II. Teil: Thermik und Vereisung. Walter, C., Einige allgemein-biologische Bemerkungen über Hydracarinen. Klausener, C., Die Blutseen der Hochalpen. Eine biologische Studie auf hydro- graphischer Grundlage. Forel, F. A., L’eau des lacs, eau d’alimentation. Benecke, W., Ueber die Ursachen der Periodizität. Helland-Hansen, B., Die Austernbassins in Norwegen. Wesenberg-Lund, Mitteilungen aus dem biologischen Süßwasserlaboratorium Frederiksdal bei Lyngby (Dänemark). I. Die littoralen Tiergesellschaften unserer größeren Seen. Thomann, J. und Bally, W., Biologisch-chemische Untersuchungen über den Arnensee. Krätzschmar, H., Ueber den Polymorphismus von Anuraea aculeata Ehrbe. Amundsen, R., Die Probleme des Nordpolarbeckens. Dakin, J. Wm., Notes on the Alimentary Canal and Food of the Copepoda. Zschokke, F., Beziehungen zwischen der Tiefenfauna subalpiner Seen und der Tierwelt von Kleingewässern des Hochgebirges. Thilo, O©., Luftdruckmesser an den Schwimmblasen der Fische. Strohl, H., Polyphemusbiologie, Cladocereneier und Kernplasmarelation. Bee Uebersicht zeigt, wie außerordentlich mannigfach schon im ersten Jahre ihres Br bemene die ın den lmen! der Revue 550 Agassiz ete., Internat. Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. gehörigen Arbeiten sein können und müssen. Dass auch bei den, kompliziertere Verhältnisse erörternden Originalbeiträgen möglichste Kürze von seiten der Autoren erstrebt wurde, gereicht dem Ganzen nur zum Vorteil. Der Grundgedanke des Weismann’schen Geleitwortes ist die Nutzbarmachung der Süßwasserforschung für die Bearbeitung deszendenztheoretischer Probleme, für die ın der größeren Ueber- sichtlichkeit der Lebensbedingungen, besonders ın kleineren Süß- wasserbecken, entschieden sehr günstige Bedingungen gegeben sind. Weismann gibt zuversichtlich der Erwartung Ausdruck, dass die Frucht solcher Untersuchungen das Verständnis der Artbildung als eines auf langsamen und direkt für uns unmerklichen Veränderungen der Anpassung beruhenden Prozesses sein werde. Es würde sich zeigen, dass die sprungweisen Variationen nur eine unbedeutende Rolle spielen. Murray hat ein interessantes Essay über die Verteilung der Wasserbewohner als Produkt der chemischen und physikalischen Lebensbedingungen beigesteuert. Das kohlensaure Ammoniak (als Endprodukt "animalischer Aufspaltungen) wird bei Gegenwart von schwefelsaurem Kalk im Seewasser in kohlensauren Kalk und Ammoniumsulfat umgesetzt. Dieses letztere wırd von der marinen Flora assımilıert, die wieder die Nahrung der Fauna bildet. Schließlich wird es ın Nitrate und freien Stickstoff, wahrschein- lich durch denitrifizierende Bakterien aufgespalten. Murray spricht die Hoffnung aus, dass die zur näheren Erforschung dieser Verhältnisse nötigen Arbeiten durch die neue Revue reiche Förde- rung erfahren werden, deren Erscheinen eine neue Aera in der Geschichte unserer Kenntnis der Hydrosphäre zu eröffnen be- rufen sei. R. Hertwig verbreitet sich speziell über die Aufgaben der Süßwasserstationen, die ihnen aus ıhrem besonderen Geeignetsein für experimentelle biologische Laboratorien erwachsen. Von größtem Vorteil erweist sich da die erhebliche Lebenszähigkeit der Süß- wasserfauna und die Gleichförmigkeit ihrer Existenzbedingungen. Die Erforschung der Periodizität der Fortpflanzungsvorgänge er- öffnet fruchtbare Perspektiven für Probleme der allgemeinen Zellbio- logie und der Morphogenese. Uebersichtlichkeit des Arbeitsobjektes, der Süßwasserfauna, die Möglichkeit, kostspieligere Spezialeinrich- tungen, die für hydrobiologische Arbeiten notwendig sind, zu be- schaffen und zu unterhalten, während solche von den ohnehin — leider! — mit sehr bescheidenen Mitteln arbeitenden Universitäts- instituten den Forschern nur in den seltensten Fällen würden zur Verfügung gestellt werden können, das alles sind Momente, welche Hertwig veranlassen, vor allem die Bearbeitung der angedeuteten Fragen den Süßwasserlaboratorien zuzuweisen. Sehr mit Recht hebt er hervor, dass rein faunistische und morphologische Arbeiten erst in zweiter linie kommen dürfen, wenn die Ausnützung der- artiger Arbeitsstätten so intensiv als möglich betrieben werden soll. Und auf eine solche drängt allerdings die praktische wie die theo- Agassiz ete., Internat. Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. 551 retische Bedeutung der experimentell-biologischen Probleme mit aller Entschiedenheit. Raffaele Issel widmet der Biologie der Thermen einen interessanten Aufsatz. Die Nachprüfung einer Reihe älterer An- gaben ist sehr wertvoll. Selbst in sehr heißen Thermalgewässern lebt eine überraschend mannigfaltige Fauna und Flora. Protozoen wurden noch in 54grädigen Quellen, einige Beggiatoa-Arten in den Thermen Nordamerikas sogar bei 89° C. gefunden. Gran und Nathanson behandeln Fragen aus dem großen und noch so wenig — trotz allen Bemühens — gekannten Gebiete der Biologie des Planktons. Der letztgenannte Autor gibt eine sehr lesenswerte Auseinandersetzung über die allgemeinen Pro- duktionsbedingungen im Meere, die in der Aera der Pütter’schen Arbeiten von vornherein und unter allen Umständen Anspruch auf Beachtung erheben darf. Das wesentliche Ergebnis ist die Er- kenntnis, dass überall an der Oberfläche des Meeres ein intensives Pflanzen- und Tierleben sich entwickelt, wo, — sei es von der Küste, sei es aus den Zonen des Bathos, — planktonarmes Wasser zuströmt, dem noch nicht von phytoplanktonischen Organismen Nahrung entnommen worden ist. Bewegt sich dieses Wasser an der Oberfläche weiter, so wird es ziemlich schnell wieder plankton- arm, — nicht weil seine Nährstoffe erschöpft würden, sondern weil die herabgesetzte Produktionsgeschwindigkeit dem intensiven Ver- “ brauch von Pflanzensubstanz nicht das Gleichgewicht zu halten vermag. Jeder Hydrobiologe wird es begrüßen, dass die Revue ıhm die, an weniger allgemein zugänglicher Stelle publizierten, schönen und für die Untersuchungstechnik pelagischer Organismen generell-wich- tigen „Untersuchungen über vitale Färbung von Süßwassertieren, insbesondere bei Cladoceren“ von A. Fischel im einer Original- abhandlung zugänglich macht. Die neuen Färbungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, ermöglichten nicht nur ein sehr bequemes Studium des Nervensystems, sondern machten den Autor auch auf zwei bisher wenig gekannte (wenn auch nicht völlig übersehene! Ref.) drüsige Organe aufmerksam, die wahrscheinlich im Dienste der inneren Sekretion stehen. An den Kiemen konnten vital-färberisch anatomisch völlig gleichwertige Zonen, die sich wahr- scheinlich physiologisch verschieden verhalten, differenziert werden. Klausner berichtet über‘den Jahreszyklus des 2230 m hoch in den Graubündener Alpen gelegenen Raschlisees. Götzinger bringt eine Monographie des merkwürdigen, durch die junge Station für alle Biologen in den Kreis ihres Interesses gerückten Lunzer Mitter- sees, — eine klassische hydrographische Arbeit, aus der der Bio- loge viel für seine Arbeiten, gerade wenn er sonst wenig Gelegen- heit hatte. praktisch-hydrographisch zu arbeiten, lernen kann. Lohmann weist in seiner Arbeit über die Beziehungen zwischen den pelagischen Ablagerungen und dem Plankton des Meeres, die gewaltige Bedeutung einer seit längerer Zeit arg vernachlässigten Kalkalgenfamilie, der Coccolithophoriden, für den marinen Ablage- rungsprozess nach. 559 Agassiz ete., Internat. Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. Beiträge zur Biologie der Wassermilben (Tiefenverbreitung, stenotherme und eurytherme Formen, Anpassung an fließendes Wasser, Entw ickelungsgeschichte) bringt eine Arbeit von ©. Walter. Klausner gelangt in seiner Arbeit über die hochalpinen „Blut- seen“ zu dem sehr interessanten Resultat, dass die Entwickelung roter Pigmente durch die Bewohner der merkwürdigen Tümpel, ähnlich dem Rubinglasfenster der Dunkelkammer, den Zweck hat, die chemisch-aktiven Strahlen abzuhalten, die bei der außerordent- lich intensiven Insolatıon leicht eine verderbliche Wirkung entfalten würden. Forel untersucht eine Frage von großer hygienischer Bedeu- tung, ob nämlich das Wasser der Seen prinzipiell ein gutes Trink- wasser ist. Diese Fr age ist mit Entschiedenheit zu bejahen, denn die Gefahr einer Infektion durch Krankheitserreger besteht nicht, und chemisch wie physikalisch steht das Quellwasser hinter dem Seewasser hinsichtlich des gedachten Zweckes zurück. W. Bennecke führt ın seiner Arbeit das Einsetzen von Vege- tation und Fruktifikation bei Spirogyra auf die Variationen der Bestrahlung und die Zufuhr von stickstoffhaltigen Nährstoffen zurück. Von großem allgemeinen Interesse ist die Abhandlung von B. Helland-Hansen über die Austernbassins in Norwegen. Er schildert zunächst das Prinzip der norwegischen Austernkultur und wendet sich dann einer eingehenden Darstellung der Hydrophysik und -Chemie der Austernbassins zu. Schließlich wird die praktische Bedeutung der in den Austernbassins realisierten hydrographischen Verhältnisse für die Austernkultur besprochen. Einen wichtigen Beitrag zur Lehre von der Anpassung stellt die Arbeit Wesenberg-Lund’s über die lıttoralen Tiergesell- schaften der größeren Seen dar. Es wird speziell eine nähere Charakteristik der Tiergesellschaften des Brandungsufers gegeben, die in eine Steinfauna und eine Sandfauna sich scheiden lassen. Abflachung des Körpers und Beschwerung (durch Aufkleben von Steinen auf die Gehäuse), weiter Bau von Steingalerien und Höhlen, Differenzierung außerordentlich starker Anklammerungsorgane, Ver- minderung des Bedürfnisses nach atmosphärischer Luft sind die hervortretenden Eigentümlichkeiten der spezifisch angepassten Bran- dungsbewohner. Sie sind sämtlich als dem fließenden Wasser an- gehörig wohlbekannt. So wird es erklärlich, dass sie in Dänemark sich auf das Brandungsufer der größeren Seen zurückgezogen haben, nachdem die ehemals mächtigen dänischen Ströme zu wenige Meter breiten Bächen obliteriert sind. Thomann und Bally geben eine interessante biologisch-che- mische Charakteristik des 1538 m hoch im westlichen Kanton Bern gelegenen Arnensees. "Die umfangreichen variationsstatistischen und experimentellen Untersuchungen Krätzschmar'’s ergeben, dass „weder Temperatur- unterschiede und die damit verbundene Viskosität des Wassers, noch Ernährungs- und Lichtverhältnisse auf die Gestalt der Anuraeen bestimmend einwirken können“. Damit ist der Reihe der Skeptiker Agassiz ete., Internat. Revue der gesamten Hydrobiologie und Hydrographie. 553 gegenüber den Ostwald’schen, doch wohl nicht ganz kritisch aus- gewerteten Experimenten ein neuer Autor beigetreten, dessen Worte Beachtung verlangen können. „Dagegen lässt sich mit Sicherheit erkennen, dass das Leben der Spezies Anuraea während eines Jahres- laufes gewissermaßen von zweı einander parallelen zyklischen Er- scheinungen beherrscht wird: der allgemein verbreitete sexuelle Zyklus... wird... während seines parthenogenetischen Teiles in größeren Seen bei Anuraea aculeata und zwar gleichzeitig an den- selben Tieren, von einer viel augenfälligeren morphologischen gesetz- mäßigen Reihenfolge begleitet, einer Reduktionsreihe, oder einem Formenkreis ...“ Die Reduktion ist auf eine allmählich wachsende Abnahme der Vitalität der parthenogenetisch sich fortpflanzenden Weibchen, eine etwa als Senilität zu bezeichnende Degeneration zurückführen, die ın engem Zusammenhange mit dem sexuellen Zyklus steht. Es erlischt allmählich nach einer gewissen Anzahl parthenogenetischer Generationen die Fähigkeit der ungeschlecht- lichen Reproduktion. Dann stellt sich ein Befruchtungsbedürfnis ein, das sich im Auftreten zahlreicher kleiner Männereier, die be- fruchtet zu Dauereiern werden, dokumentiert. Ref. muss im übrigen auf die sehr lesenswerte Originalarbeit verweisen. Im vorletzten Hefte ergreift der bekannte Polarforscher R. Amundsen das Wort, um für seine neue Expedition und die Wiederindienststellung der „Fram“ zu werben. Er gibt eingehende Mitteilungen über die biologischen und geographischen Aufgaben der Expedition und den einzuschlagenden Kurs, mit dem die auf 7 Jahre verproviantierte „Fram“ das Treibeis erreichen soll, um mit ıhm in 4--5jährigem Treiben das Polarmeer zu. über- queren. Die Dakın’sche Arbeit schneidet die von Pütter in den Vordergrund des Interesses gerückten Fragen der Ernährung der Wasserbewohner an. Auf seine Kritik (der Ref. kann die Be ände, die Dakın gegen Pütter’s Theorie erhebt, nicht als berechtigt anerkennen) hier einzugehen, würde zu weit führen. Zweifellos wichtig ist aber der Nachweis, dass die grüne Masse im Darme der Copepoden von den äußerst kleinen und zarten, Müllergaze Nr. 20 noch passierenden Protophyten herrührt, die als wichtige Planktonkomponenten erst neuerdings mehr gewürdigt werden. F. Zschokke verbreitet sich über die Beziehungen der Tiefen- fauna der subalpinen Seen zu der Tierwelt der hochalpinen Klein- gewässer. Die Nachweise, dass typische Tiefenbewohner der Randseen in den flachen und kalten Gewässern der Hochalpen wieder- zufinden sind, haben sich in neuerer Zeit rapide vermehrt. Jene sind offenbar" glaziale Relikten, die „auf dem Seegrunde, im Berg- bache, im Hochalpensee und im Moortümpel“ eine Zuflucht ge- funden haben. Die Thilo’sche Arbeit wird den Lesern des Biol. Centralbl. aus den Verh. d. Ges. d. Naturf. u. Aerzte und aus dem Zool. Anz., wo Verf. seine Befunde und Hypothesen kurz mitgeteilt hat, im wesentlichen so weit schon bekannt sein, dass ein referierendes 554 Prowazek, Bemerkung zu der „Autogamy“ von Bodo lacertae. Eingehen auf die an dieser Stelle ausführlich publizierte Mes nicht nötig sein dürfte. Die Strohl’sche Arbeit verteidigt die Angaben Weismann’s über einen doppelten Jahreszyklus bei Polyphemaus und über den palingenetischen Charakter der sexuellen Fortpflanzung und der Dauereibildung bei den Üladoceren. Wir hoffen, nachdem wir auch diese kurze Uebersicht des In- haltes der Originalarbeiten entworfen haben, dass der Leser einen recht lebendigen Begriff von dem Charakter der neuen Zeitschrift erhalten haben wird. Es braucht nur noch gesagt zu werden, dass die Ausstattung des Bandes seitens des Verlages zum besten gehört, was der deutsche Buchhandel geschaffen hat. Auf den augen- hygienisch mustergültigen Druck sei besonders hingewiesen. An- gesichts der reichen Tafelausstattung überrascht zu alledem der sehr niedrige Abonnementspreis des starken Bandes (30 Mk.). So wünschen wir der Revue ein recht erfreuliches Gedeihen. Wir können versichern, dass wir den Band aus der Hand gelegt haben — nicht mit dem Seufzer: wieder eine neue Zeitschrift, die gelesen werden muss, sondern mit einem angenehmen Gefühle der Erleichterung: denn ein Organ dieser Art fehlte, ohne Phrase, uns wahrhaftig und wird uns stets ein treuer Gehilfe bei der Ar- beit sein. Dr. Max Wolff (Bromberg). Bemerkung zu der „Autogamy“ von Bodo lacertae. Von S. Prowazek. In der Entgegnung gegen Dobell (XXIX. Bd., Nr. 1, 1909), der einen anderen Organismus in einem anderen Zwischenwirt untersucht hatte, habe ıch nur die Richtigkeit meiner Beobach- tungen vom Jahre 1904, nicht die der Deutungen, über die man immer streiten kann, verteidigt. Nach wie vor betrachte ich allen missverständlichen Auffassungen gegenüber folgende Befunde als Tatsachen: Es gibt Individuen von Dodo lacertae, dıe ın der Nähe des evidenten Kernes kernartige Massen besitzen (Deutung: gametoid&e Generation). Die Massen "vollführen typische Verände- rungen (Deutung: Autogamie) sowohl im beweglichen „freien“ Zu- stand (Tropidurus torguatus) als auch ın den Zysten, die demnach Bodozysten sind und den typischen Blepharoplast enthalten. Zum Schluss kann man zwei Kerne nachweisen (vgl. Fig. Bd. XXIX, Nr. 3) (Deutung: Degenerierender Kern und Frischkern). Nur diese Tatsachen habe ıch verteidigt, da der unbefangene Leser des ersten Artikels von Dobell zu dem Schlusse kommen musste, ich hätte 1904 nicht Bodozysten, sondern Pilzentwickelungsstadien untersucht. Hamburg, 3. Juli 1909. en: von Georg hans in Be, Rabensteinplatz 2. — Diudk der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und. Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig. München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. BA. N XIX, 15. September 1909. As 18. Inhalt: Becher, ee EN _ Wwennlan, Granuns Beobachtungen an ander Fliege Calliphora. — Verhoefl, Uber Dermapteren. Zentroepigenese? Bemerkungen zu einigen Problemen der allgemeinen Entwickelungsgeschichte. Von Dr. Siegfried Becher, Privatdozent der Zoologie an der Universität Gießen. (Schluss.) Rignano weist mit Nachdruck darauf hin, dass die Wechsel- beziehungen der Entwickelung scharf von den funktionellen Wechsel- beziehungen zu trennen wären (1907, S. 54 und 1908, S. 256). Ribbert’s Untersuchungen über Ersatzwachstum nach einseitiger oder teilweiser Exstirpation von noch nicht funktionierenden Ovarien, Hoden, Milchdrüsen gehören hierher. Aber es scheint mir doch fraglich, ob die Funktionslosigkeit solche oben angedeuteten Beein- flussungen ausschließt. Die Experimente weisen nur daraufhin, dass im Körper eigenartige Ursachen für die Bildung jener in Doppel- oder Mehrz a vorhandenen Organe existieren, und dass diese Ursachen, wenn eines der sich ken N Organe entfernt wird, dem anderen doppelt zugute kommen. So ähnlich muss man sich die Sache wenigstens vorstellen, wenn man in solchen Reaktionen nicht den Ausdruck einer immanenten Zweckmäßigkeit des Orga- nismus sehen will. Für das Spezielle an der zentroepigenetischen Erklärung liegt aber auch hier kein Grund vor. Wenn Rignano über diese Tatsachen sagt: „Daraus würde hervorgehen, dass die XXIX. 35 556 Becher, Zentroepigenese ? zu jedem dieser paarweise gleichen Organe gehörigen Korrelations- netze von einem gemeinsamen Hauptzweige herrühren müssen, so dass der ganze Strom dieses Zweiges, durch das Fehlen eines der Netze an der gewohnten Zweiteilung gehindert, sich nun vollständig in das zurückgebliebene Organ ergießt“ (1907, S. 55 und 56), so gibt er damit eine ganz spezielle Erklärung; aber es sind hier eben viele andere Möglichkeiten denkbar, und es scheint uns besser, das Experiment entscheiden zu lassen. Die Fragestellung: wo liegt hier die gemeinsame Ursache, von wo geht sie aus, wie wird sie übertragen, ist in diesem Falle aber klar vorhanden und kann durch die zentroepigenetische Hypothese kaum mehr präzisiert werden. Wenn indes von vornherein nicht einzusehen ist, ob jene Ursachen einem besonderen Zustand des Idioplasmas aller Zellen ihre Herkunft ver- danken, oder ob sie vom Keimplasma oder der Entwickelung von anderen vielleicht unpaarigen Teilen der Geschlechtsorgane her- rühren, so scheint es uns wenig angebracht, von diesen Möglich- keiten eine ohne Grund herauszuheben. Wenn die Fragestellung klar formuliert und die Möglichkeit der Lösung da ıst, so hat man vom entscheidenden Experiment, nicht mehr von der Hypo- these neues zu erwarten. Ähnliches lässt sich von embryonalen Rückbildungen sagen. Hören wir wieder zunächst Rignano (1907, S. 57—58): „Aber die- jenigen ontogenetischen Erscheinungen, die am besten die Vorstellung von einer solchen Verteilung trophischer nervöser Energie erregen, welche fortwährend wechselt und sich verschiebt, indem sie bald diese, bald jene Stelle des sich entwickelnden Organısmus durch- strömt, sind die Involutionserscheinungen, d. h. Reduktionserschei- nungen, die in den Geweben eines Organs stattfinden, das sich im Laufe der Ontogenese bildete, aber auf einer späteren Stufe wieder zu verschwinden trachtet, wie z. B. die Involution des Schwanzes der Kaulquappe bei ihrer Verwandlung ın einen Frosch“ (vgl. auch 1908, S. 257). Solche Vorgänge sollen die Folge davon sein, „dass die tro- phische nervöse Energie eine Zone verlässt, um sich in eine andere zu ergießen“ (1907, S. 60). Soviel ist wohl richtig, dass der „Kampf der Teile“ allein zur Erklärung solcher Erseheinungen nicht genügt. Es ist in der Tat wahrscheinlich, dass ein bestimmter Gewebs- zustand die Voraussetzung phagozytischer Rückbildung ist. Man hat ja auch in jüngster Zeit zeigen können, dass Krankheitserreger erst durch Opsonine für die Aufnahme ın Phagocyten vorbereitet werden. Eine solche Vorbereitung mag also wahrscheinlich sein, aber auch hier spricht nichts dafür, dass es sich um einen anderen Verlauf der von der Zentralzone abhängigen nervösen Ströme handelt! Die Vorbereitung könnte eben auch ganz anderer Natur sein. Becher, Zentroepigenese ? 557 Zentroepigenese und biogenetisches Gesetz. Wenn wir die Rolle, die das biogenetische Gesetz in Rignano’s Hypothese spielt, hier am Schluss betrachten, so folgen wir nicht der Entwickelung, die die zentroepigenetische Theorie in den Gedanken ihres Urhebers genommen hat. Eine hochinteressante Betrachtung über das biogenetische Gesetz hat für Rignano den Ausgangspunkt gebildet (1907, S. 3). Es wäre möglich, dass in den Betrachtungen (1907, S. 6—19), aus denen jene Hypothese geboren wurde, auch ihr Hauptwert läge. Das biogenetische Gesetz ist nach Rignano im wesentlichen richtig. Die ontogenetischen Stadien rekapitulieren also mit neben- sächlichen Modifikationen die Reihe der phylogenetischen Zustände. ‘Diese letzteren stellten aber Zustände dynamischen Gleichgewichts zwischen den bildenden Kräften des Organismus dar. Wenn nun die ontogenetischen Stadien diese Gleichgewichtszustände wieder- holen, weshalb wandeln sich dann diese Zustände überhaupt in- einander um? Die einzelnen phylogenetischen Stadien wurden durch funktionelle Reize (im weitesten Sinne) ineinander über- geführt; die ÖOntogenese wiederholt diese Stadien. Müssen wir somit nicht voraussetzen, dass die Ontogenese einen jene nicht mehr vorhandenen funktionellen Reize ersetzenden Ursachenkomplex be- sitzt? Diesen Ursachenkomplex bildet die Zentralzone. In ihr werden die einzelnen potentiellen Elementenacheinander, entsprechend den einzelnen phylogenetischen Stadien, aktiviert und veranlassen nun durch ihren Einfluss auf das Umlaufsystem der nervösen Ströme die Umwandlung in ein neues Stadium. Demnach könnte man jene potentiellen Elemente als Repräsentanten ganzer ontogene- tischer Stadien resp. ihrer Umwandlung bezeichnen (1908, S. 250). Gegen diese Betrachtung ist einzuwenden, dass sie wohl eine zu vollkommene Gültigkeit des biogenetischen Gesetzes voraussetzt. Schon die Anerkennung starker cenogenetischer Modifikationen führt zum mindesten zu einer außerordentlichen Komplikation des Schemas jener Hypothese. Bedenken wir nur, dass die Ontogenese starke Verschiebungen in der zeitlichen Anlage der einzelnen Organe aufweist. Man könnte hier von normalen Anachronismen der Ent- wickelung reden. Die Anlage vieler Organe wird bekanntlich in größerem oder geringerem Grade verfrüht, so dass die Embryonen ein von den hypothetischen Ahnenformen ganz verschiedenes Aus- sehen gewinnen können. Der Ausbildungsgrad eines Organes ent- spricht einem frühen, derjenige eines anderen Teiles desselben Em- bryos einem späteren phylogenetischen Stadium, so dass einige Autoren vorgeschlagen haben, nicht mehr von einem biogenetischen Gesetz für die ganzen Embryonalstadien, sondern nur von einer Rekapitulationstheorie für die einzelnen Organe Gebrauch zu Oop*k I) 558 Becher, Zentroepigenese? machen ’°). Schon allein diese zeitlichen Verschiebungen tragen vieldazu bei, den Embryonen den Eindruck von Zerrbildern selbständig lebens- fähıger Organismen zu geben. Wenn nun die einzelnen potentiellen Elemente der Zentralzone die Repräsentanten ganzer phylogene- tıscher Umwandlungen sind, wie kann es dann kommen, dass die einzelnen ontogenetischen Formen ganz verschiedene Entwickelungs- stadien in sich vereinigen? Wenn sich zwei Veränderungen a und b an den Organen A und B phylogenetisch zu derselben Zeit (viel- leicht korrelativ unter dem Einfluss desselben funktionellen Reizes) vollzogen, wie kommt es dann, dass das potentielle Element, welches bei jener Umwandlung entstand, nun während der Ontogenese durch eme Änderung des Umlaufsystems der trophischen nervösen Ströme jene Eigentümlichkeiten a und b nicht gleichzeitig entstehen lassen muss! ? Solche Anachronismen sprechen ohne Zweifel gegen eme Re- präsentation ganzer Entwickelungsstadien. Ferner ist zu bedenken, dass die Überlegung Rignano’s im Grunde genommen nicht die Existenz einer besonderen Zentralzone beweist, sondern nur deutlich macht, dass die Ursachen, die während der Phylogenese „außen“ waren, ın irgendeiner Form zu inneren Ursachen geworden sein müssen. Dass diese Ursachen in einer Zentralzone lokalisiert sind, folgt daraus absolut nicht. Beim Ge- dächtnis erfahren wir es direkt, dass äußere Verhältnisse und Ur- sachen zu inneren in uns werden. ‚Jede mnemische Theorie der Entwickelung kann sich also auf eine entsprechende Überlegung stützen! Dazu kommt, dass nach unserer Ansicht das biogenetische Grundgesetz nicht so einwandfrei ist und keine so gute Annäherung an die tatsächlichen Verhältnisse gibt, wie Rignano mit der Mehr- zahl der Biologen annımmt. Ich weiß sehr wohl, dass die meisten Einwände gegen jenes Gesetz nicht berücksichtigen, dass dasselbe in den ontogenetischen Abkürzungen und Modifikationen eine Reihe von sekundären Abänderungen der Rekapitulation der Phylogenese durch die Ontogenese anerkennt. Auch sehen wir von Oskar Hertwig’s Argumentation ab, der hervorhebt, dass sich die Ent- wickelungsstadien deshalb nicht als Wiederholung von Ahnenformen in ihrem Wesen charakterisieren lassen, weil jene Entwickelungs- stadien ähnlich wie die Eizelle in ihrer spezifischen Struktur schon die Art repräsentieren. Die Eizellen z. B. sollen deshalb nicht als Wiederholung des Protistenstadiums gedeutet werden können, weil ja die Eizellen innerlich verschieden sein müssen wie die ausgebildeten Arten, und weil diese Verschiedenheit im Grunde 15) Z.B. L. Cu@not. FEtudes morphologiques sur les Echinodermes. Arch. Biol. Vol. 11, p. 313—680, 1891. Becher, Zentroepigenese ? 559 wesentlicher ist als die äußerliche Ähnlichkeit. Die Anhänger des biogenetischen Gesetzes könnten dagegen einwenden, dass sie nur eine Rekapitulation in der Gestalt und den Äußerungen der latenten Verschiedenheiten behaupteten. Aber es gibt meiner Ansicht nach wesentlichere Gründe gegen das biogenetische Gesetz. Wenn dieses Gesetz auch die Abweichungen von einer genauen Rekapitulation anerkennt, so setzt es doch vor- aus, dass diese Abweichungen „sekundär“ seien; dass es sich um Verkürzungen und nachträgliche, durch die Bedingungen der Onto- genese, Larvenanpassung u. s. w. verursachte Änderungen der ge- nauen Rekapitulation handelte. Ein Teil der Abweichungen wird gewiss dadurch erklärt; aber ich glaube, dass ein beträchtlicher Rest zurückbleibt, der primärer Natur ist. D. h. ich nehme an, dass gewisse Artumänderungen stattgefunden haben, ohne dass die Ontogenese jemals Kunde von dem älteren Stadium gegeben hat. Es können alte Eigentümlichkeiten in der Rekapitulation fehlen, ohne dass der Grund für ıhr Fehlen ın der Beschleunigung der ontogenetischen Wiedergabe, ın sekundären Larvenanpassungen od. dgl. liegt. Das wird z. B. immer der Fall sein, wenn das statt- findet, was ich vorschlage „embryonale Artbildung“ zu nennen. Wenn ein sich entwickelnder Organısmus vor der vollständigen Ausbildung aus äußeren oder inneren Ursachen (in erblicher Weise) verändert wird, so muss er direkt, ohne den Umweg über die alte Form, der neuen während der Entwickelung zustreben. Ändert sich ein Erbelement im idioplasma, so kann sich diese Änderung dokumentieren, ohne dass der frühere Zustand noch zum Ausdruck kommt. | Rıguano hat deutlich erkannt, dass die meisten modernen Entwickelungstheorien das biogenetische Grundgesetz nicht zu er- klären vermögen. Darin hat er einen Mangel jener Theorien erblicken zu müssen geglaubt (s. 1907, sechstes Kapitel). Wir möchten um- gekehrt daraus den Schluss ziehen, dass eine Reihe von Vorstellungen, die man sich über die Natur des Entwickelungsprozesses bilden muss, auf eine Lücke im biogenetischen Gesetz hinweisen. Osborn sagt einmal’) „Nach diesen Versuchen“ — gemeint sind die Ex- perimente Cunningham’s über Färbung von Pleuronectiden — „scheint fortschreitende Vererbung (also Phylogenese) eher einen Substitutions- oder Additionsvorgang darzustellen als eine wirkliche Ausschaltung . . .* Wir glauben, dass neben solchen Additionsvorgängen, die rekapitulierbare Merkmale ergeben, auch Substitutions- und „Um- schaltungsvorgänge“ (wenn ıch so sagen darf) ın der Phylogenese eine 16) Osborn, Alte und neue Probleme der Phylogenese. Merkel und Bon - net’s Ergebnisse der Anatomie und Entwickelungsgeschichte. Vol. III, für 1893, Wiesbaden 1594. 560 Becher, Zentroepigenese ? Rolle spielen. Diese würden aber nicht rekapitulierende Änderungen erzeugen. Vielleicht sind solche embryonalen Umschaltungen sogar von außerordentlicher Wichtigkeit gewesen, und sie könnten bei der Ent- stehung der „Architypen“ der organischen Wesen eine Rolle ge- spielt haben, über deren Ursprung uns die Ontogenese bekanntlich so wenig sagt, dass viele Forscher ihre gesonderte Entstehung für wahrscheinlich halten. Wir müssen uns an dieser Stelle eine genauere Diskussion des Geltungsbereiches der „embryonalen Art- und Typenbildung“ ver- sagen. Wir verzichten auch auf eme Diskussion der hier sehr ın Betracht kommenden Angaben über die „Elastizität“ des sich ent- wiekelnden und über die „Plastizität“ des entwickelten fertigen Organismus. Soviel aber dürften unsere kurzen Andeutungen ge- zeigt haben: das biogenetische Grundgesetz ist eine nicht aus- reichende und lückenhafte Basis für eine allgemeine Entwickelungs- theorie. Schlussbetrachtung. Wir haben uns in unseren Betrachtungen darauf beschränkt, zu prüfen, inwieweit die Tatsachen, zu deren Deutung und Erklä- rung die Zentroepigenese erdacht wurde, diese Hypothese fordern. Man könnte unschwer die Gründe vermehren, die gegen die An- nahmen Rignano’s sprechen, indem man zeigte, dass sie an anderen Punkten keine befriedigende Erklärung geben, sondern Schwierig- keiten machen. Allein bei spezieller Durchführung stellen sich allen Entwickelungshypothesen Schwierigkeiten entgegen, schon aus dem einfachen Grunde, weil die speziellen Verursachungen so vieler biologischer Vorgänge uns unbekannt sind, und weil jede Hypothese, wenn sie ins Detail gehen will, sich mehr und mehr mit unge- sicherten neuen Ausnahmen belasten muss. Auch Riguano hat eine Anzahl solcher spezieller Annahmen in seine Hypothesen auf- genommen; die Vermutungen über die Lage der Zentralzone (in undifferenzierten Teilen des Nervensystems, bei Vertebraten speziell in periependymatischen Teilen des Marks), die sich daran anschließen- den Betrachtungen über die Bedeutung des Nervensystems für die Regeneration, dann vor allem über die Natur der spezifischen ner- vösen Ströme würden dem Kritiker neuen Stoff bieten. Aber er würde das eigentlich Wesentliche von Rignano’s Annahmen damit nicht treffen. Deshalb können wir auf eine solche Kritik verzichten. Das Wesentliche an Rignano’s Entwickelungshypothese scheint uns aber in der Annahme zu liegen, dass ein Teil des Organismus während der Spezialisierung der übrigen Teile immer das Ganze unversehrt repräsentiert, und dass dieses so bewahrte Ganze einen dauernden leitenden Einfluss auf die Entwickelung und Regene- ration der anderen Teile ausübt. So betrachtet stellt sich die Zentroepigenese als Fortbildung der Stirp- oder Keimplasmatheorie Becher, Zentroepigenese? 561 dar. Der rätselhafte und mit der genaueren Erforschung des Regene- rationsgeschehens so oft betonte (zweckmäßige) Einfluss des Ganzen auf seine Teile findet in der Zentroepigenese eine formale Erklä- rung. Ja man kann sagen, dess die zentroepigenetische Hypothese dieses Problem der Vereinheitlichung des Organısmus am besten wiederspiegelt. Nach dem Siege der Zellentheorie hat man viel von den „Bau- steinen* des Organısmus geredet. Man hat geglaubt, das Gesamt- leben sei einfach die Summe der Lebensprozesse der einzelnen Zellen. Man hat zu wenig beachtet, dass diese Verbindung der Reaktionsweisen ganz besondere Probleme einschließt. Später ist dann eine Art Reaktion gekommen. Es werden Stimmen laut, die es für richtiger erklären, den Einfluss des Ganzen auf die Teil- prozesse ın den Vordergrund zu schieben, anstatt das Ganze als passives Produkt der Mannigfaltigkeit der Teile aufzufassen. Die Zellen hören auf, selbständige Bausteine im Gebäude, Summanden in der Summe des Organismus zu bilden. Die Regenerations- und Regulationsprobleme treten jetzt in den Vordergrund des Interesses; sie sind es ja, die in so augenfälliger Weise ein zweckmäßiges, zum Ganzen drängendes Reagieren offenbaren. Nun entsteht das Problem: wo stecken die Ursachen, die die Wiederherstellung des Ganzen bedingen können. Hier scheint die Annahme unvermeidlich, dass das Ganze nur durch eine irgend- wie vorhandene Repräsentation des Ganzen wiederherstellbar ist. Wenn ein Teil eines Organismus nicht eine dem Leben eigentüm- liche zweckmäßige Regulationspotenz besitzt, wenn wir an einer dem physiko-chemischen Geschehenstypus wesensgleichen Natur der organischen Vorgänge festhalten, so kann ein regenerations- fähiger Teil eines Tieres oder einer Pflanze nicht lediglich eine Gruppe verschiedener und spezieller Maschinenteile darstellen, sondern der Teil muss das Ganze irgendwie in sich enthalten. Diesen das Ganze repräsentierenden Ursachenkomplex kann man nun dem Organismus in einer Zentralzone mehr äußerlich beige- sellen, oder man kann ihn in jeder nicht gar zu spezialisierten Zelle voraussetzen. Im ersteren Falle erhebt sich die schwierige Frage: wıe erhält die Zentralzone genaue Kunde von einer ent- fernten Verletzung und wie kann sie die entsprechende Reaktion aus der Ferne leiten. Für die zweite Annahme mangelt es auch nicht an Schwierigkeiten. Wie kommt es, dass dieselben Erb- massen in den vielen Kernen nach ihrer Aktivierung zu einem har- monischen Ganzen zusammenarbeiten? Und wenn diese Frage in epigenetischer Weise lösbar scheint, so bleibt die ähnliche: genügt die Repräsentation des Ganzen in der Erbmasse, die doch keine vollständige Präformation ist, zu der Erklärung der Wirkung des Ganzen auf die Teile? 562 Becher, Zentroepigenese ? Dazu muss nun bemerkt werden, dass jene Wirkung des Ganzen auf seine Teile in Wahrheit verhältnismäßig selten vorkommt und dass es sich gewöhnlich, um die Wirkung eines Teiles auf einen anderen handelt. Die Regeneration eines Beinstummels ist ebenso die Ergänzung des Beimes als des ganzen Organismus. In Wahr- heit handelt es sich bei der rätselhaften Fernwirkung des Ganzen um die viel leichter verständliche Wirkung des ÖOrganstummels und seiner Teile, seiner Gewebsspannungen, seiner Funktion und wohl auch seiner durch Zellbrücken fortgepflanzten Reize. Wir kommen hier wieder auf die Betonung des komplizierten Ineinander- greifens der mannigfaltigsten Ursachen, des Zusammenwirkens von Selbstgestaltung und korrelativer Differenzierung verschiedenster Art zurück. Die Selbstgestaltung der Neubildung tritt um so mehr hervor, je kleiner die Partie des Körpers ist, die zur Regeneration des Ganzen führt. Je kleiner ein solcher Teil ist, je mehr kann sich die Ergänzung des ganzen Organismus dem ontogenetischen Ge- schehen nähern, und um so mehr #ritt die fremde Leitung dieses Geschehens zurück. Rignano muss in solchen Fällen annehmen, dass sich eine neue Zentralzone ausbildet; näherliegender scheint es, einfach an die Aktivierung des in der Erbmasse repräsentierten Ganzen zu denken. ‚Je weniger dagegen bei einem Regenerations- prozess zu ersetzen ist, um so weniger wird dieses Regenerations- geschehen auf sich selbst angewiesen sein, desto mehr wird der Eindruck einer von außen kommenden Leitung dieser Prozesse hervorgerufen werden. Die Bildung eines „Organs“, eines harmo- nischen Ganzen, lässt zwar die Vermutung aufkommen, dass eine einheitliche Leitung dieses Geschehens von einem Zentrum aus stattfindet, indessen umschreibt diese Annahme, wenn sie nicht durch andere Tatsachen bestätigt wird, nur das Problem. Wir glauben, dass jene Leitung auf vielen Faktoren verschiedener Her- kunft beruht. Und bedarf es denn wirklich einer solchen „Leitung“? Was leitet denn der Organisınus des Triton, wenn einem solchen Tier ein abgeschnittenes Bein nachwächst? An der Wundfläche eines abgeschnittenen Organs pflegt sich zunächst eine hegenerations- knospe aus embryonalem Gewebe zu bilden. Vom Stummel aus empfängt nun dieses embryonale Gewebe nicht diejenigen Reize, die die embryonale Organanlage erhalten hat, sondern einen Reiz- komplex, wie er — wenn die Regeneration das ontogenetische Ge- schehen wiederholen sollte — erst später einsetzen dürfte. Nun ist es Tatsache, dass dieser spätere Reizkomplex trotzdem die Regeneration zu demselben Ziele führen kann wie die ganze Reiz- reihe der Ontogenese. Daraus ist zu folgern, dass jene ganze Reiz- reihe nicht notwendig ist, und es ist wahrscheinlich, dass jener Becher, Zentroepigenese? 563 spätere Reizkomplex, der ja selbst ein Produkt der ÖOntogenese ist, die wesentlichen Elemente der früheren Reize in sich enthält. Man gestatte uns auch hier einen Vergleich. Es ıst der nor- male Weg zur Kenntnis eines Wissenszweiges, dass man Kapitel für Kapitel eines Lehrbuches studiert oder Vorlesung nach Vor- lesung hört. Trotzdem ist es nicht unmöglich, dass man zu dem- selben Ziele gelangt, wenn man die ersten Kapitel überschlägt, oder die ersten Vorlesungen versäumt. Die einzelnen Kapitel biingen die aufeinander und auseinander folgenden Gedankengänge ; sie gehen auseinander hervor und bilden eine Reihe von Folge- rungen, die sich der Kausalreihe der ontogenetischen morphogenen Reize vergleichen lässt. Wie im einen Falle so sind auch im an- deren die ersten Glieder nicht unentbehrlich, und wie mir scheimt, auch bei der Regeneration deshalb, weil die späteren Reizkomplexe einen hinreichenden Teil der früheren ähnlich enthalten, wie die späteren Kapitel eines Lehrgangs die früheren. Hier liegt also eine Art der Auslösung vor, bei der ein Teil ähnlich wirkt wie die Wiederholung des ganzen Komplexes von Einflüssen. Wir dürfen nicht versäumen, wenigstens kurz anzudeuten, dass diese Art der Auslösung für a mnemischen Reproduktionen charakteristisch ist !?). So kann man zu einer Theorie der Regeneration gelangen, die den Tatsachen besser zu entsprechen scheint als die Zentroepigenese. Auch die Erfahrung, dass die Regeneration in vielen Fällen durch- aus nicht genau das ersetzt, was verloren ging, sowie die Erschei- nungen der Heteromorphose sind nach der von uns skizzierten An- sicht leichter verständlich. | Rignano’s Hypothese, die wir als Vermittlungsannahme zwischen Präformation und Epigenese neben näherligenden Zwischen- theorien entbehlich fanden, stellt sich in ihrer Sonderart als eine erhebliche Übertreibung des Gedankens dar, dass das von der Differenzierung unberührte Ganze einen souveränen Einfluss auf seine unselbständigen Teile ausübt. Wir dürfen nen zum Schluss nicht else hervorzu- heben, dass sich unsere Kritik nicht auf alle von Rignano vor- getragenen Ansichten ausdehnt. Einige Grundideen von Rignano’s Vererbungstheorie scheinen außerordentlich beachtenswert. Der Gedanke, dass die äußeren Ursachen der Phylogenese für den Organismus nicht verloren gehen, sondern durch einen dem Ge- dächtnis verwandten Vorgang zu inneren Ursachen für die Ontogenese werden, gibt wohl einen der wertvollsten neuen Gesichtspunkte, die in der Biologie neuerdings gewonnen wurden. Dieser Gedanke hat in Rignano einen selbständigen Vertreter und Bahnbrecher gefunden. 17) Siehe: R. Semon, Die Mneme etc., II. Aufl., Leipzig 1908, S. 28, 183, 159, 197 und an zahlreichen anderen Stellen. 564 Weinland. Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. Wir haben uns ganz auf die Betrachtung einiger Probleme der Entwickelungstheorie beschränkt und hier unsere Ansichten aus hücksicht der Kürze fast ausschließlich im engen Anschluss an die zentroepigenetische Entwickelungstheorie entwickelt. Wenn wir uns diesem Teil von Rignano’s Ansichten ablehnend gegenüber verhalten mussten, so hindert uns das nicht, ihren Wert im Ver- hältnis zu manchen anderen Theorien der Entwickelung sehr hoch anzuschlagen. Die zentroepigenetische Hypothese ist aus dem Be- dürfnis geboren, auf einige der akutesten Fragen der Biologie eine Antwort zu suchen; sie ist ein Spiegel moderner entwickelungs- theoretischer Probleme. An Kühnheit der Erfindung wird sie von keiner anderen Entwickelungstheorie übertroffen, und ihre über- raschende Originalität wird jeden zur Bewunderung reizen, der sich neben der Pflicht strenger, wahrheitsuchender Kritik die Eindrucks- fähigkeit für die Schönheit eines Gedankengebäudes gewahrt hat. Im April 1909. Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. Von Ernst Weinland. Die geschichtliche Entwickelung der verschiedenen Gebiete der Naturwissenschaft hat es bedingt, dass die physiologische Analyse der Lebenserscheinungen der verschiedenen Tierformen, besonders der „wirbellosen Tiere“ nicht in gleichem Maße fortgeschritten ist wie die morphologische. Es rührt dies zum Teil daher, dass die hier zu stellenden Probleme keine praktische Bedeutung zu haben schienen, - zum Teil daher, dass die hier unentbehrlichen Hilfswissenschaften, besonders die Chemie, erst verhältnismäßig spät die Ausbildung erlangt haben, die für eine erfolgversprechende Inangriffnahme der von ıhr derivierenden Probleme notwendige Voraussetzung ist, sowie noch von anderen Momenten. Erst ın letzter Zeit ist be- gonnen worden, auch dieses Gebiet etwas auszubauen und so für höchstwichtige und schwierige Fragen, die die morphologische For- schung seit langem bearbeitet hat, auch auf anderem Wege nach Antworten zu suchen. Es war auf diesem Gebiete von Anfang ab zu erwarten, dass — ebenso wie die morphologischen Verschiedenheiten oft äußerst große sind — auch auf physiologischem Gebiet vom Vertebraten oft weıt abweichende Verhältnisse vorliegen würden. Es hat sıch daher auch nicht bewährt, die Fragen aus Analogie mit denjenigen, die für das Wirbeltier oder gar Säugetier vorliegen, zu stellen. Es war vielmehr notwendig, an diese Tiere zunächst nur als Be- obachter heranzutreten, und um dies mit Erfolg ausführen zu können, ist es nötig, sich jeweils fürs erste auf eine Tierform zu beschränken, über diese zunächst möglichst viele Erfahrung zu sammeln und so Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. 565 induktiv vorzuschreiten® um allmählich ein Gesamtbild zu erlangen, unabhängig von Analogien mit anderen weit abliegenden Formen. Mit der Zeit gelingt es dann, über die physiologischen Haupt- vorgänge in einer Tierform zu konkreten Vorstellungen zu gelangen und von diesen aus wird es weiterhin jeweils möglich sein, für die ähnlich gebauten Formen auf verhältnismäßig einfacherem Wege das Abweichende wie das Gleichbleibende festzustellen. Soweit sich die Tatsachen zurzeit übersehen lassen, dürfte es notwendig sein, für eine Reihe von Tiertypen derartige Feststellungen zu ge- winnen, so z. B. werden sich gewiss nicht alle Würmer ohne weiteres auf einen Bauplan zurückführen, ebenso ist bei den Arti- culaten und bei den Mollusken wohl von verschiedenen Typen auszugehen. Wie man auch über die Bedeutung der chemischen Prozesse ım Lebensablauf der Organismen denken mag, sei es, dass man darin nur ein „untergeordnetes Mittel“ zur Betätigung einer bestimmten formativen Tendenz sieht, oder dass man darin die wirkende Ur- sache selbst für die Ordnung und Formung des ganzen Organismus sieht, in jedem Fall ist es notwendig, den Weg dieser Untersuchung der Organismen zu betreten, denn nur so kann man erkennen, wie weit derselbe führt. Ich habe vor einigen Jahren eine Anzahl Beobachtungen ange- stellt, die bei einem parasıtisch lebenden Wurm, Ascaris lumbri- coides, in die chemischen Prozesse Einblick zu verschaffen suchten, und habe damals gefunden, dass bei diesem ohne elementaren Sauerstoff, anoxybiotisch, lebenden Tier das Kohlehydrat (Glykogen), im Vordergrund der chemischen Prozesse steht; ich habe dabei auch in erster Annäherung die chemische Umsetzung, die dabei statthat, aufklären können. In den letzten Jahren habe ich eine Reihe von Feststellungen, die etwa demselben Zwecke dienen, über ein Insekt, die gewöhnliche Fleischfliege, Calliphora, zu erhalten gesucht. Dieses Objekt bietet für die Untersuchungen eine Reihe nicht zu unterschätzender Vorteile: Die Tiere sind in unserem Klima während des ganzen Sommers in beliebiger Menge leicht in jedem Stadium zu züchten und zwar — im Gegensatz zu vielen anderen Insekten —, in fast be- liebig vielen Generationen, sie sind ferner nicht sehr groß (eine Puppe wiegt zu Beginn der Metamorphose 7—8 ctg), so dass es nicht schwierig ist, den individuellen Faktor bei der chemischen Analyse durch Verwendung von Hunderten von Exemplaren aus- zuschließen — im Gegensatz z. B. zu den großen Schwierigkeiten, die hier beim Säugetier und bei den meisten Vertebraten vorliegen. Es lassen sich daher die Resultate mit viel größerer Sicherheit er- zielen als bei jenen Tieren, und das Gesetzmäßige tritt deutlicher ‚hervor. Diese Tiere sind ferner ausgezeichnet durch eine ausgeprägte >66 Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. Metamorphose; es sind daher eine R&he von Entwickelungs- stadien, I Ei, II. Larve (mit Häutungsperioden), III. Puppe (mit Metamorphose im engeren Sinn), IV. Imago, vorhanden, in welchen zun Teil Nahrungsaufnahme und Bewegung (Il u. IV), zum Teil außerdem Fortpflanzung (IV), zum Teil Prozesse ohne Bewegung und ohne äußere Nahrungsaufnahme (l und III) statthaben. Es ergibt sich, dass hier ein verhältnis- mäßig sehr kompliziertes Gebilde von Prozessen zu ent- wirren ist, welche dadurch noch ein ganz besonderes Interesse verdienen, dass sie — wie sich im Laufe der Untersuchungen herausstellte — , an die verschiedenen Stadien in charakteristischer Weise gebunden sind. Ein jedes hier sich einstellende biochemische Problem ist zugleich auch ein Problem für die Chemie der Entwickelung dieser Tiere. Von der chemischen Seite betrachtet, ist hier die Ana- Iyse dadurch kompliziert, dass ein Organismus vorliegt, der nicht nur anoxybiotische Prozesse oder gar in der Hauptsache nur einen anoxybiotischen Vorgang zu bewirken vermag, wie ich dies bei Iscaris beobachtete und wie es wohl für die zahlreichen anoxy- biotischen Tiere zutreffen dürfte, die durch die Zersetzung von Kohlehydrat ohne O,-Aufnahme ihre Energie gewinnen!) — ähnlich wie sehr viele Bakterien — ; sondern dass das hier gewählte Tier einen lebhaften O,-Konsum besitzt, dass also hier, wie ich nach- gewiesen habe, die Prozesse im Tier eigentliche Oxydations- prozesse sind, bei welchen die N-freien verbrennbaren Stoffe mit dem O0, der Luft zu CO, und H,O verbrennen, nicht unoxydiert zur Ausscheidung gelangen, wie z. B. bei Ascaris (als niedere Fett- säure). Endlich bietet ein Insekt auf Grund seines eigentümlichen Bauplanes, der z. B. in der Art der O,-Versorgung durch Tracheen, statt auf dem Blutwege, an den Tag tritt, der jedoch, wie ich vermute, hiermit in Zusammenhang (s. Weinland, Ver- dauung und Resorption der Wirbellosen, in Oppenheimer’s Hand- buch der Biochemie, 3. Bd., 2. Hälfte, 1909) auch andere auffallende Besonderheiten gegenüber dem Tiere mit respiratorischem Blut besitzt, noch eme Reihe weitere Probleme, wenn man nicht mehr die chemischen Vorgänge im Gesamtorganismus ins Auge fasst, sondern diese nunmehr in die Funktionen der einzelnen Organe und Gewebe aufzulösen strebt. Im folgenden will ich einen kurzen Überblick geben über einige der Resultate, die ich über die im vorigen angedeuteten I) Ich erinnere hier daran, dass besonders bei nicht wenigen Protozoen, in erster Linie bei parasitisch lebenden, ein reichlicher Gehalt an Glykogen oder einem verwandten Stoff (Bütschli) nachgewiesen ist und im Lebensprozess eine hervorragende Stelle einnimmt. Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. 567 Punkte erhalten habe. Es ist bei dem weiten Umfang dieser Fragen selbstverständlich, dass die Resultate lückenhaft sind, aber trotz- dem dürften sie schon jetzt in mancher Hinsicht geeignet sein, die bisherigen Vorstellungen auf diesem Gebiete zu klären, und z. B. gewisse Vorstellungen, die von mancher Seite gehegt worden sind, als prinzipiell nicht haltbar zu erweisen. Das Leben der holometabolen Insekten, speziell der Fliegen, können wir als einen Zyklus verschiedener Zustände ansehen: Ei — Larve (mehrere Häutungen) — Verpuppung — Puppe (Metamorphose) — Imago — Eı. Siehe beistehendes Schema. Sn % 2 bei Musca dom. etwa 1 Woche?) were N Larve 22 5 e 4 Imago g', 2 ] ® x Y N | Häutung 2b @ ® 3 Puppe (a nie ' + (Metamorphose) Tage Y ® ee se 2 bn Verpuppung Su a . _, ” 2 an Larve Häutung 2b! »»e» a ne 5-6 Tage Diese verschiedenen Stadien?) unterscheiden sich nun in mehr- facher Hinsicht, so z. B. in Hinsicht auf Nahrungsaufnahme, welehe nur in Stadium 2a und 4 statthat, jedoch nicht ın Stadıum 1 und 3, in Hinsicht auf die Art der Nahrung, welche wieder im Stadium 2a anders ist als in Stadium 4, endlich natürlich ın ganz hervorragendem Maße in Hinsicht auf die Gestalt, den inneren Bau und die anımalen Funktionen. Ich gebe hier zuerst eine kurze Schilderung der Prozesse, die in den verschiedenen Stadien statthaben, es werden dabei jeweils nur die chemischen Prozesse in den einzelnen Stadien charakterisiert werden; auf den Bau und die physikalischen Lei- stungen der Organe gehe ich hier nicht ein. Ich beginne bei dem Stadium, in welchem die Tiere ihre Meta- morphose durchmachen, weil es von diesem Stadium aus am besten 2) Bogdanow, Allgem. Zeitschr. f. Entomol. 8 (1909), S. 265. 3) Die Dauer der einzelnen Stadien ist eine stark wechselnde; besonders durch die Temperatur kann dieselbe bei jedem einzelnen Stadium ganz außerordentlich variiert werden (Winterruhe), außerdem vielleicht durch die Ernährung. Ich habe auf der Zeichnung einige Zeiten eingetragen, die für die Sommerzeit gelten. Der ganze Kreis kann im Sommer etwa in einem Monat durchlaufen werden. 568 Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. gelingt, einen Einblick sowohl in die Vorgänge vorher, wie in die nachher, zu tun. Während der Metamorphose, die für gewöhnlich im Sommer 13—14 Tage in Anspruch nimmt, findet einmal eine reichliche Zer- setzung von Fett statt. 100 g Puppen (die etwa 1200—1300 Indi- viduen entsprechen) enthalten etwa 6,6—7,0 g Petrolätherextrakt (21,4—21,7°/, der Trockensubstanz) und verlieren während der 13—14 Tage der Metamorphose etwa 3,0—3,3 g Petrolätherextrakt, so dass am Schlusse der Metamorphose im entwickelten Tier noch 3,3—4,0°/, Petrolätherextrakt vorhanden sind. Auf 100 g der Imagines entspricht dies einem Fettgehalt von 4,4—4,6°/,; es ıst also noch eine bedeutende Reserve an Fett in den Tieren ent- halten und steht zu ihrer Verfügung. Das verschwundene Fett wird vollständig verbrannt, wie die Menge der ausgeschiedenen CO, und des aufgenommenen O, beweist (dabei geht der Abbau des Fettes stufenweise, findet nicht sogleich vollständig bis zur Bildung von CO, und H,O statt). Eine Bildung von Fett ım Puppenstadium habe ich nicht nachweisen können. Neben der Zersetzung von Fett geht eine. schwächere, Zersetzung von Ei- weiß einher. Dieses Eiweiß dient — wie bis jetzt alle Befunde übereinstimmend ergeben haben — in erster Linie für die Bildung von Kohlehydrat. Dies hängt damit zusammen, dass ein Derivat des Zuckers, Chitin, während der Metamorphose neu ge- bildet wird, als Material der gesamten Hüllen der neuge- bildeten Imago. Zersetzung und Verbrennung von Kohlehydrat während der Metamorphose ist nicht nachweisbar. Die N-haltigen Überreste des zersetzten Eiweiß der Tiere werden, soweit sie nicht im Chitin enthalten sind, in Form von Harnsäure im Tier ange- häuft und von der ausgeschlüpften Imago in beträchtlicher Menge entleert. Verfolgt man die chemischen Vorgänge während der Metamorphose im einzelnen von Tag zu Tag, so ergibt sich, dass sowohl die Gewichtsabnahme, wie die CO,-Abgabe (Fig. 1), die H,O-Abgabe und die O,-Aufnahme (Fig. 2) einen ähnlichen Ver- lauf nehmen. Die Kurven aller dieser Größen zeigen zunächst einen Abfall, dann einen mehr horizontalen Verlauf und schließlich ein starkes Ansteigen. Diese Erscheinung lässt sich damit in Zusammenhang bringen, dass wir in der Metamorphose eine andere Erscheinung vor uns haben, als im Wachstum: während im Wachstum ein kon- tinuierliches Ansteigen der Kurve beobachtet wird (so z. B. bei der Entwickelung des Hühnchenembryos, Bohr und Hesselbach im Skand. Arch. f. Physiol. 10 (1900), S. 169, 365) tritt hier bei der Metamorphose noch ein zweiter „negativer“ Prozess ein, die Zersetzung (Histolyse) des larvalen Gewebes. Dieser zweite Prozess nun setzt gleich zu Beginn der Metamorphose stark ein Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. 569 und sinkt allmählich ab. Ihm entgegengesetzt setzt der eigentlich aufbauende „positive* Prozess, der die Bildung der Imago aus den Imaginalscheiben leistet, zunächst schwach ein, steigt lang- sam an, bis am Schluss der Metamorphose das Hinzutreten von Muskelbewegung (Aus- schlüpfen ete.) dıe Zer- setzung noch weiter ın die Höhe treibt. So werden durch das Zu- sammenwirken der genannten zwei Pro- zesse die drei Stadien der Metamorphose verständlich. Für die ein- zelne Puppe berechnet sieh ,die Ü für! die Metamorphose ver- brauchte Kalorien- menge an Fett auf etwa 2. 24 kleine Kalorien. Fig. 1. CO,-Ausscheidung (in g) durch die Puppen Ehe wir weiter in a Calliphora während der Metamorphose von Tag 1; Gi Eafiskei zu Tag in 2 Versuchsreihen (in Vers. V von 305 u eSelzmaBiskeileNn Tndividuen [22,64 g], in Vers. VI von 340 Indivi- der einzelnen Prozesse, duen [27.56 ge). die hier als die haupt- sächlichsten für die Zeit der Metamorphose erwähnt sind, ein- dringen, wollen wir uns den Hauptvorgängen in den Larven zuwenden. In diesem Stadium findet, im Gegensatz zu dem der Metamorphose, eine sehr reich- licheNahrungsaufnahme statt. Die Nahrungsaufnahme geht jedoch nicht während der ganzen Larvenzeit vor sich, son- dern nur in den Abschnitten zwischen den Häutungen. Wäh- rend der Häutungsperieden der Larven der Insekten findet keine EHHHHHHHHHHEHEEEREEHEHFEHEHEFERHH Nahrungsaufnahme statt (z. B. bei Rs E12 Te ie der Seidenraupe [Kellner]); die Fig. 2 Sauerstoffaufnahme (in g) durch niert ann dieser Hin- die Puppen von Calliphora während der : Sue : Metamorphose von Tag zu Tag in 2 Ver- sicht an die Zeit der Metamor- suchsreihen (s. Fig. 1!) phose, die freilich einer viel tiefer greifenden derartigen Zwischenperiode verglichen werden kann. Die Nahrung der Larven bildet bekanntlich in erster Linie Fleisch und andere eiweißartige Substanzen; es findet sich dementsprechend in ihren Entleerungen ein starkes proteolytisches Ferment, 570 Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. das schon bei gewöhnlicher Temperatur kräftig wirksam ist, während z. B. ein diastatisches Ferment hier fehlt, überhaupt in der Lärve nicht sehr reichlich vorhanden ist (Strauß, Zeitschr. f. Biol. 52, S. 95). Die Larven sind imstande, große Mengen Fleisch aufzu- nehmen, ich berechnete dieselben auf (Biol. 51, S. 259) bis zu etwa 60°/, des Hungergewichtes der Tiere, und diese Fleischmasse ver- mögen sie bei günstiger Temperatur in 1—2 Tagen zu verarbeiten. Die Tiere bauen hieraus einmal die Eiweißbestandteile ihres wachsenden Körpers auf, sodann bilden sie aus dieser Nahrung in großer Menge Fett; dieser Reservestoff sammelt sich besonders im Fettkörper an. Vorübergehend, bei jeder Fütterung, findet sich auch in den Zellen bestimmter Regionen des Mitteldarms sehr reichliche Ablagerung von Fett. Dieses abgelagerte Fett stammt einmal aus dem Fett der Nahrung, dann aber wird es aus Eiweiß gebildet, wie ich außer in den Versuchen am Brei (s. u.!) auch in einer Versuchsreihe am lebenden intakten Tier beobachtet habe. Hierbei wird der Stickstoff in Form von Ammoniak von den Tieren ausgeschieden, zum Teil in ganz außerordentlich großen Mengen, wie auch Sosnowski festgestellt hat. Neben der Bildung von Fett findet in den Larven eine Zersetzung von Fett statt, das Gewebe, durch welches dieses bewirkt wird, sınd in erster Linie die Muskeln des Tieres, so dass besonders bei reich- licher Bewegung der Larven verhältnismäßig viel Fett zerstört wird. Dieser letztere Vorgang ist ein oxybiotischer. Wenn der Fettgehalt der Larven einen bestimmten maxi- malen Betrag erreicht hat, — der höchste Wert, den ich in den Larven beobachtete, war 7,8°/, Petrolätherextrakt (im Brei erhöhte sich dieser Wert noch um 10°/,), so fressen die Larven nicht mehr; diejenigen, die im«Futterfleisch bleiben, gehen nun gewöhn- lich zu Grunde (ersticken?), während die, welche fortkriechen®), sich nach einiger — kürzerer oder längerer — Zeit, verpuppen. Am Kohlehydrat finden während des Larvenlebens zwar auch Vorgänge statt, doch treten diese verhältnismäßig sehr zurück; ım wesentlichen dürften sie auf die Vorbereitung und Bildung von Chitin für die Bildung von neuen Körperhüllen bei den Häutungen beschränkt sein. Über die näheren Gesetzmäßigkeiten bei der Fett- bildung wird weiter unten geredet werden. Wenden wir uns nunmehr noch zum Stadium I, dem Eızu- stand. Derselbe dauert gewöhnlich einen Tag. Die Eier enthalten dabei nach einer Bestimmung von mir 4,6°/, Petrolätherextrakt, also ziemlich ebensoviel, wie die aus der Puppe schlüpfende Imago. In diesem Zustand nehmen die Tiere keine Nahrung auf, eine Prüfung, die ich (mit dem Brei) anstellte, ob dieselben Fett 4) Die Ursachen dieses Vorganges sind noch besonders zu verfolgen. - Weinland, Chemische Beobachtungen an eer Fliege Calliphora. 71 zu bilden vermögen, lieferte ein negatives Ergebnis. Die Eier ver- brauchten im Gegenteil nicht unbeträchtlibh von ihrem Petrol- ätherextrakt. Es tritt somit das Vermögen, Fett zu bilden, erst bei den Larven auf; hier jedoch schon bei den ganz jungen, eben ausgeschlüpften. Werfen wir endlich noch einen Blick auf Stadium IV, die Imago! Ich habe hierüber bis jetzt verhältnismäßig wenig Beobach- tungen angestellt, da dieses Stadium im wesentlichen identisch sein dürfte mit demjenigen der Puppen in den letzten Tagen vor dem Ausschlüpfen. Es tritt hier besonders die Muskeltätigkeit hervor neben der Reifung der Geschlechtsprodukte und einer höheren Vollkommenheit der nervösen Funktionen. Es ist von Interesse, dass in diesem Stadium der Darm be- deutend an Ausdehnung verliert, gegenüber dem der Larve auf etwa !/, der Länge reduziert ist (Mitteldarm von 7,2 cm auf 2,3 cm im Mittel, Enddarm von 3,5 cm auf 1 cm). Es tritt somit schon nach diesem äußerlichen Zeichen die Nahrungsaufnahme beim er- wachsenen Tier zurück gegenüber der Larve; dabei ist es weiter bemerkenswert, dass die Imago, wie häufig auch bei anderen In- sekten beobachtet wird, eine Änderung des Fressinstinktes gegenüber der Larve erfahren hat, indem sie gern Zucker, Obst ete. aufnimmt, im Gegensatz zu jener, die Fleischfresser ist. Die Lebensdauer der Imago fand ich bei Nahrung mit Zucker- wasser, zartem Brot, Wasser, im Sommer in Gefangenschaft bis zu 35 Tage; ich vermute, dass dieselbe unter günstigen Bedingungen noch beträchtlich länger ist. Auch in der Kälte während des Winters ist an die Möglichkeit einer konservierenden Winter- starre zu denken. Überblicken wir die Vorgänge in den verschiedenen Stadien nochmals kurz, so kommen wir, soweit sich heute ein Bild geben lässt’), zu der Vorstellung, dass im Stadium I (Ei) das Tier auf Kosten der in ihm enthaltenen Stoffe, besonders des Fettes, sich entwickelt (ohne Zufuhr von äußerer Nahrung!) bis zur auskriechen- den Larve (Stadium I). Im Stadium IIa, Ila‘, Ila* nimmt die Larve Fleisch (besonders eiweißartige Substanz und Fett) auf; die Nahrungsaufnahme ist hier der dominierende Prozess. Die Larve bildet daraus Eiweiß des eigenen Körpers und Fett. Daneben findet ein Verbrauch von Fett statt, der hauptsächlich durch die Tätigkeit der Muskeln be- dingt ist. Im Stadium IIb, IIb’ ete. finden jeweils die Häutungen (Neu- bildung einer Chitinhülle) statt; dabei setzt die Nahrungsaufnahme 5) Es ist natürlich, dass die eine oder andere der Vorstellungen, die heute aus den Tatsachen zu folgen scheinen, später bei weiterer Kenntnis der Dinge, durch eine andere wird ersetzt werden müssen. XXIX. 36 572 Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. aus; das Stadium II währt so lange, bis ein bestimmter Gehalt an Reservestoff erreicht ist, dann setzt die Verpuppung, und Stadium III, die Metamorphose ein. In Stadıum III setzt ebenfalls die Nahrungsaufnahme aus, das bisher dominierende larvale Gewebe wird zerstört und die Anlagen des imaginalen Gewebes bilden einen neuen Organismus, der wesentlich anders gebaut ist als die Larve. Dieser Umbau geschieht in erster Linie auf Kosten des ın der Larve aufgehäuften Vorrates an Fett, der hierbei zu einem großen Teil, ungefähr zur Hälfte, verbraucht wird. Eine Bildung von Fett findet in diesem Stadium nicht mehr statt. Sodann wird eine kleine Menge Kohlehydrat (Chitin) gebildet; als Muttersubstanz hierfür dient nicht das Fett, sondern das Eiweiß des Tieres. Im Stadium IV, der Imago endlich, kommt es zu lebhafter Tätigkeit der Reproduktionsorgane sowie der anımalen Organe. Welche chemischen Vorgänge hier in den Vordergrund treten, habe ich noch nicht untersucht; vermutlich dürfte das Verhalten sich sehr an das des Stadium III anlehnen. Nachdem die Hauptprozesse in ihrem Vorkommen in den ver- schiedenen Stadien erörtert sind und wir als solche 1. einen Vorgang der Bildung von Fett aus Eiweiß (Stadium Ila), 2. einen Vorgang der Zersetzung von Fett (Stadium I, IB AIIE IV?) 3. einen Vorgang der Bildung von Kohlehydrat (und Chitin) (Stadium III, IIb), 4. einen Vorgang der Bildung von Eiweiß (Stadium Ila) zutage gebracht haben, hat es Sinn, einen Schritt weiter zu ver- suchen, ob es gelingt, in die einzelnen Vorgänge einzudringen. Dabeı hat sich zunächst ergeben, dass diese Vorgänge auch mit dem durch Zerreiben der Tiere erhaltenen Brei (zum Teil noch mit dem Presssaft) sich erhalten lassen. Ferner ergab sich, dass für einige derselben die fortwährende Berührung mit OÖ, not- wendig ist; ich habe dies durch fortgesetztes Schütteln des Breies mit OÖ, erreicht; für andere Prozesse wieder ist die Gegenwart von O, nicht notwendig. Betrachten wir zunächst den Vorgang der Zuckerbildung, so hat sich bei diesem einmal ergeben, dass er nur im oxybio- tisch geleiteten Versuch statthat; ım Verlauf von ungefähr 20 Stunden können sich hier in 20 g Brei der Puppen Zucker- mengen von bis zu 1,5 deg bilden. Als Quelle dieses Zuckers können, wie die Versuche gezeigt haben, weder präformierte, durch Aufschließen des Breies mit Salzsäure zu erhaltende Kohlehydrat- veste noch Chitin, noch Fett angenommen werden; die Zersetzung des Fettes erwies sich als vollkommen unabhängig von der Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. 573 Bildung des Zuckers im Brei. Auf verschiedenen Wegen ergab sich vielmehr das Resultat, dass dieser Zucker aus Eiweiß herstammte. Die Menge, in der er gebildet wird, ist nicht eben stark abweichend von derjenigen, die bei der intakten Puppe in der Zeit der Metamorphose beobachtet wird. Dass dieser Vorgang nur bei Gegenwart von O, vor sich geht, ist nicht überraschend, denn wenn man von den verschiedenen Aminosäuren, die im Eiweißmolekül enthalten sind, ausgeht, ist es direkt ersichtlich, dass bei ihrer Aneinanderlagerung und Umbildung zu Dextrosemolekülen für gewöhnlich ein Eintritt von Sauerstoff ins Molekül notwendig ist®). Diese wichtige Bildung von Kohlehydrat zeigte sich jedoch noch an eine dere weitere Bedingung ln ni die — wie sich gezeigt hat —, auch bei anderen ver denen Prozessen von großer Bedeutung zu sein en es ergab sıch, dass die Bildung von Kohlehydrat ab- hängig war von der Menge des vorher im Brei ent- haltenen Kohlehydrates: je mehr Kohlehydrat schon im Brei an sich vorhanden war, um so weniger Kohlehydrat wurde neu gebildet, bis zu einem Maximum, bei welchem gar kein Kohlehydrat mehr gebildet nik . Limes „rau Is Fig. 3 Zunahme des Zuckers in 20 g Brei etwa bei 300 mg Dextrose auf der Puppen mit wechselndem anfänglichen 20 g Brei. Umgekehrt wurde um Gehalt an Glykose. so mehr Kohlehydrat gebildet, je weniger Kohlehydrat im voraus im Brei enthalten war. Die vor- liegenden Verhältnisse werden ungefähr durch die beistehende Kurve (Fig. 3) illustriert. Auch bei den Versuchen, bei denen im Brei eine starke Neubildung erzielt wurde, hielt sich die schließ- lich erzielte Gesamtkohlehydratmenge stets in der Nähe des oben genannten Maximums. Wenn das Maximum erreicht ist, so ist der Prozess der Zucker- bildung sistiert. Es kann nun ein.neuer Prozess an dem Zucker einsetzen, der eine Umgestaltung desselben bedingt; es ist nach meinen Versuchen wahrscheinlich, dass der so aufgehäufte Zucker nunmehr nicht etwa verbrannt wird — es ist kein Anhaltspunkt dafür gefunden worden, dass die Dipteren in der Puppenruhe Zucker 6) Für die Annahme, dass Eintritt von Wasser hierfür genügt, scheint mir kein genügender Anhaltspunkt vorzuliegen. 36* 574 Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. verbrennen — sondern zur Bildung von Chitin, das in den Puppen, wie wir oben gesehen haben, in beträchtlicher Menge neu auftritt, Verwendung findet, wenigstens habe ich in mehreren Ver- suchen mit hohem Ausgangszuckergehalt am Ende des Versuches eine Abnahme des Zuckers und eine Zunahme des Rohchitins gegen- über dem Ausgangswert beobachtet. Durch diese Befunde, die ich in ihren näheren Einzelheiten hier nicht wiedergeben kann, wird die Bedeutung des Zuckers in der Puppe beträchtlich weiter geklärt: es ergibt sich, dass Zucker in mäßiger Menge gebildet wird und dass er wahrscheinlich nicht der Verbrennung dient, sondern zur Bildung des Chitins des Imago verwendet wird. Gleichzeitig ergaben die Versuche die wichtige Tatsache, dass hier bei der Entstehung des Zuckers eine Relation zwischen der Menge des Zuckers und der Gesamtmenge des Breies einen ent- scheidenden Einfluss übt, so, dass die Zuckerbildung ein bestimmtes Maximum nie überschreitet. Hier zeigt sich somit eine Regu- lationsmöglichkeit für chemische Prozesse im Tier, welche unabhängig ist vom Nervensystem, und von welcher sich schon auf Grund dieses einen Beispiels vermuten lässt, dass sie weiter verbreitet bei den Organismen zu beobachten sein dürfte. Tatsächlich hat sie sich auch später bei dem Vorgang der Fett- bildung wieder gefunden. Wenden wir uns nunmehr den Vorgängen, die das Fett der Tiere betreffen, zu. Zunächst findet hier im Stadium Ila (fressende Larve) eine Bildung von Fett statt und zwar aus eiweiß- artiger Substanz. Während wir aber gesehen haben, dass die Bildung von Zucker aus Eiweiß im oxybiotischen Schüttelversuch statthat, hat sich ergeben, dass für die Fettbildung Gegenwart von O, nicht erforderlich, sogar eher etwas hinderlich ist. Des weiteren hat sich ergeben, dass Zusatz von Pepton diesen Prozess unterstützte, doch war er auch ohne Zusatz von Pepton zu erhalten. Dieser Fettbildung aus Eiweiß haben wir ohne Zweifel die oben bei den Larven erörterte sehr reichliche Bildung von Ammoniak zuzuschreiben, und es ist vielleicht möglich, die Bildung von höheren Fettsäuren, wie Palmitinsäure etc. sich: vorzustellen auf Grund der Wirkung zweier Prozesse: eines desamidierenden und eines die Karboxylgruppe abspaltenden; für das Vor- kommen dieses letzteren werden wir weiter unten noch näheren Anhaltspunkten begegnen bei Besprechung der Fettzersetzung. Man kann so schematisch etwa an die nebenstehende Gleichung denken. Auch für die Fettbildung ergab sich, wie schon erwähnt, ähn- lich wie für die Zuckerbildung, eine Abhängigkeit von der Menge des schon im Brei enthaltenen Fettes. Bei einem Fettgehalt des Breies unter 3,3°/, war die Neubildung eine starke, Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. 575 bei einem höheren Fettgehalt war sie gering oder fehlte. Es ıst bemerkenswert, dass jener Wert von 3,3%, unter demjenigen der frischen Eier liegt und es scheint daraus zu folgen, dass ‚die Larven häufig weniger Fett enthalten als die Eier, d. h. mit anderen Worten, dass die Gewichtszunahme beim Wachstum die verschiedenen Stoffe nicht gleichmäßig betrifft, sondern ungleich- mäßig: es scheint, dass andere Gewebsteile, besonders die eiweiß- artigen, sich jeweils eher vergrößern, ehe die Fettbildung und -Ablagerung wieder einsetzt. Der höchste Wert an Fett in dem Larvenbrei belief sich auf etwas über 8°/,. Damit dürfte, wie u.a. der Gehalt der eben verpuppten Tiere an Fett beweist, das Maximum erreicht sein, nach dessen Erzielung das Fressen eingestellt wird, vielleicht weil kein weiteres Fett mehr gebildet werden kann (analog oben den Beobachtungen am Zucker). CH, | CH, BLINIEI ES | (ÖlEb, COOH | 5 I ROH ICON. CH, | | CHNH, CHNH, | | COOH COOH Die Versuche über die Bildung von Fett zeigten noch eine weitere Besonderheit; es zeigten nämlich dieselben Tiere, jeweils an sich folgenden Tagen entgegengesetztes Verhalten: starke Fettzunahme und geringe oder fehlende Zunahme wechselten von Tag zu Tag. Ich habe an die Möglichkeit gedacht, dass diese Erscheinung mit den periodisch eintretenden Häutungen zusammen- hängen könne und vielleicht zugleich auch mit dem oben erwähnten ungleichen Wachstum von eiweißartiger Substanz und Fett. Doch müssen hier noch weitere Beobachtungen abgewartet werden. Am Fett habe ich, wie erwähnt, noch einen zweiten Prozess festgestellt, nämlich die Zersetzung von Fett. Dieser Vorgang findet, wie ich habe beobachten können, erstens in Stadium III während der Metamorphose in reichlichem Maße statt, zweitens auch bei den Larven; ohne Zweifel dient er hier besonders dem Betrieb der Muskeln. Soweit meine Beobachtungen reichen, findet dieser Prozess, was seinen chemischen Ablauf betrifft, in den Puppen auf dem- selben Wege statt, wie in den Larven. Meine hauptsäch- lichsten Beobachtungen habe ich am Puppenbrei gemacht und zwar sowohl bei anoxybiotischer wie bei oxybiotischer Leitung 576 Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. der Versuche. Bei anoxybiotischer Anordnung beobachtet man hier eine verhältnismäßig geringe Abnahme des Fettes. Es treten dabei CO, und H, auf und zwar im Mittel im Mengenverhältnis von 1 Vol. CO, zu !/, Vol. H,; doch ist (wie dies selbstverständ- lich ist) die CO, nicht entfernt in der Menge vorhanden, wie dies bei einer vollständigen Verbrennung des Fettes der Fall wäre. Es entstehen hier intermediäre Zwischenstufen bei der Zersetzung des Fettes, die noch nicht festgestellt sind. Was die Bildung von H, neben CO, betrifft, so lässt sich diese zunächst am einfachsten auf- fassen als gebildet bei der Abspaltung der Karboxylgruppe vom Fettsäuremoleküle: C,,H,, -COOH. Hierbei ist nun etwa sogleich sich anschließend ein weiterer Zerfall des Paraffinrestes zu vermuten, so dass dieser nicht durch den bei dem Zerfall der Karboxylgruppe zu CO, und H freiwerdenden Wasserstoff zu Paraffin reduziert und dadurch vor weiterer Zer- setzung bewahrt werden kann’). Auch bei der Larve habe ich im anoxybiotischen Versuch das Auftreten von H, neben CO, nachgewiesen. Leitet man den Versuch oxybiotisch, so ist die Fettzersetzung bei dem Puppenbrei eine viel lebhaftere, ja bedeutend lebhafter als in der intakten Puppe selbst und es wird nunmehr kein oder höchstens Spuren von Wasserstoff nachweisbar. Vermutlich dürfte dies dadurch bedingt sein, dass der entstehende Wasserstoff sogleich durch den disponiblen O, (direkt oder indirekt) oxydiert wird. Ich möchte an dieser Stelle noch darauf aufmerksam machen, dass es mir von Wichtigkeit scheint, dass hier die Zersetzung von Fett einmal unabhängig vom Nervensystem stattfindet, in der Zeit der Metamorphose, sodann abhängig vom Nervensystem bei der Muskelbewegung der Larve. Im vorhergehenden habe ich ein etwas abgerundetes Bild über die näheren Verhältnisse, die bei den einzelnen Prozessen obwalten, zu geben versucht. Es ist natürlich, dass dies hier nicht mit der Schärfe gegeben werden kann, wie bei einer ins einzelne gehenden Darstellung. Manches ist weniger gut begründet als in den aus- führlichen Darstellungen, manches hat infolge der zusammenfassen- den Darstellung etwas vereinfacht dargestellt werden müssen, so dass der Leser nicht so in den Stand gesetzt ist, Gründe und Gegengründe abzuwägen, wie ich es wünsche und ich möchte des- halb hierfür ganz besonders auf die einzelnen ausführlichen Ver- suchsbeschreibungen und ihre Diskussion verweisen. Auch die in den einzelnen Fällen von mir angewendete zum Teil sehr viel Mühe erfordernde Methodik kann ich hier nicht beschreiben, sie findet sich genau bei den ausführlichen Mitteilungen angegeben. 7) In kleinen Mengen ist Paraffin im Bienenwachs nachgewiesen worden. Weinland, Chemische Beobachtungen an der Fliege Calliphora. H77 D gs 5 1 dd Aus dem Ausgeführten ist ersichtlich, inwieweit es mir bis jetzt gelungen ist, die chemischen Prozesse bei einem Insekt in den Hauptlinien zu klären und es ergibt sich daraus weiter, dass hier überall noch ein weiterer Ausbau erforderlich ist. So ist vor allem bis jetzt die Funktion der einzelnen Teile im Tier noch gar nicht in Angriff genommen und es ist vielleicht erlaubt zu hoffen, dass sich dabei ein weiterer Einblick für die kausale Auf- klärung der Prozesse finden wird. Die Probleme ergeben sich hier größtenteils durch die beobachteten Tatsachen und lassen sich nicht im voraus (von außen hereintragen oder) durch Analogie mit einem anderen weit abliegenden Tiertypus aufstellen. Es verspricht große Fortschritte, wenn bei verwandten Tiergruppen die era ebenfalls untersucht werden und so eine umfassende und zu- sammenhängende Vorstellung angebahnt wird, bei der nicht mehr einzelne isolierte Tatsachen oft willkürlich zusammengestellt sind, sondern ein festes Gerüst die einzelnen Beobachtungen in die richtige Beziehung zueinander setzt. Sodann wird bei anderen Tiertypen ein analages Einzelstudium dort die wesentlichen Grund- züge zutage fördern müssen und erst auf der Grundlage dieser Kenntnisse wird ein wirklicher Überbliek über diese hinter der Gestaltung liegenden Vorgänge sich erreichen lassen. Dabei wird es vielleicht möglich werden, für Erscheinungen, die heute nur als durch allmähliche Anpassung erworben, oder um- gekehrt als durch Vererbung überliefert erklärt werden, Gesetz- mäßigkeiten klarzulegen, die eben in der spezifischen Art der Pro- zesse, die diesen Erscheinungen zugrunde liegen, begründet sind. Es ist vielleicht am Platze, in diesem Zusammenhang auf die Fälle von Korrelationen bei den Tieren hinzuweisen, wie sie z. B. zwischen Atmungsapparat und Blutgefäßsystem bestehen und wie ich sie in letzter Zeit zwischen Verdauungssystem, speziell Reservestoffdrüsen einerseits und Blutsystem bezw. O, führendem System andererseits aufzudecken versucht habe. Die im vorhergehenden gegebenen Tatsachen sind jeweils ın doppelter Hinsicht von Interesse; einmal, indem sie zeigen, wie bestimmte chemische Prozesse im Tier ablaufen, dann aber auch als Teilprozesse in der Entwickelungsreihe eines Tieres, und es ist zu wünschen, dass es gelingen wird, in dieser Hinsicht noch weiter die Kenntnisse auszubauen, um so zu versuchen, ın diese Erscheinungen auf dem eingeschlagenen Wege einigen Ein- blick zu erlangen. 978 Verhoeff, Über Dermapteren. Über Dermapteren. 6. Aufsatz'). Zur Biologie europäischer Ohrwürmer. Von Karl W. Verhoeff in Bonn a./Rh. In der 11. Lieferung des „Tierreich“, Berlin 1900, bearbeitete der inzwischen leider dahingeschiedene A. de Bormans (Turin) die Dermaptera und sprach sich in der Einleitung dieses Buches S.5 über das charakteristische Organ der Ohrwürmer in folgender Weise aus: „Abgesehen davon, dass die Zangen als Schreck- und Verteidigungsmittel, sowie als Haltapparat bei der Begattung dienen, werden sie bei den geflügelten Arten zum Entfalten und Zusammenfalten der Flügel benutzt.“ Wenn einer der besten Dermapteren-Kenner in einer zusammenfassenden Arbeit über die biologische Bedeutung der Zangen sich also ausspricht, darf man annehmen, dass ihm eine Reihe von Beobachtungen oder Mit- teilungen als Unterlage gedient habe und dass jetzt diese Erklärung als maßgebend gelten kann. Zu ihrer Ergänzung will ich noch hinzufügen, dass in dem bekannten zoologischen Handbuch von Leunis-Ludwig, Hannover 1886, auf S. 500 des 2. Bandes be- hauptet wird: die Ohrwürmer „leben lichtscheu unter Baumrinden, Steinen und an ähnlichen versteckten Orten und ernähren sich von pflanzlichen und tierischen Abfällen, zum Teil auch von Blüten- und Fruchtsäften, „greifen aber keine lebenden Tiere an“. H. Gadeau de Kerville hat 1905 in einem hübschen kleinen Aufsatz „Note sur les fonctions de la pince des Insectes.... Forfi- ceulidss“, Paris, Bull. de la soc. zool. de France S. 53—64 (mit einer Tafel), die verschiedenen Beobachtungen über die Zangen der Ohr- würmer kritisch zusammengestellt und unterscheidet drei Kapitel: I. La pince est un organe de defense et d’attaque. Er bespricht die Apterygida linearis Esch. aus Argentinien, welche abends in Häusern die Bewohner durch heftiges, zwei Bluttröpfchen hervorpressendes Zwieken belästigen und verhärtete, weißliche Ent- zündungen hervorrufen, welche mehrere Tage andauern. Über sehr heftiges Zwicken der Anisolabis colossea D ohrn beklagte sich Walker. Die Zangen dienen aber nicht allein der Verteidigung, sondern auch dem Angriff auf Beutetiere, wie Robertson und Malcolm Burr an Labidura riparia Pall. feststellten, welche sie mit lebenden Fliegen ernährten. E. J. Sopp stellte fest, dass die Labiduren die Fliegen nicht nur mit den Zangen ergreifen, sondern sie auch festhalten, während sie dieselben verzehren. II. La pince sert ä maintenir les deux sexes pendant l’accouplement. G. de Kerville schrieb 1903 im Bull. de la soc. entomol. de France $. 85—87 über die Copula und gab eine 1) Den 5. Aufsatz findet man 1904, Bd. I, H. 1 im Arch. f. Nat. Am Schluss desselben, $. 121 sind auch die früheren Dermapteren-Aufsätze verzeichnet. Verhoeff, Über Dermapteren. 579 Abbildung derselben für Forfieula auricularia, 1907 (Rouen, Impri- merie Lecerf) für Labidura riparia. Er fasst seine Ansicht in die Worte zusammen: „Quand ıl desire s’accoupler le Forficula auri- cularia g' s’approche d’une femelle, va et devient aupres d’elle, avance et recule, contourne son abdomen en differents sens et parait chercher a saisir la femelle avec sa pince qui, en realıt6, semble ne lui ötre utile ni dans les preliminaires de l’accouplement ni pendant cet acte.“ E.J. Sopp schrieb an G. de Kerville in gleichem Sinne, „la pince n’etait, en aucune maniere employde jour la copulation, fait dont je suis absolument certain“. A. de Bormans sagt über die von ihm beobachtete Chelidura aptera Charp. „Le mäle reposait le dosä terre, la femelle les pattes sur le sol; de facon que le mäle appuyait le dessous de ses pinces sur le ventre de la femelle et vice-versa“. III. La pince est employ&e pour le deploiement et le reploiement des ailes et le soulövement des ölytres. Die hier beigebrachten stützenden Beobachtungen sind spärlich und nicht ausreichend. P. Noel will Forficula auricularia („presque certainement“!) beobachtet haben, welche auf vorstehende Spitzen kletterten, „ouvraient leurs elytres, puis, en recourbant en avant la partie posterieure de leur corps, ils deployaient leurs ailes A l’aide de leur pince et s’envolaient“. Ich zweifle nicht, dass hier eine Verwechslung mit Labia minor vorliegt. G. de Kerville fasst seine Anschauungen über die biologische Bedeutung der Ohr- wurmzangen in die Worte zusammen: „La pince des Forficulides a de multiples fonctions, car elle est. un organe de defense et d’attaque, qui aide au deploiement et au reploiement des alles et au soulevement des elytres, et qui possiblement, sert aussi a piquer des substances vegetales plus ou moins aqueuses pour en faire couler des sucs que boivent les Forficulides.“ Meine eigenen Beobachtungen, welche sich vorwiegend auf Forficula auricularia und Labidura riparia beziehen, stimmen mit dem, was andere uns mitgeteilt haben, einerseits nur teilweise überein, andererseits gaben sie mir Einblick in einige Verhältnisse, welche "bisher überhaupt unbekannt geblieben sind. Es ıst deshalb nicht unbegründet, wenn ich aus meinen Erfahrungen einiges mit- teile, was geeignet ist, die Organisation der Ohrwürmer und vor allem die ihren ganzen Körperbau bestimmenden Zangen in etwas hellerem Lichte erschemen zu lassen. 1. Die Zangen als Waffen. Dass die Ohrwurmzangen zur Verteidigung benutzt werden, kann jeder sofort sehen, der einmal einige Individuen zu ergreifen und festzuhalten versucht hat. Hier bedarf es also keiner weiteren Begründung. Weit schwieriger feststellbar ist die Verwendung 580 Verhoeff, Über Dermapteren. der Zangen als Angriffswaffen. Bei Forfeula auricularia ver- mögen die Zangen des Männchens unsere Finger kräftig zu kneipen, nicht oder nur unbedeutend diejenigen des Weibehens, obwohl auch dieses sie im Lauf häufig in Abwehrhaltung trägt. Es ist also von vornherein klar, dass das Männchen für einen Angriff besser ausgerüstet ıst als das Weibchen. Wer ım Hochsommer und Herbst unseren aurieularia nachstellt und die richtigen Plätze zu finden weiß, kann sich leicht überzeugen, dass der gemeine Ohr- wurm em geselliges Tier ist, das man unter Rinden, unter Steinen, hinter losen Pfahlborken oft in ganzen Scharen antrifft. Folge dieser Geselligkeit ıst, dass die Weibchen, welche gewöhn- lich mit einer Reihe Männchen vergesellschaftet leben, in der Lage sind, von den stärkeren Zangen derselben bei Abwehr und Angriff Nutzen zu ziehen. Die Zangen der auricularia-Männchen sind nicht nur viel stärker, sondern auch viel varıabler als diejenigen der Weibchen, ein Umstand, der mich veranlasst hat, mehrmals eine größere Serie von auricularia-Individuen zu prüfen. In seiner „Tierreich“-Mono- graphie sagt de Bormans S. 123: „Die Zange des Männchens zeigt große Mannigfaltigkeit bezüglich der Länge und Krümmung; sehr langgestreckt und elliptisch gebogen wird sie als forma macrolabıa, kurz und kreisförmig gebogen als forma eycelolabıa bezeichnet.“ Meine Untersuchungen an Hunderten von Individuen zeigten mir, dass: 1. Die Männchen mit den größeren Zangen durchschnittlich auch einen entsprechend größeren Körper besitzen und umgekehrt, weshalb ich een »n und Kleinmännchen unterschend 2. die Klein- und Großmännchen in Körper- und Zangengröbe und A m ganz allmählich ineinander übergehen, 3. in einer an einem bestimmten Platz wahllos gesammelten Masse die Großmännchen in Deutschland an Zahl erheblich hinter den Kleinmännchen zurückstehen, während 4. in einer Serie aus Krain umgekehrt die Großmännchen zahlreicher waren als die Kleinmännchen, nämlich 38 Großmännchen neben 21 Kleinmännchen. Aus Rheinpreußen will ich als Beispiele zwei Fänge anführen, der eine 15. Sept. von Plittersdorf unter Pfahlborken und Baum- rınden enthielt neben 51 Weibchen 103 Männchen. Unter den Männchen bezeichne ich als Großmännchen diejenigen, welche Zangen von 6 mm und mehr Länge besitzen. Hier fanden sich aber 5 Großmännchen von 13--15t/, mm Länge mit Zangen von 6—7 mm Länge. Dagegen 98 Kleinmännchen von 12—14 mm Länge mit Zangen von 3°/,—5!/, mm Länge. Am Rheinufer bei Oberkassel sammelte ich unter Steinen ım 29 Kiesgebiet 20. Sept. neben 33 Weibchen 51 Männchen und zwar Verhoeff, Über Dermapteren. 581 11 Großmännchen von 13?2/,—15 mm Länge mit Zangen von 6-—8 mm. Dagegen 40 Kleinmännchen von 12—15!/, mm Länge mit Zangen von 3°/,—5?/, mm. Es handelt sich also bei den Zangen der Männchen um Größen- schwankungen von 1 zu mehr als 2. Nach Größe und Leistungsfähigkeit ist zwischen den Zangen der Weibchen und denen der Großmännchen mithin ein ganz be- trächtlicher Unterschied, wodurch ein Ohrwurmscehwarm ver- schiedenen Feinden und verschiedenen Beuteobjekten gegenüber auch zu verschiedenartigen Leistungen befähigt wird. Es mag in dieser Zangenverschiedenheit einer Ohrwurmgesellschaft der erste Anfang zu einer Arbeitsteilung gegeben sein, wie sie bei wirklich geselligen Kerben uns in mehr oder minder höherer Vollen- dung entgegentritt. Dass die an einem bestimmten Platze, z. B. an einem Baum- stamm oder Pfahl, beisammensitzenden Ohrwürmer dort em sehr konservatives Leben geführt haben und sich vielleicht aus wenigen Eierhäuflein, welche am Fuße eines Baumes ın der Erde unter- gebracht waren, rekrutiert haben, beweisen die Nymphenexuvien, welche man bisweilen in einem ganzen Klumpen da findet, wo man einen Ohrwurmschwarm aufgetrieben hat’). Eine Reihe von Versuchen mögen jetzt einen Einblick geben in das Verhalten der aurieularia gegenüber anderen Kerbtieren. In ein Glas setzte ich S Männchen 4 Weibchen zusammen mit einem großen Weibchen einer Garten-Tetragnatha (Spinne). 4 Männ- chen griffen dieselbe an, sobald sie sich ihnen näherte, wobei sich das Abdomen als eine höchst wirksame Keule erwies. Die Tiere vermögen durch Heben und Senken des Hinterleibes — wobei sie ihn zuerst nach vorn emporheben, dann nach hinten heraus- schleudern — so kräftig zu schlagen, dass man die Schläge laut am Glase klingen hört. Dies ıst zwar eigentlich ene Abwehr- bewegung, aber wenn mehrere Männchen auf die Spinne einschlagen, wird sie bald matt. Wirksamer ist jedoch noch die Angriffs- bewegung, welche nicht von oben nach unten, sondern von unten hinten nach oben und vorn erfolgt, was etwas an die Angrifismethode des Postabdomen der Skorpione erinnert. Die Forficula bäumt den Hinterleib nach oben und vorn und krümmt sich dabei meist auch nach der Seite, sie schleudert also den Hinterleib mit den Zangen von oben und seitwärts gegen die Spinne. Dabei findet oft gar keine Kneipbewegung statt. Die Kraft des Schlages ıst so groß, dass wenn die Spinne von einer Zangenspitze getroffen wird, sie leicht schwer verletzt werden kann. 2) Am 17. Sept. fand ich bei Bonn unter Hunderten von z. T. in Klumpen beieinander sitzenden Ohrwürmern (g'2) keine Larven oder Nymphen mehr. 582 Verhoeff, Über Dermapteren. Einmal sah ich, wie sich die Tetragnatha auf eine Forficula stürzte, um sie mit ihren Giftklauen zu fassen, konnte aber an dem festen, gerundeten Panzer des Ohrwurmes nichts ausrichten, prallte vielmehr zurück, als dieser aus den Rückendrüsen Sekret abgab. Dieses gelbliche Sekret ätzt die menschliche Haut ähnlich wie das gelbe Sekret vieler Juliden, so dass man an den Fingern bisweilen tagelang braungelbe Flecke behält, welche auch wieder- holtem Waschen mit Seife widerstehen. Sobald die Tetragnatha von einem Zangenhieb eine Wunde er- halten hatte, blieb sie in Abwehrstellung aber ganz matt auf dem Rücken liegen und alsbald fielen mehrere Forfieula über sie her, bissen ihr die Beine ab und hatten sie nach etwa °/, Stunde bıs auf einige kläglıche Beinreste verzehrt. Zu denselben Ohrwürmern setzte ich eine fette, mittelwüchsige Kreuzspinne (Epeira diademata). Sie erhielt einen Zangenhieb, in- folgedessen sie stark blutete und ın kurzer Zeit matt wurde. Nach wenigen Stunden fand ich auch sie verzehrt bis auf schwache Bein- reste, ohne dass sie eine Forficula verletzt hätte. Die schwächeren Weibchen beteiligten sich zwar auch in ähnlicher Weise wie die Männchen an den Abwehr- und Angriffsbewegungen, jedoch mit geringerem Erfolg, nehmen aber an den gemeinsamen Mahlzeiten teil und werden so bis zu einem gewissen Grade von den Männ- chen mitversorgt. Ein Knäuel zusammensitzender Zängler streckt in der Regel nach allen Richtungen die Zwickinstrumente heraus, so dass es auch unseren stärksten Spinnen unmöglich ist, einer solchen Gesellschaft zu schaden. Ein einzelnes Forficula-Männchen sperrte ich zusammen mit einem erwachsenen Epeira diademata-Weibchen. Dasselbe ıst an Körpermasse größer als jener, an Länge nur wenig kürzer. Das Forficula-Männchen bewegte sich unter geschickter Haltung des Hinterleibes, indem es die weit geöffneten Zangen und den aufge- bäumten Hinterleib skorpionartig über den Rücken hebt und nach der Richtung krümmt, in welcher die Kreuzspinne sitzt, auf die- selbe einhauend, sobald sie zu nahe kommt. Eine Stunde später sah ich die Epeira getötet und ein Bein abgebissen. Bekanntlich findet man ım Herbst häufig Ohrwürmer in den krugartig zusammengekrümmten Daeecus-Dolden. Ich sperrte des- halb zwei auricularia-W eibehen zusammen mit einer Eulen- und einer Spannerraupe, mit denen ich sie draußen an Daucus-Dolden gesammelt hatte. Schon nach wenigen Minuten hatte ein Weibchen die Spannerraupe angefallen und verzehrte sie. Mit dem Fressen der auf Daueus häufigen Eulenraupe fand ich beide am anderen Morgen beschäftigt. Diese Eulenraupen machen in den Daueus- Dolden Gespinste, aber die Zängler scheinen auch in die Gespinste Verhoeff, Über Dermapteren. 585 einzudringen, denn ich fand dieselben wiederholt leer und Über- reste von Raupen darin. Am Ufer des Rheines und der Elbe zwischen Steinen und Kies haust Forficula auricularia zahlreich, namentlich da, wo sich Haufen mittelgroßer Steine befinden oder flach ausgebreitete Kräuter wachsen, unter denen sie sich verstecken können. An denselben Uferplätzen haust eine unserer schönsten und kräftigsten Wolfs- spinnen, Arctosa cinerea F. Da diese beiden Kerbtiere in einer gewissen natürlichen Konkurrenz stehen, musste das Verhalten zu- einander von Interesse sein. Zwei erwachsene Arctosa-W eibchen gab ich in eine große Glaskapsel mit zahlreichen Forfieula. Dieselben scheuten vor den sie an Masse durchschnittlich um das Doppelte übertreffenden Spinnen durchaus nicht zurück, viel- mehr sah ich sie mehrfach mit den Mandibeln nach den Beinen derselben haschen. Ich sah ein Forficula-Weibehen mit den Zangen sich fest in ein Bein der Spinne verkneipen und über eine Minute lang festhalten. Sie begann sogar die schwere Spinne abzuschleppen, bis sich diese dann losmachte. Mehrmals fand zwischen einer Wolfsspinne und einem Ohrwurm ein heftiger Kampf statt, wobei sich die erstere stets auf den Rücken warf und mit ihren Beinen den Gegner hochzuhalten und durch Bisse zu be- wältigen suchte. Bei dem glatten Panzer der Zängler hatte sie offenbar mit den Bissen nie Erfolg, während sie selbst nach einer Viertelstunde eine blutende Hinterleibswunde und ein zerknicktes Bein aufwies. Hiernach ist es wahrscheinlich, dass namentlich die jüngeren Wolfsspinnen den Ohrwürmern gelegentlich zum Opfer fallen. Jenes Weibchen war am anderen Morgen fast vollständig aufgefressen, während dann zwei andere Trochosa tagelang unter 50 Forficula verschont blieben. In eine Glaskapsel von 15 cm Breite und 7 cm Höhe sperrte ich ein 60 Stück Forficula, ein Arctosa cinerea-Weibchen, ein Epeira- umbratica-Weibchen und einen Pfirsich. Den ganzen Tag über saßen zahlreiche Forficula auf dem Pfirsich, ohne ihn anzufressen! Dies geschah erst ın der Nacht und dann auch nur an der An- wachsungsstelle in bescheidenem Maße. Die Spinnen blieben verschont, doch herrschte besonders kühle Witterung. Nur einmal habe ich beobachtet, dass ein Forficula-W eibchen von einer Epeira umbratica am Abdomen verletzt wurde. Es fielen zwei kannibalische Genossinnen über dasselbe her, obwohl es noch nicht völlig getötet war und andern Tags fanden sich von ıhm nur noch einige Hartteile. Epeira umbratica ıst vielleicht mehr als jede andere Spinne Deutschlands auf ein Leben neben Forficula angewiesen und be- kanntlich sind beide Tiere häufig gemeinsam unter Borken anzu- treffen. Diese Möglichkeit verdankt die wumbratica offenbar ihrer 984 Verhoeff, Über Dermapteren. im Vergleich mit anderen ‘Spinnen äußerst zähen Hinterleibshaut, welche ich geradezu als eine Anpassung an die Ohrwürmer be- trachte. Daher blieben 3 umbratica-Weibchen, welche ich 4—5 Tage mit Forficula teils in geringerer, teils in größerer Anzahl zusammen- gesperrt hatte, verschont, aber auch die Ohrwürmer wurden nicht gebissen. Ein zumbratica-Weibcehen und 4 Ohrwürmer eine Woche lang in einem Gläschen beisammen, töteten sich gegenseitig nicht. In einem anderen Fall kroch ein Forficula-Weibchen ın ein umbratiea-Gespinst. Die Spinne wich zurück und saß regungslos über dem in aller Ruhe sich putzenden Ohrwurm. Ein feistes Weibchen von Steatoda dagegen fand ich nach der ersten Nacht vollkommen aufgefressen. Um mich von der Widerstandsfähigkeit der zähen Hinterleibs- haut einer umbratica zu überzeugen, hielt ich eine Forficula direkt mit der Zange dagegen, doch drang sie nicht durch dieselbe; da- gegen ließ die umbratica beim Anfassen die beiden vorderen Bein- paare fahren und wurde nun bald aufgefressen. In den engen Spalten unter Borkenteilen, wo die Zangen der Ohrwürmer noch stärker wirken können als ım freien Raum, dürfte ihnen auch «m- bratica bisweilen zum Opfer fallen. Ohrwürmer, welche ich mit einer Spinne gefüttert hatte, fielen sofort über Brot und Birnenstückchen her, als ich ihnen diese vor- setzte. Umgekehrt wurde von mit Brot gefütterten Forficula den- noch eine dazu gesetzte Kreuzspinne getötet und verzehrt. Zu etwa 60 Stück der auf Weiden lebenden Aphis vitellinae setzte ich 4 Forficula auricularia. Ich sah eine derselben eine Blattlaus nur unvollkommen verzehren und dann die anderen ver- schmähen. Aber am anderen Morgen waren nur noch 34 Blatt- läuse übrig. Ganz anders verhielten sich ca. 50 Forficula gegenüber etwa 200 grauschwarzen Blattläusen, welche einen Epheuzweig besetzt hielten. Die Zängler stürzten sich eilends auf dieselben, verzehrten ein Stück’in etwa einer Minute und nach einer Stunde hatten sie mit der ganzen Blattlausgesellschaft aufgeräumt. Ebenso erging es den Blattläusen, welche einen Evonymus-Zweig besetzt hielten und von mir in eine Ohrwurmgesellschaft gesetzt wurden. Ein Ohrwurm-Männchen, dem ich keine andere Nahrung bot, setzte ich eine ganze Woche mit 15 Samen einer Daucus-Dolde zusammen, aber es verschmähte dieselben andauernd. Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass die Forficula die Dolden aus- schließlich in räuberischer Absicht erklettert?). 3) Dass Blüten von Ohrwürmern (wenigstens in Europa) nur selten besucht werden und die pflanzlichen Nährstoffe der Blüten nur geringe Anziehung auf sie ausüben, beweisen, von meinen eigenen Beobachtungen abgesehen, am besten die Verhoeff, Über Dermapteren. 585 Zum Vergleich sei hier erwähnt, dass ich ein Tetragnatha extensa-Weibchen mehrere Tage mit einem Weibchen des etwas kleineren Ohrwurmes Apterygida media Hagenb. zusammengesperrt habe. Dieser unternahm jedoch nicht nur keine Angriffe, sondern verschmähte auch einen ıhm vorgesetzten Hinterleib dieser Spinne. Als ich die Tetragnatha unter Forficula auriceularia brachte, wurde sie sofort von allen Seiten mit Zangenhieben nicht nur abgewehrt, sondern hin und wieder kroch ein Ohrwurm der Spinne nach, stets bemüht, sie in ein Bein zu beißen. Schon nach 10 Minuten war die Tetragnatha ermattet, immer von 2—3 Zänglern verfolgt. Diesen zwar langsamen und zaghaften, aber ständig fortgesetzten Beiß- und Zwickversuchen erlag die Spinne trotz der weitläufigen Glaskapsel, daher sie nach einer Stunde schon aufgefressen war. Ein andermal gab ich 3 Männchen und 1 Weibchen der Aptery- gida zu 2 Tetragnatha-Weibchen. Einen Tag saßen dieselben bei- einander, dann aber wurde eine Tetragnatha bewältigt, von welcher sie zwar den Üephalothorax verzehrten, das Abdomen aber ver- schmähten. In diesem Frühjahr gelang es mir, von der Küste des süd- französischen Maurengebirges einige Labidura riparia lebend heim- zubringen. Ich fand diese Tiere an der zwischen Porphyrklippen groben Sand und hier und da auch Geröll führenden Küste am 25. April bei St. Maxime nicht selten unter Steinen, Holzstückchen und Seegrasmassen, teils noch als Larven und Nymphen, teils aber als Imagines und zwar in beiden Geschlechtern. In ihrer Um- gebung ist kein Tier auch nur annähernd so häufig wie die unter Steinen und Seegrashaufen sich tummelnden Strand-Amphipoden (Talitrus, Orchestia). An manchen Plätzen, ganz besonders da, wo Fischer nach ihren Schlächtereien viele Überreste zurückgelassen haben, sammeln sich die Amphipoden in so ungeheuren Massen, dass beim Aufrühren der Seegraslager die springenden Tiere den Ein- druck eines herniederprasselnden Hagelwetters hervorrufen. Wer klassischen Werke von Hermann Müller (Lippstadt) über „Die Befruchtung der Blumen durch Insekten“, Leipzig 1873 und seine „Alpenblumen“, 1881. Im ersten Buch heisst es S. 127 bei Papaver rhoeas von Forficeula auricularia „Sowohl als Larve als im fertigen Zustande sich im Grunde der Blüte versteckend“ und ebenso S. 375 bei (ampanula persicifolia „in den Blüten sich versteckend‘“. S. 357 in den Alpenblumen schreibt Müller bei Plantago alpina: „Horficula- Larve Antheren abfressend“, bei Oxytropis campestris S. 235 „Forfieula bigut- tata, die Blüten anbeißend, vermutlich um den Honig zu stehlen“, S. 468 bei Hypochoeris uniflora ebenfalls von biguttata „Blütenteile fressend“. Angesichts der Tausende von H. Müller ausgeführten Beobachtungen zeigen diese wenigen Notizen, dass er Ohrwürmer nur dreimal an Blüten fressend beobachtet hat und zwar ausschließlich die Alpenform Anechura biguttata, während in den anderen Fällen die Blüten nur als Aufenthaltsort dienten und zwar, wie sich jetzt bestimmt behaupten lässt, zu räuberischen Unternehmungen. 586 Verhoeff, Über Dermapteren. hier ein mit Alkohol versehenes Sammelröhrchen geöffnet an den Boden hält, kann in Muße beobachten, wie es durch das tierische Hagelwetter von selbst gefüllt wird. Dass Labidura ein ganz gewaltiger Räuber ist, welcher unter solchen Verhältnissen einen überreich gedeckten Tisch findet, konnte mir nach meinen Forficula-Beobachtungen nicht zweifelhaft sein. Labidura riparia ıst aber nicht nur an den Meeresküsten heimisch, sondern er bewohnt auch im Binnenlande Fluss- und Seeufer. Von mir selbst wurde er, abgesehen vom Omblaufer in Dalmatien, auch in der Herzegowina (Narenta bei Mostar) und im ungarischen Alföld gefunden. Dieser Ohrwurm hat also genug Gelegenheit, nicht nur mit Strand-, sondern auch mit echten Landtieren in Berührung zu kommen, weshalb ich auch diese zu Versuchen benutzt habe. Während Forficula Wehrdrüsen zu Gebote stehen, fehlen dieselben bei Labidura. Dafür ıst diese Form mit noch etwas kräftigeren Zangen ausgerüstet, die bei den Geschlechtern wieder sehr ver- schieden und beim Männchen ganz besonders stark sind. Schon bei Forficula auricularia-Weibchen finden sich an den Zangen- innenrändern feine Rauheiten, bei dem Lapidura riparia-\W eib- chen dagegen zeigen diese Ränder eine schon mit bloßem Auge erkennbare Sägezähnelung, welche vortrefflich geeignet ist, Beute- tiere festzuhalten. Dem riparia-Männchen fehlt die basale Zangen- bezahnung des auricuwlaria-Männchens, dafür besitzt es aber zwei Zähnchen am Hinterrand des 10. Abdominaltergit und in der End- hälfte der Zangen und zwar etwas "hinter der Mitte einen Zahn- höcker am Innenrand, der im Verein mit der Zangenendspitze zum Festhalten der Beute dienlich ist. Labidura riparia habe ıch nie in solchen Gesellschaften ange- troffen wie Forficula auricularia, auch ist sein Körper nicht wie bei diesem auffällig abgeplattet, sondern mehr zylindrisch gestaltet. Die Labiduren haben sich mehr frei zu betätigen und könnten beim Durchsuchen von Tang und Seegras von einem abgeplatteten Körper auch nicht den Nutzen haben, welcher dem unter Borken hausenden gemeinen Ohrwurm zukommt. Dennoch traf ich auch Lapidura riparigq nicht bloß vereinzelt, sondern z. B. unter Steinen zu 2—5 Stück beisammen. (Schluss folgt.) Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 1. Oktober 1909. A 19. Inhalt: Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus der Sklaverei und der Myrme- kophilie bei den Ameisen. — Verhoeff, Uber Dermapteren (Schluss). — Rübsamen, Die wichtigsten deutschen Rebenschädlinge und Rebennützlinge. Über den Ursprung des sozialen Parasitismus, der Sklaverei und der Myrmekophilie bei den Ameisen, Von E. Wasmann 8. J. (Luxemburg). (170. Beitrag zur Kenntnis der Myrmekophilen.) (Mit 2 Figuren im Texte.) Herr Prof. Emery hat in Nr. 11, 1909 des Biolog. Oentralbl. eine neue Theorie „Über den Ursprung der dulotischen, parasitischen und myrmekophilen Ameisen“ aufgestellt, die er in Gegensatz zu meiner diesbezüglichen Theorie!) bringt. Er hält letztere — speziell in ihrer Anwendung auf die Verhältnisse bei Formica — zwar für „verführerisch“, aber doch für „unannehm- bar“. Ich will nun im folgenden Emer y’s Ansicht sorgfältig prüfen und mit der meinigen vergleichen. Der Hauptzweck dieser Arbeit ist jedoch kein negativer, sondern ein positiver. Neben der Kritik von Emery’s Theorie sollen nämlich auch eine Reihe neuer Gesichtspunkte gewürdigt werden, welche zum Verständnis des wahrscheinlichen phylogenetischen Ursprungs von Parasitismus, Sklaverei und Myrmekophilie bei den Ameisen beitragen. Wir 1) Weitere Beiträge zum sozialen Parasitismus und der Sklaverei bei den Ameisen (Biol. Centralbl. 1908, Nr. S—13 und 22). Ich zitiere diese Arbeit im folgenden mit „W.B. 1908“. XXIX. 37 un xtY m - si > BR 388 Wasmann, Uber den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. werden dadurch, wie ich hoffe, der Lösung dieses SE ETT Problems wenigstens etwas näher kommen. Emery’s ne Theon ie lässt sıch kurz folgendermaßen formulieren: : Die primitive Form der Koloniegründung bei den dulo- tischen und den parasitischen Ameisen ist der Typus der Raubweibchen, welche in ein fremdes Nest eindringen und dort mit Gewalt der fremden Brut sich bemächtigen, die sie daselbst dann erziehen. Dieses primitive Stadium nennt Emery „Ein- mieterstadium“. Von ihm aus soll einerseits der temporäre soziale Parasitismus, andererseits die Sklavenzucht (Dulosis) sich entwickelt haben. Der permanente soziale Parasitismus aber. ist nach Emery zum Teil bei ehemals temporär parasitischen Arten, zum Teil bei ehemals dulotischen Arten entstanden, wobei jedoch nicht die Dulosis, sondern bloß der Parasitismus der Weibchen das maßgebende Moment für die fortschreitende parasitische Degene- ration war. © Meine Theorie hatte dagegen, kurz zusammengefasst, gelautet: Die primitive Form der len nen: bei den para- sitischen und den dulotischen Ameisen ist der Typus der Adoptionsweibchen, welche die Fähigkeit zur selbständigen Koloniegründung verloren haben und deshalb hierbei von der Mit- hilfe der Arbeiterinnen (sei es der eigenen oder einer fremden Art) abhängig geworden sind. Von diesem Stadium aus, welches ich bei Formica als „rufa-ähnliches Stadium“ bezeichnete, suchte ich einerseits die Entstehung des temporären sozialen Parasitismus, andererseits die Entstehung der Sklaverei abzuleiten. Den perma- nenten sozialen Parasitismus führte ich teils auf ehemaligen tempo- rären Parasitismus, teils auf ehemalige Dulosis, teils auf Entartung eines ehemaligen Gast- oder Diebsverhältnisses, das in zusammen- gesetzten Nestern hegonnen hatte, zurück (W. B. 1908, S. 439 u. 440). Bei der Ableitung des permanenten Parasitismus von ehe- maliger Dulosis schrieb ich auch der letzteren selbst einen parasitisch en Einfluss zu. Die neue Theorie Emery’s stimmt also mit der meinigen überein in folgenden Punkten: a) Pd: und Sklaverei bei den Ameisen lassen: sich theoretisch von einem gemeinschaftlichen oder einem ähnlichen Anfangsstadıum ableiten. b) Der extreme soziale Parasitismus kann auf mehreren ver- schiedenen Wegen entstanden sein. c) Die hypothetische Stammesgeschichte sowohl des Parasitismus wie der Sklaverei bei den Ameisen bildet nur eine ideale Ein- heit, keine reale; sie löst sich vielmehr in Parallelreihen einzelner, unabhängig voneinander verlaufener Ent- w ickelungsprozesse auf, die bei verschiedenen Gattungen und Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete, 589 Arten zu verschiedenen Zeiten begannen und verschieden weit fort- geschritten sind (W. B. 1908, S. 432)?). Emery’s Tabelle (S. 362) bietet hierfür neue wichtige Details. Unsere Theorien weichen dagegen voneinander ab haupt- sächlich in folgenden Punkten: 1. Emery sieht als primitives Anfangsstadium für Parasitismus und Sklaverei ein Raubstadium der Weibchen an, ich dagegen ein a yakives Adoptionsstadium. . Emery hält bei den haufenbauenden (acervicolen) Formica- Rs die Adoption der Weibchen durch Arbeiterinnen von F! fusca für den „primitiven Gründungsprozess“ dieser Kolonien, während er die Adoption der Weibchen durch Arbeiterinnen der eigenen Art (Zweigkoloniebildung) für ein „sekundäres Ver- fahren“ erklärt (S. 354). Nach meiner Ansicht dagegen obwaltet das umgekehrte Verhältnis. 3. Emery will nur den Parasıtismus der Weibchen als Faktor für die fortschreitende parasitische Degeneration der Kolonien gelten lassen, während ich außerdem auch die Dulosis für einen jene Degeneration fördernden Faktor halte. Meine Arbeit wird folgende Teile umfassen’): 1. Prüfung der neuen Raubweibchentheorie Emery’s. 2... Der Entwiekelungsgang der abhängigen Koloniegründung bei Formica. 3. Der hypothetische Entwickelungsgang von HrpEgOReRuR: 4. Die „degenerierende Wirkung“ der Dulosis. 5. Die gewaltsame Beseitigung der Königin der Hilfsameisenart. 6. Vergleich zwischen den a. 2 und myrme- Eonlulen Ameisen. 7. Entstehung neuer parasitischer Ameisen durch den Poly- morphismus der Wirtsart. (Mit Beschreibung einer neuen Art.) 1. Ist als primitives Ausgangsstadium für Parasitismus und Sklaverei ein Raubstadium oder ein Adoptionsstadium der Weibehen anzusehen? Emery führt als durchschlagenden Beweis für seine Ansicht die folgende Erwägung an (S. 355): Das primitive Stadium muss ein Raubstadium, kein parasitisches Stadium gewesen sein; denn es ist undenkbar, dass aus einem Parasiten ein Raubtier werde, sondern nur umgekehrt aus einem Raubtier ein Parasit. Hiergegen bemerke ich folgendes. Emery fasst offenbar den Begriff des Parasitismus in einem ganz anderen, viel ex- tremeren Sinne als ich. Dass aus einem Ento- oder Fkto- 2) Siehe hierüber auch schon: Die moderne Biologie und die Entwickelungs- theorie, 3. Aufl., 1906, S. 418ff. und 423. 3) Ein ausführliches Inhaltsverzeichnis wird am Schlusse der Arbeit folgen. 328 590 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. parasiton kein Raubtier mehr werden könne, gebe ich gerne zu. Ebenso gebe ich zu, dass aus einem bereits zu einer Erhelen en fortgeschrittenen Stadium des obligatorischen en Deus kein Raubstadium mehr werden könne (vgl. W.B.1908, S. 429 u. 434). Aber darum handelte es sich bei meiner Te ja gar nicht! Das fakultative Adoptions- stadium, von welchem ich — speziell bei Formica — den tempo- rären Parasitismus und die Sklaverei sich abzweigen ließ, besagte nur, dass ‘die betreffenden Königinnen die Fähigkeit. zur selbstän- digen -Koloniegründung verloren haben und deshalb der Hilfe von Arbeiterinnen, sei es der eigenen oder einer fremden Art, hierfür bedürfen. Ferner zeigte n an dem Beispiel von Formica rufa, dass: die isolierten befr len Weibchen derselben diesem Stadium sehr nahe stehen, indem sie eine Mischung von beiderlei Neigungen, zum friedlichen Adoptionsversuch und zur gewaltsamen Aneignung von fusca-Puppen, aufweisen. Dieses Stadium ist aber von dem Normalstadium der Ameisenköniginnen überhaupt nur dadurch verschieden, dass die Fähigkeit zur nen Koloniegründung in Wegfall gekommen ist. - Die Königinnen sämtlicher höherer Ameisen (z. B. Formica) sind, wie auch Wheeler schon hervor- gehoben hat, mehr oder weniger zu „Parasiten“ der Arbeiterinnen ihrer. Kolonie geworden, von denen sie sich füttern und die Brut erziehen lassen. Von diesem Normalstadium bei Formica müssen wir aber ausgehen, wenn wir den Ursprung des temporären -Para- sitismus und der Sklaverei innerhalb der Gattung Formica erklären wollen. Emery’s Beweis, dass das gemeinschaftliche primitive Stadium des Parasitismus und der Dosis kein „parasitisches Stadium“ gewesen sein könne, beruht daher auf ganz irrtümlichen Voraus- nen Prüfen wir nun die positiven Beweise, welche Emery dafür erbringt, dass jenes primitive „Einmieterstadium“ ein Raub- stadium gewesen sein müsse. Er stellt sich hypothetisch ein solches Stadium vor, welches noch „primitiver“ gewesen sein soll als das gegenwärtige Raubstadium in der Koloniegründung von Formica sanguwinea (S. 355). .Er beruft sich ferner (S. 360) auf die Gattung Harpagoxenus (Tomognathus), bei welcher die Weibchen heute noch in einem ähnlichen primitiven Raubstadium sich be- finden sollen, wie Emery’s Voraussetzungen es erfordern Ich. halte dagegen diese Berufung auf die Verhältnisse bei Formica sanguined En Harpagoxenus für ganz ungeeignet, um aus ihnen ein hypothetisches Raubstadium als primitiven Einmieter- zustand zu folgern; denn: a) Die Verhältnisse der Kolonieerindung bei diesen beiden Raubameisen sind bereits einseitig er sekundäre, "Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 594 abgeleitete Zustände und können uns deshalb keine Auskunft über ein primitives Ahnenstadium mehr 'geben. Für 7. sangıinea habe ich bereits früher (1908, S. 435—-436) gezeigt, dass die Sitte der Weibchen, ihre Kolonien in einem Sklavenneste durch Raub von Sklavenpuppen zu gründen, bereits eine relativ hohe Entwicke- lung des Sklavereiinstinktes bei den Weibchen und den Arbeiterinnen dieser Art voraussetzt. Dasselbe gilt in noch höherem Grade von Harpagoxenus: ihre Koloniegründung durch räuberische Einmietung stellt bereits ein weit ee nes, abgeleitetes Sta- dıum dar. Dies geht aus der morpholegisehen Speziali- sierung der weiblichen Formen in jener Gattung hervor: ihre Körpergröße, ihre Körperbildung, ihr eigentümlicher Trimorphismus, den Viehmeyer bei H. sublaeris entdeckt hat, deuten zur Genüge an, dass das heutige Harpagoxenus-Stadium das Endergebnis einer langen, einseitig spezialisierten Entwickelung ist: also muss auch die heutige Form ihrer Kolo niegründung (dureh räuberische Einmietung in einem Sklavennest (A dler 14 aka eyer) ebenfalls als das Endergebnis derselben Entwickelung äufgefasst werden, nicht aber als Repräsentant eines primitiven Anfangs, stadiume. b) Mit welchen hypothetischen Ahnenstadien wird also die biologische Entwickelung von Forinica sanguinen . und Harpa- goxenus begonnen haben? Mit keinen anderen als jenen, die auch der morph logischen Abstammung dieser Ameisen entsprechen. Bei: F. sanguinea werden wir hierdurch auf ein rufa-ähnliches Sta- dium hingewiesen, dem seinerseits ein /usca-ähnliches Stadium vorausging (siehe im 2. Teil dieser Arbeit); bei Harpagoxenus werden, wir ni: ein Leptothorax-Stadium als Ausgangspunkt der hypo- thetischen Stammesentwickelung dieser Gattung hingeführt (siehe im 3. Teil dieser Arbeit). c) Dass die biologische Entwickelung der mör phologischen parallel gehen muss, ist auch von Emery mit Recht hervorgehoben worden. Daraus folgt aber für unsere Frage der allgemeine Satz: Die biologische Entwickelung des Parasitismus und der Sklaverei bei den Ameisen kann nur von solchen hypo- thetischen Ahnenstadien abgeleitet werden, welche mit der morphologischen Stammesgeschichte der betreffen- den Arten oder Gattungen übereinstimmen. Sonst haben die vorgeblichen biologischen Ahnenstadien nur einen rein „dichte- wachen Wert. d) Ich komme jetzt zu Emery’s Tabelle der ee parasitischen und myrmekophilen Ameisen (S. 362); dieselbe gibt zugleich auch die Gattung an, von welcher die betrefiende dulotische, parasitische oder myrmekophile Ameise wahrschein- lich abstammt und. nennt überdies ‚deren heutige Wirtsart 592 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. oder Sklavenart. Diese Tabelle ist ohne Zweifel der wert- vollste Teil in jener Arbeit Emery’s. Als vortrefflicher Kenner der Systematik der Ameisen war er ganz besonders dazu befähigt, die wahrscheinlichen phylogenetischen Ausgangspunkte für unsere dulotischen, parasitischen und myrmekophilen Ameisen zu erkennen. Emery’s Tabelle zeigt aber, dass die Stammformen der heutigen dulotischen und parasitischen Ameisen den hentigen Sklaven oder Hilfsameisen derselben sehr nahe standen. Nur für die myrmekophilen Ameisen gilt diese Regel nicht. Wir werden daher durch Emery’s Tabelle in der Lage sein, auf reeller Grund- lage die Frage beantworten zu können, ob die biologischen Ahnenstadien der heutigen sklavenhaltenden und parasitischen Ameisen „Raubweibchen“ oder „Adoptionsweibchen“ waren. /u diesem Zwecke müssen wir die Formen der Koloniegrün- dung bei den heutigen Hilfsameisen oder Sklaven unserer parasitischen und dulotischen Ameisen betrachten. Als spezielle Beispiele wähle ich die Gattungen Formica und Harpagoxenus. Die Hilfsameisen der dulotischen Formica (sanguinea) wie der fakultativ oder obligatorisch parasitischen Formica (rufa, truncicola, exsecta, consocians u. s. w.) sind sämtlich Arten mit selbständiger Koloniegründung ihrer Weibchen (F! fusca, rufibarbis, palli- defulva ete.). Die Hilfsameisen von Harpagoxenus aber sind Arten der Gattung Leptothorax (acervorum ete.), die ebenfalls ihre Kolonien in selbständiger Weise durch einzelne befruchtete Weibchen gründen. Von dieser Form der Koloniegründung ist daher auch das Anfangsstadium des sozialen Parasitismus wie der Sklavenzucht bei den parasitischen oder dulotischen For- mica und Harpagoxenus abzuleiten. e) Von welcher Beschaffenheit war also jenes hypothetische Anfangsstadium, jener ursprüngliche „Einmieterzustand“? Entsprach er einem Adoptionsstadium oder einem Raub- stadium der Weibchen? Meines Erachtens muss er mit ersterem viel größere Ähnlichkeit gehabt haben als mit letzterem. Hierfür spricht erstens der allgemeine psychische Charakter der Ameisen- weibchen und zweitens der spezielle psychische Charakter der Weibehen von Formica fusca und Leptothorax acervorum ete. 15s0- lierte Weibehen der Ameisen sind im allgemeinen nicht aggressiv gegen fremde Arbeiterinnen, denen sie begegnen; sie suchen im Gegenteil ihre Angreifer durch Fühlerschläge zu beschwichtigen. Der aggressive Charakter der heutigen Weibchen von Formica sanguinea und Harpagoxenus kann daher keinen ursprünglichen Zustand darstellen, sondern nur einen durchaus sekundären, durch einseitige Entwickelung abgeänderten Zustand. Dagegen ist die Neigung isolierter Ameisenweibehen, bei Arbeiterinnen der eigenen oder verwandter Arten sich adoptieren zu lassen, in dem allge- Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 595 meinen Charakter der Ameisenweibchen viel näher begründet. Be- trachten wir ferner den speziellen psychischen Charakter der Weib- chen von. Formica fusca und Leptothorax acervorum ete., so finden ‚wir bei ihnen keinerlei Neigung zu räuberischer Aggressive gegen- über fremden Ameisen, sondern einen hohen Grad von passiver Duldsamkeit, die zur Grundlage eines Adoptivverhältnisses werden kann. Diese allgemeinen Erwägungen sind jedenfalls der Annahme, dass der „ursprüngliche Einmieterzustand* ein friedlicher war, viel günstiger als der Annahme, dass er ein räuberischer ge- wesen sein soll. | | f) Emery’s primitive Raubweibchen scheinen mir wirklich in der Luft zu schweben, ohne jeden Zusammenhang mit der ursprüng- lichen Form der Koloniegründung bei den Vorfahren der heutigen parasitischen und dulotischen Ameisen, welche derjenigen ihrer heutigen Hilfsameisen nahegestanden haben muss. Die von Emery bezüglich der morphologischen Abstammung der Ameisen vertretene Hypothese, dass die Stammform derselben ungeflügelte (ergatoide) Weibchen besessen habe, könnte ja mit jenen primitiven Raub- weibchen in guten Einklang gebracht werden. Aber erstens glaube ich mit Forel, Wheeler und Escherich*), dass wir die Ameisen von :geflügelten Stammformen ableiten müssen, indem die Flügel bei den Weibchen schwerlich erst verschwinden und dann später wiederum fast allgemein auftreten konnten. Zweitens aber hat die Frage nach der Phylogenese der Sklaverei und des Parasitismus bei den Ameisen gar nichts zu tun mit der Frage nach der Stamm- form dieser Familie; denn nicht von hypothetischen Urameisen haben wir die heutigen parasitischen und dulotischen Ameisen herzuleiten, sondern von den Gattungen ihrer heutigen Hilfsameisen, wie Emery selber in seiner Tabelle so schön ge- zeigt hat. g) Die Hauptschwierigkeit, den stammesgeschichtlichen Über- gang von Ameisen mit selbständiger Koloniegründung zu Arten mit parasitischer oder dulotischer Koloniegründung zu erklären, liegt in der Frage: wie kam es, dass erstere die ursprüngliche Form der selbständigen Koloniegründung aufgaben? warum gingen sie zur abhängigen Koloniegründung über? Emery’s Theorie vermag hierauf gar keine Antwort, zu geben, wohl aber die meinige. Die selbständige Koloniegründung konnte nur dann aufgegeben werden, wenn sie durch eine andere, für die betreffenden Formen biologisch zweckmäßigere ersetzt wurde. Bei Formica habe ich (19051908) diesen Übergang durch Ver- mittlung der acervicolen Formen (rufa-Stadium) zu erklären ver- sucht, bei Leptothorax dagegen (mit Viehmeyer) durch Ableitung 4) Die Ameise, 1906, S. 48ff. 594 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. des Harpagoxenus-Stadiums aus einem ehemaligen Diebsverhältnisse in zusammengesetzten Nestern (W.B. 1908, S. 433 und 440). Hier haben wir also in beiden Fällen greifbare Erklärungen, die wir nochmals prüfen wollen. 2. Der Entwiekelungsgang der abhängigen Koloniegründung bei Formica. Die von Emery zwar für „verführerisch“, aber doch für „un- annehmbar“ bezeichnete Hypothese, wonach die acervicolen Formica-Arten den Ausgangspunkt für die Entstehung sowohl des temporären sozialen Parasitismus als der Sklaverei innerhalb der Gattung Formica gebildet haben, können wir von der biologischen, der morphologischen, der paläonto- logischen und der geographischen Seite betrachten. Falls sie richtig ist, muss sie sich unter diesem vierfachen Gesichtspunkte als zu- treffend erweisen. a) In biologischer Beziehung schließt sie sich ganz natur- gemäß an die Koloniegründung bei Formica fusca, rufibarbis, pallidefulva ete. an, welche durch die befruchteten Weibchen nach dem Paarungsfluge in selbständiger Weise erfolgt und als ur- sprünglicher Typus der Koloniegründung in der Gattung Formica anzusehen ist (siehe oben 1, d). Obwohl jedoch F. fusca, ebenso wie weitaus die meisten übrigen Ameisen, diese primäre Form der Koloniegründung beibehalten hat, so kommt bei ihr doch schon ein sekundäres Moment hinzu, nämlich die Aufnahme von neuen befruchteten Weibchen, die aus derselben Kolonie stammen. Emery (S. 354) vermischt dasselbe — auf Huber’s Beobachtungen fußend, die nicht einmal eine bestimmte Ameisenart nennen —, allzusehr mit der primitiven Form der Koloniegründung durch einzelne befruchtete Weibchen. Die Vermehrung der Königinnen- zahl durch Weibchen der eigenen Kolonie ist in Wirklichkeit be- reits eine sekundäre Erscheinung, die wir zwar bei vielen, aber keineswegs bei allen Ameisen mit selbständiger Koloniegründung treffen; bei den Gattungen Lasius und Tetramorium fehlt sie bei- spielsweise fast ganz; hier ist nur eine Königin in jeder Kolonie die Regel. Auch trifft man bei Formica rufibarbis seltener mehrere Königinnen in einer Kolonie als bei F. fusca, wo Kolonien mit nur einer Königin nach meinen Beobachtungen die Ausnahme bilden. Auf dem Bergabhang von Schötter-Marial bei Luxemburg enthielten z. B. unter 50 fusca-Nestern, die ich am 14. April 1906 unter- suchte, nur 5—6 Nester eine Königin, die übrigen mehrere, meist 2-5. In 10 Nestern waren über 5 Königinnen vorhanden (in mehreren derselben 6—-7, in einem 9, in einem 10). Über die Erklärung dieser Vielzahl der Königinnen bei F. fusca findet sich Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 595 an anderer Stelle Näheres’). In den meisten Fällen handelt es sich wohl sicher um Weibchen der eigenen Kolonie, die nach der Befruchtung zurückbehalten wurden; denn fremde fusca-Königinnen werden nach meinen Versuchen von den fusca-Arbeiterinnen viel heftiger angegriffen als die Königinnen von rufa und truncicola, und junge fusca-Kolonien mit mehr als einer Königin sind selten. Bei F. fusca treffen wir also bereits die ausgesprochene Neigung, durch Zurückbehaltung befruchteter Weibchen die eizene Kolonie zu versarken. Diese Sitte bildet aber den Ausgangs- punkt für jenes sekundäre biologische Stadium, das wir bei den acervicolen Formica-Arten treffen, nämlich für die Zweig- koloniebildung. Die Anpassung eines Teiles der Isschleesnnen der bereits im unteren Oligocän sehr häufigen, mit fusca vielleicht sogar identischen, Formica Flori an die Lebensbedingungen des arktischen Waldes führte höchstwahrscheinlich zur hellen der haufenbauenden rufa-Gruppe. Möglichst warme und volk- reiche Nesthaufen gestatteten hier allein eine gedeihliche Ent- wickelung der Kolonie, so dass mit der steigenden Größe und Fruchtbarkeit der Königinnen und der damit wachsenden Bevölke- rungszahl des Nestes auch der Nestbezirk, der von den Ar- Beeren der Kolonie durchstreift wurde, immer mehr an Umfang zunahm. Dadurch wurden aber die Demmchlelen Weibchen hass Kolonien nach dem Paarungsflug immer mehr der Notwendigkeit überhoben, selbständig neue Nester zu gründen, weil sie Ar- beiterinnen begegneten, die sie entweder in den alten Nesthaufen zurückführten oder mit ihnen in der Nähe neue Zweigkolonien (Tochternester Forel’s) gründeten. Die se male der acervicolen Formica-Arten ist also ein sekundärer Zustand, der sich ganz naturgemäß an die schon bei F. fusca vorhandenen Grund- lagen anschließt. Ob die Tochternester einer acervicolen Kolonie dauernd (wenigstens viele Jahre hindurch) in freundschaftlicher Beziehung miteinander bleiben, wie ich bei rufa und pratensis häufig be- obachtete, oder ob sie später durch völlige Trennung zu an. denen Kolonien werden, wie Forel auf Grund seiner Beobach- tungen annimmt, ist Ir die Nestgründung der Weibchen dieser Arten nicht von sehr verschiedener Bedeutung; denn die Arten der rufa-Gruppe sind tatsächlich auch zur I elind von Weib- chen von fremden Kolonien und selbst von fremden Rassen sehr geneigt. Emery (S. 354) nennt dies zwar „keineswegs bewiesen“, aber mit Unreal, Ich verweise auf meine diesbezüglichen fr üheren Angaben (Urspr. u. Entw. d. Sklav. 1905, S. 198), namentlich auf 5) Ameisen und Ameisengäste von Luxemburg, III. Teil (Arch. trimestr. Instit. Grand-Ducal, Sect. d. Sc. phys. ete., 1909, Fasc. III u. IV), S. 76-77. 596 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. die pratensis-Kolonie Nr. 4 bei Luxemburg‘), welche unter sieben Königinnen 5 pratensis-Königinnen, 1 rufa-Königin und 1 truncicolo- pratensis-Königin enthielt. Dass die beiden letzteren erst nachträg- lich aufgenommen worden waren, geht mit Sicherheit daraus hervor, dass die Arbeiterinnen dieser Kolonie nur pratensis waren, ohne eine Beimischung der anderen Rassen. ‘Die bei der rufa-Gruppe vorhandene Neigung, auch Weibchen fremder Kolonien oder Rassen relativ leicht aufzunehmen, ist somit wahrscheinlich auf die bei diesen Arten übliche Zweigkoloniebildung zurückzuführen und schließt sich an dieselbe ohne unnatürlichen Sprung an; sie ist auch stammesgeschichtlich aus ihr hervorgegangen zu denken. Auf diesem Wege lässt sich auch ganz ungezwungen erklären, weshalb bei den acervicolen Formica die Fähigkeit zur selbständigen Koloniegründung der Weibchen schließ- lich verloren gegangen ist: weil sie infolge des Nestbaues und der De a: Arten durch eine andere, bequemere Methode ersetzt worden war: durch die Nestgründung mit Hilfe von Arbeiterinnen der eigenen Kolonie oder der eigenen Art. Die Tatsache selbst, dass die Weibchen dieser Arten (rufa, pratensis), wenn man sie unter noch so günstigen Be- dingungen isoliert hält, nicht zur Eiablage schreiten, halte ich durch meine diesbezüglichen Versuche für hinreichend feststehend ”), und sie wird auch von Emery nicht bestritten. Wenn aber die Weibchen der acervicolen rwfa-Gruppe die Fähigkeit eingebüßt haben, allein neue Nester zu gründen, so müssen sie es eben mit Hilfevon Arbeiterinnen tun; finden sie keine ihrer eigenen Rasse oder Art, so suchen sie bei einer häufigen fremden Art (Formica fusca) Aufnahme: hiermit ist der Ausgangspunkt einerseits für die Entwickelung des obligatorischen tem- porären Parasitismus und andererseits des Sklavenraubes erreicht. Dieses primitive Stadium, aus welchem bei Formica die letzteren Zustände abzuleiten sind, bezeichnete ich als fakul- tatives Adoptionsstadium. Fakultativ ist es deshalb, weil hier die Gründung never Nester gewöhnlich noch mit Hilfe von Ar- beiterinnen der eigenen Art erfolgt, nur ausnahmsweise mit Hilfe von Arbeiterinnen einer fremden Art (fusca); ferner auch deshalb, weil in diesem Stadium die Nestgründung durch Adoption noch die Regel ist, während andererseits (bei den r&fa-Weibchen, 6) Vgl. auch Ameisen v. Luxemburg, III, S. 15—16. — Neue Versuche über die Aufnahme von Königinnen aus fremden rufa-Kolonien habe ich im Juli und August 1909 in Lippspringe (Westf.) angestellt; auch hier gelang die Aufnahme sehr leicht, fast unmittelbar. 7) W.B. 1908, S. 354 u. 730. Ebenso verlief auch ein Versuch, den ich im Mai 1909 mit einem nach dem Paarungsfluge gefangenen, entflügelten rufa-W eib- chen anstellte; es war nach 6 Tagen schon tot, ohne Eier gelegt zu. haben. ) -Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 597 W. DB. 1908, S. 369) schon die Neigung auftritt, die Hilfsameisen- puppen sich gewaltsam anzueignen und zu erziehen. Selbstverständlich ist der hier skizzierte Entwickelungsgang der abhängigen Koloniegründung, soweit er auf den stammes- geschichtlichen Ursprung des sozialen Parasitismus und der Sklaverei bei Formica. sich bezieht, nur ein hypothetischer. Aber er wird doch allen Anforderungen einer biologischen Hypothese gerecht, indem er, von der ursprünglichen Form der Koloniegründung bei Formica (fusca) ausgehend, durch die acervicolen Formen ganz naturgemäß weiterführt bis zu jenem Stadium, wo sozialer Para- sitismus und Sklaverei aus einer gemeinsamen Wurzel sich ab- zweigen. Emery’s primitive Raubweibchen dagegen entbehren jedes Zusammenhanges mit der ursprünglichen Form der Kolonie- gründung bei Formica; sie vermögen zudem den Ursprung der abhängigen Koloniegründung nicht zu erklären; seine Theorie stellt ferner die natürliche biologische Entwickelungsfolge geradezu auf den Kopf, indem sie (S. 354) die Aufnahme einer rufa-Königin durch Arbeiterinnen von fusca für „primitiver“ erklärt als ihre Aufnahme durch Arbeiterinnen der eigenen Art in einer Zweig- kolonie von rufa! Dass die Entwickelung des obligatorischen sozialen Para- sitismus innerhalb der Gattung Formica mit der acervicolen Lebensweise aufs innigste zusammenhängt und aus ihr auch stammesgeschichtlich herzuleiten ist, geht nicht bloß daraus hervor, dass wir bei F. rufa heute noch die fakultative Vorstufe eben jenes Verhältnisses beobachten können, sondern auch aus der Tat- sache, dass sämtliche Arten und Rassen der temporär parasitischen Formica in Europa wie in Nordamerika systematisch zur rufa- Gruppe gehören oder doch in allernächster Verwandt- schaft zu ihr stehen. Letzteres gilt auch für die dulotischen Formen der sanguinea-Gruppe. Unsere biologische Ableitung beider Zweige aus einem rufa-ähnlichen Stadium gewinnt dadurch eine starke Stütze, während Emery’s neue Raubweibehentheorie gar keine Erklärung dieses Rätsels_ zu bieten vermag. Nachdem die Fähigkeit der Weibchen, selbständig neue Kolonien zu gründen, infolge der acervicolen Lebensweise einmal verloren gegangen war, konnte sie bei den Nachkommen dieses Stadiums nicht wieder erworben werden, auch wenn der Nestbau und die Lebensweise der Arbeiterinnen infolge äußerer Verhältnisse sich änderte. Daher schließt sich die weitere hy po- thetische Entwikelung sowohl des sozialen Parasitismus wie der Sklavenzucht bei Formica ganz naturgemäß an jenes fakultative Adoptionsstadium an. Betrachten wir zuerst die parasitische Entwickelungsrichtung, die bei verschiedenen acervicolen Formen zu verschiedenen Zeilen 598 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. eingeschlagen wurde. Wir müssen annehmen, dass den Weibchen dieser Formica die Mithilfe eigener Arbeiterinnen bei der Nest- gründung immer seltener zu Gebote stand, so dass sie schließlich in gesetzmäßige Abhängigkeit von der Adoption bei fremden Hilfsameisen (Formica fusca etc.) gerieten. Wir können nur ver- muten, dass Änderungen der Lebensweise und speziell der Nest- plätze, verursacht durch klimatische Veränderungen, hierzu die äußere Veranlassung boten, indem die betreffenden Formica aus dem eigentlichen Waldgebiet verdrängt, auf freieren Örtlichkeiten sich niederließen, wo es zahlreiche fusca-Nester gab. Solche Wohnungsverhältnisse treffen wir beispielsweise heute bei F\ trunci- cola und exsecta. Je mehr aber die Weibchen bei ihrer Nestgründung auf eine fremde Hilfsameisenart angewiesen waren, desto mehr ging bei dem parasitischen Zweige dieser Entwickelungsrichtung die Körpergröße der Weibchen zurück und desto friedlicher ge- staltete sich auch ihre Adoption in den Nestern der Hilfsameisenart. Bei truncicola steht die Größe der Weibchen nur wenig unter jener von rufa, bei exsecta, bei consocians und anderen nordamerikanischen Formen (mierogyna, nepticula, impexa, montigena) ist die Kleinheit der Weibchen schon viel auffallender. Selbstverständlich können wir es uns im einzelnen nicht mehr rekonstruieren, wie diese Vor- gänge bei den verschiedenen parasitischen Arten sich abspielten. Ich glaube jedoch, dass die von Emery (S. 359.) für die Ent- wickelung des Schmarotzertums bei den Ameisen hervorgehobenen Momente auch hier einigermaßen Anwendung finden können, wenn- gleich die parasitischen Formica-Arten sämtlich gegenwärtig noch nur temporäre, nicht permanente „Parasiten“ ihrer Hilfsameisen sind. Wie haben wir uns aber die Differenzierung der dulo- tischen von der parasitischen Entwickelungsrichtung innerhalb der Gattung Formica zu erklären? Hierfür ist ohne Zweifel, wie schon früher (1905, 1907, 1908) ausgeführt wurde, der Nahrungserwerb der Arbeiterinnen von großer Bedeutung. Auf dem rufa-ähnlichen Stadium, welches uns als hypothetischer Ausgangspunkt für beide Entwickelungsriehtungen diente, finden wir als Nahrungserwerb hauptsächlich Blattlauszucht und nebenbei Insektenraub. Jene Zweige dieses Stammes, welche den doppelten Nahrungserwerb beibehielten, gelangten infolge der abhängigen Koloniegründung zum temporären Parasıtismus (truncicola, exsecta u. Ss. w.), jener Zweig dagegen, welcher den Nahrungserwerb durch Blattlauszucht aufgab und ganz zum In- sektenraub, speziell zum Raube fremder Ameisenpuppen überging, stellt die dulotische Entwickelungsrichtung (san- guinea und ihre Rassen) dar. Darin, dass jener Wechsel im Nah- rungserwerb der Arbeiterinnen die notwendige Vorbedingung für die Entwickelung der Sklavenzucht bei Formica bildet, scheint Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 599 Emery mir zuzustimmen, indem er sagt (S. 357, Anm.): „Wenn die F. truncieola, exsecta und andere Raubameisen gewöhnt wären, die Puppen anderer Ameisen haufenweise heimzutragen, dann würden sie wie F\. sanguinea zur Dulosis gelangt sein.“ Allerdings sınd die Weibchen von truncieola und noch mehr jene von exsecta be- reits in parasitischer Richtung spezialisiert, und es ist deshalb frag- lich, ob bei ihnen heute noch eine Umkehr zur Dulosis möglich wäre (vgl. W. B. 1908, S. 434—-435). Jedenfalls müsste dieselbe dann durch ein Adoptionsstadium der Weibchen hindurchgehen, und erst später könnte, wenn die Körpergröße und Kraft der Weib- chen wieder zugenommen hat, ein sanguinea-ähnliches Raubstadium der Weibchen erreicht werden. Bei der hypothetischen Ableitung des sangwinea-Stadiums ist es jedoch, wie oben gezeigt wurde, naturgemäßer, von einem rufa- ähnlichen fakultativen Adoptionsstadium der Weibchen aus- zugehen, welches noch nicht einseitig in parasitischer Richtung spezialisiert ist, und welches zugleich auch schon die ersten Spuren der dulotischen Richtung aufweist, nämlich Kampflust und Neigung der Weibchen zur gewaltsamen Aneignung von Puppen der Hilfsameisenart. Wie konnte aus diesem Stadium am ehesten das sangwinea-Stadium hervorgehen? Durch Anpassung einer großen acervicolen Formica- Art an die Lebensweise auf der Heidekrautsteppe®). Auf dieser lebt die europäische F. sanguinea auch heute noch mit be- sonderer Vorliebe. Klimatische Veränderungen, welche die Ent- wickelung der Steppe begünstigten und welche die Vorfahren von sangıinea aus dem Walde auf die Steppe verdrängten, bieten daher auch den wahrscheinlichsten äußeren Anlass für die Entstehung der Sklavenzucht°). Statt wie früher großenteils von Blattlaus- zucht zu leben, mussten die Vorfahren von sangwinea hier zu aus- schließlichen Insektenräubern werden; bei dieser carnivoren Er: nährungsweise bot aber der Raub von Puppen aus fremden Ameisennestern die reichste Beutequelle War aber diese Raub- ameise einmal eine Puppenräuberin, so musste sie auch not- wendig eine Sklavenhalterin werden. Weshalb? Weil ihre Weibchen nach unserer Hypothese bereits damals ihre neuen Nester (abgesehen von der auch noch vorkommenden Zweigkoloniebildung) regelmäßig mit Hilfe einer bestimmten fremden Formica-Art (mit F. fusca, wahrscheinlich später erst mit F. rufibarbis) gründeten. Dies folgt mit logischer Konsequenz aus der Weiterentwickelung der abhängigen Kolonie- gründung bei den. Vorfahren von F. sangwinea. Anfangs erfolgte - 8) Vgl. hierüber bereits: Biologie und Entwickelungstheorie, 3. Aufl., 8. 426ff. 9) Näheres hierüber siehe unten im Abschnitte d) dieses 2. Teiles. 600 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc, dieselbe wahrscheinlich noch (wie in dem rwfa-älınlichen Ausgangs- stadium) vorwiegend durch Adoption der Weibchen in einem Sklavenneste. Setzen wir also diese Gründungsweise der neuen Kolonien bei jenen hypothetischen Vorfahren von sanguinea voraus, so brauchen wir keine weiteren Momente für die Entstehung des Sklavereiinstinktes bei dieser Raubameise heranzuziehen; denn, dafür, dass unter den von ihr geraubten fremden Arbeiter- puppen gerade jene aufgezogen wurden, welche ihrer nor- malen Hilfsameisenart (F. fusca) angehörten, war bereits durch die Gründungsweise ihrer Kolonien mit Hilfe von Ar- beiterinnen eben dieser Art gesorgt. Der psychologische Zusammenhang zwischen der Sklaven- zucht und der abhängigen Koloniegründung wurde bereits früher durch meine Versuche über die Aufzucht von fusca-Puppen bei F. truncicola und exsecta!®) hinreichend klargelegt. Er beruht zu- nächst darauf, dass die Arbeiterinnen der Herrenart 3 Jahre lang durch die Arbeiterinnen einer bestimmten Hilfsameisen- art erzogen worden sind; deshalb — infolge eines Gedächtnis- eindruckes — erziehen auch erstere ihrerseits später unter den ge- raubten Puppen gerade diejenigen ihrer ehemaligen Erzieherinnen, weil deren Geruch ihrem eigenen ursprünglichen Koloniegeruche ähnlich ist. Da aber auch alte truncicola und exsecta-Kolonien, welche schon viele Jahre ungemischt waren, noch die Neigung zur Aufzucht von fusca-Puppen zeigten, muss neben dem individuellen Geruchsgedächtnis der Arbeiterinnen der Herrenart auch schon ein beginnendes „Erbgedächtnis“ für die Puppen der Hilfsameisenart angenommen werden, d. h. eine erblich werdende Neigung zur Auf- zucht derselben. Diese erbliche Neigung ist aber in ihrer weiteren 10) Urspr. u. Entw. d. Sklav. 1905, S. 125, 165—168, 281, 648—649; W.B. 1908, S. 304—306, 321—331, 726—728. — Die mit dem Beobachtungsneste der natürlichen Adoptionskolonie exseeta-fusca I (1908, S. 304—306) im Sommer 1907 angestellten Versuche über die Aufzucht neuer Hilfsameisen nach dem Aussterben der alten, wurden im Sommer 1909 fortgesetzt, nachdem sämtliche fusea von 1907 in dem Neste gestorben waren. Am 26. Mai gab ich ca. 60 kleine Arbeiterkokons von rufa in das Abfallnest. Sie wurden von den exsecta zwar in das Hauptnest hinübergetragen, aber schon am 27. waren sämtliche Kokons geöffnet, und die heraus- gezogenen Larven und Puppen waren von den exseceta bis zum 31. sämtlich auf- gefressen. Itufa-Arbeiterinnen wurden also troiz der nahen Verwandtschaft mit exsecta von letzteren nicht aufgezogen. Als ich jedoch am 21. Juni zahlreiche fusca-Kokons und Puppen zugleich mit exseeta-Kokons in das Abfallnest gegeben hatte und die Puppen in das Hauptnest hinübergetragen worden waren, erzogen die exsecta schon in den nächsten Tagen eine Anzahl fusca-Arbeiterinnen aus den Kokons (bis Mitte Juli über 100). Die Kokons von fusca wurden also von den exsecta ebenso behandelt wie diejenigen der eigenen Art. Nur von den unbe- deckten fusca-Puppen wurden die meisten gefressen oder in das Vornest hinaus- geworfen. Diese Versuche bestätigen also jene von 1907 und 1908 (W.B. S. 726). Weitere Versuche mit truncicola 1909 folgen im Nachtrag. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 601 Ausbildung nichts anderes als ein „Sklavenzuchtinstinkt“, und dieser Instinkt beruht somit ursächlich darauf, dass bei der Herrenart die von einer fremden Hilfsameisenart abhängige Kolonie- gründung bereits zu einer gesetzmäßigen Erscheinung ge- worden ist). Mit der räuberischen as der Arbeiterinnen ging bei den Vorfahren von sangwinea auch eine Steigerung öise Ba instinktes der Weibchen parallel. Aus dem r«fa-ähnlichen Zustand, in welchem die Adoption der Weibchen durch die Hilfsameisen noch die Regel gewesen war, entwickelten sich dadurch allmählich die heutigen Raubweibchen von sangwinea, welche nach dem Paarungsfluge in ein Sklavennest eindringen, dort meist mit Gewalt der Puppen sich bemächtigen und sie daselbst als erste Hilfs- ameisen für ihre neue Kolonie erziehen. Diese Raubweibchen stellen also ein sekundäres, kein primitrves Stadium dar. Die hier kurz skizzierte Entwickelung des Sklavereiinstinktes bei F. sanguinea dürfte wohl allen Anforderungen einer bıologi- schen Hypothese genügen. Dagegen kann ich die von Ch. Dar- win 1859 aufgestellte und neuerdings von Emery (S: 356) als „die am meisten befriedigende“ bezeichnete Hypothese nicht als solche anerkennen. Sie will aus der zufälligen Aufzucht fremder Puppen im Neste einer Raubameise den Ursprung der 11) F. rufa und pratensiz, bei denen die Koloniegründung mit fusca noch fakultativ ist, zeigen nämlich die Neigung zur Aufzucht von fusca-Puppen nicht, Über die Versuche mit alten Kolonien jener Ameisen siehe W.B. 1908, 8. 330-331. Aber auch junge rufa-Kolonien, die vor wenigen Jahren mit .Hilfe von fusca ge- gründet worden wären, scheinen sich nach dem Aussterben der primären Hilfs- ameisen gegen die Aufzucht neuer fusca ablehnend zu verhalten. Am 28. Mai 1909 gab ich in das Lubbocknest der natürlichen Adoptionskolonie rufa-fusca I (vgl. 1908, S. 260ff.), in welchem nur die rufa-Königin und 5 rufa-Arbeiterinnen noch lebten, gegen 100 Arbeiterkokons von fusca. Dieselben wurden von den rufa-Ar- beiterinnen anfangs großenteils adoptiert, aber die aus einigen Kokons heraus- gezogenen Larven und Puppen gefressen. Die übrigen Kokors ließen sie später einfach liegen, ohne sie weiter zu pflegen. Keine einzige fusca-Arbeiterin wurde von rufa aus den Kokons gezogen, obwohl am 24. Juni schon mehrere derselben schwarz durchsehienen. Am 1. Juli sah ich endlich, wie eine fusca- Arbeiterin selbst ihren Kokon öffnete und sich mit großer Mühe aus dem- selben befreite. Von einer rufa-Arbeiterin wurde sie unterdessen sogar mit ge- öffneten Kiefırn feindlich angefahren! Eine zweite fusca hatte sich ebenfalls auf dem nämlichen Wege aus dem Kokon freigemacht. Diese beiden fusca alliierten sich. mit den 3 noch lebenden rwfa-Arbeiterinnen und der rufa-Königin und zogen bis zum 6. Juli noch 5 weitere fusca aus ihren Kokops (die übrigen Puppen waren unterdessen vertrocknet); aber die rufa-Arbeiterinnen beteiligten sich daran ebensowenig wie die rufa-Königin! Hier haben wir also einen Fall, wo Hilfsameisen sich „zufällig“ in einem fremden Neste entwickelten. Wären die rufa-Arbeiterinnen in diesem Neste zahlreicher gewesen, so würden sie die fremden Ameisen wahrscheinlich getötet haben, statt sich mit ihnen zu verbinden, da sie schon die Kokons derselben wie diejenigen fremder Arten behandelt hatten. Über weitere Versuche :von 1909 siehe im Nachtrag. ° 602 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. Sklaverei mit Hilfe der Naturzüchtung erklären. Das Charakte- ristische der Dulosis ist jedoch nicht der Raub fremder Puppen als Beute — dieser kommt auch bei vielen anderen nichtdulotischen Ameisen, z. B. bei den Dorylinen (Keiton, Anoma) regelmäßig vor —, sondern die Aufzucht einer Hilfsameisenart aus diesen geraubten Puppen. Aber gerade dieser springende Punkt lässt sich, wie ich schon früher'?2) auf experimentellem Wege gezeigt habe, bei der Gattung Formica keineswegs dadurch erklären, dass mehr Puppen geraubt wurden als gefressen werden konnten. Der Puppen- raub der Arbeiterinnen ist nur die Vorbedingung, nicht die Ur- sache für die Entstehung des Sklavereiinstinktes. Meine Hypothese vermag auch die Ursache derselben anzugeben, nämlich die ab- hängige Koloniegründung bei den Weibchen der Raubameisenart; und diese Ursache ist so einfach und erklärt den Sklavereiinstinkt so unmittelbar, dass wir einer durch unbegrenzte Zeiträume fort- gesetzten Naturzüchtung zu seiner Entstehung gar nicht bedürfen! Auf die weitere Entwickelung des Sklavereiinstinktes bei For- mica von einem sanguwinea-ähnlichen Stadium bis zur Gattung Polyergus gehe ich hier.nicht ein, da ich den früheren Ausführungen hierüber (W. B. 1908, S. 436—437) nichts wesentlich neues beizu- fügen habe. Es sei nur bemerkt, dass jetzt auch Emery (S. 357) auf Grund seiner neueren Beobachtungen annimmt, dass die Kolonie- gründung von Polyergus gegenwärtig. durch A doption bei der Hilfsameisenart erfolgt. Die Weibchen ‘von Polyergus sind auch nach Emery bereits vom Raubstadium zum parasitischen Stadium übergegangen. Nach meiner Ansicht bedeutet dies einerseits eine Rückkehr zur ursprünglichen Koloniegründung durch Adoption, von welcher das sangwinea-Stadium ihrer Vorfahren einst ausge- gangen war, andererseits aber auch den Beginn der parasitischen Degeneration von Polyergus, welche eine Folge der Überent- wickelung der Dulosis bei dieser Raubameise ist. Auf diesen letzteren Punkt werden wir in einem späteren Abschnitte zurück- kommen (im 4. Teile). b) Nachdem wir bisher den hypothetischen Entwicke- lungsgang der abhängigen Koloniegründung bei Formica vom biologischen Gesichtspunkte aus betrachtet haben, wenden wir uns zum vergleichend-morphologischen, um zu prüfen, ob die Ergebnisse der letzteren Betrachtungsweise mit jenen der ersteren stimmen. Die Ergebnisse der biologischen Betrachtung waren kurz folgende: Der stammesgeschichtliche Entwickelungsgang begann mit einem fusca-ähnlichen Stadium der selbstän- digen Koloniegründung, aus welchem bei einem Teile der 12) 1905, $. 117ff.; siehe auch oben $. 600 u. 601, Anm. 10 u. 11. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 603 Nachkommen durch Anpassung an die acervicole Lebens- weise ein rau/a-ähnliches Stadium der abhängigen Kolonie- gründung hervorging. Von diesem fakultativen Adoptions- stadium aus zweigten sich einerseits die obligatorischen Formen des temporären sozialen Parasitismus ab (F. trun- cieola, exsecta, consocians etc.), andererseits der dulotische Zweig von F. sanguwinea. Aus einem sangwinea-ähnlichen Sta- dium ist auch der hochentwickelte Sklavereiinstinkt von Polyergus durch W eiterentwickelung der Dulosis entstanden. Was sagt die vergleichende Morphologie der Formica-Arten hierzu? Sie gebietet uns, die höher differenzierten Formen von den weniger differenzierten abzuleiten, nicht aber umgekehrt. Die Gattung Proformica können wir aus unserer Untersuchung ganz ausschließen, da die Formen, um deren Stammes- entwickelung es sich hier handelt, sämtlich zur Gattung Formica im engeren Sinne gehören. Innerhalb letzterer kommen nur die Formengruppen von fusca, rufa und sangwinea ın Betracht, für Nordamerika außerdem jene von pallidefulva'?). Als die morphologisch ursprünglichste und einfachste jener Gruppen ıst die fusca-Gruppe anzusehen, ebenso wie sie auch in biologischer Beziehung die primitivsten Kolonieverhältnisse zeigt. Die pallidefulva-Gruppe in Nordamerika steht ihr sowohl morpho- logisch als auch biologisch zunächst; sie hängt mit ihr überdies morphologisch zusammen durch die subsp. fuscata Em. Beide Gruppen umfassen Arten mit schlankem Körperbau, relativ schmalem Kopf und wenig differenzierter Fühlergeißel, deren Endglieder kaum weniger schlank sind als die vorhergehenden: ferner ist die Diffe- renzierung der Arbeiterinnen einer Kolonie in größere und kleinere Individuen bei diesen Gruppen sehr wenig entwickelt. Alle diese Momente sind als morphologisch primitive anzusehen. Da diese beiden Gruppen Arten mit selbständiger, also ursprüng:- licher Koloniegründung umfassen, da sie ferner die Hılfs- ameisen für unsere heutigen parasitischen und sklavenhaltenden Formica stellen und deshalb den Stammformen der letzteren (nach Emery’s Tabelle) als nahestehend zu betrachten sind, stimmt offenbar die morphologische Betrachtung hier mit der biologischen völlig überein. Die pallidefulva-Gruppe ist jedoch auf das neark- 13) Material für diese Vergleichung lieferten mir außer meiner. Ameisen- sammlung hauptsächlich folgende beiden Arbeiten Emery’s: Beiträge zur Kenntnis der nordamerikanischen Ameisenfauna, I. Teil (Zool. Jahrb. System. Bd. VII, 1893), S. 643—665; Beiträge zur Monographie der Formieiden des paläarktischen Faunen- gebietes, VII. Teil (Deutsche Entom. Ztschr. 1909, S. 179— 204); ferner Wheeler’s Arbeiten über parasitische und dulotische F'ormica-Arten Nordamerikas seit 1901, sowie besonders seine „Comparative Ethology of the European and N. American Ants“ 1908 (Journ. f. Psych. u. Neurol. XIII, p. 404—435), namentlich p. 407—409 die vergleichende Übersicht der paläarktischen und nearktischen Formica-Formen. XXIX. 38 604 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. tische Gebiet beschränkt, und von ihr ließe sich höchstens F. Per- gandei als dulotische oder parasitische Formica morphologisch ableiten; zudem sind die Hilfsameisen der nordamerikanischen sklavenhaltenden und parasitischen Formen außerdem der fuseca- Gruppe angehörig, welche ebenso wie die rufa- und die sanguinea- Gruppe beiden Kontinenten gemeinsam ist. Für die morpho- logische Ableitung dieser beiden letzteren Gruppen kann daher nur die fusca-Gruppe in Betracht kommen. Die rufa-Gruppe ist zweifellos in morphologischer Beziehung höher spezialisiert als die fusca-Gruppe. Sie umfasst haupt- sächlich größere, gedrungenere Arten mit breiterem Kopf und stärker difierenzierter Fühlergeißel, deren Endglieder viel gedrungener sınd als die vorhergehenden; auch ist bei ihnen der Dimorphismus der Arbeiterinnen meist stärker ausgeprägt durch größere und kleinere Individuen in einer Kolonie. Alle diese Momente deuten auf eine höhere Differenzierung'*) des Formica-Typus in dieser Gattung hin, in Verbindung mit der sehr großen Formenmannig- faltigkeit von Arten, Unterarten und Varietäten, welche wir in der rufa-Gruppe finden. Obwohl wir heute keine eigentlichen Über- gänge mehr kennen zwischen der fusca-Gruppe und der rufa-Gruppe "), so müssen wir doch die rrıfa-Gruppe von der /usca-Gruppe morpho- logisch ableiten, falls wir überhaupt eine monophyletische Entwickelung der Gattung Formica annehmen. Daraus folgt aber, dass die acervicolen Formica-Arten, welche wir vorhin bıo- logisch von einem fesca-Stadium ableiteten, auch morphologisch auf dasselbe zurückzuführen sind: die Ergebnisse beider Betrach- tungsweisen decken sich also hier abermals. Aus einem rzfa-ähnlichen Stadium der abhängigen Kolonie- gründung durch fakultative Adoption der Weibchen bei fremden Hilfsameisen leiteten wir ferner vorhin biologisch die Entstehung des obligatorischen temporären Parasitismus bei Formica ab. Wie stimmen hierzu die morphologischen Verwandtschafts- verhältnisse ? (Fortsetzung folgt.) 14) Diese höhere Differenzierung ist jedoch nicht gleichbedeutend mit höherer Organisierung. Vgl. meine Arbeit „Die progressive Artbildung und die Dinarda-Formen“ (Natur u. Offenbarung 1909, 6. Heft, S. 321ff.). 15) Wie nahe diese beiden Gruppen einander stehen, zeigt folgendes Beispiel. Einige Formica-Weibchen aus Prairie du Chien (Wisconsin), welche P. Heim da- selbst isoliert gefangen hatte (ohne Arbeiterinnen), wurden von mir an Emery zur Bestimmung gesandt. Derselbe beschrieb sie 1893 als „Var.? specularis“ von F. subpolita Mayr, die zur fusca-Gruppe gehört. Mehrere Jahre später entdeckten Wolff und Muckermann bei Prairie du Chien eine mit Z, subsericea in ge- mischten Kolonien lebende Ameise’der rufa-Gruppe, welche Forel 1904 als Var. Wasmanni der Formica dakotensis Em. beschrieb. Schließlich stellte sich heraus, dass die Weibchen dieser Varietät von F\ dakotensis identisch sind mit den von Emery als Var. specularis von subpolita beschriebenen Weibchen. Ich habe die Typen beider in meiner Sammlung. Verhoeff, Über Dermapteren. 605 Über Dermapteren. 6. Aufsatz. Zur Biologie europäischer Ohrwürmer. Von Karl W. Verhoeff in Bonn a./Rh. (Schluss), Meine in einer Glaskapsel untergebrachte Labiduren fraßen gierig dargebotene Brotstückchen. Weit begehrlicher aber zeigten sie sich gegenüber lebender Beute. Ich fütterte sie namentlich mit den Raupen und Puppen des Eichenwicklers (Tortrix viridana), sowie mit noch größeren Spanner- und Eulenraupen von Eichen- und Buchengebüsch. Eine 7ortrix-Raupe, welche ich einer Labi- duıra am Kokonfaden hängend näherte, wurde unter seitlicher Körperkrümmung sofort mit einem Zangenhieb gefasst. An Kraft und Lebhaftigkeit übertreffen die Labiduren die Forficula auricu- laria entschieden. Kaum dass sie ihr Opfer mit der Zange gefasst und gequetscht haben, krümmen sie den Körper herum und ver- tilgen es mit einer außerordentlichen Gefräßigkeit. Während der Mahlzeit bleibt der Körper oft lange in der gekrümmten Haltung und die Zangen töten das Beutetier nicht nur durch wiederholtes Zwicken, sondern sie halten es zugleich und pressen die Flüssig- keit aus demselben, besonders bei Puppen. Raupen fressen sie besonders begierig, wenn sie geringe Behaarung zeigen. Als eine stärker behaarte Raupe erwähne ich die des Ringelspinners (Gastropacha neustria). Ich sah, wie eine solche fast ausgewachsene Raupe von Labidura durch einen einzigen Zangengriff einige Zeit gelähmt wurde. Unter hastigem Vor- und Zurücklaufen suchte der Ohrwurm die Raupe darauf anzubeißen und versuchte dies von verschiedenen Seiten. Er zog sich aber bald zurück, da ihm allenthalben die langen Borsten an den Kopf stießen. Später fand ich die Raupe durch weitere Zangenhiebe getötet, aber sie wurde andauernd verschmäht. Hat die Labidura irgendwo eine Beute gefunden, so tastet sie einen Moment hastig mit Fühlern und Mundteilen, läuft ein Stück zurück und geht dann mit skorpionartig herübergekrümmten Hinter- leib zum Angriff über. Entweder überschlägt sie sich dann voll- ständig beim Vorstoßen des Hinterleibes, oder sie dreht sich blitz- schnell um und greift rückwärts gehend kneipend an. Hat sie das Opfer gefasst, dreht sie sich bisweilen nochmals um und betastet es, schwenkt wieder um und zwickt abermals, bis ihr das Beutestück genügend bearbeitet zu sein scheint. Ich sah mehr- mals, wie sie dann das Opfer zwischen den Zangen haltend und nachschleppend eilends davon jagte, um einen zum Verzehren ange- nehmeren Platz ausfindig zu machen. Sie verzehren aber nicht nur die genannten Raupen, sondern auch deren Puppen, wenigstens so lange dieselben mit dem Abdomen schwankende Bewegungen machen. 38* 606 Verhoeff, Über Dermapteren. Hart gepanzerte Käfer, wie z. B. Dyrrhus, wurden verschmäht, während weichere, wie Telephorus, leicht bezwungen und gefressen wurden. Den Käfern gegenüber verhielt sich aber auch Forficula aurieularia ähnlich, d. h. eine Coceinella septempunctata blieb 3 Tage unter den Ohrwürmern unbehelligt, ebenso ein mittelgroßer Lauf- käfer (Ophonus punctieollis) eine Woche lang und eine Wanze, Pentatoma ruficornis. Dagegen fand ich einige ziemlich harte Rüssler, wie Attelabus NEE und nes auratus, von Labidura zerfressen. Die verschiedene Leistungsfähigkeit der männlichen und weiblichen Dermapteren-Zangen ergibt sich nicht nur aus deren verschiedener Größe und Gestalt und Insertionsweise, sondern man kann sie auch aus dem Abdomen und namentlich den hinteren Segmenten .desselben erkennen, welche die sehr starke Zangen- muskulatur bergen. Manche Formen besitzen daher im weiblichen Geschlecht ein mehr parallelseitiges Abdomen, während dem Männ- chen ein auffallend keuliges zukommt, so z. B. bei Pygidierana marmoricrura Serv. und en auch Labidura riparia. In- dessen gibt es auch Ohrwürmer, deren Geschlechter nur wenig verschiedene Zangen aufweisen, so Anisolabis maritima und mazima, die letztere in beiden Geschlechtern mit sehr starken Zwickorganen. Die Zangen des Männchens zeigen dieselbe Grundform wie die des Weibchens, sind aber am Ende erheblich stärker umgebogen. 2. Die Zangen in ihrer Beziehung zur Kopula und zur Brutpflege. Die Kopula der Forficuliden wurde von mir wiederholt be- obachtet und zwar bei Forficula auricularia und Labidura riparia, welche ın dieser Hinsicht sich ungefähr übereinstimmend verhalten. Was zunächst die Dauer der Kopula betrifft, so habe ich an einem warmen Junitage ein Zabidura-Pärchen mit geringen Unterbrechungen fast den ganzen Tag in Kopula beobachtet, während G. de Ker- ville von „plusieurs heures“ bei Forficula spricht, M. E. Sopp bei Labidura aber sagt: „La plus longue durdce de l'accouplement fut de trois heures et la plus courte d’une heure environ.“ Hinsichtlich der Beteiligung der Zangen an der Kopula stimmen alle darın überein, dass die Zangen des Weibchens für dieselbe bedeutungslos sind. Hinsichtlich der Zangen des Männchens dagegen weichen die Ansichten voneinander ab. G. de Kerville Und M. E. Sopp leugnen, wie schon oben angeführt, auch die Be- teiligung der nn elalhahen an A. de Bormans dagegen spricht, wie eingangs erwähnt, sogar von einem „Haltapparat bei der Be- gattung*, während Ch. B. Benett bei Anisolabis maritima sagt: „Le mäle renverse compl&tement l’extr&mite, de son abdomen et avec sa pince qui naturellement, est renversce, ıl no a reculons sous la femelle.*“ Alle bisher beobachteten Dermapteren-Männchen kehren bei der Kopula die Hinterhälfte des Abdomen um und nähern sich Verhoeff, Über Dermapteren. 607 von hinten her dem Weibehen. Dies kann als sichergestellt gelten, wobei nur noch zu bemerken wäre, dass, je nach der Beschaffen- heit der Unterlage, auf welcher sich die kopulierenden Tiere be- finden, das Weibchen, welches im allgemeinen eine normale Haltung behält, den Hinterleib gerade trägt oder etwas nach der Seite wendet. Im letzteren Falle ist der Hinterleib des Männchens mehr oder weniger seitlich gehalten, also nicht vollkommen umgekehrt. Bei abgeplatteteren Formen, wie Forficula aurieularia, ist die Um- kehrung der Abdomenhinterhälfte notwendiger als bei solchen mit zylindrischeren Hinterleibern, wie Lapidura riparia. Ein wichtiger Umstand, den ich in den bisherigen Berichten über Dermapteren- Kopula vermisse, ist das Verhalten der männlichen Kopulations- organe, der Parameren. Im Verhältnis zu den breiten zangen- artigen Parameren, wie wir sie z. B. bei vielen Hymenopteren, Dipteren und Coleopteren antreffen, sind diejenigen von Forficula und Labidura zart, schmal und stabartig. Sie sind für gewöhn- lich über der männlichen Subgenitalplatte vollständig versteckt, können aber bei Einleitung der Kopula über die halbe Zangenlänge hervorgestoßen werden und schieben sich dann über der Subgenital- platte des’ Weibcehens in dessen Körper. Dieser stabartige Kopu- lationsapparat ist während der Kopula als heller Streifen deutlich zwischen den Zangen durch zu erkennen. G. de Kerville hat in drei Abbildungen die kopulierenden Ohrwürmer in entgegengesetzter Haltung, d. h. mit abgewandten Köpfen dargestellt. Diese Haltung ist auch tatsächlich die häufigste, aber keineswegs die ausschließliche, vielmehr habe ich namentlich bei Labidura riparia ein und dasselbe kopulierende Paar in drei verschiedenen Stellungen beobachtet, einmal mit abgewandten Köpfen in der geschilderten Haltung; das anderemal das Männchen quer hinter dem. Weibchen. Hierbei hatte das Männchen den Hinterleib wie bei einem Angriff auf ein Beutetier nach oben herumgeschlagen, wobei ebenfalls die Unterfläche der Abdomen- hinterhälfte der Subgenitalplatte des Weibchens gegenüberstand und dieses gleichzeitig sein Abdomen mehr nach oben gebogen hielt. Das Männchen konnte also in dieser Stellung das Abdomen, statt es schraubig zu drehen, einfach nach oben bringen. Bei der dritten Stellung waren die Köpfe beider Tiere nach vorn gerichtet, wobei der Körper des Weibchens leicht, der des Männchens halb- kreisförmig gebogen war. Zugleich war das Abdomen des Weib- chens normal gerichtet, das des Männchens halb nach oben, halb nach der Seite gedreht, so dass sich die eine Zange des Männchens gerade über der anderen befand und die Parameren schräg unter der anstoßenden Zange des Weibchens eingeführt waren. Diese drei Stellungen können aber ohne Trennung der beiden Tiere ineinander übergehen. Wenn man nun hierbei auch Hal- 608 Verhoeff, Über Dermapteren. tungen sehen kann, wo zeitweise die Zangen des Männchens keine Rolle spielen, so sieht man doch andere Lagen, bei denen eine der beiden Zangen oder auch beide sich an das Abdomen des Weib- chens anlehnen, so dass neben der ziemlich schwachen, durch die Parameren gegebenen Verbindung 1—2 weitere mechanische Stützen für die Hinterleiber entstehen. So ruht z. B. bei der dritten Kopula- stellung, angenommen, dass sich das Männchen rechts befindet, das Zangenpaar hinten rechts auf dem Abdomen des Weibchens und vermag sich an dessen gerundeter Wand weit besser zu halten als wenn die Zangen so genähert angebracht wären wie es bei dem Weibehen der Fall ist. Bei platten Formen aber (F. auricularia) hat das Abdomen des Weibchens in der ersten Kopulastellung an den ellipsoidisch auseinander gebogenen Zangen des Männchens ebenfalls eine Stütze, welche den Druck auf die Parameren ver- mindert. Mit Rücksicht auf die Parameren ist die 1907 in Fig. 2 für Labidura von G. de Kerville gegebene Kopuladarstellung nicht richtig, d. h. unmöglich, weil die beiderseitigen Zangenpaare so weit voneinander entfernt sind, dass eine richtige Kopula aus- geschlossen ist. Weit besser aber hinsichtlich der Segmente des Männchens ebenfalls unzutreffend ist seine Abbildung 1903, S. 86 inder Soc. entom. de France für auricularia. Die Hinterleibssegmente des Männchens sind hier wie die eines zerquetschten Tieres dar- gestellt, weil die schraubige Drehung nicht zum Ausdruck kommt. Kann man also die Zangen der männlichen Dermapteren auch nicht mit de Bormans als einen „Haltapparat“ im Sinne der Parameren zahlreicher anderer Insekten betrachten, so ist es doch auch unmöglich, die Meinung von G. de Kerville zu unter- schreiben, wonach sie für die Kopula bedeutungslos sein sollen. Die Wahrheit liegt so ziemlich in der Mitte. Ich habe die männlichen Zangen aber nicht nur als gelegent- liche helfende Stützen kennen gelernt, sondern auch als Hebel, mittelst deren sich das Männchen namentlich bei den flacheren Formen und der erstgenannten Kopulastellung unter das Abdomen des Weibchens schiebt. Dies ist aber um so notwendiger und wichtiger, wenn wir uns das Leben der flachen Arten unter Borken- stücken und in Spalten vorstellen, wo der niedrige Raum die erste Kopulationsstellung oft zur Notwendigkeit macht. Männchen, welche sich zur Kopulation anschicken, habe ich wiederholt beobachtet, wie sie durch leichte Schläge mit dem Abdomen das Weibchen antreiben. Ebenso dienen die Zangen dem Männchen bisweilen zur Austeilung kräftiger Schläge gegen andere in Kopula befindliche Tiere, wobei sie rückwärts gehen und das Abdomen gedreht halten. Was schließlich die Brutpflege betrifft, so verfertigen sich - die Ohrwurmweibchen bekanntlich kleine Erdkämmerchen, in welchen sie das Eierhäuflein und zeitweise auch noch die jungen Larven Verhoeff, Über Dermapteren. 609 sorglich behüten. Über Anisolabis maritima schrieb Bennelt: „En creusant cette chambre la femelle transportait au dehors la terre avec sa bouche. Elle ne parut jamais se servir de sa pince pour creuser la terre ou la transporter. La chambre est parfaitement propre; aucun petit morceau de bois ou de pierre n’y est laisse par les femelles les plus soigneuses.“ Eine Betätigung der Zangen bei der Anlage des Eiergrübchens ıst schwer direkt zu beobachten. Das Graben eines Ganges mit den Mundwerkzeugen und Beinen habe auch ich unmittelbar beobachtet. Dennoch beweist das nichts gegen die Mitarbeit der Zangen. Das Graben eines Ganges und das Aushöhlen eines Grübchens sind zweierlei Dinge. Bei dem letzteren ıst ein Mitwirken des Abdomens und der Zangen äußerst wahrscheinlich, denn die Rundung des Kämmerchens ist gerade so wie sie bei einem Pressen dieser Teile auf die Umgebung bei er- hobenem Abdomen und Umherdrehen entstehen muss. Es ıst ohne weiteres ersichtlich, dass hierbei zwei schlanke, dicht aneinander gelegte Zangen weit wirksamer sein müssen als längere und ge- spreizte, wie sie dem Männchen zukommen. Auf die Frage, welche Bedeutung haben .die Zangen der weib- lichen Ohrwürmer, kann ich somit antworten, dass sie 1. Verteidigungs- und Angriffswaffen sind, 2. Werkzeuge zur Erweiterung und Ausrundung der Brut- kämmerchen. Es fragt sich aber ferner, weshalb zeigen die Zangen der männ- lichen Ohrwürmer einen von denen der Weibchen auffallend ab- weichenden Bau? 1. Als Verteidigungs- und Angriffswaffen sind sie in einer stärkeren Entwickelung durch die Rücksicht auf Brutkämmerchen, in denen besonders lange ung breit gestellte Zangen nur hinderlich sein würden, nicht gehemmt. Die größere Stärke der männ- lichen Zangen kommt aber für die Bewältigung kräftigerer Beute- tiere in Betracht und nützt bei der geselligen Natur der Ohrwürmer auch den Weibchen. 2. sind die männlichen Zangen mit Rücksicht auf ihr meist stärkeres Auseinanderstehen für die Kopula zwar nicht unbedingt notwendig, aber dennoch als Stützen und Hebel recht nützlich. 3. sind die männlichen Zangen die gefährlichen Waffen im Kampfe der Männchen untereinander. — Hinsichtlich des letzten Punktes habe ich noch einige Beobach- tungen beizubringen. Im allgemeinen halten die Ohrwürmer unter- einander Frieden und sind, wie schon oben gesagt, sehr geselliger Natur, auch Männchen und Weibchen leben zahlreich friedlich nebeneinander. Als ich jedoch ım Oktober 2 Männchen der azuricularia allein in eine Schachtel sperrte, wurde das kleinere bald getötet 610 Verhoeff, Über Dermapteren. und ich fand Thorax und Kopf aufgefressen. In einem anderen Fall sperrte ich Ende Oktober 2 Männchen ein, welche vorher zu- sammen mit 16 Weibchen friedlich gelebt hatten. Abermals wurde das kleinere vom größeren getötet und Kopf und Thorax verzehrt. Mit welcher Wut die Gegner aufeinander losgegangen, zeigte mir der Umstand, dass sich an dem übrig gebliebenen Abdomen noch die Zangen bewegten. Von 34 Männchen, welche ich Anfang Oktober (ohne Weibchen) in einen Glasbehälter setzte und ihnen Brot- und Apfelstückchen bot, waren am 4. Februar nur noch 4 Männchen übrig, nachdem die anderen z. T. wenigstens durch Kämpfe zugrunde gegangen waren. Da die Forficula aurieularia im Spätherbst ihre gewöhnlichen Sammelplätze verlassen, die Männchen vielfach dahinsterben und die Weibchen sich in den Boden verkriechen, so ist es natürlich, dass die Brunstzeit in die vorhergehenden Herbstwochen fällt und dass die bis dahin zusammenhaltenden Scharen teils durch die Witterung, teils durch die Kämpfe der Männchen auseinander ge- trieben werden. Die Kopula beobachtete ich übrigens bei aurieularia noch am 24. Oktober. 3. Die Zangen mit Rücksicht auf die Flügelentfaltung. Auf diesem bisher ganz dunkeln Gebiet fehlt noch jede ge- nauere Beobachtung. Außer den schon oben angeführten Urteilen will ich noch eine Mitteilung von M. v. Kimakowiez erwähnen, welche sich auf S. 103 in den Verh. d. siebenbürg. Ver. f. Naturw. in Hermannstadt 1896, Bd. XLVI, vorfindet. „Es wollte mir nie- mals gelingen, irgendeine Forficula zum Fliegen zu bringen und erst nach unzähligen vergeblichen Versuchen gelang es mir endlich bei Labia minor dies reizende Schauspiel zuerst zu beobachten und gleichzeitig die hauptsächlichste Verwendung der Abdo- minalzange festzustellen. Die Forficuliden können ihre viel- fach zusammengefaltenen Hinterflügel nicht aus eigener Kraft ent- falten und flugfähig machen. Während dies anderen Insekten, namentlich den Staphyliniden, noch durch entsprechende Körper- bewegungen gelingt, bedürfen jene die Arme der Zange hierzu. Will eine Forficula (vecte Labia!) ihre Flügel entfalten, dann hebt sie den Hinterleib derartig nach aufwärts und vorne, dass die Spitzen der Zange oberhalb der sich gleichzeitig etwas hebenden Flügeldecken zu liegen kommen. Hierauf wird der linke Zangen- arm unter den rechten Flügel geschoben und dieser durch einfaches Streifen entfaltet. Während der rechte Flügel ohne weitere Stütze offen bleibt, verrichtet der rechte Zangenarm die gleiche Arbeit am linken Flügel. Je schwieriger die Entfaltung der Flügel bei der einen oder anderen Art ist, desto vollkommener muss die Ent- wickelung der Zange sein und es sind auch die Formen mit mäch- Verhoeff, Über Dermapteren. 611 tigem Flügelentfaltungswerkzeug viel schwieriger zum Fliegen zu bringen.“ Tatsache ist, dass Labia minor ein gut fliegender Ohrwurm ‚ist, der im Sommer abends Lichter umschwirrt und auch von mir fliegend beobachtet wurde, ohne dass ich allerdings bisher Gelegen- heit gehabt habe, die Entfaltung der Flügel zu prüfen. Übrigens fliegt ZLabia auch bei Tage. Ebenso sicher ist der von Kimakowiez gezogene Schluss, dass die Flügelentfaltung „die hauptsächlichste Verwendung der Abdominalzangen darstelle“ unhaltbar, wie‘ die zahlreichen Der- mapteren-Arten ohne Flügel oder sogar ohne Elytren beweisen, unter denen aber manche gerade ganz besonders starke Zangen besitzen. Der Schlusssatz ist gleichfalls hinfällig, denn die Formen mit besonders starken en und gut entwickelten Flügeln hat noch niemand fliegen sehen; man darf bei einer Form so lange nicht sagen, sie sei a Ener zum Fliegen zu bringen“, ik man sie überhaupt nicht beim Fluge beobachtet hat. Von unseren mitteleuropäischen Dermapteren besitzen außer der kleinen Labia minor wohlausgebildete Flügel nur Forficula auricularia, Labidura riparia und Anechura bipunetata, während uns Apterygida media, Chelidurella acanthopygia und Antsolabis maritima Abstufungen in der Verkümmerung der Flügel und z. T. auch Flügeldecken vorführen. Dass die nächtliche und verborgene Lebensweise der Ohrwürmer auf die Flugwerkzeuge dieser Insektenordnung von degenerieren- dem Einfluss gewesen ist, zeigt am besten der Umstand, dass nicht nur Arten und Gattungen, sondern ganze Familien die Flügel ver- loren haben, so die Anisolabidae, Isolabidae, Gonolabidae und Kar- schiellidae. Eine solche allgemeine Ordnungsübersicht lässt es also nicht gerade erstaunlich erscheinen, dass es Formen gibt, welche noch Flügel besitzen, dieselben aber nicht oder nur selten noch benutzen. Wenn aber ein Flugorgan so verwickelt gebaut ist wie dasjenige unserer Forficula aurieularia und trotzdem nicht benutzt wird, so ist das eine so überraschende Merk- würdigkeit und ein so absonderliches „rudimentäres“ Organ, dass dagesen z. B. die vielbesprochenen Yudimentären Organe des Men- a ganz ın den Schatten gestellt werden. Ich möchte hier an meinen Aufsatz erinnern „Beitr. z.’ vergl. Morph. des Thorax der Insekten“, Halle 1902*), wo ich in dem Kapitel Elytren, Mesonotum und Metanotum S. 88—92 eine merk- würdige Beziehung zwischen einem als Stachelrippe bezeichneten 4) Nova Acta d. deutsch. Akad. d. Naturf. 612 Verhoeff, Über Dermapteren. Gebilde der Elytren und Doppelbürsten des Metanotum nach- gewiesen habe, Organe, durch welche „eine feste Verankerung der Elytren auf dem Metanotum bewerkstelligt wird“. „Die in allerlei Spalten umherschlüpfenden Dermapteren werden durch diese hübsche Einrichtung der Elytrenverankerung davor bewahrt, mit ihren Decken oder Flügeln durch deren Abstehen irgendwie behindert zu werden.“ Gleichzeitig ist aber hierdurch die Verwickluag des Flügelgebrauchs wieder um einen Punkt gesteigert. 1902 glaubte ich auch annehmen zu dürfen, dass durch den Doppelbürstenapparat und das Anpressen der Elytren „die Flügelfalten eine hohe Elastizität erhalten und ihre Ausbreitung zum Fluge erleichtert wird“. Die folgenden Mitteilungen zeigen, dass ich diese Anschauung wenig- stens als allgemeine nicht mehr vertrete. Schiebt man bei Forficula aurieularia die Elytren künstlich auseinander, so ziehen sie dieselben langsam wieder zusammen, scheinen aber zum vollkommenen Einlegen in die Metanotum- doppelbürste eines äußeren Gegendruckes zu bedürfen. Ich sah nämlich wiederholt, wie solche Individuen die Schultern gegen eine Wand drückten und dabei, wenn nötig, den Körper schief hielten. Einem «aurieularia-Weibchen habe ich behutsam und ohne Ver- letzung auch die Flügel entfaltet und musste sehen, dass es die- selben nicht wieder einziehen konnte. Tagelang lief das Tier umher und hielt die hinteren Hälften der Flügel herausgestreckt. Mit mehreren anderen Individuen ging es ebenso. Sie konnten sich zwar an irgendwelchen Gegenständen die Elytren wieder zurecht- drücken, aber die Flügel blieben unregelmäßig gefaltet, andauernd teilweise hervorgestreckt und kamen nicht wieder in die richtige Lage. Wenn man einer PForficula auricularia die Flügel künst- lich entfaltet, klappen dieselben mechanisch mit Schnellig- keit wieder ein, weil die natürlichen Spannungsverhält- nisse der Entfaltung widerstreben. b IC [03 N c Y b C Schema der Flügelquerfaltung bei Forficula. Ein solcher Flügel ist überhaupt nur dann gespannt zu halten, wenn man ihm (vgl. das nebenbefindliche Schema) in der Richtung des Pfeiles a einen solchen Druck gibt, dass die queren Faltungs- stellen x und y überknickt werden, also statt des spitzen Winkels ein gegenüberliegender stumpfer entsteht, der Flügel demnach gegen Verhoeff, Über Dermapteren. 613 die natürlichen Querfalten geknickt wird. Diese Biegung bewirkt man durch eine oder zwei leichte Längseindrücke senkrecht zu den natürlichen Querfalten. Die Elastizität der Flügel ist bedeutend. Der genannte Druck in der Richtung a von unten auf das Apikalfeld kann entweder durch das aufbäumende Abdomen (Zangen) oder durch die Hinter- beine bewirkt werden. Ich habe auch wiederholt den Flugver- such bei aurieularia beobachtet, d. h. bei Tieren, denen ich die Flügel künstlich entfaltet hatte. Sie hoben wie andere sich zum Fliegen anschickende Insekten Flügel und Elytren fast senk- recht nach oben, aber die Endhälften der Flügel waren mehr oder weniger eingeklappt und die Tiere versuchten vergeblich durch Heben des Hinterleibes sie in Ordnung zu bringen. Das 3. und 4. Tergit werden besonders gegen die Flügel gedrückt durch Abdomenaufbäumen. Auch kann der Hinterleib ganz herüber- gekrümmt werden, so dass die Zangen die Flügel berühren. Trotz- dem sah ich nicht, dass sie versucht hätten, mit denselben die Flügel auszubreiten oder einzufalten. Dagegen habe ich einige Individuen beobachtet, welche namentlich unter Mitwirkung der Hinterbeine eine vollkommene und ordentliche Zusammen- faltung der Flügel zustande brachten, was wie gesagt anderen an- dauernd nicht gelang. Das mechanische Streben der Flügel, sich zusammenzufalten, ist so stark, dass ich mir ihre Ent- faltung etwa durch Schlagen und Drücken der widerstrebenden Luft nicht vorstellen kann. Meine Beobachtungen haben mir vielmehr die Überzeugung gebracht, dass Forficula auricularia trotz hoch- entwickelter Flugorgane flugunfähig geworden ist durch Nichtgebrauch der Flügel und dass die Verkümmerung in den Organen selbst nur durch eine Änderung in den Spannungs- verhältnissen der Flügelfllächen zum Ausdruck gekommen ist. Zum Vergleich mögen hier einige Käfer erwähnt werden: Einem @uedius (Staphylinide) konnte ich die Flügel künstlich mit Leichtigkeit entfalten, wobei sie sofort am Rücken geöffnet getragen wurden, ohne besonderen Druck von unten her. Vielmehr bedarf es eines Druckes von oben durch die Beine oder den auf- bäumenden Hinterleib, um sie wieder einzufalten. Von einem schnellen, federartigen Zusammenfallen der Flügel, wie bei Forficula, war hier nichts zu merken. Bei Coceinella springen die Flügel beim Lüften der Elytren und einem kleinen Anstoß federnd wie von selbst auf (also gerade das Gegenteil von Forfieula!), während sie eingezogen werden können durch das Pumpen des Hinterleibsrückens mit seinen Haarfeldern bei geschlossenen Decken, wobei man sieht, wie jeder Stoß der Atembewegung nach oben ein Stück des noch vor- stehenden Flügels einzieht. 614 Verhoeff, Über Dermapteren. Bei Harpalus aeneus, dessen Flügel im Vergleich mit Coceinella schwächer sind, springen sie auch nicht so leicht auf, können aber trotzdem leicht ausgebreitet werden. Das Einfalten geschieht wieder durch Pumpen des Hinterleibsrückens?). Mehrfach habe ich aus der Nymphe geschlüpfte Forficula auri- cularia beobachtet, welche in ihrem noch ganz weichen Zustande schön schneeweiß erscheinen, wobei nur die Augen tiefschwarz abstehen. Nachdem ich mehrmals bei solchen ausgeschlüpften Ohr- würmern die Flügel bereits annähernd in ihrer definitiven Lage gefunden hatte, gelang es mir am 10. Juli nachm. 4 Uhr, eine weiße Forficula zu beobachten, welche gerade aus der Nymphen- exuvie herausgeschlüpft war. Bei ihr zeigten sich die Flügel erst einmal gefaltet, daher ragten sie um die ganze Länge der Elytren über diese hinaus, aber bereits um 6 Uhr waren die Flügel in den normalen Zustand eingeklappt und ragten also kaum noch um die halbe Länge der Elytren über diese vor. | Forficula auricularia habe ich auch dadurch zum Fliegen an- zuregen versucht, dass ich eine Glaskapsel, in welcher sich eine Reihe Individuen befanden und zugleich der Deckel entfernt war und geeignete Punkte zum Abfliegen gegeben, von unten her er- wärmte. Die Tiere gerieten in die höchste Unruhe und rannten aufgeregt umher, aber keines unternahm irgendeinen Flugversuch. Auch bei Zabidura riparia habe ich niemals irgendeine Be- wegung gesehen, welche auf die Neigung zum Fliegen deuten könnte. Während ich bei awrieularia unter Hunderten nur unbedeutende Schwankungen in der Größe der Flügel wahrnehmen konnte, ist die Flugunfähigkeit von Labidura riparia auch schon durch die be- deutende Variabilität ihrer Flügel angezeigt. Die vorragenden Flügelschuppen sind durchschnittlich entschieden kleiner als bei auricularia, bei manchen Individuen aber verhältlich ebenso groß wie dort, während sie bei anderen nur !/, oder !/, der Flügel- schuppengröße der in diesen am stärksten entwickelten Stücken erreichen, sowohl nach Länge als auch Breite. Wenn man nun auch die über die Beteiligung der Zangen an der Flügelentfaltung von Labia minor gemachten Angaben als be- gründet anerkennen will, so fragt es sich doch sehr, ob unter den Dermapteren mit gut entwickelten Flügeln die Möglichkeit einer solchen Zangenbetätigung überall gegeben ist? Bei Pygidierana marmorierura 2. B., welche in beiden Ge- schlechtern sehr gut entwickelte Flügel sowohl als auch Flügel- schuppen besitzt, kann man sich bei Umbiegung des Hinterleibes 5) Vgl. meine Arbeiten über die vergl. Morphol. des Abdomens der Käfer, in welchen die abdominalen Haarfelder und ihre Bedeutung für die Flügeleinfaltung ebenfalls besprochen sind. Insbesondere nenne ich im allgemeinen Teil der Cocei- nelliden-Arbeit, Arch. f. Naturgesch. 1895, Bd. I, H. 1, S. 56 und 57. Verhoeff, Über Dermapteren. 615 sehr gut überzeugen, dass das Weibchen mit seinen Zangen die Flügelschuppen vielleicht emporziehen kann, für das Männchen diese Arbeit aber ganz unausführbar ist, weil die Zangenenden zu weit nach vorn reichen. Es gibt aber eine ganze Reihe Dermapteren mit gut entwickelten Flügeln, deren Zangen so lang sind, dass sie bei Umkrümmung des Hinterleibes über die Flügel- schuppen hinausgehen und deshalb mit ihren Enden die ihnen zugemutete Funktion gar nicht erfüllen können. Wenn die Flügel nur mit Hilfe der Zangenspitzen entfaltbar wären, so müsste es auch ganz rätselhaft sein, dass bei Arten mit in beiden Geschlechtern gleich gebildeten Flügeln die Zangen der Geschlechter oft so außerordentlich verschieden gebaut sınd. Meiner Ansicht nach haben wir also ın Mitteleuropa nur einen einzigen flugfähigen Ohrwurm, nämlich Labia minor. Wäre die gemeine Forficula auricularia flugfähig, so müsste sich dieselbe bei ihrer nächtlichen Lebensweise und dem ziemlich kräf- tigen Körper längst in zahlreichen Fällen an Lichtern und Lampen auffällig bemerkbar gemacht haben. Unter den zahlreichen tropischen und subtropischen Der- mapteren mögen sich mehr fliegende Arten vorfinden als in Europa, zumal die höheren Temperaturen dabei mitsprechen können, aber an eine allgemeine Verwendung der Zangen für Flügel- entfaltung ist auch bei diesen nicht zu denken. Als ein sehr lehrreiches Beispiel will ich dıe auf den malayischen Inseln vorkommende Opisthocosmia insignis Haan nennen, welche einerseits gut entwickelte Flügel besitzt, andererseits Zangen, welche nicht nur reichlich so lang sind wie das Abdomen, stark säbelartig gekrümmt und mit scherenartig übereinandergreifenden Endspitzen, sondern oben hinter dem Grunde auch mit einem senkrecht nach oben gerichteten dieken Nebenast versehen. Infolgedessen kann diese Form die Zangen höchstens senkrecht nach oben biegen, nicht aber mit dem Abdomen nach vorn herüberkrümmen; es wird also durch die dicken Nebenäste der Zangen eine skorpionartige Angriffsstellung verhindert und zugleich wird eine Berührung der Flügelschuppen durch die Zangenspitzen zur phy- sischen Unmöglichkeit. Nach dem Gesagten schrumpft die angeblich so große Rolle der Ohrwurmzangen für eine Flügelentfaltung zu einer recht be- scheidenen zusammen. Trotz der Angaben über Zabia minor würde ich die anschemend sehr verbreitete Anschauung von der flügel- entfaltenden Zangentätigkeit nicht recht begreifen, wenn nicht in Brehm’s Tierleben durch E. L. Taschenberg eine irreführende Mitteilung beigebracht worden wäre. Er sagt S. 496: „Die Zange der Leibesspitze macht jeden Ohrwurm als solchen kenntlich. Die- 6516 KRübsamen, Die wichtigsten deutschen Rebenschädlinge u. Rebennützlinge. selbe dient zur Verteidigung, aber auch gleichzeitig zum Entfalten und Zusammenlegen der Flügel. Wer sich darüber wundern sollte, dass die Öhrlinge fliegen, der betrachte ihren Mittelrücken“ u. s. w. Es ist hier dem ganz Unkundigen gegenüber von der Anschauung ausgegangen, dass die Flügel bei einer oberflächlichen Betrachtung leicht übersehen werden können, was Taschenberg zu deren Be- schreibung veranlasste. Stillschweigend folgerte er nun, dass, wenn die Ohrwürmer Flügel haben, sie auch fliegen können. Dieser in bezug auf Forficula auricularia sehr verzeihliche Irrtum ist um so begreiflicher, wenn man sich die große Komplikation des Flug- apparates vor Augen hält. Wenn nun auch die Ohrwurmflügel bei Arten wie Forficeula auricularia und Labidura riparia ıhre eigentliche Bedeutung ver- loren haben, so sind sie m. E. doch nicht ganz bedeutungslos. Sie vermögen nämlich wie en Schwimmgürtel zu wirken, wenn diese Tiere ins Wasser geraten. Einerseits unter den Elytren, andererseits in den vielen Falten der zusammengelegten Flügel hält sich im Wasser ein nicht unbeträchtliches Luftquantum, welches den unter den Flügeln sich öffnenden Stigmen zugeführt werden kann. Beide Arten sind aber durch ihre Vorliebe für Flussufer, oder bei riparia auch Meerstrandplätze, reichlich der Möglichkeit ausgesetzt, zeitweise mit Steinen, Bäumen u. a. unter Wasser zu geraten. Ins Wasser geworfen treiben sie tatsächlich sehr leicht an der Oberfläche und können dabei durch Heben des Abdomens auch atmen. Unter das Wasser gestoßen steigen sie mit Leichtigkeit wieder empor‘). Ew. H. Rübsamen: Die wichtigsten deutschen Rebenschädlinge und Rebennützlinge. Auf Veranlassung des preußischen Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten bearbeitet und mit Unterstützung der Landwirtschaftskammern zu Bonn und Wiesbaden herausgegeben. Berlin-Leipzig-Stuttgart 1909, Deutsches Verlags- haus Bong u. Ko. 126 S., 15 farb. Taf., 41 Textfig. 4 Mk. Ein von einem Zoologen verfasstes Lehrbuch über Rebschäd- linge war angesichts der schweren Schädlingsplage in dem wirt- schaftlich so wichtigen deutschen Weinbaugebiete seit Jahren ein 6) Schaden und Nutzen der Ohrwürmer. „Der gemeine Ohrwurm ist überall in Europa zu Hause, aber nirgends gern gesehen. Der Gärtner kennt ihn als Zerstörer seiner besten Nelkenblüten und Georginen und setzt Blumentöpfchen auf die jenen beigegebenen Stäbe, um ihm einen angenehmen Schlupfwinkel darzu- bieten, aus welchem er ihn zur Vertilgung herausklopft. Dem Kinde wird der Genuss der Beeren verleidet, wenn ein Ohrwurm nach dem andern aus dem Dunkel der dichtgedrängten Weintrauben herausspaziert. Die Köchin wirft entrüstet den Blumenkohl von sich, wenn beim Zergliedern des Kopfes das braune Ungetüm an das Tageslicht kommt.“ Also lautet das Sündenregister, welches Taschenberg in Brehm's Tierleben unseren Ohrwürmern vorhält, in welches ich einzustimmen jedoch keine Veranlassung habe. Ganz anders lautet das Zeugnis, welches dem Ohrwurm z. B. von Ew. Rübsaamen S. 114 seines trefflichen Buches über „Die wich- tigsten deutschen Rebenschädlinge und Rebennützlinge“ ausgestellt wird: Rübsamen, Die wichtigsten deutschen Rebenschädlinge u. Rebennützlinge. 617 Bedürfnis. Es gilt dabei, das Interesse der Praktiker für die natür- lichen Bekämpfungsfaktoren zu wecken und ihnen Verständnis für deren Bedeutung zu ühermitteln, da die Bekämpfung mit Chemi- kalien wenig Aussicht auf Erfolg bietet. Der Abfassung eines solchen Buches steht jedoch unsere geringe Kenntnis von dem wirt- schaftlich wichtigsten Teile, der Mangel an exakten Angaben über die Beziehungen zwischen „Schädlingen“ und „Nützlingen“ im Wege. Die Aufgabe ist daher auch jetzt noch in gewissem Grade undankbar. Der Verfasser will speziell eın für den Winzer ‚geeignetes Örientierungswerk schaffen. Wir danken es ihm, auch im eigenen Interesse der Bevölkerung, dass er diesem Prinzipe nicht gar zu ängstlich gefolgt ist und dass wir bei ıhm auch Angaben finden, die sich nicht nur auf die „wichtigsten“ Schädlinge und Nütz- linge beziehen. Hier interessieren vor Allem Mitteilungen aus seinem Arbeitsgebiete, so über Myzodiplosis plasmoparae Rübs., eine Gallmücke, deren Larve von „Peronospora“-Sporen lebt und Arthroenodax vitis Rübs., bei der die Larve Gallmilben (Hriophyyes vitis Nal.) frisst. — In dem Abschnitte über Nützlinge musste der erwähnte Mangel an wissenschaftlicher Durchforschung zutage treten. — Auffallend ist, dass der Verfasser den pathogenen Pilzen wenig Beachtung schenkt. Ein Analogieschluss aus ihrer Bedeutung im Leben anderer Organısmen wäre gewiss nicht zu gewagt gewesen. Auch hätten meines Erachtens Formen, die auf Rebschädlingen oder deren nächsten Verwandten (Conchylis, Otiorrhynchus u. a.) festgestellt worden sind, einzeln erwähnt werden sollen. Ein Hinweis auf die einschneidende Bedeutung der durch Sporozoen und Bakterien verursachten Insektenepidemien hätte dazu gedient, dem Praktiker den Wert wissenschaftlich biologischer Forschung klarzumachen, da hier laienhafte Beobachtungen, wie sie täglıch in unseren Fach- und Tagesblättern zu Grundlagen einer „biologischen Bekämpfung“ erhoben werden, völlig versagen. Und bei der Forschung nach wirksamen Mitteln dieser Art müssen wir den Mikroorganismen die allergrößte Aufmerksamkeit schenken. Unnötig war es dagegen, Abbildungen eines Phalangium und eines Oheliferiden zu geben; denn für die Betätigung der Opi- lioniden als Räuber haben wir keine Belege und Cheliferiden kommen „Der Ohrwurm wird oft nicht als Nützling anerkannt, doch wenn er auch in Obstgärten süße Kost nicht verschmäht, besonders dann, wenn Früchte von anderen Tieren bereits angefressen worden sind, so ist er doch im Weinberge unbedingt nur nützlich und der Landwirt sollte das Tier schonen, nicht aber, wie dies leider so oft geschieht, die Tierchen, die mit Getreidegarben in die Scheune gebracht worden sind, nach dem Dreschen den Hühnern zum Fraße vorwerfen.“ Es bedarf kaum der Versicherung, dass ich Rübsaamen’s Worte vollkommen unterschreibe, ich habe ihnen nur noch hinzuzufügen, dass der Nutzen, welchen der Ohrwurm durch seine Gefräßigkeit, Häufigkeit und gleichzeitig Angriffslust zu stiften imstande ist, ein ganz bedeutender sein muss, der den Schaden reichlich auf- wiegt, bei der nächtlichen Wirkungsweise aber schwer zu beaufsichtigen ist. Ohr- würmer, welche Kräuter und Sträucher besteigen, auf welchen Legionen von Blatt- läusen hausen, umschmeicheln dieselben nicht wie viele Ameisen. sondern sie machen gründlich reinen Tisch, wie ich noch in diesem abnorm nassen Juli bei den durch Blattläuse stark geschädigten Gartenhimbeeren beobachten konnte. 618 KRübsamen, Die wichtigsten deutschen Rebenschädlinge u. Rebennützlinge. in Weinbergen immerhin nur vereinzelt vor. Auch Panorpa, die sich bekanntlich an feuchtes Gelände hält, dürfte im Weinberg keine große Rolle spielen. Unter den Aranaeen haben die Lyco- siden geringe Bedeutung, da sie nur die vom Weinstock auf den Boden gelangenden Schädlinge angreifen (vgl. auch Fr. Dahl, Die Wolfsspinnen Deutschlands). Die Einteilung des Stoffes und die Art, wie die Abschnitte durch den Druck unterschieden werden, ist dem Bedürfnis des Laien ebenso vorzüglich angepasst wie die stoffliche Auswahl. Da- gegen fragt es sich, ob der Ton der Schilderung nicht hier und da mehr nach Volkstümlichkeit strebt, als sich das mit dem streng wissenschaftlichen Inhalt verträgt — es entstehen so ungewollte Kontraste — und als es dem Laien selbst lieb ıst. „Wenn sich die Reblaus zum dritten Male gehäutet hat, so ist sie breit und rund und behäbig geworden und. legt nun länglichrunde, glänzend gelbe Eierchen ... und aus jedem Ei kommt dann eine winzig kleine Reblaus von hellgelber Farbe mit roten Aeuglein, sechs flinken Beinchen, kurzen, dreigliederigen Fühlhörnchen und dem bekannten Saugrüssel ... Aber die junge Reblaus muss doch wohl auch einen Vater haben. Wo mag er sein?“ Ich erwähne dies als typisch für viele didaktisch-naturwissenschaftliche Aufsätze. Auch die Fasslichkeit leidet unter dieser Darstellungsweise. Aehnlich typisch, dem Werke also nicht zum Vorwurf zu machen, ist das Bestreben, jede Erscheinung teleologisch „ver- ständlich* zu machen, fast als ob vergessen wäre, dass das Problem der Vielgestaltigkeit nicht nach „Zweckmäßigkeiten®, sondern nach deren Erklärung verlangt. „Wo die Reblaus sitzt und saugt, da bildet sich eine kleine Grube und die Wurzel biegt sich nach dieser Seite meist in einen schiefen Winkel um, so dass der Reblaus hier- durch ein gewisser Schutz gewährt wird.“ Eine durch Wachs- tumstörung veranlasste Hemmungsbildung an der Nährpflanze führt also direkt zu einem — sehr zweifelhaften! Schutzmittel für den Parasiten. Ich glaube nicht, dass auf el Art die Gedanken der Laien in eine Richtung gelenkt werden, die dem Verständnis für die Naturvorgänge und damit für die Grundlagen biologischer Bekämpfungsmethoden förderlich ist. Großen Wert für den Praktiker haben die schönen Be- stimmungstabellen, in denen die Schädlinge nach den von ihnen verursachten Sy mptomen angeordnet sind. Die Ausstattung mit Abbildungen ıst reichhaltig. Sie sind gut und dabei einfach und instruktiv schalten, dem Zwecke des Buches entsprechend. Den Gedanken, die Tafeln gefaltet am Anfang des Textes anzubringen, halte ich für wenig glücklich; sie zerreißen so leicht, besonders wenn das Buch im Freien benutzt werden soll. Das schöne Orientierungswerk bedeutet einen großen Vorteil für die weinbautreibende Bevölkerung, landwirtschaftlichen Schulen und Lehrern wird es unentbehrlich sein. Der Preis ist außerordent- lich niedrig. Dr. Schwangart (Neustadt a. d. Haardt). Verlag. von Georg Thieme in n Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. R. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof; Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 15. Oktober 1909. A RO. Inhalt: Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus der Sklaverei und der Myrme- kophilie bei den Ameisen (Fortsetzung). — Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren. — v. Linden, Tentakelartige Fortsätze an Opalina dimidiata. Über den Ursprung des sozialen Parasitismus, der Sklaverei und der Myrmekophilie bei den Ameisen. Von E. Wasmann 8. J. (Luxemburg). (170. Beitrag zur Kenntnis der Myrmekophilen.) (Fortsetzung..) Dass Fr. truncicola einen Zweig des rufa-Stammes darstellt, ist wohl selbstverständlich. Sie ist eine Rasse von F- rufa, le sich durch Änderung ihrer Lebensweise und durch Über gang Ihrer Weibchen zum en Parasitismus von der Se ab- gezweigt hat. Auch für die exsecta-Gruppe, eine Unterabteilung der rufa-Gruppe mit ausgerandetem Hinterkopfe, ist ihr verwandt- schaftlicher Zusammenhang mit dem rxfa-Stamme wohl außer Zweifel; die Kopfbildung ihrer Arbeiterinnen ist morphologisch von der Kopfbildung von ru/a abzuleiten, ebenso wie ihre Kolonie- gründung sich biologisch an jene von rufa anschließt. In beiden Beziehungen bildet die nordamerikanische F' exsectoides einen Über- gang zwischen rufa und exsecta. Sie hat einen wenig ausgerandeten Hinterkopf, ähnliche Größenstufen der Arbeiterinnen wie rufa und ähnliche große Weibchen wie diese. Auch biologisch steht sie rufa sehr ee durch ihre großen Nesthaufen, den Volkreichtum ihrer Kolonien, die Bee dene Zweigkoloniebildung und durch die fakul- tative Adoption er Weabehen durch F. fusca (Var. subsericea). XXIX. 39 Ju 520 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete, Exsecta dagegen (mit ihren Rassen) hat einen stark ausgerandeten Hinterkopf, kleinere Arbeiterinnen und sehr kleine Weibchen; sie baut meist kleinere Haufen, hat nur selten Kolonieverbände, und ihre Weibchen scheinen bereits gesetzmäßig auf Adoption bei fusca angewiesen zu sein. Morphologisch wie biologisch ist somit exsecta (und die nordamerikanische F. Ulkei) durch Vermittlung von exsectoides mit rufa verbunden, und ihre Abzweigung vom rufa- Stamme ist als eine Folge ıhres sozialen Parasıtismus zu betrachten. Die nordamerikanische F. dakotensis Var. specularis Em. (Was- manni For.) ıst in bezug auf ihre Lebensweise in gemischten Kolo- nien (mit F. subsericea) entweder dulotisch oder parasitisch; nach der Kleinheit ihrer Weibchen zu urteilen, dürfte letzteres wahr- scheinlicher sein. Da F. dakotensis zur rufa-G&ruppe gehört, besteht wohl kein Zweifel darüber, dass sie auch morphologisch vom rufa- Stamme herzuleiten ist. Die übrigen nearktischen Fornica-Formen mit parasitischer Lebensweise der Weibchen, F. difficilis Em. Var. conso- cians W heel., F.montigena, mierogyna, nevadensis, impexaund nepticula Wheel. mit ihren kleinen Weibchen stehen morphologisch ebenfalls der rufa-Gruppe zunächst, noch näher als die exsecta-Gruppe. Jeden- falls lässt sich keine derselben unmittelbar von der fusca-Gruppe her- leiten ohne Vermittlung von raufa-ähnlichen Formen. Also stimmen auch hier die morphologischen Verhältnisse mit unserer biologischen Hypothese überein: die Entwickelung des gesetzmäßigen temporären Parasıtismus bei Formica ıst auf ein r«fa-ähnliches Ausgangsstadıum zurückzuführen. Es wäre doch wirklich wunderbar zu nennen, dass der temporäre soziale Parasitismus gerade in der morphologischen Verwandtschafts- gruppe von F. rufa, und zwar nur in dieser, so mannigfach ver- treten ist, falls nicht in der Biologie der acervicolen Formen die Erklärung dafür zu suchen wäre, weshalb gerade hier die selb- ständige Koloniegründung verloren ging! Wenden wir uns nun zur dulotischen sangwinea-Gruppe. Auch hier ıst eine direkte Ableitung derselben von der fusca- Gruppe morphologisch unmöglich, während eine direkte Ableitung von der rıfa-Gruppe sehr nahe liegt: die sanguinea sind rufa-ähn- liche Formen mit ausgeschnittenem Vorderrand des Uly- peus. Der Ausschnitt des Clypeus ist jedenfalls morphologisch ein sekundäres Moment, das aus der gewöhnlichen Ulypeusbildung bei ihren nächsten morphologischen Verwandten abgeleitet werden muss. Biologisch hängt die Ausrandung des Ulypeus wahrschein- lich mit dem Puppenraube zusammen, da der freie Raum zwischen den Kiefern dadurch vergrößert wird, und der Ausschnitt des Uly- peus zugleich das Festhalten der Puppen erleichtert. Bei der amerikanischen sanguinea subintegra ıst die Ausrandung übrigens äußerst schwach und schließt sich fast an die Clypeusbildung von Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete, 621 rufa an. Das Ergebnis dieser vergleichend-morphologischen Be- trachtung ist, dass wır die sangwinea-Gruppe nicht direkt, sondern durch Vermittlung der rufa-Gruppe von der fusca- Gruppe abzuleiten haben. Auch hier bestätigt sich also unsere biologische Ableitung des sangwinea-Stadiums von einem rufa-ähnlichen Stadium. Über die morphologische Ableitung der Gattung Polyergus von einer bestimmten Formica-Gruppe sind wir wegen der weiten Kluft, die beide Gattungen heute trennt, nur auf Vermutungen angewiesen. Das wahrscheinlichste ıst, dass wir sie von einer sanguinea-ähn- lichen Form sowohl biologisch als auch morphologisch herleiten müssen. Der nordamerikanische Polyergus bicolor Wasm. hat auch in der Färbung große Ähnlichkeit mit F. sanguinea, während Pol. lueidus Mayr hierin an die Formica der pallidefulva-Gruppe erinnert, die seine Sklaven sind. Man könnte daher an eine Ableitung des Polyergus durch eine dulotische Formica wie Pergandei Em. denken. Aber diese Hypothese wäre deshalb unwahrscheinlich, weil die pallidefulva-Gruppe ın Europa und Asien ganz fehlt. Wenn die Gattung Polyergus monophyletisch entstanden ist — und das müssen wir annehmen, da wir ın beiden Kontinenten nur eine Art (rufescens Latr.) mit verschiedenen Rassen finden — so können wir ihren Ausgangspunkt wohl nur in einer sanguinea-ähnlichen Form suchen, wofür allerdings hauptsächlich biologische und geo- graphische Gründe sprechen. Aber die vergleichende Morphologie widerspricht dieser Erklärung wenigstens nicht; in der Ausrandung des Clypeus von F. sangwinea könnte man sogar schon den ersten schwachen Beginn der Clypeus-Form von Polyergus sehen, dessen ganzer Vorderrand zurücktritt und fast gerade abgestutzt ist. Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, dass wir weder unsere heutige Formica sanguinea von unserer heutigen rufa, noch unseren heutigen Polyergus von unserer heutigen F. sanguinea herleiten dürfen. Gleichwie wir in der biologischen Entwicke- lung der Sklaverei das sangwinea-Stadium nur aus einem rufa-ähn- lichen Stadium, und das Polyergus-Stadium aus einem sanguinea- ähnlichen Stadium herleiteten, so haben wir uns auch die Stufen der parallelgehenden morphologischen Entwickelung nur als Örganisationsstufen zu denken, die den betreffenden heutigen Formen entsprechen. c) Es erübrigt uns noch, .vom paläontologischen und vom vergleichend-geographischen Gesichtspunkte aus die hypo- thetische Stammesentwickelung des sozialen Parasitismus und der Sklaverei bei Formica (und Polyergus) zu betrachten. Unter den fossilen Ameisen der Tertiärzeit kennen wir keine einzige der dulotischen oder parasitischen Formen der Gegenwart. Dagegen begegnet uns unter den Ameisen des baltischen Bernsteins, 332 22 ‘Wasmann Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. die dem unteren Oligocän angehören, eine einzige Formica-Art (Flori Mayr), die in großer Indiyiduenzahl vertreten ist!®) und sehr häufig gewesen sein muss. Wheeler!’) hat neuerdings wieder (wie schon früher Mayr und Emery) darauf aufmerksam gemacht, dass £\ Flori von unserer heutigen F. fusca sich durch kein sicheres morpho- logisches Merkmal unterscheiden lässt; er sieht daher F. fusca als einen sehr alten Dauertypus an. Weitere zuverlässige Berichte über tertiäre Formica-Arten fehlen '°), zumal eine nähere Bestimmung der von Heer unter den Radoboj-Formiciden (unteres Mioeän) als „Formica“ beschriebenen Formen !®) nicht möglich ist. Wir können daher nur sagen: das hohe geologische Alter der Formica fusca (Flori) bestätigt unsere Annahme, dass die fusca-Gruppe als die ursprünglichste Formica-Gruppe zu betrachten ist, und dass von ihr aus — im Falle einer monophyletischen Entwickelung der Gattung Formica — die übrigen Artgruppen abzuleiten sind. Im übrigen fehlen bisher alle direkten paläonto- logischen Anhaltspunkte für die weitere Stammesentwickelung inner- halb der Gattung Formica; wir sind deshalb auf die vergleichende Geographie angewiesen, um nähere Aufschlüsse über das rela- tive geologische Alter der verschiedenen Formica-Gruppen (und Polyergus) zu erhalten. Die Regeln, die uns bei dieser Unter- suchung zu leiten haben, sind folgende. Erstens: jene Formen- gruppen, die dem paläarktischen und dem nearktischen Kontinent gemeinsam sind, müssen wir für geologisch älter halten als jene, welche nur einem der beiden Kontinente eigentümlich sind; denn die Ausbildung der ersteren muss schon erfolgt sein, bevor die nördliche Landverbindung beider Kontinente endgültig unter- brochen war, während die letzteren wahrscheinlich erst später ent- standen sind. Zweitens: jene Formengruppen, welche einen größeren Reichtum an Arten und Rassen aufweisen, müssen wir — ceteris paribus — für geologisch älter halten als jene, die nur eine Art mit wenigen Rassen aufweisen; denn je weiter eine Formen- gruppe heute differenziert ist, desto früher muss die Differenzierung derselben begonnen haben. Suchen wir nun auf Grund dieser Regeln zu prüfen, ob die wahrscheinliche „historische Entwickelung* in der Gattung Formica mit den Ergebnissen unserer obigen bio- logischen und morphologischen Betrachtung übereinstimmt. Die fusca-Gruppe, die rufa-Gruppe und die sangwinea-Gruppe sowie auch die Gattung Polyergus sind dem paläarktischen und dem 16) G. Mayr (Ameisen des balt. Bernsteins, 1868, S. 22) erwähnt 189 Indi- viduen, die ihm vorgelegen hatten. 17) Comparative ethology of the Europaean and North American ants (Journ. f. Psychol. u. Neurol. XIII, 1908, S. 404—435), S. 418. 18) Im sizilianischen Bernstein (mittleres Mioeän) ist keine Zormica vertreten (Emery, Formiche dell’ Ambra siciliana 1891). 19) Vgl. Handlirsch, Die fossilen Insekten, 6. Lief., S. S62ff. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 623 nearktischen Gebiete gemeinsam; nur die pallidefulra-Gruppe ist letzterem eigentümlich. Innerhalb der rwfa-Gruppe ım weiteren Sinne ist die refa-Gruppe im engeren Sinne beiden Kontinenten gemeinsam, ebenso auch die exsecta-Gruppe. Die rufa-Gruppe im engeren Sinne zählt jedoch in Nordamerika einen weit größeren Reichtum an Formen, sowohl an Unterarten von rufa L., als auch an Arten, die mit r«fa sehr nahe verwandt sind; letztere sınd sämtlich nur nordamerikanisch; bloß F. rufa L. ıst beiden Konti- nenten gemeinsam, ihre Rassen dagegen ın beiden verschieden. Die dritte Unterabteilung der rufa-Gruppe endlich, welche W heeler®®) als microgyna-Gruppe bezeichnet und morphologisch zwischen die rufa- und die exsecta-Gruppe stellt, ıst nur nordamerikanisch; zu ihnen fehlen Parallelformen in der alten Welt; es sind sämtlich temporär parasitische Arten mit kleinen Weibehen. Auch die dulo- tische oder parasitische F. dakotensis Wasmanni For. (specularis Em.), die zur rufa-Gruppe im engeren Sinne gehört, ist nur nearktisch. Die sanguinea-Gruppe?!) ist auf beiden Kontinenten nur durch eine Art, jedoch mit verschiedenen Rassen und Varietäten ver- treten, die sich aber morphologisch sehr nahe stehen, obwohl sie biologisch verschiedene Stadien der Dulosis darstellen??). Die Polyergus-Gruppe ist ebenfalls auf beiden Kontinenten nur durch eine Art vertreten; die nearktischen Rassen sind zahlreicher (lureidus, breviceps, bicolor, montanus), während wir nur eine Rasse (rufes- cens) haben; die morphologischen Unterschiede zwischen diesen Rassen sind bedeutender als zwischen den sanguwinea-Rassen. Die fusca-Gruppe ist reich differenziert in eine große Zahl von Rassen 20) Comparative ethology 1908, p. 408. F. montigena Wheel., die er da- selbst nicht erwähnt, gehört entweder zu dieser Gruppe oder zu der rufa-Gruppe im engeren Sinne. 21) Im engeren Sinne; denn zur sanguwinea-Gruppe im weiteren Sinne rechnet Wheeler auch F. Pergandei Em. und munda Wheel., die nur nordamerikanisch sind (vgl. Wheeler 1908, p. 408). 22) Unsere europäische sanguinea hält regelmäßig Sklaven, und zwar beträgt das Zahlenverhältnis der Herren zu den Sklaven durchschnittlich 3—6 : 1. (Ver- gleiehende Studien über das Seelenleben der Ameisen, 2. Aufl., 1900, S 52). Ferner steht die Zahl der Sklaven zu derjenigen der Herren durchschnittlich im umge- kehrten Verhältnis: die stärksten Kolonien haben die wenigsten Sklaven, und die allerstärksten — 1 unter 40 Kolonien nach meiner Statistik sowohl in Holländisch Limburg als in Luxemburg -— haben gar keine Sklaven mehr. (Neues über die zu- samnıengesetzten Nester etc., 1902, S. 12; Ameisen und Ameisengäste von Luxemburg, Ill. Teil, 1909, S. 48.) Die nordamerikanischen Rassen sind mannigfaltiger in bezug auf die Dulosis: aserva hält nur sehr wenige und manchmal gar keine Sklaven; rubieunda hält regelmäßiger Sklaven, aber in relativ geringer Zahl, und die stärksten Kolonien scheinen gar keine mehr zu halten (Biol. Centralbl. 1905, S. 651-—0652); subintegra hält regelmäßig viele Sklaven, und das Zahlenverhältnis der Herren zu den Sklaven ist durchschnittlich 1:3—5, also umgekehrt wie bei unserer euro- päischen Form (Wheeler, Ants of Casco Bay. with observations on two races of F. sanguwinea; in Bull.. Am. Mus. Nat. Hist. XXIV, 1908, S. 627 ff.). 624 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. und Varietäten, die sich jedoch zum Teil auf beiden Kontinenten äußerst ähnlich sind (z. B. fusca und subsericea, rufibarbis und neorufibarbis). Die ausschließlich nearktische pallidefulva-Gruppe ist ebenfalls in mehrere Unterarten und Varietäten differenziert, die jedoch bei weitem nicht so zahlreich sind wie im der fusca- Gruppe. Die reichhaltigste morphologische Differenzierung finden wir — zum Teil wohl auch aus biologischen Gründen — innerhalb der acervicolen rzufa-Gruppe (im weiteren Sinne), und zwar ist Nordamerika viel reicher an Arten und Rassen als das paläarktische Gebiet. Was dürfen wir aus diesen vergleichend-geographischen und morphologischen Befunden schließen bezüglich des relativen Alters der betreffenden Gruppen? Dass die fusca-Gruppe als die älteste anzusehen ist, steht bereits paläontologisch fest. Aber auch die rufa-, die sanguinea- und die Polyergus-Gruppe müssen ein relativ hohes geologisches Alter haben, weil sie beiden Kontinenten gemeinsam sind. Ihre Ausbildung muss bereits erfolgt sein, bevor die nördliche Landverbindung zwischen dem paläarktischen und dem nearktischen Gebiete end- gültig unterbrochen wurde, also vor dem Ende der Tertiärzeit??). Deshalb ist anzunehmen, dass schon während der Tertiärzeit sowohl die rııfa-Gruppe als auch die sangwinea- und Polyergus-Gruppe sich entwickelt haben. Für die pallidefulva-Gruppe dagegen ist es sehr wahrscheinlich, dass sie sich erst dann von der fusca-Gruppe abtrennte, als zwischen beiden Kontinenten kein Formenaus- tausch mehr möglich war; denn dafür, dass sie früher auch im paläarktischen Gebiet vorhanden gewesen und dort nur ausgestorben sein soll, fehlt jeder ersichtliche Grund. Nach der morphologischen Differenzierung dieser Gruppe in fünf Rassen ist es übrigens wahr- scheinlich, dass sie schon am Schlusse der Tertiärzeit von der fusca- Gruppe sich abzweigte. Über das relative Alter der rufa-, der sanguwinea- und der Polyergus- Gruppe geben uns die obigen Tatsachen folgende Andeutungen. Die rufa-Gruppe mit ihrer außerordentlich reichen morphologischen Differenzierung ist wahrscheinlich die älteste derselben. Ihr zu- nächst würde die Polyergus-Gruppe kommen, für deren Ausbildung wir schon wegen der morphologischen Verschiedenheit beider Gattungen einen langen Zeitraum in Anspruch nehmen müssen; zudem sind 23) Selbst für den Fall, dass am Schlusse des Pliocäns noch Landbrücken zwischen Eurasien und Nordamerika bestanden, so mussten dieselben doch mit dem Beginn der ersten Eiszeit des Diluviums wenigstens für die Ameisen praktisch un- brauchbar werden, da die Vergletscherung im Norden beider Kontinente immer weitere Fortschritte machte und die Ameisenfauna nach Süden zurückdrängte. Auch in den Interglazialzeiten wird die Vereisung schwerlich so weit zurückgegangen sein, dass ein erneuter Formenaustausch von Ameisen zwischen dem paläarktischen und dem nearktischen Gebiete auf nördlichen Landbrücken wiederum möglich wurde. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ctec. 625 ihre Rassen auf beiden Kontinenten sehr verschieden. Der Ur- sprung der heutigen sangwineca-Gruppe dürfte dagegen relativ Jünger sein, zumal die Rassen von sangwinea auf beiden Kontinenten sich noch sehr ähnlich sind. Wir hätten also einen zweimaligen Ur- sprung dulotischer Formen aus der rufa-Gruppe anzunehmen ?*): erst eines sangwinea-ähnlichen Stadiums der heutigen Gattung Polyergus, und später unserer heutigen sangwinea. Der Ursprung pnarasitischer Formen aus der rufa-Gruppe ist wahrscheinlich noch öfter erfolgt, aber erst später als der Ursprung der sanguinea- Gruppe. Die Abzweigung der exsecta-Gruppe von der rafa-Gruppe dürfte schon vor der Trennung beider Kontinente vor sich gegangen sein, da wir in der nordamerikanischen ewxsectoides den morpho- logischen und biologischen Übergang zwischen rufa und exsecta (bezw. Ulkei) finden. Die Abtrennung der truncicola von rufa ıst vermutlich jünger ?’), zumal diese beiden Rassen sich morphologisch noch sehr nahe stehen. Ebenso ist auch die Entstehung jener zahlreichen parasitischen Formica-Formen Nordamerikas, zu denen wir ın der alten Welt keine Parallelen haben (consocians, micro- gyna, montigena u. Ss. w.), wahrscheinlich geologisch jüngeren Datums und erst nach dem Schlusse der Tertiärzeit erfolgt. Es sind allerdings großenteils nur Andeutungen, was uns die vergleichende Tiergeographie über den Verlauf der hypothe- tischen Stammesgeschichte von Formica und Polyergus zu berichten vermag. Aber diese Andeutungen führen uns doch zu ganz ähn- lichen Ergebnissen, wie wir sie bereits früher auf biologischem und auf morphologischem Wege gewonnen hatten. Die biologische Reihenfolge (a) hatte die Gestalt des umstehenden ersten Schemas (S. 626). Ich betone nochmals den hypothetischen Charakter des zweiten Schemas auf S. 626. Spätere Forschungsergebnisse werden dasselbe vielleicht in manchen Punkten modifizieren. Immerhin dürfte es den wahrscheinlichsten Ausdruck für unsere gegen- wärtige Kenntnis der Phylogenese des sozialen Para- sitismus und der Sklaverei bei Formica bilden. Aus diesen Ausführungen über den hypothetischen Entwicke- lungsgang bei Formica und Polyergus geht hervor, dass der von Emery (S. 361) aufgestellte Satz: die dulotischen und para- sitischen Ameisen stammen von nahe verwandten Formen 24) Wenn F. dakotensis Wasmanni als dulotisch sich herausstellen sollte, sogar einen dreimaligen. 25) Die nordamerikanische integra N yl. ist zwar unserer truneicola N yl. sehr ähnlich; aber über ihre Koloniegründung wissen wir nichts näheres. Wahrschein- lieh ist sie mit unserer truncieola nicht unmittelbar verwandt, sondern bloß ein analoger (paralleler) Seitenzweig der rufa-Gruppe, der sich, unabhängig von der Ent- wickelung der eurasischen truncicola, in Nordamerika herausgebildet hat. 626 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. fusca-Stadium. (Ursprüngliche Form der selbständigen Koloniegründung; hierher gehört auch die Koloniegründung bei pallidefulva.) rufa-Stadium. (Abhängige Koloniegründung infolge der acervicolen Lebensweise.) 5 \ IN 7 : ee R N; w“ 67 RN R a Lu N #7 xy 197 ae IR % as + Rp. 1 = \ sanguinea-Stadium. Obligatorische Formen des tempo- (Niedere Stufen der Dulosis.) rären sozialen Parasitismus (tirun- | cicola, exsecta, consocians, MiCrO- | gyna etc.) Polyergus-Stadium. (Höhepunkt der Dulosis.) Die morphologische Reihenfolge (b) in Verbindung mit den paläontologischen und geographischen Ergebnissen (c) kaun folgendes Schema darstellen, in welchem die Zahlen das wahrscheinliche relative Alter der betreffenden Gruppen bezeichnen: 1. fusca-Gruppe. (Holarktisch.) | IN N =\ 6.2 pallidefulva-Gruppe. J (Nur nearktisch.) 2. rufa-Gruppe. (Acervicol, holarktisch.) \ N \ IN SEEN \ N N TERN N EN N \ "4 I SEN INN 3. sanguinea-ähnliches 5. sanguinea- 7. Die verschiedenen Gruppen der obli- Stadium des Polyergus- Gruppe. gatorisch parasitischen Formica. Die Stammes. (Holarktisch.) holarktische exsecta -Gruppe ist wahr- | scheinlich die älteste derselben, wäh- rend die nur paläarktischen (truncicola) \ oder nur nearktischen Formen (consocians, / n 26 as Dr 4. Polyergus-Gruppe. ER De wahr (Holarktisch.) sche jüng 3 26) Auch für den Fall, dass Wasmanni zu den dulotischen Formen gehört, stellt sie biologisch, morphologisch und geographisch einen jüngeren Zweig dar als sanguinea. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 627 ab, die ihnen als Sklaven oder Wirte dienen, einer ge- naueren Fassung bedarf. Denn wir können beispielsweise die F. sangwinea nicht direkt von fusca ableiten, die ıhr als Sklavın dient, sondern nur durch Vermittlung der rafa-Gruppe; wir können ferner die F. truneicola nicht direkt von fusca ableiten, die ihre Hilfsameise ist, sondern nur durch Vermittlung von rufa, mit welcher truncicola zunächst verwandt ist; wir können ferner die F. consocians nicht direkt von ıhrer Hilfsameise F. incerta ableiten, sondern nur von F. diffieilis, von welcher consocians eine Varıietät darstellt; F. diffieilis aber führt in ihrer morphologischen Ab- stammung auf die rufa-Gruppe, und durch diese auf die fusca-Gruppe zurück, so dass die pallidefulva-Gruppe, zu welcher F. incerta gehört, gar nicht in der direkten Abstammungslinie von consocians liegen würde, sondern nur in einem Seitenzweige derselben. Ähnliches gilt auch für die Sklaven der heutigen Polyergus-Formen. In Nord- amerika gehören dieselben großenteils zur pallidefulva-Gruppe; und doch führt eine monopbyletische Ableitung der Gattung Polyergus nicht auf die pallidefulva-Gruppe zurück, sondern durch Vermitt- lung der sangwinea- und der rufa-Gruppe auf die fusca-Gruppe (siehe oben S. 621 u. 624); die pallidefulva-Rassen (Schaufusst, nitidiventris etc.) können somit erst durch späteren Wirtswechsel von Polyergus zu den heutigen Sklaven von Pol. huıcidus geworden sein; und dieser Wirtswechsel bestand eben darin, dass die Weib- chen jener Polyergus-Rasse bei pallidefulva-Formen sich zur Kolonie- gründung aufnehmen ließen, während ıhre Vorfahren bei fusca- Formen sich hatten aufnehmen lassen. Wir dürfen daher dem obigen Satze Emery’s wohl folgende ergänzende Fassung geben, die er auch selber ın seiner Tabelle (S. 362) angedeutet hat: Die dulotischen und die parasitischen Ameisen stam- men von Formen ab, die mit ihren heutigen Hilfsameisen nahe verwandt sind. Sie stammen nämlich von der Gat- tung ihrer heutigen Hilfsameisen ab und nahmen ihren Ursprung wahrscheinlich meist in jener Artengruppe, welcher auch ihre heutigen Hilfsameisen angehören. Doch sind sie mit letzterer vielfach nur indirekt oder sogar nur seitlich stammesverwandt, durch Vermittlung anderer Artengruppen derselben Gattung. d) Noch eine klimatologische Schlussbetrachtung zur Er- gänzung des hypothetischen Entwickelungsganges von Formica und Polyergus sei hier beigefügt. Die Gattung Formica ist, da sie auf das paläarktische und das nearktische Gebiet beschränkt ist, ebenso wie die ihr angepasste Zomechusa-Gruppe unter den Staphyliniden’?”), 27) Siche hierüber: Beispiele rezenter Artenbildung bei Ameisengästen und Ter- mitengästen (Festschr. f. Rosenthal 1906), S. 46ff. (Biol. Ctrbl. 1906, Nr. 17u. 18, 8.568). 628 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. wahrscheinlich zırkumpolaren Ursprungs®*). Hiermit stimmt auch die klimatische Verteilung der Artengruppen über- ein. Wir dürfen bei Beurteilung dieser Verhältnisse allerdings nicht vergessen, dass die gegenwärtige Verteilung der Arten zu- nächst die Folge der klimatischen Veränderungen während und nach der Diluvialzeit ist; wır dürfen ferner nicht vergessen, dass in der Mitte der Tertiärzeit (im Miocän) auf Spitzbergen ein ge- mäßigtes Klima herrschte, das von unserem heutigen Polarklıma weit verschieden war und die Entwickelung einer homogenen Miocänflora im ganzen arktischen Gebiete ermöglichte. Aber die während der langen Tertiärzeit, in welche auch die Hebung der heutigen Gebirgsketten der Alpen, Karpathen, Pyrenäen, des Hımalaya und der Anden (mit den Felsengebirgen Nordamerikas) fällt, wıeder- holt erfolgten klimatischen Veränderungen hatten wahrscheinlich analoge Wirkungen auf die Verteilung der Arten wie die späteren Klimaverschiebungen. Ja wir dürfen sogar mit Grund annehmen, dass die klimatischen Veränderungen, welche seit dem Be- ginn der Tertiärzeit, wo wir ım unteren Oligocän bereits die fusca- (Flori)-Gruppe als die ursprünglichste Formica-Gruppe antreffen, die äußere Veranlassung boten für die fortschreitende Differen- zierung der verschiedenen Artengruppen dieser Gattung. Die Ent- wickelung der acervicolen rzırfa-Gruppe mit ihrer abhängigen Kolonie- geründung können wir gleichsam als eine Funktion der biologischen Anpassung an die arktische Waldflora betrachten, die Entwickelung der dulotischen sangrinea-Gruppe als eine Funktion der biologischen Anpassung an die arktische Steppenflora, wie oben (im biologischen Teile unter a) bereits gezeigt wurde. Auch für die Entwickelung der verschiedenen parasitischen Formeca-Formen, die ebenfalls von der rufa-Gruppe sich abzweigten, ist es wahrscheinlich, dass Ände- rungen der Lebensbedingungen infolge klimatischer Veränderungen den Anlass zu ihrer Entstehung boten. Betrachten wir nun die klimatische Verteilung der fusca-, rufa-, sanguinea- und Polyergus-Gruppe speziell in Europa und Asien). Die fusca-Gruppe besitzt die weiteste und allgemeinste Verbreitung, die von klimatischen Verschiedenheiten nahezu unabhängig ist. Sie reicht einerseits am weitesten in den Norden hinauf bis an die Polarregion, und sie steigt auch in den Gebirgen am höchsten hinauf in die alpine Region. Andererseits reicht das Verbreitungsgebiet der fusca-Gruppe im Süden bis an die äußersten Grenzen der palä- arktischen Region Eurasiens, und einige ihrer Rassen sind in der 28) Das zahlreiche Vorkommen der Formica Flori im baltischen Bernstein, während sie im jüngeren sizilianischen Bernstein fehlt, deutet ebenfalls auf den nordischen Ursprung von Formica hin. 29) Gute Notizen hierfür finden sich auch bei Emery, Paläarktische Formi- ciden VII, 1909. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 629 Ebene ebenso häufig wie im Gebirge; nur aus der dichtesten Wald- region weicht sie zurück au den Saum der Wälder. Auch in Nord- indien im Himalaya-Gebiet ist sie nach Forel®’) durch drei ihrer paläarktischen Rassen (frsca, gagates, rufibarbis und Var. fusco-rufi- barbis) vertreten. Vergleichen wir die paläarktischen Hauptrassen der fusca-Gruppe untereinander, so finden wır, dass fusca 1. sp., die den ursprünglichsten Stamm darstellt, am weitesten nach Norden und in die Gebirge hinaufsteigt. Forel fand ın der Schweiz ihre Nester bis auf 2400 m Höhe. Bei Lech in Vorarlberg traf ich zahlreiche fusca-Nester noch mehrere hundert Meter über die obere Grenze der Waldregion hinaus, wo das rufa-Gebiet aufhörte; fusca steigt hier bis über 2000 m hinauf, »ufa nur bis 1700 m. In Südeuropa ist fesca eine Gebirgsform, und lebt in der Ebene nur sehr selten; in Nord- und Mitteleuropa dagegen ist sie auch in der Ebene die häufigste aller Formica-Arten. An Universalität der Verbreitung und an Häufigkeit kommt ihr zunächst ruföbarbis (mit der Var. fusco-rufibarbis). Sie reicht jedoch nicht so weit nach Norden und in die Gebirgshöhen wie fasca, wenigstens in den Alpen; denn ım Kaukasus steigt sie nach Ruzsky bis 3000 m hinauf; im Süden (z. B. ın Portugal) kommt sie auch in der Ebene noch vor, wo fusca als nordischere Form bereits fehlt. F. yagates und cinerea sind in ihrer Verbreitung weit beschränkter als die vorigen Rassen; erstere ist in Europa hauptsächlich eine südliche und südwestliche Form, letztere eine östliche und südöstliche. So umspannt das Verbreitungsgebiet der fusca-Gruppe, von Norden ausgehend, alle klimatischen Abstufungen der paläarktischen Region. Der fusca-Gruppe zunächst kommt die acervicole rafa-Gruppe. Sie reicht ebenfalls sehr weit nach Norden hinauf bis an die Grenze des arktischen Waldgebietes, und ebenso auch in den Gebirgen bis an die Zwergföhrenregion. F. rufa ı. sp. ıst am häufigsten in der arktischen und in der alpinen Waldregion, obwohl sie ım Nord- und Mitteleuropa auch in Wald und Busch der Ebene nicht selten ist; im Süden dagegen (z. B. ın den Pyrenäen, am Süd- abhang der Alpen und im Kaukasus) ist sie auf das Gebirge be- schränkt. Ihr zunächst kommt F. pratensis, welche mehr dem Rande der Wälder folgt und auch auf der Ebene in Wiesen nicht selten ist, wenigstens in Nord- und Mitteleuropa. Ihr flacherer, dafür aber um so tieferer Nestbau emanzipiert sie bereits von dem Leben in der Waldregion. Auch F. truneicola ist vom Waldgebiete unabhängig, kommt aber häufiger ım Hügelland vor als ın der Ebene. Sie ist auch ın Nordindien an der Grenze von Tibet ge- funden worden (nach Forel). In bezug auf die Vorliebe für die 30) Les Formieides des Indes et de Ceylan, Part. IV., S. 7 u. 5 (Journal Bombay Nat. Hist. Soc. Vol. VIII). 630 Wasmann, Über den Urspre@se: des sozialen Parasitismus ete. arktische bezw. die alpine Region kommt F. exwsecta der rufa zu- nächst. Sie reicht sehr weit ın den Norden hinauf und steigt in den Alpen bis in die Zwergföhrenregion, wo sie besonders häufig ist. Ich fand ihre Nester z. B. zahlreich auf dem Arlbergpass (1500 m), aber nicht in Kolonieverbänden wie Forel auf dem Gipfel des Mont Tendre. Vom Waldgebiete der F. rufa ist exsecta unabhängig; sie steigt sogar noch über dasselbe hinauf; ihre Rasse pressilabris dagegen bevorzugt nıedere Höhenlagen. Das Gebiet der sangwinea-Gruppe beginnt erst weit unterhalb der oberen Grenze des rzrfa-Gebietes. Es reicht nicht so weit nach Norden hinauf wie jenes der rxfa-Gruppe und geht auch in den Gebirgen nicht so hoch hinauf wie rufa und exsecta. Am häufigsten ist sanguinea auf der Heidekrautsteppe, am Rande von Kiefern- wäldern. In Nord- und Mitteleuropa ist sie eben so häufig ın der Ebene wie in niederen Gebirgshöhen; im Süden jedoch kommt sie nur ım Hügelland und ım Gebirge vor, ähnlich wie rufa. Ihr Ver- breitungsgebiet reicht über die ganze paläarktische Region und er- streckt sich in Europa bis Sizilien. Auch in der nördlichen Mongolei kommt sie vor und beherbergt dort die Lomechusa mongolica W asım. als Stellvertreterin unserer Lomechusa strumosa F. Forel erwähnt sie auch aus Lahoul an der Nordgrenze von Tibet im Himalaya- Gebiet. Das Verbreitungsgebiet von Polyergus reicht in Europa von Südschweden bis Italien, geht also nıcht so weit nach Norden hinauf wie jenes von sanguinea. Ferner ıst Polyergus eine besonders wärmeliebende Ameise, und sie steigt deswegen auch nicht so hoch ins Gebirge wie sangwinea. Sie ist fast überall selten, was wahr- scheinlich mit der hohen Entwickelung ihrer Sklaverei zusammen- hängt. Über ihr Vorkommen in Asien ist nichts bekannt, während sie in Nordamerika von Mexiko bis Wisconsin in mehreren ver- schiedenen Rassen vertreten ist. Aber ob Polyergus ın Asien wirk- lich fehlt, dürfte noch sehr zweifelhaft sein, da die asiatische Ameisenfauna weit weniger erforscht ist als die nordamerikanische °). Mit dem nordischen zirkumpolaren Ursprung der Gattung For- mica stimmt die erwähnte heutige klimatische Verbreitung ihrer Artengruppen ım paläarktischen Gebiete offenbar gut überein, ebenso auch mit der hypothetischen Reihenfolge ihrer Entwickelung, wie wir sie ın unserem Schema (S. 626) entwarfen. Auf einen Punkt möchte ich hier noch aufmerksam machen, welcher die Entstehung des Sklavereiinstinktes betrifft. Die Raubzüge von F. sangwinea und Polyergus rufescens werden erst in den Sommermonaten und zwar ın den heißesten Tages- 3l) Wenn Polyergus in Asien wirklich fehlt, so müsste man auf einen nord- amerikanischen Ursprung dieser Gattung schließen zu einer Zeit; wo Europa mit Nordamerika noch zusammenhing. Wasmann, Uber den Ursprungdes, sozialen Parasitismus ete. 63 stunden ausgeführt. Polyergus insbesonders beginnt seine Expe- ditionen gewöhnlich erst gegen 2 Uhr mittags, wie schon Peter Huber und Forel®?) festgestellt haben, also zur Zeit, wo die Tages- temperatur ihren Höhepunkt erreicht hat. Sollte diese Erscheinung vielleicht darauf hindeuten, dass auch der Ursprung der Sklaverei bei den Vorfahren von F. sangwinea und Polyergus in eine Periode der Tertiärzeit fiel, wo wärmeres, trockenes Klima eine kühlere, feuchte Periode ablöste? Dadurch würde einerseits erklärt, wie aus dem waldbewohnenden rxfa-Stadium von sanguinea eine Steppen- ameise wurde; hierdurch würde ferner nicht bloß der Übergang dieser Ameise von der Blattlauszucht zur ausschließlichen Insekten- jagd begreiflicher, sondern auch die Steigerung ıhres Mutes und ihrer Kampflust, welche sie zur Plünderung fremder Ameisennester führte und sıe zu einer wirklichen Raubameise machte; damit war aber bei einer Ameise, deren Weibchen ıhre Kolonien schon vorher mit Hilfe einer fremden Ameisenart (F. fusca) gründeten, derSklavenzuchtinstinkt von selber gegeben (sıehe oben S. 599 ff.). Für den Ursprung des Polyergus-Stammes aus einem sanguinea- ähnlichen Stadium dürfen wir vielleicht noch eine intensivere Temperaturzunahme des Klimas als äußere Veranlassung annehmen. Polyergus ıst eine sehr wärmeliebende Ameise, und ihre Nestplätze haben stets eine sehr sonnige, fast xerotherme Lage, während die Nester ıhrer Sklavenarten sonst häufig auch an schattigen, kühlen Plätzen liegen. Ferner kommen nach meinen Beobachtungen die Polyergus ım Frühling erst viel später als ıhre Sklaven aus den tiefgelegenen Nestkammern, wo sie ihre Winterruhe halten, an die Nestoberfläche herauf; auch dies scheint mir anzudeuten, dass die Lebensenergie von Polyergus eines höheren Wärmegrades bedarf als jene von Formica, und dass erstere Gattung ihren Ursprung aus der letzteren wahrscheinlich in einer Wärmeperiode der Tertiär- zeit nahm. Ich habe ferner schon früher’?) ausgeführt, dass bei Strongylognathus testaceus der Verlust des dulotischen Instinktes und der Übergang zum permanenten sozialen Parasitismus . wahr- scheinlich auf den Einfluss des kühleren nördlichen Klimas zurück- zuführen ist, während die südlichen Verwandten aus derselben Gattung (Hubert, Rehbinderi etc.) Sklavenräuber geblieben sind. Alle diese Indizien deuten darauf hin, dass der Ursprung der Dulosis bei unseren sklavenhaltenden Ameisen in Wärmeperioden der Tertiärzeit fiel und durch diese klimatischen Veränderungen gleichsam befördert und ausgelöst wurde. Dass das klimatische Moment allein für die Erklärung des 32) Fourmis de la Suisse p. 259. Auch meine Beobachtungen in Holländisch Limburg, Österreich (bei Wien) und Luxemburg stimmen damit überein. 335) Neues über die zusammengesetzten Nester etc. (Alle. Zeitschr. f. Entom. 1901—1902), S. 29 Sep. 632 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. me Ursprungs der Sklaverei nicht genügt, liegt auf der Hand; denn wir finden in den Tropen zahlreiche Raubameisen, welche großen- teils vom Raube fremder Ameisenpuppen leben, aber dulotische Ameisen sind bisher außerhalb des arktischen Faunengebietes un- bekannt. Die eigentliche Ursache für die Entstehung des Sklaverei- instinktes muss tiefer liegen. Für den Ursprung dieses Instinktes bei Formica-Polyergus haben wir jene Ursache mit großer Wahr- scheinlichkeit in der abhängigen Koloniegründung der Weib- chen der rfa-Gruppe gefunden, zu welcher nur noch eine Änderung in der Ernährungsweise der Arbeiterinnen (Übergang zum Puppen- raub) hinzuzukommen brauchte, um die Dulosis zu begründen. Für Strongylognathus und Tomognathus liegen die Entstehungsverhält- nisse der Sklaverei weit mehr im Dunkeln, und es wird überhaupt noch lange dauern, bis wir das Rätsel lösen können, weshalb ge- rade in der arktischen Fauna die dulotischen und die parasitischen Ameisen zu Hause sind. 3. Der hypothetische Entwickelungsgang von Harpagoxenus (Tomognatmnıs). Emery hatte (S. 360) auf Harpagoxenus sich berufen zum Be- weise dafür, dass es heute noch Formen gebe, welche seinem hypo- thetischen Typus der primitiven Raubweibchengesellschaften „fast genau“ entsprechen. Ich habe dagegen bereits oben (5. 591 u. 592) gezeigt, dass diese Berufung unhaltbar ist. Da Harpagozenus mor- phologisch von der Gattung Leptothorax abzuleiten ist, und seine heutigen Hilfsameisen zu letzterer Gattung gehören, müssen wir offenbar vom Leptothorax-Typus der selbständigen Koloniegründung ausgehen, um den Ursprung des Harpagoxenus-Typus biologisch zu erklären, nicht aber vom Raubweibchentypus von Harpagozenus selbst. Letzteren als Beispiel eines hypothetischen primitiven Eın- mieterstadiums sämtlicher parasitischen und dulotischen Ameisen hinzustellen, hieße das Pferd am Schwanze aufzäumen. Aber wie haben wir uns denn die hypothetische Entwickelung von Harpagoxenus aus einer Leptothorax-Art mit selbständiger Koloniegründung des Näheren vorzustellen? Hierfür stehen uns viel weniger tatsächliche Anhaltspunkte zu Gebote als für den hypothetischen Entwickelungsgang der abhängigen Koloniegründung bei Formica, den wir im vorigen Abschnitte skizziert haben. Des- halb können wir uns hier um so kürzer fassen. Wheeler hat bereits 1901°*) im zutreffender Weise gezeigt, wie mannigfaltig die symbiotischen Verhältnisse sind, die sich zwischen Arten der Gattung Leptothorax und anderen Ameisen finden. 34) The eompound and mixed nests of American Ants (American Naturalist XXXV) S. 803—807. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 6353 Er hat zugleich auch die Gründe dargelegt, welche ihre Einmietung bei fremden Ameisen erleichtern, nämlich die weite geographische Verbreitung dieser Gattung, die Kleinheit ihrer Arten, die meist relativ geringe Individuenzahl ihrer Kolonien, ihr furchtsames und jedenfalls nicht kriegerisches Temperament, die geringe Differen- zierung der Instinkte der Weibchen gegenüber denjenigen der Ar- beiterinnen, welche auch in häufigen morphologischen Zwischen- formen zwischen beiden ihren Ausdruck findet. So günstig alle diese Momente für die Anknüpfung friedlich-indifferenter Be- zıehungen von Leptothorax-Arten untereinander oder mit fremden Ameisengattungen sind, so ungünstig sind sie für die Annahme, dass bei einer Leptothorax-Art plötzlich Raubweibchen als „pri- mitives Stadium“ entstanden sein sollen. Das heutige Harpagoxenus- Stadium kann vielmehr, wie oben bereits auf Grund der hohen morphologischen Differenzierung dieser Gattung gegenüber ZLepfto- thorax gezeigt wurde, nur das Endprodukt einer langen, vom primitiven Zustand sehr weit abweichenden Stammes- entwickelung gewesen sein. Wir begegnen auch in der Tat, wie Wheeler 1901 näher ausgeführt hat, bei Zeptothorax-Arten zahlreichen friedlich-indiffe- renten oder parasitischen Beziehungen zu anderen Ameisen, aber bei keiner einzigen Art räuberischen Beziehungen. Leptothorax acervorum??), muscorum?‘) und tuberum leben häufig in „zufälligen Formen zusammengesetzter Nester“ bei anderen Ameisen. Außer den schon bekannten Beispielen sei hier noch eine neue Beobach- tung (vom 24. Mai 1907) erwähnt. Unter einem der Steine, welche das Nest der volkreichen truneieola-Kolonie Nr. 5 bei Luxemburg ’”) bedecken, traf ich mitten unter den truncicola eine ziemlich starke Kolonie von Leptothorax tuberum interruptus mit ihren Larven, die sich daselbst eingenistet hatte; die kleinen Ameisen liefen völlig friedlich und von den großen vollkommen ignoriert unter und auf dem Steine umher. Auch der nordamerikanische Zept. canadensis ist nach Wheeler zur „Plesobiosis*, d. h. zur Bildung zufälliger Formen zusammengesetzter Nester, geneigt. Den mexikanischen Lept. petiolatus fand Wheeler in Parabiose mit Oryptocerus und Oremastogaster. Der nordamerikanische Zept. (Dichothorax) Pergandei lebt, wahrscheinlich als Gastameise (Wheeler), in den Nestern von Monomorium minutum minimum. Eine andere nearktische Lepto- 35) Forel, Fourmis de la Suisse 1874, S. 154; Wasmann, Die zusammen- gesetzten Nester 1891, S. 8; auch bei Luxemburg traf ich eine Kolonie dieser Ameisen bei Lasius fuliginosus in den Spalten des von letzteren bevölkerten Stammes. Eine Reihe neuer Beobachtungen über Symbiose von Lept. acervorum (und muscorum) mit Formica- und Myrmica-Arten wird im Nachtrag erwähnt werden. 36) Adlerz, Myrmekol. studier II, 1886, S. 210. 37) Siehe: Die Ameisen u. Ameisengäste von Luxemburg III, 1909, S. 23. 634 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. thorax-Art, Emersoni mit ihrer subsp. glacialis, ist nach Wheeler's Beobachtungen sicher eine Gastameise von Myrmica brevinodis; ihr Verhältnis zu den Wirten bildet einen völligen Übergang zwischen den zusammengesetzten Nestern und den gemischten Kolonien, in- dem die Gastameise sich aus dem Munde ihrer Wirte füttern lässt. In einer Kolonie von Lept. tuberum unifasciatus in Südfrankreich ist das Weibchen von Formicoxenus Ravouxi entdeckt worden; sogar ein Weibchen von Strongylognathus testaceus wurde von Forel in einer Kolonie von Lept. tuberum gefunden. Ferner stellen Lept. acervorum, muscorum und tuberum die Hilfsameisen von Harpa- goxenus sublaevis in Europa, und Lept. eurvispinosus jene von Harpag. americanmus. Unter den mit Leptothorax verwandten Gattungen ist Formico- zenus eine durchaus friedliche Gastameise, ebenso auch Symmyr- mica. Über das Verhältnis von Myrmoxenus (Gordiagini) zu Lepto- thoraz (servrieulus) wissen wir zu wenig Bestimmtes, um zu entscheiden, ob es ein dulotisches oder ein parasitisches ist. Dagegen finden wir bei der Gattung Harpagoxenus eine biologisch und morpho- logisch hochspezialisierte Dulosis von echt räuberischem Charakter. Wenn somit diese Gattung, wie ich mit Emery annehme, von Leptothorax abstammt, und wenn ihre Stammform mit den heutigen Hilfsameisen nahe verwandt war, so müssen wir in der Entwicke- lungsrichtung von Harpagoxenus en Unikum in der ganzen Ver- wandtschaftsgruppe von Leptothorax sehen. Wie ist dasselbe wohl zu erklären? Wie kann das Harpagoxenus-Stadium aus dem so erundverschiedenen Leptothorax-Stadium hervorgegangen sein? Wahrscheinlich ist die ursprünglich friedliche Einmietung eines Leptothorax-Weibchens in der Nachbarschaft des Nestes einer fremden Leptothorax-Art als Ausgangspunkt zu nehmen. Besaß das sich einmietende Weibchen noch die Fähigkeit der selbständigen Koloniegründung, was am wahrscheinlichsten ist, so wird aus jener Einmietung zunächst eine zufällige Form zusammengesetzter Nester hervorgegangen sein, die sich allmählich in eine gesetz- mäßige verwandelte, indem die eine Leptothorax-Art aus der Nachbarschaft der anderen einen erheblichen Vorteil zog. Welches kann dieser Vorteil gewesen sein? Da Harpagoxenus später eine räuberische Entwickelungsrichtung eingeschlagen hat, so müssen wir den Anfang derselben wohl in einem Diebsverhältnisse suchen. Waren die Arbeiterinnen der Einmieterart auch nur ein wenig verwegener und stärker als jene der Wirtsart, so konnten sie beim Besuche des Nachbarnestes Puppen aus dem letzteren stehlen und in ihrem Neste aufziehen, wodurch sie ihre Kolonie auf Kosten der Nachbarkolonie verstärkten. Forel?®) hat bereits >38) Fourmis de la Suisse, 1874, S. 339, 340. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete, 635 festgestellt, dass Zept. tuberum affinis nicht bloß Puppen von Dept. tuberum Nylanderi, sondern auch solche von Tetramorium caespeitum aufzieht und die aus denselben entwickelten fremden Arbeiterinnen vollkommen in ihre Kolonie aufnimmt. Aus der Sitte, die Puppen der Nachbarn zu stehlen, konnte sich dann mit der Zunahme der Körpergröße und Körperkraft der Vorfahren von Harpagoxenus schließlich ein Raubinstinkt entwickeln, welcher den dulotischen Gewohnheiten unserer heutigen Harpagoxenus auch in bezug auf die Koloniegründung entspricht: die Weibehen dringen in ein Nest der Hilfsameisenart gewaltsam ein, vertreiben die Besitzer, bemächtigen sich der Brut und ziehen sie daselbst auf. Mit der hohen morphologischen Verähnlichung von Arbeiter- und Weibechen- form, die wir bei Harpagoxenus sehen, ging auch die biologische Verähnlichung beider parallel; mit der Verkümmerung der eigent- lichen Arbeiterinstinkte dieser Ameisen und ihrer ausschließlich räuberischen Lebensweise bildete sich allmählich der Kaurand der Kiefer zurück (,„Tomognathus“), und bei der Schwierigkeit der Kolonie- gründung durch vereinzelte geflügelte Weibchen entwickelten sich neben den letzteren immer zahlreicher die ungeflügelten ergatoiden Weibchen. (Ähnliche Vorgänge finden wir zum Teil ja auch in der Stammesentwickelung von Polyergus.) Nach dieser Hypothese, welche ich schon früher kurz ange- deutet hatte ®), und welche auch Viehmeyer*) anzunehmen geneigt ist, würde also das Harpagozxenus-Stadium nicht aus einem ur- sprünglichen Adoptionsstadium hervorgegangen sein, welches demjenigen des fakultativen temporären .Parasitismus bei Formica entspricht, sondern aus einem ursprünglichen Nachbarschafts- verhältnis in zusammengesetzten Nestern. Übereinstimmen würden diese beiden primitiven Zustände nur darin, dass sie friedliche, nicht räuberische waren. Es ist allerdings auch möglich und denkbar, dass die Vorfahren der Weibehen von Harpagoxenus sich ursprünglich in einer fremden Leptothorax-Kolonie adoptieren ließen und dann die Königin der letzteren töteten, wie es Formica rufa bei F. fusca heute noch tut (siehe unten im 5. Teil dieser Arbeit). In diesem Falle würde ein vorübergehendes temporär parasitisches Stadium bei Harpagoxenus in ähnlicher Weise zur Dulosis geführt haben wie bei Formica. Aber ich glaube nicht, dass die biologi- schen Entwickelungsprozesse bei diesen beiden Gattungen nach demselben Schema behandelt werden dürfen, da die ursprünglichen Verhältnisse, von denen wir ausgehen müssen, bei beiden Gattungen nur entfernt ähnlich sind, indem Formica und Leptothorax eine recht verschiedene Lebensweise und verschiedenen Charakter haben. Des- 39) Neues über die zusammengesetzten Nester u. gemischten Kolonien (Allgem. Ztschr. f. Entomol. 1901—1902), S. 36. 40) Beitr. z. Ameisenfauna des Königreichs Sachsen, 1906, S. 67. XXIX. 40 636 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. halb waren auch die Anfangsstadien des sozialen Parasitismus bezw. der Sklaverei bei beiden höchstens theoretisch ähnlich. Jedenfalls aber bildet das „Raubweibehenstadium“ in dem Entwickelungsgange beider kein primitives, sondern ein sehr weit fortgeschrittenes sekundäres Stadıum. Da die Gattung Harpagowenus einerseits in Nordeuropa (bis Sachsen) und andererseits in Nordamerika (Pennsylvanien, Kolumbia- Distrikt) vorkommt, so müssen wir annehmen, dass I: Entwicke- lung aus der Gattung Leptothorax bereits vollendet war, als Eurasien von Nordamerika ch trennte; ihre Verbreitung deutet ferner auf einen nordischen (polaren) Ursprung hin. Strongylognathus dagegen ist eine mediterrane Gattung, die sich wahrscheinlich im Mittel- meergebiete während der Tertiärzeit aus der Gattung Tetramorinm entw ehe Nach Norden ist sie nur in einem parasitischen Zweige (Strong. testaceus) bis in das nördliche Mitteleuropa vorgedrungen, in Nordamerika fehlt sie; dort ist auch ihre Hilfsameise, Tetramortum caespitum, nicht einheimisch, sondern nur aus Europa importiert. 4. Die „.degenerierende Wirkung“ der Dulosis. Emery hat (S. 358) den kategorischen Satz aufgestellt: „Der Grundsatz, dass die Dulosis als Ursache der Degeneration gelten muss, ist falsch. Er gehört zu der anthropomorphistischen Vor- stellung, wovon die Ethologie der sozialen Insekten voll ist, und die trotz der von Wasmann selbst betriebenen Bekämpfung noch hier und da zum Vorschein kommt.“ Wir haben hier zweierlei zu untersuchen: a) ob Emery meine Ansicht über die degenerierende Wirkung der Du- losis richtig dargestellt hat; b) inwiefern der Dulosis eine Seren Wirkung zukommt oder nicht. a) Emery sagt: „Wasmann ist von der verhängnisvollen Ein- wirkung der Da derart suggestioniert, dass, wenn er auf Aner- gates atratulus zu sprechen naeh er nicht einen "Augenblick zweifelt, ihm eine dulotische Vergangenheit zuzuschreiben, durch Stadien übergehend, die vergleichbar mit S. testaceus und Wheeleriella (Wheeleria) sind.“ Er führt dann ein aus dem Zusammenhang ge- löstes Zitat aus meinen ‘Ausführungen von 1906 (Biologie und Ent- wickelungstheorie, 3. Aufl., S. 415—416) über die hypothetische Entwickelung von Ms an und beurteilt dasselbe folgender- maßen: „Diese wirklich dichterische Seite ist wert, im Text aufge- führt zu werden. Pater Wasmann, wenn das Dogma und die katholische Tradition ihm die Schwingen nicht kürzt, ist manchmal verwegen wie kaum ein Schriftsteller der romantischen Periode des beginnenden Darwinismus.“ Ich will meinem Freunde Emery das Vergnügen gerne gönnen, mich mit den Romantikern des beginnenden Darwinismus zu ver- Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren. 637 gleichen. Dieses Vergnügen ist ja um so unschuldiger, als meine monistischen Kritiker sonst bereits daran gewöhnt sind, meine An- sichten über Entwickelungstheorie dadurch zu „widerlegen“, dass sie behaupten, dieselben seien mir „durch das Dogma und die katho- lische Tradition diktiert“. Dennoch kann ich jene Parallele nicht als berechtigt anerkennen; Emery hat nämlich meine Ansicht über das Verhältnis zwischen Dulosis und sozialem Parasitismus un- richtig dargestellt, weil er bei jenem Zitate die Hauptsache übersehen hat. (Fortsetzung folgt.) Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren. Von Iwan Sokolow. (Aus dem zootomischen Laboratorium der kaiserlichen Universität zu St. Petersburg.) Während meines Aufenthaltes im Sommer 1908 auf der bio- logischen Station an der Murmanküste hatte ich Gelegenheit, an einigen Ophiuren die Erscheinung ihres Leuchtens zu untersuchen. Es war der Vorsteher der Station S. W. Awerinzew, der die Be- obachtung machte während der Durchsuchung des Inhalts eines Trawls, dass ein Schlangenstern, nämlich Ophiacantha bidentata infolge einer zufälligen Berührung zu leuchten begann. Er machte mich auf diese Erscheinung aufmerksam und ich beschloss, mich eingehender damit zu beschäftigen. Hierbei benutze ich die Gelegenheit, Herrn Awerinzew meinen aufrichtigen Dank auszusprechen für das Material, welches ich in großer Menge bekommen habe. Die Erscheinung des Leuchtens der Schlangensterne ist in letzter Zeit zum Gegenstand einer Anzahl von Untersuchungen geworden. Jedoch allen diesen Untersuchungen lag ein Material vor, das lediglich aus Neapel stammte. Was aber unsere nördlichen Formen anbetrifft, so ist ihr Leuchtvermögen bisher nicht bekannt gewesen. Von den vier Repräsentanten der Ordnung Zygophiurae!) des Kola-Fjords besitzen die Leuchtkraft zwei Arten: Ophiacantha biden- tata Retzius und Ophioscolex glacialis Müller und Troschel. Ophiura sarsi Lütk. und Opkiopholis aculeata L. leuchten scheinbar nicht, was ich daraus schließe, dass sie, in ‚Süßwasser gelegt, nicht aufleuchteten. Ophiacantha bidentata ıst eine kleine Form, die wir aus den Tiefen von 80-200 m erbeuteten. Auf jedem Wirbel der Arme befinden sich 7 ziemlich lange Stacheln auf jeder Seite. In- wendig sind die Stacheln hohl und an der Oberfläche mit kleinen 1) Nach Ludwig und Hamann in: Bronn’s Klassen und Ordnungen 1901. 40* 638 -Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren. Zähnchen besetzt, die in Längsreihen angeordnet sind. Unten an der Basis der Stachel sieht man eine kleine bläschenförmige Er- hebung. Im Meereswasser leuchten sie gewöhnlich nicht; dann und wann nimmt man jedoch ein Aufblitzen wahr, das höchstwahr- scheinlich durch Berührung eines fremden Körpers hervorgerufen wird. Schüttelt man das Gefäß, so leuchten einige Ophiacantha im Moment intensiv auf. ° Bei einer sehr zarten Berührung leuchten sie nicht. Ich nahm einen munteren Schlangenstern vorsichtig in die Hand, indem ich ihn an einem Arm hielt, — er leuchtete nicht. Fasst man ihn aber hart an, so leuchtet die berührte Stelle. Aus dem Wasser herausgenommen und auf den Tisch gelegt, leuchten sie nicht, sobald der Reiz infolge der Berührung vergangen ist. Berührt man jetzt den Arm, so beginnt die affizierte Stelle auf eine kurze Zeit zu leuchten. Ein Exemplar lag während meiner Experimente, offen der Luft ausgesetzt, ohne im Laufe von 4 Minuten zu leuchten; beim Berühren oder Anhauchen aber leuchtete es. An der Luft ist die Lumineszenz intensiver als im Wasser. An einem Individuum, das aus dem Wasser herausgenommen war, benetzte ich zwei Arme mit einer schwachen Alkohollösung, — sofort nahm man in der Dunkelheit zwei hell leuchtende Stellen wahr. Ebenso wirkt eine schwache Lösung von Schwefelsäure. Es beginnt ein starkes lokales Leuchten: ein Blitzen, ein Aufleuchten und Vergehen von einzelnen Feuerchen. Durch starken mechanischen Reiz im Meereswasser oder an der Luft, z. B. durch Aufdrücken mit dem Finger auf die Arme oder auf die Scheibe, leuchtet Ophiacantha fast an allen Armen. Unter solchen Bedingungen geht der Leuchtprozess unregelmäßig vor sich. Am intensivsten leuchten die verletzten Stellen der Arme. An den übrigen Teilen ist das Leuchten unbeständig, bald ab-, bald zunehmend. Zuweilen überläuft den Arm ein wellenartiges Leuchten. Unter der Lupe bei 10facher Vergrößerung kann man die leuchtenden Stellen wahrnehmen. Auf den ersten Blick bemerkt das ungeübte Auge nur zwei Reihen leuchtender Punkte zu beiden Seiten des Armes. In jedem Wirbel leuchten zwei Punkte. Jedoch bei genauerer Besichtigung kann man derer mehrere aufzählen. Dieses ist dadurch zu erklären, dass nicht alle Punkte zu gleicher Zeit leuchten; außerdem erhält man durch einen mechanischen Reiz, wie erwähnt, ein sehr unregelmäßiges Leuchten. Um eine regel- mäßigere Lumineszenz zu erzielen, brachte ich die Schlangensterne in Süßwasser: dort leuchten sie stärker und verhältnismäßig ruhig und gleichmäßig. Auf diese Weise konnte ich bis 5 leuchtende Punkte auf jeder Seite des Wirbels aufzählen. Es ist anzunehmen, dass ihre Anzahl größer ist, nämlich 7 Paar, — der Anzahl der Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren. 639 Stacheln des Wirbels entsprechend. Infolge der Schwierigkeit der Beobachtung war es nicht ermöglicht, "die Anzahl genauer zu be- stimmen. Wie lange das Leuchten anhält, war nicht zu bestimmen. Ich will nur bemerken, dass ein Exemplar‘ ca. 1 Stunde hindurch leuchtete, obgleich seine Scheibe zerdrückt war. Abgebrochene Enden von Armen leuchten auch lange. Beim Abreißen eines Armteiles leuchtet das Tier selbst nicht. Ich brachte einige Schlangensterne in Meereswasser, zur Hälfte mit Süßwasser vermengt und erhielt ein unregelmäßiges, jedoch andauerndes Leuchten. Die schönste Leuchterscheinung erhält man ım reinen Süß- wasser. Das Leuchten beginnt momentan und verläuft ziemlich gleichmäßig, begleitet nur von einem sanften Flimmern. In Dunkel- heit zeigen sich 5 Arme; das Licht ist an ihren Enden am stärksten, nımmt aber, je näher der Scheibe, an Intensität allmählich ab. Die Scheibe bleibt dunkel. Die Nuance des Lichtes ist gelblichgrün. Das ıst die Färbung des Lichtes aller bisher beobachteten Schlangensterne, mit all- einiger Ausnahme von Ophiacantha spi- nulosa, welche nach Angaben von E. Trojan?) einen Stich ins Blaue zeigt. Unter der Lupe ist es möglıch, das Leuchthild in seinen Einzelheiten zu beobachten. Man kann die ein- zelnen Phasen des Aufleuchtens und des allmählichen Absterbens bis zum Tode des Tieres verfolgen. Sofort nach dem Eintauchen in Süßwasser erhält man ein recht kompliziertes Bild: es leuchten die Stacheln, ihre Basen und die Zwischenräume zwischen den Stacheln zweier benachbarten Wirbeln, also die Lateralplatten (Fig. 1). Mitten durch jeden Stachel zieht sich ein dünner, langer, leuchtender Faden, der am distalen Ende zugespitzt ist und in der Richtung zur Basis hin breiter wird; er reicht etwas über die Mitte der Länge des Stachels. An der Basıs endet er mit einem hellleuchtenden Punkte. In den Lateralplatten befinden sich einzelne leuchtende Stellen. An jedem Wirbel sieht man sie zu je einem oder zwei oder drei Paaren, — je nachdem, ob man den distalen oder den proximalen Teil des Armes vor sich hat. Diese Stellen haben das Aussehen leuchtender Punkte, umgeben von einem Schimmer. Fig 1. Leuchtbild. Vergr. 10:1. 2) Emanuel Trojan. Das Leuchten der Schlangensterne. Biol. Centralbl., Bd. XXVIII, 1908. 640 Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren. Im Laufe der ersten Minute werden die leuchtenden Fäden in den Stacheln immer kürzer, bis sie zu einem Punkte ım basalen Teile der Stachel zusammenschrumpfen. Man erhält den Eindruck, als ob der leuchtende Stoff aus der Stachelachse zu der Basıs fließt. Beobachtet man weiter, so merkt man, dass die Leucht- intensität der Punkte sich allmählich verringert und dass das Flimmern ruhiger wird. Darauf wird das Bild nach und nach un- deutlicher. Der leuchtende Stoff scheint sich diffus in dem Wirbel zu verlaufen; zunächst auf den Seiten desselben, so dass sich zwei mattleuchtende Flecken bilden. Auch diese beiden Flecken fließen bald ineinander und man erhält dann einen querliegenden blassen Streifen. Kurz vor dem Tode, der ungefähr nach 10 Minuten nach dem Eintauchen ins Süßwasser erfolgt, hört das Leuchten fast voll- ständig auf: man sieht nur einen schwachen Abglanz der Strahlen; aber auch dieser verschwindet sehr bald. Wenn man eine Ophiacantha, die ungefähr 5 Minuten in Süb- wasser geleuchtet hat, zurück in Seewasser bringt, so erlischt all- mählich ihr Leuchten. Bringt man sie nun nach ein paar Minuten wieder in Süßwasser, so beginnt sie nicht sofort zu leuchten, und man erhält ein unregelmäßiges Bild: an den Seiten der Wirbeln sieht man schwachleuchtende Nebelflecke; hier und da tauchen leuchtende Punkte auf und verschwinden wieder. Offenbar wird der Schlangenstern nach dem langen Leuchten müde. Bei einer Ophiacamtha habe ich die Stacheln an einem Arme etwa bis zur Hälfte abgeschnitten; — der operierte Arm leuchtete ebenso intensiv, wie die unversehrt gebliebenen. Trennt man den Stachel vollständig ab, so vermag er auch selbständig weiter zu leuchten, wenn auch nicht lange. Die Füßehen besitzen kein Leuchtvermögen. Ich könnte mich davon überzeugen, indem ich die Schlangensterne beim Halblicht beobachtete, wo man die Kontouren der Stacheln, der Füßchen etc. deutlich sehen konnte. Das Leuchten scheint intrazellulär zu sein, da es mir nicht gelungen ist, irgendwelchen leuchtenden Schleim vom Körper abzu- sondern. Ich möchte noch einen interessanten Versuch erwähnen. Wenn man nämlich bei einer, aus dem Wasser herausgenommenen, Ophia- cantha mit der Pinzette den Arm sehr stark drückt, so leuchtet er nur von der Reizstelle bis zur Spitze des Armes. Der andere Teil des Armes, sowie die übrigen vier leuchten nicht. Das Leuchten erfolgt momentan; doch kann man wahrnehmen, dass es an der Spitze beginnt. Bei diesen letzten Versuchen erzielte ich das Maximum der Licht- intensität. Es sind das schon nicht einzelne Leuchtstellen, sondern der ganze Arm erscheint durchsichtig und erglüht von innen in Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren, 641 hellgrünlichem Lichte. An dieser Stelle möchte ich der Versuche Kutschera’s über Achloe astericola?) Erwähnung tun. Er schreibt Folgendes: „beim raschen Durchschneiden des Tieres ist es inte- ressant zu beobachten, dass nur der kaudalwärts gelegene Ab- schnitt — man kann mit demselben Effekt wiederholt Stücke ab- schneiden —, an allen seinen Elythren das Lichtphänomen zeigt, die Vorderhälfte des Tieres hingegen völlig ungereizt bleibt und an ihr keinerlei Lichterscheinung auftritt. Die Reizleitung kann also nur vom Kopf gegen den Schwanz zu erfolgen...“ Ähnlich diesen Erscheinungen wird auch bei den Ophiuren der Reiz offenbar nur von der Basis zur Spitze des Armes geleitet. Die biologische Bedeutung des Leuchtens ist uns nicht ganz klar. Man könnte wohl annehmen, dass dasselbe zum Abschrecken der Feinde dient, vielleicht als eine gewisse Schutzeinrichtung wirkt. Aus dem Umstande nämlich, dass die Schlangensterne leicht ihre Arme abwerfen, wobei dieselben intensiv leuchten, das Tier selbst aber nicht leuchtet, könnte man folgern, dass der Schlangenstern während des Angriffs den tangierten Arm abwirft und unbemerkt vor der Gefahr flüchtet, während der Feind mit demselben be- schäftigt ist ®). Zur histologischen Untersuchung fixierte ich die von frischen Exemplaren abgeschnittenen Arme mit heißem Sublimatalkohol, sodann mit einem Gemisch aus 2 Teilen Sublimat, 1 Teil Alkohol 70° und 1 Teil Essigsäure. Zur Färbung bediente ich mich vorzugs- weise des Hämatoxylıns und des Thionins. Letzterer gab besonders scharfe Bilder. Bei der mikroskopischen Untersuchung der Armschnitte wird man sofort auf eigenartige Gebilde aufmerksam, welche in den Stacheln und in den Platten der Wirbeln verteilt sind. Die Stacheln sind außen von einer Kutikula bedeckt; dann folgt das Kalkskelett in Form eines hohlen Zylinders, dessen Innen- raum mit Bindegewebszellen erfüllt ıst, zwischen welchen der Stachel- nerv mit seinen Verzweigungen verläuft. Hier liegen auch die obengenannten Gebilde. h Dieselben haben das Aussehen von ziemlich dicken Strängen und stellen eigentlich Bündel von langen und verhältnismäßig dicken Fasern dar, die alle einander parallel sich ziehen. Sie befinden sich gewöhnlich in der basalen Hälfte des Stachels, nahe bei der Längsachse; ihre Richtung ist: von unten nach oben. Diese faserigen Stränge verlaufen nur selten gerade, gewöhnlich sind sie wellen- 3) Fritz Kutschera. Die Leuchtorgane von Achloe astericola Olprd. Zeitschr. wiss. Zool., Bd. 92, 1909. 4) Vgl. E.Mangold. Leuchtende Schlangensterne und die Flimmerbewegung bei Ophiopsila. Pflüger’s Arch. ges. Physiol., Bd. 118, 1907. 642 Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren. förmig gewunden oder knieartig gebogen. Sie haben fast der ganzen Länge nach dieselbe Dicke und nur gegen das obere, äußere Ende werden sie dünner, indem die Zahl der Fasern sich vermindert und dieselben vielleicht etwas dünner werden. An seinem äußeren Ende macht der Strang eine plötzliche Biegung und trifft die Kutikula fast senkrecht, ohne dieselbe zu durchbohren (Fig. 4 u. 5). Die Länge dieser faserigen Stränge varnert ziemlich stark und erreicht 60-—80— 100 u. In einem Stachel kann man 1—2, sogar bis 5 Stränge aufzählen. In anderen fehlen sie. Außer den Stacheln liegen ebensolche fase- rigen Stränge in den Lateralplatten der Arm- wirbeln, zuweilen auch ın den Dorsal- und Ventral- platten, wosieaber klemer sind. Sie sind ebenso lang, vielleicht etwas dicker als ın den Stacheln (bis 12 u). Die vorherr- schende Richtungist: von unten und innen nach oben und außen. Zuweilen verlaufen sie z. T. parallel der Oberfläche des Wir-, bels und machen nur am Ende eine Biegung nach außen (Fig. 2 u. 3). Sowohl in den Sta- cheln, als auch in den Faserige Stränge aus den Lateralplatten. Wirbelplatten sind die e Kutikula. Vergr. I40:i u. 2340:1. Bindegewebszellen, wel- che die Räume zwischen den Kalkablagerungen erfüllen, mit ihren plasmatischen Körpern ver- schmolzen. Die faserigen Stränge durchziehen diese Plasmamassen, was besonders gut an Querschnitten durch die Stacheln zu sehen ist. An solchen Präparaten sieht man die querdurchschnittenen Fasern, welche den Strang bilden. Ihre Kontouren sind nicht immer regel- mäßig rund, sondern oft eckig (Fig. 6). Die Fasern lassen sogar mit Hilfe der Zeiß’schen Ölimmersion keine Struktur unterscheiden und erscheinen vollkommen homogen. Auch zeigen sie keine Anisotropie. Die Anzahl der einzelnen Fasern beläuft sich in einem dicken Strang auf einige Zehner. Die histologische Natur dieser sonderbaren Gebilde ist mir nicht klar. Aus der Tatsache, dass bei der Behandlung mit Thionin Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren. 643 allein die Fasern der Stränge eine bräunlich-violette Farbe an- nehmen — eine Farbe, welche charakteristisch für den Schleim ist —, die Kerne der umgebenden Bindegewebszellen sich aber blau färben, könnten wir vielleicht schließen, dass diese Stränge — besondere Drüsen- gebilde sind, mit einer eigenartigen Struktur ihres Inhaltes. Es ıst hervorzuheben, dass die Disposition dieser faserigen Stränge in den Armen der Oplriacantha bidentata eine derartige ıst, dass Stellen, wo die- selben vorkommen, ge- nau den leuchtenden Stellen entsprechen. Und jehöhmw geneigt anzu. u. EN, RE 1 d = I Das äußere Ende zweier faserigen Stränge: f ein- nehmen, dass ın diesen eine Fasern; ce Kutikula; n Kerne der Binde- faserigen Strängen der gewebszellen. Sıtz der Leuchtkraft sıch Vergr. 2340 :1. befindet. Außer diesen Strängen fand ich noch Gebilde, welche mit denen identisch zu sein scheinen, welche Reichensperger°) als „Leuchtzellen“ beschrieben hat. Man kann an ihnen nämlich einen dickeren Teil, den Zellenkörper mit einem Kern, der sich mit Thionin nicht färbt, und einen dünneren, den Ausläufer, der zur Kutikula verläuft, unterscheiden. Ihre Größe ist viel geringer als die der Stränge. Die A Struktur dieser Zellen ist überall grobkörnig. Pr a R Die Ausläufer sınd zuweilen so dünn, dass sie Er Ehe nur aus einer einzigen Reihe von Körnchen Ne bestehen. Mit Thionin werden sie, ebenso wie ® die faserigen Stränge, bräunlich-violett gefärbt. Tr Solche Zellen fand ich in der ganzen Scheibe Fig. 6. Beni zerstreut, ebenso in den Stacheln, sodann auch durch einen faserigen in den Platten der Arm wirbeln, jedoch nicht an Strang und 2 Binde- allen Exemplaren. Sie waren vorwiegend dort en ‚die “ ziemlich zahlreich, wo die faserigen Stränge a Ei fehlten (bei jungen Exemplaren ?). Wo die Stränge aber vorhanden waren, konnte man die „Leuchtzellen“ nur ver- einzelt finden; sie waren dann auf die Teile der Wirbeln be- 5) Aug. Reichensperger. Die Drüsengebilde der Ophiuren. Zeitschr. wiss. Zool., Bd. 91, 1908. i 644 Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren schränkt, welche unmittelbar den Stacheln anliegen. In den Stacheln selbst fand man sie in solchen Fällen höchst selten. Daher bleibt uns die Funktion dieser Zellen, als Leuchtzellen, nach Reichensperger’s Angabe, höchst rätselhaft, denn 1. fehlten sie in den meisten Fällen . den leuchtenden Teilen der Ophia- cantha bidentata und 2. waren sie in der Scheibe, welche selbst nicht leuchtet, vorhanden. Ophioscolex glacialis Müller et Troschel. Bei dieser Form inuss ich mit meinen Folgerungen sehr vorsichtig sein, da ich im ganzen nur ein Exemplar hatte, welches zudem noch ziemlich er- schöpft war nach den Experimenten im Süßwasser. Diese Art bevorzugt große Tiefen, und wir bekamen sie ziem- lich selten, da unser Trawl nur bis 200 ım reichte. Sie hat eine hübsche grelle ziegelrote Farbe und ist mit einer dicken Haut be- deckt, welche Sich sr auf die Arme erstreckt. Auf jedem Wirbel sitzen 6 Stacheln, zu 3 auf jeder Seite. Sie haben inwendig eine ziemlich dünne N die mit einer sehr dicken a über- zogen Ist. In Süßwasser getaucht, fängt sie an zu leuchten, und zwar nicht momentan, sondern nach einigen Sekunden. Zunächst sieht man, dass die Stacheln leuchten, dann gewahrt man die leuchtenden Punkte — 3.(?) an jeder Seite der Wirbeln. In Meereswasser zurückgebracht, erlischt allmählich ihr Leuchten. Die Ophiure lebte 3 Tage im Aquarium, und während dieser Zeit warf sie die Enden ihrer Arme ab (Autotomie). Als ich sie von neuem in Süßwasser brachte, so reagierte sie darauf mit dem Leuchten erst nach 1—2 Minuten. Das Leuchten war sehr unregel- mäßig. Die Feuerchen flackerten ununterbrochen. Es war klar, dass das Tier erschöpft war durch das ungewöhnte Leben im Aquarium und durch den Verlust der enden Die Färbung mit Thionin an Schnitten ließ besondere Gebilde an den Sole, und an der Peripherie der Wirbeln unterscheiden. Dieselbe sahen wie unregelmäßige Knäuel aus, welche dicht an- einander gereiht waren ni einen Ausläufer zur Kutikula aufwiesen. Der het dieser Knäuel war stark vakuolarisiert. Man bekam den Eindruck, als ob der ganze Inhalt dieser, offenbar drüsigen, Gebilde zu zerfließen begonnen hatte und auf diesem Stadium fixiert wurde. Weitere Beschreibung dieser Drüsen möchte ich mir vorbehalten, 1. weil sie an einem erschöpften Exemplare beobachtet wurden, 2. weil eine derartige Struktur der Wirkung des Süßwassers zugeschrieben werden könnte. Auf den letzten Umstand möchte ich besonders aufmerksam machen. Schon aus der Beobachtung des Leuchtens der Ophia- cantha kann man ersehen, dass die leuchtende Substanz zunächst Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren. 645 aus den Stacheln zu der Basis derselben zusammenfließt, sodann sich allmählich diffus durch den ganzen Körper des Armes ver- breitet, an Lichtintensität immer abnehmend und nach und nach gänzlich verschwindend. Die Armstücke von Ophioscolex wurden von mir nach der Wirkung von Süßwasser, jedoch vor dem Tode fixiert. Sollte sich jedoch herausstellen, dass die eben erwähnten drüsigen Gebilde — Leuchtorgane sind, so könnte man die Erschei- nung des Zerfließens der leuchtenden Substanz und das erhaltene histologische Bild in einen unmittelbaren Zusammenhang bringen und als eine Wirkung des Süßwassers erklären. (Es tut mir sehr leid, dass ich von Anfang an nicht auf den Gedanken kam, Ophiuren in verschiedenen Stadien des Zerfließens der leuchtenden Substanz zu fixieren, — was ich natürlich bei der nächsten Gelegenheit nicht versäumen werde). Ophiopholis aculeata L. Zum Vergleich untersuchte ich die Arme von dieser Art. Sie scheint kein Leuchtvermögen zu be- sitzen; wenigstens leuchtete sie nicht im Süßwasser auf. Außerdem ist sie eine zu gewöhnliche Form, dass ihr Leuchtvermögen bis jetzt unbemerkt hätte bleiben können. Jedenfalls wäre es von Interesse, diese Tatsache besser zu begründen. Wie das auch sein mag, ich fand in den Stacheln Drüsenzellen, welche vollkommen homolog mit den. von Reichensperger ge- fundenen „Leuchtzellen“* waren. Sie bestehen aus einem Körper, wo sich ein Kern, der sich nicht mit Thionin färbt, befindet, und aus einem langen Ausläufer, der sich allmählich der Kutikula nähert und schließlich auf sie senkrecht trifft; an seinem äußersten Ende sieht man eine Verdickung. Der Inhalt der Zellen und der Aus- läufer ıst überall körnig. Diese Zellen treten in manchen Stacheln massenhaft auf und haben immer eine solche Anordnung, dass ihre Körper näher zur Längsachse des Stachels liegen. In der Scheibe findet man sie ebenfalls. Zu meiner Enttäuschung aber fand ich in einigen Stacheln auch Gebilde, welche mit den faserigen Strängen der Ophiacantha bidentata identisch zu sein scheinen. Sie liegen längs den Streifen der Bindegewebszellen und sind dünner, resp. sie bestehen aus einer geringeren Anzahl von einzelnen Fäden. Wie gesagt, befinden sie sich nur in wenigen Stacheln. Von den Untersuchungen‘), welche in der letzten Zeit der Frage über das Leuchten der Schlangensterne gewidmet sind, ist in erster 6) E. Mangold. Über das Leuchten und Klettern der Schlangensterne. Biol. Centralbl., Bd. XXVIII, Nr. 5, 1908. — A ug. Reichensperger. Über Leuchten von Schlangensternen. Biol. Centralbl., Bd. XXVIII, Nr. 5, 1908 — Emanuel Trojan. loc. ce. 646 Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren Stelle die Arbeit von Reichensperger’) zu nennen. Er war der erste, der genau histologisch den Bau der Schlangensterne unter- suchte und besondere Drüsenzellen beschrieben hat, denen er die Leuchtkraft zuschreibt. Dass diesen Drüsenzellen das Leuchtver- mögen zukommt, schließt er aus Folgendem: 1. sind sie nur an den Stellen vorhanden, welche leuchten, 2. sind sie drüsige Gebilde, was die Wahrscheinlichkeit ver- mehrt, dass sie mit dem Leuchtprozess im Zusammenhang stehen. Man darf aber nicht vergessen, dass derselbe Forscher an der leuchtenden Ophiopsila aranea derartige „Leuchtzellen“ nicht finden konnte. „Vergeblich,* sagt er, „suchte ich bisher bei Ophiopsela aranea nach solchen drüsenartigen Gebilden überhaupt.“ Reiche Ansammlung von dunklem Pigment hätte das wahre Bild maskiert. Er lässt hier die Frage offen. Nebenbei fand er seine „Leuchtzellen“ bei Amphiura squamata, in der Scheibe, welche nicht leuchtet. Ich, meinerseits, fand derartige Zellen: 1. bei Ophracantha bidentata, zerstreut in der ganzen Scheibe (die nicht leuchtet) und 2. bei Ophiopholis aculeata, welche überhaupt kein Leuchtvermögen zu besitzen scheint. | Dieses alles veranlasst uns, die den „Leuchtzellen“ zugeschriebene Leuchtfähigkeit stark zu bezweifeln. Andererseits finden wir bei Reichensperger vielleicht gewisse Andeutungen auf die faserigen Stränge. 1. In seiner Zeichnung 3 rechts oben in der farbigen Tafel sieht man über den „Leuchizellen*“ ein gleichsam abgerissenes Stück von einem Bündel von Fasern abgebildet; es ist im Gegensatz zu den Kernen violett gefärbt. Es hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Stück faseriger Stränge der Ophiacantha bidentata. Aber weder m der Tafel, noch im Text finden wir irgendeine Erklärung dieser Abbildung. 2. Gibt er dem Schleim, welcher die „Leuchtzellen“ erfüllt, folgende Cha- rakteristik: „An geeigneten Stellen ist man imstande, kleinere und größere Körnchen oder Bröckchen, sowie feineren, und ich möchte sagen, fadigen, gröberen Schleim zu unterscheiden. Der Kern ist undeutlich.“ Was könnte er unter dem Worte „fadig“ verstehen? Vielleicht hatte Reichensperger in den Zellen mit „fadiger“ Struktur Gebilde vor sich, welche meinen faserigen Strängen ver- wandt sind. Wäre es so, so könnte uns dieser Umstand über die histologische Natur der faserigen Stränge nähere Aufklärung geben, und wir könnten sie für besonders deformierte Drüsenzellen mit eigenartiger Schleimstruktur ansehen. Was nun ihren Zusammenhang mit der Lumineszenz anbetrifft, so ist in erster Linie der Umstand hervorzuheben, dass sie nur an 7) Joe:ac: Sokolow, Zur Frage über das Leuchten und die Drüsengebilde der Ophiuren. 647 solchen Stellen gefunden wurden, welche streng den leuchtenden Stellen entsprechen. Aber man muss hinzufügen, dass sie nicht ın allen Präparaten aufzufinden waren. Außerdem fand ich scheinbar homologe Gebilde in wenigen Stacheln der Ophiopholis aculeata. Also auch hier kommen wir zu keiner bestimmten Folgerung. Nach dem Gesagten nun könnte man zum Schlusse gelangen, die Leuchtfähigkeit sowohl der „Leuchtzellen“, als auch der faserigen Stränge überhaupt zu verneinen. Dann wären wir genötigt, was auch Reichensperger meint, „in den Zellen insgesamt, bezw. in den sekretiven Vorgängen des Plasmas überhaupt, Leuchtkraft zu vermuten, und dann wäre wohl nicht einzusehen, warum die Lumiı- neszenz auf so wenige Stellen beschränkt ıst und dass sie mit solcher Regelmäßigkeit auftritt.“ Dagegen würde auch die Übereinstimmung der Lage der „Leuchtzellen“ und der Stränge mit den leuchtenden Stellen sprechen. Außerdem können wir doch nicht mit Sicherheit behaupten, dass das, was wir Leuchtorgane, Leuchtzellen etc. nennen, ın allen Fällen nur spezielle Organe zur Produktion des Lichtes sind. Es ist wahrschemlich, dass ıhnen oft noch eine andere physiologische Funktion zukommt, und dass diese ıhre Tätigkeit in einem Falle von Leuchterscheinungen begleitet wird, ın anderen Fällen dagegen diese Erscheinung für unser Auge unbemerkt bleibt. Insofern können wir uns der Meinung A. Pütter’s anschließen, die er in seinem Referat über „Leuchtende Organismen“ äußert®). An einer Stelle spricht er von den mannigfachen chemischen Prozessen, die im tierischen Körper vor sich gehen;. und er fügt hinzu: „Die Lumineszenz ist ein Spezialfall vieler ähnlicher Vorgänge, ... nur auffälliger für unser Auge.“ Die Ergebnisse dieser Arbeit könnte man ın folgende Punkte zusammenfassen: 1. Das Leuchten ist nicht spontan, sondern erfolgt auf ver- schiedene (mechanische, chemische, thermische etc.) Reize. 2. Das Leuchten ist intrazellulär, denn es gelingt niemals, leuchtende Sekrete vom Körper abzusondern. 3. Es leuchten: die Stacheln und die Platten der Armwirbeln, hauptsächlich die Lateralplatten. 4. Das Leuchten scheint vom zentralen Nervensystem nicht abhängig zu sein, denn es leuchten sowohl abgeschnittene Arme als auch abgebrochene Stacheln. 5. Das Leuchten scheint an eine flüssige Substanz gebunden zu sein, welche bei Behandlung mit Süßwasser sich aus bestimmten leuchtenden Stellen diffus über den ganzen Arm verbreitet. 8) Aug. Pütter. Leuchtende Organismen. Verworn’s Zeitschr. allgem. Physiol. Bd. V, 1905. 648 v. Linden, Tentakelartige Fortsätze an Opalina dimidiata. 6. Mit dem Tode des Tieres schwindet die Leuchtkraft. 7. Unter dem Mikroskop gelang es mir, besondere faserige Stränge, und an anderen Präparaten -— Drüsenzellen mit gekörntem Inhalte, welche identisch mit den „Leuchtzellen“ Reichensperger’s sind, zu entdecken. Beide Arten der Gebilde zeigen eine für den Schleim charakteristische bräunlich-violette Färbung bei Behandlung mit Thionin. 8. Welchem von diesen Gebilden die Leuchtfähigkeit zuge- schrieben werden kann, — diese Frage bleibt zurzeit offen. St. Petersburg, März 1909. Tentakelartige Fortsätze an Opalina dimidiata. Von Dr. M. v. Linden. (Abteilungsvorsteher am Hygienischen Institut Bonn). Am 4. Mai 1905 fand ich ım Enddarm einer Rana fusca eine größere Anzahl Opalinen, Opalina dimidiata, die sich dadurch von den normal gestalteten Formen auszeichneten, dass sie mit langen tentakelartigen Fortsätzen versehen waren (Fig. 1—9). Die Fort- sätze, die bisweilen der Länge des Opalinenkörpers gleichkamen, waren nach hinten gerichtet und wurden in der Ruhe und wenn sich das Tier schnell in gerader Richtung vorwärts bewegte, glatt an den Körper angelegt, so dass nur die über den Körper hinaus- stehenden Enden sichtbar waren. Bewegten sich die Opalinen nach rückwärts oder im Kreise, so standen die Fortsätze vom Körper ab, und es machte den Eindruck, dass sie jetzt als Tastorgane funktionierten, denn sobald die Opalinen mit ihrem Tentakel irgendwo anstießen oder hängen blieben, so reagierte das ganze Tier durch eine ausweichende Bewegung. Man konnte auch beobachten, dass bei langsamerem Schwimmen die Fortsätze ruderartig bewegt wurden und zwar stets gleichförmig. Hatte sich einer derselben an einem Algenfaden verfangen, so war die Opalina imstande, durch hebende Bewegung des Organes dasselbe wieder loszuhacken. Diese Fort- sätze kamen bei den meisten Opalinen in der Mehrzahl vor, ich habe solche mit 2, 4, 5 und 6 Tentakeln beobachtet, doch waren am häufigsten 5 vorhanden (vgl. Fig. 1—9). Von diesen pflegten 2 an der Oberseite, 2 an der Unterseite im vorderen Körperdrittel und 1 am hinteren Körperende zu liegen (Fig. 1 u. 3). Bisweilen waren die Opalinen so gelagert, dass die Austrittsstelle des Tentakels in die Kontur des Körpers fiel, so dass der Übergang des Opalinen- leibes in den Fortsatz ganz deutlich zu erkennen war (Fig. 1). Die Fortsätze bestehen wie der Opalinenkörper selbst aus einer inneren körnigen und einer äußeren hyalinen Plasmaschicht, an ihrer Peri- pherie tragen sie feine Wimperhärchen (Fig. 1a). An einzelnen Exemplaren fand ich die Tentakel diehotomisch verzweigt (Fig. 2a). v. Linden, Tentakelartige Fortsätze an Opalina dimidiata. 649 Die Äste waren beweglich und an den Enden entweder spitz aus- laufend oder zu kleinen Verdickungen aufgetrieben. Kerne habe ich in den Tentakeln auch nach Zusatz von Vitalfarbstoffen nicht ‚beobachtet. Ich habe die Opalinen bei Zusatz von physiologischer Kochsalzlösung ın der feuchten Kammer über 15 Stunden am Leben und beweglich erhalten, ohne dass sich die 'Fortsätze verändert oder abgelöst hätten. Es waren nach dieser Zeit allerdings stark licht- 1 2 dl, 2a FRTRN 4 fa 8 DM} RL 76"6 R 7; GN a _ N Br . \’ a 7 l \ f ‘N N; \ JAN EEE N 1—9 Opalina dimidiata mit tentakelartigen Fortsätzen (vergrößert). 3 la u. 2a die Fortsätze stärker vergrößert. A 2a gegabelter Fortsatz. PN 1 u. 2 Opalinen mit eingezeichneten Kernen. Be brechende Granulationen im Innern der Opalinen aufgetreten (Fig. 11), die so dicht angehäuft waren, dass sie die Kerne verdeckten, auch in dem Dale der Tentakel hatten sich Granulationen ge- bildet, und ich schließe daraus auf die innigen Beziehungen der tentakelartigen Fortsätze zum Opalinenkörper. be die Entstehung der Tentakel ließ sich folgendes feststellen: (Fig. 10). Der sich bildende Fortsatz erscheint zuerst als eine w ulstartige Bildung am Rand des Opalinenkörpers, die sich ganz allmählich von dem Zell- 650 v. Linden, Tentakelartige Fortsätze an Opalina dimidiata. leib abschnürt. Die spätere Spitze des Tentakels bleibt am längsten mit dem Opalinenkörper verbunden, während es an seiner Ursprungs- stelle von dem Opalinenkörper bereits deutlich abgetrennt sein kann. Diese Entstehungsweise sowie der deutliche Übergang des Ento- und Ektoplasmas der Opalina ın die Fortsätze schließt von vorn- herein aus, dass es sich hier um selbständige Organısmen para- sitärer Natur handelt, eine Annahme, die sich dem Beobachter aufdrängen könnte, namentlich wenn er hier die Organe sieht, die auf der Fläche des Opalinenleibes stehen und nicht auch die an der Kante befindlichen beobachtet. Es frägt sich nun, als was die eigentümlichen Fortsatzbildungen zu betrachten sind? Haben wir ın ihnen für die Opalinen atypische Lokomotionsorgane zu sehen, sind 11 10 10. Der Fortsatz a hängt noch teilweise mit dem Opalinenkörper zusammen. 11. Opalina nach 18stündigem Verweilen in 0,06°/, Kochsalzlösung. es Bildungen pathologischer Natur, oder könnten die tentakelartigen Organe mit Teilungsvorgängen der Opalina in Zusammenhang ge- bracht werden. Trotzdem ich nicht beobachten konnte, dass sich die Fortsätze von dem Opalinenkörper lostrennen und auch keine Kerne darin sichtbar wurden, so scheint mir doch die letztere An- nahme einige Wahrscheinlichkeit zu besitzen. Ganz ähnliche Ver- änderungen sind neuerdings von Neresheimer in seiner Abhand- lung: „Die Fortpflanzung der Opalinen*“, Arch, f. Protistenk., 1907, ebenfalls an Opalina dimidiata beschrieben worden. Er fasst sie als anormale Teilungen bei der Gametenbildung auf, die an Knospung erinnern. Für eine Erscheinung pathologischer Natur konnte ich das Auftreten der Fortsätze nicht halten, da die damit behafteten Opalinen in ihren Bewegungen und in der .Beschaffen- heit ihres Plasmas einen durchaus lebenskräftigen Eindruck machten. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr, RR: Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 1. November 1909. A 21. Inhalt: Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Pzrasit'smus der Sklaverei und der Myrme- kophilie bei den Ameisen (Fortsetzung). — Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. — Abderhalden, Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. Über den Ursprung des sozialen Parasitismus, der Sklaverei und der Myrmekophilie bei den Ameisen. Von E. Wasmann 8. J. (Luxemburg). (170. Beitrag zur Kenntnis der Myrmekophilen.) (Fortsetzung.) Es ıst nämlich nicht richtig, dass ich in jenen Ausführungen von 1906 „keinen Augenblick daran gezweifelt habe*, Aner- gates eine dulotische Vergangenheit zuzuschreiben. Darüber hätte Emery auf der von ihm zitierten Seite (415) Aufklärung finden können. Daselbst heisst es vor der von Emery zitierten Stelle: „War Anergates atratulus von jeher eine arbeiterlose Schma- rotzerameise?... Ist sie in diesem Zustande der gänzlichen Ab- hängigkeit von ihren Hilfsameisen ursprünglich geschaffen worden, oder hat sie sich aus einer anderen, ehedem selbständig lebenden Ameisengattung entwickelt? Wir können nicht umhin, uns für die letztere Alternative zu entscheiden, wenngleich der Entwicke- lungsgang von Anergates, der zur endlichen parasitischen Degene- ration dieser Ameisengattung geführt hat, großenteils noch im Dunkeln liegt.“ Hierauf folgt erst die Parallele zwischen Aner- gates atratulus und Strongylognathus testaceus, aus welcher Emery’s Zitat entnommen ist; dort ist aber keine Spur davon zu finden, dass die dulotische Vergangenheit von Anergates unzweifelhaft sein soll! XXIX. 41 652 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismüs ete. Die Alternative, für welche ich mich an jener Stelle entschieden habe, bestand also nur darin, dass das Anergates-Stadium als das Ergebnis eines natürlichen Entwickelungsprozesses zu en sei, dessen Gang großenteils noch im Dunkeln liegt. Die Ableitung der Gattung Anergates von einer auf der Entwickelungsstufe des Strongylognathus testaceus stehenden Ameisen- art bedeutete also in jener Darstellung nur eine hypothetische Möglichkeit, nicht mehr. Schon zwei Seiten vorher (S. 413) hatte ich ausdrücklich hervorgehoben, dass es verschiedene Wege gebe, auf denen eine Schmarotzerameise ihre Arbeiterkaste verloren haben könne, und als einen dieser möglichen Wege hatte ich die Degeneration eines ehemaligen Sklavereiverhältnisses be- zeichnet. Noch schärfer und bestimmter hatte ich mich 1908 (W. B. S. 433) über die fragliche Hypothese ausgesprochen. Diese Aus- führungen hätte Emery, wenn er meine wirkliche Ansicht wieder- geben is jedenfalls berücksichtigen müssen. Dort heisst es: „Auch für die Fortsetzung der Degeneration dieses Instinktes (der Dulosis) von Strongylognathus testaceus abwärts fehlen uns zu- verlässige Wegweiser. Dass die bei der genannten Art schon wenig zahlreiche Arbeiterform schließlich ganz aussterben und dass da- durch eine tiefere Stufe des permanenten sozialen Parasıtismus er- reicht werden konnte, wie wir sie bei der arbeiterlosen Gattung Wheeleria und auf dem allertiefsten Punkte bei Anergates treffen, ist wohl nicht zu leugnen. Aber ob die Vorfahren von Anergates ein dem Strongylognathus testaceus analoges Stadium ehemals durchgemacht haben, dafür bieten sich uns nur sehr Schwache Anhaltspunkte in der Identität der Hilfsameisen beider Arten und in der noch weiter nach Norden reichenden Verbreitung von Aner- gates (1902, S. 30). Im übrigen ist es für die meisten arbeiterlosen Schmarotzerameisen wahrscheinlicher, dass sie nicht auf dem Um- wege der Entartung eines ehemaligen Sklavereiinstinktes, sondern auf dem kürzeren Wege der parasitischen Entartung eines ehe- maligen Gastverhältnisses bis zum Verlust der eigenen Arbeiterkaste herabgesunken sind.“ Und bei der darauffolgenden Tabelle (1908, S. 441) war zu der Abstammung von Anergates ausdrücklich be- merkt worden, es könne einstweilen nicht sicher entschieden werden, ob sie von dulotischen oder von temporär parasitischen Vorfahren oder von ehemaligen Gastameisen abzuleiten sei. Hiermit erledigt sich Emery’s Behauptung von selbst, Was- mann sei von der verhängnisvollen Einwirkung der Dulosis derart suggestioniert gewesen, dass er an der dulotischen Vergangenheit von Anergates keinen Augenblick gezweifelt habe. Es muss ferner festgestellt werden, dass der von Emery als haltlose Diehtung bezeichnete ursächliche Zusammenhang zwischen Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 653 der Dulosis und dem tiefsten sozialen Parasıtismus nicht meine Erfindung ist, sondern bereits 1874 von Forel*!) und in sehr‘ extremer Weise 1883 von Sir John Lubbock (Lord Avebury)®”) vertreten worden ist. Ich habe hierauf bereits an anderer Stelle kurz aufmerksam gemacht®°); hier sei die betreffende Stelle Lub- bock’s zitiert, die ohne Zweifel einen weit dichterischeren und romantischeren Charakter trägt als alle meine Ausführungen. Er sagt daselbst (S. 73, 74): „Jedenfalls bieten uns diese vier Gattungen (Formica sanguinea, Polyergus, Strongylognathus und Anergates) alle Übergänge dar von gesetzloser Gewalt bis zu verächtlichem Parasıtismus. Formica sanguinea, von der man annehmen darf, dass sie erst seit verhält- nismäßig kurzer Zeit zur Sklavenhaltung übergegangen ist, ist noch nicht wesentlich dadurch beeinflusst. Polyergus dagegen liefert schon einen Beleg für die erniedrigende Tendenz der Sklaverei. Sie haben ihre Kunstfertigkeiten, ihre natürliche Liebe zu ıhren Jungen und sogar den Fressinstinkt eingebüßt! Sie sind jedoch noch kühne, gewaltige Räuber. Bei Strongylognathus ıst der entnervende Ein- fluss der Sklaverei noch weiter gegangen und hat sich sogar an ihrer körperlichen Stärke geltend gemacht. Sie sind nicht mehr imstande, ihre Sklaven in offenem Kriege zu fangen. Doch be- wahren sie noch einen Schein von Autorität und kämpfen, wenn sie gereizt werden, tapfer, wenn auch vergeblich. Bei Anergates endlich kommen wir zur Schlusszene dieser traurigen Geschichte. Wir dürfen sicher annehmen, dass ihre Vorfahren wie so viele Ameisen heutigen Tages teils von der Jagd, teils von Honig lebten; dass sie nach und nach kühne Räuber wurden und anfingen, Sklaven zu halten; dass sie eine Zeitlang noch ihre Stärke und Gewandt- heit bewahrt, aber allmählich ihre wahre Unabhängigkeit, ihre Künste und sogar manche ihrer Instinkte eingebüßt haben; dass schließlich selbst ihre Körperkraft dahingeschwunden ist unter dem entnerven- den Einfluss, dem sie sich ausgesetzt hatten, bis sie zu ihrem gegenwärtigen erbärmlichen Zustande herabsanken — schwach an Körper und Geist, gering an Zahl und anscheinend fast erloschen, die kümmerlichen Vertreter weit höher stehender Vorfahren, die eine unsichere Existenz führen als verächtliche Parasiten ihrer einstigen Sklaven.“ Hiergegen hatte ich schon 1891**) hervorgehoben, dass dieser Entwickelungsgang der Sklaverei und des Parasitismus keine reale 41) Fourmis de la Suisse, p. 443. 42) Ameisen, Bienen und Wespen, S. 73—74. Auch in der neuesten (16.) englischen Ausgabe von 1904, S. 88—89, finden sich wörtlich dieselben Ausführungen. 43) Zur Geschichte der Sklaverei und des sozialen Parasitismus bei den Ameisen (Naturw. Wochenschr., 1909, Nr. 26, S. 401—407). 44) Die zusammengesetzten Nester u. gemischten Kolonien, S. 239— 240. 41* 654 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. & Entwickelungsreihe bilden könne wegen des Mangels einer näheren Verwandtschaft zwischen Polyergus und Strongylognathus ete.: „Dadurch eröffnen sich bereits weite und bedenkliche Lücken in der Entwickelungsgeschichte der Sklaverei; die Verbindung der ver- schiedenen Stufen untereinander besteht eigentlich nur in der Phan- tasıe des Entwickelungstheoretikers, welcher sich vorstellt, ein und dasselbe Subjekt habe alle diese Phasen des sklavenhaltenden Herren- lebens ‚von gesetzloser Gewalt bis zu verächtlichem Parasitismus‘ (Lubbocek) in Wirklichkeit durchlaufen.“ Ebenso hatte ich 1905 und späterhin betont, dass die Entwickelungsgeschichte der Sklaverei und. des sozialen Parasıtismus nur eine ideale, keine reale Einheit bilden könne. Diese Anschauungen dürften doch jeden- falls viel nüchterner sein als jene der „Schriftsteller der roman- tischen Periode des beginnenden Darwinismus“, denen Emery sie gleichstellen zu müssen glaubte. b) Gehen wir nun zur Beantwortung der Frage über: Inwie- fern kommt der Dulosis eine degenerierende Wirkung zu oder nicht? Es sind hier wiederum zwei Fragen zu unterscheiden: b!) Ist die Degeneration der permanent parasitischen Ameisen (und speziell der Verlust der Arbeiterkaste) als ausschließliche Wirkung der Dulosis aufzufassen? b2) Hat die Überent- wickelung der Dulosis vielleicht doch eine degenerierende Wirkung, welche für den extremen sozialen Parasitis- mus mindestens prädisponiert? Wer die erste Frage ver- neint, kann trotzdem die zweite bejahen. Dies ıst mein Stand- punkt. Emery dagegen (S. 358) unterscheidet diese beiden Fragen nicht, sondern erklärt einfach: „Der Grundsatz, dass die Dulosis als Ursache der Degeneration gelten muss, ist falsch.* Wir wollen jetzt die beiden Teilfragen näher prüfen, um zu einem klareren Ergebnis zu kommen. b!) Ist die Degeneration der permanent parasitischen Ameisen als ausschließliche Wirkung der Dulosis aufzu- fassen? Die Antwort auf diese Frage kann nur verneinend lauten, und zwar aus zwei Gründen: erstens, weil auch nicht-dulotische Ameisen zum extremen sozialen Parasitismus gelangen können; zweitens, weil auch bei den ehemals dulotischen Ameisen die Hauptursache ihrer „Degeneration“ wahrschemlich im sozialen Parasitismus der Weibchen, nicht in der Dulosis der Arbeiterinnen zu suchen ist. Dass die Dulosis keine notwendige Voraussetzung für die Entstehung des extremen sozialen Parasitismus ist, weil letzterer auch auf anderen Wegen, ohne Vermittlung der Dulosis sich ent- wickeln kann, braucht hier kaum wiederholt zu werden (siehe W.B. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 655 1908, S. 433, 439 und die Tabelle S. 440). Der temporäre soziale Parasitismus sowie auch die parasitische Degeneration eines ehe- maligen Gastverhältnisses können ebenfalls zum dauernden sozialen Parasitismus und schließlich sogar zum Verlust der eigenen Arbeiter- kaste führen; namentlich für Gattungen wie Sympheidole, Epiphei- dole und Epoecus, ja vielleicht überhaupt für die Mehrzahl der extrem parasitisch gewordenen Arten ist eine dieser beiden Er- klärungen sogar wahrscheinlicher als die Annahme eines ehemaligen dulotischen Verhältnisses zu ihren Wirten. Bei Strong. testaceus jedoch müssen wir annehmen, dass ıhr gegenwärtiges parasitisches Verhältnis zu Tetramorium früher ein dulotisches war, wie wir es bei den südlichen Strongylognathus-Arten heute noch finden; das gibt auch Emery zu. Hier haben wir also einen zuverlässigen Fall der parasitischen Degeneration eines ehemaligen Sklavereiinstinktes. Aber, ob die parasitische Entartung der ehemaligen Herrenart eine Folge der Dulosis oder eine Folge der parasıtischen Lebensweise der Weibchen war, das ist eine andere Frage. Wenn Emery nur sagen würde, das letztere Moment sei das hauptsächliche, so wäre ich mit ihm einverstanden. Der von ihm (S. 359—360) entworfene hypothetische Entwickelungs- gang des sozialen Parasıtismus bis zur tiefsten Degeneration der parasitischen Art®’) dürfte ım großen ganzen zutreffend sein. Nur ist zu bemerken, dass von den vier (S. 360) angeführten Eigentüm- lichkeiten, welche die parasitischen Weibchen überhaupt charakteri- sieren sollen, wenigstens die beiden letzteren bereits einer weit fortgeschrittenen Form des Parasitismus angehören. Setzt man diese Verhältnisse als gegeben voraus, so ist es allerdings nicht schwer, aus ihnen durch die stets zunehmende Kleinheit der Weibchen der parasitischen Art und durch die Erzeugung zahlreicher fruchtbarer Weibchen an Stelle der ohnehin schon überflüssig gewordenen Ar- beiterinnen schließlich auch den Verlust der eigenen Arbeiterkaste als Endstadium des parasitischen Degenerationsprozesses herzuleiten. Worin ich jedoch mit jener Darstellung Emery’s nicht einver- standen bin, sınd folgende zwei Punkte: Erstens, dass er die erste Entstehung des sozialen Parasitismus bei den Ameisen auf hypo- thetische primitive Raubweibchen zurückführt, die nach Art der heutigen Harpagoxenus-Weibchen ıhre Kolonien gegründet haben sollen; diese Hypothese wurde bereits oben (im 1. und 3. Teil dieser Arbeit) als unhaltbar zurückgewiesen. Zweitens, dass er jeg- lichen ursächlichen Einfluss der Dulosis auf die parasitische Degene- ration leugnet; dieser Punkt ist hier noch zu behandeln. 45) Auch Santschi hat diesen Entwickelungsgang bereits 1906 gut dargelegt (Moeurs parasitigaes temporaires de Bothriomyrmex in: Ann. Soc. Ent. France 1906, Px a7off. u. 383 8f.). 656 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. b?) Hat die Überentwickelung der Dulosis eine degene- rierende Wirkung, welche für den extremen sozialen Parasitismus mindestens prädisponiert? Nach Emery (S. 358) hat die Dulosis gar keinen degenerierenden Einfluss, sondern nur der Parasitismus der Weibchen allein. „Die Dulosis in sich im Gegenteil leitet die Arbeiterinnen zu aktivem Leben.“ Das mag wohl für niedere Stadien der Dulosis gelten, wie wir sie bei F. sanguinea treffen. Gilt es aber auch für die Überent- wickelung der Dulosis, wie wir sie bei Polyergus und Strongylo- gnathus sehen? Emery’s eigene Ausführungen bezüglich der Dulosis bei diesen beiden Gattungen ($. 357—358) enthalten den Beweis für das Gegenteil. Bei Polyergus waren die Weibchen wahrscheinlich früher räube- risch (wie jene von sanguinea), sind aber gegenwärtig immer mehr parasitisch geworden, indem sie bei Arbeiterinnen der Sklavenart sich adoptieren lassen*). „Hand in Hand“ hiermit verlernten die Arbeiterinnen von Polyergus „beinahe sämtliche Gewohnheiten des geselligen Lebens, mit Ausnahme des kriegerischen Instinktes, den sie zum höchsten Grad trieben, die korrespondierenden mor- phologischen Eigenschaften vervollkommnend.“ Hier drängt sich uns die Frage auf: Warum sind denn die Weibchen von Polyergus parasitisch geworden, während sie früher räuberisch waren? Warum sind Hand in Hand damit bei der Arbeiterkaste die Instinkte selbständig lebender Ameisen fast gänz- lich geschwunden mit Ausnahme des bis zum Extrem getriebenen kriegerischen Instinktes? Offenbar infolge der Überentwicke- lung der Dulosis, welche die gänzliche soziale Abhängig- keit der „Herren“ von ihren „Sklaven“ herbeiführte! Die Säbelkiefer der Amazonen sind der morphologische Ausdruck nicht bloß für die höchste Entwickelung des Sklavereiinstinktes, sondern ebenso auch für ihre totale Abhängigkeit von den Hilfsameisen, welche durch den Verlust des „Kaurandes“ und der entsprechenden Instinkte bedingt wurde. Selbst der elementare Instinkt der selb- ständigen Nahrungsaufnahme ist ihnen abhanden gekommen. Sınd das nicht klare Merkmale einer einseitigen Überentwickelung, welche bereits den Beginn der parasitischen Degeneration bedeuten *")? Und wenn dann — nach Emery’s Theorie der 46) Emery hat auf Grund seiner neuen Beobachtungen, ‚auf welche wir im 5. Teile zurückkommen werden, jetzt meine Ansicht bestätigt, dass die Weibchen ihre Kolonien durch Adoption gründen, nicht durch Puppenraub, wie er früher an- nahm (s. auch 1905, S. 263ff. u. 1908, S. 418ff.). 47) Auch die auffallende Kleinheit der Männchen von Polyergus im Vergleich zu jenen von Formica und die relativ sehr große Zahl der Fortpflanzungsindividuen (namentlich der Männchen), die in den Polyergus-Kolonien erzeugt werden, deuten bereits den Beginn einer parasitischen Degeneration der Herrenart an. Das Auf- treten ergatoider Weibchen als 'gesetzmäßiger Erscheinung neben der geflügelten Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 657 Weiterentwickelung des sozialen Parasitismus — die Weibchen von Polyergus immer kleiner würden und die Arbeiterkaste immer weniger zahlreich und immer schwächer, so dass sie keine Sklaven mehr rauben könnte, und die Gattung Polyergus dadurch zu einer permanent-parasitischen Ameise herabgesunken wäre — müsste man dann nicht diesen ganzen parasitischen Degene- rationsprozess auch als eine Folge der Überentwicke- lung der Dulosis bei ihren Vorfahren bezeichnen? Ich glaube, dass niemand dies leugnen wird. Also — so schließe ich — ist bei Polyergus durch die Überentwickelung der Dulosis bereits die parasitische Degeneration zum mindesten vorbereitet, und zwar ursächlich vorbereitet worden! Wenden wir uns jetzt zu Strongylognathus. Emery hebt hervor, dass diese Gattung aus Tetramorium entstanden ıst**), und dass von ihren zwei Formengruppen die südliche (Huberi, Rehbinderi etc.) ihre Entwickelung im dulotischen Sinne vollendet hat, in merkwürdiger Übereinstimmung mit Polyergus; die nördliche Gruppe dagegen, welche nur durch Strong. testaceus repräsentiert wird, ıst bereits parasitisch geworden, lässt aber noch „Spuren früherer kriegerischer Instinkte“ erkennen; sie verbindet ferner „scheinbar die dulotischen Ameisen mit der immer zahlreicheren Gruppe, in welcher der Para- sitismus zum Schwund der Arbeiterkaste leitete* (S. 358). Das stimmt alles mit meinen Anschauungen (1902, S. 26 ff.; 1905, 5. 283; 1906, S. 407 ff.; 1908, S. 420 ff., 432) überein; nur in einem Punkte weichen dieselben von jenen Emery’s ab, nämlich darin, dass er nicht die Dulosis, sondern den Parasitismus der Weibchen allein für die Entstehung der tieferen Stufen des permanenten Parasitis- mus verantwortlich macht. Ich glaube dagegen, dass gerade Strong. testaceus uns ein ausgezeichnetes Beispiel für einen permanenten sozialen Parasitismus liefert, der durch die Dulosis eingeleitet und ursächlich vorbereitet wurde. Der Beweis dafür ist folgender. Nach Emery ist bei Strong. testaceus der Übergang von der dulotischen zur parasitischen Lebensweise dadurch eingetreten, dass die Weibchen von der dulotischen zur parasitischenKolonie- gründung übergingen. Dass in diesen gemischten Kolonien neben der Strongylognathus-Königin auch eine Tetramorium-Königin sich findet, hatte ich 1901 entdeckt, und es ıst später von Wheeler und Forel bestätigt worden. Diese Erscheinung erklärte ich durch die Allıanz eines isolierten Weibchens der ersteren Art mit einem Weibchenform weist ferner auf den Übergang zur Inzucht in den Polyergus- Kolonien hin. Siehe hierüber auch: Ameisen und Ameisengäste von Luxemburg, IM. Teil, 1909; '8..102#£. 48) Diese Ansicht habe ich auch schon 1891 (S. 239) ausgesprochen, Emery hat sie jedoch fester begründet durch die zehngliedrigen Fühler der Männchen beider Gattungen. 658 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. der letzteren Art bei der Koloniegründung. Nehmen wir also ein- mal an, mit dieser parasitischen Koloniegründung von Strong. testa- ceus sei der entscheidende Übergang von der ehemaligen Dulosis zum sozialen Parasitismus dieser Ameise geschehen, und prüfen wir, ob derselbe in einem, ursächlichen Zusammenhang mit der Sklaverei steht oder nicht. Da Strong. testaceus nur einen vereinzelten nördlichen Zweig einer südlichen Gattung darstellt, so liegt es nahe, wie ich schon 1902*°) zeigte, die äußere Veranlassung des Übergangs von der dulotischen zur parasitischen Lebensweise in dem Einflusse des nördlichen Klimas zu suchen. Hierbei wird vorausgesetzt, dass die Vorfahren dieser Art ehemals Sklavenräuber waren, wie ihre südlichen Gattungsgenossen es heute noch sind; es wird ferner vorausgesetzt, dass bei ihnen die Dulosis auf einem ähnlichen Höhe- punkt angelangt war wie bei Polyergus, oder denselben bereits überschritten hatte. Hieraus folgt aber, dass bei den Vorfahren von Strong. testaceus durch die Überentwickelung ihrer Dulosis bereits eine analoge Prädisposition zur parasitischen Degene- ration gegeben war, wie es oben bei Polyergus gezeigt wurde; alle dortigen Erwägungen gelten auch für Strongylognathus. Aber bei letzterer Gattung zeigt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen Dulosis und permanentem sozialem Parasitismus noch klarer, wenn wir die Frage erwägen: was trat bei Strong. testaceus infolge des nördlichen Klimas früher ein: die Rückbildung der Sklavenzucht ihrer Arbeiterinnen, oder der Übergang ihrer Weibchen zur heutigen parasitischen Lebensweise? Je weiter eine südliche sklavenraubende Art nach Norden vor- dringt, desto seltener werden ihre Sklavenraubzüge werden, da die- selben nur in den heißesten Sommermonaten und in der heißesten Tageszeit erfolgen; sie werden ausgelöst durch ein hohes Tem- peraturoptimum, an welches die betreffende Art von früher her gewohnt war. Also wird bei den Vorfahren von Strong. testaceus infolge des kühleren Klimas zuerst eine Rückbildung des Sklavereiinstinktes der Arbeiterinnen eingetreten sein. Durch sie wurde erst der Übergang ihrer Weibchen zur para- sitischen Koloniegründung nötig, oder es wurde durch sie wenigstens erst nötig, dass in den Strongylognathus- Tetramorium-Kolonien die Königin der Hilfsameisenart am Leben blieb, während sie sonst in diesen gemischten Kolonien (wie bei der Koloniegründung von Polyergus mit F. fusca)°°) getötet wurde. Der erste Schritt zur Entwickelung des permanenten sozialen 49) Neues über die zusammengesetzten Nester etc, S.29 Sep. Siehe auch oben S. 631. Schon 1891 (Die zusammengesetzten Nester, S. 243) war diese klimatische Hypothese angedeutet worden. 50) Siehe hierüber den folgenden (5.) Teil dieser Arbeit. Wasmann, Über. den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 659 Parasitismus aus einer ehemaligen Dulosis bei Strong. testaceus war somit nicht eine Änderung in der Koloniegründung bei den Weibehen, sondern eine Rückbildung der Dulosis bei den Arbeiterinnen. Je mehr infolge des nördlichen Klimas die Dulosis verkümmerte, desto notwendiger wurde es für die Erhaltung der Art, ihre Hilfsameisen auf anderem Wege zu erhalten als dureh Sklavemaub; und dieser andere Weg war An der Übergang ihrer Weibchen zum permanenten aan Parasıtismus. Damit konnte dann auch ohne Gefahr für die Arterhaltung die Individuenzahl und die Körpergröße der Arbeiterinnen der Herrenart immer weiter zurückgehen, wie wir es bei Strong. testaceus gegenüber ihren süd- lichen Verwandten sehen, welche in ihren Kolonien eine weit größere und weit volkreichere Arbeiterkaste besitzen als unsere nördliche Art. Ich glaube, dass diese Erklärung Hand und Fuß hat. Durch sie wird aber bestätigt, dass bei Strong. testaceus der Entwicke- lungsgang der Dulosis es war, welcher den sozialen Para- sitismus und die denselben begleitenden Degenerations- erscheinungen ursächlich herbeiführte. Die erste Stufe dieses Prozesses war die Überentwickelung der Dulosis bei den südlichen Vorfahren von Strongylognathus, wodurch eine gänz- liche Abhängigkeit der Herren von ihren Sklaven entstand wie bei Polyergus; dämit war aber auch schon der erste vorbereitende Schritt zur parasitischen Degeneration getan. Die zweite Stufe desselben Prozesses war dann die Rückbildung der Dulosis bei den Ar- beiterinnen infolge des nördlichen Klimas; vielleicht begann auf dieser Stufe auch schon die morphologische Rückbildung der Arbeiterkaste (Verringerung ihrer. Körpergröße und K Hand in Hand mit der Rückbildung ihres dulotischen Instinktes. Hierauf folgte erst als dritte Stufe der Übergang der Weib- chen zum permanenten sozialen Parasitismus als letztes Rettungsmittel für die Erhaltung der Art. Damit war aber der absteigende Entwickelungsprozess der ehemaligen Herrenart in jene Bahn der parasitischen Degeneration getreten, welche auch nach Emery immer weiter abwärts führen kann bis zum gänzlichen Verlust der eigenen Arbeiterkaste. Also ıst es auch keine bloße „Dichtung“, wenn man den hypothetischen Entwickelungsprozess von Anergates durch ein dem heutigen Strong. testaceus analoges Stadium hindurchgehen lässt, zumal Anergates dieselbe Hilfsameise hat (Tetramorium), von welcher sie — nach Analogie mit den übrigen parasitischen und dulotischen Ameisen — wahrscheinlich ursprünglich abstammt, gleich Strongylognathus, und zumal das Ver- breitungsgebiet von Anergates auch viel weiter nach Norden reicht als jenes von Strongylognathus. Aber dieser Enntwickelungsprozess ist jedenfalls viel hypothetischer als der weit jüngere des heutigen Strong. testaceus. Die Analyse des letzteren dürfte uns, in in 660 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. stimmung mit den Ergebnissen bei Polyergus, wenigstens folgendes gezeigt Et Es ist ebenso verfehlt, die Dulosis als ausschließliche Ursache der parasitischen Degeneration hinzustellen, wie es verfehlt ist, jeglichen ursächlichen Zusammen- hang zwischen der Dulosis und den Degenerationserschei- nungen des extremen sozialen Parasitismus zu leugnen. 5. Die gewaltsame Beseitigung der Königin der Hilfsameisenart bei parasitischen und dulotischen Ameisen. a) Dass in den gemischten Kolonien der Ameisen die Königin der Hilfsameisenart am Leben bleibt, ist eine Ausnahmeerscheinung, die bisher nur in den Raubkolonien von Harpagowenus (Tomognathus) sublaevis°!) und in den parasitischen Kolonien von Strong. testaceus (siehe oben) beobachtet worden ist??). In den Kolonien aller übrigen sklavenhaltenden und parasitischen Ameisen fehlt eine Königin der Hilfsameisenart. Um diese Erscheinung bei Anergates zu erklären, hat v. Hagens schon 1867 die Vermutung ausgesprochen, das befruchtete Anergates- Weibchen lasse sich in einem Teile einer größeren Tetramorium- Kolonie nieder und werde von den Arbeiterinnen adoptiert, die sich dann mit ihrer neuen parasitischen Königin von der Mutterkolonie absondern. Santschi hat 1906 auf Grund seiner Beobachtungen über den temporären Parasitismus von Bothriomyrmex meridionalis bei Tapinoma nigerrimum diese Spaltungshypothese®’) weiter ausgebaut, um aus derselben den Ursprung der Sklaverei bei den . zu erklären: wenn eine fremde Königin in einem Teile einer größeren Kolonie einer anderen Art adoptiert worden ist, so bleibt derselbe wenigstens noch eine zeitlang mit den übrigen Teilen derselben Kolonie ın Verbindung, und es ist deshalb den Ar De der parasitischen Art Galesenhei geboten, Puppen der Hilfs- ameisenart aus anderen Nestern der nämlichen Kolonie herüber- zuholen. Darüber, dass diese Spaltungshypothese nur die Bedeutung einer Hilfshypothese für die Erklärung des Ursprunges der Dulosis bildet, habe ich mich schon früher (1908, S. 439) ausge- sprochen. Sie ist allerdings recht geeignet, das Fehlen einer Königin der Hilfsameisenart in 1 Nestern der dulotischen und narasitischen 51) Adlerz, Myrmek. stud. II, 1886, S. 234ff. 52) Rein zufällig ist es, wenn man in sanguinea-Kolonien Weibchen von fusca trifft; dieselben sind jedoch keine Königinnen, sondern aus geraubten Puppen stammende junge Weibchen. Unter 410 sanguinea-Kolonien bei Exaten beobachtete ich diesen Fall dreimal: 2 geflügelte makrogyne fusca-Weibchen in Kol. 55, 1 ge- flügeltes mikrogynes Weibchen in Kol. 235, 1 entflügeltes mikrogynes Weibchen in Kol. 4. 53) Die Literatur zu derselben ist in: W.B. 1908, 8.425 u. 437ff. zusammen- gestellt, Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 661 Ameisen zu erklären. Aber ihre Voraussetzung, dass die Aufnahme der fremden Königin gewöhnlich nur in einem Teile einer alten Kolonie der Hilfsameisenart erfolge, scheint den tatsächlichen Ver- hältnissen der Koloniegründung bei den meisten parasitischen und dulotischen Ameisen nicht zu entsprechen °*). Bei Polyergus rufescens z. B. kommt diese Form der Koloniegründung allerdings auch vor, indem ein befruchtetes Weibchen dieser Art von einem Teil der Sklaven einer fremden Amazonenkolonie aufgenommen wird (W. B. 1908, S. 418). Da jedoch die Polyergus-Kolonien sehr selten sind, die Kolonien der Sklavenarten (fusca bezw. rufibarbis) dagegen sehr häufig, wird für gewöhnlich die Aufnahme der Polyergus-Königin wohl in einer selbständigen Kolonie der Sklaven- art erfolgen; und da fusca und rufibarbis fast immer nur ein Nest für jede Kolonie haben, so bleibt dann die Frage immer noch un- gelöst: was wird aus der Königin der Hilfsameisenart nach der Aufnahme der fremden Königin? In manchen Fällen mag ja die Kolonie ihre eigene Königin schon vorher durch den Tod verloren haben. In solchen „weisel- losen“ Kolonien wird dann die fremde Königin leichter aufgenommen. Ich glaubte deshalb früher (1905—1908), dass die Aufnahme der truncicola-Königin meist in einer weisellosen fusca-Kolonie erfolge; ebenso hatte Wheeler schon 1904 die Aufnahme der consocians- Königin in einer weisellosen incerta-Kolonie für das wahrschein- lichste Vorkommnis gehalten. Auch der tatsächlich sehr friedliche Charakter sowohl der truncicola- wie der consocians-Königin- macht die Annahme, dass sie die Königin des Hilfsameisennestes gewalt- sam aus dem Wege räume, wenig wahrscheinlich. Aber nach den unten folgenden neuen Beobachtungen über das Verfahren der rufa- Königin dürfte es trotzdem nicht so ferne liegen, auch für die trumcicola-Königin Ähnliches anzunehmen. Die bisherigen direkten Beobachtungen über eine gewalt- same Beseitigung der Königin der Hilfsameisenart in den gemischten Kolonien der parasitischen Ameisen beschränken sich auf die Gattungen Wheeleriella und Bothriomyrmex. Santschı hat 1906 festgestellt, dass nach Aufnahme einer Wheeleriella-Königin in einer Kolonie von Monomorium Salomonis die Arbeiterinnen der Hilfs- ameisenart es sind, welche ihre eigene Königin töten. Bei Bbothrio- myrmex dagegen beobachtete er, dass die Königin der parasitischen Art selber es war, welche nach ihrer Aufnahme durch die Tapinoma- Arbeiterinnen die Königin des Nestes zu töten suchte. Unter den dulotischen Ameisen ist es für Formica sanguwinea nach den Ver- suchen von Wheeler, Viehmeyer und mir wohl selbstverständ- 54) Auch für Anergates- Tetramorium trifft sie nicht zu, da man in diesen Kolonien niemals Arbeiterpuppen der letzteren Art findet. 662 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. lich, dass die in ein schwaches Sklavennest eindringende Königin, wenn sie die Arbeiterinnen desselben in die Flucht schlägt oder tötet, um sich der Puppen zu bemächtigen, auch mit der Königin ebenso verfährt. Aber wie gestalten sich die Verhältnisse bei Polyergus rufescens, dessen Weibchen zur Koloniegründung durch Adoption in einem Neste der Hilfsameisenart zurückgekehrt sind? b) Darüber geben Emery’s neue Beobachtungen?) einen inter- essanten Aufschluss. Er hatte am 23. Juli 1908 eine kleine fusca- Kolonie mit einer Königin, 4 Arbeiterinnen und einigen Puppen aus Sachsen zugesandt erhalten. Am 29. waren mit den frischent- wickelten Individuen 10 Arbeiterinnen vorhanden. Er übertrug die Kolonie sodann in die Zentralkammer eines Janet-Nestes und setzte in eine Nebenkammer ein entflügeltes Polyergus-Weibchen, das er am 25. Juli umherlaufend gefunden hatte. Zwischen der Kammer des fusca-Nestes und jener der Polyergus-Königin war der Durch- gang mit feuchter Erde verstopft. Als Emery die Scheidewand beseitigt hatte, ging das Polyergus-Weibchen bald in die fusca- Kammer hinüber, wo es von den Arbeiterinnen, auch von den frischentwickelten, sofort feindlich angegriffen wurde. Die fusca- Königin dagegen benahm sich gegen das eingedrungene Weibchen völlig friedlich und beleckte es sogar. Letzteres schien sich mit Vorliebe in ihrer Nähe aufzuhalten. Einige Stunden später hatten sich die fusea-Arbeiterinnen, mit Ausnahme von zweien, mit ihren Puppen in die Nebenkammer geflüchtet, wo früher das Polyergus- Weibchen gewesen war. Die beiden Weibchen von Polyergus und fusca waren nahe beisammen in der Kammer des fusca-Nestes geblieben; zwei Arbeiterinnen hatten sich ihnen bereits zugesellt’®). Am nächsten Morgen war die frrsca-Königin tot. Alle Arbeiterinnen mit den noch übrigen Puppen hatten sich um die Polyergus-Königin versammelt und beleckten sie; auch die daneben- liegende fusca-Königin wurde von einigen derselben beleckt. Keine einzige fusca-Arbeiterin war von der Polyergus-Königin getötet worden. Die tote fisca-Königin dagegen hatte eine den Kopf durehbohrende Bisswunde; auch ein Fühler war abgelöst. Der charakteristische Kopfbiss konnte ihr nur von den Säbelkiefern der Amazonen-Königin beigebracht worden sein. Diese hatte also die Königin der Hilfsameisenart getötet’”). — Die kleine Kolonie 55) Nuove osservazioni ed esperimenti sulla Formica Amazzone (R. Acc. Bologna 1908—1909, p. 31—36). 56) Also war die Polyergus-Königin trotz der anfänglichen Feindseligkeiten von diesen fremden Hilfsameisen rasch aufgenommen worden, ebenso wie es auch bei Forel’s und meinen früheren Versuchen der Fall gewesen war (W. B. 1908, S. 380 ff.). 57) Bei dem durchaus friedlichen Verhalten der fusea-Königin würden die Romantiker des Darwinismus hier wohl von einem „Meuchelmorde‘“ reden. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 663 gedieh dauernd in dem Versuchsneste. Anfang Mai 1909 legte die Polyergus-Königin Eier ®), die von den fusca gepflegt wurden. Hier ist also durch Emery zum erstenmal der direkte Beweis dafür erbracht, dass die Polyergus-Königin, nachdem sie in einem Neste der Sklavenart von den Arbeiterinnen aufgenommen worden ist, die Königin der Sklavenart selbst umbringt. c) Ebenso verfährt auch die rufa-Königin nach ihrer Auf- nahme in einem fusca-Neste, wie meine folgenden Beobachtungen zeigen (nach meinem stenographischen Tagebuch). Am 26. Mai 1909 fand ich mit meinem Kollegen P. H. Klene S.J. auf Fort Olisy bei Luxemburg ein entflügeltes rufa-Weibchen, das gerade unter einem Stein Eingang suchte, welcher ein kleines fusca- Nest bedeckte. Letzteres enthielt mehrere Dutzend ziemlich kleine Arbeiterinnen mit zwei Königinnen und deren Eierklumpen; es war augenscheinlich eine junge Kolonie°®). Die rufa-Königin, eine der beiden fusca-Königinnen, 12 Arbeiterinnen und einige Eierklumpen wurden in einem Fangglas mitgenommen und zu Hause in eine Kristallisationsschale mit feuchter Erde gesetzt. Die fusca bauten alsbald eine kleine Nesthöhlung, in welcher ihre Königin und die Eierklumpen untergebracht wurden. Die r«fa-Königin wurde an- fangs von ihnen noch ziemlich heftig angegriffen, verteidigte sich jedoch fast gar nicht. Die Angriffe ließen allmählich nach. Am Morgen des 27. Mai saß die fusca-Königin mit einer Anzahl Ar- beiterinnen und den Eierklumpen in ihrer Nesthöhle; damals schon fiel mir die andauernd regungslose, zusammengekauerte Haltung der fusca-Königin auf; sie hatte den Kopf geneigt und die Fühler und Beine an den Leib gezogen, als ob sie sich „totstellte“. Erst bei Berührung mit meiner Pinzette erhob sie sich plötzlich und lief weiter. Die rufa-Königin ging an diesem Tage unruhig auf der Nestoberfläche umher, von den ihr begegnenden Arbeiterinnen teils ignoriert, teils vorübergehend angegriffen. Sie wehrte sich nicht, sondern suchte eine fusca, die sie am Fühler oder Beine zerrte, durch Fühlerschläge zu beschwichtigen. (Schluss folgt.) 58) Nach brieflicher Mitteilung Emery’s vom 17. Mai. Seine gedruckten Be- obachtungen hatten mit 1908 abgeschlossen. Er sandte mir auch zwei Photographien der kleinen gemischten Kolonie. 59) In diesem Falle ist die Mehrzahl der Königinnen wohl sicher darauf zu- rückzuführen, dass die beiden fusca-Weibchen sich an demselben Platze zur Kolonie- gründung zusammengefunden hatten; denn so junge Kolonien erziehen noch keine geflügelten Geschlechter. Vgl. hiermit oben S. 594—595. 664 Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. Studien über die Phylogenie der Trematoden. I. Können die digenetischen Trematoden sich auf ungeschlechtlichem Wege fortpflanzen ? Von D. Th. Ssinitzin, Privatdozent a.d. kais. Moskauer Universität. Mit 1 Tafel und 1 Textabbildung. Diese Frage besitzt eine eigentliche Bedeutung nur in bezug auf die Generation der Trematoden, die unter dem Namen Sporo- zysten und Redien bekannt ist. Es hat, in der Tat, bei zwei- - geschlechtlichen Trematoden, welche Eier und Spermatozoen hervor- bringen, nie jemand eine ungeschlechtliche Fortpflanzung irgendwelcher Art beobachtet. Dagegen findet man in der Literatur nicht wenig Hinweise darauf, dass eine solche Fortpflanzungsart in der Gene- ration in Weichtieren parasitierender Sporozysten und Redien eine zıemlich weitverbreitete ıst. Die ungemeine Einfachheit der Organı- sation derselben, wovon die Mehrzahl der Sporozysten, deren Körper einen aus zwei oder drei Schichten wenig differenzierter Zellen be- stehenden Schlauch darstellt, als Beispiel dienen kann, biete der Tätigkeit der verschiedenen Arten ungeschlechtlicher Vermehrung ein weites Feld. Doch hatten gewisse theoretische Betrachtungen, die der Leser am Ende dieser Schrift finden wird, starke Zweifel in mir darüber aufsteigen lassen, dass ın dieser oder jener Gene- ration digenetischer Trematoden eine ungeschlechtliche Fortpflanzung statthaben könne und es haben mir meine langjährıgen Beobach- tungen über die Trematoden auch wirklich eine tatsächliche Be- gründung dieser Zweifel geliefert. Ich beschloss daher, alle mir zugänglichen Angaben über das Vorkommen einer ungeschlecht- lichen Fortpflanzung bei den Trematoden einer kritischen Prüfung zu unterwerfen und gelangte zu Resultaten, die meinen Erwartungen vollkommen entsprachen. Vorliegende Schrift, in welcher die Er- gebnisse der von mir unternommenen Arbeiten zusammengefasst sind, soll, wie ich hoffe, auf die als Titel gestellte Frage eine ganz bestimmte Antwort geben. Die erste Frage, deren Lösung ich mir zur Aufgabe mache, bezieht sich auf die morphologische Bedeutung der Keimzellen und Keimballen, von denen die Körperhöhle der Sporozysten und Re- dien angefüllt ist, und aus denen die zweite Generation derselben und schließlich die Cercarien, d. h. die Larven der zweigeschlecht- lichen Generationen, entspringen. Ist dies nicht etwa eine unge- schlechtliche Fortpflanzung? Die Autoren, welche sich zuerst der Erforschung der Fort- pflanzungsart der Sporozysten und der Redien gewidmet hatten (K. E. von Baer, J. von Carus, Filippo de Filippi, Mou- linie u. a.), bemerkten keine genetische Beziehung zwischen den Keimballen und den Sporozystenwänden. Da sie die Keimballen, Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. 665 in deren verschiedenen Entwickelungsstadien nur in der Höhlen- flüssigkeit beobachteten, so schrieben sie dieser letzteren formative Eigenschaften zu. Ihrer Ansicht nach konnte die Höhlenflüssigkeit der Sporozysten, sich an gewissen Punkten konzentrierend, Zellen- ansammlungen (Keimballen) bilden. Doch zeigten von Wagener, Thiry, Metschnikow, Leuckart und insbesondere von Thomas angestellte genauere Beobachtungen bald, dass die Keimballen aus den Wänden der Sporozysten entstehen; dabei sah Wagener die- selben für ein Knospenbildungsprodukt der die Körperhöhle der Sporozysten auskleidenden Embryonalzellenschicht an. Leuckart dagegen hielt 'sie für Abkömmlinge einer bestimmten Anzahl von Zellen, welche schon in der Mirocidie, d. h. der Larve der Sporo- zyste, angelegt waren. Diese Zellen sollten es sein, die beim all- mählichen Wachsen der Sporozyste nach und nach in einen aktiven Zustand übergehend, zu den Keimballen, welche schließlich die ganze Sporozystenhöhle ausfüllen, den Grund legen. Dieser im wesentlichen richtige Gedanke Leuckart’s erhielt in Bieringer’s und Heckert’s Arbeiten bald eine Bestätigung. Ersterer fand ın Sporozysten, welche den Kiemen von Cyelas (Distomum cygnoides) entnommen waren, letzterer bei Leucochloridium paradozum (Dist. macrostomum) in der Körperwand eine besondere Art von Em- bryonalzellen, die teils über den ganzen Körper verbreitet, teils an einzelnen Stellen konzentriert waren. Ohne den Ort zu verändern, fangen diese Zellen an sich zu furchen; in einem gewissen Stadium fallen sie in die Körperhöhle und schwimmen dort in Gestalt der schon bekannten Keimballen umher. Diese Beobachtungen gaben der Frage von der Fortpflanzung der Sporozysten eine andere Beleuchtung, denn man gewann die Möglichkeit, die Embryonalzellen derselben nunmehr mit den sich parthenogenetisch entwickelnden Eiern und die Sporozysten selbst, mit den parthenogenetischen Weibchen zu vergleichen. Doch besaß niemand den Mut, die Embryonalzellen schlechthin Eier zu nennen, und Leuckart vermied diesen Ausdruck auch in der letzten Auflage seines Werkes „Die Parasiten des Menschen“, indem er dieselben nicht „Eizellen“, sondern „Keimzellen“ nannte. Der Grund davon ist begreiflich. Einerseits standen noch die althergebrachten An- sichten fest eingewurzelt da und es gab noch zu wenig Beobach- tungen zugunsten der neueren; andererseits war der Gedanke, zwischen den Sporozysten und den durch Knospenbildung sich fort- pflanzenden Cysticerken der Cestoden eine Analogie herauszufinden, ein gar zu verlockender. Die Hauptsache fehlte, — es mangelte an Beobachtungen, welche der Reifung parthenogenetischer Eier anderer Tiere analoge Erscheinungen ın den Embryonalzellen der Sporozysten konstatiert hätten. Diese Lücke wurde von Reuß (1902, 1903) durch seine Beobachtungen über die Fortpflanzung der 666 Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. Sporozysten des Dist. duplicatum, von Haswell (1905) — über die Sporozysten des Kchinostomum sp.; endlich von Tennent (1906) — über die Sporozysten des Gasterostomum!) ausgefüllt. Die Be- obachtungen dieser Autoren haben das Vorhandensein von Reifungs- prozessen in den „Keimzellen“, der Sporozysten, welche der Fur- chung vorausgehen, unstreitig dargetan. Somit können wir heutzutage mit Recht behaupten, dass die Keimballen der Sporozysten nicht auf ungeschlechtlichem Wege, nicht durch Knospung und nicht aus irgendwelchen unbekannten „Keimzellen“ entstehen, sondern aus Eiern, welche sich ohne vorherige Befruchtung entwickeln und dass die Generation der Sporozysten und Redien eine Generation parthenogenetischer Weibehen ist. ' Es bedarf einer Erklärung noch folgender Frage: welches ist die morphologische Bedeutung des sogen. Keimepithels auet. oder, im allgemeinen, der parthenogenetischen Eier in ihrer Gesamtheit? oder, mit anderen Worten, stellen diese ein Organ vor? worunter wir einen Zellen- oder Gewebekomplex verstehen, welcher eine be- sondere Funktion ausübt — oder sind es Gebilde besonderer Art? Das Wort Organ auf die im ganzen Sporozystenkörper zerstreut liegenden Eizellen anzuwenden, flößt einiges Bedenken ein; indessen sind wir, von theoretischen Betrachtungen ausgehend, genötigt, dies zu tun und die Gesamtheit der Eizellen als Ovarıum zu bezeichnen. Es gibt nämlich verschiedene Grade von Differenzierung der Ge- schlechtszellen von den somatischen Zellen. In gewissen Fällen bilden erstere, wie schon erwähnt, eine ganze Schicht, das Keim- epithel; in anderen konzentriert sich dieses, wie von einigen Au- toren beschrieben wurde, an bestimmten Stellen des Körpers und bildet hier in die Körperhöhle hineinragende Auswüchse. Prinzipiell kann nichts dagegen erhoben werden, solche Auswüchse Organe, d. h. Ovarien, zu nennen; da aber zwischen diesen zwei Formen eine ganze Reihe von Übergangsstufen vorhanden ist, die keine Grenzen zu ziehen gestatten, so sehen wir uns genötigt, diese Be- nennung sowohl auf die im ganzen Körper zerstreut liegenden Ei- zellen in ihrer Gesamtheit anzuwenden als auf die Ansammlungen derselben, die eine mehr oder weniger regelmäßige Form und eine beständige Lokalisation besitzen. Das Interesse, welches diese Seite der Frage für mich bot, bewog mich, den Versuch zu machen, die verschiedenen Ovarien auf Grund des mir zu Gebote stehenden Materials zu klassifizieren. Inwieweit dieser Versuch mir gelungen ist, wird sich erst später, wenn schon eine viel größere Anzahl 1) Ich habe die Struktur vieler Arten von Sporozysten und Redien aus Süß- wasser- und Seewasserweichtieren untersucht und mich in allen Fällen von dem Vorhandensein der typischen Erscheinungen des Reifens parthenogenetischer Eier überzeugen können. In einigen weiter unten stehenden Zeichnungen wird der Leser einschlägige Abbildungen finden. Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. 667 von Beobachtungen angestellt worden ist, beurteilen lassen; doch dürfte diese Klassifikation schon in ihrer jetzigen Gestalt von Nutzen sein, indem sie helfen kann, sich in den zahlreichen Ovarienformen, auf die man bei den verschiedenen Sporozysten- und Redienarten stößt, zurechtzufinden. Ich unterscheide zwei Grundformen der Ovarien — A eine diffuse und B — eine lokalisierte und unter diesen 1. eine stationäre und 2. eine erratische Form. Somit haben wir A. ovarıum diffusum ie 1. ovar. stationare B. ovarium ceircumseriptum 2. ovar. erraticum. Als die unvollkommenste Form des Organs ist das diffuse Ovarıum anzusehen; denn hier bilden die Geschlechtszellen neben den anderen, somatischen Zellen einen Bestandteil der Körperwand der Sporozysten oder Redien, und hält es manchmal schwer, sie von jenen zu unterscheiden. Gewöhnlich machen sie sich durch einen größeren Kern und ein dunkleres Protoplasma um diesen herum erkennbar. Diese Övarienform ist die meistverbreitete; dabei verdient eine besondere Beachtung die Tatsache, dass die- selbe sowohl bei den einfachsten Sporozysten als bei den relativ hochorganisierten Redien angetroffen wird und folglich mit dem Grad der Vereinfachung in der Organisation der parthenogenetischen Weibchen in keinen Konnex gebracht werden kann. Neben der diffusen Form kann bei einem und demselben Individuum auch die andere, d. h. die solitäre Form vorhanden sein. In diesem. Falle sammeln sich die Geschlechtszellen an irgendeiner Stelle der Wand in größerer Menge als an anderen an; und sind es meist die Sporo- zysten mit langgestrecktem und verästeltem Körper, wie z. B. Gasterostomum, Distomum ceygnoides, Distomum macrostomum, die beiderlei Ovarienformen aufweisen; beide Formen habe ich auch bei den Redien einiger Arten von Echinostomum gefunden. Die zirkumskripte Ovarienform wird verhältnismäßig selten angetroffen. Wie oben gesagt, lassen sich hier zwei Formen unter- scheiden: 1. eine stationäre und 2. eine erratische. Im ersten Falle bleibt das Ovarıum mit der Körperwand der Sporozyste verbunden und liegt in derselben mehr oder weniger eingebettet; im zweiten ist es von der Sporozystenwand ganz unabhängig und schwimmt gleich den Keimballen in der Höhlenflüssigkeit frei umher. Sehr oft haben die Sporozysten ein diffuses Ovarıum nur im jugendlichen Alter; bei vorgerückterem, wenn die Zellen ihres Körpers schon den embryonalen Charakter verlieren und die Körperhöhle sich mit Brut anfüllt, bekommen sie ein zirkumskriptes Ovarıum. Einen solchen Ersatz der einen Form durch die andere beobachtet man z. B. bei den Sporozysten und den Redien von Amphistomum sub- clavatum, Distomum ovocaudatum u. a. Dabei kann es vorkommen, XXIX. 42 668 Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. dass man mehrere — 2, 3, sogar 4 (Dist. ovocaudatum) — zirkum- skripte Ovarien antrifft. Der Grad der Verbindung des Ovariums mit der Sporozystenwand kann ein sehr verschiedener sein: bald tritt es über der Oberfläche derselben gar nicht hervor, bald, und zwar am häufigsten hebt es dieselbe in Gestalt eines in die Körper- höhle hineinragenden Höckers, wie bei Amphistomum subelavatum, Distomum ovocaudatum, bald stellt es ein kompaktes Organ vor, welches mit der Wand nur durch einen Stiel verbunden ist. Im letztbeschriebenen Falle hat er ganz das Ansehen eines wirklichen, differenzierten Organs, wie z. B. bei der Sporozyste einer Art Cer- caria armata?), s. Fig. 1. Als Übergangsform zum erratischen Ovarıum kann dasjenige der Sporozyste von Dist. folium (Fig. 4 u. 5) betrachtet werden, da hier die Geschlechtszellen locker miteinander und zugleich schwach mit der Körperwand verbunden sınd. Die vollkommenste Form des Organs endlich stellt das erratische Ovarıum der Sporozyste vom Typus Cercaria cystophora®’) vor, die ich in der Leber von Cerithiolum exwille gefunden habe. Das längliche Ovarıum dieser Sporozyste erinnert durch seine Form sehr an ein Weizenkorn, wobei diese Ähnlichkeit noch durch eine nicht tiefe Längsfurche erhöht wird. Im Innern des Ovarıums bemerkt man eine kleine Höhle, welche der Furche entsprechend in zwei Hälften geteilt ist. Das Innere dieser Höhle wird von den Eizellen einge- nommen, während die Keimballen näher zur Oberfläche des Ovarıums liegen, von dem sie sich in der Folge abtrennen, um nach und nach die Körperhöhle der Sporozyste anzufüllen (Fig. 10, 9 u. 8 ov.). In dieser Form wird das Ovarıum schon sehr früh angelegt und lässt sich bereits bei sehr jungen Sporozysten, die noch im mütter- lichen Körper liegen (Fig. 8 ove.), unterscheiden. Es ist interessant, dass diese Ovarienform sowohl der mütterlichen als den töchter- lichen Sporozysten eigentümlich ist trotz des Unterschiedes im Bau dieser zwei Generationen (s. darüber weiter unten). Die Fähigkeit der parthenogenetischen Trematodenweibchen, sich auf ungeschlechtlichem Wege fortzupflanzen — durch einfache Teilung oder durch Knospenbildung — wird kaum bezweifelt, doch geben die meisten Autoren*) dieselbe in bezug auf die Redien nicht zu und wollen nur bei den Sporozysten die Möglichkeit einer solchen 2) Die Frage von den Cercarienarten ist eine sehr dunkle, noch wenig er- forschte. Unter einem und demselben Namen werden häufig verschiedene Arten beschrieben und umgekehrt, beschreibt ein und derselbe Autor dieselbe Cercarie, aber zu verschiedenen Zeiten, unter verschiedenen Namen. Cercaria armata auct. besteht meinen Beobachtungen nach wenigstens aus drei verschiedenen Arten. 3) Diese Cercarie erinnert ihrem Bau nach sehr an Cere. cystophora Wagn. 4) Insofern M. Braun in seiner vorzüglichen Abhandlung über die Trematoden in „Bronn’s Klass. u. Ordn. des Tierreichs“ Bd. IV, Abt. I, S. 806 und Anmer- kungen auf derselben Seite als Vertreter dieser Ansicht erscheint. Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. 669 Fortpflanzungsweise anerkennen, wobei sie sich jedoch weniger auf eine genügende Anzahl von Tatsachen als auf theoretische Betrach- tungen stützen. In der Wirklichkeit pflanzt sich die partheno- genetische Generation der Trematoden ausschließlich auf geschlechtlichem Wege fort und ist keine einzige unmittelbare Beobachtung vorhanden, welche das Gegenteil beweisen würde; denn was die Tatsachen anbelangt, aus denen die Autoren ihre Schlüsse gezogen haben wollten, so existierten sie entweder gar nicht oder sie wurden falsch gedeutet. Alle Angaben, auf die sich der Glaube an das Vorkommen einer ungeschlechtlichen Fortpflan- zung bei den Sporozysten und den Redien stützt, teile ich in drei Gruppen ein: 1. unrichtige Beobachtungen, 2. irrtümliche Schlüsse aus richtigen Beobachtungen und 3. logisch richtige Schlüsse aus dem irrtümlichen Grundgedanken, dass die digenetischen Trema- toden zu den Platoden gehören. In den allermeisten Fällen ‚wurden die Forscher durch die Form der Sporozysten selbst irregeleitet, die in ihrer unbestimmten fadenförmigen, verästelten Gestalt, eine Möglichkeit zur Abtrennung von Stücken und zu selbständigem Dasein zu bieten schienen. Dazu gesellte sich noch die Eigentüm- lichkeit der meisten Sporozysten, ringförmige Vertiefungen zu bilden, die den.Körper in mehrere Glieder zu teilen scheinen, und die Ein- bildungskraft mancher Beobachter führte diesen Prozess, der weder mit der Furchung noch mit der Knospung etwas gemein hat, bis ans gewünschte Ende. Es würde mir ein leichtes sein, hier selbst eine kritische Über- sicht der von den verschiedenen Autoren, die an eine ungeschlecht- liche Fortpflanzung der Sporozysten, Redien und sogar der Öercarien glaubten, gelieferten Angaben zu geben und das Irrtümliche der- selben darzutun; doch halte ich dies für eine vorbereitende Arbeit, die der Verfasser selbst, nicht aber der Leser, auszuführen hat. Damit meine Behauptungen nicht ins Leere hinein geredet er- scheinen, will ich hier daher nur eine Arbeit analysieren, indem ich zu diesem Zwecke eine wissenschaftlich einwandsfreie und im letzten Dezennium publizierte Arbeit wähle, deren Verfasser folg- lich mit der modernen Technik der wissenschaftlichen Untersuchung bekannt war. Es ist eine Arbeit von H. Reuß’), der der Er- forschung des Baues und der Entwickelung der in Anodonta para- sitierenden Cercarien und Sporozysten des Dist. duplicatum viel Zeit gewidmet und in der Tat eine wertvolle Arbeit geliefert hat, in welcher das Vorhandensein von Reifungsprozesren in den par- thenogenetischen Eiern der Trematoden zum erstenmal dargetan wurde. 5) Hans Reuß, Die Oercarie und Sporozyste des Dist. duplicatum. Baer, Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 74, 1903, S. 458-477, Taf. XXIII. 42* 570 Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. Neben der parthenogenetischen Fortpflanzung der Sporozysten gibt Reuß auch eime ungeschlechtliche, durch Querfurchung, zu. Ohne dieser Frage anscheinend eine besondere Bedeutung beizu- legen, greift er zu der Zulassung einer ungeschlechtlichen Fort- pflanzung nur deshalb, weil er zu erklären hat, woher in den Anodonta eine solche Menge von Sporozysten erscheinen, die nur Öercarien, nicht aber auch Sporozystenkeime enthalten. Natürlich kommt dem Autor bei der Erklärung dieses befremdlichen Phä- nomens die Vermehrung der Sporozysten durch Teilung sehr zu statten; dafür gerät er aber in missliche Widersprüche gegen seine eigenen Beobachtungen. Zum Beweise dieses letzteren führe ich einige Stellen aus seiner Schrift an: „Die jüngsten Sporozysten, welche ich fand, besaßen die Länge von 0,5 mm... Der Innen- raum wird bei den jüngsten Keimschläuchen vollkommen (von mir gesperrt) erfüllt von einem weitmaschigen Bindegewebe ... Die nächst älteren Sporozysten besitzen im Innern eine kleine Höhlung ... Mit zunehmendem Alter der Keimschläuche vergrößert sich das Lumen derselben ganz bedeutend; es verdrängt die ur- sprünglich im Innern zerstreut liegenden Zellen an die Sporozysten- wand, wo sie schließlich eine einschichtige Zelllage, das Keimepithel, bilden. Auf diesem Stadium der Entwickelung vermehren sich die Keimschläuche durch Teilung (von mir gesperrt),“ S. 468. Den Teilungsprozess der Sporozysten beschreibt Verf. auf S. 469 folgendermaßen: „Es bildet sich zunächst eine ringförmige Verdickung der Wandschicht, welche senkrecht zur Längsachse der Sporozyste wulstförmig in den Innenraum derselben vorspringt. Durch weitere fortschreitende Wucherung des Gewebes wird schließ- das Lumen (von mir gesperrt) in zwei annähernd gleich große Höhlungen geteilt. Später bildet sich eine entsprechende ringförmig verlaufende Vertiefung auf der Oberfläche des Keimschlauches, welche tiefer und tiefer in die Wandung eindringt und schließlich die Sporozyste in zwei Teile abschnürt.“ Somit besitzen auf Grund einiger (direkter) Beobachtungen des Verf. die jungen Sporozysten keine Körperhöhle, auf Grund anderer (indirekter) eine von Em- bryonalepithel begrenzte Höhlung, — was ist also glaubwürdiger? Oder sollten sich die jungen Sporozysten, die keine Körperhöhle besitzen, aus Myracidien entwickelt haben und als Folge wieder- holter Infektionen der Anodonta erschienen sein? Dies aber will Verf. nicht zugeben: „... die (Anodonta) ich Monate hindurch — ja bis zu einem vollen Jahre — isoliert hielt, so dass eine Neu- infektion vollständig ausgeschlossen war“ (S. 468). Andererseits stehen auch die Angaben des Autors über die Größe der jungen Sporozysten mit seinen Beobachtungen im Widerspruch. In der Tat, wenn die allerjüngsten Sporozysten eine Länge von 0,5 mm haben, so muss die mütterliche Sporozyste, aus der sie hervor- Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. [Wal gegangen sind, wenigstens 1 mm lang sein; eine Sporozyste von solcher Größe ist aber eine schon ganz reife und ihre Körperhöhle muss mit weit in ihrer Entwickelung vorgerückten Üercarienkeimen angefüllt sein: „Die ältesten Sporozysten erreichen die Länge von 1,2 mm“ (S. 459), folglich müssen die jungen Sporozysten von 0,5 mm Länge voll von Cercarienkeimen sein, und ist dies. nicht der Fall, so müssen sie viel kleiner sein. Aus all diesen Wider- sprüchen findet der Leser nicht eher einen Ausweg, als bis er H. Reuß mit seiner misslungenen Annahme einer ungeschlecht- lichen Fortpflanzung der Sporozysten allein lässt und der Ansicht beistimmt, dass alle Sporozysten nur auf geschlechtlichem Wege entstehen. Ich muss dabei bemerken, dass ich H. Reuß’ Frei- mütigkeit und Wahrscheitsliebe nicht im 'mindesten bezweifle und dass es sogar diese Eigenschaften sind, die mir geholfen haben, seinen Irrtum so leicht zu entdecken. Es hat sich erwiesen, dass die von ihm mitgeteilten Tatsachen richtig und nur die Schlüsse, die er aus denselben zog, falsch waren. Es fi. ist wahr, dass die allerjüngsten Sporozysten EEE eine nur schwach angedeutete Körperhöhle &< Me) _ besitzen und nur etwa 0,5 mm lang sind; 7 ET 4. esist auch wahr, dass die erwachsenen Sporo- zysten auf Schnitten das Ansehen haben können, als befänden sie sich im Teilungs- stadium; daraus folgt aber noch nicht, dass sie der Teilung wirklich fähig sind. Obgleich der Autor keine Abbildung einer ın der Teilung begriffenen Sporozyste gibt, so ist seine oben zitierte Beschreibung dieses Prozesses eine so genaue, dass man sich das von ihm beobachtete Bild leicht vorstellen kann. Die beistehende Figur zeigt, wie die Schnitte durch eine in der Mitte etwas gebogene Sporozyste aussehen müssen. Man stößt auf solche Bilder bei Schnitten von Sporozysten sehr häufig, und sie sind es eben, die diejenigen, welche eine unge- schlechtliche Fortpflanzung bei den Sporozysten beobachten wollen, irreleiten. Noch „überzeugendere“ Bilder bieten in diesem Sinne die Sporozysten mit ringförmigen Einschnürungen; und nicht nur diese, sondern auch die Redien und sogar die Schwänze unreifer Cercarien lassen analoge Erscheinungen‘) gewahren. Sollte man daher nicht ganz konsequent sein und allen Beobachtern Glauben scheuken, unter anderen auch Ercolani, welcher aus demselben Grunde behauptete, dass Sporozysten sich auf ungeschlechtlichem Wege aus dem Schwanze des Becephalus entwickeln. 6) Diese entstehen infolgedessen, dass einzelne Gruppen der Ringmuskeln sich krampfhaft zusammenziehen und zwar in solchen Fällen, wenn das aus den Ge- weben seines Wirtes entfernte Tiere sich in ungewohnten Lebensbedingungen befindet. 672 Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. Was ich über Reuß gesagt habe, lässt sich mehr oder weniger auch auf die anderen Autoren, welche die Entwickelung der Sporo- zysten oder der Redien beschrieben haben, anwenden, und ich wiederhole deshalb meinen Satz, dass es keine einzige Be- obachtung gibt, welche das Vorkommen ungeschlecht- licher Fortpflanzung bei den parthenogenetischen Tre- matodenweibehen direkt oder indirekt beweisen würde. Aus diesem Satze folgt logisch, dass alle Sporozysten und Redien, die in einem gegebenen Moment die ganze Bevölkerung irgendeines Weichtieres bilden, auf geschlechtlichem Wege entstanden sind. An die Beweisführung der Richtigkeit dieses Satzes trete ich jetzt heran. Das rätselhafte Auffauchen junger Sporozysten in einem schon infizierten Weichtiere, in welchem alle Sporozysten nur Öercarien hervorbringen, ist eine von vielen beobachtete Tatsache, die nicht nur H. Reuß befremdlich geschienen hat. Es sind dabei nur zwei Annahmen möglich: 1. dass entweder die jungen Sporozysten meta- morphosierte Miracidien sind und man daher eine wiederholte In- fizierung eines und desselben Weichtieres zugeben muss, was aber ganz unwahrscheinlich ist”), oder 2. dass die Beobachtungen selbst unrichtig, unvollkommen waren und dass sowohl Reuß als die anderen Autoren die einzige mütterliche Sporozyste, die Gründerin, welche diese jungen Sporozysten auf geschlechtlichem Wege erzeugt hatte, einfach übersehen hatten. Selbstverständlich nahm ich letzteres an und gewann bald die Überzeugung von der Richtigkeit meiner Annahme, da meine Beobachtungen über die Fortpflanzung der Sporozysten Dist. folium und der zum Typus der (ercaria eysto- phora gehörigen mir einen unumstößlichen Beweis davon gaben. Die Sporozysten des Dist. folium sind wie diejenigen des Dust. duplicatum Parasiten der Lamellibronchiatae, wobei sie sich aus- schließlich in den Kiemen der Dreissensia polymorpha aufhalten. Bei einer näheren Untersuchung der massenhaft zwischen den Kiemenfäden der Dreissensia lebenden Sporozysten erwies es sich, dass diese mit auf verschiedenen Entwickelungsstufen befindlichen Cercarien angefüllt sind, wobei man indessen darunter immer sehr junge, wahrscheinlich soeben erst entstandene Sporozysten findet. Um die Quelle, aus der sie entsprungen waren, zu entdecken, be- reitete ich aus allen Kiemen nebst deren Inhalt eine Reihe von Schnitten und untersuchte dieselben aufmerksam unter dem Mikro- skop. Diese höchst langwierige Arbeit hatte einen glücklichen Er- folg, denn es gelang mir, unter der Menge der Sporozysten auch 7) In beschriebenen Fällen variiert die Zahl der infizierten Weichtiere zwischen 0,6°/, und 10°/,. Es müsste eine unendliche Anzahl von Zufälligkeiten zugegeben werden, damit so wenige davon wiederholt infiziert, die anderen in der Nähe be- findlichen Weichtiere frei von Parasiten bleiben könnten. Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. 673 solche zu finden, die sich durch ihren Bau von allen anderen be- deutend unterschied. Die Kutikula war dicker, die Kerne der die Wände bildenden Zellen kleiner und zahlreicher; das Ovarium hatte die gewöhnliche Form, ‘aber die Eizellen waren merklich kleiner. Außerdem war die Körperhöhle dieser Sporozyste mit Keimballen angefüllt, neben welchen auch solche vollkommen entwickelte Sporozysten angetroffen wurden, wie ich ihrer zwischen den Keim- fäden in freiem Zustande gesehen hatte (Fig. 4, 5, 6, 7). Es unter- liegt keinem Zweifel, dass diese Sporozyste die Quelle war, aus welcher immer neue Generationen entsprangen, welche die Kiemen der Dreissensia anfüllten, dass es die mütterliche Sporozyste, die Sporozysten-Gründerin war, die ihren Ursprung einer Miracidie verdankte. Im Sommer des Jahres 1908 fand ich unter dem Cerithiolum exille der Bai von Sebastopol eine kleine Anzahl (0,6°/,), die von einer besonderen Sporozystenart (Fig. 11) infiziert waren. Dieselben saßen in großen Mengen um den Darm herum und in der Leber des Weichtieres. Ihr kleiner (ca. 0,1 mm) zylinderförmiger Körper war mit Keimballen und vollkommen entwickelten Cercarien, die sehr an Cercaria cystophora erinnerten, angefüllt. Woher diese zahlreichen Sporozysten, die nur Öercarien hervorbrachten, stammten, gelang es mir erst nach einer genauen Untersuchung des Innern des infizierten Cerithiolums zu ermitteln. Ich fand in der Nähe der Kiemenhöhle eine in dem Gewebe liegende dünne fadenähn- liche Sporozyste (Fig. 8), ın deren Innerem töchterliche Sporozysten (sp. und Fig. 10) in verschiedenen Entwickelungsstadien umher- schwammen. Sie war etwa 0,5 mm lang und 0,15 mm dick und führte ziemlich energische Bewegungen aus, indem sie sich peri- staltisch zusammenzog und sich bald nach der einen, bald nach der anderen Seite hin bog. Inmitten der Keimballen befand sich ein für diese Sporozystenart charakteristisches erratisches Ovarium von demselben Bau wie bei den übrigen Sporozysten. Während die töchterlichen Sporozysten einen Pharynx, einen Darm und eine Genitalöffnung°) besaßen, fehlte alles dies der mütterlichen Sporo- zyste, und es begreift sich leicht warum: sie ist ja die aus einer Miracidie hervorgegangene Sporozysten-Gründerin. Ein anderesmal fand ich eine ebensolche Sporozyste, aber in einem solchen Stadium ihres Lebens, welches man Senilität nennen könnte. Ihr Körper war dünner und enthielt in seinem Innenraum weder Keimballen noch ein Ovarium, sondern nur einzelne unregelmäßige Zellenhaufen ; dennoch bewegte sie sich ziemlich energisch. Die Leber dieses letzten Cerithiolum war bis aufs Äußerste mit ganz reifen Sporo- 8) Der allgemein gebräuchlichen Terminologie nach müssten sie Redien ge- nannt werden. 674 Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. zysten angefüllt, die mit schon entwickelten Cercarien vollgepfropft waren. Diese zwei Beobachtungen geben auf die Frage über den Ur- sprung in irgendeinem Weichtiere eine ganz bestimmte Antwort. Man ersieht daraus, dass es in allen analogen Fällen nicht nötig ist, zur ungeschlechtlichen Fortpflanzung Zuflucht zu nehmen und dass man nur recht aufmerksam die Sporozysten-Gründerin zu suchen braucht. Das von mir entworfene Bild von der Fortpflan- zung der Sporozysten darf nicht als Schema für alle Arten der digenetischen Trematoden angesehen werden. Ich habe nur solche Fälle im Auge gehabt, wenn die töchterlichen Sporozysten nicht Uercarien, sondern ebenfalls Sporozysten oder Redien erzeugen und nur diese letzteren oder deren Nachkommen Üercarien hervor- bringen. Wie viele Generationen parthenogenetischer Weibchen eine einzige Miracidie geben kann, ist für uns nicht von Bedeutung, wichtig ist nur, dass alle Sporozysten und Redien auf ge- schlechtlichem Wege entstehen. Es gibt bei den Sporozysten noch eine Gruppe von Erschei- nungen, welche veranlassen könnten, dieselben für fähig zu unge- schlechtlicher Fortpflanzung zu halten, nämlich die Eigentümlichkeit einiger Sporozystenarten, verschiedene Fortsätze und Auswüchse zu bilden, die ihnen ein verworrenes, wunderliches Aussehen ver- leihen können, wie z. B. die Sporozysten von Gasteromidae, Dist. macrostomum u. a. In solchen Fällen verwandelt sich der ganze Sporozystenkörper in ein verwickeltes Maschenwerk aus verästelten Fäden, die den Körper des Weichtieres nach allen Richtungen durchziehen. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, dass man eine Menge verästelter Sporozysten vor sich habe; dies ist jedoch nicht der Fall, wenigstens nicht in bezug auf die Gasteromidae. Mehr als einmal habe ich versucht, eine solche Sporozyste zu 1so- lieren, es ıst mir aber trotz der größten Geduld nicht gelungen, da alle Fäden sich miteinander verknüpft erwiesen. Tennent’s Beobachtungen haben gezeigt, dass diese komplizierte Sporozyste des Gasterostomum aus einer einfachen, unregelmäßig geformten Sporozyste besteht, welche schon früh sich nach allen Richtungen verästelnde Fortsätze bildet. Die Bestimmung dieser Fortsätze ist offenbar dieselbe wie bei den töchterlichen Sporozysten anderer Arten, nämlich das Bestreben, das ihnen in den Weichtieren ge- botene Nährmaterial möglichst vollständig auszunutzen. Ihrem Aus- sehen, der Art, wie sie sich bilden und den Zellen, aus denen sie bestehen, nach erinnern diese Auswüchse, besonders beim Beginn ihrer Entwickelung, an Knospen; doch gibt dies bei weitem noch nicht das Recht, sie für Fortpflanzungsprodukte, d. h. für solche Knospen, aus welchen neue Organismen entstehen können, anzu- Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. 675 sehen. Die Definition, welche die ungeschlechtliche Fortpflanzung für einen über die Grenzen des Individuums hinausgehenden Wuchs erklärt, ist eine. sehr anziehende, aber ganz unrichtige; zudem kann sie zu großen Irrtümern Veranlassung geben. So sind z. B. die Fortsätze der Sacculina, die sich im Körper der Krabben verästeln, den verästelten Sporozysten sehr ähnlich und können wirklich als Illustration eines über die Grenzen des Individuums hinausgehenden Wachstums dienen; doch dürfte wohl schwerlich jemand glauben, dass die Sacculina sich durch diese Fortsätze vermehren kann, während den Sporozysten diese Möglichkeit zugeschrieben wird. In der Literatur habe ich keine einzige Angabe darüber gefunden, dass eine Abtrennung der Fortsätze von irgend jemand beobachtet worden wäre; es gibt darüber nur Vermutungen, die sich auf den embryo- nalen Charakter dieser „Knospen“ stützen. Zwar bestehen diese Fortsätze beim Beginn ihrer Entwickelung wirklich aus einer großen Menge Embryonalzellen und oft befindet sich gerade hier ein lokalı- siertes Ovarium, doch kann es ja auch nicht anders sein: an jedem im Wachstum begriffenen Körperteile gibt es immer Embryonal- zellen, ohne dass derselbe eine Knospe ist. Zugunsten meiner Ansicht über die morphologische Bedeutung der Fortsetzungen bei den Sporozysten kann ich noch folgende Beobachtung anführen. Nachdem die töchterlichen Sporozysten des Dist. folium den mütterlichen Körper verlassen haben, verbreiten sie sich in den Kiemen der Dressensia und setzen sich zwischen den Kiemenfäden fest. Der anfänglich oval-zylinderförmige Körper fängt an sich ab- zuplatten, wird breiter und bekommt schließlich das Aussehen eines formlosen Schlauches mit ziemlich großen knospenähnlichen Aus- wüchsen, welche zwischen die Kıemenfäden eindringen (Fig. 12). Diese Sporozysten enthalten eine beschränkte Anzahl (10—20) fast auf einem und demselben Entwickelungsstadium befindlicher Keim- ballen. Wenn nun die Cercarien anfangen, sich im mütterlichen Körper zu enzystieren, verändert die Sporozyste ihre Form: die Auswüchse ziehen sich ein, der Körper rundet sich ab und es ent- steht schließlich eine Sporozyste von zylinderförmiger Gestalt mit kleinen Höckern an der Oberfläche (Fig. 13). Wären diese Aus- wüchse wirklich Knospen, die einen neuen Organismus hervorzu- bringen vermöchten, so würden wir Zeugen einer originellen Er- scheinung — der Geburt eines neuen Individuums und dessen Rückkehr in den Mutterschoß — sein! Somit haben wir, glaube ich, das Recht, auf die als Titel dieser Schrift stehende Frage verneinend zu antworten: Es gibt bei den digenetischen Trematoden keine un- geschlechtliche Fortpflanzung weder in Gestalt von Tei- lung noch als exo- oder endogene Knospung. 676 Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. Die Fortpflanzung der Tiere geschieht entweder durch die soma- tischen Zellen oder durch die Geschlechtszellen; diesem morpho- logischen Prinzip gemäß lassen sich also alle bekannten Fortpflan- zungsarten in zwei Gruppen einteilen. Stellen wir uns jedoch auf den biologischen Standpunkt, so befriedigt uns eine solche Grup- pierung nicht. Vom morphologischen Standpunkte ist es in der Tat gleichgültig, ob die Fortpflanzung von einer Vermischung der Keimplasmen begleitet wird oder nicht, während vom biologischen Standpunkte aus gerade dieser Prozess — die Befruchtung (Effoeeun- datio) — und er allein als Basis für die Einteilung aller Fortpflan- zungsarten in Gruppen dienen kann. Unterscheiden wir also mor- phologisch: A. Multiplicatio anovulare und B. Multiplicatio ovulare, so haben wir biologischerseits: A. Multiplicatio aneffoecundare und B. Multiplicatio effoecundare. Bringen wir die Hauptfortpflanzungsarten den aufgestellten (sruppen Em in Reihen, so sehen wir, dass dieselben na parallell sind, aber einander nicht decken. I. Morphologische Gruppierung. II. Biologische Gruppierung. A. Vermehrung ohne Eier. A. Vermehrung ohne Befruchtung. 1. Teilung. 1. Teilung. 2. Knospung. 2. Knospung. B. Vermehrung durch Eier. 3. Parthenogenesis (pedogenesis). 3. Parthenogenesis (palogenesis). B. Vermehrung mit Befruchtung. 4. Zweigeschlechtliche Vermehrung. 4. Zweigeschlechtliche Vermehrung: Man kann als festgesetzt betrachten, dass die effoecundare Fort- pflanzung allen een eigen und die notwendigste Bedingung zur Evolution derselben ist; "auch pflanzen sich die meisten Tree nur auf diese Weise fort. Anders verhält es sich mit der aneffoecun- daren Vermehrung: dieselbe wird in dem Lebenszyklus eines Tieres nur unter besonderen Bedingungen eingeschaltet und erscheint nur in den Fällen, wenn die effoecundare Fortpflanzung aus irgendeinem Grunde unvorteilhaft ist, oder als Ergänzung dieser, nie aber selb- ständig oder als alleinige Fortpflanzungsart. Die Frage, welches die Bedingungen sind, bei denen die anefloe- cundare ebene auftritt, ist eine der intere ssantesten Einzel- fragen, die bei der Bestimmung der zwischen der Umgebung und dem Organismus waltenden Beziehen von den Lebensbedingungen auftauc De gegenwärtig interessiert mich jedoch eine andere, allge- meinere Be Irimihleh die, auf welche Art die aneffoecundare Vermehrung ihren Anfang genommen hat. Schon die Protoxoa be- sitzen alle diejenigen Mittel zur aneffoecundaren Fortpflanzung, denen man bei den Metaxoa begegnet; es ist daher ganz natürlich, daraus zu schließen, dass sie bei diesen eine angeborene, von den einzelligen Vorfahren ererbte, nicht aber unter dem Drucke ge- wisser Umstände erworbene Eigenschaft ist. Ist aber dies der Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. 677 Fall, so wirft sich eine andere sehr interessante Frage auf, nämlich ob beide Formen der anefloecundaren Vermehrung (die anovulare und die ovulare) selbständige, einander sozusagen ausschließende Eigenschaften sind, oder ob ein jeder Organısmus potentiell fähig ist, sich anovular (durch Teilung oder Knospung) und ovular (durch parthenogenetisch sich entwickelnde Eier) fortzupflanzen. Ich bin geneigt zu glauben, dass beide Arten der aneffoecundaren Fort- pflanzung eine der Grundeigenschaften des Keimplasma sind, welche von den entfernten Vorfahren des Tieres schon fertig empfangen werden und, wenn es die Umstände erfordern, in einer bestimmten Form unausbleiblich zutage treten. Die Rolle “der äußeren Be- dingnisse (im weitesten Sinne des Wortes) dürfte nur darin be- stehen, dass sie im Organismus diese Fähigkeit wachrufen, aber ın keiner Weise die Form, in welcher dieselbe erscheint, beeinflussen: letztere wird ausschließlich durch die Phylogenie des gegebenen Organısmus bestimmt, der sich nur so fort- pflanzen kann, wie seine Vorfahren sich fortgepflanzt hatten. In diesem Gedanken bestärkt mich die Tatsache, dass alle einem Generationswechsel unterworfenen Tiere nur irgendeine der erwähnten aneffoecundaren Fortpflanzungsarten sich zu Nutzen ziehen: die Teilung und die Knospung einerseits und die Partheno- genese (Pedogenese) andererseits sind ganz selbständige, unab- hängige Vermehrungsformen, die nirgend im Tierreich gleichzeitig angetroffen werden. Man kann mir darauf entgegnen, dass die Teilung und Knospung die primäre Fortpflanzungsart der Protoxoa ist und aus diesem Grunde allen Tieren gemein sein müsse und dass, wenn er bei einigen nicht zutage tritt, es nur deshalb geschehe, weıl dazu die günstigen Momente fehlen, als welche hauptsächlich eine niedere Organisationsstufe und eine ungenügende Differenzierung der Ge- webe und der Organe anzusehen seien. Wohl kann man zugeben, dass eine hohe Differenzierung der Gewebe und der Organe in einigen Fällen die Fortpflanzung durch Teilung oder Knospung ver- hindern kann, wie z. B. bei den Vertebrata (nicht aber bei den Anneliden!), doch darf daraus keineswegs der umgekehrte Schluss gezogen werden, dass Tiere mit wenig differenzierten Geweben und Organen durchaus fähig sind, sich durch Teilung zu vermehren. So würden z. B. die ee und die Redien En zur anovu- laren Fortpflanzung Erforderliche besitzen, sind aber dessen unge- achtet dazu ganz unfähig. Warum ist dies wohl der Fall? Ich weiß nicht, wie die Antwort derjenigen ausfallen kann, die einen anderen Standpunkt einnehmen als ich; für mich unterliegt keinem Zweifel, dass die Sporozysten und die Redien sich deshalb nicht auf anovularem Wege vermehren können, weil eine solche Fort- pflanzungsart in der Phylogenese der Trematoden nicht 678 Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. vorhanden war. Was aber die Frage anbelangt, welche Fort- pflanzungsart als die primäre anzusehen sei, so ist sie sogar noch in bezug auf die Protoxoa unentschieden und darf noch vieles von den Resultaten, welche uns künftige Untersuchungen über die Ver- mehrung der Protisten liefern sollen, erwartet werden. Erweist sich mein Gedanke als richtig, so besitzen wir ein neues Mittel zur Bestimmung der Phylogenese und zur Festsetzung der zwischen den Tieren bestehenden genetischen Beziehungen, nämlich die Form der aneffoecundaren Fortpflanzung. Die praktische Verwertung dieses biologischen Kennzeichens wird zuweilen dadurch erschwert, dass es ganze Gruppen von Tieren gibt, welche die aneffoecundare Fortpflanzung sich gar nicht zu Nutzen machen. In solchen Fällen kann man schon von fest- gesetzten genetischen Beziehungen zwischen einer gegebenen Gruppe und solchen Tieren, denen irgendeine Form der aneffoecundaren Fortpflanzung eigen ist, Gebrauch machen; sieht man z. B. die Vertebrata als zu den Vertebrata ın den nächsten genetischen Be- zıehungen stehend an, so muss bei diesen die Fähigkeit (natürlich bloß eine potentielle) zur Knospenbildung und Teilung, nicht aber zur Parthenogenese anerkannt werden. Die Regeneration, Auto- tomie und künstliche Parthenogenese, denen man bei diesen Tieren begegnen kann, nützen der Frage wenig, da es sehr zweifelhaft ist, dass diese Erscheinungen mit der Fähigkeit zur aneffoecundaren Vermehrung in einem ursächlichen Zusammenhang stehen°). Dort, wo dieses Prinzip anwendbar ist, dürfen wir von demselben sehr wertvolle Resultate erwarten; so könnte man es meiner Ansicht nach mit Erfolg zur Zergliederung des Subtypus Onidaria, besonders beim Typus der Vermes anwenden. Im Jahre 1905 unterbreitete ich den Herren Zoologen meine Hypothese über die Entwickelung der Zwischenwirte der digenetischen Trematoden sowie einige Vermutungen über die Phylogenese dieser Gruppe der Platoden!’). Meine in letzter Zeit gemachten Be- obachtungen haben mir noch einige Tatsachen geliefert, die, meine Voraussetzungen im wesentlichen bestätigend, mir die Möglichkeit geben, mit einer etwas erneuten und besser ausgearbeiteten Hypo- these über den Ursprung der digenetischen Trematoden hervorzu- treten. Doch wird diese Aufgabe erst dann vollkommen erfüllbar werden, wenn ich alle meine Beobachtungen veröffentlicht habe, 9) In all diesen Fällen fehlt der innere Impuls, der bei der aneffoecundaren Vermehrung durchaus vorausgesetzt wird; dies bezieht sich besonders auf die künst- liche Parthenogenese, welche zur natürlichen sich ebenso verhält wie die T.’schen Diamanten zu den echten. 10) Materialien zur Naturgeschichte der Trematoden. Die Distoma der Fische und Frösche aus der Umgegend von Warschau. Warschau 1905. Nebst 6 Tafeln und S Textabbildungen. Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. 679 weshalb ich in diesem ersten Artikel aus der beabsichtigten Serie mich vorläufig auf eine kurze Darstellung der Hauptzüge meiner Hypothese beschränken will. Schon dem selbständig lebenden Vorfahren der digenetischen Trematoden war der Generationswechsel eigen. Zur parasitären Lebensweise ging von den zwei Generationen zuerst die anefloe- cundare und erst dann die effoecundare über. Erstere lebte als Parasit in den Weichtieren, letztere in den Wirbeltieren. Deshalb nenne ich die Weichtiere „primäre Wirte“, die Wirbeltiere „sekun- däre Wirte“. Was diejenigen Tiere anbetrifft, durch welche letztere mit inzystierten Trematoden infiziert werden, so sind sie deren Wirte erst in neuester Zeit geworden und kann der frühere Name „Zwischenwirt“ nur für sie beibehalten werden; um jedoch Miss- verständnissen vorzubeugen, wäre es am besten, ihnen einen neuen Namen beizulegen: entweder „Hilfswirt“ wie Loos (1894) oder „Durchgangswirt“ wie ich vorschlug (1905). Im emzelnen stelle ich mir die Entwickelung des Parasıtismus bei den digenetischen Trematoden folgendermaßen vor. Ihr Vorfahr war anfänglich der Kommensalist eines Weichtieres, indem er sich entweder auf der Oberfläche der Muschel oder ın der Mantelhöhle seines Wirtes auf- hielt, wie wır es beim Chaetogaster sehen, und ging dann zum Para- sıtismus über (in der Organisation der Redien babe ich einige Züge erhalten, die von dieser Lebensperiode zeugen). Während einer gewissen Periode, die vor Jahreszeit bestimmt wurde, vermehrte sich dieser Kommensalist resp. Parasit in seinem Wirt nur partheno- genetisch; die Verteilung der vergrößerten Einwohnerschaft des- selben auf andere Weichtiere geschah durch eine andere, eine effoe- cundare Generation, welche am Ende der Jahreszeit auf dieselbe Weise entstanden war. Diese Generation verließ das Weichtier als geschwänzte Larven, die sich für die ungünstige Jahreszeit inzystierten, nach Beendigung derselben die Zyste verließen und ihre Entwickelung ım freien Zustande vollendeten. Die Eier dieser freien Generation wurden nach der Befruchtung auf oder in Weich- tieren abgelegt, wo sie zu einer neuen parthenogenetischen Gene- ration den Grund legten. Der Parasitismus der effoecundaren Generation entstand später: derselbe traf den Vorfahren der Trematoden gerade in dem Stadium, wo er sich als Larve in der Zyste befand. Die Zysten gerieten samt den Larven sehr oft in den Darm von Fischen und anderen Wirbeltieren zugleich mit dem Schlamm und den Gräsern, die diesen zur Nahrung dienten. Selbstverständlich gingen alle diese Formen entweder zugrunde oder sie verließen für sich unbeschadet den Darm, jedenfalls konnten sie sich nicht allmählich in Parasiten der Wirbeltiere verwandeln: damit dies geschehen konnte, musste, wie man annehmen darf, in dem Leben dieser Tierart eine Mutations- 680 Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. periode'!) eintreten und unter den Mutationen mit solchen’ Eigen- schaften ausgestattete Formen sich erweisen, welche sie befähigten, im Darm eines Wirbeltieres das parasitäre Dasein, zu welchem die Weichtiere sie vorbereitet hatten, fortzusetzen. Das neue Medium bot ihnen einen sehr günstigen Ersatz für das Wasser, in welchem sie ihre effoecundare Lebensperiode verbracht hatten und konnte ihnen zugleich als Vermittler zur Infizierung von Weichtieren, ihren primären Wirten, dienen. Daraus folgt, dass ein Teil der mit dem Parasitismus der effoecundaren Generation verbundenen Kennzeichen noch vor dem Beginn des Parasitierens selbst ın derselben ent- standen waren und dass, was am wichtigsten ist, alle diese Kenn- zeichen der Larvenform eigentümlich waren, die noch eine gewisse Periode ihres Lebens inzystiert verbringen sollte. Somit ist meiner Ansicht nach die effoecundare Generation eine Larvenform, die sich dem Parasitieren in Wirbeltieren angepasst und früh die Fähigkeit erworben hat, ihre generativen Produkte zu entwickeln, während die Redien und die Sporozysten Vertreterinnen einer stark degene- vierten aneffoecundaren Generation sind, welche gleichfalls die Fähig- keit erworben hat, ihre generativen Produkte in einem frühen Alter, welches in keinem Fall der Larvenperiode gleichgestellt werden kann, zu entwickeln. Von diesem Standpunkte aus muss man sich bei der Fest- setzung der genetischen Beziehungen der Trematoden'*) zu den anderen Vermes hauptsächlich von dem Bau der Redien, nicht aber von demjenigen der zwitterhaften Vertreter dieser Gruppe der Vermes leiten lassen. Bis zu der Veröffentlichung meiner anderen Be- obachtungen will ich es nicht unternehmen, den Stammbaum der digenetischen Trematoden zusammenzustellen und begnüge mich vorläufig mit dem Satze: der Vorfahr der digenetischen Trematoden besaß ein sekundäres Coelom (Gonocoel) und muss unter den nächsten Vorfahren der niederen Urustaceen gesucht werden. Ans Ende gelangt, will ich die Schlüsse, die aus meiner Ar- beit gezogen werden können, resümieren: Die digenetischen Trematoden müssen aus der Klasse der Platoden ausgeschlossen werden, da ihre Verwandtschaft mit den Turbellarien und Cestoden eine sehr zweifelhafte ist. Am nächsten stehen sie den Vermes oder den Arthropoden, bei welchen in 11) Es gibt Tatsachen, welche die Annahme gestatten, dass diese Periode noch fortdauert. 12) Die monogenetischen Trematoden schließe ich aus meiner Untersuchung aus, da ich überzeugt bin, dass diese Gruppe einen polyphyletischen Ursprung hat; es ist möglich, dass es unter ihnen auch Vertreter der digenetischen Trematoden, der Turbellarien, vielleicht auch noch anderer Vermes-Arten gibt. Biologisches Centralblatt 1909 Taf. VI ® ne (S) de a @ Th. Ssinitzin, Moskau Verlag von Georg Thieme, Leipzig Druck von Sinsel & Co.. G. m. b. H., Oetzsch-Leipzir Ssinitzin, Studien über die Phylogenie der Trematoden. 681 Fällen von Generationswechsel die aneffoecundare Generation nur eine parthenogenetische ist. Die frühere Hypothese, die die digene- tischen Trematoden den Platoden zurechnete, musste von ihnen anovulare Fortpflanzung erwarten, welche den Turbellarien eigen- tümlich ist und bei den parasitären Vertretern der Klasse, d. h. bei den Cestoden, so reichliche Früchte getragen hat; in: Wirklichkeit ist dies jedoch nicht der Fall, obgleich, wie in dem ersten Teil dieser Schrift gezeigt wurde, alle Bedingungen dazu vorhanden sind. Somit sind die digenetischen Trematoden keine Platoden und beruht die Ähnlichkeit mit diesen bloß auf einer zufälligen Ähnlichkeit (das Wort Konvergenz wäre hier nicht am Platz) he Kennzeichen, welche als Resuliat der Vereinfachung der Organi- sation infolge von Parasitismus oder Anpassung an eine solche Lebensweise zutage getreten sind. Erklärung der Tafel mit den Abbildungen. Alle Abbildungen wurden mittels des Zeichenapparates nach Abbe hergestellt. Reicher’s Mikroskop. Länge des Tubus — 140 mm. Der zum Zeichnen dienende Tisch war um 45 mm ee als der Objekttisch. Fig. 1. Ein stationäres Ovarium der Sporozyste von (ercaria armata. Der Schnitt geht durch die Anheftungsstelle des gestielten Ovariums (ov.) an der Körper- wand (wk.) der Sporozyste. Obj. 6, Oc. III. Fig. 2. Dasselbe. Tangentieller Schnitt durch das Ovarium nahe an dessen Anheftungsstelle. Homog. Immers. !/,,, Oc. III. Fig. 3. Dasselbe. Tangentieller Schnitt durch das Ovarium näher zur freien Oberfläche. Hom. Immers. !j,.,, Oc. III. Fig. 4 Mütterliche Sporozysten-Gründerin Dist. folium. Querschnitt durch die Sporozyste dort, wo sich ein lockeres Ovarium (ov.) befindet: eut. — Kutikula; Wk. — Körperwand, aus einigen Zellenschichten ‘bestehend. on Immers. le, Oc, HT Fig. 5. Ovarium einer Sporozyste der zweiten Generation Dist. folium Quer- schnitt. Hom. Immers. !/,,, Oec. III. Fig. 6. Eine Sporozyste Dist. folium der zweiten Generation. Querschnitt durch einen Teil der Körperwand einer jungen Sporozyste. Hom. Immers. ! Oec. II. Fig. 7. Dasselbe. Querschnitt durch einen Teil der Körperwand einer er- wachsenen mit Keimballen, die sich noch nicht zu Cercarien entwickelt haben, an- gefüllten Sporozyste. Die weitmaschige Struktur der Zellen, welche die Körperhöhle der Sporozyste auskleiedn, wurde durch kleine Fetttröpfehen, die sich in den ange- wandten Reagentien aufgelöst haben, verursacht. Hom. Immers. !/,,, Oc. II. Fig. 8. Eine mütterliche Sporozysten-Gründerin Corcaria cystophora. Or. — ihr Ovarium, Xb. — Keimballen, Sp. — Sporozysten der zweiten Generation. Ovv. — ihre Ovarien. Obj. 2, Oe. I. Fig. 9. Eine Sporozyste Cerc. cystophora. Querschnitt durch das Ovarium einer Sporozyste der zweiten Generation. Hom. Immers. !/,,, Oc. II. Fig. 10. Eine Sporozyste Cerc. eystophora der zweiten Generation. Eine junge, soeben erst aus der mütterlichen Sporozyste hervorgegangene Sporozyste. Dm. — Darm, Ov. — Ovarium, Kb. — Keimballen. Obj. 4. Oc. IH. Fig. 11. Dasselbe. Eine Beer mit Keimballen in verschiedenen Entwickelungs- stadien angefüllte Sporozyste. Obj. 4, Oec. I. I» 682 Abderhalden, Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. Fig. 12. Eine Sporozyste Dist. folium. Eine junge, Keimballen enthaltende Sporozyste. Obj. I, Oe. I. Fig. 13. Dasselbe. Eine alte, inzystierte Cercarien enthaltende Sporozyste. Obj: 2,,06.1. Emil Abderhalden, Handbuch der biochemischen Arbeitsmethoden. 1. Bd., Berlin und Wien, Urban und Schwarzenberg. Es gibt wohl kein Gebiet der Naturwissenschaften, das in den letzten Jahren eine annähernd so gewaltige Entwickelung genommen hat wie die Biochemie. Mit der Entwickelung des Gebietes selbst haben sich naturgemäß auch die Methoden gehäuft. Wie die Bio- chemie selbst ja kein einheitliches Gebiet ıst, sind auch die Me- thoden den verschiedensten Arbeitsgebieten, vor allem der Ohemie und der Physiologie entlehnt worden, unter Anpassung an die zu behandelnden Fragen. Abderhalden hat es übernommen, unter- stützt von einem großen Stab von Mitarbeitern, das reiche, in der Literatur des In- und Auslandes verstreute Material zu sichten und in dem vorliegenden Handbuch einen zuverlässigen Führer für da Laboratorium zu schaffen. Nach dem Eindruck, den der erste Teil des auf drei starke Bände berechneten Werkes macht, scheint es, dass dieser Zweck erreicht worden ist. Vor allem tritt in diesem Teil deutlich der gewaltige Einfluss hervor, den die reine Chemie auf die Arbeit des physiologischen Chemikers gewonnen hat. Fast 300 Seiten sind der allgemeinen chemischen Laboratoriumstechnik, von Kempf trefflich behandelt und reich illustriert, gewidmet. Weitere Aufsätze behandeln die Elementaranalyse (Brahm und Wetzel, Dennstedt) Halogenbestimmung (Brahm und Wetzel), Aschenanalyse (Aron), Stickstoffbestimmung nach Kjeldahl (Rona), Ultramikroskop (Schultz-Jena), Bestimmung des spezi- fischen Gewichtes und der Löslichkeit, ferner die wichtigsten stöchio- metrischen Berechnungen von Biehringer-Braunschweig. Es sei bemerkt, dass überall kein Wert darauf gelegt ist, alle überhaupt publizierten Methoden zu bringen, sondern nur die, die sich als wirklich brauchbar bewährt haben. Man darf den weiteren Teilen des Werkes mit großem Interesse entgegen sehen. L. Pineussohn-Berlin. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K, Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXIX. 15. November 1909. A RR. Inhalt: Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus der PSuiyerei und der Myrme- kophilie bei den Ameisen (Schluss). — Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flug- frosches. — Hegi, Illustrierte Flora von Mitteleuropa. Über den Ursprung des sozialen Parasitismus, der Sklaverei und der Myrmekophilie bei den Ameisen. Von E. Wasmann S. J. (Luxemburg). (170. Beitrag zur Kenntnis der nzeaspinleng) (Schluss.) Am 28. Mai derselbe Stand, aber die ig wurde jetzt von den fusca-Arbeiterinnen nicht mehr angegriffen. Sie saß jedoch noch nicht bei den Eierklumpen und der Mehrzahl der Arbeiterinnen, wo nur die fusca-Königin sich aufhielt. Letztere verharrte stets in ihrer regungslosen, zusammengekauerten Haltung, als ob sie vor der rufa-Königin sich verbergen wollte. Am 29. Mai morgens saß die rufa-Königin bereits bei den Eierklumpen und den Arbeiterinnen, über der fusca-Königin, welche sich förmlich zusammengerollt hatte. Ich hielt letztere wegen ihrer Regungslosigkeit für tot; als ich sie jedoch mit einem Strohhalm berührte, erhob sie sich sofort und lief weiter, kehrte aber bald an ihren früheren Platz und in ihre frühere Stellung zurück. Am 31. Mai derselbe Stand; beide Königinnen lebten noch. Die fusca-Königin lag regungslos zusammen- gekauert neben den Eierklumpen, die rufa-Königin saß in gewöhn- licher Stellung über oder neben ihr und wurde — ebenso wie die fusca-Königin — von den Arbeiterinnen häufig beleckt; sie war offenbar ganz aufgenommen. Mit ihren Fühlern betastete sie häufig die fusca-Königin und machte sich mit ihren Kiefern an ihr zu XXIX. . 43 b84 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. schaffen, ohne dass mir die Bedeutung dieses Benehmens klar wurde. Am 1. Juni noch derselbe Stand. Am Morgen des 2. Juni lag jedoch die fusca-Königin geköpft an ihrem bisherigen Platze, noch immer von Arbeiterinnen umgeben und beleckt, während andere die daneben sitzende r«fa-Königin beleckten. Die fusca-Königin war an Fühlern und Beinen unversehrt und zeigte auch keine Erschlaffung der Muskeln derselben, wie es bei Weibchen der Fall ist, die von den Arbeiterinnen umhergezerrt und miss- handelt worden sind; nur die Halsmuskeln waren ihr glatt durch- schnitten! Dazu waren aber die Kiefer der fusca-Arbeiterinnen überhaupt nicht fähig, sondern nur die kräftigen Kiefer der rufa- Königin. Also verfährt auch die rufa-Königin nach ihrer Adoption in einem fusca-Nest, das noch eine eigene Königin enthält, ganz ähn- lich wie die Polyergus-Königin: sie tötet die Königin der Hilfs- ameisenart, aber ohne ‘einen Kampf, indem letztere sich widerstandslos von ihr umbringen lässt! Da truneicola mit rufa sehr nahe verwandt ist, und ihre Weib- chen nur wenig kleiner und schwächer als jene von r«fa sind, so halte ich es nach diesen Beobachtungen keineswegs für unwahr- scheinlich, dass die iruneicola-Königin ebenfalls die fesca-Königin nach ihrer Aufnahme in die Kolonie tötet, obwohl sie viel weniger kampflustig ist als die r«fa-Königin. Hoffentlich werden weitere Versuche hierüber noch direkten Aufschluss geben. Ferner bin ich jetzt auch geneigt, die scheinbar friedliche Beseitigung einer ruf- barbis-Königin durch eine pratensis-Königin (W. B. 1908, S. 362) und einer »«fa-Königin durch eine pratensis-Königin (ebendort S. 365) in analoger Weise zu erklären wie die obige Beseitigung der fusca- Königin durch die r«fa-Königin. Auch in jenen beiden Fällen hielt sich die eine der beiden Königinnen förmlich zusammengekauert, während die andere mit lebhaften Fühlerbewegungen vor ihr stand und sich mit ihren Mundteilen am Kopfe der anderen zu schaffen machte. Am Ende handelte es sich auch hier um Dekapitations- versuche, die zwar nicht zur Abtrennung des Kopfes, aber doch zum Tode der so behandelten Königin führten. Man könnte vielleicht in dem oben geschilderten Verhalten der Königinnen von Polyergus und F. rufa eine Bestätigung der Emery’- schen Theorie zu sehen glauben, wonach der „primitive Einmieter- zustand“, aus welchem sowohl die Dulosis als der soziale Para- sitismus hervorgingen, ein Typus von Raubweibchen gewesen sein soll, welche in Nester einer fremden Art eindrangen, die Ar- beiterinnen und die Königin vertrieben oder töteten und der Puppen sich bemächtigten. Aber ich glaube, dass dieser Schluss unbe- rechtigt wäre. Denn die genannten fremden Königinnen, welche jene der Hilfsameisenart umbringen, sind ja tatsächlich keine Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 685 Raubweibchen, sondern Adoptionsweibchen, deren Kolonie- gründung durch friedliche Aufnahme von seiten der alten Ar- beiterinnen der Hilfsameisenart erfolgt. Die Tötung einer Ameisen- königin durch eine andere in einer wenig volkreichen Kolonie, deren Arbeitskräfte für die Unterhaltung mehrerer Königinnen und ihrer Brut vielfach nicht genügen würden, hat mit dem Ursprung der Sklaverei und des sozialen Parasitismus bei den Ameisen an sich gar nichts zu tun. Auch bei Zasius niger haben v. Buttel- Reepen‘®) und Al. Mräzek‘!) beobachtet, dass von den zwei Königinnen, welche miteinander eine Kolonie gegründet hatten, später die eine von der anderen getötet wurde. Und doch ist L. niger eine Ameise mit vollkommen selbständiger Kolonie- gründung durch einzelne Weibchen. Bei ıhr gelingt es fast allen befruchteten Weibchen (die nicht vorher von Feinden erbeutet werden), nach dem Paarungsflug neue Kolonien zu gründen, indem die Eiablage sehr rasch erfolgt (W. B. 1908, S. 332—333). Dass die Koloniegründung von ZL. niger — ebenso wie die gleichfalls selbständige Koloniegründung von F! fusca — einen sehr alten und ursprünglichen Typus darstellt, geht auch daraus hervor, dass diese Art gleich F. fusca paläontologisch ein sehr alter Dauertypus ist. Wie letztere als Formica Flori, so ist erstere als Lasius Schieffer- deekeri ım unteren Oligocän des baltischen Bernsteins zahlreich vertreten‘). Für Emery’s Theorie der primitiven Raubweibchen finden wir also auch hier keine Anhaltspunkte. 6. Vergleich zwischen den dulotischen, parasitischen und myrmekophilen Ameisen. a) Viehmeyer hat 1908) als „parasitische Ameisen“ alle jene bezeichnet, „die entweder vorübergehend oder beständig in ge- mischten Kolonien leben“. Hiernach würden auch die dulotischen Ameisen unter den Begriff der parasitischen fallen. Ich halte es jedoch für zweckmäßiger, die bisherige Trennung jener beiden Be- griffe beizubehalten, wie auch Emery und Wheeler es tun. Die dulotischen Ameisen unterscheiden sich dadurch von den para- sitischen, dass sie wenigstens einen Teil ihrer Hilfsameisen durch Sklavenraub erhalten, was bei den parasitischen Ameisen nicht der Fall ist. Ob die Gründung ihrer Kolonien durch Puppenraub 60) Soziologisches und Biologisches vom Ameisen- und Bienenstaat. Wie ent- steht eine Ameisenkolonie? (Arch. f. Rassen- u. Gesellschaftsbiologie II, 1905, Heft 1), S. 11. Vgl. auch den Nachtrag. 61) Gründung neuer Kolonien bei Lasius niger (Ztschr. f. wiss. Insektenbiol. II, 1906, Heft 3—4, S. 109—111). 62) Mayr (Ameisen d. balt. Bernsteins, S. 22) erwähnt 174 Individuen. Siehe auch Wheeler, Comparative Ethology of the Europ. and Northamerican ants p. 418. 63) Zur Koloniegründung der parasitischen Ameisen (Biol. Centralbl. XXVIII, Br), 'S. 20. 43* 6865 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. (pupllary parasitsm Wheeler’s und Santschi’s) oder durch Adoption bei alten Arbeiterinnen der Hilfsameisenart (tutelary para- sitism Wheeler’s und Santschi's) stattfindet, ıst für die Unter- scheidung der dulotischen von den parasitischen Ameisen nicht ausschlaggebend; denn während die Weibchen von Formica sanguinea Se zekene meistens, und jene von Harpagoxenus stets ihre neuen Kolonien auf dem Raubwege gründen, verfahren die Weibchen von Polyergus, dessen Arbeiterinnen auf dem Höhepunkt der Dulosis stehen, doch auf dem Adoptionswege. Die Sitte der Arbeite- rinnen, ihren Bedarf an Hilfsameisen durch geraubte Puppen zu ergänzen, ist es also, was die dulotischen Ameisen von den parasitischen wirklich unterscheidet. Das Wesen der Dulosis liegt jedoch, wıe bereits früher (S. 602) betont wurde, nicht im Raube fremder Puppen, sondern in der Erziehung derselben zu Hilfsameisen; und diese Erziehung beruht ursächlich auf der Koloniegründung mit Hilfe einer bestimmten fremden Ameisenart (oben S. 599ff.). Obwohl somit die dulotischen Ameisen von den parasitischen unterschieden sind, so bestehen doch mannigfache Berührungspunkte zwischen beiden durch Übergangsstufen, welche sie unter- einander verbinden. Diese Übergangsstufen finden sich einerseits zwischen dem temporären sozialen Parasitismus und den Anfangs- stadien der Dulosis, andererseits zwischen der Überentwickelung der Dulosis und dem permanenten sozialen Parasitismus Da bei der Gattung Formica der temporäre Parasitismus und die Sklaven- zucht von einem fakultativen Adoptionsstadium der Weib- chen ausgehend sich nach verschiedenen Richtungen divergierend abzweigen (siehe oben im 2. Teile, a), sind diese Übergänge auf den niederen Stufen der Dulosis leicht verständlich. So wissen wir 2. B. von Formica dakotensis Wasmanni heute noch nicht sicher, ob sie dulotisch ist oder parasitisch. Ferner entspricht das Be- nehmen der Arbeiterinnen von F. truncicola und exsecta gegenüber den Arbeiterpuppen fremder Arten, wenn man ihnen dieselben in künstlichen Beobachtungsnestern gibt, fast ganz demjenigen der dulotischen F. sanguinea, obwohl sie in freier Natur keine Sklaven- halter sind. Ebenso ist auch das Verhalten der rufa-Weibchen, welche eine sonderbare Mischung von parasitischen und dulotischen Neigungen zeigen, indem sie einerseits zwar friedliche Aufnahme bei alten fsca-Arbeiterinnen suchen, andererseits aber gelegentlich die Ar beiterpuppen im ser es sich aneignen und pflegen, gleichsam ein Übergang zwischen der ncchen und der dulo- bischen Koloniegründung bei Formica. Ferner sind die Weibchen des extrem oa: Po olyergus rufescens zur parasitischen Kolonie- gründung zurückgekehrt, welche dem sangzinea-ähnlichen Vorfahren- stadium einst vorausging. Schließlich bietet sich uns in der Gattung Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 687 Strongylognathus ein auffallendes Beispiel dafür, wie aus der Über- entwickelung der Dulosis ein permanenter sozialer Parasitismus hervorgehen kann (siehe oben im 4. Teile, b). Dulosis und sozialer Parasitismus bei den Ameisen zeigen somit einen bedeutungsvollen Zusammenhang. Beide beruhen sowohl ontogenetisch wie phylogenetisch auf der ab- hängigen Koloniegründung ihrer Weibehen mit Hilfe einer fremden Ameisenart. Der temporäre soziale Parasitis- mus lässt sich ferner (wenigstens bei Formica) auf einen gemein- samen Ausgangspunkt mit den Anfängen der Dulosis zurückführen; andererseits lässt sich auch der permanente soziale Parasitismus wenigstens in einigen Fällen (bei Strong. testaceus) als das End- stadium eines ehemaligen dulotischen Prozesses nachweisen. Aber der extreme Parasitismus anderer Arten kann auch auf anderem als auf dulotischem Wege entstanden sein, nämlich direkt aus dem temporären Parasitismus oder direkt aus einem ehemaligen „Gast- verhältnis“. Den ersteren dieser beiden letztgenannten Wege hat Emery in seiner Arbeit (1908, S. 359ff.) näher beleuchtet; dem letzteren müssen wir hier noch kurz unsere Aufmerksamkeit zu- wenden. b) Da erhebt sich vor allem die Frage: wodurch unter- scheiden sich denn die „parasitischen“ von den „myrme- kophilen“ Ameisen? Woran können wir erkennen, ob die be- treffende Art eine „Schmarotzerameise“ oder eine „Gastameise* ıst? Diese Frage ist nicht so einfach zu beantworten, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte. Ich habe 1902) die Symbiose (im weiteren Sinne), welche zwischen Ameisen (bezw. Terniten) und anderen Arthropoden be- steht, eingeteilt in eine individuelle und eine soziale Sym- biose®). Erstere umfasst die symbiotischen Beziehungen zwischen Ameisen (bezw. Termiten) und einzellebenden Arthropoden, letztere die symbiotischen Beziehungen zwischen Ameisen (bezw. Termiten) und sozialen Arthropoden. Erstere, die individuelle Symbiose, bildet die Myrmekophilie (bezw. Termitophilie) im engeren Sinne, letztere, die Soziale Symbiose, bildet die Myr- mekophilie (bezw. Termitophilie) im weiteren Sinne. Aus dieser Einteilung, welche, wie damals gezeigt wurde, die einzige sein’ dürfte, die nicht auf unlösbare Widersprüche stößt, geht hervor, dass es „myrmekophile Ameisen“ im engeren Sinne über- haupt nicht geben kann, da ja alle Ameisen soziale Insekten sind. Unter die „myrmekophilen Ameisen“ im weiteren Sinne fallen aber auch die dulotischen und die parasitischen Ameisen. Wir stehen 64) Neues über die zusammengesetzten Nester ete., Sep. S. 70. 65) Auch Escherich, Die Termiten, 1909, S. 119ff. hat diese Einteilung angenommen. 688 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. also abermals vor der Frage: worauf lässt sich eine Scheidung derselben von den sogen. myrmekophilen Ameisen gründen? Hier müssen wir zurückgreifen auf die schon von Forel°*®) 1874 aufgestellte und von mir %) 1891 näher ausgeführte Gruppierung der Symbiose zwischen Ameisen verschiedener Arten in zusammen- gesetzte Nester und gemischte Kolonien“), In den zu- sammengesetzten Nestern leben die fremden Ameisenarten nur art, in den gemischten Kolonien verbinden sie sich zu einer Haushaltung, zu einer Kolonie. Nun hat namentlich Wheeler‘®) 1901 gezeigt, dass zwischen diesen beiden Kategorien sich Übergänge finden. So lebt z. B. die nordamerikanische Gast- ameise Leptothorax Emersoni in den Nestern von Myrmica_ brevi- nodis zwar insofern selbständig, als sie ein gesondertes Nest inner- halb der Grenzen des Wirtsnestes baut und auch ihre Brut gesondert erzieht; aber in ihrer Ernährungsweise ist sie von ihren Wirten abhängig, indem sie durch zudringliche Bettelei sich aus dem Munde derselben füttern lässt. Man könnte sie also in bezug auf ıhre Ernährungsweise ebensogut als „Gast“ wie als „Parasiten“ ihrer Wirte ba en Ja sogar die in zusammengesetzten Nestern mit größeren Ameisen kabana kleine gelbe Diebsameise (Solenopsis fugax) müsste man nach ihrer Ernährungsweise „parasitisch“ nennen, weil sie durch enge Schleichpfade in die Nestkammern der Nachbarn eindringt und dort von den Larven und Puppen derselben zehrt. Wie sollen wir also die „myrmekophilen“ Ameisen von den „para- sitischen“ scheiden? Am geeignetsten dürfte wohl die Form der Koloniegründung sein. Jene Arten, deren Weibchen ihre Kolonien mit Hilfe von Arbeiterinnen oder Weibchen "')einer fremden Art gründen, wären als parasitisch oder, wenn sie überdies neue Hilfsameisen durch Puppenraub sich verschaffen, als dulotisch zu bezeichnen. Jene Arten dagegen, welche zwar in Symbiose mit anderen Ameisen leben, aber ın anne auf ihre Koloniegründung von der Mitwirkung der letzteren Art nicht abhängig sind, würden wir myrmekophile Ameisen nennen. Die parasitischen und dulotischen Ameisen wären also als Arten mit abhängiger Koloniegründung zu charakteri- sieren, die ee en als Arten mit selbständiger Koloniegründung, die jedoch in der Nachbarschaft einer fremden Ameisenkolonie erfolgt, in oder nahe bei dem Neste einer 66) Fourmis de la Suisse. 67) Die zusammengesetzten Nester und gemischten Kolonien. 68) Der Begriff der gemischten Kolonien (fourmilieres mixtes) stammt schon von P. Huber (1810) und v. Hagens (1867). 69) The compound and mixed nests of American Ants. 70) Dieser Zusatz scheint wegen der Koloniegründung von Strong. testaceus erforderlich. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitisınus etc. 689 „Wirtsart“. In ersterem Falle, bei der abhängigen K.oloniegründung, wird stets eine temporär oder permanent „gemischte Kolonie“ resultieren, im letzteren Falle dagegen zunächst wenigstens nur ein „zusammengesetztes Nest“. Je nach der Beschaffenheit der beiden Komponenten, welche in einem zusammengesetzten Neste nebeneinander leben, kann aus ihrem nachbarlichen Verhältnis — sei es nun ein freundliches oder ein feindliches — schließlich eine ge- mischte Kolonie werden oder nicht. Keine gemischte Kolonie wird sich ergeben, wenn die beiden nebeneinander wohnenden Arten systematisch einander so ferne stehen, dass ihre Arbeiterinnen nicht in nähere gesellige Beziehungen zueinander treten können, nament- lich aber, wenn die Erziehung der Brut der einen Art durch die Arbeiterinnen der anderen Art ausgeschlossen ist. Stehen jedoch die beiden beisammen wohnenden Arten emander systematisch nahe, so kann aus dem ursprünglichen zusammengesetzten Nest schließlich eine gemischte Kolonie werden, in welcher zunächst beide Arten, die myrmekophile sowohl wie die Wirtsart, durch sämtliche Formen (Arbeiterinnen, Männchen und Weibchen) vertreten sind. Diesem Verhältnisse nähert sich z. B. Leptothorax Emersoni als Gastameise von Myrmica brevinodis, wahrscheinlich auch Leptothorax (Dichothorax) Pergandei bei Monomorium minutum minimum. c) Aus diesen Erwägungen scheint mir hervorzugehen, dass der permanente soziale Parasitismus bei den Ameisen nicht bloß aus einem ehemaligen temporären Parasitismus oder aus einer ehe- maligen Dulosis hervorgehen kann, sondern auch aus einem ehe- maligen „Gastverhältnis“, welches mit zusammengesetzten Nestern beginnend zum Stadium der gemischten Kolonien fortschreitet. Wenn die Gastart einmal in bezug auf ihre Ernährungsweise so weit von der Wirtsart abhängig ist, dass sie aus dem Munde der letzteren sich füttern lässt, so ist kein großer Sprung mehr bis zur gemein- schaftlichen Erziehung der Brut. Wird aber einmal die Brut der Gastart ebenfalls durch die Arbeiterinnen der Wirtsart erzogen, so kann leicht der Fall eintreten, dass letztere die Brut der Gastart gegenüber ihrer eigenen Brut bevorzugen, indem sie mit be- sonderer Vorliebe dıe Ge len der Gastart erziehen und dieselben gleichsam an die Stelle der eigenen Geschlechtstiere treten lassen.‘ Diesen scheinbar paradoxen Vorgang sehen wir z. B. in den Formica-Kolonien, welche die Larven von Käfern aus der Gruppe der Lomechusini erziehen ; bei Formica sanguwinea, bei welcher die Erziehung der Lomechusa-Larven diejenige der eigenen Weibchen- larven schließlich vollständig vertritt und dadurch häufig zur Pseudo- gynenbildung führt’!), treffen wir diese vikariierende Aufzucht 71) Vgl. die ergatogynen Formen bei den Ameisen (Biol. Centralbl.. 1895, Nr. 16 u. 17); Neue Bestätigungen der Lomechusa-Pseudogynentheorie (Verh. d. 690 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. fremder Geschlechtstiere an Stelle der eigenen im höchsten Grade. Eine ganz ähnliche Erscheinung sehen wir aber auch in den ge- mischten Kolonien von Strong. testaceus mit Tetramorium caespitum, in denen die Königinnen beider Arten vorhanden sind, aber trotz- dem für gewöhnlich”) neben Arbeiterinnen beider Arten nur die Geschlechtstiere der ersteren Art aufgezogen werden! Wie auch Forel’’) annımmt, bevorzugen die Tetramorium die Er- ziehung der Männchen und Weibchen von Strongylognathus gegen- über denjenigen der eigenen Art deshalb, weil erstere viel kleiner sind als letztere, und ihre Erziehung weit weniger Nahrungsaufwand erfordert als jene der sehr großen geflügelten Geschlechter von Tetramorium. Wir wissen nun allerdings aus anderen Gründen, dass der permanente soziale Parasitismus von Strong. testaceus aus einem ehemaligen Sklavereiverhältnis hervorgegangen ist, nicht aus einem ehemaligen Gastverhältnis. Aber für das Verschwinden der Geschlechtstiere der Wirtsart in diesen gemischten Kolonien würde doch dieselbe Erklärung gelten, auch wenn die Vorfahren von Strong. testaceus keine Sklavenräuber, sondern echte Gastameisen von Tetramorium gewesen wären. Ich halte es deshalb keineswegs für unwahrscheinlich, dass z. B. die bei Monomorium-Arten lebenden arbeiterlosen Schmarotzerameisen der Gattungen Epoecus und Whee- leriella aus der parasitischen Degeneration eines ehemaligen Gast- verhältnisses hervorgegangen sein können. Der schließliche Verlust der eigenen Arbeiterkaste würde in diesem Falle ebenso zu erklären sein, wie wenn der permanente soziale Parasitismus aus einem ehemaligen temporären Parasitismus oder aus einer ehemaligen Dulosis sich entwickelt hätte; denn auf allen diesen drei Entwicke- lungswegen wurde, sobald sie auf der Bahn der parasitischen De- generation zusammengetroffen waren, die eigene Arbeiterkaste der ee Art schließlich überflüssig. Dass auch ein dulotisches Verhältnis aus ursprünglich nat barlichen Beziehungen in zusammengesetzten Nestern entstehen kann, wurde oben (im 3. Teile dieser Arbeit) bei dem hypothe- tischen Entwickelungsgang von Harpagoxenus (Tomognathus) näher gezeigt. Ob der Sklavereiinstinkt diese Raubameise wirklich aus einem ehemaligen Diebsverhältnis zu ZLeptothorax hervorgegangen ist, lässt sich allerdings nicht so zuverlässig begründen, wie die Entwickelung des Sklaven elinstinktes bei Formica aus Fr Anfangs- Deutsch. Zool. Gesellsch. 1902, S. 98—108); Ameisen und Ameisengäste von Luxem- burg, III. Teil, 1909, S. 51—72. 72) Nur äußerst selten trifft man vereinzelte Puppen von Geschlechtstieren der T’etramorium in diesen Kolonien (Die zusammengesetzten Nester, 1891,S. 111—112). 73) Sklaverei, Symbiose und Schmarotzertum bei Ameisen. Mitt. Schweiz. Entom. Gesellsch. Bd. XI, 1905, Heft 2, S. 85—89. Vgl. auch Wasmann, Die zusammengesetzten Nester, 1891, S. 113. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 691 stadium des temporären Parasitismus; aber unter den bisherigen Erklärungen für den Ursprung der Dulosis von Harpagowenus hat jene Erklärung wenigstens einstweilen die meiste Wahrscheinlich- keit für sich. Aus ehemaligen „myrmekophilen“ Ameisen können also sowohl parasitische als auch dulotische Arten werden. Dies steht scheinbar in Widerspruch mit Emery’s vortreff- licher Tabelle (S. 362), welche darauf hinweist, dass die dulotischen und die parasitischen Ameisen mit den Gattungen oder Arten ihrer heutigen Hilfsameisen nahe verwandt sind, und von ihnen wahr- scheinlich abstammen, während die myrmekophilen Ameisen mit ihren Wirtsarten nicht näher verwandt sind, ja meist sogar zu anderen Unterfamilien des Ameisenstammes gehören als letztere. Wie ist dieser Gegensatz zu erklären? Die heutigen myrmekophilen Ameisen sind „myrmekophil* geblieben und nicht zu parasitischen oder dulotischen Arten ge- worden eben deshalb, weil ihre Weibchen sich beı der Kolonie- gründung in der Nachbarschaft von systematisch fernstehenden Arten niederließen. Diejenigen Ameisen dagegen, deren Weibchen sich zur Koloniegründung bei systematisch ihnen nahestehenden Arten niederließen, sind zu parasitischen oder zu dulotischen Ameisen geworden, und zwar auf doppeltem Wege, entweder direkt oder indirekt: 1. Direkt, indem die Weibchen in das fremde Nest eindrangen und dort entweder von den alten Arbeiterinnen sich adoptieren ließen (parasitischer Weg), oder, von diesem adoptiven Anfangs- stadium abweichend, später mit Gewalt der Arbeiterpuppen des Nestes sich bemächtigten und mit den aus ihnen erzogenen Hilfs- ameisen ihre neue Kolonie gründeten (dulotischer Weg). 2. Indirekt, indem sie anfangs mit ihrer Wirtsart in zu- sammengesetzten Nestern lebten, aus denen dann allmählich ge- mischte Kolonien sich herausbildeten, welche je nach der Beschaffen- heit des vorausgegangenen freundlichen oder feindlichen Verhältnisses zwischen den Nachbarn entweder die parasitische oder die dulo- tische Entwickelungsrichtung einschlugen. Den myrmekophilen Ameisen ist somit ein Moment gemein- sam mit den parasitischen und den dulotischen Arten: die Ein- mietung ihrer Weibchen bei einer fremden Ameisenart. . Von diesem „primitiven Einmieterzustand“ aus führen die Ent- wickelungsbahnen der Myrmekophilie, des sozialen Parasitismus und der Dulosis nach verschiedenen Richtungen, die jedoch ın ihrem Verlaufe wiederum mannigfache Konvergenzerscheinungen zeigen. So blieb z. B. ein Zweig der myrmekophilen Richtung bei dem Leben in zusammengesetzten Nestern stehen, während ein anderer Zweig zu gemischten Kolonien von parasitischer oder dulo- tischer Natur führte. So ging ferner die dulotische Richtung von 692 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. einem Anfangsstadium des temporären Parasitismus aus, um dann durch Überentwiekelung der Dulosis zum extremen sozialen Para- sitismus zu gelangen, während die parasitische Richtung teilweise direkt zu dem nämlichen Resultate führte. Die gegenwärtigen biologischen Verschiedenheiten zwischen den myrmekophilen, den parasitischen und den dulotischen Ameisen sind als das Ergebnis einer stammesgeschichtlichen Entwicke- lung zu betrachten, welche sich verschieden gestaltete je nach dem speziellen Ausgangspunkt und dem speziellen Verlauf der ein- zelnen Entwickelungsreihen. Nehmen wir emige Beispiele aus der zu Leptothorax gehörigen Formengruppe. Leptothorax Emersoni ist zu einer echten Gastameise von Myrmica brevinodis geworden, Dichothorax Pergandei zu einer Gastameise von Monomorium mini- mum, Symmyrmica Chamberlini zu einer Gastameise von Myrmica mutica, alle drei in Nordamerika. Formicoxenus nitidulus”*) in Europa ist nur ein indifferent geduldeter Einmieter in den Nestern von F. rufa und pratensis geblieben, während Formicox. Ravouxi zu einer echten Gast- oder Schmarotzerameise von Leptothorax uni- fasciatus geworden zu sein scheint. Andererseits hat sich vom Leptothorax-Stamme auch die Gattung Harpagoxenus abgezweigt, welche ihre ehemaligen Stammesgenossen schließlich zu ihren Sklaven machte, sowohl in Nordeuropa als in Nordamerika. Die Gattung Myrmoxenus (Gordiagini) endlich steht entweder in dulotischem oder in permanent-parasitischem Verhältnisse zu Leptothorax (servi- cuhıs) in Westsibirien. Es haben also von der Gattung Leptothorax aus verschiedene hypothetische Entwickelungsprozesse zur Ent- stehung von mannigfach verschiedenen myrmekophilen, parasitischen und dulotischen Ameisen geführt. 7. Entstehung neuer parasitischer Ameisen dureh den Polymorphismus der Wirtsart. a) Von besonderem phylogenetischen Interesse sind jene arbeiter- losen parasitischen Ameisen, welche mit ihren heutigen Hilfsameisen sehr nahe verwandt sind: Sympheidole und Epipheidole, die bei Pheidole-Arten Nordamerikas leben, mit Pheidole; Epixenus Andrei, der bei Monomorium venustum in Palästina lebt, mit Monomorium; Myrmica myrmicozena, die bei Myrmica lobicornis in der Schweiz lebt, mit eben dieser Myrmica. (Siehe auch den Nachtrag über 74) Ich mache hier darauf aufmerksam, dass bei den myrmekophilen Gattungen Formicoxenus und Symmyrmieca die Männchen flügellos und ergatomorph sind, während bei dem parasitischen Epoecus die Männchen zwar geflügelt, aber sehr weibchenähnlich (gynäkomorph) sind; Anergates endlich besitzt flügellose, sonderbar degenerierte puppenähnliche Männchen. Ergatomorphe Männchen kommen auch - bei den nichtmyrmekophilen Gattungen Ponera und Cardiocondyla vor (vgl. Emery, Zur Kenntnis des Polymorphismus der Ameisen, Biol. Oentralbl. 1906, 3. 624—630). Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 693 Myrmica myrmecophila.) In den beiden letzten Fällen ist die systematische Verwandtschaft zwischen Parasit und Wirt so nahe, dass Epixenus Andrei ursprünglich als anormale Weibchenform von Monomorium venustum beschrieben wurde, und Myrmica myr- micoxena als anormale Weibchenform von Myrmica lobicornis. Hierzu kommt noch eine merkwürdige neue mutmaßliche Schmarotzer- ameise, welche von P. W. Deckelmeyer bei Barro in Portugal am 4. Juni 1908 in einer Kolonie von Pheidole pallidula Nyl. ent- deckt und mir zugesandt wurde. Auf den ersten Blick gleicht sie einer Zwischenform von Soldat und Arbeiterin dieser Ameise; ich beschreibe sie als Pheidole symbiotica”®). Es wurden nur einige 75) Pheidole symbiotica n. sp. (Fig. 1 u. 2 S. 694). Arbeiterin oder ergatoides Weibehen. — 4 mm lang, gelbbraun, mit braunem Hinterkopf und Hinterleib, mit abstehenden gelben Haaren, die nament- lich auf dem Hinterleib sehr lang und dicht sind, bekleidet. Vorderkopf längs ge- runzelt, Hinterkopf und Clypeus glatt, ziemlich glänzend wie der übrige Körper. Körperlänge derjenigen des Soldaten von Pheidole pallidula entsprechend, der Kopf jedoch viel kleiner, in Form und Größe in der Mitte stehend zwischen Soldat und Arbeiterin von Ph. pallidula, rundlich, Hinterkopf schwach ausgebuchtet, mit einer seichten Scheitelrinne, die in einer einzigen Ozelle endigt. Seitenozellen fehlen. Augen größer als beim Soldaten von Ph. pallidula. Stirnfeld dreieckig, viel größer und seichter als bei Ph. pallidula, nicht grübchenartig vertieft. Die Ränder des Stirnfeldes sind scharf begrenzt durch die erhabenen inneren Kanten der Stirnlappen (bei Ph. pallidula fehlen diese scharfen Ränder des Stirn- feldes bei allen Kasten). Fühlerschaft den Hinterrand des Kopfes erreichend, Fühlergeißel relativ länger als beim Soldaten und beim Weibchen von Ph. pallidula, die dreigliedrige Keule länger als der Basalteil der Geißel. Kopfschild (Clypeus) flach gewölbt, in der Mitte schmal ausgerandet, ohne Längskiel (bei Soldat und Weibchen von Ph. pallidula mit scharfem, schmalen Mittelkiel, bei der Arbeiterin stärker gewölbt und vorne nicht ausgerandet). Oberkiefer groß, flach dreieckig, mit fast geradem Außenrande, der erst an der zweizähnigen Spitze plötzlich gekrümmt ist (bei Ph. pallidula sind die Oberkiefer stärker gewölbt, mit allmählich gebogenem Außenrande); Innenrand der Kiefer gerade, ungezähnt, wie beim Soldaten von Ph. pallidula; die borstentragenden Punkte der Kiefer sind kleiner und seichter als bei letzterem. Thorax schmaler und schlanker als beim Soldaten von Ph. palli- dula, sonst ähnlich gebaut, stark eingeschnürt zwischen Mesonotum und Metanotum, Epinotum mit kurzen, zahnförmigen Dornen. Das zweite Stielchenglied doppelt so breit wie lang, ähnlich wie beim Weibchen von Ph. pallidula. Hinterleib länger als beim Soldaten von Ph. pallidula, viel dichter und länger gelb behaart. Auch die Behaarung des Kopfes und Thorax ist länger als bei letzterem, die Unter- seite des Kopfes trägt nur spärliche, aber lange Haare (ähnlich wie bei der Ar- beiterin von Ph. pallidula, während sie beim Soldaten viel kürzer und dichter be- haart ist). Beine wie bei Ph. pallidula. Da bei Ph. pallidula keine Zwischenformen von Soldat und Arbeiterin bekannt sind, da ferner die Stirnozelle und die Größe des Hinterleibes auf einen weiblichen Einschlag hinweisen, ist diese Form wahrscheinlich als ergatoides Weibchen zu bezeichnen. Dafür, dass sie als neue Art zu betrachten ist, welche parasitisch bei der Stammform lebt, sprechen außer den obigen Fundangaben Deckelmeyer’s . auch manche morphologische Verschiedenheiten (in der Bildung des Stirnfeldes, des Kopfschildes und der Oberkiefer, sowie die viel längere und dichtere gelbe Be- haarung des Hinterleibes). 694 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. monomorphe Arbeiterinnen gefunden, die jedoch wahrscheinlich — nach ihrer Stirnozelle und dem relativen Umfang des Hinter- leibes — ergatoide Weibchen sind. Die aus der betreffenden Kolonie von Pheidole pallidula mitgesandten Puppen gehören zu dieser parasitischen Form; von pallidula scheint keine Königin im Neste gewesen zu sein, sondern nur Soldaten und Arbeiterinnen. (Vgl. den Nachtrag.) Wir dürfen deshalb wohl annehmen, dass es um eine neue Schmarotzerameise sich handelt, und zwar um eine Schmarotzerameise in einem sehr frühen Stadium ihrer Entstehung. Auf welchem Wege haben wohl Epixenus Andrei, Myrmica myrmicoxena und Pheidole symbiotica von ihren Wirtsarten sich abgetrennt, bei denen sie leben und mit denen sie äußerst nahe Fig. 1. Fig. 2. Fig. 1. Pheidole symbiotica Wasm.n. sp. (Zeiß a,, Oec. 2). Fig. 2. Kopf derselben von vorne (Zeiß AA, Oc. ]). verwandt sind? Wahrscheinlich durch Entstehung einer neuen weiblichen Form ihrer Wirtsameise, also auf dem Wege des Polymorphismus. Stellt uns dieser Vorgang nicht etwa die erste Stufe des Entwickelungsprozesses einer parasitischen Art dar? Können nicht vielleicht die Gattungen Sympheidole und Epiphetdole und eventuellnoch andere Gattungen permanent-parasitischer Ameisen auf diesem Wege entstanden sein? Diese Hypothese würde uns erklären, wie arbeiterlose parasitische Ameisen auf direktem Wege entstehen können, ohne jemals eine eigene Arbeiter- kaste besessen zu haben, seitdem sie sich von ihrer Stammart abgetrennt haben! v. Hagens hatte 1867°°) für Strong. testaceus die Hypothese 76) Über Ameisen mit gemischten Kolonien (Berl. Ent. Ztschr. XI, S. 101—108), S.106. Für Myrmica atratula Schenk, welche Forel 1874 zur Gattung Anergates erhob, hat v.Hagens daselbst zuerst ausgesprochen, dass sie eine arbeiterlose Ameise sei. Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 695 aufgestellt, derselbe sei eine „monströse Abart“ von Tetramorium, und durch Polymorphismus der Arbeiterform aus Tetramorium caespitum entstanden. Nun wissen wir allerdings seit der Ent- deckung der südlichen Strongylognathus-Arten (Huberi, Oristofi, Reh- binderi, afer, Ceciliae), dass unser Strong. testaceus einen durch Rück- bildung der Dulosis permanent-parasitisch gewordenen Zweig einer südlichen dulotischen Gattung darstellt. Wie diese aus Tetramorium ursprünglich entstanden ist, dafür fehlen uns zuverlässige Anhalts- punkte; aber es ist keineswegs unwahrscheinlich, dass sie durch einen Polymorphismus der weiblichen Formen ihrer Stammgattung und heutigen Wirtsgattung von letzterer sich abgezweigt hat. Selbstverständlich bildet Strongylognathus gegenwärtig eine von Tetramorium systematisch verschiedene Gattung, welche offenbar nicht als „monströse Abart“ von Tetramorium caespitum gedeutet werden kann. Aber der durch v. Hagens zuerst ausgesprochene Gedanke, die Entstehung parasitischer oder auch dulotischer Ameisen aus ihrer Wirtsart auf dem Wege des Polymorphismus zu er- klären, ist jedenfalls eine fruchtbare Hypothese, die wir hier etwas näher erörtern wollen. Den ersten Beginn der Abgrenzung der neuen Form müssen wir wohl in einer mehr oder weniger sprungweisen Mutation sehen, welche zur Entstehung einer heteromorphen Weibchenform oder Weibchen- und Arbeiterform bei der Stammart führte; erst später würden auch die Männchen (durch Korrelation) von jenen der Stammform abgewichen sein. Auch heute noch lassen sich beispielweise die Männchen von Harpagoxenus (Tomognathus) nur schwer von jenen des Leptothorax acervorum unterscheiden, während die weiblichen Formen sehr von letzterer Art abweichen. Je mehr aber in der weiteren Entwickelung der neuen Mutante die hetero- morphen weiblichen Formen gegenüber den normalen alten über- wogen und dieselben immer mehr verdrängten, desto weiter trennte sich die neue Art von der Stammart ab; waren endlich die nor- malen Weibchenformen in den betreffenden Kolonien ganz ver- schwunden, so war bereits eine „neue Art“ aus der Stammart hervorgegangen. Aber schom vorher musste auch die Lebens- weise der mutierenden Art sich geändert haben; sonst wäre sie ausgestorben. In ihren Kolonien hatten ursprünglich die hetero- morphen weiblichen Formen noch die Unterstützung der normalen Weibchen und Arbeiterinnen bei der Brutpflege etc. gefunden; je seltener aber letztere in den mutierenden Kolonien wurden, desto notwendiger ward es für die neue Weibchenform, ihre Kolonien in Abhängigkeit von jenen der alten Normalform zu gründen: ihre Weibchen mussten zur Koloniegründung die Nach- barschaft von Nestern der Stammart aufsuchen und in dieselben sich entweder gleich aufnehmen lassen oder zusammengesetzte Nester 696 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. mit ihnen bilden, die dann später zu gemischten Kolonien wurden, während im ersteren Falle direkt gemischte Kolonien sich ergaben. Die frühere Stammart war hierdurch bereits zur Wirtsart der neuen Art geworden, und letztere zu einem „Parasiten“ der ersteren. Die weitere Entwickelung des sozialen Parasitismus erfolgte dann auf’ dem schon früher beschriebenen We ege durch Abnahme der Körpergröße der Weibchen der parasitischen Art und durch Zunahme der Zahl ıhrer Geschlechtstiere auf Kosten der Arbeiter- zahl, bis endlich die parasitische Form die eigene Arbeiterkaste ganz verlor — falls sie dieselbe nicht schon vor ihrer Abtrennung von der Stammart verloren hatte. Wenn nämlich die neuent- standene heteromorphe Weibchenform in den mutierenden Kolonien der Stammart erheblich kleiner war als die alten normalen Weibchen, so konnten die Arbeiterinnen dieser Kolonien schon lange vor der definitiven Abtrennung der neuen parasitischen Art damit beginnen, aus den Eiern der heteromorphen Form kleine Geschlechtstiere zu erziehen, welche viel weniger Nahrungsaufwand erforderten als die großen normalen Geschlechtstiere, während sie aus den befruchteten Eiern der großen normalen Weibchen fast nur noch Arbeiterinnen erzogen. So konnte es schließlich dahin kommen, dass die neue kleine heteromorphe Weibchenform über- haupt nur noch Geschlechtstiere lieferte. War sie dann schließlich zu einer neuen „parasitischen Art“ geworden, deren be- fruchtete Weibchen sich regelmäßig in den Kolonien der Stammart aufnehmen ließen, so war sie damals bereits eine „arbeiterlose Schmarotzerameise“, die ihre Arbeiterkaste nicht erst zu ver- lieren brauchte, weil sie dieselbe schon verloren hatte! So unge- fähr könnten wir uns eine direkte Entstehung neuer arbeiterloser Ameisenarten und Gattungen durch den Polymorphismus der Wirtsart vorstellen. b) Wir haben somit vier verschiedene Wege zu unter- scheiden, auf denen eine extrem parasitische arbeiterlose Ameise entstanden sein kann. Erstens durch Übergang vom temporären zum permanenten sozialen Parasitismus (oben S. 655). Zweitens durch Rückbildung einer ehemaligen Dulosis in extrem parasitischer Richtung (oben S. 659). Drittens durch parasitische Degeneration eines ehemaligen Gastverhältnisses (oben S. 689). Viertens endlich durch die sprungweise Entstehung einer neuen heteromorphen Weibchenform bei einer zum Polymorphismus neigenden Myrmicinen- gattung (oben S. 694). Welche dieser Möglichkeiten für die ver- schiedenen arbeiterlosen Schmarotzerameisen tatsächlich zutrifft, ist zurzeit nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Für Anergates ist die Entwickelung aus einer ehemals dulotischen Form nicht so un; wahrscheinlich, wie Emery glaubte. Für Epoecus, Wheeleriella, Wasmann, Über den Ürsprung des sozialen Parasitismus etc. 697 Sympheidole und Epipheidole werden wir wohl zwischen einer der drei übrigen Möglichkeiten zu wählen haben, die jedoch nicht so scharf getrennt sind, da aus dem Polymorphismus der Stammart teils ein temporärer Parasitismus, teils ein myrmekophiles Ver- hältnis, das später zu einem parasitischen wird, teils direkt ein permanenter sozialer Parasitismus bei der abstammenden Art her- vorgehen kann. Bei Formen, die mit ihren Wirten äußerst nahe verwandt sind, wie Epixenus Andrei, Myrmica myrmicoxena und Pheidole symbiotica ist die direkte Entstehung einer heteromorphen arbeiterlosen Weibchenform vielleicht sogar am wahrscheinlichsten. Hieraus folgt, dass auf dem Wege der biologischen Kon- vergenz’”) ganz verschiedene Entwickelungsprozesse zu einem sehr ähnlichen Resultate geführt haben können. Aus der Ähnlichkeit der heutigen Endstadien der betreffenden Entwickelungsprozesse allein können wir daher noch keineswegs auf die Ähnlichkeit der stammesgeschichtlichen Vorgänge selber schließen. Wir müssen vielmehr die heutige parasitische Art mit ihrer mutmaßlichen Stammart sorgfältig vergleichen und dann prüfen, welcher der ver- schiedenen möglichen Wege für diesen speziellen Fall der wahrscheinlichste ist. Ferner folgt hieraus, dass wir keineswegs alle extrem para- sitischen Ameisen von vornherein für phylogenetisch sehr alte Formen halten dürfen, wie ich es früher selber glaubte. Ihr Alter kann vielmehr ein sehr verschiedenes sein, je nach dem Entwicke- lungsprozess, welcher zu dem heutigen Stadium führte. Für Arten, welche durch Mutation der Weibchenform ihrer Wirtsart direkt zum Verlust der Arbeiterkaste gekommen sind, brauchen wir oflen- bar viel kürzere Zeit in Anspruch zu nehmen, als für solche, die 77) Vorzügliche Beispiele für die von Osborn (The ideas and terms of modern philosophical anatomy in: Science, XXI, 1905, p. 960) charakterisierten Begriffe der divergenten, parallelen und konvergenten Entwickelung finden wir, auf biologisches Gebiet übertragen, in den Entwickelungsprozessen der dulotischen und parasitischen Ameisen: 1. Divergente Entwickelung: zwischen Formica und Polyergus, Tetramorium und Strongylognathus, Leptothorax und Harpagoxenus; zwischen Formica rufa und sanguinea, rufa und exwsecta, rufa und truncicola etc. 2. Parallele Entwickelung: zwischen Formica truncicola und exsecta, conso- cians und microgyna, montigena und Wasmanni (bei letzteren ist sogar auffallende Ähnlichkeit der kleinen, gelben, glänzenden Weibchen vorhanden). 3. Konvergente Entwickelung: zwischen Polyergus, Strongylognathus und Harpagoxenus in dulotischer Richtung, zwischen Formica truncicola und Aphaenogaster tenesseensis in temporär parasitischer; Richtung; zwischen Wheeleriella, Epipheidole und Anergates in extrem parasitischer Richtung. Zwischen Sympheidole und Epipheidole, die beide von Pheidole abstammen, und zwischen Epoecus und Wheeleriella, die beide wahrscheinlich von Monomorium abstammen, wird man richtiger von paralleler als von konvergenter Entwickelung sprechen. 698 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. durch parasitische Degeneration einer ehemaligen Dulosis zu einem ähnlichen Endresultate gelangten. Vergleichen wir ferner die Unterfamilie der Camponotinen (Formieinen) mit der Unterfamilie der Myrmicinen, so finden wir zwar, dass erstere keine einzige permanent parasitische Art enthält, während letztere zahlreiche extrem parasitische Gattungen um- schließt. Aber wir dürfen hieraus nicht folgern — wie ich es früher (1905) selber getan — dass bei den Myrmicinen im allge- meinen die parasitischen Entwickelungsprozesse in einer viel früheren geologischen Zeit begonnen haben als bei den Camponotinen. Wenn es auch auf Grund der vergleichenden Mor- phologie des Ameisenstammes wahrscheinlich ist, dass die Campo- notinen einen phylogenetisch jüngeren Ast darstellen als die Myr- micinen, so folgt hieraus doch noch nicht, dass auch die parasitischen, dulotischen und myrmekophilen Entwickelungsprozesse bei den Myrmieinen im allgemeinen viel früher begonnen haben als bei den Camponotinen; denn dafür waren allein die Anpassungsbedin- gungen maßgebend, welche bei Gliedern von verschiedenen Unter- familien des Ameisenstammes entweder gleichzeitig oder verschieden- zeitig zur Abhängigkeit der Koloniegründung der Weibchen von der Mitwirkung oder von der Nachbarschaft einer fremden Art führen konnten. Tatsächlich finden wir unter den tertiären Ameisen (nach Handlirsch) bereits 139 Arten von Üamponotinen neben 85 Arten von Myrmicinen. Merkwürdigerweise war, worauf Wheeler (Comparative Ethology 1908, p. 418) aufmerksam macht, der Poly- morphismus der Arbeiterform bei den tertiären Myrmicinen ebenso wenig entwickelt wie bei den tertiären Camponotinen. Es ist daher sehr fraglich, ob die heute bei manchen Myrmieinengattungen so hochentwickelte Tendenz zum Polymorphismus schon damals vor- handen war. Die Paläontologie sagt uns also über das relative Alter der parasitischen Entwickelungsprozesse bei Myrmicinen und Camponotinen einstweilen gar nichts, und wir sind darauf be- schränkt, das mutmaßliche Alter der betreffenden parasitischen Formen aus dem morphologischen und biologischen Vergleich mit ihren heutigen Wirtsarten zu erschließen. c) Wenden wir uns nun zur Bedeutung des Polymorphismus für die Entstehung der Dulosis. Auch eine dulotische Entwicke- lungsrichtung konnte durch Mutation der Weibehen- und Arbeiter- form in den Kolonien einer Stammart entstehen, indem eine neue, besonders kräftige und raublustige Arbeiterkaste sich ausbildete, während die alte kleinere und schwächere Arbeiterform immer mehr auf die Besorgung des Nestbaues und der Brutpflege sich ein- schränkte. Sobald dann die befruchteten Weibchen dieser mu- tierenden Form von der selbständigen zur abhängigen Kolonie- gründung übergingen und in den Nestern der Stammform sich Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 699 aufnehmen ließen, war auch schon die Dulosis, der Sklavenzucht- instinkt, gegeben; denn dafür, dass unter den fremden Arbeiter- puppen, die als Beute ins Nest geschleppt wurden, gerade diejenigen der zur Hilfsameisenart gewordenen Stammart erzogen wurden, war bereits durch die Koloniegründung der Weibchen mit Hilfe von Arbeiterinnen eben dieser Art gesorgt. Schließlich konnte dann auch eine eigene Arbeiterkaste mit Säbelkiefern bei der dulotischen Art sich ausbilden, während die ursprüngliche Arbeiterform, die durch die Hilfsameisen ersetzt wurde, ganz in Wegfall kam. Auf diesem Wege ließe sich die Entwickelung einer Gattung wie Stron- gylognathus aus einer Tetramorium-Art, oder einer Gattung wie Polyergus aus einer Formica-Art, auf dem Wege des Polymorphis- mus der weiblichen Formen (Weibchen und Arbeiterinnen) erklären. d) Da, wie Emery richtig bemerkt hat, die dulotischen und die parasitischen Ameisen mit ihren heutigen Hilfs- ameisen nahe verwandt sind und von den Gattungen der letzteren wahrscheinlich abstammen, ist eine Beteiligung des Polymorphismus der Stammarten eigentlich selbst- verständlich; denn es handelt sich ja um Bildung neuer weib- licher (und erst sekundär auch neuer männlicher) Formen von einer Stammart aus. Aber diese Beteiligung kann eine sehr verschie- dene sein, und wir müssen uns deshalb hüten, jener Hypothese eine zu schablonenmäßige Fassung zu geben. Verstehen wir unter „Polymorphismus“ nur die morpho- logische und biologische Differenzierung der weiblichen Formen der Stammart, die mit der Arbeitsteilung in den Kolonien Hand in Hand ging, so kann man wohl allgemein sagen, dass die Entstehung der Dulosis und des Parasitismus mit dem Polymor- phismus ursächlich zusammenhängt; denn ohne das Auftreten von neuen biologisch-morphologischen Eigentümlichkeiten bei den weiblichen Formen ist jene Entwickelung überhaupt undenkbar. Aber wie jene Veränderungen beschaffen waren und auf welcher Entwickelungsstufe sie hauptsächlich einsetzten, das sind Fragen, die sich nicht nach ein und demselben Schema be- handeln lassen. Vor allem ist zu bemerken, dass die Veränderung der weib- lichen Formen nicht immer in divergierender Richtung fort- geschritten ist, so dass Weibchen und Arbeiterinnen in derselben Kolonie einander immer unähnlicher wurden, sondern manchmal auch in konvergierender Richtung (Ausbildung arbeiterähnlicher [ergatoider] Weibchenformen). Ja die Entwickelung neuer kleiner Weibchen, anfangs noch neben und später an Stelle der alten größeren Weibchen, konnte schließlich zum gänzlichen Fortfall des Dimorphismus der weiblichen Formen in der parasitischen Art führen, indem gar keine Arbeiterinnen mehr erzogen wurden (Ver- XXIX. 44 700 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. lust der eigenen Arbeiterkaste bei den extrem parasitischen Ameisen). Die neuen Eigenschaften sind ferner nicht immer bei allen weib- lichen Formen einer Kolonie aufgetreten, sondern manchmal nur bei den Weibchen (temporär parasitische Ameisen), manchmal bei den Weibehen und den Arbeiterinnen (dulotische Ameisen), manchmal sogar — infolge latenter Vererbung — können sie zuerst bei den Arbeiterinnen äußerlich sichtbar aufgetreten sein und erst später bei den Weibchen (Säbelkieferbildung bei dulotischen Ameisen). Ferner haben wir keineswegs immer eine sprungweise Mu- tation anzunehmen, wie sie oben für die direkte Entstehung ar- beiterloser Schmarotzerameisen vorausgesetzt wurde. Bei manchen zum Polymorphismus stark neigenden Gattungen (wie Pheidole und Monomorium) .ıst es allerdings nicht unwahrscheinlich, dass die Ent- wickelung der neuen heteromorphen Weibchenformen auf dem Wege der Mutation ziemlich rasch und plötzlich erfolgte. Aber in der Mehrzahl der Fälle dürfen wir wohl nicht zu solchen „Ent- wickelungssprüngen“ greifen. Die Mutation wird hier ın kleineren Schritten in bestimmter Richtung während längerer Zeiträume fort- geschritten sein, so dass wir auf diesen Differenzierungsprozess viel- mehr den Begriff der Anpassungsvariation als jenen der Mu- tation anzuwenden haben. Dies führt uns zur Rolle, welche die Selektion bei jenen Entwickelungsvorgängen spielte. Wir dürfen beispielsweise die Ausbildung der Säbelkiefer von Polyergus als das Resultat eines Selektionsprozesses ansehen, welcher die biologische und morpho- logische Entwickelung der Dulosis immer weiter steigern half bis zu ihrem Höhepunkte. Der Besitz dieser Waffen befähigte die Amazonen, mehr Sklaven zu rauben und ihre Kolonien durch fremde Arbeitskräfte mehr zu verstärken, als es ihren Vorfahren aus der Gattung Formica mit ihren normalen dreieckigen Kiefern möglich gewesen war. Aber auf dem Höhepunkt der Dulosis war durch eben diese Säbelkiefer auch zugleich schon die gänzliche instinktive Abhängigkeit der „Herren“ von ihren „Sklaven“ morphologisch be- dingt, und hierdurch bereits der Übergang zum permanenten sozialen Parasitismus vorbereitet. Bei Strong. testaceus sahen wir ferner, wie auf die Überentwickelung der Dulosis seiner Vorfahren die Rückbildung derselben und der wirkliche Übergang zur dauernd parasıtischen Lebensweise erfolgte. „Zweckmäßig“‘ kann man diesen Übergang wohl nur insofern nennen, als er das letzte Rettungs- mittel für die Erhaltung der Art war. Schon die Seltenheit der Kolonien jener Ameisen, dıe auf dem Höhepunkt der Sklavenzucht oder des sozialen Schmarotzertums stehen, zeigt klar genug, dass es für ihre Arterhaltung eigentlich viel „zweckmäßiger“ gewesen wäre, wenn sie auf den Anfangsstadien jener symbiotischen Ver- hältnisse stehen geblieben wären. Aber die einmal eingeleiteten Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus ete. 701 Entwickelungsprozesse ließen sich eben nicht mehr umkehren, trotz aller „Allmacht“ der Selektion. We aus inneren (morphologisch- physiologischen) Ursachen bestimmte neue Variationen unter dem Einfluss der äußeren Lebensverhältnisse aufgetreten waren, die zum zeitweiligen sozialen Schmarotzertum oder zur Sitte der Sklaven- zucht führten, da konnte die Selektion zwar fördernd eingreifen, um jene Variationen zu häufen und zu steigern, so lange sie noch nützlich waren für die Arterhaltung. Jene Variationen gingen jedoch in vielen Fällen auch dann noch in derselben Richtung fort, nachdem sie für die Erhaltung der betreffenden Art eher schäd- lich geworden waren, weil sie immer schwierigere Bedingungen schufen für die Gründung und die Erhaltung der Kolonien bei den extrem dulotischen und den extrem parasitischen Ameisenarten. Die Selektion ist und bleibt also auch hier nur ein unter- geordneter Hilfsfaktor, wie ich sie überhaupt nur als einen Hilfsfaktor ansehe im Vergleich zu den grundlegenden inneren und den modifizierenden äußeren Ursachen der Stammes- entwickelung’®). Inwiefern speziell klimatische Veränderungen und die mit ihnen zusammenhängenden Veränderungen der Lebensweise (acervicoler Nestbau, Übergang zur carnivoren Ernährung u. s. w.) auf den Entwickelungsgang der abhängigen Koloniegründung, des temporären Parasitismus und der Sklavenzucht bei Formica be- stimmend einwirkten, wurde oben (im zweiten Teil dieser Arbeit, unter a und d) hinreichend angedeutet. In bezug auf die Entwickelungsphasen, in denen die Mu- tation oder die Anpassungsvariation hauptsächlich einsetzte, um zur Entstehung des Parasitismus oder der Dulosis zu führen, begegnen wir großen Verschiedenheiten. Wohl nur in wenigen Fällen, z. B. bei einigen arbeiterlosen Schmarotzerameisen, sind wir allenfalls ın der Lage, die parasitische Art direkt aus dem Polymorphismus ihrer heutigen Wirtsart abzuleiten, wie oben gezeigt wurde. Auch könnte man vielleicht eine direkte Verwandtschaft der tem- porär parasitischen Aphaenogaster tenesseensis mit ihrer Hilfsameise Aph. fulva, oder eine direkte Verwandtschaft der südlichen Stron- gylognathus-Arten mit ihren Hilfsameisen Tetramorium caespitum auf dem Wege der Mutation oder der Anpassungsvariation annehmen. Aber in den meisten Fällen dürfen wir die parasitischen und dulo- tischen Ameisen nur auf die Gattung ihrer heutigen Hilfsameisen stammesgeschichtlich zurückführen ”®); in manchen Fällen lässt sich 78) Vgl. hierüber auch meine „Biologie und Entwickelungstheorie“, 3. Aufl., 1906 und „Kampf um das Entwickelungsproblem“, 1907. 79) Für Anergates lässt sich wegen der extremen Degeneration dieser Gattung überhaupt keine nähere Verwandtschaft mit einer anderen Ameisengattung erkennen (vgl. auch Emery, S. 362). Ihre Abstammung von Tetramorium beruht daher bloß auf einem Analogieschluss. 44* 702 Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. sogar zeigen, dass sie mit ihren heutigen Hilfsameisen- oder Sklaven- arten gar nicht unmittelbar verwandt sein können, sondern nur durch Vermittlung anderer Arten derselben Gattung. So sahen wir z. B. im zweiten Teil dieser Arbeit, dass die heutigen para- sitischen und dulotischen Formica-Arten nıcht unmittelbar von der fusca-Gruppe abzuleiten sind, welche die älteste und ur- sprünglichste Forsnica-Gruppe ist und zugleich vorwiegend die Hilfs- ameisen jener Arten umschließt, sondern nur durch Vermittlung der acervicolen rufa-«ruppe. In dieser müssen daher zu ver- schiedenen Zeiten jene Differenzierungsprozesse eingesetzt haben, welche zur Entstehung der temporär parasitischen und dulotischen Formica-Formen der Gegenwart führten. Ähnliches gilt auch für die Gattung Polyergus, bei welcher die entscheidende Mutation, welche ihre Abtrennung von Formica einleitete, wahrscheinlich ın einem sanguinea-ähnlichen Vorfahrenstadium begann, welches seiner- seits wieder von einem r«fa-ähnlichen Stadium abzuleiten ist und dieses erst von einem fusca-ähnlichen Stadium. Mit der pallide- fulva-Gruppe, welche einen Teil der heutigen Sklaven von Polyergus in Nordamerika liefert, steht diese Gattung somit bloß in einem seitlichen Verwandtschaftsverhältnis. Wir mussten daher oben (S. 627) dem Emery’schen Satze: Die parasitischen und dulotischen Ameisen stammen von nahe ver- wandten Formen ab, die ihnen als Sklaven oder Wirte dienen — folgende veränderte Fassung geben: Die parasıtischen und dulotischen Ameisen stammen von Formen ab, die mit ihren heutigen Hilfsameisen nahe verwandt sind. Sie stammen nämlich von der Gattung ihrer heutigen Hilfs- ameisen ab und nahmen ihren Ursprung wahrscheinlich meist in jener Artengruppe, welcher auch ihre heutigen Hilfsameisen angehören. Doch sind sıe mit letzterer viel- fach nur indirekt oder sogar nur seitlich stammesver- wandt, durch Vermittlung anderer Artengruppen derselben Gattung. Ferner sahen wir ım 6. Teil unserer Untersuchung, wie mannigfaltig verschieden die Beziehungen sind, welche die dulo- tischen und parasitischen Ameisen mit den myrmekophilen verbinden. Für die arbeiterlosen extrem parasitischen Ameisen lernten wir sogar eine vierfache Entstehungsmöglichkeit kennen, die ein sehr verschiedenes phylogenetisches Alter bedingen kann, und es musste der Prüfung der einzelnen Entwickelungsreihen vorbehalten bleiben, zu entscheiden, welcher jener vier möglichen Wege für die be- treffende Gattung oder Art der wahrscheinlichste ist. Ich ziehe hieraus folgenden Schluss: Je weiter wir in der Erforschung der einzelnen Ent- wickelungsreihen der verschiedenen parasitischen, dulo- tischen und myrmekophilen Ameisen auf Grund der Tat- Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus etc. 703 sachen fortschreiten, desto mehr werden wir uns auch der Lösung der allgemeinen Frage nähern: Wie ist der Parasitismus, die Sklaverei und die Myrmekophilie bei den Ameisen entstanden, und in welchen Beziehungen stehen sie zueinander? Wir dürfen niemals vergessen, dass unsere allgemeinen Theorien nur Abstraktionen sind, die auf dem Gebiete der Entwickelungstheorie wie anderswo ihren reellen Wert nur aus den Tatsachen erhalten, zu deren Erklärung sie aufgestellt worden sind. Inhaltsverzeichnis. Einleitung (S. 587). 1. Ist als primitives Anfangsstadium für Parasitismus und Skla- verei ein Raubstadium oder ein Adoptionsstadium der Weib- chen anzusehen? (8. 589). . Der Entwickelungsgang der abhängigen Koloniegründung bei Formica (8. 594). a) In biologischer Beziehung (S. 594). b) In morpho- logischer Beziehung (S. 602). c) In paläontologischer und geographischer Be- ziehung (S$. 621). d) In klimatologischer Beziehung (S. 627). 3. Der hypothetische Entwickelungsgang von Harpagoxenus (Tomo- gnathus) (S. 632). 4. Die „degenerierende Wirkung“ der Dulosis (S. 636). a) Berichtigung der Emery’schen Darstellung meiner diesbezüglichen Anschauungen (S. 636). b) Inwiefern kommt der Dulosis eine degenerierende Wirkung zu oder nicht? (S. 654). . 5. Die gewaltsame Beseitigung der Königin der Hilfsameisenart bei parasitischen und dulotischen Ameisen (S. 660). a) Bisheriger Stand der Frage (8.660). b) Emery’s neue Beobachtungen über die Tötung der fusca-Königin durch die Polyergus-Königin (S. 662). c) Meine neuen Beobachtungen über die Tötung der fusca-Königin durch die rufa-Königin (8. 663). 6. Vergleich zwischen den dulotischen, parasitischen und myrme- kophilen Ameisen ($. 685). a) Vergleich zwischen den parasitischen und dulotischen Ameisen (S. 685). b) Begriffsbestimmung der „myrmekophilen“ Ameisen (8. 687). c) Beziehungen der Myrmekophilie zum sozialen Para- sitismus und der Dulosis (S. 689). DD 7. Entstehung neuer parasitischer Ameisen durch den Polymor- phismus der Wirtsart‘) (8. 692). a) Möglichkeit einer direkten Ent- stehung 'arbeiterloser Schmarotzerameisen (S. 692). b) Vier verschiedene Wege der Entstehung extrem parasitischer. Ameisen. Biologische Konvergenz (S. 696). ce) Die Bedeutung des Polymorphismus für die Entstehung der Dulosis (S. 698). d) Verschiedene Differenzierungsweisen, Differenzierungs- ursachen und Differenzierungsphasen in der Entwickelung der parasitischen und dulotischen Ameisen (S. 699). (Ein Nachtrag folgt.) 80) Mit Beschreibung von Pheidole symbiotica n. sp. und 2 Figuren, 704 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. Von M. Siedlecki (Krakau). Mit 1 Tafel. Während meines mehrmonatlichen Aufenthaltes auf Java in dem zoologischen Laboratorium des botanischen Gartens zu Buiten- zorg rn bis Juni 1908) habe ich die Gelegenheit gehabt, an vielen, sowohl in der Gefangenschaft gehaltenen als auch im Freien beobachteten Exemplaren der javanischen Flugfrosches, nicht nur die interessante Bewegungsweise (den sogen. „Flug“) desselben, sondern auch seine geschlechtlichen Vorgänge und seine ne lung zu studieren. Da es bis jetzt von der Lebensgeschichte der zur Gattung Polypedates‘) gehörenden Tiere, mit Ausnahme des Polypedates schlegelüi überhaupt nicht viel bekannt ist, erschien es uns als lohnend, dieses Tier näher zu studieren; die biologisch interessanten Einzelheiten sollen den Gegenstand der vorliegenden Mitteilung bilden. Die ersten Exemplare des Flugfrosches habe ich von den Eın- geborenen im Januar 1908 erhalten. Die eingeborenen Sammler behaupteten, den Frosch nur aus der weiteren Umgebung von Buitenzorg zu kennen und haben denselben als ein recht selten nes Tier bezeichnet. Ich habe anfangs fast ausschließ- lich nur erwachsene Weibchen und nur ausnahmsweise kleine, als nicht erwachsene Exemplare bezeichnete Tiere bekommen. Etwa 3 Wochen nach dem Erhalten erster Tiere habe ich, bei heller Mondnacht, in einer vornehmlich aus Acalypha-, Sanchesia- und Hibiseus-Sträuchern bestehenden Allee, die Laute der Frösche wahr- genommen, die lebhaft an die Laute unseres Laubfrosches erinnerten. or leise und vorsichtig habe ich mich den Sträuchern genähert und nicht ohne Mühe habe ich einige Frösche verschiedener Größe, die mir des Abends ganz schwarz erschienen, längere Zeit beobachtet und schließlich gefangen. Es waren, wie ich mich am nächsten Morgen überzeugen konnte, Männehen und Weibchen von Poly- pedates reinwardtit. Nachdem ich die Anwesenheit des Tieres im botanischen Garten konstatiert habe, war ich seitdem schon reich- lich mit Untersuchungsmaterial versorgt. In der Umgebung von Buitenzorg scheinen mir zwei Arten von Polypedates ee nämlich P. reinwardtü und P. leu- comystac Gravenhorst; die letztgenannte Art kommt zwar häufiger vor, ıst aber viel re: in der Natur zu beobachten, so, 1 1) Wir haben eine kurze vorläufige Mitteilung über den javanischen Flug- frosch im Bulletin internation. de l’Acad. des Sciences Cracovie 1908 veröffentlicht. In derselben haben wir noch den Namen Rhacophorus reinwardtü Boie, gebraucht. Nach den Ausführungen von Stejneger (Smith. Instit. U.S. Natur. Histor. Museum Bullet. 58, Washington 1907) ist der generische Name Rhacophorus zu verwerfen; nach der berichtigten Nomenklatur soll der java- nische Flugfrosch den Namen Polypedates reinwardtii führen. Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 705 ich nur wenige Einzelheiten über ihre Lebensweise und Brutpflege zu sammeln imstande war; auf allen Stadien des Lebens sind beide genannten Arten voneinander sehr verschieden und leicht zu unter- scheiden. 1. Die Geschlechtsunterschiede bei Polypedates rein- wardtii. Erwachsene Männchen und Weibchen des javanischen Flugfrosches sind sehr leicht voneinander zu unterscheiden, da die ersten fast um die Hälfte kleiner sind als die letzten. In der Tabelle stellen wir die Dimensionen des Körpers der mittelgroßen Individuen zusammen: SER au imensionen Baba | Millimeter | I} Von der Nasenspitze bis zur Analfalte . . . 2. 2 2.2.2.2... 76 Große AR ap Dre he ee al, 35 Kopfbreite (Abstand zwischen beiden Kiefergelenken) . . . . . 20 27 zaenabstandlle Pu Nele pe | | 10,7 Pupillenbreite (bei geschlossener Pupille) . . » » 22...) #8 5,2 Breiter des Trommeltellen "BL ea mE a | 8868 5 ET NE SER BES 10 ERS Be RE 2 7 ER LE 18 Vordermann Wr. A ea EN A re O 17 II Finger . . RR RS: ne Finder \ i | mit dem entsprechenden Metakarpalknochen | = > VirRinger 5.) '%. ı 14 22 KT ET N EN a 2 1726 41 Rinterschanele mr ee Re Dane DE ER a 20 41 areelkıtoc er ee te a N a a er 2 IZehestsi.r: I 16 TE Zehe v2... . | 14 2] IF Zebe 7. mit dem entsprechenden Metatarsalknochen | 18 27 IV: Zeher 4. % 23 36 VinZeheze,.n. 20 27 Aus dieser Tabelle ist es leicht ersichtlich, dass die Propor- tionen des Körpers der beiden Geschlechter des javanıschen Flug- frosches nicht ganz gleich sind. Die Männchen sind nicht nur um die Hälfte kleiner, sondern auch schlanker gebaut, da die Länge ıhres Körpers etwa 2!/,mal größer ist als die größte Körperbreite; bei den Weibchen ist das Verhältnis der Länge zur Breite des Körpers gleich 2 zu 1. Die Hinterbeine des Männchens, wenn nach vorne ausgestreckt, reichen mit dem Tibiotarsalgelenke bis zur Schnauzenspitze; beim Weibchen überragt das Tibiotarsalgelenk die Nasenspitze um einige Millimeter. Isenschmid?) gibt an, dass bei Polypedates (Fthaco- phorus) nigropalmatus die Hinterbeine die Schnauzenspitze mit dem Tobiotarsalgelenke überragen, „was bei Arhacophorus reinwardtiüi 2) Isenschmid. Mitteil. d. naturforsh. Gesellsch. Bern 1903. 706 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. nicht der Fall ist“. Gerade aber diese Proportion des Körpers gestaltet sich anders bei beiden Geschlechtern des Flugfrosches; die von Isenschmid angegebene Differenz zwischen Polyp. nigro- palmatus und Polyp. reinwardtii existiert -wirklich bei den Männ- chen, verwischt sich aber bei den Weibchen beider Arten. Die für die Gattung Polypedates charakteristischen Vomerzähne sınd ebenso beim Männchen wie beim Weibchen stark entwickelt, ihre Zahl ist jedoch niemals konstant. Bei erwachsenen Weibchen sind gegen 12 Zähne (11—14) auf jeder Seite des Vomers vorhanden; bei den Männchen schwankt diese Zahl zwischen 9—15, obwohl die Vomerknochen beträchtlich kleiner sind als bei den Weibchen. Die Unterscheidung der erwachsenen Männchen von den ebenso großen jungen Weibchen, bei denen die Geschlechtsprodukte sich noch nicht entwickelt haben, bietet einige Schwierigkeiten, um so mehr als auch die Färbung beider Geschlechter fast ganz gleich ıst und die breiten Daumenschwielen ebenso stark bei den Männchen wie bei den Weibehen entwickelt sind. Ein sicherer und großer Unter- schied besteht aber ım Bau und in der Größe des Kehlkopfes (Fig. 1). Bei einem mittelgroßen Weibchen von 66,2 mm Körper- länge beträgt die Länge der Stimmritze nur 5,5 mm und die Breite des in die Mundhöhle vorspringenden Kehlkopfes (Arythenoid- knorpeln mit dem Cricoidknorpelringe) 3,6 mm in der breitesten Stelle; ein Männchen von 44 mm Körperlänge hat dagegen die Stimmritze 6,3 mm lang und die breiten muschelförmigen Ary- knorpel 5,2 mm breit. Bei den erwachsenen‘ Männchen ist also der Kehlkopf und der Stimmapparat nicht nur proportional, sondern auch absolut größer als bei den Weibchen. Die Stimmbänder sind auch bei den Männchen viel stärker entwickelt als bei den Weib- chen; die Lockrufe des Männchens sind auch unvergleichlieh stärker als die des Weibchens. Die beiden Arythenoidknorpel, die bei dem Weibchen zusammen ein hochgewölbtes, birnförmiges Gebilde darstellen, sind beim Männchen flach, mehr elliptisch und so breit, dass sie fast den ganzen Hinterteil der Mundhöhle einnehmen. Ziemlich stark sind auch die Unterschiede im Bau und in der Größe der Augen. Dieselben sind bei den Männchen größer, mehr vorspringend und am Kopfe höher gestellt, so dass der Abstand zwischen den Augapfeln nur um die Hälfte mehr beträgt als die Pupillenbreite. Beim Weibchen ist der Augenabstand mehr als zweimal so breit als die Pupille; die Augen sind viel mehr seitlich gestellt. Mit der stärkeren Entwickelung der Augen bei den Männ- chen hängt wahrscheinlich die stärkere Ausbildung der Lobi optiei im Gehirne zusammen; bei den kleinen Männchen sind dieselben ebenso groß wie bei den um die Hälfte größeren Weibchen. Die letzteren haben aber die großen Hirnhemisphären stärker entwickelt als die Männchen. Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 707 2. Die Färbung und der Farbenwechsel des java- nischen Flugfrosches. Die beim Tage gefangenen und bei einer hellen Beleuchtung beobachteten Exemplare haben den ganzen Rücken gleichmäßig und prächtig hellbläulich-grün gefärbt. Zu- weilen sieht man einige helle, fast weißliche Linien oder kleine lichte Flecken auf dem grünen Untergrunde, es sind aber nur leicht verletzte oder abgeriebene Stellen. Bei den in Spiritus oder Formalin konservierten Tieren wechselt die Farbe in eine blau- violette oder purpurbraune. Die hellgrüne Färbung des Rückens erstreckt sich auch auf die Beine; am Oberschenkel an der dorsalen und am Unterschenkel an der lateralen Seite ist ein grünes Band vor- handen. Der Tarsalteil und die fünfte Zehe mit, Ausnahme der Haftscheibe sind auf der Außenseite ebenfalls grün gefärbt. Die brachialen, tarsalen und supraanalen Hautfalten sind an der dor- salen Seite grün, ihr Rand ist glänzend weiß. Der Oberarm ist orangegelb; bei dem Ellenbogengelenke beginnt an der Außenseite die grüne Färbung, die auf den Unterarm und den fünften Finger übergeht. Die Seiten des Körpers, die inneren Teile der Hinterbeine, der Vorderarm und die Finger der beiden Extremitätenpaare sind orangegelb mit weißlichen kleinen Flecken. Bei geschlechtsreifen Männchen ist die Farbe der letztgenannten Körperteile mehr orangerot, dagegen bei reifen Weibchen überwiegt die hellgelbe Farbe. In den Achselhöhlen beider Geschlechter sind große blau- schwarze Flecken, die manchmal in zwei oder mehrere kleine ge- teilt sind, sichtbar. Die an den Seiten des Körpers und an den Hinterbeinen sichtbare weiße Körnelung entspricht den vorspringen- den Hautpapillen. | Der Bauch ist weißgefärbt und gekörnelt; er ist, ebenso wie die Hinterbeine, mit großen weißen Hautpapillen bedeckt, die näher der Symphyse dunkel umrandet sind und eine marmorartige feine Zeichnung auf der Haut hervorrufen. Die Brust und die Haut bis zum Rande des Unterkiefers sind glatt und weiß. Die großen Schwimmhäute (Flughäute) sind zwischen den beiden ersten Fingern und Zehen gelb oder orange mit feinen schwarzen Flecken. Die zwischen den übrigen Fingern und Zehen ausge- spannten Häute sind tiefblauschwarz. mit hellen, gelben oder licht- blauen unregelmäßigen Längsstreifen. Die geschlechtsreifen Tiere haben lebhaftere und mehr kontrast- reiche Färbung als die unreifen; junge, unreife Weibchen sind den erwachsenen Männchen in dieser Beziehung ähnlich, dass auch bei jenen die orangerote Färbung sich entwickelt. Erst während der (Greschlechtsreife entstehen Unterschiede in der Färbung der beiden Geschlechter. Die Haftballen sind bei jungen Tieren rötlichgelb; bei den älteren nehmen sie eine graue Färbung an. — 708 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. Wir haben es schon oben betont, dass die bläuliche, hellgrüne Färbung nur an den beim Tage gefangenen und bei heller Be- leuchtung beobachteten Tieren zu sehen ıst. Die des Abends ge- fangenen Tiere erscheinen dunkelgrün bis olivenbraun gefärbt. Dieselben Exemplare wechseln aber die Farbe, sobald ein helles Tageslicht erscheint, oder sogar bei einer stärkeren, künstlichen Beleuchtung. Die an verschiedenen Pflanzen gefangenen Exemplare haben auch gewöhnlich eine recht verschiedene Hautfarbe; an den großen rotbraunen Acalypha-Blättern gefangene Frösche waren dunkler gefärbt als diejenigen, die von den grünen Sträuchern stammten. In dem Arbeitszimmer, in einem großen Glaskäfige oder unter einer Glasglocke, auf einer schwarzen oder sandfarbigen Unter- lage gehaltenen Tiere haben während des Tages ihre schöne, bläu- lich-grüne Färbung immer angenommen. Etwa 2 Stunden nach dem Sonnenuntergange, sobald im Laboratorium gänzliche Dunkelheit zu herrschen begann, wechselte auch die Farbe der Frösche zuerst in ein Dunkelgrün, dann in ein Schwarzgrün mit einem Stich ins Gelbe. Mit der ersten Morgendämmerung begann die dunkle Fär- bung sich in eine hellere zu verwandeln, so dass beim Sonnen- aufgang die Tiere schon lichtgrün erschienen. Die Verwandlung der hellen Farbe in die dunkle geschieht, so wie auch bei Hyla arborea, ziemlich langsam, wenigstens in 2 Stunden; das Heller- werden schreitet aber sehr rasch vor sich und vollzieht sich in !/,, bis höchstens 1 Stunde. Die Tiere wechseln die Farbe ganz gleich- mäßig an allen grüngefärbten Stellen des Körpers; nur die grünen Hautpartien sind dem Farbenwechsel unterzogen, die gelben, weißen und schwarzen bleiben dauernd unverändert. Die Männchen wechseln die Hautfarbe viel leichter und auf- fälliger als die Weibchen; ich habe auch zuerst nur an den Männ- chen diese Erscheinung beobachtet und erst nachher dasselbe an den Weibchen gesehen. Nach den klassischen Untersuchungen von Biedermann’) scheint es keinem Zweifel zu unterliegen, dass der Farbenwechsel von der Funktion der Thalami optiei abhängt; und gerade, wie schon oben erwähnt wurde, ist dieser Gehirnteil bei den Männchen des Polyp. reinwardtiü viel stärker entwickelt als bei den Weibchen. Die stärkere Entwickelung der Lobi optiei ist also nicht nur mit der stärkeren Ausbildung der Augen in Zu- sammenhang zu bringen, sie hat auch in der stärkeren Erregbarkeit der Haut ıhren Ausdruck gefunden. Diejenigen Flugfrösche, die längere Zeit ganz regungslos sitzen und bei denen die Oberfläche der Haut ganz trocken ist, haben ge- wöhnlich eine sehr dunkle Hautfarbe. Die Trockenheit der Haut soll zwar, nach Angaben von Biedermann u. A. nicht; ein Dunkel- 3) Biedermann. Arch. f. d. ges. Physiologie (Pflüger’s), Bd. 51, 1892. Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 709 werden, sondern ein Aufhellen der Farbe hervorrufen; mit Recht betont aber Gaup*), dass von dieser Regel Ausnahmen beobachtet worden sind und dass dabei der gewöhnliche Aufenthaltsort der Spezies eine Rolle zu spielen scheint. Der Flugfrosch lebt beständig auf den Sträuchern und Bäumen; man trifft ihn in Gegenden, die mehrere Hundert Meter vom Wasser entfernt sind. Es ist für uns sehr wahrscheinlich, dass er lange Zeit, ohne Wasser zu besuchen, zwischen den Blättern und Zweigen leben kann. Er findet aber auch in diesen Orten genügend Nässe, da die häufigen tropischen Regengüsse die Luft manchmal bis zur Sättigung mit Feuchtigkeit erfüllen, die Blätter mit Wasser be- netzen und die zahlreichen epiphytischen und epiphyllen Moose und Flechten mit demselben durchtränken. Trotz dieser reichlichen Wasserversorgung kann doch der Flugfrosch manchmal dem Mangel an Wasser ausgesetzt sein, denn es kommen oft Tage vor, an denen für die Feuchtigkeit der Luft nicht so stark gesorgt wird; das ge- schieht besonders in der trockenen Jahreszeit, während der manch- mal einige Tage nacheinander ohne Regen verlaufen. Auch in den feuchten Monaten kann an jedem sonnigen Vormittag der Gehalt der Luft an Wasserdampf erheblich sinken, um sich während des Nachmittagregens rasch und stark zu heben. In solchen klimatischen Verhältnissen muss der Flugfrosch, als ein auf den Bäumen lebendes Tier, an den Wechsel des Feuchtigkeitsgrades angepasst sein: es ist auch verständlich, dass seine Haut auf die Wirkung der Feuchtig- keit nicht mehr so empfindlich ist wie bei anderen Fröschen. ‚Wahr- scheinlich deshalb behält sie ihre dunkle Färbung bei den ruhig sitzenden und trocken gehaltenen Exemplaren. Es ist aber auch möglich, dass die dunkle Hautfarbe der ruhenden Tiere infolge der im Körper angehäuften Kohlensäure zustande kommt. Dafür spricht dieser Umstand, dass die ruhig sitzenden Frösche sehr langsam und wenig atmen und dass die- selben, falls sie in der Ruhestellung absterben, auch nach dem Tode die dunkle Färbung bewahren. Sie verhalten sich also in dieser Hinsicht auf dieselbe Weise wie unsere Wasserfrösche, die ın einer Wasserstoffatmosphäre erstiekt oder unter Öl ertränkt worden sind. Dagegen diejenigen Flugfrösche, die mittels Chloroform oder Äther oder aber durch das Durchschneiden der Medulla oblongata und Vernichtung des Rückenmarkes getötet wurden, nehmen immer eine viel hellere Farbe an. Das Erbleichen ist manchmal so stark, dass es zu einer weißlich-grauen Färbung führt, die niemals bei lebenden Tieren vorkommt. Wenn man die toten Tiere so liegen lässt, dass die grüngefärbten Hautpartien schnell eintrocknen, so ist 4) Gaup, Dr. E,, Ecker’s und Wiedersheim’s Anatomie des Frosches. II. Abt., Braunschweig 1904 (dort auch eine Zusammenstellung der Literatur über den Farbenwechsel der Frösche). 710 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. das Erbleichen viel weniger ausgeprägt. Die nass gehaltenen Haut- stellen erbleichen am schnellsten und am stärksten; es ist möglich, auf der Haut des getöteten Tieres eine lichte Zeichnung hervorzu- rufen, indem man dieselbe sofort nach dem Tode mittels einiger mit Wasser benetzten Glasstückchen zudeckt. Die trockenen Haut- partien zwischen den Gläschen sterben schneller ab als die nass gehaltenen; deswegen wird die Verlagerung des Pigmentes, die das Erbleichen verursacht, nur in den nassen Stellen völlig zustande gebracht. Den Einfluss der Temperatur auf die Färbung des Flugfrosches haben wir nicht untersucht; wir halten es jedoch für möglich, dass dieses Tier sich ähnlich verhält wie die anderen von Biedermann untersuchten Arten. Vielleicht hängt der tägliche Wechsel der Hautfarbe auch von der Temperatur der Umgebung ab. Die Tem- peratur in den feuchten Monaten, in denen wir den Flugfrosch beobachtet haben, schwankte mit großer Regelmäßigkeit zwischen 32° ©. (in den Mittagsstunden) und 23° C. (des Abends). Zwar ist der Unterschied von 10° ©. nicht beträchtlich, für die Tiere aber, die beständig in einer hohen Temperatur ihr Leben führen, ist er doch von großer Bedeutung. Da während der Abendstunden zu- gleich mit der niedrigeren Temperatur auch eine stärkere Sättigung der Luft mit Wasserdampf und ein schnell auftretender Wechsel der Beleuchtung zustande kommt, so kann man alle diese drei Faktoren als zusammenwirkende Ursachen der dunklen Nachtfarbe des Flugfrosches bezeichnen. Das Zustandekommen der grünen Hautfarbe und die anatomische Ursache des Farbenwechsels bei Polyp. reinwardtii scheint im wesent- lichen nicht anders sich zu gestalten, als es bei anderen Fröschen schon beschrieben wurde. Auf Grund der grundlegenden Arbeit von Biedermann (l. c.) deutet man das Grün als Mischfarbe, und zwar aus: 1. Blau, welches als Interferenzfarbe in den Guanin- körnchen entsteht, und 2. aus Gelb, welches an ein Lipochrom ge- bunden ist; beides: Guaninkörnchen und Lipochrom findet man in den gelben Zellen, den sogen. Xantholeucophoren. Als Unter- grund für die gelben Zellen dienen die dunkelbraunen großen Melanophoren, die mit ihren Fortsätzen die Xantholeucophoren umspinnen. Durch Verlagerung des Pigmentes in den Melano- phoren und gleichzeitige Zusammenballung des Lipochroms in den gelben Zellen kommen verschiedene Abstufungen der grünen Farbe zustande; die braune Färbung beruht auf dem gänzlichen Umfließen der gelben Zellen durch die dunkel pigmentierten Melanophoren. Diese vorwiegend bei Hyla arborea studierten und beschriebenen Vorgänge finden sich auch bei Polyp. reinwardtü wieder; ın der Haut der tropischen Art sind jedoch einige Einzelheiten sichtbar, die zur Erklärung des Farbenwechsels von Wichtigkeit sein können. Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 71 Dicht unter der epithelialen Schicht findet man in der Haut des Flugfrosches, an den grün gefärbten Stellen, beide Arten der obenerwähnten Pigmentzellen. Die tiefbraunen Melanophoren haben gewöhnlich ihren rundlichen Körper unter der ein- und nur stellen- weise zweischichtigen Lage der Xantholeucophoren gelagert und umspinnen die letzteren mit ihren feinen Ausläufern. Bei den dunkelgrün gefärbten Individuen haben wir durchschnittlich etwa 6—8 gelbe Zellen mit einer braun pigmentierten in Kontakt zu treten gesehen. Das Umfließen der gelben Zellen durch die amö- boiden Ausläufer der Melanophoren geschieht durch Verschiebung des Pigmentes auf den früher präformierten Bahnen, kann aber bei dem Braunwerden des Tieres so weit gehen, dass der ganze protoplasmatische Körper der schwarz pigmentierten Zelle, samt dem Kerne auf die Xantholeucophoren überwandert und unmittelbar unter die oberflächliche Epithelialschicht zu liegen kommt (Fig. 2). Der Körper der Xantholeucophoren bildet in jenen Stellen der Haut, wo dieselben nicht allzu dicht gelagert sind (z. B. in den grünen Hautpartien der Extremitäten) eine fast reguläre Halbkugel; der flache Teil ist dieht an die Epithelschicht angeschmiegt, der halbkugelige Körper ist dem Corium zugewendet. An anderen Stellen der Haut werden diese Zellen durch gegenseitigen Druck in. mehr prismenartige Gebilde umgewandelt; der untere, dem Corium zugewandte Teil derselben bleibt immer halbkugelig. Der größte Durchmesser der flachen Oberseite der regelmäßig gebauten Xantholeucophoren beträgt im Durchschnitt 16 u; die Tiefe des halbkugeligen Körpers beträgt gegen 14 a. Das Protoplasma dieser Zellen weist eine sehr charakteristische und regelmäßige Schichtung auf (Fig. 2, 3 u. 4). Die Schichten scheinen aus diehterem Proto- plasma gebaut zu sein; zwischen denselben sind stark lichtbrechende Körnchen, die bekannten Guaninkörnchen (Interferenzkörnchen) ein- gelagert. Das gelbe Lipochrom ist auch zwischen den parallelen Schichten, vorwiegend in den unteren Teilen der Zellen, in der Form von Tröpfehen vorhanden. Dicht bei der Oberfläche und in der Mitte des abgeflachten Zellteiles liegt der Kern, der bei ausgebreiteten Zellen eine halbkugelige Gestalt aufweist (Fig. 4a, b). Seine inneren Umrisse sind immer den Schichten des Protoplasmas sowie den äußeren Umrissen der Zelle parallel; der obere Teil ist an der Zelloberfläche flach ausgebreitet. Das Chromatingerüst ist nicht sehr reichlich vorhanden; der Kern stellt also eın linsen- förmiges, durchsichtiges und stark lichtbrechendes Gebilde dar. Wenn man die Xantholeucophoren von den hellgrünen und von den dunkel gefärbten Hautpartien miteinander vergleicht, so springen deutliche Differenzen in der Schichtung des Protoplasmas und in der Lagerung des Kernes sofort in die Augen. Während in den dunklen Hautpartien die Xantholeucophoren ihre 12 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 29 oben beschriebene halbkugelige Gestalt behalten und die Kerne auf der Oberfläche ausgebreitet haben, sind sie in den sehr hell gefärbten Stellen oder an der Grenze zwischen den grünen und den gelben Hautstellen, wo nur noch eine Spur der grünen Färbung wahrzunehmen ist, in ellipsoide Gebilde umgewandelt und haben ihren Kern tief im Protoplasma als einen kompakten Körper eingelagert (Fig. 4eu.f). Zwischen beiden Extremen sind alle möglichen Übergänge zu finden (Fig. 4a bis f), die wiederum verschiedenen Abstufungen der grünen Hautfarbe entsprechen. Diese Übergänge zeigen auf das Deutlichste, dass die Xantholeucophoren ihre Gestalt verändern können und dass dabei der Kern von ihrer Oberfläche in die Tiefe des Protoplasmas wandern kann. Diese Wanderung scheint so zu geschehen, dass das Protoplasma den auf der Oberfläche sich befindenden Kern umfließt und mittels einer Strömung nach unten verschiebt. Auf den zur Oberfläche der Haut senkrecht geführten Schnitten sieht man, dass der Kern sich dabei zuerst als eine Hohlkugel zusammen- faltet (Fig. 3 u. 4c), sich dann der Länge nach stark ausdehnt und durch einen lichteren, protoplasmatischen Strang, der zwischen den Zellschichten gut zu sehen ist, nach dem unteren Zellrande überwandert. Dort angelangt (Fig. 4f), nimmt er eine halbmond- förmige Gestalt an und breitet sich im unteren Zellteile flach aus. Die Schichtung des Protoplasmas der Xantholeucophoren wechselt sehr stark während der Wanderung des Kernes. Die parallelen Lamellen werden stark umgebogen und so untereinander vermengt, dass sie in einer Zelle, in der der Kern sich schon ganz unten be- findet, einige Anhäufungen bilden, an denen nur noch Spuren der konzentrischen Schichtung sichtbar sind. Der Körper der Zelle er- scheint deswegen viel dichter als er im ausgebreiteten Zustande war; nur oberhalb des Kernes ist eine mehr lockere Stelle sichtbar (Fig. 4 f). Es ist seit langem schon bekannt, dass die Xantholeucophoren Bewegungen ausüben können und dass sich dabei die Lagerung des in denselben befindlichen gelben Lipochroms und der Guaninkörnchen wesentlich verändert. Die sogen. „Lipochromballung“, die bei der Entstehung der lichtgrauen Färbung bei Hyla arborea die wesent- liche Rolle spielt, kommt nur infolge aktiver Bewegungen der Xantholeucophoren zustande. Bei dem Flugfrosche steht die ganz analoge Erscheinung der Pigmentverschiebung und der damit ver- bundene Wechsel der Hautfarbe mit der Verlagerung des Kernes in den Xantholeucophoren im Zusammenhange. Die glitzernden Guaninkörnchen sind in den ausgebreiteten gelben Zellen so gelagert, dass sie vornehmlich in der nächsten Umgebung des Kernes sich befinden, wogegen die tieferen Schichten von den Lipochromtröpfehen eingenommen sind. Bei Anwendung des Polari- Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 13 sationsapparates ist diese Lagerung besonders schön zu sehen; schematisch haben wir dieselbe auf der Fig. 5a wiedergegeben. Die bläulich glitzernden Körnchen geben den Zellen einen bläu- lichen Schimmer, der noch dadurch verstärkt wird, dass sich der linsenförmige, stark lichtbrechende Kern über denselben befindet. Der gelbe Farbstoff ist vorwiegend unter den Interferenz- körnchen ausgebreitet; bei dieser Lagerung muss also die blaue Färbung überwiegen und eine intensive dunkle bläulichgrüne Haut- farbe daraus resultieren. Sobald jedoch die Kerne der Xantholeucophoren in die Tiefe der Zellen eingewandert sind (Fig. 5b), werden die Guaninkörnchen infolge der Verschiebung des Protoplasmas von den, gelbes Pigment führenden Schichten überdeckt. Das bläuliche Glitzern der Inter- ferenzkörnchen wird viel schwächer, der Kern verliert seine Linsen- gestalt und wird unter die Guaninkörnchen gelagert; es muss also die gelbe Farbe der Zellen überhand nehmen. Auf diese Weise entsteht die lichte gelbgrüne Hautfarbe. Während des Umfließens der Xantholeucophoren durch die Melanophoren wird der Kern in den ersteren auch in die Tiefe ver- schoben (Fig. 2); deswegen haben die tiefdunkel gefärbten Frösche immer eine gelblichbraune Hautfarbe. — Die Haut des javanischen Flugfrosches kann ihre Farbe auch infolge von lokal wirkenden Reizen wechseln. Eine sehr schwache Ammoniaklösung verursacht ein deutliches Dunkelwerden der damit befeuchteten Stelle; starker Ammoniak und Eisessig bewirken ein rasches und starkes Aufhellen der Haut. Auch mittels mechanischer Eingriffe, wie durch ein sehr leichtes Kratzen mittels einer fein zugespitzten Nadel konnten wir ein leichtes, aber gut sichtbares Verdunkeln der Haut hervorrufen. — 3. Die „Ruhestellung“ des javanischen Flugfrosches. Die Verteilung der grünen Färbung auf der Haut des Polyp. rein- wardtii entspricht auf das Exakteste derjenigen Stellung des Körpers, die ein auf den Blättern oder an der Wand des Käfigs ruhig sitzendes Tier annimmt. Alle grün gefärbten Körperteile sind dabei nach oben gerichtet, die gelben, weißen und schwarzen unter dem Bauch oder zwischen den Falten der Extremitäten versteckt. Die Vorder- und Hinterbeine eines ruhenden Tieres sind stark an den Körper gepresst, die Finger und Zehen unter den Rumpf geschoben. Die an den Beinen und bei der Kloake entwickelten Hautfalten sind ganz flach auf der Unterlage ausgebreitet. Ein, solche Ruhe- stellung annehmender Frosch hat anfangs die Lungen stark auf- gebläht und atmet sehr rasch; infolgedessen erscheint er dick und plump (Fig. 6 u. 7). Nach einiger Zeit jedoch, gewöhnlich nach einigen Stunden, werden die Atembewegungen sehr merklich ver- langsamt und Hand in Hand damit fallen die Seiten des Körpers 714 Hegi, Illustrierte Flora von Mitteleuropa. zusammen; schließlich werden die Bewegungen des Kinnes kaum merklich und das Volumen der Lungen so verkleinert, dass das Tier, wie plötzlich abgemagert, eine viel schlankere Gestalt annimmt (Fig. 8 u. 9). Die Extremitäten werden gleichzeitig immer mehr an die Körperseiten geschoben; der früher hochgewölbte Rücken wird nach unten gebogen, die Umrisse des Kopfes, der Schulter- blätter und sogar der einzelnen Wirbel werden scharf sichtbar. Die vorerst weit geöffneten Augen werden langsam zugemacht, die Pupille zieht sich zusammen und wird zu einer engen horizontalen Spalte. Das Tier sitzt regungslos in einem dem Schlafe ähnlichen Zustande. (Schluss folgt.) G. Hegi, Illustrierte Flora von Mitteleuropa. 4°, 6 Bände im Preise von je etwa 22 Mk. geb. J. F. Lehmann, München. Der 2. Band der hier schon wiederholt angezeigten Flora liegt jetzt abgeschlossen vor. Er hält ın bezug auf Fülle und Gediegen- heit des Textes, Menge, Naturtreue und Schönheit der Tafeln und Textabbildungen alles, was die ersten Lieferungen und der 1. Band versprochen haben. Nur ın einer Hinsicht hätten die Abnehmer des Werkes Anlass zum Bedauern, wenn ihnen nicht die unbezweifelbaren Vorzüge des nun vorliegenden Werkes einen Ausgleich gewähren würden: die Fülle des Wissens und der Fleiß des Verfassers haben ıhn ver- leitet, das Werk auf viel breiterer Grundlage auszuarbeiten als ursprünglich geplant war. So kommt es, dass die Lieferungen nicht regelmäßig erscheinen konnten, dass der 1. wie nun der 2. Band nur durch Lieferungen vom dreifachen Textumfang und erhöhtem Preise beendet werden konnten und mit diesen zwei Bänden nun erst die Darstellung der Monocotylen abgeschlossen ist. Auch der Text jeder einzelnen Lieferung hat etwa den doppelten Um- fang angenommen, mit schwarzen, technisch vortrefflichen Text- bildern ın größerer Zahl, als anfangs beabsichtigt war. Durch all das sieht sich der Verleger genötigt, von dem Sub- skriptionsvertrag zurückzutreten und nicht nur den Umfang des ganzen Werkes von 5 auf 6 Bände, sondern auch den Preis der noch ausstehenden 50 Lieferungen um die Hälfte, auf je 1,50 Mk. zu erhöhen. Er bietet den Subskribenten, die darauf nicht eingehen wollen, an, die ersten beiden Bände zum Subskriptionspreis zurück- zunehmen. ein Anerbieten, von dem wohl kaum Gebrauch gemacht werden wird. Denn wenn man auch nicht mehr von einem billigen und handlichen Werk wird sprechen können, so bleibt es doch ein außerordentlich preiswertes, und ein nicht nur durch die Zahl und die Ausführung der Abbildungen, sondern auch durch die Gediegenheit und Vielseitigkeit des Textes einzigartiges Werk. W.R. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Tafel VII/VII. Biologisches Centralblatt 1909. Fig. 10. Fig. 14a M. Siedlecki, Krakau e Verlag von Georg Thieme in Leipzig Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. 'K. Goebel umf , Dri.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Vierundzwanzig Nummern bilden einen Band. Preis des Bandes 20 Mark. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Barzzıx Dezember 1009. u san 52 Inhalt: Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfroscles (Schluss). — Lubosch, Die em- bryonale Entwiekelung des Knorpelgewebes und ihre stammesgeschichtliche Bedeutung. — Buytendyk, Beiträge zur Muskelphysiologie von Sipunculus nudus. — Hornyold, Ueber die Nahrungsaufnahme der Spatangiden. — Darwin, Die Abstammung des Menschen. Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. Von M. Siedlecki (Krakau). Mit 1 Tafel. (Schluss.) Von oben gesehen (Fig. 6—9) sieht das Tier wie ein grüner, mit Falten und Windungen auf der Oberfläche versehener Klumpen aus; im Falle wenn der Frosch sich auf ein grünes Blatt gesetzt hat, muss man gut zuschauen, um ihn von der Unterlage zu er- kennen. Ein auf der Baumrinde sitzendes Tier sieht gar nicht unähnlich den Blättern einiger epiphytischer Pflanzen, wie z. B. des Conchophyllum, dessen dicke Blätter sich flach auf den Baum- stämmen ausbreiten. — ö In diesen, dem Schlafen ähnlichen Zustand verfällt das Tier nur während des Tages. Der Flugfrosch ist ein ausgesprochenes Nachttier; während des Tages sitzt er bewegungslos in der hocken- den Stellung zwischen den Blättern oder in dunklen Schlupfwinkeln der Baumrinde; am Abend jedoch beginnt er seine Wanderungen zwischen den Blättern und Zweigen oder sogar auf dem feuchten Boden, wobei er verschiedene Insekten, besonders aber große Grillen und andere Nachtorthopteren erbeutet. Auch in der Gefangenschaft gehalten nimmt er die Ruhestellung nur während des Tages ein; während der Nacht wandert er auf den Wänden des Käfigs munter XXIX. 45 716 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. umher, nımmt aber dabei keine Nahrung an. Wir haben oft in den Glaskäfig, ın dem die Flugfrösche saßen, mehrere Insekten des Abends eingelassen; am nächsten Morgen haben wir immer diese Tiere unberührt gefunden. Infolge des Mangels an genügender Nahrung und wahrscheinlich auch infolge der überhaupt unent- sprechenden Bedingungen, in denen die Tiere im Käfige leben müssen (Mangel an genügender Feuchtigkeit, än Bewegung u. s. w.) werden die Flugfrösche nach einigen Tagen der Gefangenschaft sehr schwach. Sıe verbleiben in der Ruhestellung sehr lange Zeit, auch des Abends und in der Nacht, werden schließlich ganz unbe- weglich und können sogar sterben, ohne die hockende Stellung zu verändern. Wenn man ein Tier, das beim Tage die Ruhestellung ange- nommen hat, von der Unterlage plötzlich abreisst und auf den Rücken umdreht, so sind die Abwehrbewegungen und die Flucht- versuche anfangs nur sehr schwach. Das Tier bewegt träge und wie schläfrig die Extremitäten und nur langsam dreht es sich in die normale Lage um. Erst nach einigen starken und rasch nach- einander ausgeführten Atembewegungen, nachdem die Lungen wiederum aufgebläht werden, kehrt die gewöhnliche Beweglichkeit zurück. Der Frosch macht einen Eindruck, als wenn er von tiefem Schlafe geweckt wäre. — Ein die Ruhestellung annehmender Flugfrosch setzt sich immer so auf die Unterlage nieder, dass seine Augen vom Lichte ab- gewendet seien. In einem Glaskäfige klebt er sich immer an die- jenige senkrechte Wand an, die am nächsten der Lichtquelle gelegen ist. Wir haben unter eine große Glasglocke acht Exemplare, Männchen und Weibchen des Flugfrosches gegeben und die Glocke vor einem Fenster gestellt; nach kurzer Zeit, etwa 1 Stunde, waren alle Tiere dicht nebeneinander an der dem Fenster zugekehrten Seite angeklebt. Jetzt haben wir die Glocke sehr langsam und vorsichtig gedreht und sofort sind alle Tiere wiederum auf die jetzt dem Fenster zugekehrte Seite übergewandert. Auf diese Weise haben die Frösche immer ihre weiße Bauchseite dem Lichte zugekehrt gehabt; die grüne Rückenseite und die Augen waren von der Lichtquelle abgewendet. In einem Glaskäfige, der von zwei Seiten beleuchtet wurde, haben sich die Frösche immer an jener Wand befestigt, die stärker beleuchtet war; wiederum waren die großen Augen und die Haut der Tiere von der stärkeren Licht- quelle abgewendet. Der Flugfrosch ist also, als ein Nachttier, aus- gesprochen lichtscheu. Wir haben schon oben erwähnt, dass ein die Ruhestellung annehmender Polyp. reinwardti sich sehr gut an den Glaswänden Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. TREE des Käfigs oder auf den Blättern ankleben kann. Bei diesem Vor- gange, der für unsere Froschart ungemein charakteristisch ıst, spielen nicht nur die mächtigen, an den Fingern und den Zehen entwickelten Haftscheiben, sondern auch viele andere Körperteile eine wichtige Rolle mit, namentlich: die Haut der Bauchoberfläche, die Haut- falten an den Extremitäten, die präanalen Hautlappen und ein Teil des Kinnes. Auf den Figuren 10 u. 11 haben wir Photographien eines Männchens und eines Weibchens dargestellt, die an der Glas- wand des Käfigs angeklebt waren und von der Bauchseite aufge- nommen worden sind. Die beiden Tiere haben eine solche Stellung angenommen, dass die Konturen des ganzen Körpers eine ununter- brochene Linie an der Unterlage bilden. Die präanale Hautfalte berührt direkt das Tibiotarsalgelenk; der auf demselben gebildete Hautlappen geht auf die fünfte Zehe über und wird mit derselben unter die Ellenbogenhautfalte geschoben. Vom Ellenbogen geht die an die Unterlage fest angeschmiegte Hautfalte auf den letzten Finger über und wird samt allen übrigen Fingern unter dem Kinne versteckt. An beiden Seiten des Körpers ist die Lagerung der Extremitäten und der Hautfalten ganz symmetrisch; die Finger und die Zehen sind unter dem Körper versteckt, die Haftballen, die Haut des Bauches und die der Oberschenkel stark an die Unterlage angeschmiegt. Nur der obere Teil der Brust und die Unterseite des Kinnes sind von der Unterlage abgehoben; deswegen sind die Atembewegungen nicht gehemmt. Ein fest an einer Glasscheibe sitzender Frosch sieht, von unten beobachtet, wie ein riesiger Daug- napf aus, so symmetrisch und so dicht geschlossen sind die seit- lichen Umrisse seines Körpers. Es handelt sich hierbei jedoch un keine Saugwirkung, sondern nur um Bildung einer großen und klebrigen Adhäsionsfläche. Die Tiere können nämlich nicht nur an den glatten und undurchlässigen Flächen, wie z. B. Glas oder glatte Blätter solche Stellung annehmen; auch an rauher Baumrinde oder sogar an porösen Wänden sitzen die Tiere ganz fest. An den Glasscheiben können die Frösche sich sehr stark ankleben; sobald jedoch dieselbe Scheibe mit Wasser benetzt wird, sind alle Ver- suche der Tiere, sich an derselben zu befestigen, vergeblich. Die- jenigen Tiere aber, denen wir die Haut sehr dünn mit Vaselın bestrichen haben oder die auf eine mit Vaselin ganz dünn ein- geriebene Glasscheibe gebracht wurden, konnten sich ganz unbe- hindert ankleben. Offenbar handelt es sich hier also um Adhäsıon, die, wie Schuberg?) richtig betont, nur dann möglich ist, wenn eine sehr dünne Flüssigkeitsschicht auf der Adhäsionsfläche sich befindet. Das auf der Glasscheibe in ziemlich dicker Schicht aus- gebreitete Wasser verhindert das Aufkleben der Frösche; das von 5) Schuberg. Arb. des zool. Inst. Würzburg, 11. Bd. 1891. 45% 718 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. selbst klebrige Vaselin, in dünner Schicht ausgebreitet, hat diesen sehädigenden Einfluss nicht ausgeübt. Die Haut der ganzen Unterseite des Flugfrosches ist sehr klebrig; diese Beschaffenheit, die bei dem Sichankleben von Wichtig- keit sein kann, verdankt sie dem reichlich abgesonderten Sekrete der Hautdrüsen, die auf der ganzen Banchoberdäche in großer An- zahl sich befinden. Eine Vorbedingung für die Bildung der großen Adhäsionsfläche auf der unteren Seite des Körpers des Flugfrosches ist ‘die Ein- richtung, welche es dem Tiere ermöglicht, die Bauchhaut stark zu spannen. Schuberg (l. e.) hat cr, richtig betont, dass bei Hyla arborea die Br der Haut auf dem Bauche eine andere ist als bei dem gewöhnlichen Grasfrosche. Auf der ganzen Oberfläche des Musculus obliquus externus und M. pectoralis sieht man bei H. arborea, dass ein Zusammenhang zwischen der Haut und der Muskulatur der Bauchwand vorhanden ist und zwar durch zahl- reiche Bindegewebssäulchen, die von der Fascie aufsteigen und sich an die Bauchwand ansetzen. Die Bündel bestehen aus starken Bindegewebsfibrillen. Bei dem javanischen Flugfrosche ist der Zusammenhang zwischen der Bauchmuskulatur und der Haut ein sehr starker. Nur in der mittleren Gegend des Bauches ist es überhaupt möglich, die Haut frei von der Bauehwand abzuheben. In der Brustbeingesend und nahe der Symphyse scheint die Haut direkt an die Bauchwand an- gewachsen zu sein. Bei vorsichtiger Präparation sieht man aber, dass auch hier sehr zahlreiche Bündel von Bindegewebsfibrillen, die senkrecht durch den Saecus Iymphaticus abdominalis steigen, die Haut an der Fascie -der Muskulatur festhalten. In den Bündeln sind auch zahlreiche starke elastische Fasern nachweisbar. Durch die Wirkung der Brust- und Bauchmuskeln wird der mittlere Teil der Brunn: gespannt, die körnigen Hautpapillen werden dadurch flach ausgebreitet und eine glatte Adhäsionsfläche gebildet. Wir a schon en betont, dass die Flugfrösche, Se die Ruhestellung eingenommen haben, ın elben sehr lange Zeit verbleiben können; wir haben auch Fälle gesehen, in denen Are an senkrechten Wänden angeklebten Tiere in der Ruhe- stellung gestorben sind, ohne sich dabei von der Unter- lage loszulösen. Dieses Vermögen, sich an glatten Oberflächen so stark anzukleben, müssen wir als eine Ko an das Leben auf den Bäumen betrachten. Die glatten Blätter der tropischen Pflanzen, auf denen, wie wir weiter unten sehen werden, sich die meisten Lebensvorgänge des Flugfrosches abspielen, bieten aber auch die geeignetsten Flächen, auf denen sich das Tier mittels Adhäsıon gut Bebtigen kann. Wie bekannt ist die Oberfläche der Blätter der meisten tropischen Bäume sehr glatt; manchmal ist sie Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 719 unbenetzbar und sehr oft sind an derselben Vorrichtungen vor- handen, welche ein rasches Abträufeln des Regenwassers erleichtern. Eine dicke Wasserschicht, die ein Ankleben verhindern könnte, bildet sich also auf den tropischen Blättern gewöhnlich nicht. — Ein in der Ruhestellung an den Blättern befestigter Flugfrosch sieht wie ein grüner, ziemlich dicker Klumpen aus. Diese Eigen- tümlichkeit ist wohl als eine Schutzvorrichtung zu betrachten. Sehr interessant ist es aber, dass die schützende grüne Farbe gerade dann am deutlichsten ausgesprochen ist, wenn das Tier während des Tages ganz ruhig sitzt und in einem dem Schlafe ähnlichen Zustande sich befindet; ein solches Tier wäre ohne Schutzfärbung eine sehr leicht zu erreichende Beute. Beim Klettern auf den Zweigen und bei dem Sichanheften an den Blättern spielen beim Polyp. reinwardtii die Haftballen an den Fingern und Zehen eine überaus wichtige Rolle mit. Wir gedenken in einer später zu publizierenden Abhandlung über den anatomischen "und histologischen Bau, den Mechanismus der Funktion und über die Entwickelung dieser interessanten Organe eingehender zu be- richten; deswegen haben wir von der flüchtigen Schilderung unserer diesbezüglichen Beobachtungen jetzt abgesehen. — 4. Die Bewegungen des javanischen Flugfrosches. Der Flugfrosch klettert ausgezeichnet auf den Bäumen, schwimmt sehr rasch und gewandt und kann sehr hoch und weit springen. Die letzte Bewegungsart ist bei unserem Tiere die interessanteste, weil es beim Herabfallen nach dem Sprunge die überaus mächtig ent- wickelten Schwimmhäute und die Hautfalten an den Extremitäten ausbreitet und sich derselben nach der Art eines Fallschirmes be- dient. Diese Eigentümlichkeit hat unserem Tiere und seinen Ver- wandten den Namen der „Flugfrösche“ verliehen; mit Staunen hat schon Wallace®) in seiner schönen Beschreibung des malay- ischen Archipels davon berichtet. Im Bau des ganzen Körpers des Flugfrosches spiegelt sich das ausgezeichnet entwickelte Springvermögen ab. Die langen Hinter- beine sind sehr stark, dabei aber sehr schlank gebaut; ihre Länge übertrifft die Länge des Rumpfes, mit dem Kopfe gerechnet. Beı dem Ausstrecken der Hinterbeine wird also der ganze Körper mehr als um seine eigene Länge rasch nach vorn verschoben; die Ein- wirkung der Ausstreckung der Hinterbeine dauert also als Trieb- kraft für den in Bewegung gesetzten Körper auf einer ziemlich weiten Strecke. Die Anfangsgeschwindigkeit, die dem Tiere dabei verliehen wird, ist eine sehr große, weil das Ausstrecken der langen und in der Hockstellung dicht aneinandergeschobenen Ober- und 6) A. R. Wallace. The Malay Archipelago. London. 1869. 720 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. Unterschenkel sehr plötzlich geschieht. Der Bau der ganzen Mus- kulatur der Hinterbeine entspricht auf das vollkommenste dem Vermögen, solche rasche Bewegungen auszuführen. Die Muskeln des Oberschenkels, besonders die Streckmuskeln, sind sehr lang und mächtig; am Unterschenkel sieht man an dem Musculus plantaris longus, M. peroneus, M. tibialis anticus und Extensor eruris brevis einige, vom Bau derselben Körperteile bei unserem Grasfrosche abweichende Einzelheiten. Die Sehnen der drei letztgenannten Muskeln übergreifen so wie bei dem Gras- frosche das Kniegelenk. Während aber bei der europäischen Form diese Sehnen als feine, fadenförmige Streifen entwickelt sind, sieht man dieselben als breite und starke Bänder bei dem javanischen Flugfrosche. Es ist darin ein Beweis, dass diese Muskeln sehr viel zur Streckung des Oberschenkels gegen den Unterschenkel bei- tragen. — Der Musculus plantaris longus (früher als M. gastro- enemius bezeichnet) hat bei unserem Grasfrosche seine größte Dicke kurz nach seinem Ursprunge und verschmälert sich allmäh- lich nach hinten. Beim Polyp. reinwardtii erscheint derselbe Muskel von der Wadenseite gesehen als ein breites Band von gleichmäßiger Dicke in der ganzen Länge und nur vorn und hinten ziemlich stumpf zugespitzt. Ebenso von der Seite gesehen zeigt derselbe Musculus plantaris longus keine stark aufgebauchte Stelle, wie sie gewöhnlich bei den Wadenmuskeln zu sehen ist; er stellt hingegen ein in der ganzen Länge fast gleich dickes Ge- bilde vor, deswegen erscheinen auch die Waden des Flugfrosches sehr schlank. Die Sehnenhaut auf der Oberfläche des Muskels ist nicht sehr stark, dient aber dennoch als Insertionspunkt für die schief verlaufenden Muskelfasern. Die letzteren sind noch dicht am Tibiotarsalgelenke sichtbar; die Achillessehne ist des- wegen sehr kurz, jedoch ziemlich breit; sie geht in eine stark entwickelte Plantaraponeurose über, von der wiederum ein- zelne Sehnenstränge an der Beugeseite der Finger verlaufen. Diese Eigentümlichkeiten des großen Wadenmuskels und der mit ıhm verbundenen Sehnen ist für den Mechanismus des Sprunges sehr wichtig. Durch die Kürze der elastischen Achillessehne ist eine sehr rasche und fast unmittelbare Einwirkung des Muskels auf die Plantaraponeurose und damit auch eine sehr rasche Streckung des Fußes gesichert. Die Länge des Wadenmuskels erlaubt eine starke Verkürzung desselben bei der Kontraktion; schließlich die stark entwickelte Plantaraponeurose mit den Sehnensträngen auf den Fingern verhindert das Umbeugen derselben während des Sprunges und während des „Schwebens“ mittels der ausgebreiteten Flughäute. — Die sogen. „Flughäute“, die zwischen den Fingern und Zehen ausgespannt sind, haben im Prinzip dieselbe Struktur wie die Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 191 As Schwimmhäute bei unseren Grasfröschen, nur ist die Anzahl der Hautdrüsen bei der javanischen Art viel beträchtlicher als bei der unseren. Die Drüsen geben ein reichliches Sekret ab, das die weit ausgebreiteten Häute vor dem Austrocknen schützt. Das Kapillar- netz der Blutgefäße ist, entsprechend den zahlreichen Drüsen, mächtig entwickelt. Die Lymphkanäle bilden, nahe am freien Rande der Flughaut, ein sehr diehtes und engmaschiges Netz; zwischen den Fingerwurzeln werden die Lymphgefäße viel breiter, durch Verschmelzung einiger Zweige miteinander, und verlaufen fast parallel zu den Fingern. Wenn beim Zusammenschieben der Finger die Flughaut in kleine, fast zu den Fingern parallele Falten zu- sammengelegt wird, so kommen die größeren Lymphgefäße in die Wände dieser Falten zu liegen und werden dabei fast gar nicht zusammengedrückt, so dass trotz der Faltung der Haut der Lymph- strom keine Störung und keine Verlangsamung erleidet. — Wenn man einen auf flachem Boden sitzenden Flugfrosch auf- scheucht, so macht er einen überraschend weiten Sprung; sowohl kleine Männchen als auch große und schwere Weibchen sind im- stande, auf eine Entfernung von 1!/,—2 m zu springen, d. i. dass sie in einem Sprunge eine Strecke, die etwa 20mal die eigene Körperlänge beträgt, rasch durchfliegen können. Der Bogen, den sie dabei in der Luft beschreiben, ist ziemlich flach; in seiner größten Höhe ist er nur gegen 20 em über die Bodenfläche erhoben, des- wegen berührt der Frosch nach dem Sprunge den Boden unter einem spitzen Winkel. Die Geschwindigkeit der Bewegung im Sprunge ist sehr groß; wir konnten keine exakten Messungen durch- führen, wir schätzen aber die Zeit, in der eine Strecke von 2 m durchgeflogen wird, auf einen kleinen Bruchteil, etwa '/, oder !]; einer Sekunde. Während des Sprunges, gleich nach dem Abstoßen von dem Boden, bringt der Frosch den ganzen Körper in eine sehr charakte- ristische „Schwebestellung“ (Fig. 12) ein. Die Vorderbeine sind mit dem Ellenbogengelenk stark an der Körper gepresst, die Vorderarme sind seitlich gestellt; deswegen werden die Hautfalten an den Vorderbeinen in der Form einer flachen Membran ausge- breitet. Die Hinterbeine werden so an den Körper geschoben, dass nur der tarsale Teil seitlich von demselben absteht. Der ganze Körper wird sehr stark aufgebläht infolge der Ausdehnung der mächtig entwickelten Lungensäcke. Die Finger und Zehen werden möglichst weit auseinandergespreizt, deswegen werden die Schwimm- häute in ihrer ganzen Fläche ausgebreitet. In dieser Schwebe- stellung kann der Körper des Flugfrosches eine sehr große Ober- fläche bedecken. Darauf haben schon einige Autoren hingewiesen. Wallace (l. e.) schreibt, dass bei dem Borneo-Flugfrosche dessen Körper etwa 4 Zoll lang war, die Oberfläche der ausgebreiteten 29 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. Hinterbeinhäute gegen 4 Quadratzoll und die Schwimmhäute aller Extremitäten zusammen gegen 12 Quadratzoll bedeckten. Bei dem Rhacophorus (Polypedates) nigropalmatus fand Isenschmid (!. c.), dass die Oberfläche der Phalangen samt den Häuten der beiden hinteren Extremitäten ungefähr 45 cm? beträgt, die der vorderen bloß 21 cm?, also total 66 cm?, während die Körperoberfläche bloß 56 em? groß ist; diese Zahlen sind an toten Exemplaren gefunden worden. Um die wahre Oberfläche, welche der Flugfrosch während des Sprunges entwickelt zu finden, haben wir das Tier mit einem Farbstoffe benetzt und dann zum Sprunge gereizt. Das Tier fällt nach dem Sprunge mit völlig ausgebreiteten Schwimmhäuten auf den Boden und berührt denselben mit seiner ganzen Unterseite, sogar mit dem Kinne; es entsteht also auf dem Boden eine farbige Silhouette, deren Umrisse die Grenzen der beim Sprunge ent- wickelten unteren Oberfläche .darstellen. Diese Silhouette haben wir auf Koordinatenpapier kopiert; auf diese Weise haben wir die untere Oberfläche des ganzen Körpers eines mittelgroßen Weibchens auf 6800 mm? bestimmt, wobei auf die ausgebreitete Schwimmhaut eines Hinterfußes ungefähr 675 mm?, auf die eines Vorderfußes ungefähr 375 mm? fallen. Die Entwickelung einer so großen Oberfläche während des Sprunges kann mächtig zur Verminderung der Fallgeschwindigkeit beitragen, wenn man bedenkt, dass das Gewicht eines erwachsenen Männchens von Polyp. reinwardtii nur zwischen 6—8,5 g, das eines erwachsenen Weibchens zwischen 16—19 g schwankt. Ein Flugfrosch, der von einem flachen Boden auf einen hohen Gegenstand springt und dort sich befestigt, nımmt während eines solchen Sprunges (der sogar 40—50 cm hoch sein kann), die cha- rakteristische Schwebestellung nicht an; im Gegenteil, sein Körper wird nicht aufgebläht, die Vorderbeine werden möglichst weit nach vorne, die Hinterbeine nach hinten gestreckt. Am besten sieht man die Schwebestellung bei einem Sprunge von einer erhöhten Stelle auf den Boden. Wir haben den Frosch von Sträuchern, die mehr als 3m hoch waren, direkt auf einen harten Boden springen gesehen. Beim Sprunge hat er anfangs eine horizontale Richtung genommen und beschrieb in der Luft eine Kurve, die unter einem spitzen Winkel den Boden berührte. Durch das Auf- blähen der Lungensäcke, das einerseits die Oberfläche des Körpers vergrößert und zugleich das spezifische Gewicht des Tieres ver- mindert, sowie auch durch das Ausbreiten der Extremitäten wird die Schwebestellung in ihrer Vollkommenheit erreicht (Fig. 12). Die riesigen Schwimmhäute werden schief zur Richtung der Schwer- kraft gestellt und deshalb wird auch die Fallrichtung in eine schiefe umgewandelt; bei der Berührung des Bodens unter einem spitzen Winkel wird der Körper des Tieres nur wenig erschüttert. Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 7123 Davon, dass ein Tier die Fallrichtung wirklich umwandeln kann, haben wir uns oft überzeugt. Wenn wir einen Flugfrosch von einer großen Höhe (gegen 5 m) Ablallen ließen, haben wir immer gesehen, ee: dabei die ausgebreiteten Hinterfüße stark einige Male die Luft geschlagen haben, wonach sofort die charakteristische Schwebe- stellung angenommen wurde und der Frosch immer leicht und unter einem spitzen Winkel auf den Boden fiel. Die Art der Ver- änderung der Fallrichtung ist nicht so vollkommen, wie man sie bei Draco volans oder Se Galeopithecus sehen kann, sie trägt aber viel dazu bei, um die Erschütterung des Körpers beim Bo fallen zu mildern. Dieser letzte Zweck wird auch dadurch er- reicht, dass die ausgebreiteten Schwimmhäute während des Falles Aureh leichte Beugung der Finger und Zehen nach oben gewölbt werden. Die Bas Dan A den Boden nicht mit der ganzen Sohlenfläche, sondern nur mit dem Rande derselben, wovon wir uns aus den, vom Flugfrosche auf Papier gelassenen Fußabdrücken überzeugt haben. Dadurch wird unter den Flughäuten ein wenig Luft eingeschlossen, die gleichsam einem elasischen Polster die Erschütterung des Körpers mildert. Die Bedeutung der ganzen Fallvorrichtung, den der Körper des Polyp. reinwardtiv de elle, ist für dieses Tier eine sehr große. Auf den Bäumen, auf denen dieses Tier sein Leben führt, finden sich auch die meisten seiner Feinde. In erster Linie wären hier die Baumschlangen zu nennen, von denen einige, wie z. B. Dryo- phis prasinus (mach Angaben von Ridley) an hauptsächlich von den Fröschen und Eidechsen ernähren. Auch manche storchähn- liche Vögel, wie z. B. die Marabus, haben wir oft ihre Beute auf den Bäumen suchen gesehen. Die plötzlichen und weiten Sprünge, zu denen der Flugfrosch dank seiner Fallvorrichtung befähigt ist, erlauben ihm rasch vor solchen Feinden zu flüchten. — Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der Flugfrosch sich seiner Sprünge auch während der Jagd nach der Beute Bedrent‘ Im Magen dieses Tieres ‚haben wir sehr oft die Überreste verschiedener großer und sehr scheuer Grillen gefunden, die tagsüber in der Erde unter oder zwischen den Baumwurzeln versteckt bleiben und nur nachts ıhr Versteck verlassen. Diese Orthopteren sind niemals auf den Zweigen jener Sträucher oder Bäume zu sehen, auf denen die Flugfrösche zu finden sind; der Flugfrosch muss dieselben also mittels eines raschen Sprunges auf Han Boden erbeuten. Die riesigen „Flughäute“ dienen dem Tiere im Wasser als große und mächtige Ruder; wir haben gesehen, wie ein ins Wasser geworfener Flugfrosch mittels eines Schlages mit den ausgebreiteten Hinterfüßen aus dem Wasser ziemlich hoch herausgesprungen ist. Trotz des Baumlebens haben die Tiere das Vermögen, sich im ‚Wasser rasch zu bewegen, gänzlich behalten. — 724 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 5. Die Begattung und die Brutpflege des javanischen Flugfrosches. Es ist für uns sehr schwer, die Dauer der Brunst- zeit bei dem Polyp. reinwardtii ganz exakt zu bestimmen, weil sich unsere Beobachtungen nur auf die Monate von Januar bis Juni er- strecken. Bei den meisten Amphibien fällt gewöhnlich die Zeit der regen Geschlechtstätigkeit mit dem Wechsel der klimatischen Ver- hältnisse zusammen; der Frühling oder der Monsumwechsel bringt auch die Brunstzeit mit. In Westjava lässt sich aber der Unter- schied zwischen der feuchten und der trockenen Monsumzeit wenig spüren; der Grad der Feuchtigkeit und die Temperatur der Luft verändern sich sehr wenig und nur während der Sommermonate, es sind also klimatische Bedingungen für eine dauernde Geschlechts- tätigkeit während mehrerer Monate gegeben. Wir haben geschlechts- reife Individuen von Januar bis Juni gefunden und zur selben Zeit die auf verschiedenen Entwickelungsstufen sich befindende Bier gesammelt. Im Juni haben wir Weibchen gesehen, bei denen die Geschlechtszellen beinahe reif waren; wir könnten vermuten, dass die Eiablage im Juli oder spätestens im August stattfinden sollte. Das wenig wechselnde Klima hat also dazu geführt, dass die Ge- schlechtstätigkeit nur von den inneren Ursachen abhängt und des- wegen bei verschiedenen Individuen derselben Gattung in verschie- denen Monaten sich entwickelt. Es wiederholt sich in dieser Erscheinung dasselbe, was Schimper”) so trefflich bei der Be- sprechung der Periodizität des Pflanzenlebens in den Tropen betont hat, dass nämlich in dem gleichmäßigen Klima die inneren Ursachen für die Abwechslung von den Perioden der Ruhe und Aktivität allein maßgebend sind. — Am leichtesten waren jeoch die reifen Tiere und ihre Eier im März zu finden; März kann also als die Zeit der stärksten Geschlechtstätigkeit des Flugfrosches bezeichnet werden. — Während der feuchten tropischen Nächte kann man in dem ununterbrochenen Konzerte der Cikaden und Grillen recht seltsame Laute verschiedener Frösche wahrnehmen. Die Lockrufe des java- nischen Flugfrosches beginnen manchmal schon etwa 1 Stunde vor dem Sonnenuntergange. Die Männchen, die eine recht starke Stimme besitzen, klettern auf die höchsten Zweige der Sträuche (wir haben sie gewöhnlich auf Acalypha, Sanchesia und Hibiscus sp. div. beobachtet), setzen sich an den großen Blättern ruhig nieder und stoßen nach je ein paar Minuten rasch nacheinander zwei laut klingende Töne aus, von denen der erste am höchsten und der zweite etwa um eine Terz niedriger ist. Der Klang dieser Töne ist ein äußerst charakteristischer; ihm verdankt der Flugfrosch seinen malayischen Namen „Ding-dong“. Von Zeit zu Zeit bleibt 7) Schimper. Pflanzengeographie auf physiologischer Grundlage. Jena 1898. Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 725 der Frosch eine lange Weile ruhig, dann bläht sich sein Kehlsack auf und es wird ein scharfes, metallisch klingendes Quaken hörbar. In den Gebüschen, in denen Polyp. reinwardtiü verweilt, kann man des Abends anfangs nur vereinzelte Stimmen der Männchen wahrnehmen. Nach dem Sonnenuntergange aber, bei eintretender Dunkelheit, hört man dieselben immer öfter; gewöhnlich kommen mehrere aus einem und demselben Strauche. Dann hört man erst die schwache, an das Quaken unseres Grasfrosches erinnernde Stimme des Weibchens. Je näher die beiden Geschlechter aneinander kommen, desto lebhafter werden die Lockrufe; nach dem Vereinigen beider Tiere hören dieselben plötzlich auf; die Tiere stoßen während des ganzen Kopulationsaktes keinen Laut aus. Bei hellen und recht feuchten Nächten hört man die Flugfrösche noch gegen Mitter- nacht; während der trockenen oder ganz dunklen Nächte werden dieselben schon gegen 10 Uhr abends ganz stumm. Den Kopulationsakt und die Eierablage haben wir dreimal an den im Laboratorium gehaltenen Tieren in allen Einzelheiten be- obachtet; einige Stadien dieses Vorganges haben wir auch im Freien, im botanischen Garten zu Buitenzorg gesehen. — Die Vereinigung der beiden Geschlechter findet des Abends, gegen 9 Uhr statt. Das Männchen umklammert das Weibchen mit den Vorderbeinen unter den Achseln (Fig. 13) und bleibt in dieser Position die ganze Nacht hindurch. Erst des Morgens, gegen 6 Uhr, beginnt die Eierablage und die Befruchtung; am frühen Morgen kann man auch an den Sträuchern frisch abgelegte Eier- ballen finden. Das Weibchen wandert mit dem auf seinem Rücken reitenden Männchen auf den Zweigen der Sträucher und sucht ein zur eigent- lichen Kopulation passendes Blatt auf; dann befestigt es sich stark mit den Vorderfüßen, an denen die Haftballen mächtig entwickelt sind, entweder auf der Oberfläche eines großen, aber nicht zu steifen Blattes oder zwischen einigen kleineren Blättern. Erst dann be- ginnt die Eierablage und die gleichzeitige Befruchtung derselben. Dieser Vorgang verläuft auf ähnliche Weise wie es bei Polyp. schlegelii von Ikeda®) beschrieben worden ist. Beide kopulierenden Tiere (Fig. 14a u. b) biegen die langen Hinterbeine stark nach oben um, so, dass das Tibiotarsalgelenk auf den Rücken hoch über der Analöffnung zu liegen kommt. Das Weibchen kann manchmal die Fersen bis über den Rücken des Männchens umbiegen. Nach- dem die Tiere diese Stellung angenommen haben, wird ein Ei in 8) Ikeda Sakujiro. Notes on the Breeding Habits ... . of Rhacophorus Schlegelii Günth. Annotationes zoologicae japonenses, Vol. I, 1897. — Derselbe: Contributions to the Embryology of Amphibia. Journ. of the Coll. of Sc. Imper. Univ. Tokyo, Vol. XVII, 1901. 726 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. einer schleimigen Masse abgelegt; in demselben Momente ergießt das Männchen die Samenflüssigkeit und sofort beginnen beide Tiere gleichzeitig und gleichmäßig mit den Hinterbeinen zu bewegen, so, dass die Fersen den Rücken streichen und die Füße in den Eier- schleim eingetaucht werden (Fig. 14a, b). Die Bewegungen werden rasch ausgeführt und es wird dadurch die schleimige Substanz um die Eier zum Schaum geschlagen. Jetzt bleiben die Tiere eine Weile ruhig mit den Beinen auf dem Rücken sitzen; dann wird ein neues Ei abgelegt und die Bewegungen wiederholen sich vom neuen. Auf diese Weise werden etwa 60-90 Eier in !/;—1 Stunde ab- gelegt und ein Schaumklumpen von 5—7 cm Durchmesser gebildet. 'Alle Eier werden gleichzeitig befruchtet; manchmal werden auch einige leere Eihüllen oder unreife Eier mit abgelegt. Die in kopulierende Pärchen gebundenen Tiere sind sehr scheu; wenn man dieselben berührt oder sogar nur zu stark beleuchtet, so lassen sie sich sofort los. Wir haben einen solchen Fall ge- sehen; das auf diese Weise getrennte Männchen wollte sich schon nicht mehr zum zweiten Male mit dem Weibehen verbinden, ob- wohl es in demselben Gefäße wie früher den ganzen Tag und die nächste Nacht verblieb. Das Weibchen aber, das schon die Eier abzulegen begonnen hat, unterbricht bei Störung der Kopulation und nach Entfernung des Männchens die Eierablage nur auf eine kurze Zeit. Nach ungefähr !/, Stunde nimmt es dieselbe Stel- lung wie während der Kopulation an, biegt die Beine auf den Rücken um und bewegt mit denselben während der Eier- ablage ganz ebenso, als wenn es noch mit dem Männchen verbunden wäre. Wir haben auch einmal ein Weibchen gesehen, welches mit den reifen Eiern vollgepfropft war, als es in einem Glasgefäße ohne Männchen die Eier abgelegt hat; dabei hat es ebenfalls alle die charakteristischen Bewegungen ausgeführt wie gewöhnlich bei der Kopulation. Die beiden letzten Beobachtungen scheinen uns wichtig zu sein. Man hat oft angenommen, dass die Bewe- gungen, welche die weiblichen Frösche während der Kopulation ausüben, als Reflexbewegungen zu deuten sind; den Impuls zu diesen Reflexen soll die Reizung des Rückens des Weibchens durch das darauf sitzende Männchen bilden. Wenn auch die Kopulations- bewegungen des Weibchens als reflektorisch bezeichnet werden können, so ist jedenfalls nach obigen Beobachtungen der Impuls zu denselben nicht in dem Streichen des Rückens zu suchen; plau- sibler erscheint uns, anzunehmen, dass die Veränderungen, die im Geschlechtsapparate während der Eierablage stattfinden (wie z. B. die Erweiterung der Kloake u. s. w.) die Ursache der reflektorisch auf- tretenden, scheinbar sehr zweckmäßigen Bewegungen der Hinter- beine darstellen können. — Gleich nachdem alle Eier schon abgelegt sind. und nachdem Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 7197 das Männchen sich schon losgetrennt hat, betastet das Weibchen mittelst flach ausgebreiteter a den großen Schaumklumpen, in dem die Eier hesen, von allen Seiten; es a dadurch ein ziem- lich regelmäßiger ovoider Ballen gebildet. Mittelst der langen Extremitäten werden jetzt die Blätter, die am nächsten des Eiballens liegen, umgebogen und an die schleimige Substanz gepresst, so dass sie an dieselbe or fest ankleben. Gewöhnlich werden die Eier zwischen zwei Blättern befestigt (Fig. 15), sehr oft aber wird der Eierklumpen auf einem Blatte edler. in letzterem Falle werden die Ränder des Blattes derartig ee dass der ganze Laich fast allseitig darin in echlossen wird und nur von vorne und von unten, wo die Ränder des Blattes nicht geschlossen sind, frei mit der Luft in Berührung kommt. Alle ende hängen senkrecht auf den Zweigen der Sträucher, gewöhnlich in een und nicht leicht ln Stellen. Be nalnweice kann die Kopulation der Flugfrösche auch auf dem Boden stattfinden. Im März 1908 hat man im botanischen Garten zu Buitenzorg in einem Teile der Sträucher, in denen die Flugfrösche zu Bes waren, die Zweige kurz abgeschnitten. Einige Tage später hat mein Diener zwei frisch lee Eierballen an dem Boden an derselben Stelle gefunden; einen andeuch Eierballen habe ich auf den Blättern einer kleinen Komposite dicht über dem Boden gesammelt. Etwa einen Monat später, als die Sträucher neue große Blätter gebildet haben, waren wiederum Flugfroschlaiche auf denselben zu en In der Not passt sich also das Tier sofort an neue Bedingungen an. — Ein Weibchen legt 60-—-90 Eier auf einmal ab und scheidet dabei eine große Menge der schleimigen Substanz aus; eine so große ah schwächt den Organısmus des Tieres beisehlich ab. Ein Weibchen, das ım Bee die Eier abgelegt hat, starb sofort nach Beendigung des ganzen Vorganges; zwei andere. haben nur 3 Tage nach der Eierablage gelebt; ob dasselbe auch mit den krei Eoaden Tieren geschieht, war uns Luc; möglich zu konstatieren. Die Lagerung der in der Schaummasse eingetauchten Eier ist sehr charakteristisch; aus der Oberfläche der zwischen den Blättern hängenden Masse sieht man keine Eier hervorragen. Im Inneren des Laiches sind die Eier am dichtesten nebeneinander gelagert, berühren sich jedoch gegenseitig nicht. Um ein jedes Eı (Fig. 16a) befindet sich eine diekere Schicht des einförmigen und nicht schau- migen, bräunlich gefärbten Schleimes (Fig. 16 b), auf welchem erst der Schaum gelagert ist; diese einförmige Schicht, die samt dem: Schaume als terziäre Eihülle zu bezeichnen ist, befestigt sich ziem- lich lose an den eigentlichen festeren Eihüllen, so dass es leicht ist, dieselbe von den letzteren zu entfernen. -— 7128 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. Der ganze Schleim, der den Laich verbindet, ist zuerst während der Eierablage farblos und dickflüssig; nach einigen Stunden wird er fester und nimmt eine weißlichgraue Färbung mit einem Stich ins Rotbraune an. Zuerst klebrig und fadenziehend wird er nach- her mehr gelatinös. In destilliertem Wasser quillt er langsam, aber sehr stark und löst sich teilweise auf. Diese Lösung gibt beim Kochen ein flockenartiges Gerinnsel. In schwacher NaOH- Lösung löst er sich langsam, beim Kochen schnell auf; ebenso ın konzentrierter Salpetersäure, welcher er eine deutliche, gelbe Fär- bung verleiht. Alkohol und Salze schwerer Metalle, wie Platin- chlorid und Sublimat, bringen ihn sofort zur Gerinnung. — Von den farbigen Reaktionen auf Eiweiß fallen die Xanthoprotein- und die Millon’sche Probe positiv, die Biuretraktion jedoch undeutlich oder negativ aus. Fehling’sche Probe lässt keine Spur von Zucker erkennen; Fett war darin auch nicht nachzuweisen. Diese Re- aktionen zeigen, dass die schleimige Substanz gar keine oder nur sehr wenig echte Eiweißkörper besitzt; wahrscheinlich besteht sie größtenteils, ebenso wie es Wolfenden°) bei unserem Grasfrosche nachgewiesen hat, aus Mucin, worauf auch die färberische Reaktion (Färbung mit Thionin) deutet. Für die sich darin entwickelnden Tiere kann der Schleim keine Nährsubstanz von hohem Nährwerte vorstellen; die Tatsache, dass der Laich der Flug- frösche äußerst selten von Parasiten befallen wird, steht wahr- scheinlich auch damit im Zusammenhange. Schimmelpilze, die in den Tropen alles so leicht und schnell vernichten, haben wir nie- mals auf dem frei liegenden Eierschleim gefunden; Fliegenmaden haben nur einmal einen in unserem Arbeitszimmer frei hängenden Eierballen vernichtet, dabei wurden aber die Eier, nicht die Schleim- substanz verzehrt. — Die Eier des Polyp. reinwardtü sind mit drei Eihüllen um- geben. Die erste, sehr dünne und dem Ei dicht anliegende, ist die Dottermembran; auf derselben befindet sich eine sehr dünne Schicht schleimiger Substanz, welche sich dadurch auszeichnet, dass sie im Wasser schr stark aufquellen kann. Diese „innere Schleim- hülle“ ist von einer dieken, doppelt konturierten Membran um- geben, welche aus einer im Wasser quellbaren, jedoch viel zäheren und eine Schichtung aufweisenden Substanz gebaut ist (Fig. 17). Diese äußere Membran ist mit dem umgebenden Schleime ver- bunden. Auf den frisch aus dem Schleime ausgenommenen Eiern sind die drei Hüllen dicht aneinandergelegt, so, dass sie eine ein- heitliche Membran vortäuschen; im Wasser quellen sie aber stark auf und erst dann sind sie leicht voneinander zu unterscheiden. 9) Wolfenden, R. On certain constituents of the eggs of the common frog. Journ. of Physiol., Vol. V, 1885. Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 729 Au Trotz der relativ starken Hüllen ist das Ei nicht gänzlich von dem umgebenden Medium abgeschnitten, weil alle drei Membranen sehr leicht durchlässig sind; die leicht und schön gelingende Vital- färbung der sich entwickelnden Eier mittels Neutralrot ist ein bester Beweis dazu. Der ganze Schleim, der den Laich bildet, samt den schleimigen Hüllen um die Eier, muss als Produkt der die Geschlechtszellen ableitenden Wege, als tertiäre Eihülle (im Sinne von Korschelt) aufgefasst werden; die dünne Haut um die Eizelle, die wir als „Dottermembran“ bezeichnet haben, entspricht zugleich der Membrana vitellina und der Zona radiata. — Ein reifes, aber unbefruchtetes Ei (Fig. 17) des Polyp. rein- wardtüi ist kugelrund; sein Durchmesser beträgt zwischen 2,85 bıs 3,25 mm; in einer Laichmasse sind alle Eier gleich groß. Der javanische Flugfrosch bildet durch diese beträchtliche Größe der Eier eine Ausnahme unter den Salientien, bei denen bekannt- lich die Eier klein sind. Ein frisch abgelegtes reifes Ei ist undurch- sichtig, gelblichweiß, fast einförmig gefärbt und lässt nur an einem Pole eine kleine runde und ein wenig lichtere Stelle erkennen. Dieser lichte Hof bezeichnet den animalen Pol, an dem im Proto- plasma weniger Reservestoffe angehäuft sind. Im ganzen Ei ist keine Spur von Pigment zu finden. In dieser Hinsicht sind die Eier des Flugfrosches gleich denen von Salamandra maculosa. R. Hert- wig!‘) vermutet, dass der Pigmentmangel beim letztgenannten Tiere wohl darauf beruhe, dass die Eier während der Entwickelung dem Lichte nicht ausgesetzt sind; die Eier des Flugfrosches sind, vom Momente der Ablage an, einer zwar durch die Schleimhüllen ge- dämpften, aber doch ziemlich intensiven Beleuchtung ausgesetzt, trotzdem bleiben sie aber ungefärbt. Diese Eigentümlichkeit kann als eine Schutzvorrichtung bezeichnet werden; die pigmentierten Eier müssten leichter und mehr Wärmestrahlen absorbieren; der Pigmentmangel schützt sie also vor einer zu starken Erwärmung. — Der animale Pol ist immer so wie bei den Eiern unserer Gras- frösche nach oben gerichtet; ein in eine andere Stellung gebrachtes Ei dreht sich sofort in den Eihüllen mit der lichten Stelle nach oben um. In der Mitte des lichten Hofes befindet sich eine sehr kleine, längliche Einsenkung, welche diejenige Stelle bezeichnet, in der die Richtungskörperehen ausgestoßen werden. (Nebenbei wollen wir noch bemerken, dass die Eier von Polyp. reinwardti auf allen Entwickelungsstadien leicht von denen der zweiten Art Polyp. leucomystax zu unterscheiden sind. Die letzten sind kreideweiß und um die Hälfte kleiner, d. ı. von 1,5 mm Durch- messer; der Eierschleim ist mehr rötlich gefärbt.) 10) R. Hertwig. Handbuch der vergl. u. exper. Entwickelungslehre, heraus- gegeben von OÖ. Hertwig. I. Bd., 1. Teil, 1. Hälfte. Jena 1906. p. 311, 730 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. Das Protoplasma der frisch abgelegten Eier ist ziemlich dünn- flüssig; in späteren Stadien der Furchung wird es fester und wider- standsfähiger. Die aus dem Schleime herauspräparierten Eier können in gewöhnlichem Wasser nur eine kurze Zeit, eine bis höchstens drei Stunden, sich normal entwickeln, denn in- folge der Quellung der Eihüllen wird ihr natürliches Medium ver- ändert; gerade dafür sind die Eier sehr empfindlich, so dass eigent- lich nur im Eierschleime ihre Entwickelung ganz normal vor sich gehen kann. — Die Spermatozoiden des javanischen Flugfrosches sind groß; leicht geschlängelte Exemplare erreichen eine Länge von 75 «a. Ihre Gestalt (Fig. 18a) erinnert an diejenige von Pelobates fuscus oder von Hyla arborea. Der Kopf ist langgestreckt und sehr scharf zu- gespitzt; das Mittelstück ist kurz, der Schwanz mächtig entwickelt, jedoch ohne undulierende Membran. Bei den ein wenig aufge- quollenen Exemplaren (Fig. 18 b) ist es leicht zu sehen, dass der Schwanz aus einigen stark lichtbrechenden Fibrillen gebaut ist. Die Bewegungen dieser Samenzellen sind nicht sehr rasch; in dem dick- flüssigen Schleime, der die Eier umgibt, bewegen sich dieselben ziemlich kräftig; mittels starker Schwanzschläge bohren sie sich den Weg nach vorwärts durch und halten sich darin einige Stunden in ganz normalem Zustande. Sobald man aber ein wenig Wasser zur Samenflüssigkeit zugibt, verändern die Spermien sofort ihre Gestalt und ihre Bewegungen hören blitz- schnell auf. Der Schwanz wird nach vorne umgebogen und schnell um den Kopf umgewickelt; dabei quillt der ganze Körper stark auf, so, dass sich bald die Konturen einzelner Teile ver- wischen und das ganze Spermatozoid wird zu einem unregelmäßigen Klumpen umgestaltet. Sowohl destilliertes als auch Quellen- und Regenwasser rufen dieselben Veränderungen in den Spermien her- vor; nur im Blute oder Blutserum des Flugfrosches und im Schleime aus dem Laiche halten sich die Spermato- zoiden dieser Tiere längere Zeit normal. — Die Entwickelung der Eier des Flugfrosches haben wir ganz kurz schon in unserer vorläufigen Mitteilung geschildert; wir ge- denken über dieselbe in einer später zu publizierenden Arbeit ein- gehender zu berichten, hier wollen wir nur einige biologisch interessante Einzelheiten hervorheben. Wir haben die Furchung des Eies von Polyp. reinwardtii als eine totale und inäquale, aber auf dem vegetativen Pole so verlangsamte, dass sie eine partielle Furchung vortäuschen könnte, bezeichnet. Diese Art der Furchung erinnert sehr an die ähnlichen Vorgänge bei den Ganoiden und Dipnoern; sie führt in weiterer Entwickelung zur Bildung eines Embryos auf der Oberfläche des großen, mit Reservestofien reichlich versehenen Dotterteiles. Schließlich entsteht eine Kaul- Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches 731 quappe, die mit einem großen Dottersack versehen und mehr einem Fischembryo als einer Froschlarve ähnlich ist. Diese Kaulquappe wird in etwa 90 Stunden nach der Eibefruchtung gebildet; sie ist erst nach 120 Stunden, d. ı. am fünften Tage der Entwickelung zum Leben im Wasser befähigt. Im Freien ist die weitere Entwicke- lung der Frösche bedeutend verlangsamt; so, dass erst nach 90 Tagen die Anlagen der Hinterbeine und nach 110 Tagen die Bildung der Zehen zustande kommt. — Wir haben schon oben betont, dass ein frisch abgelegtes Ei (Fig. 17) um die Dottermembran eine leicht quellbare innere Schleim- hülle besitzt, die von einer zäheren Membran umgeben ist. Während der Entwickelung, im Stadium, welches der Gastrula entspricht, sieht man, dass das Volumen des sich entwickelnden Eies sich ein wenig vergrößert und gleichzeitig ist eine deutliche Abnahme der Dicke sowie auch ein Verdunkeln der inneren Schleimschicht be- merkbar; es sieht so aus, als wenn das Wasser aus der inneren Schleimschicht ın die sich entwickelnde Gastrula gezogen wäre. In weiteren Stadien hingegen sieht man dieselbe Schleimschicht sich bedeutend vergrößern; der Schleim in dieser Schicht wird dabei flüssiger und lichter gefärbt als vorher, wogegen die die Eier umgebende schaumige Schleimsubstanz gleichzeitig viel zäher und fester wird. Man bekommt den Eindruck, als wenn das Wasser von der schaumigen Substanz in die aufquellende innere Schleimhülle gezogen wäre. Durch diese Aufquellung und teilweise Verflüssigung der inneren Schleimhülle bekommt. die noch von der Dottermembran umgebene Larve ein leichtflüssiges Medium; sie beginnt darin zuerst langsam zu rotieren, dann aber sich rasch mittels der Schwanzschläge zu bewegen. Die dünne Dottermembran wird dadurch zerrissen und die junge, noch pig- mentlose Kaulquappe befindet sich jetzt in einem ziemlich großen Raume, der nur von der äußeren zähen, aber jetzt auch stark auf- gequollenen äußeren Eihülle umgeben ist. Diese letzte Hülle wird jetzt langsam von innen gelöst und schließlich wird auch sie von der sich immer lebhafter bewegenden Larve zerrissen. Die Kaul- quappe wird auf diese Weise vom den Eihüllen befreit und gelangt direkt in den zähen, schaumigen Eierschleim; gleichzeitig wird aber dabei eine Menge wasserreicher Flüssigkeit ergossen, wodurch der Eierschleim selbst teilweise gelöst oder wenigstens dünnflüssiger gemacht wird. Wir haben schon oben gesagt, dass in dem zentralen Teile des Laiches die Eier am dichtesten gelagert sind. Nach der Befreiung der Kaulquappen wird gerade in denselben zentralen Teil am meisten Flüssigkeit ergossen; dadurch wird dieser Teil ganz locker und es entsteht in dieser Stelle ein großer Flüssigkeitstropfen, in dem die Kaulquappen sich frei bewegen. Die näher der Oberfläche des Laiches sich ent- XXIX. 46 7393 Siedleeki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. m wiekelnden Larven bohren sich den Weg ım erweichten Schleime durch und schließlich gelangen alle in den zentralen Teil des Eier- ballens. Die Oberfläche desselben ist zu dieser Zeit (4—5 Tage nach der Ablage) gewöhnlich schon eingetrocknet und genügend fest, um die innere Flüssigkeit zu halten. Durch die Verflüssigung des inneren Teiles weichen die Luftblasen, die früher den. Schaum gebildet haben, alle nach der oberen Hälfte des zentralen Raumes aus; auf diese Weise wird im Laiche eine Art von geschlossenem Kessel (Fig. 19) gebildet, in dem sich unten die Flüssigkeit mit den Larven und oben die Luftkammer befindet. — Während. der Entwiekelung wird also das Wasser zuerst vom Schleioscha ne in die Eihüllen gezogen und zugleich mit dem Ausschlüpfen der Larven wiederum in den zentralen Teil des Laiches ergossen. Der Schleim stellt also für die Eier auch einen Wasservorrat dar. — Wenn man die frisch aus den Eıhüllen ausgeschlüpften Larven in Wasser eintaucht, so quellen dieselben stark auf und sterben ın 1--4 Stunden ab. Erst nachdem sie 24 Stunden in verflüssigtem Eierschleime verweilt haben, also 5 Tage nach der Eibefruchtung, sind dieselben zum Leben im freien Wasser befähigt. Göldi') berichtet, dass bei Hyla nebulosa die aus den Eierballen ins Wasser gelassenen Larven immer absterben; wahrscheinlich war dieses Experiment zu früh gemacht worden, die Larven waren noch zu jung, um in ihrem nachher normalen Medium leben zu können, was auch schon Brandes und Schönichen!?) betont haben. — Um uns davon zu überzeugen, auf welche Weise die Larven aus dem Eierschleime ins Freie gelangen, haben wir zehn Laiche in unserem Arbeitszimmer, in derselben Stellung wie sie auf den Sträuchern gefunden waren, jedoch über größeren Wasserbehältern aufgehängt. Von diesen zehn Eierballen haben sich nur in zwei Fällen die Kaulquappen selbst befreit, auf diese Weise, dass der Eierschleim durch die im zentralen Raume befindliche ihn langsam auflösende Flüssigkeit durchlöchert wurde und die Larven mit der- selben in das unten gestellte Wasser ausgeflossen sınd. Vier Eier- ballen sind nach einigen Tagen gänzlich ausgetrocknet; in vier anderen waren noch am neunten Tage nach der Ablage im zentralen Kessel große Flüssigkeitstropfen mit großen und normalen Larven vorhanden; die Wand des Laiches war aber noch zu dick, um eine selbständige Befreiung der Larven zu gestatten. Sobald wir jedoch einige in ähnlichem Zustande sich befindende Eierballen reichlich mit Wasser bestreut haben, haben sie schon nach einigen Minuten sich unten geöffnet und die Larven freigelassen. Im 11) Göldi, E. Proc. Zool. Soc. London 1895. 12) Brandes und Schönichen. Die Brutpflege der schwanzlosen Batrachier. Abh. d. naturf. Ges. zu Halle. Bd. XXII, 1901. Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 7133 Freien benetzt der fast tägliche Regen die Eierballen genügend stark: und wir glauben, dass mit dem nach dem Regen abfließenden Wasser die Larven aus den Eierballen abgespült werden. Interessant ist die Tatsache, dass nach dem Begießen und Öffnen der Laiche keine einzige Larve, die sich im zentralen Raume befand, dort weiter verblieben ist. — Diese Art der Entwickelung und Befreiung der Larven aus dem Laiche erinnert an die ähnlichen Vorgänge, die bei Phyllo- medusa hypochondrialis von Budgett!?), Phyllomedusa üheringii von Ihering'*), Ohiromantis rufescens von Buchholz*?) und Hyla nebu- losa von Gölditt) beobachtet worden sind. Bei der dem Flugfrosche nahe verwandten Art Polypedates leucomystax scheint nach unseren leider nur fragmentarischen Beobachtungen auch ähnliche Art der Eierablage und ihrer weiteren Entwickelung vorzuliegen. Die aus den Eierballen befreiten Larven fallen gewöhnlich mit der schleimigen Flüssigkeit auf den Boden; nur zufälligerweise ge- langen sie direkt ins Wasser, und in diesem Falle ist ihre weitere Entwickelung schon gesichert. Von den 46 Eierballen, bei denen wir den Fundort sicher feststellen konnten, war nur ein einziger direkt über einem kleinen Wasserbassin auf einem Zweige befestigt; alle anderen waren 5—60 Schritte weit vom Wasser entfernt. Nur ‘ein. tropischer Platzregen, während dessen das Wasser ın Strömen fällt und reissende Bäche gleich auf dem Boden bildet, könnte vielleicht die Larven ın größere, nicht austrocknende Wasser- behälter bringen. Nur ein kleiner Bruchteil der Zahl der Larven könnte aber auf diese Weise gerettet werden; eine große Anzahl müsste doch immer verloren gehen, wenn es nicht Vorrichtungen gäbe, die es ‘den Larven lem, längere Zeit die ungünstigen Verhältnisse nach dem Verlassen der Schaummasse zu vertragen. Die aus dem Laiche herausgeflossenen Larven können ın einer sehr kleinen Wassermenge und in einem sogar sehr verunreinigten Wasser längere Zeit normal leben. Wir haben eine größere Anzahl der Kaulquappen in Uhrgläschen gehalten, wo wir nur so viel Wasser gegeben haben, dass auf eine Larve nur zwei Tropfen desselben kamen. Eine andere Portion frisch ausgeschlüpfter Larven haben wir ın einem Glasgefäße gehalten, in dem das Wasser mit Garten- erde so vermengt wurde, dass sich ein ziemlich dicker Brei daraus gebildet hat. In allen diesen Gefäßen lebten die Larven ganz nor- 13) Budget. Quart. Journ. of Mier. Sec. Vol. XLII. 14) Ihering. Ann. and Magaz. of Nat. Hist. Vol. XVII, 1886 (mit Bou- lenger’s Notiz dazu). 15) Peters. Über die von Herrn Prof. Buchholz gesammelten Ampl, Mon. Ber. Berl. Akad. d. Wiss. 1875. 16) Göldi, 1. e. — Siehe auch die zusammenfassenden Referate von Wieders- heim, Biol. Centralbl. 1900, und: Brandes und Schönichen, |. c. 40* 734 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. mal und haben sich während 4-5 Tage ebenso rasch entwickelt wie: diejenigen, die in großen, mit reinem Wasser und Wasser- pflanzen gefüllten Gläsern sich befanden. Nach Ablauf dieser Zeit begannen die in Uhrgläsern gehaltenen Larven aus Nahrungs- mangel abzusterben und mussten in ein größeres Gefäß übertragen werden; diejenigen im Erdbrei lebten aber lange Zeit ganz normal weiter. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass die von den Blättern abgespülten Larven sich einige Zeit in kleinen, schmutzigen Wasser- tümpeln, die nach dem Regen entstehen, am Leben halten können, ehe sie von stärkeren Regenschauern weiter nach den Bächen oder Teichen befördert werden. Die Widerstandsfähigkeit der Larven in den ersten Tagen des Lebens außerhalb des Laiches wird dadurch erhöht, dass dieselben erst am vierten Tage nach dem Ausschlüpfen Nahrung aufzunehmen beginnen; bis zu dieser Zeit leben sie nur auf Kosten des Eidotters, der in großer Menge in der Bauchhöhle ein- geschlossen ist. In derselben Zeit als die Nahrungsaufnahme be- ginnt auch die Ausscheidung von Kotballen und auch von Harn. In der Schaummasse, die wir auf verschiedenen Stadien der Eier- entwickelung untersucht haben, waren niemals Spuren von Harn- säure oder von Salzen derselben zu finden; die Murexidreaktion ist immer entschieden negativ ausgefallen. Wir glauben, dass im Zu- sammenhang damit auch die Tatsache steht, dass die frisch aus den Eihüllen ausgeschlüpften Larven ım Wasser, wie oben betont, aufquellen und sterben. Bei diesen jungen Larven, bei denen die Harnausscheidung noch nicht begonnen ist, bleiben alle osmotisch wirksamen Substanzen im Körper und diese können die Aufquellung nach dem Eintauchen in reines Wasser herbeiführen; dazu kann noch der Umstand beitragen, dass die, anfangs pigmentlose Haut der jungen Kaulquappen äußerst zart gebaut und wahrscheinlich auch deswegen leicht durchlässig ist. — Die Entwickelung der Larven des javanischen Flugfrosches ver- läuft ın den ersten Stadien sehr rasch. Von der Eibefruchtung bis zur Ausbildung der jungen Kaulquappen verfließen nur 4 Tage, während bei unseren Fröschen etwa 9 Tage dazu nötig sind. Die Ursache dieses raschen Entwickelungsganges hängt von recht ver- schiedenen Faktoren ab. Nicht unwesentlich wichtig für das rasche Tempo der Entwickelung kann die anfängliche sehr beträchtliche Größe der Eizelle sein, welche nach Chambers!’) auch bei unseren Fröschen zur schnellen Entwickelung der Larven beitragen kann. Die gute Ernährung der Embryonen mittels des reich vorhandenen Eidotters hat keine große Bedeutung für diesen Vorgang, da der größte Teil des Dotters nicht in den ersten Stadien der Entwicke- 17) Chambers. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 72, 1908. Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 735 lung, sondern erst von den fertigen Kaulquappen, die wesentlich langsamer sich entwickeln, verbraucht wird. Nach Kammerer'‘) soll auch Licht (bei Alytes obstetricans) auf die Entwickelung der Larven beschleunigend wirken; da die Flugfroscheier einer ziemlich starken Beleuchtung ausgesetzt sind, so ist es nicht ausgeschlossen, dass auch dieser Faktor zur Beschleunigung ihres Entwickelungs- ganges etwas beiträgt. Unserer Ansicht nach spielt dabei aber die Temperatur die wichtigste Rolle. In Buitenzorg, wie schou oben gesagt, schwankt die, Temperatur im Schatten durchschnittlich zwischen 22° C. (in der Nacht) und 32° C. (in den Mittagstunden); in der Sonne steigt sie noch beträchtlich höher. Aus den Unter- suchungen von O. Hertwig'’) und Chambers?°) und besonders aus denen von Bialaszewiez°!) ist es bekannt, dass die Erhöhung der Temperatur bei unseren Fröschen das Tempo der Entwicke- lung wesentlich beschleunigt. In 3 Tagen hat O. Hertwig, bei Anwendung einer Temperatur von 24° O., Larven mit großen Kiemen- büscheln und langem Ruderschwanz aus den Froscheiern gezüchtet. Die Eier des Polypedates reinwardti, die sich normalerweise in einer ähnlichen Temperatur entwickeln, haben also ständig ein so rasches Entwickelungstempo. Sobald die Larven den Laich verlassen, wird das Tempo der Entwickelung sofort verlangsamt. Es dauert 60 Tage von der Aus- schlüpfung der Larven bis zur ersten Andeutung der Hinterbeine; weitere 25 Tage verlaufen bis zur Ausbildung der Zehen. Diese Zahlen beziehen sich jedoch auf die Larven, die sich im Labora- torium entwickelt haben. Wir haben denselben als Nahrung Blätter von Salvinia natans gegeben, die von den Larven sehr begierig ge- fressen wurden. Eine solche, rein pflanzliche Kost war vielleicht nicht ausreichend und konnte auch als eine der Ursachen der langsameren Entwickelung mitwirken. Gegen eine eventuell eintretende schädliche Wirkung der hohen Lufttemperatur und der direkten Sonnenstrahlen sind die Eier des Flugfrosches sehr gut geschützt. Der wasserreiche, mit großen Luftblasen versehene Schaum, in dem die Eier eingebettet sind, leitet die Wärme schlecht; ebenso verhalten sich die stark auf- quellenden Eihüllen; die Bier sind weißlich und, wie oben betont, müssen die Wärmestrahlen nicht stark absorbieren; schließlich ist der ganze Laich so zwischen den Blättern befestigt, dass er fast allseitig von denselben umhüllt ist. Die Blätter sind immer nur mit der oberen Seite an die Eiermasse angeklebt, ihre Transpiration ) Kammerer. Arch. f. Entw.-Mech. Bd. 22, 1906. 9) O. Hertwig. Arch. f. mikr. Anat. Bd. 51, 1897. 20) Chambers, |. c. 31) Bialaszewicz. Bullet. de l’Acad. des Sciences de Oracovie 1908. 18 19 736 Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. und anderen Funktionen scheinen gar nicht gehemmt zu sein; des- wegen sterben sie nicht ab und bilden um den Laich eine aus- gezeichnet vor Licht, Wärme und Austrocknung schützende Hülle. x Aus allen oben angeführten Beobachtungen, die sich auf das ‘Leben des javanischen Flugfrosches beziehen, ergibt sich die Tat- sache, dass dieses Tier ın allen seinen Emzelheiten ausgezeichnet an das Leben auf den Bäumen und Sträuchern angepasst ist. In (den tropischen Gegenden sind Anpassungen an eine solche Lebens- weise sehr häufig; den besten Beweis dazu bilden die vielen Flug- oder Schwebevorrichtungen, die man bei verschiedenen, systematisch gar nicht verwandten Tieren vorfindet. Galeopitheeus und die fliegenden Eichhörnchen unter den Säugetieren; Draco und Ptyychoxoon unter den Reptilien; Polypedates reinwardti unter den Amphibien; schließlich die flügellosen Larven einiger Orthopteren (z. B. die wunderschöne, blumenähnliche Hymenopus coronata) sind alles Beispiele dazu. Alle diese Tiere, bei denen die Schwebe- vorrichtungen entwickelt sind, zeichnen sich aber auch dadurch aus, dass bei ihnen entweder die sympathische Färbung oder: die Erscheinungen der Mimesie, oder sogar der die sympathische Fär- bung zur höchsten Entwickelung bringende Farbenwechsel, zum Vorschein treten. Die Tiere sind also einerseits durch ihre Färbung geschützt, andererseits aber zur raschen Flucht befähigt; die An. passung entwickelte sich also in zweierlei Richtung ganz vollkommen- Interessant ist es aber, dass diese Anpassung bei verschiedenen und nicht verwandten Tiergruppen denselben Weg eingeschlagen hat; das kann man nur dadurch sich zu erklären versuchen, dass die Lebensweise aller genannten Tiere ın mancher Hinsicht über- einstimmt; alle diese Tiere finden ihre Nahrung vorwiegend auf den Bäumen, alle klettern ausgezeichnet und alle sind den Angriffen fast derselben oder der ähnlich lebenden Feinde ausgesetzt. Das Leben auf den Bäumen ist die wichtigste Vorbedingung zur Ent- wickelung der obenerwähnten Anpassungen. Es ist leicht verständlich, dass sich nur in den Tropen die Bedingungen zur Entwickelung eines solchen Lebens auf den Bäumen finden könnten; das üppige Pflanzenleben und der floristische Cha- yakter dieser Gegenden sind die ersten Ursachen dazu. Es ist ja bekannt, dass in den Tropen die Holzgewächse viel zahlreicher als die krautartigen sind, dass sogar Vertreter dieser Pflanzenfamilien, die bei uns nur als Kräuter hervortreten, sich dort zu mächtigen Sträuchern oder sogar Bäumen entwickeln. Die Entwickelung solcher Tierformen, die ihr Leben auf den Bäumen verbringen und sich so vollkommen an solche Lebensweise angepasst haben, wie die obenerwähnten, mit Schwebevorrichtungen versehenen Tiere, Biologisches Centralblatt 1909. M. Siedlecki, Krakau. Tafel IX/X. / Verlag von Georg Thieme in Leipzig. Siedlecki, Zur Kenntnis des javanischen Flugfrosches. 137 ist also als eine Folgeerscheinung des floristischen Charakters der Tropen anzusehen. Fig. 1. Fig 2. = 08 [&) = AORED! on Fig. 10. Fig. 11. Fig. 18. Figurenerklärung. Der Mundboden und die Stimmritze des javanischen Flugfrosches. Links 2, rechts g‘. Natürl. Größe. Senkrechter Schnitt durch die tiefdunkelgrün gefärbte Haut am Vorder- arme des Flugfrosches. Unter der Epithelschicht die Xantholeucophoren von den Melanophoren umflossen; in der Mitte des Präparates sieht man das Pigment der Melanophoren auf die obere Seite des Xantholeucophoren aufwandern. Sublimat; Hämatoxylin. Vergr. 760. Senkrechter Schnitt durch die lichtgrün gefärbte Haut am Oberschenkel des Flugfrosches. Die Kerne der Xantholeucophoren nehmen die Gestalt einer hohlen Halbkugel an. Sublimat; Hämatoxylin. Vergr. 760. ' Die Xantholeucophoren in verschiedenen Stadien der Wanderung des Kernes; a, b von den dunkelgrünen, e, d von den hellgrünen, e, f von den gelblich- grünen Hautpartien. Sublimat; Azur-Eosin Hach Gemsa. Vergr. 900. Schematische Darstellung der Lagerung einzelner Teile der Xantholeuco- phoren während des Farbenwechsels. a Überwiegen der blauen, b Über- wiegen der gelben Farbe. Flugfrosch ', ruhig sitzend. Natürl. Größe. Phot. nach dem Leben. Flugfrosch 2 ruhig sitzend. Natürl. Größe. Phot. nach dem Leben. Lange Zeit in der Ruhestellung verweilender, abgemagerter Flugfrosch; g'. Natürl. Größe. Phot. nach dem Leben. Lange Zeit in der Ruhestellung verweilender Flugfrosch; 2. Natürl. Größe. Phot. nach dem Leben. Flugfrosch 5 an einer Glasscheibe befestigt, von unten aufgenommen. Nat. Größe. Phot. nach dem Leben. Flugfrosch 2 an einer Glasscheibe angeklebt von unten aufgenommen. Nat. Größe. Phot. nach dem Leben. . Der Flugfrosch; 2 in der „Schwebestellung“, (Die Zeichnung wurde nach en Skizzen von lebenden Tieren und nach einem, in einer ähnlichen Stellung konserviertem Exemplare ausgeführt.) 3. Kopulierendes Pärchen der Flugfrösche am Anfang des Begattungs vorganges. Verkleinert. Phot. nach dem Leben. . Die Flugfrösche während der Eierablage. a die Beine über den ‚Rücken geschlagen; b die Bewegung bei dem Schaumschlagen. Skizze nach dem Leben. Verkleinert. . Der Laich des Flugfrosches zwischen den Blättern. Phot. nach der Natur. Verkleinert. . Halbschematischer Durchschnitt durch einen Teil des Laiches. aEi; b der nichtschaumige Schleim, der es umgibt; c' leere Eihüllen. Vierfache Ver- größerung. - 7. Ein reifes, unbefruchtetes Ei des javanischen Flugfrosches, im Wasser be- obachtet. Die Hüllen lleicht gequollen. a die Dottermembran ; b die innere Schleimhülle; e der äußere Schleim; d zähe, geschichtete äußere Membran. Samenkörperchen des Flugfrosches. a normal; b leicht gequollen. Ver- größert 1200. . Halbschematischer Durchschnitt durch einen Laich des Flugfrosches, vier Tage nach der Eiablage. 1 die aus den Eihüllen ergossene Flüssigkeit mit den Larven; s der schaumige äußere Schleim; o. d. degeneriertes Ei, 138 Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes etc. Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes und ihre stammesgeschichtliche Bedeutung. Vortrag, gehalten in der medizinisch-naturwissenschaftl. Gesellschaft zu Jena am 18. Juni 1909. Von Prof. Dr. W. Lubosch. Sobald die Gewebelehre sich über den Rang einer lediglich deskriptiven Wissenschaft erheben will, muss sie sich der Auf- gabe unterziehen, nicht nur die einzelnen Gewebsformen zu analy- sieren, sondern auch ihre Beziehungen zueinander zu ermitteln. Darin besteht ihre große Aufgabe im Dienste der Morphologie. Sie soll nicht nur lehren, wie ein Gewebe gebaut ist, sondern wie es geworden und warum es so geworden ist, wie es uns entgegen- tritt. Die Entwicklung der Gewebe, wie sie bei der Histogenese untersucht wird, läuft in zwiefacher Weise ab: als embryonale Ent- wicklung und als stammesgeschichtliche Entwicklung, und keine dieser beiden Reihen darf uns unbekannt bleiben, wenn wir Auf- schluss über das Werden eines Gewebes gewinnen wollen, denn jede Reihe zeigt uns etwas Besonderes, nur ihr Eigentümliches. Die Ontogenese zeigt uns die ununterbrochene Kette in der Ent- stehung der einzelnen Gewebebestandteile, aber zeigt uns niemals die Ursachen und Reize, unter denen sie entstanden sind. Die Phylogenese eines Gewebes dagegen lehrt uns gerade diese Ur- sachen und Reize oft deutlich erkennen, lässt aber die Kontinuität der Stadien vermissen. So gibt uns erst die Erfahrung aus den Ergebnissen beider Reihen einen Einblick in die Differenzierung der Gewebe und ıhrer Ursachen. Freilich ist eine Voraussetzung dabei nötig; fehlt sie, so ist die Beurteilung .der Tatsachen schwierig, wenn nicht unmöglich. Es muss nämlich die embryonale Entwicklung eine Parallele zu der stammesgeschichtlichen darbieten, muss sie gemäß dem biogene- tischen Gesetz rekapitulieren. Dies ist bei den meisten Geweben in der Tat der Fall, weil — ganz im Gegensatz zu den Organen des Wirbeltieres — seine Gewebe uralt sind und in ihren Grundelementen bis auf die primitivsten Metazoen, wie andererseits auch bis zu den frühesten Stadien embryonaler Entwicklung zurück- führen. Daher ist z. B. die morphologische Untersuchung des Epithelgewebes, des fibrillären Bindegewebes, des Muskelgewebes und Nervengewebes sehr ergebnisreich gewesen, weil schon bei den einfachsten Tieren diese Gewebe in primitiver Ausbildung vor- handen sind. Eine Ausnahme davon machen die Stützgewebe der höheren Tiere, offenbar weil sie erst sehr spät im Tierreiche auftreten und bereits aus differentem Materiale entstehen müssen: Der Knorpel erscheint zwar schon bei Wirbellosen (Salpen), aber ohne Beziehung Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes etc. 739 zu dem der Wirbeltiere, wo seine ersten Anfänge bei den Cyelo- stomen liegen. Der Knochen sogar tritt erst bei jüngeren Fischen kurz vor Anbruch der Devonzeit auf. In diesen beiden Fällen besteht eine bis jetzt nicht überwundene Schwierigkeit für die Er- kenntnis der Genese dieser beiden Gewebe. Beim Knochen kennen wir zwar, wie selten irgendwo, die beiden Reihen der Entwicklung, aber sie stimmen nicht zueinander, erlauben keinen unmittelbaren Vergleich und liefern, wenn verglichen, ganz störende Bilder. Beim Knorpel dagegen kennen wir nur die embryonale Entwicklung und diese sehr genau. Dagegen fehlt uns jede, auch die geringste sichere Vorstellung über die stammesgeschichtliche Herkunft dieses Gewebes. Wie man sieht, liegen für Knorpel und Knochengewebe ganz verschiedene Aufgaben vor. Liegt beim Knochengewebe die Hauptaufgabe in der kritischen Vergleichung von ÖOntogenese und Phylogenese, so wird beim Knorpelgewebe alles von Wert sein, was über seine Ausbildung und Umbildung im erwachsenen Zu- stande neu bekannt wird. Dies ist dann mit dem, was wir von seiner embryonalen Entwicklung wissen, kritisch in Zusammenhang zu bringen. Da ich mich seit fünf Jahren mit dem Studium der Gelenkbildung bei Wirbeltieren beschäftigt habe, so verfüge ich auch über einige Erfahrungen über das gerade an den Gelenkstellen sehr mannigfach gebildete Knorpelgewebe, woraus sich bestimmte Vorstellungen über stammesgeschichtliche Umbildungen des Knorpel- gewebes ergeben haben. Ich glaube daher, Ihnen die Schlüsse, zu denen ich über den Zusammenhang dieser phyletischen Umbildungen mit der embryonalen Bone des Panels gelangt bin, heute hier mitteilen zu dürfen. Das Gewebe, aus dem der Knorpel bei Wirbeltieren seinen Ursprung nimmt, ist das sogen. Vorknorpelgewebe. Bevor irgendwo im embryonalen Körper Knorpel auftritt, bemerkt man, dass an diesen Stellen die Lagen von embryonalem Bindegewebe dichter werden. Die Zellen verlieren ihre Fortsätze und legen sich als spindelförmige Körperchen oder auch als im Querschnitt ellip- tische Plättchen aneinander. Zwischen ihnen tritt dann sehr bald eine intercellulare Masse auf, wodurch das Ganze einen Zusammen- halt und eine festere, wenn auch noch sehr geringfügige Konsistenz empfängt. Die Reihe von Vorgängen, durch die aus dem Vor- knorpelgewebe die echte hyaline Knorpelsubstanz hervorgeht, wird als Verknorpelung bezeichnet. Die Vorknorpelzellen runden sich ab und werden protoplasmareicher; ihre Kerne werden größer und bilden eine sehr feine Chromatinstruktur aus. In der Umgebung der Zelle aber verändert die Grundsubstanz, die bisher acidophil war, ihre Natur, Sie nimmt Affinität zu basischen Farbstoffen an. Dies beruht darauf, dass die Zellen in ihre Umgebung hinein die Chondroitin- 740 Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes ete. schwefelsäure absondern, die sich mit dem Mucin der älteren Grundsubstanz zum Chondromucoid, dem Hauptbestandteil der Knorpelgrundsubstanz verbindet. Durch diesen Vorgang wird das (sewebe nicht nur chemisch und optisch verändert, sondern gleich- zeitig physikalisch, indem es die Konsistenz des biegungsfesten Knorpels annimmt. Es erheben sich jetzt, wenn wir die verwandtschaftlichen Be- ziehungen des Vorknorpelgewebes beurteilen wollen, mehrere Fragen. Es ist auffällig, dass der Knorpel nicht direkt im Em- bryo entsteht, sondern auf dem Umweg über das Vorknorpelgewebe. Wie kommt das Vorknorpelgewebe zu dieser Rolle? Diese Fragen wären einfach zu beantworten, wenn es sich um eine Rekapitulation phylogenetischer Vorgänge handelte. Daher haben wir zuerst die Vorfrage zu untersuchen, ob die Entstehung des Knorpelgewebes im Embryo ein palingenetischer oder ein cänogenetischer Prozess ist. Ein palingenetischer Vorgang wäre es dann, wenn es irgendwo im Tierreiche ein dem Vorknorpelgewebe homologes Gewebe als Dauerform gäbe. Es sind uns nun außer dem hyalınen Knorpel der Wirbeltiere noch einige andere Knorpelarten bekannt, die wır uns kurz ver- gegenwärtigen müssen. 1. In erster Linie steht der Knorpel der Cephalopoden. Er enthält reichlich verästelte Zellen in eine knorplige Grundsubstanz eingelagert. 2. Der Kiemen- und Nasenknorpel der Petromyzontenlarven. Nach der Beschreibung, ‚die Schäffer von ihm gibt, sind die Zellen gleichmäßig an ihrer Wand mit einer basophilen Intercellular- substanz versehen. Die spärliche Intercellularsubstanz bildet ein ein- faches, zelltrennendes Wabenwerk, ın dessen Innerem die nackten Zellen gelegen sind. 3. Der hyaline Knorpel in seiner uns bekannten Form. 4. Zu diesen drei Formen kommt endlich aber noch eine vierte sehr auffällige Form, ındem nämlich auch Chordazellen sich mit hyaliner Grundsubstanz umgeben können, so dass man auch von Chordaknorpel sprechen könnte. (Siehe Krauss 1908 mit Literatur.) All diese Formen sind keine embryonalen, transıitorischen Ge- webe, sondern Dauerformen, einige (der Kiemen- und Chordaknorpel) allerdings nur in larvaler Zeit. Welches die ursprünglichste Art gewesen sein mag, lässt sich nicht entscheiden. Man könnte an den mesenchymatösen Knorpel der Cephalopoden denken, weıl er uralt ist, viel älter als alle Wirbeltierknorpel, doch kann man von diesem Cephalopodenknorpel den Wirbeltierknorpel unmög- lich direkt ableiten. Indes ist: es sehr wichtig, dass man auch im Wirbeltierstamme Anklänge an diese verästelten, zum Teil ein- gekapselten : Mesenchymzellen vorfindet. ‘So existiert vor allem -Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Kniorpelgewebes ete. 744 ein sogenannter '„Schleimknorpel“ bei Cyelostomenlarven, den Schaffer beschreibt und abbildet. Dieses larvale'Gewebe, das continuierlich in den Knorpel des Geschlechtstieres übergeht, be- steht aus verästelten Zellen mit derben Kapseln, die in einem Lager von leimgebenden Fasern liegen. Von diesen Fasern gibt Schaffer an, dass sie bereits’ in festerer Substanz erden sind, - auch Studnitzka (1897, 'p. 624ff.). Ähnlich schildert Hansen (1899) die Entstehung von Knorpelzellen direkt aus verästelten einge- kapselten Mesetichy mzellen in :den „Zwischenwirbelscheiben des Rindes. Besonders wichtig ist, dass nach Studnitzka (1905) der ‘Knorpel der Selachier ein eigentliches Vorknorpelstadium in seiner ‚Genese vermissen lässt (p. 291-339). Auch im ausgebildeten Knorpelgewebe hat man verästelte Zellen aufgefunden, so vielfach am Übergang der Synovialhäute in den Gelenkknorpel; vor allem hat man (Fibich, 1903, p. 209-214) im Sternum eines 5monat- lichen menschlichen Fötus Zellen wie im Cephalopodenknorpel auf- gefunden. - | Dies alles zeigt, dass die Spur des . dephäldwedknkrlarpelsl ob- wohl er nicht innerhalb der Ahnenreihe der Wirbeltiere vorkommt, selbst bei diesen Wirbeltieren nicht völlig untergegangen ist und der Umweg über das Vorknorpelgewebe ist nicht der einzige Weg (der Knor pelentstehung bei Wirbeltierembryenen. nn aber bildet der Kiemenknorpel der Cyclostomenlarven und der hyaline Knorpel eine so einheitliche Gruppe, der Kiemenknorpel hinwiederum steht dein Chordagewehe so nahe, dass man für sie eine engere Fe nut eehonekeit annehmen muss. Die Kenntnis der ‚Ahnenforin des Wirbeltierknorpels ist für diesen Teil unserer Aufgabe auch schließlich gleichgültig, denn es zeigt sich, dass nirgends ein den Vorknorpelgewe Se des Embr yo amala es Gewebe in der "Ahnenreihe der Wirbeltiere als Dauerform aaa), woraus er- hellt, dass die Knorpelentstehung beim Embryo keine Parallele in der Stammesgeschichte hat, dass sie kein palingenetischer, sondern ein cänogenetischer Vorgang ist. Nachdem so die Vorfrage, dass das Vorknorpelgewebe nur embryonal, nicht aber stammiesgeschichtlich der Vorläufer des Knorpelgewebes ist, ihre :Antwort gefunden hat, wenden wir uns der Untersuchung seines en Wertes zu und wollen da zwei Fragen und zwar zuerst derjenigen näher treten,’ob'aus der Anlage des Skelettes im Vorknorpelstadium Sichlüsse auf die en ne stammesgeschichtliche: ach des Skelettes gezogen werden können. Um den Besnworlung dieser ersten Frage näher zu kommen, wollen wir uns vergegenwärtigen, was man von der weitereh Ent- wicklung des Skelettes weiß, und wie man diese späteren Befunde für die Wörstellungsn eines Urzustandes verwertet hat. -Wir wollen 7142 Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes etc. uns hierin lediglich auf das Gliedmaßenskelett und zwar dasjenige der Fische beschränken. Darin, dass die ganze Skelettanlage in ihrer ersten vor- knorpligen Anlage aus einem Gusse ist, besteht nirgends ein Widerspruch. Sehr verschieden aber sind die Berichte über die weiteren Schicksale der Anlage. Es gibt der Hauptsache nach vier Möglichkeiten der Verknorplung dieser Anlage. Erste Möglichkeit. Innerhalb der einheitlichen Vorknorpelanlage entstehen soviel Knorpelhergle, wie später einzelne Skelettstücke existieren. Die Vorknorpelsubstanz dazwischen liefert die Gelenke und ihre Gewebe. Dies ist die bei weitem häufigste Art der Ent- wicklung. Sie schildert uns Braus (ganzer Schulter- und Becken- gürtel der Haifische und freie Flossen bei Spinax), Wieders- heim (nur die freien Flossen der Haie), Salenski und Braus (ganze vordere Extremität vom Stör), v. Rautenfeld (Bauch- flosse vom Stör), Wiedersheim (nur für die freien Flossen vom Stör), Semon und Braus (Ceratodus ganze Flosse), v. Rauten- feld (Hecht, Bauchflosse). Nahe verwandt und ersichtlich nicht scharf davon zu scheiden ist: die zweite Möglichkeit: Die ganze Vorknorpelanlage schickt sich zur Verknorpelung an. Jedoch an einzelnen Bezirken bleibt sie in der Entwicklung zurück und nimmt nur einen Anlauf zur Knorpel- bildung. Es sind die später zu Gelenken werdenden Bezirke, die hierbei'nicht völlig zu Knorpel werden. So schildert es uns Swirski (vielleicht auch die nicht ganz klare Darstellung von Ducret) und Braus für die peripherischen Gebiete der Teleostierflossen. Ihr schließt sich an die dritte Möglichkeit: Der Verknorplungs- prozess ergreift die ganze Vorknorpelanlage. Spätere Trennungen innerhalb des Knorpels führen durch Einschmelzen zur Entstehung von Gelenken. So schildert es vornehmlich Wiedersheim (für Schulter- und Hüftgelenk der Haifische), ferner Wiedersheim auch für das Schultergelenk des Störs, Braus (für die Radien von Maustelus und Torpedo), Braus (für den Beckengürtel des Störs), Wiedersheim und Ducret (für die Bauchflossen von Knochen- fischen). Eine vierte Möglichkeit besteht darin, dass diserete Anlagen von Knorpelstücken erst zusammenwachsen und sich dann trennen (Wiedersheim, Beckenflosse vom Stör). Der Vollständigkeit halber sei hervorgehoben, dass in wenigen Fällen schon auf dem Vorknorpelstadium einige Elemente selbständig werden, so die sogen. sekundären Basalia (Pro-, Mesopterygium bei Spinax und Torpedo, Braus; Schultergürtel von Torpedo, Mollier). Diese Übersicht zeigt, dass trotz aller Widersprüche im ein- zelnen die vier Möglichkeiten unter sich wieder eine vollkommene, durch alle Übergänge geschlossene Reihe bilden. Dass es sich un- Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes etc. 143 möglich um grundsätzliche Unterschiede handeln kann, zeigen die Verhältnisse bei Selachiern. Denn das von Wiedersheim untersuchte Objekt: Pristiurus und die von Braus untersuchten Haie Mustelus, Spinax, Torpedo stehen in konträrem (Gegensatz. Dort entsteht das Schulter- und Hüftgelenk aus einer einheitlichen Knorpelmasse durch Einschmelzung. Hier entstehen die Gürtel und die freien Flossen selbständig und das Gelenk geht aus Vor- knorpelgewebe hervor. Umgekehrt fand Wiedersheim bei seinem Objekt die Radienstücke isoliert angelegt, Braus dagegen con- tinuierlich als Knorpelstäbe, die sich erst später gliederten. Es kommt also bei demselben Objekt Verschiedenes vor und an ver- schiedenen Objekten Ähnliches. Eine Entscheidung darüber, welches der primitive, welches der neue Zustand sei, ist auf empirischem Wege vollkommen unmöglich, da wir die embryonale Entwicklung bei den Flossen der ältesten, versteinerten Selachier und Dipnoer natürlich heute nicht mehr feststellen können. Es scheint demnach, als ob die embryonale Entwicklung hier keine zuverlässige Führerin sei; bestärkt werden wir darin noch durch die Erfahrungen bei den Amphibien und den höheren Tieren, wo ebenfalls bei zwar einheitlicher Vorknorpelanlage doch die Ver- knorpelung bald aus einem Guss, bald in einzelnen Centren erfolgt. Schließlich wissen wir aus älteren (Born, 1897) und neueren (Braus, 1909) experimentellen Untersuchungen, dass selbst bei ein und demselben Wesen die Entstehung der Knorpelherde lediglich eine Funktion der jeweiligen embryonalen Verhältnisse ist. Z. B. kann man durch das Experiment eine junge Extremitätenknospe herausschneiden, so dass nur ein Teil’ der Schultergürtelanlage zurückbleibt. In der Narbe entstehen dann einzelne ausgebildete Teile eben dieses verletzten Schultergürtels und zwar verknorpeln da solche Teile selbständig, die bei normalem Ablauf von einem anderen, hier aber herausgeschnittenen Centrum her verknorpeln. Somit sind wir, wie so oft, nicht in der Lage, ein embryonal ge- gebenes Verhältnis ohne Weiteres auf die Phylogenese zu übertragen; die einheitliche Anlage des Extremitätenskelettes im Vorknorpel- stadium ermöglicht keinen Schluss auf den Urzustand dieses Skelettes in der Urextremität. Zu ähnlicher Auffassung ist für den Schädel Gaupp (1906, p. 578) geführt worden. Wir werden daher auf den Ver- gleich der ausgebildeten Formen zurückgeführt, wenn wir über diesen Urzustand etwas ermitteln wollen. Hier sind es nun zwei Lehren, die eine Vorstellung vom Zustande der Urextremität und ihres Skelettes geben wollen. Die eine Lehre stellt sich die paarıgen Flossen so entstanden vor, wie die heute noch bei Fischen exi- stierenden unpaarigen Flossensäume. Die Flossen seien paarige Falten gewesen, im Inneren gestützt durch Knorpelstäbe. Diese Stäbe wären dann weiter körperwärts zusammengewachsen, hätten 744 Lubosch, Die embryonale Entwieklung des Knorpelgewebes ‚etc. durch ihre Verwachsung einen: „Gürtel“ erzeugt und eine Verbin- dung mit dem Rumpf erworben, ähnlich also wie. ein Haus, das vom Dach zum Boden gebaut. werden soll. Die Besprechung dieser Lehre: gehört nicht ın a Rahmen dieses Vortrages. Oft bekämpft; doch. mit unzerstörbarer Kraft stets unsere Vor; stellungen und unsere Phantasie neu beflügelnd, tief begründet durch die ‚Ergebnisse der vergleichenden Anatomie, und Paläontologie, ist die Lehre, nach der die ’Urflosse homolog ‚einem Be samt seinen Radien sei. Sowohl die Kiemenlfgen als auch Schulter: gürtel fossiler Haie, zeigen eine Gliederung ın drei Stücke, was einerseits die Homodynamie zwischen beiden sichert, andererseits aber die Möglichkeit ausschließt, empirisch eine einheitliche Anlage für. das Urskelett der Extremität zu finden. Vielmehr sind es wenige, biegsam miteinander verbundene Knorpelstücke, aus denen sich bei weiterer Entwicklung das Extremitätenskelett entfaltet hat. Die Natur der biegsamen Verbindungsmasse kann natürlich von fossilen Formen. her nicht erkannt werden. Dagegen besitzen wir auch bei lebenden Fischen solche primitiven Gelenkverbindungen, die uns vorbildlich auch für den Bat der uns unbekannten sein dürften. "Solche. höchst primitiven Gelenkverbindungen sind für die perıi- pherischen Teile. der. Selachierflossen von E.. Ruge beschrieben worden, für die ‚Ceratodusflossen von Semon. In diesen’ Fällen: zeigte es: Sich, dass ‚die Verbindung durch modifiziertes Knorpel- gewebe hergestellt wird.. Knorpelzellen sind in ein biegsames Faser- werk eingelagert. . Meine eigenen Untersuchungen haben: solche Verbindungen bei Fischen weit verbreitet angetroffen und selbst bei solchen, ‘bisher nicht bekannten Gelenkformen der Fische, die ın ihrer Organisation. eine sehr hohe Stufe erreichen, ja selbst bei den Gelenken der Amphibien und-der Amnioten, konnte die Knorpel- zelle als herrschendes Element nachgewiesen werden (s. meinen Berliner Vortrag 1908 und die Abhandlung im Biol. Gentralbl. 1908). . Dies lässt :den Schluss zu, dass jene bei den fossilen. Haien vor- handenen biegsamen Stellen irischen den soliden Stücken aus einer biegsam Knorpelmasse bestanden haben, die dem eigent- lichen Knorpel sehr nahe ‚gestanden hat, die auch heute als Binde- mittel noch weit verbreitet ist und stets den ursprünglichen, der Gelenkspaltbildung vorausgehenden Zustand darstellt. Hinter dieser Gliederung selbst steht wahrscheinlich eine noch ältere Einheit, ın-. dem sich jene Gliederung aus'der Einheit infolge einer Durchbiegung des. continuierlichen EL einstellte. Mit dieser hypothetisch eingeschränkten Annahme zu dem Vor- knorpelgewebe zurückkehrend, Tisel sich ‚nun sagen, dass in der einheitlichen Vorknorpelanlage. möglicherweise. auch: eine uralte Einheit des Extremitätenknorpels enthalten ist, dass sie sich aber mit Sicherheit nur: beziehen lässt auf wenige: durch biegsamen Bei Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes_ete. 145 Faserknorpel aneinandergeschlossene Knorpelelemente. Auf keinen Fall ist, wie dies auch Braus (1909) für die Extremitäten und Gaupp (1900) für den Schädel neuerlich hervorheben, die Vielheit der embryonalen Knorpelcentren auch auf. eine von vornherein existierende gleich große Vielheit der Skelettstücke zu beziehen. Zum mindesten ist also das sicher, dass vieles, was jetzt durch geson- derte Knorpelcentren entsteht, stammesgeschichtlich durch Ghede- rung aus einheitlichen Stücken entstanden ist, dass an diesen Stellen also die einheitliche vorknorplige Anlage auch stammesgeschichtlich eine Einheit rekapituliert. Aber wır können noch einen Schritt weiter gehen. Denn es lässt sich wahrscheinlich machen, dass das Vorknorpelgewebe schon ehe es sich entfaltet, in den lockeren Mesenchymzellen präformiert ist, so dass sich die Fähigkeit, das Skelett aufzubauen, schon an eine latente Anlage knüpft, ehe die vorknorpelige sichtbar geworden ist (Gaupp, 1906, p. 578; Braus, 1909). Da sich uns nun oben gezeigt hat, dass die Vorknorpelanlagen bald im ganzen verknorpeln, bald nur einen Anlauf dazu nehmen, bald gar nicht, so lässt sich der Schluss mit Sicherheit daraus ziehen, dass ursprünglich der gesamten Vorknorpelanlage. und deren rein mesenchymatösen Vorstadien die durch Vererbung über- kommene Fähigkeit innewohnt, Knorpel zu erzeugen, während es von den speziellen Verhältnissen abhängt, ob. diese. Fähigkeit ent- wickelt wird oder nicht. Das Vorknorpelgewebe enthält also die vererbte Fähigkeit, in all seinen Teilen Knorpel zu erzeugen; ‘es entspricht in seiner einheitlichen Anlage einem Stadium einiger durch biegsamen Faserknorpel Au LEE Bela Knor Delstecke: Verfolgen wir nun aber die Entwicklung einer vorknorpeligen Anlage, so ergibt sich die merkwürdige Tatsache, dass sie niemals völlig in Knorpel aufgeht, dass stets also mehr. Vorknorpelgewebe an- gelegt wird, als Knorpel entsteht, und dass sich: ein großer Teil dieses Gewebes zu anderen Endprodukten hin entwickelt. Hierin liegt die zweite, sich an das Vorknerpelgewebe knüpfende. Frage, deren Untersuchung wir uns jetzt zuwenden. Es sind vier Gewebstormen; 1. das Perichondrium, : 2. die Gelenkgewebe, 3. das vesiculöse Gewebe, 4. das Sehnengewebe, die aus embryonalem Vorknorpelgewebe hervorgehen, also aus einem Gewebe, das,. wie wir gesehen haben, die Tendenz : zur Knorpelbildung ererbterweise in sich trägt. Es fragt sich, wie die genannten Gewebe zu dieser eigentümlichen Entstehung kommen. Auch hier ist nun die stammesgeschichtliche Vergleichung 746 Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes etc. der einzige Weg, uns die verwandtschaftlichen Beziehungen der genannten Gewebe zu enthüllen. Ich stelle daher zunächst derulber zusammen, was man heute darüber weiß. Über das Perichondrium sagt Semon, dass es in Dipnoern auffallend zart sei, namentlich sei es an der Stelle der Gelenk- verbindungen ganz dünn. Man findet es auch sonst bei Fischen von sehr verschiedener Derbheit. Es scheint also, dass bald nur eine schmale, bald eine breitere Zone des Vorknorpels zum Peri- chondrium umgewandelt wird. Stammesgeschichtlich entsteht das Perichondrium nicht aus Bindegewebe, sondern es ist eine peri- pherische Zone des Knorpels selber, die sich ursprünglich lamellös, später faserig differenziert. Namentlich die Amphibien bieten hier- für vorzügliche Beispiele, wie ich an anderem Orte dartun werde. Zu den Gelenkgeweben rechnen wir zunächst die Labia glenoi- dalıa. Man sagt gewöhnlich, dass sie aus derbem, sehnig-elastischem Fasergewebe bestehen. Dies ist richtig, sogar schon bei Rochen trifft man Erweiterungen der Gelenkpfannen, aus solchem Gewebe bestehend, an. Aber das ist keineswegs die Norm. Bei Fischen kommen Labia glenoidalia sonst nur noch bei Crossopterygiern und Knochenfischen vor. Bei den Knochenfischen bestehen sie aber aus dem sogen. vesiculösem Gewebe, das uns gleich beschäftigen wird. Bei den Amphibien dagegen sind sie zumeist aus hyalinem Knorpel oder aus faserig umgebildetem Knorpel aufgebaut. Sodann gehören zu den Gelenkgeweben die Menisci und Discus articu- lares. Auch diese bestehen bei Säugetieren meist nicht mehr aus Knorpel, sondern aus sehnig-elastischem Gewebe. Dagegen sind sie bei den Amphibien, ja auch noch bei Schildkröten und Eidechsen ganz oder teilweise knorplig. Was endlich die Synovialmem- bran anlangt, so ist bei Fischen eine solche überhaupt nicht in der Weise vorhanden, wie es von Säugetieren bekannt ist. Dort bei Fischen haben wir in der Auskleidung der Gelenke entweder Vor- knorpelgewebe oder vesiculöses Gewebe oder sehniges Gewebe. Keine Spur jener lockeren, saftspaltenreichen Bindegewebslamelle, wie sie bei Amnioten vorkommt, ist bei Fischen vorhanden. Synovialfalten und Zotten fehlen. Dagegen blättern sich die sehnigen Oberflächen der Gelenkenden oft zottenartig ab. Bei den Amphibien zeigt die Synovialhaut nicht mehr diesen Bau; sie besteht aus einer meist einfachen Lage platter Bindegewebszellen, aussen von fibrösen Schichten umgeben. Knorpelzellen darin sind sehr häufig. Erst bei den Amnioten tritt innerhalb der Synovialhaut schließlich das Fettgewebe auf. Wir sehen also, dass bei den Gelenkgeweben in allen Teilen suczessive an Stelle von Knorpelgewebe das Bindegewebe in mannigfacher Modifikation tritt. Von ganz besonderem Interesse ist nun das vesiculöse Ge- webe, eine von Schaffer (1903) und Studnitzka (1903) genauer Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes etc. 7147 gekennzeichnete Gewebsform. Schaffer fasst es als ein Vorläufer- stadium des Knorpelgewebes auf. Dieses, dem Kiemenknorpel- gewebe der Neunaugen und dem COhordagewebe sehr ähnliche Ge- webe findet sich ungemein verbreitet, auffälligerweise stets im Zusammenhang mit dem Skelett. Ich möchte dabei ein wenig ver- weilen, weil es mir möglich gewesen ist, festzustellen, dass dies Gewebe an Stellen auftritt, wo bei stammesgeschichtlich älteren Formen hyaliner Knorpel besteht. Die Gelenke der Knochen- fische waren hier sehr wertvolle Objekte. 1. Es besteht hier die Gelenkoberfläche der artieulierenden Knochen und Knorpel stets aus vesikulösem Gewebe. 2. Die distalen Radien sind bei Teleostiern so klein, dass sie durch mächtige Labia glenoidalia aus vesiculösem Gewebe erst in den Stand gesetzt werden, Gelenkpfannen zu bilden. 3. Die Basen der proximalen Radien bestehen nicht mehr aus Knorpel, sondern meist aus vesiculösem Gewebe. Bei Leueiscus entwickelt sich Knochen auf diesem Gewebe, wie sonst auf Knorpel und entsendet auch Knochenbälkchen ins Innere hinein. 4. Endlich — was schon seit Swirsky bekannt ist —, tritt ein ganzer Teil des Flossenskelettes der Ganoiden, das Basipterygium, bei den Teleostiern nicht mehr knorplig, sondern als Platte aus vesiculösem Gewebe auf. In diesem Gewebe stecken die knöchernen Radien darin, und zwar bilden sie durch ihre Bewegungen inner- halb des vesiculösen Gewebes kleine Spezialgelenke um sich herum aus. In mannigfachen Beziehungen also: in der Fähigkeit, die Ge- lenkflächen und die Labia glenoidalia zu bilden, dem Knochen als Grundlage zu dienen und selbst in sich. kleine Gelenke entstehen zu lassen — in all dem ersetzt das vesiculöse Gewebe bei den Teleostiern funktionell den Knorpel der Ganoiden. Auf diesen Er- satzvorgang ist bisher wenig geachtet worden. Nur bei Wieders- heim (1892, p. 172) habe ich die Angabe gefunden, dass ein Skelett- stück des Schultergürtels, das bei Haifischen knorpelig sei, bei Ganoiden zeitlebens „vorknorplig* bleibe. Diese Befunde machen es ganz unwahrscheinlich, dass das vesiculöse Gewebe ein Vorläufer des Knorpelgewebes gewesen sei. Vielmehr ist es aufzufassen als emne Hemmungsbildung des Knorpels. Das Vorknorpelgewebe bleibt bei dem Anlauf zur Knorpelbildung stehen; es wird aus einem embryonalen Ge- webe zu einer Dauerform. Ähnlich wie das embryonale Gallert- gewebe sich im Nabelstranggewebe zu einer Dauerform erhebt und in dem Anlauf zur Fibrillenbildung stehen bleibt, so erhebt sich auch das Vorknorpelgewebe, im Anlauf zur Knorpelbildung stehen bleibend, zum Rang eines Dauergewebes und gelangt zu grosser Bedeutung. Auch Studnitzka (1903) beurteilt den Zu- sammenhang ähnlich und spricht daher von transitorischem und XIX. 47 748 Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes etc. dauerndem Vorknorpelgewebe, welches letztere dem vesieulösen Gewebe Schaffer’s entspricht. Studnitzka betont sehr richtig (1903, p. 353) die Discrepanz zwischen der embryonalen und stammes- geschichtlichen Entstehung des vesikulösen Gewebes, indem er sagt, embryonal entstehe es aus Vorknorpel, stammesgeschichtlich könne es aber nicht eher dagewesen sein als der Knorpel, da doch alle Skelettelemente zuerst aus Knorpel bestünden. Wie wir sehen, lässt sich diese Vermutung tiefer begründen und wenigstens für die Fische zur Sicherheit einer durch die Beobachtung bestätigten allgemeinen Erfahrung erheben. Es bleibt schließlich noch einiges über das Sehnengewebe zu bemerken. In der Literatur sind zahlreiche Angaben darüber enthalten, dass im Inneren der Sehnen knorplige oder vesiculöse Einschlüsse vorkommen. Meine eigenen Untersuchungen haben mir dies an den Sehnen von Amphibien und Reptilien bestätigt. Ja — es gibt Sehnen z. B. am Oberschenkel der Eidechse, die völlig aus vesiculösem Gewebe bestehen. Ebenso gibt es bei Knochenfischen Sehnen, die, gleichsam aus diesem Gewebe herausgeschmolzen, an die sekundären knöchernen Radien herantreten. Man kann schliebß- lich an jeder Sehne bei sorgsamer Untersuchung Beobachtungen über die Lagerung und Anordnung der Zellen machen, durch die man an die Lagerung und Anordnung der Zellen im Knorpel erinnert wird. Hieran reihen sich die Beobachtungen, dass be- stimmte Teile in den Gelenken, so z. B. die Ligg. cruciata im Kniegelenk, völlig den Bau der Sehnen besitzen und dass auch in a Ehe sogar basophile hyaline Einschlüsse gefunden werden. Endlich muss hervorgehoben werden, dass le Stellen in den Gelenken der Fische völlig sehnigen Bau besitzen. Die Fasern verlaufen hier parallel als Überkleidung der Oberflächen an den articulierenden Flächen, so bei Selachiern und Dipnoern. Die Kon- tinuität zwischen diesem Gewebe und dem Knorpel ist dabei ersicht- lich in weiter Ausdehnung vorhanden. Nach all dem möchte ich eine innere Verwandtschaft auch zwischen Sehnen- und Knorpelgewebe annehmen, wenngleich noch nicht angegeben werden kann, ob sich hierin alle Sehnen Ei all ihre Teile an ertig verhalten. Fbensowenig ist über die embryonale Entwic :klung der ES bisher etwas Sicheres bekannt geworden, bis auf eine Aucsbe von Ranvier, wonach sich die Achillesseknt aus demselben Zellmaterial aufbaut, wie der Knorpel des Calcaneus. Es scheint nach dieser Angabe, vor allem aber auf Grund der ausge- dehnten Beobachtungen an ausgebildeten Sehnen nicht zu gewagt, auch sie zum Teil als aus Vorknorpelgewebe entstanden zu be- trachten. Für den Sesamknorpel in der Achillessehne des Frosches behauptet Studnitzka (1903, p. 353), dass er aus dem Bildungs- gewebe der Sehne entstehe. Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes etc. 749 Wir haben hierdurch die Gewebe, die sich aus dem Vorknorpel- gewebe neben dem hyalinen Knorpel sonst noch entwickeln, auch stammesgeschichtlich charakterisiert und sie alle in nähere Beziehungen zum hyalinen Knorpel bringen können. Da wir nun oben gesehen haben, dass das Vorknorpelgewebe durch die ihm Kraft der Vererbung innewohnende Tendenz in ganzer Ausdehnung die Fähigkeit besitzen muss, hyalinen Knorpel zu erzeugen, so ergibt sich, dass bei all den erwähnten Geweben diese Fähigkeit in ıhrer Entfaltung ge- hemmt oder ganz unterdrückt worden ist. Dass alte knorplige Skelettelemente während ihrer embryonalen Anlage in der Entwicke- lung gehemmt werden und nicht weiter gelangen als bis zum Stadium unreifen Knorpels, oder sogar zu Bindegewebe werden, sind Be- obachtungen, die bereits auf anderen Gebieten gemacht worden sind. Fuchs (1906, p. 29) hat gesehen, wie sich embryonal eine Knorpelanlage im Squamosum von Didelphys in Bindegewebe um- bildete. Weiterhin (ibid. p. 82ff.) ist er der Ansicht, dass auch ın der Anlage der Knorpel im äußeren Ohre und im Visceralskelett der Säugetiere bemerkenswerte Retardationen vorkämen. Gaupp (1906, p. 603 ff. und 1908, p. 768) erörtert auch für den Schädel das allgemeine Vorkommen dieser Retardationen. Ein Satz dieses Autors soll hier Platz finden, weil er das Verhältnis sehr klar aus- drückt. Er sagt (1908), dass es am Schädel Knochen auf binde- gewebiger Grundlage gebe, die also als Deekknochen entstehen, wobei aber das Bindegewebe „als nicht verknorpelnder Abschnitt des Primordialeraniums zu gelten habe“. — Bei primitiven Formen ist von dieser Hemmung noch nicht viel zu spüren: der größte Teil des Vorknorpels geht auch tatsächlich im Knorpel über. Bei den Teleostiern und Amnioten aber ist an vielen Stellen die Ent- faltung völlig gehemmt: große Bezirke des Vorknorpels treten nie mehr in das Knorpelstadium oder nehmen nur einen Anlauf dazu. Wir konnten aber die Vorknorpelanlage auf einen Urzustand beziehen, in dem wenige Knorpelstücke durch biegsame Faserknorpelplatten kontinuierlich verbunden waren. Folglich entsteht für unsere For- schung die Aufgabe, das phyletische Geschick dieser Knorpel- anlage und die immer steigende ontogenetische Unter- drückung der Knorpelbildung in ursächlichen Zusammen- hang zu setzen. Diesen Zusammenhang erblicke ich in einer durch die Muskeltätigkeit veranlassten und andauernd gesteigerten fibrösen Metaplasie des Knorpels während seiner stammesgeschichtlichen Aus- bildung. Wir können diesen Vorgang natürlich nicht mit Händen greifen, denn er vollzieht sich im individuellen Leben der ein- zelnen Individuen. Erst der Vergleich zahlreicher Objekte, wie ich ihn seit Jahren angestellt habe, macht die Wirkung dieser Muskeltätigkeit am Knorpel augenfällig. Durch den Zug der 47* 750 Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes ete. Muskeln entfaltet sich phylogenetisch ein Perichondrium — der Zug der Muskeln bewirkt die Entstehung faserknorpeliger Fort- sätze am Knorpel in der Richtung des Muskelzuges: der Sehnen, Der Muskelzug biegt auch die Kontinuität der Knorpelstücke durch und erzeugt am Knorpel, der sich an Zug, Druck, Reibung und Ab- scherung anpasst, die mannigfachen Gelenkgewebe durch Metaplasie aus dem Knorpel selbst. Hiermit wird ein alter Ausspruch von Roux wieder zur Beachtung nahegeführt: „Der primäre und — wie mir scheint — durch Druck und Zug passiv bildsamste Bestandteil der Skelettteile ist der Knorpel. Ein knorpliges mit eigener Wachs- tumsfähigkeit versehenes Gebilde kann durch abnormen Druck in der Druckrichtung am Wachstum gehemmt werden; dabei kann dieser Knorpel, in möglichster Betätigung seiner jugendlichen, immanenten Wachstumsfähigkeit kompensatorisch seitwärts aus- wachsen, weiterhin an Stelle des Wegfalles oder der Verringerung von Druck oder gar bei Vorhandensein abnormen Zuges zu abnorm starkem Wachstum veranlasst werden... In der Jugend ist also in erster Linie der Knorpel das durch sein immanentes Wachs- tumsvermögen und durch seine Reaktionen die Gestalt der Skelett- teile bestimmende Material (II, S. 48/49).“ Hier spricht Roux von der „Jugend“ und denkt dabei an die Jugend des Individuums und an krankhafte Störungen in der Ausbildung des Skelettes. Aber wir werden auch in der „Jugend“ des Wirbeltierstammes, wo, wie bei Selachiern, Ganoiden, Dipnoern und Amphibien der Knorpel herrscht, die physiologische Ausgestaltung des Skelettes auf dieselben Quellen zurückführen müssen und anerkennen, dass hier, nicht in der Ontogenese, die Gestaltung entsteht, dass von hier aus über die Verwendung des Vorknorpelgewebes der nächsten Generationen verfügt wird. Roux selbst geht an einer anderen Stelle auf die Phylo- genese als den Quell der causalen Gestaltung zurück (U, p. 228 bis 231) und in sehr erfreulicher Weise hat Braus kürzlich, um all diesen ontogenetischen Spekulationen zu begegnen, gezeigt, dass zu einer Zeit, wo die Gelenkformen bereits angelegt sind, eine elektrische Reizbarkeit der Muskulatur noch völlig unmöglich ist. Die Knorpelzellen erwachsener Tiere kommen an be- stimmten Stellen unter neue Bedingungen, sei es, dass Druck sie hemmt, sei es dass Zug sie zu reger Tätigkeit reizt. Durch Vererbung dieser Zustände wird für die Vorknorpelzellen der nächsten Gene- ration der Grad bestimmt, bis zu dem sie hyalines Knorpelgewebe ausbilden oder auf dem sie in dieser Bildung gehemmt werden. Um diese Verhältnisse auf eine kurze Formel zu bringen, könnte man zweckmäßig vielleicht ein primäres und sekundäres Knorpel- skelett unterscheiden. Das sekundäre Knorpelskelett umfasst die oben (s. S. 745) aufgezählten vier Gewebe und entsteht stammes- Lubosch, Die embryonale Entwicklung des Knorpelgewebes ete. 51 geschichtlich aus dem primären Knorpelskelett. Je weiter die Ent- wicklung des Wirbeltierstammes vorschreitet, desto mehr primäres Knorpelskelett wird in sekundäres übergeführt, und wir können uns vorstellen, dass auf diesem Wege das primäre Skelettmaterial im Körper auf weite Ausdehnung hin verbreitet wird. Das Vor- knorpelgewebe wäre dann embryonal die Matrix, die stets den ge- samten Umfang des primären und sekundären Skelettes wieder her- stellte. So können wir unsere Untersuchungen über das Vorknorpel- gewebe folgendermaßen zusammenfassen: 1. Es ist keine palingenetisch entstehende, sondern eine speziell embryonale Gewebsform. 2. a) Sie weist durch die Einheitlichkeit ihrer Anlage auf ein sehr wenig gegliedertes System synchondrotisch miteinander verbundener Skelettelemente hin. Der gesamten Anlage wohnt die ererbte Tendenz inne, die Vorknorpelsubstanz ın hyaline Knorpelsubstanz zu verwandeln. b) Diese Tendenz wird in verschiedenem Maße unterdrückt. Hierin sprechen sich embryonal die phylogenetisch erfolgten metaplastischen Prozesse am primären Knorpelskelett aus, die zur Entstehung eines im Körper weithin ausgedehnten sekundären Knorpelskelettes geführt haben. Es kann diese Darstellung nicht geschlossen werden, ohne dass auf zwei Folgen hingewiesen worden wäre, die sich aus einer der- artigen durch die Beobachtungen gestützten Auffassung ergeben müssen. | Erstens nämlich führt diese Auffassung dazu, eine Determi- nation der Mesenchym- und Vorknorpelzellen als gegeben anzu- nehmen, eine Mosaikzusammensetzung der mesenchymatösen und später vorknorpeligen Anlage des Skelettes, derart, dass z. B. die Anlagen eines Meniseus oder eines Lig. cruciatum bereits frühzeitig von den Anlagen der Gelenkflächen unterschieden sein müssen. Zu ähnlicher Konsequenz ist auch kürzlich Braus (1909) bei seinen Transplantationen und Exstirpationen von Extremitäten gelangt. Die zweite, viel wichtigere Konsequenz ist die Annahme einer Kontinuität des Knorpelgewebes und die völlige Abweisung einer sogen. „freien“ Entstehung von Knorpel oder knorpelartigem Gewebe an beliebigen Stellen im Bindegewebe. Wäre das Gegenteil, also die freie Entstehung, wirklich wissenschaftlich bewiesen, so wäre der gesamten obigen Darstellung der Boden entzogen. Der allgemein herrschenden Annahme einer freien Entstehung hat Gegenbaur') stets den Satz. entgegengestellt, dass Knorpel nur 1) Zu vergleichen ist die Hauptstelle. Vgl. Anat. Bd. I, 5. 590. 732 Lubosch, Die embryonale Entwieklung des Knorpelsewebes etc. [697 ) 5 fe) von Knorpel abstammen könne. Gewiss muss der Knorpel irgendwo einmal „zuerst“ entstanden sein, aber wir haben oben gesehen, dass er jedenfalls nicht so entstanden ist, wie er im Embryo heute noch entsteht. Wenn ein Forscher wie Gaupp auf anderem Stand- punkte steht und nach Prüfung der Sachlage ım einzelnen Falle einen embryologisch zu beobachtenden „frei“ entstandenen Knorpel- kern außer Beziehung zu älteren Knorpelherden setzt, so ist die Aufgabe damit noch nicht definitiv gelöst, denn es scheint nötig, den Zusammenhang wirklich auszuschließen. Wer aber wollte den Wegen nachspüren, auf dem vorknorpliges, ja mesenchymatöses Material in Gegenden kommt, die fern von anderen Knorpelcentren liegen? Demgegenüber ist die Knorpelzelle ein so specifisches Element, die Erzeugung der Ohondroitinschwefelsäure eine so specifische Leistung, dass die Vorstellung von der Kontinuität eines solchen (Gewebes ıhre Berechtigung hat, auch ohne dass wir im einzelnen Falle diese Kontinuität wirklich nachweisen, zumal wir gerade durch die jüngsten Experimente von Braus wissen, wie bereits in den Mesenchymzellen die Fähigkeit, hyalinen Knorpel zu bilden, latent vorhanden ist. Wenn die Vorstellung von der Kontinuität also auch ebenso wie eine Konsequenz auch eine Voraussetzung meiner Dar- legungen ist, so ist es doch eine solche, die mit unseren biologischen Vorstellungen ın Einklang steht und uns zu einem tieferen Einblick in die sich am Skelettsystem abspielenden Vorgänge verhilft. Jena, 28. Mai 1909. Literatur. 1880. Swirski. Untersuchungen über die Entwickelung des Schultergürtels und des Skelettes der Brustflosse des Hechtes. Dissert. inaug. Dorpat. 1882. v. Rautenfeld. Morphologische Untersuchungen über das Skelett der hinteren Gliedmaßen von Ganoiden und Teleostiern. Dissert. inaug. Dorpat. 1888. Ranvier. Technisches Lehrbuch der Histologie, übersetzt von Nicati und van Wyss. 1890. Salenski. Entwickelung des Sterlets, Verhandl. der naturwissensch. Gesellsch. zu Kasan (zitiert nach Wiedersheim). 1892. Wiedersheim. Das Gliedmaßenskelett der Wirbeltiere mit besonderer Be- rücksichtigung des Schulter- und Beckengürtels bei Fischen, Amphibien und Reptilien. Jena. (Mit Atlas.) 1594. Ducret. Contribution & l’&tude du developpement des membres pairs et impairs des poissons t@l&osteens. Inaug. diss. Lausanne. 1895. Roux. Gesammelte Abhandlungen über Entwickelungsmechanik der Orga- nismen. Bd. II. Leipzig, Engelmann. 1896. Schaffer. Über das knorpelige Skelett von Ammocoetes branchialis nebst Bemerkungen über das Knorpelgewebe im allgemeinen. Zeitschr. wiss. Zool., Bd. 61, p. 606—659, Taf. 27—29. Buytendyk, Beiträge zur Muskelphysiologie von Sipunculus nudus. 753 1897. Born. Über die Verwachsungsversuche an Amphibienlarven. Arch. f. Ent- wickelungsmechanik, Bd. IV. 1897. Studnitzka. Über Histologie und Histogenese des Knorpels der Cyelo- stomen. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 48, p. 606-643, Taf. 30—31. ‚1898. Gegenbaur. Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere. Bd.I. 1895. Semon. Die Entwickelung der paarigen Flossen des Üeratodus Forsiert. Denkschriften d. med. nat. Gesellsch. Jena. Bd. IV. 1899. Hansen. Über die Genese einiger Bindegewebssubstanzen. Anat. Anz., Bd. 16, p. 417—438. 1902. E. Ruge. Die Entwickelungsgeschichte des Skeleites der vorderen Extremität vor Spinax niger. Morph. Jahrb., Bd. 30. 1903. Fibich. Beitrag zur Kenntnis des hyalinen Knorpels. Anat. Anz., Bd. 24, p- 209— 214. 1903. Schaffer. Über das vesiculöse Stützgewebe. Anat. Anz., Bd. 23, p. 464—479. 1903. Studnitzka. Histologische und histogenetische Untersuchungen über das Knorpel-, Vorknorpel- und Chordagewebe. Anat. Hefte, Bd. 21, p: 278—525, Taf. 35 —44. 1906. Braus. Die Entwickelung der Form der Extremitäten und des Extremitäten- skelettes. O. Hertwig’s Handbuch der vergl. u. experim. Entwicke- lungsgeschichte. Bd. III, Teil 2, S. 167—235. 1906. Gaupp. Die Entwicklung des Kopfskelettes. Ibid. S. 573—627. 1906. Fuchs. Untersuchungen über die Entwicklung der Gehörknöchelchen, des Squamosums und des Kiefergelenkes der Säugetiere etc. Arch. f. Anat. u. Phys. Anat. Abt. Suppl., p. 1—9%. 1908. Gaupp. Die Entwicklung des Kopfskelettes von Echidna. Jenaer Denk- schriften. 1908. Krauss. Über die Genese des Chordaknorpels der Urodelen und die Natur des Chordagewebes. Arch. f. mikr. Anat., Bd. 73, p. 69—116, Taf. 4—6. (Mit Literatur.) 1908. Lubosch. Über Wirbeltiergelenke. Verhandl. d. anat. Gesellsch. auf der 22. Versammlung, Berlin. 1908. — Die stammesgeschichtliche nase der Synovialhaut und der Sehnen. Biol. Centralbl., Bd. 28. 1909. Braus. Gliedmaßenpropfung und Grundfragen der Skelettbildung. I. Die Skelettanlage vor Auftreten des Vorknorpels und ihre Beziehungen zu den späteren Differenzierungen. Experimentelle Beiträge zur Morpho- logie. Bd. I, Heft 3. Leipzig, Engelmann. Beiträge zur Muskelphysiologie von Sipunculus nudus. Von F. J. J. Buytendyk. Die manchen interessanten Eigentümlichkeiten der Rüssel- retraktoren, welche J. v. Uexküll!) studiert hat, haben mir Anlass gegeben, den Einfluss gewisser Salzlösungen auf diese glatten Muskeln, welche sich auf direkte wie auch indirekte Reize hın schnell zusammenziehen und also in ihren mechanischen Verhält- nissen den quergestreiften Muskeln sehr nahe kommen, zu unter- suchen. Zum Teil erhielt ich bei diesen Untersuchungen Resultate, 1) J. v. Uexküll, Zeitschr. f. Biologie, Bd. 33 u. 44. 754 Buytendyk, Beiträge zur Muskelphysiologie von Sipunculus nudus. welche mit den Ansichten von v. Uexküll nicht ganz überein- stimmen. I. Das Präparat der Rüsselretraktoren wurde nach der vorzüg- lichen Methode Uexküll’s angefertigt, und die vorläufigen Be- obachtungen am Objekt sofort nach der Herausnahme aus dem Körper gemacht, indem Muskeln, Gehirn und Bauchstrang ohne Zerrung oder Dehnung auf eine Glasscheibe oder auf einen ausge- spannten Teil des Hautmuskelschlauches ausgebreitet wurden. Mit dem Auge (Lupe) wurden die Effekte der Reizungen beobachtet. Ich konnte mich von der großen mechanischen und elektrischen Reizbarkeit vom Gehirn überzeugen. Der Bauchstrang ist durch Induktionsschläge schwerer, mechanisch gar nicht zu reizen. Uexküll erwähnt weiter, dass die Muskeln direkt reizbar sind, aber nur zusammenzucken an und zwischen den Reizelektroden. Der Reiz würde sich also nicht im Muskel ausbreiten, wie das bei den quergestreiften der Fall ist. Der Muskel eines großen Sipunculus, welcher, wie immer mit dem normalen Muskel der Fall ist, ein helles, durchsichtiges Aus- sehen hat, wurde auf eine Glasplatte gelegt und mit der Lupe be- obachtet. Berührung der Oberfläche mit einer Nadel oder einem Glasfaden erzeugte sofort eine lokale Kontraktion, kenntlich an dem Weißwerden der kontrahierten Stelle. Diese weiße Stelle breitet sich oft sternförmig aus, und also auch die Kontraktionen nach schwacher, mechanischer Reizung. Diese Zusammenzuckung erscheint blitzartig zu entstehen, geht aber nur bei Dehnung des Muskels zurück. Bei starker mechanischer Reizung folgt auf diese schnelle Zuckung eine langsame Kontraktion, indem die entstandene weiße Stelle sich wulstartig zusammenzieht. Induktionsschläge erzeugen schon bei sehr geringer Stärke eine derartige Zuckung an den Elektroden. Etwas stärkere Schläge geben ein rasches Zucken des ganzen Muskels. Die Größe dieser Kontraktion ist sehr abhängig von der Reizbarkeit des Objektes, so dass oft nur die nachfolgende lang- same Zusammenziehung an und zwischen den Elektroden beobachtet wird. Öffnungsinduktionsschläge sind wirksamer als Schließungsschläge. Dass v. Uexküll meint, direkte Muskelreizung gäbe nur lokal eine Zuckung, kann, glaube ich, nur daher rühren, dass die rasche Zuckung, welche ich beobachtete, mit so wenig Kraftentwickelung erfolgt, dass diese schnelle Zuckung nicht graphisch zu verzeichnen ist. Nur wenn die Erregbarkeit Bet erhöht wird, kann, wie wir sehen werden, die graphische Verzeichnung geschehen. Übrigens spielen auch die Ermüdung und der Salzgehalt der benetzenden Flüssigkeit eine große Rolle. Die erwähnte schnelle Zuckung des ganzen Muskels auf lokale Reizung hin kann wohl nur hervorgehen Buytendyk, Beiträge zur Muskelphysiologie von Sipunculus nudus. 7155 aus einer Reizung der intramuskulären Nervenfasern. Bei erhaltenem Gehirn konnte ich auch durch genügend starke Reizungen reflek- torisches Zucken der nicht gereizten Muskeln beobachten. In der Versuchsanordnung Uexküll’s, wobei der Muskel in einem horizontalen und vertikalen Teil zerfällt, sieht man, wenn das vertikale Stück nicht gedehnt wird, bei Reizung im horizontalen Stück auch das vertikale schnell zucken. Auch wenn man den Muskel durch einen Faden umschnürt und auf einer Korkplatte angebracht hat, lässt sich bei Reizung der einen Hälfte eine Zusammenziehung auch des anderen Stückes ersehen. II. In diesen Muskeln schienen also zwei verschiedene Kon- traktionsprozesse nebeneinander zu bestehen und es fragte sich, ob diese beiden Zuckungsformen verschiedenen Muskelfasern angehören, wie das beim Schlingmuskel des Pekten der Fall ist, wo ein Teil des Muskels aus glatten, ein anderer Teil des Muskels aus quer- gestreiften Fasern bestehen. Es wäre möglich, dass beim Stipun- culus am selben Element die verschiedenen Kontraktionen ver- schiedene histologische Änderungen hervorrufen würden. Wenn man ein Muskelstückchen in Alkohol von 30°/, mazeriert, lässt sich sofort sehen, dass der ganze Muskel nur aus glatten Fasern besteht, welche ungefähr 2 mm lang sind. Fixiert man die Retraktoren in verschieden starker Kontraktion, so sieht man bei Fixierung nach einer schnellen Zuckung (z. B. Gehirnreizung) die Muskelfasern verkürzt und verdickt, indem eine leichte Schlängelung der Fasern zu sehen ist. Wenn man aber durch direkte tetanische Muskelreizung ein intensives Weißwerden (Kontraktion) erzeugt, welches, wie gesagt, langsam entsteht, sieht man bei Fixierung des Muskels selbst unter sehr bedeutender Spannung die Fasern im mikroskopischen Bilde stark geschlängelt verlaufen. Die Dicke jeder einzelnen Faser ist aber gleich derjenigen, welche wir nach schneller Kontraktion beobachteten. Hieraus geht also hervor, dass diese glatten Fasern wie quergestreifte sich schnell unter wirklicher Verkürzung und Diekenzunahme kontrahieren können. Diese Kon- traktion erfolgt aber unter wenig Kraftentwickelung und geringer Verkürzung. Bei etwas starker Reizung folgt auf dieselbe eine langsame Zusammenziehung des Muskels unter großer Kraftent- wiekelung und Verkürzung, indem jetzt die Fasern sich stark schlängeln. Die Analyse der Kraftentwiekelung und der Kurven- form bei isotonischer und isometrischer Zuckung ist also nicht so einfach wie v. Uexküll meint. Er sagt: „dass bei den Söpuneulus- Retraktoren Spannungen und Verkürzungen keineswegs immer Hand in Hand gehen, sondern eine große Unabhängigkeit voneinander aufweisen.“ Diese Schlussfolgerung scheint mir etwas fraglich. UI. Wenn man die eine Hälfte eines Sipunculus-Muskels in 756 Buytendyk, Beiträge zur Muskelphysiologie von Sipunculus nudus. !/, verdünntes Seewasser legt, lässt sich in einem gewissen Stadium der Anschwellung folgendes beobachten (die andere Hälfte des Muskels ist normal geblieben). Reizung des geschwollenen Teiles gibt eine rasche Kontraktion im normalen Teil des Muskels, indem die gereizte Stelle sich nur lokal langsam zusammenzieht. Man ersieht aus diesem Versuche, dass die Fortleitung des Reizes, welche die schnelle Kontraktion zur Folge hat, unabhängig von der Zuckung der gereizten Stelle ist und also wie beim Froschmuskel von den Nervenfasern fortgepflanzt wird. Die langsame Kontraktion bleibt bei Aufquellung länger erhalten als die rasche. Sa en 22, Mey Fig. 1. Normale Kurve, direkte Reizung. een Fig. 2. Kurve, nachdem die Muskeln mit KÜl-Lösung befeuchtet sind, direkte Reizung. Die Retraktormuskeln haben sich außer- ” erordentlich empfindlich erwiesen für KÜl „A und CaCl,-Lösungen, dennoch konnte eine % genauere quantitative Untersuchung der Eın- / flüsse dieser Salze nicht ausgeführt werden / wegen der schnellen Änderung, welche die Reizbarkeit der Söipunculus-Muskeln mit der / Zen ui Gen Iran SUMEN: S Fig. 3. Kurve, nachdem die ({/; n.-Lösung) 1 Teil auf 100 See- uskeln mit CaCl,-Lösung wasser gibt schon eine sehr langsame vor benetzt sind; direkte sich gehende Tonuserhöhung des Muskels. Reizung. In Verdünnung von 1 auf 50 Seewasser geht diese Kontraktion mit erheblicher Kraftentwickelung einher, indem ein Gewicht von 15 g gehoben wird. Je stärker die KCl-Konzentration im Seewasser ist, desto größer ist die Tonuserhöhung; 1 Teil KCl !/, n. erzeugt eine Verkürzung des Muskels bis auf weniger als ein Viertel seiner Größe. Bei so starker Kontraktion geht diese nur wenig zurück, wenn man den Muskel wieder in reines Seewasser bringt. Bei geringer Vergiftung mit KC1 lässt sich langsame lokale Kontraktion leicht auslösen. Die schnelle Zuckung des ganzen Muskels ist nicht mehr hervorzu- rufen. Die Erregbarkeit des Muskels ist herabgesetzt für direkte und indirekte Reizung. Im mikroskopischen Bilde des in KÜl kon- trahierten Muskels sieht man eine starke Schlängelung der einzelnen Fasern. Buytendyk, Beiträge zur Muskelphysiologie von Sipuneulus nudus. 757 Eine Lösung von CaCl, gibt, in geringer Menge auf einen Sipunculus-Muskel appliziert, eine sehr starke Herabsetzung der Tonus, so dass das Präparat durch ein Gewicht von 1—2 g bis mehr als 11/,—2 seiner Länge gedehnt wird. Der geringste Reiz gibt ein sehr schnelles Zusammenzucken des ganzen Muskels, auch lokale mechanische Reizung kann jetzt leicht eine Zuckung des Muskels herbeiführen. Im mikroskopischen Bilde sieht man die Muskelfasern, welche im Seewasser + CaÜl, gelegen haben, außerordentlich lang und dünn geworden. Bei. eimiger Sorgfalt kann man an einem auf einer Glasplatte gelegenen Muskel, welcher mit CaCl, reizbarer gemacht ist, den Zipfelversuch von Kühne machen. Es können also auch hier die Nervenfasern rückgängig die Reize übertragen. Um zu sehen, ob das CaCl, auch auf die Reizbarkeit der Nerven einen Einfluss hat, wurde folgender Versuch angestellt: Von den . vier Retraktoren wurden zwei mit einem leichten Schreibhebel ver- bunden. Durch einen Faden wurden die zwei anderen Muskeln und das Gehirn auf einer Korkplatte fixiert. Wenn die Muskeln, deren Kontraktion aufgezeichnet wurden, mit OaCl, besetzt waren, gab direkte und indirekte Reizung eine größere und schnellere Zuckung. Waren umgekehrt das Gehirn und die anderen Muskeln mit CaCl, (in Seewasser) angefeuchtet, so erhält man auf indirekte Reizung nur die gewöhnlichen Kontraktionen. Eine reine NaCl-Lösung von 3,45°/, gab keine Tonusänderungen der Retraktoren; die Reizbarkeit wurde aber etwas herabgesetzt. IV. Es hieß sich nun fragen, wie die Latenzzeiten der Kon- traktion und diejenige des Aktionsstromes bei der Einwirkung von CaCl, und KCl auf dem Muskel sich änderten. Mit dem Saiten- galvanometer (Edelmann’s) lässt sich leicht eine negative Schwan- kung des Muskels aufzeichnen. Auf die photographische Platte, welche die Bewegungen der Saite registrierte, wurde auch ein Schattenbild vom Schreibhebel geworfen, so dass die Zuckungskurve auf derselben Platte aufgezeichnet wurde. Man konnte so die Latenzzeiten der Muskelzuckung und des Aktionsstromes ausmessen; denn auch ein elektrisches Signal verzeichnete das Moment der Reizung und eine Stimmgabel gab die Zeit ın !/,, Sekunde an. Es ergab sich nun, dass die Latenzzeit des Aktionsstromes eine größere Konstanz hat, als diejenige der Kontraktion, so dass bei Ermüdung des Muskels eine beträchtliche Verlängerung der letzteren eintritt. Man sieht eine schöne Übereinstimmung in den Werten der ersten Reihe der Tabelle I. Die kleineren Unterschiede können sehr leicht herrühren von kleinen Verschiebungen der mit Seewasser getränkten Fäden, welche den Aktionsstrom vom Muskel ableiten, zum Saitengalvanometer. 798 Buytendyk, Beiträge zur Muskelphysiologie von Sipuneulus nudus. Tabelle I. Latenzzeit Latenzzeit Neg. Schwan- Kontraktion kung in Sek. in Sek. 1 normaler Muskel . . . 0,03 0,045 2 2 B, EUER 0,032 0,055 3 ermüdeter ,, 0,035 ° 0,08 4 + ” 0,028 0,09 Die Wirkung des CaCl, auf den Muskel erzeugt auch hier eine Änderung der Datemzecit der Muskelkontraktion. Tabelle 1. Latenzzeit Latenzzeit Neg. Schwan- Kontraktion kung in Sek. in Sek. Muskel 3 (aus Tab. I) mit CaCl, + Seewasser angefeuchtet 0,03 0,04 Er Take tale 7 = 0,025 0,041 „ . 5. (normal) 5 2 5 % En 0,025 0,025 KÜUl gibt, wie gesagt, eine beträchtliche Verkürzung des Muskels. Es ıst erwähnenswert, dass diese langsame Kontraktion keine Spur von einem Aktionsstrom erzeugt. Dieses Salz gibt schon in sehr großer Verdünnung eine beträchtliche Verlängerung der Latenzzeit des Muskels. Tabelle II. Latenzzeit Latenzzeit Neg. Schwan- Kontraktion kung in Sek. in Sek. Muskel 2 (aus Tab. I) mit KCl + Seewasser angefeuchtet 0,03 — » 6 (normal) a * r 0,028 0,26 „ X „ ” ” „ „ „ ? 0.24 Öfters kann man bei schwacher Reizung nach KOl-Wirkung einen Aktionsstrom verzeichnen, ohne dass die geringste Spur von Kontraktion auftritt, eine Erscheinung, welche in Übereinstimmung ist mit der Beobachtung von Noyons?), wobei von einem Frosch- herzen das Elektrokardiogramm zu verzeichnen blieb, obgleich durch KÜl-Vergiftigung alle Herzkontraktionen aufgehört hatten. V. Sehr viel Ähnlichkeit mit der Wirkung auf die Sipunculus- Retraktoren hat der Einfluss von KÜl und CaCl, auf die Tentakeln von (armarina hastata. Es ist bekannt, wie kolossale Schwankungen in ihrer Länge diese Tentakeln aufweisen, so dass 10 cm sich oft bis auf 3—2 cm verkürzen können. ÜaCl, erzeugt eine erhebliche Erregbarkeits- steigerung, indem auch die Konakon sich schneller und voll- kommener von der gereizten Stelle dem Tentakel entlang ausbreitet. In Seewasser zurückgebracht verschwinden diese Eigenschaften wieder. KÜCl gibt in großer Verdünnung dieselben Erscheinungen 2) Noyons Verslagen Koninklyke Akademie v. Wetensch. Amsterdam 1908. Hornyold, Über die Nahrungsaufnahme der Spatangiden. 759 wie an den untersuchten Muskeln; also langsame Kontraktion, ge- ringere Erregbarkeit. Herrn Dr. Burian sage ich hier herzlichen Dank für seine freundliche Hilfe bei der Ausführung dieser Untersuchungen. Über die Nahrungsaufnahme der Spatangiden. Von Herzog A. Gandolfi Hornyold, Dr. phil. (Aus dem Biologischen Institut in Bergen.) Während eines längeren Aufenthaltes an der Biologischen Station in Bergen habe ich auf Ersuchen von Dr. Appellöf die Biologie der Spatangiden einer näheren Untersuchung unterworfen. Die ausführliche Schilderung meiner Beobachtungen werde ich in einer späteren Arbeit geben. Vorläufig werde ich nur einige Be- obachtungen über die Nahrungsaufnahme veröffentlichen. Als Ma- terial zu meinen _ Untersuchungen benutzte ich Kehinocardium flavescens und Spatangus purpureus. Die bisher geltenden Ansichten über diesen Gegenstand, die in der Literatur zu finden sind, sind kurz wiedergegeben die folgenden: Robertson (1) referiert über die Nahrungsaufnahme bei Echino- cardium cordatum: These observations would lead to the belief that the long prehensile filaments convey the sandy matter that they gather from the surface to the dorsal impressions only, and that it is then passed along chiefly if not wholly, by the action of the narrow linear series of small spines stretching from the övarlan holes down the anterior groove and is then dropped on the sand below. The mouth is irregularly surrounded by processes which Forbes calls „short tentacula, with dises surrounded by clavate filaments*. These I have seen on several occasions descend and grasp the sand or other matter dropped down the anterior groove, and con- veying it into the mouth. This operation, however appears to be seldom performed and will only be observed by the exercise of patient attention. There can be little doubt that the office of these organs is to transmit to the mouth the food material thus brought to gether by tha agancy of the small spines of the anterior groove. Loven (2) sagt über die Nahrungsaufnahme folgendes: La plaque peristomienne destinde ä fonetionner comme une levre immobile, un labrum en forme de cuillere, moyennant lequel l’animal, fouillant la couche superficielle du fond, recoit dans sa bouche la vase riche en substances organisdes qui lui sert de nourriture, est encore tres peu adaptee ä cet usage chez l’Echinospatangus et l’Heteraster et le Mieraster, et elle n’y repond guere qu’a mesure qu’elle prend cette forme arquee, convexe, & bord adoral saillant 760 Hornyold, Über die Nahrungsaufnahme der Spatangiden. et prolong& en lobes lateraux, qu’on luı connait chez /’Abbatus, le Schizaster, la M&oma et le reste des genres vivants. Cu ¬ (3) referiert: L’intestin a Spatangides est rempli de sable qui est probablement pouss& dans la bouche par les mouve- ments des Ambulacres peristomiens (Ambulacres fouisseurs, Loven); ıl est d’ailleurs A remarquer que la levre inferieure a absolument la conformation d’une pelle. Le poids considerable du sable absorbe aamene des modifications correlatives dans lintestin, developpement tres grand des mesemteres, epaisseur des parois ete. Dasse A) schildert die Nahrungsaufnahme der Spatangiden in ähnlicher Weise wie Lov&n und Cuenot; er sagt: La bouche est librement ouverte, depourvue de dents sans mouvements propres, vu quelle est döpourvue des muscles, Tintroduction de la nourri- ture se fait automatiquement, la löyre raclant le sable a la maniere d’une pelle, pendant le progression de l’anımal. In Cambridge Natural History (5) werden die Befunde Robertson’s folgendermaßen wiedergegeben: But the peculiar anterior Ambulacrum was a mystery till the feeding habits of the animal were observed by the late Dr. Robertson of Cumbrae. He found that the anımal protruded the long prehensile tube-feet through the opening of the burrow to the surface of the sand. With their long fingerlike processes they then collected the surface sand which was impregnated with Diatoms and other small organısms. When a handfull so to speak of this nutritive material has been collected, the long tube-foot is wıthdrawn down the burrow and passed over the deeply grooved part of the ambulacrum to the buccal tube-feet, to which the food is then given up. These last push it into the mouth. Only one prehensile foot is extended at a time. These details were given to the author in a conversation in 1896. Und zuletzt J. v. Uexküll (6): Die Stacheln des unpaaren Mittelfeldes sind kürzer und gedrungener als die langen schlanken Stacheln der Seitenfelder. Ihnen liegt die Aufgabe ob, die pflug- scharartige Unterlippe durch den Sand vorwärts zu treiben. Des- halb sind die Stacheln des Mittelfeldes mit besonders kräftiger Muskulatur ausgestattet. Der Mund ist durch eine Vertikalmembran geschlossen, die nur auf der rechten Seite eine runde Öffnung be- sitzt. Der Sand füllt beim normalen Tier den Darm prall an und gelangt durch den oben und hinten gelegenen Anus wieder ins Freie. Es dienen also die Stacheln des Mittelfeldes der Vorwärts- bewegung des Gesamttieres, bei der gleichzeitig die Nahrungsauf- nahme stattfindet. Wie aus den Literaturzitaten hervorgeht, ist die bis jetzt am meisten geltende Ansicht über die Nahrungsaufnahme der Spatan- giden die, dass die Tiere, indem sie sich im Sand fortbewegen, ihre Hornyold, Über die Nahrungsaufnahme bei Spatangiden. 761 Unterlippe wie einen Pflug gebrauchen und dass auf diese Weise beim Kriechen der Sand in den Mund gleichzeitig eingeschaufelt wird. Bei Beobachtung lebender Spatangiden im Sande fällt es aber auf, dass die Tiere sich niemals derartig bewegen, dass letztge- nannter von der Oberlippe berührt wird, sondern es bleibt stets ein Zwischenraum frei, indem beim Gehen die Grab- oder Gehstacheln fast vertikal abwärts gestellt werden, so dass niemals die Unter- lippe den Boden berühren kann. Dieses Verhalten kann man be- obachten, gleichgültig ob das Tier in einer Höhle im Sande ver- graben ist oder auf der Sandoberfläche herumwandert. Robertson hat dies auch schon bemerkt, denn er sagt: It was observed that a clear open space filled with water is constantly maintained between the mouth and the sand to the extent of the long post-oral spines: hence it is improbable that the mouth itself is capable of being brought closely into contact with the sand. Nach langen Beobachtungen mit bloßem Auge, Lupe und Braus-Druner’schen Bimokularstativ bei stärkeren Vergrößerungen ist es mir gelungen, diesen Vorgang genau zu verfolgen. Letztgenannter Apparat ist wegen seiner großen Beweglichkeit vorzüglich zu ähnlichen Untersuchungen geeignet und gestattet mit Leichtigkeit, Tiere, die nahe an der Aquariumglaswand in Höhlen vergraben sind, bequem zu beobachten. Eine Beleuchtungsvorrich- tung mit Glühlämpchen erleichtert die Untersuchungen sehr. Die Nahrungsaufnahme geschieht auf folgende Weise: Die Mundfüßchen werden ausgestreckt, öffnen sich, fühlen an der Sandoberfläche herum, greifen ein Sandkörnchen und bringen es auf die Unterlippenstacheln, die direkt hinter dem Mund auf der Unterlippe in mehreren Reihen geordnet mit etwa säbelartig auf- gebogenen Spitzen nach vorn gerichtet sitzen und den Mund zu überdecken vermögen. Diese Stacheln bringen mit Hilfe der Ober- lippenstacheln, deren Spitzen derartig gestellt sind, dass sie den Spitzen der Unterlippenstacheln entgegengerichtet sind, das Sand- körnchen ın den Mund. Die Unterlippenstacheln bewegen sich lebhaft beim Herannahen des von den Mundfüßchen getragenen Sandkörnchens. Die Mundfüßchen breiten sich beim Ergreifen des Sand- körnchens aus und berühren letzteres mit den sonst in geschlossenem Zustand nach innen gerichteten stark verdickten Seiten der ein- zelnen Filamentkolben, die beim Zurückziehen des Mundfüßchens das Sandkörnchen dicht umschließen. Man kann auch sehen, dass die Sandkörnchen an den einzelnen Kolben gewissermaßen anhaften; dies lässt sich auch histologisch erklären, denn auf Längsschnitten durch ein Mundfüßchen sind auf diesen verdickten Kolbenseiten der Filamente zahlreiche lange 762 Darwin, die Abstammung des Menschen. schlauchförmige Drüsenzellen zu sehen, deren Sekret dieses An- kleben der Sandkörner bewirkt. Einige Male habe ich gesehen, dass die Mundfüßchen plötzlich zurückfuhren, wenn sie ein Sand- körnchen berührten, ohne es empor zu heben. Noch ist zu be- merken, dass feinere Schlammpartikeln an den Füßchen, besonders an den seitlichsten Filamenten haften bleiben. Diese werden beim Hineinstecken in den Mund direkt abgeleckt, ähnlich wie bei ge- wissen Holothurien. Zum Schluss sei es mir gestattet, Herrn Dr. Appellöf für das stete Interesse an dem Fortgang meiner Arbeit meinen besten Dank zu sagen. Literaturverzeichnis. 1. David Robertson: Notes on Amphidotus cordatus (Penn). Quarterly Journal of Microscopical Science. 2. Serie, Vol. II, p. 25—27, 1871. 2, 8. Lovön: Etudes sur les Echinodermes. Kongliga Svenska Vetenskaps Aka- damien Handlingar. Elfte Bandet, 1872, p. 57. 3. L. Cu¬: Etudes morphologiques sur les Eechinodermes. Töme XI, Archives de Biologie, 1891, p. 415. 3. Yves Delage & He&rouard. Trait& de Zoologie Conerete, Töme III, Les Echinodermes, p. 257, 1903. 5. Cambridge Natural History, Vol. I, Protozoa, Porifera, Coelenterata, Echino- dermata, 1906, p. 551—552. i 6. J. v. VUexküll: Studien über den Tonus. IV. Die Herzigel. Zeitschr. f. Biol. XLIX. Folge-Band, 1909, p. 309—310. Charles Darwin. Die Abstammung des Menschen. Deutsch von D. R. Heinrich Schmidt (Jena), Alfred Kröner, Leipzig 8". Kant. Kritik der reinen Vernunft. Herausgegeben von Dr. H. Schmidt, 8°. F. A. Lange. Geschichte des Materialismus. 8°, 2 Bände. Die Verlagsbuchhandlung von Alfred Kröner hat begonnen, eine Reihe hervorragender klassischer Werke als Volksausgaben in guter Ausstattung zu dem billigen Preise von 1 Mk. für den Band herauszugeben. Zweck dieser Zeilen soll es sein, die Leser dieses - Blattes darauf hinzuweisen, zu welchem geringen Preise sie etwaige Lücken ihrer Bibliothek ausfüllen können. Bei der lebhaften Er- örterung, die gerade gegenwärtig auch philosophische Fragen in ihrer Verbindung mit biologischen Problemen, und nicht zum wenigsten auch von seiten häufig nur sehr einseitig vorgebildeter Naturforscher finden, sollten auch die grundlegenden philosophischen Werke in den Bibliotheken der Biologen zu finden sein. W.R. Der Schluss des Bandes wird mit dem Register in I4 Tagen ausgegeben werden. k Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der kgl. bayer. Hof- u. Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Alphabetisches Namenregister. A. Abbe 522. Abderhalden, E. 682. Abegg, R. 428. 430. Acton, Lord 318. Adamkiewiez 328. Adlerz 360. 361. 591. 633. 660. Agassiz, A. 544. Amundsen, R. 549. 553. Annandale 322. Appellöf 759. 762. Aragao 29. Arenander, E. O. 298. Aron 682. Arrhenius, S. 32. Ascoli, M. 435. Atwater 508. Aveburg, Lord 653. Awerinzew, S. W. 637. B. Baker, H. 288. Baer, K. E. v. 664. Balbiani, G. 93. 166. 167. 175. Bally, W. 549. 552. Bastien, L. 349. Bateson, W. 299. Bauer Ver ns: Baur, Alb. 413. Bayliss, M. W. 195. 233. Becher, S. 413. 416. 506. 523. 555. Becquerel 328. Beethoven, L. van 61. Behrens, W. 256. Belt 26. 53. Benecke, W. 432. 549. 552. Beneden, P. J. 452. 453. 454. Bennelt 609. Bennett, Ch. B. 606. Berg, ©. 224. Berliner 497. Berndt 501. Bertkau 149. Bethe, A. 195. Bialaszewiez 735. van 410. Biedermann, W. 708. 710. Bieringer 665. 682. Biffen 311. Blanc 149. Blanchard, R. 460. Bley, Fr. 394. Blix 328. Blochmann, Fr. 12021217 139: Bogdanow 567. Bohr 568. 93: Bois-Reymond, E. du 31. 295. Boiteau, P. 91. 92. Bonnet 542. Borgert, A. 483. 493. 496. 497. 498, Bormans, A. 580. 606. 608. Born 519. 520. 527. 743. Börner, ©. 97. 98. 118. 174. 180. 181. Boulenger 733. 129. Boveri, Th. 385. 391. 393. 498. Braess, M. 394. Brahm 682. Brandes 732. 733. Brandt, K. 430. 482. 483. 494. ler de 578. 579. 85. 87. 95. 96. 141. Braun, M. 369. 402. 405. 408. 441. 442. 450. 466. 668. Brause Ele 7Ap7A3: 7007310 7522 (6% Brehm, A. 447. 452. Breschet 328. Bronn 327. Brown 428. Brücke, E. 458. Bruckner, A. 61. Brumpt, E. 405. Buchholz 733. Budgett 733. Bufo 452. Burlan, R. 759. Bürker, K. 328. Burr, M. 578. Busealioni 66. Butler,. S. 312. 313. Bütschli, ©. 381. 382. 566. Buttel Reepen, H. Buytendyk, F. J. 153. 374. 410. 451. 398. 411. 455. 745. 388. 685. 365. v. J. ©. Calkins 283. 392. Calwer, ©. G. 63. Castle 307. Carus, J. v. 376. 664. Chambers, R. 441. 734. Chiusei Tho 402. Chodat, R. 338. Cholodkovsky, N. 87. 93. 95, 10 Are 131° 137. 1492 1432142 147. 179. 181. 401. Chun, C. 431. 458. 544. 8% a 764 Clark, H. L. 415. 416. 420. 421. Claus, ©. 374. 461. 465. 466. Clausen, H. 427. 438. Cobold 396. Coehn, A. 457. 458. Cohen 428. Collet 548. Cori 548. Correns 316. Cremer, M. 192. Quenot, L. 366. 558. 760. Cunier 306. Cunningham 559. Cybulski, N. 328. Czapek 19. D. Dahl, Fr. 618. Dakin, W. 549. 553. Dangeard 382. 503. Danielssen 413. Danilewsky 404. Darwin, Ch. 31. 415. 507. 545. 601. 762. Dauve 294. Deckelmeyer, P. W. 693. Delafield 390. Delage, Y. 415. Deleano, N. T. 339. 340. 350. Demoll, R. 427. ! Dennstedt 682. Derbes 156. Desneux 17. Deupser, ©. 401. Deventer, Ch. M. v. 434. Diesing, C. M. 401. Dobell, C. C. 27. 363. 554. DetlemRr 17.220721%22 937.220.,259.,250%9.386: 392. 404. 408. Dollo 323. Doncaster 314. Dreyfuß, L. 85. 93. 136. 166. 180. Driesch, H. 428. 508. 51 Drucker, K. 457. 458. Druner 761. Dubosq 501. Dueret 742. Dunbar 29. Durham 316. E. Edelmann 757. Ehlers 397. 503. 416. 62. 98. 199. 200. 205. 237. 318. 327. 356. 376. 432. 457. 28. 29. 95. 96. . 359. ak 5.597. . 604. . 634. . 654. Emery, ©. 9. 218. 587. 588. 589. ! 592. 593. 594. ! 598. 601. 602. 622. 627. 628. 636. 637. 651. 655. 656. 657. 659. 662. 663. 684. 685. . 69. 696. 701. 702. 703. Ehrenberg 364. Ehrlich, P. 544. Enriques, P. 285. 287. 332. 341. Entz, G. jun. 548. Ereolani 454. 671. Escherich, K. 15. 17. 9% als, Bar, Bi, 2202 221.2 2227. 228. 687. Ewert, R. 331. 127. 219. 593. 201. 202. F. Faraday 458. Fechner, Th. 32. 508. Ferrari, P. M. 104. Fibieh 741. Fick, A. 328. Fiebrig, K. 1. 33. 65. Filippi, F. de 664. Fischel, A. 549. 551. Fischer 518. Fischer, Otto 329. Fitting, H. 193. 225. Forbes, H. O. 200. 205. 237. HorelS ASIEN 3093: 72.921.549 593.395. 629. 630. 631. 633. 634. 653. 657. 662. 688. 690. 694. Forel, F. A. 544. 552. Frey, M. v. 329. Frischholz, E. 182. 206. 239. 267. Fuchs, H. Furlani, J. 749. 204. &. Gadow 327. 7. Galton 312. 351. 530. Gandolfi Hornyold, Herzog A. 759. Ganglbauer, L. 64. Ganong, W. F. 204. 238. Garten, S. 330. Gärtner, C. F. 198. 205. 206. Gaupp, E. 749. 752. Geer, De 112. 202. 709. 743. 745. Alphabetisches Namenregister. Gegenbaur, ©. 751. Giemsa 29. 294, Giesenhagen 490. Gillette, ©. P. 133. Godlewski, E. jun. 438. Goebel, K. 234. 487. 488. 490. Goethe, R. 118. Goeze 287. Göldi, E. 72. 118. 732. Goldschmidt, R. 499. Gonder 502. Götzinger, G. 549. 551. Graff, L. v. 410. 460. Gran, H. H. 549. 551. Grassi, B. 218. 374, 381. 388. 389. 393. 400. 401. 408. 460. Gredler 452. Green 322. Groom, Th. T. 79. Groos 62. Gruber, A. 392. Guercio, G. del 104. 115. 116. 166. 167. Guignard, L. 204. Gurwitsch 482. 733. 503. H. Haake 189. 511. Haekel, E. 31. 61. 548. Haecker, V. 483. 493. 495. 497. 498. Hagens, v. 660. 688. 694. 695. Haller, A. v. 515. Hamann, ©. 400. 413. 637. Hammer 483. 492. Hamsik, A. 435. Hancock, Alb. 289. Handlirsch 622. 698. Hanel, El. 289. Hann, J. 457. 458. Hansen 741. Hartig 62. Hartmann, M. 384. 390. 391. 392. 393. 481. 483. 491. 497. 500. 503. Hassler, E. 67. Haswell 666. Haviland 17. 25. 26. Heath 218. Heckert 457. 665. Hedlung, Th. 348. Hegi, G. 164. 714. Heidenhain, M. 504. Heidephain, R. 328. Heim, P. 604. Helland- Hansen, B. 549. 552. 544, Helmholtz, H. v. 328. Henry, Ch. 349. 350. Hensen, V. 78. 430. 544. Henze 469. 470. Hermann, Fr. 384. He&rouard 762. Hertwig, O. 30. 511. 526. 528. Hertwig, R. 29. DIR NeXh. 2883: 286. 287. 289. 389. 392. 503. 544. 549. Herzog, R. O. 428. Hesselbach 568. Heymons 57. 58. Hildebrand, F. 203. 204. Hinze, R. 406. 407. Hoeber, R. 295. 427. Hoff, van’t 368. 427. Hoffmann, B. 61. Hofmann, K. 457. Hofmeister, F. 294. Hollrung, M. 296. 297. 558. 183. 284. Holmgren, N. 125. 127. 220. 224. Holtermann, ©. 18. 19. 20. Horvath, G. v. 118. Höyberg, H. M. 399. Huber, P. 66. 353. 631. 688. Hurst 303. I. Ikeda, S. 725. Isenschmid 705. Issel, R. 549. 551. Izar 435. J. Jakimoff, W. L. 404. 406. Janicki, ©.v. 144. 381. 390. Jhering, v. 43. 46. 733. Jollos, V. 483. 485. 486. 497. Jost, L. 194. 428. K. Kaltenbach, J. H. 103. 104. NS: Kammerer 735. Kanitz, A. 428. 439. Kant, J. 762. Karawajew 497. Karsten, G. 544. Kasantzeff, W. 283. Kassianow 56. Kaufmann, W. 457. 458. Keferstein, W. 415. Keller, €. 91. 118. 149. 373. 428. 429, 735. 211. 285. 3%. 550. 594. Alphabetisches Namenregister. Kellner 569. Kempf 682. Kerville, H. G. de 578. 579. 606. 607. 608. Kessler, H. F. 94. 118. 148. 149. 151. 176. Kessler, K. Th. 432. Keysselitz, G. 295. 392. 404. 405. 497. 498. Kimakowiez, M. v. 610. 611. King, H. D. 540. Kircher, Ath. 62. Kjeldahl 682. Klausner, ©. 549. 551. 552. . Klebs, G. 234. 432. 490. Klene, P. H. 663. Koch 114. 117. Koch, Rob. 408. Koenig, Joh. G. 17. 220. Kolbe, H. 224. Koren 413. Kotkovsky 296. Kövessi 350. Krapfenbauer, A. 183. E Al, SB: Aral rl re 283. 287. 289. Krätzschmar. H. Krauss 740. Krehl, L. 195. Kries, J. v. 458. Kronfeld, M. 202. Kruse 408. Kuschakewitsch, S. 501. Küster, E. 256. Kutschera, Fr. 641. 549. 552. L. Lamarck 31. Lane-Claypon, J. E. 195. Lang, A. 56. 454. 456. Lange, F. A. 762. Lasswitz, K. 32. Leuckart, R. 369. 373. 374. 397. 399. 400. 429. 457. 459. 461. 462. 665. Laveran, A. 405. Lebedinsky 59. Leclere du Sablon 205. Leger 367. 501. Leunis 578. Lichtenstein, J. S3. 93. 94. al allon Noir. Lillie, R. S. 436. Linden, M. Gräfin v. 648. Linstow, v. 441. 448. 450. 451. 453. 454. 455. Loeb, J. 77. 333. YD A288 A2ITA30: 431. 432. 433. 434. 435. 436. A437. 438. 78. 79. 80. 81. 765 Lohmann, A. 549. 551. Lönnberg, E. 460. Löns, H. 394. Looss, A. 373. 446. 449. 450. 452. 456. 461. 466. 467. 679. Loven, S. 759. 760. Löw, Fr. 93. 148. Löwenthal 28. Lubbock, J. 653. 654. Lubosch, W. 738. Ludwig 578. 637. Lummer 192. 457. Luja, E. 217. 220. 448. 457. Macchiati, L. A. 83. Mangold, E. 641. 645. Marcano 430. Marlatt 219. Marx, E. 32. Massart, J. 201. 205. 20, BZ Matthaei, G. 428. Maupas, E. 374. Maxwell 458. Mayr, G. 622. 685. Mead 5. Meeznikoff, E. 374. Meerwarth 394. Mendel, Gr. 299. 301. Si, Bulle See Bl Mequin 397. Mercier, L. 381. 387. Mesnil, F. 405. Messinger 469. 470. Metalnikoff 365. Metcalf, M. 294. 501. Metschnikow 665. Meyer, Ed. 61. Meyerstein 328. Miescher 478. Miura, K. 402. Mokrzecki, S. 118. 148. 149. Möller, Alfr. 24. 26. 44. 48. 49. Mollier 742. Monaco, A. Fürst von 544. Monell 118. Moniez, R. 369. 461. 465. Monnier, A. 339. Monticelli, S. 410. 412. Montoya 2. Mordwilko, A. 82. 87. 88. 96. 97. 100. 102. 104. IE E20E23T 133: 135% 147. 164. 121.369: 395. 441. 443. 444. 447. 459. 206. 382. : 766 Morgan, C. F. 91. 9. Morgan, T. H. 316. 521. 542. 393. 500. Moroff, Th. 29. 502. Moszkowski, M. 521. 542. Moulinie 664. Mrazek, Al. 685. Muckermann 604. Müller, Fritz 9. 13. 44. 48. 69. 202. Müller, Hermann 585. Müller, Joh. 192. 413. 457. Müller, R. 296. Müller- Thurgau, H. 202. 205. Muntz 430. Murray, S. J. 544. 549. N. Nagel, W. 192. 393. Nägeli 489. Nägler, K. 483. 497. 498. 503. Nansen, F. 544. Nathanson, A. 549. 551. Natterer 470. 471. 472. Neger, F. W. 22. 24. 501. Nettleship 306. 316. Nicolai, G. F. 394. No&, G. 402, Noel, P. 579. Noll, 27 20122.02. 205: Noyons 758. Yo; Aula Allan alra lal 1198 1207212:21222123: PAS1252 IE TS0T BEE ar 15 er Ne 1 1382. 140.214 14253143: 144. 145. 146. 147. 180. 181. ®. Odner, Th. 410. Oerley, L. 374. Oppel 62. Oppenheimer, ©. 393. Örtmann, A. 78. Osborn 559. 697. ÖOsawa 323. Östergren 416. Ostwald, Wolfg. 553. P. Paolucei 62. Parker, G. H. 79. 80. 81. 201. Neresheimer, E. 384. 386. Nüsslin, O. 87. 88. 93. 9. Quetelet 350. R. Racovitza 432. Badlı BR. 79..87 Railliet, A. 396. 401. Ranvier 748. Rautenfeld, v. 742. Rawitz 32. Ray-Lankester 61. Redi 401. Reh 298. Reichensperger, A. 643. 644. 645. 646. 647. 648. Reichert 366. Reinke, J. 430. Rettig, E. 11. 12. Reuß, H. 665. 671. 672. Rhumbler 294. Ribbert 555. Ridley 723. Rignano, E. 515. 517. 525. 526. 509. 519. 527. 398. 400. 46 51.52. 669. 670. 510. 512. D2U.1921: 528. 529. Alphabetisches Namenregister. Passerini, J. 104. 530. 533. 534. 535. 536. Penck, A. 544. 537. 538. 539. 540. 541. Pergande, Th. 83. 164. 165. 542. 543. 555. 556. 557. 167. 558. 559. 560. 562. 563. Betch+ 72182197 209222923: 564. . 220. Riley 118. 155. 175. Peter, K. 428. 429. 437. Robertson, D. 759. 760. 761. Peters 733. Robertson, T. B 331. 332. Pettersson, O. 544. 393033001 BAHT: Pfaundler, L. 192. 457. 458. 346. 347. 350. 578. Pflüger, E. 428. Rollett, A. 394. Pincussohn, L. 682. Rona 682. Poll, H. 30. 498. Rose, H. Th. 322. Popoff, Meth. 244. 251.278. Rösel v. Rosenhof, A. J. 289. 283. 284. 285. 287. Rosenberg 323. Porter, J. F. 224. Rosenbusch 483. 497. ). Portschinsky, J. 118. Rosenthal, J. 32. 36. 192. Pouillet 192. 457. 329. 330. 394. Prandtl 283. 285. 503. Rosenthal, W. 256. Prestoe 323. fi Rossbach, E. 444. Prowazek, S. v. 27. 256. Roux, W. 508. 512. 521. 291. 363. 364. 391. 392. 523. 525. 526. 527. 542. 393. 405. 483. 497. 500. 750. 502. 503. 554. Rovelli, D. 374. Pujiula, J. 224. Rovelli, G. 460. Punett 308. 309. Rubner, M. 429. 435. 508. Pütter, A. 468. 469. 470. Rübsamen, Ew. H. 616. 617. 471. 472. 473. 474. 475. Rudolphi 401. 476. 477. 478. 479. 480. Ruge, E. 753. 481. 551. 553. 647. Ruzicka 29. Ruzsky 629. Q. S Quatrefages 415. 424. . Sabansjev 412. 449. Sabatier, A. 461. 466. Sabatini, P. 297. Sachs, J. 481. Salensky 55. 56. 57. 58.59. 60. 61. 742. Santschi 655. 660. 661. 686. Saunders 317. Saville-Kent 322. 323. Schaffer 740. 741. 745. 747. 748. Schäffer, J. Ch. 288. 289. Schaudinn, Fr. 28. 29. 255. 295. 385. 386. 391. 392. 393. 397. 404. 405. 406. 407. 408. 462. 482. 483. 485. 486. 487. 502. 503. Schaufuß, ©. 63. 64. Schiefferdecker, P. 425. Schiemenz 481. Schiller, N. 404. 406. Schimkewitsch, W. 55. 462. 463. 464. Schimper 11. 48. 53. 69. 724. Schmalz 217. Schnee 322. 522. 461. Schneider 374. Schneider, Guido 378. 460. Schönichen 732. 733. Schottmüller 41. Scehouteden 115. Schröder, ©. 491. 498. Schuberg 717. 718. Schubotz, H. 381. 382. 383. 384. 388. 390. Schultz, Fr. N. 682. Schultze, J. 223. Schulz, Aug. 206. 235. Schulz, Hugo 428. Schulze, F. E. 31. Schwangart 618. Schwarze, W. 453. 454. Scourfield 548. Sedgwick 539. Segre, R. 374., Selensky 365. Semon, R. 413. 414. 415. 417. 421. 563.. 742. 745. Sernander, R. 161. 162. 169. Sharp, 19225.139. 68. Siebenrock 323. Siedlecki, M. 483. 704. 715. Siegel 408. Silvestri 219. Sinitzyn, D. 450. Sjöstedt, Y. 17. 25. 26. Smeathman, H. 17. 21. 22. DA HU 220! Snyder, Ch. D. 428. Soerensen, W. 224. Sokolow, J. 637. Sokolowsky, A. 298. Solacolu, Th. 201. Sonsino 401. Sopp, E. J. 578. 579. Sopp, M. E. 606. Spallanzani 542. Spencer, H. 63. 429. 511. Spengel, J. W. 460. Ssinitzin, D. Th. 449. 450. 454. 455. 456. 461. 462. 463. 664. Standfuß 64. Starling, E. H. 195. 233. Stefanowska, M. 349. Stejneger 704. Stole 294. 296. Strasburger, E. 203. 204. 205. 437. Strauß 570. Strohl, H. 549. 554. Alphabetisches Namenregister. Strohl, J. 427. 522. Studnitzka 741. 746. 748. Susta, J. 412. 449. 476. Swirski 742. 747. m. Taniguchi, N. 402. Taschenberg, E. L. 615. 616. Tennent 666. 674. Thales 31. Theel 413. Thesing, ©. 31. Thilo, ©. 549.553. Thiry 328. 665. Thomann, J. 549. 552. Thompson, S. P. 458. Thomson, W. 413. Tiefensee, W. 30. Tigerstedt, R. 328. 394. Trägärdh, Jv. 17. 18. 220. 229: Trembley, A. 287. 288. Treub, M. 67. 205. Trojan, E. 639. 645. Tullberg, Alb. 116. 155. 157. Tullgren 88. U. Uexküll, J. v. 755. 760. Ule, E. 66. 72. V. Vahlkamp 392. Verhoeff, K. W. 578. Verworn 545 Viehmeyer 353. : 361. 591. 593. 655. Viereck 384. 485. Vöchting, H. 195. 490. Voelzkow, A. 412. Vosseler 319. Vries, H. de 303. 511. 530. 532. Vulpian 427. W. Wagener, v. 665. Wagner, R. 61. 167 Waldthausen, E. 522. Walker, H. D. 103. 396. 397. 578. Wallace, A. R. 62. 376. le Walter, ©. 549. 552. Wasmann, E. 15. 24. 216 DT ER BER 354. 355. 356. 358. 359 360. 361. 587. 619. 633 636. 651. 652. 683. 690. Wassmuth, A. 457. 458. Wedl 401. Wegener, G. R. 449. 455. Weinland, E. 564. 566. Weismann, A. 177. 429. 4574 BE 318% 5192529: 530. 435.537. 544. 549. 550. D5#. Weiss, ©. 192. Wenyon, ©. M. 384. 502. Werner 392. Werner, F. 318. Wesenberg-Lund, ©. 544. 549. 552. Wetzel 682. Wheeler, M. W. 27. 831. 218. 353. 359. 360. 361. 590. 593. 603. 622. 623. 632. 633. 634. 657. 661. 685. 686. 688. 698. - Whitney 269. Wiedersheim, R. 733. 742. Ts, MAR. Wilson, E. B. 55. 289. 316. Winkler, H. 203. 204. Winter, F. 486. Withmann 482. 539. . Witlaezil, E. 148. 175. Wolff 604. . Wolff, M. 468. 522. 554. - Woltereck, R. 504. 544. Wolterstorff, W. 30. 31. 2. Zahn 518. Zangger 296. Zeller, E. 411. 443. 457. Ziegler, H. E. 410. 451. Zschokke, F. 544. 548. 549. DIE Zuelzer, M. 483. 485. 486. 496. Alphabetisches Sachregister. Ar Abstammung 55. 762; siehe auch Phylo- genese. Acacia Cavenia 1. 33. 65. 67. Adelea 483. Adoptionsweibchen 583. Affen 38. Agglutination 366. Akklimatisation 298. Ameise 1. 33. 65. 161. 352. 651. 683. Ameisendornen 1. 33. 65. Ameisenpflanze 1. 33. 52. 65. 161. Ameisenwohnung 9. Amoeben 502. Angiostomum 374. Anpassung 50. 376. Aphididae 82. 97. 147. 164. Aphidinae 104. 147. Aphis 104. Arbeitsmethoden, biochemische 682. Asymphylodera perlata (v. Nordm.) 448. Atta 1. 33. 40. 65. Aulacantha 496. Autogamie 27. 363. 554. Azteca 1. 33. 47. 65. 73. 581.619 B. Bastarde 30. 290. Bewegungen, phylogenetisch bedeutungs- volle 318; des javanischen Flugfrosches 719. Bewegungslehre 329. Bilateralia, Abstammung der 55. Biochemie 682. Biologie, allgemeine 31. 32. 291. 296. 299. 331. 381. 427. 481. 487. 491. 506. 923.1599. Blasen, Poli’sche 365. Blattschneidertermiten 25. Blutparasiten 255. 399. Bodo lacertae 27. 363. 554. Brufpflege 606. ©. Calliphora 564. Cecropia peltata 1. 33. 65. Cerambyeiden 36. Cestodon 409. 460. Chemomorphose 194. 337. Chermesideu 118. 129. 168. Chermesinen 85. 97. 118. 129. 168. Chromatophoren 707. Chromidien 481. 491. Chromosomen 381. Chrysomeliden 36. Coceidien 483. Coleopteren 36. 63. Collozoum 492. Creadium isoporum Looss 450. Cureulioniden 36. D. Darmparasiten 369. 395. 441. 459. Darstellung, analytische des Wachstums 342. Darwin, Charles und sein Lebenswerk 457. Degeneration 636. 651. Depressionserscheinungen 182. 206. 239. 267. Dermapteren 578. 605. Deszendenz 55. 762; siehe auch Phylo- genese. Determinanten 506. 523. Differenzierung 335. 506. 523. Diops ocellata 14. Diplodiscus subelavatus Rud. 456. Drüsengebilde 637. Alphabetisches Sachregister. Dryobius roboris 85. Dulosis 352. 587. 619. 651. 683. E. Echinocardium 759. Ei 727. Eimeria schubergi 485. Elaisom 161. Elektrizitätslehre 458. Elektrophysiologie 330. Energide 481. Entamoeba blattae Bütschli 381. Entoparasiten 369. 395. 441. 459. Entwickelung 427. 506. 523. 555. 730.738. Entwickelungsgang 632. Entwickelungsmechanik 30. 182. 193. 225 296. 299. 331. 427. 487. 506. 523. 555 738. Epigenese 506. 523. Ernährung 468. 564. 759. F. Farbenwechsel 707. Färbung 707. Feigenbaum 1. Feinde der Cecropia 14. 33. Ferienkurse 330. Fettbildung 568. Filariiden 399. Fische 475. Flagellaten 28. 363. 399. 554. Fledermäuse 38. Fliege 564. Flimmerbewegung 192. Flora von Mitteleuropa 714. Flügelentfaltung 610. Flugfrosch, javanischer 704. 715. Flughäute 720. Forficuliden 610. Formica 355. 594. 619. Fortpflanzung 82. 97. 125. 129. 147. 164. 182. 206. 239. 267. 299. 664. 725. Fortsätze, tentakelartige, an Opalina dimidiata 648. Fruchtbildung 193. 225. Frühreife 297. > &. Galleubildung 145. Gasterostomum fimbriatum 450. Gemütsbewegungen, Ausdruck der 318. Geneties 299. Geschlechtsprodukte 253. 267. 727. Geschlechtsunterschiede bei Polypedates 705. Gesetz, biogenetisches 557. Gonochorismus 276. Gorgodera cygnoides Zed. 455. 769 Haematozoen 255. 399. Haplometra ceylindracea Zed. 454. Harpagoxenus 632. Haustierakklimatisation 298. Hemiurus appendieulatus Rud. 450. Heterogonie 143. Hilfsameisenart, Beseitigung der 660. 683. Hispiden 36. Histolyse 568. Holostomiden 441. Hörbläschen 413. Hybride 30. 299. Hydra 182. 206. 239. 267. Hydrobiologie 77. 330. 468. 544. Hydrographie 544. W; Immunitätslehre 393. Infektion 395. Inzucht 125. J. Jungfernfrüchte 202. K. Käfer 36. 63. Karyosom 383. Keimsubstanz 529. Kern 381. 481. 491. 506. 523. Kernsomatisierung 539. Kernteilung 381. 481. 491. 506. 535. Knorpelgewebe 738. Kohlehydratbildung 572. Koloniegründung 352. 594. 619. Koniferen 168. Königin der Hilfsameisenart, Beseitigung der 660. 683. Kopula 606. 725. Körperchen, Müller’sche 12. 53. Körperform 341. Korrelation 193. 225. Kreislauf, Mechanik des 394. Kreuzuug 30. 125. 296. 299. Kritik der reinen Vernunft 762. Kulturführung bei Hydra 185. 206. Kunst und Vogelgesang 61. L. Labidura 605. Lankasterella minima 406. Lebensbilder aus der Tierwelt 394. Lebensdauer 427. Leptosynapta bergensis 413. Leuchten 637. Lygaeiden 37, 770 M. Mantiden 37. Materjalismus, Geschichte des 762. Melanophoren 710. Mensch, Abstammung des 762. Metamorphose 567. Meteorologie 458. Methodik 256. 299. 328. 682. Migration 82. 97. 129. 147. Mikroskopie 256. Mimosaceen 67. Mischling 30. 296. Mitteleuropa, Flora von 714. Morphologie, experimentelle 30. 182. 193. 487. 506. 523. 555. 225. 296. 331. 427. Müller’sche Körperchen 12, 53. Muskel 425. 522. 753. Muskelkerne 425. 522. Muskelmechanik 329. 753. Mutation 298. Myrmekochoren 161. Myrmekophilie 161. 352. 587. 619. 651. 683. Myzus rosarum 104. N. Nadelsauger 145. Nahrungsaufnahme 759. Nomenklatur der Generationen 155. ®. Ohrwürmer 578. 605. Olkörper 161. Opalina dimidiata 648. Ophiacantha 637. Ophiopholis 645. Ophioscolex 644. Ophiuren 637. Opisthioglyphe endobola Duj. 452. Optik 192. 457. Organe, statische 413. Orthopteren 37. Otozysten 413. Ovarien 667. > Parasitismus 1. 16. 33. 65. 82. 97. 118. 129. 147. 161. 164. 352. 369. 395. 441. 459. 554. 587. 619. 651. 664. 683. Parthenogenese 143. 664. Pemphiginae 115. 149. Pentatomiden 37. Pflanzenfeinde 1. 33. 65. 82. 97. 118 12955147.1649612: Pflanzenkrankheiten 296. Pflanzenläuse 82. 97. 118. 129. 147. 612. Pflanzenphysiologie 193. 225. 229. 337. 487. Alphabetisches Sachregister. Pflanzensauger 36. 145. 164. Pforte 9. Philosophie 32. 762. Phototaxis 77. Phylloxerinae 159. 164. Phylogenese 55. 142. 318. 352. 369. 395. 441. 459. 557. 587. 619. 651. 664. 683. 738. Phylostoma 38. Physematium 494. Physik 192. 457. Physiologie 192. 328. 393. Phytopathologie 296. Pismentzellen 707. Pilze 16. Pilzgarten 17. Pilzkuchen 18. Plankton 77. 469. 550. Plön, Biologische Station 330. Poli’sche Blasen 369. Pollyeyttarien 491. Polyergus 357. 621. Polymorphismus der Wirtsart, Entstehung neuer parasitischer Ameisen durch den 692. Polypedates 704. 715. Polystomum 411. Präformation 517. 523. Protisten 27. 255. 363. 399. 481. 491. 554. Protoplasmabewegung 192. R. Radiolarien 491. Raubweibchen 588. Raupe 14. Rebennützlinge 616. Rebenschädlinge 616. Redien 664. Rhabditiden 374. Rindensauger 145. Ruhestellung 713. 715. S. Schlangensterne 637. Schöpfung 32. Seele 32. Seesterne 637. Stiphonophora 103. Sipunculus nudus 365. 753. Sklaverei 352. 587. 619. 651. 683. Sozialismus bei Tieren 16. 352. 587. 619. 651. 683. Spatangiden 759. Spermatozoiden 730. Siphaerostomum globipornum Rud. 449. Sphärozoen 491. Spiroptera sanguinolenta 400. Sporozysten 664. Statozysten 413. Alphabetisches Sachregister. Stimmwerkzeuge 192. Stoffwechsel 468. 564. Streifzüge, biologische 31. Strongylognathus 357. 657. Strukturspannung 291. Symbiose 1. 33. 65. 161. 352. Synaptiden 413. Systematik 118. 129. 142. 159. 188. 7A. T. Tauben 38. Technik 256. 682. Temperatur 427. Temperaturkoeffizient 427. Tentakel 648. Termite 16. 33. 65. 125. 216. Termitenpilze 16. Tetraneurula 55. Thallassicola 493. Thallassophysen 493. Thermodynamik 328. Thysanopteren 37. Tierwelt, Lebensbilder aus der 394. Tierzucht 296. Tomognathus 632. Tragzeit 297. Trematoden 409. 441. 459. 664. Tripanosomen 255. 404. Triton eristatus Laur. 30. Triton vulgaris 3. U. Urne von Sipuneulus nudus 365. Ursprung des sozialen Parasitismus, der Sklaverei und der Myrmekophilie bei den Ameisen 587. 619. 651. 683; der dulotischen, parasitischen und myrme- kophilen Ameisen 352; der Erscheinung von Zwischenwirten bei tierischen Para- siten 369. 395. 441. 459. Vv. Variation 299. Vererbung 299. [ga Verknorpelung 741. Vernunft, Kritik der reinen 762. Vertikalwanderung des Planktons 77. Virginogenien 137. Vögel 38. 61. Vogelgesang 61. Vorknorpelgewebe 739. W. Wachstum 331. Waffe, Zangen als 579. Wagnerella 486. Wanderheuschrecke 37. Wandertermiten 25. . Wärmelehre 458. Wassertiere, Ernährung der 468. Weltgebäude 32. Wirkung, degenerierende der Dulosis 636. 65l. Wirtsart, Polymorphismus der 692. Wirtsrelation 119. 129. Wirtswechsel 82. 85. 97. 147. 164. 118. 129. 168. 369. 395. 441. 459. Wochenstube 17. Würmer 369. 395. 441. 459. 664. X. Xantholeucophoren 710. 2. Zangen der Ohrwürmer 579. 605. Zelle 291. Zelltod 291. Zentralzone 538. 559. Zentroepigenese 506. 523. 555. Ziele, Seelen und 32. Zuckerbildung 572. Zwischenwirt 369. 395. 441. 459. 554. Zyklen der Fortpflanzung 82. 97. 129. 147. 164. Zyste 27. 263. 664. Berichtigung. Zwischen dem 8. und 9. Heft wurden bei der Paginierung zehn Seitenzahlen übergangen, so dass der Seite 256 die Seite 267 (entsprechend 257) folgt. N nr u Ric a, Dar Auh N Bi Y Vor 2, Fe