Kan‘ Ha BEN‘ au ( HN RS jr Ali KM, REN ai ERBE ER u DnWın DU un ANWNUR DHNONN R TUE FL N ae \ NN 0: \ Tut, LER ER AN, Biologisches Centralblatt. 1.912. iologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professoren in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal, Professor der Physiologie in Erlangen. Zweiunddreissiester Band. IgI12. Mit 80 Abbildungen und einer Tafel. & (6) Leipzig 1912. Verlag von Georg Thieme. Ye K.B. Hof- und Univ.-Buchdruckerei von Junge & Sohn in Erlangen. ey Inhaltsübersicht des zweiunddreissigsten Bandes. 0 =; Original? R = Referat. Adamovic, L. Die Pflanzenwelt Dalmatiens. R . .....x Aufruf . BEE BAR ER en ra Ne Se, Awerinzew, S. Beiträge,zur Entwickelungsgeschichte von Lagenophrys sp. O Braem, F. Die Knospung von Hleutheria und den Margeliden. O Brun, Rudolf. Weitere‘ Beiträge zur Frage der ee bei an Ameisen. O . A BE har — Zur Psychologie br reenen nee bei dr Ameisen. 0 Buddenbrock, W.v. Über die Funktion der Statozysten im Sande cs der Meerestiere (Arenicola und Synapta). O ; Comes, Salvatore. Fffetti della Rays in Gnlolermes Aaviclli e in altri Artropodi. O. e Dearborn, George V. N. M.D.,, Ph. D. Br aboratene: Cu in Pie leer Based on Darkına and other Animaleules.. 0 Dobkiewiez, Leo v. Einfluss der äußeren Umgebung auf die Färbung de indischen Stabheuschrecken — Dixippus morosus. 0 — Beitrag zur Biologie der Honigbiene. 0 Doflein, F. Lehrbuch der Protozoenkunde. R 5 Ebner, V. v. Über den feineren Bau der Knochensubstanz,. R 3 Ehrlich, P., Kraus, F. und Wassermann, A.v. Folia serologieca — Zeit- schrift für Ohemotherapie und verwandte Gebiete. R Eine zoologische Festschrift. R. : Ar Ernst, Christian. Neue Beobachtungen bei Ameisen: 0 Escherich, K. und Miyajima, M. Studien über die Wipfelkrankheit der Nonne. O. BE 5 3 : — Von der Bun. Ber en 0% Ferienkurse ‚Jena rw Festschrift zum sechzigsten Sta, Richard en il: Franz, V. Beitrag zur Kenntnis des Ependyms im Fischgehirn. 0 VI Inhaltsübersicht. Freundlich, Herbert. Kapillarchemie. R SR: Se Galtzoff, P. Zur Kemntnis der biologischen Faktoren der BinmensemäseR 0 Groß, J. Über intermeliäre und alternative Vererbung. © . . 2. .607 Guenther, Konrad. Einführung in die Tropenwelt. R - Gurwitsch, Alexander. Die Vererbung als et halhnieseraree 0 Hadzi, J. Über die Podozysten der Seyphopolypen. © Hartmann, Max. Die Konstitution der Protistenkerne und ihre Bedeutons für Br Zellenlehre. R = Hertwig, Richard. Über den en "Stand ee Berualiiaisprnbieen nebst eigenen Untersuchungen. © . 0 en Höber, Rudolf. Physikalische Chemie der Zelle En de Gewebe. R. Huxley, Julian S. A “Disharmony” in the Reproductive Habits of the Wild Duck (Anas boschas, L.). © Jacekel, Otto. Die Wirbeltiere. R \ Jahresbericht über die Ergebnisse der Tales han R Janson, OÖ. Skizzen und Schemata für den zoologisch-biologischen m richt. R FR A er 5. Mr Jensen, Paul. Die Physiologie als Wissenschaft und als Lehre R. Jubiläums-Katalog. R i E Kapterew, P. Über den Föntlüss a Dunkelheit had br Dee 0 Klebs, ae Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. O Kohlbrugge, J. H. F. G. Cuvier und K. F. Kielmeyer. O. — B.de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. O. Küster, Ernst. DB Gallen der Pflanzen. R. Leduc, St. Das Leben in seinem physikalisch-chemischen en Far: R Liebermann, L. v. Über Resistenzänderungen der roten Blutkörperchen gegen hypotonische Salzlösungen bei Krankheiten und unter dem Ein- fluss verschiedener Gifte 0 N Liebermann, P. v. Über das Wesen ae Vokalklangen Or London, Das Radium in-der Biologie und Medizin. R. rligena, C. M. Passatstaub. 0 2 — Eine Methode zur quantitativen hatte des Klanpianbn: 0 Lutz, Anne M. Triploid Mutants in Oenothera. O. Meyer, Arthur. Die Zelle der Bakterien. R. ar Miehe, Hugo. Über Symbiose von Bakterien ai Brlafnent (0) Moeser, W. Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. 0 Molisch, Hans. Die Eisenbakterien. R. Nathansohn, A. Allgemeine Botanik. R Oppel. Biologie und Entwickelungsmechanik. BR. Ostwald, Wilhelm. Über Katalyse. R. . Peter, Karl. Versuche über das Hörvermögen eines Schmettenihes andrea YA, TUMOSa)- es ehe ee A ee Pfaundler, Leop. Müller Pouillet’s Lehrbuch der Physik und een logie. R Se N ee 2 < Polimanti, Osw. Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe der Pleuronektiden. 0 E Pringsheim, Ernst@G. Das Zustande konnan He er Resktionen: v — Die ER Rus der Pflanzen. R. a Prowazek, S. v. Handbuch der pathogenen Brain R Seite 128 325 641 336 458 52 208 129 243 621 250 207 206 591 207 233 257 291 505 226 383 Inhaltsübersicht. Pütter, A. Vergleichende Physiologie. R E Raymond, M. Laienbrevier des Häckelismus. R. re Renner, O. Über die Berechnung des osmotischen Drucks. 0... . Reum, W. Zur Biologie der Gattung Microgaster Latr. unter besonderer Berücksichtigung der Entwickelung aus der Puppe von Pieris brassicaeL. R Righi, Augusto. Kometen und Elektronen. R er : Rüschkamp,F., S.J. Eine neue natürliche rufa-fusca- Be könsknlanie 0 Scheffer, W. Wirkungsweise und Gebrauch des Mikroskopes. Ft SahRR Schöne, Georg. Die heteroplastische und homöoplastische Transplantation. R Schreiner, Alette. Kurze Bemerkung zur Frage von der Bedeutung des Kerns und des Zelleibes ais Erblichkeitsträger. 0. . Stomps, Theo J. Mutation bei Oenothera biennis L. ©. Strassen, O zur. Brehm’s Tierleben.: R . . . . 126: Swarczewsky, B. Zur Chromidienfrage und Kerdiualisratshirpothese, he ienan: = ren 13, KAG Tirala, Gottlieb Lothar. Vorliufee Miteilung Eber ee und Transplantation bei Oriodrilus“. O 3 Toyama,K. On certain characteristics of the Silk- worm RR are ie m a SE. Bee Tschachotin, Sergei. Die mikroskopische Strahlenstichmethode, eine Zell- operationsmethode 9. Ä er ; 2er : Voges, Ernst. Allgemeine Belenchlunsen über een aan An 0 Vogt, Heinrich. Geometrie und Ökonomie der Bienenzelle. R . Vollmer, €. Über die Entwickelung der Dauereier der Cladoceren. U. . Wagner, A. Vorlesungen über vergleichende Tier- und Pflanzenkunde AR Wasmann, E., S. J. Zur Verständigung mit Herrn Prof. Branca. ©. — Nils Es gren’s „Termitenstudien“, Systematik der Termiten. AR. Winkler, H. Untersuchungen über Pfropfbastarde. R IX. Internationaler Physiologen- Kongress Groningen 1913 X. Ferienkurs X. Ferienkurs für rechtliche Mo apie s en Zacharias, Otto. Eine neue Varietät des Pe rurme: 2) VII Seite 195 592 486 722 519 213 384 038 Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. YA Bd. XXXII. 20. Januar 1912. 31. Inhalt: Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems nebst eigenen Untersuchungen. — Miehe, Uber Symbiose von Bakterien mit Pflanzen. — Tirala, Vorläufige Mitteilung über „Regeneration und Transplantation bei Criodrilus‘‘. — Hadzi, Über die Podozysten der Seyphopolypen. — Wasmann, Zur Verständigung mit Herrn Prof. Branca. Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems nebst eigenen Untersuchungen. Von Prof. Richard Hertwig (München). Mit 7 Figuren. Nachdem jahrzehntelang die Beantwortung der Frage nach den Faktoren, welche das Geschlecht bestimmen sowohl im Tier- wie auch im Pflanzenreich trotz eifriger Bemühungen auf unüber- windliche Schwierigkeiten gestoßen war, sind in den beiden letzten Jahrzehnten, besonders in dem letzten so gewaltige Fortschritte erzielt worden, dass es sich empfiehlt, eine kurze Zusammenstellung der wichtigsten Resultate an dieser Stelle zu geben. Wenn die- selbe sich auch hauptsächlich mit den Arbeiten beschäftigen wird, welche das Tierreich behandeln, so mögen doch auch anhangsweise die Resultate der Botaniker kurze Berücksichtigung finden. Die Fortschritte, welche erzielt wurden, verdanken wir zum Teil der mikroskopischen Beobachtung, zum Teil dem Experiment. Wir wollen mit den ersteren beginnen. I. Die Lehre von den geschlechtsbestimmenden Chromosomen. Von großer Bedeutung war der Nachweis von zweierlei Sperma- tozoen, von denen die einen das männliche, die anderen das weib- liche Geschlecht erzeugen. Die Unterschiede lassen sich wenigstens AXXIL 1 2 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. mit den uns zur Zeit zu Gebote stehenden Hilfsmitteln bei den reifen Spermatozoen nicht erkennen, treten aber während der Reife- teilungen zutage. Gewisse, die Unterschiede vorbereitende Er- scheinungen können sogar, wenn auch nicht in allen Fällen, bis ın die Zeit der Spermatogonien zurückverfolgt werden. Um die Unter- schiede klar zu machen, muss ich ganz kurz die wichtigsten Punkte der Reifeteilungen und einige weitere für uns bedeutungsvolle Ergebnisse der experimentellen Entwickelungsgeschichte voraus- schicken. Bekanntlich zeichnen sich die Reifeteilungen der Geschlechtszellen und so auch der Spermatiden oder Samenzellen dadurch aus, dass man nur halb so viel Chromosomen zählt, als man sie sonst bei den Zellteilungen der betreffenden Tierart — sowohl bei den Teilungen Oo, 2 oO der somatischen Zellen, als auch der Ovogonien und Spermato- gonien — beobachtet. Diese „Reduktion“ der Ohromosomenzahl bei den reifenden Geschlechtszellen ist Ursache, dass bei der Be- fruchtung die beiden Geschlechtskerne, der Ei- und Samenkern, nur die Hälfte der normalen Chromosomenzahl besitzen und dass durch ihre Vereinigung die Normalzahl wieder hergestellt wird. Man kann dieses fundamental wichtige Verhältnis der Chromosomenzahlen auch anders ausdrücken, wie es von den Botanikern aus später zu erörternden Gründen geschieht, und die Chromosomenzahl der Ge- schlechtskerne als die Norm betrachten und von einer durch die Befruchtung bewirkten Verdoppelung der normalenZahl sprechen. Der reduzierte Geschlechtskern wird dann als haploid, der durch Verei- nigung der Geschlechtskerne entstandene Furchungskern und seine Ab- kömmlinge, die Kerne der Körperzellen alsdip loid bezeichnet. Diploide Kerne besitzen auch die Geschlechtszellen bis zu dem Zeitpunkt, auf welchem die ‚Reifung beginnt, d. h. die Spermatogonien und Oogonien in der Zeit ihrer Vermehrung, während deren sie sich wenigstens in dieser Hinsicht ganz wie Körperzellen verhalten. Wir wissen nun, dass ein Ei sich mit einem haploiden Kern ganz normal entwickeln kann. Dieser Fall tritt sowohl bei der künstlichen Parthenogenesis, als auch bei der sogen. Merogonie ein. Von künstlicher Parthenogenesis sprechen wir, wenn ein Ei, z. B. das Ei eines Seeigels, sich ohne Befruchtung, angeregt durch äußere Einflüsse der verschiedensten Natur, unter denen chemische Bewirkungen an erster Stelle zu nennen sind, zu teilen beginnt und einen, soweit wir zur Zeit urteilen können, normalen Organismus liefert. In diesem Fall entwickelt sich das Ei nur mit dem Eikern. Das Gegenstück hierzu liefert dieMerogonie, die Entwickelung eines seines Eikerns beraubten Eies, dem durch Befruchtung ein Samen- kern zugeführt wurde. Hier entwickelt sich das Ei ebenfalls ın normaler Weise, diesmal aber nur mit dem Samenkern. Da nun Teilung und Wachstum einer jeden Zelle und so auch des Eies Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 3 und seiner Abkömmlinge, der Furchungskugeln, auf dem Zusammen- wirken von Kern und Protoplasma beruht, da ferner dieses Zu- sammenwirken in vollkommen ausreichender Weise von einem haploiden Kern geleistet wird, ist der diploide Kern in physio- logischem Sinn ein Doppelkern, d h. was der Kern der Zelle leisten soll, wird doppelt geleistet einmal durch den Samenkern, das andere- mal durch den Eikern. Man hat diesen Gedankengang in der Weise ausgedrückt, dass der Furchungskern nicht nur zweimal soviel Chro- mosomen enthält als jeder einzelne Geschlechtskern, sondern ein doppeltes Sortiment von Chromosomen, ein väterliches und ein mütterliches d.h. ein Sortiment, welches die väterlichen, ein zweites Sortiment, welches die mütterlichen Eigenschaften überträgt. Die Rückkehr des diploiden Kerns zum haploiden, die Reduktion der Chromosomenzahl, deutet man durch die auf vielerlei Beobachtungen gestützte Annahme, dass das mütterliche und das väterliche Sorti- ment, welche bis dahin getrennt nebeneinander hergingen, nunmehr zur Vereinigung gelangen und zwar in der Weise, dass jedesmal korrespondierende väterliche und mütterliche Chromosomen sich miteinander verbinden (Konjugation der Chromosomen). Durch diese Vereinigung werden aus den einfachen oder univalenten Chromo- somen Doppelchromosomen oder bivalente Chromosomen gebildet werden. Unter den Beweisen, welche für die Lehre von der „Kon- Jugation der Chromösomen“ ims Feld geführt werden, steht in erster Linie der Beweis, welcher sich auf den in vielen Fällen ge- lungenen Nachweis der Verschiedengestaltigkeit der Chromosomen stützt, aus welcher man auf ihre physiologische Verschiedenartig- keit, ihre verschiedene Bedeutung für die Bildung der Organe, ge- schlossen hat. Es kommt vor, dass die Chromosomen innerhalb eines haploiden Kernes sich durch Größe und Gestalt nicht unwesentlich von- einander unterscheiden. Dann kehren, wenn wir zunächst von den sogleich zu besprechenden „Heterochromosomen“ und „Idiochromo- somen“ absehen, den Trägern der sexuellen Differenz der Kerne, die gleichen Größenunterschiede im Eikern und im Samenkern wieder. Im diploiden Kern, welcher aus Vereinigung von Ei und Samen- kern entstanden ist und durch Teilung auf alle Körperzellen und alle Spermatogonien und Ovogonien übertragen wird, findet man jede spezifische Chromosomengestalt und -größe in min- destens zwei Exemplaren wieder (Fig. 1). Wenn man nun weiter feststellt, dass in den Ovocyten und Spermatocyten immer wieder der haploide Zustand hergestellt wird und zwar in der Weise, dass jedes Chromosomenpaar des diploiden Kerns durch ein einfaches Chromosom des haploiden Kerns vertreten wird, so lässt sich nicht verkennen, dass alle diese Tatsachen der Lehre von der Konjugation der Chromosomen, genauer gesagt der Konjugation der korrespon- 1% 4 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. dierenden väterlichen und mütterlichen Chromosomen ein hohes Maß von Wahrscheinlichkeit verleihen. An die geschilderten Verhältnisse müssen wir nun anknüpfen, wenn wir den sexuellen Dimorphismus der Spermatozoen erläutern wollen. Derselbe wurde zunächst für Wanzen, später auch für manche Orthopteren und Coleopteren, Dipteren und Odo- naten, im ganzen für nahe an hundert Arten festgestellt und später auch bei manchen Spinnen, Tausendfüßern, Würmern und Wirbeltieren wiedergefunden. Die ersten hier einschlägigen Be- obachtungen stammen von Henking; sie wurden nach längerer Zeit von Me Clung wieder aufgegriffen, welcher zuerst die Ver- mutung aussprach, dass es sich um einen sexuellen Dimorphismus der Spermatozoen handele. Eine Klarstellung erfuhren jedoch die RG Odoonsone»- ‚,gr00o00no.- ® T{WU LEIKLEIKE oo» \d0oH9H000+- e2 2 X Fig. 1. Anasa tristis (nach Wilson). Aquatorialplatte ] einer Spermatogonien- teilung, II einer Oogonienteilung, daneben die zugehörigen Chromosomen paarweis gruppiert. Verhältnisse erst durch Wilson und seine Schüler Payne u. a., denen sich ferner Miss Stevens, Montgomery u. a. anschlossen. Nach den Untersuchungen der amerikanischen Forscher lässt sich bei den Reifeteilungen der Spermatocyten und Spermatogonien der genannten Insekten vielfach besonders schön erkennen, dass die einzelnen Chromosomen durch Gestalt und Größe voneinander unter- schieden sind, und dass in den diploiden Kernen der Spermatogonien die differenten Chromosomen eine paarweise Gruppierung gestatten. Von diesen das gewöhnliche Verhalten zeigenden Chromosomen — sie werden „Autochromosomen“ genannt — unterscheiden sich einige wenige, welche „Heterochromosomen“ oder auch „Idiochromosomen“ genannt werden. Wir wollen im folgenden den Namen „Heterochromosomen“ gebrauchen. Dieselben sind in Fig. 1 wie in allen folgenden Figuren hell ausgespart; sie zeigen bei der Teilung der Spermatogonien das auffallende Verhalten, dass Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 5 sie sich auf dem Stadium der Äquatorialplatte nicht wie die Auto- chromosomen paarweis gruppieren lassen. Dies kann in verschiedener Weise bedingt sein. Ich gehe von dem am leichtesten zu ver. stehenden Fall aus, welcher zugleich auch am frühesten beobachtet worden ist: ın der einen Hälfte der Äquatorialplatte — und zwar, wie sich durch genauere Untersuchung herausgestellt hat, in der Hälfte, welche von der Mutter stammt (dem „mütterlichen Sorti- ment“) — ist ein Chromosom vorhanden, welches in der anderen Hälfte, dem „väterlichen Sortiment“, fehlt. Die Gesamtzahl der Chromosomen ist dann eine unpaare; sie beträgt z. B. bei Anax 27, bei Brachystola und anderen Acridiern, sowie bei Pyrrhocoris 23, bei Anasa, Euthoitha, Narnia 21, bei ee und Alydus 13. Das unpaare Ohromosom wurde von den amerikanischen Forschern lange Zeit über „odd chromosom“, „unpaired chromosom*, „monosom“, von deutschen Zoologen das „akzessorische Chromosom“ genannt. Neuerdings hat Wilson die Bezeichnung x-Chromosom in Vorschlag gebracht, welche ich im folgenden beibehalten werde. Es ıst klar, dass wenn bei der Reifeteilung eine Reduktion der Chromosomenzahl durch Konjugation korrespondierender (homologer) Chromosomen zu bivalenten Elementen herbeigeführt wird, das x-Chromoson leer ausgehen muss, da ja ein Partner, mit welchem es verschmelzen könnte, fehlt. Dieses außergewöhnliche Verhalten muss auch auf den Verlauf der Reifeteilungen einen Einfluss ausüben. Zwischen der Mehrzahl der Biologen herrscht Übereinstimmung, dass die beiden letzten Teilungen, welche der Fertigstellung der Geschlechtsprodukte sowohl der Eier wie der Spermatozoen voraus- gehen und die Reifeteilungen genannt werden, einen verschiedenen Charakter haben. Bei einer Teilung, der Reduktionsteilung, gehen die beiden Stücke des bivalenten Chromosoms, welches aus der Konjugation eines homologen väterlichen und mütterlichen Chromo- soms entstanden ist, wieder auseinander; bei der anderen Teilung der Äquationsteilung, wird das vorhandene Chromosom Roh halbiert. Das besondere Verhalten des x-Chromosoms kann selbst- verständlich nur bei der Reduktionsteilung zum Austrag kommen. Da es univalent ist, kann es sich nicht in zwei Paarlinge trennen. Die Folge ist, dass während die Komponenten der Autochromo- somen bei der Metakinese auseinander weichen und somit auf die beiden Seitenplatten und im weiteren Verlauf auf die beiden Teil- produkte gleichmäßig verteilt werden, das x-Chromosom ungeteilt nach einem Pol wandert (Fig. 2), so dass nur das eine Teilprodukt das x-Chromoson enthält, das andere leer ausgeht. Da nun bei der Aquationsteilung das x-Chromosom sich wie alle anderen Chromo- somen in zwei gleiche Stücke teilt, müssen zum Schluss der Reife- teilungen 4 Spermatiden und später 4 Samenfäden vorhanden sein, von denen 2 das x-Chromosom besitzen, 2 andere dagegen nicht. 5 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. Dies lässt sich auch durch direkte Beobachtung feststellen, solange sich die männlichen Samenelemente auf dem Stadium der Sperma- tiden befinden. Bei Pyrrhocoris besitzt demgemäß die eine Hälfte der Spermatiden 12, die andere 11 Chromosomen, desgleichen bei den Acridiern, bei Anasa etc. betragen die entsprechenden Zahlen 1l und 10, bei Protenor 7 und 6. Wenn die Kerne später zum Kopf des Spermatozoon verklumpen, ist der Unterschied, wie schon oben hervorgehoben wurde, wenigstens in der überwiegenden Mehr- zahl der Fälle nicht mehr nachweisbar. Er würde aber wieder deutlich werden, wenn es gelänge, geeignete Befruchtungsstadien zu beobachten, die Stadien, welche der Verschmelzung der Geschlechts- kerne vorausgehen und auf denen dann häufig die Chromosomen, ehe sie sich zu einer einheitlichen Äquatorialplatte einstellen, erkannt und gezählt werden können. rc AN Nr = 88, ar .. N y x Fig. 2. Anasa tristis (nach Wilson) Fig 3. Euschistus variolarius ., Spermatozoenentwickelung, Anaphase der son). Spermatozoenentwickelung, zweite zweiten Reifeteilung, danebendie beiden Reifeteilung, daneben die beiden Seiten- Seitenplatten, die eine mit, die andere platten der Anaphase, die eine mit einem ohne .r-Chromosom. x-, die andere mit einem %-Chromosom In der Literatur liegen nun nicht wenige Beobachtungen vor, welche im Anschluss an die referierten Insektenbefunde angestellt wurden und die Existenz von x-Chromosomen in der Spermato- genese und die dadurch bedingte Verschiedenartigkeit der Sperma- tozoen in anderen Tierabteilungen nachgewiesen haben. Indem ich die den Insekten nahestehenden Myriapoden (Blackmann und Medes) übergehe, nenne ich hier ın erster Linie die Untersuchungen Schleip’s und Boveri’s an Rhabdonema nigrovenosum und die Untersuchungen von Gulick an Heterakis vesicularis, H. dispar und H. inflexa, sowie an Strongylus tenuis und Str. paradoxus. Bei der Spermatogenese der hermaphroditen parasitischen Generation (Schleip), und der getrenntgeschlechtlichen freilebenden Generation (Boveri) von Rhabdonena, sowie den genannten Strongylus-Arten bilden sich Spermatiden mit 6 und 5 Chromosomen, von denen die ersteren somit durch die Anwesenheit des x-Chromosoms aus- gezeichnet sind. Die Heterakis-Arten haben in entsprechender Weise 5 oder 4 Chromosomen. Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. { Außer den Nematoden kommen für uns noch die Wirbel- tiere in Betracht. Die ersten Beobachtungen hierüber verdanken wir Guyer, welcher beim Haushuhn und dem Perlhuhn die Sper- matogenese untersuchte. In beiden Fällen enthalten die Spermato- gonien 16 Autochromosome und 1 x-Chromosom. Die Zahl 16 erfährt bei der ersten Spermatocytenteilung eine Reduktion auf 8, in der zweiten eine weitere Reduktion auf 4. Das x-Ohromosom zeichnet sich durch bedeutende Größe und durch eine dreilappige Gestalt aus; in den Prophasen ist es öfters in eine zweilappige Partie und ein kleineres Stück zerlegt; bei der ersten Reifeteilung geht es ungeteilt an einen Pol, so dass nur die Hälfte aller Spermato- eyten II. Ordnung das x-Ohromosom besitzt. Wenn diese Spermato- cyten sich teilen, teilt sich auch das x-Chromosom, so dass schlieb- lich zweierlei Spermatiden resultieren, die einen enthalten nur 4 Chromosome (Autochromosome), die anderen 5 (außer den 4 Auto- chromosomen noch das x-Chromosom). Die bedeutende Größe des x-Chromosoms ist Ursache, dass man die das x-Chromosom ent- haltenden Spermatozoen an ihrer auffallenden Größe auch im Reifezustand erkennen kann. Die gleichen Zahlen wie Guyer bei Vögeln, hat Jordan beim Opossum gefunden. Eine deutliche Trennung des x-Chromosoms ın ein größeres und kleineres Stück, wie sie bei den Vögeln angedeutet ist, findet sich auch bei manchen Insekten. Bei Syromastes (Groß) und Phylloxera (Morgan) sind diese beiden Komponenten des x-Chro- mosoms bei den Teilungen des diploiden Kerns der Spermatogonien getrennt, verkleben aber im haploiden Kern der Spermatocyten. Die gleiche Eigentümlichkeitwird für die Spinne Ayelena naevia beschrieben (Wallace); sie gewinnt dadurch an Interesse, dass sie nach Guyer’s Angaben auch für die Spermatogenese des Menschen gilt. Beim Menscher sind in den Spermatogonien 20 Autochromosomen und 2 x-Chromosomen vorhanden. Die erste Reifeteilung ist eine Reduktionsteilung, bei welcher zweierlei Spermatocyten II. Ordnung resultieren, solche mit 10 Autochromosomen und solche mit 10 Auto- chrosonen und 2 x-Chromosomen. Da bei der II. Reifeteilung abermals ähnlich wie bei den Vögeln und dem Opossum die Zahl der Autochromosomen auf die Hälfte reduziert wird, entstehen Spermatiden mit 5 und 7 Chromosomen (5 Autochromosomen und 2 x-Chromosomen). Unterschiede in der Spermatogenese analog denen, welche durch das Fehlen oder Vorhandensein des x-Chromosoms veranlasst werden, können nun noch in anderer Weise zustande kommen. Das x-Chromo- som kann einen Partner besitzen, welcher sich aber von ihm durch geringere Größe unterscheidet. Wilson nennt dasselbe das y- Chromosom (Fig. 3). Wenn behufs Bildung des haploiden Kerns eine Konjugation der Chromosomen eintritt, verbinden sich das S Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. x- und y-Chromosom untereinander, um bei der Reduktionsteilung wieder auseinanderzuweichen, so dass die eine Hälfte der Sperma- tiden durch das x-Chromosom, die andere durch das y-Chromosom charakterisiert ist. Auch diese Form der sexuellen Differenzierung der Spermatozoen besitzt eine weite Verbreitung; sie findet sich nicht nur bei einem Teil der Wanzen, sondern auch vielen Käfern (Stevens), manchen Dipteren (Stevens); auch wurde sie ganz neuerdings beim Meerschweinchen aufgefunden. Eine dritte Möglichkeit ıst dadurch gegeben, dass (ebenfalls bei Wanzen) das x-Chromosom nicht einfach ist,sondern durch2—5 kleinere Chromosomen repräsentiert wird. Diesen steht dann ein y-Chromo- som gegenüber (Fig. 4), welches bei Acholla multispinosa so groß ist, dass es an Masse den 5 x-Ohromosomen gleichkommt, vielleicht Fig. 4. Galastocoris oculatus, Spermatozoenentwickelung (nach Payne), zweite Reifeteilung, Metaphase und Anaphase, die Autochromosomen nur zum Teil dar- gestellt; daneben die beiden Seitenplatten der Anaphase ihnen sogar überlegen ist. Eine Konjugation des y-Chromosoms mit den in Mehrzahl vorhandenen x-Chromosomen findet dann nicht statt; wohl treten in der Äquatorialplatte die x- und y-Chromosomen zu einer Gruppe zusammen, verteilen sich aber auf die beiden Pole, ohne untereinander zu verschmelzen. In der bisherigen Besprechung habe ich ganz unerörtert ge- lassen, auf welchem Stadium der Samenreife die Differenzierung in zweierlei Spermatozoen erfolgt, in Spermatozoen, welche das x-Element enthalten und solche, welche das betreffende Chromosom gänzlich vermissen lassen oder zum Ersatz dafür das y-Chromosom besitzen. Die Differenzierung erfolgt in der Regel durch die Reduktionsteilung. Ob nun aber die erste oder die zweite Reife- teilung diesen Charakter besitzt, scheint von untergeordnetem Interesse zu sein. Nach den in der Literatur vorliegenden Angaben ist es z. B. bei Ortbopteren, Öoleopteren, Dipteren, den Nema- Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 1) toden, Vögeln und Säugetieren die erste, bei vielen Wanzen dagegen die zweite Reifeteilung. Autochromosomen und Heterochromo- somen scheinen sich sogar hierin verschieden verhalten zu können. So gibt z. B. Schleip an, dass bei Rhabdonema nigrovenosum die Autochromosomen bei der ersten Teilung die Zahlenreduktion erfahren, während das x-Chromosom sich bei derselben in gleiche Stücke teilt und die Differenzierung erst bei der zweiten Teilung eintritt. Abgesehen von ihrem Verhalten bei der Reifeteilung besitzen die Heterochromosomen noch weitere Eigentümlichkeiten, durch welche sie sich von den Autochromosomen unterscheiden. Die- selben kommen zum Teil schon vor den Reifeteilungen zum Aus- druck. In der den Reifeteilungen vorausgehenden Wachstums- periode der Spermatocyten machen die Autochromosomen die speziell in der Neuzeit so eifrig studierten Formwandlungen durch, welche als dictyotänes, leptotänes, pachytänes, diplotänes Stadium be- zeichnet worden sind. In dieser Zeit sind die Chromosomen schwach, vielfach auch gar nicht färbbar. Die Heterochromosomen dagegen fallen in dieser Zeit durch ihre starke Färbbarkeit auf als scharf umschriebene nukleolusartige Körper, sogen. Chromatin-Nukleoli. Meist sind sie in dieser Weise schon am Anfang der Wachstums- periode zu erkennen, während die übrigen Chromosomen noch im Kernretikulum aufgelöst sind. Es kommt aber auch vor, dass sie erst kurz vor der Reifeteilung die nukleolusartige Beschaffenheit annehmen (Fliege Drosophila, Nematode Rhabdonema). Andererseits sprechen aber auch manche Beobachtungen dafür, dass bei einigen Orthopteren die Heterochromosomen schon auf dem Stadium der Spermatogonien einige Ähnlichkeit mit Nukleoli gewinnen können (Deetieus verrucivorus nach Buchner, Tryzalis nach Brunelli). In den Fällen, in welchen mehrere Heterochromosomen vorkommen, außer dem y-Uhromosom 2—4 x-Chromosome, können dieselben zu einem einzigen Nukleolus verschmelzen oder völlig getrennt bleiben, oder sie sind getrennt, sind aber in eine gemeinsame Plastin- masse eingebettet (Frtchia, Rocconeta, Sinea, Prionidus nach Payne). Die hierin sich offenbarende nähere Beziehung zu dem Plastin der echten Nukleoli kann sich auch noch in anderer Weise offenbaren. Außer dem Chromatin-Nukleolus ist meist auf dem Weachstums- stadıium der Spermatide ein echter Plastin-Nukleolus, das „Plas- mosom“ der amerikanischen Forscher vorhanden. Dieses hat eine Tendenz mit dem Heterochromosomen-Nukleolus zu verschmelzen, so dass ein Körper entsteht, wie er von den Keimfleken vieler Eier bekannt ist, der von zwei durch ihr Färbungsvermögen scharf unter- schiedenen Abschnitten gebildet wird. Eine weitere allerdings nicht sehr häufig beobachtete Eigen- tümlichkeit des Heterochromosoms ist endlich in der Tendenz ge- geben, ein Kernbläschen für sich zu bilden, wenn zwischen zwei 10 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. aufeinander folgenden Teilungen der Kern in den Ruhezustand über- geht. So hat Brunelli bei @ryllus desertıs durch alle Stadien hindurch verfolgt, dass das x-Uhromosom nach der ersten Teilung, welche hier eine Reduktionsteilung ist, an einem Spindelpol ange- langt, unabhängig von den übrigen Chromosomen sich in ein Bläschen verwandelt. Die große Bedeutung, welche die Entdeckung der Hetero- chromosomen für das Sexualitätsproblem besitzt, wurde durch das vergleichende Studium der Teilung der Ovogonien und Spermatogonien weiterhin sicher gestellt. Dasselbe führte zu dem Resultat, dass Be- fruchtung mit Spermatozoen, welche das x-Chromosom besitzen, Männchen liefert, Befruchtung mit Spermato- Br Au er BR I II III IV Fig. 5. Spermatogenese von Gryllus desertus (nach Brunelli), Endphasen der ersten Reifungsteilung, © Heterochromosom. zoen, welche das x-Chromosom nicht enthalten, häufig dafür das y-Chromosom, Weibchen. Wir wollen der Einfach- heit halber die ersteren, die x-Spermatozoen, die letzteren, die y- Spermatozoen nennen. Die Beobachtungen, welche zu dieser wichtigen Erkenntnis geführt haben, sind folgende. Ovogonien und Spermato- gonien besitzen den diploiden Kern, wie er aus der Befruchtung resultiert und in der Regel auch allen somatischen Zellen zukommt. Aus dem Ohromosomenbestand der in Teilung begriffenen Spermato- gonien und Ovogonien muss man somit entnehmen können, ob ein Zusammenhang zwischen der geschlechtlichen Differenzierung und dem Vorkommen von zweierlei Spermatozoen, solcher mit dem x-Element und solcher ohne dasselbe, vorhanden ist. Es stellte sich heraus, dass die Ovogonien das x-Element oder wo dieselben in größerer Zahl auftreten, die x-Elemente immer im Zweizahl ent- hielten, die Spermatogonien dagegen immer nur in Einzahl. Für das fehlende x-Element war entweder kein Äquivalent vorhanden, Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 11 oder dasselbe war durch ein y-Element gegeben. Die Konsequenz war, dass sehr häufig die Zahl der Chromosomen ın den Spermato- gonien sich als eine unpaare, bei den Ovogonien dagegen stets als eine paarige herausstellte. Diese Verhältnisse lassen sich nur durch die Annahme erklären, dass beiderlei Spermatozoen, die x-Sperma- tozoen und die y-Spermatozoen befruchtungsfähig sind und dass die ersteren dabei Weibchen, die letzteren Männchen erzeugen. Weiter muss geschlossen werden, dass die Eizellen sämtlich das x-Element vor der Befruchtung enthalten haben, dass sie somit in dieser Hinsicht sämtlich gleichartig waren. Die Gleichartigkeit der Eizellen, welche übrigens durch unmittelbare Beobachtung von Morrill für Wanzen bewiesen wurde, ergibt sich auch aus einer anderen Erwägung. Die beiden Sortimente der Chromosomen der Ovogonien sowohl das väterliche wie das mütterliche stimmen unter- einander nicht nur rücksichtlich der Autochromosomen, sondern auch der Heterochromosomen vollkommen untereinander überein. Bei der Reduktionsteilung, der Umwandlung des diploiden Kerns ın den haploiden, können somit, sofern nicht besondere Einflüsse um- gestaltend eingreifen, wie wir sie später noch kennen lernen werden, immer nur gleichartige Elemente entstehen. Vollkommene Sicherheit kann über die erörterte Frage selbst- verständlich nur durch Beobachtung des Befruchtungsprozesses er- zielt werden. Diese hat bei allen Insekten-Eiern mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen, ist dagegen bei den Nematoden leicht anzustellen. Bei letzteren hat sich denn auch herausgestellt, dass die Eikerne sämtlicher Eier das x-Chromosom enthielten, dass da- gegen die Samenkerne bei einem Teil der befruchteten Eier das x-Element vermissen ließen. In entsprechender Weise verhielten sich auch die Furchungsstadien. Rhabdonema nigrorenosum, welches 5 Autochromosomen besitzt, zeigte zweierlei befruchtete Eier, solche, deren Eikern und Samenkern je 5 + 1 x-Chromosomen enthielten und solche, bei denen im Samenkern nur 5 Chromosomen vor- handen waren (5 + 0x). Auf Grund der hier zusammengestellten Resultate zahlreicher Untersuchungen können wir nunmehr den Satz formulieren, dass bei Tieren aus den verschiedensten Abteilungen des Tier- reiches alle reifen Eier untereinander gleichartig sind, indem sie das x-Element besitzen, dass die geschlecht- liche Differenzierung bei der Befruchtung durch das Spermatozoon herbeigeführt wird. Die beiden Geschlechter unterscheiden sich somit in bezug auf den Chromatinbestand ihrer Kerne; das weibliche Geschlecht ist — um einen durch den Mende- lismus eingeführten Ausdruck zu gebrauchen — homozygot, es ist, soweit die Geschlechtschromosomen in Frage kommen, in bezug auf den väterlichen und mütterlichen Anteil des Kerns gleichartig; 12 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. das männliche Geschlecht ist dagegen heterozygot. In der Mendel’schen Vererbungslehre werden nun diese beiden Ausdrücke in einem ganz bestimmten Sinn angewandt. Es ist zweifelhaft, ob dieser Sinn vollkommen für das Geschlechtsproblem zutrifft, ob die Geschlechter sich wie zwei „mendelnde* Eigenschaften verhalten, was von vielen Seiten behauptet wird. Bevor nicht diese Frage vollkommen klar gelegt ist, möchte es sich empfehlen, die Aus- drücke „homozygot“ und „heterozygot“ zu vermeiden und durch die von Wilson vorgeschlagenen Bezeichnung homogametisch und heterogametisch zu ersetzen. Wir sind nun vor die Frage gestellt, ob wir berechtigt sind, die aus zahlreichen Beobachtungen abgeleitete Lehre von ‚der ge- schlechtsbestimmenden Wirkung der Spermatozoen zu verallge- meinern. Wie es bei der Neuheit des Problems nicht anders er- wartet werden kann, sind die zur Beantwortung der Frage nötigen Erfahrungen noch zu unvollständig, um ein abschließendes Urteil zu gestatten. Immerhin liegen schon genügend Beobachtungen vor, welche erkennen lassen, dass die Verhältnisse nicht bei allen Tieren so einfacher Natur sind, wie in den geschilderten Beispielen. Wir kennen die Spermatogenesen vieler Tiere, ohne dass es möglich gewesen wäre, bei ıhnen etwas, was an Heterochromosomen erinnert, aufzufinden. Das Merkwürdige dabei ist, dass nahe ver- wandte Arten sich verschieden verhalten können. Miss Stevens fand bei Musciden deutliche ungleiche Heterochromosomen, ver- misste dagegen jede Spur davon bei (lex, während die Gattung Anopheles eine vermittelnde Stellung einnahm. Bei dieser ergab sich die Besonderheit, dass die Heterochromosomen frühzeitig mit einem Paar Autochromosomen verschmolzen und daher schwer nach- weisbar wurden. Bevor diese Verschmelzung sich vollzog, war es deutlich zu erkennen, dass die Heterochromosomen der Ovogonien untereinander gleich waren, beides also x-Chromosome. Die Hetero- chromosomen der Spermatogonien waren dagegen ungleich, also ein x- und ein y-Chromosom. Da nun die Volumina der Hetero- chromosomen im Vergleich zu den Volumina der Autochromosomen, mit denen sie verschmelzen, sehr gering sind, so ist nach der Ver- schmelzung der durch die Heterochromosomen bedingte Größen- unterschied kaun zu erkennen. Nach den Beobachtungen Boveri’s und Edwards’ an Ascaris megalocephala, Sinety’s und Me Clung’s an Orthopteren scheint eine derartige Verschmelzung von Hetero- chromosomen mit Autochromosomen öfters vorzukommen und sich vielfach nur noch dadurch bemerkbar zu machen, dass die Hetero- chromosomen sich früher verdichten (vgl. Wilson 1911). Aber auch ohne die Verschmelzung kann die Unterscheidung des x- und y-Chromosoms nahezu zur Unmöglichkeit werden. So sind nach Wilson die Unterschiede zwischen dem x-Chromosom und dem Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 13 y-Chromosom bei Nexara riridula leicht erkennbar, bei N. hilaris aber so minimal, dass sie ohne Kenntnis von N. viridula übersehen werden müssten. Man muss somit mit der Möglichkeit rechnen, dass die Unterschiede zwischen x- und y-Chromosomen quantitativ so gering sind, dass sie sich unserer Beobachtung entziehen. Es. wäre sogar denkbar, dass quantitative Unterschiede ganz fehlen und die Unterschiede nur qualitativer Natur sind. Wir haben bisher nur die eine Eventualität erwogen, dass der Grad der sexuellen Differenzierung der Spermatozoen eine Ab- minderung erfährt, bis sie schließlich für unsere Beobachtung nicht mehr nachweisbar ist. Wir müssen nunmehr noch die zweite Mög- lichkeit ins Auge fassen, dass sie extrem gesteigert ist, dass sie so groß wird, dass sie auch im ausgebildeten Spermatozoon deutlich erkannt werden kann. Wenn wir von den Angaben Guyers über Vögel absehen, sind die reifen x- und y-Spermatozoen nicht zu unter- scheiden. Der Dimorphismus der Spermatozoen ist ein latenter. Nun kennen wir aber schon seit längerer Zeit einen sehr auf- fallenden Unterschied in Größe und Bau der Spermatozoen. Dieser Dimorphismus wurde zuerst von C. Th. v. Siebold bei Paludina vivipara entdeckt, bei welcher große wurmförmige Spermatozoen neben kleinen Spermatozoen von gewöhnlicher Beschaffenheit auftreten; ähnliche Verhältnisse wurden dann bei vielen anderen marinen Proso- branchiern nachgewiesen. Durch Meves wurde ferner gezeigt, dass der Dimorphismus bei Paludina darauf beruht, dass die normal aussehenden Spermatozoen auch normale Chromatinverhältnisse haben (eupyrene Spermatozoen Waldeyer’s), dass bei den wurm- förmigen Spermatozoen dagegen die Hauptmasse des Chromatıns ausgestoßen wird (oligopyrene Sp.). Meves fand dann weiter, dass ein ähnlicher Dimorphismus der Spermatozoen auch bei manchen Schmetterlingen vorkommt, nur dass hier neben eupyrenen Sper- matozoen sogen. apyrene vorkommen, bei denen das Uhromatın vollkommen fehlt. Es lag nahe, auch in diesen Fällen. an einen Zusammenhang des Dimorphismus mit Geschlechtsbestimmung zu denken. Es war ja hier die durch das Fehlen des x-Chromosoms eingeleitete Chromatinverminderung zum Extrem gesteigert. Auch sprach eine anderweitige Überlegung zugunsten der Deutung. Be- kanntlich begünstigt Parthenogenese die Bildung des männlichen (Geschlechts, wie es die Hymenopteren, in geringerem Maße auch die Aphiden und Cladoceren zeigen. Befruchtung mit einem apyrenen Spermatozoon, sofern sie überhaupt vorkommt, würde in ihrem Endeffekt auf Parthenogenese hinauslaufen, da eine Kern- konjugation, das Wichtige bei der Befruchtung, nicht zustande kommen kann. Von diesen Erwägungen ausgehend habe ich schon vor mehreren Jahren Herrn Popotf veranlasst, die Befruchtung bei Pahtdina zu untersuchen mit der Fragestellung, ob auch hier der 14 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. Dimorphismus der Spermatozoen mit der sexuellen Differenzierung zusammenhänge. Da die Untersuchung an der außerordentlichen technischen Schwierigkeit des Objekts scheiterte, habe ich selbst die Frage in die Hand genommen und sie an Schmetterlingen der Gattung Pygaera zu entscheiden versucht. Hier sind, wie schon oben erwähnt wurde, die Spermatozoen teils apyren, teils eupyren. Bei Kreuzung verschiedener Arten dieser Gattung musste sich feststellen lassen, ob die apyrenen Spermatozoen überhaupt be- fruchten, und wenn sie es tun, ob sie dann Männchen liefern. Vorausgesetzt die Richtigkeit unserer Anschauungen, dass die Ohromo somen Träger der Vererbung sind, mussten apyrene Spermatozoen Schmetterlinge von rein mütterlichem Charakter liefern. Würden die apyrenen und eupyrenen Spermatozoen geschlechtsbestimmend wirken, so müssten die in ihrer Zeichnung und anderweitigen Be- schaffenheit nur der Mutter gleichenden Schmetterlinge Männchen sein; andererseits war zu erwarten, dass die mit eupyrenen Spermato- zoen befruchteten Eier Weibchen lieferten, welche zwischen den gekreuzten Arten die Mitte hielten. Ich benutzte zu meinen Bastardierungsversuchen P. anachoreta und P. curtula; ich hieß mir ferner von Herrn Kollegen Standfuß, für dessen Liebenswürdig- keit ich an dieser Stelle herzlich danke, sein Bastardierungsmaterial senden; schließlich konnte ich mir noch durch Kauf von der Firma Rohlfs Material verschaffen, welches durch die Kreuzung von P. anachoreta und P. pigra entstanden war. Aus meinen Unter- suchungen teile ich nur ganz kurz das Wichtigste mit. Von mehr als Hundert zur Paarung zusammengetanen Männchen von Anachoreta und Ckurtula-Weibcehen erhielt ich nur 8 Copulae, von den in um- gekehrter Richtung ausgeführten Kreuzungsversuchen gelang kein einziger. Von den 8 Pärchen anachoreta S ceurtula 9 lieferten nur 5 Eier, aus denen Raupen ausschlüpften. Die meisten dieser Räupchen gingen schon beim Ausschlüpfen zugrunde oder starben ohne zu fressen, oder im Lauf der Entwickelung ab. Nur 63 gelangten zur Verpuppung; sie stammten der Hauptsache nach von 2 Gelegen. Im ganzen schlüpften 60 Schmetterlinge aus, von denen 6 Weibchen mit verkrüppelten Flügeln waren; der Rest bestand aus vollkommen normal entwickelten Männchen, bei denen es möglich war, die Art- charaktere festzustellen. Sie hielten, wie dasschon Standfuß ermittelt hatte, zwischen anachoreta und eurtula einen intermediären Charakter. Einen intermediären Charakter zeigten auch die mir zu Gebote stehenden Bastardmännchen von anachoreta und pigra, desgleichen die von Standfuß gezüchteten Weibchen aus der Kreuzung anachoreta und curtula und die von Rohlfs bezogenen Bastard- weibchen «machoreta und pigra. Meine Erwartungen hatten sich somit nicht erfüllt. Sofern unsere Anschauungen von der ver- erbenden Kraft des Chromatins richtig sind, muss es für bewiesen Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 15 gelten, dass sowohl die Eier, welche Weibchen, als auch die, welche Männchen liefern, von eupyrenen Spermatozoen befruchtet werden. Sollte der Dimorphismus der Spermatozoen gleichwohl für die Ge- schlechtsbestimmung von Bedeutung sein, so würde nur die Mög- lichkeit in Betracht kommen, dass die apyrenen und oligopyrenen Spermatozoen irgendeine Nebenwirkung ausüben. Wir müssen mit dieser Möglichkeit um so mehr rechnen, als Kuschakewitsch an Prosobranchiern des Meeres bewiesen hat, dass die oligopyrenen Spermatozoen tatsächlich bei der Befruchtung in die Eier eindringen. Gegen die geschlechtsbestimmende Bedeutung des in Rede stehenden Dimorphismus der Spermatozoen könnte man geltend machen, dass er in ganz anderer Weise entsteht, als der latente Dimorphismus der x- und y-Spermatozoen. Dieser entwickelt sich, wie wir gesehen haben, während der Reifeteilungen; der Dimor- phismus der heteropyrenen Spermatozoen dagegen entsteht auf einem viel früheren Entwickelungsstadium, indem gewisse Regionen des Hodens nur apyrene und oligopyrene, andere nur eupyrene Sper- matozoen liefern. Indessen in dieser verschiedenen Entwickelungs- weise würde keine Nötigung gegeben sein, beide Arten der Difte- renzierung für etwas durchaus Verschiedenes zu erklären. In der Folge werden wir noch Beispiele bei Tieren und Pflanzen kennen lernen, welche lehren, dass die geschlechtliche Differen- zierung zwar in vielen Fällen mit der Umwandlung der diploiden Kerne in die haploiden Kerne verknüpft ist, in anderen Fällen aber auf frühere Stadien, auf Stadien, in denen noch lange die diploide Kernform herrscht, zurückverlegt werden kann, so dass es irrtümlich wäre zu behaupten, dass die sexuelle Differenzierung ein Vorgang ist, welcher überall mit der Reifeteilung in einem not- wendigen Zusammenhang gebracht ist. Und so wäre es auch nicht ausgeschlossen, dass die mit der Reifeteilung verbundene, in einer Chromatinverminderung bestehende Differenzierung der Sper- matozoen in die Zeit der Spermatogonien zurückverlegt worden ist, zugleich aber ihre Bedeutung für die Geschlechtsbestimmung gänzlich verloren oder in einer uns noch unbekannten Weise eine Modifikation derselben erfahren hat. Was wır bisher kennen gelernt haben, führt zu einem Resultat, welches den lange Zeit herrschenden Anschauungen diametral ent- gegengesetzt ist. Lange Zeit glaubte man die geschlechtsbestimmende Kraft dem Eı zuschreiben zu müssen. Als wichtigste Stütze für diese Auffassung wurden die allerdings seltenen Fälle geltend ge- macht, in denen man schon vor der Befruchtung es dem Ei an- sehen kann, ob es ein Männchen oder ein Weibchen liefert. Die Männchen liefernden Eier von Dinophilus z. B. sınd außerordent- lich viel kleiner als die Weibchen liefernden. Hier scheint auf den ersten Blick ein Einfluss der Spermatozoen ganz ausgeschlossen. In- 16 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. dessen hat sich auch hier die Möglichkeit einer anderen Erklärung ergeben. Ein englischer Zoologe Shearer behauptet, dass die Befruch- tung der Eier zu einer Zeit erfolge, in welcher der so auffällige Größen- unterschied noch fehlt. Es sollen die Spermatozoen schon in die jungen Ovogonien eindringen, ohne dass jedoch der Ovogonienkern und der Samenkern miteinander verschmelzen. Wenn sich nun die Ovogonien vermehren, sollen sich die beiden Kerne eine Zeit- lang parallel zueinander teilen, bis schließlich Teilungen eintreten, an denen sich zwar der weibliche Kern, nicht aber der Samenkern beteiligt. Die Folge wäre Bildung von zweierlei Ovogonien, von solchen, die den Samenkern enthalten, und solchen, bei welchen dies nicht der Fall ist. Die Eier ohne Samenkern wachsen nur wenig heran und liefern Männchen; die Eier mit Samenkern nehmen andere Eianlagen in Menge in sich auf und werden zu weiblichen Eiern. Nach dieser Darstellung, die noch der weiteren Bestätigung bedarf, wäre die verschiedene Größe der Eier nicht die Bedingung, sondern die Folge der geschlechtlichen Differenzierung. Wie nun auch die Frage nach den geschlechtsbestimmenden Ursachen bei Dinophilus ın Zukunft auch ausfallen mag, jedenfalls müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, dass die Art, in welcher sich die Verteilung der geschlechtsbestimmenden Faktoren im Tier- und Pflanzenreich vollzogen hat, nicht überall die gleiche ist. Es wäre denkbar, dass die ausschlaggebende Rolle bei einem Teil der Tiere — Mehrzahl der bisher untersuchten Fälle — dem männ- lichen Geschlecht, bei einem anderen Teil dem Weibchen zuerteilt ist. In der Tat ıst auch ein Fall bekannt geworden, bei welchem ein ähnliches, unterschiedliches Verhalten von Heterochromosomen, wie es längere Zeit nur für das männliche Geschlecht bekannt war, für die Eier nachgewiesen wurde. Baltzer fand bei Seeigeln, dass man nach der Beschaffenheit der Chromosomen zweierlei befruchtete Eier unterscheiden kann. Bei einem Teil der Eier lassen sich sämtliche Chromosomen nach Größe und Gestalt paarweis gruppieren, was man mit Sicherheit in dem Sinn deuten kann, dass jedesmal der eine Paarling aus dem Eikern, der andere aus dem Samenkern stammt; bei einem anderen Teil der Eier dagegen findet sich ein unpaares Uhromosom von besonderer Beschaffenheit, also ein Heterochromosom oder x-Öhromosom. Dasselbe hat bei Strongylocentrotus lividus die Gestalt eines kleinen Hakens, bei Echinus microtubereulatus die Gestalt eines kleinen Hufeisens; ihm entspricht ein stäbchen- förmiges Chromosom, welches in seiner Gestalt mit dem gewöhn- lichen Typus der Seeigelehromosomen übereinstimmt. Es fragt sich nun, ob das haken- resp. hufeisenförmige Chromosom aus dem Eikern. oder dem Samenkern stammt. Die Entscheidung dieser Frage würde zugleich Aufklärung bringen, welche der beiden Typen von befruchteten Eiern Männchen, welche Weibchen liefern werden; sie Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 17 kann experimentell erzielt werden und zwar auf vier verschiedenen Wegen, 1. durch das Studium merogoner Eier, d. h. von Eiern, die ihres Eikerns beraubt und befruchtet sich nur mit dem Samen- kern entwickeln, 2. durch das Studium polyspermer Eier, bei denen ein Teil der Samenkerne nicht mit dem Eikern verschmilzt und sich für sich getrennt teilt, 3. durch das Studium von Eiern mit partieller Befruchtung, bei denen der Samenkern von der Spindel- bildung ausgeschlossen ist, so dass diese nur vom Eikern ausgeht, 4. durch das Studium von Eiern mit künstlicher Parthenogenesis. In den zwei ersten Fällen lernt man den Chromosomenaufbau der Samenkerne, in den beiden letzten das Gleiche für die Eikerne kennen. Baltzer benutzte Material, welches mit Hilfe der drei ersten Methoden gewonnen worden war, und fand, dass keine der Samenkernspindeln das Heterochromosom besitzt, sondern immer nur an seiner Stelle ein stäbchenförmiges Chromosom. Von den Eikernspindeln dagegen besaß ein Teil das Heterochromosom, der andere nicht. Aus diesen Ergebnissen, welche durch Bastardierungs- experimente weiterhin gestützt wurden, ergab sich auf das unzwei- deutigste, dass die oben beschriebenen Unterschiede des befruchteten Eies in der Beschaffenheit ihres Ohromosomenbestandes nicht durch die Befruchtung herbeigeführt werden, sondern schon ım Ei vor- handen waren, dass es somit zweierlei Eier gibt und die Geschlechts- bestimmung vom weiblichen Geschlecht ausgeht. Die Vermutung, dass in ähnlicher Weise, wie wir es soeben für die Seeigel kennen gelernt haben, auch bei anderen Tieren der hetero- gametische Charakter des Geschlechts dem Weibchen, der homogame- tische Charakter dagegen dem Männchen zuerteilt sein möchte, findet ın den merkwürdigen Erscheinungen der „geschlechtsbegrenzten Ver- erbung“ weitere Stützen. Unter „geschlechtsbegrenzter Vererbung“ versteht man die Erscheinung, dass die Art, in welcher gewisse Merk- male vererbt werden, vom Geschlecht modifiziert wird, so dass die Erb- lichkeit im weiblichen Geschlecht eine andere ist als im männlichen. Die Erscheinungen, um welche es sich hierbei handelt, sind zuerst bei Insekten beobachtet, später aber auch bei anderen Tieren gefunden worden. Das klassische Beispiel ist die durch Doncaster entdeckte Vererbung der Färbung bei Abraxas grossulariata, dem Harlekın oder Stachelbeerspanner. Von diesem weit verbreiteten Schmetterling existiert eine Varietät, welche ın der Natur nur im weiblichen Geschlecht bekannt ist und von der verbreiteten @rossıu- lariata-Form (G) sich durch weißliche Farbe unterscheidet und daher Lactieolor (L) heisst. Wenn man ZLacticolor-Weibcehen (L-g) mit Grossulariata-Männchen (G-Z) kreuzt, erhält man ın der Tochter- generation (der F!-Generation der Erblichkeitsforscher) gleichviel Weibchen und Männchen, aber ausschließlich von der Grossulariata- Beschaffenheit. Nach den Mendel’schen Regeln ist die F'-Gene- XXXIL, 2 IS Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. ration heterozygot, d.h. sie enthält die zur Prüfung gestellte väter- liche und mütterliche Eigenschaft, in diesem Fall also Grossulariata und ZLacticolor zugleich, obwohl erstere allein zum Ausdruck ge- langt. Die Erblichkeitsforschung drückt dies bekanntlich dadurch aus, dass sie sagt: Der G-Faktor dominiert über den L-Faktor, letzterer ist rezessiv. Durch Inzucht der F'-Generation erhält man die sogen. F?-Generation, welche entsprechend den Mendel-Regeln aus ®/, Grossulariata-, '/, Lacticolor-Formen besteht. Dabei stellt sich aber heraus, dass ie !/, Lacticolor -Schmetterlinge ausschließ- lich Weibehen sind, ein Zeichen, dass die Art, in welcher der Laeticolor-Charakter vererbt wird, von der Geschlechtsvererbung beeinflusst wird. Wenn man dagegen die @rossulariata-Männchen der F!-Generation mit den das Ausgangsmaterial darstellenden Lactieolor-Weibchen zurückkreuzt, so erhält man, wie es nach den 2 Regeln nicht anders zu erwarten steht, '/, Grossulariata- und ! eolor -Individuen und zwar derart verteilt, dass in jeder der len Gruppen gleichviel Männchen und ehe Weibchen vorhanden sind, demnach '/, L-Z, !J, L-9, '/,G-d', '/, G-Q. Schließ- lich wurden noch die Zacticolor-Männchen mit Grossulariata-W eıib- chen gekreuzt, einmal Weibchen der F!-Generation, d. h. solche Weibchen, wie sie aus der ersten Kreuzung von Zackcolor-Weıibchen und Grossulariata-Männchen entstanden waren, andererseits mit Grossulariata-Weibchen, welche aus der Natur stammten und sicher- lich eine reine Rasse darstellten. Bei der ersten der beiden Kreu- zungen entstanden fast genau 50°/, Grossulariata, 50°], Lacticolor, wie es den Mendel’schen Regeln entspricht. Wahrscheinlich gilt das Gesagte auch von der zweiten Kreuzung. Wenn nur 19 Grossu- lariata auf 52 Lactcolor kamen und somit das Verhältnis 50: 50°], nicht erreicht wurde, so hat das wohl ın den Fehlerquellen seinen Grund, mit welchen die Wahrscheinlichkeitsrechnung bei kleinen Zahlen rechnen muss. In beiden Fällen kam nun der die Erblichkeit beein- fiussende Geschlechtsfaktor abermals zur Geltung, indem alle Grossa- lariata-Formen Männchen, alle ZLacticolor-Formen Weibchen waren. Um die merkwürdige Wechselwirkung zwischen Geschlechts- vererbung und menden Eigenschaftsvererbung zu erklären, sind viele Erklärungsversuche aufgestellt worden, wleare aber mit soviel Hilfshypothesen beladen sind, dass sie wenig Wahrscheinlich- keit für sich haben, wie z. B. die Hypothese der selektiven Befruchtung, d.h. die Lehre, dass gewisse Eiformen immer nur von bestimmten Sper- matozoen befruchtet werden können. Erst in der Neuzeit haben Wil- son, Guliek und Goldsehmidt im Anschluss an Castle eine Erklä- rung gegeben, welche sich auf Erscheinungen stützt, deren Existenz durch Beobachtungen erwiesen ist, Es handelt sich um drei Punkte. l. Grossulariata und Lactieolor sınd mendelnde Eigenschaften, von denen die erstere dominant, die letztere rezessiv ist. Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 6) 2. Das Geschlecht ist durch Geschlechtschromosomen bestimmt, und zwar derart, dass das Weibchen heterogametisch ist, das Männchen homogametisch; es wäre das das reziproke Verhalten von dem, welches wir bei Wanzen kennen gelernt haben. Da wir dort das die Hetero- gametie veranlassende Chromosom x genannt haben, wollen wir die reziproken Heterochromosomen y nennen. Man kann dann den zunächst noch hypothetischen Zustand der Chromosomen graphisch in folgender Weise ausdrücken. Es seien alle Autochromosomen, auf deren Einzelbeschaffenheit es ja in unseren Betrachtungen nicht ankommt, durch einen horizontalen Strich ausgedrückt, die Ge- schlechtschromosomen durch den Buchstaben y!). Dann würde der Kern der Spermatogonien und der männlichen Körperzellen die Beschaffenheit haben — y— y; die vom Männchen erzeugten Sper- matozoen müssten somit von einerlei Natur sein, sämtlich von der Beschaffenheit — y. Die entsprechenden Formeln für das Weibchen würden dagegen folgendes Aussehen haben für Ovogonien und Körperzellen — y—(, für die Eier, welche entsprechend dem heterogametischen Charakter des Weibchens von zweierlei Art sein müssten, für die eine Art — y, für die andere Art — (0. 3. Ein drittes Postulat wäre darin gegeben, dass die innige Korrelation, welche zwischen Geschlechtsvererbung und Farben- vererbung vorhanden ist, eine materielle Grundlage hat, indem der Geschlechtsdeterminant y und der Eigenschaftsdeterminant g, resp. | fest miteinander verbunden sind, also gy, Iy, so dass g und | immer nur vereinigt mit y vorkommen können. Unter den drei gemachten Voraussetzungen würden für die vier durch Beobachtung und Experiment festgestellten Formen des Stachelbeerspanners folgende Formeln gelten. Tiere Entsprechende Gameten 1. Grossulariata d a) rein. . —gy—gy ausschließlich — gy b) Bastard —gy — Iy a TEE Ele mly 2. Lactieoor G . ». . .. —ly—1]ly _ ausschließlich — 1y 3. Grossulariata © . ». . 2. —8gy—0 1, —gy !h —0 Belakneolor 9. 2 .» „.n. —ly—0 Se a Pe} Auf Grund der oben gemachten Voraussetzungen, welche sich sämtlich auf gut begründete Erfahrungen stützen, kann man nun konstruieren, welche Formen bei den oben mitgeteilten Züchtungs- experimenten herauskommen müssen, und nachweisen, dass diese 1) Die Wahl des Buchstabens y für die das männliche Geschlecht bestimmenden Chromosomen ist keine zweckmäßige; sie würde die Auffassung involvieren, dass auch das y der heterogametischen Insektenmännchen (Wanzen, Heuschrecken) der Träger der männlichen Geschlechtsbestimmung wäre, eine Auffassung, welche sich nicht aufrecht erhalten lässt, 180) 20 Heıtwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. konstruierten Resultate mit den von Doncaster erzüchteten tat- sächlich übereinstimmen. I. Experiment. ZLacticolor & + Grossulariata '. Geschlechtsprodukte 1. —ly 2. —gy F!-Resultat — Iy— gy = Grossulariata g (heterozygot) — 0 — gy = Grossulariata 9. II. Experiment. Inzucht der F!-Generation. Geschlechtsprodukte 1. — 0 2. — gy —8y ir F?-Resultat — gy —gy=!], @rossulariata —gy—ly =!/, Grossulariata d. [ı @rossulariata 2 [, Zacticolor 9 III. Experiment. Lactieolor 9 mit F!-Grossulariata . Geschlechtszellen 1. —ly 2. — gy —0 —1y Resultat '/, — 0 — gy = @rossulariata 9 11, —0 —1y = Lacticolor 9. 1, —1y — gy = Grossulariata 1! —1y—- 1y = Lactioolor IV. u. V. Experiment. Grossulariata 9 (F! oder aus der Natur) mit Lactieolor d. Geschlechtszellen 1. —yg 2. — 1y — 0 —Iy Resultat !/, — yg — yl = @Grossularvata 1, —yg — yl= Grossulariata | 11, —yl—0 = Lactioolor 9 11, —yl —0 = Lactiecolor 9. Da die konstruierten Resultate mit den durch das Experiment festgestellten Resultaten übereinstimmen, sprechen die Experimente Doncaster’s in der Tat für die Ansicht, dass die Verteilung der geschlechtsbestimmenden Potenzen genau den oben gemachten An- nahmen entspricht und somit die Kehrseite ist von dem, was wir bei Wanzen, Käfern u. s. w. kennen gelernt haben. Es gibt nun Erfahrungen über die Erblichkeit geschlechts- begrenzter Eigenschaften, welche an anderen Tieren gemacht wurden und im Prinzip mit den für Adbraxas geschilderten Erfahrungen übereinstimmen. Ganz ähnliche, denselben Rhythmus zeigende Erb- lichkeitserscheinungen hat man erhalten, als man zimtfarbene rot- äugige Kanarienvögel mit grüngefärbten schwarzäugigen Formen, ferner verschieden gefärbte Hühnerrassen untereinander kreuzte. Komplementäre Resultate, d. h. Resultate, welche Heterogametie HF Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 21 des Männchens und Homogametie des Weibchens voraussetzen, hat Morgan neuerdings erhalten, als er rotäugige weibliche Fliegen der Gattung Drosophila mit einem weißäugigen männlichen Mu- tanten derselben Art kreuzte. Es gälte nun festzustellen, ob die aus den Züchtungsergebnissen erschlossenen Zustände der Chromosomen sich auch durch die Be- obachtung nachweisen lassen. Für die Fliege Drosophila ist das in der Tat der Fall, insofern dieselbe wie andere Fliegen zweierlei Spermatozoen, solche mit und solche ohne das x-Chromosom erzeugt. Dagegen haben die Untersuchungen über Abraxas zu keinem Re- sultat geführt, weil das Objekt ungünstige Beobachtungsbedingungen bietet; und was gar die Vögel anlangt, so stehen die wenigen bis- her gemachten mikroskopischen Untersuchungen mit den experi- mentell gewonnenen Resultaten im Widerspruch. Das Experiment verlangt zu seiner Erklärung Heterogametie des Weibchens, Homo- gametie des Männchens; die mikroskopische Untersuchung hat dagegen, wie schon oben erwähnt wurde, Heterogametie des Männchens er- geben. Dieses Ergebnis ist um so beachtenswerter, als wenigstens eine Art, das Haushuhn, sowohl zu experimentellen als auch spermatogene- tischen Untersuchungen verwandt worden ist. Es muss weiteren Untersuchungen überlassen bleiben, die Widersprüche, welche hier vorliegen, aufzuklären. Voraussichtlich wird dies auch gelingen. Wir haben zu dieser hoffnungsvollen Stimmung um so mehr Ver- anlassung, als es in den letzten Jahren geglückt ist, eine Reihe von Erscheinungen, welche auf den ersten Blick ebenfalls mit der Lehre von den Geschlechtschromosomen unvereinbar erschienen, zum Teil wenigstens in befriedigender Weise aufzuklären. Wir wollen dieselben nunmehr erörtern. Ich bespreche zunächst die Erscheinungen des Hermaphro- ditismus. Die hier vorliegenden Schwierigkeiten sind folgende. Wenn wir zur Erklärung der Sexualität annehmen, dass das eine Geschlecht rücksichtlich der Geschlechtschromosomen heterogame- tisch, das andere homogametisch ist, so müssen, gleichgültig, ob die Heterogametie dem Weibchen oder Männchen zukommt, nach Ablauf der Befruchtung zwei Kategorien Eier vorhanden sein. Bei herm- aphroditen Tieren gibt es aber nur eine Art befruchteter Eier. Diese könnten entweder nur heterogametisch oder nur homogametisch sein; es müssten somit die Bedingungen zur Bildung der zweiten Kate- gorie verloren gegangen sein. Ferner: Aus den gleichartigen Eizellen des Hermaphroditen ent- wickeln sich zweierlei Geschlechtszellen, Spermatogonien und Ovo- gonien, heterogametisches und homogametisches Material; es müsste somit der Chromosomencharakter des Eies im Lauf der Embryonal- teilung veränderlich sein; ein Teil der Zellen müsste den Ausgangs- charakter beibehalten, ein anderer Teil müsste Veränderungen er- > DD Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. fahren, entweder müsste sich die von Anfang an vorhandene Homogametie zur Heterogametie entwickeln oder umgekehrt. Die schönen, einander ergänzenden Untersuchungen von Schleip und Boveri haben diese Verhältnisse für einen bestimmten Fall, die Nematode Rhabdonema nigrovenosum, in befriedigender Weise aufgeklärt. Das Tier hat zwei Generationen. Die eine Generation ist hermaphrodit und lebt parasitisch in der Lunge des Frosches, die andere Generation ist getrenntgeschlechtlich und findet sich freilebend im Schlamm. Männchen und Weibchen der letzteren unter- scheiden sich, wie schon früher (S. 6u. 11) hervorgehoben wurde, ähn- lich den Geschlechtern vieler Insekten durch verschiedene Zahl der Chromosomen, welche beim Weibchen 12 beträgt, eine Zahl, welche in den somatischen Zellen auf 24 gesteigert wird, während beim Männchen die entsprechenden Zahlen 11 und 22 sind. Bei der Reife der Geschlechtsprodukte werden nur Eier von einer Art (mit 6 Chromosomen) gebildet, dagegen zweierlei Spermatiden, solche mit 6 und solche mit 5 Chromosomen. Indem letztere degene- rieren und nur erstere sich weiter entwickeln, gibt es nur einerlei Spermatozoen und demgemäß sind alle befruchteten Eier, aus denen die parasitische Generation sich entwickelt, von gleicher Beschaffen- heit, nämlich mit 12 Chromosomen ausgerüstet. Ihrem Chromo- somenbestand nach sind die Parasiten somit Weibchen, ihrer späteren Geschlechtsentwickelung nach Hermaphroditen, welche in ihren Genitalröhren alternierend Regionen von Samenzellen und Eizellen erzeugen. Die ersten sicheren Unterschiede männlicher und weib- licher Geschlechtszellen sind auf dem Stadium der Spermatocyten und Ovocyten I. Ordnung kurz nach Ablauf des Synapsisstadiums nachzuweisen. Die Ovocyten enthalten 6 untereinander gleiche Doppelchromosomen, die Spermatocyten dagegen 5 Doppelchromo- some und 2 Einzelehromosome, welche sich schon durch ihr früh- zeitiges Auftreten ım ruhenden Kern als Heterochromosomen charakterisieren. Bei der ersten Reifeteilung teilen sich alle 7 Chro- mosomen; bei der zweiten Reifeteilung dagegen nur die 5 Auto- chromosomen; die zwei Heterochromosomen rücken dagegen nur auseinander und zwar in einem verlangsamten Tempo, so dass die Autochromosomen schon an den Spindelenden vereinigt sind, wäh- rend die Heterochromosomen noch in der Verlagerung begriffen sind. In einer der beiden durch Teilung entstehenden Spermatiden ist diese Verlangsamung so erheblich, dass das betreffende Hetero- chromosom den Anschluss an die Autochromosomen gar nicht erreicht, weil es zuvor schon bei der Teilung der Spermatocyte ausgestoßen wurde. So resultieren zweierlei Spermatiden und später zweierlei Spermatozoen, die einen mit 6 Chromosomen (5 — 1), die anderen mit 5. Eier, welche mit den ersteren befruchtet werden, liefern die Weibchen der freilebenden Generation; Befruchtung mit Sper- N Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 33 matozoen, welche das Heterochromosom nicht besitzen, erzeugt die Männchen. Auffallend ist es, dass die den Spermatogonien ent- sprechenden Stadien sich noch nicht von den Ovogonien unter- scheiden lassen. Schleip nennt daher die betreffenden Zustände Ovogonien. Eine Beobachtung Boveri’s lässt jedoch die Möglich- keit zu, dass vielleicht doch schon Unterschiede bei genauerer Prüfung sich herausstellen möchten. Boveri schildert „Ovogonien“- kerne, bei denen 2 Chromosome sich von den übrigen dadurch unterscheiden, dass sie dem Plastinnukleolus (Plasmosom) anliegen und früher als die übrigen die Beschaffenheit kompakter Chromo- somen annehmen. Da die den Heterochromosomen entsprechenden Chromosome in der Ovogenese sich in der Regel nicht von den übrigen unterscheiden, ist es unwahrscheinlich, dass Heterochromo- somen in den echten Ovogonien sichtbar sein sollten. Vielleicht be- ziehen sich die betreffenden Beobachtungen auf die homologen Ent- wickelungsstadien der männlichen Reihe). Beachtenswert bei den hier referierten Untersuchungen ist die Tatsache, dass gewisse Zellen schon unzweifelhaft in den männlichen Entwickelungszyklus hineingehören, bei denen die reduzierte Zahl der Chromosomen noch nicht erreicht ist. Offenbar sind bei diesen Zellen die betreffenden Chromosomen schon in eigenartiger Weise modifiziert, wenn auch die Veränderungen für uns gar nicht oder kaum erkennbar sind. Vielleicht ist hierin eine Möglichkeit ge- geben, auch diejenigen Fälle zu erklären, in denen Geschlechts- chromosomen für uns nicht erkennbar sind. Von weiterem Interesse ist die Tatsache, für welche wir im folgenden noch weitere Beweise kennen lernen werden, dass das Geschlecht kein unver- änderlicher Faktor ist, dass vielmehr eine weibliche Zelle in eine männliche Zelle umgewandelt werden kann. Ob auch das Umgekehrte möglich ist, lässt sich zurzeit 2) Inähnlicher Weise, wie durch die Untersuchungen Boveri’s und Schleip’s sich der Hermaphroditismus von Rhabdonema n’grovenosum aufgeklärt hat, scheint auch der Hermaphroditismus der Mollusken seine Erklärung zu finden. Zarnik stellte fest, dass bei Pteropoden während der zweiten Reifeteilung 9 Chromosomen sich teilen, das 10. dagegen, das x-Chromosom, ungeteilt in eine Spermatide übergeht. Nur die das x-Chromösom enthaltenden Spermatiden entwickeln sich zu Spermatozoen, die Spermatiden ohne x-Chromosom gehen zugrunde. Demgemäß bilden sich, da alle reifen Eier untereinander gleich sind, nur befruchtete Eier von gleicher Chromosomen- beschaffenheit. Merkwürdig ist die Art, in welcher sich Ovogonien und Spermatogonien in der Zwitterdrüse differenzieren. Die Spermatogonien behalten den Chromosomen- komplex unverändert bei, während in den Ovogonien zwei Chromosomen eine Diminution (Chromatinabgabe) erfahren, was Ursache ist, dass die Ovogonien weniger Chromatin enthalten als die Spermatogonien, die reifen Ovocyten weniger Chromatin als die zur Befruchtung dienenden Spermatozoen. Es möchte sich daher empfehlen zu sagen, dass die Mollusken reziproke Verhältnisse zu Rhabdonema bieten, indem sie Tiere mit männlichem Chromatinbestand sind, die durch Diminution weiblich werden. Dann dürfte man nicht von einem x-Chromosom, sondern von einem y-Chromosom reden. DA Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. noch nicht entscheiden; doch müssen wir mit der Möglichkeit rechnen, dass namentlich in den Fällen, in denen das Männchen den homogametischen Charakter trägt, der männliche Zellcharakter ın analoger Weise, wie wir es für Rhabdonema bezüglich des weiblichen kennen gelernt haben, ın den gegenteiligen — hier demgemäß in den weiblichen — verändert werden kann. So lassen sich vielleicht die Beobachtungen von Jeffrey Smith über den Einfluss der Kastration von Krabben durch Sacrulina und von Potts über die Kastration von Pagurus durch Peltogaster erklären. Wenn männliche Krabben der Gattung I/nachus von Saceulina befallen werden, so wird der Hoden infolge der ungünstigen Er- nährungsbedingungen rückgebildet; dafür entwickeln sich in der Geschlechtsdrüse Eier und wachsen zu bedeutender Größe heran. Auch die sekundären Geschlechtscharaktere können die weibliche Beschaffenheit annehmen. Werden dagegen Weibchen von der Sacculina befallen, so treten keine entsprechenden Veränderungen ein. Smith kommt auf Grund dieser Erfahrungen zu einer der hier ausgesprochenen genau entgegengesetzten Auffassung, dass das Weibchen homogametisch, das Männchen heterogametisch seı. Er inter- pretiert seine Befunde im Sinn der Mendel’schen Vererbungslehre. Er nennt das Männchen heterozygot, weil es nebeneinander einen dominierenden männlichen und einen rezessiven weiblichen Faktor enthalte. Durch den Parasiıtismus werde der männliche Faktor unterdrückt und der weibliche komme zum Vorschein. Beim Weib- chen sei bei seinem homozygoten Charakter etwas Analoges nicht möglich. Bei anderen Tieren käme es freilich vor, dass vom Weibchen aus eine Geschlechtsänderung ausgelöst werde. Als Beispiele werden Aphiden, Daphniden und Rotatorien angeführt, bei denen nach mehreren parthenogenetischen Generationen Männchen auf- treten. In diesen Fällen müsse man annehmen, dass das Weibchen heterozygot sei, dass lange Zeit über der weibliche Faktor donii- niere, allmählich aber unwirksam werde, so dass nun der bis dahin rezessive männliche Faktor Einfluss gewänne. Von den genannten drei Tierabteilungen haben nun Daphniden und Rotatorien den Gegenstand zahlreicher experimenteller Arbeiten gebildet, die Aphiden wurden außerdem noch genauer auf die Anwesenheit von Heterochromosomen untersucht. Die dabei gewonnenen Resultate sprechen gegen die von Smith versuchte Deutung. Indem ich mich zur Erörterung dieser Resultate wende, komme ich auf ein sehr interessantes Forschungsgebiet zu sprechen, welches zu allen Zeiten in der Diskussion des Sexualitätsproblems eine große Rolle gespielt hat. Zunächst schienen die hierbei zu berück- sichtigenden Verhältnisse mit der Lehre von den Heterochromo- somen unvereinbar, bis sie durch eingehende Untersuchung auf- geklärt wurden und nunmehr eine glänzende Bestätigung der Theorie Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 25 lieferten. Wir werden dabei abermals mit zwei Vorgängen uns zu be- fassen haben, welche wir schon bei Rhabdonema kennen gelernt haben. 1. Umwandlung des weiblichen Chromosomenbestandes in den männ- lichen, 2. Rückbildung der Männchen erzeugenden Spermatozoen. Bekanntlich pflanzen sich Aphiden, Daphniden und Rota- torıen den größten Teil der Zeit über parthenogenetisch fort. Zeit- weilig treten Männchen auf, und werden von den Weibchen be- fruchtungsbedürftige Eier gebildet, die Winter- oder Dauereier. Diese haben nach der Befruchtung eine längere Ruhezeit durchzu- machen, ehe sie sich entwickeln; sie liefern stets Weibchen, welche nun wieder anfangen, sich parthenogenetisch zu vermehren. Am genauesten ist dieser Generationszyklus von Weismann bei Daph- niden untersucht; hier gibt es monozyklische, dizyklische und poly- zyklische Formen; d.h. der durch das Alternieren von parthenogene- tischen Generationen und einer Geschlechtsgeneration bedingte Zyklus verteilt sich über ein ganzes Jahr (monozyklisch) oder er wiederholt sich zweimal im Jahr (dizyklisch) oder mehrere Male (polyzyklisch). Wie es kommt, dass befruchtete Eier ausschließlich Weibchen produzieren, dass ferner gewisse parthenogenetische Weibchen die Fähigkeit haben, Männchen zu erzeugen, erklärt sich aus Vorgängen, welche mit denen übereinstimmen, die wir schon bei Rhabdonema nigrovenosem kennen gelernt haben. Die betreffenden Vorgänge wurden bei verschiedenen Aphiden-Arten noch vor den sich auf Rhabdonema beziehenden Untersuchungen durch Morgan, Stevens und v. Baehr aufgeklärt. Die Männchen von Aphiden sind heterogametisch; sie be- sitzen demgemäß eine andere Öhromosomenzahl als die Weibchen. Bei Aphis saliceti haben nach v. Baehr die Männchen 5, die Weibchen 6 Chromosomen. Bei der Reifung entstehen zweierlei Spermatiden, solche mit 3 und solche mit 2 Chromosomen; erstere erhalten somit das x-Ohromosom, letztere sind ohne dasselbe und gehen zugrunde. Ähnliche Verhältnisse finden sich nach den Angaben Morgan’s bei Phylloxera caryaecaulis, während bei Ph. fallax die doppelte Chromosomenzahl gegeben ist. Dass bei Ph. fallax die befruchtenden Spermatozoen 6 Chromosomen enthalten, die rudimentären nur 4, zeigt, dass auch das x-Chromosom eine Verdoppelung erfahren hat. Da die Männchen erzeugenden Spermatozoen zugrunde gehen, ist es begreiflich, dass aus den befruchteten Dauereiern immer nur Weibchen entstehen. Dass auch deren Nachkommenschaft, sofern mehrere parthenogenetische Generationen, wie es bei den meisten Phytophthiren der Fall ist, gebildet werden, ebenfalls Weibchen sind, erklärt sich daraus, dass bei der Eireife immer nur ein Rich- tungskörper gebildet wırd, die Reduktionsteilung unterbleibt und daher der Chromosomenbestand des befruchteten Eies durch die partheno- genetischen Generationen hindurch unverändert fortgeführt wird. Der Aufklärung bedarf nur die Art, in welcher es wieder zur Bildung BIN Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. von Männchen kommt. Eingeleitet wird dieser wichtige Vorgang durch das Auftreten der „Sexuparae“. Dieselben sind meist geflügelte Tiere, welche sich bei den einzelnen Familien, sogar in derselben Familie der Phytophthiren verschieden verhalten. Bei Aphis saliceti, Schixoneura lanigera erzeugt ein und dasselbe sexupare Weibchen sowohl männliche wie weibliche Geschlechtstiere, in anderen Fällen (Aphis rosae, Phylloxera fallax und Ph. caryaecaulis, Melanoxanthus- Arten) ist ein Teil der sexuparen Weibchen rein thelytok, d. h. sie erzeugen nur Weibchen, ein anderer Teil ist arrhenotok, sie liefern nur Männchen. Dabei unterscheiden sich die sich zu Männchen ent- wickelnden Eier, die „männlichen Eier“, durch ihre geringere Größe von den weiblichen Eiern. Während nun zur Zeit der partheno- genetischen Fortpflanzung die für das Weibchen charakteristische Chromosomenzahl beibehalten wird, wird mit Beginn der Geschlechts- periode die dem Männchen eigentümliche, um 1 reduzierte Chromo- somenzahl bei einem Teil der Eier hergestellt. Wie dies. ge- schieht, darüber liegen zurzeit noch keine sicheren Beobachtungen vor. Morgan macht es wahrscheinlich, dass bei der Richtungs- körperbildung der kleineren Eier der im Ei verbleibende Kern ein Chromosom weniger erhalte?). Dies könnte in zweierlei Weise ge- schehen, 1. indem das 6. Chromosom von Aphis saliceti und Phyl- loxera caryaecaulis, das 11. und 12. Chromosom von Ph. fallax in den Richtungskörper ungeteilt übergehen, 2. indem die 6. resp. die 11. und 12. Chromosomen (die x-Chromosomen) sich zwar teilen, von den beiden Teilprodukten aber nach Analogie der Vorgänge, welche wir von der Reifeteilung der Spermatocyten der hermaphro- diten Generation von Rhabdonema nigrovenosum kennen, das eine in den Richtungskörper übergeht, das andere ausgestoßen wird. v. Baehr vermutet, dass die sich zu Männchen entwickelnden Eier noch früher differenziert seien, indem schon die Richtungsspindel von Aphis saliceti nur 5 Chromosomen enthalte (anstatt 6). Wie dem auch sei, jedenfalls begegnen wir hier zum zweiten- mal der Erscheinung, dass der weibliche Chromosomenbestand durch Verlust eines Chromosoms in den männlichen Chromosomen- bestand umgewandelt wird. Bei Rhabdonema nigrovenosum ge- schah diese Umbildung innerhalb des Zellenmaterials der Gonade eines weiblichen Tieres, wodurch dieses im übrigen weibliche Tier zum Zwitter wurde. Bei den Phytophthiren erfolgt die Um- wandlung erheblich früher, schon im Ei der betreffenden Generation, so dass besondere männliche Tiere gebildet werden. Wir sind somit genötigt, einen die Bildung männlicher Zellen begünstigenden Faktor anzunehmen, welcher sich im Organismus entwickelt, der sexuellen Differenzierung der Kerne vorausgeht und dieselbe ver- 3) In einer neuerdings erschienenen Publikation spricht sich Morgan mit Bestimmtheit für den früher nur als wahrscheinlich bezeichneten Modus aus. Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. a anlasst. Wir müssen annehmen, dass dieser uns zunächst unbe- kannte Faktor sich allmählich entwickelt und erst zur Geltung ge- langt, wenn er eine bestimmte Intensität erreicht hat. Dies lehren am besten die Fälle, in denen bei den Phytophthiren zweierlei Sexuparae, thelytoke und arrhenotoke Formen, vorhanden sind. In den arrhenotoken Weibchen ist der die Männlichkeit bedingende Faktor nicht mächtig genug, um die Tiere selbst zu Männchen um- zuprägen; immerhin ist er schon so bedeutsam, dass über das Ge- schlecht der Nachkommenschaft entschieden ist. Die Auffassung, dass ein Faktor existiert, welcher der durch die Chromosomenbeschaffenheit gegebenen Geschlechtsbestimmung vorausgeht und dieselbe bedingt und dass derselbe sich allmählich entwickelt, findet wichtige Stützen in weiteren Beobachtungen und experimentellen Erfahrungen, welche an vielen durch Heterogonie ausgezeichneten Tieren gewonnen worden sind. Da besonders die experimentellen Erfahrungen geeignet sind, über das Wesen dieses Faktors einigen Aufschluss zu geben, gehe ich auf dieselben ein. je Il. Experimentelle und biologische Untersuchungen über G@eschlechtsbestimmung bei Phytophthiren. Daphniden, Rotatorien und Hymenopteren. Über Phytophthiren liegt ein ungeheures Beobachtungs- material vor, welches erkennen lässt, dass die Art, in welcher die Geschlechtsgeneration — die durch die Sexuparae eingeleitete Gene- ration der Sexuales — auftritt, nach den einzelnen Familien eine sehr verschiedenartige ist. Leider ist auf dem umfangreichen Gebiet noch vieles kontrovers, so dass eine kritische Sichtung des Materials dringend nötig ist. Dies kann nur durch einen Forscher geschehen, welcher die einschlägigen Verhältnisse besser kennt als ich. Ähn- liches gilt von den Experimenten, welche angestellt worden sind, um zu beweisen, dass das Auftreten der Geschlechtsgeneration durch äußere Einflüsse beschleunigt oder hinausgeschoben werden kann. Einer der besten Kenner der Phytophthiren, Mordwilko, ist durch eigene Untersuchungen sowie durch kritische Verwer- tung der Angaben anderer Forscher zum Resultat gekommen, dass es Einflüsse gibt, welche das Eintreten der geschlechtlichen Generation — und damit die Umwandlung der weiblichen Anlage in eine männ- liehe — einerseits beschleunigen, andererseits hinausschieben. Unter den ersteren nennt er schlechte Ernährung und niedrige Temperatur, unter den letzteren Wärme und Nahrungsüberschuss. Die Ein- wirkung der Wärme schätzt er sehr hoch ein: es könne sogar durch sie der den Eintritt der Geschlechtsgeneration begünstigende Ein- fluss schlechter Ernährung kompensiert werden. Interessant ist ferner die Angabe, „dass bei der Befruchtung der latenten Eier zugleich mit dem Spermatozoon ein starker Stimulus in das Ei ver- Is Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. pflanzt werde, welcher bei der Entwickelung die Stelle der Er- regung durch reichliche Ernährung vertrete“, dass somit der durch die Befruchtung herbeigeführte Zustand des Eies dem Eintritt der Geschlechtsperiode ungünstig sei. Auch Grassi ist durch Unter- suchungen von Phylloxera zum Resultat gekommen, dass der Gene- rationszyklus durch äußere Bedingungen modifiziert werden. könne. „Unsere Experimente, sagt er, zeigen, dass durch Abänderung einiger spezieller Bedingungen (je nachdem man amerikanische oder euro- päische Reben als Futterboden benutzt, oder ein einziges Insekt oder sehr viele in einem beschränkten Raum aufzieht) Formen, welche sich zu parthenogenetischen flügellosen Tieren entwickelt haben würden, anstatt dessen geflügelte Sexupare werden sei es weibchenerzeugende oder männchenerzeugende oder umgekehrt.“ Gleichzeitig betont er aber, dass die Möglichkeit, sich nach ver- schiedenen Richtungen zu entwickeln, sich nur zu gewissen Zeiten offenbare, ım Sommer oder in der ersten Hälfte des Herbsts. Weder im Spätherbst noch im Frühjahr sei es ihm geglückt, durch Ver- änderung der Lebensbedingungen geflügelte Formen oder Nymphen zu erzielen, sondern immer nur parthenogenetische flügellose Formen. Einfacher und klarer als bei den Phytophthiren liegen die Ver- hältnisse bei den Daphniden. Für diese glaubte Weismann durch ausgedehnte Zuchtversuche festgestellt zu haben, dass für jede Art ein bestimmter, vollkommen fixierter und von äußeren Bedingungen unabhängiger Generationszyklus existiere, dass je nach den Arten mehr oder weniger parthenogenetische Generationen auf- einander folgen müssen, ehe eine Geschlechtsgeneration einträte. Bei den monozyklischen Formen wird die Parthenogenese nur ein- mal im Jahr durch die Geschlechtsperiode unterbrochen, bei den dizyklischen zweimal, bei den polyzyklischen mehrmals. Dieser ver- schiedenartige Generationszyklus sei durch Wirkung der natürlichen Auslese entstanden und allmählich festgelegt worden. Im Gegen- satz zu dieser Lehre haben andere Forscher die Bedeutung äußerer Existenzbedingungen betont, so Kerherve und Issaköwitsch. Besonders glaubte Issaköwitsch, welcher im zoologischen Institut München arbeitete, nachweisen zu können, dass bei der Daphnide Simocephalus vetulus der Eintritt der geschlechtlichen Fortpflanzung durch Kälte, die Fortdauer der Parthenogenese durch erhöhte Tem- peraturen herbeigeführt werde, dass eine zyklische Fortpflanzungs- weise im Sinne Weismann’s bei den Daphniden nicht existiere. Die Wirkung der Temperaturen erklärte er auf indirektem Wege; es werde die Ernährung durch Kälte herabgesetzt, durch Wärme befördert; das eigentlich Wirksame sei die verschiedene Ernährung. Ich bin mit dieser Auffassungsweise Issaköwitsch’s nicht ganz einverstanden gewesen, einerseits indem ich einen unmittelbaren Einfluss der Temperatur für wahrscheinlicher erklärte, andererseits Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 2) insofern ich es nicht für richtig hielt, im Vergleich zur Temperatur- wirkung die inneren Faktoren, auf welche Weismann den Nach- druck gelegt hatte, ganz zu vernachlässigen. Meine eigene Auffassung, an der ich auch jetzt noch festhalte, habe ich in einem Vortrag auf der Breslauer Versammlung der deutschen zoologischen Gesell- schaft formuliert. Ich betonte, dass es sich bei den von Issakö- witsch angestellten Experimenten „keinenfalls um eine reine Tem- peratur- oder Hungerwirkung handle, sondern dass auch die Beschaffenheit des Geschlechtsapparats ein Wort mitspreche.“ Fort- gesetzte Parthenogenese führe schon als solche in der Beschaffenheit der Tiere zu Veränderungen, welche die Entwickelung der Geschlechts- generation veranlassen. „Diese Umformung der Zellen könne durch einen entgegengesetzt wirkenden Faktor, wie die Wärme, vielleicht dauernd zurückgedrängt werden.“ Geselle sich dagegen zu ihr noch die gleichgesinnte Wirkung niedriger Temperatur, so werde die Bildung männlicher Eier beschleunigt. Dass nun außer männlichen (d.h. Männchen erzeugenden) Eiern auch noch die stets Weibchen erzeugenden Wintereier gebildet werden, suchte ich daraus zu er- klären, dass es verschiedene Grade der Veränderung in den Eı- nährungsbedingungen des Eierstocks gäbe. Wenn die Verände- rungen relativ geringfügig seien, so bilden sich die Männchen erzeugenden im Durchschnitt kleineren Eier. Wenn dagegen die Veränderungen noch eine weitere Steigerung erführen, so wäre die Folge, dass ganze Eigruppen im Ovar zugrunde gingen. Indem die- selben zur Ernährung einiger, erhalten gebliebener, zur Entwickelung gelangender Eier dienten, würden letztere nunmehr wieder weibliche Beschaffenheit gewinnen. Diese Auffassung schließt die Annahme in sich, dass Eier, welche eine Tendenz zu arrhenotoker Entwicke- lung gewonnen haben, durch äußere Einflüsse — in vorliegendem Fall bessere Ernährung innerhalb des Ovars — zu Weibchen er- zeugenden Dauereiern umgeprägt werden können. Ich suchte damals die Veränderung der parthenogenetischen Subitaneier zu männlichen und im weiteren Verlauf zu Wintereiern aus Veränderungen der Kernplasmarelation zu erklären, eine Erklärung, auf deren Berech- tigung ich hier zunächst nicht eingehen möchte. Gegenüber der extremen Auffassung Issaköwitsch’s traten Keilhack, Strohl und Kuttner für die Weismann’sche Lehre ein, dass der Entwickelungszyklus der Daphniden von äußeren Faktoren unabhängig sei und ausschließlich durch innere Faktoren bestimmt werde. Diese Widersprüche veranlassten ausgedehnte Untersuchungen, welche einesteils von Woltereck und seinen Schülern vor allem v. Scharfenberg angestellt wurden, anderer- seits von Papanikolau ım zoologischen Institut zu München. Dieselben haben zu erfreulich übereinstimmenden Resultaten geführt, welche im wesentlichen die von mir auf Grund der Arbeit Issakö- 30) Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. witsch’s vertretene Auffassung bestätigen. Es hat sich herausgestellt, dass sowohl innere Faktoren, wie Weismann lehrte, als auch äußere Faktoren bei der Geschlechtsbestimmung eine große Rolle spielen; die ersten geben gleichsam den Grundton der Entwickelung an, welche durch äußere Einflüsse variiert werden kann. Frisch aus dem Ephip- pium ausgeschlüpfte Daphniden haben untergewöhnlichen Bedingungen eine so starke Tendenz zur Parthenogenesis, dass es weder durch Kälte noch durch Hunger möglich ist, die bisexuelle Fortpflanzung (Woltereck) oder Gamogenesis (Papanikolau) auszulösen. Erst allmählich, bei einigen Arten später, bei anderen früher, ändert sich der Zustand der Tiere, so dass eine Beeinflussung durch äußere Faktoren möglich ist. Dieser Zustand wird von den Autoren „der labile Zustand“ genannt. Dabei stellt es sich heraus, dass Kälte und Hunger den Eintritt der Gamogenesis begünstigen, Wärme und reichliche Fütterung ihn hinausschieben. Woltereck ist es sogar geglückt, einige Daphnienarten Jahrelang zu züchten, ohne dass es zur Bildung von Wintereiern gekommen wäre !). Was an den Untersuchungen v. Scharfenberg’s und Papa- nik olau’s weiterhin völlig neu und von besonderem Interesse ist, ist der Nachweis, dass der Eintritt der labilen Periode, in welcher 7er Charakter der Eizellen beeinflusst werden kann, in doppelter Weise be- dingt ist, 1. durch die Zahl der aufeinanderfolgenden Generationen, welche aus einem Ephippialei gezüchtet werden, 2. durch die Zahl der Gelege, welche von einem und demselben Weibchen geliefert werden. Die Lebensdauer eines Daphnidenweibchens erstreckt sich nämlich über mehrere Monate. In dieser Zeit produziert es viele Gelege, bei Simocephalıs ca. 15, welche in Zwischenräumen von einigen Tagen gelegt werden, emaln in kürzeren, später in längeren Intervallen. Tiere, welche aus einem der ersten Gelege stammen (proterogenotoke Tiere Papanikolau’s), haben eine stärkere parthenogenetische Tendenz als Tiere späterer Gelege (meso- und 4) Hierbei hat sich ein Unterschied zwischen den Untersuchungen v. Scharfen- berg’s und Papanikolau’s ergeben. v.Scharfenberg, welcher fast ausschließ- lich Modifikationen in der Ernährung bei seinen Untersuchungen benutzte, fand bei Daphnia magna, dass nur die Bildung der Wintereier durch äußere Faktoren beein- flusst werde, nicht die Bildung der Männchen. Das Erscheinen der letzteren sei regellos; sie können schon frühzeitig in der Generationsfolge auftreten. Papanikolau dagegen, welcher vorwiegend den Einfluss der Temperatur untersuchte, kam zum Resultat, dass Simocephalus und Moina lange Zeit über nur parthenogenetische Weibchen liefern. Wenn Männchen auftreten, sei es unter normalen Kultur- bedingungen, sei es unter dem Einfluss von Kälte, so geschieht es ungefähr gleich- zeitig mit dem Auftreten von Wintereiern oder doch nur wenig früher. Woltereck steht mit Papanikolau auf gleichem Standpunkt; er stellt zwei Kategorien von Eiern einander gegenüber, unisexuelle oder parthenogenetische und bisexuelle, welche entweder Männchen oder Ephippien liefern. Zwischen den Anlagen zu bisexuellen Weibehen und männlichen Eiern soll eine Verkoppelung existieren, so dass sie ge- meinsam auf äußere und innere Ursachen reagieren, Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. Bu metagenotoke Tiere). In analoger Weise unterscheiden sich Tiere früherer Generationen (proterogene Tiere Papanikolau’s) von Tieren späterer Generationen (metagenen Tieren). Man kann daher von einem Altern der Daphniden und einer dadurch bedingten Ver- änderung in der Konstitution ihrer Eier in doppeltem Sinn reden. Im Lauf der Monate altert sowohl die einzelne Daphnide als auch die aus einem Ephippium gezüchtete Generationsfolge. Die mit diesen beiden Formen des Alterns verbundenen Veränderungen kombinieren sich und bedingen gemeinsam den Eintritt der bisexuellen Fortpflan- zung, welche somit in einer späteren Generation schon bei einem früheren Gelege eintritt, in einer früheren Generation erst bei einem späteren Gelege. Daher ist es bei den ersten Gelegen der ersten Gene- rationen weder Woltereckund Scharfenberg, noch Papanikolau geglückt, eine sexuelle Umstimmung zu erzielen. Woltereck schließt hieraus, es sei auf diesem Stadium überhaupt unmöglich, eine Um- stimmung herbeizuführen, während Papanıkolau der Ansicht ist, es möchte bei geeignetem Experimentieren vielleicht doch gelingen; er habe bei seinen Versuchen den Fehler begangen, die Kälte zu plötzlich einwirken zu lassen, was schädigend wirke. Vielleicht könne man durch allmähliche Einwirkung günstigere Resultate erzielen. Dass die sexuelle Disposition der Daphniden auf sehr frühen Zuständen durch Temperatur beeinflusst werden kann, hat übrigens W oltereck selbst wahrscheinlich gemacht; indem er Ephippien bei 23° C, züchtete, fand er, dass Bisexualität in der ersten Generation der Kultur eintrat. Diese Erfahrung hat noch ein weiteres Interesse, da sie erkennen lässt, dass die Temperatur eine ganz verschiedene Einwirkung ausübt, je nach dem Zeitpunkt, auf welchem sie zur Anwendung gelangt. Denn während erhöhte Temperatur in der postephippialen Zeit Parthenogenese begünstigt, wirkt sie auf das Ephippium im gegenteiligen Sinne. Fassen wir die Resultate der mitgeteilten Experimente und Zuchtversuche zusammen, so können wir folgende Sätze aufstellen. 1. Fortgesetzte parthenogenetische Fortpflanzung verändert ım Lauf mehrerer Generationen die Beschaffenheit der Daphniden. Infolge davon werden die parthenogenetischen, Weibchen erzeugenden Eier durch Männchen erzeugende Eier ersetzt, im weiteren Ver- lauf durch Eier, welche mit anderen degenerierenden Eiern ver- schmelzen und so zu befruchtungsbedürftigen, Weibchen erzeugenden Wintereiern werden. 2. Niedere Temperatur und Futtermangel begünstigt diesen Umwandlungsprozess. 3. Befruchtung, Wärme, gute Fütterung wirken ihm entgegen. Papanikolau hat nun weitere Merkmale herangezogen, welche, beweisen, dass auch abgesehen von den Sexualitätsverhältnissen, Veränderungen in der Daphnidenorganisation durch innere und äußere 39 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. Einflüsse hervorgerufen werden. Mit der Zahl der verschiedenen Gelege und der aufeinander folgenden Generationen nimmt die Größe der Eier zu. Dagegen nimmt die Zahl der zu einem Gelege ge- hörigen Eier ab. Auch die Intervalle zwischen zwei Eiablagen werden von Gelege zu Gelege, von Generation zu Generation länger. Weiterhin verändert sich die Wachstumsenergie; dieselbe ver- mindert sich im Lauf der Kultur und zwar abermals sowohl von (relege zu Gelege, wie von Generation zu Generation. So kommt es, dass die fortpflanzungsfähigen Tiere immer kleiner werden, ob- wohl doch die Eier, aus denen sie stammen, eine Größenzunahme erfahren hatten. Am auffälligsten ist die Abnahnıe der Körpergröße bei den Männchen der Daphniden. Die Größenzunahme, welche sich im Verlauf der Kultur für die Eizellen herausgestellt hat, scheint auch für die übrigen Körperzellen zu gelten. Papanikolau konnte das für die Darmepithelzellen nachweisen, welche bei den Tieren späterer Gelege und späterer Generationen eine bedeutendere Größe besitzen, während doch die Körpergröße der entsprechenden Tiere sich um- gekehrt verhält. Mit der Größenzunahme der Zellen geht Hand in Hand eine Vergrößerung und Chromatinanreicherung der Kerne. In gleichem Sinn wie das zunehmende Alter scheint Herabsetzung der Temperatur zu wirken. Namentlich zeichnen sich die Wärmetiere durch Kleinzelligkeit aus. Schließlich ist noch für Moina rectirostris eine zunehmende Verfärbung der Eier hervorzuheben, welche zur Zeit der unisexuellen Fortpflanzung violett sind und später allmählich ein schmutziges Blau annehmen *). Es ist nun die Frage aufgeworfen worden, ob außer den ge- nannten noch anderweitige äußere Einwirkungen befähigt sind, (samogenesis hervorzurufen. Langerhans hat sich bemüht, zu 5) Im Anschluss an die Verhältnisse der Daphniden erwähne ich die vielfach bei der Diskussion des Geschlechtsproblems erörterten Zustände von Dinophilus apatris. Dieser Wurm hat sehr kleine Eier, aus denen sich Männchen, und sehr große dotterreiche Eier, aus denen sich Weibchen entwickeln. Wenn man Kälte anwendet, verändert sich das Sexualverhältnis zugunsten der Männchen, bei Wärme zugunsten der Weibchen. Dieses Resultat hat etwas Überraschendes, wenn man berücksichtigt, dass bei Daphniden die Temperaturen, soweit es sich um die par- thenogenetischen Eier handelt, im entgegengesetzten Sinne wirken. Der Wider- spruch ist jedoch nur ein scheinbarer; er klärt sich auf, wenn man berücksichtigt, dass die Weibchen liefernden Eier des Dinophilus ihre Größe dem Umstand verdanken, dass viele Eikeime zu einem großen dotterreichen Ei verschmelzen. Die weiblichen Eier des Dinophilus sind somit den Wintereiern der Daphniden zu vergleichen, dagegen nicht den Weibchen erzeugenden parthenogenetischen Eiern dieser Tiere. Bei dieser Vergleichsweise ergibt sich Übereinstimmung in der Art der Temperatur- wirkung zwischen Dinophilus und den Daphniden, indem auch bei diesen die Wintereier bei Kältewirkung im allgemeinen später entstehen als die Männchen liefernden parthenogenetischen Eier. Es fehlen eben bei Dinophilus die partheno- genetischen Weibchen liefernden Eier (vgl. übrigens oben die anderweitige Erklärung der Befunde, welche Shearer (S. 16) gegeben hat). Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 35 zeigen, dass chemische Veränderungen des Wassers, wie sie durch den Lebensprozess der Daphniden hervorgerufen werden, vor allem Anreicherung des Wassers durch Exkretstoffe einen sehr wirksamen Faktor bilden. Sicherheit hierüber scheint mir nicht erzielt zu sein, was auch die Ansicht Papanikolau’s und Woltereck’s ist; immerhin verdient die Frage weitere Beachtung, um so mehr, als sich in der Neuzeit die Angaben häufen, dass chemische Einflüsse auch sonst bei der Auslösung der Gamogenesis eine wichtige Rolle spielen. Ich nenne hier die sich auf Protozoen beziehenden Angaben des italienischen Forschers Enriquez, vor allem aber die in sehr aus- führlicher Darstellung vorliegenden Untersuchungen Shull’s über das Rädertier Hydatina senta. Hydatina senta wurde früher schon und zwar zuerst von Mau- pas, später von Nussbaum, Whitney, Punnett u.a. zum Gegen- stand experimenteller Forschung gemacht. Die dabei gewonnenen Resultate lauten sehr widersprechend. Nach Maupas soll Gamo- genesis durch Wärme, nach Nussbaum durch schlechte Ernährung veranlasst werden. Punnett widerspricht beiden und stellt, ähn- lich wie es Weismann für Daphniden getan hat, die Einwirkung äußerer Faktoren überhaupt in Abrede; er züchtete verschiedene Stämme von Hydatina durch viele Generationen und fand, dass manche Stämme den parthenogenetischen Charakter beibehielten, dass andere dadurch ausgezeichnet waren, dass sie ab und zu spärliche oder fast in jeder Generation eine größere Zahl arrhenotoke Weib- chen produzierten. Wandte Punnett Wärme an, so entstanden zwar kleine Eier, welche in dieser Hinsicht wie Männchen erzeugende Eier aussahen, tatsächlich aber Weibchen lieferten; wurde die Nah- rung eingeschränkt, so wurde die Zahl der zur Ablage gelangenden Eier geringer, ohne dass der der Kultur eigentümliche Charakter eine Veränderung erfahren hätte. Zu diesen Kulturen Punnett’s möchte ich zweierlei bemerken. Erstens empfiehlt es sich, den Ausdruck arrhenotoke Weibchen fallen zu lassen und wie bei den Phytophthiren von Sexuparae zu sprechen. Denn alle Unter- sucher stimmen darin überein, dass dıe Männchen liefernden Eier und die — ausschließlich Weibchen erzeugenden — Wintereier von Hydatina in ihrer ersten Anlage die gleiche Beschaffenheit besitzen. Ob die betreffenden Eier die eine oder die andere Entwickelung einschlagen, hängt von der Begattung ab Bleibt das sexupare Weibchen unbegattet, so erzeugt es nur Männchen; wird es dagegen kurz nach dem Ausschlüpfen aus dem Ei befruchtet, so entwickelt es die größeren dickschaligen Dauereier. Der zweite Punkt, den ich hervorheben möchte, bezieht sich auf die Art der Kulturführung. Es ist sehr zu bedauern, dass Punnett seine Kulturen nicht aus Wintereiern herangezogen hat. Daher lässt sich nicht entnehmen, ob die bei den einzelnen Stämmen XXXI. 3 34 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. erzielten Unterschiede nicht durch Unterschiede im Generations- alter bedingt sind. Es könnte auch bei den Rotatorien wie bei den Daphniden im Lauf der Generationsfolge und der Gelege der Charakter der Kolonie sich allmählich verändern und eine ge- steigerte Neigung zur Gamogenese sich entwickeln. Wir hätten dann zu erwarten, dass die ersten Generationen der Kultur mit Zähigkeit an der parthenogenetischen Fortpflanzung festhalten, so dass äußere Einwirkungen keine Veränderung des Sexualcharakters ermöglichen; erst allmählich würde sıch der labile, beeinflussbare Zustand der Kultur entwickeln. Wärme als ein der Partheno- genese günstiger Faktor, würde dann keine auffällige Verände- rung an der Kultur herbeiführen, wohl aber herabgesetzte Tem- peratur und voraussichtlich auch Hungereinwirkung. Dass Punnett mit schlechter Ernährung keine Resultate außer verminderte Frucht- barkeit erzielte, ıst wohl nur eine Folge, dass die veränderte Er- nährung nicht im geeigneten Moment einsetzte. Die neuesten Untersuchungen über Geschlechtsbeeinflussung bei H. senta verdanken wir dem Amerikaner Shull. Dieselben stützen sich auf ein ganz enormes Material. Weibchen, welche, soweit sich aus den Angaben entnehmen lässt, erst kürzlich aus Wintereiern ausgeschlüpft waren, wurden als eine Stammkultur 81 Generationen lang gezüchtet; als Ausgangspunkt für jede nächstfolgende Gene- ration wurde womöglich ein erstgeborenes Weibchen benutzt, welches bei Daphniden sich, wie wir gesehen haben, durch eine hochgradige parthenogenetische Tendenz auszeichnet. Gleichwohl traten schon in der ersten rein weiblichen Generation zahlreiche sexupare Weibchen auf. Ihre Zahl nahm gelegentlich ab, dann wieder zu u.s.f. Um dies einigermaßen klar zu machen, habe ich die Re- sultate für die 1., 2., 3. und 4. Gruppe von je 20 Generationen zusammengestellt. Summen der sexuparen und parthenogenetischen Weibchen der Generationen. 1—20 482 : 434 21—40 73: 780 41—60 262 : 534 61—80 171: 500. Diese Zusammenstellung lässt erkennen, dass die Zahl der sexuparen Weibchen in den erst frisch vom Winterei abstammenden Generationen größer ist als in irgendeinem späteren Zeitpunkt des Entwickelungszyklus, im vorliegenden Fall sogar größer als die Zahl der parthenogenetischen Weibchen. Das ist ein Resultat, welches gar nicht zu der herrschenden Auffassung vom Generations- zyklus der Retatorien passt und im Widerspruch steht mit den Ergebnissen, welche an anderen zyklisch sich fortpflanzenden Tieren, Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 3) vor allem den Daphniden gewonnen wurde. Das Gleiche gilt von einem anderen Züchtungsresultat, zu welchem Shull gelangt ist, dass, wenn man von Geschwistern einer und derselben Generation das erste und das letzte zur Aufzucht verwendet, jenes mehr sexu- pare Individuen liefert, als dieses, während doch bei Daphniden gerade die letzten Gelege eine gesteigerte Tendenz zur Sexualität besitzen. Weitere Kulturversuche müssen erst Klarheit schaffen, ob bei dem von Shull benutzten Material eine durch außergewöhn- liche Verhältnisse bedingte Ausnahme von der Regel vorliegt, oder ob die Rotatorien sich in der Tat anders verhalten wie die Clado- ceren und Phytophthiren. Auch muss festgestellt werden, auf welchem Stadium des Generationszyklus es zur Entwickelung rein parthenogenetischer Reihen kommt, wie sie doch wiederholt schon von anderen Forschern beobachtet worden sind. Shull erklärt seine Befunde, indem er dem bisher so hoch bewerteten Einfluss, welchen innere Faktoren auf den Verlauf des Generationszyklus haben, so gut wie keine Bedeutung beimisst. Maßgebend sei die chemische Beschaffenheit des Wassers, welche im Lauf einer Kultur sich immer mehr durch Anreicherung mit Exkretstoffen verändere. Die veränderte Beschaffenheit des Wassers soll nicht, wie von anderer Seite vermutet wurde, die Gamogenesis, sondern die Parthenogenese begünstigen. Shull führt zur Stütze seiner Ansicht eine große Zahl von Versuchen an, bei denen er abfiltriertes Wasser alter Kulturen zu Zuchtzwecken benutzte. Die Versuche wurden so angestellt, dass von nahe verwandten par- thenogenetischen Weibchen derselben Generation, womöglich Ge- schwistern, das eine in Quellwasser, das andere im Wasser älterer Kulturen aufgezogen wurde; es stellte sich heraus, dass bei der Aufzucht in altem Kulturwasser die Zahl der Sexuparen bis auf 0 eingeschränkt werden konnte. Auch dieses Ergebnis ist genau das Gegenteil von dem, was für andere Tiergruppen behauptet wird. In der Neuzeit hat Enriquez die Fortpflanzungsverhältnisse der Protozoen untersucht, bei denen in ähnlicher Weise, wie bei Rotatorien der Übergang von Parthenogenesis zur Gamogenesis, so der Übergang von vegetativer Vermehrung zur Befruchtung her- beigeführt wird. Enriquez kommt zum Resultat, dass durch An- häufung von Exkretstoffen und durch mancherlei chemische Ein- flüsse die Befruchtungsvorgänge der Protozoen ausgelöst würden. In einer zweiten Arbeit hat Shull seine Untersuchungen über chemische Einflüsse erweitert und weitere Untersuchungen über thermische Einflüsse mitgeteilt. Er fand, dass ein Dekokt von Pferdemist, ferner alkalische Substanzen wie Harnstoff, Ammoniak- salzen, Lösungen von Fleischextrakt und Kreatin die Zahl der Sexu- paren herabsetzen. Eine Steigerung derselben trat dagegen ein, wenn niedere Temperaturen (bis 10° ©.) angewandt wurden. Letzteres 2% [9] 36 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. würde mit den bei anderen Tieren gewonnenen Resultaten überein- stimmen. Von besonderem Interesse sind schließlich noch die Kreu- zungsversuche. Shull kultivierte zwei von ganz verschiedenen Orten stammende Hydatinen in reinen Linien und stellte für jede das Verhältnis der parthenogenetischen zu den sexuparen Formen fest. Wenn er dann eine Kreuzung zwischen Individuen der beiden reinen Linien ausführte, trat jedesmal eine Veränderung des Sexualverhält- nisses ein und zwar in der Art, dass die Zahl der Sexuparen eine ganz erhebliche und andauernde Steigerung erfuhr. In einem Fall war das Prozentverhältnis der Sexuparen in einer reinen Linie (a) 1,6°/,, in der zweiten (b) 6,6°/,, in der parallel unter sonst gleichen Bedingungen geführten Kreuzungskultur (c) 22,1°/,. Für drei andere Parallelkulturen waren die Verhältniszahlen: a119,8, bh! 23,0. 762239013, a? 17,5, b? 18,9, ce 27,69], a2.18,8, Ib? 15,9, Peso. Wir hätten nun die bei Daphniden und Rotatorien ge- wonnenen Resultate einer Beurteilung vom Standpunkt der Chromo- somenlehre zu unterwerfen. Wenn auch vieles besonders bei den Rotatorien kontrovers und unverständlich ist, so ist doch die Übereinstimmung mit dem Generationszyklus der Aphiden eine so weitgehende, dass man. alle Ursache hat, sich zu fragen, ob nicht ähnliche Veränderungen der ÜOhromosomen, wie sie von Aphiden bekannt sind, auch hier wiederkehren. Leider lassen uns die Beobachtungen im Stich, was um so mehr zu bedauern ist, als noch eine zweite auf einer anderen Anologie basierende zellulare Erklärung der Erscheinung aufgestellt worden ist. Die- selbe stammt von Doncaster und wurde auch von Castle ver- treten. Die Analogie, welche herangezogen wird, ist durch die Fortpflanzungsverhältnisse der Hymenopteren gegeben. Die so viel erörterten äußerst interessanten Tatsachen, welche hier ın Betracht kommen, sind folgende. Bei allen Hymenopteren ist Parthenogenesis weit verbreitet, am verbreitesten bei den Blatt- wespen. Bei diesen können viele parthenogenetische Generationen, bei denen somit unbefruchtete Eier immer wieder Weibchen liefern, aufeinander folgen, ehe Männchen auftreten und dadurch Gamogenesis ermöglicht wird. Das befruchtete Eı liefert stets Weibchen mit stark parthenogenetischer Tendenz und inauguriert somit eine lange Serie weiblicher Generationen. Durch Abkürzung des partheno- genetischen Zyklus und demgemäß Herabsetzung der partheno- genetischen Tendenz des befruchteten Eies unterscheiden sich die Gallwespen, die gallikolen Hymenoptern, von den Blattwespen. Aus den befruchteten Eiern dieser Tiere schlüpfen „agame* Weibchen; diese liefern auf parthenogenetischem Weg arrhenotoke und thelytoke Eier, demgemäß Männchen und Weibchen, welche kopulieren und Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 37 so wieder das befruchtete Eı erzeugen. Eine weitere Einschränkung der Parthenogenesis ist bekanntlich für Staaten bildende Hyme- nopteren Bienen, Wespen und Ameisen nachgewiesen. Par- thenogenetische Eier entwickeln sich bei ihnen, mögen sie von Arbeiterinnen oder Königinnen gelegt werden, stets zu Männchen, befruchtete Eier dagegen zu Weibchen. Nur bei Ameisen kann es wohl als erwiesen gelten, dass unbefruchtete Eier geschlechtlich heranreifender Arbeiterinnen gelegentlich Arbeiterinnen, also Weib- chen liefern. Ob sich in manchen Fällen aus befruchteten Eiern der Bienen auch einmal Drohnen entwickeln können, wie man aus einigen Vererbungserscheinungen erschlossen hat, lasse ich dahin- gestellt. Wäre es der Fall, so würde die Einschränkung der ge- schlechtsbestimmenden Bedeutung der Parthenogenese, welche sich bei den Hymenopteren Schritt für Schritt verfolgen lässt, bei den Bienen noch weitere Fortschritte gemacht haben. Für die zytologische Beurteilung der hier zusammengestellten Tatsachen liegen mancherlei wichtige Beobachtungen vor. Bei Bienen und Wespen sind die Reifungsteilungen der Spermatozoen genau untersucht. Bei der ersten Reifeteilung unterbleibt die Teilung der Äquatorialplatte und somit des Kerns; es wird als erster Richtungskörper nur ein Stückchen Protoplasma abgeschnürt. Bei der zweiten Reifeteilung beteiligt sich der Kern; aber es entstehen ähnlich wie wir es bei Aphiden kennen gelernt haben, zweierlei Spermatiden, größere und kleinere, von denen die letzteren zu- srunde gehen. Man kann das so deuten, dass es Männchen und Weibchen erzeugende Spermatiden gibt und dass nur letztere am Leben bleiben, so dass befruchtete Eier nur Weibchen liefern können. Es wäre nun denkbar, dass gelegentlich einmal auch Männchen er- zeugende Spermatozoen erhalten blieben. Dies würde erklären, dass Männchen aus befruchteten Eiern hervorgehen, womit sich die Mög- lichkeit ergeben würde, dass auch Drohnen bei Kreuzung verschiedener Rassen ausnahmsweis einmal Bastardcharaktere besitzen können. Wie kommt es nun, dass unbefruchtete Eier sich zu Drohnen entwickeln? Es scheint jetzt festzustehen, dass Drohneneier wie die Weibcheneier ın normaler Weise zwei Richtungskörper abschnüren und somit die übliche Reduktion der Ohromosomenzahl erfahren. Die Drohnen unterscheiden sich somit von den Königinnen und Arbeite- rinnen dadurch, dass sie die halbe Zahl der Chromosomen besitzen. Hierin erblicken Castle und Doncaster die Ursache der Geschlechts- bestimmung. Die zytologische Formel der Geschlechtsbestimmung für Bienen und ‚wahrscheinlich auch für Wespen würde somit lauten: Eier, welche nur das mütterliche Chromosomensortiment enthalten, sind zu Männchen prädestiniert; Eier mit mütterlichem und väterlichem Chromosomensortiment werden zu Weibchen. Viel- leicht ist es richtiger zu sagen: Eier mit doppeltem Chromosomen- 38 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. sortiment; denn dann würde auch den Fällen Rechnung getragen, in denen Arbeiterinnen von Ameisen, also unbefruchtete Weibchen, Arbeiterinnen erzeugen, wenn wir die weitere Annahme machen, dass hier nur ein Richtungskörper gebildet wird und demgemäß die Reduktion der Chromosomen unterbleibt. Die hier entwickelte Auffassung findet eine wichtige Stütze in den Untersuchungen Doncaster’s über die Blattwespen und die Gallwespe Neuroterus lenticularis. Ich beschränke mich in meiner Darstellung auf letztere. Aus den befruchteten Eiern von Neuroterus lentieularis entwickeln sich ausschließlich Weibchen, die sich partheno- genetisch fortpflanzen. Obwohl dieselben nach äußeren Merkmalen zunächst nicht unterschieden werden können, sind sie doch zweierlei Art, die einen erzeugen abermals Weibchen, die anderen Männchen. Die Unterschiede zwischen beiden prägen sich zum erstenmal während der Eireife aus; die Weibcheneier sind dadurch ausgezeichnet, dass ihr Kern frühzeitig in die Tiefe rückt; daher schnüren sie keinen Richtungskörper ab und behalten die volle Chromosomenzahl 20 bei; die Männcheneier bewahren die oberflächliche Lage des Kerns; sie erfahren beide Reifeteilungen und entwickeln sich somit ähn- lich den unbefruchteten Bieneneiern mit der halben Chromosomen- zahl, nämlich 10. In der Bildung der beiden Richtungskörper stimmen die Männcheneier mit den befruchtungsbedürftigen Eiern der Sommergeneration überein. Doncaster hat auch die Spermatogenese untersucht. Wie bei Bienen und Wespen wird bei der ersten Reifeteilung ein kern- loser Richtungskörper abgeschnürt, nach der zweiten Reifeteilung entwickeln sich beide Spermatiden zu Spermatozoen. Wahrschein- lich sind dieselben verschiedener Natur — Doncaster beschreibt auch ein rätselhaftes Körperchen, welches neben der Reifungsspindel liegt und nur in eine der beiden Spermatiden gerät —; die einen Sper- matozoen würden dann die Hälfte der Eier zu Männchenerzeugern stem- peln, die anderen die zweite Hälfte der Eier zu Weibchenerzeugern. Wir hätten hier somit einen zweiten Modus der zytologischen Geschlechtsbestimmung gegeben, einen Modus, bei dem die Männchen- eier sich von den Weibcheneiern nicht nur durch den Mangel eines x-Ohromosoms, sondern eines ganzen Chromosomensortiments unter- scheiden. Es fragt sich nun, welchem der beiden Modi folgen Daphniden und Rotatorien? dem für die Mehrzahl der Insekten geltenden oder dem für Hymenopteren erwiesenen? Castle nimmt den Hymenopteren-Typus an; er kann sich hierbei auch auf die Be- obachtung berufen, welche v. Erlanger und später Whitney an Rotatorien gemacht haben. Bei Rotatorien besitzen die par- thenogenetischen Eier nur 1 Richtungskörper, wenn sie sich zu Weibchen entwickeln; die Männcheneier dagegen erfahren wie bei Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 30 den Hymenopteren eine doppelte Richtungskörperbildung und gleichen somit trotz ihrer parthenogenetischen Entwickelung den Dauereiern. Für die Daphniden sind die einschlägigen Ver- hältnisse noch unbekannt. Wir wissen hier nur, dass die par- thenogenetischen Eier nur einen Richtungskörper bilden; ob von dieser Regel die Männcheneier eine Ausnahme darstellen und keine Reifeteilungen erfahren, ist unbekannt. Die Untersuchungs- bedingungen sind hier äußerst ungünstig. Abgesehen von etwas geringerer Größe und manchmal auch etwas abweichender Färbung (Moina) sind die Männcheneier von den Weibcheneiern nicht zu unterscheiden. Auch ist ihre Zahl sehr viel geringer, so dass man bei der Untersuchung die Chancen hat, auf viele Weibcheneier zu stoßen, ehe man einem Männchenei begegnet. Dazu kommt, dass die Männcheneier nicht auf bestimmte Weibchen beschränkt sind, sondern eingestreut zwischen Weibcheneiern vorkommen. Wir stehen hier vor einer Reihe unentschiedener Fragen, welche der zukünftigen Forschung ein reiches Feld eröffnen. Zunächst gälte es zu entscheiden, ob die Untersuchungen Doncaster’s über Hymenopteren uns ein erschöpfendes Bild geben von den zyto- logischen, die Geschlechtsdifferenzierung begleitenden und sie offen- bar auch bedingenden Vorgängen. Es würde damit klar gelegt werden, dass neben dem an erster Stelle betrachteten, durch zahl- reiche Untersuchungen außer Zweifel gestellten Typus der Ge- schlechtsbestimmung, welchen wir den Heterochromosomentypus nennen können, noch ein zweiter Typus existiert, für den ich vor- schlage, die Bezeichnung „Hymenopterentypus“ einzuführen, solange noch nicht festgestellt ist, was an ihm das Charakteristische ist und ob er nicht etwa eine Modifikation des Heterochromosomentypus ist. Interessant wäre es nun des Weiteren festzustellen, ob die Rotatorien und Daphniden dem einen oder dem anderen Typus sich einordnen oder vielleicht auch ihrerseits Besonderheiten besitzen. 11. Die Protozoen und das Sexualitätsproblem. Im Anschlussan die durch zyklische Fortpflanzung ausgezeichneten Metazoen möchte ich noch einige Worte über die Geschlechts- vorgänge bei Protozoen sagen. Wir haben bei denselben eben- falls zyklische Vorgänge, welche in vieler Hinsicht an den Gene- rationszyklus der Metazoen erinnern, nur dass die parthenogenetische Fortpflanzung durch vegetative F ortpflanzung (Teilung und Knospung) ersetzt ist. Wenn es auch noch nicht für alle Arten erwiesen ist, so genügen doch die vorliegenden Beobachtungen, um es als einen allgemein gültigen Satz aufzustellen, dass die vegetative Fortpflan- zung der Protozoen zeitweilig durch Befruchtungsprozesse, sogen. Konjugations- und Kopulationsepidemien unterbrochen wird. Die sich untereinander vereinigenden Tiere, die Gameten, sind vielfach 40) Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. untereinander gleich oder so wenig verschieden, dass man kein Recht hat, von geschlechtlicher Differenzierung zu sprechen (Isogamie). In anderen Fällen ist dagegen ein deutlicher Dimorphismus der Ge- schlechter, ein Unterschied von Makro- und Mikrogameten vorhanden (Anisogamie). Trotz aller gegenteiligen Behauptungen halte ich an der Auffassung fest, dass die Anisogamie sich allmählich aus der Iso- gamie entwickelt hat. Man findet daher die verschiedensten Formen der sexuellen Differenzierung vor. Auch der Zeitpunkt, in welchem der Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Tieren wäh- rend der Generationsfolge der Protozoen eintritt, ist sehr ver- schieden und variiert nach den einzelnen Klassen und Ordnungen, ja sogar den einzelnen Gattungen der Tiere, ähnlich wie wir es auch bei Nematoden und Phytophthiren kennen gelernt haben. Bei einigen Peritrichen wird die Differenzierung des männlichen und weiblichen Geschlechts durch eine bestimmte Teilung herbeigeführt. Enriques schildert von Opereularia coarctata, dass die vegetative Vermehrung: durch eine „sexuelle Teilung“ abgeschlossen wird, bei welcher ein Individuum in zwei ungleiche Stücke zerlegt wird, ein größeres Stück, den Makrogameten, und ein kleineres, welches sich aufs neue teilt und zwei Mikrogameten liefert. Noch ausgesprochener ist der Charakter der sexuellen Teilung nach den Untersuchungen Engelmann’s bei Vorticella microstoma. Während die Vorticellen sich gewöhnlich nach Art anderer Infusorien durch Teilung ver- mehren, schnürt sich beim Eintritt der Befruchtungsperiode von einem Muttertier, dem Makrogameten, eine kleine Knospe, der Mikro- gamet ab, welche herumschwärmt und mit einer anderen Vorticelle kopuliert. Bei koloniebildenden Peritrichen, bei Carchesium, Epistylis, besonders schön bei Zoothamnium tritt die geschlecht- liche Differenzierung innerhalb einer Kolonie ein, indem einige Individuen zu Makrogameten werden, andere dagegen durch zwei bis drei rasch aufeinander folgende Teilungen 4—8 Mikrogameten liefern. Hier wird somit die Konjugation von langer Hand vor- bereitet; allmählich entwickelt sich in einer Kolonie die ge- schlechtliche Differenzierung der Individuen. Ähnlich ist es auch bei den Volvocineen. Doch gibt es bei denselben außer herm- aphroditen noch getrennt geschlechtliche Kolonien. Bei den letz- teren muss man die sexuelle Differenzierung noch weiter zurück- verlegen und annehmen, dass die sogen. Parthenogonidie, aus deren Teilung die Volvoxkolonie stammt, trotz ihres indifferenten Aus- sehens schon sexuell vorausbestimmt ist. In ähnlicher Weise glauben Schaudinn, Hartmann, Prowazek und A. bei Cocecidien und Haemosporidien die sexuelle Differenzierung weit zurück- verfolgen zu können. Schon lange ehe es zu einer Kopulations- epidemie komme, sei es möglich, unter den in vegetativer Ver- mehrung (Schizogonie) begriffenen Tieren eine männliche und weibliche Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 1 Reihe zu unterscheiden, sogen. Makrogametocyten und Mikro- gametocyten. Es ergibt sich hieraus die Möglichkeit, dass der Unterschied männlicher und weiblicher Individuen zu allen Zeiten vorhanden ist, nur während der vegetativen Vermehrung im latenten Zustand, dass vielleicht schon im Moment der Befruchtung des „Ookineten* entschieden wäre, ob aus ihm Makrogametocyten oder Mikrogametocyten entstehen, eine Auffassung, die in Schaudinn ihren Verteidiger gefunden hat. Fragen wir nach den Einflüssen, welche die sexuelle Differen- zierung der Protozoen herbeiführen, so sind wie bei Daph- niden und Rotatorien zwei extreme Auffassungen möglich, von denen die eine die Veranlassung zu den Konjugationsepidemien in äußeren, die andere in inneren Faktoren sucht. Beide Auffassungen haben ihre Vertreter gefunden. Während aber bei den Metazoen die Mehrzahl der Forscher geneigt ist, die Ursachen in den zyklischen Veränderungen der inneren Faktoren zu suchen, herrscht bei den Protozoenforschern die Tendenz, das Hauptgewicht auf die äußeren Lebensbedingungen zu legen. Besonders ist es in der Neuzeit En- riques gewesen, welcher für Colpoda Steini die beim Eintrocknen des Wassers eintretende Erniedrigung des Wasserspiegels, für andere Infusorien Veränderungen in der chemischen Beschaffenheit des Wassers als Ursache der Konjugation bezeichnete. Innere Faktoren bei der ursächlichen Erklärung der Befruchtungs- prozesse der Protozoen gänzlich ausschließen zu wollen, halte ich für ein aussichtsloses Beginnen, welches mit den elementarsten Erfah- rungen der Protozoenforschung im Widerspruche steht. Diese lehren, dass Hungerkulturen Befruchtungsprozesse auslösen, bei Infusorien Konjugationen, bei anderen Protozoen Enzystierungen, welche nicht selten wie z. B. bei Actinosphaerium Eichhorni wit Befruchtung kombiniert sind. Das Verfahren ergibt jedoch nicht zu allen Zeiten günstige Resultate. Ich habe die Verhältnisse bei Aetinosphaerien und Dilepten durch jahrelange Kulturen auf das Genaueste verfolgt. Es wechseln hier Zeiten, in denen man mit Leichtigkeit Konjugationen, resp. Enzystierungen erhält, mit solchen, in denen man vollkommene Misserfolge hat, in denen die Tiere anstatt sich zu enzystieren oder zu konjugieren allmählich verhungern. Auch innerhalb einer und derselben Hungerkultur verhalten sich nicht alle Individuen gleich; es kann ein größerer oder geringerer Prozentsatz verhungern, ohne die zur Befruchtung notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Bei einer nahezu 2 Jahre lang dauernden Kultur eines und desselben Dileptusstammes war bei den ersten „Konjugationsepidemien“ der Prozentsatz der konjugierenden Tiere sehr gering; er steigerte sich bei späteren „Epidemien“ und erreichte nahezu 100°], bei einer Hungerkultur, welche kurz vor ihrem Erlöschen von der Haupt- kultur abgezweigt worden war. Um diese Zeit war die Konjugations- +2 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. tendenz so groß, dass selbst in der Futterkultur Paarungen auf- traten. Ähnliches galt von den Enzystierungen der Aetinosphaerien, nur dass hier dem Aussterben eine Periode vorausging, in welcher missglückende Enzystierungsversuche gemacht wurden, bis auch diese unterblieben. Man hat versucht, diese Verhältnisse so zu deuten, dass mit der Dauer der Kultur eine Anreicherung des Kulturwassers mit Exkretstoffen stattfände und dass diese chemische Veränderung Ur- sache des wechselnden Verhaltens der Protozoen sei. Die Erklärung stößt aber auf Schwierigkeiten, da bei den von mir geführten Kulturen das Wasser täglich erneuert wurde. Auch würde sie damit in Widerspruch stehen, dass zumeist die in neues Wasser zur Hunger- kultur übertragenen Tiere Träger der Befruchtungstendenz waren, nicht die ın der Futterkultur zurückgebliebenen, bei denen eine so vollkommene Erneuerung des Zuchtwassers wie bei jenen nicht möglich war. Gänzlich unverständlich würde es sein, dass die vorübergehend auftretende Tendenz zu Befruchtungsprozessen trotz gleichbleibender Kulturbedingungen auf Wochen und Monate hinaus wieder völlig verschwinden kann, dass ferner in einer und derselben Hungerkultur, also unter ganz gleichen äußeren Bedingungen ge- wisse Individuen sich enzystieren resp. konjugieren, während andere den Hungertod sterben. Auch der Zeitpunkt, auf welchem die Tiere einer und derselben Hungerkultur zur Konjugation oder Enzystierung schreiten, ist beachtenswert; derselbe tritt für manche Tiere sofort ein, bei anderen erst nach einigen Tagen, bei dritten sogar erst nach Wochen — wenigstens gilt dies für Actino- sphaerien —. Besonders das zuletzt hervorgehobene so mannig- faltıg abgestufte verschiedenartige Verhalten der Individuen einer und derselben Hungerkultur nötigt nach meiner Ansicht zur An- nahme, dass Besonderheiten ın der Konstitution der Protozoen, welche ım Lauf der Kultur auf- und absteigende Veränderungen erfahren, für den Eintritt der Befruchtungsvorgänge von unerläss- licher Bedeutung sind. Wir sind daher genötigt, Regulations- vorgänge im Organismus anzunehmen, welche allerdings von äußeren Bewirkungen beeinflußt werden. Ob den äußeren oder inneren Faktoren die größere Bedeutung beizumessen ist, wird immer nur von Fall zu Fall entschieden werden können. Wenn bei Einleitung einer Hungerkultur gewisse Actinosphaerien sich sehr bald en- zystieren, wird man bei der Erklärung ıhre Konstitution, wenn die Enzystierung erst nach Wochen eintritt, die äußeren Bedingungen in den Vordergrund zu stellen haben. Was ich bisher vorgebracht habe, lässt zunächst nur erkennen, dass der Eintritt der Geschlechtsperiode von der Konkurrenz äußerer und innerer Faktoren abhängt, lässt dagegen die Frage nach den geschlechtsbestimmenden Ursachen, die Frage, warum im einen Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 49 Fall Makrogameten, im anderen Fall Mikrogameten gebildet werden, unberührt. Auf dieselbe müssen wir nunmehr noch eingehen. Die Tatsache, dass bei anisogamen Protozoen unter gleichen äußeren Bedingungen sowohl männliche wie weibliche Gameten ent- stehen, würde zunächst dafür sprechen, dass die sexuelle Differen- zierung von äußeren Bedingungen unabhängig ist und nur durch innere Faktoren bedingt wird. Ich halte einen solchen Schluss nur dann für zulässig, wenn erwiesen wäre, dass bei allen durch äußere Bedingungen ausgelösten Befruchtungsvorgängen das gleiche Sexuali- tätsverhältnis resultieren würde. Hierüber liegen keine genügenden Erfahrungen vor. Soweit ich die Literatur kenne, kann hier über- haupt nur eine Arbeit herangezogen werden, die von Popoff im Münchener zoologischen Institut ausgeführte Untersuchung über die Konjugation von Carchesium polypinum. Dieselbe spricht dafür, dass das Sexualitätsverhältnis durch äußere Einflüsse modifiziert werden kann. Popoff teilte ein reiches Carchesium-Material in drei Abteilungen; einen Teil züchtete er bei 10°, einen anderen Teil bei 20°, einen dritten bei 25°C. In allen drei Partien wurden die Bedingungen von Hungerkulturen hergestellt. Es gelang auch überall Konjugationen herbeizuführen. Popoff kam dabei zum Resultat, dass in der Kälte sehr viel mehr Mikrogameten gebildet wurden, als in den beiden anderen Kulturen. Die Frage bedarf indessen weiterer Untersuchung, da, wie ‘der Autor selbst zugibt, bei den Resultaten die Möglichkeit von Fehlerquellen nicht genügend aus- geschlossen war. Immerhin macht das Ergebnis es wahrscheinlich, dass in jeder (urchesium-Kolonie nicht ein bestimmtes Verhältnis von männlich und weiblich prädisponierten Tieren gegeben ist, welches zum Ausdruck gelangt, wenn die geeigneten Bedingungen dazu geschaffen werden, sondern dass dieses Verhältnis erst herge- stellt wird, indem sexuell indifferente Tiere sich zu Makro- und Mikrogameten differenzieren. Das jedesmalige Resultat wird herbei- geführt durch die kombinierte Wirkung von Hunger, Temperatur und durch einen dritten Faktor, welcher durch die von Individuum zu Individuum varıierende Disposition gegeben ist; es werden dabei nach meiner Ansicht manche Individuen durch Kälte veranlasst, sich zu Makrogameten umzubilden, welche bei Wärme Mikrogameten geliefert haben würden. Der hier vertretene Standpunkt ist unvereinbar mit der An- schauung, welche Schaudinn auf der Breslauer Versammlung der deutschen zoologischen Gesellschaft entwickelt hat. Dieselbe führt den Dualismus des Geschlechtes auf zwei verschiedene Kernsubstanzen zurück, eine weibliche und eine männliche Kernsubstanz. Das Über- wiegen der einen oder der anderen sei für das Geschlecht maß- gebend. Schaudinn bezog sich zum Beweis seiner Auffassung abgesehen von seinen eigenen vielumstrittenen Untersuchungen über 44 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. Trypanosomen auf eine im Münchener zoologischen Institut an- gefertigte Arbeit Prandtl’s über die Konjugation von Didinium nasutum. Wie bei allen Infusorien (Fig. 6), ist bei Didinium die Be- fruchtung eine wechselseitige oder gekreuzte. Nach der Reifung (7) teilt sich der Geschlechtskern in einem jeden Konjuganten in zwei Kerne, einen oberflächlich gelegenen Wanderkern und einen in den inneren Schichten des Protoplasmas gelagerten stationären Kern (IT). Die Wanderkerne werden ausgetauscht und verbinden sich mit den statio- nären Kernen des anderen Tieres, womit die Befruchtung vollzogen ıst (7/7). Ich habe es vermieden, trotz der offenkundigen Analogie mit den Befruchtungsvorgängen der Metazoen die Bezeichnung „männlicher Kern“ für den Wanderkern, „weiblicher Kern“ für den stationären Kern 7 / , > Fig. 6. Schema der Konjugation eines isogamen Infusors, 3 aufeinanderfolgende Stadien (Paramecium caudatum). / Nebenkern in 3 Richtungsspindeln (2—4) und eine Hauptspindel (1) geteilt. /I Richtungsspindeln degenerieren, Hauptspindel hat sich in die „männliche“ Spindel (« und a) und die „weibliche Spindel“ (3% und b) geteilt. ZII Austausch der „männlichen“ Spindeln und Konjugation derselben mit den „weiblichen“ Spindeln. anzuwenden, weil ich aus der Gleichartigkeit des Aussehens auf eine Gleichartigkeit des Baues beider Kerne einen Rückschluss mache. Ur- sache zu ihrem verschiedenen Verhalten bei der Befruchtung ist nach meiner Ansicht nicht eine Verschiedenheit im Aufbau, sondern nur der Unterschied der Lagerung. Für Didinium konnte nun Prandtl nachweisen, dass der Wanderkern durch die Anwesenheit einer deutlichen Strahlung vom stationären Kern unterschieden ist. Schau- dinn erblickte hierin den Hinweis auf eine sexuelle Verschiedenheit von stationärem Kern und Wanderkern, welche überall vorhanden sei, aber nur selten in so auffälliger Weise zum Ausdruck gelange. Ich halte dagegen an der Gleichartigkeit der beiden Kerne fest und führe das Auftreten der Strahlung um den Wanderkern darauf zurück, dass er oberflächlicher in der sogenannten Ektosarkschicht lagert. Mir scheinen die übereinstimmenden Untersuchungen über Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 4) die Konjugation der Peritrichen von Enriques und Popoff die Streitfrage zu meinen Gunsten zu entscheiden (Fig. 7). Bei den Peritrichen verschmelzen Makro- und Mikrogameten miteinander dauernd; anstatt der gekreuzten Befruchtung kommt eine einfache Befruchtung zustande. Gleichwohl teilt sich in beiden Gameten der gereifte Geschlechtskern in einen stationären und einen Wanderkern. Würde eine sexuelle Differenz der beiden Kerne vorhanden sein, so müsste der Wanderkern des Mikrogameten mit dem stationären Kern des Makrogameten verschmelzen; es müssten dagegen der Wanderkern des Makrogameten und der stationäre Kern des Mikro- gameten rückgebildet werden. Das ist nicht der Fall; vielmehr verschmelzen die beiden Wanderkerne untereinander und die statio- Fig. 7. Konjugation von Carchesium polypinum (nach Popoff), etwas schematisiert. I Zerfall des Hauptkerns und der Richtungsspindeln, Teilung der Hauptspindel in „männliche“ (x und a) und „weibliche“ Spindeln (# und b), /I die „männlichen“ Spindeln vereinigen sich untereinander, die „weiblichen‘‘ werden rückgebildet. nären Kerne gehen zugrunde. Wollte man trotz dieser auffällıgen Tatsache an einer sexuellen Differenz der konjugierenden Kerne festhalten, so müsste man die völlig willkürliche Annahme machen, dass im Makrogameten der Peritrichen weiblicher und männlicher Kern ihre Rolle vertauscht hätten. Ich bin auf diese Verhältnisse ausführlicher eingegangen, weil ich es für nötig halte zu beweisen, dass die Lehre von der Gleichwertigkeit der Geschlechtskerne nach wie vor zu Recht besteht. Denn damit fällt auch die Lehre vom hermaphroditen Kern. Es gibt nur Kerne indifferenter, männlicher und weiblicher Zellen. An dieser Auffassung wird auch nichts ge- ändert durch die Entdeckung der Kerndifferenzen, welche durch das Verhalten der Chromosomen bedingt sind. Denn man muss wohl unterscheiden zwischen der von mir bekämpften Annahme, dass es männliche und weibliche Kerne gibt und der Annahme, dass verschiedenartige Kerne die Entwickelung männlicher und weib- licher Tiere bedingen. (Schluss folgt.) 46 Miehe, Über Symbiose von Bakterien mit Pflanzen. Über Symbiose von Bakterien mit Pflanzen. Von Hugo Miehe. Das älteste und einzige allgemein bekannt gewordene Beispiel einer Vergesellschaftung von Bakterien und Pflanzen bieten die Leguminosen. Wie allgemein bekannt ist, dringen gewisse Bakterien (Baeillus radieicola); die sich im Erdboden erhalten, gewöhnlich durch die Wurzelhaare ın das Rindengewebe der Leguminose ein, vermehren sich in den Zellen einer bestimmten Gewebsschicht sehr üppig, und indem dies Gewebe sich durch regere Zellteilung ver- größert, tritt das ganze Gebilde als sehr verschiedenartig gestaltetes knoten- oder geschwulstartiges Anhängsel an der Wurzel hervor. Ganz anderer Art sind die Symbiosen, über die ich ım folgenden einen kurzen Bericht geben möchte. Das erste Beispiel wurde von A. Zimmermann!) bekannt gegeben; da jedoch seine Untersuchung in wichtigen Punkten unvollständig geblieben ist, sei es mir hier gestattet, an einen anderen Fall anzuknüpfen, der, was wenigstens die anatomisch-morphologische Seite anbetrifft, als befriedigend auf- geklärt bezeichnet werden kann?). Ardisia erispa DC., eine im tropischen Ostasien beheimatete Myrsinacee von buschartigem Habitus, besitzt an den Rändern ihrer ledrigen lineallanzettlichen Blätter 30—50 knotige Verdickungen, die in regelmäßigen Abständen angeordnet, ein zierliches Perlen- ornament bilden. Diese Blattrandknoten sind erfüllt von dichten Bakterienmassen, wie schon eine flüchtige Untersuchung lehrte. Die genauere Prüfung ergab nun folgenden eigenartigen, mit der Pflanze eng verbundenen Lebenszyklus der Bakterien. Auf sämt- lichen Sprossvegetationspunkten finden sich über dem Scheitel und dementsprechend zwischen den jüngsten Blattanlagen schleimige Zooglöen des symbiontischen Bakteriums. An den Rändern der jungen Blätter treten auffallend frühzeitig, d. h. lange vor ihrer anatomischen Ausdifferenzierung große Spaltöffnungen auf. In diese wachsen die (unbeweglichen) Bakterien hinein und gelangen in eine unter der Spalte befindliche mit Sekret unbekannter Art er- füllte Lakune. Alsbald — das Blättchen ist nur wenig älter und noch ganz in der Knospenlage — wird die Spalte durch Wachs- tumsvorgänge der benachbarten Zellen verschlossen, und die Lakune durch kräftige Gewebswucherung nach der Tiefe verlagert, wo sie rings von eigenartigen schlauchförmigen Zellen umgeben ist. Nunmehr beginnen auch die Bakterien sich üppig zu vermehren und 1) A. Zimmermann, Über Bakterienknoten in den Blättern einiger Rubiaceen. Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik, Bd. 37, S. I, 1902. 2) H. Miehe, Javanische Studien. V. Die Bakterienknoten an den Blatt- rändern der Ardisia erispa A. DC. Abhandl. d. k. S. Gesellsch. d. Wissensch., math.-phys. Kl. XXXII, TV 1911, p. 399—431. Miehe, Über Symbiose von Bakterien mit Pflanzen. 47 füllen die Lakune in dichten Mengen an, diese selbst vergrößert sich dadurch, dass die Schlauchzellen auseinanderweichen. Indem nun die Bakterien in dieses schließlich reich ausgestaltete Inter- zellularsystem nachrücken, entsteht das charakteristische Bild, das der fertige Knoten darbietet. Seine ganze zentrale Partie ist von Bakterien besetzt, welche in dichter Packung die großen Zwischen- räume der nur an wenigen Stellen noch miteinander zusammen- hängenden Schlauchzellen ausfüllen. Die Form der Bakterien hat sich auffallend verändert. Während am Vegetationspunkt und in der Primärlakune dünne, langgestreckte und stetsunverzweigte Formen angetroffen werden, sind die Bakterien der Knoten dieker und un- regelmäßig verzweigt, oft auch schlangenartig gebogen. Sporen werden nie gebildet. Die Bakterienvegetation erhält sich während der ganzen Lebensdauer des Blattes, eine nachträgliche Öffnung der Knoten tritt nicht ein. Die Untersuchung der Samen ergab, dass sie schon die Bakterien enthalten, und zwar liegen sie zwischen dem Embryo und dem hornigen Endosperm, das den Keim rings umhüllt. Dementsprechend ließ sich feststellen, dass die Bakterien sich auch auf den Blütenvegetationspunkten finden, im besonderen konnte man verfolgen, wie sie bei der Vorwölbung der Karpelle in die junge Fruchtknotenhöhlung eingeschlossen werden. Leider ließ sich vorläufig nicht ermitteln, wie sie in den Embryosack hineingelangen, doch kann man nach der Lagerung innerhalb des Samens wenigstens soviel sagen, dass dies wirklich der Fall sein muss. Damit ist der Kreislauf geschlossen. Die Infektion des Samens gelingt mit einer solchen Sicherheit, dass ich bei etwa 100 Sämlingen keinen bemerkte, der nicht an seinen Blättern die bekannten mit Bakterien erfüllten Knoten besessen hätte. Es liegt also eine außerordentlich feste und zwar eine erbliche Symbiose vor. Es ist dies der erste Fall dieser Art; denn die Leguminosen- bakterien müssen ja die Pflanze immer wieder in ihrem individuellen Leben infizieren. Sie müssen sich somit im Erdboden aufhalten und halten sich wirklich hier auf, während der Ardisia-Symbiont dies nicht braucht. Es ıst deshalb auch unwahrscheinlich, dass er außerhalb der Pflanze vorkommt. Außer bei Ardisia erispa finden sich Randknoten bei sämtlichen von Mez in dem Subgenus Orispardisia vereinigten Ardisien. Das sınd 30 Arten. Dazu kommen noch die beiden Genera Amblyanthus und Amblyanthopsis. Wenngleich wohl nur in einzelnen Fällen wirk- lich das Vorhandensein der früher als Eiweißausscheidungen be- zeichneten Bakterien festgestellt worden ist, können wir doch mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit annehmen, dass sich alle diese Pflanzen ähnlich verhalten, wie die Ardisia erispa. Sämtliche mit Bakterien- knoten versehene Myrsinaceen bewohnen ein zusammenhängendes Gebiet, nämlich das Monsungebiet des paläotropischen Florenreiches. 48 Miehe, Über Symbiose von Bakterien mit Pflanzen. Wie ich schon in einer vorläufigen Mitteilung?) bemerkte, bieten die Verhältnisse bei Ardisia crispa soviel Analogien mit denjenigen bei den Zimmermasinnschen Rubiaceen, dass eine weitgehende Über- einstimmung beider Erscheinungen wahrscheinlich war. In der Tat wurde durch einen kurze Zeit nach meiner vorläufigen Mitteilung veröffentlichten, summarischen Bericht von Fabers*) diese Ver- mutung in vollem Maße bestätigt. Zimmermann hatte bei ver- schiedenen Arten der Rubiaceengattung Pavetta, insbesondere bei der am genausten untersuchten Pavetta lanceolata folgendes fest- gestellt. Die erste Anlage der Knoten, die hier regellos über die Blattfläche verstreut sind, und deren Bau eine weitgehende Über- einstimmung mit dem oben geschilderten der Ardisia besitzen, wird an ganz jungen Blättern sichtbar, die sich noch (entsprechend der Rubiaceenblattstellung) mit ihren Oberseiten berühren. Auch hier finden sich große, auffallend früh angelegte Spaltöffnungen ober- halb der ersten interzellular angesammelten Bakterienmasse. Später wird die Spalte gewöhnlich (aber nicht immer) geschlossen, die Bakterien breiten sich in einem aus locker verbundenen schlauch- artigen Zellen bestehenden Gewebe interzellular aus, und das ganze (Gebilde tritt schließlich als Höcker auch äußerlich an dem Blatte hervor. Mit geringfügigen Unterschieden verhalten sich ebenso die Knoten bei Pavetta angustifolia und P. indica, sowie nach Valeton die von Psychotria bacteriophila und nach v. Faber die von Pavetta Zimmermanniana. Auch die von H. Winkler in Borneo aufge- fundene Pavetta oligantha besitzt Knoten, die wohl denen der übrigen Pavetten an die Seite zu setzen sind. Etwas abweichend sind die ebenfalls von Zimmermann beschriebenen Bakterienknoten bei der Rubiacee Grumilea micrantha. Sie stehen nämlich vorwiegend nur an dem Hauptnerven, den sie als längliche Wülste auf beiden Seiten begleiten. Ganz ähnlich verhält sich die ganz kürzlich von F. Boas°’) untersuchte Psychotria umbellata, auf deren Blättern sich zu beiden Seiten des Mittelnerven 4,5 cm lange und ziemlich breite, flachgedrückte Schwielen von der Mitte des Blattes bis zur Basıs herabziehen und sogar noch eine Strecke weit auf den Blattstiel übergreifen, während längs des oberen Endes der Rippe einzelne längere oder kürzere Wülste verlaufen. Von besonderem Interesse ist dieser, sowie der gleichzeitig von demselben Autor bekannt ge- 3) Miehe, Die sogenannten Eiweißdrüsen an den Blättern der Ardisia erispa A. DC. Ber. d. Deutschen Botan. Gesellsch. Bd. XXIX, 1911 (eingegangen 22. März), p- 156-157. 4) F. C. von Faber, Über das ständige Vorkommen von Bakterien in den Blättern verschiedener Rubiaceen. Bull. d. Departement de "Agriculture aux Indes Ne6erlandaises Nr. XLVI, (Mai) 1911, 3 S. 5) F. Boas, Zwei neue Vorkommen von Bakterienknoten in Blättern von Rubiaceen. Ber. d. Deutschen Botan. Gesellsch. Bd. 29, (7. Juli) 1911, p. 416—41S. Miche, Über Symbiose von Bakterien mit Pflanzen. 4%) machte Fall bei Psychotria alsophila, die sich den Pavetten ähnlich verhält, noch dadurch, dass nunmehr auch in einem ganz anderen Gebiet der Tropen, nämlich in Kamerun diese merkwürdigen Pflanzen nachgewiesen worden sind. Während Boas nur die fertigen Knoten untersuchte, sind die ersten Beobachtungen Zimmermanns insofern wesentlich um- fassender, als er auch die Entwicklungsgeschichte verfolgt hat. Trotz- dem: sind auch sie unvollständig geblieben, da auf einen etwaigen mit der Pflanze fest verbundenen Lebenszyklus der Bakterien, wie er erstmalig für die Ardisia erispa festgestellt wurde, keine Rück- sicht genommen ist. Zimmermann meint, die Bakterien haben sich zwischen den jungen Blättern angesammelt und infizierten diese dauernd, nimmt infolgedessen auch eine vorsichtige Haltung in bezug auf die Deutung der Erscheinung als Symbiose ein. Aus der oben erwähnten Publikation v. Fabers ergibt sich jedoch, dass in der Tat eine solche vorliegt. Er fügt nämlich den Zimmer- mannschen Beobachtungen die neue hinzu, dass die Bakterien schon auf den Vegetationspunkten hausen und auch in den Samen übergehen‘). Allerdings zeigt sich gegen Ardisia crispa insofern ein Unterschied, als sie nur zwischen Samenschale und Endosperm vorkommen, also offenbar nicht in den Embryosack selber ein- dringen’). Wie die Symbiose physiologisch zu deuten ist, darüber ist vor- läufig noch nichts sicheres zu sagen. Was zunächst den anatomischen Befund angeht, so bietet er viel weniger als Anpassungen aufzu- fassende Eigentümlichkeiten, als man erwarten sollte. Die erste Anlage der Bakterienknoten bei Ardisia erispa — und wir können dasselbe auch wohl für die übrigen Pflanzen annehmen — kann man mit voller Sıcherheit als Hydathode bezeichnen, und die fertigen Knoten sind demzufolge nichts anderes als Hydathoden, deren stark entwickeltes Epithem von Bakterien erfüllt ist. Daraus folgt auch, dass die auffallend frühe Anlage der Spaltöffnungen keine Anpassung ist, da sie ganz allgemein für Hydathoden charak- teristisch ist. Wohl aber ist ıhr unmittelbar nach dem Eindringen der ersten Bakterien einsetzender Verschluss merkwürdig und viel- leicht bedeutungsvoll, da er ohne Analogie ist. Es macht den Ein- druck, dass ob der Apparat wie eine Art Falle wirkt. Immerhin müssen wir annehmen, dass bei so engem räumlichen Vereintsein ‚gegenseitige Beziehungen vorliegen. Die nächstliegende Vermutung ist die, dass die Bakterien Stickstoff assimilieren, oder besser, dass das symbiontische System ähnlich wie die Leguminosen den freien 6) Genauere Details werden allerdings noch nicht gegeben. 7) Ein Umstand, der wahrscheinlich die experimentelle Trennung der beiden Symbionten sehr begünstigen wird. XXXI. 4 50 Tirala, Vorl. Mitteil. über „Regeneration und Transplantation bei Criodrilus“. Stickstoff binden kann. v. Faber gibt an, dass einige Vorversuche in der Tat Anhaltspunkte für diese Ansicht ergeben haben; doch muss man Ausführlicheres darüber abwarten. Auch meine eigenen inzwischen eingeleiteten Versuche lassen noch keine hinreichend eindeutigen Resultate sehen. Sehr wichtig ist natürlich die Er- mittlung der Ernährungsansprüche der Bakterien selber. Leider ist die Reinzucht der Ardisia-Bakterien trotz vielfältiger Versuche nicht geglückt; doch gibt v. Faber an, dass er die Bakterien von Pavetta indica und Psychotria bacteriophila vein gezüchtet habe, so dass man vielleicht zuerst über diese Symbiosen etwas näheren Auf- schluss bekommen wird. Ebenso wichtig wäre es, die Pflanzen von ihren Bakterien zu trennen. Auch dies scheint bei A. erispa sehr schwierig zu sein, da auch die ruhenden Achselknospen sich als stets infiziert erwiesen und Adventivsprosse aus Stamm- resp. Wurzelkallus sich bisher nicht in meinen Versuchen haben erzielen lassen. Die Erscheinung als Parasitismus aufzufassen, liegt gar kein Grund vor; diskutabel wäre aber die Ansicht, dass es sich um einen Fall von Kommensualismus handelt, der in besonderen Eigen- tümlichkeiten der Pflanze begründet ist und sich zufällig herge- stellt und immer inniger ausgestaltet hat. Ich will jedoch hier nicht weiter darauf eingehen. Zum Schluss möchte ich noch auf die Ähnlichkeit dieser Symbiosen mit derjenigen hinweisen, die bei den Azollen vorkommt. Wie Goebel angibt, finden sich die symbiontischen Algen bereits oberhalb der Makrospore; sie folgen dann nach Strasburger dem wachsenden Vegetationspunkt und werden bei der Anlage der Blätter in die Hohlräume eingeschlossen. Wir haben hier also denselben eng an die Pflanze gebundenen Lebensgang vor uns, wie bei den Ardisien und Pavetten. Vorläufige Mitteilung über „Regeneration und Transplantation bei Criodrilus“. Von Dr. Lothar Gottlieb Tirala. Ich habe ım Juni 1908 am 2. zool. Institut der Wiener Uni- versität eine Arbeit über „Regeneration und Transplantation bei Oriodrilus“ vollendet, die infolge verschiedener widriger Umstände erst in den nächsten Monaten veröffentlicht werden wird. Da nun Untersuchungen anderer über dasselbe Objekt ın der nächsten Zeit erscheinen werden, will ich meine Ergebnisse in kurzem zusammen- fassen. Criodrilus lacuum vegeneriert sowohl Vorder- als Hinter- ende, wobei die Zahl der regenerierten Segmente nicht konstant, sondern abhängig ist von der Zahl der abgeschnittenen Segmente; besonders deutlich ist dies ungefähr in den ersten 20 Segmenten, bei denen die Zahl der regenerierten Segmente genau der Zahl Tirala, Vorl. Mitteil. über „Regeneration und Transplantation bei Urzodrilus“. 5] ® der entfernten entspricht. Die Fähigkeit der einzelnen Segmente, ein neues Vorderende zu bilden, nimmt gegen das Schwanzende immer mehr ab und erlischt ungefähr im 50. Segmente; im Gegen- satze dazu hat jede Körperregion, auch die ersten 15 erhaltungs- fähigen Segmente, die Potenz, ein Hinterende zu regenerieren, das aus einer so großen Anzahl neuer Segmente bestehen kann, dass die normale Segmentzahl fast erreicht wird. Verschiedene Körper- regionen sind verschieden widerstandsfähig. Die ersten und die letzten 15 Segmente sind isoliert gerade noch lebensfähig. — Meine Transplantationsversuche stimmen recht gut mit den Versuchen Anderer an Lumbriciden überein. Es verwachsen Crzodrili oder Teilstücke von solchen in einer ihrer Polarität widersprechenden Art und Weise. Die Verwachsung der Epidermis leitet den Ver- einigungsprozess ein, darauf folgen Nervensystem und Darm. Die beiden Bauchmarkstümpfe wachsen einander entgegen. Wenn die Strecke nicht zu weit ist, beteiligen sich an der Verwachsung dieser beiden Stümpfe nur die Ganglienzellen, sonst auch Epidermiszellen. Die beiden Darmschenkel verwachsen leicht, auch wenn die Stücke so gedreht sind, dass die eine Typhlosolis nicht auf die andere zu liegen kommt. Die übrigen Verwachsungs- und Neubildungs- prozesse gleichen im histologischen Detail denen der Regeneration. Die Regeneration eines Vorderendes geht nun so vor sich, dass, nachdem sich ein typischer Wundverschluss gebildet, die Epidermis- ränder sich einander nähern und schließlich verlöten. Es entsteht nach wenigen Tagen ein Regenerationskegel; an seiner Spitze findet man um den 8. Tag eine leichte Einziehung, die sich trichterförmig vertieft, dem geschlossenen Darm entgegenwächst und schließlich mit ıhm verschmilzt, indem der Boden des Trichters dann durch- reisst und so die Kommunikation des Darms mit der Außenwelt stattfindet. Es ist also nur der vordere Teil der Mundhöhle ekto- dermalen Ursprungs, die Epidermiszellen reichen nur bis ın das 2. Segment des Vorderdarms. 2 Tage ungefähr nach dem ersten Auftreten der Epidermiseinstülpung findet man überall am Regene- rationskegel Mitosen, so dass man von da eine Periode der Mitosen datieren könnte. — Aus den: alten Bauchmarke wächst ein dünner Nervenfaserstrang in den Regenerationskegel hinein, der dann rechts und links um den Darm herumwächst, einen Nervenfaserring bildet, an dem sich dann die neuen Ganglienzellen anhäufen. Diese stammen hauptsächlich aus den ventralen und ventrolateralen Partien der Epidermis. So entsteht also um den Darm ein dichter Nerven- zellring, der sich in ein oberes und unteres Schlundganglıon diffe- renziertt. Um den 12. Tag ist der Prozess fast vollendet. Gleich- zeitig wird auch das Bauchmark neugebildet durch eine ventrale Wucherung von Epidermiszellen, wobei keine deutlich bilateral- symmetrische Anordnung zu erkennen ist. gr 52 Hadäi, Über die Podozysten der Seyphopolypen. . Viel später, erst nach der 6. Woche, findet man die ersten Anlagen des Genitalapparates, der bei einem normalen Tier zwischen 9.—15. Segmente liegt. Im 10. und 11. Segmente liegen nämlich je ein Paar Hoden, im 13. ein Paar Ovarien, ferner finden sich Samentrichter im 10. und 11. Segmente, im 14. ein receptaculum ovorum. Nach der 6. Woche nun trifft man auf Zellanhäufungen an der Wand der Dissepimente, welche sich dann zu den typischen Gonaden differenzieren. Sehr wichtig ist es ferner, dass die Go- naden meist wieder in denselben Segmenten auftreten, in denen sie beim normalen Tiere liegen. Es kommt aber z. B. auch vor, dass im 12. Segmente, wo normalerweise keine Gonade liegt, 2 Ovarien und im 13. Segmente 3 Ovarien sich bilden, so dass dann ein Wurm mit 5 Ovarien vorliegt. Manche werden das vielleicht als atavistische Regeneration deuten. Ich glaube, dass es sich hierbei lediglich um eine atypische Regeneration handelt, hervorgerufen durch das außerordentliche Regenerationsvermögen des untersuchten Objektes. Über die Podozysten der Scyphopolypen. Von J. Hadzi (Agram). (Mit 4 Abbildungen.) (Aus dem vergl.-anat. Institut der k. Universität in Agram.) Bis vor kurzer Zeit war von den enzystierten Dauerzuständen der Seyphopolypen nichts bekannt. Auch dasjenige, was inzwischen darüber bekannt geworden ist, genügte nicht, um sich ein end- gültiges Urteil über das Wesen derselben bilden zu können, und so dürfte es von Interesse sein, wenn wir etwas darüber hier kurz mitteilen!). Es wird vielleicht nicht überflüssig sein, wenn wir vor- her in kurzen Zügen das über den Gegenstand bis jetzt Bekannte wiedergeben. Während des Studiums des Rückbildungsprozesses des Scypho- polypen von Chrysaoru kam wiederholt die Bildung von allseitig geschlossenen chitinigen Kapseln seitens des Fußteiles des Scypho- polypen zur Beobachtung (Hadzi [3,4]). Die Bildung der Zysten wurde folgendermaßen dargestellt: „Noch ziemlich große Polypen (bis 0,5 mm ım Durchmesser am Mundpol), noch mit Tentakeln ver- sorgt und mit normaler, sich weit öffnender Proboscis, verbreiterten stark den basalsten Teil des Fußes. Diese basale Verbreiterung des Fußes scheidet vom Rande her Chitin aus. Dabei schnürt sich dieser Teil immer mehr vom Stiel und Kelch ab. Die Chitini- sierung schreitet zentripetal fort und endlich fällt der Kelch von 1) Die ausführlichere Mitteilung erfolgt im „Rad jugoslavenske akademije zn. i umj. u Zagrebu“ („Arb. d. südslaw. Akad. d. Wiss. u. Künste in Agram“). Hadii, Über die Podozysten der Sceyphopolypen. 53 seinem Postament ab. Betrachten wir zunächst das an der Unter- lage Zurückgebliebene. Es liegt ein abgerundeter Patzen Cönosark vor, der von einer gelblichbraunen Chitinhülle umgeben ist. Der Rand des Gebildes ist lappig und verdickt (chitinig). Diese, können wir sagen, enzystierte Masse von Cönosark ähnelt sehr einer kleinen Patella (hat einen bis 0,5 mm großen Durchmesser).“ Nachdem uns damals von einem normalen Vorkommen der Zysten bei den Scyphopolypen nichts bekannt war (die inzwischen bereits erschienenen Mitteilungen H&erouard’s waren uns unbekannt), so hielten wir naturgemäß die Bildung der chitinigen Zysten als Folge der eintretenden allgemeinen Rückbildung. Der Umstand aber, dass die Zystenbildung der allgemeinen Rückbildung des Polypen stets vorausging, ließ vermuten, dass die Enzystierung des Fußteiles kein akzidenteller Vorgang, wie die allgemeine Rückbildung ist, sondern auch im Freien gewöhnlich vorkommt (Hadii [4)). Bei einer anderen Gelegenheit (Hadzi [5]) nannten wir die Zyste des Scyphistoma: Podozyste aus verständlichen Gründen. Später hatten wir durch die Güte des Direktors der k. k. zool. Station in Triest Herrn Prof. Dr. ©. I. Cori, wofür wir ihm sehr dankbar sind, zweimal die Gelegenheit, frisches Material, und zwar an Östrea-Schalen sitzende Scyphistomen von Ohrysaora zu unter- suchen, wobei wir uns überzeugen konnten, dass die Zysten bereits fertig neben den Scyphopolypen vorhanden sind und wir wissen, dass die Bildung der Zysten eine längere Zeit (nach Herouard bis 14 Tage) erheischt. Somit ist das Vorkommen der Zysten im Freien erwiesen. Herouard hat, wie wir hören werden, seine Beobachtungen an in Seewasserbehältern lebenden Tieren gemacht. Viel ausführlicher sind die Mitteilungen Herouard’s (5—7). Er beobachtete durch lange Zeit sich sonst normal verhaltende Sceyphopolypen einer nicht bekannten Form (nach Herouard wahr- scheinlich der Hydra tuba von Dalyell entsprechend) in Seewasser- becken der Station in Roskoff. Ohne Ephyren zu bilden, trieben die Polypen laterale Knospen und auch enzystierte Knospen mit latentem Leben, welche den Statoblasten entsprechen. “Die Bildung der Podozyste geht nach Herouard folgender- maßen vor sich: von der Fußsohle des festsitzenden Polypen ent- steht eine Ringfurche parallel dem Rande desselben. Die Furche dringt immer tiefer und verengt sich dabei konzentrisch zur Achse des Polypen, bis das von der Furche umgebene Gewebsstück isoliert wird. Zur gleichen Zeit wird dieses Gewebsstück von einer chi- tinigen Hülle umgeben. Ein Scyphopolyp kann mehrere Podo- zysten nacheinander bilden. Die Bildung solcher allseitig geschlossenen Zysten erscheint als Folge der Einwirkung ungünstiger Lebensbedingungen. Werden die Zysten künstlich geöffnet, so entsteht aus ihrem Inhalte ein 54 Hadzi, Über die Podozysten der Scyphopolypen. Polyp. Herouard vergleicht die Zysten mit den Statoblasten. Nur werden die Statoblasten sonst von ausgebildeten Formen ge- bildet, hier aber von einer larvalen. Hier erlauben wir uns zu be- merken, dass man vermeiden sollte, den Scyphopolypen als larvale Form zu bezeichnen. Der Scyphopolyp stellt vielmehr gleich dem Hydropolypen die ungeschlechtlich sich fortpflanzende Generation einer Scyphozoenform dar. In der nächsten Publikation (6) beschrieb Herouard die Ent- wickelung der jungen Scyphopolypen aus den künstlich durch- brochenen Zysten. Dieselben haben zunächst bloß zwei Tentakeln, später kommen die übrigen hinzu. Die Zystenbildung erfolgt von Mai bis September. Den Zysteninhalt bilden die Zellen der Zwischen- schichte, welche sich am Fußteile ansammeln. Herouard betont die Ähnlichkeit der Zysten, sowohl was die Entstehungsart als auch den Bau anbelangt, mit den Eiern der Hydra. Daher kam Herouard, den Mangel der Ephyren in Betracht ziehend, zum Schlusse, dass der ıhm vorliegende Scyphopolyp eine neue Form sei und nannte sie Taeniolhydra roskoffensis. Herouard dünkte es sehr wahrscheinlich, dass diese Zysten in der Tat Eier seien. Der Inhalt der Zysten muss erst reifen und die jungen Polypen, welche aus den Zysten entschlüpfen (ein spon- tanes Freiwerden der Polypen glückte es Herouard nicht zu be- obachten), unterscheiden sich in ıhrer Form von solchen durch gewöhnliche laterale Knospung entstandenen. Somit wäre Taeniolhydra eine interessante Form, weil sie als Scyphopolyp sich, was die Fortpflanzungsart anbelangt, der Hydra nähert. Daran knüpft Herouard die Vermutung, dass es vielleicht möglich wäre, durch Taeniolhydra experimentell zu zeigen, dass die Hydren an das Leben in Süßwasser angepasste Scyphopolypen seien. Dadurch, dass inzwischen doch die Strobilation und Ephyra- bildung bei denselben Scyphopolypen aufgetreten ist, war Herouard gezwungen, die neue Form T@eniolhydra aufzulassen und er nannte mit demselben Namen den neugefundenen Zyklus im gesamten Lebenslaufe eines Scyphozoons (mit Medusen- und Polypengene- ration). Dennoch bleibt Hörouard bei seinem Vergleiche "der Zysten mit den Eiern der Hydra und zwar der Ähnlichkeit des Baues wegen und weist auf die Möglichkeit hin, dass Hydra von den übrigen Hydroiden abseits steht und sich den Scyphopolypen nähert. Korschelt und Heider haben im dem unlängst erschienenen Teile ihres Lehrbuches d. vergl. Entwickelungsgesch. d. wirbellosen Tiere diese Frage berührt und vergleichen die Bildung der Zysten bei den Scyphopolypen mit der Abschnürung kleiner Teilstücke vom Körper (Fragmentation, Laceration, Frustulation u. s. w.), wie sie bei den Coelenteraten nicht selten ist. Der Unterschied soll Hadäi, Über die Podozysten der Scyphopolypen. ID nur darin liegen, dass hier das Teilstück knospenartig entsteht und von einer chitinigen Hülle umgeben wird. Korschelt-Heider haben es aber nicht unterlassen zu bemerken, dass genauere Mit- teilungen über die Entstehung der fraglichen Gebilden abzuwarten sind, bevor das endgültige Urteil darüber abgegeben werden kann. Der Unterschied zwischen meiner eigenen und der Darstellung Herouard’s über die Bildungsweise der Podozysten rührt jeden- falls daher, dass ich damals unter sehr ungünstigen Lebensbedin- gungen stehende, in Rückbildung begriffene Polypen vor mir hatte und gerade die Zystenbildung mehr äußerlich unter dem bino- DEN [2 ze SH = Se: Se B _ SS SS Te RI E x NIS a 7 I 5 N AN Se SI Sy (TEIE FR a ER, TATEN ß BENSYE kulärem Mikroskope beobachtete. Nun habe ich die Zystenbildung an frischem Material, und zwar an Schnittserien, eingehend studiert. Das erste Zeichen der beginnenden Zystenbildung erblicke ich darın, dass einmal in den großen entodermalen Zellen des Fußteiles und außerdem in den ektodermalen Zellen der Fußsohle und des untersten Teiles des Stieles in großer Menge dotterkügelchenartige Bildungen auftreten. Das Ektoderm des basalen Fußteiles erscheint stark verdickt, weil das Epithel von der dotterartigen Nährsubstanz dicht erfüllt ist und weil sich außerdem im Subepithel in großer Anzahl mesenchymatische Zellen ansammeln, einige davon enthalten auch Nesselkapseln (s. die halbschem. Abb. 1). 56 Hadzi, Über die Podozysten der Seyphopolypen. Die stark verdickte Fußsohle ist mittelst emer von derselben ausgeschiedenen Chitinschichte an der Unterlage festgeklebt. Rings um den Rand der Fußsohle entsteht nun eine ganz enge Falte, welche erst dadurch gut sichtbar wird, dass ihr Lumen vom Chitin ausgefüllt wird (s. Abb. 2). Die Absonderung der an der Fußsohle angesammelten Zellmasse schreitet unter stetiger Ausscheidung von Chitin zentripetalwärts fort, so, dass eine flach konische Kapsel entsteht, deren Boden jene schon früher bestandene Chitinschichte bildet; vorläufig besitzt die Kapsel an der Spitze eine rundliche Öffnung. Durch diese kraterartige Öffnung treten noch körnchen- DO er DIE ei FERN N ss BEN 1 y5 FR beladene Zellen ein. Ist aber einmal die Zyste voll, so wird durch weitere Ausscheidung von Chitin seitens der sich einschließenden Zellen die Zyste gänzlich verschlossen (s. die Abb. 3 u. 4). Wenn die Podozyste fertig ist, so besitzt der Scyphopolyp eine aus einer niederen Zellreihe bestehende Fußsohle, während der Rand verdickt erscheint und Material für die nächste Zyste ent- hält, welche gleich daneben oder sogar teilweise über der ersten gebildet wird. Der Scyphopolyp bewegt sich gleich der Aydra, wie es Hörouard bereits geschildert hat, oder mittelst stoloartigen Fortsätzen. In der Mitte der Fußsohle, wo die Spitze der Podo- zyste zu stehen kommt, würde eigentlich im Ektoderm des „Mutter- Hadzi, Über die Podozysten der Scyphopolypen. 57 tieres“ eine Lücke entstehen, wenn sich nicht vom Rande her Zellen einschieben würden und so die bei der Zystenbildung verbrauchten ersetzten. Die äußere Form der Podozysten ist durchaus unregelmäßig, weil sie von der zufälligen Lage und Form der Fußsohle abhängt. Der Breitendurchmesser macht 0,35—0,5 mm aus; das größte Höhen- maß (bei der Spitze ca. 0,15 mm). In einer eben gebildeten Podozyste haften die Zellen an der Chitinhülle fest (scheiden Chitin aus?) und bilden im allgemeinen bloß eine Lage. Indem sie aber mit dotterähnlichen (Reserve- nahrung) Kügelchen vollgepfropft sind, bilden sie „Dotterpyramiden“, so dass für ein Zentrallumen kein Platz mehr übrig bleibt. Nicht selten sind Nesselkapseln in den Podozysten zu finden, welche wohl als solche hineingeraten sind. Bei längere Zeit bestehenden Podozysten fand ich die Mitte der- selben von der verflüssigten Reservenahrung eingenommen. Die kleinen, aber großkernigen Zellen von embryonalem Aussehen be- fanden sich in mehrfacher Lage von der Chitinhülle etwas abge- rückt vor. Presst man den Inhalt einer älteren Podozyste aus, so bildet der herausgetretene Zellballen an seiner Oberfläche Wimpern aus und bewegt sich unter Drehung langsam schwimmend. Die Umbildung des Zysteninhaltes zu jungen Seyphopolypen wollen wir hier nicht besprechen, da uns noch zu wenig Beobachtungen vor- liegen. Damit man das Wesen der Podozysten richtig deuten kann, muss noch einiges bemerkt werden. Wie überall bei dem Seyphistoma so ist auch an seiner Fuß- platte die Stützlamelle zwischen Ento- und Ektoderm sehr gut aus- geprägt, sie bleibt daselbst während der ganzen Zystenbildung be- stehen. Einzelne Wanderzellen durchbrechen sie, indem sie aus dem Entoderm ins Ektoderm herüberwandern. Die geformte Reserve- nahrung tritt offenbar in verflüssigtem Zustande in das Ektoderm über, um dann wieder geformt zu werden. Wird eine in Bildung begriffene Zyste verletzt, so verflüssigen sich die Dotterkügelchen augenblicklich. Es mag besonders hervorgehoben werden, dass sich an der Bildung der Podozyste nicht bloß die mesenchymatischen Zellen beteiligen, sondern auch das ektodermale Epithel und zwar nicht bloß in geringem Maße. Nur das Entoderm ist gar nicht dabei beteiligt (außer dass es Reservesubstanzen liefert). Das ekto- dermale Epithel des mütterlichen Tieres, welches mit in die Zyste einbezogen wird, unterliegt dabei jedenfalls einer Veränderung, die Zellen müssen embryonal werden, wofür auch die direkte Beobach- tung spricht. In einigen Fällen kam das Innere der noch unfertigen Podo- zyste mit der Verdauungshöhle in eine direkte Verbindung dadurch, JS Hadäi, Über die Podozysten der Scyphopolypen. dass die mittlere Partie der Fußplatte vollkommen durchbrochen wurde. Wenn die eigentliche Fußplatte damit beschäftigt ist, dass sie eben eine Podozyste bildet, kann, bevor dieselbe noch ganz fertig gebildet wurde, gleich daneben eine fußartige Bildung hervortreten, welche die nächste Podozyste zu bilden beginnt. Die Podozysten des Scyphistoma sind wirkliche Dauerzustände, Produkte einer besonderen asexuellen Fortpflanzungsart, welche sich in den übrigen Entwickelungszyklus einiger Scyphomedusen ein- schiebt, wie dies Herouard (8) in seiner schematischen Darstellung richtig angegeben hat. Dabei müssen die Muttertiere nicht not- wendigerweise zugrunde gehen. Streng genommen haben die Podo- zysten, soviel uns bekannt, in morphologischer Hinsicht kein Homo- logon anderswo im Tierreiche. Morphologisch und besonders biologisch stehen den Podozyster am nächsten die Dauerzustände (z. B. Sorite, aber nur ım Falle, dass sie nicht Produkte der ge- schlechtlichen Fortpflanzung sind) und Gemmulae der Poriferen (bei deren Bildung, wie es scheint, das Ektoderm doch keinen Anteil nimmt) und noch mehr die Statoblasten der Bryozoen, bei deren Bildung neuerdings das Ektoderm als mitwirkend angegeben wurde (Buddenbrock). Wie bei der Podozyste liefert auch hier das Ektoderm die Zyste (Kapsel). Die nahe Beziehung der Podozysten- bildung zur Knospung liegt auf der Hand, um so mehr, als wir wissen, dass auch bei den Üoelenteraten die sogen. atypische Knospung (ohne Beteiligung des Entoderms) vorkommt; leider ist gerade die Entstehung der gewöhnlichen lateralen Knospe des Scyphistoma nicht eingehender untersucht worden und so fehlt uns die richtige Grundlage zu einer näheren Vergleichung. Es ist aber anderseits ganz gut möglich, dass die Ähnlichkeit zwischen der Podozystenbildung und der Knospung nur eine sekun- däre ist und dass sie einer anderen Wurzel entstammt. Wir möchten nämlich auf den Umstand aufmerksam machen, dass die Podozysten eben vom Fußteil gebildet werden, der dem Rhizokaulom der Hydro- polypen entspricht und als solcher die Fähigkeit der Chitinabsonde- rung besitzt und deren Zellen einen mehr embryonalen Charakter tragen. Unter den Scyphomedusen gibt es Formen, deren poly- poide Generation ein umfangreiches Rhizokaulom besitzen, das stetig von einem Perisark umgeben ist (Nausithoe punctata, oder Spongi- cola sp. von Lo Bianco (10) beschrieben, welche freilebend ist, nämlich außerhalb des Schwammkörpers lebt). An küstenbewohnenden Hydropolypen der kälteren Meere wurde beobachtet (Graeffe u. a.), wie sich im Herbste Stücke des Cöno- sarkes von der Außenwelt durch Chitinlamellen absperren und latent Hadzi, Über die Podozysten der Scyphopolypen. 59 lebend den Winter überdauern. Es erscheint uns sehr plausibel, dass es sich auch bei den Scyphopolypen ähnlich verhalten hat. Aus der einfachen Abtrennung eines Stückes des Cönosark konnte es bei den solitären Seyphistomen mit dem dem Rhizokaulom ent- sprechenden, aber hier schwächer ausgebildeten Teile leicht zur Bildung der Podozysten kommen. Die Fähigkeit der Podozystenbildung dürfte nur bei den küsten- bewohnenden Sceyphopolypenformen zukommen, und zwar nur solchen, welche in Breiten leben, wo periodisch Zeiten mit ungünstigen Lebensbedingungen (vor allem Kälte) eintreten, denn nach unseren Beobachtungen und besonders nach jenen H&erouard’s unterliegt es keinem Zweifel, dass die Podozysten echten Dauerzuständen entsprechen. Nach alledem, was wir hier sagten, geht ganz klar hervor, dass es nicht angebracht ist, die Bildung der Podozysten in eine nähere Beziehung zur Bildung der Eier bei Hydra zu bringen. Die Ähnlichkeit zwischen beiden Bildungen ist eine rein äußerliche; beide stellen Dauerzustände dar und liefern jugendliche Individuen; das Wesen der beiden Bildungen und der Hergang ihrer Bildung ist aber ganz verschieden. Das eingekapselte Ei von Hydra ist ein Produkt der geschlechtlichen Fortpflanzung und entstammt einer befruchteten Eizelle, wogegen die Podozyste ein Produkt der un- geschlechtlichen Fortpflanzung ist und aus vielen Zellen der äußeren und mittleren Zellschichte des Muttertieres gebildet wird. Figurenerklärung. Fig. 1—4. Halbschematische Abbildungen von Scyphistoma während der Bildung der Podozyste in Längsschnitten. Fig. 1 zeigt das Seyphistoma knapp vor dem Beginn der eigentlichen Podozystenbildung. Bei ‚x‘ sieht man den ersten Be- ginn der Faltenbildung. In Fig. 2 ist die Faltenbildung weiter vorgeschritten. Auch die Chitinausscheidung hat schon begonnen. Die Zellen, welche in die Podozyste gelangen, haben sich durch Aufnahme von Dotterkügelchen vergrößert und haben eine epitheliale Anordnung angenommen. In Fig. 3 ist die Podozyste bis auf eine kraterähnliche Öffnung an der Spitze, durch welche weitere Zellen und Nahrungs- körper eintreten, von Chitinhülle umschlossen. In Fig. 4 ist die Podozyste bereits fertig gebildet. Das Scyphistoma bereitet sich vor für die Bildung der nächsten Podozyste. Literatur. 1. W. v. Buddenbrock: Beiträge zur Entwickelung der Statoblasten der Bryo- zoen. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 96, 1910. 2. E. Graeffe: Übersicht der Seetierfauna des Golfes von Triest. Coelenteraten. Arb. d. zool. Inst. Wien-Triest, T. V, 1884. 3. J. Hadzi: Rückgängig gemachte Entwickelung einer Scyphomeduse. Zool. Anz., 1910. 4. — Die Reduktion des Scyphopolypen und der Ephyra von Chrysaora. Ein Vortrag, gehalten am 8. internat. Zoologenkongresse in Graz, 1910. 5. — Haben die Seyphomedusen einen ektodermalen Schlund? Zoolog. Anz., 1911. HU Wasmann, Zur Verständigung mit Herrn Prof. Branca. 6. E. Herouard: Existences de statoblastes chez le scyphistome. Comt. rend. d. Acad. Paris, T. 145, 1907. 7. — Sur un Acraspede sans meduse: Taeniolhydra Roscoffensis. Conıt. rend. d. acad. Paris, T. 147, 1908. Ss. — Sur les eycles &volutifs d’un scyphistome. Comt. rend. d. acad. Paris, 1908. 9). E. Korschelt-K,. Heider: Lehrbuch d. vergl. Entwickelungsgesch. d. wirbel- losen Tiere. Allg. Teil, 4. Lief., 2. H., Jena 1910. 10. S.LoBianco: Le pesche abyssali esseguite da F. A. Krupp col Yacht Puritan nelle adiacenze di Capri ed in altre localitä del Mediterraneo. Mitt. d. zool. Station Neapel, Bd. 16, 1903—1904. Zur Verständigung mit Herrn Prof. Branca. Von E. Wasmann S. J. (Valkenburg, Holland). Im Biol. Centralbl. 1911, Nr. 9 u. 10, S. 320, hatte ich in einer sehr kurz gefassten „Erklärung“ gegen den von Prof. Branca in seiner übrigens vortrefflichen Schrift „Der Stand unserer Kennt- nisse vom fossilen Menschen“ (1910) erhobenen Vorwurf mich ver- wahrt, dass ich 1904 seinen bekannten Berliner Vortrag von 1901 „Der fossile Mensch“ in missverständlicher Weise zitiert habe. Ich verwies in dieser Erklärung auf eine eingehende Richtigstellung, die ich 1911 in einer Abhandlung „Professor Branca über den fossilen Menschen“ veröffentlichte?). Nun bringt Herr Prof. Branca im B.C. 1911, Nr. 22, S. 712. eine „Antwort“ auf meine „Erklärung“. Da er in derselben den gegen mich in seiner Schrift (Br. 1910, S. 80ff.) erhobenen Vor- wurf aufrecht erhält und zu begründen sucht, halte ich es für meine Pflicht, nochmals die Sachlage richtig zu stellen. Das bin ich meiner Ehre und der Ehre meiner Sache schuldig. Die Form, in welcher ich dies hier tue, wird meiner persönlichen Hochschätzung für Herrn Prof. Branca völlig entsprechen. Die Antwort Prof. Branca’s (B. C. 1911, S. 712ff.) enthält zwei Teile: I. „Zwei verschiedene Standpunkte“. II. „Einwürfe und Fragen P. Wasmann’s“. Den ganzen ersten Teil über- gehe ich wohl besser mit Stillschweigen; denn es wäre völlig zwecklos, auf unsere abweichenden Standpunkte in der Beurteilung der Abstammung des Menschen hier einzugehen. Zudem sind diese subjektiven Differenzen von gar keinem Belang für die Entschei- dung der Frage, ob ich Herrn Prof. Branca richtig zitiert 1) Kürzung der Zitate: Br. 1901 = Branca’s Vortrag „Der fossile Mensch“ (Verh. d. V. Int. Zoologenkongr., Berlin, S. 237—259); Br. 1910 = Der Stand unserer Kenntnisse vom fossilen Menschen (Leipzig 1910); B.C. = Biol. Centralbl.; W. 1904 — Wasmann, Die moderne Biologie und die Entwickelungstheorie, 2, Aufl., 8. 302—303; W. 1911 = Wasmann, Prof. Branca über den fossilen Menschen (Stimmen aus Maria-Laach, 1911, 2. u. 3. Heft). Wasmann, Zur Verständigung mit Herrn Prof. Branca. 61 habe oder nicht. Ich gehe deshalb sofort zum zweiten Teile über: habe ich Herrn Prof. Branca in missverständlicher Weise als „Zeugen“ für eine Ansicht angeführt, die ihm mit Unrecht zugeschrieben wird? Dass er nicht für eine Schöpfung des Menschen „aus dem Nichts“ zitiert wurde, gibt Prof. Branca (B. C. 1911, S. 716) selber zu. Es bleibt also nur übrig, zu untersuchen, ob er dafür zitiert worden ist, dass der Mensch wirklich ahnenlos in das Dasein getreten sei. Schon 1910 hatte Prof. Branca Protest dagegen erhoben, dass man ıhn als „Zeugen“ für diese Ansicht anführe. Ich hatte darauf (W. 1911, S. 194) mich folgendermaßen hierüber geäußert: „Hier handelt es sich also zunächst um die Frage: Mit welchem Rechte protestiert Branca dagegen, als Zeuge dafür angeführt zu werden, dass der Mensch, ohne Vorfahren gehabt zu haben, irgend- wie geschaffen worden sei. Protestiert er bloß dagegen, dass man ihm selber diese Ansicht zuschreibe, oder protestiert er auch dagegen, dass man ihn indirekt, auf dem Wege der Schluss- folgerung, als Zeugen für die Richtigkeit jener Arsicht anführe? Das sınd offenbar zwei grundverschiedene Dinge. Im ersteren Falle ist sein Protest vollauf berechtigt; denn er hat sich tatsächlich niemals für die Schöpfung des Menschen als für seine Ansicht ausgesprochen. Im letzteren Falle dagegen ist sein Protest nicht berechtigt; denn es steht doch jedem frei, aus den Ergebnissen der Forschung eines andern jene Schlüsse zu ziehen, die ihm selber richtig erscheinen.“ Diese meine Unterscheidung hat Prof. Branca nicht für genügend befunden. Ja, er meint (B. C., S. 717), hier würden „zwei sehr ver- schiedene Dinge zusammengeworfen“. Er sagt dann: „Selbstver- ständlich kann jeder Forscher meine Worte bezw. Arbeitsergebnisse zur Grundlage eigener Schlüsse machen, so viel er will. Nun und nimmermehr aber darf er mich dann als „Zeugen“ für seine Ansicht, die der meinigen vielleicht diametral entgegensteht, an- führen! Andernfalls ıst das „Zeugnis“ gefälscht. Der Forscher muss also absolut klar und scharf aussprechen, dass das nicht etwa meine Schlüsse, sondern nur seine eigenen sind, dass ich also durchaus nicht ein „Zeuge“ für seine Ansicht bin. Ich glaube, dieses ganz allgemein Geltende wird jedermann, wird auch P. Was- mann als richtig anerkennen müssen.“ Was ich als richtig anerkenne, ist: wenn jemand aus den For- schungen eines anderen Schlüsse zieht, welche jener Forscher selber nicht teilt, so hat er auch die Verpflichtung, auf diese Verschieden- heit so klar aufmerksam zu machen, dass seine eigenen Schlüsse nicht als diejenigen des anderen Forschers angesehen werden können; sonst wäre sein „Zeugnis“ allerdings gefälscht. Diese Regel war 2 Wasmann, Zur Verständigung mit Herrn Prof. Branca. mir von jeher selbstverständlich, und ich habe sie auch in jenem Zitate befolgt, welches Prof. Branca 1910 als „missverständlich“ bezeichnete und auch heute noch bezeichnet. Um alle Zweifel hierüber zu beseitigen, will ich darauf hier nochmals zurück- kommen. Es handelt sich also um die Frage, ob mein Referat über Prof. Branca’s Vortrag von 1901, das ich 1904 (S. 302-303) gegeben, erstens in sich selber missverständlich war, als ob hier Herrn Prof. Branca die Ansicht von der ahnenlosen Schöpfung des Menschen zugeschrieben würde, und zweitens, ob Prof. Branca infolgedessen als Anhänger dieser Ansicht von anderen zitiert worden ist. Ich habe schon 1911 (S. 193ff.) den ausführlichen Be- weis erbracht, dass beides zu verneinen ist. Um jedoch dem hoch- geschätzten Forscher nach Möglichkeit entgegenzukommen, hatte ich bereits 1906 ın der 3. Auflage desselben Buches „Die moderne Biologie und die Entwickelungstheorie“ (S. 487—488) einige Worte jenes heferates geändert, was auch von Prof. Branca selber (1910, S. 81) als „loyales Eingehen auf seine Bitte“ anerkannt wurde. Eine Verpflichtung hierzu lag aber meinerseits nicht vor, da auch die erste Fassung jenes Referates von 1904 in Wirklichkeit keines- wegs missverständlich war. Herr Prof. Branca ist allerdings noch 1911 (S. 717) der ent- gegengesetzten Ansicht, und er sucht sie zu beweisen durch die (Gregenüberstellung zweier Sätze, von denen der eine aus seinem Vortrage von 1901 (S. 237), der andere aus meiner Inhaltswieder- gabe desselben von 1904 (S. 302—303) stammt. Der erste lautet: „Ahnenlos, ein wahrer Homo novus, steht unsere Gattung plötzlich vor uns da in diluvialer Zeit.“ Der zweite lautet: „Der Mensch trıtt uns als ein wahrer Homo novus ın der Erdgeschichte entgegen, nicht als ein Abkömmling früherer Ge- schlechter.“ Prof. Branca (S. 718) meint hierzu: „Diese beiden hier wieder- gegebenen Aussagen sind nun durchaus nicht dem Sinne nach gleichbedeutend, und zwar nach zwei verschiedenen Punkten hin.“ Erstens beruft er sich auf die Verschiedenheit der Worte: „in dilu- vialer Zeit“ und „in der Erdgeschichte“. — In sich selbst betrachtet sind diese Worte allerdings nicht identisch, wohl aber dem Sinne nach ım Kontexte. Denn da wir nach Branca erst ın der Diluvial- zeit auf sichere Reste des Menschen stoßen, so trıtt uns der Mensch auch in der Erdgeschichte so entgegen, wie wir in der Diluvial- zeit ihn treffen. Zudem ging dieser Zusammenhang ganz klar aus den unmittelbar folgenden Worten meines Referates hervor: „Wäh- rend die meisten Säugetiere der Gegenwart lange fossile Ahnen- reihen in der Tertiärzeit aufweisen, erscheint der Mensch plötzlich und unvermittelt in der Diluvialzeit, ohne dass wir tertiäre Vor- Wasmann, Zur Verständigung mit Herrn Prof. Branca. 3 fahren von ihm kennen.“ Aus der Verschiedenheit der Worte „ın diluvialer Zeit“ und „in der Erdgeschichte“ lässt sich somit kein verschiedener Sinn beider Sätze herauskonstruieren. Aber Prof. Branca glaubt zweitens, meine Worte „nicht als ein Abkömmling früherer Geschlechter“ müssten vom Leser not- wendig so verstanden werden, wie sie lauten, „d. h. also, dass ich (Prof. Branca) den Menschen für plötzlich erschaffen, bezw. entstanden erklärt habe“. — Aber genau dasselbe könnte man ja auch in dem Branca’schen Parallelsatze von dem Worte „ahnen- los“ behaupten! Natürlich nur dann, wenn man die Worte aus dem Zusammenhange reisst. _ Das darf aber nach den Regeln der Vernunft nicht geschehen, und deshalb müssen wir den Sinn beider Sätze aus dem Kon- texte erschließen, in welchem sie sowohl bei Prof. Branca als bei mir stehen. Bei ersterem ist der Kontext klar; Branca wollte sagen: wir kennen bisher keine tertiäre Ahnen des Menschen aus dem Tierreiche. Aber bei mir ist der Kontext ebenso klar und genau derselbe. Dies geht nicht bloß aus den bei mir unmittelbar folgenden Worten hervor: „ohne dass wir tertiäre Vorfahren von ihm kennen,“ sondern auch aus der weiteren Fortsetzung meines Referates von 1904 über den Branca’schen Vortrag, die außer jenen Worten noch eine ganze Druckseite umfasst. Dort war als „Quintessenz“ jenes Vortrages als Antwort Branca’s auf die Frage „wer war der Ahnherr des Menschen“, ausdrücklich der Satz in Fettdruck gesetzt: „Die Paläontologie sagt uns nichts darüber. Sie kennt keine Ahnen des Menschen“ Dort war ferner ausdrücklich beigefügt, dass Prof. Branca in jenem Vortrage trotzdem aus zoologischen Gründen für die tierische Abstammung des Menschen sich ausgesprochen habe. Da konnte es doch niemandem in den Sinn kommen, ich hätte Herrn Prof. Branca in jenem Referate die Ansicht von der ahnenlosen Schöpfung des Menschen zugeschrieben! Wie 1904 so habe ich auch in meiner Schrift von 1911 Herrn Prof. Branca nur dafür als „Zeugen“ zitiert, was er wirklich als seine Ansicht vertrat und ihm keine andere untergeschoben. Vor allem führte ich ihn dafür als Zeugen an, dass uns auch gegen- wärtig noch die paläontologischen Beweise für die Tierabstam- mung des Menschen fehlen, weil uns die nächsten, tertiären Ahnen des Menschen bisher nicht zuverlässig bekannt sind. Ich wies ferner darauf hin, wie Prof. Branca selber (1910, S. 68) die Bedeutung dieses Umstandes für den Stammbaum des Menschen einschätzte, indem er sagte: „Nur von oben nach unten hinab lässt sich dieser begründen und beweisen, indem man von Menschen nach abwärts gehend die Beweise erbringt und dann zusieht, zu welchen niederen Formen uns diese Kette führt. Spekulativ kann man 4 Wasmangn, Zur Verständigung mit Herrn Prof. Brancä. natürlich auch Yon unten herauf gehen; aber das sind dann eben Träume, die in der Luft schweben, nicht aber Beweise, nicht aber Wirklichkeit.“ Auch darauf machte ich aufmerksam, dass Prof. Branca selber (1910, S. 79—80) „tatsächlich einen Widerspruch“ findet zwischen dem Ergebnis der Friedenthal’schen Blutreaktionen, welche uns auf eine sehr nahe Verwandtschaft zwischen Mensch und Menschenaffe hinzuweisen scheinen, und anderen stammes- geschichtlichen Momenten, welche für eine sehr entfernte Ver- wandtschaft beider sprechen. Bei diesen Ausführungen hob ıch jedoch auch 1911 ausdrück- lıch und wiederholt hervor, dass Herr Prof. Branca von der tierischen Abstammung des Menschen trotzdem fest überzeugt sei; es kann deshalb gar keine Rede davon sein, dass ich ihm die An- sicht von der unmittelbaren Schöpfung des Menschen irgendwie zugeschrieben habe. Wo ferner meine Schlussfolgerungen von den seinigen abwichen, habe ich stets ausdrücklich bemerkt, dass diese Schlüsse die meinigen seien und nicht die seinigen. Es ist also völlig unger ee mir vorzuwerfen, ich hätte Prof. Branca’s Zeugnis in dieser Sache „gefälscht“. Diesen Vorwurf muss ich deshalb ausdrücklich zurückweisen, weıl er — nicht von Prof. Branca, sondern von einigen Tagesblättern — wiederholt gegen mich erhoben worden ist. Es lag mir um so ferner, Herrn Prof. Branca als Gewährs- mann für die „ahnenlose Schöpfung des Menschen“ anzuführen, da ich selber aus den Branca’schen Ausführungen von 1901 wie von 1910 nur folgende Schlüsse zog: Erstens: die tierische Abstammung des Menschen ist zurzeit paläontologisch nicht bewiesen. Zweitens: wir verfügen auch heute noch —- wie Kohlbr ugge?) es 1908 gezeigt hatte — nur über eine Reihe voneinander mannig- fach abweichender Hypothesen auf dem Gebiete der Phylogenie des Menschen: man sucht hier und dort den körperlichen An- schluss des Menschen an das Tierreich; aber man hat ihn noch keineswegs gefunden. Das ist mein zoologischer Standpunkt in dieser Frage; wer ihn nicht teilen kann, möge ıhn wenigstens achten. 2) Die morphologische Abstammung des Menschen. Verlag \ von in Georg Thieme in ee an 2. — Druck der k. bayer. Hof- und Univ,-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. R.: Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Ba. XXX. 20. Februar 1912. 2. Inhalt: Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblens nebst eigenen n.Unterimehungen (Fortsetzung). — Escherich, Studien über die Wipfelkrankheit der Nonne. — Vollmer, Über die Entwickelung der Dauereier der Cladoceren. — Zur Strassen, Brehm’s Tierleben. — Doflein, Lehrbuch der Protozoenkunde. — Ostwald, Über Katalyse. — Freundlich, Kapillarchemie. Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems nebst eigenen Untersuchungen. Von Prof. Richard Hertwig (München). (Fortsetzung statt Schluss.) IV. Über willkürliche Geschlechtsbestimmung. Mit der Besprechung der Experimente über den Generations- zyklus der Aphiden, Daphniden und Rotatorien und der an Öarchesien angestellten Wärme-Kälte-Versuche bin ich auf ein viel erörtertes Problem eingegangen, mit dem ich mich in den letzten 6 Jahren eingehend beschäftigt habe, das Problem der willkürlichen @eschlechtsbestimmung. Die überraschenden Resultate der Chromosomenforschung und die unabhängig davon erfolgte Übertragung der Mendel’schen Regeln auf die Lehre von der Vererbung des Geschlechts haben in der Neuzeit eine Strömung unter den Biologen begünstigt, welche Untersuchungen über willkürliche Geschlechtsbestimmung abhold ist. Die Vererbung des Geschlechts wurde als ein Vorgang angesehen, elcher nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung erfolgt, n übrigen nicht abgeändert werden kann. Dieser Auffassungs- weise leistete der Umstand weiteren Vorschub, dass die meisten Untersuchungen, deren Urheber bei der künstlichen Geschlechts- XXXI. „) 46 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. bestimmung Erfolg gehabt zu haben glaubten, einer genaueren Prüfung nieht Stand hielten, dass ferner exakt ausgeführte Experi- mente wie die von OÖ. Schultze zu negativen Resultaten führten. So finde ich es ganz begreiflich, dass auch meine Untersuchungen, welche eine Beeinflussbarkeit des Geschlechtes zu beweisen suchten, eine skeptische Aufnahme erfahren haben. Sowohl die Mendel’istische Auffassung über die Geschlechts- vererbung, als auch die Ergebnisse der Chromosomenforschung führten zu dem Resultat, dass das Verhältnis der Geschlechter die Proportion 50°/,:50°/, zeigen müsse. Damit schienen auch die statistischen Erhebungen über die Verteilung der Geschlechter in sehr vielen Fällen überein zu stimmen, zumal als man glaubte, ge- rıngfügige Abweichungen ignorieren zu können. Man drückt ge- wöhnlich das Sexualverhältnis in der Weise aus, dass man die Zahl der Weibchen gleich Hundert setzt und die Zahl der Männchen in Prozente der Zahl der Weibchen umrechnet. Beim Menschen, bei dem begreiflicherweise die genauesten Untersuchungen vorliegen, wird das Sexualverhältnis durch die Zahl 106,9 ausgedrückt, .d. h. auf 100 Mädchengeburten entfallen 106,9 Knaben (nach anderen Berechnungen 105,3). In gleicher Weise hat man auch das Sexual- verhältnis für andere Organismen berechnet und vielfach Zahlen ge- funden, welche wenig oder gar nicht von 100 abweichen, z. B. für den Hering 101, für Singvögel nahezu 100, für Pferde 98,03, Ratten 105,0. Im anderen Fällen ergaben sich dagegen erheblichere Diffe- renzen, bald zugunsten bald zu ungunsten des männlichen Geschlechts. In erster Hinsicht sind zu nennen der Haushund 138 °/,, manche Fische: Kroppe Cottus gobio mit 188, der Angler Lophius piscatorius sogar mit 385, manche Spinnen (Latrodectes mactans) 819, ın letzter Hin- sicht manche Cephalopoden, Zoligo mit 16,6, Octopus mit 33,3. Viele der Geschlechtszahlen sind mit Vorsicht aufzunehmen; sie beziehen sich nicht auf die Zahl der Geburten, resp. der aus Eiern ausschlüpfenden jungen Tiere, sondern auf gesammeltes Material. Bei dieser Bestim- mungsweise können viele Fehler mit unterlaufen. Um nur einige zu nennen, so könnte das Sexualverhältnis zu niedrig ausfallen, wenn die Männchen eine geringere Lebensdauer hätten als die Weibchen oder eine Lebensweise besäßen, vermöge deren sie schwieriger ge- fangen würden ete. Auch kann das Vorkommen von Partheno- genesis vollkommen irrige Resultate veranlassen. Richtige Sexualitäts- zahlen wird man daher nur erhalten, wenn man aus zahlreichen Gelegen oder Geburten das zur Bestimmung nötige Material ge- winnt. Leider ist em derartiges exaktes Material relativ selten, so dass man sich vielfach mit den in der Natur durch Sammeln erwachsener Tiere festgestellten Zahlen begnügen muss. Viele dieser Zahlen weichen nun von der postulierten Normalzahl so sehr ab, dass man sich kaum der Ansicht verschließen kann, dass von der Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 67 Geburt an schon ein von der Norm abweichendes Sexualitäts- verhältnis vorgelegen haben ınuss. Ich verweise auf die oben schon gemachten Angaben über Cephalopoden, ferner auf die Selten- heit der Männchen bei manchen Nematoden. Man kann nun die allzu geringe oder allzu hohe Zahl der Männchen aus einer gesteigerten oder verminderten Sterblichkeit des reziproken Geschlechts erklären, vielleicht auch daraus, dass schon die Weibchen oder Männchen erzeugenden Spermatozoen ein verschiedenes Maß von Lebenskraft entwickeln. Da es festgestellt ıst, dass bei gewissen Nematoden, Aphiden und Hymenopteren alle Männchen er- zeugenden Spermatozoen zugrunde gehen, so könnte man vermuten, dass bei anderen Tieren die gleiche Erscheinung wenn auch nicht in gleich extremem Maße vorhanden ist und Ursache für ein Minus an Männchen ist, dass andererseits ein Plus von Männchen durch größere Sterblichkeit der weiblichen Spermatozoen bedingt wird. Ich glaube aber, dass die zuletzt gemachte Annahme, auf welche in der Neuzeit manche Forscher mit Vorliebe zurückgreifen, ganz un- zureichend ist, um viele Abweichungen von der Sexualitätsnorm zu erklären. Ich will diesen Satz erläutern, indem ich das von den verschiedensten Gesichtspunkten aus beurteilte Sexualitätsverhältnis des Menschen etwas ausführlicher erörtere. Beim Menschen sind durch Guyer, wie wir gesehen haben, zweierlei durch verschiedene Zahl der Chromosomen unterschiedene Spermatozoen nachgewiesen worden, so dass wir zunächst Ursache haben, die Geschlechtsbestimmung als eine Funktion des männ- lichen Geschlechts zu betrachten. Wır müssten daher, um das Sexualitätsverhältnis 106 zu erklären, annehmen, entweder dass während des intrauterinen Lebens mehr weibliche Früchte zugrunde gehen, oder dass im Samen mehr männliche Spermatozoen vorhanden sind. Der ersteren Annahme widerspricht die Erfahrung, dass die Überzahl von Knaben unter den Totgeburten eine noch größere ist und im Mittel 135 beträgt. Im Jahr 1904 stieg die betreffende Ziffer für die weiße Bevölkerung Cubas sogar auf 156. Eine noch höhere Zahl erhält man, wenn man das Geschlecht der Fehlgeburten berücksichtigt. Leider ıst das Material, welches den betreffenden statistischen Erbebungen zugrunde liegt, kein sehr großes. Da somit die größere Sterblichkeit weiblicher Früchte nicht in Frage kommt, müsste man auf das Zahlenverhältnis der zweierlei die Befruchtung bewirkenden Spermatozoen zurückgreifen. In- dessen auch hierbei stößt die Erklärung auf große Schwierigkeiten. Zunächst erinnere ich an die Tatsache, dass bei Erstgebärenden die Zahl der Knaben eine erheblich höhere ıst, als es dem Mittel entsprechen würde. Es ist aber kaum zu verstehen, dass das ver- schiedene Verhalten des weiblichen Teils auf die Beschaffenheit des Samens einen Einfluss ausüben sollte. 68 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. Es gibt nun noch eine Reihe weiterer statistischer Tatsachen, welche bei der Erörterung des Sexualitätsproblems Berücksichtigung verlangen. Die Zahl 106 gilt für europäische Verhältnisse; sie wird auch hier nicht in allen Gesellschaftsklassen und in allen Zeiten eingehalten. Bei unehelichen Geburten ist der Knabenüberschuss ein geringerer; er beträgt hier nur 104; er ist auch ein geringerer in den ärmeren Klassen, ein höherer in den bestsituierten Kreisen. Punnett fand für letztere in London das Sexualıtätsverhältnis 107,6, für arme dagegen 101. Zum Teil hängt dieser Unterschied mit dem größeren Kinderreichtum niederer Volksschichten zusammen. Denn es hat sich herausgestellt, dass mit zunehmender Häufigkeit der Geburten das für die Knaben günstige Prozentverhältnis abnimmt. Am schönsten wird das durch das Studium der Art, in welcher sich die Ge- burten über das Jahr verteilen, erläutert. Es gibt Monate, in denen die Zahl der Geburten ihr Maximum, andere in denen sie ihr Minimum erreicht. Umgekehrt proportional ist das Sexualverhältnis; der Maximalzahl der Geburten entspricht eine niedere Sexualziffer und umgekehrt. Ich gebe zur Erläuterung die Zahlen, welche Heape für Cuba veröffentlicht hat; derselbe entnahm dem Census für die Jahre 1904 —1906 die Monate größter Fruchtbarkeit und stellte für dieselben unter getrennter Berücksichtigung der weißen und farbigen Bevölkerung die Sexualitätsziffer fest; sie beträgt für die Weißen 104,29, für die Farbigen 99,3, während in den Monaten geringster Fruchtbarkeit die betreffenden Zahlen 108,2 und 108,3 sind). Be- achtenswert ist, dass die farbige Bevölkerung auf die Unterschiede der Jahreszeit auffallend stärker (Unterschied 9°/,) reagiert, als die weiße (Unterschied 4°/,). Das unterschiedliche sexuelle Verhalten der weißen und farbigen Bevölkerung kommt auch sonst zum Ausdruck. Für die weiße Be- völkerung Cubas ergibt sich ein Sexualverhältnis von 107,14, für die farbige 100,07; scheidet man eheliche und uneheliche Geburten, so lauten die Zahlen 107,78 (eheliche), 104,4 (uneheliche) für die Weißen, 106,76 und 96,76 für die Farbigen. Die auffallende Erscheinung, dass bei den Farbigen der Überschuss an Knaben verschwindend klein ist, gewinnt dadurch an Interesse, dass auch sonst Angaben vorliegen, dass der Unterschied in der Zahl der Knaben- und Mädchen- geburten bei den Negern ein sehr geringer ıst. Für die Neger Nordamerikas soll die Sexualitätsziffer sogar 98,53 betragen. 5) Zu einem ähnlichen, wenn auch weniger prägnanten Resultat gelangte Düsing, als er die Geburts- und Sexualitätsziffern für Preußen während des Zeit- raums von 1872—1881 (inkl.) zusammenstellte. Die niedrigsten Geburtsziffern ent- sprachen dem Juni (812,500) und Juli (851,608) (Konzeptionsmonate September, Oktober). Die entsprechenden Sexualitätsziffern waren 106,77 und 106,75. Der höchsten Geburtsziffer (März 942,515) (Konzeption Juni) entsprach die niederste Sexualitätsziffer 105,92. Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 69 Aus dem reichen statistischen Material, welches rücksichtlich der Geschlechtsverhältnisse des Menschen ermittelt worden ist, habe ich nur einige wenige interessante Daten zusammengetragen, um zu zeigen, dass die Anschauungen, zu denen in der Neuzeit die Heterochromosomenlehre und der Mendelismus geführt haben, nicht ausreichen, um das Sexualitätsproblem vollkommen aufzuklären. Wir können ja das Verhältnis der Geschlechter 50 d:50 9 als die allgemeine Geschlechtsnorm betrachten; wir sind aber genötigt an- zunehmen, dass diese Norm in vielen Fällen, vielleicht sogar in den meisten nicht genau eingehalten wird, sondern Modifikationen er- fährt, welche einen durchaus gesetzmäßigen Charakter tragen. Wie wir gesehen haben, sind die Abweichungen von der Norm je nach den Menschenrassen verschieden; sie werden innerhalb derselben Menschenrasse von sozialen Verhältnissen beeinflusst und unter- liegen konstanten zeitlichen Schwankungen. Sicherlich würde sich Gleiches herausstellen, wenn man in ähnlich genauer Weise andere Spezies auf ihr Sexualitätsverhältnis untersuchen wollte. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, experimentell die Bedingungen zu erforschen, welche auf die Sexualitätsnorm Einfluss besitzen. Um nach dieser Richtung einen Beitrag zu liefern, stelle ich die Resultate zusammen, zu denen ich in den Jahren 1906—1910 auf Grund von Experimenten und Züchtungsversuchen gelangt bin. Über einige derselben habe ich schon selbst in drei Vorträgen be- richtet, einige weitere wurden gelegentlich von den Herren Kuscha- kewitsch und Goldsehmidt erwähnt. Als Untersuchungsobjekt benutzte ich anfangs, wie es auch von früheren Forschern (Pflüger, Born, Cu6not u. a.) geschehen war, Rana temporaria. Als diese Art sich wegen der Schwierigkeiten, welche einer genauen Ge- schlechtsbestiminung entgegenstehen, als ungeeignet erwies, wählte ich R. esculenta. Was ich im folgenden berichten werde, bezieht sich vornehmlich auf letztere Art. Ich werde zunächst die Experimente besprechen, welche ange- stellt wurden, um den Einfluss zu bestimmen, welchen der Reife- zustand der Geschlechtsprodukte, vor allem der Eier auf das Geschlecht ausübt. Hierzu muss ich einige Bemerkungen über den Verlauf der Reifeerscheinungen des Eies vorausschicken. Wir sind über dieselben gut orientiert, da in den zwei letzten Jahr- zehnten die Eier der Amphibien zu den verschiedensten experimen- tellen Untersuchungen verwandt worden sind. Wir wissen, dass das Keimbläschen des Eies noch im Ovar auf- gelöst und durch die Richtungsspindel ersetzt wird. Dann werden die Eier durch Platzen der Follikel frei, gelangen in die Leibes- höhle, von da durch die Tube und den Eileiter in den Uterus, wo sie einige Zeit verweilen, ehe sie nach außen entleert und vom Männ- chen besamt werden. Beim Passieren des Eileiters wird der erste 0 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. Richtungskörper, unter dem Einfluss der Besamung der zweite Rich- tungskörper abgeschnürt. Für die Bildung der Richtungskörper ist jedoch das Eindringen des Spermatozoon nicht nötig. Denn auch ohne Zutritt von Samen reifen die Eier im Wasser heran, freilich sehr verzögert, so dass der zweite Richtungskörper erst etwa 6 Stunden nach der Entleerung der Eier erscheint. Zu bemerken ıst noch, dass der Follikelsprung unterbleibt, wenn das Weibchen vom Männchen nicht umklammert wird. Dann degenerieren die Eier im Ovar; dabei scheinen schädliche Stoffe gebildet zu werden. Denn in sehr vielen Fällen — ob ın allen, lasse ich unentschieden — gehen Weibchen, welche an der Eiablage verhindert werden, unter Krämpfen zugrunde. Wie schon von anderer Seite vermutet wurde, so bin auch ich der Ansicht, dass der Follikelsprung durch Zirkulationsstörungen veranlasst wird und dass diese dadurch hervorgerufen werden, dass das Männchen bei der Umklammerung die Daumen in der Brustgegend des Weibchens tief eindrückt. Wahrscheinlich hat die Behinderung des Blutkreis- laufs Störungen ın der Ernährung der Eifollikel zur Folge. Den besprochenen Verlauf der Eireife kann man abändern, indem man einerseits Frühreife, andererseits Überreife der Eier herbeiführt, d. h. indem man durch künstliche Bewirkung die Entleerung der Eıer früher oder später als normal verursacht. Man muss dabei scharf zwischen ovarialer und uteriner Frühreife, resp. Überreife unterscheiden. Unter ovarıaler Frühreife verstehe ich die Erscheinung, dass die Eier nicht bis zum normalen Termin im Eierstock ver- bleiben, sondern dass verfrüht der Follikelsprung eintritt und die Eier in den Uterus überwandern. Man kann ovariale Frühreife herbeiführen, wenn man Weibchen aus einer Gegend, in welcher das Laichgeschäft spät eintritt, mit Männchen aus einer wärmeren Gegend paart. Man kann aber auch willkürlich Frühreife erzielen, wenn man die Zirkulationsstörungen, welche durch die Umklamme- rung des Männchens veranlasst werden, künstlich herbeiführt. Ich habe letzteres erzielt, indem ich einige Wochen vor dem Eintritt der Brunst die Weibchen von Rana temporaria mit einem breiten Gummiband umschnürte, auf dessen Innenseite, um den Druck der Daumen nachzuahmen, pelottenartige Verdickungen angebracht waren. In der Tat ıst es mir in dieser Weise geglückt, den Übertritt der Eier in den Uterus verfrüht herbeizuführen. Leider ließ sich von den gewonnenen Eiern nur ein verschwindend kleiner Teil befruchten, was um so auffälliger war, als das Sperma der verwandten Männchen, trotzdem sie noch nicht brünstig waren, bei Wasserzusatz Beweglichkeit erkennen ließ. Von einer Befruchtung, welche in der geschilderten Weise angesetzt wurde, erhielt ich nur 3, von zwei anderen im ganzen 13 Larven; das Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 74 ist sehr wenig, wenn man bedenkt, dass jedes Weibchen über 1000 Eier produziert. Durch einen unglücklichen Zufall gingen außerdem die 13 Larven frühzeitig zugrunde, weil in meiner Abwesen- heit der mit der Aufzucht betraute Diener mit Muschelfleisch zugleich auch glochidienhaltige Kiemen verfüttert hatte. Dies veranlasste eine zum Tode führende enorme Glochidieninfektion. Die drei zur Untersuchung gelangenden Larven waren Männchen. Etwas günstiger gestaltete sich das Verhältnis bei einem Versuch mit Rana esculenta, bei welcher die Eier infolge von Umklammerung des Männchens abgesetzt und ın normaler Weise befruchtet worden waren. Der Umstand, dass die Begattung sehr früh im Jahre erfolgte, machte es wahrscheinlich, dass auch hier ovariale Frühreife vorgelegen hat; ferner sprach dafür der Umstand, dass aus den ungefähr 3000 Eiern nur 60 Larven ausschlüpften, von denen 40 zur Verwandlung ge- langten. Sie erwiesen sich sämtlich als Männchen. Die mitgeteilten Untersuchungen sind zu unvollständig, um die Frage zu entscheiden, ob Frühreife der Eier Ursache ist, dass nur Männchen erzeugt werden. Abgesehen davon, dass ein verschwindend geringes Beobachtungsinaterial ihnen zugrunde lag, sind sie noch aus einem weiteren Grunde anfechtbar. Wir werden sehen, dass abnorm langes Verweilen der Eier im Uterus eben- falls Ursache ist, dass sich aus ihnen nur männliche Tiere ent- wickeln. Wendet man Ligaturen an, um Frühreife der Eier zu erzwingen, so ist es schwer, den Moment festzustellen, in welchem der Übertritt der Eier erfolgt ist. Man muss auf gut Glück die Weibehen abtöten und nachsehen, ob der Übertritt der Eier er- folgt ist. Wie lange die Eier schon im Uterus verweilt haben, entzieht sich der Kontrolle. Damit ist die Möglichkeit gegeben, dass uterine Überreife die Entwickelung des männlichen Geschlechts begünstigt hatte. Noch ungünstiger als meine Experimente über Frühreife der Eier verliefen meine Versuche über ovariale Überreife. Um dieselbe zu erzielen, hielt ich vom Anbeginn des Laichgeschäfts einige Weibchen von den Männchen getrennt und suchte sie auf einem vorgeschrittenen Zeitpunkt mit brünstigen Männchen zu paaren. Dies ist bei Rana esculenta dadurch ermöglicht, dass die- selbe in Europa eine weite Verbreitung besitzt und sowohl in wärmeren wie kälteren Regionen vorkommt, was zu ganz erheblichen Unterschieden in der Laichzeit führt. In Italien tritt die Geschlechts- reife schon Ende April, Anfang Mai ein, während in nördlichen Gegenden und im Hochgebirge die Fortpflanzungsperiode um mehrere Wochen verzögert sein kann. Ergeben sich doch für den Eintritt der Laichzeit schon in der Umgebung von München für die ein- zelnen Lokalitäten ganz erhebliche Unterschiede. In einem normalen warmen Frühjahr können die Frösche aus tief gelegenen Mooren (2 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. — benutzt wurde ein Tümpel von Lochhausen — 14 Tage bis 4 Wochen früher laichen als in hochgelegenen Gegenden, wie z. B. Irschenhausen. Trotz dieser Gunst der Bedingungen, die übrigens auch zur Erzielung von Frühreife benutzt werden können, ist es mir bisher nicht geglückt, Eier, welche im Ovarıum überreif ge- worden waren, auf ihre Entwickelungsfähigkeit zu prüfen. Bei den von mir gemachten Versuchen war offenbar die Überreife zu weit fortgeschritten. Die Männchen, welche ich zu den Weibchen hin- zufügte, kopulierten zwar, ließen aber nach einiger Zeit los. Trotz- dem ich immer wieder neue Männchen verwandte, gelang es mir. nicht, die Eiablage zu erzwingen. Als ich die Weibchen tötete und aufschnitt, waren die Eier noch im Ovar enthalten. Was nun die verschiedenen Zustände uteriner Reife anlangt, so habe ich über Frühreife keine methodischen Untersuchungen angestellt. Um so eingehender habe ich mich mit der Überreife beschäftigt. Das Wesen derselben besteht, wie ich schon andeutete, darin, dass Eier, welche infolge gewöhnlicher Paarung in den Uterus ge- langt waren, über die normale Zeit hinaus in demselben zurück- gehalten werden. Als normale Zeit der Entleerung betrachte ich dabei den Zeitpunkt, in welchem das vom Männchen besprungene Weibchen anfängt, seine Eier abzusetzen. Ist eine nicht zu geringe Zahl (etwa 3—400) Eier entleert und der prall gefüllte Uterus etwas entlastet, so kann man durch Entfernen des Männchens das Laich- geschäft unterbrechen und beide Tiere an einem kühlen, nicht allzu feuchten Ort getrennt aufbewahren, ohne dass der Rest der Eier abgelegt wird. Indem man das Männchen in Zwischenräumen von 24 Stunden wieder mit dem Weibchen vereinigt und, nachdem die Kopula wieder hergestellt ıst und eine zweite und dritte Portion von Eiern abgesetzt wurde, aufs neue trennt, kann man von einem und demselben Pärchen Befruchtungen von 24, 48, 72, 96 Stunden Überreife erzielen. Bei der letzten Befruchtung ist es zweckmäßig, künstliche Besamung vorzunehmen, da bei wiederholten Störungen des Laichgeschäfts das Männchen leicht versagt, so dass dann un- befruchtete Eier abgelegt werden). # 6) Ich wurde durch einen zufälligen Befund veranlasst, den Einfluss der uterinen Überreife auf das Geschlecht experimentell zu untersuchen. Bei meinen Unter- suchungen stieß ich auf ein offenbar beim Fangen von seinem Männchen getrenntes und infolgedessen überreif gewordenes Weibchen, aus dessen Kloake die Eier her- vorquollen. Ich benutzte es zur künstlichen Befruchtung und fand am Schluss des Sommers einen auffallenden Überschuss männlicher Tiere. Da ich ohnehin mein Augenmerk auf den Einfluss der Eireife gerichtet hatte, beschloss ich, die Verhältnisse genauer zu untersuchen und arbeitete die oben dargestellte Methode aus. Erst nachträglich bin ich durch Herrn Kuschakewitsch auf eine kurze Mitteilung Pflüger’s aufmerksam gemacht worden, welche merkwürdigerweise nicht nur von mir, sondern auch von den übrigen mit dem Sexualitätsproblem beschäftigten Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 3 Die ersten experimentellen Untersuchungen über Überreife habe ich an Rana temporaria und Rana esculenta im Frühjahr 1905 angestellt, im Jahr 1906 habe ich sie dann an einem umfangreichen Material fortgesetzt. Nachdem ich mich so überzeugt hatte, dass überreife Eier, vorausgesetzt, dass ein genügender Grad der Über- reife erreicht ist, nur Männchen liefern, veranlasste ich Herrn Kuschakewitsch, welcher damals im Münchener zoologischen Institut arbeitete, das Verfahren auszunutzen, um die Entwickelungs- geschichte des Hodens bei Batrachiern zu studieren, da durch Überreife von 4 Tagen ein Material erzielt werde, welches nur männliche Tiere liefere. Diese Untersuchungen fielen in das Jahr 1907. Im Jahr 1910 habe ich dann abermals eine „überreife* Kultur angesetzt, vornehmlich um das Verhalten der Richtungskörper bei überreifen Eiern zu prüfen. So besitze ich schon ein sehr umfang- reiches Material, über welches ich im folgenden berichten werde, wobei ich mich auf die bei Rana esculenta erhaltenen Resultate be- schränken werde. Bei dem Versuch aus dem Jahr 1905 lagen nur zwei Befruch- tungen zur Untersuchung vor, eine natürliche und eine künstliche; beide zeigten eine nicht unbedeutende Sterblichkeit, welche ich jetzt darauf zurückführen möchte, dass meine Kulturmethoden damals noch mangelhaft waren. Die natürliche Befruchtung fand am 1. Juni statt, die künstliche am 4. Juni, nachdem am Tag zuvor die Haupt- masse der Eier unbenutzt abgelegt worden war. Die erste Be- fruchtung ergab 47 9:32, die zweite 72 Stunden später erfolgte 96 5 und 1 Tier, dessen Gonade mir zweifelhaft erschien, bei ge- nauerer Untersuchung auf Schnitten keine Eier zeigte, also jeden- falls kein Ovar war. Bei dem Versuch war das Männchen ausge- kommen und in ein Zimmer geraten, in dem sich ein weiteres Biologen übersehen worden ist und in welcher derselbe ebenfalls über Beobachtungen von Froschkulturen aus überreifen Eiern berichtet. Pflüger war zu seinen Unter- suchungen durch die Angabe Thury’s veranlasst worden, dass das Geschlecht von dem Grad der Reifung des Eies in dem Augenblick abhängt, wo es von der Befruchtung betroffen wird, dass Eier, welche zur Zeit der Befruchtung noch nicht einen gewissen Grad der Reifung erreicht haben, Weibchen ergeben, dass Eier da- gegen, welche diesen Grad schon überschritten haben, sich zu Männchen entwickeln. Pflüger trennte Froschpärchen und hielt sie bis ca. 14 Tage lang getrennt. Er führte Befruchtungen teils auf dem Höhepunkt der Geschlechtsentwickelung, teils im überreifen Zustand aus Da ein Teil der Weibchen ablaichte, ein anderer starb und die aus dem Uterus entnommenen Eier sich sehr häufig tod erwiesen, blieb ihm nur eine kleine Reihe von Versuchen übrig. „Bei der einen Reihe von Versuchen entstanden ganz überwiegend Weibchen, bei der anderen ganz überwiegend Männ- chen.“ „Bei ruhiger Erwägung“, schließt Pflüger, „muss ich aber sagen: die Zahl der Versuche ist zu klein und verlangt eine Wiederholung“. Pflüger hat über seine Untersuchungen keine genaueren Angaben gemacht, ist auch selbst auf dieselben nicht wieder zurückgekommen, was es erklärlich macht, dass die Arbeit in unberechtigte Vergessenheit geraten ist. ori 74 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. Männchen fand. Es war daher keine völlige Sicherheit gegeben, dass bei der zweiten Befruchtung dasselbe Männchen benutzt worden war; doch lag dafür ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit vor. Die Sache ist übrigens gleichgültig aus Gründen, welche ich später erläutern werde’). Im Jahr 1906 habe ich im ganzen 10 Befruchtungsserien zur Prüfung der Überreife angesetzt und dabei jedesmal in der oben a leien Weise Sansa sikm: Grade der Überreife zur Unter- ren: verwandt. Einige der Serien verunglückten vollkommen, weil das Eimaterial bei künstlicher und natürlicher Befruchtung sich als unbrauchbar erwies; in anderen Fällen laichte das Weibchen ab, ehe die letzte Befruchtung ausgeführt werden konnte; zwei Serien zeigten Besonderheiten in der Beschaffenheit der Sexual- organe, auf die ich noch zu sprechen komme; schließlich eine Serie, welche im folgenden als Nr. 4 bezeichnet ist, wurde unbrauchbar, weil die letzte Befruchtung, obwohl sie keine künstliche war, infolge des Versagens des Männchens vollkommen ausfiel. Drei Kulturen lieferten dagegen gute Resultate. Ich gebe im folgenden eine tabel- larische Übersicht, in welcher die horizontalen Kolumnen den ein- zelnen Serien entsprechen, die vertikalen den verschiedenen Be- fr Blumen. die dazwischen interpolierten Zahlen geben die Stunden 7) Ich muss hier irrige Angaben korrigieren, welche Morgan über die von mir angestellten Überreifeexperimente schon früher gemacht und neuerdings auch rücksichtlich der von Kuschakewitsch angestellten Versuche wiederholt hat. Morgan gibtan, dass wir beide bei der letzten Befruchtung ein, vielleicht auch mehrere andere Männchen benutzt hätten. Er fügt hinzu, dass das „zu der ersten Befruch- tung benutzte Männchen vermutlich seine befruchtende Kraft verloren habe.“ Er hebt den Umstand, dass ein anderes Männchen bei der letzten Befruchtung benutzt worden sei, ausdrücklich hervor, um die Beweiskraft der Experimente zu bemängeln. Mir ist es ganz unverständlich, wie Morgan zu diesen völlig irrtümlichen Angaben hat kommen können. Für meinen ersten Versuch mit AR. esculenta hatte ich schon früher angegeben, dass ich nicht sicher gewesen sei, ob das für die letzte Befruch- tung benutzte Männchen mit dem Männchen der ersten Befruchtung identisch ge- wesen sei; ich hatte somit die Notwendigkeit, bei den Versuchen das gleiche Männchen zu benutzen, ausdrücklich hervorgehoben. Für die späteren Versuche hatte ich dann gesagt, dass es geglückt sei, „von einem Froschpärchen nicht nur 2, sondern 3 und 4 Befruchtungen in Intervallen von 24 Stunden zu erzielen“. In einem in Rostock gehaltenen Vortrag hatte ich ferner wiederholt, dass Männchen und Weibchen ge- trennt, im Trockenen und Kühlen aufbewahrt und nach 24 Stunden abermals zur Paarung gebracht worden seien. In „dieser Weise seien 3, in einigen Fällen sogar 4 Befiuchtungen von demselben Weibchen erzielt worden.“ Zum Schluss des Rostocker Vortrags habe ich noch ausdrücklich hervorgehoben, dass bei den Über- reifekulturen ‚bar den Befruchtungen stets dasselbe Männchen benutzt worden sei‘; es läge somit die Möglichkeit vor, „dass auch der Überreife der Spermatozoen ein Anteil an der veränderten Sexualität zuzusprechen wäre“. Ich leitete daraus die Notwendigkeit ab, Versuche anzustellen, ob Überreife des Spermas Einfluss auf die Sexualität besäße, Versuche, welche inzwischen von mir angestellt worden sind. Übrigens lässt auch die Darstellung Kuschakewitsch’s keinen Zweifel zu, dass bei unseren Versuchen immer dasselbe Männchen benutzt wurde. Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblenis ete. 65) an, welche zwischen einer Befruchtung und der nächsten verflossen waren. I I I IV 6 18 30 T aoug bo:ug Kom f 79:88 141°], 1199], 1249], 685°], 36 18 2. 649:61d 10198:1395 1159:169 9507, 137°, 1479|, 18 24 22 3. 559:525 1489:87 4 192:0d 179:19 4 NE U 100°], 7590], 20 98 20 4.92 9:92 8 — 68 92:68 1009, 100°), In den ersten drei Befruchtungsserien der Tabelle variiert das Sexualverhältnis von Befruchtung zu Befruchtung und zwar mit der Besonderheit, dass die späteren Befruchtungen einen Über- schuss an Männchen erzielten. Ganz besonders groß ist dieser Überschuss von Männchen bei der vierten Befruchtung der ersten und dritten Serie; die dritte Serie, bei welcher der Prozentsatz an Männchen am auffälligsten ıst, war zugleich die Kultur, bei welcher zwischen erster und vierter Befruchtung die längste Zeit (64 Stunden) verlaufen war. Immerhin war auch bei ihr das weibliche Geschlecht bei der letzten Befruchtung noch nicht ganz ausgeschaltet, wie bei dem Experiment des vorangegangenen Jahres, was sich daraus er- klärt, dass nicht das gleiche Maß von Überreife wie bei dieser erzielt worden war. Auffallend ist, dass in den Kulturen 1 und 3 das Geschlechtsverhältnis von der ersten zur zweiten Befruchtung sich zugunsten des weiblichen Geschlechts verschoben hatte, so dass erst die dritte Befruchtung durch eine abermalige Verschiebung nach der männlichen Seite den Zustand erreichte, der schon bei der ersten Befruchtung gegeben war. Vielleicht hängt dies damit zu- sammen, dass ın beiden Kulturen zugleich ein geringer Grad von Frühreife im Moment der ersten Befruchtung gegeben war, welcher nach den schon früher geäußerten Vermutungen durch ein dem männlichen Geschlecht günstigeres Sexualverhältnis ausgezeichnet ist. Würde man von beiden Serien Kurven anfertigen, in denen das Prozentverhältnis der Männchen dargestellt würde, so würde beidesmal die Kurve von der ersten zur zweiten Befruchtung ab- fallen, zur dritten wieder ansteigen, um mit der vierten ihr Maxi- mum zu erreichen. Zugleich würde sich ergeben, dass die männ- liche Tendenz bei der ersten Befruchtung in ihrer Gesamtheit eine 76 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. stärkere ist als bei der zweiten. Es würde von großem Interesse sein, eine größere Zahl derartiger Sexualitätskurven durch Beob- achtungen zu konstruieren. Man könnte mir nun einwerfen — und in der Tat ist dieser Einwand auch wiederholt gemacht worden — dass das verschiedene Resultat der einzelnen Befruchtungen durch Sterblichkeit verur- sacht sei, indem bald mehr die Weibchen, bald mehr die Männchen abgestorben seien. Leider ist es mir nicht geglückt, alle Tiere einer Befruchtung soweit zu züchten, dass ihr Geschlecht bestimmt werden konnte; es waren nur ca. 50°/,, immerhin im Vergleich zu den Resultaten früherer Forscher ein glänzendes Verhältnis. Da aber dieser Sterblichkeitsquotient in allen Kulturen der gleiche war, muss man annehmen, dass er durch die allgemeinen Kultur- bedingungen gegeben war. Es ist aber ın hohem Maß unwahr- scheinlich, dass dabei Männchen und Weibchen verschieden betroffen sein sollten und zwar in einer das einemal dem weiblichen, das anderemal dem männlichen Geschlecht ungünstigen Weise. Selektion ist daher wohl ausgeschlossen. Dass aber die Zahlen Ausdruck zufälligen Geschehens seien, wird wohl niemand behaupten wollen angesichts der Tatsache, dass die Abweichungen vom Mittel be- sonders bei den Spätbefruchtungen ganz enorme sind und weit außerhalb der Fehlergrenzen liegen, dass ferner bei allen Kulturen immer wieder dieselbe Verschiebung des Sexualverhältnisses einge- treten ist. Gegen die Annahme selektiver Vorgänge möchte ich noch geltend machen, dass das zur Aufstellung der Tabelle benutzte Material zum Teil aus Tieren bestand, welche nach beendeter Meta- morphose abgetötet waren, zum Teil aus jüngeren und älteren Larven, welche zu einer Zeit abgestorben waren, in welcher die Bestimmung des Geschlechts schon möglich war. Das für die Ge- schlechtsbestimmung konservierte Material bestand somit aus kleineren Gruppen, die aus verschiedenen Zeiten stammten. Hätte eine Aus- lese der Geschlechter beim Absterben stattgefunden, dann hätte das schwächlichere Geschlecht ın den früheren Stadien stärker, unter den jüngsten Larven fast ausschließlich vertreten sein müssen. Da ich die zu verschiedenen Zeiten konservierten Tiere getrennt aufbewahrt hatte, ließ sich feststellen, dass das Verhältnis von Männchen und Weibchen in den verschiedenen Gruppen im großen und ganzen das gleiche war, was die Annahme eines selektiven Absterbens der Tiere ausschließt. In meiner Tabelle steht noch eine vierte Kultur verzeichnet, bei welcher die zweite und vierte Befruchtung verunglückt waren. Die erste und dritte ergaben ein vollkommen gleiches Sexualıtäts- verhältnis. Ich führe die Kultur hier nur an, um zu zeigen, wie vorsichtig man sein muss, wenn man Kulturen von verschiedener Reife untereinander auf ihre Sexualität vergleichen will, dass man, Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. IT um sichere Resultate zu erzielen, eine größere Anzahl von Be- fruchtungen auf verschiedenen'Reifestadien vornehmen und somit eine Sexualitätskurve erzielen muss. Nach den Ergebnissen der ersten und dritten Befruchtungsserie erkläre ich das merkwürdige Resultat der vierten Serie dadurch, dass zufällig korrespondierende Punkte des ab- und aufsteigenden Schenkels einer Sexualitätskurve bei den zwei Befruchtungen getroffen worden waren. Die vorstehenden Resultate sind von mir schon vor 4 Jahren veröffentlicht worden. Das wichtigste derselben, dass mit zunehmender Überreife das Sexualitätsverhältnis anwächst und schließlich nur noch Männchen erzeugt werden, hat inzwischen durch zwei weitere Experimente, von denen das eine von Herrn Kuschakewitsch, das andere von mir angestellt wurde, eine vollkommene Bestätigung erfahren. Da es Herrn Kuschakewitsch zur Lösung seiner Auf- gabe (Entwickelungsgeschichte des Hodens) nicht darauf ankam, dass alle Individuen seiner Überreifekultur sich entwickelten, sondern es ihm nur darum zu tun sein musste, dass alle sich entwickelnden Tiere Männchen seien, riet ich ihm, nur zwei Befruchtungen vor- zunehmen und zwischen erster und letzter Befruchtung ein noch größeres Intervall zu nehmen, als es bei mir der Fall gewesen war. Er wählte daher einen Zwischenraum von 89 Stunden, also 17 Stunden mehr als bei meinem ersten Versuch, dessen letzte Befruchtung ja auch nur Männchen ergeben hatte. Sein Resultat war ein glän- zendes. Bei der normalen und der überreifen Befruchtung schlüpften fast sämtliche Eier aus, bei der normalen 205, bei der überreifen 434. Die Sterblichkeit der Larven war eine verschwindend geringe, 12, resp. 17 Individuen. Von beiden Kulturen wurde reichliches Material in Zwischenräumen behufs mikroskopischer Untersuchung konserviert. Dabei verblieb ein Rest von 111 Tieren bei der Normal- kultur, von 300 Tieren bei der Überreifekultur, welche zur Ge- schlechtsbestimmung benutzt werden konnten. Die Normalkultur bestand aus 58 f und 53 o, die Überreifekultur aus 299 Z und einem lateralen Hermaphroditen, welcher rechts männlich, links weiblich war. Die konservierten Tiere der Überreifekultur lieferten eine fortlaufende Reihe der Hodenentwickelung. Nahezu ebenso günstig verlief die Überreifekultur, welche ich im Jahre 1910 noch einmal ansetzte, um mich über den Zeitpunkt der Richtungskörperbildung zu vergewissern. Ich habe oben erwähnt, dass der zweite Richtungskörper normalerweise nach der Befruch- tung gebildet wird, dass er aber auch ohne dieselbe entstehen kann, dann aber um 6 Stunden verspätet. Es galt nun zu entscheiden, ob der Richtungskörper bei sehr verzögerter Eiablage schon im Uterus abgeschnürt wird oder ob der Prozess die Entleerung der Eier in das Wasser voraussetzt. Zur Untersuchung diente ein Pärchen, welches aus dem Lochhausener Moor stammte und in der 18 Heıtwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. Nacht vom 18. zum 19. Mai kopuliert hatte. Am 19. Mai früh 10 Uhr wurde eine erste Partie von Eiern abgesetzt; die getrennten Tiere wurden am 20. Mai wieder zusammengebracht und so aber- mals eine kleine Portion Eier (24 Stunden später) gewonnen. Das Pärchen wurde dann aufs neue getrennt und erst am 23. Mai früh zum Zweck der künstlichen Befruchtung abgetötet. Die künstliche Be- fruchtung wurde in der Zeit von 9— 12 Uhr vorgenommen; zugleich wurden die Eier auf die Bildung der Richtungskörper untersucht. Da eine Überreife der Eier von 96 Stunden vorlag (7 Stunden mehr als bei der von Kuschakewitsch angesetzten Kultur), be- fürchtete ich bei der bisher von mir gehandhabten Art der künst- lichen Befruchtung Polyspermie und wandte zunächst ein neues Verfahren an, indem ıch die Eier auf Fließblätter und gegitterte Zelluoidinplatten befestigte und die so gewonnenen Präparate in sehr verdünnte Spermalösung brachte. Ich wollte damit dem Vor- gang, wie er sich in der Natur abspielt — R. esculenta wird im Wasser begattet — möglichst nahe kommen. Da ich das Material zwischendurch auf die Richtungskörperbildung hin prüfte und daher genauer untersuchte, wurde ich aufmerksam, dass nur ein ganz ge- rınger Prozentsatz der Eier anging und die für befruchtete Eier charakteristische Orientierung des dunklen Pols nach aufwärts er- fuhr, dass somit ein ungewöhnlich hoher Prozentsatz der Eier un- befruchtet geblieben war. Ich benutzte daher für die noch nicht besamte zweite Hälfte der Eier mein früher erprobtes Verfahren: gut gereinigte Objektträger wurden auf das durch Aufschneiden des Uterus freigelegte Eimaterial leicht aufgedrückt, so dass kleine Gruppen von 3—10 Eiern an dem Objektträger hafteten. .Wenn in dieser Weise etwa 50—60 Eier dem Uterus entnommen waren, wurde aus einer konzentrierten Spermalösung mit einer Pipette Samen auf die Eier gespritzt, in der Weise, dass die Spitze der Pipette die einzelnen Eihaufen durchschnitt, so dass jedes Ei mit dem Sperma in Berührung gebracht wurde. Möglichst rasch nach der Besamung wurden die mit Eiern besetzten Objektträger in größere mit Wasser gefüllte flache Schalen gebracht, um durch genügende Wasserzufuhr ein gutes Aufquellen der Eihüllen herbeizuführen und so jede Zwangslage zu vermeiden. Da nunmehr fast alle Eier angingen, kann es gar keinem Zweifel unterliegen, dass der Misserfolg bei der ersten Partie des Materials ausschließlich der Anwendung der neuen, von mir nicht ausprobierten Befruchtungs- methode zugeschrieben werden muss. Denn im übrigen war das verwandte Material gleich. Bei beiden Methoden der Befruchtung wurden aus dem oberen und unteren Ende des Uterus und zwar sowohl der linken als auch der rechten Seite Eier entnommen. Ich bemerke noch, dass das unbefruchtet gebliebene Material vorzügliche Objekte lieferte, um die Bildung des zweiten Richtungskörpers zu Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 9 verfolgen. Dieselbe konnte im Lauf des Nachmittags an zahlreichen günstig gelagerten Eiern untersucht werden; es stellte sich heraus, dass kein Unterschied im Vergleich zu normalen Eiern gegeben war; der zweite Richtungskörper wird nicht im Uterus gebildet, selbst nicht bei einem Verweilen von über hundert Stunden; er wird erst gebildet, wenn die Eier ins Wasser gelangen und zwar, wie schon früher wiederholt festgestellt worden ist, bei unbefruchteten Eiern stark verspätet, 6—7 Stunden nach der Entleerung. Ich wende mich nun zu den Resultaten der drei Kulturen, so- weit sie für das Sexualitätsproblem von Wichtigkeit sind; zu dem Zweck gebe ich für die drei Kulturen (I., II., III.) 1. die Gesamt- zahl der von Anfang in ihnen vorhandenen Eier, 2. die unbefruchtet gebliebenen, 3. die frühzeitig abgestorbenen Schwächlinge, 4. die zur Aufzucht benutzten kräftigen Tiere, 5. die auf ihr Geschlecht untersuchten Tiere, 6. die Verteilung derselben auf die beiden Ge- schlechter. I Il II 1 397 108 113 2. 20 40 380 3. 54 4. 377 68 339 5. 349 50 271 6. 185 2:164E -209:304 2 Das Resultat ist abermals eine Bestätigung des schon früher gewonnenen Ergebnisses. Bei der ersten Befruchtung herrscht im vorliegenden Fall ein schwaches Überwiegen des weiblichen Ge- schlechts, in der zweiten ein etwas auffälligeres Überwiegen des männlichen Geschlechts. Die in beiden Kulturen vorhandenen Unterschiede sind jedoch noch so wenig ausgesprochen, dass sie innerhalb der durch Zufall gegebenen Fehlerquellen liegen könnten. Bei der dritten Befruchtung sind alle Tiere Männchen; ihre Zahl eine so gewaltige, dass auch die in Verlust gegangenen Tiere an dem Resultat nichts ändern könnten. Trotz der vielen Wider- sprüche, welche meine Angaben erfahren haben, halte ich es für sicher erwiesen, dass Überreife der Eier, sofern sie einen größeren Grad erreicht hat, zu einer ausschließlich männlichen Nachkommen- schaft führt. Ehe ich ın der Darstellung meiner Froschversuche fortfahre, möchte ich einige Worte darüber einschalten, inwieweit die Über- reifeexperimente Licht auf die Sexualitätsverhältnisse anderer Orga- nismen werfen. Zunächst berühre ıch die sich auf den Menschen beziehende Sexualıtätsstatistik. Diese weist eine größere Zahl von Knabengeburten auf, als sie die Gesetzmäßigkeit des Zufalls mit sich bringen würde. Die relativ geringfügige Abweichung würde Ss) Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. nach meinen Resultaten daraus zu erklären sein, dass die sozialen Verhältnisse des Menschen es begünstigen, dass öfters überreife Eier befruchtet werden. Nehmen wir an, worüber ja immer noch gestritten wird, dass die Ovulation ın die Zeit der Menstruation fällt, so wird ein das Sexualitätsmittel abändernder Einfluss um so mehr sich bemerkbar machen, je geringer die Zahl der Begattungen ist, welche in die unmittelbar auf die Ovulation folgende Zeit fallen, oder anders ausgedrückt, je mehr die Begattungen in der zwischen zwei Ovulationen in der Mitte liegenden Periode vorgenommen werden. Damit stehen die oben mitgeteilten statistischen Zahlen in bester Übereinstimmung: dass in den durch Kinderreichtum aus- gezeichneten unteren Ständen der Knabenüberschuss eine Abminde- rung erfährt, dass das Gleiche der Fall ist bei unehelichen Geburten, ferner bei den durch starke Sinnlichkeit ausgezeichneten Negern, dass der Knabenüberschuss endlich umgekehrt proportional ist der Häufigkeit der auf einen bestimmten Zeitabschnitt entfallenden Geburten; denn aus der Zunahme der Zahl der fruchtbaren Begat- tungen kann man wohl schließen, dass relativ viele derselben in der Zeit kurz vor oder nach der Ovulationsperiode ausgeführt wurden. — Eine auffallend hohe Sexualitätsziffer (138) zeigen die Hunde. Ich möchte das in Zusammenhang bringen mit dem Wunsch der Hundezüchter, möglichst viel Rüden zu züchten und mit der in Kreisen der Hundezüchter herrschenden, nach meiner Ansicht durch- aus richtigen Meinung, dass Hündinnen mehr männliche Nach- kommenschaft erzeugen, wenn sie relativ spät gedeckt werden. — Die Erfahrungen der Pferdezüchter haben ergeben, dass, wenn in einem Gestüt viele Stuten auf einen Hengst entfallen oder ein alter Hengst benutzt wird, die Zahl der männlichen Fohlen zunimmt. In beiden Fällen ist es zu erwarten, dass ein Teil der Stuten relativ spät begattet wird. — Endlich sei noch der Erfahrung der Fisch- züchter gedacht, dass die Einführung der künstlichen Befruchtung zu einem Anwachsen der Sexualitätsziffer geführt hat. Mein Kollege Hofer erklärt dieses Ergebnis auf Grund meiner Resultate aus der Praxis der Fischzüchter, welche erst eine Zahl laichreifer Weibchen zusammenkommen lassen, ehe sie die künstliche Befruchtung aus- führen. Es ist klar, dass bei einem solchen Verfahren einige Fische überreif werden müssen. Nun könnte man den Einwand erheben, dass in den 3—4 Tagen, welche von der ersten bis zur letzten Befruchtung verflossen sind, nicht nur die Eier, sondern auch das Sperma gealtert ist, dass so- mit auch letzteres Ursache des so stark veränderten Sexualıtäts- verhältnisses gewesen sein könnte. Der Umstand, dass das Sper- matozoon fast nur aus Kernsubstanz besteht, vitale durch Austausch zwischen Kern und Protoplasma bedingte Veränderungen daher sehr unwahrscheinlich sind, der weitere Umstand, dass im Hoden von Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. Si Rana esculenta immer neue Spermatozoen heranreifen und dass die vorhandenen immer erst in Tätigkeit treten, wenn sie ins Wasser geraten, alles dieses machte es mir höchst unwahrscheinlich, dass die kurze Zeitdauer von 3—4 Tagen so intensive Veränderungen des Samens herbeigeführt haben könnte. Auch ist es bekannt, dass bei vielen Tieren die Spermatozoen Monate, ja selbst Jahre im Uterus (Fleder- mäuse) oder dein Receptaculum seminis (viele Insekten) verweilen, ohne dass dadurch die Bildung von Weibchen unmöglich gemacht würde. Gleichwohl hielt ich es für zweckmäßig, die Frage experi- mentell genauer zu prüfen. Die Möglichkeit dazu war durch den oben schon besprochenen Umstand gegeben, dass die Laichzeit von Rana esculenta an den einzelnen Orten zu verschiedenen Zeiten ein- tritt, so dass es möglich war, zu gleicher Zeit Männchen zu erhalten, welche auf der Höhe der Brunst standen, andere, welche dieselbe noch nicht erreicht, dritte, welche sie schon seit längerem passiert hatten. Auf diesem \Vege musste es möglich sein, größere Reifungs- unterschiede der Spermatozoen zu erhalten, als es bei meinen Über- reifeexperimenten der Fall war. Als überreife Männchen benutzte ich Florentiner Frösche, welche -mir mein früherer Schüler Herr Dr. Schmitt-Marcell aus Florenz besorgt hatte. Die Tiere wurden am Nachmittag gefangen, aus der Umklammerung getrennt und abends mit dem Nord-Südexpress expediert, so dass sie am folgen- den Morgen in meinem Besitz waren. Ich benutze die Gelegenheit, Herrn Schmitt-Marcell für seine aufopfernden Dienste meinen besten Dank zu sagen. Als unreife Männchen dienten mir zumeist Männchen aus Dorfen, einem kleinen Ort auf der Linie München— Mühldorf, wo nach meinen Erfahrungen das Laichgeschäft be- sonders spät eintritt. Als normalreife Tiere wurden Männchen ver- wandt, welche in Begattung angetroffen wurden. Das Verfahren war folgendes. Weibchen, welche eben anfingen abzulaichen, wurden getötet und ıhr Eimaterial mit dem Samen von 3-5 verschiedenen, nach den soeben erläuterten Gesichtspunkten ausgewählten Männchen künstlich befruchtet. Dabei wurde der Möglichkeit, welcher ich selbst freilich gar keine Bedeutung beimesse, Rechnung getragen, dass das Eimaterial des rechten und linken Uterus geschlechtliche Differenzen besitzen®) oder dass in einem jeden Uterus Unterschiede 8) Es ist wiederholt die phantastische, durch Nichts begründete Auffassung vertreten worden, dass linke und rechte Ovarien sich geschlechtlich verschieden verhalten, indem aus dem einen nur weibliche, aus dem anderen nur männliche Individuen hervorgehen sollten. Diese Auffassung ist für die Frösche von mir da- durch widerlegt worden, dass ich den Inhalt des rechten und linken Uterus, welcher vermöge der Anordnung des Darms nur aus dem gleichseitigen Ovar stammen kann, getrennt gezüchtet und nahezu ein und dasselbe Sexualitätsverhältnis erhalten habe (vgl. S. 101 Anm.). Bei Säugetieren ist es durch Helen King, Doncaster und Marshall bewiesen worden, dass nach völliger Exstirpation eines Ovars das zurück- bleibende Ovar gleichviel männliche wie weibliche Nachkommenschaft liefert. DERXIE . 6 82 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. zwischen den dem Ausgang benachbarten und den im oberen Ab- schnitt befindlichen Eiern vorhanden sein könnte. Ich sorgte dafür, dass bei jeder Befruchtung Eier sowohl aus dem rechten wie dem linken Uterus und innerhalb eines und desselben Uterus aus ver- schiedenen Regionen genommen wurde. So wurde vermieden, dass das Resultat der Versuche durch verschiedene Beschaffenheit des Eimaterials getrübt wurde. Da die Versuche ferner den Zweck hatten, zu entscheiden, ob der Einfluss der Spermatozoen auf die Geschlechtsbestimmung — ganz abgesehen von ihrem Reifezustand — je nach den einzelnen Männchen ein verschiedener ist und ob ein derartiger individueller Einfluss, falls er sich nachweisen lassen sollte, auf die Eier verschiedener Tiere in gleichem Sinne wirkt, wurde folgende Anordnung des Experiments gewählt. Es wurden mehrere Weibchen, welche entweder am gleichen Morgen oder am Tag vorher zu laichen begonnen hatten, abgetötet und ihre Eier mit dem Samen der ausgewählten Männchen befruchtet. Nennen wir die zum Besuch benützten Weibchen a, b, ce und d und die Männ- chen 1, 2, 3 und 4, so würden sich im ganzen 16 verschiedene Be- fruchtungen ergeben, nämlich: - at a2 a? at br bzrp..b CEcaaec, derd4°:0% Ich habe die erste derartige Befruchtungsserie (2 Weibchen mit 6 verschiedenen Männchen) schon 1905 angesetzt; weitere Ver- suche habe ich 1906, 1907 und 1908 vorgenommen, so dass wir im ganzen jetzt die Resultate von 26 Versuchsserien mit mehr als 100 Befruchtungen zur Verfügung stehen. Dabei hat es sich herausgestellt, dass es ganz außerordentlich schwierig ist, sichere Resultate zu gewinnen. Wiederholt habe ich es erfahren, dass Kulturen trotz aller Sorgfalt und Mühe eine sehr hohe Sterblichkeit besaßen. Diese Sterblichkeit ıst am häufigsten durch das Eimaterial veranlasst; aber auch die Samenfäden können Ursache sein. Mehrfach habe ich beobachtet, dass Eier der ver- schiedensten Weibchen mit dem Sperma eines bestimmten Männchens befruchtet, sich schlecht entwickelten. Die Spermatozoen können somit einen schädigenden Einfluss auf die Entwickelung ausüben, wie es in noch viel drastischerer Weise von meinem Bruder für Spermatozoen festgestellt wurde, welche vorher einer Radium- behandlung unterworfen waren. Unter den sich schlecht entwickeln- den Kulturen gab es einige, welche zunächst nicht durch große Sterblichkeit ausgezeichnet waren, wohl aber sehr bald das Wachs- tum und die weitere Entwickelung einstellten. Alle Versuche, der- artige Zwergtiere über das frühe beinlose Kaulquappenstadium Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. Ss5 hinaus zu züchten, waren erfolglos. Nur einigen wenigen gelang es, die Entwickelungshemmung zu überwinden; diese wuchsen dann sogar zu außergewöhnlicher Größe heran. Ein empfindlicher Übel- stand war es auch, dass einige Male sich eine in ihren Ursachen mir rätselhafte Epidemie entwickelte, dadurch ausgezeichnet, dass starke Blutungen in der Haut auftraten. Derartig infizierte Kulturen starben meist innerhalb weniger Tage aus. Am meisten aber wurde der Erfolg meiner Untersuchungen dadurch beeinträchtigt, dass es bei Rana esculenta ähnlich wie bei R. temporaria vorkommt, dass ganze Kulturen durch eine Indifferenz des Geschlechtsapparats aus- gezeichnet sind, welche eine genaue Bestimmung des Sexualitäts- verhältnisses unmöglich macht. Ich werde auf diese Kulturen, welche nach anderer Richtung hin von großem Interesse sind, sogleich noch zurückkommen. AD, So sehr nun auch die experimentellen Prüfungen des Spermas mir trotz aller Arbeit keine befriedigenden Ergebnisse geliefert haben, so hat sich doch ein klares Resultat herausgestellt, dass es vollkommen ausgeschlossen ist, die rein männlichen Kulturen durch Alters- veränderungen der Spermatezoen zu erklären, dass vielmehr nur die Überreife der Eier in Betracht gezogen werden kann. Für das Sexualverhältnis war es völlig gleichgültig, ob die bei der Befruchtung verwandten Spermatozoen von Tieren stammten, deren Brunst 14 — 28 Tage lang schon vorüber war, oder von brünstigen Tieren, oder von Tieren, welche noch keine Tendenz zur Begattung zeigten. Ich erhielt zwar bei meinen Experimenten einige Male rein männliche Kulturen; diese ließen sich aber nur aus der Beschaffenheit der Eier erklären; es ist wohl ziemlich sicher, dass hier Weibchen mit überreifen Eiern vorgelegen hatten. Wahrschemlich waren die betreffenden Weibchen besprungen worden; das Männchen hatte aber — viel- leicht beim Einfangen der Copulae — die Umklammerung_ los- gelassen, so dass eine zweite Kopulation vorlag, als ich das be- treffende Weibchen zum Ansetzen der Kultur benutzte. Es handelte sich um zwei Weibchen, welche aus Irschenhausen stammten. Das Eimaterial des einen wurde erstens mit Samen von einem brünstigen Irschenhausener Männchen, zweitens mit Samen eines aus der Um- gebung von Florenz stammenden Männchens befruchtet. Das Sexual- verbältnis war im ersten Fall 35 : 2 9, im zweiten Fall 153 9:19. Beim zweiten Weibchen kamen ein Irschenhausener (I), ein Loch- hausener (II) und ein Florentiner Männchen (III) zur Verwendung. Die Zucht ergab 341038 ::0!9,11 150: 3 J., HE I67 8°: 28: Zur Erläuterung habe ich noch zu bemerken, dass die aus der Umgegend von Florenz stammenden Männchen daselbst am 6. Maı in Kopula gefangen und getrennt worden waren, um das Ablaichen der Weibehen zu verhindern, dass damals die Laichzeit an der be- 6* S4 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. treffenden Lokalität zu Ende ging, so dass nur mit großer Mühe das Material noch beschafft werden konnte. Die Laichzeit in Loch- hausen hatte eine Woche später ihren Höhepunkt, die in Irschen- hausen in dem letzten Drittel des Mai. Die an erster Stelle ge- nannte Befruchtungsserie war am 4. Juni, die andere am 23. Mai angesetzt worden. Bei beiden Serien waren daher die Männchen sowohl von Italien wie von Lochhausen überreif, erstere in einem Fall sogar fast um 5 Wochen. Besonders günstige Verhältnisse gestatteten mir übrigens in ganz einwurfsfreier Weise den Beweis zu führen, dass ın der ersten der beiden Befruchtungsserien, in denen nahezu ausschließlich Männchen erzüchtet wurden, nur die Beschaffen- heit der Eier Ursache gewesen sein kann. Am 4. Juni, an welchem ich die betreffende Überreifekultur erzielte, hatte ich noch ein zweites Irschenhauser Weibchen zu einer Parallelkultur benutzt; ich hatte seine Eier mit dem Sperma derselben Irschenhauser und Florentiner Männchen befruchtet, außerdem aber noch mit einem dritten aus Lochhausen stammenden Männchen. Diese Parallelkultur ergab — abgesehen von dem Auftreten sogen. indifferenter Formen bei der Befruchtung durch das Lochhausener Männchen, worauf ich noch zurückkommen werde — die gewöhnlichen Sexualitätsverhält- nisse, annähernd gleichviel Männchen und Weibchen. Ich stelle ım folgenden die beiden Parallelkulturen in Vergleich, indem ich das eine Irschenhauser Weibchen als a, das zweite als b bezeichne und die drei Männchen wieder mit I, IT und III numeriere, I = Irschen- hausen, II = Lochhausen, III = Florenz. Tabelle I. alsd, 20, 1 = IT 153d, 19 b_ 844,869 90 d, 36 J., 79 9 182 d, 1149 Dass bei der Befruchtung des Weibchens b mit dem Florentiner Männchen (III) die Zahl der Männchen nicht unerbeblich die der Weibchen überwiegt, ist keinenfalls von allgemein prinzipieller Be- deutung. Denn in vielen analogen Fällen — ich verweise auf die Zusammenstellung in der Tabelle II ist von einem derartigen Ver- halten der überreifen Florentiner Männchen nichts zu bemerken. Die Ansicht, dass Überreife der Eier Ursache des fast ausschließlich männlichen Charakters der besprochenen zwei Kulturen war, findet weitere Unterstützung in den mikroskopischen Untersuchungen von Kuschakewitsch, welcher darüber schon an anderer Stelle be- richtet hat. Ich hatte Herrn Kuschakewitsch zur Vervollständigung seiner Untersuchungen über Hodenentwickelung Material aus den genannten Kulturen zur Konservierung zur Verfügung gestellt. Derselbe fand an ihnen dieselben Besonderheiten, welche er als charakteristisch für die Hodenentwickelung der Überreifekulturen festgestellt hatte, wieder. Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. s5 Um nun noch weiter zu zeigen, dass das Sexualverhältnis durch den Reifezustand der Spermatozoen nicht geändert wird, teile ich in Tabelle II noch einige weitere Resultate aus meinen Kulturlisten mit. In derselben sind die Weibchen mit römischen, die Männchen mit arabischen Ziffern bezeichnet. Ihre Reihenfolge gibt die Reihenfolge an, in welcher die Geschlechtsreife an den einzelnen Orten eintritt. I1 bedeutet Florentiner Material, II2 Material aus Lochhausen, III3 aus Irschenhausen, IV 4 aus Schleißheim, V 5 aus Dorfen. Wo aus derselben Gegend zwei Tiere zu Parallelkulturen benutzt wurden, sind sie mit a und b unterschieden. In der ersten Kolumne steht jedesmal das Datum, an welchem die Kultur angesetzt wurde. Tabelle II. Ns | }; 2. 38 3b 27./5.08. | III 42 :549 | 25d, 98J.,119, 88 J:679 | 85[:889 B: 1. | 2. 3: 29.15:09.) 01 81 2.2.8560 | 67:66 9 Go G= | 15 | 2. 3 21./5.09.| Ta. 84 g:77e: | 985.:709,12J.| 764°:56:9 Ib 87:63 9: 116391:105 © 835:799 II 1809:1808 [1785 :207 9 1748 :195 9 D. ke: 2 3a 3b 27./5.09.\IITa 140 9:1429 | 525:349 112:979 109 J. IIIb 675:689 | 205 :109,5J.|1625:1149,4J.| 14, 419. Ile 52£:509 | 708:69J. BAg:1o, 119.) Saal. Die Kultur © ist dadurch noch von Interesse, dass die Florentiner Weibchen Ia und Ib nach der Laichperiode noch längere Zeit (6.—20.Mai) vom Männchen getrennt gehalten waren, so dass jeden- falls ein gewisses Maß von ovarialer Überreife vorlag. Daraus erklärt sich vielleicht auch, dass eine nicht unbedeutende Zahl Eier bei der Befruchtung nicht anging. Wenn nun auch die mitgeteilten Kulturresultate die Ansicht endgültig widerlegen, dass alternde Spermatozoen eine männ- liche Nachkommenschaft erzeugen, so würde es doch verfehlt sein, wenn man der verschiedenen Beschaffenheit der Spermatozoen jeden Einfluss auf das Sexualitätsverhältnis absprechen wollte. Wäre es der Fall, so müsste das Sexualitätsverhältnis für das Ei- material eines und desselben Weibchens das gleiche sein, auch wenn die einzelnen Portionen desselben mit Samen verschiedener Männchen befruchtet wurde. Das ist aber nicht der Fall, wie be- sonders die Kultur © (20./5. 1909) lehrt. Denn die Kombination 9 la- JS 1 ergab das Sexualitätsverhältnis 109°/,, die Kombination 9 la-+ 2 140°/,, desgleichen die Kombination g Ib+c 1 140°], Sh Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. die Kombination Ib2 160°/,; bei beiden Weibchen bedingte das Männchen 2 eine Steigerung der Sexualitätsziffer im Vergleich zu Männchen 1. Dabei ergab Weibchen III dem gleichen Männchen gegenüber das entgegengesetzte Verhalten. Ähnliches lässt sich aus Kultur D (27./5. 1909) und vielen anderen Kulturen entnehmen, wobei jedoch immer die Gefahr in Erwägung gezogen werden muss, dass die vorhandenen Unterschiede der Sexualität durch eine ver- schiedene Mortalität von Männchen und Weibchen herbeigeführt seın könnten. Viel beweisender als durch das bisher mitgeteilte Material wird jedoch der große Einfluss, welchen die Spermatozoen auf die Entwickelung des Geschlechts ausüben, durch eine Reihe wei- terer Kulturen bewiesen, die ich wegen ihres besonderen Charakters getrennt bespreche. Um hier verständlich zu werden, muss ich etwas weiter ausholen. Bei den ausgedehnten Untersuchungen, welche ich über die Geschlechtsorgane von Froschlarven und jungen Fröschchen angestellt habe, bin ich zu dem überraschen- den Resultat gekommen, dass die einzelnen Froschkulturen in der gesamten Entwickelungsweise der Geschlechtsorgane sich ganz er- heblich voneinander unterscheiden können. Man kann geradezu von zwei verschiedenen Typen reden. Der eine derselben ist dadurch charakterisiert, dass sich schon sehr frühzeitig (bei Larven mit schwach entwickelten Hinterbeinen) ohne mikroskopische Untersuchung mit Sicherheit erkennen lässt, ob ein Männchen oder ein Weibchen vor- liegt. Untersucht man gar Fröschchen, welche in der Metamorphose begriffen sind, so ist der Unterschied zwischen dem kurzen, ge- drungenen, ovalen, glatten Hoden und dem lang ausgezogenen, krausenartig gefalteten, körneligen Ovar ganz gewaltig. Diesem frühzeitig differenzierten Typus steht ein zweiter Typus gegenüber, den ich vor 4 Jahren auf dem Zoologentag in Rostock genauer charakterisiert und als indifferenten Typus bezeichnet habe. Ku- schakewitsch hat meine Angaben bestätigt und durch entwicke- lungsgeschichtliche Untersuchungen erweitert; er hat auch den Aus- druck „Indifferente Formen“ beibehalten. Hier findet man bei den meisten Froschlarven und ausmetamorphosierten Fröschchen, ja selbst bei großen ım Freien gefangenen, mindestens 2 Jahre alten Tieren die Geschlechtsdrüse als einen unansehnlichen, durchscheinen- den Strang auf der Niere, der nicht selten stumpf oder gar recht- winklig geknickt und so in einen der Niere aufliegenden und einen dem unteren Rand des Fettkörpers entlang laufenden Schenkel abgeteilt ist. Meist ıst der Strang rosenkranzförmig angeschwollen, weil in seinem Innern rundliche, hintereinander gereihte Hohlräume lagern. Da diese Hohlräume während der Entwickelung des Ovars auftreten, bei der Hodenentwickelung dagegen durch solide Zell- stränge (Genitalstränge) vertreten werden, gleicht die indifferente Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 57 (Geschlechtsdrüse einem frühen Stadium der Ovarialanlage, so dass man sie als ein auf früher Entwickelungsstufe stehen gebliebenes Ovarıum bezeichnen könnte. Gewöhnlich findet man nun in einer „indifferenten“ Kultur auch Individuen mit deutlich ausgesprochenen Hoden und leidlich entwickelten Ovarien und zwar in wechselnder Zahl, dazwischen Übergänge vom indifferenten Zustand sowohl nach der Seite des Hodens als auch des Ovars hin, so dass man ganz in Verzweiflung kommt, wenn man versucht, die Formen zu klassifizieren. Ich habe es früher versucht und sie in In- differente, Indifferente mit Neigung zum Ovar, Indifferente mit Neigung zum Hoden, typische Ovarien und typische Hoden ein- geteilt, habe mich aber mehr und mehr überzeugt, dass dadurch die Schwierigkeiten nur gehäuft werden. Wenn ich nach einem längeren Zeitraum von Neuem eine Klassıfikation vornahm, kam ich jedesmal zu anderen Resultaten. Ich halte es daher für das zweckmäßigste, zwei Kategorien zu bilden, und Tiere mit un- zweifelhaftem Hoden allen übrigen (Indifferenten, Indifferenten mit weiblichem Einschlag, typischen Weibchen) gegenüberzustellen. Frei- lich wird damit das wahre Sexualitätsverhältnis nicht zum Aus- druck gebracht. Denn es kann keinem Zweifel unterliegen, dass ein großer Teil der „Indifferenten“, ähnlich wie es mit den Pflüger’- schen „Hermaphroditen“ von Rana temporaria der Fall ist, sich noch zu Männchen umbilden werden. Wie dies mein Schüler Schmitt-Marcell für Rana temporaria bewiesen hat, so hat Kuschakewitsch bei Rana esculenta die Umbildung eines Teils der indifferenten Gonaden in Hoden histologisch genauer verfolgt. Auch die Verbreitungsweise spricht dafür, dass nicht alle indifferenten Formen Weibchen mit Entwickelungshemmung des Ovars sind; dieselbe ist eine sehr merkwürdige. Alle Kulturen, welche von Schleißheimer und Dorfener Material stammten, so- wie die im Freien gesammelten Froschlarven und jungen Fröschchen zeigten den indifferenten Charakter. Im Gegensatz dazu war das Irschenhausener Material gleichgültig, ob im Freien gesammelt oder nach künstlicher Befruchtung gezüchtet, meist sexuell frühzeitig differenziert. Bei meinen vielen künstlichen Befruchtungen von Irschenhausener Weibchen habe ich nur zwei Ausnahmen beobachtet, zwei indifferente Kulturen, von denen weiter unten noch die Rede sein wird. Von Lochhausen habe ich beiderlei Typen erhalten; doch überwogen sowohl bei meinen Kulturen, als auch bei dem im Freien aufgesammelten Material die indifferenten Formen. An den Orten, in denen geschlechtliche Indifferenz der jungen Tiere die Regel ist, findet man unter den geschlechtsreifen Indi- viduen ungefähr gleichviel Männchen wie Weibchen. Wenn man dagegen die Jugendformen untersucht, trifft man im Vergleich zu den differenzierten Männchen enorm viele indifferente Formen, so SS Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. dass es ganz undenkbar ıst, dass alle indifferenten Formen sich zu Weibchen weiter entwickeln. Anfang Juli 1910 hieß ich in der Umgebung von Dorfen junge Fröschchen aufsammeln. Ich erhielt 28 Stück, von denen der Größe nach zu schließen 7 einjährige, 21 zweijährige kräftige Tiere waren. Drei derselben hatten typische Hoden, 23 indifferente Geschlechtsdrüsen; bei drei weiteren war die Geschlechtsdrüse etwas kräftiger und begann die Charaktere eines Ovars anzunehmen. Aufsammlungen in Lochhausen, welche sich über mehrere Jahre erstreckten, ergaben 94 d‘, 157 J., 22 typische Weibchen. Da es in Lochhausen neben indifferenten Gelegen solche mit ausgeprägter Sexualität gibt, muss man, um das Sexualıtäts- verhältnis der indifferenten Formen zu bestimmen, von den normal geschlechtlichen Formen absehen und demgemäß für dieselben gleichviel Männchen und Weibchen in Abzug bringen, also 22, so dass für die ıindifferenten Kulturen sich das Verhältnis 74 d zu 157 J. ergibt. Zähle ich schließlich alle meine durch künstliche Kultur erzielten ındıfferenten Kulturen zusammen, so finde ich unter Mitberücksichtigung von 14 ın dieser Arbeit nıcht genannten Kul- turen die Zahlen 376 d zu 1977 J. In allen diesen Fällen über- wiegen die Indifferenten an Zahl so enorm die Männchen, dass es ganz ausgeschlossen erscheint, sie sämtlich für Jugendformen von Weibchen zu erklären. Vielmehr müssen wir annehmen, dass ein sehr großer Teil der Indifferenten sich nachträglich noch zu Männchen würde umdifferenziert haben, wenn sie am Leben ge- blieben wären. Für den Nachweis eines von den Spermatozoen ausgehenden, geschlechtsbestimmenden Einflusses ist es nun von hohem Interesse, zu sehen, dass die Spermatozoen die Fähigkeit haben, den Eiern den indifferenten Charakter zu induzieren. Am schönsten erläutert diesen Satz eine ım Jahr 1906 von mir angesetzte Kultur. Das Eimaterial eines aus Lochhausen stammenden Weibchens wurde mit Samen von 5 Männchen befruchtet, von denen das 1. aus Lochhausen, das 2. aus Florenz, das 3. und 4. abermals aus Loch- hausen, das 5. aus Dorfen stammte. Die drei ersten Kulturen Baer ein klares Sexualitätsverhältnis, die beiden letzten sen! Indifferenz. ala 3. 67d:79943J.|5.38:190J.:119 2.02.52 01.27. | 4. 358121). : 19.9 Eine ähnliche Beobachtung habe ich später noch mehrmals gemacht, desgleichen auch Kuschakewitsch. In einem der von mir beobachteten Fälle ergaben die Eier eines Irschenhausener Weibchens mit Samen eines Irschenhausener (1) und eines Floren- tiner Männchens (2) befruchtet, vollkommen klare Sexualıtätsverhält- nisse, bei Befruchtung durch ein Lochhausener Männchen (3) außer Hertwig, Über den deızeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. &ı) deutlichen Männchen und Weibchen eine große Zahl indifferenter Formen. 1.176 0: 1149 | 2.844:865 | 3. 96 4:799-+4+38J. | Rücksichtlich eines weiteren Beispiels verweise ich auf die zweite Kultur der Tabelle III (Weibchen III A mit Männchen 1, 2::38,..3b). Während ın den besprochenen 2 Serien die normale Sexualität die Regel, Indifferenz die Ausnahme bildet, kommt gelegentlich auch das entgegengesetzte Verhalten vor, dass Befruchtung mit einer Art Spermatozoen klar ausgeprägte Sexualität hervorruft, während bei Anwendung anderweitiger Spermatozoen Indifferenz herrscht. So lieferte ein Lochhausener Weibchen, mit zwei Lochhausener Männchen befruchtet, wie es bei dieser Befruchtungsweise meist der Fall zu sein pflegt, indifferente Kulturen. mit relativ geringer Zahl von Männchen, bei Paarung mit einem Florentiner Männchen da- gegen das Sexualitätsverhältnis 102 J :61 9. Das Gleiche lässt sich aus der letzten Reihe der Tabelle III (Weibchen Illc) entnehmen. Dieselbe enthält die Resultate der Paarungen eines Irschenhausener Weibchens mit Lochhausener und Irschenhausener Männchen und einem Florentiner Männchen. Während letztere Befruchtung das Verhältnis 52 5 : 50 9 zeigt, sind die drei anderen Kulturen indiffe- rent. Auffallend ın beiden Fällen ıst die Erscheinung, dass in über- einstimmender Weise die deutliche sexuelle Differenzierung durch Florentiner, also überreife Männchen bedingt war. Die Erscheinung verdient um so mehr Beachtung, als mancherlei Erfahrungen darauf hinweisen, dass die Befruchtung mit unvollkommen reifen Männchen Indifferenz zu begünstigen scheint. Ich verweise zur Erläuterung aber- mals auf Tabelle III (Weibchen IIa) erste Reihe. Die zwei indifferenten Kulturen wurden hier durch ein noch nicht brünstiges Lochhauser und ein von der vollen Geschlechtsreife noch weit entferntes Dorfener Männchen bedirgt. Dass jedoch der verschiedene Reifezustand der Spermatozoen die verschiedene Differenzierungsenergie der Ge- schlechtsdrüsen nicht allein erklärt, geht zur Genüge daraus her- vor, dass an gewissen Lokalitäten indifferente Kulturen auch bei normal reifen und überreifen Männchen und Weibchen sehr häufig vorkommen. Ob durch den als Indifferenz bezeichneten Zustand der Ge- schlechtsdrüsen das normale Sexualitätsverhältnis 50 :50 ın den besprochenen Kulturen abgeändert wird, lässt sich aus meinen Ver- suchen nicht entnehmen, da ich die indifferenten Fröschchen ab- töten musste und nicht soweit züchten konnte, bis es sich feststellen ließ, m welchem Verhältnis die Tiere sich zu typischen Männchen und Weibchen umwandeln. Indessen erwies sich ein Teil meiner indifferenten Kulturen vermöge anderer Eigentümlichkeiten als ge- 0 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. eignet, um zu erkennen, dass geschlechtsbestimmende, auch die Proportion 50:50 abändernde Einflüsse von den Spermatozoen ausgehen können. IZ4nu9g X UATIUURM SOPUSLUWBIS zuslo] J SNe UI UADPUOS ‘(uosneqy>2oT) 9 z UOpuaRjy sep Jyoru opanaı IyOnZ usyıynjosjne ofJayS JoyLıp uw dop 10q “Surd U9IOLIOA [[EFWZ uogaıpyonpsun uaurd yanp Iyanz us.19wwme[y9du UOp nZ (6 S ‘uoyılowoq nz Ist 9 JJ anyıny Op uo][o} ‘9]J] Sumymapg yDanp eIp ssep DZ UDULOMID 8067, 2.20 Sl 89:19 Aal öePL:PoFl el | '£69:Pr4 ratörıt:Pz9l | | +ö1:Prg 16:9 211 er + örıt: 2291 | | 01 | )) _ Pl Sr f1:2$ I: 5 rg: Pag | | ° | EISRSSTNTSSDETT: » ‚ q& Es hat sich nämlich herausgestellt, dass Eier, "fr 86: 20T 9JI "£C91:20, 566 "P 221: 2097) 5005: 94 re+ö62.:219 St + Lost: Par ösı + Log STERN rFr:Po6r Au rg+özc:Px2g ve] AT "P8LTL!269 STOP RSRTT & En » ’ ug 4% ZSVaRBESTTENENT: | ee: ik welche mit gewissen Sper- matozoen indifferente Kul- turen liefern, mit Sperma- tozoen anderer Frösche be- fruchtet, sich ausschließlich oder fast ausschließlich zu Weibchen entwickelten. Die in diesen Kulturen erzüch- teten Weibchen, sowohl Larven wie metamorpho- sierte Fröschchen, besaßen Ovarien von einer ganz außergewöhnlichen Beschaf- fenheit; dieselben bildeten nicht wie sonst breite krausenartig gefaltete grob- körnige Blätter, sondern zylindrische oder wurst- förmige, schwach gewun- dene Wülste mit glatter Oberfläche. Die Ursache des abweichenden Aussehens der Geschlechtsdrüse war dadurch bedingt, dass die Eier erheblich kleiner waren als in den Blätterovarien, dafür um so zahlreicher vorhanden. Ich habe die Erscheinung in zahlreichen Kulturserien beobachtet. Zur Erläuterung wähle ich zwei besonders lehrreiche Beispiele heraus. Bei der ersten Kultur kamen 3 Loch- hausener Weibchen (IlIa, IIb, IIc) zur Verwendung, bei der zweiten 3 Weibchen aus Irschenhausen (1lla, IIlb, IlIc). Bei der ersten Kultur wurden 2 brünstige und 1 noch nicht brünstiges Lochhausener (2a, 2b, 2c) Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. Yf Männchen, ein noch nicht brünstiges Männchen aus Dorfen (4) und ein Florentiner Männchen, welches schon längere Zeit die Brunst hinter sich hatte (1), benutzt. Bei der zweiten Kultur dienten 3 Irschenhausener Weibchen (Illa, IIIb, 1IIc) und 2 Irschenhausener Männchen (3a und b), sowie ein Männchen aus der Umgegend von Florenz (1). Die zwei zur Erläuterung herangezogenen Kulturen ermöglichen uns, noch einiges zur Charakteristik der Weibchen erzeugenden Spermatozoen hinzuzufügen; sie zeigen nämlich die oben schon her- vorgehobene Besonderheit, dass sie Eiern, welche, durch andere Spermatozoen befruchtet, deutliche sexuelle Differenzierung erkennen lassen, die Entwickelung zur Indifferenz induzieren. Man kann den indifferenten Zustand des Geschlechtsapparats im allgeweinen als eine Verschiebung der Sexualität nach der weiblichen Seite hin auffassen, mit welcher zugleich eine Entwickelungshemmung des Geschlechts- apparats verbunden ist. Ist die Tendenz zur sexuellen Differenzierung in den Eiern zwar vorhanden, aber nicht stark entwickelt, so können die Spermatozoen sie zu dem geringen Maß weiblicher Präponderanz, wie er durch Indifferenz des Geschlechtsapparats bezeichnet wird, veranlassen. Ist aber die Neigung zur Indifferenz den Eiern ohnehin eigentümlich, so wird durch die gleichgerichtete Tendenz der Sper- matozoen eine weitere Verschiebung nach der weiblichen Seite herbei- geführt. So kommen dann die Ovarien mit zylindrischer walzen- förmiger Gestalt zustande. Die hier vorgetragene Auffassung der indifferenten Kulturen stützt sich auf ein sehr umfangreiches Beobachtungsmaterial (vgl. S. 88). Immerhin kann ich hier nicht übergehen, dass einige Re- sultate der Tabelle III mit ihr nicht übereinstimmen; es gilt dies von den Befruchtungen Ilb und Ile mit Männchen 1 und Weib- chen IIb mit Männchen 2b und Weibchen Ile mit Florentiner Männchen x. In diesen vier Fällen ist die Zahl der Männchen eine so große, dass man hier von einer Verschiebung des Gesamtcharak- ters der Kultur nach der weiblichen Seite nicht reden kann. Man kann nur sagen, dass hier die Weibchen durch indifferente Formen vertreten sind. Vielleicht hat hier eine frühzeitige Umwandlung der anfangs indifferenten Formen in Männchen stattgefunden. Zur Charakteristik der indifferenten Kulturen muss ich schließlich noch eine Eigentümlichkeit erwähnen, auf die ich schon in meinem Rostocker Vortrag eingegangen bin und die auch Kuschakewitsch hat bestätigen können. Wie nicht anders zu erwarten war, bin ich bei meinen Überreifekulturen auch auf Weibchen gestoßen, deren Eier die Entwickelung zur Indifferenz einschlugen. Es ergab sich, dass die durch Überreife bedingte Verschiebung nach der männlichen Seite hier lange nicht so ausgesprochen war als bei den Kulturen mit klar differenzierter Sexualität. Immerhin lässt sich ein gewisses Maß 1 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. von Verschiebung erkennen, wie folgendes Kulturresultat beweist. Ks handelt sich um zwei Befruchtungen desselben Weibchens mit Samen desselben Männchens, welche durch ein Intervall von 55 Stunden getrennt waren. Wenn ich in der Aufzeichnung Weib- chen und Indifferente nicht ausscheide, ergeben sich folgende Zahlen. Beirr 3° 89 9:10). "Beir. 2. 95: Ad: Auch die Erscheinungen der Überreife sprechen somit für die oben schon geäußerte Vermutung, dass indifferenter Charakter der Geschlechtsorgane gleichbedeutend ist mit einer Verstärkung der weiblichen Tendenz. Denn dass der Ausschlag nach der männlichen Seite so gering ist, lässt sich nur durch Annahme einer verstärkten weiblichen Tendenz erklären. Wir haben nun zu erörtern, wie sich die an Amphibien ge- machten Erfahrungen in den Anschauungskreis einfügen, zu dem die Heterochromosomenforschung geführt hat. Leider sind wir nicht darüber orientiert, ob während der Spermio- und Ovogenese sich Heterochromosomen nachweisen lassen. Ich hatte, da ich selbst keine Zeit hatte, einen meiner Schüler ver- anlasst, die Frage zu prüfen; derselbe wurde jedoch durch ander- weitige Verhältnisse genötigt, die Untersuchung aufzugeben. Bei der großen Zahl der Chromosomen wird die Untersuchung nicht ganz leicht sein; besonders werden die Reifeteilungen der Eier ganz außerordentliche Schwierigkeiten bieten. Auch wird man mit der Möglichkeit rechnen müssen, dass eine latente Heterochromatie vor- handen ist, eine Verschiedenartigkeit der Chromosomen, welche sich an ihrem Äußeren nicht erkennen lässt, welche aber in ihrem Einfluss auf das Gleiche hinauskommt, als ob deutliche Heterochromosomen vorhanden wären. Hat doch auch bei Abrazxas grossulariata die mikro- skopische Untersuchung keine Resultate zutage gefördert. Bei den Fröschen sind sogar Momente gegeben, welche dafür sprechen, dass die durch die Heterochromosomen bedingte Differenzierung nicht so ausgesprochen ist, wie z. B. bei Insekten. Sind doch, wie die Neigung zu Hermaphroditismus und Indifferenz zeigt, die Sexualitäts- verhältnisse in einem sehr labilen Zustand. Unter diesen Um- ständen müssen wir versuchen, uns mit dem experimentell fest- “gestellten Tatbestand abzufinden und nach Analogie mit den besser bekannten Verhältnissen anderer Tiere unsere Schlüsse ziehen. Bei allen Wirbeltieren, welche bisher genauer auf ihre Spermio- genese untersucht wurden, hat sich herausgestellt, dass das weib- liche Geschlecht homogamet, das männliche heterogamet ist. Danach würde man ähnliches auch bei den Fröschen zu erwarten haben. Die Er- klärung der Wirkungsweise der Überreife würde dagegen sich einfacher gestalten, wenn man die entgegengesetzte Annahme machen und das weibliche Geschlecht für heterogamet erklären würde. Nehmen wir da- her zunächst heterogamete Beschaffenheit des weiblichen Geschlechts Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 93 an, so würden unter normalen Verhältnissen — um mich der Termino- logie Wilson’s zu bedienen — bei der Reifung x-Eier und y-Eier in ungefähr gleicher Anzahl entstehen. Die Spermatozoen würden da- gegen alle von einer Beschaffenheit sein und das y-Uhromosom ent- halten. Bei der Befruchtung würden 50°/, Eier die Konstitution y--y, 50°/, dagegen dıe Konstitution x—+- y besitzen. Aus ersteren würden homogamete Männchen entstehen, aus letzteren dagegen heterogamete Weibchen. Bei Überreifekulturen würden die letzteren fehlen. Das wäre das Gegenteil von dem, was v. Baehr und Morgan bei Aphiden, Boveri und Schleip bei Rhabdonemen gefunden haben, wo nur Weibchen bei der Befruchtung gebildet werden. Bei Aphiden und Rhabdonemen erklärt sich das gänz- liche Fehlen der Männchen ın der Geschlechtsgeneration daraus, dass die y-Spermatozoen zugrunde gehen. In dem uns beschäftigen- den reziproken Verhalten der Amphibien ist der Gedanke, es möchten die fehlenden x-Eier ausgestorben sein, ausgeschlossen. Es ist aber auch nicht nötig, einen derartigen Vorgang anzunehmen, um das Fehlen der x-Eier zu erklären. Da von den vier Teilprodukten der Reifeteilung drei, die Richtungskörper, zugrunde gehen, ist die Mög- lichkeit gegeben, dass das x-Element verschwindet, indem es ın die Richtungkörper gerät. Wir hätten somit nur anzunehmen, dass Überreife einen bestimmenden Einfluss auf den Ablauf der Reife- teilung ausübt ın der Weise, dass bei der Reduktionsteilung das x-Element eliminiert wird und nur y-Eier übrig bleiben. Dass die Richtungskörperbildung unter dem Einfluss der Überreife abläuft, geht aus der Beobachtung hervor, dass die Richtungskörper auch bei überreifen Eiern erst nach der Befruchtung, resp. nach der Entleerung der Eier aus dem Uterus ın das Wasser abgeschnürt werden. Ob die Überreife hierbei einen unmittelbaren Einfluss ausübt, muss zunächst dahingestellt bleiben. Es wäre ja auch ein mittelbarer Einfluss denkbar, dass die eindringenden Spermatozoen vermöge der Uberreife einen bestimmenden Einfluss auf den Ver- lauf der Richtungskörperbildung gewinnen, den sie sonst nicht be- sitzen. Um das zu entscheiden, müsste man versuchen, die Eireife vor der Besamung herbeizuführen. Die Beobachtungen an Aphiden geben uns aber noch die Möglichkeit zu einer zweiten Erklärung des Resultats der Überreife- kultur an die Hand, einer Erklärung, welche sich mit der Auffassung vereinigen lässt, dass das weibliche Geschlecht der Amphibien, wie bei Vögeln und Säugetieren homogamet, das männ- liche heterogamet ist. Beı allen parthenogenetisch sich fortpflanzen- den Arthropoden hat es sich herausgestellt, dass die weibliche Generationsfolge früher oder später einmal mit dem Auftreten von Männchen und befruchtungsbedürftigen Weibchen abschließt. Ohne dass äußere Einwirkungen nachweisbar waren, treten somit anstatt 04 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. Weibchen erzeugender Eier Männchen erzeugende auf. Wir wissen durch die Untersuchungen Morgan’s und v. Baehr’s, dass die parthenogenetischen Weibchen 2 x-Chromosomen, die partheno- genetisch erzeugten Männchen nur 1 x-Uhromosom enthalten. Die Chromosomenformel des Weibchens ist, wenn wir alle für uns nicht in Betracht kommenden Autochromosomen durch einen Strich aus- drücken: — x—x, die des Männchens — x — (0. Durch Morgan ist nun festgestellt worden, dass das dem Männchen fehlende zweite x-Chromosom bei der Reifeteilung ın Verlust gerät. Der gleiche Verlust eines x-Ohromosoms während der Reifeteilung ist von Boveri und Schleip bei Rhabdonema nigrovenosum zur Zeit, wo die als Ovar angelegte Geschlechtsdrüse sich durch Ausbildung von Spermatocyten in eine Zwitterdrüse verwandelt, nachgewiesen worden. Ähnliches könnte auch bei den Eiern der Frösche vorkommen; es könnten hier auch die x-Chromosomen bei der Reifeteilung ver- loren gehen. Bei den parthenogenetischen männlichen Eiern der Aphiden unterbleibt die Reduktionsteilung, es wird nur ein Rich- tungskörper gebildet; es bleibt daher der diploide Kern erhalten und wird nur ein x-Chromosom ausgestoßen. Die Amphibieneier dagegen bilden, da sie ja befruchtet werden, zwei Richtungskörper und unterliegen somit der Reduktionsteilung; sie würden daher beide x-Chromosomen einbüßen müssen, so dass ıhr Chromosomen- bestand die Formel -— 0 haben würde. Es ıst klar, dass derartige Eier ganz unfähig sind, Weibchen zu liefern, gleichgültig, ob sie mit weiblichen Spermatozoen oder mit männlichen Spermatozoen be- fruchtet werden. Erstere würden mit x-losen Eiern heterogamete Männ- chen liefern mit der Formel — x — 0, letztere ebenfalls Männchen, aber mit der durch gänzliches Fehlen des x wieder homogamet gewordenen Forınel— 0 — 0. Ob diese Erklärung richtig ist, müsste sich, falls die direkte Beobachtung der Chromosomen uns ım Stich lassen sollte, durch Züchtung feststellen lassen. Denn der ver- schiedene Charakter der Männchen (das einemal — x — 0, das andere- mal — 0 — 0) müsste zum Vorschein kommen, wenn man sie bis zur Geschlechtsreife züchten und mit normal reifen Weibehen paaren würde. Die Männchen mit der Konstitution —x—-o müssten zweierlei Spermatozoen erzeugen, 1.— x, 2. — 0. Ihre Nachkommen- schaft würde aus 50°/, Weibchen und 50°/, Männchen bestehen. Die Männchen mit der Konstitution — 0 — 0 würden nur einerlei Spermatozoen produzieren, welche ausschließlich wieder Männchen in der F?-Generation liefern würden. An dem Charakter der F?- Generation müsste man somit erkennen, welche der beiden oben aufgestellten Erklärungen für den eigentümlichen Charakter der Überreifekultur die richtige ist !P). 10) Ich habe hier rein theoretisch eine Möglichkeit abgeleitet, bei welcher auch normal reife Weibchen eine rein männliche Nachkommenschaft liefern könnten. Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 095 Die kritische Beurteilung der Überreifekulturen, welche ich im vorausgehenden gegeben habe, lässt erkennen, dass die Resultate derselben sich leicht mit den Auffassungen vereinbaren lassen, zu denen die so erfolgreiche Heterochromosomenforschung geführt hat. Größeren Schwierigkeiten begegnen wir bei den „indifferenten Kul- turen“. Hier liegen einerseits sehr viel kompliziertere Verhältnisse vor; andererseits gestatten die Zustände der Geschlechtsdrüsen bei jungen Tieren Ba so genaue Charakteristik der Sexualität, wie sie nötig wäre, um eindeutige Resultate zu erzielen. Um wenig- stens nsarmahen Klarheit in die sehr verwickelten Verhältnisse zu en will ich zunächst noch einmal kurz die wichtigsten Re- sultate rekapitulieren. 1. Indifferente Geschlechtsdrüsen, wie sie für die indifferenten Kulturen charakteristisch sind, sind Ovarien, welche sich von nor- malen Ovarien insofern unterscheiden, dass sie 1. sehr langsam heranreifen, oder mit anderen Worten eine Entwickelungshemmung erfahren haben, dass sie 2. zum Teil sich nachträglich zu Hoden umwandeln, wobei die Tendenz der Umbildung nach den einzelnen Individuen eine verschiedene ist. 2. Die Tendenz, indifferente Gonaden zu bilden, kann sowohl vom Samen, als auch von den Eiern aus bedingt sein. Denn es gibt Weibchen, welche mit einigen Männchen gepaart, normale Sexualität ergeben, mit anderen Männchen dagegen mehr oder minder ausgesprochene Indifferenz. Andererseits gıbt es Männchen, welche, je nachdem sie mit dem einen oder dem anderen Weibchen gepaart werden, normal sexuelle oder indifferente Fröschchen er- zeugen. Ob hierbei der bestimmende Einfluss von weiblicher oder männlicher Seite größer ist, kann ich zunächst noch nicht ent- scheiden, da die Zahl der Kulturserien, in welchen sowohl normale Man könnte daher die Frage aufwerfen, ob nicht die oben erwähnten rein männ- lichen Kulturen, welche ich erhielt, ohne dass ich methodisch Überreife der Eier erzüchtet hatte, bei denen somit die Überreife, wenn auch wahrscheinlich, so doch nicht erwiesen war, vielleicht durch Befruchtung normaler Weibchen mit homogameten Männchen erklärt werden könnten. Ich halte diese Erklärung für unwahrscheinlich, bei einem Teil der Kulturen sogar für völlig ausgeschlossen. Die Kulturen waren er- zielt worden, indem jedesmal 1 Weibchen mit 2 resp. 3 verschiedenen Männchen befruchtet wurde. Alle 2 resp. 3 Befruchtungen zeichneten sich durch den exklusiv männlichen Charakter aus und machten es wahrscheinlich, man kann sogar sagen, sicher, dass das Eigentümliche der Kulturen durch die Beschaffenheit der Eier bedingt war. Es wäre doch höchst merkwürdig, wenn ich in einer bestimmten Be- fruchtungsserie nur Männchen mit rein männlichen Spermatozoen angewandt hätte, während in keiner der vielen Parallelbefruchtungen ich ein Männchen gefunden habe, welches mit mehreren Weibchen nur männliche Nachkommenschaft erzielt hätte. In einer der beiden rein männlichen Serien war es übrigens mit Sicherheit auszuschließen, dass der Same Ursache des eigentümlichen Resultats gewesen ward. Denn die betreffenden Männchen waren mit einem zweiten Weibchen gepaart worden und hatten mit diesem normale Sexualität ergeben. 6 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. Sexualität als Indifferenz vorkamen, eine zu beschränkte ist. Leider waren bei der Mehrzahl meiner Parallelkulturen die Einzelkulturen entweder sämtlich indifferent oder sämtlich sexuell differenziert; das gemischte Vorkommen sexuell differenzierter und indifferenter Kulturen war eine Seltenheit. 3. Kombination indifferenter Spermatozoen und indifferenter Eier — es möge mir diese abgekürzte Ausdrucksweise gestattet sein — ergibt ın der Regel wieder indifferente Kulturen, in nicht wenigen Fällen aber rein weibliche Nachkommenschaft. Die Ver- stärkung der weiblichen Tendenzen scheint dabei hauptsächlich von den Spermatozoen auszugehen. Denn in den beiden Kulturserien, in denen sich etwas Genaueres über dıe Beschaffenheit der Ge- schlechtszellen ausmachen ließ, ergab es sich, dass Spermatozoen mit gesteigerter Neigung zur Indifferenz für die rein weiblichen Kulturen die ausschlaggebende Rolle spielten. Die betreffenden Spermatozoen stammten von Männchen ab, die noch nicht die Höhe der Geschlechtsreife erreicht hatten. Auf eine gesteigerte Neigung zur Indifferenz schloss ich daraus, dass die Spermatozoen, welche mit indifferenten Eiern Weibchen geliefert hatten, indifferente Formen erzielten mit Eiern, welche bei Befruchtung mit anderen Männchen gut charakterisierte Männchen und Weibchen zu gleichen Teilen erzeugten. Bei dem Versuch, die oben zusammengestellten Resultate kritisch zu beurteilen und aufzuklären, gehe ich davon aus, dass die indiffe- renten Fröschehen in mehrfacher Hinsicht an die parasitische Gene- ration von Rhabdonema nigrovenosum erinnern. Das beiden Fällen Gemeinsame besteht darin, dass eine von Haus aus weibliche An- lage einer Geschlechtsdrüse sich in eine männliche Geschlechts- drüse verwandelt. Der Unterschied ıst immerhin ein bedeutender. Denn bei den Nematoden entsteht eine Zwitterdrüse, weil inner- halb einer und derselben Genitalröhre ein Teil des Zellmaterials auf dem weiblichen Zustand verharrt, ein anderer Teil sich männlich umwandelt. Bei den Fröschen dagegen wird Getrenntgeschlechtig- keit erzielt, indem ein Teil der Individuen die weibliche, ein anderer die männliche Entwickelungsrichtung einschlägt. Indessen ist es ja bekannt, dass bei Männchen der Amphibien dauernde Reste einer hermaphroditischen Beschaffenheit der Geschlechtsdrüse sehr häufig sind. Am auffälligsten ist es bei den Bufoniden, bei denen konstant Teile der Geschlechtsleiste sich zu einem allerdings niemals funktionierenden und somit rudimentären Ovar (Bidder’- sches Organ) umbilden. Gewöhnlich ıst es das obere Ende der Genitalleiste, in manchen Fällen können aber auch andere Teile, Partien, welche sonst Hodengewebe liefern, zu akzessorischen Bidder’- schen Organen werden. Ferner ıst daran zu erinnern, dass gar nicht selten mitten im Hoden Eier vorkommen. Der Unterschied Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 47 zu den Nematoden wäre somit dahin näher zu präzisieren, dass bei diesen alle Individuen sich zu Hermaphroditen entwickeln, bei den Amphibien nur ein Teil, und dass bei diesem Teil die weib- liche Anlage rudimentär wird. Bei den Nematoden beruht die Umwandlung des Weibehens in ein Männchen, wie wir schon oben gesehen haben, auf Rückbildung eines der beiden x-Chromosome. Wollten wir die gleiche Vorstellung auf unseren Fall übertragen, so müssten wir annehmen, dass bei der Befruchtung der indiffe- venten Froscheier homogamete Eier entstehen, in denen ein x-Chro- mosom eine verschiedengradige Abschwächung erfahren hat. Ist die Abschwächung von Anfang an eine so hochgradige, dass das x-Chromosom gar nicht mehr zur Wirkung gelangt oder frühzeitig ganz schwindet, dann entstehen sofort Männchen. Ist die Ab- schwächung eine sehr geringe, so entstehen die Weibchen mit den merkwürdigen zylindrischen Ovarien. Soweit ließen sich die Zustände der indifferenten Kulturen mit den vorliegenden Heterochromosomenerfahrungen in Übereinstim- mung bringen. Größeren Schwierigkeiten begegnen wir, wenn wir uns Vorstellungen bilden wollen, in welcher Weise der zu indiffe- renten Kulturen führende Zustand des befruchteten Eies zustande kommt, welche Beschaffenheit der reifen Eier und Spermatozoen wir hierbei voraussetzen müssen. Die ausnahmslos homogametische Beschaffenheit der befruchteten Eier sowohl bei den hermaphroditen Rhabdonemen, wie bei den rein weiblichen Aphiden — bei denen es aber schließlich doch zur Bildung von Männchen kommt — wird dadurch ermöglicht, dass die Hälfte der Spermatozoen zugrunde geht, und zwar gehen alle diejenigen Spermatozoen zugrunde, welche bei der Befruchtung heterogametische Beschaffenheit des Eies und dadurch männliche Nachkommenschaft bewirken würden. Den gleichen Vorgang in dem uns beschäftigenden Fall anzunehmen, halte ich für ausge- schlossen. Denn bestände das bei der Befruchtung verwandte Sperma aus Elementen von gleichartiger Beschaffenheit, so wäre es unverständlich, dass dasselbe Sperma mit anderen Eiern — unsere Erörterungen gehen von der Voraussetzung aus, dass die Eier homo- gamet sind — die Sexualitätsnorm (50 2: 50 d‘) hervorbringt, was 7. B. bei den Eiern der Kultur Ila (Tabelle III) der Fall ist. Wollten wir gleichwohl an der Heterogametie des männlichen Geschlechts festhalten, so müsste man sich zu der Annahme entschließen, dass die meisten, in manchen Kulturen sogar alle von g-Spermatozoen befruchteten Eier zugrunde gehen. Obwohl die große Sterblichkeit der indifferenten Kulturen eine derartige Annahme nicht ausschließt, so halte ich sie doch aus früher schon erörterten Gründen für äußerst unwahrscheinlich. Alle diese aus der Heterogamie des männlichen Geschlechts sich 8.8.0008 7 8 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. ergebenden Schwierigkeiten würden vermieden werden, wenn wir Homogametie des männlichen und Heterogametie des weiblichen Ge- schlechts annehmen wollten. Es würde damit ein reziproker Fall zu dem Verhalten der Aphiden gegeben sein. Wir hätten als Faktoren einzusetzen rein männlich determinierte Spermatozoen, also d-Sper- matozoen, die Eier zur Hälfte mit männlicher, zur Hälfte mit weib- licher Tendenz. Das Verschwinden der einen Kategorie von Eiern würde leicht daraus zu erklären sein, dass die Spermatozoen auf den Verlauf der Reifeteilung einen bestimmenden Einfluss ausüben könnten, ähnlich wie ich es für die Überreife auseinandergesetzt habe. Wollte man den Vergleich mit den Zuständen der Aphiden und Nematoden konsequent durchführen, so müsste man annehmen, dass wie dort die 9-Spermatozoen, so hier nur die d-Eier erhalten blieben und dass der Männlichkeitsfaktor eine verschiedengradige Abschwächung erführe. Dem würde aber widersprechen, dass der Grundcharakter der indifferenten Kulturen ein weiblicher ist. Es würde daher besser den Tatsachen entsprechen, wenn man an- nähme, dass die ö-Eier erhalten bleiben, dass aber ihre weibliche Potenz eine verschiedengradige Abschwächung erfährt. Vielleicht könnten die frühzeitig differenzierten Männchen auf erhalten ge- bliebene g-Eier zurückgeführt werden. Die Versuche, die Resultate meiner Froschkulturen einheitlich zu erklären, werden durch die nötig werdende Häufung von Hypo- thesen für die meisten Leser etwas Unbefriedigendes haben. Auch ich bin der Ansicht, dass es dringend erwünscht ist, eine einfachere Erklärung zu finden. Wichtige Untersuchungen meines Kollegen Goldschmidts, über die ich hier nicht berichten kann, weil sie noch nicht veröffentlicht sind, scheinen mir eine derartige Erklärung anzubahnen. Da sie demnächst erscheinen, kann ich hier auf sie verweisen. Ich werde übrigens auf die Fragen, welche sich an die indifferenten Kulturen anschließen, noch einmal zurückkommen, wenn ich ähnliche Kulturen der Botaniker bespreche. Was aber aus den Untersuchungen über Amphibien jetzt schon hervorgeht, kommt auf dasselbe hinaus, was auch die Untersuchungen über zyklisch sich fortpflanzende wirbellose Tiere ergeben haben. Der Geschlechtsbestimmung liegt zwar ım großen und ganzen eine Norın zugrunde, welche sich in dem Verhältnis 50 : 50 ausdrückt, wie es bei mendelistischer Vererbung dureh die Kreuzung homo- zygoter und heterozygoter Individuen bedingt wird. Diese Norm wird aber sicherlich ın vielen, vielleicht sogar in den meisten Fällen nicht exakt aufrecht erhalten, weil es Einflüsse der ver- schiedensten Art gibt, welche modifizierend auf sie einwirken und Abweichungen von der mittleren Gleichgewichtslage beider Ge- schlechter, sei es nach der männlichen, sei es nach der weiblichen Seite bedingen. Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 99 Die Geschlechtsnorm wird, so müssen wir auf Grund der Chromosomenforschungen annehmen, durch die Konstitution der Kerne der Geschlechtszellen bestimmt. Es scheint, als ob ın manchen Fällen abändernde Einflüsse schon vom Kernapparat aus- gehen können. Denn die Art, in welcher dieselben Eier auf ver- schiedene Spermatozoen und umgekehrt dieselben Spermatozoen auf verschiedene Eier reagieren, lässt sich nur so erklären, dass die sexuelle Abstimmung der Geschlechtskerne eine verschiedene ist. In den meisten Fällen werden aber wohl die abändernden Einflüsse durch das Protoplasma vermittelt werden, oder wenigstens unter Mitwirkung desselben zustande kommen vermöge einer Wechselwir- kung beider Zellbestandteile. Es handelt sich hier um trophische Ein- flüsse, über deren Natur wir wenig wissen. In dieser Hinsicht nenne ich die Veränderung, welche der Geschlechtsapparat der Krabben durch parasitische Kastration erfährt. Während hier die Rückbildung des Hodens zur Ausbildung von Eiern führt, wird beim Wurm Ophryo- trocha puerilis durch Entfernung des hinteren Endes vermöge der durch dieselbe ausgelösten Regenerationsvorgänge das Umgekehrte bewirkt. Es schwinden die Eier und es werden Spermatozoen erzeugt. Zweifellos sind es ebenfalls trophische Einflüsse, welche bei partheno- genetisch sich fortpflanzenden Tieren die Rückkehr zur Sexualität und dadurch zur Bildung von Männchen veranlassen. Durch fort- dauernde parthenogenetische Fortpflanzung erfährt die gesamte Konstitution der Tiere eine Veränderung, welche von Generation zu Generation anwächst und auch in der Beschaffenheit der Eier zum Ausdruck kommt. Papanıkolau hat auf meine Veranlassung hin diese Veränderungen nach den verschiedensten Richtungen bei Daphniden untersucht und eine von Generation zu Generation immer mehr sich aussprechende Abnahme der Wachstumsenergie, Abnahme der Größe der Eier, Zunahme der Größe der somatischen Zellen, feststellen können. v. Scharfenberg und er haben dann ähnliche Veränderungen innerhalb einer und derselben Generation beı den später erfolgenden Eiablagen, also mit zunehmendem Alter des Weibchens nachgewiesen. Bei Moina reetirostris erhalten die an den Eiern sich abspielenden Veränderungen einen sichtbaren Ausdruck, indem die anfangs violetten Eier allmählich sich blau und schließlich schmutzigblau verfärben. In gleicher Weise werden auch die überreifen Eier der Amphibien infolge der Überreife eine Ver- änderung erfahren, welche auf die Konstitution des Kerns Einfluss gewinnt. Um die zur Veränderung der Sexualität führenden konsti- tutionellen Veränderungen zu erklären, hat Woltereck ein kom- pliziertes Hypothesengebäude aufgerichtet, in welchem er von Fer- menten spricht, welche die Bildung des einen Geschlechts begünstigen, die des anderen Geschlechts benachteiligen sollen (Antifermente). f * 100 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. Der Bildung derselben sollen Profermente vorausgehen, welche selbst noch nicht fähig sind, Veränderungen in der Sexualität her- vorzurufen. Mir wıll es scheinen, dass mit der Woltereck’schen Hypothese nicht viel gewonnen wird, da sie wohl schwerlich ge- prüft werden können, auch wohl kaum der Ausgangspunkt neuer Untersuchungen werden können. Da sich bei Amphibien eine ähnliche Veränderlichkeit des Sexualitätsverhältnisses wie bei Daphnıiden und Aphiden ergeben hatte, da ferner bei diesen sich zyklisch fortpflanzenden Tieren ein Einfluss der äußeren Existenzbedingungen außer Zweifel gestellt worden war, lag die Frage nahe, ob auch bei Amphibien äußere Einflüsse Bedeutung für die Geschlechtsbestimmung gewinnen können. Ich habe früher schon diese Frage erwogen (1905) und seinerzeit sehr unvollkommene und daher auch wenig beweiskräftige Unter- suchungen über den Einfluss von Kälte mitgeteilt; damals kam ich zu dem Resultat, dass Kälte dıe Bildung von Männchen begünstigt. Ich habe im Sommer 1910 diese Versuche wieder aufgenommen und auf Grund der inzwischen gemachten Erfahrungen in der Kultur der Frösche viel größere Sicherheit der Resultate erzielt. Ich kultivierte die eine Hälfte des befruchteten Eimaterials eines und desselben Pärchens bei 50° C., die andere Hälfte bei 15°. Die bei 30° gezüchteten Larven entwickelten sich ganz ausgezeichnet mit einer minimalen Sterblichkeit. Am 26. Maı war die Befruchtung vor- genommen worden. Am 20. Juni begann die Metamorphose und war am 29. Juni beendet. Alle Eier zeigten somit eine sehr gleich- mäßige Entwickelung. Anders verhielt sich das Kältematerial. Es stellte sich heraus, dass die Temperatur zu niedrig gewählt war, um eine gleichförmige Entwickelung zu ermöglichen. Ungefähr hundert Eier schlüpften nicht aus. Einige wenige Eier lieferten Larven mit merkwürdigen Bildungshemmungen: Mangel der Augen, seltener auch völligem Mangel des Herzens. Gleich von Anfang herrschte trotz sorgfältigster Pflege große Sterblichkeit. Da auch die am Leben gebliebenen Tiere zum Teil anfingen zu verkümmern, sah ich mich genötigt, die Temperatur auf 16—18° heraufzusetzen. Trotz- dem erhielt ich die ersten spärlichen Metamorphosen erst im Oktober; die letzten Tiere metamorphosierten sogar erst im März 1911, zu welcher Zeit auch die letzten noch zweibeinigen Larven abstarben. Die Kultur hat einiges Interess für die Selektionslehre, indem sie lehrt, wie in einem Material, welches unter normalen Kulturbedingungen einen durchaus einheitlichen Charakter besitzt, unter abnormen Be- dingungen ganz außerordentliche Verschiedenheiten auftreten. Über die Geschlechtsverhältnisse kann ich noch keine ausführ- lichere Darstellung geben, weil meine Untersuchungen noch nicht vollkommen abgeschlossen sind. Doch kann ich es jetzt schon als das Resultat der Kultur bezeichnen, dass die Geschlechtsorgane Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 101 durch Temperaturveränderungen hochgradig beeinflusst werden und zwar in zweierlei Weise. 1. Die Ausbildung der Geschlechtsorgane erfährt durch Erniedrigung der Temperatur eine erhebliche Ver- langsamung. Während in der Wärmekultur die Unterschiede männ- licher und weiblicher Gonaden schon vor der Metamorphose durch- gängig scharf ausgeprägt waren, stieß die Unterscheidung bei den Individuen der Kältekultur auch nach Ablauf der Metamorphose auf Schwierigkeiten. 2. Die Kältekultur zeichnete sich durch ein starkes Überwiegen der Männchen aus. Die Zählung ergab 260 5 auf 85 9, während in der Wärmekultur das Verhältnis 344 5 auf 319 9 betrug!!). Die große Sterblichkeit der Kältekultur auf frühen Stadien, auf denen die Bestimmung des Geschlechts noch nicht möglich war, lässt freilich auch hier wieder den Einwurf zu, dass die geringe Zahl der weiblichen Tiere durch ein stärkeres Absterben der Weibchen bedingt worden sei. Dem widersprechen jedoch die Befunde, welche durch genauere Untersuchung der Geschlechts- drüsen gewonnen wurden. Letztere zeigten in außergewöhnlicher Häufigkeit die Übergänge von Ovarien zu Hoden. Die betreffenden Stadien fielen mir durch ihre starke Pigmentierung auf, die ihren Sitz nicht im peritonealen Überzug hatte, sondern das ganze Grund- gewebe des Organs durchsetzte. Dieselbe Pigmentierung fand ich dann auch in einem Teil der Hoden wieder, was mich zu der Ver- mutung führte, dass die Umwandlung der Ovarıalanlage zu Hoden mit starker Pigmententwickelung einhergeht. Die histologische Untersuchung der pigmentierten Geschlechtsdrüsen lieferte weitere Beweise. Auf Schnitten konnte man erkennen, dass die epitheliale Auskleidung der für die Ovarialanlage so charakteristischen Hohl- räume (Genitalstränge) in starker Wucherung begriffen war und die Hohlräume mehr und mehr, bei den typischen Hoden sogar voll- ständig ausfülltee Schon Kuschakewitsch hat, indem er eine ganz in Vergessenheit geratene Angabe Wittich’s wieder zu Ehren brachte, gezeigt, dass die starke Wucherung des die Genitalstränge darstellenden Zellenmaterials ein charakteristisches Merkmal für die Hodenentwickelung sei. Kuschakewitsch gibt ferner an, dass aus den in Wucherung geratenen Genitalsträngen auch die männ- lichen Geschlechtszellen hervorgehen. Bei meinem Material war letzteres nicht der Fall. Nach meinen Untersuchungen entstehen die männlichen Geschlechtszellen nach Analogie mit den weiblichen 11) Beim Öffnen des Weibchens hatte sich herausgestellt, dass der rechte Uterus zum größten Teil entleert, der linke dagegen prall gefüllt war. Ich kultivierte den Inhalt beider Uteri getrennt, um zu prüfen, ob zwischen den Eiern der linken und rechten Seite Unterschiede im Sexualverhältnis nachweisbar seien. Aus dem linken Uterus erhielt ich 272 Z :263 9, aus dem rechten 72 g':569. Es stellte sich somit ein geringer Unterschied heraus, der aber sicher keine prinzipielle Bedeu- tung hat. 102 Hertwig, Uber den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. aus den oberflächlichen Schichten der Geschlechtsdrüse; erst sekundär durchwachsen sich beide Gewebsformen, Hodengewebe und Gewebe der Genitalstränge. Die mitgeteilten Untersuchungen sprechen dafür, dass die relativ große Zahl männlicher Tiere zum Teil dadurch verursacht ist, dass Individuen, welche unter normalen Verhältnissen sich zu Weibchen entwickelt haben würden, unter dem Einfluss der Kältewirkung zu Männchen geworden sind. Es handelt sich somit um eine metagame durch Kälte vermittelte Geschlechtsbestimmung. Die Batrachier sind in früheren Zeiten sehr häufig als Unter- suchungsobjekte benutzt worden, um den Einfluss äußerer Faktoren auf die Geschlechtsbestimmung zu studieren. Ich erinnere hier nur an die Untersuchungen Pflüger’s, Born’s, Cuenot’s u. a. (vgl. hierüber die vortreffliche Zusammenstellung Cuenot’s). Benutzt wurde Verschiedenartigkeit der Ernährung wie Hunger und reich- liche Fütterung, vegetabilische und animale Kost. Indessen alle Angaben, dass eine Geschlechtsbestimmung möglich sei, haben sich nicht bewahrheitet, so dass in der Neuzeit das Untersuchungsobjekt fast ganz in Vergessenheit geraten ist. Während des letzten Jahr- zehnts hat sich, soweit ich die Literatur über den Gegenstand kenne, nur Fräulein Helen King mit der Einwirkung äußerer Faktoren be- schäftigt. Ihre Experimente sind jedoch weder mit den meinen noch mit den Experimenten der oben genannten Autoren vergleichbar. Wäh- rend diese den Einfluss der äußeren Faktoren nach der Befruchtung einsetzen ließen (metagame Bewirkung), hat sich Helen King die Frage vorgelegt, ob das Geschlechtsverhältnis durch äußere Einflüsse, welche während der Befruchtung ausgeübt werden, abge- ändert werden könne (syngame Bewirkung). Als Objekt der Unter- suchung benutzte sie die nordamerikanische Kröte, Bufo lentiginosus. Fräulein King hat dabei auch Temperatureinflüsse verwandt; sie ist geneigt, denselben als solchen keine Bedeutung beizumessen. Abweichungen von der Norm, welche in einer ziemlich unregel- mäßigen Weise durch Befruchtungen bei hoher und niederer Tem- peratur erzielt wurden, bei hoher zugunsten des weiblichen Ge- schlechts, bei niederer zugunsten des männlichen, sollen auf einen indirekten Einfluss zurückzuführen sein; es sei z. B. möglich, dass durch hohe Temperatur die Männchen erzeugenden, durch niedere die Weibchen erzeugenden Spermatozoen geschädigt würden. Größere Bedeutung misst Helen King ihren Versuchen mit Chemikalien bei. Sie befruchtete Eier in schwach säurehaltigem und schwach alkalischem Wasser. Bei Anwendung von Säuren (0,0025—0,01°], Essigsäure, 0,01°/, Salzsäure) und einer Einwirkungsdauer von 30 Minuten ergab sich eine erhebliche Zunahme der Männchen. Wenn ich die Resultate von sechs verschiedenen Versuchen addiere, so rechne ich ein Sexualitätsverhältnis 249 S : 144 o aus. Die Ex- Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 105 perimente mit alkalischen Lösungen ergaben keine erheblichen Ab- weichungen von der Sexualitätsnorm; desgleichen wurden die Resul- tate nicht verändert, wenn man die chemischen Einwirkungen bei verschiedenen Temperaturen (11°, 20°, 28°C.) ablaufen ließ. Bei allen Versuchen herrschte ein hohes Maß von Sterblichkeit, so dass auch bei der Beurteilung der Säurekulturen zunächst noch Vorsicht geboten ist. Die Verfasserin glaubt nun, dass es nicht die Säurewirkung als solche ist, welche das normale Sexualitätsverhältnis verändert, sondern die durch sie bedingte reichere Flüssigkeitsaufnahme der zur Besamung benutzten Eier. Da der Effekt der Säurekulturen ein ähnlicher war wie bei meinen Überreifeexperimenten, sucht sie auch diese dadurch zu erklären, dass die Eier beim Verweilen im Uterus Flüssigkeit aufgenommen hätten und dadurch wasserreicher geworden wären. Sie findet eine Stütze für diese Deutung in dem entgegengesetzten Verhalten von Eiern, welche zur Zeit der Be- fruchtung im Vergleich zu normalen Zuständen flüssigkeitsärmer geworden waren. Herabsetzung des Wassergehalts der Eier erzielte Helen King, indem sie einerseits die Kröten zwang, ihre Eier außerhalb des Wassers abzulegen, andererseits, indem sie künst- liche Befruchtung außerhalb des Wassers oder unter Benutzung hypertonischer Lösungen (2,5°/, Salz- und 2,5°/, Zuckerlösung bei einer Einwirkungsdauer von 10 Minuten) durchführte. Bei Trocken- befruchtung war das Sexualitätsverhältnis 66 9: 121 2, bei Be- fruchtung in hypertonischen Lösungen war es sogar 64 9:1579; es war der Prozentsatz der Weibchen somit ein unverhältnismäßig hoher. Freilich ist auch bei diesen Versuchen zu beachten, dass die Sterblich- keit der Kulturen eine sehr große war und dass außerdem sehr viele Eier sich überhaupt nicht entwickelten oder wenigstens keinen Embryo lieferten. Immerhin sind die besprochenen Resultate sehr beachtenswert, besonders mit Rücksicht auf die Gegensätzlichkeit der beiden Versuchsreihen, dass bei den Experimenten mit Säuren die Zahl der Männchen, bei den Experimenten mit hypertonischen Lösungen die Zahl der Weibchen eine Steigerung erfahren hatte und zwar nicht nur, wenn man für alle Experimente einer Serie, wie ich es oben getan habe, das Mittel zieht, sondern in jedem ein- zelien Experiment. Hieraus scheint mir Helen King mit Recht zu schließen, dass die Abweichungen, vom normalen Sexualitäts- verhältnis nicht durch gesteigerte Sterblichkeit des einen oder anderen Geschlechts, sondern durch experimentell verursachte Veränderungen in der Beschaffenheit der Eizellen bedingt sind. Was nun diese Veränderungen anlangt, so liegt in den vorliegenden Fällen, wie bei meinen Überreifeexperimenten, die Annahme nahe, dass der Ablauf der Reifeteilungen eine Modifikation erfahren hat, welche das Sexualitätsverhältnis beeinflusste. 104 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. V. Uber @esehleehtsbestimmung bei Pflanzen. Im Anschluss an die beim Tierreich gemachten Befunde mögen noch einige Worte über die entsprechenden Untersuchungen der Botaniker Platz finden. Ich werde mich hierbei kurz fassen, ein- mal weil die einschlägige Literatur mir schwieriger zugänglich ist, zweitens weil Strasburger in mehreren Veröffentlichungen eine kritische Darstellung der botanischen Arbeiten gegeben hat, in welche er viele eigene Untersuchungen eingeflochten hat. Mir liegt es nur daran zu zeigen, dass sich zwischen Tierreich und Pflanzenreich zahlreiche Vergleichspunkte ergeben. Bei den Pflanzen spielt der haploide Zustand der Kerne eine viel bedeutsamere Rolle als bei den Tieren, indem er nicht auf die heranreifenden Geschlechtszellen beschränkt ist, sondern einer ganzen Zellgeneration zukommt, nämlich derjenigen, welche mit der Bildung der Geschlechtszellen ihren Abschluss findet. Diese haploide Zell- generation ist der Gametophyt; sie steht im Generationswechsel mit einer diploiden Zellgeneration, dem Sporophyt. Aus den be- fruchteten Eiern des Gametophyten — die auch hier vorkommenden Fälle von Parthenogenesis lasse ich unberücksichtigt — entsteht Oo der Sporophyt. Dieser erzeugt einzellige Sporen, aus denen ohne Befruchtung der haploide Gametophyt hervorkeimt. Der Übergang des diploiden Zustands in den haploiden wird überall durch zwei den Reifeteilungen der Tiere vergleichbare Teilungen herbeigeführt, indem die Sporen aus zweimaliger Teilung einer Sporenmutterzelle hervorgehen. Am klarsten liegen die Verhältnisse bei den Farnen. Der Farnwedel ist der Sporophyt; er erzeugt auf seiner Unterseite Sporangien, in ihnen Sporenmutterzellen, von denen eine jede 4 Sporen liefert. Aus Keimung der Sporen entsteht der Gameto- phyt, das Prothallıum, welches in Antheridien die Spermatozoide, in Archegonien die Eizellen (jedesmal eine) zur Entwickelung bringt. Je nach den einzelnen Arten sind die Prothallien hermaphrodit (monözisch) oder getrenntgeschlechtlich (diözisch), so dass man männliche und weibliche Prothallien unterscheiden kann. Denselben Entwickelungsgang besitzen sämtliche Pteridophyten, außer den Farnen noch die Equisetaceen und Lycopodiaceen. Bei den Phanerogamen ist der Gametophyt rudimentär ge- worden und hat seine Selbständigkeit verloren. Die phanerogame Pflanze mit ihren Blüten ist der Sporophyt; sie erzeugt an ihren weiblichen Blättern (Fruchtblättern oder Makrosporophyllen) die Makrosporen (Einbryosack), in denen dauernd der weibliche dem Pro- thallium entsprechende Gametophyt, das Endosperm mit der Eizelle eingeschlossen liegt. In analoger Weise entstehen an den männ- lichen Blättern (Staubblättern oder Mikrosporophyllen) die Mikro- Hertwig, Uber den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 105 sporen oder Pollenkörner, welche bei ihrer Keimung das männliche Prothallium, den die Samenzellen enthaltenden Pollenschlaueh liefern. Im Gegensatz zu den Phanerogamen ist bei den Moosen der Sporophyt rudimentär und zu einer unansehnlichen Zellmasse geworden, welche in dem Gametophyt, der eigentlichen Moospflanze, eingeschlossen liegt. Dies geschieht dadurch, dass die Kizelle noch innerhalb des Archegoniums befruchtet wird und sich zum diploiden Sporophyten entwickelt, Dieser, als Sporogon oder Mooskapsel bezeichnet, erzeugt in seinem Innern die Sporenmutterzellen, von denen eine jede sich unter Reduktion der Ohromosomenzahl in 4 Sporen teilt. Die keimenden Sporen liefern wieder die Moos- pflanzen. Vergleichen wir nun die zur geschlechtlichen Differenzierung führenden Vorgänge bei den Pflanzen mit den besprochenen Vor- gängen im Tierreich, so liegen, soweit ich die Literatur kenne, in der Botanik keine Nachweise von Heterochromosomen vor. Wohl aber ist durch experimentelle Untersuchungen für bestimmte Fälle erwiesen, dass auch bei den Pflanzen die geschlechtliche Differen- zierung mit der Reduktionsteilung verbunden sein kann. Das Gesagte gilt für die diözischen Moose. Blakeslee stellte fost, dass bei Marchantia polymorpha aus denselben Sporangien Sporen hervorgehen, welche zum Teil männliche, zum anderen Teil weibliche Gametophyten liefern. Für Sphaerocarpus terrestris und calöfornieus wies Strasburger nach, dass von den 4 Sporen, welche bei den Reifeteilungen aus einer Sporenmutterzelle hervor- gehen, jedesmal 2 männlichen, 2 weiblichen Geschlechts sind, ähn- lich wie aus einer Spermatoeyte I. Ordnung 2 x-Spermatozoen und 2 y-Spermatozoen hervorgehen. line weitere Bestätigung des Satzes, dass die Geschlechtsdifferen- zierung bei vielen Moosen mit der Reduktionsteilung und der dadurch bedingten Umwandlung des diploiden Kerns in den haploiden in vielen Fällen zusammenhängt, ergeben die experimentellen Untersuchungen von Elie und Emil Marchal über das Laubmoos Bryum cae- spitietum. Dasselbe ıst unter normalen Verhältnissen getrennt- geschlechtlich. Man kann aber eine hermaphrodite Pllanze erzielen, wenn man aus dem Zellmaterial des Sporophyten direkt auf vege- tativem Wege, unter Ausschaltung der Sporen, ein Moospflänzchen züchtet. Dieses ist ein Gametophyt, welcher nicht aus Sporen hervorgegangen ist, daher auch keine Reduktion der Chromosomen erfahren hat und diploid geblieben ist. Während also die haploiden Sporen getrenntgeschlechtliche Pflanzen erzeugen, liefert diploid gebliebenes Zellmaterial einen Hermaphroditen. is ist nun aber keineswegs notwendig, «dass die geschlechtliche Differenzierung bei den Pflanzen mit dem Übergang des diploiden Zustands in den haploiden ursächlich verknüpft ist; vielmehr kann 106 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. dieselbe, wenn wir vom Zeitpunkt der Sporenbildung ausgehen, in manchen Fällen früher, in anderen Fällen später eintreten. Ver- spätete Differenzierung des Geschlechts liegt vor, wenn die aus Sporen hervorgegangenen Gametophyten hermaphrodit sind. Dies findet sich bei vielen anderen Moosen und zahlreichen Prothallien der Farne. In derartigen Fällen ist es schon geglückt, durch äußere Einwirkungen das Geschlecht zu bestimmen. Infolge un- günstiger Ernährung, wie sie durch dichte Aussaat oder stickstoff- freie Nahrung erzielt wird, bilden nach Prandtl die Prothallien von Osmunda regalis und Ceratopteris thalictroides nur männliche Organe (Antheridien); verbessert man die Nährverhältnisse, so können noch nachträglich die weiblichen Archegonien erzeugt werden, es können sich sogar rein weibliche Pflanzen bilden. Ähnliches gilt für die Prothallien von anderen Farnen und von Equiseten (Klebs, Schacht, Milde, DuvalJone, Bauke, Buchtien, Noll). Rückverlegung der Geschlechtsdifferenzierung auf frühere Stadien ist charakteristisch für dieheterosporen Farren.. Bei diesen ent- stehen, wenn auch am gleichen Blatt, dem Sporophyll, Sporangien, welche nur Makrosporen, und andere, welche nur Mikrosporen er- zeugen. Ähnlich den Aphiden ist hier somit über das Geschlecht schon vor der Reifeteilung entschieden. Ebenso liegen die Ver- hältnisse bei den monözischen Phanerogamen, nur dass hier die Geschlechtsdifferenzierung abermals einen Schritt zurück gerückt ist, indem schon die Sporophylle geschlechtlich unterschieden sind in die Staubblätter und Fruchtblätter. Das Ende dieser durch früh- zeitigere sexuelle Differenzierung ausgezeichneten Reihe bilden die diözischen Pflanzen, bei denen ein Teil der Sporophyten männlıch, ein anderer Teil weiblich geworden ist. Wir haben somit folgende Sexualitätszustände bei den Pflanzen: 1. Durch die Befruchtung wird die Anlage für eine getrennt- geschlechtliche diözische Pflanze festgelegt; die Getrenntgeschlecht- lichkeit beherrscht das ganze Pflanzenleben, den Sporophyten und den rudimentären Gametophyten. 2. Durch die Befruchtung wird ein hermaphroditer Organismus gebildet, dessen sexuelle Tendenzen auseinandergehen: a) bei der Bildung der Sporophylle, welche männlich oder weib- lich, Staubfäden oder Fruchtblätter sind, meist in einer Blüte vereint (Hermaphroditismus im engeren Sinne), öfters aber auch getrennt auf verschiedene Blüten (Monözie), innerhalb der Sporophylle, indem ein jedes sowohl männliche wie weibliche Sporangien erzeugt, bei der Reifung der Sporen, indem die Sporenmutterzellen sich in 2 männliche und 2 weibliche Sporen teilen, innerhalb des Gametophyten, indem die Prothallien noch herm- aphrodit sind. — - On d —— Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 107 Wir haben somit eine viel größere Mannigfaltigkeit in der Ab- stufung der sexuellen Differenzierung vor uns, als es bei den Tieren der Fall ıst!?), eine Mannigfaltigkeit, welche noch durch das Vor- kommen andromonözischer und androdiözischer, gyno- monözischer und gynodiözischer Pflanzen gesteigert wird. Bei den ersten beiden Arten erfährt die männliche Tendenz hermaphro- diter Formen eine Verstärkung, indem neben hermaphroditen Blüten rein männliche vorkommen; dieselben können mit den hermaphro- diten Blüten auf derselben Pflanze sitzen (andromonözisch) oder sie sind auf besondere Pflanzen verteilt (androdiözisch), so dass neben rein männlichen noch hermaphrodite Pflanzen existieren. In ent- sprechender Weise kann die weibliche Tendenz durch gynomonö- zische und gynodiözische Formen verstärkt sein. Es ergeben sich daher bei den Pflanzen manche Möglichkeiten experimenteller Unter- suchungen, wie sie bei Tieren nicht gegeben sind, auf die ich daher hier eingehe, weil sie die Erfahrungen an Tieren in interessanter Weise ergänzen. Eine derartige, die Erfahrungen an Tieren ergänzende Er- weiterung unserer Kenntnisse ist die durch Blakeslee, Stras- burger und E. u. E. Marechal experimentell erwiesene Hetero- sporie der Sporoblasten diözischer Moose, von der schon oben die Rede war; dieselbe hat auf den ersten Blick große Ähnlichkeit mit der durch mikroskopische Befunde festgestellten Heterogametie der Samenzellen der Insekten, ist ilır aber gleichwohl nicht vergleichbar. Denn bei den Moosen führt die differenzierende Teilung zur Unter- scheidung von männlichen und weiblichen Pflanzen; sie entspricht in dieser Hinsicht den Geschlechtsteilungen der Vorticellen. Die Ge- schlechtszellen selbst, die Eier und Samenzellen, sind untereinander gleich. Anders bei den Tieren, bei denen sich die zur Bildung von Männ- chen und Weibchen führende Differenzierung zwischen Geschlechts- zellen desselben Geschlechts abspielt, bei denen es Männchen und Weibchen erzeugende Spermatozoen, vielleicht auch Männchen und Weibchen erzeugende Eier gibt. Die Ähnlichkeit der beiderlei Befunde erscheint somit auf den ersten Blick größer als es tatsächlich der Fall ıst. Gleichwohl glaube ich nicht, dass es sich nur um ober- flächliche Analogien handelt, sondern dass man Ursache hat, einen 12) Es gibt ja auch im Tierreich Abstufungen der Sexualität. Es können in einer und derselben Drüse (Zwitterdrüse) männliche und weibliche Geschlechtszellen erzeugt werden, es können dieselben aber auch auf verschiedene Drüsen, oder sogar verschiedene Körpersegmente verteilt sein. Etwas der Androdiözie und Gynodiözie Ver- gleichbares ergeben manche Fische. bei denen in wechselndem Prozentsatz neben hermaphroditen Tieren Männchen und Weibchen gebildet werden (Arten der Gattung Serranus) oder nur Männchen (manche Cirripedien). Leider sind diese Formen für experimentelle Untersuchungen nicht geeignet. Auch könnten die Versuche nur am Meer ausgeführt werden, da alle betreffenden Formen Meeresbewohner sind. OS Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. genetischen Zusammenhang anzunehmen zwischen der Reduktions- teilung, welche zur Differenzierung männlicher und weiblicher Sporen führt (Moose) und der Reduktionsteilung, welche Männchen und Weibchen erzeugende Spermatozoen resp. Eier sondert. Wie man sıch diesen Zusammenhang vorstellen kann, lehren uns die hetero- sporen Farren, bei denen ein Unterschied zwischen Makrosporen und Mikrosporen eingetreten ist. Hier vollziehen sich die Reduktions- teilungen zwischen Zellen, bei denen über das unmittelbar aus ihnen hervorgehende Geschlecht schon entschieden ist. Sollte die Reduktions- teilung ihren geschlechtlich differenzierenden Charakter dann weiterhin beibehalten, so würde der Effekt sich nicht auf den Gametophyten beschränken, sondern auch an den von ihm erzeugten Geschlechts- zellen und an dem von ihm abstammenden Sporophyten zum Austrag kommen. Denn es würden zweierlei Mikrosporen (eventuell auch zweierlei Makrosporen) gebildet werden und demgemäß auch zweierlei männliche (eventuell auch zweierlei weibliche) Gametophyten. Die einen männlichen Gametophyten würden Weibchen erzeugende, die anderen Männchen erzeugende Samenzellen liefern. (Das Gleiche könnte aber auch für die weiblichen Gametophyten emtreten.) Solche Verhältnisse finden wir wahrscheinlich nur bei dıözischen Pflanzen vor, welche daher auch allein mit den Verhältnissen bei Tieren eine genauere Vergleichung gestatten. Wollen wir botanische Ergebnisse benutzen, um das Sexualitätsproblem vielzelliger Tiere aufzuklären, so kommen für uns nur die Forschungen, welche sich mit diözischen Pflanzen befassen, in Betracht. Indem ich mich zur Besprechung derselben wende, beginne ich mit der von Strasburger ausführlich erörterten Erscheinung, dass die weibliche Blüte von Melandryum album und M. dioica durch den Pilz Ustilago violacea umgestaltet wird. Durch die Wucherung des genannten Pilzes wird es herbeigeführt, dass die Karpelle, die weiblichen Organe, rückgebildet werden, während die normalerweise nur als minimale Knöpfchen angelegten Staubfäden zu vollkommener Entwickelung gelangen und sogar anfangen, die Anlagen des Ga- metophyten zu bilden. Nur kommt der Prozess ım besten Falle bis zur Bildung der Pollenmutterzellen, da ihre weitere Entwicke- lung durch den eindringenden und die Anlagen vernichtenden Pilz verhindert wird. Strasburger hat versucht, durch künstliche Be- einflussung eine ähnliche Umstimmung des Geschlechts herbeizu- führen, wie es dem Pilz gelingt. Diese Versuche scheiterten, wie dıe vielen anderen Versuche, welche darauf ausgingen, einen ge- schlechtsbestimmenden Einfluss auf die diploide Generation der Pflanze den Sporophyten auszuüben. Offenbar gelingt es dem Para- sıten, intensivere Umgestaltungen der innerhalb der Pflanze ge- gebenen Ernährungsbedingungen herbeizuführen, als es dem Experi- mentator möglich ist. Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 109 Eine Geschlechtsumstimmung ganz ähnlicher Art, wie sie bei Melandryum aurch den Pilz Ustilago verursacht wird, kommt auch bei Tieren vor. Ich erinnere daran, dass künstlich kastrierte weib- liche Ophryotrochen männliche Geschlechtsorgane regenerieren, dass sogar ohne äußere Bewirkung manche Froschlarven mit schwacher Ovarialanlage diese rückbilden und dafür einen männlichen Ge- schlechtsapparat entwickeln. Die größte Ähnlichkeit besteht aber, worauf schon Giard hingewiesen hat, mit der früher schon be- sprochenen parasitischen Kastration der Krabben durch Saceulina, nur dass zwischen beiden Fällen Reziprozität besteht; während bei Melan- dryum das weibliche Geschlecht zugunsten des männlichen unter- drückt wird, ıst bei den Krabben das Gegenteil der Fall; hier schwindet der Hoden und an seiner Stelle entwickeln sich Eier. Schon früher bei Besprechung der Geschlechtsumstimmung bei Krabben habe ich auseinandergesetzt, dass man solche Umstim- mungen verschieden erklären kann. Das damals Gesagte gilt auch für den vorliegenden Fall. Ich kann daher auf das früher Gesagte verweisen ’?). Strasburger hat ferner, im Anschluss an die Anschauungen Thury’s, Versuche angestellt, das Geschlecht diözischer Pflanzen zu beeinflussen, indem er Überreife der Eier einleitete. Auch mit diesen Versuchen sowie mit Versuchen über den Reifezustand der Pollenkörner hat er keinen Erfolg gehabt. Dieses Misslingen ist zunächst auffällig, wenn man damit die von mir bei Fröschen er- zielten Resultate vergleicht. Indessen die Bedingungen des Experi- mentierens sind in beiden Fällen verschiedene gewesen. Bei Fröschen treten die Reifeteilungen, wie wir gesehen haben, erst nach der Entleerung der Eier aus dem Uterus ein. Verspätete Befruchtung kann somit die Richtungskörperbildung beeinflussen. Bei den Pflanzen verläuft die Reifeteilung unabhängig von der Befruchtung und 13) Bei Melandryum kommt noch eine andere Art der Geschlechtsumstimmung vor, über welche Shull zahlreiche Züchtungsexperimente angestellt hat. Die Me- landryen sind in der Regel getrenntgeschlechtlich. Gelegentlich kommt es aber vor, dass unter männlichen und weiblichen Pflanzen einzelne Hermaphroditen auf- treten. Pflanzt man derartige Zwitter durch Selbstbefruchtung fort, so besteht die Nachkommenschaft aus Weibchen und Zwittern. Befruchtet man eine weibliche Pflanze mit dem Pollen eines Zwitters, so erhält man das gleiche Resultat. Be- fruchtet man die weiblichen Anlagen einer weiblichen Pflanze oder eines Zwitters mit dem Pollen einer rein männlichen Pflanze, so entstehen weibliche und männ- liche Pflanzen. Gelegentlich kommen Abweichungen von dieser Regel insofern vor, als unter den Zwittern einige wenige reine Männchen, oder unter den Männchen einige wenige Zwitter auftreten. Shull deutet daher die Zwitter als modifizierte Männchen, im Gegensatz zu Strasburger, welcher die Fähigkeit, männliche Ge- schlechtsorgane zu bilden, als eine latente Eigenschaft des weiblichen Geschlechts auffasst, welche gelegentlich, wie es die Erfahrungen über den Parasitismus von Ustilago lehren, zur Geltung gelangt. Diese Erklärung Strasburger's stimmt im Prinzip mit der von Smith gegebenen Deutung der Krabbenbefunde überein, 110 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. längere Zeit vor der Befruchtung; sie wird daher durch Überreife nicht beeinflusst. Man könnte in dem verschiedenen Verhalten ge- reifter und ungereifter Eier, wenn dasselbe sich weiterhin bestätigen sollte, einen abermaligen Beweis für die Ansicht erblicken, dass die Überreife geschlechtsbestimmend wirkt, indem sie auf die Richtungs- körperbildung einen modifizierenden Einfluss ausübt, eine Frage, die auch durch Experimente an geeigneten Tieren entschieden werden könnte. Unter allen das Sexualitätsproblem betreffenden botanischen Arbeiten haben in der Neuzeit am meisten Aufsehen erregt die be- sonders von Gorrens angestellten Versuche, durch methodische Kreuzungen geeigneter Pflanzen weitere Klarheit zu gewinnen. Es handelt sich hierbei um zwei Versuchsreihen. 1. Kreuzung hermaphroditer mit getrenntgeschlecht- lichen Arten. Als Correns die Eier der getrenntgeschlechtlichen Bryonia dioica mıt Samen der hermaphroditen (monözischen) Br. alba befruchtete, erhielt er nur Weibchen, jedoch mit der Besonderheit, dass bei einigen Pflanzen am Hauptspross zunächst einige männ- liche Blüten entstanden, die aber bald verdorrten. Als er nun weiter Eier von Dr. alba mit Samen von Br. dioica befruchtete, erhielt er 50°, Männchen und 50°/, Weibchen. Das gleiche Re- sultat ergab sich, wie nicht anders zu erwarten war, wenn er Br. dioica 9 mit Br. dioica Sg befruchtete. Immerhin war zwischen Versuch 2 und 3 ein gewisser Unterschied vorhanden, indem die weiblichen Bastardpflanzen zum Teil wenigstens ähnlich wie manche weibliche Bastarde des Versuchs I zunächst einige verdorrende männliche Blütenstände erzeugten. Die mitgeteilten Ergebnisse sind viel kommentiert worden. Ich erwähne nur die Deutung, welche Correns selbst seinen Versuchen gegeben hat; er nımmt an, dass die Eizellen von br. dioica aus- schließlich weiblich determiniert seien, die Samenzellen zur Hälfte männlich, zur Hälfte weiblich, dass ferner Männlichkeit über Weib- lichkeit dominiere. Diese Erklärung würde eine Analogie zu den Sexualverhältnissen der Wanzen und anderer Insekten liefern und das Sexualverhältnis von Br. dioica 50 d:50 9 erklären, sowie auch die Kreuzung Dr. alba 9 mit Br. dioica g', welche ja dasselbe Verhältnis ergibt. Schwierigkeiten entstehen nur, wenn man be- gründen will, warum Br. dioica 9 und Br. alba g ausschließlich Weibchen liefert. Correns erklärt dies durch die Annahme, dass Diözie über Monözie dominiert, die weibliche Potenz von br. dioica 9 daher die hermaphrodite Potenz von Dr. alba nıcht aufkommen lässt. Dass die Diözie indessen nicht vollkommen die Tendenz zur Monözie unterdrückt, offenbart sich darin, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Bastardweibcehen, mag bei ıhrer Bildung das Dryonia-g' oder Q beteiligt sein, einen schwachen männlichen Einschlag besitzt. Escherich u. Miyajima, Studien über die Wipfelkrankheit der Nonne. 111 Mir will es nun scheinen, als ob sowohl die Annahme „Diözie dominiert über Monözie“ als auch die Annahme einer Tendenz zu Hermaphroditismus resp. Monözie an Unklarheiten leide. stens kann mir dabei nichts Rechtes vorstellen. Ich wenig- Nun sind wir inzwischen durch die schönen Untersuchungen von Boveri und Schleip über das Wesen des Hermaphroditismus bei Tieren unterrichtet. Ihnen zufolge wäre ein Hermaphrodit ein Weibchen, dessen Chromosomenbestand männlich modifiziert werden kann und zwar durch Rückbildung des zweiten x, nur durch Abminderung seiner Potenz. schiedenen Charakter des x dadurch ausdrücken, da, streicht, lauten: 1% bür 22 für. 5 für AS TUrT 5. für ein dıözisches Weibchen ein dıözisches Männchen die weibliche Blüte eines Mondzieien die männliche Blüte eines Monözisten die gesamte monözische Pflanze vielleicht auch Man könnte dann den ver- dass man es unter- wo es seine normale Potenz besitzt (x), es dagegen einfach druckt, wenn es einen labilen Charakter hat. alle übrigen Chromosomen als A zusammen, so würden die Formeln A+X A+x A-+x A-+x A+x Fasst man Ferner müsste man nach Analogie der bei Aphiden und Nema- toden beobachteten Verhältnisse annehmen, Geschlechtszellen A -+ 0 monözischer Pflanzen zugrunde gehen. dass die männlıchen Auf die Bryonia-Experimente angewandt würden dann die Formeln lauten: alba 2 + Br. alba Y, 2: 3. Dass männliche Blüten auftreten, Br. Br. Di: Br dioica 9 + br. alba ga + Br. .dioica 9 + Br. alba diorca diorca g x AR A+XxX bei den Weibchen der Kategorie 2 und 3 gelegentlich würde sich aus dem labilen Charakter des einen nicht unterstrichenen x erklären. (Schluss folgt.) Studien über die Wipfelkrankheit der Nonne). Von Prof. K. Escherich und Prof. M. Miyajima (Tokio). (Aus dem zoologischen Institut der Forstakademie Tharandt.) (Selbstreferat. Mit 3 Figuren.) Die Wipfelkrankheit der Nonnenraupe — so genannt, weil die davon befallenen Raupen vor ihrem Tode nach den Baumwipfeln an. 1) Naturw. Zeitschr. 6 Fig. wo sie durch massenhafte Ansammlungen große, f. Forst- u. Landwirtschaft, weithin 9. Jahrg., 1911, p. 331—402. $ 112 Escherich u. Miyajima, Studien über die Wipfelkrankheit der Nonne. sichtbare Klumpen bilden (Fig. 1) — ist zum erstenmal während der großen bayerischen Nonnenkalamität (1889--1902) eingehender studiert worden und zwar durch ©. Hofmann?) und v. Tubeuf?), welche eine bakterielle Infektionskrankheit in ihr erblickten. Ersterer beschrieb einen Bazillus B., letzterer ein Bacterium monachae als mutmaßlichen Erreger der Krankheit. v. Tubeuf entdeckte ferner im Blut und im Gewebe wipfel- kranker Raupen jene eigen- tümlıchen, stark lichtbrechen- den polyedrischen Körperchen, die Bolle*) schon früher im Blut gelbsüchtiger Seidenrau- pen.gefunden hat, und welche kurzweg als „Polyeder“ be- zeichnet werden. Einige Jahre später be- schäftigten sich die Wiener Forscher Wachtl und Kor- nauth’) näher mit der Frage, wobei sie zu dem Resultate kamen, dass den Polyedern eine hohe diagnostische Be- deutung zukommt, indem diese Gebilde bei wipfelkranken Raupen nıemals fehlen. Bezüglich des Erregers machen die Genannten keine positiven Angaben; sie weisen aber darauf hin, dass der Verlauf der Krankheit eher auf Proto- zoen schließen lasse. Von da ruht die Forschung bis zu den letzten Jahren, ın Fig. 1. Gipfeltrieb einer Fichte mit zahl- 3 ? reichen abgestorbenen Nonnenraupen. denen die Nonne wieder allent- halben verheerend aufzutreten begann. 1907 setzen die Untersuchungen Bruno Wahl’s®) ein, der die Angaben von Wachtl und Kornauth über die Wichtigkeit der 2) Hofmann, O., Die Schlaffsucht der Nonne. Frankfurt 1891. 3) Tubeuf, €. v., Die Krankheiten der Nonne. Forstl. Naturw. Zeitschr., 1892. 4) Bolle, Joh., Der Seidenbau in Japan. Wien 1898. — Berichte über die Tätigkeit der chem. Landesversuchsstation in Görz 1905—1910. 5) Wachtl u. Kornauth, Beitr. z. Kenntnis d. Morphologie, Biologie und Pathologie der Nonne. Wien 1893. 6) Wahl, Bruno, Über die Polyederkrankheit der Nonne (I-—-IV). Zentr. f. d. gesamte Forstwesen 1909—1911. Escherich u. Miyajima, Studien über die Wipfelkraokheit der Nonne. 113 Polyeder für die Diagnose bestätigte’), und der ferner die Polyeder auch in Puppen und Schmetterlingen nachwies, woraus hervorging, dass die Krankheit nicht immer tödlich verläuft. Des weiteren suchte er die Infektiösität der Krankheit, die von manchen Seiten wieder angezweifelt wurde, durch Fütterungsversuche festzustellen, was ihm nach vielen vergeblichen Experimenten im letzten Jahre bis zu einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit gelang. Über den Erreger selbst geben Wahl’s Untersuchungen keinen Auf- schluss. — Endlich liegt noch aus der neuesten Zeit eine Arbeit von Max Wolff°®) vor, der ein Chlamydoxoon Prowaxeki n. sp. im Verein mit Streptococcen als Ursache der Krankheit ansieht, ohne indes irgendwelche Beweise dafür zu erbringen’). Aus dieser kurzen Übersicht, in der nur die wichtigsten Ar- beiten genannt sind, geht hervor, dass unsere Kenntnisse von dem Wesen der Wipfelkrankheit (Erreger, Bedeutung der Polyeder etc.)!®) noch recht unvollkommen und unsicher ist. Wir benützten daher die gegenwärtige Nonnenkalamität in Sachsen, einige der strittigen Fragen in Angriff zu nehmen. Zunächst kam es darauf an, die Infektiosität der Krankheit sicher festzustellen. Denn die meisten Infektionsversuche, die bis jetzt gemacht wurden, kranken daran, dass die Experimentatoren nicht sicher angeben konnten, ob das dazu verwandte Material nicht schon von Haus aus den Krankheitskeim in sich hatte. Es war daher unsere erste Aufgabe, eine Methode zu finden, wirklich ein- wandfreies Material für unsere Versuche zu erhalten. Wir erreichten dies dadurch, dass wir jede Raupe, die zu den Versuchen verwendet werden sollte, vorher auf ihren Gesundheitszustand prüften und 7) Wahl schlägt daher auch die Bezeichnung ‚„Polyederkrankheit“ vor. 8) Wolff, Max, Über eine neue Krankheit der Raupe von Bupalus piniarius. Mitteil. d. Kaiser Wilhelm- Instituts in Bromberg. Bd. III, 1910, p. 69—92. 9) Wolff stützt sich dabei kritiklos auf Prowazek, welcher ein Chlamy- dozoon für den Erreger der Gelbsucht der Seidenraupe ansieht. 10) Nach Tubeuf (‚Zur Geschichte der Nonnenkrankheit‘‘, Naturw. Zeitschr. f. Forst- u. Landwirtschaft, 1911) ist die Wipfelkrankheit und die mit ihr nah- verwandte Gelbsucht der Seidenraupe bis jetzt folgendermaßen aufgefaßt worden: a) als Bakterienkrankheit (Bazillus B.) ohne weiteres (0. Hofmann); b) als Bakterienkrankheit (Baeterium monachae) unter bestimmten Dispositions zustähden (v. Tubeuf); ») als Bakterienkrankheit (Micrococcus lardarius) mit Auftreten der Polyeder als Rtaktionsprodukte (Krassilschtschik für die Seidenraupe) ; ]) als Mikrosporidienkrankheit (Mierosporium bombyeis), wobei die Polyeder Mikrosporidien sein sollen (Bolle für die Seidenraupe) ; e) als Chlamydozoenkrankheit (Chlamydozoon bombyeis) mit den Polyedern s /Reaktionsprodukten (Prowazek für die Seidenraupe); f) als eine Mischinfektionskrankheit, hervorgerufen durch Chlamydozoen und Atreptocoecen; mit den Polyedern als Reaktionsprodukten (Wolff). ı g) eine durch verschiedene äußere Einflüsse erzeugte Krankheit mit dem Auf- treten von Polyedern als Reaktionsprodukten (Sasaki). XXXII. 8 114 Escherich u. Miyajima, Studien über die Wipfelkrankheit der Nonne. zwar durch Untersuchung des Blutes auf die Anwesenheit von Polyedern !!). Ist die Krankheit schon einigermaßen fortgeschritten, 2.B. Fig. 2A. Nonnenblut mit „mittlerem“ Polyederbefall. B, C und I entsprechender Gewebebefund. B im Fettgewebe, C und D in der Tracheenmatrix. so ist die Diagnose leicht: die meisten Blutzellen enthalten dann ausgesprochene Polyeder, und außerdem schwimmen solche auch 11) Eine solche kann oftmals vorgenommen werden, ohne den Gesundheits- zustand der Raupe wesentlich zu beeinträchtigen, wenn man mit einer möglichst feinen, keimfreien Nadel an der Basis eines Bauchfußes einsticht, Escherich u. Miyajima, Studien über die Wipfelkrankheit der Nonne. 145 frei in der Blutflüssigkeit herum. Anders aber, wenn die Krank- heit im Anfangsstadium steht, in dem die Polyeder noch äußerst spärlich sind und oft auch noch nicht die ausgesprochene Form besitzen. Dann muss man oft lange suchen, bis man einen Polyeder findet, und eventuell auch, um eine Verwechslung mit Fett zu ver- meiden, zur Färbung greifen. Dabei leistet „Sudan III“ aus- gezeichnete Dienste, indem Fettropfen damit sich sofort orangerot färben, während die Polyeder gänzlich ungefärbt bleiben. Wenn wir ganz sicher gehen wollten, so warteten wir ın solchen Fällen nach der ersten Untersuchung noch einige Tage, um dann vor dem eigentlichen Versuch eine erneute Blutprüfung vorzunehmen. Dass Fig. 3 A. Fig. 3A. Nonnenblut mit „starkem“ Polyederbefall, B entsprechender Gewebebefund (Bauchmark). der Blutbefund ein richtiges Bild von dem Stand der Krankheit gibt, zeigt ein Vergleich mit dem entsprechenden Gewebebefund. Im ersten Stadium, wenn nur wenig Polyeder in den Blutzellen sich finden, sind in den Gewebezellen noch keine Veränderungen zu sehen; werden die Polyeder häufiger im Blut (sowohl intra- zelluläre als freie), so sind die Kerne der Gewebezellen, vor allem der Tracheenmatrix und der Fettzellen dicht mit Polyedern erfüllt, und zeigen zugleich eine beträchtliche Vergrößerung (Fig. 2). Bei noch stärkerem Befall des Blutes sind die Kerne geplatzt und liegen große, unregelmäßige Haufen von Polyedern in den Gewebslücken (Fig. 3). — — Nachdem wir auf diese Weise einwandfreies Material hatten, gingen wir zu Infektionsversuchen über, die mit haardünn ausge- 8*+ 116 Escherich u. Miyajima, Studien über die Wipfelkrankheit der Nonne. zogenen Glaskapillaren ausgeführt wurden. Als Impfmaterial be- nützten wir Blut von lebenden Raupen mit mittlerem Polyeder- befall. Dadurch vermieden wir, dass mit dem spezifischen Virus alle möglichen Fäulnisbakterien injiziert wurden, die bei schwer erkrankten oder gestorbenen Raupen vom Darm aus massenweise in die Blutflüssigkeit gelangen. Sämtliche Impfungen hatten ein positives Resultat: nach 2—4 Tagen traten bei allen Ver- suchstieren die ersten kleinen intrazellularen Polyeder ım Blut auf, die allmählich heranwuchsen, zahlreicher wurden u. s. w., so dass wir nach 8—10 Tagen das typische Bild eines mittleren Polyeder- befalls (Fig. 2) vor uns hatten. Da die Kontrolltiere (mit ver- schwindend wenig Ausnahmen) gesund blieben, so dürfte mit unseren Versuchen der strikte Beweis erbracht sein, dass die Wipfelkrank- heit eine Infektionskrankheit darstellt. — Wir versuchten des wei- teren, das Virus auch auf andere Raupen zu übertragen und zwar auf Liparis salieis und similis, und Bombyx mori. Während die beiden ersten als immun sich erwiesen, traten bei der Seidenraupe regelmäßig nach einigen Tagen intrazelluläre Polyeder auf. Doch scheint die Seidenraupe ziemlich widerstandsfähig gegen das Virus .zu sein, da der Polyederbefall stets nur in mäßigen Grenzen blieb und niemals zu der schweren Form führte. Wie die Ansteckung in der freien Natur stattfindet, muss erst noch festgestellt werden; vielleicht (nach den Versuchen Wahl’s) geschieht sie durch die Nahrungsaufnahme. Dass Parasiten (Rauben- fliegen oder Schlupfwespen) als Überträger dienen, ist nicht sehr wahrscheinlich. — Aus allen bisherigen Beobachtungen geht aber das eine klar hervor, dass die Ansteckungsenergie nicht sehr heftig ist und dass danach auch die optimistischen Hoffnungen der Praxis auf eine rasche Verbreitung der Wipfelkrankheit durch künstliche Infizierung der Fraßgebiete durch nichts gerecht- fertigt sind. — Dass das Virus von Generation auf Generation vererbt wird, ist zwar sehr naheliegend, jedoch bis heute noch nicht exakt bewiesen. — Der Verlauf der Krankheit wurde durch tägliche oder wenigstens alle 2—3 Tage erfolgende Untersuchung des Blutes auf Polyeder studiert, wobei sich folgendes ergab: Am 3.— 5. Tag nach der Infektion erscheinen sehr kleine und spärliche Polyeder ın den Blut- zellen; 2-3 Tage später sind die Polyeder größer und zahlreicher ge- worden und in etwa 5 — 10°/, der Blutzellen vorhanden; nach weiteren 2—3 Tagen sind etwa 10- 20°, der Blutzellen mit mehr oder weniger zahlreichen Polyedern besetzt, und daneben finden sich nun auch die ersten freien Polyeder in der Blutflüssigkeit. Auf diesem „mittleren“ Stadium kann der Befall längere Zeit unverändert stehen oder er kann sogar wieder etwas zurückgehen und die Raupen können so zur Verpuppung gelangen. Solange der Befall diese Escherich u. Miyajima, Studien über die Wipfelkrankheit der Nonne. [17 Höhe nicht überschreitet, deuten keinerlei äußere Symptome auf eine Erkrankung hin. — Geht aber die Krankheit weiter, wobei die Polyeder (die intrazellulären wie die freien) immer größer und zahl- reicher werden (die Hälfte der Blutzellen und mehr erfüllend), so treten die bekannten äußeren Erscheinungen auf (Veränderung der Haut, Fressunlust, Erschlaffung ete.), denen in kurzer Zeit (oft in wenigen Stunden) die allgemeine Verjauchung folgt. Wir können also eine leichte und schwere, resp. chronische (latente) und akute Form der Wipfelkrankheit unterscheiden. Von größter Bedeutung für den Verlauf scheinen äußere Einflüsse zu sein; konnten wir doch in wenigen Stunden die leichte Form in die schwere überführen, wenn wir die Raupen der prallen Sonne aussetzten; dasselbe erreichten wir durch Behandlung mit Kälte. Wahrscheinlich haben noch andere Einflüsse, welche die Widerstandskraft der Raupen gegen das Virus herabsetzen, den gleichen Effekt. — Die Beobachtungen im Wald stimmen mit diesen Erfahrungen gut überein; denn es ist von Praktikern wieder- holt gemeldet, dass die Wipfelkrankheit (d. h. das tödliche End- stadium) ganz plötzlich über größere Gebiete ausgebrochen, aber manchmal auch ebenso schnell wieder verschwunden ist, und zwar meist im Zusammenhang mit plötzlichen Witterungs- umschlägen. Früher glaubte man die plötzliche Verbreitung der Krankheit auf eine eminente Ansteckungskraft zurückführen zu müssen; nach unseren Erfahrungen ist jedoch diese Erscheinung so aufzufassen, dass die plötzlich veränderten äußeren Bedingungen (Witterung) die latente Form der Krankheit, von denen die meisten Raupen der betreffenden Gebiete befallen waren, in die akute schwere Form übergeführt haben. — — Endlich haben wir auch über die Natur des Virus eine Reihe von Untersuchungen angestellt. Naturgemäß studierten wir zunächst die Polyeder: die Größe schwankt zwischen 1Y/,—12 u, ihre Form ist meist deutlich tetraödrisch, ihr Aussehen vollkommen homogen, von fettähnlichem Glanze und stark lichtbrechend. Alkali und Säuren lösen sie rasch auf, wobei vorübergehend eine wabige Struktur zu bemerken ist. Die Färbung gelingt ohne Vorbehandlung schwer; wenn sie dagegen mit verdünnten Säuren etc. vorbehandelt wurden, färben sie sich leicht mit den verschiedenen Anilinfarben und zwar völlig gleichmäßig. Teilungs- oder Sprossungsvorgänge haben, wir niemals beobachtet, als die einzigen Veränderungen der Polyeder konnten wir Größenzunahme feststellen. Um die vielumstrittene Frage zu beantworten, ob die Polyeder nur Reaktionsprodukte darstellen, oderob in ihnen die Träger des Virus zu erblicken sind, stellten wir folgende Versuche an: 1. Polyederhaltiges Blut wurde (um die Bakterien auszuschalten) mit Glyzerin gemischt, 5 Tage aufbewahrt und dann zu Injektionen I1S Escherich u. Miyajima, Studien über die Wipfelkraukheit der Nonne. benützt. Sämtliche infizierten Tiere wiesen nach einigen Tagen Polyeder ım Blute auf. 2. Versuche über die Widerstandsfähigkeit des Virus gegen Fäulnis: Eine stark bakterienhaltige ältere Leichenbrühe wurde mit Glyzerin behandelt, gewaschen und zentrifugiert. Der Bodensatz, der zahlreiche intakte Polyeder enthielt, wurde zu Injektionen be- nützt mit dem Erfolg, dass keine Bakterieninfektion eintrat, wie es sonst bei Injektionen mit unbehandelter Leichenbrühe geschieht, sondern ein reiner Polyederbefall sich zeigte. 3. Polyederhaltiges Blut wurde 5-10 Minuten 55—60°C. aus- gesetzt, wodurch die Virulenz vernichtet wurde. 4. Versuche über die Widerstandsfähigkeit des Virus gegen Vertrocknen: Material von getrockneten, an Wipfelkrankheit ein- gegangenen haupen wurden mit physiologischer Lösung aufge- schwemmt und dann zu Injektionen benützt, stets mit positivem Erfolg. 5. Filtrationsversuche: Es wurden eine Anzahl polyeder- haltiger (lebender) Raupen zerrieben, die Brühe mit physiologischer Lösung verdünnt, durch einfaches Filtrierpapier filtriert, das Filtrat zentrifugiert und der Bodensatz mikroskopisch untersucht: es ent- hielt zahlreiche Polyeder. Dieses Filtrat wurde nochmals filtriert durch Berkefeld- oder Chamberland-Kerze. Die mikroskopische Untersuchung ergab nunmehr keine Spur von Polyedern. Und alle mit dem Filtrat ausgeführten Injektionen blieben ohne Erfolg, d.h. bei keiner der zahlreichen geimpften Raupen stellten sich Polyeder ein, während bei den mit unfiltriertem Material ge- impften Kontrolltieren die Polyederentwickelung in der gewohnten Weise eintrat. Nach diesen Versuchen haben wir folgende Anhaltspunkte für die Beurteilung des Virus gewonnen: es ist widerstandsfähig gegen Glyzerin (also höchstwahrscheinlich kein Bakterium), desgleichen gegen Fäulnis und gegen Vertrocknen; dagegen wird es durch höhere Temperaturen (55° ©.) vernichtet. Es ıst ferner durchaus nicht von jener chlamydozoenhaften Kleinheit, für die kein Filter zu dicht ist. — Wir haben vielmehr nur dann eine Infektion erzielt, wenn das Impfmaterial Polyeder erhielt. Diese Erfahrung lässt uns zu der von Bolle vertretenen Ansicht hinneigen, dass wir ın den Polyedern selbst die Träger des Virus zu erblicken haben (oder wenigstens, dass das Virus mit den Poly- edern innig verbunden ist). Welcher Kategorie von Mikroorganismen die Polyeder in diesem Falle zuzuzählen wären (Bolle stellt sie kurzweg zu den Sporozoen), dafür haben wir heute noch gar keine Anhaltspunkte. Das Problem der Wipfelkrankheit, wie überhaupt der Polyeder- krankheiten, starrt noch von Fragezeichen; wır sind die letzten, Vollmer, Über die Entwickelung der Dauereier der Cladoceren. 119 die das bestreiten wollten. Doch glauben wir, mit unseren Studien einen kleinen Schritt vorwärts in unserer Erkenntnis getan zu haben und hoffen vor allem auch, damit Anregung zu neuen Unter- suchungen zu geben. Über die Entwickelung der Dauereier der Cladoceren. Von €. Vollmer, Leipzig. (Aus dem Zoologischen Institut der Universität Leipzig.) (Mit 4 Figuren.) Während wir über die Entwickelung der Jungferneier ver- schiedener Cladoceren durch die ausführlichen Arbeiten mehrerer Forscher hinreichend unterrichtet sind, besitzen wir über die Dauerei- entwickelung nur von drei Seiten Angaben, und zwar eine größere Arbeit von Weismann und Ishikawa (Zool. Jahrbuch, Abteilung f. Anat. und ÖOntog., 4. Bd., 1889) über die ersten Furchungs- vorgänge und zwei kürzere Veröffentlichungen von Häcker (Ber. d. naturf. Ges. zu Freiburg, 8. Bd., 1899) und von Samassa (Zool. Anz., Bd. 20, 1897) über die gesamte Entwickelung, die sich zum Teil direkt widersprechen und eine völlige Klärung der Verhältnisse nicht herbeigeführt haben. Der Grund für diese Vernachlässigung der Dauereientwickelung ist weniger in der Anschauung zu suchen, dass eine Klärung dieser Vorgänge wenig Interessantes bieten würde — wiewohl auch dies ausgesprochen worden ist —, als in den tech- nischen Schwierigkeiten, die sich einer solchen Untersuchung ent- gegenstellten. Die Dauereier der Cladoceren sind bekanntlich fast alle in einen umgebildeten Teil der Schale des mütterlichen Tieres, in das Ephippium eingeschlossen und erhalten zweitens noch einen besonders wirksamen Schutz durch eine, allerdings erst in späteren Entwickelungsstadien gebildete, außerordentlich widerstandsfähige und undurchlässige Dotterhaut. Beide Schutzmittel erschweren naturgemäß die Untersuchung ungemein. Weismann und Ishikawa haben beim Dauerei von Moina die ersten Furchungsvorgänge namentlich im Hinblick auf das Schicksal der „Kopulationszelle“ verfolgt, die auf Stadium 4 mit der einen der vier Furchungszellen sich vereinigt. Nach ihren An- gaben verlaufen die Teilungen bis zum Stadium 16 in der Tiefe des Dotters, die Furchungskerne sind von Plasmainseln umgeben, die durch feine, den Dotter durchsetzende Plasmazüge miteinander in direkter Verbindung stehen; Zellgrenzen sind nicht nachzuweisen. Häcker gibt an, dass die weitere Entwickelung nach dem für Urustaceen bekannten, superfiziellen Typus verlaufe, es treten Rathke’sche Dotterpyramiden und ein Zentralkörper auf, die Dotter- kerne werden vom Blastoderm durch radiäre Teilungen abgegeben, um sie bilden sich „Dotterbezirke“ aus. Im Dauerstadium findet 120 Vollmer, Uber die Entwickelung der Dauereier der Cladoceren. Häcker ferner konstant eine Gruppe dicht gelagerter Kerne mitten im Dotter, über deren Bedeutung und späteres Schicksal er aber nichts anzugeben vermag, da er sie auf späteren Entwickelungs- stadien nicht wiedergefunden hat. Die weitere Entwickelung ver- läuft im wesentlichen ebenso wie bei den Jungferneiern, namentlich gehen die Dotterkerne nicht mit in die Bildung des Mitteldarmes ein, der sich aus einem mittleren Streifen des unteren Blattes bildet. Die Entstehung des unteren Blattes selbst hat Häcker nicht beob- achtet. Dagegen trıtt Samassa in seiner vorläufigen Mitteilung, der aber eine ausführliche Darstellung nicht gefolgt ist, für eine totale Furchung der Dauereier von Moina ein; die Zellgrenzen sollen von der ersten Teilung an, mit voller Deutlichkeit allerdings erst ım Achtzellenstadium zu erkennen sein, sie durchsetzen den Dotter bis ins Zentrum des Eies, die ins Innere eintretenden Dotterkerne stellen vollwertige Zellen dar. Die Bildung des unteren Blattes erfolgt, wie bei den Jungferneiern anderer Cladoceren, von einer ventralen Blastozone aus durch Immigration. Was die „Binnen- kerngruppen“ Häcker’s sind, kann er nicht angeben, er hat weder bei Moina noch bei Daphnia pulex etwas Derartiges gesehen. Die weitere Entwickelung zeigt keine Besonderheiten. Diesen gegensätzlichen Angaben Samassa’s ist im allgemeinen keine rechte Beweiskraft zugebilligt worden, wie denn auch Korschelt und Heider in der neuesten Auflage ihres Lehrbuches an der Deutung dieser Furchung als einer rein superfiziellen durchaus festhalten. Ausgedehnte Untersuchungen, die ich am Zoologischen Institut der Universität Leipzig über die Entwickelung der Dauereier von Daphnia anstellte, und über die ich an anderer Stelle noch aus- führlich berichten werde, lieferten neben neuen Befunden teilweise eine Bestätigung und Erklärung der früheren Angaben. Nach längeren Versuchen gelang es mir, die technischen Schwierigkeiten, über die Häcker sowohl wie Samassa klagen und die sie zu keinem völligen Abschluss ihrer Untersuchungen kommen ließen, soweit zu überwinden, dass ich mit Sicherheit auf gut orientierte Schnittserien rechnen konnte. Die Dauereier von Daphnia sind von meist farblosem, aus kleinsten Kugeln bestehendem Dotter dicht erfüllt, Plasma findet sich in größerer Menge nur um den in der Mitte liegenden Furchungs- kern und ın dem dünnen, das Eı überziehenden Keimhautblastem, natürlich durchsetzt das Plasma gleichmäßig den Dotter. Die ersten Teilungen verlaufen intravitellin, so wie es Weismann und Ishi- kawa für Moina angegeben haben, Zellgrenzen lassen sich zunächst nicht nachweisen. Die Furchungskerne rücken ım Stadium $ an die Oberfläche des Eies; im folgenden Stadium beginnen nun von der Peripherie des Eies Furchen einzuschneiden, die auf dem Sta- dıum 32 den Dotter vollständig durchsetzen und in der Mitte des Vollmer, Über die Entwickelung der Dauereier der Cladoceren. 1:97 Eies zusammenstoßen. Das Ei setzt sich also jetzt aus deutlich von- einander getrennten, pyramidenförmigen Zellen zusammen, die im Zentrum unter Bildung eines feinen Spaltraumes, offenbar eines Restes der Furchungshöhle, aneinander stoßen, die Furchung ist zu einer totalen geworden. Von einem Stadium von etwa 100 Zellen ab — die Teilungen verlaufen nicht mehr synchron, so dass ein genaues Abzählen sehr schwierig ist — treten, zunächst vereinzelt, radıiäre Teilungen auf. Dadurch schnüren die Furchungs- zellen ihren zentralen, stark mit Dotter beladenen Teil als Dotter- zelle ins Innere ab. Diese Dotterzellbildung erfolgt nach und nach in sämtlichen Furchungszellen, während gleichzeitig sowohl in den bereits abgeschnürten Dotterzellen als in den Blastodermzellen mitotische Teilungen nachzuweisen sind. Die radiären Teilungen hören später auf, während sich beide Zellarten für sich weiter teilen. Bis dahin hat unter den Blastodermzellen noch nicht die geringste Differenzierung stattgefunden. Dies lässt sich allerdings nur auf Schnittserien nachweisen, denn eineı genauen Untersuchung der Eier „in toto“ stellen sich infolge des hohen Dottergehaltes und der Undurchlässigkeit der Dotterhaut für Farbstoffe außer- ordentliche Schwierigkeiten entgegen. Wenn der Keim nun schon sicher über .200 Blastodermzellen enthält, beginnen an einer be- stimmten Stelle des Blastoderms, etwa ein Drittel der gesamten Eilänge von dem einen Pole entfernt, etwa 8-10 Zellen ins Innere einzuwandern. Sie resorbieren dabei stark den in ihnen enthaltenen Dotter — im Gegensatz zu den übrigen Blastoderm- zellen —, vermehren sich und liegen später an derselben Stelle als eineGruppe von 50 — 60 dotterfreien, dichtgedrängten Zellen dem Blastoderm von Innen an, ihre Kerne, die während des Ein- 122 Vollmer, Über die Entwickelung der Dauereier der Cladoceren. wanderns noch keine Veränderung zeigten, beginnen sich jetzt zu vergrößern. Bald darauf, und zwar spätestens 2 Tage nach dem Übertritt der beiden Dauereier in den Brutraum, erfolgt die Ablage des Ephippiums, die Eier haben damit das Dauerstadium erreicht. Die Abbildungen 1 und 2 stellen Querschnitte durch ein ruhendes Eı von Daphniapulex dar, der erste Schnittist in der Nähe des späteren Kopfendes, der zweite etwa um ein Drittel der Gesamt- länge vom anderen Pole entfernt durch das Eı geführt. Die Ab- bildungen gelten aber, wıe die vorhergehenden Angaben, ebensogut für die Dauereier von Daphnia magna und D. longispina. Wir sehen, dass ein aus hohen, zylindrischen Zellen gebildetes Blasto- derm das von den Dotterzellen erfüllte Innere des Eies umgibt. Die äußeren Zellen enthalten nur in ihrer zentralen Hälfte noch Dotter, während die Dotterzellen stark damit ausgefüllt sind, nur um den kleinen, oft exzentrisch liegenden Kern finden sich Spuren von Zellplasma. Die Dotterzellen haben sich kugelig abgerundet. Auf dem ersten Schnitt treffen wir eine Differenzierung innerhalb des Blastoderms, an zwei zur Mittellinie symmetrischen Stellen sind die Zellen etwas vergrößert, offenbar auf Kosten ihres Dottergehaltes, denn dieser ist stark gesunken, die Kerne zeigen größere Nukleolen. Das ist die paarige Anlage des Oberschlundganglions oder wie sie meist genannt wird, die Scheitelplattenanlage. Auf dem zweiten Schnitt endlich ist im Innern und zwar auf der den Scheitelplatten gegenüberliegenden Seite die Gruppe von Zellen geschnitten, deren Bildung oben beschrieben wurde und die offenbar mit Häcker’s Binnenkerngruppe identisch ist. Sıe verdient unser besonderes Interesse, sie stellt nämlich nichts anderes dar als die frühzeitig auftretenden Genitalanlagen. Ich habe ım Laufe der weiteren Entwickelung mit voller Sicherheit das Schicksal dieser Zellen bis zur Bildung der Keimdrüsen des ausgebildeten Tieres verfolgen können. Es muss erwähnt werden, dass Häcker auf die Möglıch- keit einer solchen Deutung hingewiesen hatte, er selbst dachte aller- dings eher an einen genetischen Zusammenhang dieser Gruppe mit den Dotterzellen. Nach einer kürzeren oder längeren Ruhezeit setzt unter ge- wissen Bedingungen, auf die ich zum Schluss noch zu sprechen komme, die weitere Entwickelung ein, und zwar zunächst mit einer erhöhten Resorption des Dotters sowohl in den Blastoderm- wie ın den Dotterzellen. Es folgt sofort die Bildung des unteren Blattes und zwar durch Immigration von einer ventralen, etwas vor der Gruppe der Urgeschlechtszellen liegenden Blastozone aus. Dieses untere Blatt wächst heran und breitet sich schließlich dicht unter- halb des Blastoderms über die ganze Ventralseite aus, die zunächst noch einheitliche Genitalanlage liegt ihm dicht auf. Kurz nachdem die äußere Gliederung des Embryos mit der Bildung der zweiten . Vollmer, Über die Entwickelung der DER der Cladoceren. 123 Antennen eingesetzt hat, und während sich der Mitteldarm aus dem unteren Blatt zu differenzieren beginnt, flacht sich die Gruppe der Urgeschlechtszellen ab, später teilt sie sich, indem sie zunächst hantelförmige Gestalt annimmt (Abb. 3), schließlich rücken die Abb. 4. Hälften seitlich auseinander und etwas an der Seite des Embryos empor, dessen äußere Gliederung dann schon bis zur Bildung der Schale fortgeschritten ist (Abb. 4). Während dieser Teilung nehmen die Zellen immer mehr den Charakter von Genitalelementen an, die Kerne werden größer und das Plasma erhält eine äußerst gleich- 124 Vollmer, Über die Entwiekelung der Dauereier der Cladoceren. mäßige, feinkörnige Struktur; die Anlagen haben dann nur noch eine Längsstreckung zu erfahren, um die Größe und Lage der Ovarien des ausgebildeten Tieres zu erhalten. Die nähere Unter- suchung der Schnittserien ergibt, dass in der Bildung der Glied- maßen, der Schale u. s. w. keine wesentlichen Unterschiede gegen- über den entsprechenden Vorgängen beim Jungfernei bestehen, der Mitteldarm steht auch hier, wie schon Abb. 3 und 4 erkennen lassen, außer jeder Terilun: zu den Dotterzellen, deren Übergang ıns Mesoder m sich nachweisen lässt. Die vorstehenden Befunde lassen es zunächst als höchst wahr- scheinlich erscheinen, dass auch bei Moöna ähnliche Verhältnisse vorliegen, indem die widersprechenden Angaben von Häcker und Samassa ohne Schwierigkeit auf die lee Linie einer anfangs superfiziellen, später totalen Furchung sich einigen lassen. Dann gewinnt aber die Tatsache, dass die befruchtungsbedürftigen, also in ihrer Entwickelungsweise noch ursprünglicheren Dauereier der Cladoceren trotz ihres außerordentlichen Dotterreichtums in ihrer Furchung sich vielmehr dem totalen Typus nähern, als die parthenogenetisch sich eüt- wickelnden Jungferneier mit ihrer viel geringeren Dotter- menge, eine erhöhte Bedeutung für die Stammesgeschichte der Phyllopoden, besonders im Hinblick auf die totale Furchung der Branchiopoden. Die eigenartige und bis jetzt wohl noch nicht beobachtete Art und Weise der Dotterzellbildung dürfte vielleicht geeignet sein, auf die Dotterzellbildung bei Crustaceen und Insekten im allgemeinen ein neues Licht zu werfen. Endlich beansprucht die frühe Ausbildung der Scheitel- plattenanlagen und namentlich der Genitalanlage trotz des außerordentlichen Dotterreichtums ein hohes Interesse, namentlich im Hinblick darauf, dass bei den Jungferneiern der Clado- ceren der determinative Furchungstypus nicht nur auf Moina be- schränkt ist, wie die neuen und hochinteressanten Befunde Kühn’s (Zool. Anz., 38. Bd., 1911) an Polyphemus beweisen. Die hohe Ent- wickelungsstufe des Dauerstadiums ist aber auch noch in biologischer Hinsicht merkwürdig, und darauf seı zum Schluss noch in Zu- sammenhang mit anderen biologischen Fragen kurz eingegangen. Die Eirehans setzt sofort cl dem Übertritt der me. in. das Ephippium ein. Dissen Vorgang läuft ab, bis ein recht hoch diffe- renziertes Stadium erreicht ist, abs man kaum noch, wie es bisher geschah, als Blastula bezeichnen kann, das sogen. Dauerstadium. Damit sistiert zunächst die äußerlich sichtbare Entwickelung. Es finden aber im Innern doch noch — neben geringen chemischen Umsetzungen, wie sie in jedem lebenden Körper statthaben müssen — ganz bestimmte progressive Veränderungen statt, die den Dotter Vollmer, Über die Entwiekelung der Dauereier der Gladoceren. 125 betreffen. Gegen Ende der Ruhezeit enthalten nämlich die Zellen des Blastoderms weniger Dotterkugeln als zu Anfang, es hat eine, wenn auch geringe Resorption des Dotters stattgefunden. — Die Eier lassen sich nun erst nach einer gewissen Zeit zur Entwickelung anregen, die für einzelne Arten verschieden ist; sie beträgt für Hyalodaphnia 1 Monat, für Daphnia pulex‘) höchstens 10 Tage, vielleicht auch weniger, und die Eier von Daphnia magna setzen nach persönlicher Mitteilung Dr. von Scharfenberg’s nach kurzer Zeit ohne Austrocknen ıhre Entwickelung fort. Es scheinen sich also Seen- und Tümpelbewohner bezüglich der notwendigen Dauer der Ruhezeit verschieden zu verhalten. Nach dieser Zeit lassen sich Eier, die getrocknet, gefroren oder wenigstens längere Zeit im kalten Wasser (3°) gewesen sind, durch Überführen in wärmeres Wasser (15°) zur weiteren Entwickelung anregen. Wiederholtes Einfrieren vergrößert die Zahl der schlüpfenden Tiere nicht, ebenso- wenig wie höhere Temperatur, diese erhöht nach meiner Beobach- tung nur die Geschwindigkeit des Entwickelungsverlaufs. Die Zahl der sich entwickelnden Eier ist zunächst gering, sie betrug bei Daphnia pulex am 6. November 2°/,, sie steigt aber, je länger die Ruheperiode anhält, von demselben Material schlüpften am 15. Januar 10°, nach 5 Tagen, am 11. März 30°, nach 4 Tagen. Wie im letzten Versuch die Untersuchung ergab, waren noch 50°/, unge- ändert auf dem Dauerstadium verblieben, 10°/, standen mitten in der Entwickelung, 10°/, waren tot?). -- Die Dauereier der Ulado- ceren entwickeln sich aber auch ohne Austrocknen und Einfrieren bei dauerndem Halten ın Wasser von 10°, nur nach entsprechend längerer Ruhezeit („Minimum der Latenzperiode* Weismann's!). Weismann fand, dass einzelne Eier von Moina sich nach 10 Tagen, von Daphnia pulex nach 18 Tagen entwickeln können, bei Hyalo- daphnia ıst das nach persönlicher Mitteilung Prof. Woltereck’s nach 2 Monaten möglich. Aus all diesem scheint hervorzugehen, dass wir es ım Mecha- nismus dieser Entwickelungserregung mit einem zeitlichen Vor- gang zu tun haben, der ın den Dauereiern mit einer gewissen Geschwindigkeit abläuft, die allerdings nicht in allen Eiern den 1) Die Eier stammten alle aus einem Tümpel, in dem sich eine starke, in Dauereibildung befindliche Population von Daphnia pulex befand, man könnte viel- leicht einwenden, dass die wenigen. sich entwickelnden Eier — etwa 2°, — älter gewesen seien. Ich glaube aber nicht, dass ein Altersunterschied von über einem Tag besteht; ich fischte die Ephippien nämlich nur von der freien Oberfläche des Wassers, abgelegte Ephippien aber werden in solch kleinem Tümpel sicher schon innerhalb 24 Stunden an das Ufer getrieben. 2) Dies verschiedene Verhalten der Eier erschwerte namentlich auch das Auf- finden gewisser Entwickelungsstadien — wie die Bildung des unteren Blattes und die Teilung der Genitalanlagen —, die offenbar sehr schnell durchlaufen werden und von außen nicht oder nur schwer zu erkennen sind. 126 Zur Strassen, Brehm’s Tierleben. gleichen Maximalwert erreicht. Diese Geschwindigkeit kann sekundär durch äußere Einwirkungen, wie Auftauen, Anfeuchten oder Er- wärmen beschleunigt werden. — Man könnte hier vielleicht an chemische, innerhalb einer gewissen Zeit ablaufende Prozesse denken, auf deren Bedeutung für Lebensvorgänge zyklischer Art Wolter- eck in letzter Zeit (Int. Revue d. ges. Hydrobiol. u. Hydrogr., IV, 1911) an demselben Objekt hingewiesen hat. Er verwendet diese Reaktionszeiten einerseits zur Erklärung seiner Resultate über periodischen Geschlechtswechsel, andererseits zur Erklärung der Beobachtung, dass aus überständigen Dauereiern Weibchen mit stark veränderter sexueller Tendenz —- verfrühter Sexualität — her- vorgehen. Dasselbe Resultat ergab sich durch Warmhaltung der Ephippien schon viel früher. Beide Erscheinungen, die allmähliche Veränderung der Sexual- tendenz im ruhenden Dauerei sowohl, als die experimentelle Beein- flussung dieser Tendenz, werden vielleicht dadurch etwas verständ- licher, dass, wie ich nachwies, im Dauerei bereits die differenzierten Urkeimzellen enthalten sind. Die Beeinflussung der Urkeimzellen könnte etwa ın Parallele gesetzt werden mit den Resultaten experi- menteller Untersuchung bei Insekten, so namentlich von Tower, der durch äußere Einwirkung auf die reifenden Keimzellen seiner Käfer eine Nachwirkung ım Farbkleide der folgenden Generation erzielte. Auch bei der nachwirkenden Beeinflussung (Präinduktion) der Schmetterlingsfärbung, wie wir sie durch Standfuß, Fischer.u.a. kennen, dürfte es sich um ähnliche Veränderungen in den ruhenden Keimzellen des Puppenstadiums handeln. Die weitere Entwickelung der Cladoceren setzt mit erhöhter Dotterresorption, also mit Assımilationsvorgängen ein, es folgt dann sehr schnell, innerhalb eines Tages, die Bildung des unteren Blattes. Die gesamte Entwickelung nach der Ruhezeit dauert normal etwa 5 Tage, das gibt mit den 2 Tagen vor der Ablage des Ephippiums 7 Tage sichtbarer Entwickelung, der eine relative Ruhe von 3-6 Monaten, eventuell sogar noch mehr, gegenüberstehen kann. Leipzig, im November 1911. Brehm’s Tierleben. 4. Auflage, herausgegeben von O. zur Strassen. Bd. 7. Die Vögel, 2. Teil. Gr. 8°. 492 Seiten, 50 Tafeln, 83 Abbildungen im Text. Leipzig 1911. Biblio- graphisches Institut. Dem in Nr. 21 des Jahrgangs XXXI angezeigten Bande ist der 7. Band (der Vögel 2. Teil) schnell gefolgt. Er umfasst die Ordnungen Steißhühner, Hühnervögel, Kranichvögel, Regenpfeifer- vögel, Kuckucksvögel. Was vom früheren Bande gesagt worden Doflein, Lehrbuch der Protozoenkunde. 127 De ist, gilt auch von diesem. Die Vorzüge der alten Brehm’schen Darstellung, das liebevolle und verständnisvolle Eingehen auf das Tierleben, die Darstellung ihrer Lebensweise wurde erhalten und mit ihr die Berücksichtigung aller Fortschritte der Wissenschaft gewissenhaft verbunden. Dem Tierfreunde, sowohl wie dem Jagd- liebhaber, wird dieser Band gewiss Freude bereiten, namentlich die Kapitel Hühner und Tauben. Von den prächtigen Farben- tafeln heben wir hervor das Glanzhuhn, den Auerhahn, das Bankiva- huhn, die wilde Stammart unserer Haushühner, den Kronenkranich, die Möven, die Fächertaube. Auch die photographischen Tafeln und die Abbildungen im Text verdienen alles Lob. Wenn die folgenden Bände halten, was die beiden bisherigen versprechen, woran wir nicht zweifeln, so wird sich der neue Brehm gewiss zu seinen vielen alten noch neue Freunde erwerben. Pr. F. Doflein. Lehrbuch der Protozoenkunde. 3. Aufl. Gust. Fischer, Jena 1911, gr. 8°, 1043 S., 951 Abb. im Text. Erst vor kaum 1!/, Jahren wurde die 2. Auflage dieses vor- trefflichen Werkes hier angezeigt, so dass wir uns diesmal kurz fassen können. Trotz der kurzen Zeit für die Neubearbeitung findet man in allen Kapiteln das neueste Material verwertet und durch eine stattliche Zahl neuer Figuren erläutert. Der allgemeine Teil ist um ein Kapitel vermehrt, in welchem Artbegriff, Variation und Ver- erbung bei den Protozoen, die gerade jetzt so viel neue Probleme bieten, behandelt werden. Vor anderen Lehrbüchern oder von einem einzelnen Verfasser geschriebenen Handbüchern zeichnet sich das Werk vor allem aus durch die Ausführlichkeit und die Objektivität, mit der die gerade ım Fluss befindlichen strittigen Fragen behandelt werden, ohne dass die Klarheit und Übersichtlichkeit darunter litte. So wird es an seinem Teil dazu beitragen, die Klarstellung zu fördern, und wir können mit dem Verfasser hoffen, dass es daraufhin in den nächsten Auflagen schon möglich sein werde, die neuen Tatsachen einzufügen, ohne den Umfang weiter zu steigern, oder sogar mit einer Be- schränkung desselben, weil dann die betreffenden Abschnitte ganz neu und wesentlich kürzer gefasst werden können. W. Rosenthal (Göttingen). 125 Östwald, Über Katalyse. Wilhelm Ostwald. Über Katalyse. Rede gehalten am 12. Dezember 1909 bei Empfang des Nobelpreises für Chemie, 2. Auflage. 39 S. Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft, 1911. Die praktische Bedeutung der Katalyse für die Biologie ist sehr weitgehend. Nicht nur die Fermentwirkungen lassen sich diesem Begriff unterordnen, auch ein Teil des Einflusses der Temperatur und des Lichts auf das Lebensgeschehen, sofern nämlich dieser Einfluss nur den zeitlichen Verlauf, die Geschwindigkeit der Vor- gänge betrifft, fällt unter den Begriff der Katalyse. Zu dieser Be- deutung ist der Begriff der Katalyse durch Ostwald’s Anteil an der Begriffsbildung, welcher ın der Einführung der Zeit, bezw. ihrer Funktion der chemischen Reaktionsgeschwindigkeit in die Definition besteht und den Mittelpunkt der Rede bildet, gelangt. Für die zeitgenössische Biologie, die Spekulation und Begriffs- bildung nicht viel unterscheidet, und aus Angst vor ersterer auch letzterer möglichst aus dem Wege geht, hat die Katalyse noch eine andere Bedeutung: sie bietet ein glänzendes Beispiel dafür, wie große Gebiete erst durch Entwickelung des zweckmäßigen Begriffes, durch rein gedankliche oder begriffliche Leistung, einer experimen- tellen Bearbeitung zugänglich werden. Aristides Kanitz. Herbert Freundlich. Kapillarchemie. Eine Darstellung der Chemie der Kolloide und verwandter Gebiete. VIII+591 S. Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft, 1909. Dieses Buch zerfällt in zwei Teile. Die zweite etwas kleinere Hälfte enthält die eigentliche Kolloidehemie, während die erste Hälfte die Eigenschaften und das Verhalten von Grenzflächen im allgemeinen schildert. Es sind insbesondere die Erscheinungen der (mechanischen) Adsorption, die hierbei eine sehr ausführliche Dar- stellung erfahren haben. Für eine Einführung in die Kolloidehemie ıst das Werk viel zu umfangreich, nimmt doch ein Spezialforscher zu fast allen Fragen seines Arbeitsgebietes Stellung darin; für denjenigen Biologen aber, der über den Stand einzelner kolloidchemischer Probleme ein- gehendere Information braucht und demgemäß in mehrere ein- schlägige Werke Einsicht nehmen muss, kann es als eines dieser Nachschlagewerke gute Dienste leisten. Für einen solchen Leser ist es auch unerheblich, dass eben die auf die Biochemie bezüglichen Stellen recht knapp und etwas einseitig ausgefallen sind. Aristides Kanitz. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von Di=R.Goebel. und. 2 Dr.R.Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. .. VA 20. März 1912. N 3. Inhalt: Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems nebst eigenen Untersuchungen (Sehluss). — Ernst, Neue Beobachtungen bei Ameisen. — Brun, \eitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den, Ameisen. — Oppel, Biologie und Entwickelungs- mechanik. — Vogt, Geometrie und Ökonomie der Bienenzelle. — Festschrift zum sech- zigsten Geburtstag Richard Hertwig’s. — Reis, Eine zoologische Festschrift. — Pütter, Vergleichende Physiologie. — Janson, Skizzen und Schemata für den zoologisch-biologischen Unterricht. — Jubiläums-Katalog von W. Ergelmann. — Jahresberieht über die Ergebnisse der Immunitätsforschung. — Hartmann, Protistenkerne. — Ferienkurse Jena. Bd. XXxXI. Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems nebst eigenen Untersuchungen. Von Prof. Richard Hertwig (München). (Schluss.) Noch wichtiger als die so viel erörterten Kreuzungen monö- zischer und diözischer Arten scheinen mir die Resultate zu sein, welche Correns durch die Kreuzungen der verschiedenen Formen einer und derselben gynodiözischen Art erhielt. Ich beschränke mich hier auf die Angaben, welche sich auf Plantago lanceolata be- ziehen. Bei derselben gibt es rein weibliche und rein zwitterblütige Formen, dazwischen Formen, bei denen weibliche Blüten und Zwitterblüten in verschiedenem Prozentverhältnis vertreten sind. Befruchtete Correns die rein weiblichen Pflanzen mit Pollen von Zwitterpflanzen, so bestand der größte Teil der Nachkommenschaft aus rein weiblichen Pflanzen, wenigen oder gar keinen reinen Zwittern und intermediären gynomonözischen Formen, unter denen er drei Abstufungen unterschied: 1. überwiegend weiblich, 2. zwitterig und weiblich, 3. überwiegend zwitterig. Besaß die weibliche Pflanze eine wenn auch geringe Neigung zur Zwitterigkeit, indem sie gelegent- lich auch Zwitterblüten mit rudimentären (kontabeszenten) Antheren entwickelte, so kam dasin der Nachkommenschaft zur Geltung, indenı XXXI. $) 130 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. die Zahl der reinen Weibchen abnahm, die der Zwitter und inter- mediären Formen sich steigerte. Von besonderem Interesse war es, dass ın diesen durch labile Sexualität ausgezeichneten Fällen auch Unterschiede in der Wirkungsweise des Pollens verschiedener Pflanzen zutage traten, indem bei Verwendung des Pollens der einen Pflanze eine stärkere Tendenz zur Zwitterbildung vorhanden war, als wenn man den Pollen einer anderen Pflanze benutzte. Wurde das Pollenmaterial zweier Pflanzen — wir wollen sie a und b nennen — auf drei verschiedene weibliche Pflanzen I, II und III angewandt, so traten die Unterschiede in der Wirkungsweise der beiden Pollensorten bei jeder Pflanze in gleichsinniger Weise auf, wenn auch keine vollkommene Proportionalität herrschte. Ich er- läutere das Gesagte an einigen Beispielen. @ | & | Zmitter |Ühgemiggend [Weiien ind Überrieend | Rein weiblich I: Seen b 1.0, | 0% | 1,29, 1,8%, 97%) IB] a, Omar 1,8% » 101%. 6,5%, | 73,8%, b 1 I 8% | 81,0% Sn) a, 2389, 1 12809, 203659: Paar ı b 0 3,8, | 12,20, 723,700 | 58 Diese Untersuchungen Gorrens’ liefern ein vollkommenes Gegen- stück zu den Resultaten, welche ich durch Befruchtung indifferent abgestimmter Froscheier mit indifferent abgestimmtem Samen er- hielt. Das Gemeinsame beider Versuchsreihen ıst zunächst einmal die abgestufte Sexualität. Wie wir bei den Correns’schen Ver- suchen alle Übergänge zwischen typischen Zwittern und reinen Weibchen haben, so ergaben meine Froschkulturen alle Übergänge von typischen Männchen zu typischen Weibchen. Ein weiteres ge- meinsames Merkmal beider Kulturen ist darin gegeben, dass sich ein geschlechtsbestimmender Einfluss sowohl seitens der männlichen als auch der weiblichen Geschlechtszellen nachweisen lässt. Über- blickt man die Ergebnisse meiner Kulturen, so kann man den Ein- fluss verschiedener Spermatozoen auf die gleichen Eier erkennen, wenn man die einzelnen Positionen der horizontalen Reihen ver- gleicht, den Einfluss verschiedener Eier auf die gleichen Sperma- tozoen, wenn man in entsprechender Weise die vertikalen Reihen prüft. Um dies auch für die Correns’schen Versuche recht klar zu machen, habe ich seine Resultate in derselben Weise gruppiert wie meine an Fröschen gewonnenen, die senkrechte Anordnung nach den Männchen, die horizontale nach den Weibchen gewählt und Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 158 im Interesse der Übersichtlichkeit nur 3 Kategorien anstatt 5, wie es Correns tut, unterschieden: reine Zwitter = 9, intermediäre Formen (Pflanzen mit weiblichen und mit Zwitterblüten) —= J, reine Weibchen = 9. Die die Eier liefernden Pflanzen bezeichne ich wie oben mit I, II und IIl, die Pollenpflanzen mit a und b. a b 9 112,8907,6. 189,90) BEN TNRIT q I DE EN 2 ee ee II 236 .04.562.9 3.3185 9,9 ..,,152..397,.J4.,.588,0: Bei der hier durchgeführten Schreibweise der Tabelle sieht man sofort, dass der Same b eine viel stärkere Verschiebung des Sexualitätsverhältnisses nach der weiblichen Seite bewirkt als wie a, dass in analoger Weise die weiblichen Zellen I stärker nach der weiblichen Seite verschieben als II, II wiederum stärker als III. Aber es existiert auch hier wieder wie bei meinen Froschexperi- menten keine Proportionalität. Fassen wir, um dies zu beweisen, nur die Prozente der gezüchteten rein weiblichen Pflanzen ins Auge, so verhalten sich die Weibchen der Kulturen III, II und I mit Samen a wie 1:4:5, mit Samen b wie 1: 1,2:1,38. Vergleichen wir umgekehrt die Serien a und b miteinander, so verhalten sich die Prozente der erzüchteten Weibchen in der Eireihe I wie 1:1,09, bei II wie 1 :.1,1, bei III wie 1: 3.2. Freilich ist das pflanzliche Material zur Erläuterung dieser höchst eigentümlichen Verhältnisse ungleich günstiger als das von mir be- nutzte Froschmaterial. Denn man kann das Mengenverhältnis der rein weiblichen, intermediären und rein zwitterigen Formen zahlen- mäßig zum Ausdruck bringen, während man bei den Fröschen eine richtige Vorstellung nur gewinnt, wenn man das Material selbst durchmustert und eine lebhafte Vorstellung von den vielerlei Über- gängen gewinnt, welche zwischen typischen Hoden und typischen ÖOvarien existieren. Auch muss beachtet werden, dass es schließlich bei den Fröschen doch noch zu einer Aufteilung des Materials ın die beiden Geschlechter kommt. Bei den Pflanzen ist das nicht der Fall, weil es die verschiedenen Abstufungen der Sexualität gıbt, wie sie im vorliegenden Fall durch weibliche, gynomonözische und zwitterige Pflanzen gegeben sind, wozu in anderen Fällen noch Gynodiözie, Andromonözie, Androdiözie und rein männlicher Cha- rakter der Pflanze hinzukommen können. ' Ich habe bei Besprechung der indifferenten Froschkulturen ver- sucht, die Erscheinungen derselben mit den bisher gewonnenen g* 132 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. Resultaten der Heterochromosomenforschung in Einklang zu bringen und habe dabei die beiden Erklärungen der Geschlechtsbestimmung, zu denen diese Lehre geführt hat, herangezogen. In ihrer ursprüng- lichen Fassung verlegte die Heterochromosomenlehre die gesamte Geschlechtsbestimmung in das heterogametische Geschlecht. Indem die Männchen der Insekten zweierlei Spermatozoen bilden, die Weibchen nur einerlei Eier, ist die Geschlechtsbestimmung in den genauer bekannt gewordenen Fällen eine Funktion des Männchens. Erst später hat sich herausgestellt, dass auch die homogametischen Eier an der Geschlechtsbestimmung beteiligt sein können, indem sie aus inneren Ursachen eine Veränderung ihres Chromosomen- bestandes (Rückbildung eines x-Chromosoms) erfahren, wodurch das homogametische Geschlecht die Fähigkeit gewinnt, sowohl Männchen als Weibchen zu erzeugen. Wir haben hier zwei ganz verschiedene Vorgänge, welche aber zu demselben Resultat führen. Im einen Fall handelt es sich. um bestimmte Namen einzuführen, um Geschlechts- bestimmung durch Reifeteilung, im anderen Fall um Geschlechts- bestimmung durch Chromosomenumbildung *). Das Auffallende an den Züchtungsresultaten, zu denen sowohl Correns wie ich gekommen sind, ist nun darin gegeben, dass offenbar sowohl vom Männchen wie vom Weibchen ge- schlechtsbestimmende Einflüsse ausgehen, wie ıch das an den Correns’schen Resultaten im einzelnen durchgeführt habe. Ich habe nun oben versucht, diese merkwürdige Erscheinung dadurch zu erklären, dass ich die eine Wirkung auf heterogame- tische Beschaffenheit des einen Geschlechts (Geschlechtsbestimmung durch Reifeteilung). die andere auf sekundäre Chromosomenumwand- lung des anderen Geschlechts zurückführte (Geschlechtsbestimmung durch Chromosomenumwandlung). Ich bin bei diesen Versuchen auf solche Schwierigkeiten gestoßen, dass ich es für ausgeschlossen halte, in weiterer Verfolgung derselben zum Ziel zu gelangen. Noch klarer würde dies aus den Resultaten hervorgehen, zu denen Correns gelangt ist. Wenn man versuchen wollte, sie in ähnlicher Weise vom Standpunkt der Heterochromosomenlehre zu inter- pretieren, würden sich noch größere Schwierigkeiten ergeben. Die botanischen Untersuchungen sind aber noch nach einer zweiten Richtung hin von Wichtigkeit, als sie noch viel schöner als meine Froschexperimente erkennen lassen, dass die Art, in welcher bei der Geschlechtsbestimmung verschiedenerlei männliche Geschlechtszellen auf dasselbe Eimaterial wirken, in den vorliegenden 14) Ich möchte hier auf das Ungenaue des Worts „Geschlechtsbestimmung“ hinweisen. Geschlechtsbestimmend wirkt ja ein homogametisches Weibchen auch, wenn es bei parthenogenetischer Fortpflanzung immer nur Weibchen erzeugt. Was im vorliegenden Fall gemeint ist, ist die Bestimmung, ob Männchen oder Weibchen aus dem Ei hervorgehen. Es wäre daher besser zu sagen „geschlechtsdifferenzierend‘“. PENRERNN re Te WERBEN ET BE > Zi 5 ey 7 5 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 133 Fällen genau die gleiche ist wie die Art, in welcher verschiedenerlei Eier auf dasselbe Samenmaterial wirken. Diese Ähnlichkeit in der Wirkungsweise der beiderlei Geschlechtszellen macht es unwahr- scheinlich, dass die geschlechtsbestimmende Wirkung das eine Mal durch Heterogametie, das andere Mal durch Chromosomenumwand- lung bedingt werde. Vielmehr werden wir dahin geführt, eine ähn- liche Beschaffenheit der männlichen und weiblichen Geschlechtszellen anzunehmen, ferner anzunehmen, dass der Einfluss auf die Ge- schlechtsbestimmung bei den einzelnen weiblichen wie männlichen Geschlechtszellen, wie es auch Strasburger annimmt, mannigfach abgestuft ıst. Je nachdem bei der Befruchtung männliche und weib- liche Faktoren zusammentreffen, welche einander das Gleichgewicht halten, oder von denen der eine oder der andere überwiegt, werden intermediäre Formen in wechselnder Zahl, Männchen oder Weibchen entstehen. Schluss. Ich möchte den vorliegenden Versuch, eine Darstellung vom derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems zu geben, nicht abschließen, ohne einige zusammenfassende Bemerkungen hinzuzufügen. Wir sind von der Tatsache ausgegangen, dass bei vielen Tieren eine heterogamete Beschaffenheit der Spermatozoen Ursache der Geschlechtsbestimmung ist und dass dieselbe durch die Reife- teilungen herbeigeführt wird. Es scheint aber auch bei manchen Arten vorzukommen — namentlich machen es manche Erschei- nungen der geschlechtsbegrenzten Vererbung wahrscheinlich —, dass die Heterogametie eine Eigentümlichkeit der Eier ist. Hetero- gametie des einen Geschlechts, d.h. das Vorkommen von zweierlei Geschlechtszellen. Männchenerzeugender und Weibchenerzeugender., setzt Homogametie des anderen Geschlechts voraus, die Anwesen- heit von einerlei Geschlechtszellen, welche bei Heterogametie des Weibchens männlich. bei Heterogametie des Männchens weiblich determiniert sein müssen. In allen Fällen, in denen diese Be- dingungen erfüllt sind, resultiert das Sexualitätsverhältnis 50 : 50, vorausgesetzt, dass das homogamete Geschlecht rezessiv ist. Die Geschlechtsbestimmung geht von einem bestimmten Chro- mosom aus, welches wir bei Homogametie des Weibehens x nennen wollen, bei Homogametie des Männchens aus später zu erläuternden Gründen nicht y, wie es in diesem Aufsatz bisher im Anschluss an eine vorhandene Terminologie geschehen ist. sondern z. Im homogameten Geschlecht ist das geschlechtsbestimmende Chromosom stets doppelt vorhanden. Das homogamete Weibchen ist, wenn wir alle übrigen Chromosomen unberücksichtigt lassen, xx, und er- zeugt ausschließlich Eier von der Beschaffenheit x. Das zugehörige heterogamete Männchen ist dagegen x0, oder wenn dem x ein ıhm nicht gleichwertiges Chromosom gegenübersteht, xy. Die Weibchen 134 Hertwig, Uber «den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. erzeugenden Spermatozoen würden dann das x-Chromosom ent- halten, die Männchen erzeugenden dagegen bei manchen Arten ein y-Chromosom, bei anderen gar kein Chromosom, also 0. In ent- sprechender Weise wäre das homogamete Männchen zz mit Sper- matozoen von der ausschließlichen Beschaffenheit z, das zugehörige heterogamete Weibchen würde zU sein, oder wenn hier das Männchen bestimmende z ebenfalls durch ein anderes Chromosom vertreten wäre, zv. Die Männchen bestimmenden Eier würden dann das z enthalten, die Weibchen erzeugenden entweder gar kein UÜhromosom oder ein v-Ohromosom. — Wir müssen mit der Möglichkeit rechnen, dass die Anwesenheit der geschlechtsbestimmenden Chromosomen schwierig, vielleicht auch gar nicht durch die Beobachtung fest- gestellt werden kann. Diese Latenz kann dadurch bedingt sein, dass die Geschlechtschromosomen mit anderen Chromosomen ver- schmelzen oder ın ihrem Aussehen sich von ihnen nicht unter- scheiden. Während die besprochenen Formeln, soweit sie sich auf Tiere mit heterogameten Männchen beziehen, auf Beobachtungen basieren, sind die die Heterogametie des Weibchens voraussetzenden Formeln zunächst noch hypothetischer Natur mit Ausnahme des einen durch die Seeigel repräsentierten Falles, in welchem das Männchen zz, das Weibchen zv ıst!?). Nächst der Befruchtung ist der für die Geschlechtsbestimmung wichtigste Vorgang diejenige Reifeteilung, welche für das Geschlechts- chromosom als Reduktionsteilung wirkt. Durch sie wird die Diffe- renzierung in zweierlei Spermatozoen bei Heterogametie des Männ- chens, in zweierlei Eier bei Heterogametie des Weibchens herbei- geführt. Das hier entworfene Grundschema der Geschlechtsbestimmung kann ın der mannigfachsten Weise abgeändert werden, wie es zum Teil durch direkte Beobachtung erwiesen ist, zum Teil aus experi- mentellen Ergebnissen erschlossen werden muss. Die Möglichkeiten solcher Abänderungen sind zum Teil durch einen eigentümlichen Verlauf der Reifeteilungen gegeben. Bei heterogametischer Be- schaffenheit des männlichen Geschlechts können die Männchen er- zeugenden Spermatozoen zugrunde gehen (Aphiden, Hymenop- teren, Nematoden), vielleicht auch in reziproker Weise die Weibchen erzeugenden (Pteropoden). Analoges kann bei der Richtungskörperbildung geschehen, wenn bei der Reifung hetero- gameter Eier der weibliche Chromosomenkomplex in den Richtungs- körper gelangt. (So ist es vielleicht zu erklären, dass überreife Eier 15) Ganz neuerdings ist auch die weibliche Heterogametie der Echinoideen von Pinney und Tennent angezweifelt worden, welche für Heterogametie des männlichen Geschlechts eintreten. Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 135 der Frösche die Fähigkeit, Weibchen zu liefern, vollkommen ver- loren haben.) Durch einen eigentümlichen Verlauf der Reifeteilung wird es auch bewirkt, dass parthenogenetische Eier der Aphiden sich anstatt wie in den vorausgegangenen Generationen zu Weibchen auf einem bestimmten Stadium des Generationszyklus zu Männchen entwickeln. Weitere Abänderungen des Sexualverhältnisses sind dadurch ermöglicht, dass während der embryonalen oder der postembryo- nalen Entwickelung eine Veränderung des Chromosomenbestandes eintreten kann. Das Ovar des Rhabdonema-Weibchens wird zu einer Zwitterdrüse, indem unter Verlust eines x-Chromosoms gewisse Ge- schlechtszellen zu Spermatogonien werden. Bei Pteropoden erfahren zwei Chromosome in einem Teil der Zellen der Geschlechtsdrüse eine Abminderung ihres Chromatingehalts und werden so Ursache, dass der Chromatinbestand, welcher anfänglich männliche Beschaffen- heit besitzt, die weibliche Zusammensetzung erhält. Wir haben somit hier zwei Beispiele, in denen das eine Mal die männliche Konstitution des Chromatins zur weiblichen, das andere Mal die weibliche zur männlichen umgewandelt wird. Die besprochenen Erscheinungen lassen erkennen, dass den Geschlechtschromosomen Faktoren übergeordnet sind, welche eine Veränderung derselben bewirken können. Diese Faktoren müssen im Protoplasma ihren Sitz haben; sie können sich hier aus ver- schiedenen Ursachen entwickeln. In den genannten Fällen ent- wickeln sie sich im Lauf des individuellen Lebens. Das Gleiche trifft zu, wenn Froschlarven, welche als Weibchen angelegt werden, im Verlauf der Entwickelung doch noch zu Männchen umgemodelt werden. Die das Geschlecht umformenden Faktoren können aber auch im Laufe einer Reihe aufeinanderfolgender Generationen sich entwickeln und allmählich ausschlaggebende Bedeutung gewinnen, wie die Aphiden und Daphniden lehren, deren parthenogene- tische Fortpflanzung durch Geschlechtsgenerationen unterbrochen wird. Schließlich kann die Geschlechtsumbildung auch durch äußere Einwirkungen veranlasst werden. So haben wir gesehen, wie unter Einfluss parasitischer Kastration eine männliche Krabbe Eier ent- wickelt und umgekehrt ein weibliches Melandryum Antheren und Pollenmutterzellen erzeugt. Zu den geschlechtsumgestaltenden äußeren Einwirkungen gehören auch die Einflüsse der Temperatur. Am charakteristischsten ist die Kälteeinwirkung, welche bei Partheno- genesis den Eintritt der Geschlechtsgeneration beschleunigt und, wie es scheint, es auch zuwege bringt, dass die Zahl männlicher Froschlarven auf Kosten der weiblichen zunimmt. Was nun die Veränderlichkeit der Geschlechtschromosomen anlangt, so scheint dieselbe in den einzelnen Abteilungen des Tier- und Pflanzenreichs sehr verschieden zu sein. In den meisten Fällen 156 Hertwig, Uber den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. scheint ja der Sexualcharakter der Geschlechtszellen festgefügt zu sein, so dass der durch die Entwickelung der Geschlechtszellen ge- gebene Mechanismus der Geschlechtsbestimmung sich allen äußeren Einwirkungen gegenüber mit Zähigkeit behauptet. Diese in vielen Fällen unzweifelhaft vorhandene Festigung des Sexualcharakters hat zu der Auffassung geführt, dass eine willkürliche Geschlechtsbestim- mung unmöglich sei. Ich glaube, dass dieser Satz sich in der ihm häufig zuerteilten Allgemeinheit nicht wird aufrecht erhalten lassen, nicht einmal für die Wirbeltiere. In manchen Fällen wird, wie in den besprochenen Beispielen, eine metagame willkürliche Geschlechts- bestimmung sich ermöglichen lassen. Wo das nicht gelingt, wird es oft möglich sein, durch Beeinflussung der über das Geschlecht entscheidenden Reifeteilungen eine willkürliche Geschlechtsbestim- mung zu erzielen. Es erübrigt, noch einiges über die Natur der geschlechts- bestimmenden Faktoren zu sagen. Wir gehen dabei von dem aus dem Vorausgehenden sich ergebenden Satz aus, dass die unmittel- bare Geschlechtsbestimmung vom Kern ausgeht, speziell von den Chromosomen desselben. Eine weitere Möglichkeit ist darin ge- geben, dass außerhalb des Kerns entstehende Einflüsse den Kern modifizieren und dadurch mittelbar geschlechtsbestimmend wirken können. Die zur Geschlechtsbestimmung erforderlichen Unterschiede in den Chromosomen können entweder quantitativer oder qualıi- tatıver Natur sein. In früheren Arbeiten hatte ich mich dafür ausgesprochen, dass die geschlechtsbestinmmenden Unterschiede quantitativer Natur sind. Ausgehend von der Tatsache, dass männliche und weibliche Ga- meten sich in der gesamten Organismenwelt dadurch voneinander unterscheiden, dass bei gleicher Kerngröße die einen wenig, oft sogar minimale Quantitäten Protoplasma enthalten, die anderen enorm viel, habe ich vermutet, dass das männliche Geschlecht durch den relativen Reichtum an Kernsubstanz, durch eine zugunsten des Kerns modifizierte Kernplasmarelation, vom weiblichen unterschieden sei. In dieser Auffassung wurde ich durch mancherlei Erfah- rungen befestigt, so z. B. durch die Erfahrung, dass niedere Tem- peraturen, welche erwiesenermaßen eine Vergrößerung des Kerns auf Kosten des Protoplasma bedingen, in nicht wenigen Fällen auch die Entwickelung des männlichen Geschlechts auf Kosten des weiblichen begünstigen. Die Schwierigkeiten, welche sich daraus ergeben, dass parthenogenetische Eier sich häufig mit der halben Chromosomenzahl entwickeln und trotzdem die Tendenz haben, Männchen zu liefern, suchte ich dadurch zu erklären, dass Inzucht (autogene Entwickelung) ähnlich der Kältewirkung im Lauf der Ent- wickelung eine Zunahme der Kernsubstanz auf Kosten des Proto- plasma herbeiführe. Die Abminderung des Chromatinbestandes der Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 137 Männchen erzeugenden Spermatozoen heterogametischer Insekten deutete ich als eine Annäherung an Parthenogenesis. Für die quantitative Erklärung der in den geschlechtsbestim- menden Faktoren vorhandenen Unterschiede sind Boveri und vor- übergehend Goldschmidt und Morgan eingetreten, freilich in ganz anderem Sinn als es von mir geschehen ist: es sei, wie die Befunde an Insekten lehren, das weibliche Geschlecht durch ein Plus an Chromatın ausgezeichnet. Durch diesen reicheren Chro- matingehalt werde das intensivere Wachstum der Eier erklärt. Die quantitativen Erklärungen der Sexualitätsunterschiede besitzen mancherlei Vorzüge; sie eröffnen uns Verständnis für die vielfältigen Abstufungen der Sexualitätstendenz, wie sie bei Pflanzen und Tieren vorkommen und von mir für die indifferenten Froschkulturen und an der Hand der Correns’schen Experimente auch für Pflanzen erläutert worden sind. Sie erleichtern auch das Verständnis für das Auftreten der sogen. sekundären Geschlechtscharaktere. Diese sınd von zweierlei Natur. Manche sekundären Geschlechtscharaktere sind Folgeerscheinungen der Anwesenheit der Sexualdrüsen. Für sie sollte der Ausdruck „sekundäre Geschlechtscharaktere“ reserviert bleiben. Sie entwickeln sich unter dem Einfluss der inneren Sekretion der Geschlechtsorgane, bleiben daher bei rechtzeitiger Kastration aus, können andererseits auch beim entgegengesetzten (eschlecht hervorgerufen werden, wenn man ihm Extrakte aus der Geschlechtsdrüse des einen Geschlechts einverleibt. So konnte Steinach bei kastrierten männlichen Ratten durch Transplantation von Ovarien es erzielen, dass der Penis rudimentär wie eine Olitoris wurde, dass die Tiere in der Entwickelung der Brustdrüsen, im Wachstum des Gesamtkörpers und des Skeletts und in der Beschaffen- heit des Haarkleides weibliche Beschaffenheit annahmen. Es gibt nun aber eine zweite Kategorie sekundärer Geschlechts- charaktere, für welche ich den Ausdruck „konkordante Geschlechts- charaktere* vorschlagen möchte; sie entwickeln sich unabhängig von den Geschlechtsdrüsen, aber in Harmonie mit denselben, offenbar weil Beschaffenheit der Geschlechtsdrüse und konkordante Geschlechts- charaktere beide in einem und demselben Ei entstehen und durch einen gemeinsamen Faktor, denselben Chromosomenkomplex bedingt sind. Sie entwickeln sich daher auch, wenn die betreffenden Tiere frühzeitig kastriert werden, ja auch dann, wenn man in die kastrierten Tiere die entgegengesetzte Geschlechtsdrüse transplantiert und glück- lich zur Anheilung bringt, wie man bei jungen Schmetterlingsraupen in kastrierte Männchen Ovarien, in kastrierte Weibchen Hoden ein- gepflanzt hat ohne dadurch die konkordanten Geschlechtscharaktere zu verändern (OQudemans, Meisenheimer, Kopee). Die quantitative Erklärung der Sexualität bietet den Vorteil, das Auftreten dieser konkordanten Geschlechtscharaktere und die 158 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. Art ihrer Erblichkeit ohne weiteres verständlich zu machen. Denn sie fasst das Geschlecht nicht wie eine der vielen Hunderte und Tausende von Eigenschaften auf, wie sie vergleichbar einem Mosaik das Wesen eines Organismus ausmachen und an räumlich begrenzten Stellen zur Entfaltung kommen, sondern als eine Grundstimmung des gesamten Organismus, welche sich ın allen Organen äußert und Ursache wird, dass sich dieselben in mehr oder minder diffe- renter Weise nach der männlichen oder weiblichen Seite weiter entwickeln. In welchem Maße die Gesamtheit der Organisation durch das Geschlecht beeinflusst werden kann, lehren am schönsten die rudimentären Männchen der Cirripedien, des Dinophilus und vor allem von Bonellia, bei denen sich gewaltige Größenunter- schiede mit ganz auffälligen Unterschieden in fast allen Organen paaren. Ich kann meine Auffassungsweise nicht besser verständlich machen, als durch den Vergleich mit einem Musikstück. Ich möchte dann die Eigenschaften eines Organismus mit den einzelnen Melodien und Passagen vergleichen, den Geschlechtscharakter dagegen mit der Tonart, in welcher ein Musikstück geschrieben ist. Für die Erblichkeit der Geschlechtscharaktere ergeben sich aus der hier vorgetragenen Auffassung folgende Konsequenzen. Erblich würden die Geschlechtscharaktere als solche nicht sein; erblich wäre immer nur der mittlere Artcharakter. Für jedes Organ, mag es auch noch so sehr ım männlichen und weiblichen Geschlecht verschieden sein, ıst: in der Erbmasse ein und derselbe Determinant oder Determinantenkomplex enthalten. Dass sich derselbe nach der weiblichen oder männlichen Seite weiter entwickelt, oft ın so auffallender Weise, wie es für viele Säugetiere und Vögel bekannt ist, ist eine Folge des trophischen Zustandes der Gewebe, wie er durch den allgemeinen Sexualcharakter bestimmt wird. Es würde das etwas Ähnliches sein, wie die Entwickelung der Gallen bei Pflanzen; die Fähigkeit, sie zu bilden ist erblich; dass sie gebildet werden, hängt von einem sich hinzugesellenden Faktor ab, wie er durch das Eindringen des Parasiten gegeben wird. Aus dieser Auf- fassungsweise heraus bedarf eine seit Darwin’s Zeiten viel erörterte Erscheinung keiner besonderen Erklärung; ich meine die Erschei- nung, dass die männlichen Sexualcharaktere durch Vermittlung der Mutter auf die männliche Nachkommenschaft vererbt werden können, und umgekehrt die weiblichen Charaktere durch Vermittlung des Vaters auf die weiblichen Individuen. Ich verkenne nun nicht, dass die quantitative Erklärung der Geschlechtsbestimmung auf vielerlei Schwierigkeiten stößt. Beı der Heterochromosomenforschung hat sich im allgemeinen herausgestellt, dass das Weibehen mehr Chromatin enthält als das Männchen (2 x-Chromosomen anstatt 1 x). Aber es gibt auch Ausnahmen. Bei manchen Orthopteren, bei denen ein y-Chromosom auftritt, soll Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 139 es vorkommen, dass das y-Chromosom mehr Maße enthält als die x-Chromosome (Payne); und bei Mollusken sollen sich anstatt der Spermatogonien Eier bilden, wenn ein Teil der Chromosomen eine Diminution erfährt (Zarnek). Es scheint somit beides vorzukommen, dass das männliche Geschlecht in manchen Fällen mehr, in anderen Fällen weniger Chromatin enthält als das weibliche. Wir kommen nun zu der qualitativen Erklärung der Geschlechts- unterschiede. Diese stellt „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ in gleiche Linie mit den vielen anderen Eigenschaften eines Organismus, wie z. B. Farbe der Haare, der Augen bei Tieren, der Blüten und Blätter bei Pflanzen etc.; sie kommt daher zum Resultat, dass die Geschlechter nach denselben Regeln, wie sie zuerst durch Mendel erkannt wurden, vererbt werden, oder, um mich der modernen Aus- drucksweise zu bedienen, dass sie „mendelnde Eigenschaften“ sind. Wie man nun für jede Eigenschaft eine bestimmte „Erbeinheit“ (Faktor, Determinant) annimmt, so geschieht es auch für die Ge- schlechter. Man spricht von einem weiblichen und einem männ- lichen Faktor, den man ın die Berechnung der Erblichkeitsformeln einsetzen kann, wie die Faktoren für die übrigen Eigenschaften des Körpers. Die hiermit kurz charakterisierte Auffassung der Sexualität wurde schon vermutungsweise von Mendel ausgesprochen; sie ist unter den Erblichkeitsforschern zur herrschenden geworden. Viel hat hierzu beigetragen, dass es einen bestimmten Fall von Mendel- vererbung gibt, bei welchem dasselbe Zahlenverhältnis der Formen (50 : 50) resultiert, welches wir oben mit großer Wahrscheinlichkeit als die der Geschlechtsverteilung zugrunde liegende, wenn auch im einzelnen vielfach durch sekundäre Momente abgeänderte Norm be- zeichnet haben. Das Zahlenverhältnis kommt ım Bereich der men- delistischen Vererbung zustande bei Monohybriden, bei Organismen, welche sich nur in bezug auf ein Merkmal unterscheiden oder wenigstens nur mit Rücksicht auf die Erblichkeit eines differenten Merkmals untereinander verglichen werden, wie es ja auch bei der Erblichkeit der Geschlechter der Fall ist. Eine weitere Voraus- setzung für die Realisierung des Zahlenverhältnisses ist, dass von den zur Kreuzung verwandten Monohybriden der eine homozygot, der andere heterozygot ıst. Demgemäß haben die Erblichkeits- forscher die Forderung aufgestellt, dass das eine bei der Befruch- tung verwandte Geschlecht homozygot, das andere heterozygot sei '®), 16) Bei Bastardierung von Monohybriden tritt Heterozygotie (dass derselbe Charakter in zwei verschiedenen Formen zugleich vorhanden ist, in der Regel bei der F'-Generation zum erstenmal auf, d. h. in der ersten durch Bastardierung er- haltenen Generation. Bei der Geschlechtserklärung kommt selbstverständlich die F’-Generation nicht in Frage. Es kommt aber auch vor, dass Heterozygotie spontan auftritt, indem das eine Merkmal eines Merkmalspaars ganz schwindet oder ver- ändert wird. Wir müssen somit Bastardheterozygotie und spontane Heterozygotie („Heterozygotie durch Faktorenausfall‘‘) unterscheiden. 140 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. dass das eine Geschlecht den ıhm zukommenden Geschlechtsfaktor (z.B. Weiblichkeit) doppelt enthält, das andere den ihm eigenen (Männ- lichkeit) und den ihm entgegengesetzten (Weiblichkeit) zugleich. Soll im letzteren Fall der eigene Faktor (Männlichkeit) allein zur Geltung kommen, so muss er über den anderen (Weiblichkeit) dominieren. Bei der Darstellung der Heterochromosomenforschung haben wir gesehen, dass bei den Insekten das weibliche Geschlecht homo- gamet ist, indem es zwei x-Öhromosomen enthält, das männliche Geschlecht dagegen heterogamet, indem das zweite x fehlt oder durch ein y ersetzt ist. Es lag nahe, Homogametie mit Mendel- scher Homozygotie und ebenso Heterogametie mit Heterozygotie zu identifizieren, zumal als es vorkommt, dass Homogametie durch Ausfall eines x sich in Heterogametie verwandelt, ebenso wie die spontane Heterozygotie aus Homozygotie entstehen kann (vergl. die Anm. 15). Bei der Durchführung dieses Gedankens stieß man jedoch auf große Schwierigkeiten. Wir würden genötigt sein, das x-Chromo- som als „Weibehenbestimmer“ aufzufassen und in entsprechender Weise das y-Chromosom als „Männchenbestimmer“. Nun fehlt aber das y-Chromosom in der Mehrzahl der Fälle, ohne anderweitig ver- treten zu sein. Die betreffenden Insektenmännchen wären somit Tiere, welche sich zu Männchen entwickelten, obwohl sie keinen Männchen- bestimmer haben und trotzdem sie einen Weibchenbestimmer ent- halten. Das wäre völlig paradox. Man hat viele Versuche gemacht, diese Schwierigkeit zu beseitigen; dieselben sind aber so unglück- lich, dass ich auf ihre Darstellung verzichte. Will man die qualı- tative Geschlechtsbestimmung aufrecht erhalten, so müsste man den Männchen bestimmenrden Faktor nicht im y-Chromosom, sondern irgendwo anders, z. B. im Bereich der übrigen Chromosomen suchen. Dann würde es aber wohl nötig sein, auch den Weibchen be- stimmenden Faktor in entsprechender Weise anderweitig zu lokalı- sieren. Das x könnte dann nur den Wert eines Hilfsfaktors haben, welcher bei Verdoppelung dem weiblichen Faktor, in einfacher Zahl dem wmännlichen Faktor das Übergewicht verleiht. In diesen Er- wägungen ist der Grund gegeben, weshalb ich es oben beanstandet habe, das das männliche Geschlecht bestimmende Chromosom y-Uhro- mosom zu nennen und die Bezeichnung z vorgezogen habe. Ist das Gesagte schon geeignet, um die Schwierigkeiten zu er- läufern, welche der Übertragung der Mendel-Regeln auf das Sexualitätsproblem entgegenstehen, so werden wir durch einige weitere Erwägungen noch mehr zu einer zurückhaltenden Stellung- nahme veranlasst. Ich komme dabei noch einmal auf diejenigen sekundären Geschlechtscharaktere, welche ıch „konkordante“ ge- nannt habe, zurück. Wie .die mendelistische Erklärung der Geschlechtsvererbung bestimmte männliche und weibliche Determinanten annımmt, so Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. 141 nimmt sie folgerichtig auch besondere Determinanten für die kon- kordanten Geschlechtscharaktere an. Es gilt nun zu erklären, wie die harmonische Vererbung des Geschlechts und der zugehörigen Geschlechtscharaktere zustande kommt. Man könnte in ähnlicher Weise, wie wir oben die geschlechtsbegrenzte Vererbung erklärt haben, daran denken, dass die Faktoren für die konkordanten Ge- schlechtscharaktere in dem Geschlechtschromosom (oder dem das Geschlecht aktivierenden Chromosom) eingeschlossen wären. Eine derartige Annahme würde auf keine Schwierigkeiten stoßen, so lange es sich um einige wenige Geschlechtscharaktere handelt. Aber wir haben oben Fälle (Oirripedien, Dinophilus, Bonellia) kennen gelernt, in denen das Männchen fast in jedem Organ mehr oder minder bedeutende Unterschiede im Vergleich zum Weibchen zeigt, in denen man somit annehmen müsste, dass sämtliche Erbeinheiten mit dem Geschlechtschromosom verbunden seien, eine Annahme, welche mit den Chromosomenbeobachtungen kaum vereinbar ist. Wahrscheinlich gilt dieser Einwand für die meisten tierischen Orga- nismen. Denn wie ich schon oben angedeutet habe, bin ich der Ansicht, dass in jedem Organsystem Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern existieren. Nur hat man sich daran gewöhnt, von „sekundären Geschlechtscharakteren* nur dann zu sprechen, wenn die Unterschiede auffälliger Natur sind. Die Verschieden- heiten im Knochenbau, in der Muskulatur, in den geistigen Fähig- keiten und in vielem anderen, welche beim Menschen zwischen Mann und Frau existieren, sind sicherlich nicht ausschließlich sekun- däre Geschlechtscharaktere in dem Sinn, wie ich oben den Begriff enger gefasst habe, sondern wohl zum größten Teil konkordante Geschlechtscharaktere. Es ließen sich noch manche Schwierigkeiten geltend machen, welche der mendelistischen Erklärung der Geschlechtsvererbung entgegenstehen. Ich trage jedoch Bedenken, in einem Aufsatz, der vorwiegend der zusammenfassenden Darstellung des Tatsachen- materials gewidmet ist, theoretischen Erwägungen allzu weiten Spielraum zu gewähren. Das entscheidende Wort werden ja doch methodische Beobachtung und experimentelle Forschung zu sprechen haben. Beide finden in der Neuzeit so ausgezeichnete Pflege, dass wir von ihnen die Lösung des schweren Problems in nicht allzu- ferner Zukunft erwarten dürfen. Literatur. v. Baehr, W.B., Die Oogenese bei einigen viviparen Aphididen und die Spermato- genese von Aphis saliceti (Arch. f. Zellf., 3. Bd., 1. u. 2. Helft, 1909). Baltzer, F., Die Chromosomen von Strongylocentrotus lividus und Echinus mıcro- tuberculatus (Arch. f. Zellf., 2. Bd., 4. Heft, 1909). Bateson, W., Mendel’s Principles of Heredity. Cambridge 1909. 3ayer, H., Befruchtung und Geschlechtsbildung, Straßburg 1904, 142 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. Beard, J., The determination of sex in animal development (Zool. Jahrb., Bd. 16, 4. Heft, 1902). Boring, A. M., A small Chromosome in Ascaris megalocephala (Arch. f. Zellf., Bd. 4, 1909). Börner, Eine monogr. Studie über Chermiden (Arb. a. d. k. biol. Anst. f. Land- u. Forstwissensch., Bd. VI, Heft 2, 1908). Boveri, Th., Über das Verhalten der Geschlechtschromosomen bei Hermaphroditis- mus (Verh. d. phys.-med. Gesellsch. zu Würzburg, N.F., Bd. XLI, 1911). Ders., Über Beziehungen des Chromatins zur Geschlechtsbestimmung (Sitzungsber. d. phys.-med. Gesellsch. Würzburg, Jahrg. 1908—1909\. Ders., Über „Geschlechtschromosomen“ bei Nematoden (Arch. f. Zellf., 4. Bd., 1. Heft, 1909). Brunelli, G., La spermatogenesi della Z’ryxalis (Mem. Acad. d. Line. Roma 1910). Ders., La spermatogenesi del „Gryllus desertus“ Pal]. (Richerche fatte nell. ist. d. anat. comp. Univ. d. Roma 1909). Buchner, Das akzessorische Chromosom in Spermatogenese und Ovogenese der Orthopteren, zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Reduktion (Arch. f. Zellf., 3..Bd.,.3% Heft,.1909). Bugnion, E., Les cellules sexuclles et la determination du sexe (Bull. Soc. Vaud. sc. Nat., Bd. 66, 1910). Castle, W. E., A Mendelian View of Sex-heredity (Science N.S., Bd. 29, 1909). Correns, ©., Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechts (Berlin, 1907). Ders., Die Rolle der männlichen Keimzellen bei der Geschlechtsbestimmung der gynodiözischen Pflanzen (Ber. d. deutsch. botan. Gesellsch. 1908, Bd. XXVlIa, Heft 9). Ders., Zur Kenntnis der Geschlechtsformen polygamer Blütenpflanzen und ihre Beeinflussbarkeit (Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 44, 1907). Ders., Weitere Untersuchungen über die Geschlechtsformen polygamer Blütenpflanzen und ihre Beeinflussbarkeit (ebenda Bd. 45, 1908). Cuenot, Sur la determination du sexe chez les animaux (Bull. scient. de la France et de la Belg., Bd. 32, 1899). Doncaster, L. and G.H.Raynor, Sex inheritance in the moth Abraxas grossu- laria’a and its variety lacticolor (Report Evol. Comm. Bd. 4, 1908). Doncaster, L., On the maturation of the unfertilised egg and the fate of the polar bodies in the Teenthredinidae (Quart. Journ. Mier. Se., Bd. 49, 1906). Ders., Gametogenesis of the Gall Fly Neuroterus lentieularis (Proc. Roy. Soc. London, Bd. 82, 1910.. Düsing, C., Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses bei der Vermehrung der Menschen, Tiere und Pflanzen (Jena, Zeitschr. Naturw., Bd. 19, 1886). Edwards, C. L, The sex determining chromosomes in Ascaris (Arch. Zellf., Bien 1aı) Ders., The Sex-Chromosomes in Ascaris felis (Arch. f. Zellf., Bd. 7, 1911). Emery, C., Considerazioni intorno alla regula del Dzierzon sulla determinazione del sesso nelle Api e in altri Imenotteri (Nota alla R. Acad. di Scienze di Bologna, 16 Gennaio 1910). Enriques, P., La conjugazione e il differenziamento sessuale negli Infusori (Arch. Protistenk., Bd. 9, 1907). Erlanger und Lauterborn, Über die ersten Entwickelungsvorgänge im partheno- genetischen und befruchteten Rädertierei (Zool. Anz., Bd. 20, 1897). Federley, H., Vererbungsstudien an der Lepidopteren-Gattung Pygaera (Arch. f. Rass.- u. Ges.-Biol., 1911, 3. Heft). Grassi, B., Ricerche sulle fillossere ete. eseguite nel R. Osservatorio antifillosserico di Fauglia ete. (Rendiconti dell’Acad. d. Lincei, 1. Sett. 1907). Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 143 Ders., Osservazioni intorno al fenomeno della rudimentazione nei filosserini (Rendi- "eonti della R. Academia dei Lincei, vol. XIX, serie 5a). Ders., Di aleune questioni d’indole generale collegantisi con lo studio delle fillo- serini (Rendie. d. R. Acad. d. Lincei, vol. XVIII, serie 5 a). Goldschmidt, R., Einführung in die Vorne Leipzig 1911. Ders., Kleine Beobachtungen und Ideen zur Zellenlehre. I. (Arch. f. Zellf., 1910). Ders, Das Problem der Geschlechtsbestimmung (Die Umschau Nr. 11, 1910). Ders., Über die Vererbung der sekundären Gerchlesataflikters, Münch mediz. w ochenschr. 1911. Gulick, A., Über die Geschlechtschromosomen bei einigen Nematoden (Arch. 1f. Zeil, Bd 6, 1911). Gutherz, Über den gegenwärtigen Stand der Heterochromosomenforschung (Sitzungs- ber. d. Ges. naturf. Freunde, Berlin 1911, Nr. 5). Guyer, M.F., Nucleus and cytoplasma in heredity (The american Naturalist 1911). Ders., The spermatogenesis of the domestic Guinea (Anat. Anz. Bd. XXXIV, 1909). Ders., The spermatogenesis of the domestic chicken (Anat. Anz. Bd. XXXIV, 1909). Ders., Accessory Chromosomes in Man (Biological Bull., Bd. 19, 1910). Hartmann, M., Autogamie bei Protisten und ihre Bedeutung für das Befruchtungs- problem (Arch. f. Protistenk., Bd. 14, 1909). Heape, Notes on the proportion of sexes in dogs (Proceed. of the Cambridge Philos. Society, Vol. XIV, Ps. II). Ders., The proportion of sexes produced by whites and coloured people in Cuba (Philos. Transact. of the Royal Society of London. Series B, Vol. 200). Hertwig, R., Uber das Problem der sexuellen Differenzierung (Verh. Deutsch. Zool. Gesellsch. 1905). Ders., Weitere Untersuchungen über das Sexualitätsproblem (ebenda II, 1906; III, 1907). Issakowitsch, Geschlechtsbestimmende Ursachen bei den Daphniden (Arch. f. mikr. Anat. u. Entw.-Gesch., Bd. 69, 1906). King, Helen, The sex ratio in hybrid rats (Biolog. Bulletin, Vol. XXI, Nr. 2, July 1911). Dies., The effects of semi-spaying and semi-castration on the sex ratio of the albino rat. (Journ. of exper. Zool., Vol. 10, Nr. 4, May 1911). Dies., Temperature as a factor in the determination of sex in Amphibians (Biolog. Bulletin, Vol. XVIII, Nr. 3, Febr. 1910). Dies., Studies on sex-determination in Amphibians (Biolog. Bulletin, Vol. XX, Nr. 4, March 191]). Kopee€, St., Experimentaluntersuchungen über die Entwickelung der Geschlechts- charaktere bei Schmetterlingen (Bull. Acad Sei. Cracovie 1908). Ders., Untersuchungen über Kastration und Transplantation bei Schmetterlingen (Arch. Entw.-Mech., Bd. 33, 1911). Kuschakewitsch, S., Die Baıc luneseeschiche der Keimdrüsen von Rana esceulenta (Festschr. f. k. Hertwig, Bd. 2, 1910). Lenhossek, Das Problem der geschlechtsbestimmenden Ursachen. Jena 1903. Marchal, Elie et Emile, Recherches experimentales sur la sexualit@ des spores chez les mousses dioiques (Memoires couronnes publies par la classe des sciences Acad. roy. d. Belgique, Bd. 1, 1906). Dieselben, Aposporie et sexualit@ chez les Mousses (Bull. Acad. roy. Belgique, Classe des sciences 1907, Nr. 7). Maupas, M., Sur le determinisme de la sexualit@ chez !’Hydatina senta (C. R. Acad. Sc. d. Paris, Bd. 113, 1891). de Meijere, J.C.H., Über getrennte Vererbung der Geschlechter (Biol. Centralbl., Pd. XXX, Nr.6, März 1910). 144 Hertwig, Über den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems ete. Ders, Über Jakobson’s Züchtungsversuche bezüglich des Polymorphismus von Papilio MemnonL. 2 und über die Vererbung sekundärer Geschlechtsmerk- male (Zeitschr. f. indukt. Abst. und Vererbungslehre, 1910, Bd. III, Heft 3). Meisenheimer, J., Experimentelle Studien zur Soma- und Geschlechtsdifferen- zierung. Jena 1909. Ders., Zur Ovarialtransplantation bei Schmetterlingen (Zool. Anz., Bd. 35, 1910). Ders, Uber die Wirkung von Hoden- und Ovarialsubstanz auf die sekundären Ge- schlechtsmerkmale des Frosches (Zool. Anz, Bd. 38, 1911). Meves, Fr., Die Spermatocytenteilungen bei der Honigbiene (Arch. mikr. Anat., Bd. 70, 1907). Montgomery, Th., The spermatogenesis of Syrbula and Lycosa with general considerations upon Chromosome Reduction and the Heterochromosomes (Proceed. of the Acad. of Nat. Science of Philadelphia, Febr. 1905). Ders., On morphological differences of the Chromosomes of Ascaris megalocephala (Arch. f. Zellf., 2. Bd., 1. Heft). Ders., Are particular Chromosomes Sex Determinants (Biological Bull., Bd. 19, 1910). Mordwilko, A., Beiträge zur Biologie der Pflanzenläuse (Biol. Centralbl., Bd. 27 u. 29, 1907, 1909). Morgan, Th., The Chromosomes in the parthenogenetic and sexual eggs of Phyllo- xerans and Aphids (Proc. of the Society f. exp. Biol. and Med., Vol. 7, NT 3,.1910): Ders., The origin of five mutations in eye color in Drosophila and their modes of inheritance (Science. N. S., Vol. XXXIII, Nr 849, Apr. 1911). Ders., The origin of nine-wing mutations in Drosophila (Science, N. S., Vol. XXXIII, Nr. 847, March 1911). Ders., The biological signification and control of sex (Science, N.S, Vol. XXV, Nr. 636, March 1907). Ders., The method of inheritance of two sex-limited charakters in the same animal (Proceed. of the Soc. for exp. Biology and Med., Vol. 8, Nr. 1, Oct. 1910). Ders., An alteration of the sex-ratio induced by hybridization (Proc. of the Soc. f. exp. Biol. and Med., Vol. 8, Nr. 3, Febr. 1911). Ders., Is the female frog heterozygous in regard to sex- determination? (The amer. Naturalist, Vol. XLV, April 1911). Ders., An attempt to analyze the constitution of the Chromosomes on the Basis of Sex-limited Inheritance in Drosophila (Journ. of exp. Zool., Vol. 11, Nr. 4, Nov. 1911). Ders., A biological and ceytological study of sex-determination in Phylloxerans and Aphids (Journ. of exp. Zool., Vol. VII, Nr. 2, Sept. 1909). Ders., The reproduction of two kinds of spermatozoa in Phylloxerans etc. (Proc. of the ‚Soc. f. exp. Biol. and Med., Vol. V, Nr. 3, 1908). Morrill, Charles V., The Chromosomees in the Oogenesis, Fertilisation and Clea- vage of Coreid Hemiptera (Biol. Bull., Bd. 19, 1910). Noll, F., Versuche über Geschlechtsbestimmung bei diözischen Pflanzen (Sitzungsber. d. Niederrhein. Ges. f. Natur- u. Heilk. zu Bonn, Jahrg. 1907). Nussbaum, M, Die Entstehung des Geschlechts bei Hydatina senta (Arch. f. mikr. Anat. u. Entw.-Gesch., Bd. 49). Oudemans, J. Th., Falter aus kastrierten Raupen (Zool. Jahrb., Abt. f. Syst., Bd. 12, 1899) Papanicolau, G., Exper. Untersuchungen über die Fortpflanzungsverhältnisse d. Daphniden (Biol. Centralbl., Bd. XXX, 1910). Payne, F., On the Sexual Differences of the Chromosome Groups in Galgulus oculatus (Biol. Bull, Bd. 14). Ders., Some New Types of Chromosome Distribution and their Relation to Sex (ebenda Bd. 16, 1909). Ders., The Chromosomes of Acholla multispinosa (Biol. Bull., Bd. 17, March 1910). Hertwig, Uber den derzeitigen Stand des Sexualitätsproblems etc. 145 Pflüger, E., Versuche der Befruchtung überreifer Eier (Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 29). Pinney, E., A Study of Chromosomes of Hipponoö esculenta and Moira atropos (Biol. Bull., Bd. 21, 1911). Popoff, M., Die Gametenbildung und die Konjugation von Carchesium polypinum (Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. LXXXIX, Heft 3, 1908). Potts, F.A., The modification of the sexual charakters of the Hermit Crab caused by the parasite Peitogaster (Quart. Journ. Mier. Se., Bd. 50, 1906). Prandtl, H., Die Konjugation von Didinium nasutum (Arch. f. Protistenk., Bd. 7, 1906). Punett, On Nutrition and Sex Determination in Man (Proc. Cambr. Phil. Soc., Bd. 12, 1903). Ders., Sex-determination in Hydatina, with some Remarks on Parthenogenesis (Proc. of the Royal Soc. B, Vol. 78, 1906). Ders., On the alleged influence of lecithin upon the determination of sex in rabbits (Proc. of the Cambridge philos soc., Vol. XV, Pt. ID. Rauber, Der Überschuss an Knabengeburten und seine biologische Bedeutung. Leipzig 190\). Russo, A, Studien über die Bestimmung des weiblichen Geschlechts. Jena 1909. Schaudinn, F., Die Befruchtung der Protozoen (Verh. Deutsch. Zool. Ges. 1905). Schleip, W., Über die Chromatinverhältnisse bei Angiostomum nigr. (Ber. Naturf. Gesellsch., Freiburg i./B., Bd. 29, 1911). Ders., Das Verhalten des Chromatins bei Angiostomum (Rhabdonema) nigrovenosum. Ein Beitrag zur Kenntnis der Beziehungen zwischen Chromatin und Geschlechts- bestimmung (Arch. f. Zellf., Bd. 7, 1911). Schultze, O., Zur Frage von den geschlechtsbildenden Ursachen (Arch. f. mikr. Anat. u. Entw.-Gesch., Bd. 63, 1903). Shearer, Oresswell, The problem of Sex determination in Dinophilus gyro- eiliatus (Journ. marine biol. Association, Bd. 9, 1911). Shull, G.H., Reversible sex mutants in Lychnis dioica (The bot. gaz., Bd. 52, 1911). Shull, A. Fr., Studies in the Life-Cyele of Hydatina senta (Journ. Exp. Zool., Ber 8:u. 10, 1910, 1911): Smith, J., Studies in the experimental Analysis of Sex (Quart. Journ. Mier. Se., Bd.#50)557.56,°97, 11916,:1911). Steinach, Geschlechtstrieb und echt sekundäre Geschlechtsmerkmale als Folge der innersekretorischen Funktion der Keimdrüsen (Zentralb. f. Physiol., Bd.. XXIV,.Nr. 13). Ders., Willkürliche Umwandlung von Säugetiermännchen in Tiere mit ausgeprägt weib- lichen Geschlechtscharakteren und weiblicher Psyche. Arch. ges. Physiol. Bd 144. Stevens, N. M., A study of the germ-cells of certain Diptera with reference to the Heterochromosomes and the Phenomena of Synapsis (Journ. Exp. Zool., Bd. 5, 1908). Dies, An unequal pair of Heterochromosomes in Forfieula (Journ. Exp. Zool., Bd: 8, 1910): Dies., The COhromosomes in Diabrotica vittata, etc. (Journ. Exp. Zool., Bd. 5, Nr. 4, 1908). Dies., A note on reduction in the Maturation of male eggs in Aphis (Biol. Bull., Bd. 18, 1910). Dies., The Chromosomes in the germ-cells of Culex (Journ. Exp. Zool., Bd. S, 1910). Dies., Further studies on Heterochromosomes in Mosquitoes (Biol. Bull., Vol. 20, 1911). Dies., Heterochromosomes in the Guinea-Pig. (Biol. Bull., Bd. 21, 1911). Strasburger, E., Versuche mit diözischen Pflanzen in Rücksicht auf Geschlechts- verteilung (Biol. Centralbl., Bd. XX, 1900). Ders., Chromosomenzahlen, Plasmastrukturen, Vererbungsträger und Reduktions- teilung (Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 45, Heft 4). XXXII. 10 146 Ernst, Neue Beobachtungen bei Ameisen: Ders., Sexuelle und apogame Fortpflanzung bei Urticaceen (Jahrb. wiss. Bot., Bd. 47, 1909). Ders., Zeitpunkt der Bestimmung des Geschlechts, Apogamie, Parthenogenesis und Reduktionsteilung. Jena, Fischer, 1909. Ders., Die geschlechtsbestimmenden Ursachen {Jahrb. wiss. Bot., Bd. 48, 1910). Ders, Chromosomenzahl. Jena, G. Fischer, 1910. Tennent, D. H., A Heterochromosome of Male Origin in Echinoids (Biol. Bull., Bd. 21, 1911). Wilson, E. B., Studies on Ohromosomes (I-—VI Journ. Exper. Zool., Bd. 2, 3, 6, 9, VII Journ. Morph., Bd. 22, 1905—1911). Ders., The Ohromosomes in Relation to the Determination of Sex. Science, N. S., Bd. 22, 1905). Ders, A New Theory of Sex-Production (ebenda Bd. 23, 1906). Ders., Recent Researches on the Determination and Heredity of Sex (ebenda Bd. 27, 1909). Ders., The Sex Chromosomes (Arch. Mikr. Anat., Bd. 76, 1911). Woltereck, R., Über Veränderung der Sexualität bei Daphniden (Internat. Revue d. Hydrobiologie, Bd. 21yz 1971). Zarnik, B., Über den Chromosomenzyklus bei Pteropoden (Verh. Deutsch. Zool. Cala 1911). Berichtigung: Auf Seite 10, Heft 1, Zeile 12—14 von oben sind durch ein Versehen die Bezeichnungen Männchen und Weibchen vertauscht. Der Satz muss heißen: „dass Befruchtung mit Spermatozoen, welche das x-Chromosom enthalten, Weibchen liefert, Befruchtung mit Spermatozoen, welche das x-Chromosom nicht enthalten, Männchen.“ Neue Beobachtungen bei Ameisen '). Von Christian Ernst, Ban St. Martin bei Metz. 5. Laelaps oophilus bei Lasius flavus. — Diese Acarine Be bi zum Jahr 1909 nur bei Formica wahrgenommen, und zwar stets nur ın vereinzelten Exemplaren, wie ah Wa der die Güte hatte, das Tier für mich zu bestimmen, sie nur bei F. sanguinea, rufibarbıs, fusca, rufa und Polyergus rufescens mit ruföbarbis als Sklaven gefunden hat. In dem genannten Jahr entwickelten sie sich indessen in einem künstlichen Lasius-Nest unter Umständen, die höchst eigentümlich waren. In einem neuen Versuchsnest, Nr. 71 meiner Sammlung, ver- einigte ich am 29. August 1909 13 Königinnen von Lasius flavus, die ich aus einem Schwarm gesammelt hatte. Vom 30. bis 31. August hatten sie bereits eine kleine Mauer von Erdklümpchen nach der Lichtseite hin gebaut, den Anfang eines rundlichen Schutzhöfchens, wie dies viele isolierte Königinnen tun. Ziemlich regelmäßig un- mittelbar nach dem Hochzeitsflug; wenigstens ist da die Arbeit am intensivsten. So beobachtete ich mehrfach bei Myrmica, Tapinoma und am schönsten bei ZLasius niger und flawus. Die letzteren ins- 1) Vel: Bd: XV NT, 2 Und OXVL NER 7 Ernst, Neue Beobachtungen bei Ameisen. 147 besondere haben bei mir, wenn sie zu einem isoliert waren, mit den feuchten Erdklümpchen vielfach ein richtiges Gewölbe aufge- führt, das zuletzt oben auch vollständig geschlossen wurde. Alle meine isolierten Königinnen aber, auch die ohne Schutzhof, wie eine Anzahl F. rufibarbis, die ich nicht habe bauen sehen, haben in dem künstlichen Nest ein bestimmtes Aufenthaltsplätzchen, das sie selten wechseln und nur ausnahmsweise verlassen und zu dem sie, wenn sie aufgestört werden, mit einer Art Heimgefühl zurück- kehren, wie der Hase zu seinem Lager. Schon am 5. September begann in dem Höfchen die Ablage der Eier, die von den Königinnen durch Streicheln und Belecken gemeinschaftlich und mit einem gewissen Wetteifer bebrütet wurden. Die Larven entwickelten sich ziemlich langsam. Während ich bei Lasius niger schon von Ende Juli bis Oktober entwickelte Junge erzog, erschien in meinem Nest Nr. 71 die erste gelblichweise Ar- beiterin anfangs Mai. Kurz darauf war das Junge verschwunden. Das wiederholte sich einige Male. Am 4. Juni schlüpfte wieder eine Arbeiterin aus, am 5. Juni suchte ich sie vergebens, aber an demselben Platz, wo ich sie gesehen hatte, lagen jetzt Teilchen von ihr, und an diesen saßen 2 Zaelaps oophilus. Bald nachher sah ich auf einem abseits liegenden Plätzchen wiederum Beinchen und andere Reste einer Arbeiterin und nach meinem Tagebuch einen „Haufen von Laelaps oophilus“ daran. Das erste Auftreten der Zaelaps ın diesem Neste habe ich leider nicht beobachtet, wenigstens nicht beachtet. Ich kann aber nur annehmen, dass sie von den Königinnen vom Hochzeitsflug mit- gebracht worden waren. Vom frühesten Frühjahr her entwickelten sie sich sehr rasch und so zahlreich, dass es von entwickelten Tieren und Nymphen im Juni in dem Neste mit 12 X 9 cm Boden- fläche geradezu wimmelte. Sıe saßen nicht bloß auf den Eiern, sondern krochen im ganzen Behälter umher, auf hervorragenden Erdklümpchen, an der Innenseite des Deckglases, mit Vorliebe auch an den Wirten. Bei diesen saßen sie dann gern an und in der Taillen- fuge; bisweilen beobachtete ich auch, dass sie bei einer die Eier beleckenden Königin von den Eiern auf das Maul hinüberkletterten und da erst durch energische Schüttelbewegungen des Kopfes ab- geschüttelt und vertrieben wurden. Wasmann bemerkt?), dass er nie, auch mikroskopisch nicht, festgestellt habe, dass die Laelaps die Eier ansaugten, und dass sie wahrscheinlich von dem Speichel- sekret der beleckenden Ameisen lebten. Am 12. Juni sah ich wieder einmal Zaelaps an 2 angenagten toten Jungen, und meine Vermutung, dass die Laelaps kein einziges Junge aufkommen ließen, wurde mir fast zur Gewissheit. Endlich 2) Zoolog. Anzeiger 1897. 10% 148 Ernst, Neue Beobachtungen bei Ameisen. am 23. Juni konnte ich den rätselhaften Vorgang mit der Lupe genau beobachten. Ein eben ausgekrochenes, noch ganz weiches Junge lag, sich windend, auf dem Boden und !/, Dutzend Zaelaps krabbelten mit einer Art wütenden Eiferss an dem Tier herum, insbesondere am Thorax und den Ansatzstellen der Beine. Wie ich vermute, um die Ameise am Aufstehen zu hindern. Solange ich wenigstens beobachtete — und ıch habe dem Vorgang lange zugesehen — war es der kleinen Arbeiterin kein einzigesmal ge- lungen, auf die Beine zu kommen, trotz alles Drehens und Windens unter den Angriffen der kleinen Räuber. Bei der Schwierigkeit der Beobachtung — Kleinheit der Objekte, scharfe Lupe, Deckglas — konnte ich leider das Ende nicht abwarten und musste an diesem Tage die Beobachtung aufgeben. Am folgenden Tage aber lagen auf demselben Platze Beinchen und andere Reste des getöteten Tieres, genau so, wie ich es zuvor bei den anderen gesehen hatte. Wie die Acarinen das Tier zerlegt haben, habe ich also nicht be- obachtet, aber Anfang und Ende habe ich gesehen und muss es den Acarinenforschern überlassen, sich von dem Fehlenden eine zutreffende Vorstellung zu machen. Die Laelaps, die in dem Nest 71 wie eine Seuche gekommen waren, sind übrigens ebenso verschwunden. Ich sehe jetzt keinen einzigen mehr. 7. „Freundschaft“ und Tod bei isolierten Ameisen. — Nicht die Freundschaft, in der alle Ameisen derselben Kolonie mit- einander leben, meine ıch. Sıe ıst bekannt als Verwandtschaft eigener Art, die auf dem spezifischen Geruch, dem durch die Fühler festgestellten Nestgeruch beruht, wobei durch dieses einfache mecha- nische Mittel das Verwandte sofort herausgefühlt und friedlich an- genommen, alles Fremde aber abgestoßen werden kann. Dabei kennen die Individuen sich als solche nicht, sie erkennen nur die Verwandtschaft, diese aber selbst bei der leisesten und flüchtigsten Fühlerberührung mit so untrüglicher Sicherheit, dass auch für uns damit ein bequemes Mittel gegeben ist, weit auseinander liegende /weignester als zu derselben Kolonie gehörend zu erkennen®). Mit den Worten „die Individuen kennen einander nicht“ ist zugleich gesagt, dass keine 2 Individuen einander vor den anderen bevor- zugen, dass sie also ın kein sichtbares engeres Verhältnis zueinander treten. M. W. sınd solche Erscheinungen nie beobachtet worden. Sie widersprechen auch der ganzen Organisation des Staates. Wesentlich anders sieht es bei isolierten Ameisen aus. Bei einer großen Zahl von Versuchen, die seit längerer Zeit von mir mit isolierten Ameisen angestellt worden sind, habe ich in vielen 3) Im Extrait du Ier Congres international d’entomologie, 1910, berichtet Forel, dass er auf diese Weise bei mehr als 40 Nestern der F. sangwinea in einer Längen- ausdehnung von 150 m die Zusammengehörigkeit zu einer Kolonie festgestellt habe. Ernst, Neue Beobachtungen bei Ameisen. 149 Fällen bei Isolierung zu zweien mit mehr oder weniger Erfolg die Tiere zu einer Art „Befreundung“ gebracht. Die 2 Ameisen stehen dann immer beieinander, und zwar entweder voreinander, indem sie die Fühler leise hin- und herbewegen, so dass diese ab und zu sich ruhig berühren, oder parallel beieinander und gleich gerichtet mit entsprechender Fühlerberührung, oder aber entgegengesetzt ge- richtet, so dass jede mit den Fühlern das Abdomen der Gefährtin betasten kann. Da die Fühlerbewegung ein sehr deutliches Aus- drucksmittel für Erregung und Beruhigung sind, ersieht man aus den langsamen, wiegenden Bewegungen, dass diese Berührung den Tieren Befriedigung gewährt, wenn es auch nur sinnliche Be- friedigung ist. Das Gegenteil zeigt sich sofort bei einer zufälligen oder absichtlich herbeigeführten Trennung, wenn eines der Tiere den gewöhnlichen Aufenthaltsort im künstlichen Nest verlassen hat oder von dem Beobachter weggesetzt worden ist. Dann suchen sich die Tiere mit allen Merkmalen der Unruhe und zeigen sich erst dann wieder ruhig und zufrieden, wenn sie sich wiedergefunden haben. Und der Akt des Wiederfindens wird je nach Sonderart durch bestimmte Ausdrucksweisen der Befriedigung ausgezeichnet, sehr lebhaftes und rasches Berühren mit den Fühlern, Belecken des Maules u. dgl., wonach die Tiere dann nach und nach wieder in den gewöhnlichen Zustand ruhigen Beisammenseins übergehen. Es sind also drei aufeinander folgende Erscheinungen, die durch zwei Akte, Trennung und Wiederfinden, fest abgegrenzt werden, sich in ihren Ausdrucksformen deutlich und sichtbar voneinander abheben und den inneren Zuständen Beruhigung, Erregung, Beruhigung entsprechen. Die Versuche gelingen nicht mit allen Arten und Geschlechts- formen gleich gut. Von Männchen habe ich aus bekannten Gründen überhaupt abgesehen. Von den zwei anderen Formen kann allge- mein gesagt werden, dass Königinnen viel geeigneter sind als Ar- beiterinnen. Der Grund ist unschwer zu erkennen. Die Königinnen sind sesshafter und halten, im künstlichen Nest isoliert, an dem bestimmten Aufenthaltsort, mit oder ohne Kesselbau, fest. Dass sie nach vorgenommener Trennung aber stärker die Gefährtin als den Wohnplatz suchen, sieht man leicht, wenn sie bei dem zick- zackartigen Suchen im Nest den kesselförmigen Wohnplatz direkt durchschreiten, um zu der fortgewanderten Gefährtin zu gelangen. Die Königinnen sind durch ihr Nestleben aber auch auf das Zu- sammensein mehr angewiesen und widerstreben einer Eingewöhnung, wenn man will Zähmung, weniger als die Arbeiterinnen. Von dem genannten Versuchsnest 71 habe ich später den Glasdeckel bis zu 3/, Stunden wegnehmen können, ohne dass die Tiere das Nest ver- ließen. Einzelne habe ich dabei mit der Pinzette auf den Rücken meiner Hand gesetzt, da eine Zeitlang herumsuchen lassen und sie dann einfach wieder zu ihren Gefährtinnen gebracht. Selbst von 150 Ernst, Neue Beobachtungen bei Ameisen. 3 Paar alt eingefangener Königinnen von F. rufibarbis, die lange sehr scheu und unzugänglich waren, ıst ein überlebendes Paar jetzt, nach fast 2 Jahren so gewöhnt, dass ich bei ihnen den Deckel eine volle halbe Stunde wegnehmen kann. Auch die Arten unterscheiden sich ın Leichtigkeit und Stärke der Befreundung. Die besten Erfolge hatte ich mit Königinnen von Lasius flavus, gute auch mit Myrmica-Arten und Tapinoma. Bei letzteren selbst mit nestfremden Königinnen. Von Formica habe ich nur pratensis, gagates, rufibarbis und fusca ısoliert gehalten, mit geringerem Ergebnis. Bei Arbeiterinnen, die schlechter zu- sammenhalten, sind von mir hauptsächlich artfremde Individuen in besonderen Isolierzellen vereinigt worden, so Lasius fuliginosus, niger, alienus’ und emarginatus, sowie Formica rufibarbis und pra- tensis. Von letzteren mag ein Beispiel angeführt werden. Zu einer in der Zelle schon heimischen Rufibarbis wurde eine gleichstarke Pratensis gesetzt. Sofort wütende Beißerei, ineinander verbissenes Knäuel. Nach einiger Zeit gab die Pratensis den Kampf auf. Am Tag darauf hatte sie ein Hinterbein verloren und war nach einigen Tagen eingegangen. Bald darauf setzte ich eine zweite Pratensis aus demselben Neste zu. Keine eigentliche Beißerei. Die Rufibarbis suchte aber die Pratensis und bedrohte sie mit den Kiefern, während die Pratensis sich bei Annäherung der Rufibarbis jedesmal furchtsam still hielt und sich duckte. Noch Tags darauf war die Rufibarbis sehr erregt und tat, als wenn sie beißen wollte. Es blieb aber bei der Geste. Die Pratensis wich langsam mit dem Kopfe aus und duckte sich vorbei. Nach 10 Tagen lebten die Tiere schon im besten Einvernehmen. Da ging mir auch diese Pratensis ein. Gegen die sodann zugesetzte dritte Pratensis desselben Nestes betrug sich die Rufibarbis sofort ohne alle Feindseligkeit, und heute, nach 5 Monaten, sind die Tiere so unzertrennlich beisammen, wie ich es bis jetzt noch von keinem Arbeiterpaar erlebt habe. Sie stehen meist im Winkel voreinander, so dass sich die Antennen mit leisen Schlägen berühren, und selten kommt es vor, dass beim Aufdecken des Nestchens eins von dem andern sich entfernt hat. Überschaut man die Vorgänge, dann hat es fast den Anschein, als wenn bei der Rufibarbis die Schicksale der 3 Pratensis in eins zu- sammengeflossen wären, als wenn für sıe jede folgende Pratensis nur in die Fußtapfen der Vorgängerin getreten wäre. Oder, was dasselbe ist, die Aufibarbis hat von dem Wechsel der Individuen gar nichts bemerkt, und indem jede Pratensis da fortsetzte, wo die Vorgängerin aufhörte, war es bei der Rufibarbis langsame Ge- wöhnung an die fremde Art. Merkwürdige Wahrnehmungen habe ich nun gemacht, wenn eine von zwei befreundeten Ameisen einging. Nicht in allen diesen Fällen, aber doch in einer Zahl, dass man nach einem allgemeineren Ernst, Neue Beobachtungen bei Ameisen, 151 Grunde forschen kann. Die Ausdrucksformen hierbei sind stark und ungewöhnlich und denen eines tieferen Seelenlebens nicht un- ähnlich. Nach dem Absterben der Gefährtin und schon während desselben bemächtigt sich der Überlebenden eine große Unruhe. Sie geht ruhelos um den Körper herum, befühlt ıhn, beleckt den Mund und bei Rücken- oder Seitenlage auch das Abdomen, tritt dann wie suchend weg, stockt, kehrt zurück, setzt ein oder beide Vorderbeinchen auf den daliegenden Körper und wittert mit vor- gerichtetem Kopfe und starr ausgestreckten Fühlern in die Luft. (serade jenes rasche stoßweise, ruckweise Hinwenden und Abwenden, das den Tieren ım Zusammenleben sonst ganz fremd ist, finde ich in meinem Tagebuch mehrfach verzeichnet. Es gehört mit dem unruhigen, aufgeregten Befühlen und Belecken in den von mir be- obachteten Fällen zu den typischen Ausdrucksbewegungen. So geht das eine Zeitlang hin und her, ohne dass das Tier zur Ruhe kommt. Nach 1—2 Tagen aber ändert sich das Verhalten vollständig. Die Überlebende meidet die Tote, bedeckt sie wohl mit Erde oder schleppt sie auf einen entlegenen Abfallplatz — nach allgemeiner Ameisensitte. Zwei Beispiele mögen als Illustration dienen. Zu einer isolierten Fusca hatte ich ein eben ausgekrochenes Junge gebracht, das von einer Rufibarbis stammte. Es hatte den von Forel in F.d. 1. S., S. 54 beschriebenen kleinsten Typus, war von der Fusca nur durch die geringere Größe zu unterscheiden und wurde von dieser ohne weiteres und, wie es schien, gern an- genommen. Nach monatelangem Zusammenleben, das ın der oben beschriebenen Weise verlief, erschien die Fusca am 31. Dezember sehr hinfällig, konnte sich kaum auf den Beinen halten. Am 1. Januar war sie tot. Bei der kleinen Rufibarbis, die nie eine andere Ameise gesehen hatte als diese Fusca, habe ich nun die oben erwähnten Erscheinungen am deutlichsten, vielseitigsten und in stärkstem Maße wahrgenommen. Sie zog u. a. auch die Tote auf ein Korkplättchen, das als Trockenplätzchen diente, abwechselnd herauf und hinab und sprang so aufgeregt um die tote Fusca herum, dass ich in meinem Tagebuch notierte: „weiß gar nicht, was sie machen soll.“ Ich enthalte mich gerade bei diesem Beispiel, das ich nicht ohne Teilnahme erlebt habe, mit gutem Grunde aller Ausdrücke, mit denen wir unser eigenes Seelenleben darstellen; aber wollte ich ein anschauliches Bild von dem Gebaren dieses Tieres geben, dann würde ich es nur mit menschlichen Ausdrücken tun können. Das andere Beispiel entnehme ich, der Seltenheit halber, dem Zusammenleben von zwei Königinnen und einer Ar- beiterin von Tupinoma erraticum. Als die Arbeiterin im Sterben lag, überraschte es mich, dass auch hier die Königinnen sich ın der oben geschilderten Weise auffallend betrugen, obschon sie noch zu zweien waren. : Allerdings war das Belecken und Be- 152 Ernst, Neue Beobachtungen bei Ameisen. tasten der sterbenden und toten Arbeiterin ruhiger als in anderen Fällen, aber die Beschäftigung mit ihr war ebenso dauernd, ins- besondere das ständige Zurückkehren nach kurzem Abwenden. Auf- gefallen ist mir dabei auch noch eine individuelle Verschiedenheit, die nicht unerwähnt bleiben soll. Eine der Königinnen hatte, wohl beim Einfangen, einen Fühler eingebüßt und konnte dadurch gut unterschieden werden. Diese nun war es, die sich sehr viel mehr um die Tote bemühte als die andere. Wenn wir nun eine Erklärung der seltsamen Erscheinungen bei „Freundschaft“ und Tod versuchen, werden wir der bewährten Regel folgen müssen, dass wir die entsprechenden psychischen Zu- stände an der untersten Grenze suchen, wo die Erscheinungen ge- rade noch erklärt werden können. Es wäre übereilt, ohne weiteres an die höheren Gefühle unseres eigenen Seelenlebens zu denken, an die erhabenen Gefühlszustände einer hochstehenden menschlichen Freundschaft oder der Trauer um einen Verstorbenen. Einer ein- facheren, dem Sinnesleben sich anschließenden Erklärung nähern wir uns, wenn wir bedenken, wie sehr ein beständiges, wenn auch noch so flüchtiges Berühren mit den Fühlern ein starkes, den Staat erhaltendes Bedürfnis für die Ameisen ist. Es ist die Grundlage des sozialen Verkehrs. Wenn auf dem Wege zwischen Nest und Futterplatz viele Hunderte von Lasius emarginatus aneinander vor- übereilen, dann unterlassen es nie zwei begegnende, falls sie ın Reichweite sind, mit einem kurzen Ruck, der nur einen kleinen Bruchteil einer Sekunde dauert, die Fühler aneinander zu stoßen. Jedes Individuum wird geprüft. So mag wohl bei zweı isolierten Ameisen jede dieses Bedürfnis an der einzigen Gefährtin befriedigen. Auch die Unruhe und das Unlustgefühl bei der zeitweiligen Tren- nung, sowie die Erregung beim Tode der Gefährtin würden sich so annähernd erklären lassen. Nicht erschöpfend, wie ich glaube; mir scheinen vielmehr Gefühlsformen hier vorzuliegen — wenn auch nur spurenhaft — die das einfache Sinnesleben überragen. Der Fall der drei Tapinoma, den ich mit gutem Bedacht erwähnt habe, spricht für sich. Ebensowenig vermag ich anders das, menschlicher Verzweiflung täuschend ähnliche Gebaren der kleinen Rufibarbis zu erklären. Ich hüte mich, ihr eine solche Verzweiflung wirklich zuzu- schreiben. Als bei den Tapinoma die Arbeiterın ım Absterben war, lag sie zuletzt auf der rechten Seite und hob nur ab und zu müh- sam das linke Hinterbein in die Höhe. Strich nun eine an ıhr herumgehende Königin an dem linken Fühler vorbei, dann streckte das Tier mit erwachendem Leben zitternd den Fühler nach der Gefährtin hin. Wir dürfen überzeugt sein, dass das nur mecha- nische Bewegung auf den erfolgten Reiz war. Aber wie täuschend ähnlich sind solche Vorgänge menschlichen Ausdrucksformen und den damit verbundenen Seelenbewegungen! Ernst, Neue Beobachtungen bei Ameisen. 153 8. Fannia manicata melkt Blattläuse mit den Ameisen. — In meinem Garten steht ein Hollunderbusch, der in jedem Früh- jahr stark, bis auf Fußlänge, zurückgeschnitten wird und dann rasch über mannshohe, dicke Schosse treibt. An den weichen Endstücken siedeln sich dann regelmäßig Aphiden an, die streckenweise die dicken Zweige vollständig bedecken. Die Blattläuse werden wiederum besucht von Lasius emarginatus, die in Höhlungen der nahen Garten- mauer und Ritzen des Hauses ıhre Wohnung haben. Im Sommer des Jahres 1910 ging ich an dem Busch vorüber und schaute von ungefähr den Lasits zu, wie sie die Blattläuse melkten. Auf ein- mal bemerkte ich auf dem schwärzlichen Gewimmel der Aphiden mit und neben den Zasius ein halbes Dutzend Fliegen, die mir auffielen durch einen starken Schopf nach hinten gerichteter Rücken- haare — Herr Dr. Speiser ın Labes hat das Dipteron später als Fannia manicata bestimmt — und weıl ich sofort sah, dass sie auf den Aphiden nicht bloß einen zufälligen Ruhepunkt gefunden hatten. Sie gingen wie die Zasius suchend auf ihnen herum, flogen kurz ab nach einer Nachbarstelle, kamen zurück und hatten sichtlich bei den Blatt- läusen ein wichtiges Geschäft, in dem sie sich gar nicht stören hießen. Als ich genauer auf eine ruhende Fannia hinschaute, sah ich mit Erstaunen, wie sie genau in derselben Weise, wie in der Nach- barschaft die Zasius, eine Blattlaus melkte. Sie streichelte mit sehr raschen Bewegungen der Vorderfüßchen den Hinterleib der Blattlaus so lange, bis der süße Tropfen hervorquoll, und senkte hierauf den Rüssel, wie alle saugenden Fliegen es tun. Der Vorgang war mir so neu, dass ich die Richtigkeit der Beobachtung mit der rasch herbeigeholten Lupe an mehreren anna sicherstellte. An einem der folgenden Tage wurden die Beobachtungen, die in Augenhöhe sehr bequem und in aller Ruhe vorgenommen werden konnten, an einer Anzahl von Fannia noch einmal wiederholt. Seitdem habe ich von diesen Dipteren nichts mehr gesehen. Auch im verflossenen Sommer habe ich vergebens nach ıhnen umgeschaut. Herr Dr. Speiser, nach dessen Mitteilungen diese Art von Lebensgemeinschaft bei Fannia manicata noch nicht bekannt war, hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Männchen an den Vorder- beinen eigentümlich manschettenartig angeordnete Haare tragen, die auch den Namen manicata veranlasst haben, und bemerkt, es sei denkbar, dass diese Haarmanschetten mit dem Melken der Blatt- läuse ım Zusammenhang ständen. Zur Aufhellung des Sachverhaltes müsste freilich durch weitere Beobachtung festgestellt werden, ob das Melken nur von den Männchen oder von beiden Geschlechtern ausgeübt wird. Unter den von mir damals gesammelten Exem- plaren sind beide Geschlechter vertreten). 4) Nach brieflicher Mitteilung von E. Wasmann dürfte der von mir beobachtete Vorgang als ein „sehr merkwürdiger Fall von aktiver Mimikry“ anzusehen sein. 154 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen, mit besonderer Berücksichtigung der Phylogenese des sozialen Parasitismus und der Dulosis bei Formica. Von Dr. med. Rudolf Brun, z. Zt. Assistent am Kantonsspital in Glarus. Inhalt: I. Geschichte eines isolierten befruchteten Weibchens von (ampo- notus ligniperdus. — Il. Geschichte einer künstlichen Adoptionskolonie von Lasius niger. — III. Weitere Beobachtungen und Experimente zur Koloniegründung bei Formica, nebst kritischen Bemerkungen über die Phylogenese des sozialen Para- sitismus und der Dulosis bei dieser Gattung. Im folgenden soll eine Reihe von Beobachtungen und Experi- menten niedergelegt werden, die sich namentlich auf die Verhält- nisse der Koloniegründung bei den (einheimischen) Ameisen beziehen. Die nähere theoretische Würdigung dieser Beobachtungen führte mich zu einer kritischen Revision der genannten, zurzeit so aktuellen Frage der modernen Ameisenbiologie, — eine Frage, die ja vielfach an prinzipieller Bedeutung weit über den engeren Kreis der Spezial- wissenschaft hinausragt und die daher auch im Biologischen Oentral- blatte von jeher weitgehende Berücksichtigung erfahren hat. Bei der psychologischen Analyse mancher Beobachtungen hat sich mir — wie schon bei früherer Gelegenheit — die Theorie der „Mneme“ oder Lehre von den „Engrammen‘, wie sie vor einigen Jahren von R. Semon!') aufgestellt und in zwei momu- mentalen Werken in glänzender Weise begründet und weiter ent- wickelt wurde, als überaus fruchtbar, ja unentbehrlich erwiesen: Erfüllt sie doch eines der wichtigsten, bisher aber kaum irgendwo zur Befriedigung erreichten Postulate der vergleichenden Psycho- logie: Die sichere Ausschaltung jedes vermenschlichenden Subjekti- vismus bei der Wertung psychischen Geschehens! Sie wird diesem Postulate wenigstens auf dem weiten Felde der Gedächtnisphäno- mene in ganz vollkommener Weise gerecht und ohne dabei den Boden des Psychischen auch nur einen Augenblick zu verlassen, um etwa einem pseudowissenschaftlichen Schematismus zu verfallen, ähnlich wie ihn die Bethe’sche Schule gezeitigt und konsequent 1) Richard Semon, Die Mneme als erhaltendes Prinzip im Wechsel des organischen Geschehens. 2. verbess. Aufl. Leipzig 1908, W. Engelmann. — Die mnemischen Empfindungen. Leipzig 1909, im gleichen Verlag. — Da die Lehre Semon’s wohl seither in weitesten wissenschaftlichen Kreisen Eingang gefunden haben dürfte, so setze ich ihre Kenntnis im folgenden voraus. Wer sich über ihren wesentlichen Inhalt in Kürze orientieren möchte, dem seien auch noch die folgenden kleineren Abhandlungen aus der Feder Semon’s empfohlen: Der Reiz- begriff. Biolog. Centralbl. Bd. XXX, 1910, Nr. 5 u. 6. — Die physiologischen Grundlagen der organischen Reproduktionsphänomene. Scientia, Vol. IV, 1910, Nr. XIV, Leipzig und Bologna. — Die reizphysiologische Grundlage der organischen Reproduktionsphänomene (Mneme). Deutsche medizin. Wochenschr. 1911, S. 1850. Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 155 bis zum völligen Nihilismus durchgeführt hat. — Es ıst das große Verdienst A. Forel’s?), diese eminente Bedeutung der jungen Lehre für eine wissenschaftliche vergleichende Tierpsychologie sofort mit dem ihm eigenen Scharfblick erkannt und sie mit großem Geschick besonders auf die Psychologie der Insekten angewandt zu haben. U @esechiehte eines isolierten befruchteten Weibehens von Camponotus Tigniperdus. Am 17. Juli 1910 richtete ich ein aus zwei in der Mitte ge- trennten Kammern bestehendes modifiziertes Lubbocknest?) ein und besetzte es wie folgt: In die Abteilung A kam eine schöne Ligniperdus-Königin, die 3 Tage zuvor einem großen Neste am Uetliberg bei Zürich entnommen worden war, mit einem mittelgroßen Arbeiter derselben Kolonie, 3 Arbeiterkokons und einem frischen Eierpaket, das die Königin soeben produziert hatte. Die Abteilung 3 wurde mit einem noch geflügelten Ziyni- perdus-Weibchen und einem kleinen Männchen derselben Art be- setzt, — beide tags zuvor auf einer Exkursion im Klöntale einzeln umherschweifend gefangen. In A kümmert sich, 2 Stunden später, der Arbeiter, dem übrigens ein Fühler fehlt, weder um die Brut noch um seine Königın, sondern macht vergebliche Entweichungsversuche. Auch die Königin scheint sich um ihre Eier nur wenig zu sorgen, sie wendet ıhr 2) A. Forel, Das Sinnesleben der Insekten, deutsche Übersetzung von Maria Semon. München 1910. Verlag von E. Reinhardt. 3) Seit einigen Jahren verwende ich als Material für meine Lubbock- nester mit Vorteil den käuflichen Insektentorf. Die überaus leichten, fein- gepressten Platten besitzen gerade die meist erforderliche Dicke von ca. I em; sie werden, je nach Phantasie, auf einer Fläche ausgehöhlt zur Darstellung mannig- facher Kammern und Gänge, an den Schmalseiten mit feinem Drahtgeflecht um- hüllt und auf Ober- und Unterfläche mit Glasplatten bedeckt, welche durch Klammern oder dergl. angepresst erhalten werden. Verbindungsröhren und ein seitlich ange- brachter Wassertrog, mit rechtwinklig umgebogener Spitze in den Torf gesteckt, vervollständigen das Ganze. Die Bewässerung erfolgt dann sehr einfach durch Kapillar- attraktion in dem porösen (vor Gebrauch anzufeuchtenden !) Nestmaterial und nimmt, je weiter vom Wassertrog entfernt, um so mehr ab in feiner, gradueller Abstufung; so können die Ameisen den ihnen zusagenden Feuchtigkeitsgrad jeweilen selbst wählen. Auch die Ventilation lässt nichts zu wünschen übrig; sie geschieht in ausreichendem Maße durch die feinen Lücken zwischen Drahtnetz und Glasplatten. Schimmelbildung tritt selten ein und wenn sie eintritt, so bleibt sie meist auf die enge Umgebung von Nestabfällen beschränkt, die dann von den Tieren bald ein- gemauert werden. Die Ameisen scheinen sich in dem leicht zu bearbeitenden und naturgemäßen Material ganz wohl zu fühlen. — Die Methode eignet sich nament- lich für kleinere Arten (Lasius) oder kleinere Kolonien größerer Arten, weniger dagegen für volkreiche Staaten großer Arten. 156 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. Hauptaugenmerk den drei Puppen zu, die sie häufig beleckt und mit den Fühlern palpiert. In B (Klöntaler Weibehen mit dem fremden Männchen) macht das letztere lebhafte Annäherungsversuche an das Weibchen; dieses öffnet anfänglich drohend die Kiefer, streichelt dann aber wenige Minuten später das hilflose Geschöpf wiederholt mit den Fühlern und füttert es sogar einige Male flüchtig. Noch am gleichen Abend bin ich Zeuge davon, wie sich das Weibchen seiner Flügel aktiv entledigt, - ein Vorgang, der schon nach 10 Minuten beendigt ist. Am 20. Juli ist der Arbeiter in A tot, die Eierpakete ver- schimmelt, auch zwei der Puppen grau, eingeschrumpft und offenbar abgestorben. Trotzdem pflegt sie die Königin noch immer wie die intakte dritte Puppe, wogegen sie einige neue, zerstreut abgelegte Eier wie die ersten vernachlässigt. Ich entferne den toten Arbeiter, die abgestorbenen Puppen und die verschimmelten Eier. 2 Stunden später hält die Königin zwei neue Eier zwischen den Kiefern und trägt sie nebst der übrig gebliebenen Puppe sorgfältig weg. — In b gerät das Männchen alle Augenblicke in den Honig, der sich ın einer Glasröhre befindet und muss jedesmal von mir befreit werden. Das nunmehr entflügelte Weibchen kümmert sıch nicht mehr um den Gefährten, sondern hat sich seitlich eine Kammer in den Torf gegraben und hält zwei Eier zwischen den Kiefern. Am 24. Juli sind in A wieder sämtliche FKier verschimmelt und die Königin pflegt nun ausschließlich die ihr gebliebene Puppe. In B finde ich das Männchen tot in der Fütterungsröhre; es weist keine Verletzungen auf. Das Weibchen B hat sich in seiner Kammer ringsum eingemauert und hat acht Eier bei sich. — Da ich ein Umsichgreifen des Schimmels befürchte, richte ich am Abend ein neues geräumiges Torfnest, ähnlich dem ersten, ein, nur lasse ich jetzt die beiden Hauptkammern durch Gänge in offener Kommunikation. Die Tiere werden nun mit ihrem Besitze an Brut in die entsprechenden, diametral entgegengesetzten Abteilungen umquartiert; sie halten sich zunächst ruhig an beiden Enden auf, olıne ins Innere des Nestes vorzudringen. Am nächsten Morgen hat sich aber die Situation ganz gewaltig verändert: Das (etwas größere) Klöntaler Weibchen B befindet sich nun mit seinen acht Eiern und außerdem mit der Puppe, die vordem der Königin 4 gehört hatte, in einem näher der Mitte gelegenen, schmal semmelförmigen Ge- mache (5,). Beide Zugänge zu dieser Kammer, sowohl gegen A als gegen B sind durch breite Wälle aus Torfmulm verrammelt; in dem nach B führenden Gange sind sogar zwei solche Mauern aufgeführt. Die kleinere Königin A sitzt dagegen allein in der Kammer 5 (also dem früheren Aufenthaltsorte des Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 157 Weibchens B); die Tarsen des rechten Mittelbeines fehlen ihm; im übrigen scheint es unverletzt. Es hat sich also offenbar während der Nacht zwischen den beiden Rivalinnen ein heftiger Kampf abgespielt, aus dem das kräftigere (und jüngere) Weibchen B als Siegerin hervorging. Aber damit nicht genug: PB hat der Königin A außerdem ihre Puppe geraubt und aus A nach D, gebracht, ferner hat es auch die eigenen Eier aus der Kammer B nach B, hinübergeholt und sich endlich hier mit dem eigenen und dem gestohlenen Gute nach allen Seiten verschanzt, — besonders sorgfältig gegen B, wohin es die Beraubte verjagt hatte. — Wie nun dieser „Puppenraub*“ psycho-biologisch zu bewerten sei, darüber gaben mir die folgenden Ereignisse eine, wenn auch nicht unzweideutige, so doch genügend wahrscheinliche Auskunft: Beiden Weibehen wurde von nun an kein Futter mehr gereicht. (Bei 3 wäre ja eine Fütterung schon wegen der selbst- geschaffenen vollständigen Klausur mit Schwierigkeiten verbunden gewesen.) Das Weibchen P schenkt der gestohlenen Puppe liebe- volle Aufmerksamkeit, und zwar unter offenkundiger Ver- nachlässigung der eigenen jungen Brut! Die Königin A sitzt unbeweglich und anscheinend in tiefer Lethargie in der Kammer 2. Am 30. Juli hat sie noch immer keinen Versuch gemacht, sich ihres Eigentums wieder zu bemächtigen, hat auch keine neuen Eier mehr gelegt, wogegen in der Kammer D, nun 12 Eier liegen, allerdings ziemlich zerstreut und unbeachtet. Die fremde Puppe wird von B noch immer sorgfältig gehütet, trotzdem nun auch sie eingetrocknet und offenbar abgestorben ist. Am 1. August hat B die Puppe geöffnet und angefressen. Die 12 Eier werden nun plötzlich wieder sorgfältig gepflegt. Am 7. August finde ich die Königin A tot in der Kammer DB. 3. Sept. In dem Eierpaket der Königin P befinden sich zwei junge Larven. Das Tier ist munter und trägt seine Brut bei Stö- rungen stets Sorgfältig ıns Dunkle. Am 1. Dez. besteht die Brut bereits aus sieben jungen Larven und fünf Eiern. Ob die letzteren unter den 12 ursprünglichen Eiern übrig geblieben oder frisch hinzugekommen waren, konnte ich nicht feststellen. Da aber die Gesamtzahl gleich geblieben war, neige ich zur ersten Annahme. Während des Winters hielt ich die Brutkammer bei einer ziemlich konstanten Temperatur von ungefähr 7° R. (zwischen den Doppelfenstern meines Zimmers). In diesen Wintermonaten blieb der Entwickelungszustand der Brut ganz unverändert, doch verschwanden die noch vorhandenen fünf Eier nach und nach spurlos. Erst Ende April 1911 setzte dann plötzlich bei einigen der kleinen Larven ein entschiedenes Wachstum ein, trotzdem 158 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. die Königin nun seit dem 1. August keine Nahrung mehr ge- nossen hatte. Am 7. Mai 1911 besaßen von den sieben Larven zwei schon eine Länge von 5 mm; eine war 4, die übrigen vier ungefähr 3 mm lang. Am 13. Maı maß eine Larve 7,5 mm, eine 4, zwei 3mm. Zwei kleine und eine der großen Larven waren verschwunden. Am 13. Juni befand sich im Neste eine winzige, kaum 7 mm messende Puppe ın einem äußerst dünn gesponnenen, strohgelben Kokon. Außerdem waren noch zwei 7 mm lange Larven und zwölf neue Eier vorhanden. Am 20. Juni waren nur noch die Puppe und 14 Eier im Neste. Anfang Juli sah man durch die dünne Puppenhaut den fertig skulptierten, aber noch ganz weißen Arbeiter durchschimmern. Am 7. Juli war aber die Puppe spurlos verschwunden und außer der Königin nur noch 13 Eier vorhanden. Die Königin schien aber noch immer ganz munter, wiewohl sehr mager. Ich verband nun die Kammer nach Durchstoßung einer Seiten- wand mit einer Glasröhre, in welche ich ein Stückchen feuchten Zuckers brachte. Am 9. Juli war das Nestende der Glasröhre mit feuchtem Torf- mulm vermauert, der Zucker eingetrocknet. Am 15. Juli wechselte ich den Zucker ın der Glasröhre, deren Nestende ich wieder öffnete. Im Neste waren nun schon wieder einige kleinste Larven ausge- schlüpft. Die Königin ging einmal in die Glasröhre und leckte flüchtig am Zucker. Am 21. Juli fand ich die Röhre neuerdings verstopft. Die Larven waren aber rapide herangewachsen. Schon am 29. Juli lag im Neste eine frisch verpuppte Larve ın einem sehr feinen und dünnen, kaum 8 mm langen Gespinste. Außerdem sah ich eine 6 mm, eine 3 mm, zwei 2 mm und sechs 1'/, mm lange Larven. In einem Kontrollneste, in welchem sich seit dem 27. Juni 1911 ein flügelloses Ligniperdus-Weibehen ohne Nah- rung befand (welches damals nur zwei Eier bei sich hatte) waren zu derselben Zeit erst wenige ganz junge Larven unter ca. 20 Eiern vorhanden! Am 4. August hatte sich eine zweite Larve verpuppt. Am 29. August schlüpften kurz nacheinander, unterstützt von der Mutter, zwei winzig kleine Arbeiter aus, mit sehr schmalem und langem Thorax, kleinem Kopfe, langen Fühlern und Beinen. Daneben waren noch sieben Eier und eine6 mm lange Larve vorhanden. In der Folge färbten die beiden Arbeiter auffallend rasch aus, verhielten sich aber noch lange Zeit völlig passiv, indem sie der Stammutter auch die Arbeit der Brutpflege noch fast ausschließlich zu überlassen schienen. Allmählich wurden sie jedoch munterer und Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Köloniegründung bei den Ameisen. 159 legten namentlich bei Störungen des Nestes große Aufregung und einen gewissen Mut an den Tag. Da nämlich die Fütterungsröhre von den Tieren regelmäßig wieder mit Torfmulm verstopft wurde, musste ich sie bei jedem Nahrungswechsel mittelst einer einge- führten Nadel wieder öffnen, und diese Manipulation löste nun bei den kleinen Wesen jedesmal einen komischen Wutausbruch aus. Während sie derart mit der „Verteidigung“ des Nestes beschäftigt waren, brachte die Alte unterdessen die Brut in Sicherheit. Erst Ende Oktober sah ich gelegentlich einmal einen Arbeiter eine Larve ergreifen. Anfang November waren im Neste außer der Königin, die sich von ihren Strapazen sichtlich erholt hatte, noch sieben winzige Larven vorhanden. Die große Larve war schon seit längerer Zeit verschwunden. Einige Formica-Puppen, die ich ins Nest warf, wurden nach einigen Tagen aufgefressen. — Diese über einen Zeitraum von fast anderthalb Jahren fort- gesetzte Beobachtung ist in mehrfacher Beziehung interessant. Da ist erstens jener nächtliche Kampf der beiden Weibchen, der mit der Vertreibung, Beraubung und todbringenden Verletzung der älteren Königin endete. Wie sich diese Vorgänge ım einzelnen abgespielt haben, kann leider nur vermutungsweise rekonstruiert werden. Das Wahrscheinlichste dürfte wohl sein, dass das jüngere und unternehmendere Weibchen P zunächst mitsamt seinen Eiern in die Kammer D, umzog, um sich dort häuslich einzurichten. Bei der näheren Erkundung des neuen Wohnsitzes traf es dann die Königin A und es entspann sich ein hartnäckiger Kampf, ın dessen Verlauf die Königin A den kürzeren zog, verletzt wurde und unter Zurücklassung ihrer Puppe nach 5 flüchten musste. Nun holte das Weibchen P das verlassene Kokon nach B, ab und vermauerte endlich sorgfältig alle Zugänge zu der neuen Brutkammer. Es hat sich somit wohl weniger um einen eigentlichen Puppen- raub als um nachträgliche Aneignung der fremden Puppe gehandelt. Dass nun diese fremde Puppe von dem Weibchen schließlich geöffnet und angefressen wurde, beweist aber noch keines- wegs, dass sie überhaupt von vornherein nur als Fraßobjekt be- trachtet wurde, vielmehr geht aus dem ganzen vorherigen Verhalten des Weibcehens etwas ganz anderes hervor. Denn erstens wurde ja die Puppe nıcht sofort nach erfolgtem Raube gefressen, sondern erst volle 8 Tage später, nach ihrem (anscheinend) spontanen Absterben. Und zweitens wurde sie während dieser ganzen Zeit nicht etwa gleichgültig liegen gelassen, sondern im Gegenteil aufs sorgfältigste gepflegt, und zwar, wie ich nochmals ausdrücklich hervorhebe, unter offenkundiger Vernachlässigung der eigenen Brut. Und endlich wurde diese Pflege selbst nach dem Absterben der Puppe noch eine Zeitlang fortgesetzt, — ein Verhalten, wie es Ameisen bekanntlich nicht selten solchen Objekten gegenüber zeigen, die |60 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. ihnen von besonderem Werte sind: Ich erinnere nur an die meist noch tagelang fortgesetzte Beleckung verendeter Königinnen durch ihre Arbeiter, ferner an eine alte Beobachtung Forel’s®), die in diesem Zusammenhange nicht unerwähnt bleiben darf, da sie die gleiche Art betrifft und auch sonst mit der vorliegenden Beobachtung gewisse Ähnlichkeiten aufweist. Als nämlich Forel einer isollerten Königin von Ü. ligniperdus eine Puppe und eine Larve von Z. fuliginosus gab, dehnte dieses Weibchen seine mütter- lichen Instinkte längere Zeit sogar auf diese heterogenen Wesen aus, ohne allerdings mit ıhrer Pflege mehr zu erreichen, als unsere Königin, indem beide Geschöpfe schließlich zugrunde gingen. Aber auch hier fuhr das Weibchen mit seiner Pflege noch längere Zeit nach dem Ableben der Puppe fort und zwar selbst dann noch, als Forel die tote Nymphe aus dem Kokon gezogen hatte. Wir haben also keinen Grund, daran zu zweifeln, dass auch in unserem Falle die fremde Puppe tatsächlich adoptiert worden war. Das Besondere dieses Falles liegt nun aber darin, dass hier die Gegenwart der fremden Arbeiterpuppe offenbar zu einer zeitweisen Verdrängung des primären Instinktes zur solitären Koloniegründung geführt hatte. Eine solche äußerte sich ganz unzweideutig ın der Vernachlässigung der eigenen jungen Brut, einer plötzlichen auffallenden Gleichgültigkeit gegen dieselbe, die wohl kaum anders als ın dem Sinne zu deuten ist, dass die Gegen- wart der fremden Arbeiterpuppe ın dem Weibchen die instinktive „Hoffnung“ (sit venia verbo!) erweckte, nunmehr auf billige Weise, d. h. ohne weitere Entbehrungen und ın kurzer Zeit ihren Zweck, die Gründung einer neuen Kolonie, erreichen zu können. Oder besser, ınstinktpsychologisch und ım Sinne Semon’s ausgedrückt: Durch das Vorhandensein eines Ameisenembryos, der bereits zum Puppenstadium vorgerückt ist, wurde bei dem Weibchen wenigstens vorübergehend der normale Ablauf der ganzen erst an ihrem Anfange stehenden Kette von Instinkthandlungen, welche bei ©. ligniperdus normalerweise mit der Koloniegründung verknüpft sind, unterbrochen und direkt das Engramm der Puppenpflege ekphoriert (ausgelöst), das zeitlich erst an den Schluss der ganzen Reihe gehört. M.a. W., das Tier schien nicht ge- bunden an eine streng chronologische Ekphorie jener ererbten Engrammsukzessionen, sondern es war imstande, bei deren Ablauf ganz erhebliche Anachronismen zu begehen. Unsere Beobachtung — wie übrigens auch diejenige Forel’s — erweist somit, dass auch schon bei einem ZLigniperdus-Weibchen, also einer typischen Vertreterin der solitären Koloniegründung, I) Forel, Fourmis de la Suisse 1874, p. 254. Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 161 dieser für die Herculeanus-Gruppe obligatorische Instinktmechanis- mus unter Umständen bedeutender plastischer Modifikationen fähig ist. In der Tatsache dieses „Puppenraubes“ erblicke ich aber noch ein weiteres Moment, das vielleicht in phylogenetisch-biologi- scher Hinsicht nicht ohne Bedeutung ist. Es scheint mir näm- lich hier eine entfernte Analogie mit der von Wheeler’) bei der nordamerikanischen Sanguwinea-Rasse rubicunda entdeckten und später von Viehmeyer‘) auch bei Weibchen unserer heimischen F\. san- guinea experimentell bestätigten „Koloniegründung durch Puppenraub“ ganz unverkennbar. Allerdings rauben die Sanguinea-W eibchen Puppen einer fremden Art, nämlich F. fusca, wogegen sich meine Ligniperdus-Kömgin ein Kokon der eigenen Art aneignete; das ändert jedoch an sich nichts an dem räuberischen Charakter dieser Handlung, und darauf allein kommt es hier an. Denn in derselben verrät sich nach meinem Dafürhalten eine bereits andeutungsweise vorhandene Neigung zur Preisgabe der rein solitären Koloniegründung zugunsten eines bequemeren Modus, — eine Tendenz, die allerdings nur bei ganz besonders günstiger Gelegenheit manifest zu werden vermag, in welcher man aber doch gewissermaßen eine. erste Vorstufe jener bei Sanguinen so hoch entwickelten Neigung erblicken darf, ihre Familie als sogen. „primäre Raubkolonie“ durch gewaltsame Aneignung fremder Puppen zu begründen. — Abgesehen von dieser mehr theoretisch interessanten Kampf- und Raubepisode ist aber der vorstehende Versuch vor allem durch seinen Ausgang bemerkenswert, indem es dem seit einem Jahre isolierten Weibchen schließlich in der Tat gelang, .einige Arbeiter bis zum Imagostadium zu bringen. Die relative Seltenheit dieses Erfolges allein schon rechtfertigt eine ausführliche Publikation des Falles: Obschon nämlich die solitäre Koloniegründung bei den Ameisen von jeher als der ursprünglichste und häufigste Modus betrachtet wurde und von den meisten Autoren — gewiss mit Recht — auch heute noch so angesehen wird, ist es doch eigen- tümlicherweise bisher nur in vereinzelten Fällen gelungen, auch den experimentellen Beweis des Faktums, in vitro, zu erbringen. Es kann nicht meine Aufgabe sein, diese Frage an Hand der spärlichen in der Literatur niedergelegten Fälle hier ausführlich zu erörtern, — wer sich dafür interessiert, findet die betreffenden kasuistischen Angaben in dem vorzüglichen Handbuch Escherichs’); N On the Founding of Colonies by Queen-Ants. Bull. Am.-Mus. of Nat, Hist. New-York 1906, Vol. XXII, IV. 6) Viehmeyer, Zur Koloniegründung der parasitischen Ameisen. Biolog. Centralbl. Bd. 28, 1908, Nr. 1. 7) Escherich, Die Ameise. Braunschweig 1906. XXXI. 1l 162 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. nur eine neuere, besonders schöne Beobachtung Forel’s®) möge hier Erwähnung finden, da sie sich gleichfalls auf unsere Art, 0. ligniperdus, bezieht. Durch diese Beobachtung stellte Forel m. W. zuerst die merkwürdige Tatsache fest, dass ein isoliert gehaltenes Zigniperdus-Weibchen in seinem Brutkessel nicht allein volle 9 Monate ohne jede Nahrungszufuhr von außen bestehen kann, sondern während dieser langen Fastenzeit sogar einige junge Ar- beiter aufziehen kann. Auch er konstatierte dabei das sukzessive Wiederverschwinden der jüngeren Brutstadien auf Kosten einiger weniger Larven, die allein zur Ausreifung gelangen. Aus diesen Tatsachen leitet Forel mit Recht einen obligatorischen und für die ganze Periode der Koloniegründung geltenden Instinkt zur Ceno- bıose (Fastinstinkt) ab, dessen Wirkung erst nach dem Aus- schlüpfen der ersten Arbeiter zu erlöschen beginnt. Auch der vorliegende Versuch schien zunächst ganz wie die Beobachtung Forel’s verlaufen zu wollen: Unser Weibchen blieb volle elf Monate, nämlich vom 1. August 1910 (an welchem Tage es die abgestorbene Puppe angefressen hatte) bis Anfang Juli 1911 trotz absoluter Nahrungsabstinenz vollkommen munter und hatte es bereits zu einer Puppe gebracht, deren Ausschlüpfen unmittelbar bevorstand. Dabei waren sämtliche Eier schon im Herbste 1910 ausgeschlüpft; die aus ihnen hervorgegangenen Larven blieben aber während des Winters im Anfangsstadium ihrer Ent- wickelung stehen und erst im Frühjahr 1911 setzte dann bei einigen — offenbar auf Kosten der übrigen — ein rasches Wachstum ein. Anfangs Juli schien dann aber die unbekannte Vorratskammer der Mutter plötzlich erschöpft zu sein und sie opferte nun sonderbarer- weise gerade die schon fertig entwickelte Puppe zugunsten einiger ganz Junger Saisoneier. Damit hätte nun wahrscheinlich die ganze Epi- sode ihr Ende gefunden, wenn ich nicht von diesem Zeitpunkte an (7. Juli) der Königin wieder etwas Nahrung gereicht hätte. So aber brachte sie es fertig, aus diesen Eiern in ganz unglaublich kurzer Zeit, nämlich in 1!/, Monaten, zwei allerdings sehr kleine Arbeiter zu erziehen. Da die junge Brut eines ohne Nahrung gehaltenen Kontrollweibehens während dieser Zeit nicht die geringsten Fort- schritte machte, kann es keinem Zweifel unterliegen, dass diese im Vergleich zur I. Generation beispiellos rasche Entwickelung tatsäch- lıch der erneuten Nahrungszufuhr von außen zuzuschreiben ist. Diese vorzeitige Unterbrechung der ÖGenobiose und noch mehr die Vernichtung der bereits fertig entwickelten Puppe zeigt die beginnende Degeneration der normalen Instinkte des Weibcehens an, — eine Degeneration, wie sie auch im Falle S) Forel, Histoire d’une femelle de C. ligniperdus. Ann. de la soc. entomol. Belg. 1902, p. 180 u. 294. Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 16% Forel’s schließlich eintrat und deren letzte Ursachen vielleicht in der künstlichen Gefangenschaft zu suchen sind. Um so höher ist aber die nachträgliche individuell-plastische Leistung dieses Weibchens einzuschätzen, unter Preisgabe der normalen Instinkte den ganzen Kreislauf aufs neue zu beginnen und die Koloniegründung zum glück- lichen Ende zu führen. 1. Geschichte einer künstlichen Adoptionskolonie von Lasius niger. Im August 1910 hatte ich eine Anzahl geflügelter Männchen und Weibehen von ZL. niger unmittelbar vor dem Hochzeitsfluge von der Oberfläche verschiedener Nester unseres Gartens (Zürich) abgefangen und in ein großes Einmachglas mit etwas feuchter Erde gesetzt. Von dieser Gesellschaft waren Anfang Dezember noch drei — nunmehr flügellose — Weibchen übrig, von denen eines einen angeschwollenen Hinterleib hatte und zahlreiche Eier legte, die aber in der Folge wieder verschwanden. Am 24. Dezember grub ich ım Garten ein kleineres »iger-Nest aus und setzte einige hundert Arbeiter mit zahlreichen Eierpaketen und jüngeren Larven in eines meiner modifizierten Lubbocknester aus Presstorf (s. Anm. 4), bezw. ließ sie aus einem Sacke hinein- wandern. Eine Königin konnte ich nicht erwischen. Im warmen Zimmer erwachten die Tierchen bald aus ihrer winterlichen Erstarrung und richteten sich wohnlich ein. — Es muss schon hier ausdrück- lich bemerkt werden, dass ich anlässlich jenes Sommerexperinrentes auch dieser Kolonie einige Weibchen entnommen hatte. Am 29. Dezember setzte ich eines der drei isolierten Weibchen, und zwar das mit dem aufgetriebenen Abdomen, ın das Futter- nest der neuen Kolonie. Es wurde sofort heftig angegriffen und während des ganzen Tages fixiert und umhergezerrt; am Abend lag es mit eingezogenen Beinen wie tot in einer Ecke des Hauptnestes. Tags darauf spazierte es aber ganz munter im Neste umher und verweilte dann lange in der Verbindungsröhre zum Futterneste, umgeben und gepflegt von einer stets wachsenden Zahl von Ar- beitern; bei genauerem Zusehen wurde ich gewahr, dass es mit der Eiablage beschäftigt war. Einige der frisch gelegten Eier wurden von Arbeitern aufgenommen und in die Brutkammern ge- schafft: Das Weibchen war zweifellos adoptiert worden. Am 31. Dezember fand ich jedoch die neue Königin verendet, aber völlig unversehrt und noch immer umgeben und beleckt von einer Schar Trabanten. Wahrscheinlich war das Tier den am Tage vor der Adoption erlittenen Misshandlungen nachträglich erlegen. Ich setzte nun gleichzeitig die beiden übrigen Weibchen ins Futternest: Zu meiner Überraschung wurden beide fast unmittel- bar angenommen und ins Hauptnest gebracht, wo sich bald um jedes Weibchen ein „Hofstaat“ bildete. 11? 164 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. Im Januar 1910 blieb die Situation im Neste so ziemlich die- selbe; beide Königinnen wurden eifrig gepflegt, legten jedoch zu- nächst keine Eier. Die bei der Einrichtung des Nestes vorhanden gewesenen Eier waren sämtlich zu jungen Larven ausgewachsen, wogegen die Winterlarven in der Entwickelung zunächst stehen blieben. Am 23. Februar fanden sich in einer zentralen Brutkammer, wo sich auch die eine der beiden Königinnen konstant aufhielt, einige Eier. Am 11. März war schon ein großes Eierpaket vor- handen; die Königin saß mit dick angeschwollenem Hinterleib auf den Larven. Das andere Weibchen dagegen hielt sich alleın, d.h. ohne „Hofstaat“ in einem Gange an der Peripherie des Nestes auf; sein Abdomen erschien jungfräulich schlank. Während der folgenden Wochen war ich ım Militärdienste von Zürich abwesend. Bei meiner Rückkunft am 27. März fand ich die Brutkammer vollgepfropft mit Eierklumpen, die vermutlich alle von der dort anwesenden Königin stammten. Das andere, offen- bar unfruchtbare Weibchen lag zerstückelt, mit ver- stümmelten Extremitäten und abgetrenntem Abdomen in einer Abfallkammer des Nestes! In der Folge beobachtete ich ın dem nunmehr monogynen Neste nichts mehr von Belang: Die überwinterte Brut entwickelte sich ım Laufe des Frühjahrs rasch bıs zur Reife; aus den Puppen gingen ausschließlich Arbeiter hervor. Die Larven aus den Früh- jahrseiern verpuppten sich im Herbste und lieferten gleichfalls nur Arbeiter. Schon am 1. Dezember erschienen die Wintereier ın großer Zahl, obschon das Nest bei einer Temperatur von nur 7T’R. gehalten wurde. Anfang Februar ging die Kolonie leider zugrunde, nachdem sie einmal unvorsichtigerweise Nachts einer Temperatur von —5’R. ausgesetzt gewesen war. — Zu dieser Beobachtung nur wenige Bemerkungen. Was zunächst die ım Eingange geschilderten Adoptions- experimente betrifft, so muss auf eine psychologische Analyse derselben von vornherein verzichtet werden, und zwar deshalb, weıl das Experiment leider ın der Beziehung nicht rein war, sondern eine wesentliche Fehlerquelle aufweist. Da ich nämlich als Ver- suchskolonie ein Nest benutzte, dem ıch schon im Sommer einige Weibchen entnommen hatte, ıst es nicht ausgeschlossen, dass die übrig gebliebenen und nun zu den Adoptionsexperimenten benutzten Weibchen, soweit sie prompt adoptiert werden, ursprünglich eben dieser Versuchskolonie angehört hatten und daher jetzt einfach als Familienglieder wıeder erkannt worden sind. Freilich müsste man dann weiter voraussetzen, dass diese beiden Weibchen ihren ur- sprünglichen Koloniegeruch ein halbes Jahr lang getreulich bewahrt hatten, trotzdem sie während dieser Zeit mit zahlreichen Angehörigen Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 165 fremder Kolonien in inniger Gemeinschaft gelebt hatten. Dass diese Erklärung auch etwas Gezwungenes hat, wird jeder zugeben; ich bin daher mindestens ebenso geneigt, die fragliche zweite, fast momentan erfolgte Doppeladoption auf eine engraphische Wir- kung des vorausgegangenen Adoptionsexperimentes zu- rückzuführen, — etwa in dem Sinne, dass dıe kaum erst aufs neue „weisellos* gewordenen Lasius nun die mit der zuerst adoptierten Königin gemachten günstigen Erfahrungen per Analogiam auf die Nachfolgerinnen übertrugen, so dass deren Erscheinen jetzt unmittel- bar den Engrammkomplex des „Königinneninstinktes“ zur Ekphorie brachte. Und diese mächtige mnemische Erregung trug den Sieg über die simultanen Reizwirkungen des „Fremdgeruches“ deshalb sofort davon, weil sie, im Gegensatze zu diesen, positiv effektbetont (d. h. „lustbetont“) war. Ungleich merkwürdiger als die Adoption der beiden Weibchen ist aber die nachträgliche Beseitigung der einen Königin, nachdem dieselbe doch nahezu 3 Monate im Neste nicht nur ge- duldet, sondern von den Arbeitern ganz wie ihre Rivalin behandelt worden war. Die hochgradige Verstümmelung des eliminierten Weibehens schließt die Möglichkeit eines spontanen Todes mit Sicherheit aus und weist vielmehr darauf hin, dass wir hier das Opfer einer mit der größten Hartnäckigkeit durchgeführten Exe- kution vor uns haben und zwar einer Exekution, die mit solcher Gründlichkeit nur die eigenen Arbeiter haben vornehmen können (eine Eifersuchtshandlung von seiten der anderen Königin dürfte auch deshalb kaum in Frage kommen, weil diese letztere während ihrer Hauptlegeperiode die zentrale Brutkammer überhaupt nicht mehr verlassen hatte). Bekanntlich steht die Tatsache, dass eine Königin durch die eigenen Arbeiter hingerichtet wird, in der Ameisenbiologie keines- wegs vereinzelt da. Seit den grundlegenden Untersuchungen Wheeler’s?) über die parasitäre Koloniegründung gewisser amer!- kanischer Formica-Weibchen (consocians) und namentlich seitdem uns Santschi (bei Forel!°)) durch eine Reihe klassisch zu nennender Beobachtungen und Experimente über die hochinteressanten para- sitischen Sitten der nordafrikanischen arbeiterlosen Wheeleria Sant- schti aufgeklärt hat, haben wir uns vielmehr sogar mit der para- doxen Tatsache abfinden müssen, dass Ameisen ihre eigene und einzige Königin gesetzmäßig hinschlachten, sobald ein Weibchen der parasitischen Art bei ihnen eingedrungen und zur Adoption gelangt ist. Noch mehr; — diese merkwürdigen Tatsachen, die in 9) Wheeler, How the queens of parasitie...... ants etablish their colonies. Bull. Americ. Mus. Nat. Hist. 1905, V, Octob. 10) Forel-Santschi, Moeurs des Fourmis parasitiques des genres Wheeleria et Bothriomyrmex, Revue Suisse de Zoolog. 1906, Bd. 14, 1. |66 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen, der gesamten Biologie wohl einzig dastehen dürften, haben erst den Schlüssel geliefert zum vollen Verständnis einer ganzen Reihe längst bekannter Verhältnisse bei unserer heimischen Ameisenfauna, die bisher ın ein völliges Dunkel gehüllt waren; vor allem, was den Ursprung der gemischten Kolonien von Tetramorium mit Stron- gylognathus oder Anergates, von Tapinoma mit Bothriomyrmex u.a. m. betrifft. Sie wurden so zur festen Grundlage, auf der die moderne Lehre von der sozialparasiıtären Koloniegründung bei den Ameisen, dank den vereinten erfolgreichen Bemühungen von For- schern wie Wheeler, Emery, Wasmann, Viehmeyer allmäh- lich sich aufbaute. Was bedeutet nun aber der Königinmord bei den Ameisen? Zweifellos ein regulatives Prinzip, welches, als allgemeine Ten- denz zur Monometrose, im Interesse einer gewissen Vereinfachung des sozialen Betriebes tätig ist. Von diesem Gesichtspunkte aus ist auch die vorliegende Beobachtung an /. niger zu verstehen; — nicht als vereinzeltes Vorkommnis, sondern als ein Symptom von allgemeinerer Bedeutung: Wir dürfen sie einreihen unter jene große Gruppe sozialbiologischer Korrekturen, aus deren zahlreichen Einzelfällen, soweit sıe bisher bekannt geworden sind, wir eine durch alle Zwischenstufen kontinuierlich fortschreitende phylogenetisch- biologische Reihe aufstellen können, an deren Endpunkt als hoch- differenzierter und durch Überentwickelung gleichsam outrierter Spezialfall die Tötung der eigenen Königin zugunsten der fremden Parasitin dasteht. In ähnlichem Sinne scheint wenigstens auch Forel'!!) die Tötung eines zweiten Weibchens bei L. niger ver- werten zu wollen, wenn er anlässlich seiner geistvollen epikritischen Bemerkungen zu den Entdeckungen Santschi’s auf eine dahin gehörende Beobachtung v. Buttel’s!?) hinweist. Die psychologischen Mechanismen dieser eigentümlichen Instinktregulationen sind indessen noch in ziemliches Dunkel ge- hüllt. Für zahlreiche Fälle, namentlich überall dort, wo bei para- sitischen Weibchen Mikrogynie besteht, mag die alte Forel’sche Erklärung zutreffen, dass die Ameisen im allgemeinen diejenige Brut zur Aufzucht bevorzugen, die ihnen am wenigsten Arbeit macht, denn eine auffallende Kleinheit solcher Weibchen dürfte wohl kaum anders denn als spezielle Anpassung an den sozialen Parasitismus zu deuten sein (indem eine kleine Königin naturgemäß auch kleinere und weniger zahlreiche Eier produziert). Im vorliegenden Falle versagt aber diese Erklärung schon deshalb, weil ja hier gerade umgekehrt das kleinere und sicher zum mindesten weniger frucht- Im Korel,. cc. .p..64. 12) v. Buttel-Reepen, Soziologisches und Biologisches vom Ameisen- und Bienenstaat. Wie entsteht eine Ameisenkolonie? Arch. f. Rassen- u. Gesellschafts- biologie. Bd. 12, 1905, S. 20. Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 167 bare Weibchen umgebracht wurde. Eine weitere Komplikation liegt darin, dass die Tötung erst 3 Monate nach der Adoption erfolgte, während welcher Zeit die beiden Weibchen von den Arbeitern genau gleich behandelt, d. h. als Königinnen respektiert wurden. Gerade dieser letztere Umstand gibt uns nun aber die Lösung des Rätsels an die Hand: Woher dieser plötzliche Umschwung in der Gesinnung der Arbeiter? Ich glaube, es ist kein Zufall, dass er gerade in der Zeit der großen Legeperiode sich bemerkbar machte, nachdem die andere Königin durch massenhafte Eier- produktion als zur Stammutter vollkommen qualifiziert sich aus- gewiesen hatte, womit die fortdauernde Sterilität des zweiten Weib- chens in unvorteilhaftester Weise kontrastierte. So geschah es, dass die Arbeiter von diesem letzteren mehr und mehr abwendig wurden (tatsächlich war ja der schließlichen Tötung zunächst eine Periode der Gleichgültigkeit vorausgegangen, die sich zur Genüge in einer völligen Isolierung äußerte) und endlich zur Hinrichtung des zunächst gleichsam nur auf Zusehen adoptierten und nun end- gültig als unnützes Glied der Gesellschaft erkannten Gastes schritten. Es wäre nicht undenkbar, dass ähnliche psychologische Dis- positionen auch in anderen Fällen, z. B. bei der Tötung der alten Monomorium-Königin nach Aufnahme des parasitischen Wheeleria- Weibchens mit im Spiele wären, indem ja auch die Legeperiode der Parasitenweibchen erst nach ihrer Adoption, im Hochsommer, eintritt, also zu einer Zeit, wo die arteigene Königin längst keine Eier mehr produziert. Dasselbe dürfte auch für die „parasitischen“ Formica-Arten zutreffen. Soviel über die psychologische Seite der Frage. Es liegt mir fern, dieselbe auf Grund dieser einzigen Beobachtung etwa in dem angedeuteten Sinne entscheiden zu wollen, — die vorstehenden Bemerkungen sollen nur einen Weg weisen, auf «dem künftige experimentelle Forschungen einer Lösung vielleicht näher kommen können. IM. Weitere Beobachtungen und Experimente zur Koloniegründung bei Formica, nebst kritischen Bemerkungen über die Phylogenese des sozialen Parasitismus und der Dulosis bei dieser Gattung. Die Entdeckung des temporären sozialen Parasitismus der Weibchen gewisser Formica-Arten durch Wheeler gab Wasmann bekanntlich Anlass zur Aufstellung einer eigentlichen „biologischen Phylogenie* für große und weitverzweigte Formengruppen, indem sie mit einem Schlage ein helles Licht auf die Genese gewisser anderer, in der ganzen Ameisenwelt weit verbreiteter Instinkte, wie Dulosis und Myrmekophilie, zu werfen schien. Ganz besonders günstig für solche biologisch-phylogenetische Studien liegen die I6S Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. Verhältnisse bei der Gattung Formica, wo sowohl sozialer Parasitis- mus als Dulosis in einer ganzen Reihe von Übergangsformen und zwar noch nirgends etwa in einseitiger Spezialisierung und Über- entwickelung, sondern vielmehr in ihren primitiveren Entwickelungs- stufen vertreten sind. Trotz dieser für die Forschung günstigen Umstände — oder vielleicht gerade wegen dieser verwirrenden Mannigfaltigkeit — ist auch hier eine Einigung noch keineswegs erzielt, im Gegenteil, — gerade in bezug auf die phylogenetischen Verhältnisse von Formica ıst die Literatur der letzten Jahre an Kontroversen besonders reich. Es dürfte deshalb die Veröffent- lichung meines eigenen, allerdings bescheidenen Beobachtungs- materials, insofern dasselbe zur Klärung dieser überaus verwickelten Frage beizutragen vermag, nicht überflüssig sein. 1. F. fusca und ıhre Rassen. In seiner Arbeit über die Ameisen Luxemburgs berichtet Was- mann"), dass in den Nestern der F\ fusca ı. sp. meist mehrere Königinnen angetroffen werden. Auch ich fand diese „Pleo- metrose“!*) bei frsca so häufig, dass ich nicht anstehe, sie hier als die Regel anzusehen (wenigstens bei der genannten Rasse), und zwar selbst für Kolonien mit sehr geringer Volkszahl. Darüber nur zwei Beispiele: 1. Im Mai 1910 fand ich auf einer mit Geröll bedeckten Wald- lichtung im Zollikerwalde (bei Zürich) im Umkreise von nur wenigen (Juadratmetern fast unter jedem größeren Stein kleine Fusca-An- siedelungen, die alle ausnahmslos mehrere Königinnen (2—5) von makrogynem Typus enthielten, dafür aber nur ganz wenig Arbeiter von meist stattlicher Größe und etliche Eierpakete. Ein Nest wies nur fünf Königinnen ohne Arbeiter auf, eine einzige Kolonie besaß eine etwas größere Volkszahl (etwa 50 Arbeiter). Nirgends Pseudogynen. 2. Am 19. März 1911 fand ich am Schild oberhalb Glarus eine ganz schwache fusca-Kolonie mit nur wenigen, aber durchschnittlich recht großen Arbeitern, zwei makrogynen Königinnen und zwei frischen Eierpaketen. Keine Pseudogynen. (Leider hatte ich in beiden Fällen versäumt, die Umgegend nach Myrmica-Kolonien und etwa darin vorhandenen parasitischen Käfern (Atemeles) zu durch- forschen) ?). — 13) Wasmann, Zur Kenntnis der Ameisen und Ameisengäste von Luxem- burg III, S. 76. — Archives trimest. de l’Institut Royal Grand-Ducal 1909, IV. 14) Uber diesen Begriff vgl. auch: Wasmann, Nachträge zum sozialen Para- sitismus und der Sklaverei bei den Ameisen. — Biol. Centralbl. 1910, Nr. 13, S. 453. 15) Wasmann (I. c.) führt nämlich die geringe Volkszahl in solchen alten pleometren Fusca-Kolonien auf deren Infektion mit Atemeles (parasitische larven- fressende Staphyliniden) zurück, deren internationale Beziehungen (die Käfer wandern im Sommer aus Myrmica-Kolonien bei den fusca ein) er schon früher aufs schönste nachgewiesen hatte. Die Pleometrose soll in solchen heimgesuchten Kolonien ein Präventivmittel gegen das Aussterben sein. -Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 169 Um nun zu ermitteln, ob man die Pleometrose bei fusca, ähn- lich wie das bei F. rufa vorkommt, auch auf sekundäre Adoption koloniefremder Weibchen zurückzuführen berechtigt wäre, stellte ich verschiedene Adoptionsexperimente in vitro an: Sie ergaben ausnahmslos in allen Fällen, wo die betreffende Versuchskolonie schon eine Königin besaß, ein negatives Resultat; aber auch in weisellosen, selbst sehr schwachen Kolonien von fusca 1. sp., rufibarbis, glebaria gelang es mir nie, fremde befruchtete Weibchen, gleichviel, ob sie derselben oder einer fremden Rasse angehörten, zur Adoption zu bringen!®), — wohl aber in einem Falle bei F. einerea, aber auch da erst nach Wiederholung des Versuches bei derselben Kolonie: 4. Am 11. Juni 1910 fand ich auf einer Gartenmauer in Zürich ein flügelloses ceönerea-Weibcehen, das von zwei einerea-Arbeitern einer benachbarten Kolonie an den Kiefern und an einem Beine festgehalten wurde. Ich befreite es und nahm es mit nach Hause. Am 15. Juni bevölkerte ich ein Lubbocknest mit etwa 100 einerea- Arbeitern, die einer sehr volkreichen, an derselben Straße gelegenen Kolonie entstammten. Nun setzte ich mein einerea-Weibchen un- mittelbar in dieses Nest: Es wurde sofort heftig angegriffen, nuı von wenigen Arbeitern beleckt, nicht gefüttert. Tags darauf lag es verstümmelt und tot ım Neste. 5. Am 18. Juni gelang es meinem Freunde H. Kutter, beim Aufdecken einer steinernen Platte ein mächtiges cönerea-Nest bloß- zulegen und eine Königin zu erwischen. Ich setzte sie noch am gleichen Tage in eine Fütterungsröhre meiner weisellosen Kolonie, von wo sie sofort ins Nest spazierte. Lauer Angriff! Von zahl- reichen Arbeitern wird die Königin von Anfang an beleckt, von anderen allerdings an verschiedenen Extremitäten gepackt, aber jeweilen bald wieder losgelassen. Ein einzigesmal sah ich einen kleinen Arbeiter sein Abdomen krümmen. Das Weibchen seiner- seits biss wiederholt wütend um sich, besonders wenn es gleich- zeitig von zwei Angreifern fixiert war und es gelang. ihm dann meistens, sich vorübergehend frei zu machen. Im übrigen war aber sein Benehmen eher auf „passive Resistenz“ gerichtet. Am 19. Juni wurde die Königin noch immer zeitweise umher- gezerrt, blieb jedoch die meiste Zeit frei und wurde im allgemeinen von den Arbeitern eher gemieden. Am 20. Juni saß sie mitten unter den Arbeitern, wurde eifrig beleckt und hatte zahlreiche Eier gelegt. Merkwürdig ist hier das Gelingen eines zweiten Versuches, nachdem das erste Weibchen ohne weiteres getötet worden war. 16) Nach Wasmann werden fremde Königinnen der gleichen Rasse sogar noch heftiger von den fusca angegriffen als rufa-Weibchen ! 0 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen, g g 8 & Wurde es zurückgewiesen, weil es nicht befruchtet war? Dagegen würde nach Fielde-Forel!”) seine Flügellosigkeit sprechen. Am wahrscheinlichsten ıst auch hier wieder das veränderte Benehmen der Arbeiter zurückzuführen auf eine engraphische Nachwirkung des ersten Experimentes, in dem Sinne, dass die schon während der Exekution der ersten Königin zwar gewonnenen, aber unter- schwellig gebliebenen Engramme des „Königininstinktes“ jetzt in- folge Wiederholung der Reize, welche damals engraphisch gewirkt hatten, zur manifesten Ekphorie gelangten, — simultan assoziiert mit dem (zweifellos schon damals als „Kontrastengramm“ simultan assoziierten) mnemischen Komplex der „Weisellosigkeit“. — Diese Experimente werden durch die beiden folgenden Beob- achtungen gewissermaßen ergänzt: 6. Ende Juli 1910 wurde ein einzeln umherschweifend gefundenes flügelloses cönerea-Weibehen in einem Einmachglase mit feuchtem Sand einquartiert. Nach einigen Tagen hatte es sich eine Kammer gegraben und einige Eier gelegt. Als ich aber im September nach- sah, waren die Eier wieder verschwunden, das Weibchen jedoch noch munter wie zuvor. Nach 14 Tagen begann es sichtlich zu kränkeln und starb schließlich ohne ersichtliche Ursache. 7. Im August 1911 sah ıch ın Glarus ein ungeflügeltes cinerea- Weibchen, das einer Mauer entlang umherstrich, in unmittelbarer Nähe einer großen cinerea-Kolonie; es versuchte wiederholt in ver- schiedenen Mauerspalten Eingang zu finden. Ich nahm es mit und setzte es in ein mit feuchtem Sand gefülltes Lubbocknest, wo es zwar eine Kammer grub, jedoch keine Eier legte und Anfang Ok- tober trotz reichlicher Nahrungszufuhr starb. — Fassen wir die Resultate dieser Beobachtungsreihe über F. fusca zusammen, so lässt sich folgendes sagen: 1. Die Pleometrose scheint bei F. fusca die Regel zu sein. (Bei cinerea ist dieser Punkt wegen der meist mangelhaften Zugäng- lichkeit der Nester natürlich schwer nachweisbar; doch dürfte die Pleometrose nach den vorstehenden Beobachtungen gerade bei dieser Rasse sehr häufig sein.) 2. Da bei den meisten Rassen keinerlei Neigung zur Adoption fremder Königinnen besteht, so kann diese Pleometrose im wesent- lichen nur auf Retention von nestbefruchteten Weibchen in den Kolonien beruhen, nicht auf Adoption koloniefremder Weibchen !*). 3. Hochzeitsweibcehen, die nach dem Fluge auf fremde Erde gelangen, sind demnach auf selbständige Koloniegründung ange- wiesen. 17) Forel, Recherches biologiques r¢es de Miss Adele Fielde. Bull. Soc. Vaud. Nat. XXXIX, 1903, Nr. 146. 18) Vgl. auch Wasmann, |. c., S. 77. Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Kolonjegründung bei den Ameisen. [71 4. Dagegen ist bei f. cinerea eine unselbständige Koloniegründung, mittelst Adoption in fremden Nestern gleicher Rasse (also nach dem Muster von F. rufa) nicht unwahrscheinlich. Für eine solche Möglichkeit sprechen neben dem positiven Adoptionsexperiment Nr. 5 ganz besonders die Be- obachtungen 6 und 7; nach diesen möchte es sogar scheinen, als ob die Weibchen von F. einerea die Fähigkeit zur soli- tären Koloniegründung überhaupt verloren hätten; — zum mindesten scheint dieselbe hier mit großen Schwierigkeiten verknüpft zu sein. Falls diese Vermutung sich als richtig erwiese, würde also F!cinerea biologisch en eine vermitteln de Übergangsstufe onen der fusca- und der rufa-Gruppe repräsentieren, — eine Betrachtungs- weise, die auch sonst manches für sich hat, sobald man die übrigen biologischen Charaktere dieser von allen Typen der fusca-Gruppe wohl am höchsten differenzierten und auch morphologisch mit am schärfsten definierten Subspezies berücksichtigt: Ihr kühnes räube- rısches Wesen, ihre karnivore Lebensweise, ihre „vie au grand air“ und ganz besonders die meist sehr beträchtliche Volkszahl ihrer älteren Kolonien lassen sie biologisch viel besser mit einer der großen acervikolen Formica-Arten in Parallele setzen, als mit ihren Verwandten der Fusca-Gruppe. In Glarus, wo cinerea äußerst häufig ist und in der Talsohle der Linth die übrigen Rassen nahezu verdrängt hat, kommen auch eigentliche vielnestige Kolo- nien vor mit vielen Tausenden von Einwohnern. So war ich bei- spielsweise im Sommer 1911 Zeuge davon, wie eine solche mächtige, die ganze Südterrasse des Glarner Kantonsspitales beherrschende Riesenkolonie wegen Störung durch eine vorgenommene Reparatur auswanderte: Der Umzug dauerte bei beständig schönem Wetter volle 8 Tage! Es ist klar, dass so volkreiche Kolonien kaum durch eine einzige Königin unterhalten werden können. — Was die Pleometrose bei den übrigen Rassen anbelangt, so dürfte dieselbe doch kaum allein als Palliativmittel gegen die Ate- meles-Infektion aufzufassen sein, schon deshalb nicht, weil sie beı F. rufibarbis, die doch ebenfalls lebhafte Atemeles-Zucht betreibt, nur wenig ausgesprochen ist oder sogar ganz vermisst wird. Ich frage mich, ob nicht auch die häufigen Sklavenjagden von F. sanguinea, die ja im gleichen Sinne wie die Atemeles- Plage, nämlich durch fortwährende Dezimierung der Arbeiterzahl der Kolonien wirken, für die Erscheinung mit verantwortlich ge- macht werden könnten; dafür würde sprechen, dass die Pleometrose gerade bei F. fusca 1. sp., die ja von den Sangıwinea weitaus am häufigsten als Sklaven benutzt werden, auch am ausgesprochensten ist. Doch sind das einstweilen noch müßige Betrachtungen von rein hypothetischem Wert, die nur den Zweck haben sollen, zu zeigen, 172 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. dass wir die Pleometrose von F. rufa kaum direkt von der viel primitiveren Form, in der sie bei F. fusca i. sp. auftritt, abzuleiten berechtigt sind, sondern dabei wohl besser zunächst von einer cinerea-ähnlichen Vorstufe ausgehen. 2. F. rufa und ihre Rassen. a) F.ırufa i. sp. L. und pratensis De Geer. Eine viel bedeutendere Rolle als bei fusca spielt die Pleo- metrose im sozialen Leben gewisser Formen der Rufa-Gruppe, in erster Linie bei F. rufa ı. sp. L. und pratensis De Geer; — ihre Bedeutung für den besonderen Verbreitungsmodus dieser Rassen wurde von Wasmann!’) schon 1905 richtig erkannt und ist kürz- lich von mir?) an Hand neuer Beobachtungen und Überlegungen bestätigt worden. Welch enormen Umfang die Pleometrose bei F. rufa annehmen kann, wird durch folgende Befunde ersichtlich: 1. Am 5. März fand mein Bruder, Edgar Brun, in vier be- nachbarten Nestern einer mächtigen Rufa-Kolonie bei Kemptthal zu- sammen über siebzig Königinnen. Ich benutzte dieses will- kommene Material in der Folge zu zahlreichen Adoptionsexperimenten, auf welche unten noch zurückzukommen ist. 2. Ende Mai 1911 entdeckte mein junger Freund H. Kutter in einer Waldschlucht am Zürichberge ein. kleineres Rrrfa-Nest (Höhe des Haufens nur 30 cm), aus welchem er bei wiederholter Durch- suchung innerhalb 2 Wochen je 58, 120 und 78, zusammen also die fabelhafte Zahl von 256 flügellosen Weibchen zutage förderte! In diesen beiden Fällen handelte es sich um lauter echte (makro- und mesogyne) Weibchen mit Flügelnarben, nicht etwa um Pseudogynen. 3. Anfang Oktober 1911 fand ich bei Glarus ein sehr kleines, zwischen Steinen halbverstecktes Rufo-pratensis-Nest, das bei kaum 200 Arbeitern und wenig Brut nicht weniger als 27 Königinnen enthielt, darunter 2 pratensis, 17 von gemischtem Typus (rwfo- pratensis) und 8 rufa 1. sp. Es ist klar, dass solche Massenanhäufungen befruchteter Königinnen in ein- und demselben Nest oder in der gleichen Kolonie, wie sie die Fälle 1 und 2 darboten, in der Hauptsache nur durch Inzucht zustande kommen können, — dadurch nämlich, dass ın jeder Saison ein beträchtlicher Teil der jungen Männchen- und Weibcehengeneration am Ausfluge verhindert und so zur Kopulation 19) Wasmann, Ursprung und Entwickelung der Sklaverei... Biol. Centralbl. 1905, S. 196ff. 20) Brun, Zur Biologie und Psychologie von Formica rufa und anderen Ameisen. Biol. Centralbl. 1910, S. 542 ff, Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 173 im Neste gezwungen wird. Auf der anderen Seite beweist aber die Gegenwart nicht weniger rassenfremder Königinnen im Neste des dritten Falles, — der in dieser Hinsicht einer ana- logen Beobachtung Wasmann’s?!) vollkommen an die Seite zu stellen ist —, dass die exzessive Pleometrose bei F. rufa (und pratensis) nicht ausschließlich durch Nachzucht von nestbefruchteten Königinnen unterhalten wird, sondern unter Umständen auch durch sekundäre Adoption koloniefremder befruchteter Weibehen. Und diese Annahme ist auch experimentell aufs beste gestützt, indem sowohl Wasmann’s?) wie meine eigenen Adoptionsversuche übereinstimmend ergaben, dass keine Ameisenart so leicht zur Adoption fremder Königinnen zu bringen ist wie F\rufa, selbst wenn solche in größerer Zahl gleichzeitig oder zu wiederholten Malen in derselben Kolonie eingeführt werden. Ein Blick auf umstehende Tabelle, in welcher die Re- sultate meiner Adoptionsexperimente in schematischer Kürze wieder- gegeben sind, wird diesen Satz bestätigen: Unter 12 Versuchen verliefen eigentlich nur 2 (1 und 9) negativ, doch bleibt es auch hier zweifelhaft, ob der Tod des betreffenden Weibchens wirklich infolge der von den Arbeitern erlittenen Ver- letzungen eintrat. Auch ım Falle 5 war das Resultat insofern zweifelhaft, als das nach 30 Minuten adoptierte Weibchen nachträg- lich, und zwar schon am nächsten Tage, zugrunde ging; allerdings herrschte zu derselben Zeit auch im Stammneste, dem diese Königin entnommen war (sie gehörte zu jenen 70 Weibchen der vorstehenden Beobachtung 1), eine große Sterblichkeit. In zwei weiteren Fällen (3 und 11) war das Resultat gemischt, insöfern wenigstens von den gleichzeitig in größerer Zahl eingeführten Königinnen nicht alle adoptiert worden sind. Doch ist die Zahl der zur Adoption ge- langten Weibchen besonders im Falle 3 eine sehr stattliche und es beweisen gerade diese beiden Versuche deutlicher als alle übrigen die Richtigkeit des oben aufgestellten Satzes. Die übrigen sieben Fälle sind schlankweg positiv und fallen insbesondere durch die kurze Zeit auf, die jeweilen zur Adoption erforderlich war. In ganz besonders schöner Weise war ferner auch hier, nament- lich bei den an den Kolonien «a, ce und y angesteliten Versuchs- reihen 1—3, 5-6, 11—12 der Einfluss der mnemischen En- graphie zu beobachten, d. h. der fördernde Einfluss, den voraus- gegangene Experimente (auch wenn diese selbst noch negativ ausfielen) auf die später ausgeführten hatten: Die momentane Adoption zahlreicher gleichzeitig eingeführter Königinnen in den 21) Wasmann, Über den Ursprung des sozialen Parasitismus, der Sklaverei und der Myrmekophilie bei den Ameisen. Biol. Centralbl. 1909, S. 590. 1Sen. age der Koloniegründung bei den Ame ge zur Fr: rä Brun, Weitere Be ar) (4 Übersicht über einige Adoptionsexperimente bei F. rufa. 5 2 Ecablierung Datum Zahl der Kolonie der Nr der eingebrachten Resultat Kolonien Experimente Königinnen Anfang | (frei umher- | , we =: 3 2 TR RT ee 1 Ds 08 | en Im „Weiselkäfig‘“‘ nach 12h tot (keine Verletzung) a) Künstliche Mischkolonie 2 m a - F. rufa-pratensis?) a > | Mitte IV. 08 Kr (aus 2 Nestern | "Etwa die Hälfte nach Ih, ı von den übrigen die Mehr- 3 Ende IV. C 8 | x und y) - 128. XII. 09 | ‘ (aus Nest y) zahl am anderen Tage adoptiert, nur 2 getötet. Sämtlich sofort adoptiert | 2) Nr. 1 nach 10 Minuten, Nr. 2 nach 15 Minuten b) 300 Rufa a: 4 6.2210 | 2 | adoptiert | | Dee EZOVETEVZEO) 1 A loption h '/,h, tags dara f tot c) ca. 500 Rufa | . De = & GER Seh Lo ae a x Dee N | 2 In 10. IV. 10. |1 (gleiches Nest wie 5) Unmittelbar adoptiert d) ca. 1000 Rufa eh 7 | 6,2. 1112210: 2 l nach 15 Minuten, 2 etwas zögernder adoptiert BR: en : ‚1 (nach Aussterben | e) Natürl. Mischkolonie Ab ING 10). 5) r ER r | 2 sn : F. rufa — fusca”®) Lubbock | S | 24. V. en) Nach '/,b adoptiert Frühiahr | 9 | 1 ' Nach 20 Minuten betrillert und an den Kiefern ins f) ca. 1000 Rufa oi De | Nest gezogen, tags darauf tot (K. Emmelius) Tl ee In N RA LO) 1 (am gleichen Tage) Nach 12 Minuten adoptiert == : Zr : 5 ar S 1er | | ' Etwa die-Hälfte nach 10 Minuten adoptiert, g) ca. 3000 Rufa le 2 | | 1) | die übrigen A froid getötet (H. Kutter) T re ne | x errarium |] 22) Beschrieben im Biol. Centralbl. 1910: | Einige weitere Zur Biologie und: Psychologie von a ormica rufa und anderen Ameisen. SS. Unmittelbar adoptiert Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 175 Fällen 3 und 12 (auch im 6. Falle), die auffallende Beschleunigung der Adoptionszeit im Falle 10 dürften kaum auf andere Weise zu erklären sein. — Die biologische Bedeutung einer solchen systematischen Pleo- metrose ist leicht einzusehen. Sie garantiert zunächst, infolge der (regenwart zahlreicher Eierlegerinnen, eine größere Volkszahl der einzelnen Kolonie; im weiteren ermöglicht sie aber auch die Aus- rüstung zahlreicher Zweigkolonien des Stammnestes mit befruch- teten Königinnen, ermöglicht ein relativ selbständiges Gedeihen derselben und kann so allmählich zur Bildung eigentlicher Ameisen- reiche führen, wie sie bekanntlich bei F. rufa nicht selten beob- achtet werden. Indem nun endlich solche vom Stammneste relativ weit entfernte Ableger mit der Zeit jede Verbindung mit letzterem abbrechen, geben sie Anlass zur Entstehung neuer, selbständiger Kolonien: So dient also die Pleometrose mittelbar auch wiederun der Verbreitung der Art. Obschon dieser Vorgang direkt nur selten und nicht leicht zu beobachten ist, dürfte er doch, wie Wasmann und ich??) gezeigt haben, bei F\. rufa sehr häufig vorkommen, — so häufig, dass man die „Koloniegründung durch Spaltung“ bei dieser Art geradezu als den Normalmodus zu bezeichnen berechtigt ist: Dafür sprechen, neben Erwägungen, welche die lokalgeographische Verbreitung der Rasse betreffen, vor allem auch zahlreiche mehr mittelbare Beobachtungen. Eine solche Beobachtung, die mein Freund H. Kutter im Sommer 1910 im Hochgebirge machte, und die durch ihre sehr genauen Detailfeststellungen besonders wertvoll ist, sei hier mitgeteilt: Längs einer Bergstraße, die in der Gegend von Furna im Prättigau (Kt. Graubünden) durch den Hochwald zieht, liegen auf einer Strecke von ungefähr 20) m im ganzen sieben größere und kleinere Zrufa-Nester in unregelmäßigen Abständen verteilt. Die Situation war etwa folgende (siehe Abbildung): Sr PhR= Su en oo o — __ o CERoE0 DE SHonoe FE), e so oo Lichtung o N ee Re) o soroe0e a Ulli, ao.C = Dre # o 2: a [ULM 2 re oO 23) In meiner letzten Arbeit (Biol. Centralbl. 1910, S. 541) habe ich einen sehr schönen, von meinem Bruder Edgar direkt beobachteten Fall von Kolonie- spaltung ausführlich mitgeteilt. 176 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. Kutter stellte nun durch eine Reihe von Experimenten unter diesen Nestern die folgenden Beziehungen fest: a zu b: befreundet! (Kolonie 1: a, b), a, b zu e: feindlich (Kolonie 2: c), ce zu d,: feindlich, d,—d,: befreundet (Kolonie 3: d,, d,, d,, d,). Die Anordnung dieser drei Ztufa-Kolonien ist eine derartige, dass es sehr schwer hält, an eine unabhängige Entstehung derselben zu glauben, — um so weniger, als im weiten Umkreise des be- treffenden Rufa-Gebietes keine weitere Kolonie mehr besteht. Eine Neugründung selbständiger Kolonien durch ausgeschwärmte Weibchen, ist bekanntlich nur durch deren Adoption bei F\. fusca möglich; sie würde natürlich am Anfange sehr kleine Staaten bedingen, die wohl kaum in so naher Nachbarschaft alter Riesennester hätten aufkommen können. Diese Bedenken gelten ganz besonders für das einzelstehende Nest c, eine sehr starke selbständige Kolonie, die aber von dem nächstgelegenen Neste der Kolonie d nur 16 m ent- fernt ist. Es liegt nahe, in diesem Neste ce den ursprünglichen Mittelpunkt zu vermuten, von dem aus die Kolonisation des günstig gelegenen Straßenbords allmählich vor sich gegangen ıst. Nach links wäre dann zunächst das Zweignest b (55 m), nach rechts d, gegründet worden, — Kolonien, die dann ihrerseits ihre Beziehungen zum Stammneste aufgegeben und die verschiedenen Zweignester: Nach rechts d,, d,, d, von d, aus, nach links a von b aus ge- gründet hätten. Auffallend bleibt dabei, dass das große Nest a seine Verbindung mit der weit entfernten (100 m Luftlinie), schwachen und offenbar im Absterben begriffenen Kolonie b noch nicht aufgegeben zu haben schien; das dürfte sich so erklären, dass erst zu Beginn dieser Saison 1910 der größte Teil der Einwohner des Nestes b diesen Platz verlassen hat und nach a übergesiedelt ist, ohne indessen in Wirklichkeit noch eine Verbindung mit der Stammkolonie zu unterhalten. Da aber die Spaltung erst vor kurzer Zeit erfolgt war, reagierten die beiden Parteien natürlich noch freundschaftlich gegeneinander. Bei Wiederholung des Versuchs im Sommer 1911 hätte es sich wahrscheinlich gezeigt, dass jetzt die beiden Nester voneinander völlig unabhängig geworden sind. — Jedenfalls zeigen diese Überlegungen, dass man bei solchen Rufa- Staaten die schwächsten Nester nicht immer als die jüngsten ansehen darf, sondern dass diese in Gegenteil vielfach den ältesten, aber zur Zeit der Beobachtung schon halb verlassenen Kolonien ent- sprechen. — Dass nun aber neben der für F. rufa normalen „Kolonie- gründung durch Spaltung“ auch bei dieser Art der echte soziale Parasitismus Wheeler’s gelegentlich vorkommen kann, ist durch die Entdeckung der seltenen natürlichen Mischkolonien Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 177 F, rufa-fusca durch Wasmann°*), Wheeler”), ferner durch meinen Bruder und mich?) über jeden Zweifel festgestellt worden. Zudem haben diese Befunde in neuerer Zeit durch Was- mann’s?”) Versuche über Adoption von Rufa-Weibehen in Fusca- Kolonien auch eine schöne experimentelle Bestätigung gefunden. Zwei weitere Experimente dieser Art, die sich allerdings zu wider- sprechen scheinen, seien hier mitgeteilt: 1. Am 12. März 1910. 4: 50 abends setzte ich eine Rufa- Königin direkt aus ihrem Stammneste zu einer kleinen Zahl von fusca 1. sp.-Arbeitern in ein Torfnest. Sie wurde sofort heftig an- gegriffen, doch gelang es ıhr bald, sich wieder frei zu machen. Um 6" war sie wieder inmitten eines Knäuels fusca ‚fixiert; sie riss sich abermals los, floh in eine Ecke, wurde aber von einer großen fausca verfolgt und an den Kiefern wieder in den Knäuel hineingezogen; dort wurde sie nun längere Zeit ın Ruhe gelassen. Später ver- suchte eine kleine fusca, sie an einem Beine in die Ausgangs- röhre zu zerren; ihr Vorhaben scheiterte jedoch an dem passiven Widerstande des um vieles größeren Tieres. Tags darauf lebte das Weibchen noch, schien aber sehr reduziert, wurde von den fusca nur noch selten belästigt. Am 15. fand ich es tot im Neste. — 2. Am 18. Mai 1911 setzte ich ungefähr 100 Rufibarbis mit einigen 20 Larven verschiedenen Alters in ein Lubbocknest. Am 23. Mai 4" 15 abends brachte ich eine Rufa-Königin ohne Quaran- täne, direkt aus ihrem Nestverbande in eine Glasröhre dieses Rufi- barbis-Nestes. Die Tiere waren unmittelbar vorher mit Zuckersaft gefüttert worden. — Die Königin verharrte 10 Minuten in der Röhre, versuchte dann, den Weatteverschluss zu entfernen und ıns Freie zu entkommen und spazierte endlich, nachdem ihr das miss- lungen war, um 4"25 entschlossen ins Nest; am Eingange wurde sie aber von einem dort Wache haltenden Arbeiter übel empfangen und wieder in die Röhre zurückgejagt. Der nachdrängende Arbeiter wurde nun aber seinerseits von dem energisch wieder vorrückenden Weibchen attackiert und nach kurzem „Handgemenge“ einfach über den Haufen gerannt, worauf das Weibchen definitiv ins Nest ge- langte. Dort wurde es zunächst beim Eingange fixiert und in lauer Weise angegriffen; schon um 4" 45 aber sah ich es von einer Ruf- barbis mehrere Minuten anhaltend beleckt! Um 5" saß das Weib- chen unbehelligt in einer entfernten Ecke des Nestes, drängte sich dann plötzlich mitten in einen Haufen von Arbeitern hinein, die 24) Wasmann, Weitere Beiträge... .. Biol. Centralbl. XXVII, 1908, S. 258 (2 Fälle). 25) Wheeler, Observations on Some European Ants. Journ. of New York Entomolog. Soc. XVII, 1910, S. 173 #f. (3 Fälle). 26) Brun, 1. c. S. 542ff. (4 Fälle). 27) Wasmann, Biol. Centralbl. 1908, 8. 358ff. und 1909, S. 669. XXXI. 12 I7S Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. eben Zuckersaft aufleckten; es wurde von denselben überhaupt nicht beachtet. Schließlich drängte sich die Königin mitten in den zentralen Knäuel der Rufibarbis hinein, drang bis zu den Larven vor und setzte sich auf dieselben, — wieder ohne im mindesten beachtet, geschweige denn angefeindet zu werden! Auch um 1" nachts saß sie noch immer ruhig auf dem Bruthaufen. Am 24. Mai 9 morgens dasselbe Bild: Die Königin sitzt im Zentrum der Rufibarbis und wird von denselben beleckt und gefüttert. Der positive Ausfall dieses Versuches ist um so beweisender, als hier die Zahl der frrsca eine relativ bedeutende war und es sich um eine Rasse handelte, die im allgemeinen eher für stärker und kriegerischer gilt als fusca 1. sp. Den vorstehenden Experimenten wäre noch eine Beobach- tung in freier Natur an die Seite zu stellen, die wohl sicher hierher gehört und die ich meinem jungen Freunde Karl Emmelius aus Zürich verdanke: Derselbe beobachtete am 26. Juni 1910 gegen Abend an einer Straßenböschung ein flügelloses Pratensis- Weibchen, das in auf- fälliger Weise auf dem moosbewachsenen Boden hin- und herlief. Bei genauerem Zusehen bemerkte er, dass das Weibchen von vier fusca-Arbeitern lebhaft verfolgt wurde, die es beständig von hinten her zu attackieren suchten, was das Weibchen indessen durch geschickte Drehbewegungen und durch drohende Gebärden zu ver- hindern wusste; es machte aber keine Miene, zu fliehen, sondern schien vielmehr die Angreifer beschwichtigen zu wollen. Das schien ihr auch in der Tat zu gelingen; wenigstens machte es den Eindruck, als ob die Feindseligkeiten zusehends mildere Form annahmen. Leider wurde die Beobachtung hier abgebrochen. — 2m vom Schauplatze dieses Kampfspieles entfernt fand Emmelius ein schwach bevölkertes frsca-Nest mit kaum 100 Einwohnern; eine Königin war trotz sorgfältigster Durchsuchung nicht auffindbar. — Der ganze Vorgang erinnert lebhaft an eine von Wasmann°®) mitgeteilte Beobachtung von H. Schmitz, wo eine Sanguinea- Königin in ganz ähnlicher Weise in der Nähe eines Fusca-Nestes umherstrich, ohne indessen hier von den fasca überhaupt beachtet zu werden. Nach allem scheint es, als ob bei allmählıicher Annähe- rung die Aufnahme befruchteter Rufa-(und pratensis-)Weibehen in Fusca-Kolonien auf keine allzu großen Schwierigkeiten stoßen würde. b) F. truneiecola. Über die Koloniegründung dieser schönen Refa-Rasse besitze ich keine eigenen Erfahrungen, da dieselbe in der Umgebung von 28) Wasmann, Biol. Centralbl. 1908, S. 370. Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 179 Zürich nicht vorkommt, bezw. sehr selten ist. Die betreffenden Verhältnisse sind ja übrigens durch Wasmann längst in befrie- digender Weise dahin aufgeklärt worden, dass F. truncicola einen bereits zum obligatorischen temporären Sozialparasitismus über- gegangenen Zweig der Aufa-Gruppe repräsentiert, dem denn auch schon morphologisch deutliche Zeichen einer beginnenden An- passung an diesen Modus (Mikrogynie leichten Grades) anhaften. 3. BR. ewseeta. Auch hier verfüge ich nur über sehr spärliche eigene Erfah- rungen. Im wesentlichen gilt von dieser Art dasselbe, was soeben über F. trumneicola gesagt worden ist; auch an ihr wies Wasmann°”) bekanntlich den obligatorischen temporären Sozialpara- sitismus überzeugend nach; zugleich stellte er fest, dass hier die Anpassung an diese „degenerative* Form der Koloniegründung unter allen Formica-Arten weitaus am weitesten geht, indem sie sich nicht mehr allein auf eine exquisite Kleinheit der Weibchen- form beschränkt, sondern auch schon zu einer sekundären (korrelativen) Verkleinerung der Arbeiterform geführt hat. Da indessen auch natürliche Adoptionskolonien ewsecta-fusca bisher nur selten gefunden worden sind®®), glaube ich auch meinen Fall, den einzigen, den ich bisher entdeckte, hier mitteilen zu sollen: Im Juni 1911 fand ich auf Untersock, einer Alpe ob Glarus, unter dichtem Buschwerk am Fuße einer sehr ameisenreichen Halde (sie beherbergt u.a. neben zahlreichen Kolonien von F. firsca, auch F. rufa, pratensis, truncicola, sangwinea, ferner Ü. ligniperdus und L. fuliginosus) ein sehr kleines, ungemein zierlich angelegtes Nest aus feinem vegetabilem Material; der sehr schlanke Oberbau ragte wie ein Türmcehen kerzengerade etwa 20 cm über das Heidegras empor; er maß an der Basis kaum 15 cm Durchmesser. Beim Köpfen der Nestkuppe kamen zunächst nur einige 30 sehr kleine Arbeiter der Mischrasse exsecto-pressilabris zum Vorschein; tiefer unten quollen aber auf einmal zahlreiche fusca 1. sp. hervor; be- sonders nachdem ich noch den flachen Stein, auf dem der Oberbau errichtet war, aufhob, hätte man glauben können, ein reines fusca- Nest vor sich zu haben. Eine exsecta-Königin war leider bei der Kürze. der mir zur Verfügung stehenden Zeit nicht aufzufinden, ebensowenig eine fusca-Königin. Das Zahlenverhältnis zwischen fusca und exsecta mochte ungefähr ?/, zu '/, betragen. — Etwa 29) Wasmann, Weitere Beiträge ..... Biol. Centralbl. 1908, S. 298. — Zur Kenntnis... . ete. III, Archives trimest. de P’Institut R. Gr.-Ducal, 1909, IV, S. 41. 30) Über den letzten von Wasmann beschriebenen Fall siehe Biol. Oentralbl. 1908, 8. 730. 12 180 Oppel, Biologie und Entwickelungsmechanik. 300 m entfernt auf einem Hügelplateau fand ich noch am gleichen Tage zwei weitere kleine exsecta-Kolonien, die aber keine fusca mehr aufwiesen. Sonst war weit und breit keine exseeta-Kolonie mehr zu entdecken. — (Schluss folgt.) Biologie und Entwickelungsmechanik. Von Professor Dr. Oppel, Halle a. d. Saale. Nussbaum, M., Karsten, G., Weber, M., Lehrbuch der Biologie für Hoch- schulen. Mit 186 Abbildungen im Text. 529 Seiten. Leipzig 1911. Wilhelm . Engelmann. Ein Lehrbuch der Biologie für Hochschulen, also auch für Uni- versitäten, muss den derzeitigen Stand der Forschung in seinen höchsten Leistungen in seinen Zielen, Mitteln und empirischen und theoretischen Ergebnissen, sei es nur kurz oder ausführlich dar- stellen. Wir haben daher das Buch mit Freude und mit großem Interesse zur Hand genommen. Jeder der drei auf dem Titel genannten Autoren hat selbständig einen Abschnitt bearbeitet. Nusssbaum gibt „experimentelle Morphologie“, Karsten und Weber die Biologie im Sinne Haeckel’s als Ökologie, als Lehre von den Lebensbedingungen und Lebens- verhältnissen der Pflanzen und Tiere. Der erstere Abschnitt hätte also, um der Ankündigung im Titel zu entsprechen, obschon er nur den nichts Kausales besagenden Namen experimentelle Morphologie trägt, den Lesern des Buches das Wesentliche der unter dem Namen Entwickelungs- mechanık zuerst in Deutschland entstandenen und von da in alle Kulturländer verbreiteten, von W. Roux begründeten, Forschungs- richtung darzubieten gehabt. Eine kurze Hindeutung auf die neuere kausale Forschung im Vorwort erweckt auch die Vorstellung, dass dies geschehen sei. Das wäre in der Tat sehr zeitgemäß gewesen. Dadurch würde das Buch einem wissenschaftlichen Bedürfnis ent- sprochen haben. Der Leser, welcher den 162 Seiten starken Ab- schnitt in dieser Voraussicht durchliest, erfährt aber eine Ent- täuschung. In den reichlichen Literaturverzeichnissen kommt zwar die Abkürzung Arch. f. Entw.-Mech. allenthalben vor. Im Text aber findet sich nicht alllein das Wort Entwickelungsmechanik kein einziges Mal, sondern auch der Geist derselben fehlt in der ganzen Darstellung. Dies programmatische Wort wird also absichtlich ver- mieden. Der Verfasser gehört somit wohl zu jenen jetzt nur noch vereinzelt vorkommenden Autoren, die sich in Roux’ Arbeiten nicht genügend eingelesen haben, um zu wissen, dass Roux unter diesem Namen von Anfang an nicht etwa nur das der „Mechanik“ des Physikers zugehörige Geschehen, sondern im Sinne Kant’s alles mechanistische, d. h. der Kausalität unterstehende Ge- schehen versteht, so dass es alles physikalische und chemische Oppel, Biologie und Entwickelungsmechanik. ISsI Geschehen sowie auch das dieser Bedingung entsprechende psy- chische Geschehen umfasst, was er in vielen Schriften dargelegt und betont hat. Wichtiger als dieses gänzliche Verschweigen der historischen Bezeichnung dieses Forschungsgebietes ist es, dass auch der spe- zifische Geist, die Ratio dieser Forschung fehlt. Um einen großen Teil dessen, was Nussbaum an experimentellen Ergebnissen dar- bietet, und besonders wie er das meiste darstellt, zu gewinnen, dazu bedurfte es keines besonderen Programmes, keiner eingehenden Darlegung über die Methodik, keiner vorausgehenden scharfsinnigen geistigen Analyse, dessentwegen hätte sich auch kein Streit über die Möglichkeit zur Annäherung an das von Roux neu aufgestellte und zuerst in Angriff genommene Ziel erhoben. Da die Darstellung dieses Allgemeinen, Wesentlichen der kau- salen experimentell morphologischen Forschung fehlt, so ist es eine Irreführung der Leser, dass Nussbaum gleichwohl außer den mannigfachen, noch ohne den kausalanalytischen Geist ange- stellten, früheren und zum Teil auch neueren Versuchen über Regeneration, Kastration, Teilbarkeit der Lebewesen, Pfropfungen etc. auch noch viele der auf Grund der kausalen Analyse in den letzten zwei Dezennien gewonnenen Versuchsergebnisse, wenn auch großen- teils ohne ihre kausalanalytische Bedeutung mit. darstellt. Es fehlen vor allem die von Roux eingeführten und das geistige Fundament der Entwickelungsmechanik bildenden mannigfachen kausalanalytischen Unterscheidungen: die Unterscheidung von Gesetz und Regel, die für die kausale Biologie von funda- mentaler Bedeutung ist, da bei den Lebewesen so vieles „regel- mäßig“ vorkommt, ohne jedoch durch ein „Gesetz beständigen Wirkens“ bestimmter Faktoren gebunden zu sein, ferner Roux’ Unterscheidung der drei kausalen Hauptperioden der Onto- genese, in der die Lebewesen auch gestaltlich auf experimentelle Eingriffe verschieden reagieren, sowie die noch wichtigere fundamen- tale Scheidung der Faktoren in determinierende undin das Deter- minierte bloß realisierende, wie Wärme, Sauerstoff ete., die Roux von Anfang an angewandt hat, dazu die Scheidung der typischen, d.h. der vererbten, allein „im Keimplasma enthaltenen Determinationsfaktoren“ von den äußeren alterierenden, sei es normalen, d.h. „in der Mehrzahl der Fälle“ „vorkommenden“ und zur Wirkung gelangenden, wie Schwerkraft und klimatische Ver- hältnisse, oder nur seltener vorkommenden, also abnormen, das typische Geschehen gleichfalls alterierenden Faktoren. Roux’ Versuche waren von Anfang an dadurch analytische, dass er diese „alterierenden“ Faktoren möglichst ausschaltete und so die Faktoren der typischen, also von „äußeren determinierenden Einwirkungen freien“ Ontogenese zu erkennen suchte. Dement- 182 Oppel, Biologie und Entwickelungsmechanik. sprechend formulierte er auch seine analytischen Ergebnisse. Indem aber diese Analyse von ersten und auch noch von manchen späteren Nachfolgern nicht verstanden, nicht gewürdigt wurde, und indem sie seine Versuche ohne diese Fernhaltung äußerer alterierender Einwirkungen nachmachten, glaubten sie auf Grund der von ihnen gewonnenen, infolge der Beteiligung anderer Faktoren erhaltenen anderen Ergebnisse die Ergebnisse der analytischen Versuche Roux’ berichtigen zu können, ohne zu bemerken, dass sie wesentlich andere, nicht analytische Versuche angestellt hatten. Ferner fehlt die Sonderung der Determinationsfaktoren jeder typischen organischen Einzelgestaltung in die nötigen ganz ver- schiedenen Arten der Faktoren: des typischen Ortes des Geschehens, der Zeit der Aktivierung der betreffenden Determinationsfaktoren, der Größe und Richtung des Geschehens und schließlich außer diesem allem noch die besonderen Faktoren der besonderen Qualität des Geschehens, z. B. der geweblichen Differenzierung, sowie auch der Hinweis, dass von jedem dieser Faktoren zunächst der Sitz aufgesucht werden muss, bevor seine Qualität ermittelt werden kann, und schließlich das Bestreben Roux’, stets nicht bloß den hervortretend- sten Faktor zu berücksichtigen, sondern alle mitwirkenden Faktoren zu erkennen, wie es z. B. bei seiner Ermittelung der Einstellung der Kernspindel in zwei Hauptwirkungsricehtungen des bestimmt gestalteten Protoplasmaleibes sich bekundet. Manche experimentierende Zoologen und Anatomen arbeiten bis jetzt nur mit Teilen dieser Analyse, und manche offenbar un- bewusst dessen, woher sie stammt, oder sie glauben den von ihnen verwendeten Teil selber neu produziert zu haben, während er doch in Roux’ Programm und in den aus ihm erwachsenen ersten spe- zellen Arbeiten, an die sie sich mit ihrer Arbeit anschlossen, schon enthalten war. Diese Erkenntnis und Zerlegung der zu jeder einzelnen typischen Gestaltung nötigen vielen, ganz verschiedenartigen Faktoren und damit die Erkenntnis der Notwendigkeit, dass jede dieser Arten von Faktoren durch ganz besondere Experimente aufzusuchen ist, ıst ein Hauptverdienst Roux’. Diese Einsicht ist in Wirklichkeit, zusammen mit den anderen genannten Analysen, die geistige Grund- lage und die Ratio der Entwickelungsmechanik. Es ist das, was die kausal-morphologische Forschung exakt gemacht, und was so viele jüngere Forscher zur Beteiligung angeregt hat, zugleich das, was die Entwickelungsmechanik von der bloß „experimentellen Morphologie“ mit ihrer Freude am Experimentieren an sich und an interessanten Ergebnissen ohne kausale Analyse derselben unter- scheidet. Das alles wie den dafür in der biologischen Welt zu Ehren gebrachten Namen Entwickelungsmechanik übergeht Nussbaum Oppel, Biologie und Entwickelungsmechanik, IS3 mit Schweigen in einem Buche, welches für Hochschulen bestimmt ist, also auf der Höhe der Wissenschaft stehen sollte. Gehen wir zum einzelnen des von Nussbaum Dargebotenen selber über, so teilt der Autor den Stoff in 17 Kapitel und bietet darın die experimentellen Ergebnisse so wie sie sich im Kopfe eines nicht kausal-analytisch Denkenden darstellen, ähnlich den „Curiosi- tates naturae“* früherer Jahrhunderte dar. Diese Kapitel heißen: Regeneration, Kastration, Transplantation, künstliche Befruchtung, Pfropfungen, Parabiose, Symbiose, Doppel- und Mehrfachbildungen, Riesen- und Zwergenwuchs, künstliche Par- thenogenese, Abhängigkeitsverhältnisse der Organe; äußere Einflüsse, Hunger, funktionelle Anpassung, Teilbarkeit der Lebewesen, Polarität und Heteromorphose, experimentelle Erzeugung des Geschlechts. Es fehlt, wie man sieht, das Kapitel über die Ontogenese als Ganzes und zwar über die typische Ontogenese, ebenso über die von den kausalen Forschern aufgestellte und so viel experi- mentell bearbeitete Hauptfrage der typischen und atypischen ent- wickelungsmechanischen Potenz der von der Natur abge- grenzten wie auch willkürlich von uns abgegrenzter Teile. Das Wort Selbstdifferenzierung kommt überhaupt nicht vor; statt der durch diesen Terminus bezeichneten nötigen kausalen Distink- tion werden deskriptive, kausal unscharfe Umschreibungen verwendet. Die Bearbeitung der einzelnen Kapitel ist eine ungleiche. Die- jenigen Abschnitte, in denen der Autor selber als Forscher tätıg war, sind sorgfältiger und mit mehr Sachkenntnis der Versuchsergebnisse bearbeitet; so die Kapitel über Regeneration, Kastration, Teilbar- keit, Polarität, experimentelle Erzeugung des Geschlechts. (Ganz unzureichend sind dagegen die Kapitel über Doppel- bildungen, künstliche Befruchtung, Symbiose, Pfropfungen, Einfluss des Hungers. Besonders störend ist der Mangel an Sachkenntnis in dem Abschnitte über die im letzten Dezennium zu so großer Wichtigkeit gelangte künstliche Parthenogenese, sowie auch über die funktionelle Anpassung. Z. B. fehlt ganz Jaques Loeb’s scharfsinnige Versuchsreihe über Parthenogenese, die uns die Ur- sachen zum Verständnis brachte. Über die funktionelle Anpassung ist Nussbaum überhaupt nicht informiert; es fehlen die Haupttat- sachen sowie die mechanistische Theorie, mit der Roux dieses teleo- logısch erscheinende Geschehen mechanistisch erklärt hat. Das Kapitel über die Abhängigkeitsverhältnisse der Organe hätte eine Übersicht über die große Kategorie Roux’ der „abhängigen Differenzierung“ im allgemeinen und speziellen, also über die „gestaltenden Korrelationen“ geben müssen; statt dessen werden nur einige Versuchsergebnisse mitgeteilt oder auch nur angedeutet. Vielfach sind nicht zusammengehörige Stoffe durcheinander geworfen und wichtigste Arbeiten ausgelassen. 184 Oppel, Biologie und Entwickelungsmechanik. Ein Teil des Stoffes, der das fehlende Kapitel über die typische Ontogenese zu bilden hätte, ist sonderbarerweise in dem Abschnitt über die Regeneration untergebracht. Der Verfasser bringt da die Versuchsergebnisse Roux’ und Pflüger’'s der Jahre 1883 und 1884 und nächstfolgende, welche den Anfang der kausalanalytischen Forschung darstellen, auch die Anstichversuche. Er versucht dabei die Priorität der ersteren Versuche Pflüger zuzuschreiben. Es ist bekannt, dass Pflüger seine ersten Versuche kurze Zeit nach Roux’ ersten entsprechenden Versuchen anstellte, sie aber drei Tage vor Roux publizierte!). Diese Beobachtungen, 1) M. Nussbaum versucht jetzt nachträglich die Selbständigkeit dieser ersten Versuche Roux’ am Ei noch zugunsten seines eigenen Meisters Pflüger zu ver- schieben. Pflüger und Roux haben aber schon lange diese Sachlage zu ihrer beiderseitigen Zufriedenheit vor der Öffentlichkeit geklärt und ihre Unabhängigkeit gegenseitig anerkannt. Roux hat eine Versuchspriorität von einigen Monaten, Pflüger eine Druckpriorität von 3 Tagen. Denn Roux experimentierte schon Anfang März 1883 mit Rana fusca und berichtete in seiner ersten Mitteilung zu- gleich über die Besonderheit im Verhalten dieser früher laichenden Spezies; dann arbeitete er noch Ende Mai (Ges. Abh. II. S. 108, Original S. 15) mit Raua esculen'a, wie es Pflüger für seine erste Arbeit im Anfang Juni ausschließlich tat, aber das Ergebnis des ersten Versuches bereits über Nacht drucken ließ und dadurch die Druckpriorität von 3 Tagen vor Roux erlangte. Das steht alles zu Lebzeiten Pflüger’s gedruckt (s. Roux’ Ges. Abhandl. Bd. II, S. 123). Da jetzt Nussbaum versucht, die längst geklärte Sachlage nachträglich wieder zu verschieben, so sei noch darauf hingewiesen, dass Roux, außerdem dass er in dieser ersten Arbeit am Ei schon die Art der gestaltenden Wirkung der Schwerkraft richtig von der einstellenden Wirkung auf die ungleich spezifisch schweren Dotterteile ableitete (Ges. Abh. II, S. 120), auch bereits die Vermutung äußerte (Ges. Abh. II, S. 118), dass Pressung der Eier die Einstellung derersten Furche rechtwinklig zu den pressenden Flächen bewirken werde, worüber dann zunächst Pflüger und Roux, später Born, O0. Hertwig u. a. Versuche anstellten. Es folgten seitens Roux’ die analytischen Arbeiten über die genauere Zeit der Bestimmung der Richtung der Medianebene im Froschei an schwimmenden Eiern, dann über die typische determinierende Ursache dieser Richtung durch die Kopulationsrichtung von Eikern und Sperma, über die ablenkende Wirkung der durch die Schwerkraft bewirkten abnormen Anordnung des Dotters und über den Mechanismus dieser abändernden Wirkung: alles überaus subtile Versuche, die zum Teil noch gar nicht nachgemacht worden sind, aber doch der wissenschaftlichen Welt die kausalanalytische Angreifbarkeit des Entwickelungsgeschehens zeigten; vor- her (1885) erschienen noch Roux’ grundlegende, in den Jahren 1883 und 1884 ange- stellte analytische Versuche über die allgemeinste Art des Entwickelungsgeschehens in dem ersten seiner „Beiträge zur Entwickelungsmechanik des Embryo“, in welchem bereits auch über bestimmt lokalisierte Anstichversuche am Ei in allen Stadien von der Befruchtung bis zur Bildung des Embryo berichtet wird, und in denen auch schon einige Hemiembryonen gewonnen waren. Diese wichtigen Arbeiten wurden zunächst wenig gewürdigt, bis dann die zweite Mitteilung über die Anstichversuche, die Spezialarbeit über die „Hemiembryonen“ auf der Naturforscherversammlung in Wiesbaden 1887 (in Virch o w’s Archiv 1888, als Beitrag V zur Entwickelungsmechanik des Embryo veröffentlicht) Aufsehen erregte. Die ganze große geistige und experi- Oppel, Biologie und Entwickelungsmechanik. 185 denen Nussbaum die Priorität und alleinige Anregung zuschreiben will, erregten zwar durch die aus ihnen von Pflüger abgeleiteten verblüffenden Folgerungen einer organisierenden und das Rücken- mark differenzierenden Wirkung der Schwerkraft Aufsehen. Diese Folgerungen wurden aber bereits im nächsten Jahre durch Experi- mente von Roux und von Born als unrichtig erwiesen; zudem hatte Roux bereits in seiner ersten Arbeit (1883) die Verhältnisse der Wirkung der Schwerkraft richtig beurteilt, wodurch sich aber Pflüger von der falschen Bahn nicht abbringen ließ. Diese von Pflüger erregte Welle lief ab, sie war ein einmaliger Impuls. Roux’ dauernde stetige analytische und experimentelle Arbeit und sein wohldurchdachtes analytisches Programm, sowie dessen nähere Begründung und scharfsinnige Verteidigung gegen Angriffe und unrichtige Darstellung, gegen Übergehung und Ver- suche des Todschweigens waren der stetige Antrieb, der die kausal- analytische experimentelle Erforschung der individuellen Entwicke- lung zum Wachsen gebracht hat, wie das ın vielen Besprechungen und Kritiken seiner Arbeiten durch die bedeutendsten Forscher, wieChun, v. Ebner, Barfurth, Fürbringer, Born, Edingeru.a., die ıhn als den Begründer der kausalmorphologischen Forschungs- richtung bezeichnen, seit zwei Dezennien oft zum Ausdruck gebracht worden ist und vor einem Jahre anlässlich seines 60jährigen Gre- burtstages durch eine großartige Manifestation von 80 Forschern mentelle analytische Arbeit, die diesem Beitrag V voranging und nachfolgte, die den Grund zur eigentlichen strengen Entwickelungsmechanik legte, wird noch jetzt von manchem nicht verstanden und gewürdigt. Das zeigt auch Nussbaum’s Dar- stellung. Ferner wurde von anderer Seite versucht, auch die Priorität der bestimmt lokalisierten Anstichversuche am Ei einem anderen, Chabry, zuzuschreiben, obschon dessen Arbeit erst 2 Jahre nach der ersten, bereits 43 Seiten starken Mitteilung Roux’ erschien. Den Gegnern Roux’ genügt eine Druckpriorität eines anderen von 3 Tagen, um Roux die Selbständigkeit abzusprechen, aber die Posteriorität eines anderen von 2 Jahren hält sie nicht ab, letzterem die Priorität zuzuschreiben! Ludwig Edinger sagte in der ihm eigenen einsichtsvollen Weise bei der Besprechung von Roux’ Gesammelten Abhandlungen folgendes: „Als dem jungen Roux 1878 in seiner Inauguraldissertation über die Verzweigungen der Blutgefäße des Menschen, durch eine scharfsinnige Untersuchungsmethode der Nachweis (hier gekürzt gefasst:) der hämodynamischen Ursache der Gestaltungen der Lichtung der Blutgefäße gelungen war, „da hatte er, damals noch mit solchen Inter- essen alleinstehend, den Weg eröffnet, den er seitdem gegangen ist, und auf dem ihm bereits ein großer Teil der jüngeren Anatomen und Zoologen gefolgt ist“ (Zeitschr. f. Nervenheilkunde 1896, 8.476). Dieser kausalen Doktorarbeit folgte 2 Jahre später Roux’ kausale Theorie der funktionellen Anpassungsgestaltungen, in dem weltbekannten, von Darwin gelobten Buche über den Kampf der Teile im Organismus, sowie die gründlichen kausalen Spezialarbeiten über die funktionelle Anpassung der Muskeln und bindegewebigen Organe (speziell der Schwanzflosse des Delphins). Sie alle zusammen bilden eine wohl schr seltene Reihe von Früchten ziel- bewussten kausalen Forschens vom Beginne der Tätigkeit eines neu in die Morpho- logie eintretenden jungen Forschers, IS6b Oppel, Biologie und Entwickelungsmechanik. öffentlich kundgegeben ist. Nussbaum dagegen glaubt, alles das übergehen und Roux nur als einen Mann hinstellen zu können, der 3-4 (NB! von Nussbaum nicht richtig verstandene) Experi- mente gemacht hat. Die anderen Versuche und alles Übrige kennt Nussbaum anscheinend nicht. Freilich ist das von Nussbaum Dargebotene, wie wir gesehen haben, auch sonst lückenhaft und viel- fach unrichtig dargestellt, so dass die Leser sich seiner Führung auch sonst nicht mit Vertrauen überlassen können. Der botanische Abschnitt des Werkes bringt vorzugsweise die sogen. Biologie im engeren Sinne, oder die Ökologie Häckel’s und versteht darunter die Bedeutung der Lebenserscheinungen der Pflanze für ıhr eigenes Leben, also das, was Roux als die Er- haltungsfunktionen bezeichnet, und was in der Zoologie die Physio- logie im engeren Sinne darstellt, während Karsten als Pflanzen- physiologie die Lehre von den Ursachen, von dem mechanischen Zustandekommen der Erscheinungen definiert. Der Abschnitt von Max Weber will unter dem Namen: die „Biologie der Tiere“ das Tier von seiner Geburt bis zu seinem Tode auf seinem Lebenswege begleiten, Es soll die Aufgabe sein, seine Form, sein Wachstum, seine Abhängigkeitsverhältnisse zu seiner Umgebung, seine Beziehungen zu Artgenossen, zu anderen Tieren und umgekehrt deren Einfluss auf dasselbe zu betrachten. Sein Bau und die Funktion der Organe sollen nur gestreift werden. Der Autor geht von der Definition Roux’ vom Wesen des Lebens aus und verwendet auch sonst mehr entwickelungsmecha- nische Begriffe als der Verf. des ersten Teiles, obgleich er das nicht so nötig hatte als dieser. Er verwendet außer Davenport’s Einteilung des Wachstums auch die von Roux eingeführten analy- tischen Distinktionen des aktiven und passiven, sowie des rein dimensionalen Wachstums. Er gebraucht mit Recht gleich Roux statt Zweckmäßigkeit die Bezeichnung Dauerfähigkeit. Die 12 Kapitel, in welche Weber seine Darstellung gliedert, sind folgende: Wachstum, Lebensdauer, Tod. Form und ihre Be- dingungen. Körpergröße. Ortsveränderung und Sessilität. Färbung, Zeichnung und Farbenwechsel. Lautäußerungen der Tiere. Gerüche der Tiere Leuchten der Tiere. Lebensbedingungen (Einfluss der Temperatur und Nahrung, des Lichtes und Wohnraumes). Ver- breitung und Wanderung der Tiere. Fortpflanzung. Beziehungen der Tiere zueinander. Als Beispiele der sorgfältigen Bearbeitung, welche Weber dem Stoffe angedeihen ließ, seien erwähnt die sehr lesenswerten Ausführungen über Funktionswechsel, aktive Lokomotion, Einfluss des Wohnraumes, Prinzipien der Tiergeographie u. a. mehr. Es kann somit das Werk in seinen beiden letzten Teilen empfohlen werden. Bei einer Neuauflage ist unumgänglich nötig, Vogt, Geometrie und Ökonomie der Bienenzelle. 187 dass der Verfasser des ersten Teiles seinen Abschnitt auf die Höhe des Standes der Wissenschaft bringt. Eine Darstellung der Biologie von so verschiedenen und einander ergänzenden Seiten, wie sie die Zusammenarbeit der drei Verfasser dann darbieten würde, dürfte des Interesses eines ausgedehnten Leserkreises sicher sein. Dass das Lehrbuch der Biologie in seiner äußeren Form allen Ansprüchen gerecht wurde, dafür hat der Verleger gesorgt, indem er das Buch gediegen ausgestattet und mit prächtigem Bilderschmuck (ich ver- weise nur auf die vortrefflichen Vegetationsbilder im botanischen Teil) versehen hat. Übersichtliche Anordnung des Inhalts, genügende Literaturnachweise und ein reichhaltiges Register erleichtern die Orientierung und das Nachschlagen. Heinrich Vogt. Geometrie und Ökonomie der Bienenzelle. Breslau 1911, Trewendt u. Granier. 68 S. Gr. 8°. 8 Tabellen. 14 Figuren. Als Normalform der Honigbienenzelle wird von jeher das regel- mäßige sechsseitige Prisma angesehen, als Bodenabschluss dieses Prismas gilt seit 200 Jahren die sogen. Maraldische Pyramide. Fast ebensolange gilt es nach König für sicher, dass die Bienenzelle den für die Brut oder den Honig nötigen Raum mit möglichst ge- ringem Wachsaufwand umschließt, dass also in ihr ein Minimal- problem praktisch gelöst ist. Diese Thesen sind nicht durch eingehende Messungen gesichert, vielmehr ruhen sie zum Teil auf unzulänglichen Beobachtungen, zum Teil auf reiner Spekulation. Sie sind nie gründlich nachgeprüft worden, sie haben den Wechsel der Zeiten und Anschauungen über- standen und sind allmählich zu Dogmen erstarrt, weil sie sich allen biologischen Theorien, sowohl den mechanischen wie den teleo- logischen, leicht einfügten, ja ihnen als Stütze und Musterbeispiel dienten. Der Verfasser hat gänzlich voraussetzungslos durch zahlreiche Messungen, die er an den Wachsobjekten selbst oder an Gips- abgüssen der Zellen anstellt, die Konstanten der normalen Bienen- zelle festgestellt und auf dieser sicheren Grundlage die Fragen der Form und des Wachsverbrauchs geometrisch diskutiert. Aus seinen Ergebnissen zieht er Schlüsse auf die Arbeitsweise der Bienen und glaubt in der Analyse ihres Baus einen Zugang zur Psychophysik dieser Tiere gefunden zu haben. Er geht den Gründen der Entstehung und Beharrung der überlieferten Anschauung histo- risch und psychologisch nach und erblickt in der Geschichte des Maraldi-König’schen Irrtums ein Stück Wissenschafts- und Geistesgeschichte. Die Ergebnisse von Messung und Rechnung sind: I. Die Seiten sowohl wie die Winkel der sechsseitigen Prismen weichen in normalen Zellen der Honigbiene sehr wenig von der Gleichheit ab, | ISS Vogt, Geometrie und Ökonomie der Bienenzelle. II. Die Bodenpyramide der Bienenzelle hat zuerst (1619) Kepler, gestützt auf das Gesetz der Raumfüllung, als stumpfe Ecke des Rhombendodekaeders angesprochen. Maraldı hat (1712) durch Rechnung unter Voraussetzung der Symmetrie, nicht durch genaue Messung, den stumpfen Rhombenwinkel auf 109° 28° bestimmt (Neigungswinkel 120°). III. Die Winkel der Bodenplatten zeigen viel größere Schwan- kungen als die Prismenwinkel. Ihre Mittelwerte (abgerundet: stumpfer Rhombenwinkel 107°, Neigungswinkel 114°) sind erheb- lich kleiner als die von der Kepler-Maraldischen Theorie ver- langten Winkel (109,5 und 120°). Die Kepler-Maraldische Größe der Kantenwinkel wird noch nicht vom dritten, die der Neigungs- winkel noch nicht vom sechsten Teile der Winkel erreicht. IV. Die Bodenplatten sowohl der Arbeiter- wie der Drohnen- zellen sind gesetzmäßig dicker als die Prismenplatten. Sämtliche Kanten zeigen erhebliche, mit der Plattendicke wechselnde Ver- dickungen. V. Die Kepler-Maraldische Zellform ist das Minimum der Oberfläche, aber nıcht des Wachsverbrauchs. VI. Die für minimalen Wachsverbrauch bei Berücksichtigung der ungleichen Wanddicken und der Kantenverdickungen berechnete Bodenpyramide hat erheblich stumpfere Formen als die Dodekaeder- form, und erst recht stumpfere als die von den Bienen wirklich ausgeführte Bodenpyramide (Neigungswinkel der drei Formen: 143, 120, 114°; Kantenwinkel: 116, 109, 107°). VII. Die Wachsersparnis, welche die Bienen erzielen könnten, wenn sie ihre Bodenpyramiden durch die sparsamste Pyramiden- form ersetzten, ist sehr gering (!/,,, oder !/,., einer Zelle). Sie ist unbedeutend gegenüber gewissen unregelmäßigen und unwirt- schaftlichen Wachsaufwendungen, unbedeutend auch gegenüber der Ersparnis, welche gegenständige Zellen mit senkrechter ebener Mittel- wand bieten würden (!/,, oder !/,, einer Zelle). VIII. Die Bienen bauen nicht nur nicht in der sparsamsten Form, sondern es kommt für die Bienenzellen die Wachsersparnis überhaupt nicht als formbestimmend in Betracht. IX. Die Festigkeit der Bienenwabe ist in Anbetracht des bieg- samen Baustoffes sehr groß. Zerrungen durch Schwerewirkung sind an unbenutzten Zellen gar nicht, an benutzten in sehr geringem Maße bemerkbar. Dass die Bienenwabe mit wechselständigen Zellen und pyramidenförmig geknickter Mittelwand’ das Maximum von Festigkeit leistet, ıst oft behauptet, aber nie bewiesen worden. Auch ın dieser Beziehung scheint die Wabe mit gegenständigen Zellen auf ebener Mittelwand hinter der Wabe mit Pyramidenboden nicht zurückzustehen. X. Da weder rein mechanische Kräfte, noch die Intelligenz der Bienen, noch teleologische Tendenzen die Form der Bienenzelle verständlich zu machen vermögen, gewinnt die phylogenetisch- geometrische Erklärung an Bedeutung: Die Honigbienen sind, in- Festschrift zum sechzigsten Geburtstag Richard Hertwig’s. 159 dem sie den an der einseitigen Wabe phylogenetisch erworbenen Instinkt, Ebenen nur unter 120° aneinanderzufügen, auf die doppel- seitige Wabe übertrugen, durch geometrischen Zwang zur Tendenz der dodekaedrischen Zellform gelangt. XI. Dass diese Zellform sehr selten erreicht wird (unter 24 Zellen nur einmal), ist aus der Natur der Sinnes- und Arbeitsorgane der Bienen, also psychophysisch zu erklären. Die Abweichungen der wirklich hergestellten Strecken und Winkel von ihren Mittelwerten und den erstrebten Werten lassen Gesetzmäßigkeiten, Unterschieds- schwellen, Unterschiedsempfindlichkeiten und Konstanten im Sinne des Weber-Fechner’schen Gesetzes erkennen. Hi V: Festschrift zum sechzigsten Geburtstag Richard Hertwig’s (München), geboren den 23. September 1850 zu Friedberg i. EessasBdeszGr. 8. Gewidmet von seinen Schülern. Jena, Gustav Fischer. 1910. Eine großartiger angelegte Festschrift ist wohl niemals einem verdienstvollen Forscher und Lehrer dargebracht worden. 65 seiner Schüler haben sich vereinigt zu einer Sammlung, aus deren Ertrag eine Anzahl Exemplare der Festschrift angekauft und an ver- schiedene Institute des In- und Auslands verteilt werden konnte. Die Festschrift selber aber enthält eine große Zahl wertvollster Abhandlungen von Verfassern, die schon einen guten Klang ın der gelehrten Welt haben und die sich durch diese Ehrengabe als dank- bare Schüler des verehrten Meisters bekennen. Der erste Band, im Umfange von 674 Seiten großen Lexikon- formats, ist mit einem Bilde Hertwig’s aus dem Jahre 1900 ge- schmückt und enthält 16 Abhandlungen aus dem Gebiet der Zellen- lehre und Protozoenkunde, nebst 49 Tafeln und 107 Textfiguren. Es ist leider unmöglich, an dieser Stelle auf eine genauere Analyse der einzelnen Arbeiten einzugehen. Wir müssen uns deshalb auf eine Angabe kurzer Andeutungen neben den Titeln und der Namen der Verfasser beschränken. Herr W. T. Howard (Öleveland, Ohio) schreibt über Kernknospung bei Geschwulstzellen (18 Seiten, 3 Tafeln). Er zeigt, dass die von Hertwig zuerst aufgefundene Erscheinung an degenerierenden Protozoen in ähnlicher Weise auch an den Zellen der Geschwülste auftreten. Herr M. Popoff (Sofia) be- handelt auf 27 Seiten (3 Tafeln und 2 Textfiguren) die Chromidıal- frage nach Untersuchungen an Musciden. Herr V. Rüzıcka (Prag) untersucht in einer deskriptiv-experimentellen Studie das Chromatın und Plastin in ihren Beziehungen zur Regsamkeit des Stoffwechsels. Herr Th. Moroff :50 Seiten, 65 Textfiguren) behandelt vegetative und experimentelle Erscheinungen bei T’halassicolla, Herr ©.C. Dobell (Cambridge) die Lebensgeschichte von Haemocystidium simond! (8 Seiten, 1 Tafel); Herr H. Erhard bringt Studien über ‚Tropho- spongien“, zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Sekretion (32 Seiten, 2 Tafeln). In einer Abhandlung über die Eibildung der Meduse Pelagia Noctiluca gibt Herr J. Schaxel (Jena) Untersuchungen über 190 Festschrift zum sechzigslen Geburtstag Richard Hertwig’s. die morphologischen Beziehungen der Kernsubstanzen untereinander und zum Oytoplasma (46 Seiten, 4 Tafeln und 2 Textfiguren). Schneider (Wien) schreibt über Chromosomengenese (18 Seiten, 3 Tafeln) nach Untersuchungen an Salamanderlarven; Herr P. Buchner über die Schicksale des Keimplasmas der Sagitten in Reifung, Be- fruchtung, Keimbahn, Ovogenese und Spermatogenese (58 Seiten, 6 Tafeln, 19 Figuren), Herr E. A. Minchin (London) über einige Parasiten bei Ceratophyllus fasciatus (16 Seiten, 1 Tafel), Herr Issaköwitsch handelt über die Randdrüsen von Porpita medi- terranea, ein Beitrag zur COhromidienlehre (18 Seiten, 1 Tafel, 2 Figuren). Über Depression und fakultative Apogamie bei Amoeba diploida berichtet Herr Rh. Erdmann (Berlin) auf 24 Seiten mit 2 Tafeln und 5 Figuren, über Bau und Entwickelung der Tricho- nymphiden Herr M. Hartmann auf 46 Seiten mit 4 Tafeln und 3 Figuren, über Trypanosoma rotatorium Herr W. Lebedeff (Mos- kau) auf 38 Seiten mit 2 Tafeln und 9 Figuren. Herr M. Jörgensen (München) gibt einen Beitrag zur Entwickelungsgeschichte des Eier- stocks von Proteus anguineus, die Wachstumsperiode behandelnd, auf 196 Seiten mit 13 Tafeln, endlich Herr P. Swarezewsky auf 38 Seiten nebst 4 Tafeln Beobachtungen über eine in Turbellarien des Baikalsees lebende Gregarıne, Lankesteria sp. Der zweite Band enthält auf 264 Seiten mit 30 Tafeln und 100 Textfiguren, 11 Abhandlungen morphologischen, biologischen und deszendenztheoretischen Inhalts. Er ıst mit einem Bildnis Hert- wig’s aus dem Jahre 1910 geschmückt. Die Abhandlungen stammen von: J. P. Schtschelkanowzew (Warschau) über den Bau der männlichen Geschlechtsorgane von Ühelifer und Ohernes (38 Seiten, 1 Tafel, 5 Figuren), von B. Wahl (Wien), Beiträge zur Kenntnis der Dalyelliiden und Umagilliden (22 Seiten, 1 Tafel, 1 Figur), S. Kuschakewitsch, die Entwickelungsgeschichte der Keimdrüsen von Rana esculenta, ein Beitrag zum Sexualitätsproblem (160 Seiten, 11 Tafeln, 13 Figuren), Ph. Lehrs über eine Lacerta aus dem hohen Libanon (L. Fraasii sp.) und andere Montanformen unter den Eidechsen (12 Seiten, 1 Tafel), ©. Sasakı Rıgakahakushi (Tokio), Lebensgeschichte von Schlechtendalia chinensis, ein gallen- bildendes Insekt (14 Seiten, 2 Tafeln), R. Goldschmidt (München) über das Nervensystem von Ascaris lumbricoides und ınegalocephala (3. Teil) (102 Seiten, 7 Tafeln, 29 Figuren), ©. Steche (Leipzig), das Knospungsgesetz und der Bau der Anhangsgruppen von Physalia (22 Seiten, 10 Figuren), H. Marcus (München), Beitrag zur Kenntnis der Gymnophionen IV, zur Entwickelungsgeschichte des Kopfes, II. Teil (88 Seiten, 2 Tafeln, 39 Figuren), Schwangart (Neu- stadt a. d. Hardt) über die Traubenwickler (Conchylus ambiguella Hübn. und Polychrosis botrana (Schiff) und ihre Bekämpfung, mit Berücksichtigung natürlicher Bekämpfungsfaktoren (72 Seiten, 3 Ta- feln), L. Plate (Jena), Vererbungslehre und Deszendenztheorie, Antrittsvorlesung ın Jena (82 Seiten, 1 Tafel, 3 Figuren), endlich E.Stromer (München) über das Gebiss der Zepedosirididae und die Ver- breitung tertiärer und mesozoischer Lungenfische (14 Seiten, 1 Tafel). Reis, Eine zoologische Festschrift. 191 Der letzte und dritte Band bringt ein Bild aus dem Jahre 1910, aufgenonmen von Herrn Doflein, Hertwig bei seinen Protozoen- kulturen darstellend. Er umfasst 308 Seiten mit 20 Tafeln und 76 Textfiguren und enthält experimentelle Arbeiten. Die Arbeiten sind von den Herren: 1. A. Lang, über den Herzschlag von Helix pomatia während des Winterschlafs (14 Seiten, 5 Tafeln). 2.K.v. Frisch (Wien) über die Beziehungen der Pigmentzellen in der Fischhaut zum sympathischen Nervensystem (14 Seiten, 2 Tafeln, 3 Figuren), 3. P.Steinmann (Basel): der Einfluss des Ganzen auf die Regene- ration der Teile, Studien an Doppelplanarien (2 Seiten, 15 Figuren), 4. Wolfg. Ewald, über Tätigkeitserscheinungen am Schließmuskel der Malermuschel (12 Seiten, 5 Figuren), 5. G. Wolff (Basel), Itegeneration und Nervensystem (14 Seiten, 1 Figur), 6. A. Bethe, Erhaltung des Gleichgewichts schwimmender Tiere (12 Seiten, 10 Figuren), 7. OÖ. Maas (München), Involutionserscheinungen bei Schwämmen und ihre Bedeutung für die Auffassung des Spongien- körpers (33 Seiten, 3 Tafeln, 2 Figuren), 8. Th. Boveri (Würz- burg), die Potenzen der Ascaris-Blastomeren bei abgeänderter Fur- chung. Zugleich ein Beitrag zur Frage qualitativ-ungleicher Chro- mosomenteilung (84 Seiten, 6 Tafeln, 24 Figuren), 9. F. Doflein (München), Lebensgewohnheiten und Anpassungen bei dekapoden Krebsen (78 Seiten, 4 Tafeln, 16 Figuren), 10. Tanzo Yoshida und V. Weinland, Beobachtungen über den Vorgang der Er- wärmung beim winterschlafenden Igel (16 Seiten). Viele dieser Arbeiten hätten eine ausführlichere Berichterstattung verdient, welche leider wegen des beschränkten Raumes nicht mög- lich war. Sicherlich aber ıst selten einem Forscher eine würdigere Huldigung zuteil geworden, als diese Sammlung wertvoller Arbeiten sie darstellt, welcher die wohlbekannte Verlagshandlung auch eine prächtige Ausstattung verliehen hat. P. Eine zoologische Festschrift. Ksicga pamiatkowa ku uczezeniu trzydziestoletniej dziasalnosci naukowej i piSmien- nieze] Prof. Dra Jözefa Nusbauma (polnisch. Festschrift für Prof. Dr. Jözef Nusbaum zum 30jährigen Jubiläum seiner wissenschaft- lichen Tätigkeit von seinen Schülern herausgegeben. Lemberg 1911, Verlag von H. Altenberg, 4°, 306 S., Portr., 12 Tafeln. Das vorliegende Werk liefert ein überaus genaues Bild der wissenschaftlichen Tätigkeit des Jubilaten. Als Einleitung des statt- lichen Bandes finden sich: eine Jubiläumsadresse mit den Unter- schriften vieler Zoologen und Anatomen (lateinisch), die wichtigsten biographischen Daten und eine kurze geschichtliche Übersicht der Entwickelung, der unter der persönlichen Leitung des Prof. Nus- baum gewesenen und jetzt verbleibenden wissenschaftlichen In- stitute, nämlich: des Laboratoriums beim zoologischen Garten ın Warschau 1889—1891; des vergleichend-anatomischen Instituts an der Universität in Lemberg 1891—1896; des anatomischen Instituts 192 . Reis, Eine zoologische Festschrift. an der Veterinärakademie in Lemberg 1895 —1905; des zoologischen Instituts an der Universität in Lemberg 1906--1911. Es folgt ein Verzeichnis von zahlreichen größeren und kleineren Arbeiten, welche teils vom Jubilaten selbst, während seiner 30jährigen wissenschaftlichen Tätigkeit, teils von seinen Schülern veröffent- licht wurden. Die Bibliographie umfasst 226 Publikationen des Prof. Nusbaum, darunter auch größere Werke, wie ein Lehr- buch der vergleichenden Anatomie ın 2 Bänden, der Entwickelungs- gedanke in der Biologie, ein Lehrbuch der praktischen Zootomie u. v. a., und 116 Abhandlungen seiner Schüler. Den Schluss des festlichen Bandes bildet eine Reihe von wissen- schaftlichen Abhandlungen, die zu Ehren des Prof. Nusbaum von manchen seiner Schülern und Mitarbeitern veröffentlicht wurden. Im Rahmen einer kurzen Übersicht ist es leider unmöglich, auf die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen einzugehen, ich werde mich daher auf eine Aufzählung der Aufsätze und eine ganz kurze Charakteristik beschränken. Grochmalicki, J.Dr. Cypris Nusbaumi nov. spec. eine neue (ypris-Art, beschreibt genau eine neue, der Cypris fusca Brady am ähnlichsten erscheinende Östracoden-Art, welche er in der Schwefelquelle „Siıwa Woda“ bei Szklo ın Galizien ge- funden hat. Golanskı, J. Ein Beitrag zur Kenntnis der Oligo- chaeten Galiziens gibt eine genaue Darstellung von 34 Oligo- chaeten-Arten, die zum ersten Male in Galizien aufgefunden wurden. Schechtel, E. Materialien zur Fauna der Hydrach- niden Galiziens, ein Verzeichnis von 27 Gattungen und 47 Arten, darunter solche, die vom Verf. zum ersten Male beschrieben worden sind, wie Limnesia polonica, ein Weibchen von Arrhenurus nodosus Koen, eine neue Larve von der Gattung Feltria und zwei neue Feltria-Arten, Feltria Kulexyiski und Feltria Nusbaumi. Marcinkiewiez, M. Ein Beitrag zur Anatomie der Schwimmblase von Macropodus viridi-auratus, stellt eine bisher unbekannte Verlängerung der Schwimmblase des Macropodus bis in das Schwanzende des Fisches dar, welche von 16 Haemapo- physen der entsprechenden Wirbel durchbohrt wird. Trawinski, A. Ein Beitrag zur Anatomie und Histo- logie des Penis der Vögel, behandelt den Penis des Schwans und stellt die anatomisch-topographischen, sowie den histologischen Bau desselben dar. Poluszynski, G. Über einige Abnormitäten im Baue der Geschlechtsausführungsgänge bei Helix pomatia. Der Receptaculumgang der Weinbergschnecke ist ziemlich variabel und besitzt eine ausgeprägte Fähigkeit Rückschläge zu bilden, in einigen Fällen wurde eine Verdoppelung des Receptaculumganges konstatiert, Reis, Eine zoologische Festschrift. 195 in anderen ein akzessorisches Gebilde, welches dem Receptaculum seminis en miniature sehr ähnlich war. Pogonowska, J. Ein Beitrag zur Kenntnis der Histo- logie des Herzens bei den Fischen, mit besonderer Be- rücksichtigung der elastischen Elemente. Es wurde die Struktur und Verbreitung der elastischen Elemente ım Herzen ver- schiedener Fischgruppen untersucht, wobei sich erwies, dass sie am häufigsten in dem Conus arteriosus der Selachier und Ganoiden, sowie im Bulbus arteriosus der Knochenfische vorkommen. Jakubski, A.Dr. Studien über das Gliagewebe bei den Lamellibranchiaten und Gastropoden. In der Zentralganglien- masse in den Nervenwurzeln, wie auch ım Verlauf der peripheren Nerven und Kommissuren befindet sıch das Gliagewebe in Form von Gliazellen, Weigert'schen Gliafibrillen und der alveolären retikulären oder membranösen Held’schen Füllmasse (die genetisch auf die Gliazellen zurückzuführen ist) stärker oder schwächer je nach den Gattungen ausgebildet. Hirschler, J. Dr. Über zwei verschiedene Embryonen- typen bei einer Spezies. Eine embryologische und formal- analytische Studie an Aphiden. In der Sommergeneration der Gattung Rhopalosiphum nympheae Fabr. wurden zwei Em- bryonentypen festgestellt, deren Entwickelung von Eiern gleichen Baues ausgeht und die zu gleichartigen Jungtieren führt. Für diese Erscheinung schlägt H. den Namen Diontogenie vor. Als Differenzursache gibt H. die Dauer des Nährstranges, die Zeit der Einwanderung des Pseudovitellus und Ernährungsverhältnisse der Muttertiere an. Fulinski, F. Dr. Ein Beitrag zur Embryologie des Käfers Agelastica alni. Gegen Lecaillon fand F., dass die Aus- bildung des Mitteldarmes nicht rein ektodermal ist, sondern sich in einer Art und Weise entwickelt, die Fulinskı und Nusbaum bei den Orthopteren beschrieben haben. Der Verf. beschreibt auch die Blastokinese, die Bildung des Amnions, welches hier vor dem Gastru- lationsprozesse zur Schließung kommt. Den Suboesophagalkörper fand er hier nicht. Tur, J.Dr. Weitere Untersuchungen über den Ein- fluss des Radiums auf die Entwickelung der Vogel- embryonen. In der vorliegenden Versuchsreihe wurden Eier vor dem Einlegen in den Brutofen dem Einflusse des Radıums aus- gesetzt, wobei ebenso wie in den früheren Versuchen, in denen schon in der Entwickelung begriffene Eier angewendet waren, die axialen Gebilde, das Medullarrohr und die Somiten am meisten beschädigt wurden. Kinel, J. Untersuchungen über die Knochenregene- ration bei Vögeln. Die Regeneration der Knochen geht bei den XXXI. 13 194 Reis, Eine zoologische Festschrift. Vögeln bei Trepanation des Schädels und bei Beschädigung des Brust- kammes sehr langsam von statten, auch die Finger der Schwingen sind regenerationsfähig. Beigel, ©. Ein Beitrag zur Regeneration der Haut bei den Teleostiern. In vielen Hinsichten laufen die regene- rativen Prozesse der Haut den embryonalen sehr ähnlich ab, ins- besondere die Bildung der Eiweißdrüsen bei Amivwrus und die Bildung der Schuppen bei Salmo fario. Reis, K. Dr. Über die Gestaltung des Embryos bei den Teleostiern. Die Entwickelung des Zwergwelses bestätigt die Theorie von Kopsch, dass Rumpf und Schwanz aus zwei ur- sprünglich seitlich gelegenen Anlagen entstehen, beweist aber ferner, dass das Schwanzende nicht vom Randknopf selbst, sondern auch (gegen Kopsch) von dem übrigen Randringmaterial sich bildet. Weigl, R.Dr. Über den Golgi-Kopsch’schen Apparatin den Epithelzellen des Darmes der Wirbeltiereund dessen Beziehung zu anderen Plasmastrukturen. Die Ausbildung des G olgi-Kopsch’schen Apparates in den Zellen des Darmes ist bei allen Gruppen der Wirbeltiere beinahe identisch; er befindet sich (Osmium und Silbermethode) sowohl in dem Epithel wie in den Drüsenzellen des ganzen Darmtraktus; der Verf. fand auch ın den Be- legzellen Schwärzungen (gegen Golgi). Die bei der Resorption im Bau des Apparates hervortretenden Unterschiede können nach W. auch durch Veränderungen der Zusammensetzung des Zellplasmas hervorgerufen werden. Der Apparat ist eine streng intrazelluläre Struktur, entspricht trotzdem vollkommen den kompakten Tropho- spongien Holmgren’s und ist mit dem bei Anuren von Reichenow beschriebenen Chromidialapparat identisch. Heidenhain’s Fila- mente wie auch die Granulationen Altmann’s (Mitochondrien Benda) befinden sich in den Zellen neben dem Golgi-Kopsch’- schen Apparat, haben auch nichts mit ihm Gemeinsames. Kulikowska, Z. Über den Golgi-Kopsch’schen Apparat in den Nervenzellen der Insekten. Der Golgi-Kopsch’sche Apparat wird hier zum ersten Male in den Nervenzellen der In- sekten beschrieben. Bei manchen Gattungen erinnert sein Bau an den Apparat in den Nervenzellen der Crustaceen, bei anderen bildet er ein dichtes Netz wie bei Wirbeltieren und Würmern. Einen besonderen Nachdruck legt K. auf das Faktum, dass bei Insekten der Apparat auch in den nervösen Ausläufer der Zelle eintritt und ihn auf ziemlich großer Strecke begleitet, was bisher weder bei den Wirbeltieren noch bei Wirbellosen konstatiert wurde. Oxner, M.Dr. Ein Versuch einer biologischen Analyse der Regenerationserscheinungen bei den Nemertinen. Auf Grund der Tatsache, dass irı Anfangsstadium der Regeneration blasige Auftreibungen unter dem Epithel auftreten, ähnlich den- Pütter, Vergleichende Physiologie. 195 jenigen, die der Verf. nach Einlegen der Würmer in Süßwasser erhalten hat, kommt O. zum Schluss, dass in beiden Fällen als Ursache eine Modifikation des osmotischen Druckes anzunehmen ist. Durch die Operation wird das chemisch-dynamische Gleich- gewicht des Stoffwechsels gestört, was eine Verstärkung des inneren Druckes verursacht und als primärer Reiz aller folgenden Regene- rationsphasen wirkt. Die Regeneration ist aber nicht nur von dieser Autoregulation abhängig, sondern auch von der Quantität und Qualität des Materials, das zum Aufbau des Ganzen verblieben ist und von der Polarisation der Schichtung. Der Rhythmus der Regeneration ist rascher an den transversalen als longitudinalen Flächen, wie auch an den vorderen transversalen Flächen als an den hinteren. Dr. K. Reis. A. Pütter. Vergleichende Physiologie. Gr. 8°. 721 Seiten. 174 Abbildungen. Jena, Gustav Fischer, 1911. Das vorliegende Buch scheint mir einer Besprechung gerade durch einen vergleichenden Anatomen wert, um so eher, als es leider nur zu häufig versäumt wird, -von Ergebnissen geistiger Arbeit eines Nachbargebietes gebührende Kenntnis zu nehmen. Die historisch begründete Trennung der Anatomie und Physiologie würde viel fruchtbarer, als sie es ist, geworden sein, wenn nicht die Fühlung zwischen beiden Forschungsgebieten so gering geblieben wäre. Seit jener Trennung ist, der ganzen Entwickelung nach, die Physiologie, als die jüngere Wissenschaft, bisher die lernende, empfangende ge- wesen; obwohl sie sich dessen nicht stets bewusst bleibt, wäre sıe doch nichts ohne ihre anatomischen Grundlagen. Auch das vor- liegende Buch ist, trotz der darin gelegentlich ausgedrückten minderen Bewertung anatomischer und histologischer Arbeiten, nur möglich gewesen durch die Existenz zahlloser anatomischer Vorarbeiten, deren ja auch der Verfasser wertvolle angestellt hat. Der Einfluss aber, den umgekehrt die Physiologie auf die Anatomie ausgeübt hat, ist zwar für exakt gestellte Spezialfragen bedeutend gewesen; nicht so sehr für die allgemeine Ausgestaltung der anatomischen Wissenschaften. Insbesondere ıst von einer Hilfe, die uns die Physiologie bei vergleichend-anatomischen Spezialfragen gewähren konnte, kaum die Rede Wo auch immer wir sie brauchen möchten: stets tönt uns das: „davon weiß man noch nichts“ — entgegen. Dies liegt unseres Erachtens daran, dass die Physiologie, sobald sie etwas anderes sein will als „Physiologie des Menschen‘, vorderhand kein Ziel hat, das alle Kräfte dieser Wissenschaft ent- fesselt; es fehlt eine große Idee, die für eine Zeit lang die Gedanken aller Forscher so erhebt, wie gegen Ende des vorigen Jahrhunderts der Darwinismus die Gedanken der Anatomen und Zoologen. Mancher denkt, dass allein die „Vergleichung“ schon ein wissen- schaftliches Prinzip sei. Gewiss ist sie eine Methode, die vor reiner 13* 196 Pütter, Vergleichende Physiologie. Beschreibung einiges voraus hat. Wissenschaftlich aber wırd die Vergleichung erst durch die Schlüsse, die wir ziehen, und Ideen, die unseren Schlussfolgerungen zugrunde liegen. Während die Anatomie seit hundert Jahren bereits wissenschaftlich vergleichen kann, ermangelt die Physiologie eines solchen Ideengebäudes. So- weit wir sehen, ist das Pütter’sche Buch das erste, das einen Ver- such macht, die Lebenserscheinungen der Tierwelt und Pflanzen- welt auf einige wenige, große, allgemeingültige Gesetze zurück- zuführen. Dies ist unter allen Umständen ein beachtenswertes Unternehmen, bei dem es nicht in erster Linie auf den Erfolg ankommt. Selbst ein Misserfolg wäre, in Anbetracht des neuen Zieles, von wissenschaftlichem Wert. Hier aber liegt ein in mancher Hinsicht recht erfolgreiches Werk vor, wenn auch ın vielen wesentlichen Punkten der Standpunkt des Verfassers zu be- kämpfen wäre. Wir wollen den Inhalt und Gedankengang kritisch untersuchen. Pütter gründet seine Schilderungen auf eine Vergleichung. Fragen wir, welche Aufgaben wir selbst als Morphologen etwa einer „Vergleichenden Physiologie“ zugewiesen sehen möchten. Dass es nicht ein einziges Vergleichsprinzip gibt, welches unabänderlich einer Wissenschaft zugrunde liegen muss, lehrt die Geschichte der Mor- phologie. Zu Goethe’s Zeit war die Morphologie keine historische Wissenschaft; sie war eher eine philosophische Wissenschaft im Sinne der Platonischen oder Schopenhauerischen Naturphilo- sophie. Goethe verglich, um aus der Vergleichung die. Entfaltung des Typus zu begreifen. Seine „Urpflanze* war keine „Stamm- form“ im Sinne der heutigen Morphologie. Heute ist das Prinzip der Abstammung und Entwickelung zum Fundament der Vergleichung geworden. Damit braucht die Entwickelung unserer Wissenschaft, wo ja alles in der Welt sich entwickelt, natürlich nicht für immer abgeschlossen zu sein. Die gegenwärtige Morphologie untersucht die Beziehungen der Organe zueinander. Eine befriedigende Kenntnis der Beziehungen der Organismen zueinander zu vermitteln, ist ihr noch nicht ge- lungen; primitive Organismen zeigen nicht in allen Teilen primitive Organe und jüngere nicht in allen Teilen jüngere Organe. Viel- mehr herrschen hier noch sehr dunkle Beziehungen, an deren Unter- suchung nur mit großer Vorsicht herangetreten werden kann. Die Entwickelung der Organe untersucht die Morphologie unter dem Gesichtspunkt der Vervollkommnung. Ihr gilt das Organ als das Vollkommenste, welches seine Funktion in möglichst viel Teil- funktionen zerlegt und an möglichst differente Organteile geknüpft, somit aufs ergiebigste gesteigert zeigt. Indem die vergleichende Anatomie den „Differenzierungen“ der Organisation nachgeht, löst sie die „Komplikation“ der Organismen auf; denn der kom- plizierteste Organismus ist der am wenigsten differenzierte. Die „vergleichende Physiologie“ könnte diesen Begriff der „Ver- vollkommnung“ nicht benützen. Für sie ist ja die Leistung und nicht die Form Objekt der Untersuchung. Hierbei aber zeigt sich Pütter, Vergleichende Physiologie. 197 sofort, dass jede Leistung unter allen Umständen vollkommen ist, sowohl an sich, als auch verglichen mit der gleichen Leistung anderer Wesen. Denn sie reicht ın jedem Falle hin, um das Leben des Wesens zu erhalten, ist auch nie „vollkommener“ als zu diesem Zwecke notwendig. Eine Stufenleiter der Vervollkommnung dar- zustellen, kann also nicht Aufgabe der vergleichenden Physio- logie sein. Das ganze Wesen des Organismus ist ja Zweckmäßigkeit. Zweckmäßigkeit ist nie geworden, sondern war seit je. Aber die Erhaltung des Zweckmäßigen, seine Existenz trotz aller Wand- lung an Form und Material, seine sinnreiche Anpassung an die Lebensäußerungen und Lebensbedürfnisse des Tieres zu untersuchen, das ist die Aufgabe, die wir gerade der vergleichenden Physiologie zuweisen möchten?). Eine solche Wissenschaft würde dann — ganz im Gegensatz zur vergleichenden Anatomie — nicht der Entstehung des Diffe- renten, sondern der Erhaltung des Komplizierten nachzu- gehen haben. Sie untersucht eine Lebensäußerung (z. B. die Atmung) in ihrer Gesamtheit, gleichviel, welche Organe sie sich dienstbar macht, bei den einzelnen Tierformen; zeigt, wie ın jedem Falle, trotz aller Wandlungen an Form und Material die Atmungsorgane dem Leben des Gesamtorganismus zweckmäßig eingeordnet Sind und lehrt, nach welchen Gesetzen es ım einzelnen Falle geschieht. Diese Gesetze liegen nicht nur in der Außenwelt, sondern in noch höherem Maße in der inneren Ökonomie und Harmonie jedes einzelnen Wesens. Die Harmonie jedes Wesens weiterhin liegt be- gründet in der Korrelation der Organe und — vielleicht ım höchsten Maße — in dem spezifischen Protoplasmamaterial des Individuums, der Rassen, Arten, Ordnungen, Klassen, Stämme. Könnten wir, was nicht der Fall ist, alle diese Einflüsse würdigen, messen, be- rechnen und in mathematische Formeln bringen, so würde sich mit der Notwendigkeit mathematischer Funktionen jeder Lebensprozess in seiner Bedingtheit begreifen lassen. Von solchen physiologischen Untersuchungen könnte dann die vergleichende Anatomie besonderen Nutzen ziehen, da sie von hier aus zur Beurteilung der Umwand- lung tierischer Formen vo orgehen könnte. Das Buch Pütter’s erweckt, weil es im Grunde ähnliche Auf- gaben verfolgt, Teilnahme. Es ist als aussichtsvoller Beginn ver- gleichend- phy siologischer Betrachtung zu begrüßen, so sehr manche Einzelheiten in ihm einen Widerspruch erwecken. Richten wir die Kritik zunächst aufs Allgemeine, so wäre es kleinlich, bei einem mit Begeisterung und "Liebe geschriebenen Werke zu fragen, ob es dem „Ideal“ einer vergleichenden Physio- logie ım skizzierten Sinne entspricht. Genug, dass es auf dem Wege zu diesem Ideale liegt. Die Anlage scheint mir glücklich, die An- ordnung fruchtbar. Pütter führt niemals Einzelheiten vor. Er 1) Vgl. die Schrift des Referenten: Bau und Entstehung der Wirbeltiergelenke, Fischer’s Verlag, Jena 1910, p. 6. us Pütter, Vergleichende Physiologie. | g y g untersucht die Ernährung, die Atmung, die Bewegung, den Kreis- lauf u. s. f. in ihrer allgemeinsten Form dort, wo sie sich in typischen Abhängigkeitsverhältnissen von übersehbaren Bedingungen finden und verfolgen lassen. Hierbei geht er meines Erachtens mit Recht auch auf die Physiologie der Pflanzen gründlich ein, weil dort die Lebensverhältnisse leichter-übersehbar sınd, als beim Tier. Die erwähnte Anordnung des Stoffes hat ihre Vorzüge und Nachteile. Als Vorzug habe ich es empfunden, dass recht hetero- gene Fragen dadurch nahe aneinander gerückt werden. Besonders aufgefallen ıst mir die Behandlung des Hungers an der gehörigen Stelle bei der Wirkung veränderter Bedingungen auf dem Stoff- wechsel, die Besprechung der Phagozytose, Konservierung der Nahrungsmittel, Nahrung ın der Natur etc. im Kapitel über die Ernährung, — die Behandlung der Cirkulation ım Kapitel über den Stoffaustausch, — die der Lebensdauer ım Kapitel über die Lebensbedingungen, — die Besprechung der Reflexe, Instinkte und Handlungen bei der Physiologie des Nervensystems. Wir finden in dieser Anordnung ohne Zwang Dinge in größeren Zusammen- hang gerückt, die wir gewohnt sind, eritweder ganz aus der Phy- siologie ausgeschaltet oder mehr isoliert behandelt zu sehen. In dieser geistvollen Kombination zusammengehöriger Vorgänge liegt ein Hauptvorzug des Buches. Neben diesen Vorzügen machen sich aber entschiedene Nach- teile bemerkbar. So vor allem die starke Verallgemeinerung der Vorgänge. Es wird das Spezielle in dem Pütter’schen Buche oft zu wenig gefasst. Das Gefäßsystem, die Säftezirkulation z. B., um mit das Auffälligste hervorzuheben, nımmt bei einem Buche von 700 Seiten nur 5 Seiten in Anspruch und auch hier noch mit Ein- schluss der Gefäßsysteme der Wirbellosen. Überhaupt ist in der Behandlung der einzelnen Kapitel große Ungleichheit zu bemerken. Die Ernährung ım weitesten Sinne nimmt mehr als die Hälfte des Buches ın Anspruch, von allen übrigen Lebensäußerungen keine mehr als 65 Seiten. Nicht etwa Mangel an Vollständigkeit — wie ausdrücklich bemerkt sei — ıst es, den wir hierbei beanstanden, sondern die ungleichmäßige Art der gesamten Behandlung des Stoffes. Wenden wir uns nach einer allgemeinen Würdigung des Buches einem speziellen Bericht darüber zu, so finden wir die gesamte Physiologie in 9 Kapiteln angeordnet. Das 1. Kapitel macht mit dem Substrat der Lebensvorgänge bekannt. Es werden die che- mischen Stoffe und physikalischen Kräfte geschildert, welche beim Aufbau des Körpers wirksam sind. Bemerkenswert ist, dass ein Abschnitt über die „Zelle“ nicht fehlt („Lebendige Substanz ist eine Abstraktion“). — Bei der Kürze dieses Kapitels werden physio- logisch wichtige Zellstrukturen übergangen (Centrosom); dabeı ist es nicht richtig, wenn der Autor meint, es sei zwar durch die Morphologie ein großes Material über Zell- und Kerndimensionen geliefert, neue leitende Gesichtspunkte aber über die Bedeutung der verschiedenen Dimensionen seien kaum entwickelt worden. — Es folgt das 2. Kapitel über den Stoffwechsel. Im Stoffwechsel sieht Pütter, Vergleichende Physiologie. 199 der Verfasser den eigentlichen Ausdruck des Lebens. Er unter- scheidet den Betriebs- und Baustoffwechsel. Als Einzelheit seien hervorgehoben die übersichtlich-orientierenden Bemerkungen über den Sekretstoffwechsel, wobei Gifte, Gerüche und Schmeckstoffe, Schleime, Wachs, Harz, Farbstoffe und Reservematerial allgemein behandelt wurden. Hinsichtlich der „geformten Sekrete“ ist zu be- dauern, dass die hier vorliegenden Tatsachen nicht eine gründlichere Beurteilung vom Standpunkte der Physiologie gefunden haben, da sie zweifellos lehren, dass gesetzmäßige innere Beeinflussungen der Interzellularsubstanzen von den Zellen her stattfinden, die nicht ledig- lich durch Oberflächenkräfte erklärbar erscheinen. Das ganze große Gebiet z. B. der Knorpelbildungen hätte hier Erwähnung verdient. Die aphoristischen Bemerkungen auf Seite 106 genügen selbst bei einem Abriss der vergleichenden Physiologie auch nicht annähernd. Das 3. Kapitel, welches die vergleichende Physiologie der Ernährung im ganzen behandelt, erregt durch die hierin vertretene Anschauung Interesse, dass Wassertiere ihr Nahrungsbedürfnis auch durch ge- löste Nahrung zu decken vermögen, und dass das Wasser als eine Nährlösung für diese Tiere aufzufassen sei. Der Gedanke, dass Tiere ohne das Eiweiß anderer Wesen leben, sich nur von den in Wasser gelösten Stoffwechselprodukten anderer Tiere nähren können, ıst neu und vielfach von Physiologen zurückgewiesen worden. Es liegt mir fern, ein Urteil über seine Berechtigung abzugeben; die Mor- phologie hat lediglich zu prüfen, ob die anatomischen Instanzen für diese Entscheidung gewissenhaft zu Rate gezogen sind. Was die Fische anbelangt, so ist dies nicht geschehen. Gerade auch nach den anatomischen Substraten zu urteilen, ist nämlioh die Ernährung der Knochenfische noch höchst dunkel. Eine Übereinstimmung zwischen Darmrelief und Darminhalt besteht nicht?). Die Ausdehnung des Plattenepithels in den Magen und Darm hinein geht oft sehr weit. Die ganze Frage nach der Phylogenese der Darmschleimhaut, insbeson- dere des Vorderdarms ist unbeantwortet). Die Bedeutung des Darm- rohrs für die Respiration und die Abstammung der Teleostier von Land- tieren kompliziert die Anschauungen, die wir von der Funktion des Fischdarms haben. Das von Pütter behandelte Problem ist ein solches, bei dem ohne weiteres klar wird, dass es nur durch innige Gemeinschaft anatomischer und physiologischer Methodik gelöst werden kann, während isolierte Behandlung hier wie dort zu halber Arbeit wird. So müssen wir in Anlehnung an die Seite 293 er- hobene Frage: „Ist es ‚wahrscheinlich‘, dass die Tiere wohlaus- gebildete ‚Fangapparate‘ und ‚Därme‘ haben, wenn sie sich mit gelösten Stoffen ernähren,“ vom anatomischen Standpunkte aus sagen, dass es bedenklich ist, von Därmen, wie es Pütter tut, fast nur in Gänsefüßchen zu reden. Es entscheidet die histologische 2) v. Eggeling, Dünndarmrelief und Ernährung bei Knochenfischen. Jenaische Zeitschrift 43. Bd., 1907, p. 417-529. 3 Tafeln. 3) Jacobshagen, Untersuchungen über das Darmsystem der Fische und Dipnoer. Teil I. Beiträge zur Charakteristik des Vorder-, Mittel- und Enddarms der Fische und Dipnoer. Jenaische Zeitschrift 47. Bd., N. F. 40. Bd. II0 Pütter, Vergleichende Physiologie. Beschaffenheit des „Darmes“: Insoweit er Muskulatur für die Peri- staltık, resorbierendes Epithel und Chylusgefäße hat, insoferne ihm Leber und Pankreas Sekrete zuführen — insoweit dient er der Verdauung und Aufnahme geformter Nahrung, ganz gleichgültig, ob das rechnerisch stimmt oder nicht. Inwieweit aber Rückbildungen am Fischdarm vorliegen und inwieweit die physiologischen Berech- nungen Pütter’s (die wir auf ıhre Richtigkeitweder prüfen können, noch wollen) durch gewisse Besonderheiten des Darmkanals der Teleostier wahrscheinlich gemacht werden könnten, das erfordert zunächst einmal eingehende tierphysiologische und histologische Prüfung. Ich erwähne z. B. die physiologisch noch immer unbekannte Bedeutung der Appendices pyloricae, deren feinerer Bau jüngst erneut gründlich untersucht worden ist?). Pütter berücksichtigt weiterhin nicht die Reservenahrung, die wachsende Tiere in ihrem Dotter mit sich tragen. So können sich Wachstumsvorgänge ohne Nahrungs- zufuhr beobachten lassen. Das wäre besonders gegen die Aufzucht der Daphnieneier einzuwenden, die Max Wolff vorgenommen hat. Der Nachweis, „dass es Tiere gibt, die ohne alle geformte Nahrung wachsen können“ (S. 288), ıst dadurch nur insoweit gebracht, als man weiß, dass dies eine Hühnerkeimscheibe auch kann. Dass die Tiere in reinem Leitungswasser starben, in solchem mit Elodea- Zweigen leben blieben, ist übrigens meiner Ansicht nach kein zweifelloser Beweis für die Ungiftigkeit des reinen Leitungs- wasser, ganz abgesehen von anderen Einwänden gegen diese Methodik. Zu den besten Teilen des Pütter’schen Buches ıst das 4. Ka- pitel über den Stoffaustausch zu rechnen. Für die rein mechanistische Beurteilung, die der Verfasser den Tatsachen durchweg angedeihen lässt, ıst dies das günstigste Gebiet, obwohl sie auch hier, z. B. bei der Abscheidung (p. 375) zugegebener Maßen nicht ausreicht. Gut sind die Darlegungen über die Resorption, den Stofftransport, die Resorptionswege, vor allem über die Gefäßsysteme bei Pflanzen und Tieren (soweit letztere herangezogen sind s. o.). Ein Eingehen auf den Stofftransport gefäßloser Gewebe (Knorpel) gründlicher als auf p. 367, wäre vorteilhaft gewesen, insbesondere, als z. B. einige Untersuchungen über den Stofftransport im Knorpelgewebe vor- liegen (trotz S. 366!). Eine Berücksichtigung der bei Wirbeltieren mannigfach vorkommenden Wundernetze und ıhres Mechanismus (Nieren!), auch der Gelenknetze, wäre vielleicht im Anschluss an S.378 möglich gewesen. Die Versicherung, dass „die Mechanik des Wirbeltierkreislaufs mit seinem vollständig geschlossenen Röhren- system... zu bekannt“ ıst, „als dass eın Eingehen darauf hier er- forderlich wäre* — ıst ım Hinblick auf Milz, Placenta und Blut- Iymphdrüsen doch nicht ganz zutreffend. Ein Eingehen hierauf, insbesondere auf die Placentarverhältnisse wäre um so mehr zu wünschen, als hier bei den verschiedenen Placentartypen die aller- mannigfachsten Wege der Ernährung vorliegen, die physiologisch so gut wie völlig ununtersucht sind. Ähnliches gilt z. B. für die Resorptionsverhältnisse des Schilddrüsensekrets und seine Über- führung in den Kreislauf. Pütter, Vergleichende Physiologie. 201 Im 6. Kapitel wird von den Energieumwandlungen gehandelt; auch die Bewegungsphänomene kommen dabei zur Sprache. Die speziellen Fragen der tierischen Lokomotion gelangen dabei weniger zu ihrem Recht. Das 7. Kapitel von den Reizen gehört zu den ansprechendsten Teilen des ganzen Buches. Auch das Kapitel der Sinnesorgane ist lehrreich und interessant. Doch sind hier vom morphologischen Standpunkte mehrere Einwände zu erheben. Ver- misst wird zunächst bei der Besprechung des Lichtsinnes die Be- rücksichtigung der Sonderstellung eines Gehirnauges (Vertebraten) gegenüber den Epidermisaugen hinsichtlich ihrer physiologischen Leistung); die Frage, ob Insekten Farben sehen, müsste noch kri- tischer behandelt werden. — Bei der Besprechung des „Gehör- sinnes“ wird der „Schweresinn“ vom Gehörsinn abgesondert, als seine Organe die Maculae des Sacculus und Utriculus be- schrieben. Trotzdem werden sie an anderer Stelle auch wieder als Bestandteile des „Gehörorganes“ in Anspruch genommen, denn Pütter schreibt den Fischen, obwohl sie des Homologons der Schnecke ermangeln, ein „Gehör“ zu. Was der Fisch etwa „hört“, kann ja eine ganz andere Empfindung sein als die unsrige beim Hören von Tönen. Die Qualität des adäquaten Reizes hätte gerade bei den vom 8. Hirnnerven innervierten Sinnesorganen gründ- licher diskutiert werden müssen, vor allem hätten dabei die leider gar nicht behandelten Sinnesorgane des 7. Hirnnerven und die Literatur ihrer Funktionen ın Betracht gezogen werden müssen’). Als Sinneshügel, eingesenkte Sinnesorgane und Sinneskanäle spielen sie bei Fischen und Amphibien eine große Rolle, sind auch ıhrem Bau nach den vom 8. Hirnnerven versorgten nahe verwandt (Cu- pula). Der ihnen allen adäquate Reiz ist die Erschütte- rung, sei es als Wasserströmung oder als unregelmäßige oder regelmäßig-rhytlimische Erschütterung in Wasser oder Luft°). Im Gegensatz zu dem Autor befinden wir uns endlich auch darin, dass wir doch lieber für eine Sonderung des Riechsinnes vom Geschmackssinn eintreten möchten, vor allem auf Grund des Baues dieser Sinnesorgane und ferner, weil Wassertiere zweifellos riechen und schmecken, wie auch Pütter selbst hervorhebt. Beides als einen einheitlichen chemischen Sinn zu fassen, ist selbst physio- logisch unzulässig, da Riechen und Schmecken nicht einmal analoge Vorgänge sind. Besser wäre es, die dunkle Physiologie des so um- fassenden Riechsinnes. wenn auch vorab nur hypothetisch, in ihren Besonderheiten abzugrenzen gegen den in seinen Wirkungen so eng begrenzten Geschmackssinn. Aus dem Kapitel über das Nervensystem sei hervorgehoben, dass Pütter die Neurofibrillen als Stützfibrillen, das Hyaloplasma dagegen als reizleitende Substanz ansieht. Die Gründe, die er dafür 4) Vgl meine Besprechung einer neuen Theorie der Licht- und Farbenempfin- dung nebst einem Exkurs über die stammesgeschichtliche Entstehung des Wirbel- tierauges. Morphologisches Jahrbuch Bd. 39, H. 1. 5) Vgl. meine Darstellung der vergleichenden Anatomie der Sinnesorgane der Wirbeltiere in der Sammlung Natur und Geisteswelt. S. 36 u. S. 71. Y)2 Pütter, Vergleichende Physiologie. anführt, sind folgende. 1. Nirgends kommt eine Neurofibrille ohne Hyaloplasma vor. 2. Beı Verkürzung der Nerven verkürzen sich die Neurofibrillen nicht. 3. Aus Neurogliazellen treten Fibrillen in Ganglienzellen ein. — Wir vermögen diese Gründe nicht als stich- haltig zu bezeichnen. 1. Da das Hyaloplasma trophische Bedeutung besitzt, kann es auch nirgends um die Fibrillen herum fehlen. 2. Sie können selbst als reizleitende Elemente widerstandsfähiger sein, als das Hyaloplasma. 3. Die Fibrillen sind bereits ab origine in den Zellen der Medullarplatte vorhanden (Mewes, Chondrio- konten), finden sich also später ın allen Zellen, Neuroblasten so gut wie Spongioblasten. Es lässt sich nicht ausschließen, dass sie in den Neuroblasten später zu reizleitenden Elementen werden, während sie ın den Spongioblasten eine andere, uns unbekannte Bedeutung besitzen oder ıhre ursprüngliche Bedeutung eingebüßt haben mögen. Mit der Mehrzahl der Anatomen und Physiologen stehen wir also gegen Pütter bis auf weiteres auf dem Stand- punkt, dass die Bedeutung der Fibrillen als stützende Elemente noch nicht als bewiesen anzusehen ist. Der hier kurz wiedergegebene Inhalt möge genügen, um den Umfang des Werkes zu kennzeichnen. Die kritischen Bemerkungen sollen, soweit sie sıch auf diese Kapitel beziehen, nicht ausdrücken, dass die Art der Behandlung selbst zum Widerspruch nötigte. Anders ist es mit dem 5. Kapitel, wo wir bei der Betrachtung der Lebens- bedingungen Anlass finden, einem grundsätzlichen Bedenken Aus- druck zu geben. Für die rein wissenschaftliche Behandlung der vergleichenden Physiologie ist es ohne eingreifende Bedeutung, nicht aber für unsere Auffassung vom Wesen des Lebendigen über- haupt. Das Kapitel behandelt die „Lebensbedingungen“. Nachdem die „äußeren“ Lebensbedingungen (Licht, Schwere, Wärme etc.) gewürdigt worden sind, geht Pütter zu den „inneren“ über. Von diesen sagt er selbst, dass ıhre völlige Analyse gleichbedeutend wäre mit der „restlosen Lösung des Problems der Physiologie“. Er gesteht aber gleichzeitig, dass wır von diesen dunkelsten Betätigungen der lebendigen Substanz „noch erstaunlich wenig wissen“ (S. 405). Hier hätten die Grenzen des überhaupt Erreichbaren wohl schärfer bezeichnet werden können. Nach unserer Ansicht liegt die unüber- windlicbe Schwierigkeit darin, dass jeder Organismus nicht etwa eine Summe von Teilen ist — denn deren gegenseitige Beeinflussung könnte man kausal erklären, unter anderem auch durch Hilfe des Experi- mentes — sondern eine unteilbare Einheit, ein Ganzes, das eher da ist als die Teile. Die „inneren Lebensbedingungen“ sind dann die Gesetze, welche das Ganze den Teilen auferlegt. Die rein mechanistische Behandlung der Probleme des Lebens versagt da, wo die Eigen- gesetzlichkeit des Individuums in Frage kommt. Pütter nennt diese Eigengesetzlichkeit der Individuen — die ich hier meinerseits weder mit „Entelechien“ noch „Dominanten“ verwechselt sehen möchte —, „Systembedingungen“, — ein Wort, welches Exaktheit vor- Pütter, Vergleichende Physiologie. 205 täuscht, aber doch vorab keiner exakten physiologischen Beurteilung zugänglich ist. Sagt er doch selbst, dass dieser Einfluss des Ganzen auf die Teile „nicht rein mechanisch aufzufassen“ (S. 428) — „bio- chemisch noch nicht näher definiert“ sei (S. 428). Dass es denn auch bei den zwei Problemen, die ım Anschluss an die Erörte- rung der „inneren Systembedingungen“ behandelt werden, über Worte nicht hinauskommt, lehrt die Darstellung (S. 413). Was soll es bei einer Untersuchung über die Bedeutung der geschlecht- lichen Differenzierung heißen, wenn wir zu dem Schluss gelangen, dass möglicherweise die geschlechtliche Differenzierung überhaupt kein physiologisches, sondern ein historisches Problem sei! Ist denn nicht auch das historisch Gewordene einmal physiologisch ver- ursacht gewesen? Auch die Betrachtungen über die Lebensdauer führen, so interessant und geistvoll sie sind, doch schließlich dazu: „dass wir nichts wissen können“. Denn das Ergebnis: „die System- bedingungen hemmen die Zellteilungen (S. 427), heisst doch nichts anderes, als was wir schon längst wissen: ım erwachsenen Indi- viduum teilen sich viele Zellen nicht mehr. — Der causa interna dieser aufgehobenen Teilungen sind wir damit nicht einen Schritt näher gekommen. Wir gelangen im Zusammenhang damit zu einer Beurteilung der Grundsätze, nach denen Pütter die physiologische Vergleichung der Organismen vornimmt. Dies ist das uns vornehmlich Angehende, wie wir es im 10. Kapitel seines Buches, welches von der „Vergleichung der Organismen“ handelt, dargestellt finden. Der Verfasser würdigt hier zunächst denjenigen Begriff, der im Gegensatz zur Homologie, dem Problem der Morphologie, das Problem der vergleichenden Physiologie bildet: den Begriff der Ähnlichkeit. Diese Erläute- rung ist wichtig und wertvoll. Der statischen Ähnlichkeit wird die dynamische gegenübergestellt. Nur diese letztere ist Objekt der Physiologie, welche es nicht mit Zuständen, sondern Vorgängen zu tun hat. Die Ahnlichkeit zweier Vorgänge ist dynamische Ahnlichkeit. Diese kann wiederum auftreten als mechanische oder als chemisch-kinetische. Die mechanische Ähnlichkeit ist Ahn- lichkeit der Leistung, bei Verschiedenheit von Form und Pro- portion. Ihre Einführung in die Physiologie kann sehr folgenreich sein. Es ist ein Begriff, den die Technik als Modellähnlichkeit kennt und der besagt, dass bei gleicher Leistung Modell und Maschine im Material verschieden sein müssen, weil bei gleichem Material die Maschine nicht das leistet, was das Modell vermag. Pütter vertritt die Ansicht, dass hierauf die Verschiedenheit des Materials der Stützsubstanzen und z. B. auch die Dicke und die gröbere und feinere Modellierung der Skelettelemente beruhe. Im allgemeinen neigt der Verfasser dazu, die Verschiedenheiten in der Ausbildung der Organismen als Funktionen der linearen Größe anzusehen und er sucht nach dem „Konstruktionsprinzip“ der Orga- nismen als nach derjenigen Eigenschaft, welche bei der so mannig- fachen Ausgestaltung der Organismen stets gleich bleibt. Er führt seine Deduktionen dann schließlich zu sehr verallgemeinerten Re- 204 Pütter, Vergleichende Physiologie. sultaten, denen wir hier nicht nachgehen wollen. _Es genügt, fest- zustellen, dass der Pütter’sche Versuch, eine Ähnlichkeitslehre der Organismen zu begründen, auf einem tief durchdachten Ge- danken beruht. Der Gedanke ist auch fruchtbar und neu; denn vorher hatte, bis auf Galilei (s. S. 686 bei Pütter) keiner daran gedacht, die Theorie der „Modellähnlichkeit* auf den Organis- mus anzuwenden. Aufschlüsse über das physiologische Verhalten der Tiere sind -—- so könnten wir Pütter’s Gedankengänge viel- leicht zusammenfassen — nicht zu gewinnen durch eine etwa der vergleichenden Anatomie angeschlossene vergleichende Prüfung der Funktionen der einzelnen Systeme und Organe. Tierphysiologie ist noch keine vergleichende Physiologie im Sinne einer selbständigen, mit eigenen Methoden arbeitenden Wissenschaft. Diese eigenen Methoden könnten möglicherweise im Sinne der Pütter’schen Dar- legungen ausgearbeitet werden, mit dem Ziele, die Leistungen der Organe als Funktionen irgendeines variablen Verhältnisses anzu- sehen. Insofern würde sich das Ziel, das Pütter sich gesteckt hat, mit dem recht nahe berühren, das ich selbst eingangs dieser Be- sprechung als solches bezeichnet hatte. Es ergeben sich daraus aber auch die Punkte, in denen vom morphologischen Standpunkte Be- denken entstehen gegen die Vernachlässigung der Erfahrungen der Morphologie, was ich schließlich doch ausdrücklich hervorgehoben haben möchte. Die in der Bildung begriffene junge Wissenschaft der vergleichenden Physiologie soll gewiss nicht mit den Methoden der vergleichenden Anatomie arbeiten, aber soll ihre Beobach- tungen sorgsam zu Rate ziehen. Geschieht dies, so ändert sich das Bild und es ergibt sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Lösung der Ähnlichkeitsprobleme nicht ganz mit der überein- stimmen dürfte, die uns der Ausblick am Schlusse des Pütter’- schen Buches zeigt. Zunächst ist zu betonen, dass es doch zweifellos wesentliche, und im Leben der Tiere tief begründete Eigenschaften gibt, die keinesfalls „Funktionen“ einer variablen Größe sind, etwa der Dimensionen des Körpers. Die Größe der Elementarteile hebt Pütter selber hervor. Es ist vorab nicht einzusehen, von welchen Gesetzen es abhängen solle, dass die Dipnoer, Crossopterygier und Amphibien größere Zellelemente besitzen, als die Selachier und Ganoiden. Auch die chemische Spezifität homologer Gewebe bei ver- schiedenen Tieren, auch die Anzahl der Chromosomen in den Kernen würde hierher gehören. Dazu kommen gröbere Verhältnisse, welche auf eine Eigengesetzlichkeit des Organismus hinweisen. Hierfür hat Eimer®) mehrere Beispiele angeführt, von denen ich das von den tippen hier in Erinnerung bringe. Eimer ist nicht der Ansicht, dass die Ausdehnung der Rippen halswärts und bauchwärts aus direkt einwirkenden Ursachen ausreichend erklärbar sei, etwa durch 6) H. Th. Eimer, Vergleichend-anatomisch-physiologische Untersuchungen über das Skelett der Wirbeltiere. Nach seinem Tode herausgegeben von Fickert und Gräfin von Linden. Leipzig 1901, S. 60ff. Pütter, Vergleichende Physiologie. 205 die Beziehung zur Extremität. Er nimmt vielmehr an, dass eine Beziehung zwischen Rippenausdehnung und Hautpanzerung be- stehe, etwa so, dass dem Organismus nur eine bestimmte Menge von Knochensubstanz zur Verfügung stehe, mit der er seine Skeletteile bilden könne, so, dass einer Stelle fehlen müsse, was an der anderen reichlicher ausgebildet werde. Gewiss: „Mystik“, aber darum nichts weniger Ausdruck der Tatsachen, als ihre scheinbare Begründung durch unzulängliche Ursachen. — Rauther’) liefert ein Ähnliches Beispiel, indem er die Ausbildung von Kolbenzellen der Haut bei Silurıiden in Abhängigkeit von der Ausbildung der epidermoidalen Hartgebilde gesetzt hat, derart, dass niemals beiderlei Differen- zıerungen der Epidermis gleichmäßig, sondern entweder Drüsen oder Panzerungen bestehen. — Ähnliche, keineswegs direkte Ur- sachen lassen sich annehmen für die Erklärung des Ausbildungs- grades von Magen und Coecum der Säugetiere, für das Verhältnis der Darmlänge zum Körper (z. B. Faultiere). Sie werden auch sonst noch vielfach bei der Vergleichung gefunden werden. Wenn Pütter die vergleichende Physiologie als „nomothetische“ Wissenschaft ausgebildet sehen will, so wird dies zweifellos für die wenn auch noch so verwickelten Beziehungen der Tiere eines Orga- nısmus zueinander möglich sein; das ıst trotz der Schwierigkeit der Aufgabe grundsätzlich zuzugeben, insbesondere in Anbetracht der heute vielfach angewendeten experimentellen Methoden. Was aber die Gesetzmäßigkeiten anlangt, mit denen die Individuen als (Ganzes auf ihre Teile einwirken, so sehen wir in den heutigen Me- thoden der Naturwissenschaft und überhaupt ın keinerlei uns be- kannten exakten Methoden einen Weg, sie zu erkennen (s. oben Eimer). Hier werden wır noch lange Zeit uns „ıdiographisch“ ver- halten und froh sein müssen über jeden Einblick, den wır ın die Erscheinungen dieser Gesetzmäßigkeit erhalten. Nur durch Ver- gleichung der entwickelten Formen in all ihren Lebensäußerungen und Gestaltbildungen unter normalen Lebensbedingungen können wir in der Beurteilung dieser tiefsten Probleme des Lebendigen weiter vordringen. Somit wird der Anschluss an die vergleichende Anatomie von der vergleichenden Physiologie der Zukunft nicht ohne Schaden aufgegeben werden können. Nur beide vereint werden vielleicht Goethe’s Gedanken von der „geprägten Form, die lebend sich entwickelt“, einmal weiter durchdenken. Was aber das Pütter’sche Buch ım Verhältnis zu diesem ıdealen /Zuele anbelangt, so möchten wir auch darin einen großen Erfolg erblicken, dass es einen größeren Leserkreis zu diesen ernsten Fragen anregen kann. Den Leserkreis wünschen wir ıhm sehr. Es ist sehr vieles daraus zu lernen. Jena, 5. Februar 1912. W, Lubosch. 7) M. Rauther, Einige Beobachtungen über die Hautdrüsen von Siluriden. Berichte der oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heilkunde 1907, S. S—-10, 306 Janson, Skizzen und Schemata für den zoologisch-biologischen Unterricht. O. Janson. Skizzen und Schemata für den zoologisch- biologischen Unterricht. Gr. 8°. IV und 468. 75 farbige Taf. Leipzig u. Berlin. B. G. Teubner. 1912. Die Bestrebungen, den biologischen Unterricht auf den höheren Schulen (humanistischen und Realgymnasien sowie Oberrealschulen) fruchtbringend zu gestalten, verdienen auch von den Fachvertretern gewürdigt zu werden, zumal viele von diesen als Hochschullehrer mit den auf jenen Anstalten vorgebildeten Studierenden zu tun haben. Das wird es gerechtfertigt erscheinen lassen, dass ab und zu Schriften, welche jenen Zwecken dienen, auch in diesem Blatte kurze Erwähnung finden. Der Verf. des vorliegenden Werkchens geht von der Erwägung aus, dass die Beschaffung von Beobachtungsmaterial, welches dem Schüler zum Zerlegen und Studieren in die Hand gegeben werden kann, im Gebiete der Zoologie viel schwieriger ist als. z. B. in der Botanik. Darum müsse hier die Zeichnung und Skizze in höherem Maße ergänzend eingreifen. Und deshalb hat er zusammngestellt, was nach seiner Meinung genügt, dem Schüler das Verständnis der Schul- vorträge zu ermöglichen. Der Stoff wurde so reichlich bemessen, dass der Lehrer auswählen könne, was ihm nach Zeit und anderen Umständen passend erscheint. Wenn wir auch im allgemeinen die Tendenz solcher Werke anerkennen, erscheint uns doch die Gelegenheit passend, eine Be- merkung über die Gestaltung der Lehrpläne jener höheren Schulen anzuknüpfen, welche für die Vorbildung der Schüler zu den höheren Studien von allgemeiner Bedeutung ist. Als man anfing, die allzu- große Vernachlässigung des naturwissenschaftlichen und mathe- matischen Unterrichts in den höheren Schulen zu beklagen, wurde dieser Unterricht zunächst rein mechanisch dem anderen, haupt- sächlich auf dem Sprachstudium aufgebauten, angefügt. Nach und nach wurde das Pensum erweitert. Jetzt glauben viele Lehrer, es sei ihre Aufgabe, den Schülern möglichst viele Kenntnisse aus den Gebieten der höheren Mathematik, der Chemie, Physik und der biologischen Wissenschaften beizubringen. Dabei wurde wohl ge- legentlich der alte, wohlbegründete Satz des Schulunterrichts: Non multa, sed multum, nicht genügend berücksichtigt. Jene Schulen sollen ja keine Fachschulen sein, sondern zu höheren Fachstudien verschiedener Art vorbereiten. Dafür dienen weniger eine Reihe von Einzelkenntnissen als vielmehr die Kenntnis gewisser Grund- prinzipien und diese werden besser an einer kleinen Anzahl gut- gewählter typischer Beispiele gelehrt. Freilich gehört zu solchem Unterricht viel höhere geistige Arbeit auf Seiten des Lehrers als für die Beibringung von Einzelheiten. Aber sie wird auch frucht- barer sein. Der Schüler wird durch solchen Unterricht etwas lernen, was er vor allem auf die Universität mitbringen soll: er wird lernen zu lernen. Wird dieses Ziel ins Auge gefasst, so werden auch die Klagen der Hochschullehrer aufhören, welche man jetzt vielfach hört, dass die angehenden Studierenden glauben, sie könnten Weichardt, Jahresbericht über die Ergebnisse der Immunitätsforschung. 907 in den Vorlesungen nichts mehr lernen; sıe wüssten das ja alles schon, und dass sie darum nachlässig werden. Dem Lehrer, welcher das vorliegende Büchlein für den Unterricht benutzt, wäre also zu raten, dass er aus dem gegebenen Material eine kleine, passende Aus- wahl trifft, dafür aber um so mehr sich bemüht, seinen Schülern eine klare Vorstellung davon zu übermitteln, was eigentlich das Wesen tierischen Lebens ausmacht. Und dasselbe gilt auch mutatis mu- tandis von den anderen Unterrichtsfächern sowohl auf naturwissen- schaftlichen wie auf anderen Gebieten. Das würde sowohl der allgemeinen Bildung als auch der Vorbildung zu den Fachstudien zugute kommen. R. Jubiläums-Katalog der Verlagsbuchhandlung Wilhelm Engelmann in Leipzig. Gr. 8°. II u. 447 Seiten. Mit Tafeln und Faksimilebeilagen. Leipzig 1911. Druck von Breitkopf & Härtel. Wenn wir von diesem Katalog hier eine kurze Anzeige bringen, so rechtfertigt sich das durch die hervorragende Bedeutung, welche die berühmte Verlagsanstalt für die biologischen Wissenschaften hat. Sind doch durch sie zahlreiche Werke der bedeutendsten Vertreter biologischer Wissenschaften und einige der hervor- ragendsten Zeitschriften herausgegeben worden. So wird dieser Band nicht nur durch den historischen Teil Interesse erregen, der so manche kulturgeschichtlich bemerkenswerte Einzelnheiten bringt, sondern die Durchsicht des Verlagskatalogs wird auch zeigen, ein wie großer Schatz naturwissenschaftlicher Erkenntnis, besonders im Gebiet biologischer Wissenschaften, durch Vermittlung der Engel- mann’schen Buchhandlung ans Licht gefördert worden ist. J.R. Jahresbericht über die Ergebnisse der Immunitätsforschung. Herausgeg. von W. Weichardt. VI. Bd. 1910. 2 Bände: Abt. I. Ergebnisse 307 S. Abt. II. Bericht 668 S., gr. 8°. Ferd Enke, Stuttgart 1911. Der Jahresbericht, über den wir hier wiederholt berichtet haben, ist weiter in der nun schon bewährten Form ausgebaut worden. Der erste Teil enthält Sammelreferate und kürzere Monographien über einzelne besonders aktuelle oder zu einem vorläufigen Ab- schluss gelangte Fragen, z. T. von Forschern, die an ihrer Klä- rung hervorragend mitgearbeitet haben. Diese Aufsätze sind nach Umfang, Art der Darstellung und Interesse für weitere Kreise naturgemäß außerordentlich verschieden! Von den vorliegenden seien hervorgehoben: R. Pfeiffer: Über Bakterienendotoxine und ihre Antikörper; Ulrich Friedemann: Anaphylaxie; K. Land- steiner: Wirken Lipoide als Antigene? Der zweite Teil enthält die gesamte Literatur des Jahres 19!0 in Titeln und in allen wichtigeren Fällen mit Referaten wechselnden US Hartmann, Die Konstitution der Protistenkerne etc. Umfanges; es ıst eine große Leistung des Herausgebers und der .” OS, I D oO ” Mitarbeiter, dass er schon ?/, Jahre nach Abschluss des Berichts- jahres erscheinen konnte. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre sind ın größerer Gleichmäßigkeit der Referate und ausführlicherem Register verwertet. So ıst das ganze Werk ebenso nützlich geblieben = O, . . . > . ER . Oo . für jeden, der sich in seinem Gebiet über allgemeine oder Einzel- Ä ’ : n 5 : I EN ee fragen unterrichten wıll, wie die früheren Jahrgänge, die sich rasch einen großen Kreis erworben haben. W. Rosenthal. Max Hartmann. Die Konstitution der Protistenkerne und ihre Bedeutung für die Zellenlehre. Jena 1911, Gustav Fischer, gr. 8°, 54 S., 13 Abb. im Text. Die Fülle neuer Beobachtungen über den Bau, die Funktionen, die Teilung der Kerne bei den sogen. „einzelligen“ Lebewesen im letzten Jahrzehnt, hat für die Forscher, die diesem Gebiet etwas ferner stehen, etwas verwirrendes; und noch mehr der daraus folgende Umstand, dass neue Bezeichnungen, neue Theorien durch sie hervorgerufen sind und ın den modernen Untersuchungen dieses (rebiets eine große Rolle spielen: Theorien, die auch auf die Vor- stellungen von dem Bau der Metazoenzelle zurückwirken. Die kleine Schrift von Hartmann, die einen Vortrag auf dem Zoologen- kongress in erweiterter Form bietet, ist sehr geeignet, einen Über- blick über diese neuen Tatsachen und die neuen Probleme zu bieten; so sehr die persönlichen Meinungen des Verf. darin voranstehen, so objektiv wird doch auch auf die Möglichkeit anderer Auffassung der Beobachtungen hingewiesen. Zu einem genaueren Referat eignet sich das Schriftchen nicht, weıl es selbst ein sehr konzises Referat darstellt, um so mehr aber kann sein Studium anempfohlen werden. W.R. Ferienkurse Jena. Vom 5.—17. August 1912. (Für Damen und Herren.) Es werden im ganzen mehr als 50 verschiedene Kurse gehalten, meist zwölf- stündige. Naturwissenschaftliche Abteilung: Naturphilosophie; Botanik: bo- tanisch-mikroskopisches Praktikum ; Zoologie ; zoologisches Praktikum ; Astronomie; Geologie; Chemie; Physik; Physiologie; physiologische Psychologie. Ferner sei auf die pädagogischen, literaturgeschichtlichen, religionswissen- schaftlichen und staatswissenschaftlichen Kurse hingewiesen. Ausführliche Programme sind kostenfrei durch das Sekretariat der Ferien- kurse (Jena, Gartenstraße 4) zu haben. Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K.7Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXXII. 0. April 1912 A 4. Inhalt: Winkler, Untersuchungen über Pfropfbastarde. — Escherich, Von der Baukunst der Ter- miten. — Rüschkamp, Eine neue natürliche rufa-fusca-Adoptionskolonie. — Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen (Schluss). — Küster, Die Gallen der Pflanzen. — Schreiner, Kurze Bemerkung zur Frage von der Bedeutung des Kerns und des Zelleibes als Erblichkeitsträger. — Kapterew, Uber den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. — Höber, Physikalische Chemie der Zelle und d r Ge- webe. — Jaekel, Die Wirbeltiere. — Adamovic, Die l’fianzenwelt Dalmatiens. — Brehm's 'Tierleben. H. Winkler. Untersuchungen über Pfropfbastarde. Erster Teil. Die unmittelbare gegenseitige Beeinflussung der Pfropfsymbionten. Jena, G. Fischer, 1912. 186 S. mit 2 Abb. im Text. Das Winkler’sche Buch stellt den ersten Teil eines umfassen- den Werkes über Pfropfbastarde dar. Es sucht durch den Nach- weis, dass eine spezifische Beeinflussung von Reis und Unterlage nicht stattfindet, eine sichere Grundlage für die Darlegungen des zweiten und dritten Teiles zu schaffen. Im zweiten Teile sollen die bisherigen Erfahrungen über die als „Chimären“ erkannten älteren und von Winkler erzielten neuen Pfropfbastarde nieder- gelegt und im dritten sollen die durch vegetative Zellverschmelzung erzeugten Mischlinge oder „Burdonen“, wie sie Winkler nennt, behandelt werden. Über die letzteren ist bisher nichts bekannt geworden, doch hält der Verf. an ıhrer Existenz fest, und man darf wohl aus dieser Disposition entnehmen, dass er sichere Unterlagen für seine Auffassung besitzt. — Im Eingang gibt Winkler einige Definitionen, die theoretisch gestützt werden. Die wichtigste lautet: „Bastarde sind Organismen, deren Eltern verschiedenen systematischen Einheiten angehören.“ Unter diese Definition fallen auch die Pfropfbastarde. Die sexuelle Grundlage wird als Definitionsfaktor ausgeschaltet. Unterbegriffe sind dann sexuelle Bastarde und Pfropfbastarde. Letztere wieder XXXIL 14 210 Winkler, Untersuchungen über Pfropfbastarde. werden in Modifikationsbastarde, Chimären und Burdonen eingeteilt, entsprechend den drei Teilen des geplanten Werkes. Beeinflussungs- oder Modifikationsbastarde sind definionsgemäß „solche Mischlinge, die durch eine dauernde spezifische Veränderung des Reises durch die Unterlage oder der Unterlage durch das Reis entstehen“. Beeinflussungen, die das Zusammenleben der Pfropf- symbionten nicht überdauern, kommen also als Beweise für das Vorkommen von Modifikationsbastarden nicht in Frage. Und doch beziehen sich die bei weitem meisten Literaturstellen, die für eine spezifische Veränderung von Reis oder Unterlage durch den anderen Komponenten sprechen sollen, nur auf Erfahrungen, die während des Zusammenlebens beider Teile gemacht worden sind. In allen diesen Fällen gelingt es Winkler leicht, zu zeigen, dass von einer wirklichen spezifischen Veränderung keine Rede sein kann, dass vielmehr nur Modifikationen vorliegen, die durch die veränderten Ernährungsbedingungen des Reises bewirkt werden. Sie können meist in ähnlicher Weise auch ohne Pfropfung durch besondere Kulturbedingungen hervorgerufen werden, d.h. die meisten sogen. Pfropfmischlinge sind gewissermaßen Standortsmodifikationen. Dem- entsprechend können die so bedingten Veränderungen ebensowohl eine Annäherung an Eigenschaften des betreffenden anderen Pfropf- symbionten wie das entgegengesetzte oder auch ganz davon unab- hängige Umformungen bewirken. Das vorgeführte Material entstammt größtenteils den Veröffent- lichungen der Züchter und dürfte kaum sonst in solcher Fülle zu- sammen zu finden sein. Winkler zeigt aber von Schritt zu Schritt, dass den wenig kritischen Darstellungen nicht zu trauen ist. Dieser negative Charakter des Buches macht die Beschäftigung mit dem Stoffe etwas eintönig. Man darf wohl annehmen, dass der zweite und dritte Teil beträchtlich interessanter werden. In dem vor- liegenden Teile ist die Behandlung des Problems der morphogenen Wirkung übergewanderter Stoffe wohl das anziehendste. Es werden hier „Gallen, Deformationen durch Parasiten, Einfluss der Wirts- pflanze auf die spezifische Gestaltung des Parasiten, Flechten“ ab- gehandelt. Freilich stehen diese Dinge nur in mittelbarem Zu- sammenhange mit dem Hauptproblem, doch ist ihre Darstellung sehr anregend. Uber die „Beeinflussung der Nachkommenschaft des einen Pfropfsymbionten durch den anderen“ liegen gar keine kritischen Untersuchungen vor. Die negativen Erfahrungen an dem Reise selbst können auch kaum zur experimentellen Behandlung dieses Problems verlocken. Das Hauptresultat der Untersuchung ist die völlige Unabhängig- keit des spezifischen Stoffwechsels und Charakters der Pfropf- symbionten, und man kann wohl sagen, jeder lebenden Zelle, von den äußeren Umständen, mögen diese scheinbar auch noch so tief in das Lebensgetriebe eingreifen. Ernst G. Pringsheim, Halle. Escherich, Von der Baukunst der Termiten. 3 Von der Baukunst der Termiten. Von Prof. K. Escherich. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Termiten bezüglich der Baukunst eine der höchsten Stellen im Tierreich einnehmen; dafür sprechen nicht nur die Größe, Festigkeit und innere Einrichtung ihrer Burgen, sondern auch die Sauberkeit der Ausführung und nicht zum wenigsten ihre Bau- methode. Einen die letztere be- sonders illustrierenden Fall, der meines Erachtens großes psycho- logisches Interesse beansprucht, beobachtete ich im vergangenen Jahre in Ceylon!). Es handelte sich darum, zwei Königinnen, die ich mit zahlreichem Volke (Termes obscuriceps Wasm.) ın ein künstliches Nest (zwischen zwei Glasplatten) gesetzt hatte, einzumauern. Dabei wurde folgen- der Weg eingeschlagen: Rings- herum um die beiden Königinnen bildeten sich in gewissen Ab- ständen Gruppen von Soldaten, welche die Köpfe gegeneinander und zugleich aufwärts gerichtet hielten, ständig mit den Fühlern in der Luft herumpendelnd. Nun kamen Arbeiter, die ın den von den Soldaten umstellten Plätzen Einmauerung zweier Königinnen. — Sche- Pfeiler zu errichten begannen. matische Darstellung des Bauens per con- Erdklümpehen wurde auf Erd- fluentiam. Es werden zuerst zahlreiche klümpchen gehäuft und so ent- voneinander getrennte Erdpfeiler eırichtet, . . . die durch allmähliche Verbreiterung mit- standen im ganzen Umkreis ın einander in Verbindung treten. Die um einem gewissen (nicht überall die Pfeiler gruppierten Termiten sind Sol- gleichen) Abstand von den Lei- daten, welche die Arbeiten bewachen. bern der Königinnen zahlreiche kleine Türmcehen, die ungefähr im gleichen Schritte in die Höhe wuchsen (s. Figur). Dann ging man daran, die Pfeiler immer ın der Richtung gegen die benachbarten zu verbreitern, bis sie schließ- lich zusammenstießen. Am nächsten Morgen waren die beiden Königinnen von einem gemeinsamen kontinuierlichen gleichförmigen Wall umschlossen, welcher vom Boden des Nestes bis zur Decke l) Siehe auch mein Buch „Termitenleben auf Ceylon“ (Jena 1911), p. SI— 59. 14" 319 Escherich, Von der Baukunst der Termiten. reichte und nur am Grunde eine Reihe Löcher, Tore zum Ein- und Ausgehen, aufwies. Wer das Bild geschaut, musste den Eindruck haben, dass die einzelnen Gruppen unabhängig voneinander arbeiteten; denn die Abstände waren relativ groß und auch die Gruppen von Soldaten und Bauarbeitern schienen sich gar nicht um die Nachbarn zu kümmern. Und dennoch muss ein psychischer Zusammenhang zwischen ihnen vorhanden gewesen sein, sonst würde ‚nun und nimmer als Endresultat ein so einheitlicher und gerade (d. h. ohne unnötige Ausbuchtungen etc.) verlaufender Wall entstanden sein. Es hatte geradezu den Anschein, als ob das Bauwerk vorher genau abgesteckt worden wäre. Jedenfalls haben wir hier eine sehr vorteilhafte, d. h. rasch zum Ziele führende Art des Bauens vor uns, die zweifellos einen sehr komplizierten Instinktmechanismus erfordert. Um dieses her- vorzuheben, habe ıch für diese Art des Bauens die Bezeichnung „Bauen per confluentiam durch Interposition“* (im Gegen- satz zum „Bauen per continuitatem durch Apposition*) eingeführt. Eine psychische Analyse der dabei sich abspielenden komplizierten Vorgänge zu versuchen, habe ich unterlassen, aus dem einfachen Grunde, da ich nicht imstande war, eine befriedigende Erklärung zu geben. Inzwischen hat Wasmann?) sıch des Falles angenommen. Er meint, wenn ich der Sache etwas tiefer auf den Grund gegangen wäre, so wäre eine brauchbare Erklärung durchaus nicht so schwierig gewesen, zumal bei den Ameisen eine ähnliche Bauweise vor- liege. Das psychische Element, das die Einheit des Zusammen- wirkens bedingt, sei hauptsächlich der Nachahmungstrieb, indem das am eifrigsten arbeitende Individuum auch die meisten Nach- folgerinnen beı ıhrer Arbeit hat. Wir brauchten nur viele gleich- gesinnte und gleichgestimmte Köpfe anzunehmen. „Und diese gleiche Sinnesrichtung und Triebstimmung wird eben dadurch be- wirkt, dass die einzelnen Individuen ähnlich veranlagt sind und deshalb auf die äußeren Einflüsse ın ähnlicher Weise reagieren und endlich auch durch ıhr Mitteilungsvermögen ihre Stimmungen gegen- seitig aufeinander übertragen und dadurch den Nachahmungstrieb zu ‚gemeinsamem Handeln‘ anregen.“ Dieser Erklärungsversuch Wasmann'’s ist meiner Ansicht nach nicht ganz befriedigend. Denn auf den wichtigsten Punkt in dem oben beschriebenen Fall geht er gar nicht ein, nämlich darauf, wie die ver- schiedenen Arbeitsgruppen dazu kommen, die Pfeiler an solchen Stellen zu errichten, dass durch ihre Verbindung Ai 2) Wasmann, E., K. Escherich, Termitenleben auf Ceylon. In: dieser Zeitschrift, 1911, p. 409, 410. Rüschkamp, Eine neue natürliche rufa-fusca-Adoptionskolonie. 315 eingerader Wall entstand. — Dass der Nachahmungstrieb eine große Rolle beim Bauen der sozialen Insekten spielt, wird niemand leugnen; in unserem Falle aber musste zudem Nachahmungstrieb noch etwas hinzukommen, wodurch die nachahmenden Arbeiter und Soldaten angewiesen wurden, ihre Arbeit gerade an dieser oder jener Stelle zu beginnen. Ohne dem (durch Nachahmung allein) können wohl eine Anzahl ähnlicher Pfeiler und Türmcehen aufge- baut werden, doch werden dieselben dann regellos nebeneinander stehen oder jedenfalls nicht in so bestimmter Weise gegeneinander gerichtet sein, wie es bei dem Aufbau des genannten Walles der Fall war. Der Bau von Nestkuppeln etc. lässt sich wohl eher in der Hauptsache durch Nachahmungstrieb verstehen, indem hier eın- fach in der Ausdehnung des unterirdischen Nestes da und dort kleine Türmehen entstehen, die später zusammenfließen. In dieser Beziehung stehen sich auch Ameisen und Termiten gewiss ziemlich nahe. Der obige Fall von der Einmauerung der Königinnen stellt jedoch entschieden eine höhere Stufe der Baukunst dar, die bis jetzt meines Wissens bei Ameisen noch nicht konstatiert ist. Vielleicht wird man aber jetzt, nachdem einmal auf diese Bau- methode aufmerksam gemacht ist, auch bei Ameisen Ähnliches finden?). Eine neue natürliche rufa-fusca-Adoptionskolonie. Von F. Rüschkamp S. J. (Aus dem biolog. Institut Valkenburg, Holland.) Schon wiederholt wurden von Wasmann, Emery, Wheeler, Brun und neuerdings noch von Reichensperger Mitteilungen über natürliche bezw. künstliche Adoptionskolonien veröffentlicht. Da aber die Frage der abhängigen Nestgründung bei Ameisen bio- logisch und psychologisch noch manches Dunkel enthält und die wenigen vorliegenden Berichte durch neue Forschungen möglichst ergänzt werden müssen, dürfte eine eingehendere Besprechung einer neuen natürlichen rufa-fusca-Adoptionskolonie nicht ohne Inter- esse sein. Am 6. Juni 1911 durchforschte ich bei Alt-Valkenburg (Holl.- Limburg) eine ältere, ziemlich starke rufa-Kolonie nach myrme- kophilen Coleopteren und Hymenopteren. Der für die nieder- ländische Fauna neue Xantholinus atratus Heer, dessen Larven, 3) Was die übrigen von Wasmann kritisierten Punkte meiner letzten Ter- mitenarbeit betrifft (z. B. die Funktion der kleinen Soldaten von Termes bellicosus als Polizei ete.), so möchte ich die Entscheidung darüber der künftigen Termiten- forschung, die ja erfreulicherweise gegenwärtig mit einem bisher unbekannten Eifer am Werke ist, überlassen. 914 Rüschkamp, Eine neue natürliche rufa-fusca- Adoptionskolonie. 4 Spezies interessanter Mikrohymenopteren u. s. w. waren das Er- gebnis. Im dichten jungen Eichengestrüpp und Heidekraut ringsum fanden sich keine Zweigkolonien von rıfa, wohl aber ca. 20 m ent- fernt eine schwache fasca-Kolonie, und in ihrer Mitte eine flügel- lose rufa-Königin. Die Brut war spärlich, bestand aus erwachsenen Larven und Arbeiterkokons, die von fusca-Arbeiterinnen eiligst ge- borgen wurden. Eierklumpen waren keine vorhanden. Von einem fusca-Weibehen war nichts zu entdecken. Um das rufa-Weibchen kümmerten sıch die Arbeiterinnen nicht, während sie doch sonst bei drohender Gefahr ihre Königin an den Kiefern ergreifen und mit sich fortziehen. P. Wasmann, dem ich am gleichen Tage den Fund mitteilte, riet mir, durch Aufzucht die Frage zu entscheiden, ob das Stadium 1 oder Stadium 2 einer gemischten Kolonie vorliege. Da die mit- gebrachten Kokons für fusea reichlich groß, für die erste Brut von rufa aber hinreichend groß waren, ließ sich aus dem Nestbefund allein die Frage nicht mit Sicherheit entscheiden. Ich lasse kurz die hier ın Betracht kommenden Tagebuchnotizen über die Auf- zucht folgen. 6. Juni 1911. Aus rufa-fusca-Kolonie in einem Glastubus mit- gebracht: 1 rufa-Weibchen, 4 fusca-Arbeiterinnen, 5 Arbeiterkokons. 10. Juni. Die fusca-Arbeiterinnen und rıfa-Weibchen im Glas- röhrchen befinden sich wohl. Das Weibchen wird weder angegriffen noch besonders gepflegt. Es beteiligt sich an der Pflege der Kokons, indem es dieselben hin- und herträgt. —- Anschluss des Gläschens an ein Lubbocknest. 11. Juni. Übersiedelung ins Lubbocknest vollzogen. 13. Juni. Einer der 5 Kokons ıst geöffnet. Eine frisch aus- gekrochene frrsca-Arbeiterin läuft mit den 4 Arbeiterinnen im Neste umher. 14. Juni. 4 frisch entwickelte, noch graue fasca-Arbeiterinnen — sämtlich große Exemplare — sind heute morgen nebst der gestern ausgeschlüpften Arbeiterin und den 4 alten, großen fusca- Arbeiterinnen im Lubbocknest sichtbar; zusammen 9 Arbeiterinnen. 22. Juni. Heute sind die ersten Eierklumpen des ruıfa-W eib- chens vorhanden. Von den weiteren Aufzeichnungen ist hier vielleicht nur noch von Interesse, dass zur Verstärkung der kleinen Kolonie am 10. Juli 13 bedeckte und 26 unbedeckte fremde frsca-Arbeiterpuppen in ein Vorglas gegeben und bald nachher adoptiert wurden. Die fusca, die aus den Puppen kamen, waren bedeutend kleiner als die ur- sprünglichen 9 frsca-Arbeiterinnen. Kine weitere Adoption (21. Juli) von ca. 20 fusca-Kokons vollzog sich in einem Tage und ergab große fusca-Arbeiterinnen, so dass küschkamp, Eine neue natürliche rufa-fusca-Adoptionskolonie. 215 die ursprünglichen Arbeiterinnen nicht mehr von diesen zu unter- scheiden sind. Die Eierklumpen vom 22. Juni wurden bald nach der ersten Verstärkung der Kolonie aufgefressen. Vom 22. Juli bis 3. August wuchs die Zahl neuer Eierklumpen, die aber leider bis zum 24. August wieder alle aufgefressen wurden. Im November (seit dem 15.) und anfangs Dezember eine große Anzahl neuer, jetzt eifrig gepflegter Brut. 25. Januar 1912. Stärke der Kolonie: ca. 50 fusca-Arbeiterinnen, Zahlreiche rufa-Larven. Diese Ergebnisse der Aufzucht erlauben den Fund vom 6. Juni also zu deuten: Die feusca-Kolonie war sehr schwach (unter 70 Arbeiterinnen); sie war ferner alt, da die Arbeiterinnen von Maximalgröße waren. Sämtliche Brut im Neste war erwachsene fusca-Brut. Weder von Eierklumpen noch von einer fusca-Königin fand sich eine Spur. Aus dem gänzlichen Fehlen von Eierklumpen und junger Brut können wir schließen, dass bei der Adoption kein fusca-Weibchen sich vorfand. Es handelt sich also nicht um eine gewaltsame Be- seitigung eines fusca-Weibchens durch die fremde Königin, wie dies von Wasmann beobachtet wurde), sondern um die Adoption einer rufa-Königin in einer weisellosen, alten, aussterbenden fusca-Kolonie. Das rwfa-Weibchen wurde wahrscheinlich beim Hochzeitsfluge versprengt und konnte in dem dichten Heidekraute trotz der relativen Nähe von 20 m nicht von Arbeiterinnen der Stammkolonie aufgefunden werden. Beim Auffinden der rufa- fusca-Kolonie am 6. Juni 1911 war die Adoption erst im Gange, wie das indifferente Verhalten der fasca-Arbeiterinnen und die Beteiligung der r«fa-Königim: an der Pflege der fusca-Brut be- weist. Rufa-Brut war noch keine vorhanden. Also handelte es sich um ein sehr frühes Stadium 1 einer natürlichen rwfa-fusca- Adoptionskolonie. Ein solches wurde meines Wissens bisher noch nicht gefunden. Über das Zustandekommen der Adoptionskolonien bei Ameisen liegen — wie bereits gesagt — noch wenig Beobachtungen vor. Vielleicht würden sich zur Vermehrung des Materials Versuche ın freier Natur an künstlich weisellos gemachten Kolonien empfehlen. Auch die weitere Frage aus dem Kapitel der Koloniegründung bei Ameisen, nach on Gesetzen und Verhältnissen der Übergang von selbständiger Koloniegründung zur fakultativen oder Eh en Abhängigkeit von Arbeiterinnen eigener oder fremder Art sich voll- zieht, ist erst im Beginn ihrer Erledigung. Und doch sind diese bionomischen Fragen für das Problem der Instinktentwickelung 1) Biol. Centralbl. 1909, S. 684. {6 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. von anerkannter Wichtigkeit, und ihre Lösung auf Grund reichen Tatsachenmaterials verspricht für die vergleichende Tierpsychologie und die Entwickelungstheorie wertvolle Lichtblicke. Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen, mit besonderer Berücksichtigung der Phylogenese des sozialen Parasitismus und der Dulosis bei Formica. Von Dr. med. Rudolf Brun, z. Zt. Assistent am Kantonsspital in Glarus. (Schluss.) 4. F\ sanguinea. Um die Aufklärung der Koloniegründungsverhältnisse bei F. san- guinea hat sich H. Viehmeyer ganz besonders verdient gemacht: Nachdem dieser Forscher zunächst experimentell festgestellt hatte, dass auch die Weibchen der europäischen „Raubameise“ ihre Kolo- nien ganz wie die nordamerikanische Rasse raubicunda von Wheeler durch Puppenraub als primäre Raubkolonien gründet °!), kam er auf Grund seiner weiteren, sehr schönen Beobachtungen ’?) zu dem Ergebnis, dass bei #. sangıinea mindestens drei Arten von Kolonie- gründung angenommen werden müssen, nämlich: 1. durch Puppenraub (primäre Raubkolonie), 2. durch Adoption bei fusca (primäre Adoptionskolonie) und 3. durch Allianz mit einer Frrsca-Königin, die später — sobald sie der Räuberin die nötigen Hilfsameisen geliefert hat, von derselben umgebracht wird (primäre Allianzkolonie). An dieser Stelle möchte ich nun noch auf einige weitere Mo- mente aufmerksam machen, die Viehmeyer bei Aufstellung seiner phylogenetischen Schlussfolgerungen völlig übersehen zu haben scheint, obschon sie m. E. für die ganze Frage der phylogenetischen Stellung von F. sanguinea von ausschlaggebender Bedeutung sınd. Zwei dieser Momente hat Wasmann°”) schon 1908 hervor- gehoben und mit Recht auf die vollkommene Analogie hingewiesen, die sangwinea darin mit rafa verbindet: Ich meine die ausge- sprochene Neigung auch dieser Art zur Zweigkolonie- bildung und zweitens die damit im Einklang stehende experi- mentell erwiesene Tatsache, dass auch junge Sanguinea-Weib- 3l) Viehmeyer, Zur Koloniegründung der parasitischen Ameisen. Biol. Centralbl. 1908, Nr. 1. 32) Viehmeyer, Beobachtungen und Experimente zur Koloniegründung von Formica sanguinea Latr. Zeitschr. f. wissensch. Insektenbiologie 1909, 8. 355 und 390. — Ontogenetische und phylogenetische Betrachtungen über die parasitische Koloniegründung von F\. sangwinea. Biol. Centralbl. 1910, S. 569. 33) Wasmann, Weitere Beiträge... Biol. Centralbl. 1908, S. 377, Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen, 917 fe) {=} ih chen von Arbeitern ihrer Art (solange dieselben wenigstens nicht zu zahlreich seien) sehr leicht adoptiert werden. Was zunächst die Bildung von Zweigkolonien betrifft, so handelt es sich dabei keineswegs immer nur um die sogen. „Saisonnester“, die abwechselnd nur einen Teil des Jahres hindurch bewohnt werden, sondern ebenso oft auch um echte, dauernd und gleichzeitig mit dem Stammneste bewohnte Nebennester. Einen ganz exzessiven Fall solcher „Polycalie“ hat jüngst Forel’*) beschrieben: Im Berggelände des Jorat oberhalb Lausanne entdeckte er 1910 einen aus über 40 Einzelnestern bestehenden Riesenstaat von San- guinea;, die Arbeiter waren durchweg auffallend klein und — was weitaus am meisten auffiel — sämtliche Nester waren absolut frei von Fusca-Sklaven! Also ein Zustand, wie er bisher nur bei der gesetzmäßig sklavenlosen nordamerikanischen Rasse „aserva“ beob- achtet wurde! Mit Recht erklärt sich Forel diesen außerordent- lichen Befund in der Weise, dass hier ein Zusammenwirken ganz besonderer Umstände einen Zustand erzeugt habe, wie er normaler- weise bei F. rufa vorkommt, nämlich eine Retention befruchteter Weibehen zum Zwecke der Bildung von Zweigkolonien. Der Forel’sche Fall bildet somit in der Tat einen direkten Übergang zum Rufa-Typus, wie er in vollkommenerer Weise gar nicht gedacht werden könnte; er sprichtm.a. W. dafür, dass F. sanguinea nicht nur morphologisch, son- dern auch biologisch unmittelbar von der Rufa-Gruppe abgeleitet werden muss. Auch meine Erfahrungen weisen durchaus auf eine solche Ab- leitung hin. Erstens ist nach den Befunden, die mein Bruder im Kemptthaler Sanguinea-Gebiete erhob, sowohl Polycalie als auch Pleometrose bei der Raubameise die Regel; es gelang ihm bei gründlicher Untersuchung (die hier wegen der schweren Zugänglich- keit der meisten Nester, die gewöhnlich in alte Baumstrünke ein- gebaut sind, nicht leicht ist) fast immer, mehrere Königinnen (bis 5!) in einem Neste aufzufinden. Im weiteren gelang es meinem Bruder und mir, bei ein und derselben, sehr volk- reichen Kolonie, die bereits im Besitze einer Königin war, sogar wiederholt, weitere befruchtete Weibchen zur Adoption zu bringen: Im Juni 1909 setzten wir das Gros zweier sehr volkreicher Kemptthaler Kolonien, A und B, die wir in einem großen Sack ge- mischt hatten, im Garten (in Zürich) aus; dabei kam unter großen Mengen Brut auch eine Sanrguinea-Königin zum Vorschein, die von 34) Forel, Une colonie polycalique de „Formica sanguinea“ sans esclaves dans le Canton de Vaud. Proc. du Ier Congres international d’entomologie 1910, p- 101, 2|S Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. den untereinander völlig einigen Angehörigen beider Kolonien mit großer Aufmerksamkeit behandelt wurde. Noch am selben Abend, sobald sich die Tiere in der neuen Umgebung einigermaßen orientiert hatten, wurde eine zweite, aus einem fremden Neste © stammende Königin mitten auf das umhergestreute Nestmaterial gesetzt; sie wurde fast unmittelbar aufgenommen. Die Kolonie gedieh in der Folge vortrefflich und unternahm noch im gleichen Sommer einen Raubzug gegen eine mittelstarke Rufa-Kolonie unseres Gartens, die wir vor 2 Jahren daselbst etabliert hatten. (Die nähere Schilde- rung dieser Expedition siehe Biol. Centralbl. 1910, S. 536 ff.) Im Jahre 1910 kamen die ersten Sangıuinea schon am 23. Febr. zum Vorschein und entfalteten schon im April ein reges Treiben. Am 5. März 1910 fand mein Bruder in einem großen Sanguwinea- Neste D bei Kemptthal fünf flügellose Weibchen in einer Kammer beisammen; zwei davon wurden mitgenommen und mit 16 Arbeitern in einem Torfnest etabliert. Am 21. März befand sich ein großer Eierklumpen im Neste. Am 10. April waren zwei Eier- pakete vorhanden. Am 24. April setzte ich das Nest dicht beim Haupteingange unserer Sanguinea-Siedelung im Garten aus und öffnete die Verbindungsröhren. Draußen trieben sich etwa 20 alte Sanguinea herum; bald kamen etliche heran und drangen vereinzelt in das Nest ein, wurden aber im Inneren übel empfangen und wieder hinausgejagt. Nun begannen aber die Insassen des Torfnestes ihrerseits ins Freie zu dringen und wurden darin alsbald von den beiden Königinnen nachgeahmt, — doch hielten sich diese vorerst noch vorsichtig in der Verbindungsröhre auf. Da drang plötzlich wieder eine große Garten-Sanguinea in diese Röhre ein, packte die vordere Königin ohne weiteres an den Mandibeln und zog sie her- aus; — die andere folgte freiwillig nach. Die beiden Weibchen waren bald von herzudrängenden Arbeitern umringt und wurden schließlich nach einigem Tiraillement ins Hauptnest gebracht. Auch die Eierklumpen wurden versorgt; selbst die fremden Ar- beiter schienen nur sehr gelinde Anfeindungen zu erfahren. — Am nächsten Nachmittage sah ich beide Weibchen dicht neben dem Haupteingange des Gartennestes in einer von zwei Einfassungs- steinen gebildeten Rinne sitzen; sie waren umringt von Ameisen und wurden von denselben eifrig beleckt; nur eine kleine Sangıinea hielt eine der Königinnen krampfhaft an einem Beine fest. Ich befreite sie; anstatt zu fliehen, lief sie schnurstracks ins Nest hinein. - Im gleichen Jahre erzeugte die aufblühende Kolonie, die sich mittlerweile inzwei Nester gespalten hatte, neben zahlreichen Arbeiterpuppen auch einige geflügelte Weibchen. Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. [4 Kritische Bemerkungen über die Phylogenese des sozialen Parasitismus und der Dulosis bei Formica. Es war, wie ich schon zu Anfang dieses Abschnittes andeutete, eine sehr glückliche Idee, aus den verschiedenen Entwickelungs- stufen des sozialen Parasitismus, wie sıe uns bei Formica entgegen- treten, eine „biologische Phylogenie* der Gattung zu rekon- struieren. Am konsequentesten und zugleich anı vollständigsten ist diese Idee bisher wohl von Wasmann durchgeführt worden. Welche Schlussfolgerungen bezüglich der Wasmann’schen Theorie ergeben sich nun aus dem vorliegenden Beobachtungsmaterial ? Darüber herrscht nun wohl heute allgemeine Übereinstimmung, dass die höheren acervikolen Formica-Arten nicht nur morphologisch, sondern auch biologisch irgendwie von der Fusca-Gruppe abge- leitet werden müssen, bezw. dass ein fxsca-ähnlicher Typus an den Anfang des Entwickelungsschemas von Formica zu setzen ist. Dabei ist aber keinen Augenblick zu vergessen, dass die heute lebenden Formen der Frrsca-Gruppe längst nicht mehr dem primi- tiven Idealtypus von Fornrica entsprechen, sondern alle schon mehr oder minder differenziert sind; von der Urform der fossilen „For- mica flori* bis zu den hochentwickelten Staaten von ceinerea besteht eine weite Kluft, — ein Entwickelungsgang, der wohl am wahr- scheimlichsten durch die überhandnehmende Gewohnheit der Pleo- metrose und die dadurch ermöglichte größere Machtentfaltung des sozialen Betriebes eingeleitet worden ıst und als dessen höchste zurzeit realisierte Entwickelungsmöglichkeit wohl F. cinerea betrachtet werden darf, deren Staatenleben, wie wir oben gezeigt haben, in mancher Beziehung gewissermaßen eine Übergangsstufe zum Rufa- Typus darstellt. Während nun aber die Pleometrose bei fusca ım allgemeinen (cinerea ausgenommen) doch mehr ein gelegentliches Auskunftsmittel bedeutet, sehen wir dieselbe bei F. rufa (und pratensis) recht eigent- lich zum System erhoben: Sie dient hier nicht mehr nur der notdürftigen Erhaltung einer Kolonie, sondern vor allem auch deren machtvoller Ausbreitung nach außen durch Gründung von Zweigkolonien ın großem Maßstabe. So sehen wir schließlich bei dieser Formengruppe den Normalmodus der Kolonieneugründung durch einzelne Hochzeitsweibehen geradezu in den Hintergrund ge- drängt und durch den Modus der Kolonienspaltung ersetzt, wodurch die Staatenentwickelung bei rufa eben zu jener Blüte gelangt ist, wie sie in der ganzen übrigen paläarktischen Ameisenfauna nicht mehr annähernd erreicht worden ist. Durch sekundäre Selb- ständigmachung solcher abgespaltener Nester können nun im weiteren auch neue Kolonien entstehen, so dass also dieser Modus wenigstens mittelbar auch wieder der Koloniegründung dient. 220) Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. Wie ist nun die Gewohnheit der Pleometrose bezw. der Zweig- koloniebildung entstanden? Ich gehe mit Wasmann darin einig, in diesen Erscheinungen Anpassungen an spezielle Lebens- bedingungen, oder, wie Wasmann sich ausdrückt, an die be- sonderen Bedürfnisse des arktischen Waldes zu erblicken. Das geht allein schon aus der lokalgeographischen Verbreitung dieser Rassen hervor; -— ein Moment, auf das ich schon 1908 von meinem Bruder aufmerksam gemacht wurde: Beide Rassen sind nämlıch keineswegs überall, sondern nur stellen weise häufig; relativ große Landparzellen beherbergen keine einzige Kolonie, während ın anderen wieder ein Nest am andern zu finden ist, — im Gegensatze zu den ubıquistischen Arten wie Lasius niger, Tetramorium, Myrmica rubra u.a, deren Kolonien man so ziemlich in jedem Terrain findet. Wenn sich nun #! rufa und pratensis dergestalt an ganz bestimmte Vegetationsverhältnisse angepasst haben, so müssen sie solche auch möglichst ausnutzen. Daher ist es für sie von größerem Vorteile, die Verbreitung ihrer Rasse jeweilen durch größtmögliche Ausbreitung der einzelnen Kolonie, welche gerade in einem solchen günstigen Gebiete gelegen ist, zu suchen, als durch Gründung möglichst zahlreicher neuer Kolonien (mittelst ausgeschwärmter Weibchen) in vielleicht ganz ungeeignetem Terrain. Das können sie aber nur auf dem Wege der Nachzucht von Ersatzköniginnen, welche einerseits, ın größerer Zahl in einem Neste vereinigt, den zur Ausrüstung von Zweignestern nötigen Arbeiterüberschuss produ- zieren, andererseits selbst diesen Zweigniederlassungen als not- wendige „Mitgift“ beigegeben werden können. Indem so in jeder Saison eine größere Menge junger Geschlechtstiere, vielleicht der größte Teil der jungen Weibchen- und Männchengeneration am Hochzeitsfluge gehindert und zur Inzucht, d.h. zur Nestbefruchtung zurückbehalten wird, indem ferner auch von den ausgeschwärmten Weib- chen jeweilen ein großer Prozentteil wieder in Rufa- Kolonien Aufnahme findet, erfährt der normale erblich fixıerte „Koloniegründungsinstinkt* der Weibchen im Wandel der Generationen eine immer größere Schwä- chung und Abblassung; — die erbliche Mneme büßt an Frische ein, da sie sich oft viele Generationen lang nicht mehr betätigen konnte (d. h. nicht mehr zur Ekphorie gelangte). So beschaffen, kommen nun die Weibchen, welche zum Hoch- zeitsfluge zugelassen wurden ®°), befruchtet auf fremde Erde. Ihr 35) Ein Modus, der zur Vermeidung der gänzlichen, auf die Dauer rassen- verderbenden Inzucht doch auch bei F. »ufa, wenn auch in beschränkterem Maße, beibehalten werden musste. Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 29] ursprünglicher Koloniegründungsinstinkt ist von Grund aus modi- fiziert, d. h. sie sind unfähig zur selbständigen Kolonie- gründung geworden. An die Stelle des instinktiven Dranges, sich irgendwo eine verborgene Kammer zu graben, um dort einsam und unbehelligt von Feinden ihre Eier auf Kosten des eigenen Leibes aufzuziehen, ıst ein durch die hohe Sozietät der Art im allgemeinen und durch die von ihren Vorfahren ererbten Engramme (deren beständiges Umgebensein von pflegenden Arbeitern) ge- steigertes soziales Bedürfnis getreten, das die Tiere gebieterisch treibt, Arbeitergesellschaft zu suchen um jeden Preis. Einmal auf diesem Wege, gibt es für sie im wesentlichen nur drei Möglichkeiten, die auch alle bei F. rufa tatsächlich realı- siert sind: 1. Da nicht wenige Riesenstaaten von F. rufa mit ıhren zahl- reichen Einzelnestern ein relativ weites Gebiet beherrschen, werden viele Weibehen noch innerhalb des Rayons des eigenen Staates zur Erde zurückgelangen und ın peripheren Nestern desselben Auf- nahme finden: Erste Entwickelungsstufe des sozialen Para- sıtismus beı F. rufa: Parasıtismus bei Arbeitern der gleichen Kolonie (Wheeler). Weitaus die meisten Weibchen werden aber den Weg zur eigenen Kolonie nicht mehr zurückfinden und somit auf Adoption ın fremden Kolonien angewiesen sein. 2. Von diesen wiederum wird es mindestens einer großen Mehr- zahl gelingen, Nester der eigenen Art — gleicher oder fremder Rasse — aufzufinden: Zweite und dritte Entwickelungsstufe des sozialen Parasıtismus beı F. rufa. 3. Ein kleiner Rest von Weibchen, denen auch das nicht mög- lich war (indenı sıe z. B. in gänzlich rafa-freien Gebieten zur Erde gelangten (die jüngsten Fälle Wheeler’s scheinen hierher zu ge- hören), ist dann allerdings auf Adoption bei fremden Arten (unter denen wohl unter gewöhnlichen Umständen nur F\ fusca in Betracht kommt) angewiesen: Vierte und letzte Entwickelungs- stufe des sozialen Parasıtismus bei F. rufa. Damit haben wır den sozialen Parasitismus der For- mica-Weibchen völlig zwanglos über eine Reihe von Zwischenstufen aus der Pleometrose von F\. rufa abge- leitet. Das gleichzeitige Vorkommen aller dieser Zwischenstufen bezw. das bloß fakultative und relativ seltene Auftreten des aus- gebildeten Sozialparasıtismus bei der genannten Art weist mit allem Nachdrucke darauf hin, dass diese biologisch äußerst wichtige Erscheinung hier erst im Entstehen begriffen ist oder m. a. W., dass F. rufa ın der Entwickelung des sozialen Parasitis- mus noch auf einer verhältnismäßig primitiven Stufe steht. Ich muss dies nochmals ausdrücklich gegen Wheeler bemerken, der 222 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. F. rufa neuerdings unter die obligaten Sozialparasiten einzureihen geneigt ist. — Bis hierher decken sich unsere Ausführungen, wie ersichtlich, so ziemlich mit der geistvollen Theorie, de Wasmann über die Entstehung des sozialen Parasitismus bei den Ameisen so meister- haft entwickelt hat. Während aber Wasmann sich darauf be- schränkte, diesen Entwickelungsgang rein biologisch darzustellen und zu begründen, haben wir zugleich auf engrammtheoretischer Grundlage gezeigt, wieso die Pleometrose mit Notwendigkeit zur überhandnehmenden Degeneration und schließlich zum dauernden Verluste des Instinktes der solitären Koloniegründung führen musste und es hat damit die Wasmann’sche Theorie auch ihre ausreichende psychologische Begründung gefunden, — nachdem sich die- selbe bisher nicht nur von biologischen, sondern auch von morpho- logischen, paläontologischen und vergleichend-geographischen Ge- sichtspunkten aus als die weitaus am besten fundierte erwiesen hat. Auch darin müssen wir Wasmann nach unseren oben mit- geteilten Beobachtungen durchaus zustimmen, dass sich F. san- guinea biologisch direkt an den Rufa-Typus anschließt und daher wohl auch von einem rafa-ähnlichen Stadium abzuleiten ıst. Nun ist aber bekanntlich gerade im Hinblick auf die Verhältnisse bei dieser Art von Forschern wie Emery, Vieh- meyer, Wheeler die Wasmann'’sche Theorie in neuerer Zeit hart angefochten, ja ın ihren wesentlichsten Punkten geradezu auf den Kopf gestellt worden. Das immer wiederkehrende Hauptargument ın dieser Polemik ıst der Satz: „Aus einem Parasiten kann nie ein Räuber werden, also kann eine Raubameise im Laufe ihrer stammes- geschichtlichen Entwickelung auch nie ein sozialparasitisches Sta- dıum durchlaufen haben, und wäre es auch nur em fakultatives, wie bei F\. ruıfa. Vielmehr wäre nach Emery°*) nicht allein bei den dulotischen, sondern selbst für die heute gesetzmäßig sozialpara- sitischen Ameisen der von Wheeler und Viehmeyer entdeckte Puppenraub als der ursprünglichste Modus der Koloniegründung anzusehen, aus dem sich Dulosis einerseits, obligater Sozialparasitis- mus andererseits sekundär entwickelt haben sollen. Dieser sogen. „RKaubweibchentheorie* Emery’s hat sich Viehmeyer ım wesentlichen angeschlossen. Es kann nicht meine Aufgabe sein, dıe verschiedenen, eben nur kurz skizzierten Einwände gegen Wasmann’s Theorie hier nochmals eingehend zu widerlegen, — das hat Wasmann zur Ge- nüge selbst besorgt. Ich möchte an dieser Stelle nur auf einige Punkte noch hinweisen, welche ım speziellen die Entstehung 36) Emery, Uber den Ursprung der dulotischen, parasitischen und myrme- kophilen Ameisen. Biolog. Centralbl. 1909, Nr. 11. Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 295 der Dulosis bei Formica betreffen und die ich besonders Vieh- meyer?”) entgegenhalten muss: Erstens kann natürlich davon keine Rede sein, die Raubstaaten von sanguinea von „parasitischen“ Vorfahren abzuleiten; das hat, wenn ich ihn recht verstehe, auch Wasmann nirgends behauptet: Nicht auf F. rufa in ihrer Eigenschaft als fakultativ parasitische Art geht die Sanguinea-Gruppe zurück, sondern auf ein rufa-ähnliches Stadium mit seiner Neigung zur Pleometrose und Zweig- koloniebildung und daher rührendem Verluste der Fähig- keit zur selbständigen Koloniegründung. Von solchen Vor- fahren zweigte dann eine besonders kräftige und mit höheren psychoplastischen Fähigkeiten begabte Rasse ab, deren Weibchen teils noch den alten Modus, sich in Kolonien der gleichen Art auf- nehmen zu lassen, beibehielten, teils aber auch, bei höherer Be- gabung und sofern ihnen das erstere nicht gelang, zum Puppen- raube bei fusca schritten oder endlich sich gelegentlich auch einmal an ein in Koloniegründung begriffenes Fusca-Weibehen heranmachten, um dasselbe später zu berauben und zu morden. So betrachtet, verliert aber der berühmte Satz vom Parasiten, der nicht zum Räuber werden kann, jede Bedeutung als Argument gegen die Ableitung von sanguinea von rufa-ähnlichen Vorfahren, denn nicht von dem Parasiten Rufa stammt sangwinea ab, sondern ledig- lich von ;fa-ähnlichen Formen mit Verlust der selbständigen Koloniegründung. Dieser Verlust involviert aber doch noch keines- wegs eine parasitische, sondern zunächst nur eine abhängige Koloniegründung; eine solche lässt aber eine ganze Reihe anderer Möglichkeiten offen, unter ihnen die von Viehmeyer bei Sanguinea gefundenen. Er bedeutet auch an sich noch keine Degeneration, sondern kann im Gegenteil zum Ausgangspunkte höherer und höchster Ent- wickelung werden, wie das ja bei F. rufa wie sangwinea tatsächlich zu- trifft. Die Behauptung Viehmeyer’s’*), diese Arten seien infolge ihres sozialen Parasitismus „unrettbar dem Aussterben verfallen“, klingt angesichts der Riesenstaaten von F\rufa doch mehr als sonder- bar, — so sonderbar wie die „organische und psychische Degeneration*, deren deutliche Merkmale Viehmeyer selbst bei sangwinea schon festgestellt haben will angesichts der hohen psychoplastischen Fähig- keiten gerade dieser Spezies. Und wenn endlich Viehmeyer®") zur Rettung der psychologischen Phylogenie seiner primären Raubstaaten sogar erklärt, dass die Königinnen von F. sanguinea 37) Viehmeyer, Bemerkungen zu Wasmann’s neuester Arbeit... Zool. Anz. 1910, S. 450. — Ontogenetische und phylogenetische Betrachtungen über die parasitische Koloniegründung von Formica sangwinea. — Biol. Oentralbl. 1910, S. 569. 38) Biol. Centralbl. 1910, S. 576. 39) 1: @.,.82:576; 394 Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. „ursprünglich zweifellos an den Raubzügen ıhrer Kolonie teil- nahmen“ und zum Beweise hierfür die noch heute bei ihnen zutage tretenden räuberischen Instinkte anführt, so haftet diesen Aus- führungen der Stempel der Verlegenheit zu deutlich an, als dass sie hier ernstlich in Diskussion gezogen zu werden. brauchten — Nichtsdestoweniger ist zuzugeben, dass Wasmann’s Herleitung der Dulosis (bei Formica) „aus einem Anfangsstadium des sozialen Parasıtismus“, d. h. aus einem fakultativen Adoptionsstadium ent- schieden die schwächste Seite seiner im übrigen so klar und logisch aufgebauten Theorie darstellt. Was ıhn zu dieser Annahme veran- lasst zu haben schien, war ım wesentlichen jene äußerliche Analogie, welche die dauernd gemischten (also dulotischen) Kolonien mit den temporär gemischten (d. h. parasitisch gegründeten) zu verknüpfen scheint und die eine Ableitung jener aus diesen gewiss nahelegt. Allein so bestechend dieser Analogieschluss auf den ersten Blick erscheint, so ungenügend begründet und einer strengen Kritik kaum standhaltend erweist er sich bei näherem Zusehen: Erstens steht es ja noch nicht einmal fest, ob wirklich die sozialparasitäre Kolonie- gründung bei sanguinea der häufigste Modus ist, — geschweige denn, ob er es in der Ahnenreihe dieser Art je gewesen ist. Viel- mehr scheinen die Beobachtungen Wheeler’s und Viehmeyer's übereinstimmend dem Puppenraub die Hauptrolle zuzuweisen, die meinigen der Koloniegründung durch Pleometrose und Spaltung. Aber selbst wenn wirklich F sanguinea einstmals ein vorwiegend sozial- parasitisches Stadium (d. h. Adoption bei fusca) durchlaufen haben sollte, so ist ın der Tat — darin muss Viehmeyer und Emery beigepflichtet werden — nicht recht einzusehen, was denn ihre spätere Dulosis mit dieser Erscheinung zu tun hat, bezw. wieso sie sich gerade ım Zusammenhange mit dieser Gewohnheit hätte entwickeln können. Denn diese ganze Ableitung hat doch nur dann einen rechten Sinn, wenn man sich vorstellt, dass die ursprünglich sozialparasitischen Weibchen allmählich zum Puppenraube, bezw. zur Rauballianz übergingen und diese räuberischen Dispositionen dann auf die von ihnen erzeugten Arbeiter weiter vererbten. Dann aber brauchen wir den sozialen Parasitismus als Vorstufe der Dulosis überhaupt nicht mehr, ım Gegenteil wırd derselbe dann unserer Annahme eher hinderlich, indem nicht einzusehen ist, weshalb diese Weibchen den bequemeren Modus der passıven Adoption bei fusca je wieder zugunsten eines der beiden genannten, so ungleich schwierigeren hätten aufgeben sollen. Zudem beweist ja gerade die Tatsache, dass bei den obligaten Sozialparasıten (wie traumescola und exsecta) jede Umkehr zur Dulosis völlig ausgeschlossen erscheint, wie unnötig der soziale Parasitismus für die Erklärung der Dulosis ist. Nur insofern können wir eine solche Vorstufe gelten lassen, als darunter eine der beiden von uns bei F. rufa unterschiedenen Brun, Weitere Beiträge zur Frage der Koloniegründung bei den Ameisen. 2995 „subparasitischen“ Zustände des sozialen Parasitismus bei Kolonien der eigenen Art verstanden wird, indem eine solche Vorstufe, wie wir oben gezeigt haben, tatsächlich die notwendige Vorbedingung bildet für den Verlust der Fähigkeit zur solitären Koloniegründung. Von einer solchen Vorstufe aus können aber die betreffenden Weibchen ebensogut direkt zum Puppenraub oder zur Rauballianz gelangen, wie zum obligaten sozialen Parasıtismus! Nun hat aber Wasmann, wenn ich ıhn recht verstehe, einen subparasitischen Zustand in diesem Sinne als Vorstufe der Dulosis gar nicht gemeint, so wenig, wie er die oben deduzierte Umkehr eines bereits fertig entwickelten Sozialparasitismus zur Dulosis postulieren wollte — und darin hat ihn Viehmeyer völlig miss- verstanden — vielmehr führt er die Dulosis bei sanguinea auf direkte engraphische Beeinflussung der Arbeiter in den durch sozialen Parasitismus gegründeten Kolonien zu- rück: Durch die Gegenwart der fusca im Neste sollen die jungen sangwinea veranlasst werden, nun ihrerseits die auf ihren Raub- zügen erbeuteten Fusca-Puppen — und nur diese — aufzuziehen, da deren Geruch dem ihrer einstigen Pflegerinnen ähnlich ıst. Auch dieser „psychologische Grund“ der Wasmann’schen Hypothese scheint mir nicht stichhaltig. Denn erstens ist Ja F. sangwinea gar nicht ausschließlich zur Aufzucht von Fusca-Puppen geneigt, sondern nimmt, sobald sie nur Gelegenheit hat, ganz unterschiedslos auch Puppen anderer verwandter Arten als Sklaven an; — doch könnte das immerhin als sekundäre bereits erblich fixierte Analogieassoziation erklärt werden, ebenso wie die Tatsache, dass auch die Arbeiter in anderweitig (d. h. nicht sozialparasitär) gegründeten Kolonien, genau gleich starke Neigung zur Dulosis zeigen. Nicht aber wird durch Wasmann’s Hypothese erklärt, wie diese Neigung zur Aufzucht fremder Puppen überhaupt je eine Steige- rung bis zur ausgeprägten Dulosis hatte erfahren können, denn die Arbeiter, welche allein dıe betreffenden En- gramme besaßen, konnten dieselben ja niemals weiter vererben. Alle diese Gründe führen mich dazu, die Wasmann’sche Hypothese von der Entstehung der Dulosis bei Formica aus dem temporären fakultativen Sozialparasitismus abzulehnen, — so sehr ich im übrigen den ersten Teil seiner Theorie, die Ableitung dieses sozialen Parasitismus selbst aus den bei rufa gegebenen Vorstadien anerkannt habe. Ich habe mich im vorstehenden zu zeigen bemüht, dass wir der erstgenannten Hypothese gar nicht bedürfen, indem sich die Dulosis bei Formica sanguinea viel einfacher und unge- zwungener aus den bei dieser Art so hochentwickelten räuberischen Instinkten im allgemeinen erklären lässt, — um so eher, als ja derartige Dispositionen, wie im ersten Abschnitte dieser Arbeit ge- XXXI. 15 BDIN Küster, Die Gallen der Pflanzeil: zeigt wurde, sich in ihren ersten Anfängen schon bei Weibchen nachweisen lassen, die ihre Kolonien sicher obligatorisch selbständig gründen, wie (©. ligniperdus. Wie nun im einzelnen aus solchen Anfängen die Dulosis sich entwickelt hat — ob auf dem Umwege des Puppenraubes der Weibchen oder mehr direkt —, ist ein Pro- blem für sich, dessen endgültige Lösung künftigen Forschungen vorbehalten bleiben muss. Ernst Küster, Die Gallen der Pflanzen. Ein Lehrbuch für Botaniker und Zoologen. X und 437 Seiten, mit 158 Abbildungen im Text. — S. Hirzel, Leipzig 1911. i Die Einleitung bringt nach einer Definition des Begriffes Galle, der so weit gefasst ist, dass z. B. die durch Aecidium verbildeten Sprosse der Euphorbien darin Platz finden, eine anziehende Skizze der bis jetzt nirgends dargestellten Geschichte der Gallenforschung. Die gallenerzeugenden Tiere und Pflanzen (unter den letzteren auch die Loranthaceen) und die gallentragenden Pflanzen werden in systematischer Aufzählung kursorisch vorgeführt. Ausführliche Darstellung findet dann die Morphologie der Gallen. Im Anschluss an die Bezeichnungsweise der menschlichen Pathologie, der der Verf. schon früher gewisse Termini zur Charakterisierung patho- logischer Gewebebildungen am Pflanzenkörper entlehnt hat, werden die Gallen zunächst in zwei große Gruppen gesondert, als organoide und histioide, je nachdem es sich um Anomalien der Organbildung oder der Gewebebildung handelt. Wie von einer solchen Schematıi- sierung zu erwarten, führt diese Unterscheidung dann und wann zu künstlichen Trennungen; die Gallen z. B., die der Algenpilz Albugo candida an Kruziferen hervorruft, sind nämlich den histioiden zuzurechnen, wenn sie an der Sprossachse auftreten, den organoiden, wenn sie die Blüten deformieren. Das Primäre ist eben auch bei vielen organoiden Gallen eine Veränderung der Gewebebildung, und je nach dem Ort am Pflanzenkörper kommt es zur Missgestal- tung ganzer Organe oder aber zu unscheinbaren lokalen Volum- veränderungen. Im allgemeinen scheint aber die vom Verf. ge- wählte Abgrenzung der zwei Hauptgruppen gute Dienste zu tun. Unter den organoiden Gallen werden dann unterschieden Form- anomalien, die in der Veränderung der Blattformen, Bildung von Niederblättern an Stelle von Laubblättern, in der Vergrünung von Blüten zum Ausdruck kommen; weiter Anomalien der Blattstellung und der Verzweigung (vor allem in Hexenbesen); endlich Neu- bildung von Organen, wie die Erzeugung von Wurzeln am Stengel von Poa nemoralis unter der Einwirkung von Mayetiola poae, die Durchwachsung von Blüten, die Entwickelung von Staubblättern in brandkranken weiblichen Blüten von Melandrium. Unter den Küster, Die Gallen der Pflanzen. 597 - histioiden Gallen werden auseinander gehalten: Haarbildungen, Anomalien des Flächenwachstums (z. B. bei den Beutelgallen), und als besonders wichtiger Typus Veränderungen des Diekenwachstums (z. B. Umwallungs- und Markgallen), wobei auch die mannigfaltigsten emergenzenartigen Anhängsel auftreten können (Rhodites rosae). Dieser vom botanisch-morphologischen Standpunkt aus sehr klaren Gliederung der Gallenformen werden anhangsweise die Gallen- „Systeme“ einiger anderer Forscher gegenübergestellt. Das Kapitel „‚Anatomie der Gallen“ bringt Dinge, die der Verf. schon früher in weiterem Zusammenhang ausführlich dargestellt hat!). Die Histogenese der Gallen ist charakterisiert durch Hypertrophie, Hyperplasie, Verwachsung, abweichende Differenzierung, Auflösung von Zellwänden und Zellen; die Differenzierung kann von der nor- malen im Sinne einer Hemmungsbildung abweichen (kataplasma- tische Gallen), oder aber ‚neuartige Züge aufweisen (prosoplasma- tische Gallen). Unter „Zellen und Gewebe der Gallen“ werden die Eigentümlichkeiten der Kerne, der Chromatophoren, die Be- schaffenheit der Epidermis und ihrer Anhangsgebilde, der Binnen- gewebe, der primären Leitbündel und der sekundären Gewebe ge- schildert. | Was über die „Chemie der Gallen“ bekannt ist (Zusammen- setzung und Stoffwechsel), findet auf wenigen Seiten Platz und lässt vorläufig kaum allgemeine Schlüsse zu. Besondere Erwartung erweckt das Kapitel „Ätiologie der Gallen“. Freilich handelt es sich hier noch immer mehr um Ver- mutungen als um experimentell gesicherte Einsicht in die kausalen Verhältnisse; die Gallen haben sich ja den scharfsinnigsten Experi- mentatoren gegenüber merkwürdig spröde erwiesen. Der Verf. ist der Überzeugung, dass keineswegs alle Gallen Chemomorphosen im engeren Sinn sein müssen, durch spezifische vom Gallenerzeuger ausgehende Substanzen hervorgerufen werden, wenn diese Deutung auch für viele Fälle die einzig naheliegende ist. Er weist darauf hin, dass ganz ähnliche Bildungsabweichungen, wie sie in manchen Gallen vorliegen, auch unter dem Einfluss osmotischer Störungen oder abnormer Ernährung oder infolge von Verwundungen zustande kommen. Aus der Ähnlichkeit des Resultates schließt er auf ähn- liche Ursachen (als zwingend wird man den Schluss schwerlich an- erkennen können) und spricht deshalb von Osmomorphosen, wenn die Gallen an hyperhydrische (infolge übermäßiger Wassersättigung auftretende) Gewebe erinnern, wie manche Erineumformen; von Trophomorphosen, wenn die Gallen Anklänge an solche Bildungen zeigen, die als Reaktion auf Störungen der Ernährung oder der Wachstumskorrelationen auftreten, wie Verbildung von Blättern, 1) Küster. Pathologische Pflanzenanatomie. Jena 1903. 228 Küster, Die Gallen der Pflanzen. Füllung von Blüten, Auftreten von Staubblättern in weiblichen Blüten, Proliferationen, Änderung des geotropischen Verhaltens (Hexenbesen); von Traumatomorphosen, wenn entsprechende Ab- weichungen durch Verwundung erzielt werden können, die ja bei der Infektion durch Gallentiere keine geringe Rolle spielt (Hexen- besen, Zweigsucht; Gallen, die an Wundgewebe erinnern). Dass Wundreize, die vom eiablegenden Tier oder später von der weiden- den Larve ausgehen, wirksam werden können, ist ja kaum zu be- zweifeln. Von Chemomorphosen wird man ziemlich zuversichtlich vor allem ın den Fällen reden dürfen, in denen mit dem Ei eine Quan- tität flüssigen Sekrets in die der Wirtspflanze beigebrachte Wunde eingeführt wird. Aber auch sonst kommt man häufig ohne die An- nahme spezifischer Stoffe, der „Gallengifte“, die vom Gallenerzeuger ausgeschieden werden und ım normalen Stoffwechsel der Wirts- pflanze fehlen, kaum aus. Wenn eine Fernwirkung des Gallen- tieres auf nicht unmittelbar benachbarte Gewebeteile der Wirts- pflanze sich bemerkbar macht, möchte der Verf. eine Fortleitung des Reizmittels, nicht der durch den chemischen Reiz hervorgerufenen Erregung annehmen. Er denkt sıch also die Gallengifte wasser- löslich und diffusionsfähig. Bei manchen Gallen erscheinen die Korrelationen des Wachs- tums tiefgreifend gestört und verändert. So wenn anstatt eines Blütensprosses mit seinen verschiedenen Blattformen ein gleich- förmig beblätterter Laubzweig entsteht, wenn am Hexenbesen zahl- reiche Knospen austreiben, die sonst von anderen, wechselnden Vegetationspunkten im Schach gehalten werden, wenn anatomisch undifferenzierte und auch äußerlich regellos geformte Gebilde ent- stehen an Stelle von äußerlich und innerlich gesetzmäßig gegliederten Organen. Während hier eine Aufhebung normaler Korrelationen vorliegt, treten bei den prosoplasmatischen Gallen qualitativ neu- artige Beziehungen auf; die Galle emanzipiert sich von den Gesetz- mäßıgkeiten der Wirtspflanze, aber dafür folgt sie ın ihrer morpho- logischen Gliederung und in ihrer anatomischen Differenzierung einer eigenen, nicht weniger festen Regel. Gelegentlich entstehen so Formen, die dem normalen Individuum ganz fremd sind (Cyni- pidengallen an Eichen, Rosen). Auch neue anatomische Elemente können auftreten, z. B. eigentümliche Haare, Steinzellen u. s. w. In einem Abschnitt „Die Gallen als Variationen“ ıst davon die Rede, dass wir keinen Fall kennen, in dem durch Gallenbildung einem Pflanzenkörper eine dauernde, vererbbare Veränderung auf- geprägt worden wäre. Durchwachsene Gallensprosse z. B. kehren immer zum Typus zurück. Die Möglichkeit einer bleibenden Beein- flussung des Keimplasmas durch den Gallenreiz lehnt der Verf. aber keineswegs ah. Küster, Die Gallen der Pflanzen. 390) nt Bei der eingehenderen Analyse der Gallenreize glaubt der Verf. ım Anschluss an Herbst einfache „Auslösungsreize* unterscheiden zu können, die sozusagen vorbereitete Reaktionen durch einen An- stoß zum Ablauf bringen, und „strukturelle Reize“, die die „Struktur“ des Reaktionsvermögens abändern. Durch Auslösungsreize sollen allerhand „Organformen aus dem Repertoire der Wirtspflanze* an ungewöhnlichen Orten des Körpers zur Erscheinung gebracht werden (fruchtähnliche Gallen an Eichen, zapfenähnliche Chermes- Gallen der Koniferen, Adventivwurzeln an der Sprossachse, Staub- blätter in weiblichen Blüten unter den organoiıden Gallen; Haar- bildungen unter den histioiden). Auf strukturelle Reize sollen alle prosoplasmatischen Gewebedifferenzierungen zurückzuführen sein; die Pflanze antwortet hier auf Reize von bestimmter Qualität mit streng spezifischen Wachstums- und Differenzierungsvorgängen. Im letzten Kapitel wird die Biologie der Gallen behandelt. Unter „Gallenerzeuger und Gallenwirt“ werden dargestellt Pleo- phagie und Spezialisation der Gallenerzeuger; Generationswechsel und Wirtswechsel, biologische Arten; Gallenökologie, d. h. Betrach- tung der ökologisch zusammengehörigen Pflanzengruppen nach ıhrer Eignung als Gallenwirte; Verbreitung der Gallenerzeuger. Unter dem Titel „Galle und Gallenerzeuger“ werden erörtert Phänologie, Entwickelungs- und Lebensdauer der Gallen, sexuelle Dimorphie der Gallen, Befreiung des Gallenerzeugers aus der Galle. Unter „Galle und Gallenwirt“ kommen zur Diskussion Nutzen (Bakterienknöllchen, Feigengallwespen) und Schaden der Gallen für den Gallenwirt, Kampfmittel und Immunität. Von „Formativen und stofflichen Wir- kungen der Galleninfektion auf den Gallenwirt“ werden erkannt z. B. Ablenkung des Säftestroms, Erschöpfung des gallentragenden Pflanzenorgans, luxurierendes Wachstum. Der Abschnitt „Be- ziehungen der Gallen zu fremden Organısmen spricht von gallen- fressenden Tieren, von Inquilinen und tierischen Parasiten der Gallen, von parasitischen und saprophytischen Pilzen auf Gallen, von den merkwürdigen Ambrosiagallen, die Pilzkulturen als Futter für das Gallentier beherbergen. Zum Schluss werden die Eigentümlich- keiten gewisser Gallen von der finalen Seite betrachtet; wohltuend berührt die Vorsicht, mit der jede Gewaltsamkeit in teleologischen Deutungen vermieden wird. Ein Anhang handelt von gallenähnlichen Neubildungen am Tierkörper (Thylacien). Gewebeknoten, die bei Tuberkulose auf- treten, und vor allem mancherlei durch tierische Parasiten hervor- gerufene Bildungen können ohne weiteres mit den Gallen der Pflanzen verglichen werden. Von den Thylacien werden die Karzı- nome, als nicht parasitären Ursprungs, ausgeschlossen. Die flüchtige Skizzierung des Inhalts wird eine Vorstellung davon geben, dass der Verf. das Gallenproblem nach jeder erdenk- 930) Schreiner, Kurze Bemerkung zur Frage von der Bedeutung des Kerns ete. lichen Richtung dreht und wendet, um ihm wichtige Aspekte abzuge- winnen. Naturgemäß werden auf Schritt und Tritt Fragen berührt, deren Bedeutung weit über dasspezielle Gebiet der Gallenkunde hinaus- greift, vor allem Probleme der Entwickelungsmechanik, die seit lange von den Erscheinungen der Gallenwelt Anregungen von unschätzbarer Wichtigkeit empfängt. Die experimentelle Morphologie und Histo- logie, die Reizphysiologie, die Vererbungs- und Abstammungs- forschung, sie alle finden in den Tatsachen der Cecidologie Material von höchstem Wert. Dieses bisher weit verstreute Material ist in dem Küster’schen Buch kritisch gesichtet und übersichtlich ge- ordnet und so für jeden, der seiner bedarf, zur bequemen Ver- wendung bereit gestellt. Wo die empirischen, vor allem die experi- mentellen Daten fühlbare Lücken lassen, finden sich ım Text nachdrückliche Hinweise, und so bedeutet das Buch nicht bloß eine Abrechnung mit dem bis jetzt gewonnenen Wissensbestand, sondern es wirbt auch tätige Mitarbeit, indem es aussichtsreiche Wege ergänzender Forschung zeigt. Die Darstellung ist bei aller Knappheit klar, für die Einführung trefflich geeignet. Dazu ist die Ausstattung mit instruktiven Bildern so reich, dass auch dem ganz Uneingeweihten die Anschauung nirgends fehlt. Sehr zahlreiche Literaturnachweise ermöglichen eingehende Information. Ein ausführliches Register erleichtert die Benützung des Buchs. 0. Renner (München). Kurze Bemerkung zur Frage von der Bedeutung des Kerns und des Zelleibes als Erblichkeitsträger. Von Alette Schreiner (Kristiania). Aus der Erfahrung, dass bei allen Organismen die beiden Eltern ihre speziellen Merkmale ın gleichem Maße auf die Nachkommen übertragen können, hat man bekanntlich den allgemeinen Schluss gezogen, dass Spermium und Eizelle mit völlig gleichwertigen, „homologen“ Anteilen zur Bildung des jungen Individuums bei- tragen. Und daraus hat man wieder den weiteren Schluss gezogen, dass es die Chromosomen, als die einzigen, in beiden Geschlechts- zellen unverkennbar homologen Gebilde sınd, die das eigentliche materielle Vererbungssubstrat, das Keimplasma darstellen, und dass die einzelnen Glieder der beiden homologen Chromosomenreihen voneinander qualitativ verschieden sein müssen. Dass die Chromo- somen tatsächlich für die Vererbung von maßgebender Bedeutung und auch voneinander qualıtativ verschieden sind und dass speziell die bei Kreuzungszeugung selbständig spaltenden Merkmalspaare an je ein Paar homologe väterliche und mütterliche Chromosome ge- bunden sınd, muss wohl auch, obwohl der strikte Beweis dafür bis jetzt fehlt, als überaus wahrscheinlich bezeichnet werden. Das alles Schreiner, Kurze Bemerkung zur Frage von der Bedeutung des Kerns ete. 23] bedeutet aber bei weitem nicht, dass der Kern allein die Ver- erbung vermittelt, und auch nicht, dass die beiden so verschieden gebauten Gameten den gleichen Zeugungswert besitzen. Vielmehr scheint mir eben die Annahme, dass die Chromosomen durch alle Zellteilungen, von Zelle zur Zelle und vom Individuum zum Indi- viduum im wesentlichen ihre Identität bewahren, und dass die homologen elterlichen Chromosomen der Geschlechtszellen nach vollzogener Konjugation in der Reduktionsteilung voneinander ge- trennt und auf verschiedene reife Gameten verteilt werden, es recht unwahrscheinlich zu machen, dass das ganze Artbild in diesen freien Gebilden geprägt sein sollte. Erstens ist es ja eine recht schwierige Sache, das so sehr zusammengesetzte und trotzdem so fest geschlossene, einheitliche Artbild in entsprechende, getrennte und voneinander unabhängige Merkmale oder Gruppen von Merk- malen zu zerteilen. Zweitens wäre es auch, wie mir scheint, eine unnötig umständliche und im ganzen wenig zweckmäßige Anordnung der Natur, die vielen verwickelten Züge des Artbildes, die nie voneinander getrennt werden können, ohne dass das ganze Bild zerfallen würde, an derartige selbständige und für jede Gene- ration durcheinander zu werfende Gebilde zu knüpfen. Was wäre damit gewonnen? Auch zeigt bekanntlich die Embryonalentwicke- lung vieler Tiere, dass die Organisation des jungen Individuums im Bau der befruchteten, zum Teil schon der noch unbefruchteten und unreifen Eizelle tief begründet ist. Es genügt, an die be- merkenswerten Befunde Godlewskı’s bei „androgenetischer Kreu- zungszeugung“ bei Echinodermen zu erinnern. Die Versuche, die bis jetzt gemacht worden sind, diese Tatsachen wie auch viele andere Geschehnisse der Ontogenese mit der Hypothese vom Ver- erbungsmonopol des Kerns im Einklang zu bringen, stehen, was wohl niemand leugnen kann, auf ziemlich schwankenden Boden. Wäre es nicht möglich, dass alle diese scheinbar unüberwindlichen Schwierigkeiten, auf die wir hier nicht näher einzugehen brauchen, davon herrühren, dass die ganze Voraussetzung dieser Hypothese, die Theorie vom gleichen erblichen Wert der männlichen und weiblichen Gameten falsch ist? Aus welchen Tatsachen schließen wir eigentlich, dass Spermium und Eizelle in erblicher Hinsicht gleichwertig sind? Aus der Tatsache, dass beide Eltern, durchschnittlich genommen, das gleiche Vermögen haben, dem Nachkommen ihre Spezialmerkmale aufzudrücken und dass somit die beiden Gameten in bezug auf die Übertragung individueller Potenzen gleichwertig sind. Aber ein Individuum besteht ja nicht ausschließlich von individuellen, speziellen Merkmalen. Man darf nicht vergessen, dass zwei Individuen, deren Geschlechtsprodukte miteinander zur Bildung von neuen Individuen kopulieren können, immer, auch wenn sie zu verschiedenen organischen Arten oder 2,2 Schreiner, Kurze Bemerkung zur Frage von der Bedeutung der Kerne ete. sogar Gattungen hingeführt werden, sehr viel mehr gemeinsam haben als was verschieden ist, ja dass wohl die ganze Grund- lage der Organisation im wesentlichen bei ıhnen identisch ist. Diese bedenteude Übereinstimmung des Artplasmas und Artbildes ist wohl eben die Voraussetzung für die Möglichkeit einer ge- lungenen Kopulation. Wenn diese breite gemeinsame Grundlage nur an die eine der beiden Gameten gebunden wäre, was könnten uns die Erblichkeitsverhältnisse davon verraten? Gar nichts. Die Erblichkeitsforschung vermag nur die Merkmale näher zu analy- sieren, deren Anlagen voneinander getrennt vorkommen können. Und was sollte es dem jungen Individuum nützen, wenn ihm die, allen normalen Mitgliedern der Art gemeinsame und einstweilen unveränderliche und unzerlegbare Grundlage der Organisation doppelt zugeführt würde? Wäre es nicht eine für die Erhaltung der Art mehr zuverlässliche und auch viel einfachere Veranstaltung, wenn das, was einheitlich ist und einheitlich bleiben muss, auch in einem einheitlichen Gebilde niedergelegt würde, mit dem es als Ganzes von Generation zu Generation überführt werden könnte, und zwar ın dem großen Zytoplasmakörper der Eizelle? -- während das, was beweglich und austausehbar ıst und dem Individuum seine Eigenart verleiht, an den in Zweizahl vorhandenen und von Indi- viduum zum Individuum alternierenden Chromosomen der Zygoten geknüpft würde?!) — Das Spermium entledigt sich bei der Aus- gestaltung für seine schwierige Aufgabe des überflüssigen Plasma- körpers, der dem Jungen doch nichts geben könnte, was nicht schon in der Eizelle vorhanden wäre, es trägt ın die, das ganze Artbild enthaltende Eizelle, was den Vater und seinen Stamm auszeichnet und auch was sonst der Eizelle fehlt, um die schlummernden Anlagen in voller Jugendfrische zu entfalten. Wie viel es mit sich bringt, das ıst eine Frage für sich, über die man zurzeit nicht viel aussprechen kann. Der Kern ıst wohl auch sicherlich etwas mehr als ein Komplex getrennter Anlagen. Auch darf man die Möglich- keit nicht von der Hand weisen, dass noch andere Bestandteile des Spermiums, vor allem vielleicht, wıe Meves meint, die Mito- chondrien, die in der Eizelle ein Gegenstück zu haben scheinen, für die Erblichkeit eine gewisse Bedeutung haben. Als Artbild oder vielmehr als „potentielles Individuum“ ist aber jedenfalls das Spermium etwas defekt. Während der Embryonalentwickelung ent- falten die beiden Reihen von Chromosomen ihre Potenzen und üben, gemeinsam und in gegenseitiger Konkurrenz, auf die Aus- bildung des Körpers einen immer mehr bestimmenden Einfluss. 1) Man gedenke der Verhältnisse bei den Infusorien, wo der Makrogamet aus dem Plasmaleib und dem stationären Kerne, der Mikrogamet nur aus dem Wander- kerne besteht. Kapterew, Über den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. 535 Eine ungleiche Verteilung der chromatischen Elemente auf die Körperzellen braucht aber dabei nicht stattzufinden. Die Lokalı- sation der Teile, die ganze Architektur der Organisation kommt, wenigstens in ihrer Grundlage durch die Entfaltung der zytoplasma- tischen Potenzen zustande; die individuell bestimmenden Faktoren aber wirken nicht lokalisiert, sondern durchdringen den ganzen Körper. In den Zellen der Keimbahn üben die elterlichen Chromo- somen einstweilen keinen Einfluss aufeinander. Erst in der Reifungs- periode, d. h. zu einer Zeit, wo das zu erneuerter Aktivität er- wachende Keimplasma sich für sein späteres Schicksal vorbereitet und auch für äußere — wohl somatogene — Impulse besonders empfänglich zu sein scheint (Tower), treten die homologen, väter- lichen und mütterlichen Chromosomen zueinander in inniger Be- ziehung. Sehr wahrscheinlich besteht dann auch zu dieser Zeit ein inniges „Zusammenleben“ zwischen den beiden Bestandteilen des Erbplasmas, das unter gewissen Umständen zur Verschiebung des Artbildes in der Richtung individueller Erwerbnisse beitragen kann. Die Annahme, dass zwischen beiden Arten von Gameten eine tiefgehende Arbeitsteilung besteht, scheint mir — weit davon, die Bedeutung des männlichen Geschlechts für die Erhaltung und be- sonders für die weitere Entwickelung der Rasse im mindesten herab- zusetzen, vielmehr dazu geeignet, nicht nur die Vorgänge der Embryonalentwickelung, sondern auch die ganze Frage von der Be- deutung der Geschlechtsdifferenzierung und der geschlechtlichen Zeugung für den Fortgang des organischen Lebens dem Verständnis etwas näher zu rücken. Im Januar 1912. Über den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. (Eine experimentelle Untersuchung.) Von P. Kapterew. (Zool. Mus. d. Moskauer Univ., Laborat. H. Prof. v. Zograff.) Untersuchungen zur Frage über den Einfluss der Dunkelheit auf das Gesichtsorgan von Daphnien stellte ich ın den Jahren 1908—1911 an. Zuerst waren sie auf eine kleine Anzahl von Exem- plaren beschränkt (die ersten 4 Serien in den Jahren 1908 und 1909), danach aber wurden sie an einer sehr großen Zahl dieser Tiere wiederholt und nach einem erweiterten Programme (die letzten 38 Serien in den Jahren 1910 und 1911). Hier will ich von dieser letzten Gruppe von Versuchen reden !). 1) Über meine früheren Untersuchungen siehe vorläufige Mitteilung in „Biol. Centralbl.“ 1910, April. 234 Kapterew, Über den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. Die Tiere wurden in einem halbdunklen Zimmer gehalten, wo- bei die mit ihnen besetzten Gefäße ın großen Holzkasten sich be- fanden (1 m lang, '/, m hoch und breit). Die Gefäße selbst, in denen die Daphnien lebten, fassten etwa 1300-1500 cem, wobei nach Möglichkeit eine große Anhäufung von Individuen in einem Gefäß vermieden wurde. Gewöhnlich überstieg die Zahl nicht 10—15 Stück, oft aber lebten darin nur 2—3, sogar nur 1 Stück, die zum Zwecke spezieller Beobachtung isoliert waren. Das Wasser wurde zu einem !/, des Gefäßes in der Woche gewechselt, was vollkommen genügte bei dem großen Fassungs- vermögen der Gefäße und der geringen Anzahl der in jedem der- selben lebenden Daphnien. Zugleich mit dem Wasser wurden auch Algen, zusammen mit dem Detritus als Nahrung beigegeben. Oft wurde das Wasser durchlüftet, um es sauerstoffreicher zu machen. Bei einem solchen Regime lebten die Daphnien sehr gut im Dunkeln, vermehrten sich regelmäßig und bei einiger Sorgfalt erhielten sich die Serien leicht bis zu einem Jahr, bis 16, ja sogar bis 21 Monate am Leben, indem sie sich parthenogenetisch vermehrten. Im Ver- laufe von 2 Monaten, als ich klarstellen wollte, ob die Verände- rungen an den Augen nicht durch Hunger oder andere ungünstige Bedingungen hervorgerufen werden, nahm ich eine verstärkte Fütte- rung der Daphnien mit Algen, Flagellaten u. s. w. vor, so dass das Wasser in den Gefäßen, ım denen sie lebten, grünlich erschien; ich wechselte auch öfter das Wasser und durchlüftete es häufiger. Die Veränderungen an den Augen gingen jedoch ihren Weg. Als Versuchsmaterial wählte ich die Gattung Daphnia O. F. Müller), und zwar die Arten pulex (17 Serien), longispina (17 Serien), hyalina cueullata (3 Serien) und dann die Gattung Simocephalus (1 Serie, S. vetulus); die Versuchstiere wurden aus 10 verschiedenen Wasseransammlungen entnommen. Als Resultat ergab von 38 Serien nur eine Serie palex var.? nach Verlauf von 4 Monaten keine deutliche Depigmentation des Auges, in den übrigen 37 Serien aber wurde an vielen Tausend Exemplaren der Zerfall des Pigments der Augen in einzelne Kügel- chen und deren Zerstreuung über den ganzen Körper des Tieres beobachtet. Die Depigmentation trat bei longispina eher auf als bei pulex, und zwar bei longispina: Beginn der Serie: 3eginn der Depigmentation: l 19. Mai 2... am 11. Tage des Aufenthalts im Dunkeln 2 u NURUSE IT nel € rs > ; 3: DEANUSUStE on ne alilERe n H ” .. 4. ZISAHEUSE, 2. a on 3 5 5 57 HF AMBUSTES 27. ng 2. % » a 6. PN A 5 $ - 5: Ze 2: August As Me ld n y ” 5 8. ZA USUBLIND N. lu, Er n N > Kapterew, Über den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. 235 Beginn der Serie: Beginn der Depigmentation: 9. 2. August. . . „. am 16. Tage des Aufenthalts im Dunkeln 109.24. Juni Ka. el n ‘ n ie oni Er (ee ” ne ® 12. AS AUCHRUeN, ae, 18.5 r N 4 a ae Non = RR en Ko lee 1, 5 5, 14 20. Juni ; Mer. DOM: ss ; 15. 10. Mai Er 2 „ » 16. 31. Mai N er 5 7 B 17% BABSUSBE ER. ni, AÜmER, r E Alle Serien von D. longispina lieferten die Depigmentation sehr leicht, gewöhnlich schon ın der 1. Generation, die im Dunkeln hervorging und dabei in weit intensiverem Grade als D. pulex, für welche wir folgende Ziffern haben (alle 10 Serien wurden unmittel- bar aus Dauereiern erzogen): 1.—3. Serie . . . die Depigmentation begann am 22. Tage ] I EEG, r ” ET nach dem Aufenthalt Re FI r = Ba 82 32 im Dunkeln und dem Ta a = a Hervorkommen des SIE SEE : 2. Kuraheee: | Mutterexemplars ua Er EN Er E E; PAR, (5 aus dem Dauerei. I N | Die übrigen Serien von D. pulex, die zu verschiedenen Zeiten begonnen wurden und nicht unmittelbar aus Dauereiern hervorgingen, ergaben eine Depigmentation ın denselben Zeiträumen, von 22—60 Tagen (die erstere begann am 22. Juni, die letztere am 31. Dezember; diese lebte anfangs 4 Monat bei Tageslicht). Daphnia hyalina-cueullata lieferte im Durchschnitt die Depig- mentation nach einem Monat, und Simocephalus (die Serie begann am 27. Mai) — nach 43 Tagen. Somit beobachtete ich in den Jahren 1910 und 1911 die Er- scheinung der Depigmentation des Auges mit Zerstreuung des Pig- ments über den Körper an 37 Serien von 5 Arten Daphnien. Die Gesamtzahl der Exemplare, die einer solchen Veränderung unter- lagen, zählte nach Tausenden. Der Depigmentationsprozess ver- lief stets nach ein und demselben Plane, mit einigen Variationen im Tempo und der Intensität. Gewöhnlich zerfällt ein Teil des Augenpigments am Rande, der zum Ganglion optieum gekehrt ist, in rundliche Klümpchen mit scharf umgrenzten Konturen. Diese Klümpchen beginnen sich vom Auge abzutrennen, werden vom Blutstrom ergriffen und über den ganzen Körper verschleppt, indem sie neben dem Schwanzstachel stecken bleiben, oder neben dem Herzen und in besonders großer Menge in den Lakunen im Innern der Schalen des Panzers der Daphnien, zwischen dem Hypoderm und der inneren Chitinhülle derselben. An den von mir erzielten Exemplaren kann man alle Stadien der Depigmentation verfolgen, angefangen mit 1—2 Klümpchen 236 Kapterew, Über den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. Pigment, die sich vom Auge abtrennen, das scheinbar noch normal aussieht und fortwährend bis zu fast vollständigem Zerfall des Pig- ments und seiner Verteilung in Gestalt massenhafter, schwarzer Körnchen über den ganzen Körper des Tieres (Abb. 1, D. pulex). Unwillkürlich steigt einem die Frage auf (siehe meine vorläufige Mitteilung), ob man es hier nicht mit Phagozytose zu tun habe? Die weiteren Beobachtungen bestätigen diese Voraussetzung. Jedoch erscheint hier die Phagozytose vielleicht nur als eine sekundäre Erscheinung. Die Veränderungen beginnen im Pigmentgewebe des Auges selbst und laufen darauf hinaus, dass ein Teil desselben oder das Ganze in rundliche, voneinander abgetrennte Stück zerfällt, die dann von den Phagozyten ergriffen wer- den. In das unveränderte Pigment- gewebe eindringende Phagozyten ge- lang es mir kein einziges Mal an den Präparaten zu sehen. Freilich ıst es sehr wohl möglich, dass unter diesen schwarzen Klümpchen sich auch Phagozyten befinden, die ganz mit ergriffenem Pigment vollgestopft sind. Den Zerfall des Augenpigments in Kügelchen kann man gut beob- achten, wenn man das zum Teil depigmentierte Auge der Daphnie aus ihrem Körper löst und einem leichten Druck unter dem Deckglase unterwirft; nach und nach fallen alle abgetrennten Klümpchen des Pigments heraus und es bleiben im Zusammenhang nur die Zellen des noch nicht depigmentierten Teiles des Auges. Die Leukozyten der Daphnien sind von ziemlich bedeutender Größe und meistenteils kann jeder von ihnen ein ganzes Klümpchen Pigment ergreifen, indem er es mit seinem Plasma umgibt. Solche Phagozyten mit Pigmentklümpchen kann man überall im Körper der Daphnien bei Augendepigmentation beobachten, besonders bequem aber, wenn man die Schalen des Panzers der Daphnien abtrennt und sie zu einem Flächenpräparate ausbreitet. Hier sind dann die Phago- zyten mit ihren Auswüchsen und Kernen vollkommen zu sehen und in so großer Zahl, dass an einem Präparate man verschiedene Stadien der Ergreifung und Verdauung der Pigmentkugel beobachten kann. nz Kapterew, Über den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. 257 In den meisten Fällen werden wir Pigmentklümpchen mit ein- zelnen Phagozyten sehen, die sie umhüllen, zuweilen mit sehr großen Su = Abb. 2. Abb. 3. Auswüchsen (z. B. auf Abb. 2 u. 3, D. pulex). In anderen Fällen werden Gruppen von Phagozyten zu sehen sein, die sich neben einem großen Klümpchen Pigment anhäuften, wobei einige der nächsten von ihnen in ein Plasmodium mit vielen Kernen zusammenflossen (Abh. 4, D. longispina)?). Endlich treffen wir Fälle, wo das Pigment- klümpchen schon sich aufzu- lösen begann, es sind in ihm Öffnungen aufgetreten u. s. w. Oft ıst es schwer zu bemerken, ob ein Phagozyt das Pigment- klümpchen umhüllt, da er sich hierbei so ausreckt, dass sein Plasına die Beute mit einer kaum wahrnehmbaren Schicht umhüllt, in der irgendwo auch der Kern liegt, eine leichte Auf- treibung bildend. Zuweilen wird ein großes Pigmentklümpchen durch viele Phagozyten total in Teile zerrissen®). Sehr lehrreich Abb. 4. 2) Die Abbildungen 2-4 sind mit Zeiss’ 2 mm Apochrom, und Compens, Okul. Nr. 12 photographiert. 3) Prof. Ognew beobachtete ebenfalls eine ähnliche Absonderung von Pigment- klümpchen in der Retina von Goldfischen, die 3 Jahre im Dunkeln gelebt hatten, und wie sie von Phagozyten gefressen wurden. „Biol. Zeitschr.“ Bd. I, T. I, 1910 (russisch). 238 Kapterew, Über den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. ist es, den Prozess der Zerstreuung der Pigmentkügelchen über den Körper der Daphnie an einem lebenden Exemplar zu beob- achten, was ich öfters tun konnte. Man sieht, wie schnell sie durch den Blutstrom dahingetragen werden vom Kopf in verschiedene Teile des Körpers und wie sie hier und da aufgehalten werden. Oft kann man sehen (bei verkleinertem Diaphragma), wie die Pha- gozyten sie umhüllen. Natürlich sieht man sie am besten, wenn die Kügelchen in die Lakunen der Subkutikularschicht in den Schalen gelangen und dort stehen bleiben, nur von dem einschichtigen Hypoderm und der durchsichtigen Chitinhülle der Schale bedeckt. Dank der Klarstellung der Rolle der Phagozyten beim Prozesse der Depigmentation des Daphnienauges wurde auch eine Erklärung der Tatsache ermöglicht, dass ım Herbst und Winter in Serien, die in einem kühlen Raum gelebt hatten, fast gar keine Zerstreuung des Pıgments beobachtet wurde, obwohl an den Rändern des Auges schon Absonderungen aufeinanderliegender Pıgmentkügelchen statt- gefunden hatten. Höchstwahrscheinlich wurden beim Fallen der Temperatur die Phagozyten schlaff und passiv und ergriffen nur selten einige Kügel- chen. Brachte man diese Serien ın einen wärmeren Raum, so lieferten sie normale Bilder der Depigmentation mit Phagozytose. Veränderungen des Pigmentteils des Nebenauges wurden als Ausnahmen beobachtet und nur in drei Fällen — es teilte sich in zwei Teile. Es ist dieses offenbar eine ganz zufällige Erscheinung, die in keinem direkten Zusammenhange mit dem Mangel an Licht stand, um so mehr, als in einigen Kulturen Chydorus sphaericeus bei Tageslicht ich den Zerfall des Pigments (ohne Zerstreuung) am Nebenauge beobachtete, wobei das große Auge stets normal blieb. Es ıst wichtig, klarzustellen, ob die beschriebenen Verände- rungen eben durch den Mangel an Licht hervorgerufen werden, oder etwa durch andere Nebenfaktoren? Wie bekannt haben eine Menge Forscher Daphnienkulturen der Einwirkung erhöhter und erniedrigter Temperatur unterworfen, dem Hunger und dem Überfluss an Nahrung, ja auch der Aus- trocknung. Man erzog sie in einem sehr geringen Wasserquantum, das von ihren Exkretionsprodukten gesättigt war, doch wurden keine Hinweise auf irgendeine Veränderung des Auges, ähnlich der be- schriebenen, von irgendeinem von ihnen gefunden. Die einzigen Angaben finden sich nur ın der Arbeit von G Papanikolau®), der mit Simocephalus vetulus experimentierte, Die Arbeit behandelt die Frage der Geschlechtszyklen und auf Grund langdauernder Versuche kommt der Verfasser zu dem Schlusse, dass die ersten Würfe (er erhielt ihrer bis zu 16 ın den 1. Gene- 4) „Biolog. Centralbl.,“ 1910, November— Dezember. Kapterew, Über den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. 239 rationen) einer bedeutenden Anzahl (bis zu 20 bei Zimmertempe- ratur) von Generationen durchaus keine Neigung zeigen zu ge- schlechtlicher Vermehrung und zur Degeneration, aber diese Neigung tritt auf und verstärkt sich mit dem Anwachsen der Menge der Würfe und Generationen, und die letzten Würfe bestehen gewöhn- lich aus degenerierten Individuen, die zum Leben und zur Ver- mehrung nicht geeignet sind. In ihrem Organismus beobachtet man verschiedene Deformationen (der Stirn, der Schalen u. s. w.); die Eiablage ist bei ihnen unregelmäßig und spärlich; die Embryonen sterben meistenteils und lösen sich in der Brutkammer noch vor der Geburt auf. Neben solchen Missbildungen beobachtete Papa- nikolau bei recht vielen solcher degenerierter Simocephalus eine Verkleinerung, ja, sogar das Schwinden des Pigmentteils des Neben- auges und auch 12 Fälle des Zerfalles des Pıgmentteils des großen Auges. Aus diesem Grunde meint Papanıkolau, dass auch die Er- scheinung der Depigmentation des Daphnienauges, wie ich in meiner vorläufigen Mitteilung beschrieb, auf der Basis der Degeneration erfolgte, der allgemeinen Schwächung des Organismus, zum Teil dank der langdauernden parthenogenetischen Vermehrung, teils dank den ungenügenden Lebensbedingungen. Somit entsteht die Frage: trıtt die Depigmentation des Auges nicht infolge der Degeneration der Individuen auf? Als Antwort auf diese Frage kann eine ganze Reihe von Ver- suchen gelten. Nach Papanikolau’s Versicherung kann die Depig- mentation des Auges bei den ersten Würfen der ersten partheno- genetischen Generationen nicht erreicht werden, wenn gesunde, nicht zur Degeneration neigende Individuen geboren werden. Das wird aber durch die Versuche durchaus nicht bestätigt. Von meinen 17 Serien von Daphnia pulex hatten ganze 10 ihren Ausgang direkt von aus Dauereiern erzogenen Tieren genommen. Das Verweilen derselben im Dunkeln ergab folgende Resultate: Die Depigmentation trat ein: Serie Generation Wurf at Becan des Versuches % 2. I. 22. 2. 2. l. 22. 3% 2: 1. 22. 4. 2. Ile 25: 5. 2. Il. 23: 6. 2 l: 26. 7. 2. 1; 33 8. 2. l. 44. 9. 3. 1. 36. 10. 3. Il 60. In einem Falle gelang es, eine deutliche Depigmentation mit Phagozytose bei Exemplaren der ersten Generation zu erzielen, d.h, 940 Kapterew, Über den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. die unmittelbar aus Dauereiern herstammte, nachdem sie 34 Tage im Dunkeln erzogen war. Somit ist hier ersichtlich, dass ın S von 10 Fällen die Depig- mentation in der zweiten Generation auftrat und stets mit dem ersten Wurfe. Die Degenerationserscheinungen an den Individuen bei Papanikolau wurden ın den ersten Würfen nur bei den letzten, zwanzıgsten Generationen erreicht, unmittelbar vor dem Aussterben der Serien durch Erschöpfung. Es ıst klar, dass gar keine Rede von einer Depigmentation infolge von Degeneration sein kann. Außer den direkten Versuchen sprechen hierfür auch einige elementare Überlegungen: 1. Im ganzen hatte Papanikolau 12 Stück Simocephalus mit missbildetem Auge und die Gesamtzahl der von ihm erzogenen Individuen viele Tausende. In meinen Serien aber erreichte der Prozentsatz der Individuen mit Depigmentation, besonders bei D. longispina, im den Sommermonaten bis 90°/, und kam sogar 100°, nahe; und die Gesamtzahl der Daphnien aller Arten und Serien mit Augendepigmentation betrug auch Tausende. 2. Ich beobachtete in meinen Serien überhaupt keine Degene- rationserscheinungen, außer einigen Einzelfällen. Es kam keine Deformation der Stirn, des Kopfes, der Schalen vor, keine Re- duktion oder Missbildung der Endkrallen und Zähnchen des Post- abdomens; es gab keine bemerkbaren Veränderungen oder Miss- bildungen an den Geschlechtsorganen, dem Darm, der Schalendrüse, und bei genügender Nahrung ging stets eine regelmäßige Vermehrung vor sich. Als Beweis hierfür gilt einerseits die Länge der Lebens- dauer der Serien — bis zu 21 Monaten, wobei die Depigmentation an 10 und mehr Generationen der Reihe nach beobachtet wurde, andererseits die lange Dauer des Lebens der einzelnen Individuen mit äußerster Augendepigmentation, die leicht 1°/,—2 Monate lebten und zahlreiche gesunde Nachkommenschaft lieferten. Bei den S?mo- cephalus-Kulturen von Papanikolau starben die degenerierten Individuen bald und waren überhaupt nicht lebensfähig, womit er auch das Fehlen solcher Formen bei natürlichen Verhältnissen er- klärt. Die Individuen mit depigmentierten Augen in meinen Serien unterscheiden sich aber ın nichts von normalen, gesunden Tieren, außer durch ihre Sehorgane. 3. Eine Zerstreuung des Pıgments über den Körper und Phago- zytose beobachtete Papanıkolau nicht, an keinem einzigen seiner Exemplare. Das ganze Pigment blieb ım Kopf, an der Stelle, wo normalerweise sich das Auge befand. 4. Die degenerierten Simocephalus ın den Kulturen Papa- nikolau’s wurden oft schon mit zerstörtem Augenpigment geboren und die Nachkommenschaft, die er mit vieler Mühe von solchen Individuen erzielte, hatte normale Augen. Kapterew, Über den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge. 941 In meinen Daphnienkulturen sah ich kein einziges Mal neu- geborene Exemplare mit Depigmentierung des Auges. Diese trat auch gewöhnlich leichter bei Nachkommen von Individuen mit depigmentierten Augen auf, als bei Nachkommen normaler Tiere. In den Serien gab es ganze Reihen von Generationen mit derartiger Veränderung des Auges. Aus alle dem Gesagten wird es klar, dass Papanikolau bloß einen äußerlich ähnlichen Vorgang beobachtete, der aber seinem Wesen nach ein ganz anderer war. Seine 12 Exemplare waren einfach missgebildete Individuen, Zufallserscheinungen, die keine Augendepigmentation, sondern einen teratologischen Zer- fall des Pigments aufwiesen. Am überzeugendsten wirken hier Parallelzuchten von Tieren aus ein und demselben Wurfe und Generation im Dunkeln und bei Tageslicht. Das Mutterexemplar mit Embryonen in der Bruttasche wurde in einem Gefäße isoliert und der nächste Wurf desselben wurde ın zwei gleiche Teile geteilt: ein Teil kam ins Dunkel, der andere blieb im Hellen und sie wurden unter möglichst gleichen Bedingungen erzogen. Die Versuche wurden mit großer Sorgfalt durchgeführt, ım Verlaufe zweier Generationen mit Registrierung der Individuen. Als Material diente D. longispina aus einem kleinen Gewässer. Alle Serien begannen am 2. August 1911. (Stets wurden nur die ersten Würfe genommen.) Resultate: Im Dunkeln: Im Hellen: l. Serie. 1. Generation. Nach 11 Tagen 1. Generation tritt bei allen scharfe Depigmen- tation mit beginnender Zerstreuung \ vollkommen des Pigments auf. Nach 15 Tagen normal. — scharfe Phagozytose. 2.Generation. Nach 6 Tagen nach der Geburt scharfe Depigmentation mit Phagozytose, viel stärker als bei den Eltern. DD . Generation 2. Serie. 1. Generation. Nach 13 Tagen 1. Generation bei allen sehr scharfe Depigmen- | vollkommen tation mit ebensolcher Phagozytose. normal. 2.Generation. Nach 4 Tagen nach 2. Generation der Geburt — dasselbe wie bei den Eltern. 3. Serie. 1. Generation. Nach 11 Tagen 1. Generation bei allen scharfe Depigmentation; | das Bild der Phagozytose besonders vollkommen stark am 15. Tage des Versuches. normal. 2. Generation. Am 7. Tag ihres 2. Generation Lebens Depigmentation mit Phago- zytose, die am 21. Tage einen sehr scharfen Charakter annimmt. XXX1. 16 2342 Kapterew, Über den Einfluss der Dunkelheit auf das Daphnienauge, Resultate: Im Dunkeln: Im Hellen: 4. Serie. 1. Generation. Nach 11 Tagen 1. Generation Beginn der Depigmentation; zum 15. Tage tritt Phagozytose in scharfer vollkommen Form auf. normal. 2. Generation. lbenso, wie die 2. Generation 2. Generation der vorhergehenden Serie. 5. Serie. 1. Generation. Nach 12 Tagen 1. Generation Beginn der Depigmentation; zum 16. Tage tritt sie in scharfer Form vollkommen mit Phagozytose auf. normal. 2. Generation. Beginn der Depig- 2. Generation mentation am 4. Tage; am 9. Tage nimmt sie einen sehr scharfen Cha- rakter mit starker Phagozytose an. 6. Serie. 1. Generation. Depigmentation 1. Generation — geht zugrunde am 12. Tage. (zufällig). 2. Generation. Zum 6.Tage nach 2. Generation — ganz normal. der Geburt — scharfe Depigmen- tation mit Phagozytose. Außerdem führte ich solche Kontrollversuche einer parallelen Aufzucht oft auch bei D. palex durch und alle ergaben unverändert dasselbe Resultat: Depigmentation mit Zerstreuung des Pigments über den Körper des Tieres ım Dunkeln und Beibehaltung des normalen Auges im Tageslicht. Wenn die Depigmentation des Auges nicht durch die Dunkel- heit hervorgerufen werden würde, sondern durch irgendeinen anderen Faktor, z. B. durch Degeneration, warum sollte sie dann nicht auch bei Individuen auftreten, die ım Tageslicht lebten? Doch die Ver- suche mit Parallelzuchten zeigen deutlich, dass derartige Fälle kein einziges Mal vorkamen — ja, es kamen nicht einmal Andeutungen der Depigmentation vor. Mir scheint, dass alles dieses überzeugend genug ist dafür, dass die Depigmentation des Daphnienauges infolge des Lichtmangels eintritt und dass die anderen Faktoren nur eine Nebenbedeutung besitzen, d.h. nur das Tempo und die Intensität der Veränderung beeinflussen, aber nicht deren Entstehung. Verhält es sich aber so, so kann man die beschriebenen, tief- greifenden Veränderungen der Sehorgane als Antwort (Reaktion) des Organismus auf veränderte äußere Bedingungen seiner Existenz ansehen. Inwieweit diese Veränderungen dauerhaft sind und ob sie in der Tat vererbt werden — ist eine sehr schwierige Frage, die sorgfältige, spezielle Experimente erfordert. Eine einigermaßen Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe, 3453 bestimmte Antwort schon jetzt zu geben ist unmöglich. Nur der oft beobachtete Umstand lenkt die Aufmerksamkeit auf sich, dass die Nachkommenschaft von Individuen mit depigmentiertem Auge, die im Dunkeln zur Welt kommt, schneller und stärkere Veränderungen gıbt (man vergleiche z. B. die ersten und zweiten Generationen des Versuchs der Parallelaufzucht), als die Jangen normaler Eltern. Sie erscheint weniger widerstandsfähig gegen den Ein- fluss der Dunkelheit als die letzteren. Moskau, den 16./29. Sept. 1911. Rudolf Höber. Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. 3. Aufl. Gr. 8°. XV u.671S. 55 Textfiguren. Leipzig, Wilh. Engelmann, 1911. Wir leben ohne Zweifel auch auf dem Gebiete der Wissen- schaften ın einer Periode der literarischen Überproduktion, wo fast jeder, „selbst die Feder ergreifend, auf das Büchlein ein Buch mit seltener Fertigkeit pfropft“. Dieses Übermaß herrscht besonders auf dem Gebiete der perio- dischen wissenschaftlichen Publikationen und ist hier geradezu eine Gefahr geworden, weil niemand mehr imstande ist, die Unsummen von Veröffentlichungen zu lesen und kritisch die Spreu vom Weizen zu sondern. | Mit der Überproduktion an einzelnen Abhandlungen steht es wohl auch, abgesehen von der buchhändlerischen Spekulation, ın Zusammenhang, dass Hand- und Lehrbücher und Nachschlagewerke wie die Pilze aus der Erde schießen. Dabei wird man nicht behaupten können, dass die Qualıtät zugleich mit der Quantität gestiegen sei; ım Gegenteil, der kritische Beobachter wird geneigt sein zu der Auffassung, dass epoche- machende und für längere Zeiträume Richtung gebende Werke, wie es Johannes Müller’s und noch Hermanns Handbuch der Phy- siologie waren, sehr selten geworden sind. In einer solchen Zeit ist es für den Referenten eine besondere Freude, über das Er- scheinen eines so prächtigen Buches, wie Höber’s physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe es ist, berichten zu können. Die Bedeutung der physikalischen Chemie für die gesamte Biologie wächst beständig, je mehr man erkennt, dass das ver- wickelte Getriebe des Zellstoffwechsels nicht auf der Existenz be- sonderer „lebendiger“ Moleküle von phantastischer Größe, sondern auf der innigen gegenseitigen Beeinflussung beruht, welche die ein: zelnen an sich einfachen Reaktionen in der Zelle aufeinander aus- üben; je mehr auch, und vor allem, man sich von der wichtigen Rolle überzeugt, welche die physikalische Natur des Substrats und das Milieu der Reaktionen spielen. Der Satz, den Jacques Loeb am Ende des 19. Jahrhunderts als ein Programm aussprach: „ın order to accomplish our task we must make adequate use of com- 16° 244 Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. parative physiology as well as physikal chemistry. Pathology ın particular will be benefited by such a departure,“ er ist heute eine Selbstverständlichkeit. Wenn Justus Liebig die Vorrede zu seiner letzten berühmten Abhandlung heute schreiben würde, so würde ein bekannter Satz darın wohl so lauten: „Durch das Zusammen- wirken von organischer Chemie und physikalischer Chemie allein kann die Physiologie zu dem Range einer induktiven Wissenschaft erhoben werden und ihre wahre Bedeutung für die Therapie ge- winnen; es ist zu erwarten, dass die Physiologie alsdann zu der Medizin in ein ähnliches Verhältnis treten wird, wie es die Agri- kulturchemie bereits angenommen hat gegenüber der Landwirt- schaft, dıe zur Erzeugung ihrer Produkte sich lebender organischer Wesen, der Pflanzen und Tiere bedient.“ Es kann, wie auch Höber an einer Stelle seiner Vorrede es andeutet, heute nicht mehr ernstlich bestritten werden, dass der Rahmen der Physiologie zu eng geworden ist; möge der Tag nicht mehr fern sein, wo man allgemein der physiologischen Chemie wie der chemischen und physikalisch-chemischen Physiologie auch im Unterricht die notwendige Freiheit und Selbständigkeit gewährt. Das Buch von Höber ist ın seiner neuen dritten Auflage um über 200 Seiten gewachsen; diese Steigerung des Umfangs ist wesentlich durch die Berücksichtigung neuer Tatsachen bedingt. Besonders haben die Fortschritte der Kolloidehemie zu umfangreichen Vermehrungen und zur Aufnahme eines besonderen größeren Kapitels über Adsorption geführt. Im übrigen sınd Anlage und Charakter des Buches die gleichen geblieben. Obwohl die neue Auflage alle wichtigeren neuen Er- gebnisse fast mit der Vollständigkeit eines Handbuches verzeichnet, wird man von der Fülle der Tatsachen nicht erdrückt; die souveräne Beherrschung des gewaltigen Materials befähigt Höber, über dem Gegenstand zu stehen, und mitten durch die Wirren des Details den vielverschlungenen Weg ebenso sicher wie angenehm zu führen. Ich betrachte es als einen Hauptvorzug des Werkes, dass es auch in seiner neuen, erweiterten Gestalt ein lesbares Buch, ein Werk aus einem Grusse geblieben ist. Beibehalten ist wie ın den früheren Auflagen die Art der Ein- fügung der reinen physikalischen Chemie. Indem der Verfasser die einzelnen rein theoretischen Kapitel über den osmotischen Druck, die Theorie. der Lösungen, die lonenlehre, die Lehre vom che- mischen Gleichgewicht u. s. w., den physiologischen Anwendungen jeweils vorausschickt, erreicht er, dass das Buch auch für Leser benützbar ist, welche bis dahin der physikalischen Chemie fremd ‚gegenüber stehen; es ist nicht zu leugnen, dass auf diese Weise solche Leser anregend und angenehm in die Theorie eingeführt werden. Immerhin möchte ich dem Herrn Verfasser zu erwägen geben, ob sich für künftige Auflagen nicht eine Teilung des rein physi- kalisch-chemischen und des physiologischen Gebietes empfiehlt? Diejenigen Leser, welche die physikalische Chemie bereits gründ- Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. 345 licher kennen als sie in derartigen einleitenden Kapiteln behandelt werden kann, werden, je mehr das Buch an Umfang zunehmen wird, durch die für sie überflüssigen Zwischenschaltungen gestört und abgelenkt werden. Der Mediziner oder Biologe andererseits, der sich überhaupt ernstlich um die Vertiefung seiner physio- logischen Vorstellungen bemüht, wird es nicht unterlassen, einen besonderen, zu dem Buch gehörigen Abriss der physikalischen Chemie zu studieren. Wichtig bleibt dabei ja nur, dass dieser Abriss mit besonderer Rücksicht auf den Leser des physiologischen Teils geschrieben ist. In einem solchen kurzen Abriss könnten dann vielleicht auch einige Hauptsätze der Differentialrechnung ihre Stelle finden, etwa in dem Umfange, wie dieser Teil der Mathematik heute auf der Oberstufe besserer Oberrealschulen gelehrt wırd. Dass man von dem Mediziner, der aus dem humanistischen Gymnasium kommt, eine mathematische und naturwissenschaftliche Ergänzungsprüfung fordert, wie sie der Oberrealschüler, wenn er Jurisprudenz studieren will, ım Latein abzulegen hat, ist ja wohl leider einstweilen nicht zu erwarten. Für Leser, welehen das Buch, wie dem Referenten, seit der ersten Auflage ein lieber Freund gewesen ist, wird es genügen, auf das von vielen freudig erwartete Erscheinen der neuen Auflage hin- gewiesen zu haben. Wer das Buch noch nicht kennt, mag aus der folgenden kurzen Inhaltsübersicht wenigstens annähernd ermessen, welche Fülle von interessanter Belehrung er erwarten darf. Das erste Kapitel behandelt den osmotischen Druck und die Theorie der Lösungen, wobei der historischen Entwickelung folgend von den bekannten botanischen Untersuchungen Pfeffer’s ausge- gangen wird. Die Analogien zwischen osmotischem Druck und Gas- druck, die Methoden der indirekten und direkten Messung finden eine außerordentlich klare Darstellung. Auf Seite 12 dürfte es sich im Interesse des Anfängers empfehlen, den Gasraum eines Grammolekels bei 0° und 760 mm Quecksilber aus der Beziehung zwischen dem Litergewicht des Sauerstoffs und seinem Molekulargewicht abzuleiten. Der nächste Abschnitt bringt die Anwendung auf physiologische Probleme; er behandelt demgemäß den osmotischen Druck in den Organismen. Die Faktoren, welche den Gefrierpunkt des Blutes und des Harns beeinflussen, werden erörtert. Es wird die interessante Entwicke- lungsreihe aufgezeigt, welche von den „poikilosmotischen“ Meeres- tieren zu den „homoiosmotischen“ höheren Tieren führt. Die ge- nannten Bezeichnungen sollen die Analogie zur allmählichen Aus- bildung einer konstanten Eigenwärme ausdrücken. Hier wird das ebenso schwierige wie interessante Problem aufgeworfen, warum bei fast allen höheren Organismen gerade ein osmotischer Druck von 8 Atmosphären vorhanden ist. Welche große Bedeutung der Osmose für die Physiologie auch ın methodischer Beziehung zukommt, wie sehr aber auch gerade hier eine eingehende Kenntnis der Theorie für die kritische Beur- 346 Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. teilung der erhaltenen Resultate notwendig ist, das ergibt die Dar- stellung der Versuche, in denen Michaelis und Rona unter An- w endung der osmotischen Kompensation nachzuweisen suchten, dass der Zucker im Blute nur frei vorhanden ist. Vielleicht wären hier auch die bekannten Untersuchungen von Asher über den gleichen Gegenstand zu kritisieren gewesen, welche in der Literatur immer noch eine sehr große Rolle spielen, obwohl, ganz abgesehen von dem bekannten Einwurf Pflüger’s, ihre phy- sikalisch-chemische Basis falsch ist. Wenn man Blut gegen zucker- freie Lösung dialysiert, so kann aus den Ergebnissen eines solchen Versuchs ebensowenig ein Beweis gegen die Existenz einer che- mischen Bindung des Zuckers hergeleitet werden, wie aus der Aus- pumpbarkeit des Sauerstoffs gegen die Annahme eines Oxyhämo- globins! Das dritte Kapitel ist wieder rein physikalisch-chemisch; es behandelt kurz und klar die Ionentheorie. Die eigentliche Grundlage der modernen physikalischen Chenie finden wir im nächsten Abschnitt: Die Begriffe des Massenwirkungs- gesetzes, der Reaktionsgeschwindigkeit, des chemischen Gleich- gewichts treten hier auf. Außerordentlich schön wirkt hier der Kunstgriff, die Theorie gleich an Beispielen zu entwickeln, welche auch physiologisch von größter Bedeutung sind. Ich erwähne die Beziehun gen zwischen Hämoglobin, Oxyhämoglobin und Sauerstoff, die Be- dingungen der Löslichkeit der Harnsäure, die Reaktion des Blutes, der übrigen Körpersäfte und Sekrete. Hier darf ich wohl eine allgemeine Bemerkung einflechten; die junge Erkenntnis, dass die Wasserstoffionenkonzentration des Blutes so gering ist wie die praktisch neutralen reinen Wassers, wird in ihrer eroßen che- mischen Bedeutung gewiss von jedem Physiologen gewürdigt. Trotz- dem bleibt der Blutalkaleszenz im alten Sinne vom Standpunkt des organischen Chemikers wie des Physiologen eine hohe Bedeutung erhalten. Ich erinnere nur an die dadurch bedingte Fähigkeit, wechselnde Mengen Kohlensäure aufzunehmen, den Organismus gegen schädliche "Säuren zu schützen u. dgl. Gerade, weil ich in der Ausbildung der Biophysikochemie eine besonders gr oße Errungen- schaft erblicke, möchte ich vor der unbeabsichtigten Erweckung des Anscheins warnen, als ob in ihr der Zauberschlüssel gefunden sei, welcher allein alle Zugänge zum Geheimnis des Lebens aufsperrt. Eine mit Recht sehr ausführliche Darstellung ist den osmo- tischen Eigenschaften der Zellen und besonders der Lipoidtheorie gew idmet. Die letztere ist ja besonders durch ihre pharmakologischen Beziehungen zur Theorie der Narkose populär geworden. Für die Aufklärung der Probleme der Pharmakologie und Toxikologie darf sie nach der eingehenden Kritik Höber’s wohl auf dauernde Be- deutung Anspruch machen. Die kritischen Ausführungen Höber’s über diese wissenschaftliche Angelegenheit, an deren Aufklärung er sich ja selbst mit hervorragendem Erfolg beteiligt hat, verdienen die ernste Aufmerksamkeit aller Pharmakologen und Ärzte. Was Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. AT die Rolle der Lipoide im Getriebe der eigentlich physiologischen Vorgänge anlangt, so erscheint sie nach Höber’s Urteil erheblich eingeschränkt. Er fasst seine Anschauung folgendermaßen kurz zusammen: „Es ist anzunehmen, dass der physiologische Import und Export ein komplizierter, unanalysierter, an die Lebenstätigkeit der Zelle gebundener Vorgang in der Zelloberfläche, der Plasma- haut ist. Dieser Vorgang setzt meist nur unter bestimmten Be- dingungen ein; diese sind uns noch nicht genügend bekannt. Es ıst nicht anders denkbar, als dass für solche Aktion der Plasma- haut eine komplizierte Organisation erforderlich ist. An diesem Aufbau nehmen unter anderem auch Lipoide teil. Deren Anwesen- heit bringt es mit sich, dass die Zellen passiv durchlässig für eine große Zahl von Stoffen ist, welche im Leben der Zelle im allge- meinen keine oder nur eine geringe Rolle spielen.“ Ist diese An- schauung Höber’s richtig, so wäre die hochfliegende Erwartung, welche sich bezüglich des Mechanismus des Stoffaustausches an die Aufstellung der Lipoidtheorie knüpfte, nicht erfüllt. Vielleicht darf man aber doch etwas optimistischer urteilen. Wasser allein tuts freilich nicht, wie es im Katechismus heisst, und die Lipoide allein tun es auch nicht Ich erwarte die Aufklärung von dem Zusammen- wirken der physiologischen mit der physikalischen Chemie. Wenn z. B. der Zucker die Plasmahaut passiert — was er im Organismus doch sicher tut —, und im Experiment er sich als lipoidunlöslich erweist, so schließe ich daraus, dass irgendwie und irgendwann eine Iipoidlösliche Verbindung des Zuckers entsteht. Das nächste 8. Kapitel behandelt die Erscheinungen an den Grenzflächen, also die Oberflächenspannung und ihre Be- zıiehungen zur Adsorption. Dieser neu aufgenommene Ab- schnitt vermittelt Vorstellungen, welche für das Verständnis der kolloidalen Lösungen von fundamentaler Wichtigkeit sind. Obwohl die Darstellung hier im wesentlichen eine rein physikalisch-chemische sein muss, werden, zum Teil in späteren Teilen des Buches näher erörterte, physiologisch interessante Probleme berührt. Ich erwähne die von verschiedenen Forschern studierte Beziehung zwischen Giftigkeit und Adsorption, die auf den Arbeiten von Arrhe- nıus beruhende Auffassung der Immunkörperreaktionen als Adsorptionsvorgänge, und die Bildung der Haptogenmembran. Schließlich wird das Mitwirken elektrischer Kräfte bei der Adsorption untersucht und die Theorie der Kataphorese und Elektroendosmose entwickelt. Hier finden die in physiologischen Kreisen noch wenig bekannten Versuche von Girard über Dia- phragmenpolarisation ihre Stelle, welche besonders dadurch interessant werden, dass sie das Verständnis für das Auftreten elektrischer Ströme in lebenden Organismen ermöglichen. Indem gezeigt wird, dass die elektrische Aufladung des Diaphragmas auch durch mechanische Arbeit oder durch osmotischen Druck geleistet werden kann, führt uns Höber zu einer für die Elektrophysiologie wichtigen Konsoquenz: Membranen, welche in einem osmo- tischen Druckgefälle liegen, können zum Sitz einer 248 Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. gerichteten elektromotorischen Kraft werden, und gering- fügigste Änderungen in H- und OH-Gehalt der die Mem- branen durchtränkenden Lösungen sowie auch Ande- rungen in der Steilheit des Druckgefälles können Anderungen der Membranpolariısation herbeiführen. Dass die Ühemie der Kolloide eine besonders eingehende Behandlung erfahren hat. darf dankbar begrüßt werden. Das Sub- strat des Lebens ist ja kolloıdal und wahrscheinlich auch das wich- tigste Handwerkszeug der Zelle, die Fermente. Das 75 Seiten umfassende Kapitel gibt in weiser Beschränkung alles das, was aus dem bereits sehr reichen Tatsachengebiete der Kolloidehemie für den Biologen wichtig ist. Auf ein besonders interessantes Gebiet führen uns Abschnitt 10 und 11, welche die Wirkungen der Elektrolyte zum Gegen- stand haben. Die Bedeutung der anorganischen Salze für die Er- haltung des Lebens ıst ja ın der Physiologie allgemein bekannt, seit Liebig!) seine an Pflanzen gewonnenen Erkenntnisse auf das’ tierische Leben übertrug, seit vor allem unter Voit’s Leitung Forster zeigte, dass Tiere an Salzhunger zugrunde gehen. Allein eine wissenschaftliche Einsicht in die Ursache des Bedürfnisses nach Nährsalzen konnte erst die Biophysikochemie einbahnen, mit dem Nachweis, dass lebenswichtige Beziehungen zwischen den Kolloiden der Zelle und den Salzen bestehen. Nach den Ausführungen Höber’s muss man sich den größten Teil der Salzwirkungen als Folge von Alterationen der kolloi- dalen Plasmahaut der Zellen vorstellen. Der Nachweis dafür wird zunächst an den Giftwirkungen der Schwermetallsalze geführt, wobei die bekannten Versuche von Paul und Krönig über die vom Ionengehalt abhängige Desinfektionskraft der anorganischen Ver- bindungen ausführlich diskutiert werden. Für den Physiologen besonders bemerkenswert sind die Aus- führungen über den Einfluss der Salze auf Muskeln und Nerven, welche in dem, freilich noch nicht streng bewiesenen Satze gipfeln: Die Erregbarkeit ist an einen bestimmten Lösungs- bezw. Quellung »szustand bestimmter „Erregungskolloide“ ge- bunden; die Auflockerung bezw. vermehrte Auflösung dieser Erregungskolloide ist gleichbedeutend mit Ver- nichtung der Erregbarkeit. Die experimentellen Zoologen seien hingewiesen auf die ein- gehende Kritik der berühmten Versuche von J. Löb u. a. über k ünstliche Parthenogenese und über den Einfluss von Elek- trolytgemischen auf die Entwickelung befruchteter Fundulus-Eier. Den immer inniger werdenden Beziehungen zwischen Elektro- physiologie und physikalischer Chemie entspricht es, dass den elek- trischen Vorgängen an physiologischen Membranen nunmehr ein eigenes (das 12.) Kapitel gewidmet ist. Es erörtert wesentlich zwei wichtige Fragen: Einmal, wie kommen infolge l) Liebig’s Verdienst ist hier vom Herrn Verfasser nicht genügend betont. Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. 249 Durchleitens eines elektrischen Stromes durch die Gewebe Konzen- trationsänderungen der natürlichen Elektrolyte ın der unmittelbaren Nachbarschaft der Membranen zustande, und zweitens — wie ent- stehen infolge von Veränderungen der Membranen Verschiebungen der natürlichen Elektrolyte, die zum Auftreten elektrischer Ströme führen. Die erste Frage führt zur Theorie der elektrischen Erregung von Nernst; an Stelle der ergänzenden Akkomo- dationshypothese von Nernst, welche die Möglichkeit, einen Strom einzuschleichen und ganz allgemein die Überlegenheit der Momentan- reize über Zeitreize durch dıe Annahme einer langsam verlaufenden, durch die polarısatorische Konzentrationsänderung hervorgerufenen chemischen Reaktion erklären will, führt Höber eine sehr an- sprechende eigene Hypothese ein: er erinnert an die Abhängig- keit der Fällungskraft eines Elektrolyten (gegen Kolloide) von der Zusatzgeschwindigkeit, wie sie als Danysz-Phänomen auch bei Immunkörpern bekannt ist; wenn also bei elektrischer Reizung die Konzentrationsänderung langsam und allmählıch erfolgt, so erscheint es denkbar, dass es gar nicht zu den anzunehmenden Veränderungen in der kolloidalen Membran kommt. Die zweite oben erwähnte Fragestellung enthält das große und vielumstrittene Problem der bioelektrischen Ströme; Bern- stein’s Membrantheorie des Ruhestroms, und Haber’s neue Mem- brantheorie werden ausführlich entwickelt und gründlich diskutiert. Dass aus den Untersuchungen Bernstein’s über die Thermoströme des Muskels ein Argument für die so lange totgesagte „Präexistenz- theorie“ der bioelektromotorischen Kräfte und gegen die „Alterations- theorie“ hergeleitet wird, darf wohl besonders angemerkt werden. Das 13., der Permeabilität der Gewebe gewidmete Kapitel ist im wesentlichen unverändert geblieben. Die Resorption im Darm, die Lymphbildung und die Sekretion, besonders des Harns, die den Gegenstand sehr anregender Auseinandersetzungen bilden, spotten leider immer noch einer exakten naturwissenschaftlichen Erklärung. So sicher physikalisch-chemische Kräfte dabei eine wesentliche Kolle spielen, so bleibt doch immer noch ein unanalysierbarer Rest übrig Er nötigt uns das Verlegenheitswort von den „vitalen Kräften“ a das, wie Helmholtz einmal sagte, nichts anderes ist als ein ver- schämter Ausdruck unseres Nichtwissens. Der innige Zusammenhang zwischen physiologischer Chemie und der Biophysikochemie ist kaum auf einem anderen Gebiet so deutlich zu erkennen wie in der Lehre von den Fermenten. Nirgends auch ist die gegenseitige Unterstützung fruchtbarer gewesen. "Jede einzelne Fermentreaktion ist an sich ein rein chemisch zu unter- suchender Prozess. Aber erst indem wir ıhn messend verfolgen, indem wir die Methoden der Reaktionskinetik auf ihn anwenden und seine quantitative Beeimflussung durch andere Faktoren unter- suchen, kommen wir zum Verständnis der für den Physiologen so wichtigen feinen Abstufbarkeit der chemischen Vorgänge. An Höber’s kurzem und klarem Abriss der allgemeinen Chemie der Fermente, in dem die so überaus wichtigen fermentativen Syn- IH0 Jaekel, Die Wirbeltiere. thesen mit Recht eine bevorzugte Stelle einnehmen, hat dem Refe- renten besonders gefallen, dass der die Forschung hemmenden unchemischen Spekulation der Biogenhypothese mit Energie ent- gegengetreten wird. Wie in einem prachtvollen Schlussakkord klingt das Werk in einer Übersicht über die physikalische Chemie des Stoff- und Energie- wechsels aus. Das, was du Bois-Reymond das dynamische Gleichgewicht nannte, die Selbstregulation des Stoffwechsels, die Umwandlung chemischer Energie ın Arbeit, und schließlich die Ermöglichung unfreiwilliger Reaktionen durch Koppelung werden hier am Ariadnefaden der physikalischen Chemie dem Verständnis näher gerückt. \enn der Autor diesem Schlusskapitel ein Motto vorsetzen wollte, würde ich ihm ein in unserer Zeit mystischer Bestrebungen erhebendes Wort von Helmholtz vorschlagen: „Die Wissenschaft, deren Aufgabe es ist, die Natur zu begreifen, muss von der Vor- aussetzung ihrer Begreiflichkeit ausgehen.“ — Schon diese fragmen- tarısche Inhaltsübersicht lässt wohl erkennen, welcher Reichtum von Tatsachen in Höber’s Buch zu finden ist. Schopenhauer warnt einmal davor, Kant aus zweiter Hand kennen zu lernen, weil seine Gedanken die Filtration durch ein anderes Gehirn nicht vertrügen. In dem angezeigten Buche haben wir den umgekehrten Fall. Die zahllosen Einzelbeobachtungen sind erst durch die Fil- tration unter einem einheitlichen großen Gesichtspunkt geordnet und damit fruchtbar geworden. Allen, die an der Lehre vom Leben interessiert sind, dem Arzt wie dem Biologen, hat die physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe etwas zu sagen. Und alle werden mit dem Referenten Höber für seine prächtige Gabe dank- bar sein, welcher die allmählich diskreditierte Bezeichnung „Hand- buch“ auch in späteren Auflagen erspart bleiben möge. J. Müller. Otto Jaekel.e Die Wirbeltiere. Eine Übersicht über die fossilen und lebenden Formen. Mit 281 Abbildungen im Text. Gebr. Bornträger. Berlin 1911. 252 Seiten. Das kleine, inhaltsreiche Buch, über das ich hier berichte, ist wegen der in ihm niedergelegten, reichen Erfahrungen für jeden Morphologen wichtig, selbst wenn er die Ansichten des Autors nicht durchweg teilt. Das Buch ist ferner bedeutsam als der erste Versuch, die Systematik mit der Genealogie zu verbinden. Es verdankt seine Entstehung der Absicht des Verf., seine persönliche Auffassung vom Zusammenhange der Wirbeltiere als Einleitung einem größeren stammesg geschichtlichen Werke vorauszustellen und von der Darstellung der speziellen Stammesgeschichte abzusondern. Das Werk ist durchweg fesselnder geschrieben, als es ım allge- meinen bei rein wissenschaftlichen Werken der Fall ist; es beweist dies, wie sehr uns die von Jaekel behandelten phylogenetischen Probleme innerlich berühren und wie sehr er den ausgedehnten Stoff Jaekel, Die Wirbeltiere. 251 beherrscht. Dass lebende und fossile Formen bei der phylogene- tischen Behandlung gar nicht zu trennen sind, versteht sich eigent- lich von selbst. Hier aber breitet sich uns zum erstenmal die fossile und rezente Formenwelt nebeneinander aus und jene fabel- haften „Urformen“, von denen irgendeine lebende kleine Gruppe als „verkümmerter Rest“ aufzufassen sein soll, leben hier ın den ihnen zunächst verwandten Formen wieder auf. Wir wollen hier vor allem die rein formale Seite des Jaekel’schen Buches ins Auge fassen, die Verbindung von Systematik und Genealogie, ferner wird über die Auffassung Jaekel’s vom genealogischen Zusammen- hange der Wirbeltiere zu berichten sein; kritische Bemerkungen werden sich dabei nicht umgehen lassen. Jaekel empfindet es als unbefriedigend, dass die Systematik scharfe Grenzen zu ziehen versuche gegenüber den verschwimmenden Grenzen der Genealogie. Er führt daher Formeln ein, bei denen die systematische Stellung des Tieres zum Ausdruck gelangt, gleich- zeitig aber auch eine genetische Gruppierung möglich ist. Dies geschieht so, dass er seinem System eine Art räumlicher Tiefe gibt. Er unterscheidet Klassen, Unterklassen, Haupt- und Unterordnungen u. Ss. w. Daneben aber Nebenklassen, Nebenordnungen, Neben- familien u. s. f. Indem er Haupt- und Nebenordnungen u. Ss. w. horizontal nebeneinander stellt, erhält er vertikal untereinander zwei Kolumnen, von denen die eine die Hauptentwickelungsbahn darstellt, die andere dagegen mannigfache Seitenrichtungen umfasst. Durch geeignete Bezifferung wird die Koordination oder Subordi- nation der Seitenzweige deutlich gemacht. Als Beispiel sei hier die Gruppierung der Säugetierordnungen nach der Bezeichnung Jaekel’s wiedergegeben. I. Stufe: Unterklasse Meiotheria. Hauptordnungen. Nebenordnungen. I. Haplodonti Ia Multitubereulati 1# Diprotodonti. II. Stufe: Unterklasse Mesotheria. Il. Insectivori Ila Rodentüi Ilß# Tillodontii Ily Xenarthri I1ö Tubulidentati Ile Pholidoti IIZ, Prosimiae C, Simiae C, Bimanes III. Varnevort. Illa Cetacei III Artiodactyli Illy, Ungulati y, Sirenü, 02 252 Jaekel, Die Wirbeltiere. Das heisst in Jaekel’s Sinne: Eine Hauptbahn der Entwicke- lung führt von den Haplodonten zu den Insectivoren und von da zu den Carnivoren. An allen drei Hauptetappen dieser Bahn gehen Nebenrichtungen der Entwickelung ab. All diese Nebenzweige sind einander koordiniert (fortlaufende griechische Buchstaben); einige von ihnen dagegen sind wieder näher aneinander geschlossen (£,—£,, aa); Diese Formulierung führt Jaekel durch das ganze Reich der Wirbeltiere durch. Durch sie erhalten wir in der Tat eine Übersicht über den Zusammenhang der Formen, wie Jaekel ihn als wahrscheinlich betrachtet. Folgendes ist über diesen Gedanken- gang zu sagen. Nach Jaekel zieht sich durch die Gesamtentwickelung der Vertebraten eine Hauptrichtung hin, die durch drei Stufen gekenn- zeichnet ist: J. Hypothetische fossile unbekannte Protetrapoden. II. Fossil unbekannte älteste Landbewohner (Eotetrapoden). III. Tetra- poden. Innerhalb der Tetrapoden steigt die Entwickelung in vier Stufen auf. I. Einer ältesten unbekannten Vorklasse, II. den Mio- sauriern, Ill. den Paratherien, IV. den Säugetieren. Von dieser Hauptbahn gehen auf verschiedenen Stufen Nebenbahnen ab. Die Tunicaten werden als Nebenzweig der hypothetischen Protetrapoda aufgefasst. Als Abkömmlinge der ältesten Landbewohner werden die Fische dargestellt. Innerhalb der Tetrapoda endlich stehen Am- phibien, Reptilien und Vögel als Zweige einer Seitenbahn abseits von der zu den Säugetieren führenden Hauptrichtung. Als Prinzip der Entwickelung nimmt Jaekel die vor Jahren von Eimer !be- gründete Orthogenesis an. Darin müssen wir einen großen Vor- zug des Buches erblicken, weil es leider nicht viel Vertreter der so "tief begründeten Eimer’schen Orthogenesis gibt und daher die Kenntnis der Eimer’schen Lehren noch immer nicht so verbreitet ist, wie es ihrem eigentlichen Werte entspricht. Eimer’s Vor- stellung einer durch innere Faktoren gelenkten progressiven und kontinuierlichen Umwandlung der Formen steht ım Gegensatz zu der Darwin’schen Lehre von der Entstehung der Arten durch Variationen und Auslese. Sie ist namentlich begründet auf dem Studium der allmählichen Abänderung kleiner somatischer Merk- male, die unter keinen Umständen Selektionswert besitzen. Auch die gleichzeitige gemeinsame Abänderung größerer Komplexe soma- tiıscher Merkmale wird durch die Annahme der Orthogenesis be- greiflicher, als durch die einer auslesenden Zuchtwahl. Termino- logisch schließt sich Jaekel nicht an Eimer an. Er nennt die orthogenetischen Prozesse „engenetische“; Entwickelungserschei- nungen, die durch Stillstand der „engenetischen“ Entwickelung oder durch eın fortlaufendes Rücksinken der Organisation hervor- gebracht werden, nennt er „miogenetische“. Plötzliche Um- formungen einer Organisation durch ne mehrerer Organ- komplexe (im Sinne der de Vries’schen Mutation) werden von Jaekel „paragenetische* Vorgänge bezeichnet. Solche paragene- tischen Vorgänge können pr ogredienten oder dekadenten Ab- lauf nehmen. Jaekel, Die Wirbeltiere. 253 Das Bild, das Jaekel auf Grund dieser Annahme von der Entwickelung des Wirbeltierstammes entwirft, weicht in vielen Punkten von dem ab, das wir uns auf Haeckel’s und Gegen- baur’s Darstellungen gestützt, im allgemeinen davon machen. Es seien die beiden wichtigsten Abweichungen hier erwähnt. Zunächst treten die Fische bei ihm ın keiner Weise als Ahnen- formen der Landtiere auf. Die geradlinige Entwickelung der höheren Tierwelt ist stets auf dem Lande erfolgt, wenngleich für die ältesten, fossıl unbekannten Kotetrapoda ein aquatiles Leben anzunehmen ist. Die „Fische“ jedoch sind nach Jaekel von den ältesten land- bewohnenden Tetrapoden durch „miogenetische“ Entwickelung ent- standen. Selbst untereinander sind in der Klasse der Fische ihre Ordnungen nicht verwandt. Gesondert (polyphyletisch) sind drei Klassen entstanden: Malocostomata (Paleostraci, Oylostomi, Lepto- cardıı), Hypostomata (Placodermen, Acıpenseriden, Placoidei), Teleo- stomata (Proostea, Holostea, Teleostea). Bemerkenswert ist, dass den Cyelostomen der Verlust des gelenkigen Unterkiefers, der Extremitäten und der Knorpelbildung zugesprochen wird und Amphioxus als der letzte Ausläufer dieser alten Gruppe der Malacostomata erscheint. Dem Morphologen, dem die Kenntnis fossiler Formen nicht so geläufig ist, überrascht die Fülle fossiler Vorläufer der Cyclostomen, die stark gepanzert, durch eine unpaarıge Hypophysenöffnung, nahe beieinanderstehende Augen und dazwischenliegende Epiphysen- öffnung ausgezeichnet sind. Diese drei Abbildungen (Fig. 19, 20 ‚21) sind sehr lehrreich und verdienen Reproduktion auf Tafeln für den Unterricht. Die sich aus ihnen ergebende Beziehung zu den Öyelostomen leuchtet ein. Die Störe werden an die Placodermen angeschlossen, überhaupt die dominierende Rolle der Placodermen festgestellt. Dies ist nicht neu. Schon Haeckel hat darauf Wert gelegt. Aber es ist wichtig, weil es noch immer nicht genug berücksichtigt wird. Manche Verschiebungen ergeben sich bei Jaekel von da aus. Die Knochenbildung war nach ıhm ursprünglich vollkommener. Der rein knorplige Zustand des Skeletts ıst durch Hemmung der Ver- knöcherung entstanden, also jünger. So figuriert als Nebenordnung der Placoiden schließlich die der Selachier, welcher Jaekel nicht die morphologische Bedeutsamkeit zuerkennt, wie wir es gewohnt sınd. Dadurch kommt Jaekel in die Lage, z. B. die Zahnplatten für älter zu halten als dıe Placoidorgane der Selachier, auch die 6. und 7. Kiemenspalte, die bisher als Attribut ältester Haie aufgefasst wurden, als eine „bei jüngeren degenerierten Typen“ auftretende Vermehrung anzusehen. Die fossilen Funde sprechen scheinbar dafür. Denn die ältesten der bekannten fossilen Gebisse sind die der Holocephalen, an die sich die der fossılen Selachier anschließen. Auch sind die ältesten Formen nicht heptanch, sondern pentanch. Ganz abgesondert werden als „Teleostomata“ die Proostea, Knochen- ganoiden und Teleostier. — Dipnoer und Crossopterygier erscheinen als Glieder seitlicher Entwickelungsbahnen. Bei aller Bedeutung der fossilen Formen hat es doch seine Bedenken, genealogische Beziehungen allein durch sie, ohne Rück- 354 Saekel, Die Wirbeltiere. sicht auf Weichteile rezenter Organisationen aufzusuchen. Dass die Fische durchaus ungeklärte verwandtschaftliche Verhältnisse darbieten, ist oft betont worden (Joh. Müller, Huxley). Auch die Ableitung einiger ihrer Klassen von primitiven Küstenbewohnern ist nicht neu (Simr oth, Klaatsch, s. a. meine Abhandlung')). In solchem Umfange, wie hier bei Jaekel, ist das aber nie geschehen. Ähnlich interessant durchgeführt, aber reich an Hypothetischem ist die Ableitung der Säugetiere. Jaekel lässt sich die Tetrapoden in vier Hauptstufen entwickeln. Aufeine unbekannte Vorklasse folgen die „Miosaurier“, eine Klasse, die im wesentlichen die Microsaurier anderer Autoren umfasst. Jaekelsondert aus ihnen mehr spezialisierte Formen aus, welche er als Microsaurier und Cotylosaurier bezeichnet. Von diesen umfassen die Cotylosaurier die näheren Vorfahren der Säuge- tiere. Als solche treten die Paratheria auf, ın deren Geschlecht die Theriodonten erscheinen. Diesen schließen sich die Säugetiere an. — Diese Darstellung präzisiert zunächst also schärfer, dass die Amphibien ein Seitenzweig der Entwickelung sind. Unter „Am- phibien“ figurieren bei Jaekel wesentlich nur die lebenden Typen, während er fossile Formen mit unter die Miosaurier ordnet. Der Sammelname der Stegocephalen wird von Jaekel ver- mieden; die Stegocephalie umfasst keinen geschlossenen Formen- kreis, ist vielmehr ein Durchgangsstadium der Schädelbildung aller Formenreihen älterer Wirbeltiere. Noch unter den Cotylosauriern hat sich die Differenzierung in Reptilien und Paratheria-Mammalıa nicht vollzogen. Die hier zusammengefassten Tiere tragen noch Merk- malebeider Entwickelungsrichtungen. Die eine ihrer Unterabteilungen, die der Pareiosaurier, steht den Säugetieren schon näher, während die andere, dıe der Datheosaurier, zu den Reptilien hinführt. Als Paratheria werden dann von Jaekel eierlegende Vierfüßer zusammen- gefasst, deren Merkmale u. a. auch „die verhornte, zu Schuppen oder Haaren modifizierte Haut“ sein soll. Innerhalb dieser Para- theria führen Hauptordnungen (Therapsiden und Theriodonten) zu den Mammalia hin, während Seitenzweige zu den Schildkröten, Anomodontiern und Monotremen führen. Die Absonderung der Schildkröten von den Reptilien und ıhre Einreihung unter die Säugetiervorfahren ıst vielleicht die größte Neuerung der Jaekel'- schen Systematik; so sehr auch allgemein ihre primitive Organi- sation anerkannt ist, hat man sie doch als Reptilien aufgefasst. Nach Jaekel bewahren sıe zwar ın ıhrem Bau die Reptilstufe, stehen aber durch gewisse Schädelmerkmale und die Zahnlosigkeit abseits der übrigen Reptilien. Die Einordnung der Monotremen erfolgt unter die Vorfahren der Säugetiere und nicht unter diese selbst. Unser Urteil über diese Ableitung muss hervorheben, dass wichtige Momente in der Beurteilung der Säugetierabstammung hier nicht in wünschenswerter Weise ın Betracht gezogen sind: das Haarkleid, die Milchdrüsen, das Kiefergelenk. Zweifellos gibt die 1) Bau und Entstehung der Wirbeltiergelenke. Jena, Fischer, 1910. II. Teil, I. Abschnitt, 3. Kapitel. Adamovi@, Die Pflanzenwelt Dalmätiens. 355 Jaekel’sche Auffassung zugleich die Auffassung Zahlreicher Mor- phologen wieder, welche Haare von Hornschuppen ableiten und die Kiefergelenke aller Wirbeltiere für homolog halten. Gerade die Frage des Kaugelenkes wird bei dem reichen fossilen Material leider nur aphoristisch behandelt, während die oft entscheidenden Weichteile natürlich gar keine Berücksichtigung erfahren. Wahr- scheinlich wird der Weg der Entwickelung im großen und ganzen ja so gewesen sein, wie ihn Jaekel darstellt. Nur scheint die enge Verknüpfung, durch welche während langer Zeiträume die Ahnen der Säugetiere und die Ahnen der Reptilien verbunden ge- wesen sein sollen, bei Jaekel mehr vermutet als wirklich bewiesen zu sein. Auch innerhalb seiner Darstellung bleibt übrigens noch immer Raum für eine mehr selbständige Ableitung der Säugetiere von älteren amphibienartigen Stegocephalen. Was schließlich die Ordnungen der Säugetiere selbst und deren Entwickelung anlangt, so ist bereits hervorgehoben worden, dass es sich, nach Ausscheidung der Monotremen, nur noch um echte vivipare Tiere handelt. Im Säugetierstamm findet Jaekel drei Hauptordnungen: Haplodonti, Insectivori und Carnivori In den Carnivoren sieht Jaekel die höchste Entwickelung der Säugetier- klasse erreicht, „nicht in der Spezialisierung eines einzelnen Ürganes wie die Primaten in der Vervollkommnung des Gehirns, sondern in der gesamten, und ich möchte sagen, “normalen Entwickelung des Klassentypus. Die „Bimani“ erscheinen neben acht anderen Ordnungen als Nebenordnungen der Insectivori, während Ungulaten, Cetaceen und Sirenier als Nebenordnungen der dritten Stufe, der Carnivori auftreten. Innerhalb der Nebenordnung „Bimani“ stehen Hylobatı, Paranthropi und Anthropi koordiniert nebeneinander. Die phyletische Zusammengehörigkeit der einzelnen Ordnungen und ihre Beziehungen zu Ahnenformen lässt Jaekel mit sicherer Beur- teilung unserer mangelhaften Erfahrungen darüber im Dunkeln, weil hierfür kisher meist noch sichere Spuren fehlen. Das Buch, das mit vortrefflichen Abbildungen versehen ist, eine wertvolle Bereicherung der Hilfsmittel des Morphologen. Selbst da, wo wir der Darstellung nicht ohne Bedenken folgen können, ist sie anregend und wir freuen uns dieser förderlichen Mitarbeit des Paläontologen an der Aufhellung der phylogenetischen Beziehungen des Wirbeltierstammes. Jena, 8. Februar 1912. W. Lubosch. L. Adamovic, Die Pflanzenwelt Dalmatiens. Leipzig, W. Klinkhardt, 1911. 1378. mit 72 Tafeln in Schwarzdruck, geb. 4,50 Mk. Dalmatiens Küsten sind in so bequemer und genussreicher See- fahrt zu erreichen, dass sie auch neben Italien und Corfu als Reise- ziel wohl bestehen können. Ihren Reiz verdanken sie neben der Mannigfaltigkeit ihrer großartigen Formation, der Schönheit ihrer Bewohner und der Romantik ihrer Vergangenheit, nicht zum wenig- sten ihrer Vegetation. Für den Pflanzenliebhaber steht bisher kein 56 Brehm’s Tierleben. Buch zur Verfügung, das ihm den Weg durch die Fülle der Formen weist. Nicht jeder will hochwissenschaftliche Werke studieren, um zu wissen, was er für Arten vor sich hat. Das gilt wohl außer für den Naturfreund selbst für manchen Botaniker, dem sich auch bei kurzem Aufenthalte biologische und pflanzengeographische Pro- bleme aufdrängen. Das Buch von Adamovı& gibt einen guten Einblick. Es ist keine Flora, sondern führt die Hauptelemente der Pflanzenwelt nach Vegetationsformationen auf. Dabei sind die charakteristischen und endemischen Arten besonders genannt und abgebildet. Den Hauptschmuck des Buches bilden 48 Tafeln nach Photographien des Verf., die als sehr gelungen bezeichnet werden dürfen. Frei- lich zeigen sie vielleicht gerade wegen ihrer technischen Vollkommen- heit die Grenzen, die der Photographie in der Wiedergabe von Einzelheiten der Vegetation gesteckt sind. Selbst eine bei bestem Lieht durch die geschickteste Aufnahme gewonnene Abbildung er- laubt manchmal nicht, die Mannigfaltigkeit eines dichten Pflanzen- bestandes zu entwirren. Um so mehr ist die Beigabe von 24 Tafeln mit vielen Zeichnungen von Nutzen, die meist gestatten, die Arten ohne weiteres wieder zu erkennen. Der Text ist im Stile der ökologischen Pflanzengeographie ge- halten und zum größten Teil leicht verständlich. Auch die Nennung der einheimischen Pflanzennamen ist erfreulich. Eine etwas geringere Verwendung von teilweise wenig gebräuchlichen Fachausdrücken, und besonders die Beigabe einer pflanzengeographischen Karte, würden das Buch noch brauchbarer machen. Kleine Ungenauigkeiten wie die Zurechnung von Moosen zu den Saprophyten, des Epheus zu den Parasiten sind weiter nicht störend, so dass das Buch warm empfohlen werden darf. E. G. Pringsheim, Halle. Brehm’s Tierleben. 4. Auflage, herausgegeben von OÖ. zur Strassen. Bd. VIII: Die Vögel. Dritter Teil. Gr. 8°. 472 Seiten, 85 Abbildungen im Text, 40 Tafeln. Leipzig 1911. Bibliographisches Institut. Dieser Band enthält die Papageien, die Rakenvögel, die Hopfe, Eulen, Nachtschwalben, die Seglervögel mit den Kolibris, die Mäuse- vögel, die Nagelschnäbler, die Spechtvögel und Wendehälse Von den den Vögeln gewidmeten Bänden fehlt jetzt nur noch der vierte. Die Schilderungen der Lebensweise sind wieder in bekannter muster- hafter Art gegeben. Ebenso verdienen die Abbildungen alles Lob. Vielleicht hätte die Fähigkeit des Sprechenlernens der Papageien noch etwas eingehender behandelt werden können, auch mit Hin- weis auf den Bau der zum Sprechen und Hören erforderlichen Organe und kurzer Erwähnung der anatomischen Untersuchungen dieser Organe von Denker. P. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten, Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zooloeie vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München. alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. BızayıE 20.Mai1912. 5. Inhalt: Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. — Dearborn, A Labora- tory-Course in Physiology Based on Daphnia and other Animaleules. — Kohlbrugge, G. Cuvier und K. F. Kielmeyer. — Polimanti, Einfluss der Augen und der Boden- beschaffenheit auf die Farbe der Pleuronektiden. — Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. — Braem, Die Knospung von Eleutheria und den Marge- liden. — Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. — Guenther, Einführung in die Tropenwelt. Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. Von Georg Klebs. Durch die Arbeiten von Treub, Haberlandt, Schimper, Wright u.a. wurde die wichtige Tatsache festgestellt, dass in dem gleichmäßigen Klima der Tropen manche Bäume nicht fortdauernd wachsen, sondern periodisch auffallende Ruhezeiten zeigen. Es schien daraus hervorzugehen, dass das Pflanzenleben sich, wie Schimper (1898, S. 226) hervorhebt, in einem notwendigen Rhythmus von Ruhe und Wachstum vollziehe, der im Wesen des Organismus und nicht in der Außenwelt begründet sei. Auf Grund eigener Beobachtungen und Versuche ın Java, Winter 1910/11, habe ich (1911) mich bemüht, die Unrichtigkeit dieser Anschauung für eine Reihe Fälle nachzuweisen. In einem eben erschienenen Werk „Laubfall und Lauberneuerung in den Tropen“ hat Volkens seine seit: lange erwarteten Beobachtungen ausführlich dargestellt, die er ın Buitenzorg (Java) von Ende Dezember 1901 bis Ende Juli 1902 gemacht hat. In dem Werk findet sıch eine Fülle inter- essanter Tatsachen über das periodische Abwerfen und die Neu- bildung der Blätter bei verschiedenartigsten Baumarten, von denen immer bestimmte Individuen kontrolliert worden sind. Volkens XXXIL 17 258 Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. bespricht auch das Verhältnis dieser periodischen Vorgänge zum Klima und kommt dabei zu dem gleichen negativen Resultat wie Schimper. Jeden engeren Zusammenhang leugnend, behauptet auch er, dass der Laubabfall wie die Laubbildung unabhängig von der Außenwelt periodisch vor sich gehe und allein auf „erblichen inneren“ Ursachen beruhe. Am Schluss seines Werkes erwähnt er auch meine Arbeit (1911) über das gleiche Problem, lehnt aber meine Ansichten ab und geht auch nicht weiter auf die von mir festgestellten Tatsachen ein, obwohl diese immerhin ihn zu einiger Vorsicht hätten geneigt machen können. Ich will meinerseits das Werk von Volkens einer Kritik unterziehen, um zu prüfen, wie weit seine Beobachtungen zu den von ihm gezogenen Schlüssen berechtigen. Ich komme um so lieber auf die Sache zurück, da ich meine Untersuchungen über das Wachstum tropischer Pflanzen in Heidelberg fortgesetzt habe und da ihre Resultate zu neuen Stützen meiner Ansichten geworden sind. In erster Linie will ich die Frage des periodischen Wachsens behandeln und dann auf die Frage des Laubabfalls eingehen, den ich in meiner früheren Arbeit nicht näher berücksichtigt habe. Volkens meint zwar, dass die Rhythmik des Vergehens genau dieselbe Bedeutung habe wie die des Entstehens. Selbstverständ- lich ist auch der Blattabfall von großem Interesse, und doch habe ich volles Recht, ihn zurückzustellen. Denn die Laubbildung ist der unmittelbare Ausdruck des Wachstums der Achse, auf die es eben für die allgemeine Rhythmik wesentlich ankommt. Das aus- gewachsene Blatt ist, soweit die heute bekannten Tatsachen lehren, dem Tode bestimmt, und es fragt sich nur, ob dieser Tod früher oder später eintritt, ob das Fallen der Blätter periodisch oder un- periodisch erfolgt. I. Das Treiben tropischer Pflanzen. Bei dem allgemeinen Problem von dem Wachstum tropischer Pflanzen müssen wir zwei Fragen auseinander halten: 1. Ist das Wachstum bei der überwiegenden Mehrzahl der Tropenpflanzen überhaupt periodisch ? 2. Ist die in den Tropen zu beobachtende Periodizität gewisser Pflanzenarten ein konstanter Charakter oder ist sie durch die Be- dingungen der Außenwelt in irgendwelchem Grade veränderlich ? Um die erste Frage zu beantworten, habe ich bei meinem Aufenthalt in Buitenzorg von Ende Oktober 1910 ab die Beobach- tungen anfangs so angestellt, wie es Volkens getan hat, d. h. bei den täglichen Wanderungen bestimmte Pflanzenindividuen kon- trolliert, ob sie junge Blätter bilden. Es stellte sich dabei heraus, dass eine große Anzahl von Gewächsen von Oktober bis Mitte Februar in ununterbrochenem Wachstum begriffen waren; es ge- Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. 359 hörten dazu Palmen, Farnbäume und Farnkräuter, Musaceen, Zingi- beraceen, Araceen, zahlreiche Sträucher, die auch beständig fort- blühten, wie Duranta, Acalypha, Hibiscus u. Ss. w., ebenso Bäume, auf die ich später zurückkommen werde. Ich ging aber weiter als Volkens, indem ich bestimmte Sprosse solcher Pflanzen markierte und das Wachstum messend verfolgte. Aber wenn auch nicht zweifelhaft war, dass diese verschiedenen Pflanzen den ganzen Winter über wuchsen, so blieb immer die Frage offen, ob sıe sich im darauffolgenden Sommer ebenso verhalten würden. Um das zu untersuchen, nahm ich charakteristische Vertreter solcher Arten ın jüngeren Exemplaren nach Heidelberg, oder ich kultivierte Keim- linge, die hier aus Samen von Buitenzorg im Februar und März 1911 aufgegangen waren. Nachdem ich mich überzeugt hatte, dass diese Pflanzen im Mai und Juni in kräftigem Wachstum begriffen waren, wurde der größere Teil von ihnen in Erdhügel mit nahr- hafter Erde frei ausgepflanzt und von Ende Juni resp. Anfang Juli täglich gemessen. In dem Zeitraum vom 10. August bis 10. Sep- tember wurde nur das Gesamtwachstum festgestellt; vom letzteren Termin ab bis heute wurden die Messungen wieder täglich gemacht. Das Gewächshaus wurde den ganzen Sommer geheizt; das Tempe- raturminımum blieb stets oberhalb 20° C., das Maximum erreichte trotz guter Lüftung während der heißen Stunden 35—38°, war also höher als in Buitenzorg. Der Sommer war, wie bekannt, ungemein hell, sonnig, so dass die Bedingungen für das Wachstum der tro- pischen Pflanzen fast optimal zu nennen waren. Jedenfalls sind die allermeisten ausgezeichnet gewachsen. Mit dem Herbst veränderten sich die Verhältnisse, das Licht nahm ab und war in den trüben Monaten November, Dezember sehr gering, das Temperaturminimum sank täglich etwas unter 20° auf 19—16°; wegen der geringen Lüftung war die Luftfeuchtigkeit sehr groß (3S0—100°/,). Von Mitte Januar wurden die Tage sonniger, seit Februar auch wärmer. Die Pflanzen zeigten ein verschiedenes Verhalten, so dass ich sie in einzelnen Gruppen besprechen will. Erste Gruppe. Pflanzen mit ununterbrochenem Wachstum. Das Wachstum ging im Sommer, ebenso auch im Winter fort, nur dass die Geschwindigkeit während der Monate November bis Januar abnahm. Die Blätter brauchten längere Zeit bis zum Dauer- zustand, die täglichen Zuwachse waren durchschnittlich kleiner, an einzelnen Tagen bei manchen Arten kaum merklich. Zu dieser Gruppe gehören: 1. Pothos aurea (Aracee). Steckling aus Buitenzorg. Die Pflanzenart wuchs dort den ganzen Winter 1910/11, das Exemplar in Heidelberg Sommer wie Winter, m%* I60 Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. 2. Cocos nucifera (Palme). Zweijähriger Keimling. In den Sommermonaten betrug der tägliche Zuwachs im Durchschnitt 1 cm (Maximum 2 cm), war also ungefähr so groß wie bei der kräftigen, im Buitenzorger Garten ausgepflanzten Caryota urens (1911, 8.30). Dagegen sank der täg- liche Zuwachs in den Monaten November bis Januar auf 0,7—0,5 cm. 3. Nipa fruticosa (Palme). Keimling. Die Messungen begannen erst am 1. August; der tägliche Zuwachs betrug im Durchschnitt im August bis September 0,6 cm, im Dezember 0,1, im Februar 0,2 cm. 4. Albixzia moluccana (Leguminose). Keimpflanze rasch zu einem kleinen Bäumchen herangewachsen; beständiges Wachstum, wie es Volkens, ebenso ich, in Buitenzorg beobachtet haben. 5. Ficus geocarpa (Moracee). Steckling aus Buitenzorg. Ein älterer Strauch, in Buitenzorg im Winter 1910/11 beständig wachsend; der Steckling ın Heidel- berg ununterbrochen im Sommer wie Winter treibend. 6. Scaevola sericea (Goodeniacee). Keimling langsam aber beständig fortwachsend. An dem älteren Baume in Buitenzorg wurde von mir ebenfalls ununterbrochenes Wachstum im Winter 1910/11 festgestellt. 7. Pteroloma triguetrum (Leguminose). Pflanze aus Buitenzorg sich ım Laufe des Sommers so stark entwickelnd, dass sie am 10. September, weiter am 27. Oktober beschnitten werden musste. Es entstanden neue Seitentriebe, die Ende Oktober Infloreszenzen bildeten; die Pflanze blühte während des ganzen Winters, wenn auch nur ein Teil der Blüten zur Ent- faltung kam. In Buitenzorg wuchsen und blühten die strauchartigen Topfexemplare den ganzen Winter 1910/11 hindurch. 8. Olitoria ternata (Leguminose). Keimling dieser windenden krautartigen Art sich im Sommer außerordentlich entwickelnd, so dass die Pflanze von Zeit zu Zeit beschnitten werden musste. Während des Winters wuchs sie lang- samer, aber beständig fort; genauere Messungen habe ich an ıhr nicht angestellt. Aus diesen Beobachtungen folgt, dass Vertreter ganz verschie- dener Pflanzenfamilien und zugleich Vertreter verschiedener Ge- wächsformen, wie Kräuter, Stauden, Sträucher, Bäume, ununter- brochen im Sommer wie im Winter fortwachsen, selbst bei den nicht optimalen Bedingungen unseres Winters. Nach den vorhin gegebenen Bemerkungen über das Wachstum in Buitenzorg Winter 1910/11 ist es höchst wahrscheinlich, dass eine große Anzahl tro- pischer Gewächse in die gleiche Kategorie gehört. Die allgemeine Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. 261 Gültigkeit des von Schimper wie von Volkens verteidigten Satzes, dass sich das Wachstum tropischer Pflanzen periodisch in einem Wechsel von Ruhe und Bewegung abspielt, ıst bereits heute durch die Tatsachen widerlegt. Es muss weiteren Untersuchungen über- lassen werden, zu entscheiden, wie groß der Prozentsatz dieser unperiodisch wachsenden Pflanzen unter den Tropengewächsen ist. Die Beobachtungen von Schimper, Wright, Smith, Volkens beschränken sich auf dikotyle Baumarten, von denen dabei ein großer Teil aus einem periodischen Klima stammt. Für solche Bäume, die kürzere oder längere Zeit in den Tropen, z. B. in Buitenzorg, ihr Wachstum durch Ruhepausen unterbrechen, tritt jetzt die andere vorhin formulierte Frage ein, ob die Ruhe wirklich unabhängig von der Außenwelt sei, oder ob nicht ihr Vor- kommen, die Zeit ihres Eintretens, ihre Dauer durch äußere Be- dingungen verändert werden könne. In dem Werke von Volkens finden wir keine entscheidenden Beobachtungen, weil er die Frage in ersterem Sinne bereits erledigt glaubt und weil er den von mir durch Versuche festgestellten Variationen der Rhythmik keine Bedeutung zuschreibt. Die Tatsachen, die diese Variationen für bestimmte Fälle beweisen, werden dadurch nicht beseitigt; ich will sie aber hier nicht noch einmal ausführlich besprechen, vielmehr meine neuen, in Heidelberg gewonnenen Erfahrungen voranstellen. Die Ruhe kann in verschiedener Weise eintreten; ich will für meine Zwecke zwei Hauptfälle unterscheiden. A. Die Blattbildung erfolgt gleichmäßig; aber die Neubildung von Blättern hört auf oder die bereits angelegten Blätter wachsen nicht. B. Die Blattbildung erfolgt stoßweise in einzelnen Schüben, wie es Volkens (1912, S. 20) für zahlreiche Bäume nachgewiesen hat. Unter einem Blattschub versteht er die Gesamtheit aller Blätter (manchmal sehr gering an Zahl), die eine Zweigknospe von Beginn bis Abschluss eines einmaligen Treibens erzeugt. Zweite Gruppe. Die Blattbildung erfogt gleichmäßig, kann aber durch Ruhepausen unterbrochen werden. 1. Terminalia catappa (Combretacee). Nach Volkens (S. 13) trieben die Bäume in Buitenzorg ım März aus und waren Ende April frisch belaubt; die Blätter wurden im Juli bereits vielfach rot. Wahrscheinlich erfolgt ein zweites Treiben im September. Ein Baum, den ich Anfang Dezember 1910 dort unter- suchte, erschien völlig ruhend; ich entblätterte einen Zweig am 7. Dezember, konnte aber keine Veränderung bis 14. Januar beob- achten. Ganz anders verhielten sich die jüngeren Pflanzen in meinen Versuchen. Sie konnten in Buitenzorg während des Winters zu 252 Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. andauerndem Wachstum gebracht werden, indem die durch Nähr- salzarmut veranlasste Ruhe in kleinen Töpfen immer wieder beseitigt werden konnte. Ich nahm mehrere meiner Versuchspflanzen nach Heidelberg. Ein Exemplar, das seit Mai ım Treiben begriffen war, wurde am 24. Juni 1911 frei ausgepflanzt, und nun begann eine intensive Blatt- und Zweigbildung, so dass die Pflanze zu hoch und zu ausgedehnt für das Gewächshaus wurde. Ich musste sie in einen Topf am 11. Oktober einpflanzen. Das Wachstum verlangsamte sıch sofort und hörte an der Spitze am 29. Oktober ganz auf. An Seitenzweigen trat infolge von Entgipfelung sehr langsam neue Knospenbildung ein; an einem entblätterten Trieb erfolgte seit 20. November eine sehr langsame Blattbildung im Dezember und Januar. Ende Januar begann ein lebhaftes Treiben an allen Zweig- knospen. Eine zweite Pflanze aus Buitenzorg, die während des Sommers ım Topf ständig, wenn auch viel langsamer als die erste, gewachsen war, wurde am 16. November frei ausgepflanzt. Die Blattbildung ging ununterbrochen fort über den ganzen Winter, und bis jetzt ist keine Ruhe eingetreten. Sie wird auch nicht eintreten, so lange die günstigen Bedingungen erhalten werden können. Jedenfalls geht daraus hervor, dass die relative Ruhe der ersten Pflanze nur durch die Außenwelt bedingt war, d. h. durch das Versetzen in einen Topf, das mit starken Wurzelverletzungen verbunden war und zugleich durch die geringe Assımilationstätigkeit. 2. Eriodendron anfractuosum (Malvacee). Der Kapokbaum ist eine der auffälligsten Erscheinungen in der Umgebung von Buitenzorg im Oktober. Er steht völlig kahl mit seinen etagenmäßig angeordneten, horizontalen Zweigen, wie ein Fremdling unter den übrigen Bäumen, er trägt während seiner Kahlheit Blüten und Früchte. Nach Wright (1905, S. 512) werfen einjährige Pflanzen in Ceylon ihre Blätter im Februar ab; an älteren Bäumen entstehen neue Blätter, bevor noch die älteren Blätter abgefallen sınd. Ich beobachtete in Buitenzorg das Wachstum von Topfpflanzen, die Blattbildung ging beständig fort, was besonders nach Entblätte- rung deutlich war. Ich nahm einen Steckling aus Buitenzorg mit; ım treibenden Zustand wurde er frei ausgepflanzt. Die Pflanze ent- wickelte sich so stark, dass ich sie am 12. September beschnitt und nach lebhafter Neubildung von Seitensprossen am 7. November noch einmal zurückschnitt. Es entstanden wieder neue Knospen mit Blättern — aber am 15. Dezember hörte jedes Wachstum auf, es begann erst wieder deutlich am 12. Februar. Der Beweis, dass diese Ruhe nur durch die äußeren Bedingungen der Kultur hervor- gerufen worden ist, geht aus dem Verhalten des neuen Stecklings hervor, den ich am 7. November von der alten Pflanze nahm und Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. 265 im warmen Sandbeet kultivierte. Er bildete langsam neue Wurzeln und trieb Anfang Dezember neue Blätter. In Erde versetzt, bildete diese Pflanze langsam aber beständig neue Blätter den ganzen Winter hindurch bis jetzt. 3. Tectona grandis (Verbenacee). Der Teakbaum stammt aus periodischem Klima; er bleibt in Ost- und Mittel-Java nach Koorders (VII, S. 169) mehrere Monate im Sommer kahl, während er in Buitenzorg auch zu dieser Zeit beblättert ist. Volkens sah Blattbildung in Buitenzorg vom Januar bis Ende April. Im Sommer soll dort der Baum trotz seiner Blätter nicht wachsen; es wäre doch nachzuprüfen, ob wirklich alle Zweige ruhen. Ich wies nach (1911, S. 35, 44), dass junge Pflanzen den ganzen Winter 1910/11 im Wachstum zu erhalten waren. In den kleinen Töpfen trat von Zeit zu Zeit Ruhe ein, die aber durch Ent- blätterung oder durch Begießen mit Nährlösung oder durch Aus- pflanzen stets beseitigt werden konnte. Ich nahm mehrere meiner Versuchspflanzen nach Heidelberg und beobachtete zugleich junge Keimlinge. Ich stellte im Juni eine der älteren Pflanzen im Topf in das Gewächshaus; ein Keimling wurde frei ausgepflanzt. Beide wuchsen den ganzen Sommer beständig fort. Die Hauptachse des Keimlings hörte am 18. Oktober auf zu wachsen, die ältere Pflanze am 13. No- vember. Allerdings trat keine vollständige Ruhe ein, da nach dem Stillstand der Hauptachse langsam basale Sprosse sich während des Winters bildeten. Jedenfalls ist es keinem Zweifel unterworfen, dass die Pflanzen im Sommer ebenso wachsen können wie sie es im Winter in Buitenzorg getan haben. Teetona ist die einzige der mitgebrachten tropischen Pflanzen, die in meinem Gewächshaus nicht ihre optimalen Wachstums- bedingungen vorfand. Denn auch im Sommer entstanden im Ver- gleich zu dem in Buitenzorg ausgepflanzten Exemplar kleinere Blätter. Wahrscheinlich ist die große Feuchtigkeit des Bodens nicht sehr günstig; je mehr das Licht abnahm, um so ungünstiger wurden die Bedingungen, so dass Ruhe der Hauptachse eintrat, wie sie bei den Topfexemplaren in Buitenzorg durch den Nährsalz- mangel herbeigeführt wurde. 4. Schixolobium excelsum (Leguminose). Diese Baumart stammt aus dem periodischen Klima Brasiliens; nach Schimper (1898, S. 278) ist sie während des Winters kahl und blüht am Ende von diesem. Nach Volkens (1912, S. 64) wirft der Baum in Java alljährlich Anfang November sein Laub ab, blüht dann und treibt 14 Tage später neues Laub. Daraus ergibt sich nur eine kurze Periode des Treibens im Jahr. Bei den in Buiten- zorg kultivierten Exemplaren zeigen aber, wie Schimper schon mitgeteilt hat, einzelne Äste ein abweichendes Verhalten. Volkens 264 Klebs, Uber die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. beobachtete einen kahlen Ast, der nach mindestens dreimonatlicher Ruhe im April austrieb und in 6 Wochen die Blattbildung be- endet hatte. Die etwa zweijährigen, im Topf kultivierten Exemplare wuchsen in Buitenzorg Winter 1910/11 vom 28. Oktober bis 7. Februar (Ende der Beobachtung) fort, nachdem sıe allerdings durch dreimaliges Entblättern immer wieder aus der eintretenden Ruhe erweckt wurden. In Heidelberg setzte ich einen Keimling Februar (1911), Anfang Juni frei in mein Gewächshaus; er wuchs sehr kräftig heran, so dass er am Anfang September bereits eine Höhe von 74cm er- reichte. Die Blattbildung ging ununterbrochen vor sich bis zum 16. Dezember; dann trat in der ungünstigsten Zeit Ruhe ein, und das Bäumchen warf gegen Ende Dezember sämtliche Blätter ab. Für die Auffassung, dass die Ruhe durch die Außenbedingungen herbeigeführt worden ist, spricht die Tatsache, dass die beiden letzten Blätter 19,2 und 27,2 cm lang in ihrer eigentlichen Streckungs- periode noch vor Entfaltung der Fiedern zum Stillstand verurteilt wurden. Das Wachstum begann von neuem am 29. Januar und ging nun ungestört fort. Die beiden unfertigen Blätter vermochten aber nicht mehr ıhr Wachstum aufzunehmen, sondern fielen ab. 5. Albixzia stipulata (Leguminose). Diese in Mittel-Java verbreitete Art wirft nach Koorders (I, S. 305) im Ostmonssun ihre Blätter ab und steht monatelang kahl. Ein junger Baum ım Garten von Buitenzorg wuchs von Ende Oktober bis Mitte Februar (Ende der Beobachtung) ununterbrochen fort. Die Topfexemplare wuchsen in der gleichen Zeit langsamer, aber ohne jede Ruhe (1911, S. 43). Ein Keimling (Februar 1911) wuchs in meinem Gewächshaus kräftig heran, er bildete andauernd neue Blätter bis zum 29. Dezember. Dann trat ein Stillstand ein in der trübsten Zeit des Winters und er warf auch seine älteren Blätter ab; am 15. Januar nahm ich ıhm seine letzten Blätter fort, und am 18. Januar begann deut- liches Wachstum, das von da ab weiterging. Diese fünf Baumarten, unter sich sehr verschiedenartig, zeigen in Form älterer Bäume in ihrer Heimat wie in Buitenzorg deut- liche Periodizität (für Albixzia stipulata nicht sicher, da sie im Sommer in Buitenzorg nicht untersucht worden ist). Nur Terminalia calappa ıst ın West-Java einheimisch, die übrigen stammen aus einem periodischen Klıma, sind an ihren natürlichen Standorten monatelang kahl und ruhen dann wahrscheinlich. Die jungen, von mir untersuchten Individuen dieser Arten zeigen bei allen ein durch- aus abweichendes Verhalten. Bei Terminalia kann das Wachstum ein ganzes Jahr ununterbrochen vor sich gehen. Alle übrigen wachsen ebensowohl im Winter wie im Sommer, sie wuchsen ın Heidelberg am stärksten im Sommer, d.h. zu einer Zeit, in der die Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen 36D Art an ihren natürlichen Standorten ruht. Sie ruhten alle wesent- lich in der gleichen Zeit hier zwischen November und Mitte Januar, d.h. zu einer Zeit, in der sie in den Tropen gerade wachsen, aber ın der hier die geringste Lichtintensität und relativ niedrige Tem- peratur herrschten; also ist die normale Periodizität dieser Baum- arten nicht eine notwendige, in der Konstitution der Spezies be- gründete Erscheinung, sondern vielmehr eine Folge ihrer Abhängig- keit von der Außenwelt, und daran wird nichts durch die Tatsache geändert, dass wir die Ursachen nicht genauer kennen, die in Buitenzorg zu der Periodizität führen. Aber auf der anderen Seite unterscheiden sich diese Arten von denen der ersten Gruppe, die auch in unserem Winter ohne Ruhe- pausen wachsen. Wir können diesen Unterschied so ausdrücken, dass wir sagen: die beiden Gruppen zeigen ein verschiedenes Ver- hältnıs der spezifischen Strukturen zur Außenwelt. Hier stoßen wir wirklich auf den zunächst als konstant vorauszusetzenden Faktor, eben die spezifische Struktur. Sie bestimmt, in welcher Intensität jede der wesentlichen äußeren Bedingungen sich mit den anderen kombinieren muss, um ein optimales Wachstum zu bewirken. Sie bestimmt aber auch, dass dieses aufhört, sobald in der Kombination nur einer der Faktoren unter eine gewisse Grenze sinkt oder auch über eine obere Grenze hinausgeht. Wir wissen sehr wohl, dass z. B. das Temperaturminimum, resp. das Maximum, nicht an einen einzelnen Temperaturgrad gebunden ist, sondern selbst etwas schwanken kann. Das erklärt sich daraus, dass eben nie die Tem- peratur allein über das Wachstum entscheidet, sondern immer nur in Verbindung mit den anderen Faktoren, z. B. dem von der Außen- welt abhängigen Ernährungszustand. Die beiden Gruppen von Arten unterscheiden sich also dadurch, dass die Grenzen der miteinander kombiniert wirkenden Faktoren bei der einen Gruppe anders ge- zogen sind als bei der zweiten. So kann Albixzia moluccana noch bei einer Lichtintensität. wachsen, bei der Albixzia stipulata vuhen muss, und beide können noch bei einem Nährsalzgehalt des Bodens wachsen, bei dem Tectona, Terminalia u. a. zeitweilig zur Ruhe ver- urteilt sind. Die Konsequenz dieser Anschauungen verlangt, dass alle Arten der zweiten Gruppe beı konstant optimalen Außen- bedingungen ebenfalls beständig fortwachsen. Das stimmt auch bis zu einem hohen Grade mit den Tatsachen überein, soweit es sich um junge Pflanzen handelt, bei denen es praktisch möglıch ist, für dıe Konstanz einigermaßen zu sorgen. Indessen taucht jetzt die Frage auf, ob es nicht unter den tropischen Pflanzen auch solche gibt, bei denen die Verhältnisse komplizierter liegen. In der Tat werden wir solchen Pflanzen in der nächsten Gruppe begegnen. 266 Klebs, Uber die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. Dritte Gruppe. Die Blattbildung erfolgt ın Schüben, nach jedem Schube kann Ruhe eintreten. Die Blattbildung und das Sprosswachstum gehen nicht kon- tinuierlich vor sich, sondern mehr stoßweise, und nach Volkens folgt auf den Abschluss jedes Treibens notwendig eine Ruhe- periode. Diese Art des Wachstums hängt augenscheinlich von spezifischen Eigenschaften ab, aber es bleibt die Frage zu unter- suchen, ob nicht die Ruheperiode unter dem Einfluss äußerer Be- dingungen mehr oder weniger beseitigt werden kann. Innerhalb dieser Gruppe kann man drei verschiedene Grade der Differen- zierung unterscheiden: a) Die Blätter sind in den aufeinanderfolgenden Schüben gleich gestaltet. Beispiel: Petraea volubils. b) Die Blätter zeigen innerhalb eines Schubes eine auf-, dann absteigende Ausbildung ın bezug auf die Größe. Theobromo cacao, Sterculia macrophylla. c) Die Blätter jedes Schubes sınd anfangs Niederblätter, dann Laubblätter. Litsaea latifolia. 1. Petraea volubilis (Verbenacee). Die Sprossachse bildet in einem Schub gewöhnlich zwei Inter- nodien und an den entsprechenden Knoten je ein Paar derber, länglich eiförmiger Blätter. An Topfpflanzen in Buitenzorg Winter 1910/11 konnte nach Abschluss des Wachstums eines Blattschubes eine Ruhezeit von mehreren Monaten eintreten. Ich wies nach (1911, S. 36, 44—45), dass bei anderen Topfpflanzen die Ruhe immer wieder ausgeschaltet werden konnte durch einfache Entblätterung. In Verbindung mit dem Aussetzen der Versuchspflanze in ein Beet, ließ sich diese vom 2. Dezember bis 15. Februar zu einem vier- malıgen Treiben bringen. Ich nahm mehrere meiner Versuchspflanzen nach Heidelberg; eine von diesen wurde am 24. Juni im Augenblick des Ruhens frei in einen Erdhügel versetzt. Deutliches Treiben begann am 30. Juni. Die Pflanze wurde bis zum 13. Oktober, d. h. in 3?/, Monaten, zum sechsmaligen Treiben veranlasst, indem viermal die eben ausge- wachsenen vier Blätter entfernt wurden, während die älteren am Stengel verblieben. Die Pflanze wurde vorsichtig im Herbst in neue Erde versetzt, das Treiben trat sofort wieder ein, das nächste wurde durch Entblätterung hervorgerufen. Nach beendigtem Wachs- tum des letzten Triebes überließ ich wegen der ungünstigen Jahres- zeit die Pflanze sich selbst. Nach einem Monat Ruhe erfolgte neues Treiben am 20. Dezember; bevor der Schub ausgewachsen Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen, 267 war, entwickelte sich am 19. Januar neben dem Hauptvegetations- punkt ein Seitenspross, der seitdem ununterbrochen fortwächst, in- dem er zunächst zwei gewöhnliche Blattknoten bildete und dann zu einem langen dünnen, etwas windenden Trieb wurde, der bis jetzt aus sechs aufeinanderfolgenden Internodien besteht. Die letzten sechs Internodien waren sehr lang, während die Blätter klein blieben und bei der leisesten Berührung abfielen. Der alte Spross hatte demgemäß vom 30. Juni bis 19. Januar mit einem Monat Ruhe neun Blattschübe gebildet, der neue Spross wuchs ohne Ruhe, ohne deut- liche Blattschübe fort. Die Wachstumszeit für die Blattschübe des Hauptsprosses betrug: im al und: Augsust:.: 125 ,% 12 Tage im September . . . a LER ım Oktober und Ne A HE imeWezember..... ..:..2. +4,25 Bei diesen Bestimmungen ist das erste Wachstum bei der An- lage nicht berücksichtigt, es wurde die Messung bei der Knospe begonnen, wenn eine Streckung in 24 Stunden merklich war. Zum Vergleich hatte ich eine zweite Pflanze aus Buitenzorg in dem Topf, in dem sie Anfang Mai gesetzt war, in das gleiche Ge- wächshaus am 17. Juli gebracht. Sie hatte am Ende drei Zweige, die nacheinander je einmal austrieben. Eine zweite Periode des Treibens trat bei den drei Zweigen Ende September ein. Nach Abschluss des Wachstums des zuletzt treibenden Sprosses am 11. Oktober ging die Pflanze zur Ruhe über, die ca. 4 Monate bis zum 16. Februar dauerte. Dann begann einer der Zweige seinen dritten Blatt- schub. Der Unterschied der beiden Versuchspflanzen ist entsprechend den verschiedenen Bedingungen des Bodens außerordentlich groß. Meine Versuche in Buitenzorg über Aufhebung der Ruheperiode durch Entblätterung berechtigen nach Volkens (S. 139) nicht zu dem Schluss, dass die Ruhe nicht nötig sei. Denn „pathologische Erscheinungen für die Erklärung des normalen Verhaltens heranzu- ziehen, ist immer misslich“. Ich glaube, kein Physiologe wird diesem Einwande die geringste Bedeutung beilegen. Wir können auf keinem anderen Wege als durch Versuche das „normale“ Ver- halten erklären. Das bloße Anschauen von außen führt zu keinem Verständnis; man sieht gerade aus dem Werk von Volkens, dass das allgemeine Resultat, zu dem er gekommen ist, doch nur einen Verzicht auf jede Erklärung bedeutet. Es ist im Prinzip gleich- gültig, ob ich eine Pflanze anormal hoher oder niederer Temperatur aussetze, ob ich nach Johannsen’s Methode narkotisiere, oder nach der Methode von Molisch warmes Wasser benutze, ob ich die Pflanzen durch Trockenheit oder Verdunkelung, oder durch direkte Wegnahme der Blätter entlaube. Die Versuche beweisen das, was sie beweisen sollen, dass die Ruhe nicht allein durch die spezifische ‘265 Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. Struktur bedingt ıst, sondern zugleich durch die Außenwelt, und dass sie je nach deren Beschaffenheit von dieser eintreten oder nicht eintreten muss. Nach Volkens müsste man die Petraea- Pflanze, welche von Juli bis November nur zweimal getrieben hat, als normal bezeichnen, die andere, die in der gleichen Zeit achtmal getrieben hat, als pathologisch. Man könnte mit viel mehr Recht die Sache umkehren, wenn damit irgend etwas erreicht werden würde. Dagegen ist es sehr wohl wert, darüber nachzudenken, wie bei einer Pflanzenart, gleich Petraea, das Verhältnis zur Außenwelt auf- zufassen ist, da es sicher ein anderes ist, als etwa bei Terminalia oder Albixzia moluccana. Einen Hinweis gibt uns das Verhalten des Seitensprosses, der den Hauptspross fortsetzte, aber zu meiner eigenen Überraschung fortwuchs, immer neue Internodien entwickelnd. Hier ist die bekannte Beziehung von Blatt- und Sprosswachstum augenscheinlich ım Spiele. Aus irgendeinem uns nicht näher be- kannten Grunde war das Blattwachstum vom ersten Schub ab äußerst gering und die Blättchen fielen leicht ab. Der gesamte Nahrungsstrom ging nach dem Vegetationspunkt und ließ ıhn nicht zur Ruhe kommen. Für den gewöhnlichen Fall, den der Haupt- spross darstellt, müssen nicht bloß die wachsenden, sondern auch die eben ausgewachsenen Blätter eine hemmende Wirkung auf das Wachstum des Vegetationspunktes ausüben, weıl sie ın der ersten Zeit durch ihre Assımilation und Transpiration den Nährsalzstrom zu sich hinlenken. Dadurch würde sich dıe Tatsache erklären, dass die Wegnahme nur der jüngsten ausgewachsenen Blätter völlig genügte, um den Vegetationspunkt zum Treiben zu bringen. Auf der anderen Seite ist aber die Wegnahme nicht nötig, vorausgesetzt, dass die Pflanze sehr reichliche Nährstoffe ım Boden findet, so dass ein genügender Teil von diesen der Spitze zugeführt werden kann. 2. Theobroma cacao (Sterculiacee). Die Art bildet nach Volkens Schübe von je 4—5 Blättern. Bei meiner Versuchspflanze wurden stets sechs Blätter erzeugt, von denen das erste sowohl wie das letzte kleiner als die mittleren waren, so dass wir hier ein Beispiel auf- und absteigender Blatt- größe innerhalb eines Schubes haben. Nach Smith (1900, S. 275/276) treibt die Pflanze ın CGeylon fünfmal ım Jahr. Volkens beob- achtete ın Buitenzorg einen Baum, an dem zwischen Januar und Juni einige wenige Sprosse austrieben, bis am 20. Juni ein allge- meines Treiben begann; am 4. Oktober wurde ein zweites ausgiebiges Treiben festgestellt. Meine zweijährigen Pflanzen stammten aus Buitenzorg, eine von ihnen, noch im Treiben begriffen, wurde am 11. Juli frei ausgepflanzt. Ich gebe die Beobachtungen über die Wachstumsperioden: 1. Periode Ende Juni bis 14. Julı, 2. Periode 17. Juli bis 7. August, Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. 369 3. Periode 7. August bis 15. September, 4. Periode 17. September bis 13. Oktober, 5. Periode 18. Oktober bis 19. November. Es fand also von Ende Juni bis Mitte November (4°/, Monate) ein ununterbrochenes Wachstum statt, namentlich bei Berücksich- tigung der Tatsache, dass der Anfang des Wachstums erst von dem Momente ab bestimmt wurde, in dem das junge Blatt bereits 1 cm lang war. Der charakteristische wellenförmige Verlauf der auf- einanderfolgenden Blattschübe war dabei sehr deutlich. Erst mit dem letzten Stadium eines Schubes begann langsam der neue Blatt- schub sich zu zeigen. Am 19. November trat Ruhe ein bis zum 6. Dezember. Ent- blätterungsversuche habe ich der Jahreszeit wegen nicht angestellt. Es begann neue Blattbildung, die bis zum 24. Januar fortging, aber bei der die Blättehen immer wieder vertrockneten, augenscheinlich wegen zu geringer Ernährung. Unterdessen hatten sich an Stelle des verkümmernden Vegetationspunktes drei Seitenknospen ent- wickelt, die seit 27. Januar lebhaft trieben und bis zum 27. Februar je einen normalen Blattschub gebildet hatten. Ich schnitt zwei Zweige ab, es entstanden in wenigen Tagen Anlagen neuer Knospen, der stehen gebliebene Zweig bildete am 4. März einen neuen Blatt- schub. Theobroma zeigt demgemäß, dass trotz deutlicher Ausbildung von Blattschüben diese unter sehr günstigen Bodenverhältnissen nicht durch Ruhepausen unterbrochen werden müssen, sondern dass die Achse lange Zeit fortzuwachsen vermag. 3. Stereulia macrophylla (Sterculiacee). Dieser Baum, ın ganz Java verbreitet, wirft nach Koorders (II, S. 144) seine Blätter einige Tage vor dem Blühen ab. Nach Volkens (1912, S. 13) wird die Art, wie die verwandten Formen, ım Frühling kahl und scheint dann bald darauf sich neu zu be- lauben. Für Sterculia javanica wird ein zweites Treiben ım Oktober angegeben. Die Blätter werden auch bei dieser Art in deutlichen Blatt- schüben gebildet. Die Topfexemplare in Buitenzorg ließen sich ım Laufe des Winters durch Entblätterung, kombiniert mit Nährsalz- zufuhr, zu dreimaligem Treiben veranlassen. Eine meiner Versuchs- pflanzen wurde Anfang Juli frei in mein Gewächshaus gesetzt, sie zeigte eben hervortretende drei junge Blätter und wuchs von da ab ununterbrochen bis zum 11. Oktober, wo sie wegen ihrer Größe von ihrem Platz entfernt und in einen Topf gesetzt wurde. Das größte Blatt hatte eine Länge von 64 cm und eine Breite von 35,6 cm. Die Blattbildung stand mit dem Moment still und das angelegte junge Blatt hörte auf zu wachsen. Die Pflanze ruhte von da ab bis zum 15. Februar, wo ein neuer Schub von Blättern 2370 Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. hervortrat. In der Zeit des ununterbrochenen Wachstums waren die einzelnen Blattschübe nicht scharf zu unterscheiden, es wuchsen: 1.—3. Blatt von Anfang Juli bis 29. Juli, 4.--6. Blatt von 29. Juli bis Ende August, 7.—10. Blatt von Anfang August bis Anfang September, 11.—16. Blatt von Anfang September bis 3. Oktober, 17. Blatt angelegt nach 11. Oktober (Versetzung) nicht mehr wachsend. Wir sehen also, dass eine Pflanze, deren ältere Individuen im Buitenzorger Garten nur einmal, vielleicht zweimal treibt, sowohl im Winter (Buitenzorg) wie im Sommer (Heidelberg) zu häufigem Treiben veranlasst werden kann, ja dass sie unter sehr günstigen Umständen 3 Monate hindurch ununterbrochen zu wachsen ver- mochte. 4. Litsaea latifolia (Lauracee), Diese Art zeigt die schärfste Differenzierung innerhalb eines Blattschubes, indem am Anfang stets kleine schuppenförmige Nieder- blätter und dann die lederartigen Laubblätter entstehen. Volkens (S. 83) berichtet von einem Baum in Buitenzorg, dass er ihn nur einmal habe reichlich treiben sehen, aber keineswegs an allen Zweig- spitzen, da einige in Ruhe blieben. An Topfpflanzen machte ich in Buitenzorg einige Versuche. Ein verzweigtes, nicht treibendes Exemplar wurde am 27. Oktober 1910 entblättert, am 12. November waren neue Knospen deutlich; die Blattbildung ging fort bis zum 3. Januar 1911. Ich entblätterte am 11. Januar noch einmal; am 5. Februar traten neue Knospen auf. Eine zweite treibende Pflanze hatte ihr Wachstum am 2. De- zember beendet; nach Entblätterung traten am 3. Januar die Knospen hervor, die Entfaltung der Blätter ging bis zum Ende der Beobach- tung (7. Februar) noch fort. Schon aus diesen Versuchen folgte, dass das Treiben sehr langsam vor sich ging und dass es nach der Entblätterung ca. 3 Wochen dauerte, bis neues merkbares Wachs- tum eintrat. Eine der Buitenzorger Pflanzen wurde Ende Juni frei ausge- pflanzt; die Knospe begann sich am 8. Juli zu regen, das Wachs- tum dauerte bis 2. August. Die jungen, eben ausgewachsenen Blätter des Haupttriebes wurden am 2. August entfernt. Am 8. August regte sich die Endknospe wieder und wuchs fort bis 19. September. Wieder wurden sechs neue Blätter entfernt; die Endknospe regte sich etwa am 30. September und wuchs fort bis zum 8. November. In der Zeit von Anfang Juli bis Anfang No- vember (3 Monate) hatte der Hauptspross dreimal getrieben, die anscheinende Ruhezeit betrug etwa 8—11 Tage. In ihr erfolgte die Anlage und das erste Wachstum der Blätter. Ich überließ die Pflanze sich selbst; sie ruhte nun bis Mitte Dezember. Dann be- Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. 3A gann die Endknospe von neuem an zu wachsen, sie hörte auf am 8. Februar, die Seitenknospen wuchsen bis 18. Februar. Die vier zuletzt besprochenen Arten, sehr verschieden in ihrer morphologischen Differenzierung, sind unstreitig charakteristische Vertreter jener tropischen Pflanzen mit deutlich periodischem Wechsel von Wachstum und Ruhe. Nach den allerdings sehr lückenhaften Angaben sollen einige von ihnen nur 1—2mal im Laufe eines Jahres eine kurze Treibperiode haben. Erst die Versuche an den kleinen Exemplaren eröffnen uns einen Einblick in die Potenzen der spezi- fischen Struktur dieser Arten. Sie konnten, wie Theobroma, Ster- culia monatelang ununterbrochen wachsen, solange die äußeren Be- dingungen sehr günstig waren oder so lange, wie bei Petraea, außerdem eine Wegnahme der jüngsten Blätter die Aufhebung der Ruhe unterstützte. Nur bei Litsaea schien wegen der langsamen Entwickelung der Knospe eine gewisse Ruhe von 8—11 Tagen nötig zu sein. Alle ruhten eine Zeitlang in unserem ungünstigen Winter, weil auch Versuche während dieser Zeit unterlassen wurden. Will man sich von der Eigentümlichkeit dieser Pflanzen eine Vorstellung machen, durch die ihr Unterschied gegenüber den anderen Gruppen gekennzeichnet wird, so kann man sagen, dass das Treiben eines neuen Blattschubes und die erste Zeit der Tätig- keit eben ausgewachsener Blätter eine Hemmung in dem Vege- tationspunkt der Achse herbeiführt. Man kann diese Hemmung auf ungenügende Nährsalzzufuhr hypothetisch zurückführen (s. S. 268). Die hemmende Wirkung wird beseitigt entweder durch reichlich gedüngten Boden (Theobroma, Sterculia) oder kombiniert damit durch Wegnahme der eben gebildeten Blätter (Petraea, Litsaea). Am stärksten ist die Hemmung bei Zitsaea, weil sie hier soweit geht, die Blattbildung des folgenden Blattschubes zu beeinflussen, so dass zuerst Niederblätter entstehen, die wir nach Goebel (1898, S. 185) als Hemmungsbildungen auffassen können. Der Versuch, auch diese Hemmung aufzuheben, wie es Goebel gelungen ist, konnte noch nicht gemacht werden. Aber es kann auch Tropenpflanzen geben, für die diese Erklä- rung nicht ausreicht, bei denen die zur Ruhe führende Hemmung auf anderen, bisher unbekannten Vorgängen beruht. Ich habe früher (1911, 8.33) auf Amherstia nobilis hingewiesen, die zwar das ganze Jahr treibt, bei der aber ein Zweig nach Beendigung seines Wachs- tums monatelang ruht und auch nicht durch Entblätterung zum Treiben gebracht werden kann. Von solchen Pflanzen gibt es ge- wiss eine ganze Anzahl im Garten von Buitenzorg; ich erwähne noch Dipterocarpus littoralis, bei dem ich die Knospe eines Zweiges am 5. Dezember maß. Sie blieb unverändert bis 8. Februar (Ende der Beobachtung), obwohl ich am 5. Dezember die vier ersten Blätter, am 15. Dezember die weiteren zwölf großen Blätter entfernt hatte, 202 Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. Bei Dipterocarpus Dyeri (vgl. Volkens 1912, S. 52) enthlätterte ich einen ruhenden Zweig am 5. Dezember, und erst am 8. Februar be- merkte ich das erste deutliche Wachstum der Knospe. Eine Auf- klärung über das Verhältnis dieser Arten zur Außenwelt lässt sich erst erhalten, wenn man mit jüngeren Exemplaren Versuche machen kann. Es kann hier die Ruhe enger mit der spezifischen Struktur verknüpft sein — aber Bestimmtes wissen wir darüber nicht. Die Beobachtungen von Volkens, so dankenswert sie sind, weil sie das Verhalten vieler Baumarten ın Buitenzorg beschreiben, lassen die von mir gestellten Fragen ganz offen. Volkens hat nur drei unperiodisch treibende Arten entdeckt: Albixzia moluccana, Filiecium decipiens und Morinda citrifolia. Eine zweite Gruppe treibt an einzelnen Ästen das ganze Jahr, wie Amherstia nobilis u. a. (S. 83; vgl. Smith, 1906). Eine dritte, sehr zahlreiche Gruppe treibt an allen Zweigen nur einmal, eine vierte Gruppe (Terminalia catappa, Sterculia javanica) meist zweimal, Ficus fulva bis zu drei- mal. Es fragt sich, wie lange dauert die Zeit des Wachstums bei einem bestimmten Zweig von Beginn des Öffnens der Knospe bis zum Abschluss jedes Wachstums? Volkens (S. 84) gibt uns eine Liste der von ıhm beobachteten Pflanzen; danach beträgt die Dauer des Treibens: eine Anzahl Stunden bei Amherstia nobilis, wenige Tage „ Gnetum Gmemon, eine Woche „ Acer niveum, S-—-10 Tage „ Sterculia laevis, 1!/,—2!/, Wochen „ Sterculia javaniea, 3 Wochen „ Dillenia aurea, 4 € „ Pangium edule, 6 r „ Schixolobium excelsum, mehr als 2 Monate „ Memecylon oligoneurum. Die relativ lange Dauer von ca. 2 Monaten hat Volkens noch bei Hopea Pierrü, Dryanobalanops und Shorea pinanga bemerkt. Abgesehen von diesen Ausnahmen, ergibt es sich nach Volkens (S. 85), „dass im ganzen in den Tropen die Ausreifung des jungen Triebes rund ebenso lange Zeit erfordert wie bei uns“. Diese allgemeine Folgerung ist sehr angreifbar, weil die Be- obachtungen nicht genau genug sind, um die wirkliche Dauer des Treibens zu bestimmen und ferner, weil sie sich nur auf einen ganz kleinen Prozentsatz tropischer Pflanzen beziehen. Was den ersten Punkt betrifft, so hat Volkens den Anfang des Treibens augenscheinlich dann angenommen, wenn er ohne Messungen deutlich junge, sich entwickelnde Blätter gesehen hat. Die erste, meist langsam verlaufende Periode des Wachsens hat Volkens nicht berücksichtigt; ich sehe dabei ganz von der noch langsamer verlaufenden Periode der Blattanlage ab, die nur auf mikro- Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen, 373 skopischem Wege zu verfolgen wäre. Ich kann die Beobachtungen von Volkens nur kontrollieren an jenen seit Treub berühmten Pflanzen, die ihre Blätter über Nacht gleichsam „ausschütten“ sollen. Das beruht nur auf einer Täuschung, die bei Brownea coccinea am verständlichsten ist, weil hier die wachsenden Blätter lange in der nicht auffälligen Knospe sich befinden und dann erst bei deren Aufbrechen plötzlich sichtbar werden. Ich gebe hier für Amherstia und Brownea meine Messungen an: Amherstia nobils. Beginn der Länge des Aufhören des Dauer des Messung Triebes incm Wachstums Treibens 14 XI. 2,5 3 XI 19 Tage j 3. RE 9 23. Sl. 20 Tage. Die Zeit des Treibens beträgt demgemäß nicht Stunden, sondern Wochen, sie ist in Wirklichkeit noch länger, da ich das erste Wachs- tum der Knospen nicht beobachtet habe. Brownea coccinea. Beginn der Länge des Aufhören des Dauer des Messung Triebes incm Wachstums Treibens I9SXTE 07 16. XII. 27 Tage 4. XI. 0,6 12: 1. 39 Tage. Hier bei Brownea habe ich meine Messungen an kleineren Knospen gemacht als bei Amberstia, dann, wenn sie in den folgen- den Tagen um Millimeter sich verlängerten. Die zweite Knospe hahe ich bereits noch früher gemessen; sie brauchte, um von 0,4cm auf 0,6 cm heranzuwachsen, 10 Tage, so dass ıhre Wachstums- periode mindestens 49 Tage betrug. In der Hauptstreckungsperiode wachsen die Blätter in der Tat relativ schnell. Bei Brownea wie bei Amherstia bemerkte ich als Maximum in 24 Stunden 14 cm Zu- wachs — das ist nach meinen Erfahrungen an anderen tropischen dikotylen Bäumen ein auffallend hoher Betrag. Wenn nun auch die Dauer des Treibens, die Volkens für vıele Bäume angibt, wahrscheinlich oft zu kurz angenommen ist, so bleibt doch die Tatsache, die er hervorhebt, bestehen, dass das Treiben innerhalb bestimmter Zeiten erfolgt und dann Ruhe emtritt. Aber man darf nicht daraus schließen, dass die Mehrzahl der Bäume sich ebenso verhalte. Ich will hier nicht auf die früher besprochenen monokotylen Palmen, Musaceen, Farnbäume u. s. w. eingehen, son- dern mich hier nur auf dikotyle holzige Pflanzen beschränken, bei denen ich in Buitenzorg, das Wachstum eines bestimmten Zweiges messend, kontrolliert habe. Die betreffenden Pflanzen hatte ıch als wachsend seit Anfang November mir gemerkt, die Messungen selbst habe ich etwas später angefangen. Nur jene Pflanzen führe ich an, deren Zweige in vollem Treiben begriffen waren und es auch nach XXXI, 18 274 Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. Beendigung der Messungen im Februar blieben; ich gebe in der Tabelle die Zeit der wirklichen Men an. ' Das Wachstum | Dauer Nr. Name der Pflanze Familie | gemessen in | vom Tagen 1 | Wormsia pteropoda Dilleniacee 23.[XI.—14./II 83 2* | Dillenia ovata x 28./XI.— 14./1I. 78 3 | Albizzia stipulata Leguminose 28./XI.—14./11. 78 4 ' Fieus geocarpa Moracee 2. IX. —14./1l. 74 5* | Heptapleurum farinosum , Araliacee 28.1XI.—6.1I. | 70 6* | Pterospermum semisagitlatum Sterculiacee 9.]XIL.—14./1l. 67 1= macrocarpum n 9.!XIL—14./II. 67 3 | Scaevola sericea Goodeniacee : /XI.—9. 1 66 9* | Oerbera odollam | Apocynacee 7. XL. u IE 63 10* | Hebiscus tiliaceus Malvacee 8 /XM.—8./ I 62 11* | Wendlandia paniculata ' Rubiacee 9.!XIL.—8./II. 61 12* | Cerbera lactaria | Apocynacee 7.I]X1l. = U. 61 13 | Duranta Plumieri Verbenacee 12 RI 96 14 | Caryophyllus aramatica Myrtacee 3.1X11.—8 Sn 55 15* Tabernaemontana sphaerocarpa | Apocynacee 7.[X11.—8 [II 53 16* | Chionanthus montana (rentianacee ae; Er 53 17 | Sonneratia acida | Sonneratiacee 1%. IXIT. —9./U. | 52 18* | Leucosyke capitellata | Urticacee 19.]XII. zen te 19 | Cassia glauca Leguminose 2. Xu. —8./I1 49 20 | Solanum grandiflorum Solanacee 22, IX. —8./I. 48 21 | Sanchezia nobilis Acanthacee Mr [XLIIL.— an 7 22 | Acalypha Hamiltoniana Euphorbiacee 24.1X11.—8./Il 46 23 | Caesalpinia pulcherrima Leguminose Er XII: = nn: 46 24 | Honckenya fieifolia ' Tiliacee F 4.|X11.—8./II 46 Von den aufgeführten Arten wurden drei als junge Pflanzen in Heidelberg kultiviert: Ficus geocarpa, Scaevola sericea, Albixzia stipulata. Die beiden ersten wuchsen ununterbrochen, die letztere hatte nur eine kurze Ruheperiode im Winter (S. 264). Jedenfalls zeigten auch alle anderen Arten ein sehr viel längeres Wachstum als die meisten der von Volkens beobachteten Arten. Dabei ist allerdings ein Punkt zu beachten. In der Tabelle habe ich diejenigen Bäume mit einem Stern bezeichnet, bei denen ich Sprosse untersuchte, die aus der Basis oder aus dem unteren Teil des Stammes entsprangen. Ich tat dies wesentlich aus dem Grunde, weil sie für die Messungen bequemer erreichbar waren als weiter oben befindliche Sprosse und außerdem besser ernährt schienen. Volkens (S. 125) betont ebenfalls, dass diese basalen Sprosse, die er Wasserreiser nennt, üppiger wachsen und reicher beblättert sind; die Blätter dauern auch längere Zeit aus als die der oberen Zweige. Er unterlässt aber jeden Versuch, diesen Unterschied für das ganze Problem auszunutzen, weil er zu sehr von der Idee beherrscht ist, dass das Treiben allein von der erblichen Natur abhängt. Es ist doch aber nicht anzunehmen, dass die basalen Sprosse andere erbliche Eigenschaften besitzen, wie Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. 375 obere Zweige. Vielmehr ıst das Verhalten der ersteren ein direkter Beweis für die Wirkung der Außenwelt. Diese Sprosse stehen in nächster Verbindung mit dem Wasser und Nährsalz aufnehmenden Wurzelsystem, sie schöpfen direkt aus der Quelle, während die oberen viel weiter entfernt sind und diese Stoffe mit hundert anderen teilen müssen. Diese nicht bestreitbaren Beziehungen bestätigen nur das, was meine Versuche mit jüngeren Exemplaren gesichert haben. Diese wuchsen monatelang ununterbrochen fort, während Sprosse älterer Bäume in Buitenzorg monatelang ruhen. Das lässt sich meiner Meinung nach nicht anders erklären, als dass die Wachstums- bedingungen für solche älteren Bäume nicht das ganze Jahr hindurch optimal sein können. Da Temperatur, Feuchtig- keit, Licht, soweit wir heute übersehen können, in Buitenzorg nicht so schwankend sind, um als allein entscheidende Faktoren heran- gezogen zu werden, so führt das zu der von mir verteidigten An- sicht (1911, S. 46), dass dem Nährsalzgehalt des Bodens eine mab- gebende Rolle zufallen muss. Es kann auch kein Zufall sein, dass gerade dikotyle Bäume in den Tropen den gewiss merkwürdigen Wechsel von Ruhe und Treiben zeigen, dagegen nicht die dort wachsenden Palmen, Musaceen, Farnbäume, dikotylen Sträucher u.s. w. Vielmehr verstehen wir es, wenn wir einerseits bedenken, dass der Boden, z. B. in Buitenzorg, durchaus nicht einen uner- schöpflichen Reichtum an Nährsalzen besitzt und dass unter allen Um- ständen der Stamm nur eine begrenzte Menge davon leiten kann, und wenn wir andrerseits überlegen, dass jeder ältere Baum Hunderte und Tausende von Sprossen besitzt, die um die zugeführte begrenzte Nährsalzmenge kämpfen müssen. Volkens weist mir gegenüber auf den fruchtbaren Boden von Tjıbodas hin. Einmal sind wir über das Treiben dort fast gar nicht orientiert. Volkens gibt für ein paar Bäume wie Acer niveum, Altingia excelsa, die Zeit des Treibens an, aber wie lange sie dauert, wie oft sie sich wiederholt, ist unbekannt. Zweitens habe ich schon darauf aufmerksam ge- macht, dass auch im Urwald bei der ungeheuren Zahl wachsender Pflanzen ein sehr heftiger Konkurrenzkampf um die Nährsalze statt- finden muss. In Wirklichkeit ist die Bodenfrage äußerst kompliziert; selbst für unsere Gegenden birgt der Boden noch viele ungelöste Probleme, wie vielmehr in den Tropen. Es kommt nicht bloß auf die Menge der einzelnen Nährsalze an, sondern auf das Verhältnis ihrer Mengen, auf den Einfluss der physikalischen Struktur des Bodens, ferner auf die Bakterien und Pilze, die Verwesung und Zersetzung bewirken, auf die Ausscheidungsprodukte der Wurzeln und auch auf die gegenseitige Einwirkung der nebeneinander wachsenden Pflanzen. Man braucht nur daran zu denken, dass ein mächtiger Baum, der sich in vollem Treiben befindet, infolgedessen in kurzer 18* 976 Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. Zeit den Boden seiner Umgebung verändern muss. Das kann nicht allein langsam auf ihn selbst zurückwirken, sondern ebenso sehr auf das Treiben der neben ihm befindlichen Bäume. Ich erwähne dies nur, um zu zeigen, dass die Folgerungen von Schimper, Volkens u. a. über die Unabhängigkeit der Periodizität vom Klima deshalb jeder sicheren Grundlage entbehren, weil allein auf die Tem- peratur und Feuchtigkeit, nicht aber auf die wechselnde Beschaffen- heit des Bodens Rücksicht genommen wird. Der entscheidende Einfluss der Außenwelt auf die Periodizität tritt aber auch in einer anderen auffälligen Weise zutage bei Pflanzen, die aus einem deutlich periodischen Klima stammen. Die Beobach- tungen Schimper’s sind fast ausschließlich an solchen Pflanzen gemacht worden, aber auch ein Teil der von Volkens untersuchten Bäume gehört der gleichen Kategorie an. Unstreitig liegen die Verhältnisse verwickelter als bei den in Buitenzorg einheimischen Arten, weil bei den ersteren Nachwirkungen eme Rolle spielen können, die ohne spezielle Untersuchungen gar nicht kontrolliert werden können. Aber mögen sie nun vorhanden sein oder nicht, das beseitigt nicht die Tatsache, dass solche Pflanzen in ihrem Leben durch das relativ gleichmäßige Klima wesentlich beeinflusst werden. In Übereinstimmung mit Schimper, an einem viel reicheren Material, wies ich nach, dass Pflanzen aus dem perio- dischen Klima von China, Japan, Nordamerika, Südeuropa in Buitenzorg während des Winters treiben, so dass der Baum als Ganzes nicht zur Ruhe kommt. Bei einigen wenigen Baumarten verhielten sich die Pflanzen, als wären sie im Sommer in ihrer Heimat. Eine Buxusart (sempervirens oder eine verwandte Art) wuchs und blühte reichlich in Buitenzorg, noch besser in Tjıbodas. Die japanische Kastanie, ferner Kriobotrya japonica waren ın Tjı- bodas im Winter normal beblättert, blühten und fruchteten. Aber bei der Mehrzahl trat jener Charakter hervor, den Schimper be- sonders hervorgehoben hat: das ungleichmäßige Verhalten der Zweige eines Baumes, von denen einige trieben, während andere sich in Ruhe befanden. Volkens hat entsprechende Beobachtungen gemacht, besonders auffallend bei einer Zizyphusart (S. 59, vgl. ferner S. 124). Auf meine Beweisführung, dass es sich hier um einen Einfluss des Klimas handeln muss, ist Volkens nicht weiter eingegangen. Er sagt von solchen Bäumen: „Die Periodizität ist an ihnen nicht unterdrückt, sie ıst nur gleichsam vom Stamm weg- gerückt, indem jede einzelne Knospe sich individualisierte. „Das ist nichts weiter als eine Umschreibung der Tatsache; das Problem, welche Ursachen ein solches auffallendes Benehmen herbeiführen, wird nur verdeckt, aber nicht geklärt. Dieses Problem tritt uns in relativ einfachster Form bei Teetona grandis gegenüber, die an jungen Exemplaren Winter wie Sommer Klebs, Uber die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. PRir, zu treiben vermag. Die älteren Bäume ruhen in Ost-Java während der Trockenzeit im Sommer, treiben an allen Zweigen zur Regen- zeit im Winter. Zwei Bäume in Buitenzorg zeigten im Winter 1910/11, wo ich sie genau kontrollierte, das gleiche Phänomen der Astindividualität. Neben treibenden Ästen fanden sich kahle, völlig ruhende. Was fällt eigentlich der Pflanze ein, zu dieser Zeit teil- weise zu ruhen, in der ihre „erbliche“* Natur sie zwingen sollte, zu treiben? Das kann doch nur eine Folge des veränderten Klımas sein. West-Java unterscheidet sich von Ost-Java wesentlich durch die viel größere Feuchtigkeit im Sommer. Nach meinen Erfahrungen der Kultur mit Teetona nehme ich an, dass sehr lange andauernder hoher Wassergehalt des Bodens das Wurzelwachstum einschränkt. Da andererseits die Assimilation ungestört weitergeht, so kann an einzelnen Zweigen ein Missverhältnis zwischen den fort und fort erzeugten organischen Substanzen, besonders Kohlehydraten und der relativ zu geringen Zufuhr von Nährsalzen entstehen, so dass dann Ruhe eintritt. Mag das richtig sein oder nicht, die Tatsache selbst von dem entscheidenden Einfluss des Klimas kann nicht so beiseite geschoben werden, wie es bei Volkens geschieht. Im Zusammenhang mit diesen Erscheinungen berührt Volkens auch die Frage nach der Akklimatisation; seinen Anschauungen gemäß bestreitet er, dass sie jemals eine Unterdrückung der Perio- dizität erreicht; „sie modelt sie stets nur um“. Ich glaube nicht, dass das Problem, um das es sich hier handelt, dadurch klargestellt wird. Ich möchte meinerseits untersuchen, was unter Akklimatı- sation zu verstehen und was von ihr zu erwarten ist. Allerdings werde ich eine Seite des ganzen Problems hier nicht berühren, nämlich die Frage, ob durch länger andauernden Einfluss eines fremden Klimas neue Varietäten hervorgerufen werden. Sichere eindeutige Tatsachen liegen bisher nicht vor. Auch auf die Nachwirkungen, die bei den Samen vielleicht auftreten könnten, will ich nieht eingehen. Ich will von der Voraussetzung ausgehen, dass die spezifische Struktur konstant bleibt und dann wird das Verhalten einer Art in einem fremden Klima reguliert durch ihre potentielle Variationsbreite, die bestimmt wird durch das Verhältnis der Außenwelt zu ihrer spezifischen Struktur. Berücksichtigen wir hier nur das vegetative Wachstum, so bestimmt die Struktur, inner- halb welcher Grenzen aller wesentlichen äußeren Faktoren das Wachstum erfolgen kann. Es gibt für die Art eine gewisse Kom- bination der Intensitäten dieser Faktoren, die ein optimales Wachs- tum bedingen. Schimper (1898, S. 50) nennt es das ökonomische Optimum. Aber das Wachstum erfolgt auch bei veränderten Kom- binationen bis zu einer gewissen Grenze, bei der ein Faktor (unter Umständen auch mehrere) eine zu geringe, eventuell auch eine zu hohe Intensität erreicht. Wenn das fremde Klima Bedingungen 278 Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. zeigt, die sich längere Zeit hindurch nahe diesen Grenzen bewegen oder sie überschreiten, kann die betreffende Art nicht gedeihen. Würden wir experimentell das Verhältnis der Wachstumsbedingungen einer Art genau kennen und würden wir ebenso die Bedingungen des fremden Klimas kennen, so könnten wir voraussagen, wie die Art sich in diesem verhalten würde. Für Klimate mit starken Extremen, z. B. mit sehr niederer oder sehr hoher Temperatur u. s. w., lässt sich leicht das Resultat für viele Pflanzenarten voraussagen. Dagegen lässt es sich nicht so einfach erkennen, wenn wir z. B. Pflanzen aus einem warm tenı- perierten Klima (Mittelmeerländer, Japan) in die Tropen versetzen. Hier lehrt uns erst der praktische Versuch, wie die Pflanze sich verhält, da wir weder die Bedingungen des Wachstums, noch die des Klimas genau genug kennen. Es gibt zweifellos Arten, die sich einem fremden Klima akklimatisieren, d. h. in ihm gedeihen, weil seine Bedingungen den Wachstumsbedingungen jener Arten ent- sprechen. Gerade Java ist sehr reich an fremden Einwanderern, die sich dort sehr verbreitet haben (vgl. die interessante Zusammen- stellung bei Backer, 1910). Ein großer Teil davon stammt aus der warmen Zone anderer Länder, besonders Amerikas, und zeigt nur noch in einer Beziehung den Einfluss des fremden Klimas in- sofern einige niemals zur Fruchtbildung gelangen. Aber auch mittel- europäische Pflanzen können in den kühleren Bergregionen vortreff- lich gedeihen, wie Plantago lanceolata, Taraxacum officinale. Jeder, der im Winter Tosari in Ost-Java (ca 2000 m hoch) besucht, wird erstaunt sein, eine Anzahl bekannter Pflanzen dort verwildert in üppigem Wachstum und Blühen zu sehen, vor allem Tropaeolum majus. Ob nun die ausdauernden Pflanzen wie Plantago, Taraxacum, im Sommer ebenfalls fortwachsen, ist mir nicht bekannt. Es wäre ein Versuchsgarten in Tosari von großer Bedeutung für die ganze Frage, da das Klima augenscheinlich viel günstiger für die euro- päischen Pflanzen ist als z. B. Tjibodas. Wegen des Mangels an Beobachtungen das ganze Jahr hindurch sind diese akklimatisierten Pflanzen für unsere Hauptfrage nicht entscheidend, wie es sich mit ihrer Periodizität verhält. Indessen kann es nicht zweifelhaft sein, dass sogar die sogen. einjährigen Gewächse, die ihr Leben in einer relativ kurzen Vege- tationsperiode abschließen, noch die Potenz besitzen, sehr viel länger fortzuwachsen. Ein ausgezeichnetes Beispiel ist die Tabakpflanze (Nieotiana tabaccum), die überall in den wärmeren Ländern kulti- viert wird. In meinem Gewächshaus ging im Frühjahr 1909 eine Keimpflanze auf, die ich dann weiter kultivierte. Im gleichen Sommer zu einer mäßigen Blütenbildung kommend, wuchs sie zu meiner Überraschung auch im folgenden Winter fort; sie wächst jetzt seit 3 Jahren ununterbrochen. Wahrscheinlich wird die Pflanze Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. 379 nach einiger Zeit zugrunde gehen müssen, weil sie ihrer spezifischen Struktur nach nur ein geringes Dickenwachstum des Stammes be- sitzt und weil die im Innern absterbenden Zellen leicht zum Anlass der Fäulnis und des Absterbens werden können. Immerhin haben wir hier ein sicheres Beispiel für ein langes unperiodisches Wachs- tum einer einjährigen Pflanze. Dazu kommt, dass ihre Vegetations- punkte überhaupt die Fähigkeit zu einem unbegrenzten Wachstum besitzen. Denn junge Seitensprosse der betreffenden Tabakpflanze konnten leicht als Stecklinge kultiviert werden; ich habe zahl- reiche neue Tabakpflanzen wuf diesem Wege erhalten. An einer von diesen habe ich durch tägliche Messungen festgestellt, dass sie den ganzen Winter bei mir ununterbrochen wächst, ebenso wie im Sommer. Auf diesem Wege kann man also die Tabak- pflanze genau wie das Mycelium eines Pilzes zu fortdauerndem Wachstum bringen. Was hier für die einjährige Pflanze gilt, das lässt sich in noch höherem Grade für perennierende Gewächse nachweisen. Zunächst erinnere ich daran, dass perennierende Pflanzen, deren Wachstumsbedingungen bekannt sind und praktisch sich einiger- maßen verwirklichen lassen, keine Ruhe zu zeigen brauchen. Ich (1911, S. 7—13) habe bereits nachgewiesen, dass Pflanzen selbst aus unserem Klima sich so verhalten und sowohl in unseren Ge- wächshäusern den ganzen Winter wachsen, wie auch in Buitenzorg im Winter 1910/11 gewachsen sind. Dabei waren die Bedingungen in Buitenzorg für sie durchaus nicht optimal; keine der Pflanzen würde sich längere Zeit in Buitenzorg halten oder sogar verwildern können. Dagegen ist es sehr wahrscheinlich, dass sie in Tosari ebensogut im Winter wie bei uns im Sommer gedeihen würden. Ebenso gibt es, wie ich vorhin nachgewiesen habe, tropische Pflanzen, die im Winter in meinem Gewächshaus ohne Periodizität wachsen wie im Sommer. Abgesehen von den genau kontrollierten Pflanzen, schienen nach gelegentlichen Beobachtungen auch zahlreiche Pflanzen, wie Farne, Musaceen, Palmen während des Winters in unserem Gewächshaus langsam, aber doch beständig zu wachsen. In bezug auf die Sträucher, die aus periodischem Klima stammen und im Winter in Buitenzorg wachsen und blühen, liegen bisher keine Be- obachtungen für den Sommer vor. Ich will nur einen Strauch er- wähnen, der sicher das ganze Jahr wächst und wohl ursprünglich aus einem periodischen Klima stammt: die Thea assamica, die an den Abhängen des Himalaya, bei Darjeeling anscheinend im Winter ruht, in Java beständig treibt. Denn nach Mitteilungen des Herrn von Boska wird auf seiner Plantage Taloen (ca. 1800 m) jede Teepflanze alle 11 Tage das ganze Jahr hindurch gepflückt; Herr Lotsy teilte mir persönlich mit, dass auf einer tiefer gelegenen Plantage sogar alle 10 Tage gepflückt wird. So gibt es gewiss IS0 Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. noch andere Sträucher, die unter gleichmäßigen, ihnen zusagenden Bedingungen keine Periodizität besitzen. Die dikotylen Bäume aus periodischem Klima sind schon vor- her besprochen worden. Es gibt solche, die in Tjıbodas sich akklı- matisiert haben. Bei zahlreichen anderen ist die Akklımatisation nicht vollständig, sie wachsen in gleichmäßigem Klima ununter- brochen, aber mit einem Wechsel von Ruhe und Wachstum an einzelnen Zweigen. Für diejenigen Arten, für welche ich nach- gewiesen habe, dass sie in jungen Exemplaren Sommer wie Winter wachsen können, muss man folgern, dass die äußeren Bedingungen des Klimas von Buitenzorg oder auch Tjibodas nicht völlig optimal für ältere Bäume sind (s. S. 275). Ein Beweis für eine „erbliche“ Periodizität lässt sich überhaupt nicht ohne weiteres durch die relativ groben Versuche der Akklimatisation führen, sondern nur durch solche Versuche, in denen bei genauester Kenntnis der Wachs- tumsbedingungen und bei praktischer Verwirklichung von ihnen gezeigt wird, dass trotzdem eine Pflanze periodisch wächst. Es ist aber dieser Nachweis durchaus nicht sehr einfach zu führen. Die Buche (Fagus silvatica) bei uns zeigt gewiss eine ausgesprochene Periodizität, und doch besteht die Möglichkeit, dass diese feste Periodizität nicht allein von der spezifischen Struktur abhängt, sondern nur insofern, als ihr zufolge die lange Zeiträume hindurch wirkende äußere Periodizität sehr tiefgehende Nachwirkungen her- vorgerufen hat. Wegen dieser Möglichkeit wird man nicht auf- hören, nach Bedingungen zu suchen, die diese Nachwirkungen mehr oder weniger beseitigen. Aus den gesamten Darlegungen folgere ich, dass der Glaube an eine allgemeine „primäre“ Rhythmik der Pflanzen, wie ihn Schimper, neuerdings Volkens, vertreten, durch eine Reihe Tatsachen be- reits widerlegt, durch andere sehr erschüttert ist und nur durch solche Beobachtungen gestützt wird, die bisher nicht einer ein- gehenden physiologischen Forschung unterworfen werden konnten. Es wird erst die Zukunft entscheiden, in welchen Fällen wirklich eine durch die spezifische Struktur festgelegte Rhythmik vorkommt. Il. Der Laubabfall tropischer Pflanzen. Nach den Erörterungen über das Treiben kann ich mich über den Laubabfall weit kürzer fassen, ich tue es um so mehr, als ich eingehende Beobachtungen selbst nicht gemacht habe. Ich will nur die Gründe untersuchen, auf denen die Auffassung von Volkens über die Periodizität auch dieses Vorganges beruht. Wenn ein Blatt ausgewachsen ist, so tritt früher oder später der Tod ein — das müssen wir zunächst als Tatsache anerkennen. Experimentelle Untersuchungen, die Lebenszeit der Blätter zu ver- längern, existieren noch kaum. Volkens hat den Laubabfall tro- Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. ISs1 pischer Bäume in Buitenzorg untersucht und darüber eine Menge interessanter Beobachtungen gesammelt. Er gibt aber ausdrücklich an (S. 122), dass das Fallen der Blätter viel weniger ausgesprochen periodisch verläuft als die Blatterneuerung. Dabei hat Volkens auch hier nur dikotyle Bäume berüchsichtigt, dagegen nicht die zahllosen anderen Pflanzen, wie Farne, Palmen, Musaceen, dikotyle Sträucher. In der Tat sieht man auch nie ein plötzliches Abwerfen der größeren Masse von Blättern dieser Pflanzen. Es kann doch keine Täuschung sein, dass man im Garten von Buitenzorg mit so vielen fremden Baumarten während des Winters Laubabfall ın allen Graden beobachtet, während man außerhalb des Gartens ıhn so selten sieht. Sowie das der Fall ıst, findet man, dass der Baum aus einem periodischen Klima stammt, wie z. B. Eriodendron. Auch im Berggarten von Tjibodas mit seinen fremden Pflanzen fallen die ganz oder halb kahlen Bäume ungemein auf. Ich habe mich bei meinen Besuchen Anfang November und Anfang Februar aber vergeblich bemüht, ım Urwald von Tjıbodas kahle oder auch nur halb kahle Pflanzen zu sehen. Nun hat Volkens einen starken Laubabfall auch bei Bäumen beobachtet, die in West-Java ein- heimisch sind oder ım Urwald leben, wie z. B. Acer niveum, Altingia excelsa. Das zeigt, dass auch in diesem Klima der Prozess erfolgen kann. Aber das beweist doch nicht, dass ein solcher anscheinend periodischer Laubabfall die Regel bei den Tropenpflanzen ist. Gegen- über der großen Masse dieser wird es vielleicht ein kleiner Prozent- satz sein. Jedenfalls müssen wir viel umfassendere Untersuchungen abwarten, ehe wir anerkennen, dass ın den Tropen mit gleich- mäßigem Klima periodisch abwerfende Pflanzen durchschnittlich häufiger sind als unperiodisch abwerfende. Wir wollen hier ausschließlich die Bäume berücksichtigen, bei denen Volkens ein regelmäßiges Abwerfen der Blätter beobachtet hat. Nach seinen Angaben ist es wahrscheinlich, dass eine Anzahl Bäume in einer Frist von 12—-14 Monaten ihr Laub zweimal wechseln; bei Flcus fulva trıtt der Prozess sogar dreimal im Jahr ein. Volkens hat die meteorologischen Daten für Temperatur und Feuchtigkeit während der Beobachtungszeit verglichen und keine Beziehung zwischen diesen Daten und dem Laubabfall feststellen können. Die Blätter können sowohl in der Regenzeit wie ın der relativ trockenen Zeit fallen. Daher kommt Volkens zu dem Re- sultat, dass der Laubabfall in keiner Beziehung zum Klima stehe, sondern eine Folge der erblichen Natur sei. Gegen diese Ansicht lassen sich wichtige Einwände erheben, die jedenfalls zeigen, dass sie viel zu wenig begründet ist. Wır wissen, dass die Blätter früher zum Abfallen kommen können, als sie es normalerweise tun, wenn ihre Lebensbedingungen verändert werden. Volkens weist selbst auf die Versuche von Vöchting 282 Klebs, Uber die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. und Jost hin, nach denen die Hemmung der Assimilation den frühen Tod herbeiführt. Ich wies nach, dass auch eine Anzahl Troperpflanzen in Töpfen ıhre sämtlichen Blätter in kürzester Zeit abwarfen, als sie verdunkelt wurden. Noch wichtiger ist die be- kannte Tatsache, dass bei einer gewissen Trockenheit des Bodens und bei starker Transpiration die Blätter zum Abfallen gebracht werden. Im letzten Sommer (1910) hat die Natur ein großartiges Experi- ment gemacht, das meine Anschauungen über die relative Ruhe auch bei unseren Holzpflanzen glänzend bestätigte. In dem überaus heißen und trockenen Juli und August warfen zahlreiche Individuen einer Baumart, wie die Linde, Rosskastanie und ebenso zahlreiche andere Baum- und Straucharten, völlig ihr Laub ab und fingen dann gleich wieder an zu grünen. Die Tropenpflanzen verhalten sich nicht anders, meine Bäumchen in Töpfen, verschiedensten Arten angehörig, warfen nach Unterbrechung des Begießens sämtlich ihre Blätter ab. Sehr wahrscheinlich würde auch eine relativ niedere Temperatur die gleiche Wirkung haben und ebenso die Entziehung von Nährsalzen — genauere Untersuchungen wären in dieser Hin- sicht sehr erwünscht. Wir können sagen, dass ganz verschiedenartige äußere Faktoren ein Abwerfen der Blätter herbeiführen können. Gewiss wird man Volkens Recht geben, dass die meteorologischen Angaben über Temperatur und Feuchtigkeit nicht ohne weiteres zur Erklärung ausreichen. Dann muss man sich fragen, ob nicht die Verhältnisse des Bodens auch hier eine Rolle spielen; man darf jedenfalls nicht aus der Unkenntnis dieser Dinge auf ihre Unwirksamkeit schließen. Volkens gibt selbst eine Reihe Beobachtungen, die auf den Einfluss der Außenwelt hinweisen. Er sagt (S. 97), dass die aus der Basis des Stammes oder an dickeren Ästen entspringende Sprosse sich oft so auffällig durch ihre Beblätterung von dem sonst kahlen Baum abheben. Er berichtet auch, dass junge Tectona-Bäumchen in Ost-Java während des Sommers beblättert sind. Das stimmt mit den Angaben des Herrn Oberförster Los überein (meine Arbeit 1911, S. 50), nach denen auch der Stockausschlag von Teetona zur Trockenzeit beblättert ist. Schon Wright (1905, S. 427) hat darauf aufmerksam gemacht, dass bei einer Reihe Arten der periodische Laubabfall erst bei älteren Bäumen eintritt. Alles dieses zeigt, dass es beim Blattabfall wie beim Treiben auf die von mir vorhin hervorgehobenen Beziehungen zur Außenwelt ankommt. Die ge- nannten Sprosse oder jungen Pflanzen können noch mit der vom Boden gelieferten Menge des Wassers und der Nährstoffe auskommen, ältere Bäume nicht mehr zu allen Zeiten. Ferner teilt Volkens nach eigenen Aufzeichnungen, wie nach denen von Smith mit, dass die gleichen Individuen in Buitenzorg beträchtliche Schwankungen des Blattabfalls in verschiedenen Jahren Klebs, Über die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. 285 aufweisen. Ausführlich schildert er das oft ganz verschiedene Ver- halten der einzelnen Individuen der gleichen Spezies. Was hat das alles mit der erblichen Periodizität zu tun? Das weist immer wieder darauf hin, dass hier der Wechsel des Klimas ım Lauf der Jahre oder lokale Verschiedenheiten des Standortes wesentlichen Einfluss haben. Die äußeren Bedingungen können ganz indirekt auf den Blatt- abfall gewisser Baumarten einwirken. Wir können von der Vor- stellung ausgehen, dass, wenn ein Baum stark treibt, er dadurch den Wasser- und Nährsalzstrom zu sich hin- und von den alten Blättern ablenkt, infolgedessen diese zum Abfall gebracht werden. Dieser Vorgang kann dann eintreten, trotzdem nach den meteoro- logischen Zahlen genügende Feuchtigkeit vorhanden zu sein scheint. Wir können so die Tatsache verstehen, die Volkens (S. 72) für zahlreiche periodisch abwerfende Bäume in Buitenzorg nachgewiesen hat, dass nämlich der alte Blattschub vor, mit oder nach dem Treiben eines neuen Blattschubs abgestoßen wird. Bei anderen Baumarten kann der Übergang zur Blütenbildung die gleiche Rolle spielen, z. B. bei Eriodendron, Bombax. Die Ur- sache des Blattabfalls hängt dann zusammen mit der Ursache der Blütenbildung, die selbst wieder durch die Außenwelt bedingt ist. Schließlich muss für zahlreiche, von Volkens untersuchte Arten der Umstand berücksichtigt werden, dass sie aus einem periodischen Klima stammen. Wir sehen hier die ganz entsprechenden Erschei- nungen wie beim Treiben, vor allem die Astindividualität; ich ver- weise auf meine früheren Bemerkungen (s. S. 276). Zum Schlusse will ich noch kurz erwähnen, wie die ın Heidel- berg kultivierten tropischen Pflanzen sich hinsichtlich des Blatt- abfalls im Laufe des Jahres verhalten haben. Unperiodisch, d. h. vereinzelt in unregelmäßigen Zeiträumen, fielen die Blätter ab bei: Pothos aurea, Cocos nucifera, Scaevola sericaea, Ficus geocarpa, Petraea volubilis, Litsaea latifolia, Pteroloma triquetrum, Theobroma cacao, Eriodendron anfractuosum. Alle Blätter verlor nur Schixolobium excelsum vom 25.—29. De- zember zur Zeit der geringsten Lichtintensität. Zur gleichen Zeit warf Albixzia moluccana eine Anzahl ihrer älteren Blätter ab, ebenso Albixzia stipulata, Tectona grandis. Auch Clitoria ternata verlor Blätter im Laufe ‘des Winters häufiger als im Sommer. Die im Topf (Oktober) eingesetzte Terminalia catappa warf einen großen Teil ihrer Blätter am 29.—30. Dezember ab. Das zweite Anfang November ausgepflanzte Exemplar blieb bis jetzt völlig frisch; es hatte nur früher einzelne alte Blätter abgestoßen. Sterculia macro- phylla, die am 11. Oktober in den Topf gepflanzt wurde und dann in Ruhe überging, warf einen Teil ihrer Blätter am 5. März ab, 284 Klebs, Uber die periodischen Erscheinungen tropischer Pflanzen. nachdem sie in lebhaftes Treiben übergegangen war. Schon diese wenigen Beobachtungen lehren uns 1. dass bei einer Anzahl verschiedenartiger Spezies der Laub- abfall ganz unperiodisch vor sich geht, wie es bei zahlreichen Tropen- pflanzen die Regel sein wird, 2. dass es unter diesen auch Arten gibt, die, wie Eriodendron, als ältere Bäume periodisch abwerfen, 3. dass Pflanzen ıhr Laub abwerfen in Abhängigkeit von der Außenwelt zu einer Zeit, in der sie es normalerweise im Winter von Buitenzorg nicht tun, wie Schizolobium, Tectona, Albixxia-Arten, 4. dass eine Art wie Terminalia catappa je nach den Ernährungs- bedingungen ihr Laub in größerer Menge auf einmal oder nur ver- einzelt in langen Zeiträumen abwirft. Die einzige Pflanze, die sich ungefähr so verhielt, wie die älteren Bäume in Buitenzorg, war Sterculia macrophylla, welche dort ım Frühjahr ıhr Laub abwirft und hier es teilweise ım März ın Verbindung mit dem neuen Treiben tat. Nach diesen Darlegungen komme ich zu dem Resultate, dass die Anschauung von Volkens über die Unabhängigkeit des Laub- falls von dem Klima jedenfalls nicht durch entscheidende Tat- sachen bewiesen ist. Er hat viel zu schnell und ohne Berücksich- tigung der Variationsfähigkeit der Pflanzen aus seinen Beobachtungen diesen Schluss gezogen. Er hat nicht beachtet, dass das Verhältnis der Pflanzenarten zur Außenwelt sehr verwickelter Natur ist und dass deshalb die bloße Rücksichtnahme auf Temperatur und Feuchtig- keit zu solchen Schlüssen nicht berechtigt. Die Besprechung des Treibens tropischer Pflanzen hat zu dem gleichen Resultat geführt, nur dass in dieser Beziehung die Ungültigkeit der Anschauung von Volkens für gewisse Fälle, die Unwahrscheinlichkeit für andere durch meine Beobachtungen und Versuche noch klarer ans Licht gesetzt werden konnte. Das Verhältnis der Pflanzen zu der Außenwelt ist das funda- mentale Problem, das der Erforschung aller Lebensvorgänge zu- grunde liegt. Es handelt sich nicht darum, was mir gelegentlich (egner vorgeworfen haben, alles durch die Außenwelt zu erklären, sondern es handelt sich stets nur um die Erkenntnis der Relation der Außenwelt zur spezifischen Struktur der Pflanzen. Dabei wırkt die Außenwelt stets nur indirekt ein, weil sie zunächst den Zustand der Zellen, das, was ich die variablen inneren Be- dingungen nenne, beeinflusst. Der tieferen Analyse dieser Vorgänge, dem Erkennen der inneren Veränderungen der Zellen, stehen auch heute noch die größten Schwierigkeiten entgegen. Die Hypothesen, die andere Forscher, wie ich selbst, über solche Fragen, z. B. der Ruheperiode, ausgesprochen haben, können nur einen vorübergehen- den Wert besitzen; sie können bestritten, verändert, durch bessere Dearborn, A Laboratory-Course in Physiology Based on Daphnia etc. 255 ersetzt werden. Aber das ändert doch an dem Prinzip nichts, dass .jeder Lebensvorgang in irgendwelchem Grade von der Außenwelt abhängen muss. Der Nachweis dafür lässt sich nicht theoretisch, auch nicht durch bloße Beschreibung der in der Natur zu beob- achtenden Erscheinungen führen. Wir können vielmehr nur auf dem Wege experimenteller Forschung das fundamentale Problem angreifen, um dadurch allmählich einen wirklichen Einblick in die innere Struktur der Pflanzen zu gewinnen. Heidelberg, den 12. März 1912. Literatur. Backer, ©. A. Plantes exotiques naturalisees dans Java. Ann. Jard. Bot. 1910, 3. Supplement. . Goebel, R. Organographie der Pflanzen I. Jena 1898. Klebs, G. Über die Rhythmik in der Entwickelung der Pflanzen. Heidelberger Akad., 1911. Koorders und Valeton. Bidrage tot de Kennis der boomsoorten op Java. Pars I—-XII, 1894--1910. Schimper, F. W. Pflanzengeographie auf physiologischer Grundlage. Jena 1898. Smith, A. U. On the internal temperature of leaves ete. Ann. Bot. Gard. Pera- deniya, Vol. III, 1906. Volkens, G. Laubabfall und Lauberneuerung in den Tropen. Berlin 1912. Wright, R. Foliar periodieity of endemie and indigenous Trees in Ceylon. Ann. Bot. Gard. Peradeniya, Vol. Il, 1905. A Laboratory-Course in Physiology Based on Daphnia and other Animalcules. George V, N. Dearborn, M.D., Ph. D.. (From the Physiologie Laboratory of the Tufts College Medical and Dental Schools, Boston, Massachusetts.) In the course of the work in general elementary biology used as an introduction and orientation to the instruction in human medical physiology, it has become obvious that the time has come for broadening, and not little, the practical phases of such instruc- tion. Especially elear is it that already we instructors have wasted too many months- of our students’ precious school-time in the study of isolated and thus unnourished and abnormal mechanisms. One thinks of course at once of the nerve-muscle preparation and of the isolated heart and of strips of cat’s bladder. "These have long- since served their day and now it is high time that we began to take the view-point of the more advanced physical educationists, and attempted to elaborate in our teaching the mode of working of normal orgaus and tissues in» normal animals. The scientific, like the other, tendencies of the day is toward synthesis and uni- fication, toward the study, more and more exact, of „things as they are“... inseparable parts of an animal whose ultimate essence 9S6 Dearborn, A Laboratory-Course in Physiology Based on Daphnia ete is unique individuality, an everywhere mutually interdependent single mechanism, not a chest of independent tools. This synthetie tendency in physiology, and in biology in general, applies not alone to discussions ofthe parts of a single animal, but also to the poin- ting-out of the unification and inherent similarity of all that lives. The recent books by the plant-physiologists have taken us far toward this desirable goal, while the devotees of the new science of anımal behaviour and the physiologie zoölogists, yes, even the protozoölogists, have taken us further yet. Today, then, as we never could before the days of these and of the physical chemists, do we realize how universal and how minute is the unification of parts into the unit of vitality, the animal, and how much alike, essentially, all anımals are!). The brief course ın laboratory physiology suggested here (already worked out in detail for use by the student) has perfect theoretic sanction therefore as a new method in the teaching of physiologic science, — it is clearly a licentiate of evolutionary philosophy. In directer phrase, the fundamental doctrine and many of the facts of mammalıan physiology can be demonstrated in anımals far below the mammals in complexity and vastly smaller ın size. Vital mechanics uses relatively few reall indifferent ways and means. The protozoa and especially the small crustacea and rotifers are for the purposes of elementary physiology far more similar to man than their size-contrast would ımply. The course as arranged at present includes both physiology of a basal kind and a modicum of what we may term physiologie anatomy, and furthermore something of animal psychology, — ever closer to physiology, as is inevitable. With a wide choice and selection from the well-nigh infinite variety of material known to the professional zoölogist, there ıs no defi- nable limit to ıts development ın each of these three directions within elementary bounds. As old-time physiologists, perhaps some of us have never realized the exact status of our science ın the mind of the people at large. The antivivisectionist people have seen to ıt well that the „average“ man and most women and children shall consider physiology a matter of (necessary) blood and forbidding „internal workings“ far beneath their proper interest. We have scarce had a fair chance as yet to do our relatively new science Justice in the world’s keen range of reputations, nor have we had time (so full of life is our subject-matter and so teeming with interest), to pop- ularize physiology and so give it its becoming place in the hierarchy of human sciences. To do this, however, is more than our priv- 1) See the author's “Text-Book of Human Physiology, Theoretic and Practical”, octavo, pp. 552 with 301 engravings and 9 colored plates, Philadelphia and New York, Lea & Febiger, 1908. Dearborn, A Laboratory-Course in Physiology Based on Daphnia ete. 287 ilege, it is our duty, in order that many minds, many more than at present, may each contribute its possible mite to the advance- ment of biologie learning. Moreover it is part of the intelligence- birth-right of every human being to understand how he is con- structed as a mechanism and how this mechanism works. Only thus can he give his body, at once trainer, temple, and servant of his soul, fit and necessary care. This present work is a step, however short and shuffling, toward this great end. The standing of this pioneer endeavour as a pedagogic proposi- tion, as a scientific method, we may attempt to justify at the present writing under six heads. The first of these heads we may suggest as the substantiality and the variety of the phys- iologie principles that can thus be studied. Remembering, if the reader please, that this ıs a first „edition“ and therefore tentative and suggestive only, we may venture to quote a syllabus of the work already arranged, as follows: A Laboratory Course in Physiology Based on Daphnia, ete. I. Introduction: Vegetal and Anımal Histology. II. Comparison of Living Vegetal and Anımal Cells: Bacteria, desmids, diatoms, Edeogonium, Spirogyra, Euglena, cıiliated infusoria. II. Protoplasm and its Streaming: Ameba. Surface- tension. Universal versatility. IV. Locomotion by Cilia: Paramecium, Stentor. V. Simple Forms of Muscle: Hydra, Stentor, Vorti- cella. A. The reaction-time of Stentor’s or of Vorticella’s myo- nemes. B. The relaxation-time of Stentor’s or of Vorticella’s myonemes. C. The spontaneous contraction-rhythm of Vorticella. D. Fatigue in Vorticella’s myonemes. E. Exhaustion ın Vorticella’s myonemes. F. Individual differences in the movements of Stentor and of Vorticella. VI. The Molar Movements of Simple Metazoa: Hydra, the rotifers Philodina, Brachionus. VII. Dessication and Re-humidification: Tardigrada, Philodina. VII. The Anatomy, Gross and Microscopic, of Daphnıa. IX. Nutrition: Daphniıa. A. The water-currents toward the mouth. B. Deglutition. 988 Dearborn, A Laboratory-Course in Physiology Based on Daphnia ete. ef @2ssboam»> RK: The . Peristalsıs. . Speed of the antiperistaltic wave. digestive glands and their rhythmie movements. Frequency of the antiperistaltic waves. Defecation. . Catharsıs. . Correlation in the Alimentary canal. X. Blood: Daphnia. (Compare Hydra and Man.) A. Number and size of the amebocyte-corpuseles. B. Shapes and intrinsic movements of the corpuseles. ©. Change of color on exposure to air. XI. Cireulation: Daphnia. The The The The The The The The heart. Systole and diastole. average heart-rate. effects of varying temperature on the rate. heart’s extreme persistence. blood-sinusses. Osmosis. effects of electricity on the heart. effects of blood-salines on the heart; osmosis. effects of certain other drugs on the heart. CGorrelation with extrinsie conditions. The embryonic heart-rate: why slower than the maternal heart-rate? Myogenesis vs. Neurogenesis. The cardio-inhibitory center. XII. Respiration: Daphniıa. Direct respiration. Structure of the gill-feet. Rhythmic movements of the gill-feet. Apnea? Effects of carbon dioxide in excess. Effects of a larck of oxygen. Effeets of carbon monoxide. . Hemoeyanın in solution. ToaHBbak» XIII. M =) ee — De XIV. The scle and Muscle-Action: Daphnia. Smooth muscle of the alımentary canal. The eye-muscles. Convulsive action. Voluntary muscle of antennae, etc. Fatigue. Cardiac muscle. Tonus. Action of the ions in the various blood-salines. Absence of obvious fatigue. Nervous System: Daphniıa. Brain and optie lobe. 3. Moto-sensory circuit: Retzius’ work. . Augmentory action: heart. Inhibitory action: heart. Dearborn, A Laboratory-Course in Physiology Based on Daphnia ete. 289 XV. Taxes: Daphnia, Cycelops, etc. A. Chemotaxis: Paramecium, Anurea. B. Phototaxis: Daphnia, Ameba. C. Thermotaxis: Paramecium, Oxytricha. D. Electrotaxis: Cyclops. XVI. The Senses: Daphnia. A. Vision: range and acuity. B. Touch. „Reflex“ removal of irritants. Ü. Taste. D. Smell? XVII. Embryology: Daphnia. . Summer eggs and their development, . Winter eggs. . Parthenogenesis. . The brood-sac and its secretion. . Coalescence of embryonic eyes. . Comparison of functional rates in embryos and ın mother. XVII. Animal Behaviour: Paramecium, Hydra, ete. XIX. The Mental Life of the Animalcules. Jelonm» One finds here basal and important principles of universal physiology, and the ingenuity of other experienced physiologists would surely indicate and define many principles more. The essen- tials of much physiology certainly are here. A second possible feature of this manner of teaching elemen- tary physiology has been alluded to by implication already: the transparency and the smallness ofthe animals used make more striking and easy of acceptance the essential uni- fication of parts into the anımal whole. In Daphnia this is notable in the interest a first viewing of the anımalcule invarıiably excites whether in man or child. One actually sees for example the blood corpuscles that are kept in cireulation by the heart pulsa- ting under the observer’s eye; and the intestinal peristalsis can be actually seen to advance up the gut in relation with the pul- sations of the_digestive gland. Here is unification t00 obvious to be missed even by the careless child. Without a comprehension of the interdependence of his bodily parts he can learn neither to understand himself nor how to keep well! A third advantage of such a course certainly lies in the sim- plicity and the inexpensiveness of the apparatus requir- ed. Many elementary schools have compound microscopes and every school or even every student could provide at least a strong pocket-lens, which might be made to suffice. Beyond the miero- scope the apparatus required is almost nothing not afforded by XXXI. 19 390) Dearborn, A Laboratory-Course in Physiology Based on Daphnia etc. every laboratory of chemistry, if we except a few always-present implements such as a watch, a millimeter rule, and small and simple glass-ware. To those of us who know the considerable expense of most of the apparatus that we use, this factor will appeal. At any rate, it puts this course within range of any school no matter how simple or indigent or isolated. In similar manner, the life-material required is always obtainable with great ease and with little or no expense, summer or winter, and throughout the world. As ıs well known, these animals have an almost Earth-wide distribution and are easily gathered from pools and streams. If this be not convenient, a few cents for postage brings most of these animalcules within easy reach of such few schools as for special reasons might not care to maintain the simple jar-aquaria for breeding them. They come in such countless numbers so readily, that whoever made a business of supplying them could not conscientiously, one would hope, charge for them more than the smallest public class could easily pay. Ease of maintenance of the animalcules is an advantage close to that just mentioned. Instead of ill-smelling anımal-rooms expen- sive to maintain, containing unhappy large animals often both hard and expensive to properly feed, the animalcules are kept in more or less attractive glass aquaria that need contain no more than a few liters of water each for use of large classes. Many of these little anımals maıntain themselves year after year, Daphnia, for example, not „running out“ as long as one uses just ordinary in- telligence in imitating a simple environment somewhere near that which ıs natural to it. The infusoria of course, Stentor, Para- mecium, etc., can be readily developed at any time in two weeks from old leaves and hay and similar commonplace material, every- where and always at hand. No one with a quirkless brain can nowadays fail to justify vivisection by competent scientists, but many, none the less, men as well as women and children, savants as well as fools, dislike to do this work, especially for purposes of routine elass-instruction. This repugnance to blood-shedding and mutilation is obviously a necessary human feeling worthy to be cultivated rather than blunted. (In the vivisection polemies one sees too seldom perhaps due credit given us animal-experimentalists for the performance of disagreeable death and mutilation on anımals whom we of all men best appre- ciate at their marvellous value and perfection). Strangely enough the size of the animal is a factor in the determination of the strength of this feeling of repugnance to mutilation found in all normal human beings, while another of ıts determinants is com- plexity. Men of culture who would hesitate to kill a mouse or to drown a puppy have no such feelings ordinarıly ın regard to ants Kohlbrugge, G. Cuvier und K. F. Kielmeyer. 391 however wonderfully efficient in their complex living, or in regard to the medusoids however large and conspicuous. Thus the an- imaleules, unlike dogs and rabbits and frogs, may be adequately studied by young or old, without a prohib- itive feeling of repugnance to the destruction of life. This eircumstance is both justifiable biologically and ethically and prac- tıcally eonvenient for teaching purposes, and gives the animalcules an advantage for scientific purposes not easy to exaggerate. It has been already sufficiently implied perhaps that this course in practical physiology is for elementary use, although it serves a helpful purpose also as an introduction and advance summary-epi- tome for courses of physiology the most advanced and technical, as routine experience indeed has shown. In high schools, in aca- demies, and in academie (collegiate) curricula, particularly in those for women, one might expect its value especially to be demon- strated. From such schools laboratory-physiology worthy of the name has been heretofore excluded. It is on this basis and with this intent that the present tentative suggestions have been offered to the science of physiology. G. Cuvier und K. F. Kielmeyer. Von J. H. F. Kohlbrugge. Sicher ist Kielmeyer ein wenig bekannter Naturforscher, obgleich sein Einfluss, solange er lebte, sehr groß war. Dafür liegt auch ein guter Grund vor, nämlich dieser, dass er sich fast nie entschließen konnte, seine Gedanken der Druckpresse zu übergeben. Cuvier, der von 1784—1788 Schüler auf der Karlsschule in Stuttgart war, hatte ihn dort kennen gelernt und blieb dem 3 Jahre älteren Freunde zeitlebens verbunden. Da nun vor einigen Jahren der handschriftliche Nachlass Cuvier’s allgemein zugänglich wurde, indem seine Großnichten diesen dem „Institut de France“ schenkten, so war wohl zu erwarten, dass sich daraus auch näheres über Kielmeyer entnehmen lassen würde. Dieser „Fonds Öuvier“ ist sehr groß und vom Bibliothekar Herrn Henri Dehecrain in musterhafter Weise katalogisiert worden. Der Katalog erschien in der Revue des Bibliotheques (1907—1908). Obgleich Hamy schon mehreres aus diesem Nachlass veröffentlichte !), so wurde trotzdem deutscherseits noch gar nicht darauf geachtet, welche Schätze für die Geschichte der Naturwissenschaften und deutscher Naturforscher 1) Hamy,E.T. Les debuts de Lamarck suivis des recherches sur Adanson, Jussieu, Pallas, Geoffroy Saint-Hilaire, Cuvier, Paris 1909. — Ders. Etienne Geoffroy Saint-Hilaire. Leitres erites d’Egypte ä Cuvier, Jussieu, Lac&pede etc. Paris 1901. 19% 299 Kohlbrugge, G. Cuvier und K. F. Kielmeyer. dort zu heben sind. Ich habe durchaus nicht die Absicht, diesen Schatz zu heben, ich möchte nur auf ihn hinweisen, indem ich einige ihm entlehnte Mitteilungen über Kielmeyer bringe. Wenn man dessen Briefe mit denen der anderen württem- bergischen Freunde vergleicht, dann fällt sofort auf, dass nur Kiel- meyer auf dem Fuße voller wissenschaftlicher Ebenbürtigkeit mit Cuvier verkehrte, alle anderen (wie Autenrieth, Pfaff, Jaeger u. s. w.) beugten sich vor Cuvier als dem weit größeren Genie. Dieses Empfinden beherrschte bereits seine Zeitgenossen in Stutt- gart. Zu Kielmeyer ist das Verhältnis immer ein ganz anderes, niemals zeigen sie diesen in der Rolle des empfangenden, sondern es ist Cuvier, der sich oft bei seinem älteren Freunde Rat holt. Kielmeyer nennt sich selbst (6. August 1897) „Ihr ältester und gewiss inniger akademischer Freund“. Die ältesten Briefe datieren von 1791 (Cuvier verließ Stuttgart 1788) und es liegen auch noch Konzepte von Briefen aus diesem Jahr vor, welche Cuvier an ihn schrieb. Damit ist gleichzeitig die Behauptung von Pfaff wider- legt, dass sie erst 1795 anfingen zu korrespondieren?). Als Pfaff Kielmeyer’s Kollegien besuchte, schilderte er Cuvier, auf dessen Verlangen, in sehr ausführlichen Briefen den Hauptinhalt dieser Vorträge, zu denen Kielmeyer selbst einen Plan entworfen hatte, den er den Briefen Pfaff’s beilegte. Schon aus diesem Grunde ist der Fonds Cuvier zur Kenntnis Kielmeyer’s sehr wichtig. Weiter finden sich Kritiken von der Hand Kielmeyer’s über Ar- beiten von Cuvier. Im Jahre 1797 teilte er Cuvier seine An- sichten über die Klassıfıkation der niederen Tiere mit, die bekannt- lich später von Ouvier gründlich reformiert wurde. Viele andere ausführliche Betrachtungen Kielmeyer’s haben Cuvier (wie aus den Briefen hervorgeht) leider nicht erreicht oder sind verschwunden. Aus der weiteren Korrespondenz geht hervor, dass Cuvier nie ermüdete, seinem Freunde die eigenen Arbeiten zu schicken, obgleich Kielmeyer nie in gleicher Weise antworten konnte, ein- fach weil er (außer seiner berühmten Rede vom Jahre 1793) nie etwas herausgab. Pfaff schreibt denn auch über ıhn an Cuvier (1799) „Autenrieth ist in meinen Augen der tätıgste, aber ersterer (Kıelmeyer) hat ohne Vergleich mehr Genie“. Und nochmals (1800) „Kıelmeyer ist ein trefflicher Theoretiker, aber er hat zu wenig eigene Untersuchungen angestellt“. Cuvier konnte die weitere wissenschaftliche Entwickelung seines Freundes also nur nach seinen Briefen beurteilen, die stets über Naturwissenschaften handeln. Als in Deutschland die Naturphilosophie zur Blüte ge- langte, wandte Cuvier sich an Kielmeyer mit der Bitte, ihm 2) G.Cuvier's Briefe an Pfaff in 8° 1845 herausgegeben von Prof. Dr. Behn. Vergleiche das Schlusswort von Pfaff. Kohlbrugge, G. Cuvier und K. F. Kielmeyer. 295 mitzuteilen, was er über dieselbe denke und ob es in den Natur- wissenschaften erlaubt sei, von aprioristischen Gedanken auszugehen (Schelling) statt von der Erfahrung. Darauf antwortete Kiel- meyer in einem Briefe (Dezember 1507), der 12 gedrängt voll ge- schriebene Seiten umfasst und die Philosophie Kielmeyer’s in ausführlicher Darstellung bringt. Dieser Brief sollte bald heraus- gegeben werden, er würde zeigen, dass man mit Unrecht Kiel- meyer als einen der Väter der naturphilosophischen Schule betrachtet, weil Schelling sein Schüler gewesen ist. Überhaupt waren alle deutschen Freunde Guvier's gegen diese Richtung. Am 11. März 1808 schrieb Kielmeyer „Was Sie in Ihrem Briefe über das philosophische Unwesen in Teutschland und über Ritter insbe- sondere bemerken, hatte schon zuvor meine Zustimmung und ist größten Teils der Ausdruck meiner eigenen Gesinnungen“. Es folgen noch schärfere Ausdrücke gegen diese Richtung. Gewaltig wetterten Autenrieth, ‚Jaeger und Freiherr von Moll gegen die Naturphilosophen, und als Kielmeyer 1817 sein Amt nieder- legte, schrieb Autenrieth: „Dass nie in Tübingen der Sinn für nüchterne Naturbeobachtung erlöschen und dafür der Unsinnige philosophisch sein sollende Schwindelgeist herrschen werde, der in neuerer Zeit die deutsche Literatur verunstaltet hat.“ Wenn Auten- rieth in einem zornsprühenden Briefe (1. November 1801) an Cuvier schreibt: „Bereiten sie sich aber immerhin darauf, die Nach- barschaft von Deutschland wird nicht ohne einigen Einfluss dieses litterarischen Terrorismus und dieser universalisirenden Philosophie- sucht auch auf die französische Literatur sein,“ da sah er richtig voraus, was später geschah, dass nämlich Geoffroy Saint-Hilaire, Cuviers intimer Freund (durch Mad. de Stael auf Schelling aufmerksam gemacht) sich zu den Naturphilosophen schlagen würde. Dadurch entstand der gewaltige Kampf in der französischen Aka- demie vom Jahre 1830°). Cuvier hatte sich, wie Autenrieth ıhm riet, allerdings auch darauf vorbereitet, denn es liegen Auszüge vor über alle wichtigeren naturphilosophischen Bücher. Zum Schluss bringe ich einen hochwichtigen Brief Kielme yer’s vom 9. März 1801. Beim Lesen erwäge man, dass Lamarck erst 1809 und nur vorübergehend darauf hinwies, dass die lebenden Formen von den fossilen Formen abstammen könnten und dass Geoffroy Saint-Hilaire erst 1825 auf den gleichen Gedanken kam. Was folgt ist nur ein Postskriptum zu einem Briefe: „Da ich glaube, dass die Verschiedenheiten zwischen den fossielen Thieren und den noch lebend auf der Erde vorhandenen nicht sowohl, wenigstens nicht immer auf einen Untergang von Gattungen zu 3) Über diesen werde ich an anderem Orte eine ausführliche Darlegung bringen. 294 Kohlbrugge, G. Cuvier und K. F. Kielmeyer. deuten sind, sondern vielmehr auf eine mit den Revolutionen unserer Erde parallel gehende Umänderung in den Bildungskräften der noch großenteils vorhandenen Specierum (weil eben die fossile Species so viel Ähnlichkeit mit den noch lebend vorhandenen zeigen), so wird mich die Vollendung ihres Werkes hierüber besonders freuen. Vielleicht lässt sich daraus sodann einige Aufklärung nehmen nicht nur über die Revolutionen unserer Erde, sondern vorzüglich über die Gesetze, nach welchen die Umänderung in den Bildungs- kräften der Thiere erfolgte, je nach dem verschiedenen Zustand unserer Erde. Vielleicht sind diese Gesetze mit den Gesetzen, nach welchen noch jetzt vorübergehende und bleibende Blumenvarietäten entstehen, mit den Gesetzen der Variation in der Bildungskraft der Tulpen und Nelken einerle. Was mich in dem Gedanken von einer Umänderung in dem Bildungstypus der Specierum (für die meisten Fälle) vorzüglich bestärkt, ist außer der Ähnlichkeit zwischen den noch lebenden Tieren und den organischen Gebilden der Vor- natur die Bemerkung, die ich, aus den mir vorgekommenen und bekannten datis bis jetzt ziemlich allgemein abgezogen habe, dass die fossiele Species beträchtlich größer als die ähnliche und ent- sprechende Species unter den noch vorhandenen Thieren sind. Eben diese Bemerkung lässt mich auch an die Möglichkeit glauben, Gesetze für die Umänderung in den Bildungskräften der Thiere ja nach den verschiedenen Zuständen unserer Erde zu finden. Nur müsste zu einem solchen Zweck ‚sich die Untersuchung nicht bloß auf die Untersuchung und Vergleichung der fossielen Qudrupeden mit den lebenden, sondern überhaupt auf alle Denkmale der orga- nischen Vorwelt, besonders auch Pflanzen und Conchylica ausdehnen. Auch müsste auf die Zeit, in die diese Denkmale fallen besondere Rücksicht genommen werden, da diese höchst wahrscheinlich sehr verschieden ist. Dieses letztere wäre freilich schwer, weil die Jahr- zahl nicht wie bei den Münzen eingegraben ist, aber die Lagerstätte und andere Umstände unter welchen die fossielen Thiere in der Erde vorkommen, könnten über das früher und später doch öfters entscheiden und einer Semiotik des Alters Raum geben. Ein Hindernis zur Ausführung des ganzen Gedankens an Gesetze der Bildungsvariation mit den Zuständen unserer Erde liegt freilich darin, dass wir über die Zustände unserer Erde selbst und ihre Geschichte beinah nichts wissen und dass ein Theil der Erdrevo- lutionen gewaltsam und plötzlich war; aber mich dünkt aus den gewaltsamen Revolutionen hat man sich höchstens die Zusammen- häufungen solcher fossieler Thiere an einzelnen kleinen Orten zu erklären, nicht aber das Vorfinden in verschiedenen Climaten. Dieses letztere scheint in mehr regelmäßigen, einer Entwicklung ähnlichen langsamen Revolutionen unseres Erdkörpers gegründet. Zur Kenntnis dieses letzteren nun zu gelangen lässt die Öhemie und eine ver- Kohlbrugge, G. Cuvier und K. F. Kielmeyer. 295 gleichende Betrachtung der Weltkörper noch Hoffnung übrig. Und wäre die Reihe der verschiedenen Zustände, die unsere Erde durch- gemacht hat, aufgeklärt, so ließe sich dann auch der Einfluss dieser verschiedenen Zustände auf die lebendigen Bildungen ... viel- leicht ..... vielleicht bestimmen, wie sich der Einfluss eines ver- schieden gedüngten Gartenbeets auf die Pflanzenbildungen bestimmen lässt. Doch für Träume ist die Nacht und nicht der Tag, worin ich schreibe bestimmt.“ Mit diesem Traum hatte Kielmeyer das Programm der Forschungen des folgenden Jahrhunderts gezeichnet und Lyell und Darwin weit vorausgegriffen. Hier passen wohl die Worte seines Landsmannes Uhland „Deines Geistes habe ich einen Hauch verspürt“. Wie groß auch der Einfluss Kielmeyer’s auf Cuvier war, dieser Brief ging spurlos an ıhm vorüber. Die Beziehungen zwischen Kielmeyer und Cuvier löste erst der Tod. Es ıst übrigens wirklich rührend, wie Cuvier immer die Beziehungen zu den alten Württemberger Freunden pflegte. Anfangs hoffte er allerdings, dass er, der einfache Hauslehrer, durch seine deutschen Beziehungen eine wissenschaftliche Anstellung erlangen könne, die er seine Freunde erreichen sah, dauerte es doch 7 Jahre, bis man in Frankreich durch einen Zufall auf ıhn aufmerksam wurde*). Aber auch später, als er längst der berühm- teste Naturforscher Europas geworden und mit amtlichen Arbeiten überladen war, setzte er die Korrespondenz mit Pfaff, Kielmeyer, Jaeger, Autenrieth u.a. fort. Kielmeyer erinnerte ihn einmal daran, dass er beim Abschiednehmen von seinen Freunden im Mai 1788 auf die Urne im akademischen Garten zu Stuttgart die Worte schrieb: „Sorte disjuneti amore in aeternum conjuncti.“ Cuvier hat dieses Gelöbnis niemals vergessen. Er beschützte auch das Naturalienkabinett Stuttgarts vor der Plünderung durch die Generäle Napoleons, er bereicherte dieses Kabinett mit vielen Geschenken. Sehr zahlreich sind die Empfehlungsbriefe, welche seine Freunde jungen Gelehrten und Staatsmännern mitgeben, die sich nach Paris begeben und alle sind dort, wie andere Briefe bezeugen, des besten Empfangs und seines kräftigen Schutzes sicher. — Für den, der eventuell, angeregt durch diese wenigen Zeilen, die Beziehungen zwischen diesen beiden großen Männern studieren will, bemerke ich, dass die Witwe Kielmeyer’s 10 Briefe Cuvier’s an Pfr. Dr. Behn schenkte und dass der übrige handschriftliche Nachlass Kielmeyer’s sich in der königlichen Bibliothek in Stutt- gart befindet. 4) Dieser ist so hübsch beschrieben durch K. E. v. Baer, Lebensgeschichte Cuvier’s. Herausgeg. von L. Stieda. Arch. f. Anthropologie, Bd, XXIV, 1897, 396 Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe ete Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe der Pleuronektiden. Von Osw. Polimanti. (Aus der physiologischen Abteilung der Zoologischen Station zu Neapel.) Georges Pouchet!) war der erste, der vermittelst an der Forelle angestellter experimenteller Untersuchungen die zwischen Hautfarbe (Chromatophoren) und Sehapparat bestehenden engen Beziehungen festgestellt hat. Nach vollständiger Exstirpation der Augen (oder auch nach einfacher Abtragung der Cornea) traf er bei diesen Fischen eine sehr intensive dunkle Färbung an, die auf eine Erweiterung der chromatophoren Zellen folgte, infolge welcher, wie es schien, die Eigenschaft der Farbeveränderung verloren ge- gangen war. Homolaterale Blendung hatte bei der Forelle die Wirkung, dass die der Blendung entgegengesetzte Kopfhälfte dunkler wurde. Der Autor schloss daraus, dass Lichtreize vermittelst der Augen indirekt auf die Chromatophoren einwirken; nach Entfernung der Augen oder Unterdrückung ihrer Funktion tritt sofort eine Lähmung der Chromatophoren (Erweiterung) ein. Im Jahre 1876 fand derselbe Pouchet bei einer Reihe ebenso eleganter als beweiskräftiger Untersuchungen, die er an platten Fischen anstellte, dass die Farbeveränderungen bei ihnen vom Willen des Tieres ganz unabhängig sind; sie haben zum Ausgangspunkt die von der Retina wahrgenommenen Lichteindrücke und stehen unter dem Einfluss des Nervensystems, kurz, sie sind reflektorischen Ursprungs. Er behauptete, die Reize würden durch das sympathische Nervensystem hindurchgeleitet und Durchschneidungen des Zentral- nervensystems seien ohne Wirkung, während dagegen Durchschnei- dungen des Sympathicus, und ausnahmslos des Trigeminus, eine sehr dunkle Färbung veranlassten. 1) Pouchet, G. 1. Sur les rapides changements de coloration provoques exp6rimentalement chez les poissons. ©. R. Soc. de Biologie, T. 72, 1871. Ders. 2. Changement de la coloration chez certains poissons et certains erustacdes. Ibidem, T. 74, 1872. Ders. 3. Du röle des nerfs dans les changements de coloration des poissons. Journal de l’anatomie et de la physiologie. 8 Anne 1872. Ders. 4. L’influence des nerfs sur le changement de coloration des poissons. Me&moires de !’Acad. des Sciences de l’Instituto de France 1574. Ders. 5. Uber die Wechselwirkung zwischen der Netzhaut und der Haut- farbe einiger Tiere. Wiener mediz. Jahrb. I, 1874. Ders. 6. Le changement de coloration sous l’influence des nerfs. Journal de l’Anatomie et de la Physiologie 12 An. 1876, pp. 1—90 et pp. 113—165. Ders. 7. Note sur un changement unilateral de couleur, produit par l’ablation d’un oeil chez la truite Paris (1876). Me&moires C. R. Soc. Biologie 1877. Ders. 8. Nouvelle note sur le changement unilaterale de couleur produits par l’ablation d’un oeil chez les truites. C.R. Soc. de Biologie, T. 27, 1878. Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe ete. 297 Pouchet konstatierte ferner, dass die Pleuronektiden nach Abtragung der Augen keine Änderung ihrer Farbe zeigen, sondern vielmehr eine mittlere Färbung beibehalten, die unverändert bleibt, auf welchem Grund das Tier sich auch befindet. Diese Resultate Pouchet’s wurden teilweise dann von For- schern bestätigt, die sich in der Folge mit dieser Frage beschäftigten. Die Untersuchungen Lode’s?) ergänzten und modifizierten Pouchet’s Resultate, da sie nachwiesen, dass, wenn das Nerven- system außer Funktion gesetzt wird (indem man die Tiere blendet oder die zu den Chromatophoren hinziehenden Nerven durch- schneidet), die Chromatophoren noch imstande sind, auf bestimmte Reize (elektrische, Druckreize) zu antworten. Dies beweist uns aber, dass diese Reize direkt auf die Chromatophoren einwirken und mithin die Annahme, dass die letzteren infolge der Blendung ge- lähmt bleiben, nicht richtig ıst. Lode konnte ferner beobachten, dass auch unter natürlichen Verhältnissen, wenn Blindheit eintritt (Linsenkatarakt), eine dauernde Verdunklung der Fische verursacht werden kann. Diese Beobachtung wurde später von Poulton bei der Forelle bestätigt. Steinach’) konnte dann einen direkten Einfluss des Lichtes auf die Chromatophoren des Aales, des Lachses und der Forelle beobachten. Dieser Autor nimmt ferner an, dass das Schwarzwerden des Fisches nach Ausschälung beider Augen nicht vollständig denı Verlust der Empfindungen der Netzhaut zuzuschreiben ist, weil Blendung bei einigen Formen (Platessa) ein negatives Resultat er- gibt. Und dann würden die Fische in anderen Fällen dunkler, wenn man andere experimentelle Mittel anwende (Injektionen von Silbernitrat, Verhinderung des Lichtdurchgangs und so auch mit den verschiedensten anderen experimentellen Mitteln, wobei er aber nie eine Blendung vornahm). Semper*) fand bei den Makropoden vermittelst homolateraler Blendung eine vollständige Verdunkelung der Haut. Bilateral ge- blendete teleskopische Fische zeigten nur eine vorübergehende Ver- dunkelung der Haut, die dann mit zunehmendem Alter verschwand. Seine Untersuchungen an den Bachsaiblingen und der Regenbogen- forelle, wie auch die starken Farbeveränderungen bei den Gold- 2) Lode, A. Beiträge zur Anatomie und Physiologie des Farbwechsels der Fische. Sitzungsber. d. mathem.-naturw. Klasse d. k. Akad. d. Wissensch. Wien, XCIX, III, 1891. 3) Steinach, E. Untersuchungen zur vergleichenden Physiologie der Iris. II. Mitteil. Pflüg. Arch. f. Physiologie, Bd. 5, 1892. 4) Semper. Beobachtungen aus den Aquarien des neuen zoologischen In- stituts. Arb. aus d. zoolog. Institut Würzburg. Bd. 10, 1892. 9)S Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe etc. fischen, erregten bei ıhm starke Zweifel an der chromatischen Funktion der Chromatophoren. Knauthe?) fand bei Süßwasserfischen (Cypriniden, Lucius ete.), die in allzu fischreichen und an Nährstoffen armen kleinen Seen sich aufhielten, eine starke Verdunkelung der Haut, die, wie er glaubt, durch Mangel an Nahrung bedingt ist (sie könnte auch von einem Mangel an im Wasser gelösten O, [gleichzeitig Überfluss von CO,]| herrühren). Regnard®) studierte die Farbeveränderung von Oyprinus (sehr interessant ıst die Tatsache, dass der ın vollständiger Dunkelheit gehaltene Cyprinus nach einem Jahre ganz schwarz wird) und der Schleihe (Tinea), indem er durch die Untersuchungen die Lehre von der chromatischen Anpassung bestätigte. Schöndorff”) beschäftigte sich damit, den Einfluss verschie- dener farbiger Lichtstrahlen auf die Färbung der Forelle zu unter- suchen und gelangten zu folgenden Hauptresultaten, die ich kurz zusammenfasse. Das gelbe Licht erzeugt ein dunkleres Kolorit des Fisches, während das durch Stanniol reflektierte Licht im Gegen- teil ein Weißwerden des Fisches herbeiführt und das blaue und grüne Licht keine große Wirkung auf ıhn ausüben. Wurden die Tiere in Gefäße gebracht, deren Seitenwände mit schwarzem Papier bedeckt waren, so färbten sie sich am Rücken und an den seit- lichen Gegenden intensiv schwarz, während sie an der Bauchgegend ganz weiß blieben. - . Diese Erscheinungen stehen nach Schöndorff vollkommen in Übereinstimmung mit der Lehre von der chromatischen Anpassung. Der Autor erklärt nun alle diese Farbeveränderungen durch einen Übergang der Chromatophoren aus den tiefen Hautschichten in die oberflächlichen und umgekehrt; dieser Übergang soll unter dem Einfluss des Nervensystems stattfinden. Mayerhofer?) führte seine Untersuchungen an (ottus gobio und Perca fluviatilis, insbesondere aber an Esox Lucius aus. Er bestätigte, dass die Lichtreize indirekt (vermittelst der Augen und des Nervensystems) einwirken. Der Einfluss der Lichtreize soll nach ıhm nicht nur von der Intensität und Beschaffenheit des Lichtes, sondern besonders von seiner Richtung abhängen. Eine vollständige Dunkelheit beeinflusst die Fische, die sie wahrnehmen, als starker Reiz (enorme Kontraktion der Chromatophoren), während 5) Knauthe. Über Melanismus bei Fischen. Zool. Anz., Bd. 15, 1892. 6) Regnard,P. De l’action des Chromoblastes chez laLoupe et la Tanche. C. R. Soc. Biologie, T. 5, 1893. 7) Sehöndorff, A. Über den Farbenwechsel bei Forellen. Arch. f. Natur- geschichte, 69. Jahrg., 1903. 8) Mayerhofer, F. Farbwechselversuche am Hechte. Arch. f. Entw.-Mech, der Organismen. 28. Bd., 1909, p. 546—560. Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe ete. 294 sich bei geblendeten Fischen die Chromatophoren vollständig aus- breiten und bei normaler Beleuchtung eine völlig typische Ausdehnung des Pigmentes in der zuerst farblosen ventralen Gegend eintritt; dieser Vorgang zeigt sich jedoch gar nicht, wenn man das Licht vollständig isoliert, wobei vielmehr eine Reduktion des Pigmentes wahrzunehmen ist. Secerov°) stellte über die Farbeveränderung von Nemachilus barbatula L. Untersuchungen an, welche die von Meyerhofer ın demselben Institut (Biologische Station, Wien) gemachten ergänzen. Dieser Fisch passt sich sehr gut einer dunklen oder hellen Um- gebung an, auch wenn letztere gemischte Farben aufweist (sie werden hell, dunkel, orangefarben, je nachdem sie über weißem, schwarzem oder orangefarbenem Grund sich befinden). Er passt sich den Grund- farben des Spektrums an: Rot, Orange, Grün, Blau und Violett. Werden die vorher im Dunkeln gehaltenen Tiere auf Böden von verschiedener Farbe gebracht, so zeigen sie in ihrem Kolorit keinen Unterschied. Die auf ihrem oberen Teile beleuchteten Tiere werden hell, die in ihrem unteren Teile beleuchteten behalten die ursprüng- liche Farbe bei. Homolateral geblendete Tiere, die zuvor am Licht oder im Dunkeln gehalten wurden, passen sich vollständig der Farbe des Bodens, auf den sie gebracht werden, an. Völlig geblendete und von Anfang an am Licht gehaltene Tiere zeigen keine Auf- hellung, wenn sie auf einem weißen Grund gehalten werden; erst einige Tage nach der Blendung nehmen sie eine dunkelrotbraune Färbung an und behalten diese Färbung lange Zeit bei. Völlig ge- blendete Tiere, die vor der Blendung im Dunkeln gehalten wurden, zeigen eine rotbraune Farbe; ans Licht gebracht, wurden sie dunkel- rotbraun, wie die Fische, die von Anfang an am Licht waren. Eine ventrale Pigmentierung zeigt sich bei bilateral geblendeten Tieren, die von Anfang an am Licht gehalten wurden; diejenigen, welche völlig geblendet im Dunkeln gehalten wurden, zeigen keine Bauch- pigmentierung, zeigen sie aber sofort, wenn sie ans Licht gebracht werden. Überernährung verursacht Schwarzwerden und eine Zunahme des schwarzen Pigments, Hungern dagegen Absorption des gelben Pigments und Verminderung der Erzeugung des schwarzen Pig- ments. Unter dem Mikroskop beobachtet man, dass die mit bloßem Auge angetroffene Färbung in der Mehrzahl der Fälle durch Pig- ment von derselben homogenen Farbe hervorgebracht wird. An isolierten, frischen Hautstücken vorgenommene Untersuchungen zeigen zuerst eine Spaltung des schwarzen Pigments bei einer 9) Slavco Sederov. Farbenwechselversuche an der Bartgrundel (Nemachilus barbatula L.). Archiv für Entw.-Mech. der Organismen. 28. Bd., S. 629—660, 1909. 300 Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe ete. natürlichen Beleuchtung, hierauf eine Spaltung des isolierten schwarzen Pigments nach dem Wiener’schen Prinzip !®). Bauer!!) fand, als er er die Augen von Solea vulgaris Quenzel oder von Pleuronectes platessa mit Lack zuschmierte oder diese Fische im Dunkeln ließ, eine enge Beziehung hinsichtlich der Zeit, die verging, zwischen der Farbe, die sie ım normalen Zustande hatten und derjenigen, welche sich nach dem Aufhellen zeigte. Buytendijk!?), der sich in der Folge mit denselben Studien an Pleuronectes (Tarbutte) beschäftigte, konnte diese von Bauer behauptete Beziehung nicht konstatieren. Der Autor erklärt diesen Unterschied dadurch, dass er an eine mögliche Veränderung der Erregbarkeit bei den zu den Versuchen dienenden Tieren glaubt. Es gelang ıhm jedoch, die Resultate Pouchet’s zu bestätigen und zu erweitern. Als er bei einem dieser Pleuronektiden ein Auge abtrug, nahm das Tier eine viel dunklere Farbe an; nach einiger Zeit jedoch, als es sich beruhigt hatte, nahm es dieselbe Farbe an wie der Boden, über dem es sich befand. Als er nun das am Tiere nur durch den Nervus opticus haften bleibende andere Auge abschnitt, „behielten (S. 594) die Tarbutten während mehrerer Wochen und Monate die Farbe bei, welche sie vor der Abtragung des letzten Auges angenommen hatten“, d.h. ein helles oder dunkles Kolorit je nach dem Boden, auf welchen die Pleuronektiden vor der vollständigen Blendung gebracht worden waren. Er bemerkte ferner, dass einige von ihnen eine gewisse Zeit nach ihrer Blen- dung eine gelbliche Färbung annahmen. Es ıst das Verdienst van Rijnberk’s!?), dass er die Aufmerk- samkeit der Forscher auf einen anderen Faktor, den Tastsınn, ge- lenkt hat, der einen Einfluss auf die Wirkung der Chromatophoren bei den Pleuronektiden ausüben soll. Dieser Autor konnte bei Pleuronectes maximus beobachten, dass er sich vollkommen an die Farbe eines fertigen Bodens oder eines sehr feinen, gelben Meersandes bezw. eines dunkleren und groben Flussandes anpasst. Nimmt man jedoch zwei Glasplatten, die diese beiden Böden vollkommen bedecken, und legt die Pleuronektiden darauf, so zeigt sich nach kurzer Zeit deutlich ein verschiedenes. Aussehen bei den auf das Glas gebrachten Exemplaren und denjenigen, welche be- 10) Wiener, ©. Farbenphotographie und mechanische Farbenanpassung in der Natur. Annal. d. Physik u. Chemie (Wiedemann), Bd.55, p 225—-281, 1895. 11) Bauer, V. Über die tonische Innervation der Pigmentzellen bei den Plattfischen. Centralbl. f. Phys., Bd. XXIV, Nr. 16. 12) Buytendijk, F. J. J. Über die Farbe der Tarbutten nach Exstirpation der Augen. Biolog. Centralbl., Bd. XXXI, 1. Okt. 1911, Nr. 19, p. 593—596. 13) v. Rijnberk, G. Piccoli contributi di Fisiologia comparata I. L’impor- tanza della qualitä fisica del suolo soprra i cambiamenti riflessi del colorito cutaneo nei Pleuronettidi Arch. di Farmacol. speriment. e Scienze affini Anno X. Vol.XI. 1911. Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe ete. 301 ziehungsweise auf dieselbe Art Sand, aber ohne eingelegtes Glas, gebracht wurden. Im allgemeinen nehmen die Exemplare auf Glas ein viel dunkleres Aussehen an als der Boden zeigt, auf welchem sie sich befinden. Der Autor nimmt deshalb an, dass ohne Zweifel der Tastsinn einen großen Einfluss auf die Wirkung der Chromato- phoren ausübt. Ferner nimmt v. Rijnberk auf Grund seiner früheren Unter- suchungen (1906) und nach Analogie der von Bauer angestellten an, dass die blinden Pleuronektiden eine Tendenz haben, das Haut- kolorit beizubehalten, das sie vor ihrer Blendung besaßen. Und für ıhn hat es den Anschein, als ob dieses Kolorit sich nicht in bemerkenswerter und konstanter Weise durch die physikalischen Veränderungen des Bodens beeinflussen lasse. Die Resultate Pouchet’s wurden von Sumner'*) durch Experi- mente am Rhomboidichthys podas in ıhrem ganzen Umfang bestätigt. Dieser Autor glaubt, dass bei völlig geblendeten Fischen (er nahm die Blendung vor, indem er Silbernitrat auf die Cornea brachte) die Chromatophoren nicht mehr reagieren. Wenn die Fische im Dunkeln geblendet wurden, blieb ihre Färbung unbegrenzt dunkel. Wurde die Operation an einem Exem- plar vorgenommen, das lange auf einem weißen Boden verweilt und mithin ein sehr blasses Kolorit angenommen hatte, so bestand diese blasse Färbung einen Zeitraum von 24 Stunden hindurch, worauf eine dunklere Farbe erschien. Der merkwürdigste Fall zeigte sich aber bei Exemplaren, die sich lange einem weißen Grund angepasst hatten, über dem sie ca. 20 Tage geblieben waren. Werden sie dann 24 Stunden auf einen dunkeln Grund gebracht, so nahmen sie wieder eine dunkle Färbung an; dann erst wurden sie von Sumner geblendet. Einige Stunden nachher wurden diese Tiere blass und blieben es 24 Stunden lang. Die dunkle Färbung erschien allmählich wieder und blieb unbegrenzte Zeit bestehen. Was die Erklärung dieser Erschei- nungen anbelangt, so erklärt Sumner, es sei schwer, auch wenn man einige der wunderlichen Anwendungen des Prinzips der Schutz- färbung unberücksichtigt lasse, angesichts dieser bei Rhomboidichthys beobachteten Tatsachen an der Möglichkeit der homochromischen Anpassung zu zweifeln. Ein anderer Autor, v. Frisch’), stellte eine lange Reihe von Untersuchungen über die Chromatophoren der Haut der Fische an. Er konstatierte besondere chromatophore Zentren in verschiedenen 14) Sumner, F. B. The adjustement of flatfish to various backgrounds. A study of adaptive color change. The Journal of exp. Zoölogy, Vol. 10, Nr. 4, May 1911, p. 409—506, 14 PI. 15) v. Frisch, K. Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fisch- haut. Pflüg. Arch. f. Physiol. 1911, Bd. 138, p. 319—38S, Taf. 4—5, 302 Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe etc. Teilen des Zentralnervensystems (Zwischenhirn, Zirbeldrüse) von Phoxinus laevis L. und Salmo fario L. — Übrigens waren diese Zentren viel früher schon von Margarethe Traube-Mengarini'*%) im Zentralnervensystem von Knochenfischen gesehen worden; auch ich habe sie bestätigt in einer Arbeit, deren Drucklegung noch nicht vollendet ıst!”). Anämie und ein lokalisierter Druckreiz sollen Expansion der chromatophoren Zellen bewirken; dies hängt von Mangel an Sauer- stoff ab, der direkt, unabhängig vom zentralen und peripheren Nervensystem, auf die Chromatophoren einwirkt. Alle Operationen, die zum gänzlichen Verlust der Sehkraft führen, führen auch sofort zu einer vollständigen Verdunkelung der Fische. In der Folge, auch nach monatelang dauernder Be- obachtung, können einige mehr oder minder hell und andere mehr oder minder dunkel werden: alle haben die Fähigkeit verloren, ihre Farbe der des Bodens anzupassen. Exstirpation eines Auges führt bei den Cyprinoiden zu einer vorübergehenden Verdunkelung des ganzen Körpers; dann kehrt die normale Farbe zurück und das Tier passt sich dem umgebenden Medium an. Bei den Salmoniden dagegen führt Exstirpation (oder Verschluss) eines Auges zu einer Verdunkelung der entgegen- gesetzten Hälfte, die dann permanent bleibt. v. Frisch ist der Ansicht, dass die Pigmentbildung (S. 383) „durch einen andauernden Expansionszustand der Chromatophoren gefördert, durch eine andauernde Kontraktion aber gehemmt werde“. Während das Licht fast ohne irgendwelchen Einfluss auf die Farbe der Forellen (Salmonıden — Salmo fario L.) bleibt, reagieren hingegen Pfriller, Karauschen und Flussbarsche prompt auf eine Zunahme der Lichtintensität durch eine Verdunkelung, eine Licht- abnahme und ein Weißwerden des ganzen Körpers. Es würde sich also um eine direkte Erregbarkeit der Chromatophoren vermittelst des Lichtes handeln. — — — Ich habe mir vorgenommen, das Studium dieser interessanten Frage wieder aufzunehmen und zu vervollständigen, auch in den Teilen, die mangelhaft erforscht wurden, um zu einer Lösung dieser Probleme zu gelangen. Gewiss ist die Frage der Anpassung der Farbe an das um- gebende Medium vermittelst der Ubromatophoren von höchster biologischer Bedeutung, nicht nur hinsichtlich der Pleuronektiden, 16) Traube-Mengarini, M. Experimentelle Beiträge zur Physiologie des Fischgehirns Arch. f. Anat. u. Physiol. (physiol. Abteilung), 1884, p. 553 —565, 17) Polimanti, ©. Contributi alla Fisiologia del sistema nervoso centrale e del movimento dei Pesci. III. Teleostei. Zool. Jahrb. Abt. f. allgemeine Zool. u. Physiol. d. Tiere, Bd. XXXII, 1912 (im Druck). Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe ete. 303 mit denen wir uns jetzt beschäftigen, sondern auch bezüglich anderer Tiere (z. B. der Cephalopoden, Krustazeen etc.). Es ist dies ein Mittel, das den erwähnten Tieren zu einem doppelten Zwecke dient: zum Schutz gegen ihre Feinde (andere größere Fische, Haifische, Godiden ete., auch größere Tiere der- selben oder einer anderen Art etc.), und zur Offensive, weil sie, da. sie sich wenig oder gar nicht sichtbar machen, viel leichter andere Tiere erbeuten können, ohne dass diese ihre Anwesenheit wahrnehmen. Ich resümiere in aller Kürze die Resultate, welche ich bezüg- lich der verschiedenen Fragen erhielt, die zu lösen ich‘ mir vor- genommen hatte. Meine Untersuchungen stellte ich an mittelgroßen (Dimen- sıonen im Durchschnitt 19 x 23 cm) Exemplare von Rhombus laevis an, die ich blendete, indem mit einem glühenden Eisen über die Cornea fuhr; bisweilen trat auf diese Weise vollständiges Auslaufen des Auges ein, in anderen Fällen machte ich die Öornea vermittelst Silbernitrat undurchsichtig. 1. Die erste Frage, deren Lösung ich unternahm, bestand darin, zu untersuchen, ob die homolaterale Blendung einen Ein- fluss auf die Farbe der beiden Rückenhälften ausübt. Pouchet behauptet, wie wir gesehen haben, ein solcher Unter- schied zeige sich bei der Forelle, d. h. die dem geblendeten Auge entgegengesetzte Hälfte werde weißer als die andere. Um bezüg- lich dieser Frage ins Reine zu kommen, habe ich ungefähr 15—20 Tage lang Exemplare von Rhombus in einem Bassın gehalten, dessen Boden mit Karraramarmor bedeckt, also vollständig weiß war, so dass die Fische bei Beendigung der Beobachtung ganz weiß ge- worden waren. Alsdann blendete ich das eine oder das andere Auge und brachte sie hierauf in ein Bassın, dessen Boden mit Sand von grauer Farbe bedeckt war. Nun hatten diese Exemplare von Rhombus nach sehr kurzer Zeit (15°—30°— 1?— 2%) eine Farbe, die vollständig mit der ihrer Umgebung, des Bodens, übereinstimmte, so dass man sie häufig über diesem Boden nicht unterscheiden konnte und gleichzeitig kein Unterschied in der Farbe anderen normalen Exemplaren von Rhombus gegenüber, die in demselben Bassın gehalten wurden, be- stand. Daraus schließe ich, dass Blendung eines Auges keinen Ein- fluss ausübt auf die Färbung, welche man an der Rückenfläche des Pleuronektiden wahrnimmt. Ein einziges normales Auge genügt, damit das Tier seine Chromatophoren in der Weise anpassen kann, dass es die Farbe des umgebenden Mediums (Boden) annimmt, über welchem es sich befindet. 304 Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe etc. Das Kolorit ist grau und homogen auf beiden Seiten und unter- scheidet sich durchaus nicht von dem eines in demselben Bassın befindlichen normalen Tieres. Jene Erscheinung tritt ein, wenn man den Pleuronektiden auf einem Auge blendet und ihn dann aus einem Bassin mit grauem Boden (Sand) in einer von verschiedenem, weißem Boden (Karrara- marmor) bringt. In sehr kurzer Zeit nämlich (30°—1") passt das Tier auch in diesem Falle seine Chromatophoren der Farbe des neuen umgebenden Mediums an. Diese Resultate waren übrigens leicht vorauszusehen und ich bringe sie in enge Beziehung zur Unabhängigkeit in der Bewegung der Augen, die sich bei allen diesen Pleuronektiden zeigt (Analogie mit den Augen des Chamäleons). Sehr charakteristisch ist die fortwährende Bewegung nach allen Richtungen dieser gestielten Augen (aus diesem Grunde viel größeres (resichtsfeld), die den Pleuronektiden nicht nur dazu dienen, in möglichst kurzer Zeit ihre Chromatophoren dem äußeren Medium anzupassen, sondern auch sie vor ıhren Feinden (Haifischen, Ga- diden etc.) zu schützen und die kleinen Fische, die sie zu ihrer Beute machen, wahrzunehmen. Diese Unabhängigkeit in der Bewegung der Augen zeigt sich auch bei anderen Grundfischen, mögen sie nun im Sande leben (z. B. Trachinus) oder auf Bäumchen (Lofobranchier). 2. Die zweite Frage, deren Lösung ich mir vorgenommen hatte, bestand darın, zu untersuchen, ob die bilaterale Blendung einen Einfluss auf die Farbe ausübt, seı es, dass das Tier ın demselben Bassin aufbewahrt wird, in welchem es lange Zeit verweilt hatte und in welchem es nach der Blendung bleibt, sei es, dass es in ein anderes Bassin mit einem vom ersten vollständig verschiedenen Boden gebracht wird. Ich habe Exemplare von Rhombus geblendet und sie dann in einem Bassın mit einem Boden (Karraramarmor oder grauer Meer- sand) gehalten, dem sie sich vollständig angepasst hatten und auf welchem sie stets geblieben waren. Nun handelt es sich in diesem Falle darum, zu sehen, ob sie, da die Sehkraft fehlt, mit dem Tastsinn allein imstande sind, ihre Chromatophoren dem Medium des Bodens, auf welchem sie ruhen, anzupassen. Kurz, es handelt sich darum, zu sehen, ob diese An- passung der Ohromatophoren an die Farbe der Umgebung nur vom Gesichtssinn abhängt oder die Resultante aus taktilen und visiven Empfindungen ist und ob, wenn der Gesichtssinn fehlt, der Tast- sinn imstande ist, ıhn in dieser Funktion zu ersetzen. Erhalten die Chromatophoren auf dem Reflexwege Reize aus dem Gesichtsorgan oder aus dem Gesichts- und Tastorgan zugleich, Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe ete. 305 oder kann diese Funktion in Ermangelung des Gesichtssinnes durch das Tastorgan allein vollzogen werden? Ich habe Exemplare von Rhombus geblendet, die ich sofort nach der Operation zuerst in einem Bassin mit einem Boden (Karraramarmor oder grauer Meersand) hielt, dem sie sich voll- ständig angepasst hatten. Nach einer gewissen Zeit brachte ich sie dann in ein Bassın mit einem Boden, der von demjenigen, auf welchem sie sich ursprünglich befunden hatten, verschieden war. Nun nimmt aber in dem Falle, wenn nun das geblendete Tier aus einem Bassın mit Sandboden, dem es sich mit seiner Farbe völlig angepasst hatte, in ein anderes mit Karraramarmor bedecktes, also vollkommen glattes Bassın bringt, der Rhombus in kurzer Zeit (innerhalb 24 Stunden) allmählich immer eine weißliche Färbung an; er behält stets ein sehr helles, graues Kolorit bei. Zuweilen jedoch nehmen diese Fische, namentlich in einem ersten Zeitabschnitt, die nämliche dunkelgraue Farbe an und be- halten sie auch, die sie hatten, als sie sich über dem Sandboden befanden; nur für kurze Zeit, fast sofort nach Beendigung der Ope- ration, nehmen sie ein weißliches Kolorit an, das jedoch von kurzer Dauer ist (30°-- 1? — 2"). Geblendete Exemplare von Rhombus behielten, wenn sie schon ihre Chromatophoren der grauen Sandoberfläche eines Bodens an- gepasst hatten, diese graue Färbung stets die gauze Zeit hindurch bei, so lange sie in diesem Bassın verblieben. Wurden sie dann in ein Bassin mit glattem Boden (Karraramarmor) gebracht, so be- hielten sie auch hier jene ganz charakteristische graue Farbe bei. Im Anfang zeigen sie etwas motorische Hyperaktivität, verhalten sich aber dann völlig unbeweglich am Boden (sie gewöhnen sich an den für diese Fische lästigen Reiz, den der glatte Boden für sie bedeutet). Vielleicht behalten sie dieses graue Kolorit bei, weil sie sich möglicherweise an die Farbe des Sandes erinnern, den sie ge- sehen haben; kurz, sie sollen ein wahres und eigentliches Gedächtnis besitzen, eine Erinnerung an das, was sie früher gesehen und be- tastet haben, als sie im normalen Zustand waren. Und der hiesige taktile Reiz hat sich so den früheren Empfin- dungen (Gesichts-Tastsinn) untergeordnet erhalten, dass er, wie es scheint, keinen Einfluss auf eine Farbeveränderung dieser Pleuro- nektiden ausübt, wenn sie derartigen experimentellen Bedingungen ausgesetzt werden. Nachdem sie 17—20 Tage oder auch nur einen Tag auf diesem völlig glatten Boden sich befinden, erscheinen auf der Rückenfläche kaffeebraune (schokoladefarbene) Flecken von 5 mm Durchmesser, die ihrerseits von vielen Pünktchen von sehr intensiver grauer Farbe umgeben sind. Diese Flecken nehmen während der folgenden Tage XXXI. 20 306 Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe etc. an Volumen zu und sind mit einer gleichmäßigen grauen Farbe vermengt und davon umgeben. Diese sehr charakteristischen schokoladefarbenen Flecken nehmen allmählich, je mehr Zeit verfließt, immer an Zahl und auch an Volumen zu. An einigen Tagen behalten sie diese sehr intensive graue Fär- bung nicht bei. sondern zeigen eine viel hellere graue Farbe, ob- wohl das umgebende Medium vollkommen dieselben Bedingungen beibehält. Zuweilen treten sie auch in Emprosthotonus ein, um die Bauch- fläche von dem lästigen Reiz des flachen Bodens zu entfernen; werden sie aber auf dem Rücken gereizt, so legen sie sich sofort mit der Bauchfläche dem Boden an. Eine konstante Tatsache, die ich bei allen vollständig ge- blendeten Pleuronektiden beobachtet habe und von der ich bald in einer schon im Drucke befindlichen Arbeit!*) eine genaue Beschrei- bung geben werde, ist, dass sie, sobald sie in ein Bassın — nament- lich in einer mit völlig glattem Boden — gebracht werden, sobald sie es berühren (lästiger Reiz), sich sofort heben und fortwährend umherschwimmen, indem sie in einem fort kreisförmige (Reitbahn-) Bewegungen nach der einen oder anderen Seite hin machen. Die- selben Erscheinungen habe ich nicht nur bei anderen geblendeten Fischen beobachtet, sondern auch bei geblendeten Gephalopoden (Sepia)‘®). Meiner Ansicht nach hängen sie von den Einflüssen ab, welche die Asymmetrie der verschiedenen Tiere ausübt, wie ich ausführlich in meiner oben erwähnten Arbeit dargelegt habe. Diese Erscheinung zeigt sich wenigstens 30‘ lang bis zu 1—2—3 Stunden; dann beruhigt sich der Pleuronektide und legt sich viel- leicht infolge Ermüdung auf den Boden, nachdem er jene charakte- ristischen Bewegungen mit den Seitenflossen gemacht hat, die er immer ausführt, wenn er sich mit Sand bedecken will. Eine Hyperaktivität tritt stets bei Pleuronektiden ein, die auf einem oder auf beiden Augen geblendet sind, namentlich in den ersten Zeiten nach der Operation, und insbesondere bei den voll- ständig blinden, die bei Nacht stets das Bassin, in welchem sie sich befinden, verlassen. Vielleicht ist der Mangel des Gesichtssinnes schuld daran, dass das Tier in fortwährender Hyperaktivität und Bewegung verharrt. Normale Pleuronektiden hingegen halten sich fast immer völlig 18) Polimanti, OÖ. Sopra i movimenti che si determinano nei pesci per una anormale illuminazione dagli occhi. Zeitschr. f. allgem. Physiologie, Bd. XIII, 1912, p. 348-365 19) Polimanti, O. Contributi alla fisiologia del sistema nervoso centrale e del movimento negli animali inferiori. IV. Cephalopoda. Internat. Monatsschrift [. Anat. u. l’hysiol., Bd. XXIX, 1912, p. 70—143. Polimanti, Einfluss der Augen und der Bodenbeschaffenheit auf die Farbe ete. 307 unbeweglich und im Sande verborgen zum Zwecke der Verteidigung und gleichzeitig auch des Angriffs. Gewiss wird ein mit Sand bedeckter Boden eine nicht lästige Wirkung auf die Bauchfläche aller Pleuronektiden und auf diese Fläche gewiss eine hemmende Wirkung ausüben. Wird der Pleuro- nektide auf einen mit Sand bedeckten Boden gebracht, so wird er vollkommen ruhig bleiben und sich mit diesem Sande bedecken. Dagegen wird ein vollständig ebener oder auch mit Steinen bedeckter Boden auf die Bauchfläche eine dynamogene Wirkung ausüben und bewirken, dass der Pleuronektide in beständiger Be- wegung verharrt und nur infolge Ermüdung auf den Boden fallen wird. Und gerade vermittelst dieses Mechanısmus werden wir uns auch die von van Rijnberk erhaltenen Resultate erklären können. Es ist sicher, dass ein völlig ebener oder auch mit Steinen oder mit sehr grobem Sand bedeckter Boden eine sehr lästige Wir- kung auf die Pleuronektiden ausüben muss, weil sie, sobald sie ıhn berühren, sich sofort in die Höhe heben, als ob sie mit einem sehr lästigen Reiz in Berührung kämen. Wegen dieses auf der Bauchfläche sehr lästigen Reizes befindet sich wohl auch der Pleuronektide in so schlechten Verhältnissen, dass er vielleicht nieht die nämliche Farbe annımmt wie der Boden, über welchem er sich befindet. Sobald nämlich ein Pleuronektide sich über einem Boden mit Sand befindet, gräbt er sich sofort hinein, während er dagegen nur — ich wiederhole es nochmals — wenn er völlig müde ist, sich auf einen vollständig glatten Boden legen wird. Sehr groß ist die Hyperaktivität, in welcher sich ein ın Be- rührung mit einem flachen und hellen Boden (Karraramarmor) stehender Pleuronektide befindet, dass diese Fische, wenn sie in solchen Bassins gehalten wurden, stets während der Nacht (wie ich schon oben andeutete) aus dem Bassin sprangen und des Morgens auf dem Boden des Zimmers tot aufgefunden wurden. Ohne Zweifel übt also der Tastsinn einen großen Einfluss auf die Funktion der Uhromatophoren aus. Ein so lästiger Reiz ist der, den eine flache oder aus mehr oder weniger dieken oder spitzigen Steinen bestehende Fläche auf die Bauchfläche ausübt, dass er mit dem verglichen werden kann, den ein sehr starker thermischer Reiz, der auf eines dieser Tiere in diesen Gegenden einwirkt, hervorruft. 20* 308 Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. Von Dr. med. Rudolf Brun, z. Zt. in Glarus. In einer früheren Arbeit!) habe ich eine Reihe von Experi- menten veröffentlicht, die den Zweck verfolgten, das gegenseitige Verhalten größerer Mengen von Ameisen verschiedener Kolonien unter wechselnden, aber möglichst natürlichen Versuchsbedingungen zu studieren. Ich kam dabei zu dem Resultate, dass die bei F. rufa relativ leicht erzielbaren künstlichen Allianzen keineswegs, wie gewöhnlich angenommen wurde?), ausschließlich oder auch nur vor- wiegend auf der Entstehung eines neuen und reizphysiologisch als einheitlicher Komplex wirkenden „Mischgeruches“ beruhen können (wie er sich bei der Mischung der Parteien im Sacke bilden soll und auf welchen die Ameisen dann sekundär automatisch oder gar „reflektorisch* eingestellt wären), sondern dass sıe ım wesentlichen das Resultat relativ hochkomplizierter plastisch-psychischer Tätigkeit sınd. Es sei mir gestattet, die Tatsachen, auf welche diese Schlüsse sich gründen, hier nochmals kurz in Erinnerung zu bringen: 1. Wenn man den alliierten Ameisen der einen Parteı ihre unvermischten Schwestern aus dem Heimatneste neben das Misch- nest setzte, so erkannten sie dieselben sofort wieder als alte Freunde?°). Von einer reflektorischen Einstellung auf den fraglichen Misch- geruch (im Sinne der Bethe’schen Reflextheorie) kann also jeden- falls keine Rede sein, vielmehr hatten dıe Ameisen eben neben der allmählich eingetretenen Gewöhnung an den neuen Mischgeruch das Engramm ihres heimatlichen Nestgeruches getreulich bewahrt und waren deshalb trotz der Ausbildung des genannten sekundären Automatismus (gewohnheitsmäßige Einstellung auf den Mischgeruch) jederzeit imstande, ihre alten Nestgenossen wieder zu erkennen. 2. Andererseits wurden letztere durch die Ameisen der Gegen- partei zwar genau unterschieden von den schon Alluerten und eher feindlich behandelt, aber doch auffallend schwach angegriffen und schließlich größtenteils geduldet. Daraus muss geschlossen werden, dass a) bei der Mischung der Parteien doch schließlich eine ge- wisse Amalgamierung der beteiligten Partialgerüche zu einem phy- 1) Zur Biologie und Psychologie von Formica rufa und anderen Ameisen. Biol. Centralbl. 1910, S. 524. 2) Man vergleiche z. B. die Darstellung, die Escherich in seinem bekannten Werke (Die Ameise, Braunschweig 1906), S. 156 über die Ursachen der künstlichen Allianzkolonien gibt. 3) Das hat übrigens Forel schon 1874 genau beobachtet und in seinen „Four- mis de la Suisse“ p. 281 in trefflicher Weise geschildert. Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. 309 siologisch gewissermaßen einheitlichen Mischgeruche stattgefunden haben muss, denn sonst hätten ja die Tiere überhaupt keinen Unter- schied zwischen den neuen Alliierten und deren (ungemischten) ehemaligen Schwestern wahrnehmen können, b) auf der anderen Seite kann aber — das geht aus der be- deutenden Abschwächung der feindlichen Reaktion gegen diese „Neuen“ zur Genüge hervor — diese Amalgamierung hinwiederum keine so feste sein, dass die Ameisen aus ıhr die einzelnen Kom- ponenten nicht mehr herausdifferenzieren könnten, m. a. W.: Es würde der Mischgeruch AB nicht ohne weiteres einem ganz homo- genen neuen Produkte © gleichzusetzen sein. Dieser scheinbare Widerspruch soll weiter unten noch seine Lösung finden. 3. Wenn man aber solche ungemischten Nestgenossen einer Partei in großer Zahl und namentlich unter Mitgabe großer Mengen Brut beim Mischneste aussetzte, so zeigte es sich, dass dieselben nun auch von den Ameisen der Gegenpartei ohne weiteres, d. h. ohne jede Feindseligkeit aufgenommen wurden. 4. Endlich ließen sich unter bestimmten Umständen Allianzen selbst dann erzielen, wenn überhaupt keine Mischung der Parteien vorgenommen wurde. Solche ge- wissermaßen „spontane“ Allianzen traten ein a) wenn beide Parteien in eine gleichermaßen schwierige oder ungewohnte Situation gebracht wurden, wenn man sie z. B. in un- bekannter Gegend zusammen aussetzte, b) wenn beide Teile in annähernd gleichem Zahlenverhältnisse standen und wenn mindestens einer Partei zahlreiche Brut mit- gegeben wurde, c) bei Gegenwart befruchteter Königinnen, d) bei Gegenwart eines mächtigen gemeinsamen Feindes. Alle diese Fälle demonstrieren zur Genüge, eine wie dürftige Rolle der postulierte Mischgeruch (als rein physiologisches Reiz- moment gedacht) beim. Zustandekommen solcher Allianzen spielt: Er hätte dieselben hier überall höchstens nachträglich festigen und dauerhafter gestalten, niemals aber sie bewirken können. — Im folgenden sollen an Hand eines mehrphasigen Experimentes, wie es Forel*) ähnlich, nur nicht so vollständig schon 1873 aus- geführt hat, die soeben nur kurz gestreiften Fragen nochmals ein- gehend geprüft und die bereits gewonnenen Gesichtspunkte ergänzt und auf engrammtheoretischer Grundlage weiter geklärt werden. 4) l.c., p. 278. 310 Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. J; Erste Versuchsreihe. Am 17. Mai 1911 vereinigte ich in einem etwa 2 | fassenden Sacke kleinere Teile der folgenden Ameisennester aus der unteren Sackalp ım Klönthal: I. Aus einem Riesenneste von F. rufa 1. sp. (100 m lange Heerstraße!) füllte ich ca. */,, des Sackes mit Arbeitern und zahl- reicher Brut (3 Uhr 15 nachmittags). II. Aus einem kleinen Neste A von F' pratensis: Einige 40 Ar- beiter mit ganz wenig Brut (4 Uhr). III. Aus einem zweiten, stark bevölkerten Pratensis-Neste B, 5 Minuten oberhalb A gelegen: Etwa ’°?/,, des Sackes, Arbeiter nebst großen Mengen Brut (4 Uhr 30). IV. Aus zwei eng benachbarten (3 m), stark bevölkerten Nestern A und B von F. sanguinea: Die übrigen ?/,, des Sackes, -- sehr viele Arbeiter, wenig Brut (meist Geschlechtspuppen), ganz wenig Fusca-Sklaven. — Eine besondere Mischung der Parteien wurde nicht vorge- nommen. Der gefüllte Sack musste, da die zur Beobachtung nötige Muße fehlte, zunächst noch 5'/, Stunden geschlossen liegen gelassen werden; erst um 10 Uhr 30 nachts verband ıch das vordere Ende des Sackes mittelst durchgesteckter Glasröhre mit einem geräumigen Flachrahmenneste nach Lubbock-Wasmann. Sofort strömten zahlreiche Ameisen durch die Glasröhre in den Apparat; die meisten sangswinea, rufa und pratensis gingen schein- bar gleichgültig aneinander vorbei; kämpfende Paare waren seltene Ausnahme und wo ich Kämpfe bemerkte, waren immer nur zwei Individuen ineinander verbissen; nur ganz vereinzelt kamen sogen. „ex&cutions A froid*“ vor, d.h. kaltblütige Misshandlungen eines Individuums durch mehrere Gegner, ohne Anwendung von Gift. Dagegen bemerkte ich schon um 11 Uhr 20 eine sangwinea, die eine rufa nach Ameisenart friedlich in den Apparat trug... Um 12 Uhr nachts war der Apparat schon stark mit Ameisen besetzt, — zum überwiegenden Teile allerdings sanguinea, die ja die oberste Etage des Sackes innehatten. Um auch den vrzufa besseren Zugang zu gewähren, bohrte ich den Sack hinten an und verband die Bresche mittelst langer T-Röhre mit der in den Apparat führenden Hauptstraße. Der Erfolg war prompt, es kam sofort zu einem starken Zuzug von rafa mit lebhaftem Puppentransporte, an dem sich die sangıinea alsbald beteiligten, indem sie den rufa ın der Röhre entgegenwanderten und ihnen die sich stauenden Puppen auf halbem Wege abnahmen. 18. Mai. Am nächsten Tage war das friedliche Ein- vernehmen unter den Parteien ein nahezu vollkommenes; Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. 311 kämpfende Paare waren so vereinzelt zu sehen, dass man sie geradezu suchen musste; — auch Tote lagen auffallend wenig in dem mit Ameisen und Brut vollgepfropften Apparat. Abends entfernte ıch den Sack und leerte seinen, den Rest der Ameisen bergenden Inhalt nacheinander in zwei geräumige Standgläser. Das erste dieser Gläser, welches die oberflächliche Schicht enthielt, verband ich wieder mit dem Neste, das zweite ließ ich dagegen halbgefüllt stehen. — Die rufa und pratensis über- wogen jetzt ım Apparat bedeutend über die sanguinea. 19. Mai. In dem nicht mit dem Neste verbundenen zweiten Standglas, welches die tiefe, noch größtenteils aus rufa und pra- tensis bestehende Schicht des Sackes enthielt, waren sämtliche sanguinea teils getötet, teils wurden sie noch von den rufa und pratensis a froıd exekutiert. Dagegen schienen die letzteren, nahe verwandten Rassen, unter sich völlig einig zu sein. Am 22. Mai bemerkte ich ım Apparat eine vollkommen unver- sehrte Sangwinea-Königin; sie saß inmitten eines Haufens Brut und war von einem dichten Klumpen sangwinea umgeben, an dessen Peripherie sich allerdings auch einige pratensis und rufa zudrängten. Im allgemeinen zeigten aber die Parteien auch jetzt noch eine ge- wisse Neigung zur Sonderung, indem sich in verschiedenen Kammern des Nestes Gruppen gebildet hatten, in denen die eine oder andere Art mehr oder weniger vorherrschte, auch kamen gelegentlich noch kleine Reibereien vor, die ausnahmslos von den sangwinea ausgingen, ohne aber ernsteren Charakter anzunehmen; die rufa und pratensts verhielten sich diesen kleinen Anrempelungen gegenüber völlig passiv, obschon sie sich in starker Überzahl befanden. — Ich verband nun ein zweites Lubbocknest, sowie ein größeres Fütterungsglas mit dem Apparat und warf in das letztere zahlreiche ruıfa und pratensis aus jenem zweiten Zylinderglase, in welchem alle sanguinea getötet worden waren. Sie verhielten sich gegen die sanguinea des Mischnestes vollkommen friedlich und wurden auch von diesen nicht angegriffen. Zwei Versuche (am 23. und 25. Mai), fremde befruchtete rufa-Weibehen im der Allianzkolonie zur Adoption zu bringen, schlugen fehl, weil beide von den sanywinea nachträglich umgebracht wurden (das erste Weibchen, nachdem es von den rufa und pra- tensis des Mischnestes bereits adoptiert worden war!). Dieser Aus- gang hat nichts Befremdliches, denn die sangwinea hatten ja ange- sichts der Gegenwart ıhrer art- und stammeseigenen Königin nicht die geringste Veranlassung, auch noch artfremde Königinnen, die zudem nicht einmal einen der ihnen bekannt gewordenen fremden Nestgerüche besaßen, ım Neste zu dulden. 312 Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. Resume und Analyse der Versuche der I. Reihe. 1. Es gelang, im künstlichen Apparat binnen wenigen Stunden eine dauernde Allianz zwischen relativ starken Kontingenten von F. rufa ı. sp., pratensis (zwei Parteien) und sangwinea-fusca zu er- zeugen. 2. Diese Allianz beruhte nicht auf der momentanen Entstehung eines neuen, als reizphysiologisch einheitlicher Komplex wirkenden Mischgeruches. — Beweis: a) Erstens wurden die verschiedenen Parteien im Sacke nicht eigentlich durcheinander gemischt, sondern lediglich übereinander geschichtet. b) Allerdings musste der Sack nach erfolgter Einsammlung wegen Zeitmangel noch 5 Stunden uneröffnet liegen bleiben; dass aber auch diese Zeit nicht genügt hatte, weder um eine hinläng- liche Mischung der Parteien noch der entsprechenden Nestgerüche zu bewirken, geht aus folgendem hervor: Als der Sack mit dem Apparate verbunden wurde, über- wogen unter den einströmenden Ameisen weitaus die sanguinea, die ja auch anfänglich im Sacke die oberste Schicht gebildet hatten und als nun — wieder 1!/, Stunden später — der Sack am hinteren Ende geöffnet wurde, kamen umgekehrt wieder fast lauter rufa mit ihrer Brut zum Vorschein. Trotz dieser äußerst mangelhaften Mischung war aber unter den verschiedenen Parteien so- zusagen kein Kampf mehr (wenigstens kein neuer Streit) zu bemerken, — im Gegenteil, die sangwinea halfen den rufa freundschaftlichst beim Transporte ihrer Brut und schon am nächsten Morgen war die Eintracht ım Apparate eine fast vollkommene. Andererseits zeigte es sich, dass die im Fundus des Sackes zurückgebliebenen rufa und pratensis, sobald sie (nach 24 Stun- den!) aus ihrer Zwangslage befreit und in ein geräumiges Standglas einquartiert wurden, die wenigen unter sie geratenen sanguinea nachträglich umbrachten. Sie hatten sie somit sehr wohl als Fremde erkannt und sıch ıhrer, da sie numerisch weit überlegen waren, bei der ersten Gelegenheit entledigt. Diese selben rufa aber, die eben so unduldsam verfahren waren, dachten nicht mehr daran, die ihnen begegnenden sanguinea anzugreifen, als sie, 5 Tage später, wieder in die Mischkolonie zurückversetzt wurden und bestätigen uns dadurch nur wieder, dass sich ıhr Verhalten keineswegs sklavisch nach den sie jeweilen treffenden „freundlichen“ oder „feindlichen“ Geruchsreizen richtete, sondern mindestens ebenso nach den be- gleitenden Umständen, deren für sie verschieden günstige Konjunktur sıe jedesmal sehr richtig zu erfassen schienen. 3. Fast noch wichtiger ıst aber hier für uns die weitere Tat- sache, dass diese selben rufa (ich spreche immer von den In- sassen des zweiten Standglases) auch von den in Überzahl vor- Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. 313 handenen sanguinea des Mischnestes nicht angegriffen, sondern ganz wie die schon früher mit ihnen Alliierten behandelt wurden. Das will besagen, dass sich auch fünf Tage nach Beginn des Experimentes ım Mischneste ein reizphysiologisch homo- gener Mischgeruch noch nicht gebildet hatte, denn wäre ein solcher inzwischen entstanden, so hätten die sangwinea doch sicher einen Unterschied zwischen den alliierten rufa des Misch- nestes und den neu hinzukommenden (bei denen wir das Nicht- existieren eines solchen Mischgeruches soeben nachgewiesen haben) wahrnehmen und entsprechend, d. h. wenigstens eine Spur feind- lich, reagieren müssen. — Aus allen diesen Überlegungen geht m.E. die völlige Unhaltbarkeit der physiologischen Mischgeruchstheorie als Erklärung des Zustandekommens der künstlichen Allianzkolonien einwandfrei hervor und wir müssen da- her dieses Phänomen in der Tat auf rein psychische Mo- mente zurückführen. Als solche haben wir kennen gelernt: Die plötzliche gewaltsame Herausreißung aus dem gewohnten Nestverbande und die damit verbundene vollständige Desorientierung; 2. die Zwangslage, in der sich relativ starke Völker befinden, wenn sie in engem Raume zusammengepfercht werden, bei ganz ungenügender Möglichkeit der beteiligten Parteien, sich voneinander zu sondern; 3. die Gegenwart zahlreicher Brut, die entsprechend ihren Be- dürfnissen untergebracht und verpflegt werden muss (Ablenkung des Kampfinstinktes auf den bei den Ameisen so mächtigen Brut- instinkt, bezw. — bei sanguinea — auf den Raubinstinkt); 4. die psychische Kontrastwirkung der Gegenwart befruchteter Königinnen, an denen die Existenz der Völker hängt; 5. die Gegenwart eines mächtigen gemeinsamen Feindes?). Welche Bedeutung dem gegenseitigen Stärkeverhältnis der Parteien für die Frage, ob Allianz eintritt oder nicht, zukommt, haben wir oben zur Genüge erlebt‘). IT. Haben uns die ersten Versuche über die wahren Ursachen des Eintritts der Allianz Aufklärung gebracht, so sollen uns die nun 5) Vgl. die schöne Beobachtung meines Bruders 1. c. (Biolog. Centralbl., 1910), S. 539. 6) Dass die Ameisen die Vielheit von Individuen — in unserem Falle die jeweilige Stärke des Gegners — schr wohl wahrnehmen und ihr Verhalten danach einrichten, hat u. a. auch Wasmann (Biolog. Centralbl., 1908, S. 295) sehr schön nachgewiesen; er beobachtete nämlich, dass in Formica-Nestern, welche eine ge- wisse Anzahl von Dinarda beherbergten, jedesmal dann eine heftige Verfolgung dieser vorher geduldeten parasitischen Käfer ausbrach, sobald jene in größerer Anzahl in des Nest gesetzt wurden. 314 Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. folgenden Versuchsreihen darüber Aufschluss geben, ob sich in der künstlichen Allianzkolonie nachträglich aus den verschiedenen Partialgerüchen ein physiologisch einwertiger Mischnestgeruch bildet und wenn ja, welchen Einfluss ein solcher auf das Verhalten der Ameisen haben kann. Zweite Versuchsreihe. Verhalten der alten Nestgenossen gegen ihre ehemaligen Kameraden aus der Mischkolonie. Am 27. Mai 2 Uhr nachmittags (also 10 Tage nach der Mischung) isolierte ich aus der Mischkolonie je 100 rufa 1. sp., 50 pratensis und 60 sanguinea in drei Gläsern für sich, alle ohne Beigabe von Brut. 1. Um 3 Uhr 30 wurden die rufa auf ihr Heimatnest auf der unteren Sackalp ausgeschüttet. Resultat: Äußerst misstrauische Untersuchung von seiten der „Alten“, dann wurden sehr viele Misch- rufa gepackt und teils rasch in einen Nesteingang gezogen (wobei sich viele nach Formica-Art über dem Träger zusammenrollten), teils aber auch an Ort und Stelle fixiert und ä froid exe- kutiert. Noch nach einer halben Stunde war der Kampf ein sehr heftiger; trennte ich solche Gruppen, so liefen die befreiten Misch- rufa ängstlich umher und suchten sich zu verbergen oder ins Nest zu flüchten, wurden aber bald wieder angehalten und aufs neue fixiert. 2. Die 50 pratensis wurden um 4 Uhr 30 am Fuße des großen Pratensis-Nestes B ausgeleert. Resultat: Leichte Aufregung der Nesteinwohner, die den Ankömmlingen abwärts entgegeneilten. Misstrauische Untersuchung, lebhaftes „Fühlerparlamentieren“, An- fahren mit geöffneten Kiefern; schließlich wurden zwei der Misch- pratensis — aber nur zwei! —, an Fühlern und Beinen gepackt und fixiert, im übrigen sah man höchstens Paare, die sich wechsel- seitig an den Mandibeln umherzogen, wobei nicht selten die unter- liegende Ameise sich über den Kopf der Gegnerin zusammenrollte und nun von dieser ins Nest getragen wurde. Schon nach 10Mi- nuten war — abgesehen von den beiden Fixierten — absolut nichts mehr von feindlicher Reaktion zwischen den Par- teien zu bemerken. 3. Die 60 sangzrinea wurden um 5 Uhr 15 beim Sanguinea-Neste B ausgesetzt. Resultat: Ganz wie ım vorhergehenden Versuche, nur mit dem Unterschiede, dass es noch friedlicher zuging: Nur Zeichen des Misstrauens, vereinzelte Paare, die sich an den Mandibeln zogen, keine einzige Exekution oder auch nur vorübergehende Fixierung. Resum& und Analyse: Im ersten Versuche wurden die der Mischung unterworfen ge- wesenen rufa von ihren alten Nestgenossen zu einem großen Teile Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. 315 feindlich angegriffen, festgehalten und ä froid exekutiert. Geht nun aus diesem Verhalten die tatsächliche Existenz eines sekundär sich bildenden physiologisch einwertigen Mischgeruches (in welchem die einzelnen Partialgerüche gleichsaam zu einem Amalgam unlösbar verbunden wären) hervor? Ganz und gar nicht! —, vielmehr beweist der Versuch lediglich, dass der ursprüngliche Eigengeruch der Misch-r«fa durch die ihnen anhaftenden Fremdgerüche mehr oder minder verdeckt oder maskiert worden war. Sie gleichen also darin jenen Ameisen Bethe’s, die, nachdem sie in einer Brühe aus fremden zerquetschten Ameisen gebadet worden waren, von ihren eigenen Nestgenossen nicht mehr erkannt wurden, — nur mit dem Unterschiede, dass Bethe diesen Effekt durch sein Bade- manöver in wenigen Minuten erreichte, während es hier bei ein- fachem Zusammenleben mit den fremden Arten dazu eines Zeit- raumes von 10 Tagen bedurfte. Bekanntlich ergab eine sorgfältige Nachprüfung der Bethe’schen Badeexperimente”), aus denen dieser Forscher so voreilig geschlossen hatte, das Erkennungsvermögen der Ameisen sei lediglich ein Ge- ruchsreflex, dass bei längerer Verfolgung des Experimentes die Ameisen schließlich ihren Irrtum erkannten und die Misshand- lungen einstellten. Waren wir nun auch nicht in der Lage, festzu- stellen, ob auch in unserem Falle der Ausgang ein solcher war — teils wegen Zeitmangel, teils wegen der großen Schwierigkeit solcher Detailbeobachtung in freier Natur —, so haben wir doch andere Anhaltspunkte genug, welche die Richtigkeit unserer oben ausgesprochenen Ansicht erweisen: Zunächst ist mit allem Nachdrucke zu betonen, dass auch im ersten Versuche keineswegs sämtliche Mischameisen in diesem Maße feindselig behandelt wurden, sondern dass eine ganze Anzahl von ihnen gleich nach der ersten eingehenden — ich möchte sagen: vorurteilsfreien — Prüfung offenbar als harmlos erkannt und von ihren alten Kameraden sogar ins Nest getragen wurden. Schon dieser Umstand allein spricht gegen einen wirklichen „Mischgeruch“. Die Probe aufs Exenpel liefern aber die beiden anderen Versuche. Man erinnert sich, dass der zweite Versuch erst volle 2!/, Stunden, der dritte gar erst 3'/, Stunden nach der Isolierung der betreffenden Parteien aus der Mischkolonie angestellt wurde; — diese Quaran- täne von wenigen Stunden hatte offenbar genügt, um die den Tieren nur lose anhaftenden Fremdgerüche zu mehr oder minder vollständiger Verflüchtigung zu bringen. Nur so ıst es zu erklären, dass sowohl die pratensis als vollends die sanguinea bei ihren ehemaligen Nestgenossen nur noch ein ge- 7) Vgl. Wasmann, Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen. Stuttgart 1909, S. 13ff. 316 Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. wisses Befremden hervorriefen und dass selbst dieses Misstrauen bei eingehender Untersuchung sehr bald schwand. Die beiden fixierten pratensis des zweiten Versuches stammten vielleicht zu- fällıg gerade aus dem fremden Pratensis-Neste A. Immerhin ist nicht ausgeschlossen, dass bei diesen erheblichen Differenzen auch der verschiedene „Uharakter“ der drei Arten eine gewisse Rolle gespielt hat: Das obstinate, blindwütende Drauf- gängertum der rıfa einerseits, das ruhigere, mehr phlegmatische Wesen der pratensis und die hohe, psychoplastische Begabung der sanguinea andererseits, Die letzteren mussten zudem auch infolge der bei ihrer relativ geringeren Individuenzahl doppelt fühlbaren Dezimierung ihrer Kolonie und namentlich infolge des Verlustes ihrer Königin an Kampfeslust wesentlich eingebüßt haben. Hi Dritte Versuchsreihe. Verhalten der Mischameisen gegen ihre ehemaligen Nestgenossen. 1. Am 27. Maı 10 Uhr abends verband ıch mit dem Hauptneste meiner Mischkolonie ein kleines Glas mit ca. 200 sangwinea aus der Kolonie A+B. Resultat: Unmittelbar nach hergestellter Verbindung stürzt eine große sanguinen aus dem Glase ins Haupt- nest; einige rufa, die den Eingang bewachten, fahren zurück ohne anzugreifen. Die sanguineä rennt ın größter Aufregung im äußeren Nestbezirk herum, weicht dabei den ıhr begegnenden rufa und pra- tensis aus, versucht einige Male, sich ıns Zentrum eines großen Sangwinea-Klumpens einzudrängen, wird wiederholt von rufa ange- halten und untersucht, jedoch trotz ihrem verdächtigen Benehmen nicht angegriffen. Mittlerweile sind einige pratensis ihrerseits vor- sichtig in der Verbindungsröhre vorgedrungen und nähern sich den Sanguinea-Vorposten bis auf 1!/, cm; dann machen sowohl die pra- tensis als die sangninea schleunigst kehrt, um aber sofort wieder vorzurücken. Noch größere Annäherung als das erstemal! — drohendes Öffnen der Kiefer, prüfendes Vorstrecken der Fühler, abermaliges Zurückweichen u. s. f. Schließlich läuft eine große pratensis ohne weiteres ins Sanguinea-Glas hinein; sie begegnet auf diesem Wege mehreren sangwinea, die aber nicht die geringste Notiz von ihr zu nehmen scheinen. Was im Glase mit ihr ge- schieht, ist nicht zu erkennen. Nun stürzen plötzlich fünf san- guinea nacheinander an den in der Röhre postierten rufa vor- bei ins Nest, benehmen sich dort ähnlich aufgeregt wie die erste sanguinea, gehen aber zum Teil aggressiv gegen die rufa und pratensis vor: So wird eine rufa bei den Mandibeln gepackt, eine pratensis gar an einem Bein ergriffen und heftig ım Nest umher- gezerrt; die pratensis leistet dabei wiederholt heftigen Widerstand. Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. 317 Im Neste herrscht jetzt sichtliche Aufregung, die sich namentlich den sangwuinea mitzuteilen scheint, weniger den rufa und pratensis. Weitere rwfa, die in der Glasröhre vorgedrungen sind, haben einen Sangwinea-Vorposten angegriffen; sie halten die sangwinea fixiert und versuchen, sie ins Nest zu ziehen, was ihnen schließlich gelingt. Die fremden sanguinea beginnen die Verbindungsröhre mit Nest- material zu verbarrikadieren! — Um Mitternacht wird der Versuch abgebrochen, die verbindenden Glasröhren auseinander genommen und mit Watte verstopft. 23. Mai 10 Uhr 30 vormittags. Wiederansetzung des Versuches. Es wiederholen sich zunächst während etwa 15 Minuten ganz ähn- liche Szenen wie gestern, dann aber beginnt plötzlich eine unauf- haltsame Masseneinwanderung der neuen sanguinea ins Hauptnest, indem diese die aufgestellten Rufa-Posten teils einfach überrennen, teils von letzteren gepackt und ohne Widerstand ins Nest gezogen werden. Bald ist der ganze proximale Nestbezirk von den neuen sangwinea förmlich überschwemmt, die nun teilweise ihrerseits zum Angriff vorgehen und mehrere rufa und pratensis — niemals aber sangıinea, ihre einstigen Kameraden! — zu zweit oder dritt fixieren und misshandeln; die Angegriffenen leisten kaum irgendwelchen Widerstand. Um 3 Uhr nachmittags zähle ich im ganzen 12 solche fixierte rufa und pratensis, die in aller Form ä froid exekutiert werden. Dabei geht es im Neste ganz ruhig zu und in zahlreichen Gruppen sitzen sanguinea, rufa und pratensis friedlich untereinander. In der Peripherie des Nestes überwiegen die sanguinea weitaus; noch immer ist der Strom der aus dem kleinen Glase Einwandernden nicht erschöpft. Einige pratensis versuchen umsonst, in der Ver- bindungsröhre postiert, sich diesem Strome zu widersetzen, sie werden einfach von den entgegendrängenden sangwinea überrannt. Man sieht jetzt auch zahlreiche sanguwinea ın umgekehrtem Sinne wandern. Um 5 Uhr 30 sehe ich eine große rufa unversehrt aus dem Glase ins Hauptnest spazieren. Am 29. Mai ist das Sangewinea-Glas fast leer, aber immer noch wandern Sangwinea-Träger aus ıhm ins Mischnest. Ein einzigesmal sah ich auch eine pratensis eine sanguwinea tragen. Im Neste haben die Kämpfe vollständig aufgehört, es liegen etwa 20 Rufa- und Pratensis-Leichen umher, von denen aber mindestens die Hälfte schon früher vorhanden waren. Die sangwinea überwiegen jetzt weitaus über die rufa und pratensis zusammengenommen. 2. Am 3. Juni 6 Uhr abends verband ich ein Glas mit etwa 200 pratensis aus Nest B mit dem Mischneste. Es wandern sofort zahlreiche »ufa und pratensis aus letzterem ın das Pratensis-Glas, bei Begegnung mit den neuen pratensis erfolgt nur lebhaftes Fühler- spiel, kein Angriff. Die. sanguinea halten sich in auffälliger Weise fern. Um 7 Uhr versucht eine große pratensis, eine der „Neuen“, 318 Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. die bis jetzt keine große Neigung zeigten ins Nest einzuwandern, an den Mandibeln ins Nest zu ziehen; am Eingange angelangt, bricht eine kleine sanguinea ın höchster Aufregung in die Röhre ein und rennt ohne Aufenthalt bis ins Pratensis-Glas; eine zweite sanguinea folgt ıhr auf dem Fuße. Einen Augenblick später spa- zieren nacheinander fünf große pratensis ins Hauptnest; sie begegnen dabei mehreren sanguwinea, stutzen aber nicht einmal und werden von letzteren auch nicht aufgehalten. Um 8 Uhr ist eine lebhafte Pratensis-Einwanderung mit zahlreichen Trägern (ausschließlich pra- lensis und rufa) im Gang, einige Male sieht man allerdings auch sanguinea eine widerstrebende pratensis an Fühlern und Beinen ins Nest ziehen. Im Neste finde ich aber nur zwei pratensis durch sanguinea fixiert. -—— Am andern Morgen waren fast alle neuen pra- tensis eingewandert; Kämpfe waren nirgends zu beobachten. 3. Ein dritter Versuch mit einigen 20 rufa aus der Riesen- kolonie I verlief ganz ähnlich wie der zweite. 4. Vom 31. Mai bis 3. Juni warf ich wiederholt große Mengen pratensis und rufa aus dem früher erwähnten Standglase B (wo alle sanguinea umgebracht worden waren) ins Futterglas der Mischkolonie: Sıe wurden nur ım ersten Tumulte von den sangwinea teilweise flüchtig angegriffen, dann aber wieder losgelassen und bald dauernd geduldet. 5 Am 5. Juni setzte ich die Mischkolonie im Garten des Glarner Kantonsspitales neben einem großen Steine aus, dessen eine Seite von einem mächtigen Lasits-Neste eingenommen wurde. Schon am nächsten Tage hatten die Alliierten, unter denen nach wie vor nicht die geringsten Differenzen zu bemerken waren, einen Teil des Lasius-Nestes (L. niger) erobert und einen kleinen Nesthaufen aus Vegetabilien erbaut. Auch ın der Folge vermochten sie sich gegen die Zasius mit Erfolg zu behaupten und nötigten diese schließ- lich zum gänzlichen Wegzuge. 5. (Kontrollversuch.) Am 27. Juni setzte ich ca. 200 Arbeiter von F. truncicola mit zahlreicher Brut bei der Mischkolonie aus. Sıe wurden von den Bewohnern derselben in die Flucht geschlagen, verloren eine Menge Puppen an die sangwinea und mussten sich wo anders ansiedeln. Im August hatten die sangwinea die Frechheit, einen Raubzug gegen eine allerdings ziemlich schwache Kolonie von F! einerea, die etwa 10 m entfernt an der Spitalmauer ansässig war, zu unter- nehmen; sie mussten indessen nach zweitägiger Belagerung der cinerea unverrichteter Dinge wieder abziehen. Resume und Analyse der dritten Versuchsreihe. 1. Alle Versuche dieser Gruppe ergaben zunächst überein- stıimmend, dass die neu ankommenden Ameisen der verschiedenen Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. 519 Stammnester von ihren ehemaligen Schwestern in der Mischkolonie keinerlei Anfeindung erfuhren. Den Grund dieses Verhaltens haben wir schon am Eingange der vorliegenden Arbeit darın gefunden, dass die Mischameisen neben ihrer sekundär-automatischen Ein- stellung auf den Mischgeruch auch das Engramm ihres ehemaligen Nestgeruches nach wie vor bewahrten und daher auch bei allfällıger Wiederkehr dieser alten Originalerregung (Heimatnestgeruch) sofort wieder mit der entsprechenden Ekphorie reagierten. 2. Auffallender war die große Duldsamkeit, die den Neuen jeweilen auch won den übrigen Parteien des Mischnestes entgegen- gebracht wurde; zumal im ersten Versuche, wo die rufa und pra- tensis es im ganzen bei schwachen Bemühungen, die Sangwinea- Invasion aufzuhalten, bewenden ließen und nur eine einzige sangninea ernstlich angriffen und fixierten. So kam es, dass die sanguinea diese für sie günstige Situation alsbald auszunutzen begannen und den Spieß umdrehten, so dass man nun das immerhin ungewöhn- liche Schauspiel erlebte, dass ein fremdes Invasionsvolk die recht- mäßigen Nestbesitzer im eigenen Hause angriff; — ein solches Vor- gehen entspricht aber durchaus dem kühnen, ungestümen Charakter der sangainea (immerhin blieben ja auch diese Angriffe auf einige wenige Individuen beschränkt und wurden bald gänzlich sistiert). Um so merkwürdiger musste dann die weitgehende Duldsamkeit dieser selben, nunmehr in Übermacht stehenden sanguinea den späteren Pratensis- und Rufa-Invasionen gegenüber anmuten, ganz abgesehen davon, dass ja auch die fa (und pratensis) des Misch- nestes diesen neu ankommenden pratensis (bezw. rufa) gegenüber eine ganz auffallende Gleichgültigkeit an den Tag legten, — fast als ob in diesem Falle die nahe Verwandtschaft der beiden Rassen ein gewisses Gefühl der Zusammengehörigkeit gezeitigt hätte! Das Problem wird noch augenfälliger, sobald man dieses relativ fried- fertige Verhalten mit der Feindseligkeit vergleicht, welche die rufa im ersten Versuche der zweiten Reihe ihren eigenen früheren Nest- genossen, die im Mischneste gelebt hatten, entgegenbrachten; es ist dasselbe Problem, dessen scheinbaren Widerspruch wir schon am Anfange dieser Studien hervorgehoben und zu lösen versprochen haben, -— ein Widerspruch, der darin zu liegen scheint, dass die Mischameisen auf der einen Seite frisch aus dem Heimatneste an- kommende Kameraden der Alliierten von den letzteren genau unter- schieden und uns dämit die Existenz eines sekundären „Misch- geruches“ glaubhaft machten, dass sie aber andererseits doch diese Neuen bei weitem nicht so feindlich behandelten, wie sie dies ganz Unbekannten gegenüber getan hätten (vgl. den Kontrollversuch 5 der dritten Serie). Die Lösung ist sehr einfach, sobald man sich die Ver- schiedenheit der energetischen, beziehungsweise mne- 320 Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. mischen Situation in den Versuchen der zweiten und der dritten Reihe vergegenwärtigt: Jene rafa ım ersten Experimente der zweiten Versuchsreihe nahmen an den maskiert zurückkehrenden ehemaligen Nestgenossen zunächst eine komplizierte Geruchsmischung wahr, die ihnen schon deswegen gänzlich fremdartig erscheinen musste, weil ihnen nicht weniger als zwei Komponenten derselben, — die Partialgerüche pratensis und sanguwinea, bisher noch nie oder doch nur in feind- licher Beziehung vorgekommen waren und daher kein in ihrem Engrammschatze aufgespeichertes „Freundengramm“ {sit venia verbo!) zur Ekphorie bringen konnten. Sie sahen sich somit hier in der Tat vor ein physiologisches Novum gestellt, von dem aus keine Brücke zu ihrer Mneme führte. Anders die Parteien des Mischnestes. Sie alle hatten die ver- schiedenen Nestgerüche rufa, pratensis und sanguinea auch in ihrem reinen (d. h. unmaskierten) Zustande schon einmal erfahren und besaßen daher u. a. auch ein „reines“ Engramm von jedem dieser (serüche. Dieses Engramm stand aber nicht vereinzelt da, sondern es musste sich nach dem von Semon®) entdeckten allgemeinen „Assoziationsgesetze“ sowohl mit allen gleichzeitig als mit den suk- zessive gewonnenen übrigen Engrammen (soziale Engramme des notwendigen Zusaminenlebens mit den Fremden, der gemeinsamen Besorgung der Brut etc.) synchron und sukzessive zu einem ein- heitlichen Engrammkomplex assozueren. In Wirklichkeit bestand demnach der „neu“ erworbene (d.h. durch die Mischung bedingte) Engrammschatz der Tiere, 10 Tage nach der Mischung, nicht etwa bloß aus einem einzigen Engrammkomplex, welcher z. B. dem gegen- wärtigen Mischungszustande der verschiedenen Gerüche u. s. w. ent- sprach, sondern vielmehr aus einer ganzen Unsumme von Einzel- engrammen, die den verschiedensten zeitlichen Schichten angehören ei deren sämtliche Phasen untereinander in einer steten Folge von kleinsten Übergängen verbunden sind. So wäre also beispiels- weise — um das Gesagte graphisch darzustellen —, eine sangwinea 10 Tage nach der Mischung ım Besitze folgender Sukzessionen ge- ruchlicher Engrammkomplexe (s. nebenstehende Aufstellung): Dabei würde S, P, R den reinen Sanyuinea-, bezw. Pratensis-, bezw. Rufa-Geruch, x die assoziativ damit verbundenen übrigen 8) Semon (Mneme, 2. Aufl., 1908) hat bekanntlich den Beweis dafür erbracht, dass das Phänomen der synchronen und sukzessiven Engrammassoziation, kurz: das Phänomen der Assoziation überhaupt, im letzten Grunde einfach darauf beruht, dass schon die den betreffenden Engrammen zugrunde liegenden Originalerregungen, selbst wenn sie noch so heterogen sind, stets zu einem einheitlichen Empfindungs- komplexe „assoziiert“ sind und dass wiederum diese originalen Empfindungskomplexe mittelst ihrer „akoluthen Phase“ sich auch in der Sukzession untereinander ver- binden. Brun, Zur Psychologie der künstlichen Allianzkolonien bei den Ameisen. 391 x 1. Phase: Se— Pr — Rx 2. Phase: ($S2 Px) — (Sr Rx) — (Pr Rx) 3. Phase: [(Sx Px) (Sx Rx)] — [(Sx Px) (Pr Rx)] — | ((Sx Rx) (Px Re)] . USW: Letzte Phase: (SPRea=M (indifferenter „Mischgeruch‘*). (sozialen) Engramme bedeuten; die zusehends komplizierter werdende Kombination der Komplexe in den verschiedenen Phasen sei durch die sich komplizierende Einschachtelung in Klammern versinn- bildlicht. Die Endreaktion auf die letzte Phase (M) dieses Engramm- komplexes ist die indifferente (positiv soziale) gegenseitige Duldung, — eben jene „automatische Einstellung auf den Mischgeruch“, von der wir eingangs gesprochen haben. Was wird nun geschehen, wenn beispielsweise eine sangwinea des Mischnestes auf eine ungemischte pratensis des Nestes B trifft? Zunächst ekphoriert der reine Pratensis-Geruch p sofort wieder das primäre reine Engramm P, oder vielmehr, da dieses letzere zudem mit den verschiedenen übrigen (sozialen) Engrammen x synchron assoziiert ist, den Engrammkomplex Px. Da nun ferner dieser Engrammkomplex durch eine Reihe von Übergängen schließlich auch mit dem zurzeit vorherrschenden (d. h. die gegenwärtige auto- matisch-soziale Einstellung bedingenden) Engrammkomplexe M phasogen assoziiert ist, so wird er mit dem letzteren in eine ge- wisse, wenn auch schwache mnemische Homophonie°) treten, d.h. als wiederkehrende Komponente desselben eine gewisse ent- fernte „Bekanntheitsempfindung“ wachrufen. Diese Homo- phonie wird aber natürlich nur eine sehr partielle, d. h. stark „differenzierende“ sein können, teils deshalb, weil der Engramm- komplex Px in der ganzen Kette mit am weitesten zurückliegt, spärliche Wiederholungen erfuhr und daher im Gegensatze zu den heute beständig ekphorierten jungen Engrammkomplexen, die den Schlusskomplex M zusammensetzen, stark abgeblasst ist, teils aus dem Grunde, weil er in M nur eine relativ schwache, gemeinsame Komponente darstellt. Das betreffende „Empfindungsdiffe- rential“°) (d.h. der Grad der Unterschiedsempfindung zwischen Pr und M) wird deshalb noch immer ein sehr 9) Über die Begriffe der „mnemischen Homophonie“ und des „Empfindungs- differentials“ derselben vgl. Semon, Mneme, Kap. 7, und besonders Semon, Die mnemischen Empfindungen (Leipzig 1909, bei W. Engelmann), die Kap. 14 - 17. XXXI. 21 322 Braem, Die Knospung von Dleutheria und den Margeliden. bedeutendes sein, aber doch nicht so groß, dass daraus eine entschieden und dauernd feindliche Reaktion resul- tieren könnte. Wir haben somit auch das eigentümlich duldsame Verhalten der übrigen Komponenten des Mischnestes gegen die unvermischten Nestgenossen der anderen Parteien völlıg befriedigend durch die gegebenen mnemischen Dispositionen erklärt. Zum Schlusse können wir die Ergebnisse vorstehender Unter- suchung wie folgt zusammenfassen: 1. Die künstlichen Allianzen der Ameisen beruhen nicht auf der Entstehung eines homogenen Mischgeruches, sondern ausschließlich auf komplexer assoziativer Ge- hirntätigkeit, insbesondere auf den Gesetzen der indivi- duell erworbenen mnemischen Engraphie. 2, Auch alle übrigen in solchen Mischkolonien experi- mentell zu beobachtenden sekundären Phänomene, namentlich die Reaktionen der Mischameisen gegen die unvermischten Ameisen ihrer eigenen wie der andern Parteien, sprechen entschieden gegen das Vorhandensein eines physiologisch homogenen Mischgeruches und lassen sich viel besser, ja vielfach einzig und allein, aus der jeweilen vorhandenen mnemischen Situation erklären. 3. Die Mischgeruchtheorie, welche die künstlichen Allianzen der Ameisen auf rein physiologischem Wege zu erklären versucht, ist daher als völlig unhaltbar auf- zugeben. Die Knospung von Eleutheria und den Margeliden. Bemerkungen zu dem Aufsatz von A.Nekrassoffin Bd. XXX 1(1911), S. 759ff. dieser Zeitschrift. Von F. Braem. Nekrassoff hat bei der Meduse Kleutheria die Knospung in ihren ersten Anfängen untersucht in der ausgesprochenen Erwar- tung, ähnliche Verhältnisse vorzufinden, wie sie bei der Knospung der Margeliden bestehen. Er meinte also, dass die Knospen ledig- lich von einer Keimschicht, dem Ektoderm, würden gebildet werden. Statt dessen ergab sich, dass sie in der gewöhnlichen Weise, unter Beteiligung beider Keimblätter, ihre Entstehung nehmen. An der Richtigkeit dieses Befundes wird nicht zu zweifeln sein. Nekrassoff’s Angaben stimmen fast vollständig überein mit dem, was ich selbst für Hydra und einige andere Hydroiden festgestellt habe!), und diese Übereinstimmung ist um so wertvoller, als Ne- 1) Braem, Über die Knospung bei mehrschichtigen Tieren, insbesondere bei Hydroiden. Biol. Centralbl., Bd. XIV (1895), S. 140 ff. Braem, Die Knospung von Eleutheria und den Margeliden. 395 krassoff, wie er mir brieflich bestätigt, meine Hydroiden-Arbeit gar nicht gekannt hat. Nekrassoff glaubt aber auf Grund seiner Befunde bei Hleu- theria meine Deutung der Margeliden-Knospung anfechten zu können, und hier scheinen mir seine Ausführungen das Ziel zu verfehlen. Ich habe nachzuweisen gesucht ?), dass die Knospung der Mar- geliden auf der Entwickelung von Keimzellengruppen beruht, und habe sie demnach als „Gonoblastie“ in einen Gegensatz gestellt zu der gewöhnlichen „somatoblastischen“ Knospenbildung, welche auf ein lokalisiertes Wachstum der Körperwand unter Beteiligung mehrerer Keimschichten zurückzuführen ist. Alles, was ich über Gonoblastie gesagt habe, gilt also für die Knospungsweise der Mar- geliden und für sie allein. Will man mich widerlegen, so muss man notwendig die Margeliden oder eine Tiergruppe, bei der sich die gleiche Knospungsweise findet, zum Ausgang nehmen. Eine Ablehnung darauf zu gründen, dass in einem Falle von typischer Somatoblastie, mag er bei Kleutheria oder bei Hydra, bei Bryozoen oder Tunicaten vorliegen, ein Zusammenhang zwischen Knospen und Keimzellen nicht besteht, ist vollkommen unberechtigt. Das heisst, den Gegensatz, den ich selbst aufgestellt und nachdrücklich betont habe, ignorieren und die Charaktere der einen Knospungsart von der anderen verlangen. Einen ähnlichen Fehler begeht Nekrassoff noch ein zweites Mal. Aus meiner Auffassung der Margeliden-Knospung hat er den Schluss gezogen, dass hier besonders primitive Verhältnisse bei der Eireifung und Befruchtung vorkommen müssten. Ich war davon sehr überrascht, denn ich habe Derartiges weder ausgesprochen, noch halte ich eine solche Folgerung für zwingend. Ich behaupte nur, dass die knospenbildenden Zellen der Margeliden die indiffe- renten Zellen der Keimbahn sind, aber ich sehe nicht ein, weshalb die Zellen, die weiterhin zu wirklichen Geschlechtsprodukten werden, sich anders verhalten sollten als es sonst bei Eiern und Samenzellen der Fall ıst. Wenn jedoch Nekrassoff einmal zu solchen Schlüssen gelangt war, so durfte er die primitiven Verhältnisse selbstverständ- lich nur bei den Margeliden suchen. Es ist unlogisch, dass er sie auch bei Kleutheria erwartet, wo von einer Beziehung zwischen Knospen und Keimzellen gar keine Rede ist, und dass er den tat- sächlich konstatierten regulären Verlauf der Eireifung als einen indirekten Beweis gegen meine Deutung der Margeliden-Knospung betrachtet. So verdienstlich also die Untersuchung Nekrassoff’s an und für sich ist und so sehr ich ıhr positives Resultat anerkenne, so 2) Braem, Die Knospung der Margeliden, ein Bindeglied zwischen geschlecht- licher und ungeschlechtlicher Fortpflanzung. Biol. Centralbl., Bd. XXVIII (1908), S. 790 ff. 21* 334 Braem, Die Knospung von Kleutheria und den Margeliden. kann ich daraus doch nicht das geringste Stichhaltige gegen meine Ansichten über die Knospung entnehmen. — Nekrassoff versichert, dass er an der Richtigkeit der tatsäch- lichen Angaben über die Margeliden-Knospung nicht zweifle, aber ich habe den Eindruck, als ob dieses Zugeständnis ıhm doch recht schwer falle. Ich kann das nachfühlen, da ich selbst jenen Zweifel in stärkstem Maße gehegt habe. Als ich von den Vorgängen bei den Margeliden zuerst erfuhr, hatte ich gerade meine gegen Lang- Weismann gerichtete Hydroiden-Arbeit veröffentlicht, und ich hatte mich im den Gedanken, dass alle Knospungserscheinungen auf ein Zusammenwirken verschiedener Keimblätter zurückführbar seien, so hineingelebt, dass ich die rein ektodermale Knospung für etwas ganz Unmögliches hielt. Ich äußerte das zu Prof. Chun, und dieser stellte mir sein Material zur Verfügung mit der Aufforderung, ıhn zu widerlegen. Ich war fest überzeugt, das müsse gelingen. Aber den klaren Befunden gegenüber hielt kein Zweifel Stand, und all meine Mühe befestigte nur das Uhun’sche Ergebnis. Dasselbe wird zu dem unbedingt sicheren Tatsachenbestande der Zoologie zu rechnen sein. Damit ist freilich meine Deutung des Falles als Gonoblastie oder Keimzellenknospung noch nicht bewiesen. Aber diese Deutung ist die einzige, die das Verhältnis begreiflich macht, und sie steht mit dem bisher ermittelten Verlauf der Entwickelung in völligem Einklang. Wie Nekrassoff glauben kann, mit dem bloßen Hin- weis auf den Ort der Knospenbildung eine Erklärung derselben gegeben zu haben, ıst kaum verständlich. Selbst wenn er, was ich bestreite, zu zeigen vermöchte, dass da, wo bei Rathkea oder Lixzia die Knospen gebildet werden, die ektodermale Entstehung, etwa ım Gegensatz zu Hydra, die einzig zweckmäßige ist, so würde das immer noch keine Erklärung sein. Einen Vorgang erklären, heisst ja nicht zeigen, dass er zweckmäßig ist, sondern zeigen, wie er möglich ıst. Wie kommt der Organismus dazu, innerhalb des einen seiner differenten Keimblätter Zellen zu haben, welche den totıi- potenten Charakter der ersten, indifferenten Embryonalzellen be- tätigen? Das ıst die Frage, um die es sich bei der Erklärung des Falles handelt. Dass übrigens die Gonoblastie im ganzen Tierreich nur auf die Margeliden beschränkt sein sollte, halte ich nicht für wahrschein- lich. Wo sie aber sonst vorkommt, das lässt sich a priori nicht sagen, das wird die Untersuchung der einzelnen Fälle ermitteln müssen. Auch der Umstand, dass Knospen und Geschlechtsprodukte in der gleichen Region ihren Ursprung nehmen, ist nicht maß- gebend, denn dies trifft beispielsweise auch bei Hydra, mit ihrer typischen Somatoblastie, zu: Ich besitze ein Schnittpräparat von der braunen Hydra (im Freien gefunden bei Königsberg ı. Pr., Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. 325 12. Oktober 1893), wo das zum ÖOvarıum umgebildete Ektoderm des Muttertieres ohne Unterbrechung, nur unter allmählicher Ver- jüngung der Eizellen, in das Ektoderm der Knospe übergeht. In- dessen gibt es einige Medusen, wo die Knospen so direkt aus den eng begrenzten Gonaden hervorwachsen, dass der Gedanke an eine nähere Beziehung zwischen beiden kaum abzuweisen ist. Besonders interessant scheinen mir zwei Fälle, die A. Goldsborough Mayer in seiner Bearbeitung der Tortugas-Medusen beschreibt und abbildet?): Oceania MeCradyi Brooks, Taf. 21, Fig. 56—59, Text S. 50, und Eucheilota paradoxica A. G. Mayer, Taf. 40, Fig. 134—136, Text S. 56f. Leider fehlen genauere Angaben, die Exemplare konnten wohl nieht für Schnitte geopfert werden. Für Bougainwillia niobe bestätigt Mayer ganz kurz die ektodermale Entstehung der Knospen (S. 42). Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. Beobachtungen über die Temperatur und den Sauerstoffsprozentgehalt im Wasser des „Weißen Sees“ in Kossino bei Moskau. Von P. Galtzoff. (Aus dem Laboratorium des Zoologischen Museums der Kaiserlichen Universität Moskau.) (Vorläufige Mitteilung.) Die vorliegende Mitteilung bezieht sich auf die von mir im Laufe der Jahre 1909, 1910 und 1911 angestellten Beobachtungen auf einem kleinen See („Weißer See‘, Beloje Osero) der Um- gebung von Moskau, im Kirchdorfe Kossino. Da die gegenwärtige hydrobiologische Literatur äußerst arm ist an Berichten über die im Laufe eines vollen Jahres eintretenden Veränderungen des Prozent- gehaltes der verschiedensten Wasserschichten an freiem Sauerstoff, erlaube ich mir, die Ergebnisse meiner Arbeiten in Form einer vor- läufigen Mitteilung zu veröffentlichen, ohne die vollständige Bear- beitung der biologischen Beobachtungen des Planktons abzuwarten, die gleichzeitig mit den physiko-chemischen Untersuchungen ange- stellt worden sind und das Hauptziel der letzten bildeten. Bei jedem Versuche, die Biologie zu studieren, müssen vor allem die Lebensbedingungen der betreffenden Organismen dem Studium unterzogen werden. Als Gegenstand meiner ausführlichen Unter- suchungen diente der Sauerstoff, weil dieses ausnahmslos für alle Planktonorganismen notwendiges Gas einerseits einen Einfluss aut die vertikale Verteilung des Planktons ausüben kann, das Quantum 3) A. G. Mayer, Some Medusae from the Tortugas, Florida. Bull. Mus. Comp. Zool., Harvard Coll., Vol. 37, Nr. 2, Cambridge 1900. Die Kenntnis des Werkes verdanke ich Herrn Prof. Hartlaub in Helgoland. 326 Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. freien Sauerstoffes andererseits eine große Bedeutung für die Selbst- reinigung der Gewässer haben kann. Die Kenntnisse der Verteilung des Sauerstofles sind für die biologische Analyse äußerst wichtig, ebenso wie die der Kohlen- säure, deren Verteilung mir leider nicht gelungen ist, meinen Stu- dien zu unterziehen. Die Beobachtungen, die durch die Kommission zur Untersuchung der Fauna des Moskauer Gouvernements der Zoologischen Sektion der K. Ges. d. Freunde d. Naturwiss. an der Station des Vereins der Aquarien- und Zimmerpflanzenfreunde organisiert worden sind, wurden im Jahre 1909 und 1910 ausschließ- lich ım pelagischen Teile des Sees angestellt. Zum Messen der Wassertemperatur wurde Negretti-Richter’s Thermometer ge- braucht, zum Nehmen der Wasserproben ein Batometer, das vom Autor samt dem Herrn Assistenten des zoologischen Museums der Moskauer Universität, N. Woronkoff, konstruiert worden ist. Dieses Batometer bildet eine weitere Vervollkommnung der Mayer’schen Flasche und ist völlig tauglich zur Arbeit an Seen mittlerer Tiefe. Der untersuchte See ist von unbedeutenden Dimen- sionen — seine ganze Peripherie beträgt nur 2,2 km, seine größte Tiefe — 17,5 m. Tiefer als 12m konnten die Wasserproben gar nicht genommen werden, da weiter eine Schicht lockeren Schlammes be- ginnt, der von einem Loth leicht passiert werden kann, der aber jegliche Arbeit mit einem Batometer verhindert. Die Sauerstoff- bestimmungen wurden nach Winkler’s Methode ausgeführt, wobei das Nehmen der Wasserproben und die Temperaturmessungen der entsprechenden Schicht gleichzeitig vollführt wurden. Der Verfasser war leider nicht imstande, die Untersuchung anderer Gase und der ım Wasser gelösten Substanzen vorzunehmen, da kein entsprechendes chemisches Laboratorium zu seiner Verfügung stand und das am Ufer befindliche biologische Laboratorium zu diesen Zwecken gar nicht geeignet war. Im Sommer wurden die Beobachtungen 2—3mal monatlich, im Winter aber seltener angestellt. Die notwendigen titrierten Lösungen wurden im chemischen Laboratorium W.Ferrein (Moskau) bestellt. Die Ergebnisse der vollführten Messungen sind auf Diagrammen und hintenstehenden Tabellen dargestellt, aus welchen ersichtlich ist, dass die Sauerstoffschichtung in gewissem Grade der Verteilung der Temperatur entspricht. Plötzliche Temperaturänderungen ent- sprechen teilweise plötzlichen Änderungen des Sauerstoffgehaltes, was aus der Tabelle 3 leicht ersichtlich ist, wo der größte Temperatur- sprung von 5,9°C. auch der größten Änderung des Sauerstoffprozent- gehalts von 4,72 ccm entspricht. Dasselbe zeigt uns die Tabelle 4, wo der Temperatursprung von 6,2° auch dem Sauerstoffsprung von 5,03 ccm, und die Tabelle 5, wo der Temperaturfall von 3° (zwischen 2—-4 m), — 4,7 cem entspricht. Folgenderweise findet in Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. 327 den Sommermonaten ein gewisser Parallelismus zwischen den Sauerstoff- und Temperaturschichtungen statt. Im August, wann der Temperatursprung auf einer größeren Tiefe (6—8 m) (Tabelle 7) stattfindet und 5,2° beträgt, befindet sich der Sauerstoffsprung in denselben Schichten und beträgt 2,42 ccm. Aus derselben Tabelle ersieht man, dass einem geringeren Temperaturfall von 0,8° C. (zwischen 4—6 m) jedoch eine bedeutende Abnahme des Sauerstoff- gehalts von 2,4 cem entspricht. Eine genauere Untersuchung der Verteilung des Sauerstoffes und der Temperatur in den Sommer- monaten lässt leicht erblicken, dass die Übereinstimmung zwischen ihnen durchaus nicht vollkommen ist. Schon im Jahre 1909 ist man darauf aufmerksam geworden, dass die an Sauerstoff reichste Wasserschicht nicht die oberflächlichste, sondern die in der Tiefe eines Meter gelegene ist. So fand am 19. Juni folgende Sauerstoff- verteilung statt: Te ee Ro Fon Ks 3,90 DERARTIGE NN TOF 43, AIR ER NER ZEUOM TINO a ne aa N ar De ee er TR Ma eu ABS; Leider kennen wir gar nicht die Temperaturverhältnisse des betreffenden Momentes, da der einzige Umkippthermometer zu dieser Zeit zerbrochen war. In dieser Tabelle wir unsere Aufmerksamkeit durch ein merkwürdig geringes Sauerstoffquantum auf der Tiefe von 6 m und dessen allmähliche Zunahme in größeren Tiefen ge- macht. Wiederholte Beobachtungen haben dasselbe Bild in größeren Zügen bestätigt: die Arbeiten des Jahres 1910 führten zu denselben Ergebnissen, indem das Minimum des Sauerstoffgehaltes anfangs auf der Tiefe von 6 m (29. VI. Tab. 2 — 1,46) sich befand, später aber bis zu 4 m stieg, im August aber solch eine verkehrte Schich- tung völlig schwand. Die Eigentümlichkeiten der Herbstverteilung des Sauerstofles können durch die allmähliche Abkühlung des Wassers und durch die Abwesenheit des Temperatursprungs vollkommen erklärt werden. Die Zunahme des Sauerstoffquantums muss als eine allgemeine Erscheinung aufgefasst werden. Am 31. X. 1909 erhielten wir folgende Tabelle: Dart hr A OT ER 0 Die 2-6 es N. Aue Velen, 0%, Ce IS 3938 Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. - ’ Im Jahre 1910 erblicken wir zur selben Jahreszeit ein etwas geringeres Sauerstoffquantum (siehe Tabelle 11, 12 und 13), was durch das starke Blühen des Sees im Oktober 1909 erklärt werden kann, das aber im Jahre 1910 nicht stattfand. Bemerkenswert ist es aber, dass trotz des Eintritts fast gleicher Temperatur im ganzen See (den 29. IX. 1910) die Sauerstoffschichtung nicht schwindet, sondern einen von den Sommermonaten abweichenden Charakter annimmt (Tabelle 11, 12, 13, 14. Oktober). Interessant ist auch der Umstand, dass die tiefliegenden Schichten (10—12 m) zu dieser Zeit besonders reich an Sauerstoff sind; zweifellos liegt der Grund solcher Schichtung in den Konvektionsströmen, die zu dieser Jahres- zeit beginnen und die ganze Wassermasse durcheinandermischen. Im Laufe des Winters können wir einen hohen Prozentgehalt an Sauerstoff in den obersten Wasserschichten (am 25. Dez. Tab. 16) und dessen allmähliche Abnahme in den niedrigen feststellen (direkte Schichtung). Bei Beginn der Wassererwärmung (am 16. März Tab. 18) ändert sich der Anblick und die unteren Schichten verlieren ihren Sauerstoffvorrat. Die größten Zahlen, die den zwei obersten Schichten angehören, dürften wohl keine allgemeine Bedeutung für den ganzen See besitzen, da die Wasserproben aus einem Eisloch, das den ganzen Winter hindurch offen gehalten wurde, zur Bestimmung genommen wurde; der Wind oder auch der in das Wasser hinein- geratende Schnee konnten den Prozentgehalt an Sauerstoff genau an dieser Stelle erhöhen. Frühlingsanalysen zeigen ein Minimum in einer Tiefe von 8—10 m (Tabelle 20-22), wo das Sauerstoffquantum 1,81-—0,73 ccm beträgt. Der Sauerstoffgehalt im Wasser wird durch verschiedene Fak- toren bedingt, wie durch die Wasser- und Lufttemperatur, den Luft- druck, die Anzahl der Organismen, die Kohlensäure zerlegen und Sauerstoff zur Atmung verwenden und durch die Anzahl sich oxy- dierender Substanzen. Es ist selbstverständlich, dass so eine Menge von Gründen recht komplizierte Verteilungsbilder hervorrufen, desto mehr, dass auch solche Faktoren eine stärkere oder schwächere Beleuchtung und Anwesenheit des Windes bedeutenden Einfluss ausüben. Um den Hauptfaktor aus der ganzen Reihe nebensächlicher hervorrücken zu können, wollen wir folgende Berechnung machen: bekanntlich folgt die Auflösung der Gase in Flüssigkeiten dem Dalton’schen Gesetz, d. h. die Auflösungsfähigkeit ist direkt pro- portional dem Partialdruck und indirekt proportional der Tempe- ratur. Wenn man nun den Absorptionskoeffizienten für verschie- dene Temperaturen kennt, kann man immer das Quantum der bei gegenwärtiger Temperatur im Wasser gelösten Gase ermitteln. Der Absorptionskoeffizient K= >. A — ist ein bestimmtes Volumen PD Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. 32% Sauerstoff, das in einem Liter reinen Wassers gelöst ist, P — der Partialdruck. Nach Winkler’s Bestimmung ist bei einer Tempe- ratur von 24°C. K=0,02896. Wenn man den Prozentgehalt an Sauerstoff der Atmosphäre gleich 20,96 setzt, erhalten wir folgendes: A = 0,02896-209,6 = 6,07 cem. Jedoch bei unseren Beobachtungen in See erhalten wır bei solcher Temperatur 8,93 cem, d.h. es findet eine Übertreffung des theoretisch möglichen Maximums um 2,58 ccm statt. Der Grund hierfür liegt in der Tätigkeit der grünen Algen, die die Kohlen- säure zerlegen und das Wasser mit Sauerstoff übersättigen. Nach Knaute (1,2) kann der Sauerstoff infolge der Tätigkeit der chloro- phyllhältigen Pflanzen die theoretisch bestimmte Zahl um das zwei- fache übertreffen und im Sommer bei starker Beleuchtung in 11 bis 24 cem Sauerstoff gelöst sein. Daher ist auch leicht zu er- klären, weshalb eine I m tiefe Schicht mehr Sauerstoff als die ober- flächliche enthält. Die mit Cori-Netz gemachten Fänge haben be- wiesen, dass eine größere Anzahl Algen etwas unter der Oberfläche (1m) sich befindet. Die Deutung der Erscheinung, dass in einer Tiefe von 4-6 m sich eine Schicht befindet, die des Sauerstoffes fast entbehrt, bietet zu jetzigen Zeiten einige Schwierigkeiten. Es sei hierbei bemerkt, dass sie manchmal dem Temperatursprung entspricht (17. VIL, 24. VIIL, 4.V. 1911 Abb. 1, 4). Spezielle Untersuchungen haben kein höheres Oxydationsvermögen als in anderen Schichten feststellen können, weshalb man auch die Anwesenheit einer großen Anzahl faulender Substanzen nicht vermuten kann. Helland- Hansen (6) vermutet, dass der am Grunde des Bassın gebildete Schwefelwasserstoff allmählich emporsteigt und den freien Sauer- stoff der Schicht vernichtet. so dass das Minimum des Sauerstoffes sich in einer Zwischenschicht befinden muss. Wenn aber eine Mischung des Wassers stattfindet, verschwindet diese Sauerstoff- schichtung. Leider macht der Autor keine Hinweisungen auf die Temperatur des Wassers während der Messungen, ebenfalls wie er keine Tabellen mit Zahlen der von ihm beobachteten indirekten Schichtung angibt. Bei der Untersuchung unseres Sees haben wir nie Schwefelwasserstoff gefunden; folgenderweise bleibt uns die Ur- sache der Anwesenheit einer Schicht des minimalen Sauerstoffgehalts unaufgeklärt. Aus den Untersuchungen vom vorigen Sommer (1911) haben wir gesehen, dass diese Schicht sich nach der maximalen Entwickelung von Ceratium bildet und zeitlich dem Untergang einer Menge dieser Organismen entspricht. Darüber beabsichtigen wir aber mit der Zeit ausführlich zu berichten. Auf Grund unserer Untersuchungen können wir behaupten, dass die Verteilung des Sauerstoffes in unserem See hauptsächlich durch die Anzahl und Verteilung der grünen Algen und anderer Planktonorganismen bedingt wird, wobei das Phyto- und Zooplankton 390 Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. 0% m2232 al \ 17V1190 24 VIII 1910 Mein 220 22220. 780120 I TEE Abb. 1. 29 TR 1910 7X1910 ei Te N NE el he ee en Metr. 2 U WESEN IT REINE FE Abb. 2. Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. 12 30.X. 1910. 25. XI. 1910 ..un nn nnn nn... —- ]7 Ma DE 90 are 810er Abb. 3. 12 IV 1911 + V 1911 Men 20 27 0.28. 10. 12.70 20 7028 70712 Abb. 4. wi 352 Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. teilweise als Antagonisten auftreten. Die Sättigung des Wassers mit Sauerstoff geschieht während starker Beleuchtung und wird durch die Windtätigkeit erhöht. Obgleich ein gewisser Zusammen- hang zwischen Temperaturschwankungen und solchen des Sauer- stoffgehaltes bemerkbar ist, ist doch die Verteilung des Sauerstoffes nicht ausschließlich durch die Temperatur, sondern auch durch die Anwesenheit der organischen Substanzen und der ihn absorbierenden salpetrigen Säure bedingt. Wir vermuten eine solche Aufeinander- folge: die Änderungen der Temperatur in verschiedenen Wasser- schichten im Laufe des Jahres verursachen eine Veränderung der Verteilung des Planktons, welche ihrerseits die Sauerstoffverteilung bedingt; für die letztere ist auch das abgestorbene Plankton von Bedeutung, das mit Zerlegung begriffen ist und dem Wasser den freien Sauerstoff entnimmt. Zu diesen Faktoren gesellen sich zweifellos auch meteorologische Bedingungen (der Luftdruck, die Insolation, atmosphärische Niederschläge und der Wind), welche aber nach unserer Meinung für die Sauerstoffverteilung im betreffenden See keine Hauptrolle spielen. Interessant ist es, dass die Ergebnisse von Max Voigt (5) mit den unserigen gar nicht übereinstimmen. Der Autor begnügt amı Plöner See sich mit Messungen vier ver- schiedener Schichten: der Oberfläche und der Tiefe von 5, 10 und 38-52 m. In diesem See ist der konstante Prozentgehalt an Sauer- stoff ın der Tiefe viel stärker als an der Oberfläche ausgeprägt. So haben wir z. B. folgendes Bild am 5. Juni: 9. VII. 9 Uhr früh. 0 m 1939.02: 3.900 O0 0 m 182.070: 3.238,00 2 5) ” “ — 5 N 18 2 N 3,98 N ” 10 2 12,8 5 ” 5,87 ” N 10 ” 15 L p)] 5,68 ” N 40 ” 9,0 R „ 7,87 N p)] 34 ” 9,5 2 ” 5,62 ” N A NALIE 6 Uhr nachm. 0 m 19.926. 350200 0m Ne dr 3,52%), 0 5 N 1 9,6 y ” 4,39 ” ” d ” 1 8,5 S ” 4,90 N ” 10 ” 1 0 a ” 4,35 ” ” 10 ” 15,8 2 ” 5,28 ” ”„ 40 ” 8,8 I N 6,68 ” ” 35 ” 9,5 2 N 9,50 ” ” Folgenderweise sind die tiefliegenden Schichten immer reicher an Sauerstoff, und dieses Verhältnis wird auch im Winter erhalten. In diesen Tiefen (34 m) können im Laufe des Tages äußerst starke Schwankungen von 5,62—-9,50 cem vorkommen. Leider hat der Autor in solchen Tiefen keinen Fang gemacht, so dass die Gründe solches außerordentlich hohen Sauerstoffgehaltes und dessen Schwan- kungen unerforscht bleiben. Da in dieser Abhandlung die mitge- teilten Ergebnisse des vorläufigen Studiums des Sauerstoffes ın verschiedensten Wasserschichten zu allen möglichen Jahreszeiten viele interessante biologische Fragen berühren, habe ich im Früh- Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. 355 ling 1911 ausführliche Studien desselben Sees im Zusammenhang mit den umständigen Beobachtungen des Planktons in verschiedenen Schichten unternommen. Diese Arbeiten, die an der Station der Kommission zur Unter- suchung der Fauna des Moskauer Gouvernements angestellt worden sind, bestanden im Studium der vertikalen und horizontalen Ver- teilung der Temperatur, des Sauerstoffes, des Planktons und derer täglichen Schwankungen. Gleichzeitig wurde am Ufer über dem Uferplankton, Temperatur und Sauerstoff gearbeitet. Beide Unter- suchungen, die durch einen gemeinsamen Plan vereinigt waren, hatten das Ziel, die Erforschung des Sees im ganzen und die mög- liche Erklärung des ganzen Bildes der biologischen Prozesse ım See. Das gesammelte und zu jetziger Zeit bearbeitete Material hat im großen die Ergebnisse, die hier mitgeteilt sind, bestätigt und wird nach voller Bearbeitung veröffentlicht werden. Ich fühle mich an dieser Stelle verpflichtet, dem Vorstand der Kommission zur Untersuchung der Fauna des Moskauer Gouvernements, dem Herrn Professor G. Koshewnikov für seine beständige Hilfe und sein Interesse zu meiner Arbeit und ebenso meinem Kollegen Herrn N. Tschugunoff, der mit mir die Mühe der Winterexkursionen ge- teilt und ein Teil der Analysen gemacht, meinen herzlichsten Dank auszusprechen. Tab. 1. Tab. 2. 152 VL2.1910! 29 V1. -1910; 0m 23020 0m 0 (Di 8.920130 2 ” 23 \ n 2 ” 17,0% ” ? 4 ” 15,5° n A ” 16 5 N 4,13 ” 6 N 10 2 ” 6 n 13 x ” 1,46 ” ” S ” 9,9 n 5 ” 9,3° ” 2,2 2 ” 10% > 8.50 „ 10°: ? ? 1 2 ” 1 Ken n 1 2 n 5 x ” 1 A) ” ” Tab. 3. Tab. 4. ZN 1910: 17. VII. 1910: 0m 22.330: 82200 0m 24 °C. 8:03%/,,.0 2 n 21,9° ” 6,4 n » 2 ” 23 4 ” 6,93 p}] ” 4 ” 16 y ” 1 ‚68 ] N” 4 ” 1 7,2° ” 1 „I ” ” 6 ” 15 x ” 2,1 N n 6 N 13 ’ ” 2,15 ” ” 8 N I E N 2,5 N N ö N y k r7] 2,35 N” ” 10 N 8,4° ” t „o r}] ” 10 ” 8,0° N 2,3 n n 12 n 8,2° 2 u! ” ” 12 N 8,8° N 2,2 n ? Rab: 5: Tab. 6. DIE NIT. 1910. 72.1910. 0m 21.516; 805250 Om BE. Sl 2 n 20 ’ ” 6,9 ” ” 2 ” 1 8 2 2) 7 ” ” Yyı)r 94 Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. Tab. 5». 27. VEs1910: 17 0 140 9,20 9 0 g,g0 Dan. DA VIII. n ” 1910. 16,6° C. 16,6° 16,6° 15,80 Tab g. 15. IX. 1910. 16,5° C. 14,40 14,30 13,60 13 ° 9,80 9,20 Tab? IR SI9LVO, 37,0, 7,6° 7,6° 7,60 7,60 7,6° 6,90 N ” Tab: 6: ZEN IE 21910: 180% ? 15 e ” 4,2 ” 10 ha n 2,8 ” =) . ” ‚A ” Lab 3. IX.1910. 16.00. 03408 15,40 „ 8,33 „ 14,8%, Das 14,5° ” 3,7 ” 13,307, 2. 9,9% ” 2,83 ” 9,3) ” 2,82 ” T2ab=10: 29. IX. 1910. 14,904 Sr IA, ? 10:45 2 10,3° „ 79, 10,3° „ 6,93 „ 10,20 „ 6,40 „ 10,2° „ 1,28 „ abe >> 14x 21910: 6:5 ? 6 o )] 12,1 um 6 ı n Use ” bag: % bangen 8,4 „ BE ? 6 x ” 6,72 ” ab: 30. X. 1910. 2,1°C 8,42), 0 2,12 n 8,04 nr Ba... Fo 2,20 „ 734, 2,2° „ 5,86 „ „ 2,2° ” 5,37 p] ” 2,2° ” 6,95 5 0m 0m Door DN © a ek 1. K. Knauthe, Der Kreislauf der Gase in unseren Gewässern. RE (S5— 80). Galtzoff, Zur Kenntnis der biologischen Faktoren der Binnengewässer. 35) Tab..1o9r). SRG; 12:0. TabeRr 25: IL.>19IR e}] 2, DR a a ES iR 8800: 8,80 8,60 b) 0 4,69 4,20 4,4, 28. Perembar 1 911. Tab 10. 25. XI 1910. 0m 17 && KO O0 2 >} 12° ” 12,15 ” ” 4 ’ In 7 8,03 ” ” 6 ’ 2.12 ” 6,6 ” ” 3 ” al N 4,62 ” ” 10 ” 158% ” 3,6 N 12 p)] IEL ” 2,99 ” ” Dab.ks: 16-9 2? 0m 0,8°C 2 3.26%), N DA 2 28 u er 2,4% „ 1,67°/ 20200 7% 6 SONY a 2 8 n 2,4° ” 2,65 ” ” nn 10 „ 2,6° „ 2,08 „ n ED ee 12; 2.2, 2 Tab. 20°). 21. IV 21911: 9,2 0m 5,3: 9,23°%,10 3,1 ” ” 2 ” 5 \ ” 9,32 N ’ 1,63 „ ” 4, D:,% ” 7,16 „9 1,45 ” ” 6 ’ 4 2 ” 4,88 ” ” 1,78 ); ” 8 ” 3,8° ” 1,81 ’ ” 1,64 u] ” 10 ” 3 ” 3,08 ” ” Valagr 12, 32, ZONE .ab22: 11: MA ASTE 849 0 0m RR, 8,1300, 7,98 ” ” 2 ” 12,4° N 10,6 ” 1,83 „nn 4 b)) 9,2° » 5,59 b)) 2,97 ” ” 6 ” 6,2° N 1,47 ” 2,12 Dr 8, 9.) ” 1,32 „ 15% © 10. 420 , 734, 219 > 12 _ 4,40 _ 1,09 „ Literatur. Bd. XVIII, 1898, S. 1) Der See ist mit Eis bedeckt. 2) Der See ist frei vom Eise. Biol. Centralbl., 390 Guenther, Einführung in die Tropenwelt. 2. K. Knauthe, Beobachtungen über den Gasgehalt der Gewässer im Winter. Biol. Centralbl., Bd. XIX, 1899, S. 783—799. 3... — Das Süßwasser. 1907. 4. A. Lebedinzew, Gasumtausch in abgeschlossenen Wasserbecken und seine Be- deutung für die Fischzucht. Aus der Fischzuchtanstalt Nikolsk, Nr. 9, 1904 (russisch). 5. Dr. Max Voigt, Die vertikale Verteilung des Planktons im Großen Plöner See und ihre Beziehungen zum Gasgehalt dieses Gewässers. Forschungsber. aus der Bio!. Station zu Plön, Teil XII, 1905, S. 115—144. 6. Helland-Hansen, Die Austernbassins in Norwegen. Internat. Revue der ge- samten Hydrobiologie und Hydrographie, I. Bd., 1908, S. 553—573. Konrad Guenther, Einführung in die Tropenwelt. Erlebnisse, Beobachtungen und Betrachtungen eines Naturforschers auf Ceylon. Mit 107 Abbildungen und einer Karte von Ceylon. Kl. 8. X u. 392 Seiten. Leipzig. Wilhelm Engelmann. 1911. Ein liebenswürdiges und interessantes Buch, nicht nur für Naturforscher, die sich für eine Tropenreise vorbereiten wollen, sondern auch für die immer zahlreicher werdenden Freunde der Natur, welche der erleichterte Verkehr ın fremde Weltteile führt. Die üblichen Bädecker und ähnliche Reisebücher machen wohl auf alle sehenswerten oder auch nicht sehenswerten Bau- und sonstigen Kunstwerke aufmerksam; was aber an Naturschönheiten und Besonderheiten der fremden Welt sehenswert ist und auf welchen Wegen man dazu gelangt, das wird meist nur flüchtig an- gedeutet oder fehlt wohl ganz. Da tritt ein Buch wie das vor- liegende ergänzend ein, ähnlich wie es in ihrer Art Strasburger’s Wanderungen an der Riviera tun. Guenther berichtet ın schlichter, anziehender Weise über seine Reiseerlebnisse. Er schildert, was er gesehen hat, aber er sucht auch überall die naturwissenschaftliche Erkenntnis zu fördern und bringt Ergänzungen aus den Spezialwerken anderer, welche einzelne Zweige des Besprochenen eingehender behandeln. Sehr schön sind die beigegebenen Abbildungen, bis auf zwei Repro- duktionen eigene Aufnahmen des Verfassers mit dem Polyskop. Zu bedauern ist nur der kleine Maßstab der Bilder, welche meist in der Originalgröße, zum Teil in zweifacher Vergrößerung wieder- gegeben sind. Diese Kleinheit der Bilder ist ja notwendig, damit der Apparat handlich und leicht tragbar bleibt. Aber sie erschwert den Genuss der phototypisch wiedergegebenen Bilder. Denn wenn man versucht, die Zeichnungen mit der Lupe dem Auge zugäng- licher zu machen, so stört das Korn des Rasters so sehr, dass man gar nichts mehr erkennt. Dass im übrigen die Ausstattung vortrefflich ist, wie bei allen Werken des berühmten Verlags, soll gegenüber dieser einen Aus- ne. noch besonders betont werden. P- Verlag von Georg Thieme in Leipzig,. Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. = 7 Bd. XXXII. 20. Juni 1912. Ks 6. Inhalt: Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. — Moeser, Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. — Franz, Beitrag zur Kenntnis des Epen- dyms im Fischgehirn. — Leduc, Das Leben in seinem physikalisch-chemischen Zusammen- hang. — Prowazek, Handbuch der pathogenen Protozoen. — Scheffer, Wirkungsweise und Gebrauch des Mikroskops. Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. Von Ernst G. Pringsheim (Halle a. S.) Inhalt. I. Die bisherige Auffassung. II. Gründe, die der herrschenden Ansicht entgegenstehen. III. Zusammenhang zwischen Bewegungs- und Reaktionsweise. IV. Literatur. I. Die bisherige Auffassung. Als Pfeffer im Jahre 1884 die Chemotaxis der Farnsamen- fäden entdeckt hatte, suchte er unter den damals bekannten Er- scheinungen nach Analogien. Am nächsten lag der Vergleich mit den nicht lange vorher von Engelmann genau beschriebenen und in ihrer Eigenart erkannten Lichtbewegungen des „Bacterium photo- metricum“, eines Chromatiums. Für dieses hatte Engelmann (1882) festgestellt, dass es sich in einem hellen Flecke im Gesichtsfelde des Mikroskopes ansammelt, aber nicht in der damals für phototaktische Algenschwärmer all- gemein angenommenen Art, sondern durch eine neu und fremdartig erscheinende Reaktionsweise. Bei Schwärmsporen von Algen und anderen lichtempfindlichen Schwimmern fasste man — der ein- fachen Beobachtung vertrauend —, die Phototaxis im einseitigen Lichte als Einstellung in eine bestimmte Schwimmrichtung auf. Sie XXXIl. 22 338 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. sollten dabei entweder die verschieden starke Belichtung der Flanken oder die Richtung der Strahlen als Reizanlass wahrnehmen. Weiter kam man in der Analyse dieser Dinge bis in die neueste Zeit hinein nicht. Die von Engelmann beobachteten Bakterien verhielten sich nun ganz anders. Man sah an ihnen keine gleichmäßig gerichteten Bewegungen, die sie nach Orten bestimmter Helligkeit hätten hin- führen können, sondern die einzelnen Individuen schwammen regellos durcheinander. Auch am Rande eines von Engelmann in die Ebene des Präparates projizierten hellen Fleckes sah man die aus dem Dunkeln kommenden Bakterien keine Änderung der Bewegungs- richtung ausführen. Kam aber ein schon im hellen Fleck befind- licher Schwärmer über die Grenze des dunklen Gebietes, so fuhr er wie erschreckt oft um das Mehrfache seiner Länge zurück und nahm dann, nur in einem kleinen Winkel abweichend, die Bewegung . in der alten Richtung wieder auf. Durch diese Reaktionsweise wurden schließlich eine große An- zahl von Bakterien auf dem hellen Flecke, der als „Lichtfalle*“ wirkte, vereinigt, indem sie wie zufällig in ihn hinein, durch die „Schreckbewegung“ aber nicht wieder heraus kamen. Denn diese führte sie beim Überschreiten der Grenze stets wieder ins Helle zurück. Eine bestimmte Richtung der Schwimmbewegung konnte auch bei einseitig einfallendem Lichte nicht beobachtet werden. Die von ihm beschriebene Chemotaxis der Farnspermatozoiden stellte nun Pfeffer (1884, S. 378) mit gutem Grunde der Reiz- reaktion des Bacterium photometricum entgegen und reihte sie den echten Richtungsbewegungen an, als deren Typus unter den frei schwimmenden Organismen die Phototaxis der grünen Flagellaten und Schwärmsporen galt. Pfeffer sah nämlich seine Samenfäden, die vorher mit unregel- mäßig schwankenden Bewegungen durcheinander geschossen waren, sofort nach dem Hinzuschieben des Röhrchens mit dem Reizstoffe, ab- schwenken und fast geradlinig auf das Anlockungszentrum, die Kapil- larenöffnung, zu schwimmen. Die Änderung der Bewegungsrichtung war immer gut zu beobachten und stand in scharfem Gegensatz zu ihrem Fehlen bei der Lichtreaktion der von Engelmann studierten Bakterien. Nach Pfeffer „bewirkt die Reizung eine bestimmte Richtung der Körperachse und erzielt hiermit, dass diese ohnehin mit fortschreitender Bewegung begabten Organismen nach bestimmter Richtung hin fortschreiten“. Bei den übrigen zu Versuchen über Chemotaxis herangezogenen Objekten hat Pfeffer keine so ein- gehenden Beobachtungen über die Reaktionsweise angestellt wie bei den Farnsamenfäden, sondern aufGrund der Analogie ein entsprechen- des Verhalten angenommen. Nur bei den Bakterien betonte er noch besonders, dass auch ihre chemotaktische Reaktionsweise eine Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 339 echte Richtungsbewegung sei, sich also von der phototaktischen der Engelmann’schen Chromatien unterscheide. Zwar bewegten sich diese Organismen niemals geradlinig auf die Kapillarenöffnung zu, doch wurde die Bevorzugung einer bestimmten Bewegungsrichtung beobachtet und der ungleichen Beeinflussung der Flanken als Reiz- ursache zugeschrieben (a. a. O., S. 462/63). Gerade an Bakterien machte nun Rothert (1901), als er eine besonders große Form beobachtete, die Entdeckung, dass sie sich bei der Anlockung durch eine mit Reizflüssigkeit gefüllte Kapillare eher so verhielt wie Engelmann das für seine Objekte beschrieben hatte, als nach dem Schema der echten taktischen Richtungs- bewegung. Freilich konnte die Schreckreaktion nicht so deutlich beobachtet werden wıe dort; aber ein Reizstoff lässt sich auch ım Wasser nicht so scharf lokalisieren wie ein Lichtfleck. Durch Strömungen, durch Diffusion und durch die Bewegungen der Bak- terien selbst breitet er sich aus und wird mit dem Wasser vermischt. Abgesehen aber von der weniger großen Präzision des Zurück- fahrens findet tatsächlich, wıe das durch mannigfaltige neuere Be- obaehtungen sichergestellt ist, die Chemotaxis der Bakterien ganz allgemein in der Weise statt, dass die einzelnen Individuen durch ihr unregelmäßiges Hin- und Herschwimmen in die mit dem Reız- stoffe versehene Zone vor der Kapillarenöffnung geraten und beim Weiterschwimmen an der Grenze des reinen Wassers zurück- schrecken. Es spielt also hier die Stelle im Wasser, an der die anlockende Substanz sich ausgebreitet hat, dieselbe Rolle wıe beı Engelmann das hell beleuchtete Gebiet im Präparate. Damit ıst für die Bakterien die Zwiespältigkeit ın der Re- aktıionsweise je nach dem Reizanlasse beseitigt. Wie wir heute wissen, reagieren sie auf alle wirksamen Einflüsse stets durch Rück- wärtsschwimmen und darauf folgende Winkelabweichung. Diese Schreckbewegung hindert sie davor, günstige Umstände zu verlassen oder in schädliche zu geraten. Während hier eine Vereinheitlichung in der Reaktion der Bak- terien auf verschiedene Reize gewonnen wurde, tat sich zwischen den Samenfäden einerseits und den Bakterien andererseits, in der Art, wie sie auf gewisse Reize reagierten, eine weite Kluft auf. Diese war um so größer, als es sich ja um ein- und dieselbe Reiz- ursache, nämlich Konzentrationsdifferenzen einer in Lösung befind- lichen Substanz, handelte, während für Pfeffer’s Gegensatz zu Engelmann nach der damaligen Auffassung der Grund in der Verschiedenheit des Reizmittels gesucht werden konnte. So war es durchaus berechtigt, dass Rothert die Differenz ın der Reaktions- weise durch die Art der Benennung auseinander gehalten wissen wollte. Kam ja doch nach seiner Meinung die Ansammlung vor der Kapillare das eine Mal — bei den Samenfäden etc. —, durch 99% 340 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. eine bestimmte Einstellung der Individuen in der Diffusionssphäre, das andere Mal — bei den Bakterien — durch die Schreckbewegung zustande. In dem ersten Falle sollte die örtliche Konzentrations- differenz auf den beiden Flanken des Körpers, im zweiten die zeit- liche Veränderung der Konzentration beim Überschreiten der Grenze zwischen der Lösung und dem Wasser den Reizanlass abgeben. Nur die Reaktionsweise, wie sie bei den Samenfäden und einigen Flagellaten gefunden worden war, wurde als echte „tropistische“ Chemotaxis anerkannt und Strophotaxis genannt, während die durch Schreckbewegung, also ohne direkte Beziehung zur Ein- wirkungsrichtung des Reizes, d. h. im Grunde nastisch zustande kommende Orientierung der Bakterien die Bezeichnung apoba- tische Ühemotaxis bekam. Pfeffer nannte dann die erstere Topo-, die letztere Phobotaxis. Dieser Gegensatz wurde allgemein anerkannt und ging in sämt- liche mir bekannten Lehrbücher über, die den Gegenstand über- haupt ausführlicher behandeln. Sehen wir zu, welche Organismen zu der einen und anderen Gruppe zu zählen sind, so finden wir das Material hauptsächlich ın der angeführten Arbeit von Rothert (1901) zusammengestellt, der die damals bekannten Tatsachen eingehend würdigt. Danach reagieren die Samenfäden der Gefäßkryptogamen (Pteridophyten) und der Moose, die von Pfeffer untersuchten Flagellaten und Volvocineen sowie die Schwärmsporen der Saprolegniaceen topisch, durch Wendung des Körpers. Ihnen allen standen die Bakterien allein als typisch phobisch gegenüber. Allerdings fand Rothert in Pfeffer’s Arbeiten einige An- gaben, die auf das Vorkommen einer phobischen Reizbarkeit auch bei Farnspermatozoiden hindeuteten. Pfeffer spricht nämlich an verschiedenen Stellen von einem Zurückfahren oder Zurückschrecken seiner Objekte. Doch wurde das nicht beim Zustandekommen der „positiven“, sondern bei den „negativen“ Reaktionen beobachtet. So beruhigte man sich damit, dass ja bei ein und demselben Örganısmus beide Reaktionsarten vorkommen könnten, z. B. die eine bei der Anlockung, die andere beim Zurückschrecken. Man bedachte dabei aber nicht, dass ım Grunde manche taktische Re- aktion je nach der Versuchsanstellung oder der Auffassung des Experimentators als positiv oder negativ betrachtet werden kann. Am leichtesten lässt sich das für die Osmotaxis zeigen. Süß- wasserorganismen sind meist negativ, Meeresorganismen positiv osmotaktisch. Die einen fliehen eine Salzlösung, . die anderen suchen sie auf. Man kann aber ebensogut auch sagen, auf die einen wirkt reines Wasser attraktiv, auf die anderen repulsiv. Der „Sinn“ der Reaktion, ob positiv oder negativ, soll nach der Angriffsrichtung des Reizmittels bezeichnet werden. Welches aber Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 341 ıst, das Reizmittel bei osmotischen Reizen? Doch offenbar der Wechsel im Turgordruck oder jedenfalls im Wassergehalte der Zellen. Es lässt sich somit nicht allgemein sagen, ob es die Entziehung oder die Aufnahme von Wasser ist, die den Reizanlass darstellt. Unwillkürlich ändert man auch die Auffassung des Sinnes der Be- wegung je nach der Versuchsanstellung. Das Einschwärmen in die Kapilläare erscheint als positive Reaktion. Wird also etwa zu den in einer Salzlösung befindlichen Organismen eine Kapillare mit reinem Wasser geschoben und sammeln sie sich in diesem, so muss man erst überlegen, dass der wissenschaftliche Sprachgebrauch das als negativ osmotaktische Reaktion bezeichnet. Zudem wird durch die Art der Versuchsanstellung auch wirk- lich das Bild des Reaktionsmodus beeinflusst. Ist in der Kapillare Salzlösung, so reagieren im Wasser befindliche Süßwasserorganismen, etwa Flagellaten, deutlich durch Schreckbewegung. Enthält da- gegen die Außenlösung das Salz und die Kapillare Wasser, so schwenken die Schwärmer nach der Kapillarenöffnung hin ab, sie reagieren topisch (Pfeffer, 1904, S. 759). Wie das kommt, wird uns klar, wenn wir bedenken, dass die aus der Kapillare angeflossene Lösung einen annähernd kreisförmigen Fleck bilden wird. Ein von außen kommender Schwärmer trifft auf die konvexe Grenze, hält still und schwenkt ab, falls er negativ reagiert. Bei positiver Reaktion aber wird er in seiner Bahn nur gestört, falls er nicht auf die Kapillaren- öffnung zu schwimmt, und auch für diesen Fall wird die Ablenkung nicht groß sein können, weil er bald wieder die Reizlösung erreicht. Daher macht der Widerwille, in die Kapillarenflüssigkeit einzudringen, mehr den Eindruck einer phobischen Reaktion als das Einschwärmen. So kann man also nicht für alle Fälle ohne weiteres die ange- nommene Verschiedenheit in der Reaktionsweise eines Organismus gegen verschiedene Reizmittel durch die Ausbildung spezifischer Sensibilitäten erklären. Denn auch ein und dasselbe Reizmittel kann bei demselben Organismus sowohl phobische wie auch to- pische Reaktion veranlassen. Deshalb dachte Pfeffer (1904, S. 757) und auch ich früher (1908, S. 561, Anm.), die beiden Reaktions- weisen möchten sich gegenseitig ergänzen. Unser Streben nach Einheitlichkeit wird dadurch freilich nicht befriedigt. Aber man muss zugeben, dass die Möglichkeit gleichzeitiger tropistischer und nastischer Reaktionsweise hier ebensowohl vorliegt wie bei den festgewachsenen Pflanzen. Es fragt sich nur, ob diese „dualistische“ Ansicht mit der direkten Beobachtung und den sonstigen Erschei- nungen bei den Taxieen in Übereinstimmung zu bringen ist. Sieht man die heute schon sehr zahlreichen Arbeiten über Chemotaxis durch, so fällt auf, dass hier nicht wie bei den tro- pistischen Reaktionen die genaue Feststellung der mechanischen Bewegungsweise mit dem Studium der Außenumstände und des 349 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. Endresultates Hand ın Hand oder gar jenem vorausgeht. Viel eker ist dergleichen noch in den weniger häufigen Untersuchungen über Phototaxis zu finden. Doch auch dort ist man bis vor kurzem noch nicht bis zur Kenntnis der Tätigkeit durchgedrungen, die die Bewegungsorgane selbst bei den Änderungen der Bewegungsrich- tung entfalten. Die Ursache dieses Mangels lag in technischen Hindernissen bei der Untersuchung. Bei der Kleinheit der Objekte und der Schwierigkeit, die Geißeln zu sehen, musste man sich wohl oder übel mit dem Endresultat als gesicherter Tatsache begnügen und füllte die Lücke durch theo- retische Vorstellungen. Diesen Zustand als unhaltbar empfunden zu haben ist das Ver- dienst des schon von Rothert und Pfeffer gewürdigten ameri- kanischen Forschers Jennings. Seine Untersuchungen zeigten deutlich, dass die einseitige Tropismentheorie Loeb’s, der alle Orga- nismen nach Art der heliotropischen Pflanzen reagieren ließ, den Tatsachen nicht entspricht. Mit Hilfe seiner Arbeiten und unter Benutzung mannigfacher Tatsachen aus den Untersuchungen anderer Autoren lässt sich, wie ich zu zeigen hoffe, ein klareres und ein- heitlicheres Bild der taktischen Reaktionsweise gewinnen als auf Grund der bisher herrschenden Anschauung. Es ist aber auch aus anderen Gründen notwendig sie zu verlassen. Sıe enthält an sich einen größeren Zwiespalt als man bisher glaubte. Diesen aufzu- zeigen ıst der Zweck des nun folgenden kritischen Teils, während dann später an einigen Beispielen gezeigt werden soll, was an die Stelle der heutigen Phototaxis-Topotaxistheorie zu setzen ist. II. Gründe, die der herrschenden Ansicht entgegenstehen !). Wenn ım Obigen eine bestimmte Auffassung der Orientierungs- bewegungen freischwimmender Organismen als die herrschende be- zeichnet wurde, so gilt das zunächst nur für die ın Deutschland und unter deutschem Einflusse ausgeführten Arbeiten, wohin bis zu dem Erscheinen der hier zitierten deutschen Ausgabe (1910) die Wirkung der Jennings’schen Untersuchungen noch zu wenig ge- drungen zu sein scheint. Aber auch hier sind schon gewisse Schwierigkeiten empfunden worden. Mit diesen will ich beginnen. 1. Bei der topotaktischen Reaktionsweise soll die ungleiche Verteilung des Reizmittels an verschiedenen Seiten des Körpers den Heizanlass darstellen. Wie jedoch besonders Jost (1908, S. 649) betont hat, „kann aber in einer ungleichen Beeinflussung der Flanken bei den Samenfäden der Farne unmöglich der Reiz- anlass liegen, denn durch die Rotation um die Längsachse ist jede einseitige Einwirkung des Reizmittels in derselben Weise aus- geschlossen, wie wenn eine höhere Pflanze sich auf dem Klinostaten l) Vgl. auch Pringsheim, 1912, S. 190ff. u. 8. 303 ff. Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 34: befindet“. Derselbe Einwand wäre bei der Mehrzahl der frei- schwimmenden Organismen zu machen, denn die Vorwärtsbewegung geschieht fast immer unter gleichzeitiger Drehung. Auch hätte er in derselben Weise wie für chemische auch für photische und Gravitationsreize Bedeutung. Jost sucht sich unter Aufrechterhaltung der örtlichen Intensi- tätsdifferenz als Reizanlass dadurch zu helfen, dass er den Orga- nismus die Intensität des Reizmittels am Vorderende mit der am Hinterende vergleichen lässt. Es müsste dann nach seiner Auf- fassung die Gleichgewichtslage wie bei einem dorsiventralen Gebilde dann erreicht sein, wenn die Intensitätsdifferenz zwischen den beiden Polen der physiologischen Veranlagung entspricht, d. h. bei posı- tiver Bewegung müsste der Reizanlass vorn stärker wirken, bei negativer dagegen hinten. Die von Jost zunächst ins Auge gefasste, durch die Rotation gegebene Schwierigkeit wird durch diese Theorie freilich behoben. Wenn wir aber zusehen, ob sie auch den sonstigen Anforderungen entspricht, so werden wir in noch größere Zweifel gerissen. Zu- nächst scheint mir bei dem Vergleich mit dorsiventralen Organen höherer Pflanzen die Frage erlaubt, ob wir unter ihnen überhaupt welche kennen, bei denen die Gleichgewichtslage durch den un- gleichen Angriff des Reizmittels gekennzeichnet ist. An geotro- pische Reaktionen ist keinesfalls zu denken. Aber auch bei den phototropischen, z. B. denen der Blätter, ist bisher wohl kaum daran gedacht worden, dass etwa die Differenz in der Beleuchtung der Ober- und Unterseite den Reizanlass darstelle.” Eine solche Vor- stellung würde auch sogleich daran scheitern, dass bei der typischen Senkrechtstellung zur Richtung der Strahlen das Maximum des Helligkeitsunterschiedes der Ruhelage entsprechen würde (wenn man die Blattspreite zunächst einmal als undurchsichtig betrachtet)?). Wie aber merkt die Pflanze, wann dieses Maximum erreicht ist? Dieselbe Schwierigkeit ergibt sich bei einem phototaktischen und mutatis mutandis auch bei einem chemataktischen Organismus. Eine Differenz in der Intensität des Reizanlasses am Vorder- und Hinterende tritt sofort auf, wenn die Körperachse nicht genau senkrecht zur Richtung der einwirkenden Kraft oder der Diffusions- radien steht. Die Gleichgewichtslage soll erst mit der Einstellung in diese Richtung erreicht sein. Die entsprechende Lage unter- scheidet sich aber nur quantitativ von den früheren. Warum soll also die Drehbewegung nun ein Ende haben? Daher müsste man 2) Bedenkt man, dass die Spreite durchscheinend ist, dass sie aber um so mehr Licht absorbiert je schräger dieses auffällt, so wird die Sache noch verwickelter. Denn da- durch kann die Helligkeitsdifferenz bei der schrägen Spreite sogar größer werden als bei der transversal-senkrechten. Wie sich Blätter verhalten, deren klare und untere Fläche gleich hell, aber entgegengesetzt beleuchtet wird, ist noch nicht untersucht worden. 344 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. annehmen, dass die Körperwendung eines nicht völlig orientierten Organismus so lange weiter geht, bis mit der Überschreitung des Differenzmaximums zwischen den Körperpolen wieder eine Ver- minderung dieser Differenz einträte. Diese müsste dann den Reiz- anlass abgeben, der bei jeder Abweichung von der „richtigen“ Bahn wirksam würde. Wenn der Organismus aber nicht zufällig vorher das Differenzmaximum „kennen gelernt“ hätte, so könnte er die Abweichung davon nicht als Reiz empfinden. Der Organismus müsste daher durch eine Überproduktion von Bewegungen die rich- tige Lage erproben. Damit nähern wir uns schon der Jennings’- schen noch zu schildernden Theorie des Versuchs und Irrtums (trıal and error), bei der die Abweichung von der Kraftrichtung als Reizanlass betrachtet wird und die im Grunde nichts anderes fordert als eine phobische Reaktionsweise. Dieser Schlussfolgerung könnte man zu entgehen suchen, indem man, immer noch auf dem Boden der Jost’schen Theorie, annähme, dass nicht sofort das Maximum in der Differenz der Reizintensität an Vorder- und Hinterende als Gleichgewichtslage angestrebt würde, sondern nur die Vermeidung der umgekehrten und der gleichmäßigen Beeinflussung der Körperpole. Dann würde z. B. ein chemotaktischer Örganısmus an der Grenze zwischen Wasser und Reizlösung nach dem Diffusionszentrum hin abgelenkt werden ohne aber sogleich die genaue Richtung auf den Kapillarenmund einzuschlagen. Diese Möglichkeit hat Rothert (1901, S. 398) auch erwogen und sie der apobatischen (d. h. phobischen) Reaktionsweise untergeordnet. Das ist insofern berechtigt, als die äußere Erscheinung einer durch solche Reizbarkeit zustande kommenden Ansammlung ganz der gleichen würde, wie sie etwa bei den Bakterien durch Schreck- bewegungen entseht. Nur würde hier eine lokale Intensitätsdifferenz des Reizes zugrunde liegen, bei den Bakterien aber eine zeitliche. Rothert scheint diesen Gedankengang nicht weiter verfolgt zu haben, denn für ıhn handelte es sich nur darum, zu entscheiden, in welcher Weise der Reiz bei der Phobotaxis perzipiert wird. Diese Frage ist für ihn bei einer Reihe von Organismen durch Be- obachtung von Schreckbewegungen auf diffusen Intensitätswechsel des Reizmittels entschieden. Für die übrigen Organismen, die er zu den apobatischen (phobischen) rechnet, nimmt er gleichfalls eine diffuse zeitliche Schwankung der Reizstärke als wahrscheinlichen Reizanlass an. Das ist bei Rothert nur ein Analogieschluss. Doch dürfte er das richtige getroffen haben, denn auch ohne die direkte Beobachtung der Schreckbewegung in irgendeiner Form bei diffuser Reizschwankung kann man Gründe anführen, die gegen die Jost’sche Hypothese der Intensitätsvergleichung an Vorder- und Hinterende auch in der zweiten Form sprechen. Diese Argumente gehören aber schon in einen späteren Abschnitt. Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 3 2. Aus einer ganzen Reihe von Beobachtungen ist zu ersehen, dass die Geschwindigkeit der Bewegung unter sonst gleichen Verhältnissen für die „Empfindlichkeit“ von Bedeutung ist, d. h. dass langsam schwimmende Individuen auf taktische Reize weniger sicher reagieren als schnelle. Die Verschlechterung des Reaktions- vermögens durch Verminderung der Geschwindigkeit findet sich bei den verschiedensten Anlässen, die eine Hemmung der Vorwärts- bewegung bedingen. So fand Pfeffer (1884, S. 381), dass abnorm gestaltete oder nicht mehr recht lebenskräftige Schwärmer sich langsamer bewegten und schlechter ansammelten als die normalen und eben erst aus- geschlüpften. Aber auch unter diesen gab es noch Unterschiede. Und wieder waren die am schnellsten schwimmenden die „empfind- lichsten“. Langsamere schwammen häufig an der Kapillarenöffnung vorbei, wenn diese selbst den Schwellenwert von 0,001 °/, Apfel- säure um das Fünffache übertraf (ebenda S. 381). Dadurch war dann scheinbar die Schwelle erhöht. Dieselbe Erfahrung machte Voegler (1891, S. 7). Bei höherem Alter der Farnsamenfäden war die Beweglichkeit vermindert, die Schwelle erhöht. Deshalb betont er: „Die Schwellenwerte geben immer die Reizschwelle für eben entschwärmte Samenfäden an“ (a.a. O., S.8). Auch durch eine Temperatur wurde die Reizschwelle erhöht, wenn sie vom Optimum nach oben oder unten merklich abwich, zweifellos wieder durch Ver- minderung der Beweglichkeit (a. a. O., S. 11). Auch bei Myxomy- cetenschwärmern ist die Reaktion nach Kusano (1909, S. 36) um so schlechter, je langsamer die Bewegung erfolgt. Endlich darf man wohl die Verminderung der „Empfindlichkeit“ in Rothert’s Versuchen mit Äther und Chloroform (1904), die immer mit einer Verminderung der Beweglichkeit Hand in Hand ging, mindestens teilweise auf den langsamen Ortswechsel schieben, der einen allmäh- lichen Übergang der als Reizanlass wirkenden Konzentrations- oder Helligkeitsdifferenzen zur Folge haben muss. Bei rascher Bewegung da- gegen findet der Wechsel der Konzentration eines Stoffes oder der Helligkeit schneller statt und bewirkt daher einen stärkeren Übergangs- reiz, ähnlich wie etwa ein starker Intensitätssprung eine kräftigere photonastische Bewegung erzeugt als dieselbe Veränderung, über einen größeren Zeitraum verteilt. Die genannten Erfahrungen von Pfeffer, Voegler, Kusano und Rothert würden freilich, einzeln betrachtet, kaum als Beweismittel in unserem Sinne zu verwenden sein, da man in jedem Einzelfalle einwenden kann, dass die Herabsetzung der Empfindlichkeit andere Ursachen habe; alle zusammen aber erhöhen doch die Wahrscheinlichkeit, dass es sich wirklich um Übergangsreize handelt, dass also der zeitliche Wechsel den Reizanlass darstellt. 3. Die wichtigsten theoretischen Gründe für die zu verteidigende Ansicht entnehme ich den Beobachtungen und Gesetzmäßigkeiten, 346 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. die bei der Bestimmung von Schwellenwerten zustande kamen. Schon die Tatsache, dass bei Konzentrationen von chemischen Reiz- stoffen, die gerade noch deutliche Anlockung bewirken, eine so- fortige Beobachtung nötig ist, spricht gegen die Notwendigkeit eines Diffusionsgefälles. Denn einigermaßen träge diffundierende Stoffe, wie die Kolloide Pepton, Dextrin, Albumine, können sich zu der Zeit noch kaum in gesetzmäßiger Weise ausgebreitet haben. Viel- mehr ist anzunehmen, dass dann Reizlösung und Außenflüssigkeit fast unvermittelt nebeneinander liegen und höchstens in einer äußerst dünnen Grenzzone sich vermischt haben. Dass überhaupt etwas von der die Kapıllare erfüllenden Lösung sogleich nach dem Hineinschieben des Glasröhrchens aus diesem herausfließt, hat seine Ursache offenbar in Differenzen des spezifischen Gewichtes der Flüssigkeiten. Wenn aber keine allmähliche Konzentrationsverminderung des Reizstoffes von der Kapillarenöffnung nach den verschiedenen Seiten hin besteht, so kann auch keine Richtungseinstellung der Körper- achse zustande kommen. Und doch findet man eine Ansammlung; allerdings bei den Schwellenkonzentrationen nur für eine kurze Zeit. Hier wirkt dann die ausgeflossene Lösung vor der Kapillare als Falle, aus der zufällig hineingelangte Schwärmer nicht mehr heraus können, bis der Reizstoff sich durch Strömungen und die von den Organismen selbst hervorgerufenen Wirbel so weit ver- dünnt hat, dass er nicht mehr die Schwelle erreicht. Je nach der Diffusionsgeschwindigkeit der betreffenden Substanz wird hierbei auch die Wanderung der Moleküle oder Ionen eine Rolle spielen. Auch die direkte Beobachtung zeigt, dass bei solchen Konzen- trationen eines Reizstoffes, die die Schwelle eben überschreiten, eine Wirkung nur bei den der Kapillare nahe kommenden Indi- viduen zu sehen ist. Doch könnte man hier immerhin noch mit der alten Vorstellung auskommen, indem man annähme, dass eben die Diffusion nicht weiter fortgeschritten ist. Es müsste dann in einem kontinuierlichen Diffusionsgefälle eine bestimmte Zone ange- nommen werden, von der ab die Richtungsbeeinflussung einsetzte. Wie ist es nun aber bei den Bestimmungen der Unterschieds- schwelle? Bekanntlich hat Pfeffer für Farnsamenfäden die Gültig- keit des W eber’schen Gesetzes nachgewiesen. Dieses besagt, dass durch die Anwesenheit des Reizstoffes in der Außenflüssigkeit die Empfindlichkeit der Schwärmer „abgestumpft“ wird, und zwar ın der Weise, dass die Kapillarenflüssigkeit ein bestimmtes und konstantes Vielfaches der Außenlösung an dem Reizstoffe enthalten muss, damit eine Anlockung zustande kommt. Das Maß, um das die Innen- lösung die schwärmerhaltige Flüssigkeit übertreffen muss, heisst die Unterschieds- oder besser Verhältnisschwelle. Werden z. B. Farn- samenfäden durch eine Lösung von 0,001°/, Apfelsäure gerade noch Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 347 angelockt und fügt man der Außenflüssigkeit dieselbe Menge davon zu, SO muss man nun eine 0,03°/,ige Lösung in die Kapillare füllen, um die Schwelle wieder zu erreichen, d. h. die Unterschiedsschwelle beträgt 30. Nehmen wir einmal an, es sei außen nur Wasser, innen aber eine Lösung von 0,025°/, Apfelsäure, so ist die Anlockung schon sehr stark, denn die Reizlösung übertrifft ja den Schwellenwert um das 25fache.e Und doch wird durch 0,001°/, in der Außen- flüssigkeit die Wirkung äußerlich völlig vernichtet. Denkt man sich nun bei 0,025°/, ein Diffusionsgefälle, in das die Samenfäden hinein- geraten müssen, um eine bestimmte Schwimmrichtung aufgezwungen zu bekommen, so muss die dazu nötige Konzentration schon nahe an der Grenze des vom Reizstoffe eingenommenen Bezirkes erreicht sein. Findet nun dieselbe Diffusion in einer Flüssigkeit statt, die ohnehin schon 0,001°/, Apfelsäure enthält, so werden die absoluten Konzentrationsdifferenzen in den aufeinanderfolgenden Zonen nicht geringer, nur ist jede Stufe um ein Kleines nach außen verschoben. Der Samenfaden würde also sogar früher in die wirksame Konzen- tration geraten! Sollte dadurch wirklich die Reizwirkung aufgehoben werden? Wie kann denn der einzelne Schwärmer, der sich in der Diffusionszone befindet, Kenntnis davon erhalten, dass außen anstatt Wasser eine schwache Lösung des Reizstoffes sich befindet? Noch geringer werden die Veränderungen in der Lage der Diffusionsstufen dort, wo wie bei Isoötes in bezug auf OH-Ionen und Apfelsäure die Unterschiedsschwelle 400 beträgt. Ein Verständnis für diese Verhältnisse kann auf Grund der alten Vorstellung nur mit Hilfe recht komplizierter Hilfshypothesen gewonnen werden. Man müsste etwa annehmen, dass der vorherige Aufenthalt in der schwachen Lösung des Reizstoffes bei dem im Diffusionsgefälle sich befindenden Samenfaden in der Weise nach- wirkte, dass dadurch eine Richtungseinstellung erst bei der 30- oder 400fachen Konzentration zustande käme. Das klingt nicht eben wahrscheinlich. Einfacher scheint es mir, anzunehmen, dass der Sprung von einer Konzentration zur anderen den Reizanlass abgibt und dass der von 0,001 zu 0 ebenso starke Erregung hervorruft wie der von 0,03 zu 0,001 oder von 3 zu 0,1. Allerdings sind auch hierbei die Verhältnisse noch insofern verwickelt als ja bei der Ansammlung durch Schreckbewegung die eigentliche Reaktion erst beim Ver- lassen der Reizlösung zustande kommt und man deshalb nicht ohne weiteres übersehen kann, ob die Niedrigkeit der absoluten Konzen- trationsschwelle gegenüber der Unterschiedsschwelle durch den Über- gang in reines Wasser bedingt ist oder ob nicht doch die Nachwirkung des vorhergehenden Aufenthaltes in der Außenflüssigkeit bei der Schwellenerhöhung mitwirkt. Mit anderen Worten, es ist fraglich, ob 348 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. nur die Größe des Sprunges allein für die Stärke der Erregung maß- gebend ist oder ob nicht die Sensibilität durch die vorausgehenden Umstände modifiziert ist. Damit würde auch diese Vorstellung recht verwickelt. Das Vorkommen einer solchen Beeinflussung, also einer Erhöhung der „Stimmung“, muss aber doch wohl ange- nommen werden, weil in vielen Fällen die zuerst auf einem größeren Areal angesammelten Schwärmer sich schließlich in der Zone höchster Konzentration zusammendrängen. Trotzdem sind die Schwierig- keiten weniger groß als bei der Topotaxistheorie. Somit erscheint uns auch das Weber’sche Gesetz als der Aus- druck der zeitlichen Unterschiedsempfindlichkeit, was es ja auch auf sonstigen Reizgebieten ıst. Wollte man diese Zahlenregel da- gegen mit der Theorie der Richtungseinstellung in Einklang bringen, so müsste man annehmen, dass die absoluten Reizintensitäten im Diffusionsgefälle die örtliche Unterschiedsempfindlichkeit bestimmen, und dass ein aus reinem Wasser in die äußersten Zonen mit der niederen Konzentration eindringendes Individuum die Einstellung der Körperachse bewirkt, nicht aber ein aus einer (noch ver- dünnteren) Lösung kommendes. Diese Vorstellung ist schwer durch- zuführen, eine Nachwirkung in der Art müsste erst aufgezeigt werden. Dagegen sind diese Tatsachen mit der Jost’schen Theorie in der oben angeführten Modifikation vereinbar. Wenn man nämlich annimmt, dass etwa eine positive Differenz zwischen der Reizinten- sität des Vorder- und Hinterendes angestrebt und jede Abweichung davon mit einer Körperdrehung beantwortet wird, so könnte eine bestimmte Reizlösung neben Wasser sehr wohl eine wesentlich stär- kere Erregung bewirken als dieselbe verglichen mit einer verdünn- teren Lösung desselben Stoffes. Diese Vorstellung kann besonders in allen jenen Fällen weiter helfen, in denen eine Schreckbewegung auf diffusen Intensitätswechsel des Reizmittels nicht zu beobachten ist, denn ein solcher bewirkt ja nur eine zeitliche, aber keine ört- liche Veränderung der Reizstärke. 4. Schließlich gibt es einige durch direkte Beobachtung auf- gefundene Erscheinungen, die gegen die Auffassung der taktischen Sensibilität als Einstellung ın die Reizrichtung sprechen. Einige davon, wie die gewundene Schwimmbahn bei schwachen Reizen und die von Strasburger (1878) beobachteten „Erschütterungen“ der phototaktischen Schwärmer auf einen Helligkeitswechsel, werden schon von Rothert (1901) in diesem Sinne angeführt. Ebenso das so oft beobachtete „Zurückprallen“, „Erschrecken“ u. s. f. der chemotaktischen Samenfäden. Überhaupt wird die Erwartung, man würde ein geradliniges Hineilen nach der Reizquelle beobachten, meist getäuscht. Hinzu käme dann das gleichfalls von Rothert hervorgehobene „Wimmeln“ an der Kapillarenöffnung, das in der Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 349 Tat nicht nur bei den zweifellos phobotaktischen Bakterien, sondern auch bei den Farnspermatozoen und Flagellaten sehr auffällig ist. Endlich hat Hoyt (1910, S. 355ff.), ein Schüler von Jennings, durch direkte Beobachtung der Reaktionsweise von Samenfäden der Farne wenigstens für diese Objekte die phobische Natur der Chemotaxis sicher gestellt. Er sah die Spermatozoen niemals durch einfache Schwenkung die Richtung nach der Kapillarenöffnung nehmen, sondern durch eine Reihe von Schwingungen des Vorderendes unter Rotation um die Längsachse in eine neue Bahn lenken. Dabei schwammen sie oft an dem Diffusionszentrum vorbei, drehten dann aber meist um und entfernten sich nicht weit von der Reizquelle. Die Schwimmbahnen waren äußerst unregelmäßig, können aber alle so gedeutet werden, dass der Übergang in reines Wasser oder sehr verdünnte Lösung eine Schreckbewegung auslöste, ganz wie das Jennings für Protozoen beschrieben hat. Hoyt zieht aus seinen Beobachtungen den Schluss, dass die Reaktionen durch die Wir- kung des Reizes auf den Organismus als Ganzes bedingt seien, nicht durch den Einfluss verschiedener Konzentrationen des Reiz- stoffes an verschiedenen Stellen des Körpers. Die Beschreibung der Versuche von Hoyt ist sehr lehrreich. Einzelheiten müssen an Ort und Stelle eingesehen werden. Hier kann nicht auf alle einzelnen Beweisumstände eingegangen werden. Es sei nur noch betont, dass nach Hoyt das vereinzelte Vorkommen von direkter Schwenkung bis zur Erreichung der definitiven Schwimm- richtung nichts für eine topotaktische Reaktionsweise beweist, da hier eben die Drehung aufgegeben wird, wenn der reizlose Zustand gewonnen ist, während ın den meisten Fällen ein längeres „Suchen“ nötig wird. Diese letzteren Fälle lassen sich aber nach dem Topo- taxısschema nicht erklären. 5. Speziell für phototaktische Organismen gilt ein, wieder von Jost (1908, S. 656) ausgesprochenes Bedenken gegen die einfache Topotaxistheorie. Eine ganze Reihe von älteren Beobachtern be- richten, dass lichtempfindliche Schwärmer, nicht bloß von Euglena, sondern auch von Haematococcus, Chlamydomonas, Stephanosphaera u. Ss. w. bei intensiver Beleuchtung von oben sich ım Halbschatten eines Brettchen u. dgl. sammelten. Es geschah das nicht nur, wenn das Brettchen parallel, sondern auch wenn es senkrecht zu dem Fenster lag. „Nun können aber die in allseitig gleicher Helligkeit befindlichen Schwärmspor en keine Kenntnis davon haben, dass in einer gewissen Entfernung von ihrem augenblicklichen Aufenthaltsort eine ihnen mehr zusagende Helligkeit herrscht; sie können in diese also nur zufällig gelangen und dann durch Phobophototaxis dort festgehalten werden“ (Jost, 1908, S. 656). Ausführlich ıst das Problem von Jennings behandelt worden (1910, S. 215ff.), dessen sehr klaren Erörterungen ich nichts hinzuzusetzen habe. 350 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. III. Zusammenhang zwischen Bewegungs- und Reaktionsweise. Ein Verständnis für das Zustandekommen taktischer Reaktionen ist nicht möglich ohne die Kenntnis der Art und Weise, wie die Bewegungen normalerweise, also ohne richtende Einflüsse, verlaufen. Die Bewegungsart wiederum ist abhängig vom Bau des Körpers einschließlich der (hier allein in Betracht kommenden) geißelartigen Ruderorgane. Über den Körperbau sind wir meist gut unterrichtet, weniger über seinen Einfluss beim Schwimmen durch den Wider- stand am Wasser, etwa wie er für Schiffstypen an Modellen studiert wird. Und noch weniger wussten wir bis vor kurzem über die Wirkungsweise der Geißeln. Neuerdings ist durch die Dunkelfeld- beobachtungen von Reichert(1909), Fuhrmann (1910)und Ulehla (1911) diesem letzteren Mangel abgeholfen worden. Ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Bau und der Art des Schwimmens muss jedenfalls bestehen. So wissen wir, dass die während der Vorwärtsbewegung meist stattfindende Rotation um die Längsachse bei gewissen, stark von der Ringsgleichheit ab- weichenden Organismen unterbleibt, so bei manchen Flagellaten, wie etwa Bodo saltans (Pfeffer, 1885, S. 595), und bei ausgeprägt unsymmetrischen Peridineen. In diesen Fällen ist es entweder der Bau des Körpers oder der Ansatz der Geißeln, der den Bewegungs- schwerpunkt so stark seitlich legt, dass höchstens noch ein Schau- keln von der sonst üblichen Drehung übrig bleibt. Die Symmetrieverhältnisse sind überhaupt vor allem anderen für unsere Betrachtungen von Wichtigkeit. Freilich wäre an sich eine physiologische Asymmetrie bei morphologisch ringsgleichen Organismen möglich und umgekehrt. Meist aber fällt beides zu- sammen, ähnlich wie auch bei den Organen der Phanerogamen. Im folgenden soll nun eine Gruppierung nach diesem Prinzip versucht werden: 1. Die der Bewegungsrichtung entsprechende Körperachse zeichnet sich irgendwie von den anderen aus. Das kann allein durch den Bau oder auch durch die Begeißelung geschehen. Die Querachsen sind unter sich gleich: Volvox; Pandorina; Eudorina; Gonium u. Ss. f. Vaucheria- und Oedogonium-Schwärmer; Bakterien u. a. 2. Unter den Querdurchmessern ist einer durch geringe innere Abweichung herausgehoben, z. B. durch die Lage des „Augen- fleckes“: Chlamydomonas; Haematococeus; viele Algenschwärmer. Der Körper wird dadurch innerlich monosymmetrisch. 3. Der Körper ist noch annähernd radıär, weicht aber in seiner äußeren Form ein wenig von dieser Gleichförmigkeit ab und zwar so, dass zwei fast symmetrische Hälften entstehen: Euglenen u. a. Flagel- laten; manche Infusorien; gewisse Peridineen, wie z.B. Gymnodinium. 4. Der Körper ist dorsiventral oder unsymmetrisch: Die meisten Infusorien; viele Flagellaten, wie z. B. Phacrıs (Übergänge zu Euglena); Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 351 Cryptomonas; Spermatozoen der Bryophyten, Pteridophyten, Chara- ceen; Peridineen u. s. f. 1. Bei der ersten Gruppe ist die Rotationsrichtung teilweise nicht festgelegt, so schwimmen z. B. Volwox aureus und Gonrum peetorale bald rechts-, bald linksdrehend (Oltmanns, 1904, S. 152; Pfeffer, 1884, S. 443). Die Bakterien sollen sich nach Reichert (1909) stets links herumdrehen. Wir betrachten zunächst die radiären Volvocaceenkolonien u. ä., indem wir mit Volvox den Anfang machen: Beim Verfolgen phototaktischer Richtungsbewegungen sieht man auf eine Änderung der Lichtrichtung hin den Geißelschlag der beiden Flanken in gesetzmäßiger Weise sich ändern, wodurch die Ver- schiebung der Schwimmrichtung bewirkt wird. Ein Aufschluss darüber, ob zeitliche oder örtliche Differenzen den Reizanlass ab- geben, ist so nicht zu erlangen. Dazu müssen lokale Verschieden- heiten der Beleuchtung entweder ganz aufgehoben werden, indem man für diffuse Helligkeitsschwankung sorgt, oder sie müssen — bei Einführung des Lichtes senkrecht zur Bewegungsebene — durch das Vorwärtsschwimmen selbst in zeitliche verwandelt werden. Erzeugt man auf optischem Wege im Gesichtsfeld des Mikro- skopes einen dunklen Fleck und beobachtet dann das Verhalten phototaktischer Volvox-Kugeln, so sieht man sie in dem hellen Felde regellos umherirren. Sobald sie aber ein wenig über den Rand der lichtlosen Stelle kommen, ändern sie ihre Bewegungsrichtung und schwenken ein wenig seitlich ab. An einem hellen Fleck ım dunklen Gesichtsfelde sammeln sie sich an, ohne auch hier eine deutliche Schreckbewegung zu zeigen. Desgleichen reagieren sie auf plötzliche Verdunkelung nicht durch Rückwärts- oder Seitwärts- schwimmen, sondern, falls überhaupt, durch Einstellung des Zilien- schlages, wodurch sie abwärts sinken. Eine solche Reaktionsweise genügt offenbar zur Erzielung von Ansammlungen in geeigneter Helligkeit. Doch reichen meine emige Jahre zurückliegenden und neuer- dings aus Mangel an Material nicht nachprüfbaren Erfahrungen für ein volles Verständnis und vor allem für die Entscheidung, ob eine tropistische oder eine nastische Reaktionsweise vorliegt, nicht aus. Das Verhalten scheint wegen der Reizverkettung vieler Einzelwesen recht verwickelt zu sein. Von anderen koloniebildenden Volvocaceen standen mir Pan- dorina und Gonium zur Verfügung. Pandorina hat auch Ulehla (1911, S. 703) beobachtet. Über eventuelle Schreckreaktionen teilt er nichts mit. Auch ich konnte keine finden. Die Phototaxis geht ganz ähnlich wie bei Volrox vor sich, mit dem Pandorina auch die morphologische Kennzeichnung der Längsachse gemein hat. Diese 359 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. ist dev längste von allen Durchmessern und fällt beim Geradeaus- schwimmen annähernd mit der Bewegungsrichtung zusammen (Pfeffer, 1884, S. 443). Werden die dem Lichte zuschwimmenden Kugeln durch eine rote Glasscheibe verdunkelt, so wird die Bahn geschweift und unsicher, ohne dass eine Übergangsreaktion auffiele. Von Gonium sind besonders die jungen Kolonien gut photo- taktisch. Sie können sich auch unter dem Deckglase noch unge- stört bewegen. Dabei eilen sie ziemlich rasch durchs Wasser und kehren die Breitseite nach vorn. Die Drehung findet nicht regelmäßig in einer Richtung statt (Pfeffer, 1884, S. 443). Auf plötzliche Verdunkelung halten sie still und kippen um, so dass die Breitseite sichtbar wird. Auf Zulassung des Lichtes schwimmen sie weiter. Manchmal sieht man auch unregelmäßig wackelnde Bewegungen mit Rotation um eine Querachse, doch nie bei den gut schwimmenden phototaktischen Kolonien. Die Vermeidung zu heller oder zu dunkler Stellen scheint hauptsächlich durch die beschriebene Einstellung der Bewegung zustande zu kommen, das Einschwenken in die Lichtrich- tung aber wie bei Volvox durch ungleiches Schlagen der Geißeln. Ganz ähnlich wie Volvox verhält sich nach meinen Versuchen auch Synura uvella. Der Organismus ist gleichfalls gut phototaktisch. Die Drehung verläuft meist entsprechend dem Uhrzeiger, doch manchmal auch „linksherum“. Der vorangehende Pol wechselt hier. Negative Reaktionen fand ich erst bei sehr intensivem Lichte, Schreckbewegungen konnten nicht beobachtet werden. Bei einseitig einfallendem Lichte war die Phototaxis gut ausgeprägt. Ich sammelte das Material aus dem zylindrischen Vorratsgefäße durch Abpipettieren der Flüssigkeit an der Fensterseite oben. Um einen sehr hellen Lichtfleck im mikroskopischen Gesichtsfelde sammelten sich die Kolonien unter lebhaftem Durcheinanderschwimmen schnell an. Die Körperdrehung nach Überschreitung der Lichtgrenze von Hell zu Dunkel war wenig ausgeprägt. Hier wie so oft macht die taktische Bewegung durch ihre Unregelmäßigkeit der Deutung große Schwierig- keiten. Dunkelfeldbeobachtung war wegen der Dicke der Objekte nicht gut möglich. Andere koloniebildende phototaktische Organismen standen mir bisher nicht zur Verfügung. Die Schwärmer von Oedogonium und Vaucheria sind gegen Licht nahezu indifferent. Bei den Bakterien findet, wie wir gehört haben, die Richtungs- nahme durch eine Folge von Schreckbewegungen statt. Diese Re- aktionen stellen sich als Rückzugsbewegungen mit darauffolgendem kurzem Stillstand der Geißeln dar, auf den ein Vorwärtsschwimmen in etwas abweichendem Winkel folgt. Die Schreckbewegungen wurden von Engelmann (1888) ent- deckt, von Rothert (1901) und Molisch (1907) weiter studiert. Reichert (1909) gelang es dann mit Hilfe der Dunkelfeldbeleuch- Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 305 tung, auch die Tätigkeit der Geißeln zu beobachten. Nach ihm sind diese in der Bewegung meist nach hinten gerichtet. „Das Um- kehren der Bewegung vollzieht sich bei den polar begeißelten Bakterien rasch, indem sich einfach die Geißelrotation umkehrt oder bei bipolar begeißelten Bakterien, die Geißeln sich gegenseitig ablösen. Bei peritrich begeißelten Bakterien dagegen geht das Um- kehren sehr langsam von statten. Die Bewegung muss erst einen Augenblick aussetzen und die Geißeln müssen die entgegengesetzte Orientierung zum Körper einnehmen“ (Reichert, 1909, S. 81). Entsprechendes hat Ulehla (1911, S. 691 ff.) gefunden. Was die Symmetrieverhältnisse der beweglichen Bakterien an- belangt, so können z. B. Spirillen, deren schraubige Drehung nicht genau ein oder mehrere ganze Windungen umfasst, nicht als voll- kommen radiär angesehen werden. Wichtiger dürfte die Richtung und die Wirkungsweise der Geißeln sein. Bei den Spirillen sind sie nach einer Seite umgebogen. Bei den beweglichen Coecen und Stäbchen kann eine Asymmetrie vor allem durch die seitliche Be- wegungskomponente des schraubig gekrümmten Geißelendes zustande ‘kommen. Welche von diesen Bau- und Bewegungsasymmetrien es sind, die die Drehungsrichtung und die erwähnte Winkelabweichung nach der Schreckbewegung in jedem einzelnen Falle bedingen, ist noch nicht völlig klar. Jedenfalls aber kommt z. B. bei zweiseitig begeißelten Spirillen die Umkehr durch die Tätigkeit des bisher ruhenden vorderen Geißelbüschels zustande. Die seitliche Abwei- chung muss durch den ersten lebhaften Schlag bewirkt werden. Ist der Körper dann in die mit der Vorwärtsbewegung verbundene Rotation versetzt, so heben sich die seitlichen Bewegungskompo- nenten auf, das Spirillum schwimmt nun geradeaus. Bei den von Ulehla genauer verfolgten „Clostridien“ (a. a. O., S. 6931.) ist die nicht tätige vordere (Einzel-?) Geißel zurückgekrümmt. Bei der Bewegungsumkehr tritt sie in Aktion, indem sie sich in die Ver- längerung des Körpers einstellt. Hiermit muss eine seitliche Verschie- bung verbunden sein. Ähnlich werden sich die übrigen Bakterien ver- halten, über die bei Reichert (1909) manche Angabe nzu finden sind. Es ist noch viel zu tun, bis alle Bewegungserscheinungen in ihrer räumlichen Anordnung auf eine morphologisch-physiologische Grundlage zurückgeführt sind. Ganz ähnlich wie die Bakterien verhalten sich nach Kusano (1909, S. 32ff.) die Schwärmer der Myxomyceten. Die chemotak- tische Ansammlung kommt durch Schreckbewegung zustande. Beim Verlassen der Reizlösung, in die sie durch Zufall geraten, stehen die Schwärmer einen Augenblick still, drehen sich nach der Seite und schwimmen dann wieder vorwärts. Dabei „gewöhnen“ sie sich an höhere Konzentrationen des Reizstoffes, so dass die Umkehr immer näher an der Kapillarenöffnung stattfindet. Je langsamer die XXXI. 23 354 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. Bewegungen sind, desto schlechter wird die Reaktion (1909, S. 36). Ob die Seitenabweichung stets in derselben Richtung stattfindet, ist hier wie bei Bakterien noch unentschieden. „Now, since it is diffieult to distinguish a structurally defined side in the swarm- spores of Myxomycetes just as in bacteria, we cannot decide wether the reaction is similar to what takes place in the nastic movement or not. The essential difference in the motive cause of the photo- taxıs and topotaxis is indeed a ınost difficult question“ (a. a. O., S. 40). Diese Sätze kann ich nur unterschreiben. Auch die eingeißeligen Algenschwärmer kann man wohl in diese Gruppe rechnen. Für sie habe ich nur eine einschlägige An- gabe finden können. Strasburger (1878, S. 25) beschattete Botrydium-Schwärmer, die dem Lichte zuschwammen. „Die parallel nebeneinander laufenden Schwärmer schwenken dann plötzlich zur Seite ab, manche drehen sich selbst im Kreise; doch das dauert nur einen Augenblick und sie nehmen ihre verlassenen Bahnen wieder auf; letztere erscheinen nur ım Verhältnis um so schiefer, je mehr die Lichtintensität abgenommen. Bei Helligkeitssteigerung werden die Bahnen sofort gerader, ohne dass die Schwärmer irgend- welche Erschütterung erfahren.“ Letzteres ist uns begreiflich. Eine Schreckbewegung auf Helligkeitsvermehrung wird nur bei negativ phototaktischen Schwärmern auftreten. 2. Von den Organismen der zweiten Gruppe habe ich vege- tative Zellen (sogen. Zoosporen) von einigen Chlamydomonas-Arten und von Haematococcus pluvialis zu Versuchen herangezogen. Diese sind, hauptsächlich durch die Stellung der Geißeln, bisymmetrisch, bis darauf, dass der „Augenfleck* nur in Einzahl vorhanden ist. Er scheint stets in der durch die Geißelansätze gehenden Ebene zu liegen und zwar dicht unter der Zellwand. Dadurch würden die Zellen also innerlich monosymmetrisch werden. Die Bewegung wird durch die am Vorderende eingesenkten und meist etwas nach hinten gebogenen Geißeln bewirkt. Sie ist mit einer Drehung um die Längsachse verbunden. Einseitig einfallendem Lichte schwimmen die Schwärmer entgegen, auch sammeln sie sich bei Beleuchtung von oben an hellen Stellen. Nach Jennings (1910, S. 223) reagieren Cryptomonas, Chla- mydomonas und die Schwärmsporen von (Cutleria so wie HKuglena, d.h. „stufenweise, mit einer Reihe von Probierversuchen“. Stras- burger (1878, S. 24) beobachtete Schwärmer von Haematococeus, die nach einer Veränderung der Lichtintensität zum anderen Tropfen- rande schwammen. Er sah sie „in ihrem Wege einhalten und nach verschiedenen Schwankungen in die durchlaufenen Bahnen zurückkehren“. Meine Versuche zur Aufdeckung einer Übergangsreizbarkeit zeigten, dass eine solche vorhanden, aber wenig ausgeprägt ist, viel Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 355 weniger als bei Yuglena-Arten. Wird ein heller Fleck im dunklen Gesichtsfelde erzeugt, so sammeln sich die Schwärmer in ihm. Bei Überschwimmen der Grenze von Dunkel zu Hell findet keine Ver- änderung der Schwimmrichtung statt, überhaupt keine sichtbare Reaktion. Individuen, die das helle Feld zu verlassen im Begriffe sind, überschreiten gewöhnlich die Grenze, falls sie nicht in ziem- lich schrägem Winkel auf sie treffen. Sind sie ins Dunkle zurück- gekehrt, so drehen sie früher oder später um und gelangen wieder ins Helle. Die Reaktion beim Übergange von Hell zu Dunkel be- steht, falls sie eintritt, in einer Körperwendung nach dem Hellen zu, wobei keine auffällige Erweiterung der Rotation des Körpers stattfindet. Auf plötzliche starke Verdunkelung des vorher sehr hellen Gesichtsfeldes mit Hilfe einer roten Glasscheibe sieht man vielfach nur einen vorübergehenden Stillstand der Geißelbewegung, aber keine Richtungsänderung des Körpers. Werden die Schwärmer, die in gutem Mikroskopierlicht annähernd gerade oder gebogene Bahnen durchlaufen, plötzlich grell beleuchtet, so hören sie durch Festkleben der Geißeln bald mit der Bewegung auf, um bei nicht zu spät erfolgender Herabsetzung der Helligkeit wieder beweglich zu werden. Diese Versuche werden mit Hilfe des Projektionsapparates ge- macht, dessen 40amperige Bogenlampe durch den Kondensor ein grelles Bild des Lichtbogens auf dem Spiegel des Mikroskopes er- zeugte. Das Auge wurde durch ein Käppchen auf dem Okular ge- schützt, das eine dunkelgrüne und eine dunkelrot gefärbte Gelatine- scheibe enthielt. Der Spiegel war oberflächlich versilbert, um doppelte Bilder der Lichtquelle zu vermeiden. An die Stelle des Beleuchtungsapparates kam ein schwaches achromatisches Objektiv, mit Hilfe dessen z. B. ein rundes Loch in einer rotgelb oder rubinrot gefärbten Gelatineschicht in der Ebene des Präparates entworfen werden konnte (vgl. Pringsheim, 1908). Ein Wasser- kühler mit stark laufendem Zu- und Abfluss verhinderte zu starke Erwärmung des Präparates. Die schwärmerhaltige Flüssigkeit wurde auf Objektträger gebracht, auf die eine dünne Glasplatte mit rundem Loche aufgekittet war. Diesen Hohlraum erfüllte sie ganz. Das Deckglas wurde ohne Luftblase mit Vaseline aufgekittet. In manchen Versuchen blieb es auch fort. Weiter wurden dann Versuche angestellt mit einem fast senk- recht zur optischen Achse des Mikroskopes wenig schräg von oben einfallenden Lichtbündel, wie es am Projektionsapparat mit Hilfe einer stark konvex gewölbten Beleuchtungslinse erzeugt werden konnte. Das Licht vom Spiegel wurde durch schwarzes Papier oder eine Rubinglasscheibe abgeblendet. Die Schwärmer der Chlamydo- monadaceen schwammen meist dem Lichte entgegen, einige auch in entgegengesetzter, wenige in anderer Richtung. Wurde plötz- 920 [79 } 356 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. lich eine Rubinglasscheibe oder eine Methylorangegelatinefilter (E. Pringsheim, 1908) in den Gang der Strahlen gebracht, so verloren die Schwimmbahnen ihre regelmäßige Richtung, ohne dass meist eine eigentliche Übergangsreaktion beobachtet werden konnte, auch wenn der Helligkeitssprung recht bedeutend war. Wurde das richtende Licht wieder zugelassen, so war fast augenblicklich die alte Ordnung wieder hergestellt. Am vorderen Rande des Präpa- rates angelangt, blieben die meisten Schwärmer mit den Geißeln dem Lichte zugekehrt, um nach einer Drehung des Objekttisches mit dem Präparate umzukehren. Alles das sind Beobachtungen, die über das, was Strasburger gesehen hat, nicht wesentlich hinausgehen. Die von Jennings konstatierten Probierbewegungen, die denen von Kuglena gleichen sollen, konnte ich zunächst nicht bemerken. Diese erfolglos gebliebenen Versuche führe ich hauptsächlich deshalb an, um zu zeigen, dass bei den Chlamydomonadaceen die tatsächlich vorhandene Schreckreaktion nicht stets deutlich wird und jedenfalls nicht so leicht aufzufinden ist wie bei Euglenaceen. Um positive Ergebnisse zu erzielen, muss man frisches, gut photo- taktisches Material zur Verfügung haben. In älteren Kulturen sammeln sich die Schwärmer, ebenso wie bei Euglenaceen, zwar noch allmählich im Lichte, die phototaktische Reaktion ist aber zu träge, als dass sie bei den einzelnen Individuen mit Sicherheit be- obachtet werden könnte. Daher sind dann die Übergangsreaktionen, die nie so kräftig vor sich gehen wie bei Kuglena- und Phacus- Arten, nicht regelmäßig zu finden. Benutzte ich aber Material aus frischen Kulturen, die in Erd- abkochung mit Kaliumnitrat sich sehr üppig vermehrten, so war die Phototaxis äußerst stark, und die Schreckbewegung konnte unter den verschiedensten Umständen mit großer Zuverlässigkeit hervor- gerufen werden. Schon ein Zuziehen der vorher oflenen Irisblende genügte bei Beleuchtung mit Hängeglühlicht und Schusterkugel, um die Schreck- bewegung hervorzurufen. Besser zu beobachten war das Verhalten bei plötzlichem Einschalten eines Methylorangegelatinefilters oder einer Rubinglasscheibe. Man sah dann die geradlinig dahineilenden Schwärmer nach der Beschattung eine plötzliche Drehbewegung machen, die bei ein und derselben Art stets nach derselben Seite erfolgte und bis 180° betragen konnte. Die klarsten Resultate gewann ich, als ich sehr gut photo- taktische Chlamydomonas-Schwärmer aus einer jungen Kultur ın Erdabkochung mit Kalısalpeter mit Dunkelfeldbeleuchtung beob- achtete. Schon bei schwacher Vergrößerung (Leitz Obj. 2, Ok. 1) sah man die Schwärmer nach der allein hell beleuchteten Mitte hin- eilen und sich in Massen dort anhäufen. Wurde eine kleine Bogen- Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 3D7 lampe zur Beleuchtung, und die Immersion Leitz !/,,a mit Komp.- Okular 4 oder 8 zur Beobachtung benutzt, so konnte die Bewegung und einigermaßen auch die Tätigkeit der Geißeln im Dunkelfelde verfolgt werden. Nach Einschalten eines Methylorangefilters traten die oben beschriebenen Schreekbewegungen wieder ein. Dabei wurden gewöhnlich beide oder hauptsächlich eine von den vorher nur als schimmernder Rotationskegel sichtbaren Geißeln deutlicher erkenn- bar. Sie wurden nach vorn geschnellt und bewirkten dadurch offen- bar das Zurseiteschwenken oder Umkehren. Bei den sich lebhaft auf der Stelle drehenden Individuen, wie sie in den Präparaten immer gefunden werden, sah ich oft die Geißeln gekreuzt, so dass also die rechte nach links, die linke nach rechts hinüber geschlagen war. Ob das aber auch bei den eigent- lichen Schreckbewegungen geschieht, konnte nicht entschieden werden. Niemals sah ich bei Ohlamydomonas auf Helligkeitsschwankungen hin die für Euglenaceen bezeichnende Kreiseldrehung, bei der der Körper mehrfach um eine Querachse rotiert. Nach Vollführung einer Wendung, die höchstens 180°, oft aber weniger betrug, wurde die Vor- wärtsbewegung wieder aufgenommen. Immerhin konnte ich oft sehen, dass alle im Gesichtsfeld befindlichen Schwärmer sich auf das Ein- schalten der gefärbten Scheibe hın momentan drehten, ganz ähnlich wie etwa Kuglena viridis. Sind die Schwärmer weniger gut phototak- tisch, so ist die Körperwendung nur gering und kann leicht über- sehen werden, besonders wenn man sie noch nicht kennt. Schließlich beobachtete ich bei Chlamydomonas auch unter folgenden Umständen eine unverkennbare Schreckbewegung: Es wurde mit Hilfe einer kleinen Bogenlampe und einer Beleuchtungs- linse eine sehr grelle Beleuchtung ım Mikroskop erzeugt. Dann wurde auf die fast offene Irisblende des Mikroskopes ein Streifchen tiefdunkelroter Gelatinefolie gelegt und zwar so, dass die Grenze zwischen hellerweißer und roter Beleuchtung in die Mitte des Gesichtsfeldes fiel. Die Schwärmer schraken fast alle beim Über- gang von weiß zu rot zurück, indem sie unter Vorwärtsschnellen der Geißeln einen Augenblick schräg rückwärts schwammen, still hielten und in scheinbar beliebiger Richtung weiter eilten. Der Vorgang ähnelte dem bei Bakterien, z. B. bei Purpurbakterien ın der „Lichtfalle“ zu beobachtenden. Um mich gerade bei diesen für die behandelte Frage so wich- tigen Objekten nicht auf eine einzelne Reizbeantwortung zu ver- lassen und zu zeigen, dass die Art der Reaktion gegenüber ver- schiedenen Anlässen dieselbe ıst, zog ich auch chemische Reize in den Kreis meiner Versuche. Schon durch Pfeffer (1384, S. 444) und Massart (1889, S. 559) war bekannt, dass die osmotaktische Reaktion der Volvo- cineenschwärmer phobotaktische Gestalt annimmt, die nach Massart 358 P’ringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. der Schreckbewegung der Bakterien ähnelt. Für die Chemotaxis lagen keine Angaben vor. Die Schwärmer von Chlamydomonas reagieren, wie wir durch Frank (1904) wissen, auch chemotaktisch. Wollte ich feststellen, ob hierbei eine tropistische oder eine Übergangsreizbarkeit vorliegt, so musste für eine schnelle aber diffuse Änderung in der chemischen Zusammensetzung der Kulturflüssigkeit gesorgt werden, da örtliche Verschiedenheiten schwer mit der nötigen Sicherheit zu erzielen sind. Eine solche konnte nur mit Hilfe von gasförmigen Stoffen bewirkt werden (Rothert, 1901, S. 400). Ich wählte die Dämpfe von Essigsäure, Ammoniak, Chloroform und Äther. Zu den Ver- suchen diente eine unten auf einen Objektträger aufgekittete Gas- kammer, die oben das Deckglas mit einem Hängetropfenpräparat trug. Durch die Kammer konnte mit Hilfe eines Gummigebläses ein Luftstrom getrieben werden, der entweder eine Waschflasche mit der verdünnten Lösung der obigen Substanzen durchstrich oder — nach Umstellung eines Dreiweghahnes — eine Flasche mit destil- liertem Wasser. Die Verdünnungen wurden empirisch so herge- stellt, dass die Schwärmer in den die Dämpfe aufnehmenden Hänge- tropfen nach kurzer Einwirkung ihre Bewegung einstellten und sie nach darauffolgender Durchlüftung wieder aufnahmen. Bei Chloro- form und Äther konnte das mehrmals wiederholt werden, bevor die Organismen zugrunde gingen. Auch hier zeigten zunächst weder C'hlamydomonas noch Hae- matococcus eine sicher als Schreckbewegung anzusprechende Reaktion, wie sie z. B. bei Kuglena gracilis unter entsprechenden Umständen mit größter Eleganz auftrat. Ich sah nur, und zwar in der Mehr- zahl der Fälle, dass eine Geißel vor der anderen ihr Spiel aufgab und der Schwärmer dadurch im Kreise herumgetrieben wurde. Bald darauf erfolgte dann völliger Stillstand, häufig unter Abwerfen der Geißeln. Blieben diese aber erhalten, so begann die Bewegung nach dem Verjagen der schädlichen Dämpfe sehr bald mit einem Züngeln der Geißelenden, worauf der Schwärmer davonschwamm. Dies Wiederauflebenlassen gelang mit den Narkotieis sehr viel besser als mit der Essigsäure und dem Ammoniak, die sich nicht so schnell wieder verjagen ließen. Die Reaktionsweise war bei Haematococcus pluvialis dieselbe wie bei einem relativ großen rund- lichen Chlamydomonas, wohl Chl. Braumii. Bei Haematococeus konnte ich überhaupt niemals eine ganz zweifellose Schreckbewegung fest- stellen. Auch unter den Chlamydomonas-Arten reagieren, wie es scheint, nicht alle gleich deutlich auf Übergangsreize. Am besten sah ich die Schreckreaktion außer bei der schon erwähnten Form aus Erdabkochung mit Salpeter an einer kleinen elliptischen Chla- mydomonas-Art, die in einer Kultur mit Stärke spontan auftrat und sehr beweglich war. Bei dieser konnte mit dem erwähnten Apparat Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 359 und ebenso unter Benutzung von Kapillaren mit Lösungen, die eine negativ osmotaktische Reaktion hervorriefen, eine Schreekbewegung erzielt werden. Ähnliche Beobachtungen liegen von Ulehla (1911, S. 698) vor, nach dem Ohlamydomonas „mit einer prompten Reaktion im Sinne von Jennings antwortet“. Er hat auch die Schreckbewegungen genau verfolgt. Dass ich die Existenz einer echten Phobotaxis durch direkte Beobachtung nicht überall mit Sicherheit nachweisen konnte, dafür liegt der Grund offenbar in der Schnelligkeit und Sicherheit der Reaktion. Das Wenden und Umkehren erfolgt hier fast momentan, eine Nachwirkung ist nicht zu sehen. Daher hat ein diffuser Wechsel der Reizintensität meist keine Nachwirkung, wie sie bei Kuglena als Schreckbewegung in die Erscheinung tritt. Nur bei besonders intensiven Übergangsreizen wird eine Schreckreaktion ersichtlich. Die angeführten Beobachtungen aber und die früher aufgezählten allgemeinen Gründe sprechen wohl doch dafür, dass auch hier ein zeitlicher Wechsel den Reizanlass abgibt, als dessen Folge uns nur scheinbar eine topotaktische Reaktion entgegentritt. In diese Gruppe gehören wohl auch die symmetrischen zwei- geißeligen Schwärmer von Saprolegnia, für die keine eingehenderen Beobachtungen vorliegen, die aber Rothert (1901) zu den typisch topotaktischen Objekten rechnet. Wie Jennings (1910, S. 187) betont, ist die Untersuchung wegen der Kleinheit und Schnellig- keit der Objekte schwer. Leider ist es auch Ulehla (1911, S. 649) nicht gelungen, die Geißelbewegungen der Saprolegnia-Schwärmer ultramikroskopisch zu studieren, so dass hier eine Lücke bleibt. Dagegen hat derselbe Forscher bei den zweigeißeligen Schwärmern von Ulva und Coleochaete (a. a. O., S. 704 und 705) eine echte Schreckbewegung aufgedeckt, bei der die Bewegungsorgane nach vorn geschnellt werden, so dass der Körper einen Rückstoß bekommt. Entsprechend dürfen sich wohl alle nach demselben Prinzip gebauten Algenschwärmer verhalten. Für einige scheint Ulehla (a. a. O., S. 703) entsprechende Beobachtungen gemacht zu haben. Abgesehen von der geringeren Nachwirkung einer Veränderung der Reizintensität, kommt bei den Organismen der zweiten Gruppe die Einstellung in die Liehtrichtung oder die chemotaktische Re- aktion genau so zustande, wie sie für Euglena durch Jennings genau studiert worden ist und wie sie im folgenden beschrieben werden soll. D. h. die Körperwendungen, die an sich nichts mit der Reizrichtung zu tun haben, werden so oft wiederholt, bis dıe Schwimmbahn dem Reiz entsprechend verändert ist. 360 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen 3. Die dritte Gruppe, die der dorsiventralen Schwärmer, ent- hält jene Organısmen, für die die Phobotaxis am leichtesten nach- zuweisen ist, nämlich die Flagellaten vom Typus der Euglenen. Über ihren Bewegungsmodus sind wir durch die Untersuchungen von Engelmann, Jennings und Molisch gut unterrichtet. Nur das Wesentlichste soll hier herangezogen werden. Bei den während der Vorwärtsbewegung rotierenden Orga- nismen wird durch die Drehung eine gleichmäßige Beeinflussung durch ein in der Schwimmrichtung wirkendes Reizagens erzielt. So sind z. B. bei einem phototaktischen Schwärmer, der in der Licht- richtung schwimmt, keine Differenzen in der Menge der vom ganzen Körper oder von einem Punkt der Oberfläche in der Zeiteinheit aufgefangenen Lichtmenge vorhanden. Er verhält sich, als würde er am Klinostaten gedreht. Wenn man die bei der Drehung um 360° durchlaufenen Phasen als zusammengehörig betrachtet, so ist gewissermaßen durch die Rotation aus den unsymmetrischen ein radiärer Organısmus geworden. Bilden dagegen Schwimm- und Reizrichtung einen Winkel miteinander, so ist die Symmetrie auf- gehoben, ein bestimmter Körperpunkt durchläuft einen Kreis, dessen Ebene nicht mehr senkrecht zu der Einwirkungsrichtung des Reiz- agens steht und wird sich deshalb bald von der Reizquelle ent- fernen, bald ıhr nähern, wodurch er in einem der Intensität nach abgestuften Reizfelde einem zeitlichen Wechsel der Reizstärke unter- liegt. Man denke wieder an einen phototaktischen Schwärmer, bei dem etwa die lichtempfindlichste Stelle) vor dem Augenflecke läge. Diese würde dann von dem roten Pigmente bald beschattet, bald freigelassen, wodurch sie einer der Intensität nach rasch wechseln- den Beleuchtung unterläge. Aber auch ohne Augenfleckfarbstoff und selbst ohne örtlich beschränkte Lichtempfindlichkeit wird eine zeitliche Veränderung der aufgefangenen Lichtmenge an bestimmten Oberflächenteilen nun unvermeidlich sein, nur dass sie bei der- artigen Organismen geringer ausfällt. Ähnliche Überlegungen gelten für einen chemotaktischen Schwärmer bei ungleicher Verteilung eines Reizstoffes. Nehmen wir einen positiv chemotaktischen Orga- nısmus in einer Flüssigkeit mit schichtenweise abgestufter Reiz- stoffkonzentration an. Schwimmt er senkrecht zu den Schichten und der höheren Konzentration zu, so wird ein Punkt der Ober- fläche bei der Drehung immer dieselbe oder allmählich steigende Konzentration treffen. Schwimmt er aber in anderer Richtung, so kann der Punkt aus stärkerer in schwächere Lösung geraten. Das gilt für alle Oberflächenteile. Nimmt man nun an, dass der zeitliche Wechsel der Reizinten- sität als Übergangsreiz eine Bewegung zur Folge hat, deren Art 3) Wie bei Euglena nach Engelmann. Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 361 durch den Bau des Organismus festgelegt ist, so kommt man im Sinne der Jennings’schen Auffassung zu einer Theorie der tak- tischen Richtungsbewegungen auf Grund der „Schreckreaktion“. Solche Schreckbewegungen müssen dann Veränderungen in der Richtung der Körperachse darstellen, die so oft wiederholt werden, bis die Einstellung der Rotationshauptachse in die Richtung des Reizagens erfolgt ist. Die Körpereinstellung beruht auf der Aus- führung mehrerer Schreckbewegungen bis zur Erreichung des Zieles. Beobachtungen habe ich an einer großen Anzahl von Euglenen- und Phaeus-Arten angestellt. Bei den stark metabolischen Arten, wie Euglena viridis, gracilis, variabilis ete. ıst mit der Schreck- bewegung auf plötzliche Verdunkelung, z. B. mit Hilfe einer rubin- roten Scheibe, meist eine Einkrümmung des Körpers verbunden, wie ıch das schon früher beschrieben habe (1908, S. 562). Die Drehung wird mehrmals ganz schnell hintereinander wiederholt, sie wird zur „Kreiselrotation“. Ziemlich plötzlich, bei Zulassung des Lichtes früher, streckt sich der Körper und die Vorwärtsbewe- gung wird wieder aufgenommen. Die wenig metabolische Euglena acus dreht sich weniger. Bei dieser sah ich nie eine Wendung um 90°, sondern nur ein Stutzen unter Erweiterung des Rotations- trichters auf etwa 30° und auch das nur, wenn sie dem im kleinen Winkel auffallenden Lichte entgegenschwamm, nicht aber bei Beleuchtung von unten. Im übrigen schwamm und reagierte sie sehr elegant auf Lichtreize. Bei Phacus pyrum konnte besonders schöne Schreckbewegung mit mehrmaliger Rotation beobachtet werden®). Auch bei mehreren anderen Flagellaten, z. B. Orypto- monas, sah ich Schreckbewegungen, doch habe ich die Arten nicht bestimmt, auch die Erscheinungen nicht weiter verfolgt, da über das Vorhandensein der Schreckreaktionen nach Ulehla’s Befunden (1911, S. 668ff.) kein Zweifel bestehen kann. Mit Dunkelfeldbeleuchtung ist an den meisten Euglenaceen wenig zu sehen, weil die bogig nach rückwärts geschlagene Geißel sich sehr schnell bewegt und von dem stark leuchtenden Körper überstrahlt wird. Bei Kuglena acus sah ich oft ein paar in relativer Ruhe befindliche Schleifen der Geißel nahe dem Vorderende, wäh- rend der Rest unsichtbar blieb. Hieraus lassen sich natürlich keine Schlüsse auf die Mechanik der Bewegungen ziehen. Sonst wurde bei Euglena viridis und variabilis, sowie bei Phacus pyrum im Mo- ment des Beginns der Schreckbewegung die Geißel oft sichtbar, um aber gleich wieder durch die Schnelligkeit des Schwingens dem Auge zu entschwinden. Bei Euglena deses, die ich nie mit Geißeln 4) Einmal zählte ich, wie oft sich ein Exemplar nach dem Einschalten einer gelbroten Scheibe drehte. Ich kam auf 75mal, wartete aber das Ende nicht ab, sondern ließ wieder weißes Licht zu und sah den Phacus weiterschwimmen als wäre nichts geschehen. 362 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. gesehen habe, beobachtete Ulehla (1911, S. 674), dass die Schreck- reaktion durch plötzliche Richtungsänderung der Geißel zustande kommt. 4. Von den zur vierten Gruppe gehörenden, den unsymmetrisch gebauten Schwimmern sind die Infusorien von Jennings, die Sper- matozoen der Farne von Hoyt als phobotaktisch entlarvt worden. Ihre Reaktionsweise weicht in nichts wesentlichem von der von Erglena ab. Für die Samenfäden der Charen und der Laubmoose stehen Untersuchungen noch aus, doch spricht die Analogie mit denen der Farne im Bau und in der ohne weiteres sichtbaren Be- wegungsart dafür, dass sie auch ım Verhalten mit ihnen überein- stimmen, um so mehr, als Ulehla (1911, S. 725) bei den Mar- chantia-Spermatozoiden eine echte Schreckreaktion fand. Für Peridineen habe ich nur wenig Angaben finden können. Küster (1908, S. 353 und 360) fand bei dem von ihm kultivierten (ymmodinium fucorum offenbar sehr deutliche Schreckbewegungen, die auf mechanische und osmotische Reize hin ausgeführt wurden. Phototaxis gibt z. B. Ohno für ein Gymnodinium an. Eine ähn- liche Art, deren Name nicht festgestellt wurde, stand mir aus einem Schilftümpel des Hallischen Gartens zur Verfügung. Die Versuche wurden ım Növember 1911 und April 1912 angestellt. Auch meine Gymnodinien waren gut phototaktisch. Im Kulturzylinder, in dem sie sich mit Wasser vom Standorte wochenlang hielten und ver- mehrten, bevorzugten sie die oberen Wasserschichten auf der Fenster- seite. Auch sammelten sie sich z. B. in der Engelmann’schen Lichtfalle. Dabei konnte ich regelmäßig bei dem Übergang aus dem Hellen ins Dunkle eine Schreckbewegung beobachten, die ähn- lich wie bei Euglenen in einer erweiterten Rotation der Körper- achse unter Verlangsamung des Vorwärtsschreitens bestand, aber niemals wie dort bis zur Kreiseldrehung ging. Außerdem konnten die Schwärmer eine Strecke weit zurückfahren. Bei Dunkelfeld- beobachtung mit Hilfe des Leitz’schen Spiegelkondensors und der Immersion !/,,a sammelten sich die Gymnodinien in dem von einer kleinen Bogenlampe entworfenen Lichtflecke. Dabei konnten die Längsgeißeln gut verfolgt werden; die Quergeißeln dagegen sah man nur wie eine undulierende Membran flimmern. So viel konnte ich deutlich erkennen, dass die kräftige Längsgeißel beim Geradeaus- schwimmen fast unbeweglich nachgeschleppt wird und höchstens in einem ganz engen Kegel schwingt. Da die motorischen Geißeln sonst überall so schnell schlagen, dass man sie kaum sieht, so kann man daraus wohl schließen, dass die Längsgeißel bei der Vorwärts- bewegung keine große Rolle spielt, so dass die Quergeißel die Rotation und die Vorwärtsbewegung bewirken muss. Die Schleppgeißel kommt bei den Körperwendungen in Funktion und be- Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. 365 tätigt sich als sehr wirksames Steuer, das rasche Körperwendungen erlaubte. So erklärt sich auch die nicht übermäßig schnelle, aber sehr elegante Schwimmweise. Es wäre das eine Bestätigung der Ansicht von Bütschli (Oltmanns, 1904, S. 44). Ob andere Arten in der Weise, wie es Schütt annimmt und wie das z. B. auch bei Lemmermann (1910, S. 590) beschrieben ist, hauptsäch- lich durch Kegelschwingungen der Längsgeißel vorwärts kommen, muss vorläufig unentschieden bleiben. Unter dem Deckglase und bei Erwärmung werden die Gymno- dinien bald unbeweglich. Letzteres wurde durch Einschaltung einer Kuvette mit verdünntem Kupferoxydammoniak vermieden. Ich bekam so ein sehr angenehmes Licht für Dunkelfeldbeobachtung. An den stilliegenden Exemplaren habe ich niemals etwas von den Geißeln entdecken können. Auch verquollen diese Individuen immer sofort, wie das ja auch von anderen Peridineen-Arten bekannt ist. Alles ın allem kann zwischen der dritten und vierten Gruppe kein tiefgreifenderer Unterschied in der Reaktionsweise gefunden werden. Der Grad der Asymmetrie weist aber auch alle Übergänge auf. Stärker unregelmäßige Organismen standen mir bisher nicht zur Verfügung. Blicken wir zurück, so ist der Nachweis einer für phototak- tische Reaktionsweise ausreichenden Übergangsreaktion oder Schreck- bewegung unter allen untersuchten Organismen nur für die Kolo- nien der Volvocaceen und von Synura nicht zu erbringen gewesen. Dies sind aber gleichzeitig die einzigen wirklich radıär gebauten Objekte, die außerdem aus vielen Individuen zusammengesetzt sind. Würde bei ihnen eine plötzliche diffuse Beschattung die gleiche Schreckreaktion aller Einzelgeißeln bewirken, so brauchte deshalb doch keine Wendung oder Rückwärtsbewegung zu erfolgen. Ant- wortet aber jedes einzelne beschattete Individuum mit einem stärkeren Geißelschlag, so muss bei seitlicher Beschattung durch den Körper selbst, eine Wendung erfolgen, die der Lichtriehtung zuführt. Ich will nicht behaupten, dass wirklich die Einzelzellen in dieser Weise selbständig reagieren. Es liegt mir nur daran, zu zeigen, wie trotz mangelnder Schreckbewegung doch zeitliche Intensitätsschwankungen die Richtungsbewegungen veranlassen könnten. Immerhin ist gerade hier die örtliche Intensitätsdifferenz als Reizanlass auch ganz ein- leuchtend. Bei sehr schneller Folge von Perzeption und Reaktion, also kurzer Reaktionszeit, wäre die Rotation um die Längsachse kein Hinderungsgrund. | Von den übrigen Organismen, die alle eine mehr oder weniger deutliche Schreckreaktion aufweisen, vollführen dieannähernd radiären meist eine Rückzugsbewegung, die mehr oder weniger unsym- metrisch gebauten aber eine Dreh- bis Kreiselbewegung. Im ein- zelnen kommen sehr große Verschiedenheiten vor, die nur durch 364 Pringsheim, Das Zustandekommen der taktischen Reaktionen. genaues Studium des Baues und der Geißeltätigkeit aufgedeckt weıden können. Nach der Art der Reaktion wäre vielleicht an Stelle der obigen vorläufigen Vierteilung eine solche in drei Gruppen zu empfehlen: 1. Radıiärer Körperbau, Reaktion durch Körperwendung: Die Coenobien der Volvocaceen und die Ähnlich gebauten Flagellaten- kolonien, wahrscheinlich auch die Schwärmer von Vaucheria. 2. Körper radiär, Bewegungssystem durch die Geißeln asym- metrisch mit Rückzugsbewegung auf Übergangsreize: Die niedrig stehenden Bakterien und Myxomyeetenschwärmer, sowie etwa die von Botrydrium. 3. Mehr oder weniger unsymmetrisch gebaut, mit Schreck- reaktion, die aus Wenden, Kreisen, Zurückfahren zusammengesetzt ist, mit verschieden starker Betonung dieser einzelnen Bewegungs- faktoren: Infusorien, Flagellaten, Peridineen, Spermatozoen der Archegoniaten u. s. f. Hierzu käme dann vielleicht noch als vierte Gruppe die der nichtrotierenden Organismen, über die keine Beobachtungen vor- liegen. Über die gleitenden und kriechenden Diatomeen, Desmidia- ceen, Oscillarieen, die meist phototaktisch sind, an ich mich hier nicht auslassen, da nichts für unsere Frage verwertbares be- kannt ist. Durch die vorliegenden Erörterungen soll nicht an Stelle des Dogmas von der tropistischen (topischen) Reaktionsweise nun das Dogma von der Schreckbewegung gestellt werden. Nur, dass beides zusammen bei demselben Individuum vorkommt, scheint wenig wahr- scheinlich, weil ein bestimmter Organismus bei relativ einfachem Bau nur einen von der Bewegungsart abhängigen Reaktionsmodus besitzt. Im übrigen herrscht die größte Mannigfaltigkeit, eine sehr viel größere wohl als man vorläufig weiß, der nur durch Einzel- beobachtungen beizukommen ist. Für diese ist ın der Dunkelfeldbeleuchtung ein gutes Hilfs- mittel gegeben. Doch macht die Schnelligkeit der Bewegung bei der Untersuchung große Schwierigkeiten, die wohl ebenso wie bei der Analyse etwa des Vogelfluges nur durch Momentphotographie, am besten mit Hilfe des Kinematographen überwunden werden können. Ob dazu die technischen Hilfsmittel heute schon aus- reichen, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls sind Theorien über Richtungsbewegungen ohne genauere Kenntnis der Schwimm- weise niemals endgültig. So konnten für manche Objekte leider auch nur Wahrscheinlichkeitsgründe dafür angeführt werden, dass es vorwiegend der zeitliche Wechsel der Reizintensität ist, der den Reizanlass darstellt. Ob nicht für die radiären Organismen doch vielleicht die Vorstellung von der ausschlaggebenden Bedeu- Moeser, Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. 365 tung der örtlichen Intensitätsdifferenzen des Reizmittels Geltung hat, konnte nicht endgültig entschieden werden. Literaturübersicht. Engelmann, Th. W. Die Purpurbakterien und ihre Beziehungen zum Lichte. Botan. Zeit., Bd. 46. 1888. Frank, Th. Kultur und chemische Reizerscheinungen der Chlamydomonas tingens. Botan. Zeit., Bd. 62. 1904. Fuhrmann, F. Die Geißeln von Spirillum volutans. Centralbl. f. Bakt., Abt. I, Bd. 25451909. Hoyt, W. D. Physiological aspects of fertilization and hybridization in ferns. Botanical Gazette, vol. 49. 1910. Jost, L. Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. 2. Aufl. Jena 1908. Jennings, H. S. Studies on reactions to stimuli in unicellular Organisms I. Reactions to chemical, osmotie and mechanical stimuli in the ciliate Infusoria. Journal of Physiology, Vol. 21, S. 258. 1897. — Das Verhalten niederer Organismen. Übersetzt von E. Mangold. Leipzig und Berlin 1910. Küster, E. Eine kultivierbare Peridinee. Arch. f. Protistenk., Bd. 11. 1908. Kusano, S. Studies on the chemotactic and other related reactions of the swarmspores of Myxomycetes. Journal of the College of Agriculture. Imp. Univ. of Tokyo, Vol. II. 1909. Lemmerman, E. Algen I. Kryptogamenflora der Mark Brandenburg. Bd. II. 1910. Massart. Sensibilitö et adaption des organismes ä la concentration des solutions salines. Archives de Biologie, Bd. IX. 1889. Molisch, H. Die Purpurbakterien. Jena 1907. Oltmanns, F. Morphologie und Biologie der Algen. Bd. I. Jena 1904. Pfeffer, W. Lokomotorische Richtungsbewegungen durch chemische Reize. Unter- such. aus dem botan. Inst. zu Tübingen I, Leipzig 1881—85, S. 363. 1884. — Uber chemotaktische Bewegungen von Bakterien, Flagellaten und Volvocineen. Untersuchungen aus dem botan. Inst. zu Tübingen II, Leipzig 1886—88, S. 582. 1888 — Pflanzenphysiologie. 2. Aufl., Bd. II. 1904. Pringsheim, E.G. Über die Herstellung von Gelbfiltern u. s. f. Ber. d. deutsch. botan. Ges., Bd. XXVlIa. 1908. — Die Reizbewegungen der Pflanzen. Berlin 1912. Reichert, K. Über die Sichtbarmachung der Geißeln und die Geißelbewegung der Bakterien. Centralbl. f. Bakt., I. Abt., Bd. 51. 1909. Rothert, W. Beobachtungen und Betrachtungen über taktische Reizerscheinungen. Flora, Bd. 88, S. 371. 1901. Strasburger, E. Wirkung der Wärme und des Lichtes auf Schwärmsporen. Jena 1878. Ulehla, VI. Ultramikroskopische Studien über Geißelbewegung. Biol. Centralbl. Bd. 31. 191% Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. Von W. Moeser, Berlin-Steglitz. In der neuesten Zeit hat sich immer mehr die Anschauung geltend gemacht, dass das Wachstum einen autokatalytischen Charakter habe. Dies ist wohl zu nicht geringem Teile dem Erfolge zuzu- schreiben, den Brailsford Robertson!) mit der Anwendung der 1) Arch. f. Entw.-Mech. 1908, XXV, S. 581. 366 Moeser, Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. chemisch-physikalischen Formel der Autokatalyse auf das Wachs- tum von Pflanzen und Tieren erzielt hat. In der Tat musste dieser Erfolg, mit einer so einfachen Formel annähernd richtige Werte zu bekommen, für die Richtigkeit der Theorie sprechen. Robertson hat die in Rede stehende Formel nach seiner Weise dem zu lösen- den Problem anzupassen versucht, ist aber darin nicht glücklich gewesen. Nach ihm soll ın jedem besonderen Wachstumszyklus eines Organes oder eines speziellen Gewebes die maximale Zunahme nach Volumen und Masse in der Zeiteinheit dann stattfinden, wenn der Zyklus halb vollendet ist. Dies ist generell aber nicht der Fall, da das Wachstum nicht als Funktion der Zeit allein betrachtet werden kann. Bei Pflanzen ist beispielsweise die bedeutsame Rolle, die die Temperatur bei dem Wachstum spielt, längst erkannt. Diese sowie andere Umstände bewirken eine andere Verteilung der maxi- malen Zuwachse. In der von ıhm benutzten logarithmischen Formel: log — u — x. (t =—— t,) soll sein: A der Gesamtbetrag der Zunahme des Wachstums während des ganzen Zyklus, x das Gewicht oder Volumen der Zunahme, das zur Zeit t erreicht ist, und t, die Zeit, wo das Wachstum halb vollendet ist, x die Konstante der Geschwindigkeit der Zunahme. Wenn man die von Robertson benutzte Formel auf das Streckungs- wachstum von Pflanzen anwenden wollte und beispielsweise die Zeit t, aus der Tabelle einer großen Periode ablesen wollte, so wird man betreff der genaueren Bestimmung von t, oft in Verlegen- heit geraten. Da auch die maximale Zunahme meist nicht in die Mitte der Periode fällt, wie schon oben betont wurde, so kommt dadurch in die Rechnung ein unnötiger und beträchthicher Fehler. Um diesem Übelstande abzuhelten, oselinen wir folgendermaßen: Es gilt, wenn das Wachekon durch Autokatalyse stattfindet, die Gleichung: dx je len. Die Integration dieser SE ergibt: IP. ' Rechnen wir die Zeit von dem Beginn der Beobachtung ab, so hat x für t=o den Wert |, also ıst: 1 l 3. — In —=(C. ae he Durch Subtraktion = ee 2. und 3. erhalten wir so: 4. in (= x.t-L. l- nn = = Moeser, Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. 367 Dies ist die von mir benutzte Gleichung. Es bedeutet 1 die zu Beginn der Beobachtung gemessene Länge des Organes, L die nach Beendigung der großen Periode erreichte Länge und x die zu einer Zeit t gemessene Länge, wobei natürlich vorausgesetzt ist, dass sich der Querschnitt des zylindrisch gedachten Organes während der ganzen Zeit nicht ändert; andernfalls haben wir die analoge Gleichung: e re 5. In RE »t-V; wo V das Endvolumen, v das Anfangsvolumen und x das zur Zeitt erreichte Volumen bedeutet. Bei der Anwendung der Gleichung können wir‘ von den konstanten Faktoren L und V rechts absehen. Wenn die Theorie zutrifft, muss der Wert Rn (L—]).x t l-(L— x) für alle zusammengehörigen Worte von x und t konstant bleiben. Ich gebe sofort einige Anwendungen der Gleichung. Sachs?) hatte an der Wurzel von Vicia Faba am Vegetationspunkt eine Zone von 1 mm durch 2 feine Tuschestriche markiert und gefunden, dass diese in den folgenden Tagen um folgende Werte zugenommen hatte: Tage: 1 2 3 4 5 6 7 8 DM 1,5 a er 110 Demnach war die erreichte Endlänge 79 mm. Statt dieses Wertes ist für L 83 mm gesetzt, was nicht korrekt erscheint, aber durch den Erfolg gerechtfertigt wird. Wir haben demnach die Konstanz des Ausdruckes: log" En —#: MB 043-2 zu prüfen. Wir erhalten folgende Werte: RR L — 0,457 — 0,422 — (0,508 — 0,473 — 0,454 — 0,455 — (0,458 Der Umstand, dass die erste Stelle hinter dem Komma sicher ist, beweist, dass die angenommenen Voraussetzungen im allge- meinen zutreffend sind. Wäre die zweite Stelle sicher, so würden die Abweichungen zwischen beobachteten und berechneten Werten nur Zehntel-Millimeter betragen. Die aus der Formel mit dem Mittel von x°;-L (= 0,461) berechneten Werte sind folgende; die beobachteten sind daneben geschrieben: 2) Sachs: in Jost, Vorles. üb. Pflanzenphys. (1904), S. 350. 368 Moeser, Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. x Beob. x Ber. Diff. z Beob. z Ber. Diff. 1. 2,8 ,1.282 —- 0,02 1... 1.87 102682 —- 0,02 2..6,9° 22. 24.60 + 1,16 a 4,84 —+ 1,14 3. 24,0 3. 18,91 — 5,09 3. 17,9) °3. 11259625 4. 40,5 4A. 38,15 — 2,35 4. 16,5 4. 19,24 —- 2,74 5. 57,5 5. 56,00 41,5 5. 1705572083 —+- 3,85 6:.72:006771258 — 0,8 6. 14,5 6. 13,80 — OR 2. 13.027: 219,16. 220,16 7. 3,0072. 6,367 0,64 B=I80 78,16 +0,16. Durch Substraktion der x-Werte erhält man die einzelnen Zu- wachse z, die in den beiden Tabellen rechts neben den Tabellen für die x-Werte verzeichnet sind. Die Differenz der Summen der beobachteten und berechneten Zuwachse muss natürlich gleich der Differenz des letzten beobachteten und berechneten x-Wertes sein. So hat man eine kleine Kontrolle der Rechnung. Das zweite Bei- spiel betrifft die Streckung dreier Internodien einer etiolierten Pflanze von Dahlia variabilis?). Die anfängliche Länge der Inter- nodien von unten nach oben war 17, 36, Amm, so dass 1= 57 mm ist. Am Schlusse des Versuches waren die Internodien um 1, 124, 100 mm gewachsen. Die Gesamtlänge betrug also bei Beendigung des Versuches 225 +57 —282 mm. Der Zuwachs am letzten Versuchstage betrug 13,1 mm. Die Streckung war also noch nicht beendet. Für L habe ich den Wert 332 gesetzt, so dass die Konstanz des Ausdruckes \ log!0 27x 57.(332 — x) t zu prüfen ist. Wir erhalten für 24 x folgende auf 3 Stellen ge- kürzte Werte: »- Lu = 0,1317 2-1 ==10,166 —.0,147 = 0,166 —;, 159 — 0,164 — 0.165 — #199: =(),166 Wir erhalten in derselben Weise wie im vorigen Beispiel, ın- dem wir x mit dem Mittel dieser Werte berechnen: x Beob. x Ber. Diff. z Beob. z. Ber. Dnieie 13,5 16,35 + 2,85 16,5 19,35 —- 2,85 96,3 99,90 + 3,6 22,8 "23,55 + 0,75 126,4 127,00 = 0,6 0,1 27,10 3,0 161,2 156,70 — 4,5 34,8 20 — 5,1 194,0 187,0 — 7,0 32,8 30,30 — 2,5 222,8 215,6 — 7,2 28,8 28,60 — 0,2 249,6 242,0 — 7,6 26,8 26,40 — 0,4 268,5 264,0 — 49 18.9 22,00 + 3, 281,6 281,3 — 0,3 Io 17,30 —+ 4,2 u S=224.,6 1224,30 — 0,3 3) Sachs, Arb. bot Inst. Würzburg (1872), S. 142. Moeser, Bemerkungen zür autokatalytischen Theorie des Wachstums. 369 Die Summen der beobachteten und der berechneten Zuwachse differieren also um 0,3 mm. Endlich gebe ıch noch eine gleiche Berechnung der großen Periode einer etiollerten Pflanze von Frr- tllaria imperialis*). Die in Rede stehende Pflanze hatte einschließ- lich der Länge des untersten Internodiums innerhalb der Zwiebel die Anfangslänge 1I—= 57 mm. Die 4 wachsenden Internodien hatten von unten nach oben bei Beendigung des Versuches folgende Längen erreicht: 19,5, 26,5, 33,6, 45,5, 29,5 mm. Unterhalb des untersten Internodiums war noch durch Ver- längerung des 32 mm langen Stückes innerhalb der Zwiebel ein Stück von 38,5 mm Länge herausgeschoben worden. Demnach betrug die gesamte Länge bei Beendigung des Versuches 195,1 + 32 = 225,1 mm. Der in den letzten 15 Stunden gemessene Zuwachs betrug noch 2,58 mm. Die große Periode war demnach noch nicht beendet. Die Zuwüchse sind von Sachs mittelst Auxanometers für je 3 Stunden gegeben. Die daraus für ganze Tage berechneten Werte sind folgende: Tage Tage i. 1522 6. 15,10 2... 22,93 7. 14,58 3. 24,03 8. 16,38 4. 19,70 ge 11.13 5. 16,38 10. 5,06. Der Zuwachs für die ersten 9 Stunden betrug 2,75 mm. Um die Rechnung möglichst bequem zu gestalten, berücksichtigen wir den letzten Zuwachs 2,58 nicht mehr, so dass wir gleich den Wert für #'-L berechnen können. Dann ist 1|= 57 4 2,75 = 59,75 mm. Für L ist 235 mm gesetzt und wir haben so die Gleichung: een > so Pe, worin für t—=1,2,3... und für x die bezüglichen Werte zu setzen sind. Für #'-L, x, z finden sich folgende Werte: x Beob: x Ber. Dirk z Beob. z Ber. Diff. 3] = 0,18 74,97 775 2,53 15.227 417,152; 1 2,59 0,161.792,90 , .97,5. — 0,4 22:93,.20,00° — 2,93 BG 2421.95 119,0. 2493 2103. 21,50 -—.2,53 D62 A635 140,0 —— 1, 19,70 21,00 -—- 1,30 0,156 158,01 160,0 -—-1,99 16,358 20,00 -- 3,62 st 171,2 74,09 2 11,20, — 2,10 0,153 187,69 191,5 +3,81 14,58 14,30 — 0,28 0,161 204.07 203,1. — 0,9% 16,58 11,60 —- 4,78 0,169 215,80 212,0 — 3,8 I 8.90 — 2,83 0,166. 220,386 218,8 — 2,06 5,06 6,80 —- 1,74 Mittel 0,159 S=161,11 159,05 —-' 2,06 A) Sachs, l.e, S. 134. ROOKIE 24 370 Moeser, Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. Die Berechnung ist nicht so gut wie die beiden ersten. Die Differenz zwischen beobachtetem und berechnetem Gesamtzuwachs beträgt sogar 2,06 mm. Man sieht, dass sich die Rechnung mit der hier benutzten Formel nicht schwieriger gestaltet, als mit der von Robertson benutzten Formel. Der grundlegende Unterschied von der Robertson’schen Formel ıst der, dass x nicht die zu einer Zeit erreichte Zunahme, sondern die Gesamtgröße eines Individuums bedeutet. Die Robertson’sche Interpretation der autokatalytischen Formel ist direkt falsch. Daher ıst es nicht wunderbar, dass seine Zuwachswerte manchmal um die Hälfte von den wirklichen ab- weichen. Paolo Enriques?) hat mit einer der Robertson’schen ähnlichen Formel eine Muskelkurve von Sipunculus nudıus „nach- geahmt“ und eine recht gute Annäherung erreicht. Der Umstand aber, dass bei ıhm der Wert von x‘, der doch einige Konstanz haben sollte, von 0,02 bis 0,005 allmählich sinkt und dann plötz- lich wieder steigt, spricht nicht für die Richtigkeit der Anwendung. Da Enriques den Fehler Robertson’s nicht bemerkt hat, kommt er bald zu dem Resultat, dass man das Wachstum mit einer loga- rithmischen Funktion nicht darstellen, sondern nur den aufsteigen- den oder absteigenden Ast der empirischen Kurve mit einer solchen Funktion nachahmen könne. Robertson hat dann auch, um diesem Übelstande abzuhelfen, 2 Kurven benutzt, eine für den aufsteigenden, die andere für den absteigenden Ast der Zuwachskurve. Es ist aber klar, dass beide Forscher zu dıesem Schlusse gelangen mussten, da beide von derselben falschen Voraussetzung ausgingen. Die von ihnen gefundenen Kurven sınd keine Zuwachskurven, sondern Kurven, welche nur die Größen eines Organes darstellen können, die es ın irgendeiner Zeit erreicht. Die Kurven haben zwei Wendepunkte (Taf. I, Fig. 1 u. 3); je deutlicher diese beiden Wendepunkte her- vortreten, desto schneller ıst das Wachstum. Die x-Werte nehmen jenseits des oberen Wendepunktes nur noch wenig an Größe zu; der Endwert wird für t= © erreicht. Nun können wir uns sehr gut vorstellen, dass jedes Tier und jede Pflanze, nachdem sie aus- gewachsen sind, noch um sehr kleine Größen zunehmen, die sich aber wegen ihrer Kleinheit der Beobachtung entziehen. Jedoch hat Enriques sehr mit Recht hervorgehoben, dass bei den Lebe- wesen die morphogenetisch starken Zellen abnehmen und folglich eine Periode vorhanden ist, wo diese nur ihren Verlust decken (Virslität), während späterhin das Körpergewicht aus denselben Ur- sachen wieder abnimmt. Ich glaube dies dahin ansprechen zu müssen, dass wir das Wachstum nicht als eine ıdeale Autokatalyse ım Sinne der chemischen ansehen dürfen. Denn der Aufbau jeder Pflanze und jedes Tieres ist doch immer mit einer Oxydation, also 5) Biol. Centralbl. (1909), S. 344. ‚De Moeser, Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. 371 mit Verlust von Substanz verbunden, welcher fortwährend zur Er- haltung des Organısmus gedeckt werden muss. Die Organismen bedürfen fortgesetzt der Nahrungszufuhr, folglich wird eine Zeit Tafel 1. V. EEEEn Sarnen SarEm Se HH ne e Be HH ei Bil ae: NEE |. 2177 0 Se] eintreten, wo die aufgenommene Nahrung gerade noch zur Erhal- tung des Zellenstaates ausreicht und für das Wachstum nicht mehr verwendet werden kann. Mit dieser Erkenntnis sieht man aber, 24“ 379 Moeser, Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. dass das Wachstum ein weit komplizierterer Vorgang ist als eine chemische Autokatalyse. Dass dennoch mit einer derartigen Formel den Umständen gemäß befriedigende Resultate erzielt werden, kann wohl nur darauf zurückzuführen sein, dass sich Neubildung und Verlust von Substanz beim Wachstum ausgleichen und folglich diese Verschiedenheit von dem Schema hinfällig wird, wenigstens was den ersten Teil der Periode betrifft. Die Eigentümlichkeit der „oxydativen“ Autokatalyse ist aber die, dass die definitive Größe des Organismus eher erreicht wird, als es der „idealen“ Autokatalyse entspricht. Die Senilität und die Körperabnahme nach Gewicht und Volumen im Alter halte ich für einen sekundären Vorgang, bedingt durch die im Laufe der Zeit angehäuften, der Zirkulation der Säfte hinder- lichen Stoffe, welche die Zirkulations- und Ernährungsorgane schwächen und so dieselben hindern, die Nährsäfte in der nötigen Weise an die Verbrauchsstellen zu bringen. In den von mir gebrachten Beispielen ist jedesmal für den er- reichten Endwert von L ein größerer gesetzt als der empirische. Nach der Theorie muss dieser Endwert in unendlich langer Zeit erreicht werden und folglich größer sein als ein in endlicher Zeit erreichter Wert. Nach dem soeben Ausgeführten ıst aber anzu- nehmen, dass die Organismen, wenn man den Zuwachs o findet, ihre faktische Endgröße schon erreicht haben oder nicht lange Zeit darauf erreichen. Es bleibt daher zur Rechtfertigung des Verfahrens nur übrig, das in der Periode des Längenwachstums nebenher- gehende Dickenwachstum als Erklärung heranzuziehen. In der Tat setzt bei jedem Individuum nach erfolgter Längsstreckung gewöhn- lich das Diekenwachstum ein, das besonders bei den Pflanzen sehr typisch ist. Ich glaube daher, dass, wenn man in die gerechneten Beispiele statt der Längenmaße Volumina einsetzen würde, die er- zielte Genauigkeit gleich gut ausfallen würde. Jedoch muss man die weitere Bestätigung abwarten. Betrachten wir (Taf. I, Fig. 2, 4, 5) die empirischen und theoretischen Zuwachskurven, so fällt sofort auf, dass letztere die allgemeine Form der wirklichen Zuwachs- kurven „nachzuahmen“ streben, weiterhin, dass sie nur ein Maximum haben, wie man a priori erwarten muss. Sie bleiben daher bald unter der empirischen Kurve, bald erheben sie sich über sie. Der Grund dieser Erscheinung ist leicht erklärt. Wır haben nämlıch bei der Berechnung stillschweigend vorausgesetzt, dass die Größen- zunahme eines Organismus eine Funktion der Zeit allein sei. Dies ist aber, wie jeder weiß, keineswegs der Fall. In der Pflanzen- physiologie haben schon Sachs und seine Schüler in musterhafter Weise nachgewiesen, dass sich jedes Pflanzenleben nur innerhalb bestimmter Temperaturen abspielen kann, ferner: dass auch die Lichtintensität, Feuchtigkeit und die Nahrungszufuhr eine bedeut- Moeser, Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. 5373 same Rolle für das Wachstum spielen. Schließlich ist auch die individuelle Variation nicht zu übersehen. Man wird nicht zwei Keimpflanzen finden, sollten sie auch aus Samen von absolut gleichem Gewicht hervorgegangen und unter völlıg gleichen Bedingungen aufgewachsen sein, die eine gleiche Zuwachskurve hätten. Demgemäß können wir gar nicht erwarten, dass etwa die nach der eingeschlagenen einfachen Methode berechneten Zuwachskurven alle Gipfel und Unregelmäßigkeiten empirischer Kurven „nachahmen“ können. Da wir zurzeit nicht einen einzigen der Faktoren, die auf das Wachstum einen Einfluss haben, in einer mathematischen Formel ausdrücken können, ‚so ist die Hoffnung, auch durch Nachahmung von mehrgipfeligen Zuwachskurven die Richtigkeit der Theorie nach- zuweisen, sehr gering. Wir werden aber einsehen, dass durch die Veränderlichkeit aller der genannten Faktoren die empirischen Zu- wachskurven zustande kommen, ja, dass schon durch einen einzigen dieser inkonstanten Faktoren die Zuwachskurven ihre Regelmäßig- keit verlieren müssen. Um dies deutlich werden zu lassen, habe ich folgende schematische Annahmen gemacht. Es sei die Tempe- ratur allein veränderlich, die übrigen Faktoren konstant; dann wird die erreichte Endlänge eine Funktion der Temperatur sein. Ich nehme an, innerhalb der Grenzen des Minimums und des Optimums der Wachstumstemperatur sei die schließlich erreichte Endlänge näherungsweise, wenn wir nicht allzugroße Temperaturschwankungen annehmen, der Temperatur proportional. Sei Lo dıe Länge, welche bei der konstanten Temperatur do erreicht wird, und b die Zu- nahme von Lo pro Grad Steigerung der Temperatur, so ist: L=Lo-+b-.(9 — 90). Die Werte von x sind nicht aus der Formel L—])-x m u a sondern aus der daraus folgenden: 4. eb-t L—1+1l.el berechnet. Für die Konstanten sind folgende Werte gesetzt. Lo = 210, I 10 30 = 2030, b= 4, x —=.0,001 7aWiezerhalten so: In 7) X: Z 232 12,3 2,3 24 15:33 3,03 24 18,59 3,56 22 22,48 3,59 21 26,76 4,28 23 33,66 6,90 26 44,73 11,07 25 51,18 ‚6,45 374 Moeser, Bemerkungen zur autokatalytischen Theorie des Wachstums. D) X Z 28 66,71 15,35 27 76,42 9,71 28 92,38 15,96 26 99,52 7,14 26 113,80 14,28 26 126,74 12,94 26,5 142,54 15,80 27,0 158,03 15,49 27,5 172,80 14,77. Darst se I | 4 23456 T 88H UN RB“ 5 1 TI+TCHge Das Resultat ıst übersichtlich auf Taf. II dargestellt. Die Zeiten 1, 2, 3... sind als ganze Tage und die eingesetzten Tem- peraturen für ganze Tage als konstant wirkend gedacht. Wir sehen zunächst, dass in diesem Schema, ähnlich wie es Sachs‘) meistens fand, Gipfeln der Temperaturkurve auch Gipfel der Zuwachskurve entsprechend und dass im allgemeinen die Zuwachskurve der Tem- peraturkurve zu folgen bestrebt ist, jedoch ıst auch am Anfang und am Ende der Zuwachskurve eine gewisse Gegensätzlichkeit gegen die Temperaturkurve unverkennbar. - Zwischen 4 und 5 steigt die Wachstumskurve, die Temperaturkurve sinkt, während zwischen 15 und 17 das Umgekehrte der Fall ist. Auch diese Eigentümlichkeit oO o 6) Arb. bot. Inst. Würzburg (1872), Tab. I—-VII. Franz, Beitrag zur Kenntnis des Ependyms im Fischgehirn. 305 finden wir bei den empirischen Kurven wieder. Dieses Schema hat natürlich nur einen demonstrierenden Zweck. Die angenommene Proportionalität zwischen Temperatur und Wachstum findet in Wirklichkeit bekanntlich nicht statt, da bei Überschreitung des Optimums die Intensität des Wachstums mit erhöhter Temperatur wieder abnimmt. Die gegebene Beschränkung rechtfertigt aber die gemachte Annahme. Schließlich seien die Werte der konstanten x, die man passend vielleicht „spezifische Wachstumsgeschwindigkeit* nennen könnte, zusammengestellt. Als Zeiteinheit ist 1 Tag ange- nommen. Diese Werte sind: Fritillarva: * = 0,00108, Dahlia: x” = 0,00156, Viera Faba: = 0,0128. Der Vergleich der drei Werte zeigt, dass die „spezifische Wachs- tumsgeschwindigkeit“ der Wurzel von Vicia Faba etwa achtmal größer als die des Stengels von Dahlia und etwa zwölfmal größer als die des Stengels von Fritillaria ist. Tafelerklärung. Taf. I. Die punktierten Kurven stellen die theoretischen dar. Fig. 1. Dahlia variabilis. Kurve der x-Werte. ! die Anfangslänge. Die ÖOrdinaten veranschaulichen die in den bezüglichen Zeiten erreichten Längen des Stengels. Fig. 2. Zuwachskurve derselben Pflanze. Fig.3. Vieia Faba. Kurve der x-Werte. Die Ordinaten sind ‘die in den folgenden Tagen erreichten Längen eines anfänglich 1 mm langen Stückes nahe dem Vegetationspunkt. Fig. 4. Vieia Faba. Zuwachskurve derselben Pflanze. Fig. 5. Fritillaria imperialis. Zuwachskurve. Der letzte Zuwachs, für 15 Stunden gemessen, ist in der Berechnung nicht berücksichtigt. Taf. II. Schematische Zuwachskurye, die die Abhängigkeit der Zuwachse von der Temperatur veranschaulichen soll. Sie wurde erhalten aus der Formel: 1 ‚el, N ‚brt wo L= Lo+b- (# — do) = f(d) sein soll. Die Temperaturschwankungen sollen sich in engen Grenzen zwischen Minimum und Optimum bewegen. Die Abhängigkeit ist eine vollständige innerhalb der Zone des Maximums der Zuwachse, jedoch nicht zu Anfang und gegen das Ende der Periode. N Beitrag zur Kenntnis des Ependyms im Fischgehirn. Von Dr. V. Franz, Frankfurt a./M. (Aus dem Neurologischen Institut zu Frankfurt a./M.) Nach allem, was wir bisher vom Ependym des Gehirns und Rückenmarks wissen, besteht dieses den Ventrikel auskleidende Epithel aus Zellen von einerlei Art, nämlich aus Stützzellen, welche mit ihren peripheren Fortsätzen die ganze Gehirn- bezw. 376 Franz, Beitrag zur Kenntnis des Ependyms im Fischgehirn. kückenmarkmasse durchsetzen und erst an deren äußerer Fläche endigen. Die apikale Endfläche dieser wohlbekannten Ependym- zellen lässt meist einen Ollienbesatz erkennen (wobei zu jeder Cilie ein Basalkörperchen gehört), auch zeigen sich hier oft Sekretions- erscheinungen, indem namentlich mitunter ein der Zelle aufsitzender Sekrettropfen beobachtet wird. Die näheren Verhältnisse, wie sie sich bei ausgewachsenen Tieren verschiedener Art sowie bei Em- bryonen darstellen, sind besonders in Oajal’s Handbuch sowie in Studnicka’s „Untersuchungen über den Bau des Ependyms der nervösen Zentralorgane* genau dargestellt. Während also das Ependym des eigentlichen Gehirns aus Zellen lediglich von dieser Art besteht, sind in Ausstülpungen des Ge- hirns gegen die Körperperipherie hin außerdem auch Sinneszellen vorhanden, welche also den ursprünglichen Hirnventrikel auskleiden. Da sind ja in erster Linie die Sehzellen des Auges zu nennen, sodann das Scheitelauge der Saurier, welches nach Nowikoft augenscheinlich ein heute noch funktionierendes Lichtsinnesorgan darstellt; ferner scheint es mir nach Studnicka’s Angaben (in: „Parietalorgane“), dass wir nicht nur bei den großen Parietal- organen der Cyelostomen mit Sinnesorganen zu rechnen haben, sondern auch bei der meist viel kleineren Epiphysis der übrigen Fische, welche ja stets deutlich innerviert ist und allem Anschein nach in der Auskleidung ihres Lumens Zellen trägt, die sich durch einen zentral gerichteten Fortsatz und vor allem durch ihre rück- wärtige Verlängerung in eine Nervenfaser als Sinneszellen erweisen. Noch deutlicher ist neuerdings nachgewiesen, dass der Saccus vascu- losus der Fische, jene bekannte ventrale, unpaare, epitheliale Aus- stülpung des Hypothalamus, ein Sinnesorgan darstellt. Hier wären die Studien von Boeke und Johnston zu erwähnen, in welchen der alten Ansicht, der Saccus vasculosus sei ein Drüsen- gebilde, im Hinblick auf den von den Autoren gefundenen Härchen- besatz und die Innervierung des Organs durch den Edinger’schen Tractus sacei vasculosi entgegengetreten wird, vor allem aber die ausführliche Arbeit von Dammerman, in welcher diese Saccus- Zellen genauer beschrieben werden als „Krönchenzellen“, wie der Autor sie nennt, d. h. als Zellen, deren apikales, in den Ventrikel- raum hineinragendes Ende eine Anzahl geknöpfter Härchen, die von Basalkörperchen ausgehen und büschelförmig oder körnchen- förmig auseinanderstehen, trägt. Dammerman kommt auch durch vergleichende Untersuchung des Organs bei den verschiedenen Fischarten unter Berücksichtigung der biologischen Verhältnisse zu einer bestimmteren Vermutung über die Funktion des Sinnesorgans: es handle sich um em „Tiefeorgan“, in welchem die hydrostatischen Druckunterschiede des den Fisch umgebenden Wassers durch Ver- mittlung der ausgiebigen Vaskularisation zur Rezeption gelangen. Franz, Beitrag zur Kenntnis des Ependyms im Fischgehirn. 3 Im Ventrikel des eigentlichen Zentralnervensystems (Gehirn und Rückenmark) sınd Sinneszellen oder etwas ähnliches noch nie beschrieben worden, ausgenommen bei Amphioxus. Bei diesem Tiere allerdings gibt es nicht nur die von Hesse beschriebenen zweizelligen Sehorgane, sondern es sind auch Epithelzellen mit Härchenbesatz von Edinger und in etwas anderer Weise von Boeke heschrieben ‚worden, bei denen eine gewisse Sinnesfunktion mindestens sehr wahrscheinlich ist. Bei den ausschließlich histologischen Beobachtungen, die ich ım folgenden mitteilen will, will ich zunächst an die Befunde von Dammerman anknüpfen. Fig. 1 zeigt ein Stück der Wand des Saccus vasculosus der Forelle, worin a aufs deutlichste die Krönchenzellen zeigt, wie sie sich bei Golgi-Imprägnierung dar- Fie.1. Saceus vasculosus der Forelle, Stück aus der Wandung. Golei-Impräenierune. D> ’ g o g stellen; man sieht die Endigungen in Form geknöpfter Härchen und die Nervenfasern, welche von den Basalenden dieser Zellen ausgehen und den Tractus sacci vasculosi ergeben. Der Befund stimmt vollkommen mit demjenigen Dammerman’s überein, nur habe ich noch hinzuzufügen, dass sich außer diesen offenbaren Sinneszellen auch einfache Stützzellen von etwas verschiedener Form in der Saccus-Wand finden. Sie sind zum Teil von etwas breiter Gestalt (Fig. 1 5), zum Teil von dünner stäbchenförmiger, in welchem Falle dann der Zellkern öfter ganz nahe am Ventrikel in der trompetenartigen Verbreiterung der Zelle liegt (Fig. 1c); das äußere Ende der Zelle kann übrigens auch eine kleine T-förmige Verbreiterung zeigen (Fig. 1d). Wir haben also in der Saccus- Wand zwei Arten von Zellen, erstens Stützzellen, zweitens Sinnes- zellen, was ich hier hervorheben möchte, weil wir nicht ganz Un- ähnliches im eigentlichen Gehirnventrikel, speziell im Ventrikel des Thalamus alsbald wiederfinden werden. 378 Franz, Beitrag zur Kenntnis des Ependyms im Fischgehirn. Fig. 2. Ependymzellen am Ventrikelspalt des Thalamus vom Goldfisch. Golgi-Imprägnierung. = fisches dar, behandelt nach der Golgi’schen Methode; die Gegend, um die es sich handelt, ist der schmale Ventrikelspalt des Thalam.us. Fig. 2 stellt einen Frontalschnitt durch das Gehirn eines Gold- Franz, Beitrag zur Kenntnis des Ependyms im Fischgehirn. 379 Auf den ersten Blick dürfte auffallen, dass die den Ventrikel aus- kleidenden Epithelzellen hier nicht von einerlei Art sind. Zunächst sieht man Zellen, welche in bekannter Art die ganze Gehirnmasse durchsetzen oder wenigstens eine Strecke weit ins Gehirn hinein zu verfolgen sind und hierbei deutlich die moosförmigen Veräste- lungen, wie sie bei den Ependymzellen der ausgewachsenen Tiere nicht selten sind, zeigen (Fig. 2a, b). Daneben aber sind in großer Zahl Zellen vorhanden, deren peripheres Ende ganz anders gestaltet ist. Vom kernhaltigen Zelleibe geht ein, seltener zwei dünne Fort- sätze aus, um sich in bald stärkerem, bald schwächerem Grade dendritenartig zu verästeln (Fig. 2c—f). Ich glaube, dass hier eine vollständig neue Zellenart vorliegt, denn noch niemand hat einen derartigen Verästelungsmodus bei Zellen des Ependyms jemals gesehen. Da die Art der Verästelung durchaus an die bei Ganglien- zellen vorkommenden Verhältnisse erinnert (besonders wohl an Ganglienzellen der Retina), so will ich diese Zellen hier der Ein- fachheit halber „Neuroependymzellen“ nennen, womit jedoch höchstens angedeutet, keineswegs aber behauptet sein soll, dass sie vielleicht eine gewisse Sinnesfunktion zu verrichten haben, also Reize mit ihrem ventrikulären Ende aufnehmen und durch die rückwärtigen dendritenartigen Verästelungen an anderweitige Zell- dendriten des Gehirns weitergehen könnten. Jedenfalls verdient von diesem Gesichtspunkte aus sowie an und für sich auch die zentrale Endigungsweise der Zellen nähere Beachtung. Schon unter den offenbaren Stützzellen finden sich außer solchen mit zylindrischer Endigung (Fig. 2«) auch solche mit stempel- oder T-förmiger (Fig. 25); und von den Zellen mit peripherer dendriten- artiger Verästelung haben einige gleichfalls diese stempel- oder T-förmige Endigung (Fig. 2e), häufiger jedoch ist ihr zentraler Teil fadenförmig und lässt an seinem äußersten Ende oft ein feines Knöpfchen, nicht selten dann auch noch ein von diesem ausgehendes, in den Ventrikel hineinragendes, dünnes und sehr kurzes Fädchen erkennen (Fig.2d). Es ist jedoch nicht meine Absicht, all die ver- schiedenen Zellformen, die sich gelegentlich finden und sich bei weiterer Suche gewiss noch vermehren ließen und durch Übergänge miteinander in Verbindung stehen, hier aufzuführen. Erwähnt seien nur noch einige Besonderheiten, z. B. Zellen mit zwei zentralen Enden, von denen jedoch nur eins bis an die Oberfläche reicht (Fig. 2e), ferner ein besonders kleiner Typ von Zellen (Fig. 2 f), wo die Verästelung pinienförmig genannt werden kann und der Zellkern der übrigen Zelle mitunter seitwärts ansitzt. Das wichtigste ist, dass wir es mit zwei ziemlich deutlichen, durch Übergänge jedoch untereinander verbundenen Zellarten zu tun haben. Zu denjenigen Zellen, welche man als Übergangsformen betrachten möchte, würde ich z. B. auch Fig. 24 rechnen, welche 380 Franz, Beitrag zur Kenntnis des Ependyms im Fischgehirn. zwar eine kräftige Verästelung aufweist, hierbei jedoch in allen ihren Zweigen einen starren und etwas moosartigen Habitus behält, wodurch sie an die gewöhnlichen Stützzellen erinnert. Schwer ist auch zu entscheiden, ob die Zellen NIS / mit T-förmiger Endigung (Fig. 2b 4 und c) der Kategorie der Stütz- zellen oder derjenigen der „Neuro- ependymzellen“ zuzurechnen seien, vielleicht gehören sie funk- tionell zum Teil dieser, zum Teil jener Kategorie an, wie ja auch die peripheren Endigungsweisen bei ihnen ganz verschiedene sind. Es bleibt eben dabei, dass wir zwischen den Extremen Über- gänge finden, dennoch sind die Extreme sehr markant. Hinweisen möchte ich auch | auf einige Zellen ohne zentralen Fortsatz, bei denen der Zellkern I! E 3 : j etwas tiefer in der Gehirnmasse Fig. 3. Ependymzellen des Thalamus- ; . . ventrikels beim Karpfen. Fixierung in liegt als bei den Epithelzellen, Gilson’s Gemisch, Färbung mit Eisen- und die wir nach der Veräste- hämatoxylin nach Heidenhain. lungsweise ihrer Dendriten un- gezwungen Amakrinen nennen können (Fig. 2%) und die vielleicht als Assozia- tionszellen zwischen den Neuroependymzellen in Betracht kämen. So stellen sich die Befunde mit der Golgi'- schen Methode dar; ın zahlreichen nach Biel- schowsky und Cajal Ss a mn behandelten Sılberpräpa- DB I raten sind diese Zellen ; nicht hinreichend stark imprägniert, um deutliche Fig. 4. Dasselbe wie Fig. 2, von der Forelle. Bilder zu geben, wohl aber möchte ich noch auf Aussehen dieser Zellen in Präparaten zu sprechen kommen, die das mit Gilson’schem Sublimatgemisch fixiert und nach Heidenhain gefärbt waren. Wie Fig. 3 zeigt, sind hier wiederum die verschie- denen Typen der Zellen zu erkennen, begreiflicherweise nur die \ | kn 1 rn us, Franz, Beitrag zur Kenntnis des Ependyms im Fischgehirn. 381 zentralen Endigungen, da die peripheren Enden bei den Stütz- zellen wegen ihrer Länge aus dem Präparat herausfallen und übrigens färberisch mit der Heidenhain’schen Methode nur sehr unvoll- kommen dargestellt werden, bei den „Neuroependymzellen“ aber gleich allen ganglionären Dendriten wahrscheimlich überhaupt nicht gefärbt werden. a und b zeigt Stützzellen von durchaus bekannter Beschaffenheit — auch die feinen Fibrillen in ihnen beschreibt schon Studnieka —, e ıst wahrscheinlich eine solche Zelle, die sich gerade anschickt, einen Sekrettropfen von sich zu geben, d ist eine wunderschöne stempelförmige Zelle, der man nach ihrer Endigungs- weise wohl kaum eine andere Funktion als « und b zuschreiben möchte, e, f, y und h aber sind wahrscheinlich Neuroependymzellen; meist, aber nicht immer, konnte ich an ihnen eine ziemlich lange Fig. 5. Fig. 6. Fig. 5. Forelle. Ependymzellen iin Hypothalamus. Fig. 6. Dasselbe. Fig. 7. Ependymzelle im Hypothalamus des Goldfisches. Fig. 8. Dasselbe, dieht am Eingang in der Saceus vasculosus. Cilie nachweisen, die in manchen Fällen von einem Basalkörperchen auszugehen schien. Man sieht also, dass man auch bei den „ge- wöhnlichen“, nicht-elektiven Färbemethoden hier Zellen von mehr als einerlei Art nachweisen kann. — Eigentümlich, aber für mich nicht erklärbar ist die Tatsache, dass sich in den G olgi- Präparaten fast nirgends die sonst leicht nachweisbaren Cilien der Zellen impräg- niert hatten. Bei der Forelle fanden sich, wie Fig. 4 zeigt, ganz ähnliche Verhältnisse wie beim Goldfisch, doch ist zweifellos, dass die Zellen bei dieser Art durchgehends von etwas schlankerem und eleganterem Habitus sind, wie sich bei Durchsicht aller Präparate immer aufs neue zeigte. Natürlich habe ich mich gefragt, ob nicht auch an anderen Stellen als gerade hier am 'Thalamusventrikel ähnliche Neuroepen- dymzellen nachweisbar sein würden, ıch habe aber in fast allen übrigen Teilen des Gehirns und Rückenmarks sonst nur noch die 382 Franz, Beitrag zur Kenntnis des Ependyms im Fischgehirn. allbekannten Verhältnisse angetroffen. Ausgenommen hier und da im mächtig entwickelten Hypothalamus der Fische. Sowohl im Seitenventrikel, als auch im Mittelventrikel des Hypothalamus fanden sich, wie Fig. 5, 6 und 7 zeigen, mancherlei Ependymzellen, welche den gewöhnlichen Stützzellencharakter durchaus nicht zur Schau tragen, jedoch auch längst nicht immer den vollendet ausgebildeten „Neuroependymzellen“ gleichen. Ganz nahe am Eingang am Saccus vasculosus fanden sich sogar Zellen von ausgesprochener Stütz- zellennatur (Fig. 8). — Erwähnen möchte ich noch, dass das epi- theliale Zwischenhirndach, welches in der Gegend der Commissura ‚posterior und Commissura habenularis aus hohen Zylinderepithel- zellen besteht, nach meinen Beobachtungen keine Sinneszellen ent- hält, sondern nur Stützzellen ähnlich denen, die oben für den Saceus vasculosus beschrieben wurden. Dasselbe gilt von der Wandung des hohlen Epiphysenstils. Da nicht ganz sicher ist, ob wir es bei dem neuen Zellentyp überhaupt wirklich mit Sinneszellen zu tun haben, so hat es wenig Wert zu diskutieren, welche Reizart für diese Zellen in Betracht kommen könnte, ob z. B. hydrostatische oder hydrodynamische Druckreize oder aber Lichtreize. Hinweisen möchte ich aber doch auf die Untersuchung von v. Frisch, welcher in der Epiphyse der Fische ein für den Farbwechsel bedeutungsvolles Organ erkannt hat, jedoch hervorhebt, dass auch noch andere in der Nähe der Epiphyse liegende Gehirnteile als lichtperzipierende und für den Farbwechsel bedeutungsvolle Teile aufgefasst werden müssen. Ihm kommt es nach seinen sehr genauen Untersuchungen am wahr- schemlichsten vor, „dass sich in der Zwischenhirngegend, wohl zwischen den Epithelzellen des Ventrikels und seiner Ausstülpungen, lichtperzipierende Zellen befinden, von denen Nervenfasern in die Tiefe des Gehirns ziehen“ ... „sie können nicht auf das Pinealorgan allein beschränkt sein“. Die von mir aufgewiesenen Zellen eines neuen Typs, welche ja gerade im Zwischenhirnventrikel liegen, und die ich vorläufig „Neuroependymzellen“ nenne, könnten vielleicht mit den von v. Frisch postulierten identisch sein. Literatur. Boeke, J., Die Bedeutung des Infundibulums in der Entwickelung der Knochen- fische. Anat. Anz., Bd. 20, 1901. Das Infundibularorgan im Gehirne des Amphioxus. Anat. Anz., Bd. 32, 1908. Oajal, R. y, Histologie du systeme nerveux de l’homme et des vertebres. Ed. france. Paris 1909/11. Dammerman, K.W., Der Saccus vasculosus der Fische ein Tiefeorgan. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 96, 1910. Edinger, L., Einiges vom „Gehirn“ des Amphioxwus. Anat. Anz., Bd. 28, 1906. v. Frisch, K., Beiträge zur Physiologie der Pigmentzellen in der Fischhaut. Pflüg. Archiv, Bd. 138, 1911. Ledue, Das Leben in seinem physikalisch-chemischen Zusammenhang. 383 Hesse, R., Untersuchungen über die Organe der Lichtempfindung bei niederen Tieren. IV. Die Sehorgane des Amphioxus. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 63, 1898. Johnston, The brain of Acipenser. A contribution to the morphology of the verte- brate brain. Zool. Jahrb. Abt. f. Anat., Bd. 40, 1902. Nowikoff, M., Untersuchungen über den Bau, die Entwickelung und die Bedeu- tung des Parietalauges von Sauriern. Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 96, 1910. Studnieka, F.K, Untersuchungen über den Bau des Ependyms der nervösen Zentralorgane. Anat. Hefte, Heft 48, 1900. - Die Parietalorgane. In Oppel’s Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen Anatomie der Wirbeltiere.. Jena 1905. St. Leduc. Das Leben in seinem physikalisch- chemischen Zusammenhang. Übersetzt von Gradenwitz. Halle a. S., Hofstetter’s NEE 1912. 232.8. mit 71 Abb. im Text u. einer Tafel. Brosch. 5, geb. 6 Mk. Ein Hinweis auf das vorliegende Buch dürfte wohl am Platze sein, weniger des etwas phantastischen Inhalts wegen als um die Aufmerksamkeit auf die teilweise sehr eleganten Experimente zu lenken. Dem Verf. ıst es gelungen, durch “Diffusion und Osmose merkwürdige Figuren und Formen zu erzielen, die teilweise auffallend an Organismen oder deren Teile erinnern. Es werden Versuche Vier aufeinanderfolgende Stadien der künstlichen Zellteilung (durch Diffusion). vorgeführt und durch Photographien veranschaulicht, die zur Ent- stehung von pflanzenzellenartigen Gebilden, von kernteilungs: ihn- lichen!), an Pilze, Seetiere u. dgl. erinnernden Formen führen. Diese Modelle w achsen, teilen und bewegen sich, kurz „sie besitzen nicht nur Struktur und äußere Form einer großen Anzahl von Lebewesen, sondern auch die hauptsächlichsten Funktionen des Lebens“. Leider sind die Rezepte zur Wiederholung der Versuche, wo überhaupt, sehr knapp gegeben. Sie wären den meisten Lesern wohl lieber als der vorliegende Text, der sich aus elementaren physikalısch- chemischen Darlegungen, Zitaten aus anderen Autoren und Ver- sicherungen der Bedeutung einer neuen Wissenschaft, der „synthe- tischen Biologie“ zusammensetzt. Ernst G. Pringsheim (Halle). 1) Siehe Figur. 384 Prowazek, Handbuch der pathogenen Protozoei. Handbuch der pathogenen Protozoen. Herausgegeb. von S. v. Prowazek. 1.—3. Lieferung, 1911—1912, gr. 8°, Leipzig, Joh. Ambr. Barth. Unsere Kenntnisse von den Protozoen als Krankheitserregern sind ım letzten Jahrzehnt so außerordentlich gewachsen, dass eine Darstellung unseres Wissens in Form eines Handbuches berechtigt erscheint. Auch neben dem hier schon angezeigten vortrefflichen Lehrbuch von Doflein und der in Aussicht stehenden Bearbeitung des Gebiets in der Neuauflage des Handbuchs der pathogenen Mikroorganismen wird ein ausführliches Spezialwerk ein Bedürfnis erfüllen, besonders wenn so verdienstvolle Forscher wie v. Pro- wazek, Hartmann, Schuberg und ihre Schüler die Einzel- abschnitte, über die sie die größte Erfahrung haben, behandeln. Die vorliegenden drei ersten Lieferungen (360 S.), die beinahe die Hälfte des Werkes ausmachen sollen, behandeln das Allgemeine (System der Protozoen von Max Hartmann, Untersuchungsmethode G. Giemser) und die pathogenen Amöben, die Flagellaten ein- schließlich Trypanoplasma und Trypanosoma, die Cnidosporidien und Sarcosporidien und das so schwierige und voll von Problemen stehende Gebiet der kleinsten Krankheitserreger: der Chlamydozoen, von Hauptkapiteln stehen noch aus die endoglobulären Blutparasiten und die Coccidien. Die Behandlung der Einzelkapitel vereinigt Vollständigkeit, Kritik und eigene Erfahrung. Die Abbildungen sind nicht über- mäßıg zahlreich, aber vortrefflich. Ganz besonders wäre es zu be- grüßen, wenn die Vollendung des Werkes so rasch fortschritte, wie die vorliegenden Lieferungen es erwarten lassen. W. W. Scheffer. Wirkungsweise und Gebrauch des Mikroskopes. B. G. Teubner, Leipzig—Berlin 1911. Gr. 8°, 116 S., 89 Fig. Der Verf. hat sich die Aufgabe gestellt, das moderne Mikroskop mit allen seinen technischen Verbesserungen, und die neuen Me- thoden der Mikrophotographie und der Abbildung ultramikro- skopischer Teilchen auf Grund der Abbe’schen Lehren von der Entstehung des mikroskopischen Bildes so darzustellen, dass jeder Mikroskopiker daraus eine genaue und zutreffende Belehrung schöpfen kann, mit welchen Mitteln er bei seinem Objekt die voll- kommenste Abbildung erhalten kann und welches die Fehlergrenzen sind. Diese Aufgabe ist lediglich mit Anwendung elementarer Mathematik gelöst, und wie dem Ref. scheint, in vollkommener Weise. Ein solches Handbuch kann keine leichte Lektüre sein, aber wer es systematisch studiert, wird in ein volles Verständnis eingeführt und der schon Orientierte findet über alle Einzelheiten darın Belehrung. Dass eine derartige Darstellung einem Bedürfnis entspricht, darüber kann kein Zweifel sein. W.R. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München. alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. : Bd. RR 20. Juli 1912. BUN a —— —— Inhalt: Lutz, Triploid mutants in Oenothera. — Swarczewsky, Zur Chromidienfrage und Kern- dualismushypothese. — Molisch, Die Eisenbakterien. — Das Radium in der Biologie und Medizin. — Aufruf. — X. Ferienkurs. Triploid Mutants in Oenothera'). By Anne M. Lutz, Catholic University of Louvain. Departement of Botany and Cytology. In a paper dealing with “The Stature and Chromosomes of Oenothera gigas, De Vries”, published in 1909, Gates, in dis- cussing the possible origin of the 28-chromosome condition in O. gigas made the following statement: “De Vries describes the appearance of a mutation as resulting from the union of a ‘mutated’ germ cell with an ordinary germ cell. However this view can scarcely apply in this case, since, although it is possible that germ cells may occasionally be produced with the unreduced number of chromosomes, fertilization with such a germ cell would produce an organısm with 21 instead of 28 chro- mosomes. The possibilities of two such unreduced germ cells — an egg and a sperm — getting together in fertilization are very remote. Moreover, no instances of this sort are known, and if this were the method of origin one would also expect to find mutants oceurring with 21 chromosomes.” In reply to this statement, Stomps (21) in 1910, pointed out that it is not improbable that 21-chromosome mutants do oceur in 1) Report of investigations conducted at the Station for Experimental Evolution, Cold Spring Harbor. XXXI. DD ot 386 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera: - cultures of Oenothera. He called attention to the fact that no offspring had been grown from the two last plants of de Vries’ culture which had been ıidentified as O. gögas, and it was therefore possible that they were triploid, and not tetraploıd mutants. He also stated that he agreed with Professor de Vries in the opinion that such „halve mutanten” have since been repeatedly derived from seeds of purely fertitized 0. Lamarckiana. Recently (1911), in referring to Stomps’ (21) statements ın regard to the possible origin of the tetraploid condition in O. gögas through the union of two „mutated” germ cells which had 14 chro- mosomes each, Gates says (15): “]f Stomps’ theory were correct, we should have a mutant oceurring with twenty-one chromosomes, and it would be much more frequent in occurrence than in O. gigas. Such a mutant has never yet been found, and all the other mutants which are known have fourteen chromosomes, as in O. Lamarckiana.” It is not the purpose of this paper to discuss the manner in which ©. gögas arose. Such evidence as has been observed in the somatie cells of Oenothera bearing directly upon this subject will be fully stated and discussed ın more detailed reports to follow. In view, however, of the above assertions by Gates and Stomps, it was thought desirable to offer some statement in advance concerning the appearance of a 21- and a 22-chromosome mutant among the pedigreed cultures of Oenothera at the Station for Experimental Evolution’). In the summer of 1908, I recognized a new form (Fig. 3)°) among the Lamarckiana hybrid offspring of ©. lata X O. Lamarckiana which was found, — from studies of root-tips in 1909, -—— to have 21 chromosomes (Fig. 1). Two individuals were observed in sepa- rate cultures of this cross. A close watch was kept for the re- appearance of this form in 1909, but it was not recognized*). It 2) All the Cold Spring Harbor cultures to which I shall refer in this or suc- ceeding papers may be understood to have descended through pedigreed cultures of guarded pollinations from plants or seeds from de Vries unless clearly stated to the contrary. Most of the somatic counts referred to in this paper were determined from sections of root-tips, but a few were obtained from sections of young buds. None were considered established unless clearly demonstrated beyond all possible question. In most cases these were determined from a large number of figures in metaphase distributed through 3 or more fixations from each plant. 3) This photograph is unfortunately very poor, but it will serve to illustrate several of the chief points of interest in connection with this mutant. 4) A eulture of O. nanella X O. gigas was grown in the summer of 1909, and 46 offspring came to flower as annuals, a large number of which strongly resembled the offspring of O. Lamarckiana X O0. gigas growing in the garden at the time. Two individuals, however, had many points in common with the 21-chro- mosome mutant. Somatie chromosomes of one of the two were studied and the number found to be in the region of 21, and probably 21. Inasmuch as this is Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 387 was again identified in 1910, however, making a total of 8 indi- viduals for the two seasons as follows: re Re viduals 1. O.lata (15)°) X ©. Lamarckiana (14) 6024 1908 ii EN ” ” n 6027 1908 1 3. - ©. Lamarckiana (14) X O. Lamarckiana (14) 6046 1910 1 ae a . E & „6048 1910 3 Dur, s - R ö 601 3TN 1 6. ©. lata (15) self-pollinated 5343 1910 1 The number of chromosomes of this new form was definitely determined in only three plants, Nos. 2, 5 and 6; root-tip fixations having fortunately been prepared from 2 and 6. The number of figures observed in which the chromo- Fig. 1. some number could be clearly ascertained, while not so abundant as in some forms I have studied, left no question as to the certainty of this count. Studies were made from young buds of each representative of No. 4, and the chromo- some number appeared to be 21 in each case, though not definitely ascertained®). In no one of the 6 individuals did I find any indication of deviation from this number. The chromosomes of the two remaining plants were not examined. This mutant was not distinguished from ©. Lamarckiana ın the 1908 cultures until coming to flower, when it attracted the eye, standing Fie. 2. among a group of Lamarckianas”), by the greater sıze of the buds and flowers, deeper yellow of the petals, and, late ın the season, by the deeper red of the sepals. In 1910 it was recognized the expectation for offspring of this cross, it proved nothing. Since no other mutants were recognized in this cross, and since the two offspring of O. nanella X O0. gigas differed from the 21-chromosome mutant in a few points, it is probable that they were true hybrids. However, since the identity of the two plants was not clearly established, they must remain unclassified. 5) The numbers in parentheses indicate the chromosome number typical of the species, and not actual counts. Only O. lata of No. 6 was studied and determined. 6) It is usually far more diffieult to determine chromosome numbers from the somatie cells of the young buds than from the root-tips, as the figures of the former are usually smaller and the chromosomes more crowded together and less elearly defined. When I relied solely upon bud fixations for these studies, it was a very common experience to fail to determine the count. 7) Following the precedent of the English translation of „Die Mutationstheorie” I shall form the plural of generie and specific names by the addition of s, but print in italics as for Latin words. *52 388 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. in the early rosette stage by the somewhat broader and more roundly pointed leaves, and in the late rosette stage in the garden was noted for the much increased diameter of the rosette and its apparent increased vigor. In height and general branching and flowering habits this form strongly resembled 0. Lamarckiana, but suggested O. gigas in the increased size of the buds and flowers, the greater stoutness of the stem, branches and all parts of the plant, Fig. 3. and the deeper yellow of the petals. The sepal coloration late in the season was the deep red of certain types of O. gigas and certain other types of Lamarckiana mutants, though less intense than that of O. rubrinervis. The seed-capsules were longer than for 0. Lamarck- tana, though not so long as for O. rubrinervis. Each of the 8 indi- viduals recognized came to flower as annuals, though slightly later than the majority of Lamarckianas surrounding them. A moderate abundance of pollen was produced by most buds, which was found to be composed of the common 3-lobed grain and grains having Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 389 4 or more lobes, though the former were much in excess of the latter. A much higher percentage lacked protoplasmie content than ıs typical for O. Lamarckiana. 1 daily self-pollinated one or more flowers of 5 of the 6 1910 mutants (several were also cross-pollinated) for two or three weeks during the height of the flowering season (and quite often the pollen appeared suf- ficiently good to insure fertilization), but only comparatively few seeds were harvested at the end of the season. These were grown by Dr.G.H. Shull?) (from whose cultures most of the fertilizations were made), in the summer of 1911. The question will doubtless arıse in the minds of many as to whether this so-called „mutant“°) having 21 chromosomes is truly a mutant or only a hybrid resulting from the accidental fertilization of O. Lamarckiana by O. gigas pollen, — because of the chromosome number and the combination of certain vegetative characters peculiar to these two forms; but that it is truly a mutant and not a hybrid of the latter cross is proven by the following facts: I. The individuals composing this group were distinguished by the same chromosome number and the same vegetative characters whether derived from a)10) O. lata (15) X O. Lamarckiana (14), b) O. Lamarckiana (14) X ©. Lamarckiana (14), or c) 0O.lata (15) self-pollinated. If we suppose that this form arose in each of the above cases through the accidental fertilization of the female parent by pollen from O. gigas, we must then conclude that these plants were hybrid offspring of O. lata X O. gigas ın Nos. 1, 2 and 6, and hybrid offspring of O. Lamarckiana X O. gigas ın Nos.3, 4 and 5. Hybrids with 21 chromosomes do occur in each of these crosses, but so far as I have observed, they do not duplicate each other in vegetative character, nor have I found a 21-chromosome hybrid in either group which duplicated the vegetative characters of the 21-chro- mosome mutant. II. Oenothera gigas was grown a quarter of a mile distant from 8) Dr. Shull kindly placed his cultures at my disposal for these studies of somatic chromosome number in relation to vegetative character during each of the four seasons following the beginning of the work in January, 1907. Although I grew my own cultures in 1909 and 1910, the studies of the first two years were made exclusively from Dr. Shull’s eultures, and those of 1910, partly so. 9) The term „mutant‘‘ is used throughout this paper and others to follow, in the de Vresian sense, and does not necessarily imply that the offspring of the plant in question will reproduce the characters of the parent throughout later generations. 10) It will be recalled that the chromosome number was determined for one triploid mutant offspring from each of these groups. 390 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. the Zamarekiana parents of 5 of the 6 1910 triploid mutants!!) and operations upon these two groups were conducted by separate individuals. That O. gigas pollen should have accidentally reached the guarded stigmas of the 3 Lamarckiana parents of these mutants is therefore not probable. The /ata parent of the 6th plant was, however, grown near the gigas cultures. In 1910 a mutant of a type of character in some respects quite distinct from that of the form just described was observed in still another culture (6052) of O. Lamarckiana X ©. Lamarckiana. As in the case of the 1910 21-chromosome mutants derived from the fertilization of O. Lamarckiana by O. Lamarekiana, O. gigas was grown a quarter of a mile distant from the Lamarckiana pa- rents of the mutant in question, and operations upon the two groups were conducted by separate individuals, so it is here also improbable that the plant in question was derived from the accidental fertilization of the female parent with O. gigas pollen. The chromosome numbers ofthe parents were not determined; they were typical Lamarckianas, however, and it is therefore probable that the somatic chromosome number of each was 14. In the greenhouse rosette stage, this plant, which I shall designate by its pedigree number 5589, was first described as being similar to ©. Lamarckiana, though the center of the rosette appeared a little more compact, and the leaves were broader and more grayish 11) Although the actual number of chromosomes was determined in but 3 of the 8 mutants above referred to, the term “21-chromosome mutant” is here used merely as a temporary designation for all plants "having the same vegetative charac- ters as the 3 individuals which were found to have 21 chromosomes. Following papers will show that, so far as has been observed, all individuals which have the same vegetative characters throughout their life histories invarjably have the same chromosome numbers. The exceedingly rare occurrence of a cell with a chromosome number varying from the normal by one, or having double that of the type — and two tips which showed certain irregularities that will be later described, — were practically the only exceptions noted in a total of 9441 tips and 186 buds studied. While it is a very common experience to find two plants with identical chromosome numbers differing conspicuously in their vegetative characters, I have never observed a single instance of two plants having the same vegetative characters in all stages of devel- opment, differing in chromosome number. Mention was made in one of my first reports (19) of several examples of supposed variation of chromosome number among individuals of certain species, but it will be shown in following reports that these supposed variants were demonstrated by later cultures to have been distinet forms. The above assertions are based upon 5 years study of somatie chromosome number in the Oenotheras, 4 of which were in relation to vegetative character. Somatie chromosome number has been studied in 300 individuals (all but 8 of which were of known parentage and from guarded fertilizations) and exactly determined in 228 of this lot. All but 14 of the 300 were descended from seeds or plants from de Vries’ and were grown at the Station for Experimental Evolution. 2 of the remainder were grown by Professor de Vries’, and the remaining 12 by Dr. D. T. MacDougal at the New York Botanical Garden. The latter were derived from eultures of English ancestry. Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 391 pubescent. A little later ıt was again recorded as resembling O0. Lamarckiana, though having a broader leaf and shorter petiole than ©. Lamarckiana. On May 12 it was described for the first time as having many characters suggestive of O. gigas. It strongly resembled a plant from the latter culture which did not come to flower. On June 24 ıt was so badly attacked by aphids that it was difficult to deseribe, but the petioles had increased so much Fig. 4. ın length that ıt no longer appeared to be ©. gigas, though it stıll had many points suggestive of the latter form. At maturity how- ever, OÖ. gigas was again strongly suggested in the large size of the buds and flowers, and the deep yellow color of the petals, the stoutness of the stem, branches and all parts. 5589 differed from the 21-chromosome mutant chiefly in the manner of branching, which suggested 0. Lamarckiana very little, if any at alle A comparison of photographs wıll show that the basal branches (4 in number) were much more rapidly ascending 399 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. in 5589 (Fig. 4) than in O. Lamarckiana (Fig. 6), or the 21-chromo- some mutant (Fig. 3), so that the distance between the tops of the farthest outreaching basal branches was much less than that for either of the latter. This ıs a character which is distinetive of most of the types of O. gigas having basal branches which I have observed (Fig. 7). 5589 differed further from the 21-chromosome mutant ın that it maintained yellow buds throughout the season, though the bud- cones were angular and regularly tapering, as were those also of the 21-chromosome mutant. Pollen was produced in less abundance than in the latter form and was found also to be composed of a mixture of 3-lobed grains and grains having 4 or more lobes, but there appeared to have been even a higher percentage of grains lacking protoplasmie content than was characteristic of the 21- Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 395 chromosome mutant. Persistent effort was made throughout the flowering season to self-fertilize this plant, but less than a dozen seeds were obtained. ©. yigas pollen, known to be capable of fertilizing flowers of the individual from which it was derived, was repeatedly applied to the stigmas of 5589, but with the same results obtained from the self-fertilization of this plant. It was then noted Fig. 6. that very few seeds had developed in the capsules of the open- pollinated flowers, showing that the female germ cells were mostly sterile, as this plant was surrounded by Zamarckianas ın full flower !?). Unfortunately, it was utterly impossible to determine the exact number of somatic chromosomes in this form. It was ascertained 12) De Vries found a plant among his cultures of O. gigas in 1899 which failed to produce seed from artificial self-fertilization, but it is possible that this result was due to defective pollen, as suggested by Gates (15). 394 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. with certainty however, that there were not less than 20 nor more than 22. | The offspring of 5589 were also grown by Dr. Shull in the summer of 1911. It was first thought that this plant might represent some type of ©. gigas, possibly that of the original mutant, for it reached a height of 12.2 dm. at the close of the season without having entirely completed flowering (and therefore without having reached its full height), and de Vries described O. gigas (5, Bd.1, p. 158) as attainıng about the same height as that of 0. Lamarckiana. O. La- marckiana ın the Cold Spring Harbor eultures commonly completed growth at a height of 13 or 14 dm. 0. gigas of these cultures on the contrary, seldom attaıned a height of 12 dm., and commonly did not exceed 10, 8, or even 6 dm. However, it must be recalled that all O. gigas now in cultivation are probably descended from Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 395 de Vries’ 1895 mutant. Is it not therefore possible that the years of inbreeding which have followed have reduced the stature of this form and have altered other characters to some extent as well? Further careful study, however, demonstated conclusively that 5589 was not O. gigas. The nodes were more widely separated, and while the stoutness of the plant was much increased over that of ©. Lamarckiana, ıt was still less pronounced than that of O. gigas, and represented an approach towards, rather than a duplica- tion of the gigas condition. A third interesting mutant, 4453 (Fig. 5), appeared in a culture grown in 1909, derived from an ©. lata mutant (known to have 15 chromosomes), self-pollinated. The rosette leaves of this plant combined the /ata crinkledness and general contour of leaf with the thickness of O. gigas. They were, however, less finely crinkled than ıs characteristic of O. lata. The adult folıage was distinguished in the same manner. It produced 10 basal branches, although all can not be counted in the photograph (Fig. 5), and completed flowering at a height of slightly less than 7 dm. The increased stoutness of the stem, branches and all parts of the plant was very noticeable here as for the 21-chromosome mutant, and mutant 5589. The shape of the bud, however, differed markedly from that of the two other forms. While the buds of 4453 were much larger than those of O. lata, the first had the irregular shape so characteristic of the first buds of O. lata, though later ones of both forms became more regular and tapering. Although the early buds had practically no red on the sepals, little fleckings appeared on the later ones, and by the close of the season those of the branches which had been flowering longest were covered with a fairly even thin red. This, however, was much less intense than the coloration of the buds of the 21- chromosome mutant. It will be recalled that those of 5589 remained yellow until the close of the season. The absence of red on the sepals ıs also characteristie of O. lata. In O. lata the length of the calyx of the first buds is insufficient to accomodate the full growth of the petals and style without much compression. It is this condition that causes the irregular shape of the early buds in this form. When the flower expands, the petals are unfolded in a crumpled condition, and the style is frequently found to be bent into a single or double elbow. The crumpling of the petals in O. lata is one of the causes of the earlıier fadıng, for, with the rising of the sun, the flowers of this plant are among the first in the garden to droop. A condition similar to that just described for O. lata was found in the flowers of 4453 (which were much larger than those of O. Lamarckiana or O. lata), though somewhat less pronounced. 396 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. The petals were a slightly deeper yellow than is typical of the parental form (this appearance possibly being due to increased thickness of the petals), and the flowers resisted the effect of the morning sunlight a little longer than O. lata. The anthers had much the same appearance as those of the parental form, and but very little pollen was exposed. However, by pursuing the same methods as those which will be later described for the fertilization of O. lata, enough pollen was secured to thor- oughly cover the stigmas of 3 or 4 flowers. But 4 seeds were obtained, all of which failed to germinate. From studies of root-tips from this plant the somatic chromosome number was found to be22. Many beautiful figures were observed in which the chromosomes were well separated and clearly defined, leaving no question whatever as to the certainty of the count. The nature of the vegetative characters and the somatiec chromosome numbers of the offspring of the mutants above described become a subject of great interest and importance Dr. Shull has kindly given me permission to quote from his descriptions of these forms in the early rosette stage (May 12, 1911). Offspring of 1910 21-chromosome mutants (first form described in this report: 5445 self-fertilized (described above as No. 3, culture 6046) “produced only 3 plants, no two of which are alıke; one conforms to the 5509?) type, and another resembles linear-leafed giyas with lanceolate, acute leaves, not erinkled, but with margins strongly undulate. The third also resembles gigas in some ways, but with broad, uncrinkled leaves.” 5483, self-pollinated (one of the three individuals described above as No. 4, culture 6048), “has given me a family of 77, all but 2 of which are apparently good O. Lamarckiana. These 2 have round crinkled leaves resembling 0. lata, tho a little darker green and having a heavier texture than usually seen in that form.” 5558, self-pollinated (described as No. 5, culture 6051), “produced 8 offspring, 3 of which were albida, 1 lata and 1 having broad heavy leaves with winged petioles, grayish pubescent, somewhat resembling O. gigas. One other had long, lanceolate, sharp pointed, shining, darker green leaves, thick and leathery. The other two are too young to describe at present.” 13) 5509 represented a type of mutant frequently appearing among the ceultures of O. Lamarckiana at Cold Spring Harbor which was thought to have many characters corresponding to de Vries’ deseriptions of ©. oblong«a. The frequency of its appearance seemed a further indication of its identity, but Professor de Vries has recently stated to me that so far as he could judge from photographs and descriptions, this form did not appear to be oblonga. Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 397 5484 X 5483 (two individuals of No. 4, culture 6048, crossed), “produced 7 offspring, no two of which were alıke. These have been described as follows: 1. Stiff, ovate, uncrinkled, grayish leaves, spreading in centre of rosette. 2. Rather firm, cerinkled leaves, broadly oblong, slightly apıculate, erect in centre of rosette. 3. Resem- bles O. nanella, but with oval, rounded leaves. 4. Leaves large, but with very broad erinkled blades and winged petioles. Grayish pubescent. 5. Resembles linear-leafed gigas. Leaves nearly horizontal, light green, slightly grayish, uncrinkled. 6. Similiar to 1, but leaves less acute, less grayish, and a little more ascending. 7. Broadly oblong, acutish, cerinkled, grayısh. Centre of rosette moderately erect, but large leaves nearly horizontal. 5558 X 5483 (No. 5, culture 6051 X one individual of No. 4, culture 6048 — same male used in the cross just described), “produced 7 offspring, no two of which were alike, but most show some resem- blance to the several forms of O. gigas. These have been described as follows: 1. Thick, dark green, ovate leaves, almost uncrinkled. 2. Very crinkled, looks intermediate between gigas and lata. 3. slightly resembling O0. Lamarckiana, but wıth darker green leaves of thicker, fleshier texture. 4. Could easily be classed as a moder- ately broad-leafed gigas. 7. Rather young, but appears now similar to O0. Lamarckiana of same age.” Nos. 5 and 6 were not characterized. They were probably too young. The second mutant, 5589 (having a chromosome number in the region of 21), self-pollinated, produced but one offspring of the 5509 type mentioned among the progeny of 5445. The offspring of 5589 X O. gigas need not be considered here. As was previously stated, no germinations were obtained from the seeds of the 22-chromosome mutant 4453. From the fore-going it is clear that the 21-chromosome mutant does not breed true with respect to vegetative character. Unfor- tunately, nothing is known of the chromosome numbers of these plants, as the opportunity for this study was not afforded. While too much weight must not be attached to speculations in regard to the chromosome numbers of these offspring, some statement as to the probabilities may not be amıss. So far as I have observed (as previously stated), I have found that all individuals of a given type of vegetative character invariably have identical somatice chromosome numbers, regardless of the diversity of origin of the individuals in question. If the 75 offspring of 5483 self-pollinated which were ‘apparently good 0. Lamarckiana’ in the early rosette stage maintained these characters throughout their life histories, and were in every way indistinguishable from O. Lamarckiana, 1 think it is probable that each had 14 chromosomes. 398 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. All individuals which I have observed having a chromosome number much in excess of that of O. Lamarckiana displayed certain characters strongly suggesting those of ©. gigas, chiefly noted in the stoutness of all parts. This was true of both mutants and hybrids, and the only exceptions noted were those of certain second generation hybrids to be later described which maintained a high chromosome number in spite of their weak and sickly appearance. Even these retained the large buds and flowers of O. gögas. We may therefore assume that the possession of gigas-like vegetative characters by any form is an indication (not a proof) of a chro- mosome number considerably in excess of that of 0. Lamarckiana"*). On the basis of this assumption it would appear that 80 or more of the above described 98 offspring of the 21-chromosome mutants had a somatic chromosome number of 14, or in the region of 14 (lata, albida and the 5509 type), but that most of the remainder approached or equalled that of the parents, or of O. gigas. This ıs indeed very suggestive of irregularities in the divisions of the germ cells of the 21-chromosome mutants. In this connection the report of Geerts (16) upon the reduction division of the germ cells of a 21-chromosome offspring of O. lata X O0. gigas is of especial interest: „In unseren Oenothera-Bastarden treten die Chromosomen aus dem Knäuel in der vegetativen Zahl hervor, also 21 (Fig. 1). Nach der Auflösung der Kernmembran zeigen sie den Anfang der paar- weisen Anordnung, aber es entstehen nur 7 Paare, während 7 Chro- mosomen ungepaart bleiben. Bei der ersten Teilung, bei der Re- duktionsteilung, trennen sich von den 7 Chromosomenpaaren ganze Chromosomen voneinander, welche zu je einem Pol gehen (Fig. 2). 14) It should be stated in the connection that mutants with low chromosome numbers have been found with relatively stout stems and thick buds, so that the increased stoutness of certain parts is not an invariable indication of increased chro- mosome number. This condition, however, was confined to forms of low stature, and to individuals which resembled ©. gigas in no other parlicular. Gates (13), in discussing the offspring of O. lata X O. gigas, mentions the possibility of an individual having the tetraploid number of chromosomes owing its gigas characters to the number of chromosomes rather than their source. He also brought out evidence to show, form a series of measurements, that certain cells of the tetraploid mutant O. gigas are conspicuously larger than those of O. Lamarck- iana having the diploid number, and states that the larger cells doubtless account for the greater stature of this plant (12). While I think it is probable that the increased stoutness of O. gigas, and perhaps certain other characters as well, are the direct result of the doubling of chromosome number and increase in cell dimensions, I believe, as Stomps has stated (21, p. 63), that it is very improbable that all of the characters of this mutant are the direct expression of this increase. It is certain. that the larger cells of O. gigas are not responsible for increased height in this plant, for the height is not increased. As previously stated, de Vries described O. gigas as attaining about the same height as that of O0. Lamarckiana. Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 399 Von den 7 gesonderten Chromosomen wandern gewöhnlich 3 nach dem einen, 4 nach dem anderen Pole (Fig. 2), bisweilen liegen sie unregelmäßig in der Spindel zerstreut oder sind vielfach zerteilt (Fig. 3b). Zu jedem Pole gehen also 7 Chromosomen, welche, wenn sie dem Pole etwas mehr genähert sind, schon die Längsspaltung für die zweite Teilung als eine mehr oder weniger tiefe Einschnürung aufweisen und 3 oder 4 Chromosomen, welche meistens unregel- mäßiger und weniger deutlich gespalten sind. Bisweilen erreichen sie die Pole nicht und treten also, wenn sich um jeden Kern eine Wand ausbildet, nicht ın die Kerne ein.“ „Bei der zweiten Teilung werden 7 deutlich gespaltene Chro- mosomen in die Kernplatte eingereiht und 3 oder 4 kleinere, welche entweder eine mehr oder weniger tiefe Einschnürung zeigen oder sehr unregelmäßig gebildet sind (Fig. 5 und 6). In jeder Spindel lösen sich also von 7 Chromosomen die Hälften voneinander und wandern nach dem Pole, während die anderen Uhromosomen in der Spindel verteilt liegen oder in Stückchen zerfallen. Zu den 4 Polen gehen also immer 7 deutliche Chromosomen und oft eine Zahl unregelmäßiger Chromosomen oder Chromatinstückchen ?).” The above condition was described for the type first reported by de Vries(6) as intermediate between 0. lata and O. gigas, and designated by Geerts as the “lata-Typus”. He found a similar condition in the other hybrid common in this cross which he calls “gigas-Typus”, and which was first described by de Vries as having the appearance of combining Lamarckiana-gigas characters (6). Furthermore, he found the reduction divisions in the two hybrids O. gigas X O. Lamarckiana and ©. Lamarckiana X 0. gigas to agree in every respect with those ot the “lata-Typus” from O. lata X 0. gigas. Of further interest is the fact that he found 14 chromosomes in one individual ofthe second generation of O. gigas X O0. Lamarck- iana. He also states that the second generation offspring of O. gigas X O. Lamarckiana showed the characteristics of O. yigas quite as well as did those of the first generation. Ihave determined the somatic chromosome number approximately ın 53 second genera- tion hybrids (49 O. lata X O0. gigas and 4 O. Lamarckiana X O. gigas) 15) Stomps (21) had anticipated a condition in the reduction divisions of 21- chromosome plants somewhat similiar to that later observed by Geerts for these hybrids. Gates had reported that all of the 21 chromosomes of a triploid offspring of OÖ, lata X O. gigas were distributed to the two poles of the spindle at reduction in this plant, ordinarily in groups of 10 and 11. Stomps, in discussing these results expressed the opinion that this condition was analogous to that described by Rosenberg for Drosera obovata, and that 7 pairs were formed, while the remaining 7 ehromosomes were distributed to the two poles, ordinarily in groups of 3 and 4 each. 40 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. and precisely in 42 of this number. Some were observed to have low, some high chromosome numbers, but not a single instance was found in which gigas-like vegetative characters were associated with a low chromosome number, although many of these second generation offspring resembled O. gigas quite as pronouncedly as have any 21-chromosome hybrids of the first generation which I have thus far observed. However, but 12 of the 53 were offspring of 21-chromosome plants. These hybrids will be described in follow- ing papers. Gates (8, 9, 10) was the first to call attention to irregularities in the heterotypie divisions of the germ cells of Oenotheras, and these observations were recorded from plants with 20 and 21 chromosomes respectively, which he later believed to have been offspring from O. lata X O. gigas. In these plants he found that one chromosome occasionally passed to the wrong pole of the spindle in the reduction division of the male, resulting in the distribution of chromosomes in groups of 9 and 11 in the former case and 9 and 12 in the latter. He also observed a similar condition in the Lamarckiana hybrids of O. lata X 0. Lamarckiana (9, 11). This irregularity in chromosome distribution he later found to occeur occasionally in the reduction division of the male germ cells of O. gigas and other forms. He recorded a single instance in O. gögas (15, p. 923) in which a pair of homotypie spindles in late prophase showed 12 and 16 chromosomes respectively, indicating, as he says, that a 12— 16 distribution of chromosomes had occurred at hetero- typy. He states that this ıs the widest departure from an equal distribution of chromosomes that he has found. (Gates observed a second type of irregularity in the distribution of chromosomes in the heterotypie and homotypie divisions of various forms which ıs quite as significant as the first. He found many instances in which a single chromosome had been left behind during reduction, and had formed a small supernumerary nucleus (13, p. 184). This occurrence was noted particularly in hybrids. He mentions a case of especial interest in O. gigas (12, p. 528). Here he found three chromosomes left behind in the cytoplasm after the formation of the daughter nuclei at the end of reduction. He does not state, however, whether all belonged to one nucleus, or two to one, and one to another. The condition which Gates found at the end of the homotypie division of the male germ cells of O. lata (7, p. 98) indicates that numerous irregularities in chromosome distribution occur in the maturation divisions of the male germ cells of this form. He found the normal number of four nuclei in some cases, but these some- times varied in size and chromatin content. Occasionally extra nuclei were observed, and again others that were large and irreg- Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. AOl ularly shaped; at other times a small extra nucleus with a single chromosome, or two small extra nuclei, each containing two chromo- somes, etc. It would be very instructive to know whether such irregularities may be found at this stage in the female germ cells of O. lata, or whether this phenomenon is connected especially with the sterility of the male. Irregularities at this stage were occasionally found in themalegerm cells of other forms, but apparently in no such abundance as in O.lata. For example, Gates recorded one case in O. rubrinervis (11, p. 18) in which two small nuclei were present in addition to the four larger ones composing the tetrad. He also mentions and figures a case in the telophase of the homotypie mitosis of a 21-chromo- some plant (13, p. 188) in which one chromosome was left behind in the cytoplasm. These conditions recorded by Gates are very suggestive of irregularities in the homotypie division in certain cases, and are of especial interest, taken in connection with Davis’ statement in regard to O. Lamarckiana (4, p. 952): “TkE>s, during the homotypie mitosis it is not uncommon to find that some of the chromosomes in a group of seven have failed to reach the poles of the spindle, and as a result form smaller supernumerary nuclei in the pollen mother-cell. Such a case is shown ın Pl. LXXII, Fig. 44, where the chromosomes of three groups, a total of twenty-one, are distributed among five nuclei. Tetrads may even be formed in which large and small nuclei become associated in the same cell and pass into a resting condition, but it is not known whether such a cell can nature into a fertile pollen- grain.” It is very probable indeed that some of these various aspects observed at the end of the homotypie mitosis are the result of irregularities of the last division. The case recorded by Gates in which one chromosome was found to have been left behind in the cytoplasm after the formation of the daughter nuclei in the telophase of the homotypie division of a 21-chromosome plant strongly indi- cates that :t may be possible for a male germ cell to be finally equipped with less than the normal number of chromosomes, though fully supplied at reduction. The question remaining is whether germ cells are functional when supplied with less than the normal number of chromosomes. Davis (3, p. 638) reported having observed two cases in 0. biennis, and recently (4, p. 949) a single case in O. Lamarckiana ‘that showed numerical irregularities in the distribution of the chromosomes by the heterotypie mitosis’. He also refers to but one chromosome passing to the wrong pole of the spindle in these XXXIL. 26 402 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. instances. However, he mentions a very interesting irregularity in the heterotypie mitosis of O. gigas of the same nature as the second type referred to by Gates. He says (4, p. 957): “In this case two pairs of chromosomes had lagged behind the main group in passing to the poles of the spindle, and were associated in a small secondary spindle within the main structure. That «uch stray chromosomes, as well as the main group with a chro- mosome content smaller than the normal, may form independent nuclei is illustrated ın Fig. 70. It ıs, however, improbable that fertile pollen-grains can be developed under such abnormal condi- tions. The fact that the chromosomes in these nuclei have lost their usual form and by anastomosing appear to be developing a chromatie reticulum, indicates that the nuclei do not proceed further towards the homotypie mitosis, but probably pass into a resting condition.” If the 75 offspring of the Cold Spring Harbor 21-chromosome mu- tant (5483) persisted in their Zamarckiana characters throughout their life histories (and it ıs practically certain that the majority did if ‘ bore no other than Zamarckiana characters throughout the gre« Fl rosette stage !)), it would indicate that these offspring were t, e r nt of such irregularities in the heterotypie divisions of the be m ceils of the parent as were described by Geerts for the germ cells of 21-chromosome hybrids. Furthermore, the presence of 75 such offspring in a total of 98 described would indicate that this phen- omenon is of very common oceurrence. However, from the fact that a few of the offspring of these mutants were described as having vegetative characters resembling those of O. gigas more or less in the early rosette stage, I believe that we shall find, with more extended studies, that occasıonally numbers of normal chromosomes in excess of 14 (perhaps ranging all the way from 14 to 21) are distributed to the poles of the spindle at the reduction division of 21-chromosome plants!”). The two poles in such cases might receive equal or unequal numbers of chromo- somes. It is obvious that one must necessarily receive one more than the other when the total number reaching the poles is 15, 17, 19, or 21. From this irregular distribution, I believe that germ cells sometimes result with a number of normal chromosomes in excess of7. Let us assume that all of the 21 chromosomes occasionally reach 16) A recent communication from Dr. Shull states that 73 of the 75 offspring displayed no other than Lamarckiana characters throughout the season. Of the remaining two, one, at least, showed certain points of resemblance to O. gigas. 17) The second paragraph quoted from Geerts on p. 399 of this report clearly shows that a number of chromosomes (or remnants of chromosomes) in excess of 14 are sometimes distributed to the »poles of the spindle at the reduction division (“lata-Typus” from O. lata X O0. gigas). Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 405 the poles, and that the divisions are regular as described by Gates for a 21-chromosome plant, with only an occasional exception (such as he has noted in this form) of one chromosome passing to the wrong pole. If allremain normal, we should then have germ cells resulting as Gates has indicated, with 10 and 11 chromosomes commonly, and 9 and 12 exceptionally. These may so combine as to produce commonly, offspring with 20, 21 and 22 chromosomes respectively; and offspring with 18, 19, 23 and 24 chromosomes respnectively, occasionally (provided of course that functional germ cells may result from an irregular distribution of chromosomes). According to expectations, 21-chromosome plants should oceur most frequently among these offispring, and 18- and 24-chromosome plants most rarely. It does not necessarily follow that each of the former should duplieate the vegetative characters of the 21-chromosome parent, nor that all of these offspring should conform to one type. If we assume that chromosome numbers much in excess of that of ©. Lamarckiana are always associated with vegetative characters which suggest certain vegetative characters of O. gigas more or less, the above numbers (18, 19, 20, 21, 22, 23 and 24) would be suf- ficient to account for most of the offspring of the 21-chromo- some mutants which were recorded as having vegetative char- acters resembling O. gigas more or less; but they could not account for the large number of Lamarckianas among the offspring of one of these mutants. Neither would Geerts’ observations alone explain the presence of certain gigas-like characters in others, unless, as he states (16, p. 163) for the second generation offspring of O. gigas X O0. Lamarckiana, a 14-chromosome offspring of a 21-chromosome plant may resemble O. gigas as strongly as did the parent. If, however, we consider the possibility of irregularities of the second type observed by Gates and Davis (in which one or more apparently normal chromosomes fail to be included within either daughter-nucleus at the heterotypic or homotypiec division of the germ cells), then we might easily complete the seriesfrom 24 to 14. However, it would be surprising to find that this last irregularity is of sufficiently common occurrence for a self-pollinated 21-chromosome plant (5483) to produce over 70 fourteen-chromosome offspring in a total of 77. If these Lamarckiana ofispring had each 14 chromosomes, as we may assume with a fair degree of certainty, I think it is probable that this number was derived in each case from the fertilization of a 7-chromosome egg by a 7-chromosome sperm, and that these germ cells were produced in the manner described by Geerts. On the basis of the nature of the vegetative characters of the offspring of the Cold Spring Harbor 21-chromosome mutants, the following suggestions may be offered as working hypotheses: 26* 404 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 1. The heterotypie mitosis of 21-chromosome mutants and hybrids may sometimes distribute but 14 chromosomes, — which are destined to remain normal bodies, — to the two poles of the spindle. This distribution may be in groups of 7 each, ordinarily, but possibly occasionally in groups of 6 and 8 each. 2. The reduction division may sometimes distribute all of the 21 chromosomes to the two poles of the spindle. This distribution may oceur ordinarily.in groups of 10 and 11, but occasionally in groups of 9 and 12. All may remain normal bodies, or a few may afterwards degenerate. 3. A number of chromosomes anywhere between 14 and 21 may sometimes be distributed to the two poles of the spindle at the reduction division. The two groups may be numerically equal in such cases (approximately so when the number is odd), or unequal. All may remain normal bodies, or a few may afterwards degenerate. It ıs assumed for 1,2and 3 that 14 of the original 21 chromo- somes present at metaphase of the heterotypice mitosis will remain normal bodies. 4. The failure of one or more chromosomes to be included within a daughter-nucleus at the telophase of the homotypic division may result in the production of a germ cell with a chromo- some number less than that of the number received at the hetero- typic division preceeding. The number may also be reduced, as indicated above, by the degeneration of one or more of the chro- mosomes received by the daughter-nucleus at the telophase of the heterotypie mitosis. Consequently, the somatic chromosome number of an offspring of a 21-chromosome plant does not necessarily represent the sum of the numbers received by the two parental germ cells at the heterotypie division. The evidence does not indicate that we shall find one type of reduction exclusively in 21-chromosome mutant A, for example, and another in a sister mutant B. It is possible, in accordance with de Vries’ experiments upon the variation of the ‘Erbzahlen’ in relation to the different positions of the fruits on the plant (5, Bd. Il, pp. 414—418), that the type of reduction present in the male and female germ cells of a flower depends upon its position on the plant. We may find, tber- efore, that a single triploid mutant or hybrid may be represented by all types enumerated under 1,2 and 3, but that each may be restricted chiefly to particular portions of the plant. For instance, the reduc- tion division in both the male and female germ cells of the first flowers of a triploid plant might be represented by the Gates type almost exclusively, while that of the late flowers on the same branches (or stem) might exhibit chiefly the Geerts type of reduc- tion, or vice versa. Perhaps also, the first flowers of a weak Lutz, Triploid Mutants in Oenother.a. 405 lateral or sub-lateral branch may differ from the first flowers of the stem or a strong basal branch. The indiseriminate pollination of fiowers without regard to the position of the pistil- or pollen-fower on the plant, — such as was practiced in the self- and cross-fertilization of the triploid mutants, — might very well result in the production of offspring with just such a variety of somatic chromosome numbers as that which is indicated by the vegetative characters of the offspring of these mutants. The discrepaney ın the observations of Gates and Geerts may have resulted from material having been fixed from early buds in one case, and from late in the other'°). (“Early” and “late” of course refers to the first and last buds on the stem and branches, and not to the time of the season at which they were produced). These questions can be settled only by extensive studies of the reduction division in the germ cells of flowers from various regions of 21-chromosome plants in connection with the exact determination of somatic chromosome number in a large number of offspring of these plants, self-pollinated. However, it is exceedingly difficult to obtain seed from the self-pollination of 21-chromosome plants, or the pollination of such an individual by another of ıts kind, and it may not be possible to obtain large cultures of such offspring 18) I have since had the privilege of discussing this question with Dr. Geerts, and he tells me that his fixations from the 21-chromosome hybrids were made in September and October, and that they were taken from seed-plants, therefore from individuals which had produced their first flowers much earlier in the season. This indicates that Geerts’ type of reduction appears in the later flowers, and Gates’ probably in the earlier ones. Pollination of the Cold Spring Harbor 21- chromosome mutants was continued from the appearance of the first flowers (dates unrecorded, probably about the last of July) until the end of the second or third week in August. In our climate, seeds will not ordinarily ripen from later fertiliza- tions. It therefore appears that the Geerts type of reduction may occur compara- tively early in the season, though perhaps in flowers of a stem or branch which has been blooming for some time. It was my custom, in pollinating these 21-chro- mosome mutants, to cover the stigma of one flower with pollen- from another. Oeccasionally, however, the pollen of a flower was applied to its own stigma. If pollen chanced to be taken from an ‘early’ flower, and to be applied to the stigma of a “late” flower, then a 7-chromosome egg might be fertilized by a 10- or 11- chromosome sperm, and produce a 17- or an 18-chromosome offspring. Likewise, the fertilization of a “late” by a “late” might produce only 14-chromosome offspring. All the Lamarckiana offspring of 5483 may have been derived from the seeds of one capsule, and from the fertilization of a “late” flower with its own pollen, or with that of another “late” flower. Even though it may not be possible to ripen seeds from late fertilizations, it will be of great interest to determine whether they are more commonly produced from the pollination of “late” than “early” flowers of 21-chromosome plants. Geerts’ discovery of the degeneration of a portion of the chromosomes during the maturation process of certain triploid hybrids is a most important and significant one. A large field of inquiry is opened up in this connection. 406 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. in the immediate future. Since the chromosome numbers of the offspring of the Cold Spring Harbor 21-chromosome mutants are unknown, these plants, unfortunately, can not be accepted as positive evidence of one sort or another. The discovery of 21- and 22-chromosome mutants opens the question of the identity of certain plants first described by Gates as offspring of O. lata X 0. Lamarckiana (7). He said (p. 83): “My garden of 1906 contained fifteen plants from seed of O.lata pollinated by O. Lamarckiana, ten of which conformed more or less completely to the characters of the pollen parent and four to the lata type, which is easily distinguished even in the rosette stage. One plant (no. 79), however, differed markedly from either of these forms, and was clearly a ‘mosaic’ hybrid, i. e., in some characters it resembled one parent and in some characters the other parent. The petals, however, were considerably larger than those of either parent species, and the sepals showed streaks of red, suggesting the sepals of O. rubrinervis but much paler. This character, however, is common to all the plants of O. lata X ©. Lamarckiana having the Lamarckiana characters, and ıs occasionally seen to a less degree in O. Lamarckiana itself. The large ovaries and stout hypanthium, the greater pubescence on the young buds, and the broad leaves with their obtuse tips, are all characters of O. lata. But the leaves were scarcely at all crinkled (the more or less complete absence of crinkling being a character of O. Lamar- ckiana which distinguishes ıt easily from ©. lata), and the general habit of branching and greater luxuriance of growth also correspond with O. Lamarckiana. This plant is mentioned as showing that segregation of the parental characters is not always complete in this eross, as this individual was fairly intermediate in position between the two parents, though no fractionization ofany characters was observed.” Gates’ deseription of the so-called “‘mosaic’ hybrid” of this culture so closely resembles the description of the 21-chromosome Cold Spring Harbor mutant that I believe them to be the same thing. While he states that ‘the large ovaries and stout hypanthium, the greater pubescence on the young buds, and the broad leaves with their obtuse tips are all characters of 0. lata’, the first three characters might be stated equally well as deseriptive of O. gigas, and the last as distinctive of certain types of ©. gigas (the linear- leafed form of course being a notable exception). Unfortunately, Gates did not state the chromosome number of thıs plant, and it is probable that it was not ascertained. In discussing the chromosome numbers of certain individuals of this culture, he said (p. 97): Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 407 “Several of the figures (figs. 37, 38, 39) show that the number of chromosomes in the ©. Lamarckiana hybrid ıs greater than in O. lata. A count has not been made in the prophase, but from numerous counts in the metaphases and anaphases, the sporophyte number is found to be at least twenty and probably very near that number (fig. 37). It will be remembered that the sporophyte number in ©. lata ıs 14°"). He did not here state the number of Zamarckiana hybrids in which he found at least 20 chromosomes, but in a paper published in July, 1907 (8, pp. 10—11), in which the offspring of this cross are again discussed, he said: “It ıs doubtless true that chromosome counts as ordinarly made come from a very few individuals. In the case of the Zamarckiana hybrid I have examined material from two individuals and from different flowers in each; these plants were grown in different seasons. In every count the number of chromosomes in the somatic tissues has been twenty or twenty-one, though I have been as yet unable to determine with certainly between these two numbers.” In the summary on page 20 he said: “The number of chromosomes is now found to be twenty or twenty-one constantly in all the plants of the Zamarckiana hybrid examined, while the number in the pure 0. Lamarckiana, as well asın O. lata, is fourteen, the reduced number being seven. ... Thus the pure O0. Lamarckiana and the Lamarckiana hybrid, which are ıidentical in external appearance, differ widely in the number of their chromosomes.” In again referring to this supposed culture of O. lata X 0. Lamarckiana in a short paper (10) published ın January, 1908, he said: j “0. lata from a cross was found to have 14 chromosomes as sporophyte number, but quite unexpectedly one of the other plants from what was believed to be pure seeds of O. lata X O0. Lamarckiana was found to contain 20 chromosomes.” Speaking of irregularities of chromosome distribution in the heterotypie mitosis he said: “Such irregularities will probably also explain other variations of one or two in the chromosome numbers, including the 20 instead of 21 ehromosomes in what I-have now shown to be an O. lata X 0. gigas hybrid.” On the next page in the same note: “I have also recently examined material from another plant in the cross which was believed to be pure O. lata X O. Lamarckiana, 19) Notwithstanding my first statements in regard to chromosome numbers in O. lata (see foot-note 11), it will be later shown that the specific number for this form is 15. 408 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. but which appeared to have all the characters of O. gigas and was found to have 21 chromosomes. This, with other evidence, furnishes definite proof that the cross which was believed to be pure had been partly pollinated with ©. gigas” 2°). And in conelusion: “O0. gigas has 28 chromosomes, and certain plants appearing in the first hybrid generation of O. lata X O. gigas having almost or quite the identical appearance of O. gigas have 21 chromosomes (20 in one plant), the latter segregating equally in reduction,” ete. In still another paper entitled „The Behavior of Chromosomes in ©. lata X O. gigas” published in September, 1909, he states as a preliminary to the cytological discussions which follow: “The plants from which these studies were made were grown at Wood’s Hole, Mass., in 1905 and 1906, from seeds of De Vries. The results show that in some cases the number of chromosomes is undoubtedly 21, while in one individual it was 20°. The number is undoubtedly constant in an individual, however, as shown by a large number of counts, which demonstrated constantly 20 in one case and 21 in the other”. “The external characters were not studied with sufficient care at that time to describe them accurately, but from my notes they appear to have been intermediate between O. lata and O. gigas.” And in the note referred to: “In my first paper (8) this individual was thought to be O.lata X ©. Lamarckiana, but was afterwards found to be derived from fertilization by foreign gögas pollen, this particular seed package not having been guarded as was supposed when the seeds were planted’” ?)). z The evidence is not clear concerning the number of *Lamar- ckiana hybrids” studied, for there is nothing to indicate whether the 21-chromosome plant referred to in “The Chromosomes of Oenothera” was one of the two mentioned in the previous report (8, p. 10) or whether ıt was a third individual. Since he states, as quoted above, that the two were grown in different seasons, it is 20) This statement, together with the use of the term “foreign gigas pollen” in referring (13, p. 180) to the origin of the 20-chromosome plant of this eulture, precludes the possibility of these plants having arisen from a sowing of mixed seed, a portion of which had been derived from the guarded fertilization of O. lata X O. Lamarekiana and the. remainder from the guarded fertilization of O. lata by O. gigas. 21) This plant was mentioned as an offspring of O. lata X O. gigas in two papers published by Gates (11, p.28; 12, p. 540), without any statement concerning its uncertain origin in either case other than that which is contained in the paper to which the reader is referred in the second publication. Such statements are certainly very misleading. Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 409 not known whether these two were the 20- and 21-chromosome plants, the 20-chromosome plant and another whose number was ‘twenty or twenty-one’ (8, p. 11), or the latter and the 21-chromo- some plant. Since Gates has nowhere stated that these two or three plants were the ofispring of separate crosses, ıt is probable that all were derived from the same lot of seeds, though grown ın separate seasons. However, it is perfectly clear from the references which he mentions that the 20-chromosome plant referred to ın each of these reports above quoted is the same as that first described as “Lamarckiana hybrid” offspring of O. lata X 0. Lamarckiana (7). This plant has been so variously classified that the reader is left with no definite knowledge of the real nature of its vegetative characters. It was first described (7, p. 83) as belonging to a group of 10 plants ‘which conformed more or less completely to the characters of the pollen parent’ (0. Lamarckiana) and was called “O0. Lamarckiana hybrid”. Next (8, p.20) it is stated that the pure O. Lamarckiana and the *0. Lamarckiana hybrid” (which we have seen includes the 20-chromosome plant) ‘are identical in external appearance’. In the third paper (10) the 20-chromosome plant was included in a group of offspring of O. lata X O0. gigas described as ‘having almost or quite the identical appearance of O. gigas’. Lastly (13), it was mentioned in a group of hybrids which ‘appeared to have been intermediate between O. lata and O. gigas. In the foot-note (13, p. 180) quoted above in which Gates described the origin of the 20-chromosome plant, the last statement is not entirely clear. It is probable that he intended to state that the fertilization of the plant from which the package of seed was obtained, was unguarded. This is indicated by the use of the term “foreign gigas pollen”. To accept his meaning as stated would throw both parents in question. If, however, ıt was his intention to convey the thought suggested, then the question arises as to how one can know that the unguarded fertilization of any form was eflected by O. gigas pollen. Even though there were no prim- roses growing in the garden except O. lata and O. gigas at the time fertilization occurred, it could be assumed only as a probability, for O. lata, whose anthers are usually dry and barren, occa- sıonally produces a tiny bit of pollen which is capable of fertiliza- tion. In evidence of this fact, Ihave grown six cultures of O. lata at Cold Spring Harbor from six separate individuals of O. lata self-pollinated. This was accomplished only by gathering all of the unsplit buds from a number of individuals in the morning of the flowering day for days or weeks as necessary. These were then carefully opened in the laboratory, and when, rarely, a tiny bit of pollen was found, it was used to self-pollinate a guarded flower of the plant from which it was derived. +10 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. If anthers of O. lata are carefully examined with a hand lens it will usually be found that they have not opened and exposed such pollen as has been produced. By teasing them open with needles, it will be seen that they are partially filled with dry, shriveled grains lacking protoplasmie eontent. Scattered through this mass one can usually find a few grains which appear normal and healthy. If the number is increased to any considerable extent, the swelling of the large grains forces the anthers open in normal fashion, and the pollen is then exposed. Sometimes an anther is thus opened throughout its entire length, and sometimes only at the place where the bunch of normal pollen has been produced. One can not there- fore say, no matter how barren the anthers of a plant may appear upon occasional examination, that it does not, very rarely, produce a tiny bit: of pollen. Since a 21-chromosome mutant appeared in a Cold Spring Harbor eulture of O. lata self-pollinated, having vegetative characters resembling O0. Lamarckiana in certain respects and 0. gigas in others, and a 22-chromosome mutant having vegetative characters strongly suggesting intermediacy between O. lata and O. gigas appeared in another culture of O. lata self-pollinated, it is not impossible that one or more of the plants of Gates’ culture derived from the open pollination of O. lata and assumed to be offispring of O lata X ©. gigas, were mutant ofispring of O. lata fertilized with 0. lata pollen. If the O. lata parent of the 21-chromosome plant referred to in “Chromosomes of Oenothera” (10) was grown in the vicinity of O. Lamarckiana, for example, there would be no more occasion for assuming that this plant was derived from the fertilization of O. lata by O. gigas pollen than by ©. Lamarckiana pollen, for a mutant is now known to have arısen from ©. lata X 0. Lamar- ckiana having 21-chromosomes and many vegetative characters sug- gestive of O. gigas. While it is therefore possible, and quite probable that the 20- and 21-chromosome plants of unknown male parentage originated through the fertilization of the O. Zata parent by O. gigas, as assumed by Gates, there is no means of proving it, either from the evidence of chromosome number or vegetative character; nor can we with any more security assume that they are mutants. In his paper on “The Chromosomes of Oenothera” (10) Gates states, as previously quoted, that another plant in this cross which was believed to have been pure O. lata X O0. Lamarckiana, but which appeared to have all the characters of O. gigas, was found to have 21 chromosomes. Since the 20-chromosome plant derived from the unguarded seed-package was then encorporated in his report (15) upon the offspring of O. lata x 0. gigas, the reader is left to wonder whether the 21-chromosome plant was not similarly Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. AA included, and the 20- and 21-chromosome plants of assumed male parentage have formed the basis of this report upon the offspring of O. lata X O0. gigas. The writer in August, 1907 (17) reported that the somatic cells of O. gigas had been found to have 28 or 29 chromosomes. In January, 1908 (10) Gates reported 28 for O. gigas, having determined this number from the study of reduction. mitosis in the pollen mother-cells of this form. ©. lata has been repeatedly referred to by Gates as having 14 chromosomes (7, p. 97; 8, p. 11; 10). On the first page of his paper dealing with “The Behavior of Chro- mosomes ın O. lata X 0. gigas” (13) O. lata ıs referred to as ‘hav- ing usually 14 chromosomes’. He then says: *ıf fertilization took place in the ordinary manner, the hybrid ©. lata X O. gigas would be expected to have 21 chromosomes, 7 derived from the lata egg and 14 (which is probably a double set of Lamarckiana chromosomes) derived from the male cell of ©. gigas”. If, therefore, the expecta- tion was 21 chromosomes for hybrids of this cross, and the 20- chromosome plant derived from the package of unguarded seeds was included among the offspring of O. lata X ©. gigas reported in this paper (13) there would appear to have been no reason for excluding the 21-chromosome plant of unknown male parentage. Furthermore, Gates’ statement at the beginning of his paper dealing with “The Behavior of Chromosomes in ©. lata X 0. gigas” appears to confirm the supposition that the hybrids of this report are the 20- and 21-chromosome plants of unknown male parentage referred to in earlier contributions: “The general results regardıng chromosome numbers and distribution were obtained some time ago, and a brief statement was published (10), but the cytological evidence is here presented for the first time. Many of the drawings for these figures were completed about two years ago,” etc. The only offspring of O. lata X 0. gigas which he mentions in the paper to which he refers the reader (“The Chromosomes of Oenothera”) are the two plants of unknown male parentage which he has assumed to be oflspring of O. lata X O.gigas. While Gates states (13, p. 180) that the 20-chromosome plant included in this report upon “The Behavior of Chromosomes in O. lata X O. gigas” ??) was derived from a seed-package that had not been guarded, and 22) Although in his report (13) upon the hybrid offspring of O. Tata X _O. gigas Gates quotes (pp. 180—181) from a report upon the Cold Spring Harbor cultures in which a variety of numbers were announced for the somatie cells of the various types of these hybrids, he states in the summary at the conelusion of his. paper: “O. lata X. 0. gigas has 21 chromosomes in its somatie cells, 7 of maternal origin (0. lata) and 14 of paternal origin (O. gigas). In one individual the number was 20, owing probably to the absence of one chromosome” etc. 412 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. was the individual first thought to have been O. lata X O0. Lamar- chtana (7), nowhere does he inform the reader that the 21-chromosome plant was derived from guarded fertilizations. No mention is made of the number of individuals grown in this culture of O. lata X 0. gigas, nor does he state the number of plants in which he counted 21 chromosomes. It is not even asserted that a guarded pollination of O. lata X. O0. gigas had ever been made. The only information which the reader is given concerning the pedigree of the 21-chro- mosome plant ıs included in the following statement (13, p. 180): “The plants from which these studies were made were grown at Wood’s Hole, Mass., ın 1905 and 1906 from seeds of de Vries.” One is left to infer from this statement that the crosses were made by de Vries, but it is possible that this is not the meaning which he intended to convey. De Vries, in 1908, deseribed a culture of O. lata X O. gigas as follows (6, p. 759): „Im Sommer 1907 erzog ich 133 Pflanzen, welche schon im Juli deutlich zwei Typen zeigten. 68 Exemplare zeigten gleichzeitig die Merkmale beider Eltern, während die übrigen 65 keine Spur von lata-Eigenschaften verrieten, sondern genau den Bastarden von O. Lamarckiana X. O. gigas glichen.“ Three small eultures of O. lata X. O. gigas have been grown at Cold Spring Harbor??), and the majority of the offspring have been found to belong to the two types described by de Vries, although, as previously reported (20), several other forms appeared in the Cold Spring Harbor eultures which were quite distinet from either of the two more common types. I devoted almost two years to the careful study of the relation of somatie chromosome number to vegetative ‚character in the offspring of O. lata x O0. gigas. During the growing season of 1908 (from the germination of the first seedling leaves early in the spring until late in October after the plants were killed by frost), attention was directed almost exclusively to the study of the vegetative characters of these and other primroses 23) The two cultures of 1907 and 1908 were of separate parentage, but each of the two lots was derived from a single female pollinated by a single male. In referring to the hybrids of the 1908 eulture reported in February, 1909 (20) Gates says (14): “Whether these hybrids all had the same individual O. lata plant as mother is not stated,” etc. My mistaken usage of the term ‘extracted Zatas’ for first generation hybrid offspring was doubtless misleading, but he has curiously overlooked the following statement contained in the short note in which these hybrids were reported (20), and to which he refers: “The hybrids were the progeny of a single pair of parents; the pistil parent in this case being a mutant which arose from a culture of pure-bred Lamarckiana, and the pollen parent a pure-bred gigas.” Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 415 in which I was interested at the time. During the height of the season, from the first of July until the first of September, these plants were the subject of almost constant daily observation from 4, 5 and 6 A.M. until twilight. Somatic chromosome numbers have been carefully studied in 61 of these hybrids (including the first 3 grown in 1907), accurately determined ın 52 of the lot, and approximately in the remaining 9. The results obtained from the three plants of the first cross were reported (18) in August, 1907. 40 of the second cross were studied, and although, as stated in a short note?*) given out in February, 1909 (20), the number was not exactly determined in all, the following numbers were reported to have been found among these hybrids: 15, 22, 23, “plants having göyas number of chromo- somes (30 in each case so far definitely counted)”, “and some possihly 21”. 18 imdividuals have since been added from the second cross (some of which consisted of bud fixations only), making a total for the two cultures as stated (1907, 3; 1908, 40 —+ 18). The chromosomes of the hybrids of the third culture were not examined. Not only has the count of 21 been clearly ascertained for certain hybrids of this cross since the publication of the first note, but it has been found that this is one of the two most common numbers. However, I have never observed a 21-chromosome plant among offspring of O. lata X O. gigas havıng characters which ‘appeared to be intermediate between O. lata and O. gigas’ as stated by Gates. In each of the 16 hybrids in which I have found 21 chromosomes the characters of the pollen parent appeared to have been combined with those of 0. Lamarckiana, commonly, and with those of O. rubrinerves and other forms occasionally; — various types of the pollen parent doubtless entering into these combinations. Although but 9 of the 16 came to flower (6 as annuals, 3 as biennials), the rosettes of the remaining 7 showed no sign of lata character that was recognized. Also, hybrids do oceur ın this cross with characters inter- 24) When this note was published it was the intention to follow soon after with a detailed description of this culture; but upon attempting to prepare the report it became apparent that no logical explanation of many of the curious combina- tions of chromosome number and vegetative characters found in these hybrids could be uffered on the basis of our almost complete ignorance of the normal behavior of O. lata when self-pollinated or crossed with another of its kind, and our limited knowledge of the range of variation of chromosome number among the different types of O. gigas. Publication has therefore been long withheld until the ceultures referred to could be grown and studied. The work has now been carried sufficiently far to explain most of the points of interest among the offspring of O. lata X O0. gigas and they may therefore be again referred to in this report. Full, detailed descriptions will follow in a later publication. 414 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. mediate between O. lata and O. giögas, and this type is perhaps the most common of all, but such forms invarıably had 22 and never 21 chromosomes ®). I found this to be the number for 25 offspring of 0. lata X O0. gigas, the majorıty of which appeared to combine the characters of some type of O. gigas with those of O. lata. Lastly, hybrids do appear among the offspring of this cross having vegetative characters closely resembling those of O. gigas, as described by Gates for a 21-chromosome plant said to be an offspring of O. lata X O0. gigas; but such hybrids have shown in each of the 8 individuals which I have studied?°), a somatic chro- mosome number of not less than 28 nor more than 30 — never 21. The 9th hybrid which I found having a chromosome number in the region of that of O. gigas had a few characters suggestive of O. lata 25) These observations do not agree with those of Geerts (16) who, as pre- viously quoted, reported 21 chromosomes for both types of hybrids described by de Vries. The number of individuals from which Geerts made his counts is not stated in his report. If we should find that a plant of a given type of vegetative character may have a certain number of chromosomes in Amsterdam cultures and another in those of Cold Spring Harbor, we must then no longer expect agreement in the observa- tions of investigators from different localities, and the results of no one worker could thereafter be made of general application to the problems of mutation in the Oenothera. I have recently determined the chromosome number precisely in two latas of de Vries’ culture and identification grown in 1911, and find it to be 15 in each case. It is therefore probable that the /ata parent of the Amsterdam cultures of O. lata X_O. gigas had also 15 chromosomes. Then, if the male parent had 28 chromosomes, and the processes of reduction and fertilization were normal, we should certainly expect to find 21- and 22-chromosome hybrids in approximately equal numbers among the offspring of this cross. In the Amsterdam culture of 133 plants, 68 hybrids were of one type and 65 of another. Of the Cold Spring Harbor cultures in which the chromosomes of 61 plants were studied, 25 hybrids were found to have 22 chromo- somes, and 16 hybrids 21 chromosomes. (Other numbers also were represented, as stated above. See p. 422.) Of the 9 plants in which the chromosome number was determined only approximately, 5 had the vegetative characters of 21-chromosome plants, and therefore probably had 21 chromosomes, as they appeared to have. If such were the case, then the two cultures of this eross produced 25 hybrids with 22 chromosomes and 21 hybrids with 21 chromosomes. Considering the fact that only 61 plants were studied, this is coming pretty close to expectation. However, the chromosomes of 19 hybrids of the 1908 culture were not examined, and the vegetative characters of the majority of this number were of the 22-chromosome type. It is therefore probable that the number of hybrids having 22 chromosomes in the small Cold Spring Harbor cultures was considerably in excess of those having 21 chromosomes. I hope to study the somatic chromosomes of the lata-gigas hybrid (Geerts’ “lata-Typus’) of de Vries’ culture and identification in the near future. 26) Although these hybrids strongly resembled O. gigas in the majority of their vegetative characters, no one of them duplicated the vegetative characters of any one of the various types of OÖ. gigas with which I am familiar in the same sense that the 2 lata hybrids of this cross duplicated the vegetative characters of 0. lata, Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 415 combined with a larger number suggestive of O. gegas. It is poss- ible, however, that these were true gigas characters, for several plants have since appeared among the pure cultures of O. gigas at. Cold Spring Harbor which combined many of the common characters of O. gigas with others that were more suggestive of O. lata. However, to have found a type of gigas having bud- form or erinkledness of leaf (or both) resembling ©. lata does not necessarily indicate that it owes this resemblance to O0. lata parentage, although it does seriously complicate hybridization studies BE Or lata X 0. gigas?”): It seems probable, therefore, that the 21-chromosome plant described by Gates as offspring of O.lata X O0. gigas, ıf such, had neither ‘almost or quite the identical appearance of ©. gigas’, nor vegetative characters ‘which appeared to be intermediate between those of O. lata and O. gigas’, but that ıt was rather a 21-chromo- some hybrid of the type found common among the Cold Spring Harbor offspring of O. lata X O. gigas. The strongest evidence in proof of this assumption is Gates’ statement (10) that the O. lata X O. gigas hybrid ‘matures an abundance of pollen’. Of the hybrids of this eross coming to flower which I have studied, only those having gigas-like characters in combination with a chromosome number in the region of that of O. gigas, —- and the 21-chromosome plants excluding lata characters, — produced a moderate abundance of pollen. Those having lata-gigas characters exposed about as little pollen as O. lata itself. It is unfortunate that Gates did not state whether any of the remaining 13 individuals of the supposed culture of O. lata X 0. Lamarckiana (7) were also derived from seeds of the unguarded seed-package, for the paternal origin of each of the remaining members of this culture are thus left ın question, including the so-called *‘mosaic’ hybrid”. It ıs now well known that ©. lata X 0. Lamarckiana produces the following offspring: a) Lata hybrids which are in every way indistinguishable from lata mutants. 27) This is but one of the numerous examples which illustrate the fact that the Oenotheras form a most interesting subject for mutation studies, but a much less satisfactory one (with our present knowledge) for hybridization experiments. One may pollinate yellow-budded A, for example, with red-budded B. But A may be capable of throwing red-budded mutants when self-pollinated or erossed with another of its kind, and B, under similar conditions, may throw yellow-budded mutants. Examples of such oceurrences will be demonstrated in reports to follow. How is one to know, therefore, that the yellow-budded offspring have derived this character from the female parent, and the red-budded forms the sepal coloration from the male parent? 416 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. b) Lamarckiana hybrids which are in every way indistinguishable from Lamarckiana oflspring of O0. Lamarckiana X 0. Lamarckiana. c) Mutants. Cultures of O. lata X O.gigas have been reported by de Vries(6), possibly by Gates (13), and by myself (20), but no lata offspring were stated to have appeared in either of the first two cultures, and but 2 such hybrids have been recognized in a total of 151 offspring of the above cross grown at Cold Spring Harbor in 1907, 1908 and 1909. The number of hybrids grown by Gates is not stated, — and there is considerable uncertainty as to whether he has ever grown this culture; but the total reported for the Amsterdam and Cold Spring Harbor cultures is over 284°*). It is therefore probable that ©. lata appears but rarely among the offspring of this cross. If the female parent of the 14-chromosome plant described in Gates’ first paper (7) was known to have been O. lata, the presence of Alata offspring ın a total of 15 would indicate that these plants originated as first stated; — by the fertilization of O. lata with O0. Lamarckiana pollen. However, we are not safe in assuming that such was the case, for there are other possibilities that cannot be ignored. O. lata may have been fertilized by some other form which, in union with O. lata, may also have been capable of produc- ing 0. lata offspring; furthermore, one or more of these 4 plants may have arisen from the fertilization of the female parent with O. lata pollen. The last however, is the least probable of the three conjectures. These assertions are based on the assumption that each of the 4 plants in question were latas, as stated. But Gates has reported 14 chromosomes for at least one of these plants. Was this individual wrongly identified, or was the chromosome number wrongly determin- ed, — or may 0. lata sometimes have 14 chroımosomes? I have determined the exact somatic chromosome number in 28 latas. Each was found to have 15 chromosomes, whether mutant, hybrid, offspring of mutant lata self-pollinated, or offspring of hybrid Zata self-pollinated; whether grown at Amsterdam, Cold Spring Harbor, or the New York Botanical Garden; and whether derived from de Vries cultures, from plants descended from plants or seeds from de Vries, or from plants of English ancestry, in no wise related to de Vries’ cultures. Since all the evidence of the Cold Spring Harbor studies points to the conclusion that all plants having the same vegetative characters throughout their life histories 28) As previously quoted, de Vries (6) stated that he grew 133 offspring of O. lata X O0. gigas in 1907. A second lot was grown in 1908 which gave the same percentages and the same characters as the first. The number of individuals composing the second culture was not stated, but it is clear that the actual number reported by de Vries for this cross is in excess of 133. Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 47 invariably have the same somatic chromosome numbers, it is prob- able that somatic chromosome number in ©. lata is constant. From the fact that an offspring of O. lata corresponding to the type of that described by Gates for the “‘mosaic’ hybrid” (7) has never been reported except as the ofispring of O. lata X 0. Lamarekiana and O. lata self-pollinated, it seems probable that this plant also originated as first stated, or as the offspring of O. lata pollinated by O. lata. However, it is possible that it may have resulted from the fertilization of ©. lata by some other form cap- able (in union with ©. lata) of producing this type. The evidence is less clear for the remaining 8 of the 10 individuals first termed *O. Lamarckiana hybrid”. Since this group of 10 was first described as conforming more or less completely to the characters of the pollen parent, 0. Lamarckiana, they must, according to a well known mathematical rule, have resembled each other more or less. If, as stated in the next paper (8), the pure O0. Lamarckiana and the O0. Lamarckiana hybrid were ‘“dentical in external appearance’ then there can be no question but that these *Lamarckiana hybrids” were, with respect to each other, ‘identical in external appearance’. In either case, since one of the 10 had 20 chromosomes, and possibly another of this lot, 21, ıt would seem probable that the remaining 8 or 9 had similar numbers and were likewise derived from seeds of the ‘unguarded seed-package”. However, if I understand Dr. Gates’ statements correctly, at least one of the original “Lamarckiana hybrids” (and probably two) was later included in a group of hybrids described as having ‘almost or quite the identical appearance of O. gigas’ (10), and still later was mentioned in a group of hybrids which ‘appeared to have been intermediate between O. lata and O. gigas’ (13). We have, therefore, no definite basis for speculation concerning the probable origin of these 10 plants. While it is not probable that any of Gates’ original 10 “La- marcktana hybrids” (7) had the same vegetative characters as those of the “‘mosaic’ hybrid”, it is quite as possible that one or two of the 21-chromosome plants of unknown male parentage were trıploid mutants, as that they were hybrid offspring of O. Tata X O. gigas. To review briefly, a single type of 21-chromosome mutant, represented by 8 individuals, appeared among six separate cultures of Oenotheras at the Station for Experimental Evolution. It is possible that the *‘mosaic’ hybrid” of Gates’ culture also belonged to this group. A second mutant, represented by a single individual, of a type of vegetative character in some respeets quite distinet from the ÄXXIL 27 48 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera: first, was recognized in a seventh culture. The chromosome number of this plant was not determined, but was found to be not less than 20 nor more than 22. A third mutant, also represented by a single individual, having vegetative characters quite distinct from those of the two preceed- ing, and having 22 chromosomes, was found in an eighth culture ?®). All of the above 10 individuals were of known parentage and descended through guarded fertilizations from seeds or plants from de Vries. From the foregoing ıt appears that the evidence is not lacking to demonstrate the occasional oceurrence of triploid mutants in Oenothera. We may now consider the evidence at hand in regard to the relative frequency of triploid and tetraploıd mutants. Davis, ina recent publication (4), has called attention to a most important point in the following statement: “Thus gögas at the most has been noted only seven times, and, since apparently the cytology of de Vries’ stram alone has been studied, it is by no means certain that all of the forms reported later are the same as the first example from de Vries’ cultures of 18952: In my studies of the Oenotheras (as repeatedly stated heretofore) I have found no exception to the rule that all plants having the same vegetative characters from the seedling stage to the end of the flowering period, — have identical chromosome numbers. Therefore, each mutant that was certainly proven to have had the same vegetative characters as de Vries’ 1895 O. gegas mutant, probably had the same chromo- some number as the latter form. So many difficulties attend the certain identification of mutant O. gigas that 1 doubt ıf any one but Professor de Vries is capable of identifying it with certainty, for he alone has the mental picture of the original plant. Those of us who have gained our impressions of the vegetative characters of this form chiefly from the study of the inbred descendants may not be able to judge correctly. Furthermore, we can not rely upon the number of chromosomes for the identification of O. gigas, any more than we can assume that 14 chromosomes proves a plant to be O0. Lamarckiana. Although all of 7 individuals in question were observed by de Vries (de Vries ö5, MacDougal 1, Schouten 3), the iden- tifications were made before it was known that other forms possessed 29) Another plant was observed in a ninth culture (0. Lamarckiana X O. Lamarckiana) in 1908 which has not been included in this report as the card bearing the description of its vegetative characters was lost. However, it is marked on the 1908 chart as “gigas-like”, and, as I have two fixations of root-tips from this plant I hope to be able to determine its somatie chromosome number at least approximately. It is probable that it also was a triploid mutant. Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 49 certain vegetative characters which strongly resembled certain characters of. O. gigas. It ıs therefore not impossible that such as were identified from the rosette stage only (as for example Mac- Dougal’s “gigas”?°) which was not more than two months old when observed by de Vries), may have been trıploid mutants, instead of O. gigas. Stomps (21, p. 60) has indicated, as prev- iously stated, that the second and third plants of de V ries’ culture (5, Bd. I,p. 231) may have been such. Gates(12,p.536) had prev- iously suggested that there might be some question as to whether these two forms were the same as the original mutant since “neither of these plants matured”. With reference to these two mutants de Vries said (5, Bd.I, p. 231) that he succeeded in bringing the first to flower, though too late to ripen seed. He compared this individual with the descendants of the original 1895 mutant, and found that it agreed with them in all essential points. The second of the two remained a rosette and never developed a stem. Since the first of these plants came to maturity in 1898, only three years after the recognition of the original mutant, it seems probable that there was no mistake in the identification of this form. The second of the two may have been a triploid mutant. After triploid mutants were once definitely recognized in the Cold Spring Harbor cultures in 1908, eight were identified in 1910. This, together with the further fact that Professor de Vries believes they have appeared quite often ın the Amsterdam cultures, leads me to believe that they will hereafter be found to occur with comparative frequency. It is therefore possible that O. yigas may have appeared but once or twice, and that triploid mutants may occur much more frequently than tetraploid forms. How shall we explain the fact that O0. Lamarckiana, or a derivative of O. Lamarckiana (O. lata), when self-pollinated, may produce an offspring with a chromosome number differing from that of its own? Gates (11), in discussing the origin of chromosome number in certain forms which had been reported as having 14, 15 and poss- ibly 16 chromosomes respectively, says: “Disregarding the possibility that these results might be due to the well-known variation in chromosome numbers in root tips,” etc. 30) Mutations, Variations, and Relationships of the Oenotheras. D. T. Mac- Dougal, A.M.Vail, and G. H. Shull. The Carnegie Institutions of Washington, 1907, pp. 3—4. 27* 420 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. As previously mentioned in this report, I have determined the exact number of chromosomes in 228 plants, and have found that somatic chromosome number in Oenothera ıs constant, so far as has been observed. I have not kept a record ofallthe figures counted, for in some root-tips they were so abundant that this was not practical. In such cases only the best were recorded. However, an effort was made to determine the number of chromosomes in every figure that appeared at all countable, and it will be a very conservative statement to say that somatic chromosome number has been exactly determined in not less than 8000 metaphase figures, and probably many more. Exclusive of certain very rare exceptions previously referred to (and which will be fully described in later reports), the number has been found constant for the individual in all cells of the root-tips and floral tissues studied in which ıt was possible to determine the number. Since the majority of these studies were made from sections of root-tips, we can not explain the above phenomenon on the basis of “the well-known variation in chromo- some numbers in root tips”. Although the divisions of the somatic cells may be said to be constantly regular, and as a result, somatic chromosome numbers practically ınvariable, we know from the researches of Gates (9, 10, 11,13, 15), Davis (3, 4) and Geerts (16) that irregularities some- times occur in the heterotypic mitosis of the Oenotheras; and from the publications of Gates (13, p. 188) and Davis (4, p. 952) that irregularities sometimes occur in the homotypie mitosis as well. We must therefore turn to the germ cells for an explanation of these mutant chromosome numbers. The derivation of 15-chromosome mutant offspring from 14- chromosome parents can readly be explained as stated by Gates, — by one chromosome passing to the wrong pole at the reduction division of one of the two parents, and the cell having the larger number of chromosomes uniting in fertilization with a normally reduced cell. "The origin of the two 15-chromosome l/ata offspring in the culture of O. lata X 0. gigas can also be explained as suggested by Gates (13, 14), — by the apogamous development of these forms from female germ cells having the unreduced number of chromosomes. However, it will be shown in the following paper that there is some evidence to indicate that these two plants may have derived their chromosome numbers from the fertilization of S-chromosome eggs by 7-chromosome sperms (or 7-chromosome eggs by S-chromosome: sperms), and that the latter may have attained their reduced numbers ın the manner described by Geerts (16). The presence of 14 chromosomes in a second generation offspring of O0. gigas X ©. Lamarckiana deseribed by Geerts (16) is explained Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 421 by the phenomena which he observed in the germ cells of the 21- chromosome parental form. A number of theories have been offered to explain the origin of the tetraploid condition in ©. gigas. One of these, namely that of de Vries and Stomps, presupposing the union of two germ cells each having the diploid number of chromosomes (and thereby allowing for the possibility of a more frequent union of a haploıd and a diploid germ cell) is quite sufficient to explain the presence of the 21-chromosome mutant ın eultures of ©. Lamareckiana X ©. Lamarekiana, and the 22-chromosome mutant in the culture of O. lata self-pollinated, as reported. Since a triploid condition is represented in the 21-chromosome offspring of 0. Lamarckiana X 0. Lamarckiana and that which may be termed triploid in the 21- and 22-chromosome offspring of O. lata self-pollinated, the explanation which first suggests itself ıs that of the union of a reduced and an unreduced germ cell. The question which next arises is whether this unreduced germ cell was contributed by the male or female parent. We have the case of polyspermy in animals in which the reduced female germ cell receives a double number of chromosomes from the male, and the case of Ascaris in which a reduced number of male chromosomes unites with a double number from the female. From what we know of apogamy in plants, however, it seems probable that reduction fails to take place in the female germ cells more commonly than in the male. This assumption appears to be supported by the presence of 2 /ata-lıke hybrids ın the culture of O. lata X O.gigas and of 9 hybrids in a total of 61 for 1907 (3) and 1908 (58) having each a chromosome number of 28 (?), 29 or 30. The simplest explanation for the origin of these 11 plants ıs that of the apogamous development of unreduced female germ cells in the two former cases, and the fertilization of unreduced female by reduced male germ cells in the 9 remaining cases. A total of 80 offspring of O. lata X O. gigas was grown im 1907 (3) and 1908 (77). Of this number fixations were prepared for chromosome studies from 63; chromosome numbers were studied in 61 and exactly determined in 52.- These 52 offspring were distributed as follows: Number of chromosomes 15 21 22 23 29°!) 30 Number of individuals 2 LO 25 3 2 4. 3l) One of the three plants of the 1907 culture was first reported (18) as having 28 or 29 chromosomes. The number has since been exactly determined and was found to be 29. Several metaphase figures of 28 chromosomes each were counted in one of the two plants marked 28(?), but since only a few were observed, and these did not demonstrate the number as clearly as I wished, I prefer to label this plant (3368) as questionable. 422 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. - The remaining 9 may be roughly classified as follows: Number ofchromosomes 21(?) 24(??) 28() 28,29 or 30 Number of individuals 5 1 2 IR Of the remaining 19 hybrids in which the chromosomes were not examined, the majority appeared, from the nature of their veg- etative characters, to be intermediates (as previously stated). However, several died as young rosettes and several more were dwarfed by their proximity to a large tree, so that a few remain in question, but it is certain under all circumstances that none of these had vegetative characters suggestive of low chromosome numbers. It will be seen that we have at least 11 (which I am inclined to believe represents the full number) ın a total of 80 which may have been derived from unreduced female germ cells. This is approximately one in every eight and indicates that O. lata at least may quite frequently produce unreduced female germ cells®?). How- ever, it can not be said that the 15-, 28(?)-, 29: and 30-chromosome hybrids are positive evidence of the production of unreduced female germ cells in ©. lata, as it will be later shown that there is another explanation possible (though less probable) for the origin of each of these numbers. It is at once apparent, however, that none of the numbers found among the offspring of this cross —- 15, 21, 22, 23, 28 (?), 29 and 30 — can be explained on the basis of the union of a reduced female with an unreduced male germ cell. Therefore, while I believe that this phenomenon also occurs occasionally in the male germ cells, and that the union of a diploid female with a diploid male germ cell is the explanation of the origin of the tetraploid condition in O. gögas, it is probable that unreduced male germ cells are produced much less frequently than unreduced female. The true test will be the approximate determination of chromosome number in 100 or more offspring of O. gigas (28) X O. /ata (15), for it may be that this phenomenon appears more com- monly in the germ cells of O. /ata than some other forms°?). 32) This statement does not imply that apogamous offspring are frequently produced by O. lata or any other form. The few tests which I have made for apogamy in O. Lamarckiana and O. lata have given only negative results. 33) In this connection the somatic chromosome numbers of offspring of 0. Lamarckiana (14) X O. gigas (28) and the reciprocal, O. gigas (28) X O. Lamar- ckiana (14) become of intense interest. In each case the union of normally reduced male and female germ cells should produce 21-chromosome offspring exelusively. De Vries grew the former culture in 1905, 1907 and 1908, and the latter in 1907 and 1908. He found (6) that, with the exception of certain linear-leafed forms appearing among the progeny of the two crosses, and a dwarf mutant in- the eulture of O. Lamarckiana X O. gigas, the hybrids of these two crosses were all of one type, and intermediate between the two parents with respect to vegetative Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 23 From such a cross we should expeet to obtain 21- and 22- chromosome offispring in greatest number. However, should a normally reduced female germ cell unite with an unreduced male, we should have a 29-chromosome offspring resulting. Should an unreduced female unite with a normally reduced male and produce offspring, we should expect this plant to have 35 or 36 chromo- somes, according to whether the combination was 28+ 7 0r28 +8, The comparative frequency of 29-chromosome hybrids among the offspring of this cross would be some indication of the comparative character; — thus demonstrating that Q gigas 14 + g Lamarckiana 7 produces the same type of offspring as 2 Lamarckiana7 + d' gigas 14. In all eultures of these two crosses we should certainly expeet to find the majority of the offspring to be intermediate, 21-chromosome hybrids. But if it is possible for O. Lamarckiana and O. gigas each to produce unreduced female germ cells occasionally, then the union of unreduced female with normally reduced male germ cells should be expected to produce 28-chromosome offspring in the eulture of O0. Lamarckiana X O. gigas, and 35-chromosome offspring in that of O. gigas X O. Lamarckiana Q14—+ g 14 and 223 + d 7). While it is probable that all of the hybrids of de Vries’ two cultures hav- ing intermediate vegetative characters had also intermediate chromosome num- bers, we do not know, for. instancee, what the chromosome number of the “Zwerg-Mutante” (0. Lamarckiana X O. gigas) may have been. The linear-leafed forms in these two hybrid cultures are also of interest in this connection, since, as de Vries has said (p. 756) they appear in pure cultures of O, gigas. I have suc- ceeded in counting the chromosomes approximately in but four linear-leafed O. gigas, and each was found to have 28(?), or more properly speaking, a number in the region of 28. Now, if the linear-leafed hybrids from de Vries’ cultures of O. gigas X 0. Lamarckiana and OÖ. Lamarckiana X. O. gigas were of the same type, and we should later find that such pure-bred forms and hybrids have each 25 chromosomes, it would indicate that they are produced by the apogamous development of unreduced female gern cells in the first cross, and from the fertilization of unreduced female by normally reduced male germ cells in the latter cross. With regard to the expectations for 35-chromosome offspring ©. gigas X 0. Lamarekiana there is almost no evidence to indicate what these should be. Under any eircumstances, since only approximately 17 or 18 plants of this eross came to flower in de Vries’ cultures, we might expect all of these to be intermediates. It is furthermore possible that an individual with a somatie chromosome number as high as 35 may never be produced, although we have seen that 4 plants, having 30 chromosomes each, appeared in the 1908 culture of ©. lata X O. gigas. If O. gigas produces unreduced female germ cells occasionally, the union of unreduced female with normally reduced male germ cells (in cultures of O. gigas pollinated by O. gigas) should produce offspring with 42 chromosomes. It seems improbable that an Oenothera with a chromosome number as high as this will ever be found. However, our knowledge of chromosome number in offspring of O. gigas pollinated by O. gigas is as yet very limited, and it is too early to arrive at conclusions. Davis reported upon 12 offspring of O. gigas X O0. Lamarckiana (“Notes on the Behavior of Certain Hybrids of Oenothera in the First Generation.” American Naturalist, Vol. XLIV., Feb., 1910). 8 of the 12 were said to have been similar to Lamarckiana and 4 similar to gigas in the rosette stage. 6 of the former and 1 of the latter came to flower. These 7 plants were described as similar to one another at maturity, so it is difficult to guess what their chromosome numbers might have been. 494 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. frequency with which unreduced male germ cells are produced in O. lata. On the assumption that this phenomenon oceurs much more rarely in the male than in the female germ cells, we could not draw conclusions from the study of 25 or 30 plants, should 29-chromosome hybrids not be found among this number of in- dividuals. In 1908 I covered the stigmas of a number of flowers of O. gigas with pollen from O.lata. The seed-capsules filled out nicely, and I antiecipated a good harvest, but they were found in the autumn to contain only flat seed; — seed-coats without contents. The cause of this peculiar oceurrence is unknown. The pollen of the /ata used in this cross successfully fertilized its own flowers and several of O. Lamarckiana. Furthermore, the gigas of the cross produced well rounded seeds when pollinated by O. gigas. I may add that all my attempts to fertilize ©. gigas with O. nanella and O. Lamarckiana in 1908 and 1909 resulted similarly. It is hoped that someone will again attempt to fertilize ©, gigas with O. lata. The union of an unreduced female germ cell with a normally reduced male germ cell will therefore explain the 21-chromosome offspring ©. Lamarckiana X 0. Lamarckiana, and the 22-chromo- some offspring 0. lata self-pollinated; but how shall we account for the 21-chromosome offsprng of 0. lata self-pollinated, and O. lata X ©. Lamarcktana? These can be very simply explained by the irregularities of chromosome distribution observed ın male germ cells. If one chromosome occasionally passes to the wrong pole of the spindle at the reduction division, it is possible that ©. lZata may produce pollen with 6 and 9 chromosomes respectively, and O0. Lamarckiana pollen with 6 and 8 chromosomes respectively. The union of 15- and 6-chromosome germ cells might then be expected to produce offspring with 21-chromosomes. There is no evidence to tell us at present whether a germ cell having a reduced number of chromosomes which is less than the normally reduced number for O0. Lamarckiana may unite in fertilization with another germ cell. But it will be shown in the following report that there is much evidence to indicate that offspring never result from the union of two germ cells whose combined number of chromosomes is less than the diploid number for O. Lamarck- iana. It is conceivable however, that oflspring might result from a combination which restored the missing chromosomes (6 4 8 or 86). However, we have no positive proof as yet that offspring are ever produced from the union of two germ cells in one of which the reduced number of chromosomes is less than the normally reduced number for O0. Lamarckiana. Therefore, until we have Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 425 more light upon the subject it will be well to consider the possibility of some other explanation for the origin of the 21-chromosome offspring of O. lata self-pollinated, and O. lata X 0. Lamarckiana. We know that irregularıties have been found ın both the heterotypie and homotypie divisions of the male germ cells of the Oenotheras. We have seen that the chromosome numbers of certain offspring of O. lata X O. gigas indicate that these hybrids may have been derived from unreduced female germ cells. Furthermore, Gates(14), in testing for apogamy in O. lata, obtained 3 seeds from the capsules of guarded, unfertilized flowers, and Blaringhem has recently reported (1) that Miss Thomas has discovered apogamy ın ©. biennis. On the basis of these facts and indications. Professor V.Gregoire has suggested that a further irregularıty of division may be found to occur in the male and female germ cells of Oenotheras, and 1 have his very kind permission to offer this suggestion here. Professor Gr&egoire’s hypothesis presupposes that the majority of somatice chromosome numbers ın Oenothera are the result of germ cell behavior as follows: 1. Irregular distribution of chromosomes as observed in the pollen mother-cells (and believed to occur also in the embryo sac mother-cell) resulting from one (or possibly more occasionally) pas- sing to the wrong pole of the spindle, thereby producing two sets of daughter-nuclei, one having a number of chromosomes in excess of that of the normally reduced number, another having a number which is less than that of the normally reduced number. It is assumed that the former are functional, but it ıs possible that the latter may be so only when 7 or more chromosomes are present, — as would be the case with a 13-chromosome (0. gigas germ cell, for example. 2. The failure of one or more chromosomes to be included within a daughter-nucleus, or the daughter nuclei at the heterotypie or homotypie mitosis, or both. It ıs possible that functional germ cells may result only when retaining 7 or more chromosomes. 3. The production of functional female germ cells (and possibly also male) with the unreduced number of chromosomes — resulting from the arrest of the heterotypie mitosis before the division of the nucleus has taken place. 4. Degeneration of a portion of the chromosomes, in certain forms, during the maturation process. These conditions alone are sufficient to explain the origin of all the chromosome numbers in question. However, since many may also be otherwise explained, a fifth possibility ıs offered for consideration. 26 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 5. The completion of the reduction division in the normal manner, or irregularly, according to 1 or 2. The subsequent arrest of the homotypie mitosis (in the cell destined to differentiate the embryo sac) before the division of the nucleus has taken place, resulting in the production of a functional germ cell with a chro- mosome number double that of its reduced number. This is assumed by Professor Gregoire to bea much less prob- able explanation of the origin of mutant somatic chromosome number in Oenothera than the irregularities of the heterotypie mitosis, and is supposed under any circumstances to be of much more rare oceurrence than the latter. However, since so many of the numbers in question can be explained on this basis alone, and still more when we consider this in connection with the simple irregularities of chromosome distribution observed in the heterotypie mitosis of the male germ cells, we can not ignore it as a possibility until we have evidence to discredit it. The works of Strasburger and others upon various species of plants have demonstrated that reduction division may be arrested at any stage of the heterotypie prophase, and even at the metaphase. Professor Gr&egoire believes that it is not improbable, therefore, that this phenomenon may occasionally extend even further in Oeno- thera and result in the failure of a dyadocyte to complete the homotypie mitosis. The maturation process in Oenothera is, properly speaking, a continuous one from the beginning of the heterotypie prophase to the completion of the homotypie division. The figures of Davis for 0. Lamarckiana and O. gigas (4, Figs. 30 and 67) clearly show that the chromosomes sometimes split as early as the middle and late anaphase of the heterotypie mitosis in preparation for the homotypie division, while Gates (7, p. 95) found that this fission sometimes appeared as early as the late metaphase of the hetero- typie mitosis in the “Lamarckiana hybrid”. There is furthermore no true resting stage between the heterotypie and homotypie divis- ions of this group of plants. Gates states with reference to O. rubrinervis (11, p. 17) that ‘the nuclei never pass into the resting condition and the chromosomes never loose their identity completely, though they spread out and anastomose with each other more or less.” He also states that in O. gögas (12, p. 528) ‘the chromosomes may streteh out and anastomose with each other’, passing into what he terms a ‘semi-resting condition. Davis found that during interkinesis in O. biennis (3, pp. 638—639) ‘the free ends of the chromosomes sometimes exhibit a tendency to branch and become united to form a loose and imperfect network’, and adds “but generally most of the chromosome pairs of a nucleus are as clearly defined as in Figs. 29 and 30. ...It is clear that the chromo- Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 437 somes of biennis maintain their individuality throughout the inter- kinesis,” etc. The conditions which he describes for grandiflora (2, p. 562), Lamarckiana and gigas (4, pp. 950, 957) are much the same as for biennis. He states that the individuality of the chro- mosomes in O. Lamarckiana ıs ‘generally maintained quite as clearly as is indicated ın Fi 33°. With reference to gigas, Davis said the he observed no case ‘in which the chromosome boundaries were no longer distinguishable, as reported by Gates’. In deseribing the interkinesis between the heterotypic and homotypie mitosis of O.grandiflora, Davis states as follows (2, p.562): “The seven split chromosomes, which were at first massed closely together, separate as the daughter- nucleus gradually increases in size, and become distributed an symmetrically around its interior just under the nuclear membrane. A change in the form of the split chromosomes becomes then at once apparent. The ends of one chromosome of the pair swing away from the ends of the other until they lie in approximately the same plane, when the structure becomes that of two U’s joined together at the bent middle regions.” Davis also desceribes a similar condition for ©. Lamarckiana (4, p. 950). His figures for O. biennis (3, Figs. 28 and 29), for O. Lamarckiana (4, Fig. 31) and for O. gigas (4, Figs. 71 and 72) illustrate his descriptions very clearly. The chromosomes are here shown very loosely associated indeed, even entirely separated in some cases, though still Iyıng side by side (3, Figs. 28 and 29). If, therefore, the nucleus should fail to divide at the time when this process ordinarily takes place, and a spindle never be formed, it is quite conceivable that the tendency of these divided chromosomes to complete separation might cause the halves to become disassociated, independent units. If the reduction division preceeding had been regular, we should have a cell resulting with 14 chromosomes in O. Lamarckiana, and 14 or 16 in ©. lata according to whether the 7- or S-chromosome germ cell failed to complete the second division. In case the embryo-sac was differentiated from the 14-chromosome cell in O. lata, a 21-chromosome offspring could result from the union of this cell with a normally reduced male germ cell having 7 chromosomes. This would explain the origin of both the 21-chromosome mutants in question. This phenomenon, taken in connection with possible irregularities of chromosome distribution in the male, could explain each of the chromosome numbers of the gigas-like offspring of O. lata X O. yigas previously referred to: 9 144 J 14 — 28 — 30 4 Wo Kieree.'7a Zälgs „4, 15= 29 „164 ,15=31. 28 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. Therefore, while it is probable that these numbers were derived from the fertilization of unreduced female germ cells, it will be well to bear the second possibility in mind. We may now consider the combinations possible on the basis of the fore-going assumptions. In order to shorten the lıst somewhat, the ıirregularity of the second type described by Gates and Davis will not be considered. That of the type described by Geerts will also be excluded, as it has thus far been reported only for 21- chromosome hybrids. Otherwise, an attempt will be made to make the list practically complete, regardless of the fact that many of the combinations mentioned appear absurdly improbable and should never be expected to occeur. It should be borne ın mind that thıs list refers only to possibilities: IE 1. Regularly reduced 9 —+ completed apogamous development. 2. Regularly reduced 9 + regularly reduced d.. 3. Regularly reduced 90 —+ regularly reduced Z failing to com- plete the second division. 4. Regularly reduced 9 — irregularly reduced d. 5. Regularly reduced 9 + irregularly reduced S failing to com- plete the second division. 6. Regularly reduced 9 + unreduced d. 7. Regularly reduced 9 + unreduced J failing to complete the second division. IT. 1. Regularly reduced 9 failing to complete the second division + completed apogamous development. 2. Regularly reduced 9 failing to complete the second division + regularly reduced g. 3. Regularly reduced o failing to complete the second division + regularly reduced 5 failing to complete the second division. 4. Regularly reduced 9 failing to complete the second division + irregularly reduced d. 5. Regularly reduced o failing to complete the second division + irregularly reduced 5 failing to complete the second division. 6. Regularly reduced 9 failing to complete the second division + unreduced g. 7. Regularly reduced 9 failing to complete the second division + unreduced 5 failing to complete the second division. I: 1. Irregularly reduced 9 + completed apogamous development. 2. Irregularly reduced 9 + regularly reduced d. 3. Irregularly reduced 9 + regularly reduced 5 failing to com- plete the second division. Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 429 4. Irregularly reduced 9 + irregularly reduced d. 5. Irregularly reduced 9 + irregularly reduced J failing to complete the second division. 6. Irregularly reduced 9 + unreduced d. 7. Irregularly reduced 9 —+ unreduced J failing to complete the second division. Iy. 1. Irregularly reduced 9 failing to complete the second division + completed apogamous development. 2. Irregularly reduced 9 failing to complete the second division + regularly reduced d. 3. Irregularly reduced 9 failing to complete the second division + regularly reduced 9 failing to complete the second division. 4. Irregularly reduced 9 failing to complete the second division + irregularly reduced d. 5. Irregularly reduced o failing to complete the second dvision + irregularly reduced 5 failing to complete the second division. 6. Irregularly reduced 9 failing to complete the second divsion + unreduced d. 7. Irregularly reduced 9 failing to complete the second division + unreduced J failing to complete the second division. ” 1. Unreduced 9 + completed apogamous development. 2. Unreduced @ + regularly reduced g. 3. Unreduced 9 + regularly reduced 4 failing to complete the second division. 4. Unreduced 9 + irregularly reduced Z. 5. Unreduced 9 —+ irregularly reduced 4 failing to complete the second division. 6. Unreduced 9 + unreduced d. 7. Unreduced g —+ unreduced 5 failing to complete second division. VI. 1. Unreduced 2 failing to complete the second division + completed apogamous development, 2. Unreduced 9 failing to complete the second division + regularly reduced d. 3. Unreduced 9 failing to complete the second division + regularly reduced 5 failing to complete the second division, 4. Unreduced 9 failing to complete the second division + irregularly reduced d. 5. Unreduced 9 failing to complete the second division + irregularly reduced Z failing to complete the second division. 430 Lutz, Triploip Mutants in Oenothera. 6. Unreduced 2 failing to complete the second division + unreduced d. 7. Unreduced g failing to complete the second division + unreduced g failing to complete the second division. It will be apparent to the reader from the fore-going that there is little left to worry about unless he is in search of a number that will disprove the theory that somatic chromosome numbers owe their origin to the behavior of the germ cells. It is not necessary to attempt an estimate of the relative frequency with which these various combinations should be expected to occur. It would be an impossible undertaking. But it will be at once apparent that by far the greater number should come under the head of I. 2; after that a very much smaller number should appear under I. 4 and III. 2, and perhaps a still smaller number under V.2 or III.4. Further than that I will not attempt to guess. Many, of course, are far beyond the limits of probability. While combinations with germ cells failing to complete the second division have been included in this list, it is hoped that it will be recalled that very little emphasis ıs laıd upon these. They are mentioned merely because of the fact that it is possible to explain certain somatic chromosome numbers on the basis of the assumption that the germ cells sometimes fail to complete the homotypie division. If, in addition to the above, we consider the possibility of one or more chromosomes occasionally failing to be included within the daughter nucleus or daughter nuclei at the telophase of the heterotypic or homotypie mitosis, the list of possibilities for somatie chromosome numbers could be much extended. A further com- plication would be added should we later find that chromosome degeneration may occasionally occur in any form having a number of chromosomes in excess of 14. Evidence will be brought out ın the next paper to show that there is some indication of this ın both lata and gigas. Gates, in July, 1907 (8, p. 13), seeking an explanation for the chromosome conditions which he had reported for what was then supposed to be offspring of O. lata X O. Lamarckiana (lata, 14; “Lamarckiana hybrid”, 20 or 21) offers among a number of others the following suggestions: “(2) It is possible that O. lata might produce two kinds of eggs, having respectively seven and fourteen chromosomes. If both these kinds of eggs were fertilized with ©. Lamarckiana pollen and produced embryos, we should have plants resulting with fourteen and twenty- one chromosomes. The difficulty here, however, is that on such an hypothesis the union of seven lata chromosomes would produce a Zata plant; while the union of fourteen /ata chromosomes with Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 4531 only seven Lamarckiana chromosomes would produce a Lamarck- iana plant, a situation which is highly improbable, to say the least. “(3) Another possibility is that all the eggs of O. lata have the unreduced number of chromosomes, and that part of them develop without fertilization (parthenogenetically), produeing O. lata plants with 14 chromosomes; while others are fertilized with O. Lamar- ckiana pollen and produce Lamarckiana plants having twenty-one chromosomes (fig. 3). This assumption in perhaps as reasonable as any, but no case is known of an unreduced egg being fertilized.” We now know that O.lata has 15 chromosomes and O. Lamar- ekiana 14. It is furthermore impossible to concede that all the eggs of O. lata may have the unreduced number of chromosomes, as Gates has here suggested. lf such were the case, and O. lata had 14 chromosomes as he has stated, the fertilization of O. lata by O.lata should give only 21-chromosome offspring, provided the maturation process in the male and female germ cells had been regular. If O. lata has 15 chromosomes as I have found, then the fertilization of unreduced female germ cells with normally reduced male, should give 22- and 23-chromosome offspring only. I have determined the somatic chromosome number of but 33 offspring of O. lata self-pollinated thus far (exelusive of a few plants of Dr. D. T. MacDougal’s culture, not derived from seeds or plants from de Vries), and but one of this number was found to have 21 chromosomes and one other 22. No one of the remaining 31 had a chromosome number anywhere in the region of 21, 22 or 23. Later (13), in referring to the somatic chromosome numbers reported for the Cold Spring Harbor eulture of O. lata X 0. gigas, Gates states that the two /ata-like hybrids of this cross having each 15 chromosomes may have been apogamously derived. In a short paper published a few months later (14) he again refers to the subjeet and makes the following statement: “Whether these bybrids all had the same individual ©. lata plant as mother is not stated, but ıf this was the case and the mother had fifteen chromosomes, then we might expect the two lata plants in the offspring both to have fifteen chromosomes, and the hybrids of class III to have twenty-one or twenty-two chromo- somes (14+ 7 or 14 48), while in the case of the O. gigas-lıke plants which are stated to have had thirty chromosomes in the individuals in which a count was made, ‚the expectation would perhaps be twenty-nine (15 + 14). “How the ©. gigas-like individuals having about thirty chro- mosomes originated must, however, be a matter of conjeeture at the present time.” 139 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. While it is therefore impossible that all of the female germ cells of O. lata may be produced with the unreduced number of chromosomes, we have seen that the evidence is more in conformity with the first of the two suggestions offered by Gates, namely, the production of two kinds of eggs having respectively the reduced and unreduced number of chromosomes. However, in a paper published in 1909 (12) and another published in 1911 (15) — as quoted at the beginning of this report — he diseredited the probability of an unreduced germ cell uniting with a reduced germ cell on the basis of the assertion (15) that ‘we should have a mutant occurring with twenty-one chromosomes and that ‘such a mutant has never yet been found, and all the other mutants which are known have fourteen chromosomes, as in O0. Lamarckiana’. In his first published report upon germ cell studies in the Oenothera Gates makes the following statement (7, p. 108): “The difference found in the ae of chromosomes in the mutants of Oenothera very strongly favors considering these forms of “specific” rank. I think it will be evident to anyone studying carefully and comparing the different mutants, that they are quite as distinet and easily distinguishable as are the species of any ordinary genus. The differences in the number of chromosomes is still further and, I think, conclusive evidence that the forms are distinet “species”. So far as I have been able to discover, no mention has been made of differences of chromosome number in mutants of Oenothera previous to Gates’ first paper. In this contribution he mentions no mutant with a chromosome number differing from that of 0. Lamarckiana. Even O.lata of this culture he repeatedly states has 14 chromosomes. It has been previously pointed out that one or more of the 15 plants to which he refers ın this report may have been new mutant forms, but he did not so consider them, since 4 were said to have been O. lata, one a “‘mosaic’ hybrid” and 10 “0. Lamarckiana hybrids”. The first mention of a mutant with a chromosome number differing from that of ©. Lamarckiana was published by the writer 6 months later (17), when it was stated that O. gigas (not a mutant, but a direct descendant of de Vries 1895 O. gigas mutant) had been found to have 28 or 29 chromosomes. I have therefore been unable to discover the authority for this statement concerning the ‘difference found in the number of chromosomes in mutants of Oenothera’. In a paper published in 1909 (12) Gates asserts in referring to Oenothera mutants that ‘the chromosome number of nearly all is now known’, and finally, in a very recent paper (15), speaking Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. 45 > of the chromosome number in O. gigas says (as previously quoted) “all the other mutants which are known have 14 chromosomes as in ©. Lamarckiana.” In the next report I hope to outline the results obtained from the study of somatie chromosomes in 300 Oenotheras. It is realized that this number is very small, and it is not expected that all the theories discussed in this report will stand or fall on the basis of these limited observations; however, they are sufficient to demon- strate the fact that many mutant derivatives of O. Lamarckiana have a chromosome number differing from that of the parent. I may anticipate a future report sufficiently to state that I have found many quite distinet types of mutants with 15 chromosomes, and some even with 16. There is also considerable evidence to indicate that the former are produced as frequently by O. Lamareck- iana as 14-chromosome mutants, and perhaps even more commonly. Somatic chromosome number in the Oenotheras can usually be determined approximately in any form (from sections of root-tips) in comparatively short time, but the exact determination of number beyond all chance of error is generally a long and tedious process, and such studies proceed but slowly. It is therefore hoped that more workers will come into the field, and that especial attention will first be given to the accurate determination of somatic chro- mosome number (from sections of root-tips) in the various mutants of O. Lamarckiana and other forms. Scarcely a start has yet been made in this direction. Other subjects of present interest may be mentioned: 1. Verification of the count of 15 chromosomes for O. lata. 2. The determmation of somatic chromosome number in the various types of O. gigas. 3. Verification of the count of 22 chromosomes for the offspring of O. lata X ©. gigas which appears to combine the characters of the two parents. It is very important that the chromosome number of each parent shall have first been determined. 4. The recognition of trıploid mutants, and the exact determina- tion of somatic chromosome number in all such plants; a careful study of the reduction process in the first and last flowers of 21- chromosome mutants and hybrids. Early and late flowers from the same regions of the plant should then be self-pollinated, and the position of each capsule carefully recorded. Sowings from each capsule should be made separately. The next step is the exact determination of somatice chromosome number in as many offspring as possible. 5. An approximate estimate of the number of somatic chro- mosomes in many offspring of O. Lamarckiana X O. gigas (after XXXI. 28 434 Lutz, Triploid Mutants in Oenothera. having first ascertained the number in each parent) to determine whether 14- and 28-chromosome offspring are occasionally produced. Also in ©. gigas X ©. Lamarckiana to determine whether 42-chro- mosome offspring may occasionally result from this cross. 6. Extensive tests for apogamy in Lamarckiana, lata, gigas etc. In order to obtain a large number of figures in metaphase (which is the only satisfactory stage for the exact determination of somatie chromosome number), root-tip fixation should be prepared between the hours of 10 A.M. and 12:30 P.M. It is desirable to make seven or eight fixations from plants with a large number of chromosomes. It will be of great benefit to the reader if all workers report- ing upon cell studies of the Oenotheras in the future will clearly state, not only the number of individuals in which chromosome counts have been approximately determined, but the number in with these counts have been certainly ascertained. Definite statements as to whether the plants have been derived from open or guarded pollina- tions, together with some simple and precise description of the vegetative characters of the plants in question, will be of great assistance to other workers. It has been my great privilege to prepare this report in consulta- tion with Professor V.Gr&goire, and lam most deeply indebted to him for many suggested interpretations and lines of thought leading ultimately to the demonstration of the harmonious relationship existing between practically all of the observed phenomena thus far reported for the germ and somatie cells of Oenothera. April 9. 1912. Literature cited. . Blaringhem, L., Revue Scientifique, Feb. 24, 1912. 2. Davis, B.M., Pollen Development vf Oenothera grandiflora. Annals of Botany XXIII: 551—571. Pils. XLI—-XLII. 1909. FT N) 3 — The Reduction Divisions of Oenothera biennis. Annals of Botany XXIV: 631—651. Pls. LII—-LIII. 1910. 4. — A Comparison of the Reduction Divisions of Oenothera Lamarckiana and O0. gigas. Annals of Botany XXV: 941—974. Pls. LXXI—-LXXI. 1911. 5. De Vries, Hugo, Die Mutationstheorie. Bd. I, 1901. Bd. II, 1902—03. 6. — Bastarde von Oenothera gigas. Berichten der Deutsch. Botan. Gesellsch. Bd. XXVlIa, Heft 10: 754—762. 1908. ‘. Gates, R. R., Pollen Development in Hybrids of Oenothera lata X O. Lamar- ckiana and its Relation to Mutation. Botanical Gazette XLIII: 81-115. Pls. II—IV. 1907. 8. — Hpybridization and Germ Cells of Oenothera Mutants. Botanical Gazette XLIV: 1—21. Figs. 3, 1907. 9. — The Chromosomes of Oenothera Mutants and Hybrids. Internat. Zoologie. Congress, Boston, August 1917. 10. — The Chromosomes of Oenothera. Seience N.S.XXVII: 193—195. 1908. Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 455 11. Gates, R. R., A Study of Reduction in Oenothera rubrinervis, Botanical Gazette XLVI: 1—34. Pls. I—III. 1908. 12. — The Stature and Ohromosomes of Oenothera gigas De Vries. Arch. f. Zellforsch. Bd. 3, Heft 4: 525—552. 1909. 13. — The Behavior of Chromosomes in Oenothera lata X O. gigas. Botanical Gazette XLVIII: 179—199. Pils. XII—XIV. 1909. 14. — Apogamy in Oenothera. Science N.S. XXX: 691—694. 1909. 15. ,— Pollen Formation in Oenothera gigas. Annals of Botany XXV: 909—940. Pls. LXVII-LXX. 1911. 16. Geerts, J. M., Cytologische Untersuchungen einiger Bastarde von Oenothera gigas. Berichten der Deusch. Botan. Gesellsch. Bd. XXIX, Heft3, 1911. 17. Lutz, A. M., A Preliminary Note on the Chromosomes of Oenothera Lamar- ckiana and one of its Mutants, O. gigas. Science N.S. XXVI: 151-—152. 1907. 18. Lutz, A. M., The Chromosomes of Oenothera Lamarckiana, its Mutants and Hybrids. Internat. Zoologie. Congress, Boston, August, 1907. 19. — Chromosomes of the Somatic Cells of the Oenothera. Science, N.S. XXVII: 335. 1908. 20. — Notes on the First Generation Hybrid of Oenothera lata X 0. gigas. Science N.S. XXIX: 263—267. 1909. 21. Stomps, T. J., Kerndeeling en Synapsis bij Spinacia oleracea L. Amster- dam, 1910. Explanation of Figures. The two figures of chromosomes were drawn with the aid of a camera lucida. The lenses used were the Zeiss compensating ocular No. 8 and the 2 mm. immersion objective (aper. 1.30). Fig. 1. Plant No. 5558, mutant of O. Lamarckiana X O. Lamarckiana. Figure in metaphase from section of floral tissue, showing 21 chromosomes. Fig. 2. Plant No 4453, mutant of O. lata self-pollinated. Figure in metaphase from a section of a root-tip showing 22 chromosomes. Fig. 3. Plant No. 5420, 21-chromosome mutant of O. lata self-pollinated. Fig. 4. Plant No. 5589, mutant of 0. Lamarckiana X O0. Lamarckiana, having not less than 20 nor more than 22 chromosomes. Fig. 5. Plant No. 4453, 22-chromosome mutant of O. lata self-pollinated. Fig. 6. Plant No. 5958. ©. Lamarckiana offspring of O. Lamarckiana_ self- pollinated. Typical appearance at the close of the flowering season. Plant No. 4673. 0. gigas offspring of ©. gigas self-pollinated. 1 Fig. Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. Von B. Swarezewsky (Kiew). I. Über die „generativen“ Chromidien bei den Gregarinen. Eine Bildung von generativen Chromidien mit nachfolgender Rekonstruktion „sekundärer“ Kerne aus denselben, welche sich nach zweimaliger mitotischer Teilung zu Kernen der Gameten verwandeln, ist bis jetzt nur bei Gregarina cuneata (Kuschakewitsch, 1907) und bei Zankesteria sp. (Swarczewsky, 1910) beobachtet worden. In allen den vielen anderen Fällen lässt sich die Bildung der ge- schlechtlichen Kerne auf eine vielfache aufeinanderfolgende Teilung des primären Kernes der enzystierten Gregarinen zurückführen. 28* 436 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. Die von Kuschakewitsch und mir beschriebenen Vorgänge nehmen demnach augenscheinlich eine ganz abgesonderte Stellung ein im Vergleiche mit den Erscheinungen, welche bei dem genera- tiven Prozesse der Gregarinen überhaupt beobachtet werden und könnten aus diesem Grunde entweder als das Resultat unrichtiger Beobachtungen oder aber als anormale Erscheinungen angesehen werden, welche ım normalen Lebenszyklus der Gregarinen nicht stattfinden. Jedenfalls machen diese Erscheinungen auf den ersten Blick einen zu exklusiven Eindruck und bedürfen irgendeiner Erklärung. Die nachstehenden Darlegungen stellen denn auch einen Ver- such dar, eine solche Erklärung zu finden unter Zugrundelegung der zahlreichen Beobachtungen verschiedener Forscher betreffend die bei den Gregarinen während der Bildung der Gameten vor sich gehenden Prozesse. Die ersten mehr oder weniger gründlichen Untersuchungen auf diesem Gebiete finden wir in der Arbeit von Siedlecki (1899): „Über die geschlechtliche Vermehrung der Monoeystis ascidiae R. Lank.“ In dieser Arbeit finden wir nachstehende Angaben über die ersten Stadien der generativen Prozesse: das Kerngerüst zerfällt in einzelne Teile; ım Inneren des Kernes zeigen sich Vakuolen; der Kern wird immer mehr von Vakuolen angefüllt, seine Hülle wird immer dünner und platzt zuletzt, so dass das ganze Innere des Kernes frei im Protoplasma liegt („Schließlich wird der ganze Kern von der Vakuole ausgefüllt und das Karyosom mit einigen gröberen Chbromatinbrocken so stark gegen die immer dünner werdende Kernwand gepresst, dass diese schließlich platzt und der ganze Kerninhalt frei im Protoplasma zu liegen kommt!)*). In demselben Augenblicke entsteht aus den kleineren, auf diese Weise in das Protoplasma ausgestoßenen Chromatinteilchen ein neuer kleiner Kern, welcher sich sofort karyokinetisch zu teilen beginnt. Das Karyosom dagegen wandert gleich den übrigen Resten des „primären“ Kerns ın Gestalt unregelmäßiger Körnelungen und sich diffus färbender Massen an die Oberfläche der Gregarıne, wo es entweder resorbiert oder nach außen ausgestoßen wird. Es erweist sich demnach, dass nach den Beobachtungen von Sıedlecki nicht der ganze „primäre* Kern an dem Aufbau der ersten Spindel Anteil nımmt. Außerdem muss, wie mir scheint, hervorgehoben werden, dass der „primäre“ Kern vor der ersten Teilung zerfällt, und dass aus einigen Teilen desselben ein neuer kleiner, sekundärer Kern rekonstruiert wird, welcher diese Teilung antritt. 1) Zitiert nach den Bullet. de l’Acad. Sc. de Craeovie. 1899. p. 524. Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 437 Cuenot (1901) hat den Entwickelungszyklus von Monocystis magna und Diplocystis minor beschrieben. Nach den Angaben dieses Autors entsteht die erste Spindel in den Zysten von M. magna ın der Weise, dass in dem Protoplasma, in der Nähe des Kernes, eine Strahlung („un amas archoplastique*)?) auftritt, welche sich bald darauf in eine Spindel verwandelt, die sodann in den Kern ein- dringt. Ein Teil des Chromatins des Kernes der Gregarine ver- wandelt sich in Chromosome, welche in die zur Bildung gelangte Spindel eintreten und sich mit dieser teilen; ein anderer Teil ver- bleibt in der Gestalt eines oder mehrerer Nukleolen und beteiligt sich in keiner Weise an diesem Vorgange. Es erweist sich, dass dieses Chromatin nach der Teilung ganz frei im Protoplasma liegt. Bei D. minor wird das Auftreten der ersten Spindel von folgenden Erscheinungen begleitet: der Kern nımmt kleinere Dimensionen an, wobei seine Membran sich allmählich nach dem Kernkörperchen zusammenzieht; diese letztere wird stark vakuolisiert; in dem Proto- plasma tritt in der Nähe des Kernes ein neuer kleiner Kern auf, welcher sich zu teilen beginnt. Die Provenienz der Chromatın- substanz dieses neuen Kernes, des „Mikronukleus“, wie Cuenot ihn nennt, konnte nicht festgestellt werden („je ne sais pas d’ou provient la substance chromatique ...“)°), allein der Autor kon- statiert, dass dieser Mikronukleus sowohl in den Fällen auftritt, wo der Kern der Zyste seine Hülle bereits verloren hat, wie auch in denen, wo diese Hülle noch vorhanden ist. Auch in diesen Fällen nimmt demnach nicht die gesamte Masse des Kernes der Gregarine an der ersten Teilung Anteil. Prowazek (1901) fand bei dem Studium der in den Zysten von Monocystis agilis vor sich gehenden Prozesse, dass bald nach der Enzystierung ein Teil der Kernsubstanz in das Protoplasma ausgeschieden wird und dass darauf in der Nähe des Kernes in dem Protoplasma ein kleines Bläschen zu bemerken ist, welches nach der Meinung von Prowazek mit dem Mikronukleus von Cu6enot identisch ist. Dieser kleine Kern teilt sich, während der „primäre“ Kern degeneriert. Wie aus dieser kurzen Beschreibung hervorgeht, erfahren die uns aus den Beobachtungen von Siedlecki und Cu6not bekannten Erscheinungen durch die Beobachtungen von Prowazek eine Be- stätigung und zum Teil auch eine Ergänzung. Prowazek ist geneigt, den von ihm (und demnach auch von Cu¬) beschriebenen Vorgang als eine Differenzierung des Kernes in zwei Teile aufzufassen, von denen der eine, kleinere, zur Teilung 498 Swarezeweky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese, befähigt ıst, der andere, größere, dagegen zuvor der assimilierenden Tätigkeit vorgestanden hatte. Schellak (1907), welcher die in den Zysten von Echinomera hispida sich abspielenden Vorgänge untersuchte, fand im Inneren des „primären Kernes ein Bläschen mit deutlich ausgesprochenen Konturen und ein in der Nähe dieses Bläschen liegendes Zentrosom. Obgleich es diesem Autor nicht gelungen ist, alle Stadien der Bildung der ersten Spindel zu beobachten, ist er dennoch der An- sicht, dass aus dem von ıhm beschriebenen Bläschen eın Kern her- vorgeht, welcher bei gleichzeitigem Zerfall des primären Kernes die erste Mitose antrıtt und analogisiert dasselbe mit dem „Mikro- nukleus“ von Guenot und Prowazek. Fig. Al. | Fig. A2. Fig. A. Kern von Nina gracilis (1) und Bildung der Anlage eines „Mikronukleus“ aus einem Teil des „Chromidiums“ (nach Leger und Duboseg). Die allerausführlichste Beschreibung der bei dem Beginn der ersten Mitose in den Zysten der Gregarınen vor sich gehenden Prozesse endlich finden wir bei Leger und Duboscegq (1909) in der den Entwickelungszyklus von Nina gracilis betreffenden gemein- schaftlichen Arbeit dieser beiden Autoren. Die dem Auftreten der ersten Spindel vorangehenden Erschei- nungen werden von diesen Autoren in nachstehender Weise be- schrieben: In dem Kerne der Gregarine ist in der Tat eine kleine, ım Ver- gleiche mit der übrigen Masse des Kernes dichtere Anhäufung zu bemerken. Diese zentral angeordnete Verdichtung ist von der übrigen Kernmasse durch ein helles Feld abgegrenzt, ohne jedoch den Zusammenhang mit dieser Masse jemals zu verlieren: es wird keine Hülle an ihrer Peripherie gebildet und durch das helle Feld hindurch ziehen sich Fäden des Kerngerüstes zu ihr hin, durch welche die Verdichtung mit dem übrigen Kern zu einem gemein- samen Ganzen verbunden wird (Fig. A1). Vor der Bildung eines kleinen teilungsfähigen Kernes zerfällt der primäre Kern, was zur Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 439 Bildung von Chromidien führt („ce qui donne ainsi un chromidium secondaire“)*). Die gesamte Masse der zerfallenen Kernsubstanz ordnet sich in zwei ihrer Größe nach stark voneinander abweichen- den Anhäufungen („phages“). Fast das ganze Chromatin des pri- mären Kernes bildet mit den Elementen des Achromatins eine An- häufung von größeren Dimensionen, während die kleinere Anhäufung ein Häufchen Chromatinelement vorstellt, welches inmitten einer strahlig angeordneten Struktur („simulant unastre“) liegt. Im Zen- trum dieser Anhäufung sind einige Chromatinkörner wahrzunehmen, welche das Aussehen von Bläschen oder vielleicht auch von kleinen Ringen aufweisen, in der Umgebung dieser Gebilde befinden sich Chromatinkörner von verschiedener Größe und dem gleichen Aus- sehen wie ın der ersten Anhäufung (Fig. A 2). Fig. B1. Fig B2. Fig. B. Nina gracilis. Weitere Stadien der Bildung des „Mikronukleus“ aus einem Teil des „Chromidiums“ (nach Leger und Duboscg). Dieser kleine Bezirk des zerfallenen Kernes, oder wie man denselben nunmehr auf Grund der Darlegungen von Leger und Duboscq bezeichnen kann, des Chromidiums, stellt die Anlage des „Mikronukleus“, d.h. des „sekundären“ Kernes dar, welcher durch wiederholte Mitosen die Kerne der Gameten hervorgehen lässt. Die genannten Autoren glauben nicht behaupten zu können, dass diese Anlage aus der obenerwähnten, in den Kernen der Gre- garinen beobachteten zentralen Anhäufung von Kernsubstanz her- vorgeht („nous n’avons pas la certitude quelle corresponde ä la formation intranueleaire que nous avons deerite plus haut“)°). Aus der hier beschriebenen kleinen Anhäufung von Kernsub- stanz geht bald darauf ein echter Kern („un veritable noyau“) her- vor, mit zarter Hülle, achromatischem Gerüst, kleinen, schwach färbbaren Chromatinkörnehen und einer großen Menge achroma- tischer Substanz (Fig. B). p- #7. p- 47 D) or — 4\ l.c. Hyrlaie,, & 440 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. Was die übrige Masse des „primären“ Kernes betrifft, welche keinen Anteil an der Bildung des „Mikronukleus“ nımmt, so stellt das aus derselben hervorgegangene Chromidium nach der Meinung von Leger und Duboscq einerseits ein Nährmaterial dar, während es andererseits zu dem Aufbau der Zystenhüllen verwendet wird. Es geht demnach auch aus den Angaben von Leger und Duboscq hervor, dass der Prozess der Bildung des ersten sich teilenden Kernes in den Zysten der Gregarinen auf nachstehende Weise vor sich geht: der „primäre“ Kern der Zyste zerfällt und aus einem verhältnismäßig geringen Teil der nach der Zerstörung des Kernes frei in dem Protoplasma liegenden Kernsubstanz wird ein kleiner „sekundärer“ Kern rekonstruiert, welcher sich dann zu teilen beginnt. Ich will hier nicht auf die übrigen, die Entwickelungszyklen irgendwelcher Gregarinen behandelnden Arbeiten eingehen, da sie alle nur dasjenige wiederholen, was ich schon weiter oben angeführt habe und dabei meist weniger eingehend sind, als die hier dargelegten Beobachtungen. Indem wir nunmehr zu einer Vergleichung der aus dem Stu- dıum der bei den meisten Gregarinen sich abspielenden Vorgänge resultierenden Daten mit denjenigen Resultaten übergehen, welche sich aus den Beobachtungen an Gregarina ceuneata und Lankesteria sp. ergeben, so werden wir zugeben müssen, dass, wenn auch ein ge- wisser Unterschied zwischen ihnen besteht, demselben doch mehr ein quantitativer als qualitativer Charakter zukommt. In beiden Fällen zerfällt der „primäre“ Kern der Gregarine und das Ergebnis dieses Zerfalles bilden im Protoplasma liegende Anhäufungen einer genetisch dem Kerne nahestehenden Substanz, d.h. von Chromidien. In beiden Fällen dient ein Teil des auf diese Weise gebildeten Chromidiums als Material für den Aufbau der „sekundären“ Kerne. Bei den meisten der untersuchten Gregarinen wird aus diesem Chromidium nur ein einziger „sekundärer“ Kern gebildet, aus dem durch mehrfache Teilungen die Kerne der Gameten hervorgehen. Bei einigen Formen, wie bei @regarina cuneata und Lankesteria sp. wird aus einem derartigen Chromidium gleichzeitig eine große Anzahl von „sekundären“ Kernen gebildet und deren Verwandlung in Kerne der Gameten erfolgt nach zwei aufeinanderfolgenden Mitosen®). 6) Das Vorhandensein dieser zwei mitotischen Teilungen, welche das End- stadium in dem Prozesse der Bildung der Gametenkerne in einem Falle bilden, wo diese letztere anscheinend unmittelbar durch eine Rekonstruktion aus den Chromidien gebildet werden könnten, veranlassten mich zu der Annahme, dass diese zwei Tei- lungen gleich den zwei letzten Mitosen bei der Bildung der Gametenkerne durch Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 441 Die übrige, nicht auf den Aufbau der „sekundären“ Kerne ver- wendete Masse der Chromidien verwandelt sich in Reservenährstoffe, oder aber sie dient zum Aufbau der Hüllen”). Die bei G@regarina cuneata und Lankesteria sp. beobachteten Vor- gänge erscheinen demnach nur auf den ersten Blick eigenartig, während sie in Wirklichkeit nur wenig von dem allgemeinen Schema der bei den meisten Gregarinen sich abspielenden Erscheinungen abweichen. Allen Untersuchungen, auf welche ich weiter oben hingewiesen habe, lagen Formen zugrunde, die der Gruppe der Eugregari- narıa angehören. Außer diesen „echten“ Gregarinen gibt es aber noch zwei Gruppen ihnen nahestehender Organismen, nämlich die Schizogregarinaria und die Aggregataria. Soweit uns dies aus den Untersuchungen von Leger über Ophriocystis bekannt geworden ist, weicht die erstere dieser Gruppen durch ihre eigenartigen generativen Prozesse sehr stark von den „echten“ Gregarinen ab, weshalb ich mich nicht mit ihr beschäf- tigen will. Was hingegen die zu der zweiten Gruppe gehörigen Organismen anbetrifft, so unterscheiden sich dieselben zwar auch in vielen Be- ziehungen recht beträchtlich von den „echten“ Gregarinen, stimmen aber doch in den hauptsächlichsten Punkten ihres Entwickelungs- zyklus mehr oder weniger mit diesen letzteren überein. Die Untersuchungen von Leger und Duboscq (1908) und Moroff (1908) haben nachgewiesen, dass bei verschiedenen Ver- tretern der Gattung Aggregata in dem Prozesse der der Gameten- bildung vorangehenden ersten Teilung des Kernes dieser Organismen sehr interessante Abweichungen von den Verhältnissen vorkommen, wie wir sie bereits für die Kugregarinaria kennen gelernt haben. Nicht weniger Interesse bietet auch die erste Kernteilung bei 4Ag- gregata, welche bei dem Beginne der Schizogonie stattfindet. Nach den Beobachtungen von Moroff (1908) wird in den männlichen Individuen von Aggyregata eberthi vor der Bildung der Gameten der größte Teil der Chromatinsubstanz des Kernes in das Protoplasma ausgestoßen, während ein geringer Teil derselben in Gestalt langer Fäden in dem seine Isoliertheit von dem Protoplasma beibehaltenden Kerne verbleibt. Diese Chromatinfäden nähern sich der Oberfläche des Kernes, und hier beginnt ihre Teilung. Allein diese erste Teilung ist noch nicht bis zu ihrem Ende, d.h. bis zur sukzessive Teilungen eines Kernes, eine Reifungsteilung darstellen müssen (1910). Die Beobachtungen von Mulsow (1911) über Monocystis rostrata n. sp. scheinen diese Annahme zu bestätigen. 7) Nach den Angaben von Kuschakewitsch (1907) nehmen die Chromidien von Gregarina cuneata lebhaften Anteil an dem Aufbau der Sporodukte der Zysten dieser Gregarine. 449 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. Bildung zweier Tochterkerne gelangt, und schon beginnt eine neue Teilung dieser selben Fäden (die Enden der an der ersten Teilung beteiligten Fäden gelangen in die zweite Spindel [?]): dieser Vor- gang wiederholt sich viele Male und das Endergebnis bildet eine große Anzahl von Chromatinansammlungen, welche durch Chromatin- fäden miteinander verbunden sind. Ähnliche Erscheinungen werden auch bei den weiblichen Indi- viduen von A. jaquemeti, A. reticulosa und einigen anderen Arten beobachtet, und zwar ist der achromatische Teil der Figur bei diesen Formen mehr oder weniger deutlich ausgesprochen und die neuen Tochterspindeln entstehen durch Teilung der schon vorhandenen. Es muss hier noch hervorgehoben werden, dass der Kern bei diesen Formen vor der Teilung seine Abgesondertheit von dem ihn um- gebenden Protoplasma vollständig einbüßt. Bei den männlichen Individuen von A. jaquemeti nımmt der Kern an Größe zu und erhält eine lappenförmige Gestalt. Gleich- zeitig treten in dem Protoplasma mehrere Zentrosome auf (Fig. C) und es entstehen auf einmal gleichzeitig mehrere Spindeln. Von dem Kerne schnüren sich mehrere Bezirke ab, welche in die Spindeln hereinrücken. „Jedes Zentrosom bemächtigt sich eines frei werden- den Kernstückes und zieht es zu sich hinein”).“ Die erste Teilung verläuft bei den männlichen Individuen von A. spinosa etwas anders als bei den soeben aufgezählten Formen. Der Kern, welcher an Größe beträchtlich zugenommen und seine scharf ausgesprochenen Konturen eingebüßt hat, nımmt nach Moroff die Gestalt einer Amoebe an, „welche ihre Pseudopodien nach allen Richtungen aussendet“°) und zerfällt schließlich in einzelne Stücke. Das Endergebnis ist gleichsam eine große Anzahl von Kernen, welche indessen durch sehr unregelmäßige Umrisse ausgezeichnet sind (Fig. D). In den Endteilen der in das Protoplasma hineinragenden Vor- sprünge dieser Gebilde findet Moroff Zentrosome und ist geneigt, den gesamten von ihm beschriebenen Prozess für eine primitive Mitose anzusehen. Ungefähr die gleichen Erscheinungen werden auch während der ersten Teilung bei A. schneideri und A. siedleckii beobachtet. In allen diesen Fällen ist an den Teilungen nur eine geringe Menge der Chromatinsubstanz des „primären“ Kernes beteiligt, welche Moroff, nebenbei gesagt, als Idiochromatin ansieht. Bei den Erscheinungen der Schizogonie, wie sie von Leger und Dubosceq (1908) für A. eberthi beschrieben wurden, gelangen ungefähr die gleichen Verhältnisse zur Beobachtung, wie wir sie DH: C,!p. 72: 8) 1.c., p. 48. Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 445 bei dieser Form gelegentlich der Bildung der männlichen Gameten kennen gelernt haben. Nachdem der Kern sich der Oberfläche der Zelle genähert hat, verliert er seine Hülle und büßt seine regel- mäßigen Umrisse ein. Die Kernmasse nimmt an Umfang zu und zerfheßt gleichsam in dem Protoplasma. In der Mitte des Kernes macht. sich ein hellerer Bezirk bemerklich, in welchem sich die schon vor Beginn des Zerfalles des Kernes ın demselben aufge- tretenen wellenförmigen Chromatinfäden konzentrieren. Aus diesen Fäden wird ein neuer Kern rekonstruiert, welcher sodann beginnt, sich auf mitotischem Wege zu teilen. Wie dies aus unseren kurzen Darlegungen zu ersehen ist, unter- scheiden sich die vor der Schizogonie bei A. eberthi vor sich gehen- Fig. C. Fig. D. Fig. ©. Ag. jaquemeti g. Erste Stadien der Kernteilung (nach Morofft). Fig. D. Ag. spinosa d. Zerfall des stark vergrößerten Kernes in einzelne un- regelmäßig konturierte Masse (nach Moroff). den Prozesse in keiner Weise von den Vorgängen, welche sich nach den Angaben der gleichen Autoren während der Bildung der ersten Spindel bei Nina gracilis abspielen. Leger und Duboscq selbst sind geneigt, in dem zerfließenden Kerne von A. eberthi Chromidial- substanz zu erblicken: „Ce cytoplasme germinatif d’origine nucleaire rous parait bien correspondre au ‚ehromidium de Richard Hert- wig‘“°). Bei allen diesen, eine ganze Reihe von Arten ein und derselben Gattung Aggregata betreffenden Prozessen können wir gewisse, für alle gemeinsame Züge herausfinden, und zwar: 1. der Kern vergrößert sich beträchtlich in seinen Dimensionen und verliert seine scharfen Umrisse (in einigen Fällen verschwindet auch die Kernhülle), 2. sofort nach dem Eintreten dieser Veränderungen treten achro- matische Figuren auf und ein großer Teil der Kernsubstanz beginnt 9) Le. p. 69. 444 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. sich zu teilen (in den meisten Fällen trıtt gleichzeitig oder fast gleichzeitig eine beträchtliche Anzahl von achromatischen Spin- deln auf). Die. bei den zu der Gruppe der Aggregataria gehörigen Grega- rinen beobachteten Vorgänge unterscheiden sich demnach prinzipiell nur sehr wenig von den Vorgängen, welche sich in den Zysten der Eugregarinaria vor deren Gamogonie abspielen. Allein dieser Unter- schied, welcher darin besteht, ins bei letzteren der „primäre“ Kern vor der ersten Teilung vollständig verschwindet und an seiner Stelle ein Chromidium auftritt, während bei ersteren dieser „primäre* Kern sich nicht vollständig von dem Protoplasma absondert, ist dennoch ein recht wesentlicher. Dieser Unterschied zwischen diesen und jenen Vorgängen lässt sich, wie mir scheint, auf folgende Weise formulieren: während bei den EKugragarinaria in Wirklichkeit ein Chromidium gebildet wird, liegt bei den Aggregataria augenscheinlich nur die Tendenz zu der Bildung einer solchen vor. Der gesamte Vorgang, wie er bei den Aggregataria beobachtet wird, kann auf nachstehende Weise dargelegt werden. Der „pri- märe“ Kern verliert seine wesentlichsten charakteristischen Merk- male: es verschwinden die scharf umschriebenen Konturen (die Hülle), die regelmäßige runde Gestalt; das auf den vegetativen Stadien in dem Karyosom angesammelte Chromatin verbreitet sich über den ganzen Kern; dieser letztere nimmt beträchtlich an Größe zu und verteilt sich in dem Protoplasma. In allen diesen Erscheinungen kann man die ersten Schritte zu der Bildung eines Chromidiums erblicken. Kaum sind aber diese ersten Schritte erfolgt, so beginnt auch schon die Rekonstruktion der „sekundären“ Kerne (und zwar eines einzigen sekundären Kernes wie bei A. jaquemeti 9, A. reticulosa ', A. labei, A. eberthi 8‘, oder vieler wie bei A. spinosa g', A. jaque- meli g, A. schneideri, A. siedleckit). Infolge dieses letzten Prozesses kommt es nicht bis zu einer Bildung echter Chromidien und die „sekundären“ Kerne entstehen im Inneren des „primären“ Kernes, welcher seine charakteristischen Merkmale eingebüßt hat. Alleın es kommt dabei auch nicht zu einer völligen Ausbildung „sekundärer“ Kerne und die Teilung dieser neuen morphologischen Einheiten beginnt noch bevor dieselben völlig ausgebildet sind. Auf diese Weise entstehen dann auch jene Bilder, welche wir in der Arbeit von Moroff antreffen. Können wir nun nicht, auf Grund aller oben angeführten Tat- sachen, die Kerne der verschiedenen Aggregata-Arten, welche die Merkmale echter Kerne eingebüßt haben, als ein Übergangsstadium zwischen echten Kernen und echten Chromidien ansehen? Mir Molisch, Die Eisenbakterien. 445 scheint, wir haben vollauf Grund, gerade diese Auffassung für die richtige zu halten. Alle derartigen, bei verschiedenen Formen sich abspielenden und auf den ersten Blick verschiedenartigen Prozesse, wie . 1. die Bildung der Gametenkerne durch aufeinanderfolgende Teilungen des primären Kernes (wie sie für die meisten Hugre- garinaria beschrieben werden), 2. die Entstehung der Gametenkerne aus Chromidialgebilden (was bei Gregarina cuneata und Lankesteria sp. beobachtet wurde) und endlich 3. die eigenartigen, bei den Aggregataria beobachteten Vor- gänge können demnach miteinander verknüpft und auf die Wieder- herstellung eines oder mehrerer „sekundärer“ Kerne aus Chromidial- gebilden zurückgeführt werden, welche in den einen Fällen ihre volle Entwickelung erreicht haben, in anderen dagegen auf irgend- einem Stadium in dieser Entwickelung stehen geblieben sind. Literaturverzeichnis. Cu&@not, L. Recherches sur l’evolution et la conjugaison des Grögarines. Arch. de Biolog, Bd. 17, 1901. Kuschakewitsch, S. Beobachtungen über vegetative, degenerative und germina- tive Vorgänge bei den Gregarinen. Arch. f. Protist., Suppl. I, 1907. Leger, L. et Dubosceq, ©. L’evolution schizogonique de l’ Aggregata \Eucoceidium) Eberthi (Labbe&). Arch. f. Protist., Bd. 12, 1908). Dies., Etudes sur la sexualit@ chez les Gregarines. Arch. f. Protist., Bd. 17, 1909. Moroff, F. Die bei den Cephalopoden vorkommenden Aggregat-Arten als Grund- lage einer kritischen Studie über die Physiologie des Zellkernes. Arch. f. Protist., Bd. 11, 1908. Prowazek, S. Zur Entwickelung der Gregarinen. Arch. f. Protist., Bd. 1, 1902. Schellack, C. Über die Entwickelung und Fortpflanzung von Eehinomera hispida (A. Schv.). Arch. f. Protist., Bd. 9, 1907. Siedlecki, M. Über die geschlechtliche Vermehrung der Monocystis ascidiae R. Lank. Bull. int. d. ’Akad. d. Sc. d. Cracovie, Bd. 13, 1899 (Anz. d. Akad. Wiss., Krakau 1899). Swarcezewsky, B. Beobachtungen über Lankesteria sp., eine in Turbellarien des Baikalsees lebende Gregarine. Festschr. z. 60. Geburtstag Rich. Hert- wie, Bo. 1. : Hans Molisch. Die Eisenbakterien. Jena 1910, Gustav Fischer, gr. 8°, 83 S., 3 Chromotafeln und 12 Textfiguren. Der Verf. behandelt ın dieser Monographie, nach 20jähriger Beschäftigung mit ihnen, die Eisenbakterien ın jeder Richtung: er erörtert ihre Stellung im System, gibt eine Bestimmungstabelle, berichtet über Nährlösungen, behandelt vor allem ausführlich ihre Biologie und berichtet auch über ihre praktische Bedeutung: ihre Rolle bei der Rostbildung und Rasenerzentstehung, bei der Aus- scheidung des Eisens in Gebrauchswässern und in Mineralwässern. 446 Das Radium in der Biologie und Medizin. Das Wesentlichste seiner Ausführungen ist, dass er jene Hypo- these Winogradsky’s widerlegt, die dieser 1888 ohne Veröffent- lichung der Beweise aussprach und die gleichwohl seither als angebliche sichere Tatsache in viele Lehrbücher und allgemeine Darstellungen übergegangen ist: dass das Eisen in dem Stoff- und Energiewechsel der sogen. Eisenbakterien eine wesentliche Rolle spiele, dass diese prototrophe, aber auf die Verarbeitung des Eisen- oxyduls angewiesene Organismen seien, die aus seiner Oxydation einen Teil der für ihr Leben nötigen Energie gewännen. Der wich- tigste von Molisch aufgeführte Gegenbeweis ist, dass ıhm die Rein- kultur der Ohlamydothrix (Leplothrix) ochracea gelang, und dass diese zu ihrem Wachstum organısche Stoffe, aber kein Eisen er- fordert; ebenso sind die anderen, noch nicht rein kultivierten Eisen- bakterien echte Saprophyten. Die Abscheidung des Eisenoxyds ın ihren Gallerthüllen ist kein für ıhr Leben wesentlicher Vorgang, sondern nur eine mittelbare Folge ıhres Stoffwechsels; ın manchen Fällen wirkt die Gallerthülle toter Zellen ebenso eisenspeichernd und die uberführung des gelösten kohlensauren Eisenoxyduls ın unlösliches Eisenoxydhydrat erfolgt bei Luftzutritt zum Wasser auch ohne Lebenstätigkeit irgendwelcher Mikroorganismen. Das Studium der Schrift ist jedem zu empfehlen, der dieser Frage oder einer der praktischen Aufgaben, die auf die Eisen- bakterien Bezug haben, Interesse entgegenbringt. W. Rosenthal. Das Radium in der Biologie und Medizin, Unter diesem Titel hat E. S. London eine willkommene, mit Illustrationen unterstützte Zusammenfassung der vielen zerstreuten Arbeiten über die physiologischen Wirkungen der Radiumstrahlen veröffentlicht). Nach einem einleitenden Abschnitt über die physikalischen und chemischen Eigenschaften des Radiums, wird der eigentliche Gegen- stand der Schrift in folgenden Kapiteln abgehandelt. I. Uber den Mechanismus der Radiumwirkung auf das lebende Wesen. I. Wir- kungen auf: Bakterien, niedere Pilze; Fermente, Toxine und Anti- toxine; Pflanzen und niedere Tierorganismen; Prozesse der embryo- nalen Entwrekelung und der Regeneration; einzelne Organe und Gewebe. III. Die Allgemeinwirkung des Radıums und der Emanation auf die höheren Lebewesen. IV. Die Radium- resp. Emanations- therapie. Radioaktive Heilmittel; Applikationsarten der radioaktiven Substanzen; therapeutische Anwendungen der radioaktiven Sub- stanzen; Messung der Radioaktivität; Heilerfolge; Übersicht der Emanationsanwendung. Hierauf folgt ein kurzes Resümee und ein vollständiges Verzeichnis der Literatur. Der Gesamteindruck, den der Bericht zurücklässt, ist der, dass trotz mancher bemerkenswerten Anfänge das meiste noch auf dem (rebiet zu erforschen ist. 1) V+ 1998. Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft, 1911. Aufruf, 447 Sicherlich wird es dabei nicht nur auf den Besitz des kost- baren Materials, sondern auch auf die eingehende Kenntnis der physikalisch-chemischen Seite der ungeheuren Energiequelle an- kommen. Diesbezüglich handelt es sich schon jetzt um einen ganzen neuen Wissenschaftszweig, der durch Frau Gurie — bekanntlich eine der Hauptbeteiligten an seiner Errichtung — eine ausführliche und sehr gediegene handbuchartige Darstellung erhalten hat. Die stattlichen zwei Bände liegen jetzt auch ın flüssiger, deutscher Übertragung vor, vervollständigt durch einen Nachtrag der Ver- fasserin, die neuesten Ergebnisse enthaltend?). In dem Werk haben auch die radioaktiven Eigenschaften der anderen Elemente eine ausgedehnte Schilderung erfahren. Auch eins der am Aufbau der Organismen beteiligten Elemente befindet sich unter ihnen: das Kalıum. Eine auch die biologische Radiumforschung lebhaft tangierende Frage ist eine Verständigung über einheitliche Maße der radioaktiven Wirkungen. Die hierzu gemachten Vorschläge hat ein anderer, an der Erforschung des Gebiets erfolgreichst beteiligter Autor, E. Ruther- ford in einem sehr lesenswerten Vortrag?) niedergelegt. Aristides Kanitz. Aufruf! Eine umfassende Weltanschauung auf Grund des Tatsachenstoffes vorzu- bereiten, den die Einzelwissenschaften aufgehäuft haben, und die Ansätze dazu zunächst unter den Forschern selbst zu verbreiten, ist ein immer dringenderes Bedürfnis vor allem für die Wissenschaft geworden, dann aber auch für unsere Zeit überhaupt, die dadurch erst erwerben wird, was wir besitzen. Doch nur durch gemeinsame Arbeit vieler kann das erreicht werden. Darum rufen wir alle philosophisch interessierten Forscher, auf welchen wissenschaft- lichen Gebieten sie auch betätigt sein mögen, und alle Philosophen im engeren Sinne, die zu haltbaren Lehren nur durch eindringendes Studium der Tatsachen der Erfahrung selbst zu gelangen hoffen, zum Beitritt zu einer Gesellschaft für positivistische Philosophie auf. Sie soll den Zweck haben, alle Wissenschaften untereinander in lebendige Verbindung zu setzen, überall die vereinheitlichenden Begriffe zu entwickeln und so zu einer widerspruchsfreien Gesamtauffassung vor- zudringen. Um nähere Auskunft wende man sich an den mitunterzeichneten Herrn Dozent M. H. Baege, Friedrichshagen bei Berlin, Waldowstraße 23. M. H.Baege, Dozent der Freien Hochschule Berlin, Frriedrichshagen. Prof. Dr. Betzoldt, Oberlehrer und Priv.-Dozent, Spandau. E. Dietzgen, Fabrik- besitzer und philos. Schriftsteller, Bensheim. Prof. Dr. Einstein, Prag. Prof. Dr. Forel, Yvorne. Prof. Dr. Föppl, München. Prof.Dr.S. Freud, Wien. Prof. Dr. Helm, Geh. Hofrat, Dresden. Prof. Dr. Hilbert, Geh. Reg.- Rat, Göttingen. Prof. Dr. Jensen, Göttingen. Prof. Dr. Jerusalem, Wien. Prof. Dr. Kammerer, Geh. Reg.-Rat, Charlottenburg. Prof. Dr. B. Kern, Obergeneralarzt und Inspekteur der II. Sanitäts-Inspektion, Berlin. Prof. Dr. 2) Mme. P. Curie. Die Radioaktivität. Autorisierte deutsche Ausgabe von Dr. B. Finkelstein. Mit einem für die deutsche Ausgabe verfassten Nachtrag von Mme. P. Curie, einem Porträt P. Curie’s, 7 Tafeln und 193 Figuren im Text. XV —+ 419 S. und VI + 585 S. Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft, 1912. 3) Radiumnormalmaße und deren Verwendung bei radioaktiven Messungen. Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft, 1911. AAS X. Ferienkurs. F. Klein, Geh. Reg.-Rat, Göttingen. Prof. Dr. Lamprecht, Geh. Hofrat, Leipzig. Prof. Dr.v. Liszt, Geh. Justizrat, Berlin. Prof. Dr. Loeb, Rocke- feller-Institute, New-York. Prof. Dr. E.Mach, Hofrat, Wien. Prof. Dr.@. E. Müller, Geh. Reg.-Rat, Göttingen. Dr. Müller-Lyer, München. Josef Popper, Wien. Ingenieur, Prof. Dr. Potonie, Königl. Landesgeologe, Berlin. Prof. Dr. Rhumbler, Hann.-Münden. Prof. Dr. Ribbert, Geh. Medizinal- rat, Bonn. Prof. Dr. Roux, Geh. Medizinalrat, Halle a.S. Prof. Dr. F.C. S. Schiller, Corpus Christi College, Oxford. Prof. Dr. Schuppe, Geh. Reg.- Rat, Breslau. Prof. Dr. Ritter v. Seeliger, München. Prof. Dr. Tönnies, Kiel. Prof. Dr. Verworn, Bonn. Prof. Dr. Wernicke, Oberrealschul- direktor und Privat-Dozent, Braunschweig. Prof. Dr. Wiener, Geh. Hofrat, Leipzig. Prof. Dr. Th. Ziehen, Geh. Medizinalrat, Wiesbaden. X. Ferienkurs für wissenschaftliche Mikroskopie vom 14.—19. Oktober 1912. Die Kurse finden statt im Kgl. anatomischen und im Kgl. physio- logischen Institut der Universität Würzburg. Die Apparate und Mikro- skope werden von den optischen und mechanischen Werken von Carl Zeiß, Jena, zur Verfügung gestellt. Übersicht der Vorträge, Demonstrationen und Übungen. Montag, den 14. Oktober, nachm. 4—5: Herr Prof. Dr. H. Ambronn (Jena): Vortrag über die Abbe’sche Theorie der mikroskopischen Bilderzeugung. 5—7: Übungen mit dem Diffraktionsapparat nach Abbe. Dienstag, den 15. Oktober, nachm. 4—5: Herr Prof. Dr. H. Ambronn: Vortrag über die Methoden zur Prüfung der Objektivsysteme. 5—7: Übungen mit der Abbe’schen Testplatte und dem Abbe’schen Aypertometer. Mittwoch, den 16. Oktober, nachm. 4—5: Herr Dr. H. Siedentopf (Jena): Vor- trag über Dunkelfeldbeleuchtung. 5—7: Übungen zur Dunkelfeldbeleuchtung. Donnerstag, den 17. Oktober, nachm. 4—7: Herr Dr. A. Köhler (Jena): Vortrag mit Demonstrationen über Mikrophotographie. a) Projektion der Bilder auf die Platte; b) Beleuchtung der Objekte mit durchfallendem und auffallendem Licht (Vertikalilluminator) Freitag, den 18. Oktober, vorm. 10—11'|,: Herr Dr. A. Köhler: Vortrag über Mikrophotographie im ultravioletten Licht. 11'°|,—1: Herr Dr. H. Sieden- topf: Vortrag über Ultramikroskopie. Sonnabend, den 19. Oktober, vorm. 10—12: Demonstrationen zu den Vorträgen: a) Mikrophotographie im ultravioletten Licht, b) Beobachtungen mit mono- chromatischem sichtbaren Licht und beobachtungen mit dem Vertikalillumi- nator (Metallographie), ce) Ultramikroskopie farbiger Gläser und Kristalle, d) Ultramikroskopie kolloider Lösungen. 12—1: Herr Dr. H. Sieden- topf: Erklärung Kinematographischer Projektionen von ultramikroskopischen und mikroskopischen Aufnahmen. Anmeldungen sind zw richten an Herrn Prosektor Prof. Dr. Fischer, Würzburg, Kgl. anatomisches Institut. Da die Zahl der Teilnehmer an den Übungen und Demonstrationen beschränkt ist, so wird gebeten, die Anmeldungen möglichst bald bewirken zu wollen. Das Honorar für die Vorträge, Demonstrationen und Übungen (18 Stunden) beträgt Mk. 25.—, für die Vorträge allein (9 Stunden) Mk. 10.— und ist bei Empfang der Teilnehmerkarte zu erlegen. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer Hof- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Pr. R., Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bd. XXXII. 20. August 1912. NM 8. Inhalt: Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese (II... — Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. — Renner, Über?die Berechnung des osmotischen Druckes. — Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. — Righi, Kometen und Elektronen. — Ehrlich, Folia serologiea, Zeitschrift für Chemotherapie und verwandte Gebiete. — Righi, Kometen und Elektronen. — Müller-Pouillet’s Lehrbuch der Physik und Meteorologie. — X. Ferienkurs für wissenschaftliebe Mikroskopie. Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. Von B. Swarcezewsky (Kiew). II. Über die Duplizität der Chromidialsubstanz. Die Hypothese von der Duplizität der Kernsubstanz ist eng verknüpft mit der Lehre von den Chromidialgebilden. Als Grund- lage für die Aufstellung dieser Hypothese haben Schaudinn (1903) seine Beobachtungen über die Bildung der Kerne der Gameten bei einer Reihe von Rhizopoden gedient. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass diese Kerne aus Chromidien hervorgehen, welche ihrerseits in einigen Fällen gerade im Momente des geschlecht- lichen Prozesses aus den Kernen abgeschieden werden (Polystomella, Entamoebae), glaubte Schaudinn annehmen zu können, dass die Substanz dieser Chromidien nicht identisch sei mit: den Substanzen, welche nach der Ausscheidung der Chromidier in dem Kerne zurück- geblieben sind. Mit anderen Worten, es müssen nach der Ansicht dieses Autors im Kerne zwei Arten von Substanzen vorhanden sein, welche in funktioneller Hinsicht voneinander verschieden sind. Die eine derselben ist an dem Aufbau der Gametenkerne, d. h. der geschlechtlichen Kerne beteiligt; es ist dies die geschlechtliche Substanz. Diese Substanz ist es, welche in gewissen Fällen bei dem Eintritt des geschlechtlichen Prozesses in Gestalt von Chro- XXXI. 29 450 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. midien aus den Kernen in das Protoplasma ausgeschieden wird, in anderen Fällen dagegen auch während der vegetativen Stadien des Organismus in dessen Protoplasma liegt. Die andere Substanz steht in keinerlei Beziehungen zu den geschlechtlichen Vorgängen und verbleibt bei der Bildung der Gameten in dem Kerne; diese Sub- stanz hält Schaudinn für die somatische. Indem Schaudinn seine Auffassung von der Duplizität der Kernsubstanz entwickelt, vergleicht er die Duplizität der Kernsub- stanz bei den Rhizopoden, wie er sich dieselbe vorstellt, mit der Doppelkernigkeit bei den Infusorien und erblickt in dem Baue des Kernapparates dieser letzteren eine volle Bestätigung sein@® theo- retischen Betrachtungen. Der Mikronukleus der Infusorien, dessen Tätigkeit ausschließlich bei der Konjugation zutage tritt, stellt nach Schaudinn eine geschlechtliche Kernsubstanz dar, welche während des gesamten Lebens des Organismus vollständig von der übrigen Kernmasse abgesondert verbleibt und zu einer selbständigen morpho- logischen Einheit — dem geschlechtlichen Kern — ausgeschieden ist. Der Makronukleus dagegen stellt eine Anhäufung der an dem geschlechtlichen Prozesse nicht anteilnehmenden Kernsubstanz dar, es ıst dies der vegetative Kern. Der Mikronukleus der Infusorien erweist sich demnach als eine mit den Chromidien der Rhizopoden identische Bildung, während der Makronukleus durchaus den „primären“ Kernen dieser letzteren entspricht. Diese Ansichten von Schaudinn wurden auch von anderen Forschern übernommen. Allein die Verarbeitung der Hypothese selbst lässt sich ın deren Händen auf ein Suchen neuer sie be- stätigender Faktoren und auf das Bestreben zurückführen, die Chromidialgebilde auf irgendeine Weise in ein System zu bringen. Die Versuche einer Systematisierung der Chromidien werden durch den Umstand hervorgerufen, dass die Chromidien, wie sich aus späteren Untersuchungen ergeben hat, durchaus nicht in allen Fällen für die Bildung der Gametenkerne verwendet werden, demnach durchaus nicht immer aus der geschlechtlichen Kernsubstanz be- stehen. Derartiger Versuche, die verschiedenen Arten von Chromidial- gebilden in ein System unterzubringen, sind mehrere unternommen worden. So unterschied z. B. Schaudinn selbst (1905) „Somato- chromidien“ und „Gametochromidien“. Später hat Mesnil (1905), indem er ebenfalls Unterschiede rein funktionellen Charakters zu- grunde legte, die Bezeichnung „Chromidium“ für solche Gebilde vorgeschlagen, deren Funktion unbekannt ist, die Bezeichnung „[rophochromidium“ für vegetative Chromidien und „Idiochromi- dıum“ für solche, welche das Material für den Aufbau der Gameten- kerne abgeben. Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 451 Goldschmidt schlug auf Grund gleicher Betrachtungen zu- erst (1905) vor, vegetative Chromidien und Sporetien zu unter- scheiden (letztere sollen den „Idiochromidien“* Mesnil’s entsprechen). Später (1907) erweiterte er sein Schema einigermaßen und dieses nimmt in seiner endgültigen Gestalt folgende Fassung an: 1. „Chromidien im weiteren Sinne“, wenn deren Funktion gänz- lich unbekannt ist. 2. „Chromidien ım engeren Sinne“, d.h. solche, welche an ver- schiedenen vegetativen Funktionen der Zelle anteilnehmen und endlich 3. „Sporetien“, d. h. solche Chromidien, deren Substanz für den Aufbau der Gametenkerne verwendet wird. Wenn wir in Betracht ziehen, dass die Chromidien in einigen Fällen (wie z. B. bei Arcella und dieser verwandten Organismen) gleichzeitig vegetative wie auch generative Bildungen darstellen, so werden wir zugeben müssen, dass alle oben mitgeteilten Schemata den beobachteten Erscheinungen nicht völlig entsprechen. Dieser Umstand wird offenbar von einigen Autoren berück- sichtigt, worauf wir auf Grund der Einführung der Bezeichnung „somato-generative Chromidien“ in der Literatur schließen können (so z. B. bei Bott, 1907). Andere Autoren sind bestrebt, die Chromidialsubstanzen auf Grund nicht nur funktioneller, sondern auch morphologischer Merk- male zu schematisieren. In solchen Fällen nımmt diese Systemati- sierung einen noch verwickelteren Charakter an. So finden wir z. B. bei Awerinzew (1909) folgende Einteilung: 1. „Indifferente Chronudien“, wenn der Kern seine Abgesondert- heit und Struktur völlig einbüßt. 2. Geschlechtliche Chromidien. 3. Vegetative Chromidien. 4. Somato-generative (vegetativ -geschlechtliche) Chromidien, welche bei Anwesenheit eines somatischen, vegetativen Kernes die Kerne der Agomonten hervorgehen lassen. Wie wenig die zur Be- obachtung gelangten Tatsachen den Aufbau derartiger Schemata begründet erscheinen lassen, lässt sich leicht ersehen, wenn man den Versuch unternimmt, irgendeinen der uns bekannten konkreten Fälle in eines der Rubriken unterzubringen. So dienen z. B. die Chromidialnetze von Arcella und ähnlichen Organismen zum Aufbau der Gametenkerne; sie stellen demnach auf Grund des Schemas von Awerinzew „geschlechtliche Chro- midien“*, nach dem Schema von Goldschmidt „Sporetien“ dar. Gleichzeitig werden aus diesen Netzen aber auch die Kerne der ungeschlechtlichen Generation gebildet, so dass sie nach der Auf- fassung von Awerinzew als „somato-generative“ Chromidien auf- gefasst werden müssen, nach Goldschmidt aber offenbar „Chro- I9* 452 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. midien im engeren Sinne“ darstellen. Erinnert man sich nun des Umstandes, dass diese gleichen Netze auch zu vegetativen Funk- tionen befähigt sind (Zuelzer, 1904), so erweist es sich, dass wir dieselben auch als „vegetative Chromidien“ im Sinne von Awerinzew auffassen müssen. Die bei Gregarina cuneata und Lankesteria sp. gefundenen Chromidialgebilde der Gregarinen erweisen sich einerseits als „Spo- retien“ nach dem Schema von Goldschmidt, andererseits aber müssen sie in Anbetracht des Umstandes, dass die Kerne dieser Formen bei der Bildung der Chromidien „ihre Abgesondertheit und Struktur völlig einbüßen“, nach dem Schema von Awerinzew als „indifferente Chromidien“ angesehen werden. Zu ebensolchen indifferenten Chromidialgebilden müssen sıch auch die von Awerinzew für Zymphocystis johnstonei beschriebenen Chromidien gerechnet werden, welche aber gleichzeitig in der Ru- brik der „somato-generativen“ Chromidien des gleichen Schemas untergebracht werden können. Schon aus den wenigen hier angeführten Beispielen lässt sich ersehen, dass die Versuche einer Systematisierung der Chromidial- gebilde durchaus nicht als zufriedenstellend angesehen werden können. Es drängt sich ganz von selbst die Frage auf, ob nicht alle Autoren, welche bisher den Versuch gemacht haben, diese Ge- bilde zu systematisieren, ihren Schemata ein Prinzip zugrunde legen, welches schon seiner Natur nach jenen Vorstellungen nicht entspricht, die mit dem Begriffe von „Chromidien“ verbunden sind, ja ob eine Systematisierung der Ohromidialgebilde überhaupt mög- lich ist. Die Mehrzahl aller Forscher, von Schaudinn angefangen, geht von dem Vorhandensein zweier Arten von Chromidialgebilden aus, wobei für die Unterscheidung dieser zwei Modifikationen, um sich so auszudrücken, dıe Teilnahme oder die Nichtanteilnahme des Chromidiums an dem geschlechtlichen Prozesse, oder mit anderen Worten an dem Aufbau der Gametenkerne als Kriterium zugrunde gelegt wird. Werden die geschlechtlichen Kerne durch Konden- sation der in dem Protoplasma zerstreuten Chromatinsubstanz ge- bildet, so gelten diese sie bildenden Chromidien als „generative“ Chromidien (germinative, geschlechtliche, reproduktive Chromidien, Idiochromidien, Sporetien); entstehen die geschlechtlichen Kerne dagegen unmittelbar aus den primären Kernen, so werden die vor- handenen oder sich dabei bildenden Chromidien als „vegetative“ Chromidien angesehen (Tropho-, Somotochromidien). Bei einer so scharf gezogenen Abgrenzung dieser zwei Gruppen von Chromidialgebilden wird die Frage über die Zugehörigkeit eines bestimmten Gebildes zu den „generativen“ oder den „vegetativen“ Chromidien bei dem Studium des Entwickelungszyklus des be- Swarezewsky, Zur Öhromidienfrage und Kerndualismushypothese. 453 treffenden Organismus entschieden. Dabei wird einerseits gar nicht in Betracht gezogen, ob das angebliche „vegetative“ Chromidium im ge- gebenen Falle auch in der Tat irgendwelchen Anteil an den vegetativen Prozessen des Organısmus nimmt. Andererseits aber wird, wenn wir es mit einem Chromidium zu tun haben, das wir auf Grund seiner Teilnahme an dem geschlechtlichen Prozesse als „generativ“ ansehen müssen, gar nicht in Betracht gezogen, ob die gesamte Substanz des betreffenden Chromidiums auf den Aufbau der ge- schlechtlichen Kerne verwendet wird, oder ob bei diesem Prozesse irgendwelche Reste des „generativen“ Chromidiums übrig bleiben, und zwar Reste, welche in den vegetativen Prozessen irgendeine Rolle spielen. Ich halte es nicht für notwendig, mich hier bei den sogen. „vegetativen“ Chromidialgebilden aufzuhalten, da dieselben, welche Rolle sie im Leben irgendeines Organısmus auch spielen mögen, wenigstens in denjenigen Fällen wo der Entwickelungzyklus uns bereits bekannt ist mit der Bildung der geschlechtlichen Zellen nichts gemein haben, weshalb schon a priori von dem Vorhanden- sein einer geschlechtlichen Kernsubstanz in demselben keine Rede sein kann. Ich werde daher unmittelbar zu der Besprechung der- jenigen Beobachtungen übergehen, welche sich auf die „generativen* Chromidien beziehen. Indem wir das hierher gehörige Material zusammensuchen, werden wir uns auf eine sehr beschränkte Anzahl von Organismen beschränken müssen, da wir durch den Wunsch, ein völlig genaues und bestimmtes Bild zu geben, gezwungen sind, für unsere Be- trachtungen nur solche Formen zu wählen, deren Entwickelungs- zyklus völlig klar zutage liegt, und dazu solche, bei denen die funk- tionelle Bedeutung ihrer Chromidialgebilde mehr oder weniger bekannt geworden ist. Unter solehen Organismen gebührt den monothalamen Süß- wasserrhizopoden naturgemäß der erste Platz. Eine bedeutende Anzahl über diese letzteren angestellter Studien hat gezeigt, dass die Kerne der neuen Generationen bei diesen Organismen sowohl während der Bildung der Gameten, so auch bei verschiedenen anderen Fortpflanzungsprozessen (Schizogonie und Knospenbildung) aus der Substanz der Chromidialnetze hervorgehen. Wir sind demnach durchaus zu der Annahme berechtigt, dass die Chromidialnetze von Arcella und ähnlichen Organismen „generative* Chromidien darstellen. Andererseits liegt aber eine große Reihe von Beobachtungen vor, welche darauf hinweisen, dass diese Gebilde durchaus nicht gänzlich von der Teilnahme an vegetativen Prozessen ausgeschlossen sind. So befinden sich nach den Voraussetzungen von R. Hert- wig, der sich auf eine lange Reihe von Beobachtungen an Kulturen 454 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. verschiedener Rhizopoden, namentlich aber von Arcella stützte (wobei diese Kulturen unter verschiedenen Ernährungsbedingungen erzogen wurden), die Chromidialnetze dieser Organismen in engster Ab- hängigkeit von den 'Ernährungsbedingungen. Diese Annahmen wurden durch die Untersuchungen von Khainskı (1910) bestätigt, welcher gestützt auf eine ganze Reihe von Versuchen und Beob- achtungen zu dem Schlusse gelangt, dass die Ohromidialnetze von Arcella ın engster Beziehung zu der Ernährung des Organismus stehen und an der Verdauung der Nahrung aktiven Anteil nehmen. Andererseits fand Zuelzer (1904), dass ın den CUhromidialnetzen von monothalamen Rhizopoden (Difflugia) eine Bildung von Reserve- nahrungsstoffen vor sich geht (Glykogen oder eine nahestehende Substanz). Die Ohromidialnetze der monothalamen Rhizopoden haben dem- nach nicht nur eine geschlechtliche Funktion zu erfüllen, sondern sie nehmen auch an der vegetativen Tätigkeit des Organismus leb- haften Anteil. Außer den Monothalamien finden wir noch eine Gruppe von Organismen, bei denen die generativen Chromidien nach den An- gaben einiger Autoren auch an verschiedenen vegetativen Vorgängen beteiligt sind. Es ıst dies die Gruppe der Gregarinen. Im vorhergehenden Artikel habe ich es versucht festzustellen, welche Prozesse in den Zysten der „echten“ Gregarınen (Kugrega- rinaria) während der die Gametenbildung begleitenden Erschei- nungen vor sich gehen. Auf Grund der von mir angestellten Ver- gleiche können wir zu dem Schlusse gelangen, dass die zu der Bildung der Gametengeneration führenden vorbereitenden Prozesse in vielen Fällen als eine Umwandlung des primären Kernes in ein Chromidialgebilde aufgefasst werden müssen, aus dem meist nur ein einziger „sekundärer“ Kern, in gewissen Fällen aber eine größere Anzahl von Kernen rekonstruiert wird. Das Chromidium, welches das Material zu dem Aufbau dieser Kerne abgibt, wird in beiden Fällen nicht ganz für deren Bildung aufgebraucht: ein Teil des- selben (und zwar im ersteren Falle nur ein kleiner) wird zu diesem Zwecke nicht verwendet und wird schließlich von dem Organismus auf irgendwelche Weise aufgebraucht. So wissen wir aus den Ergebnissen der Untersuchungen von Leger und Duboscq (1909), dass die bei Nina gracilis zur Bil- dung gelangenden Chromidien zum Teile Nahrungsmaterial darstellen, zum Teile dagegen die Kortikalschicht der Zyste bilden, welche augenscheinlich zum Aufbau der Zystenhüllen verwendet wird. Nach den Angaben von Kuschakewitsch (1907) werden die sich in den Zysten von Gregarina cuneata bildenden Chromidien ebenfalls nicht restlos für den Aufbau der Gametenkerne ver- braucht. Ein gewisser Teil derselben bildet merkliche Anhäufungen ı-- Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. +55 an der Peripherie der Zysten, aus denen sich die Sporodukte ent- wickeln). Wir haben demnach eine ganze Reihe von Angaben zugunsten der Annahme, dass die „generativen“ Chromidien der Gregarinen den vegetativen Funktionen durchaus nicht fremd gegenüberstehen. Bei den Coecidien, wo die Bildung von „generativen“ Chro- midien in den Mikrogametozysten eine weitverbreitete Erscheinung darstellt, finden wir, wenn auch nur indirekte Beweise dafür, dass diesen Chromidien vegetative Funktionen nicht abgesprochen werden können. Bei der Entwickelung der Mikrogameten geht das Chro- matin aus dem Kerne des Mikrogametozyten in das Protoplasma über und sammelt sich an der Oberfläche der Zelle an, wo denn auch seine Umwandlung in die Kerne des Mikrogameten stattfindet. Es kommt gewöhnlich zu der Bildung einer großen Menge von Mikrogameten und nur bei verhältnismäßig wenigen Formen sind es deren bloß vier. Allein in diesem wie auch in jenem Falle wird man den auffallenden Unterschied zwischen der, man kann wohl sagen minimalen, Quantität der die Chromidien bildenden Chromatin- substanz des „primären“ Kernes und jener Masse dieser Substanz beachten, welche in den „sekundären“ Kernen — den Kernen der Mikrogameten — enthalten ist. Soviel mir bekannt, ist von seiten der Autoren jenen Prozessen, welche eine solche Vermehrung der Chromatinsubstanz zum Ergebnis haben, nur sehr wenig Beachtung geschenkt worden; hier und da nur findet man bei einigen Autoren einen kurzen Hinweis auf die Vermehrung der aus dem „primären“ Kern in das Protoplasma ausgestoßenen Chromatinkörner (vgl. Mo- roff und Fibiger, 1905). Und doch weist diese Vermehrung der Masse, wenn sie durch Wachstum und Vermehrung der Chromatın- körnchen zustande kommt, unabweisbar auf eine Befähigung der aus dem Kerne ausgeschiedenen Chromidialgebilde, d.h. der genera- tiven Chromidien, zu einer assimilierenden Tätigkeit hin ?). Die Chromidialgebilde der monothalamen Rhizopoden, der Gre- garinen und der Coccidien, sind demnach durchaus nicht ausschlieb- lich „generative“ Chromidien °). 1) Die Untersuchung der Zysten von Lankesteria sp. ergibt, dass auch hier nur ein Teil der Chromidialgebilde für die Bildung der „sekundären“ Kerne ver- wendet wird, während ein anderer Teil sich in Reservenährstoffe verwandelt, welche wir denn auch in Gestalt kleiner runder Körper zuerst in dem Protoplasma der Zysten und hierauf in den Sporozysten antreffen. 2) Wir haben keinen Grund, in dem vorliegenden Falle nur eine Vergrößerung des Umfanges anzunehmen, indem weder auf eine besonders starke Vakuolisierung der „sekundären“ Kerne, noch auf deren unbedeutende Festigkeit hinweisende An- gaben vorliegen; die Angaben aller Autoren sprechen im Gegenteil zugunsten einer bedeutenden Kompaktheit dieser Kerne. 3) Außer den soeben von mir erwähnten drei Gruppen gibt es noch eine ziemlich bedeutende Anzahl von Organismen, bei denen von verschiedenen Autoren Vorgänge 456 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. Wie dies schon weiter oben hervorgehoben wurde, hatte der Begründer der Theorie von der Duplizität der Kernsubstanz, Schau- dınn, nachdem mehrere Autoren (wie Mesnil und Goldschmidt) seine Anschauungen zu entwickeln begonnen hatten, selbst gewisser- maßen davor gewarnt, sich von dieser Lehre allzusehr fortreißen zu lassen, indem er sich im Jahre 1905 in dem Sinne aussprach, dass die Annahme des Vorhandenseins rein geschlechtlichen Chro- matins, ohne irgendwelche Beimischung somatischen Chromatins kaum denkbar wäre („Dass es reine Gametochromidien gibt, ganz ohne Beimischung somatischen Kernmaterials, dürfte nicht wahr- scheinlich sein“) *). Ihrerseits haben offenbar auch einige Anhänger dieser Hypo- these den zwischen der Hypothese selbst und einer bedeutenden Anzahl von vorliegenden Beobachtungen bestehenden Widerspruch bemerkt. So lesen wir z. B. bei Awerinzew (1909) nachstehende Angabe: „in den Kernen der Protozoen haben wir es gewöhnlich mit einem funktionell und vielleicht sogar morphologisch verschieden- artigen Chromatin zu tun — einem vegetativen und einem geschlecht- lichen. „Man wird dabei natürlich nicht außer acht lassen dürfen, dass in dem geschlechtlichen, generativen Chromatin schon potentiell auch somatisches, vegetatives Chromatin enthalten ist, da in den- jenigen Fällen, wo Kerne aus dem generativen Chromatin hervor- gehen, in denselben schließlich auch vegetatives Chromatın auftritt ).* der Bildung von Chromidien vor dem Antritt der Periode der geschlechtlichen Tätigkeit beobachtet wurden, und zwar von Chromidien, welche einzelne Autoren „generative“ Chromidien bezeichnen (so z. B. bei den parasitischen Amoeben). Da indessen die beobachteten Erscheinungen einstweilen noch nicht mit genügender Sicherheit festgestellt worden sind, so erscheint es ziemlich riskiert, dieselben zu irgendwelchen Schlussfolgerungen heranzuziehen. Es liegen noch Beobachtungen vor, welche darauf hinweisen, dass bei einigen Formen ‚‚generative“ Chromidien schon auf sehr frühen vegetativen Stadien auf- treten und während des vegetativen Lebens des Organismus in dessen Protoplasma verbleiben. Einen solchen Fall haben wir z. B. bei Mastigina setosa, bei welcher nach den Angaben von Goldschmidt (1907) ein ‚„generatives“ Chromidium sofort oder wenigstens bald nach der Kopulation ausgeschieden wird. Auf diesem Stadium wird eine verhältnismäßig sehr geringe Menge von „Sporetium“ ausgeschieden und man wird annehmen müssen, dass während des weiteren Entwickelungsganges des betreffenden Organismus, die Quantität des „Sporetiums“ in irgendwelcher Weise zunehmen muss; in der hier angeführten Arbeit finden wir keinerlei Hinweise darauf, ob diese Zunahme durch neue Ausscheidungen aus dem „primären“ Kern, oder aber durch selbständiges Wachstum erfolgt. Nichtsdestoweniger scheint es mir unmög- lich, keine Übereinstimmung zwischen den von Goldschmidt beobachteten Er- scheinungen und denjenigen zu bemerken, welche bei den monothalamen Rhizopoden (wie z. B. bei Arcella) vorliegen. Es ist sehr wohl möglich, dass in beiden Fällen den während des ganzen vegetativen Lebens des Organismus vorhandenen „Sporetien“ vegetative Funktionen zukommen. 4) l.e., p. 601. 5) K €57P..67: Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 497 Allein ungeachtet des in solcher Annahme liegenden Wider- spruches zwischen den Tatsachen und der Hypothese glaubt Awerin- zew dennoch annehmen zu können, dass die Tatsache einer Um- wandlungsfähigkeit des Chromatins einen zweifellosen Beweis für den Dualismus der Kernsubstanz darstellt. Auch andere Autoren, welche offenbar die Schwierigkeiten ın Betracht ziehen, die der Schaudinn’schen Hypothese durch die vegetative Funktionen ausübenden „generativen“ Uhromidien ent- stehen, stellen sogar das Vorhandensein selbst solcher „generativer“ Chromidien völlig in Abrede und suchen dieselben durch „poly- energide“ Kerne zu ersetzen. Wir haben demnach einerseits einen Widerspruch zwischen den Tatsachen und der Hypothese vor uns, der die Tatsachen ent- sprechen müssten, andererseits aber ein Bestreben, diese Tatsachen zu vertuschen oder sie in einem Sinne zu deuten, welcher der Hypo- these entspricht. Wie aus den weiteren Darlegungen zu ersehen sein wird, kann der ın der Aufstellung einer neuen Hypothese — der Hypothese von dem „polyenergiden“ Kerne — zum Ausdruck gelangte Ver- such, die faktische Seite der Frage mit der Lehre von der Duplizität der Kernsubstanz in Einklang zu bringen, wohl kaum als gelungen betrachtet werden‘); die Frage von der Duphzität der Kernsubstanz, insofern sie die Chromidialgebilde betrifft, verbleibt in der gleichen Gestalt, die sie auf Grund alles von mir im vorliegenden Artikel Angeführten von selbst angenommen hat, d. h. die „generativen“ Chromidialgebilde üben auch vegetative Funktionen aus. Mit anderen Worten, wir haben nicht den geringsten Anlass, irgendwelche scharfe (Grenzen zwischen den „generativen“ und den „vegetativen“ Chro- midien zu ziehen. Aus allem von mir weiter oben Angeführten scheint mir mit völliger Deutlichkeit hervorzugehen, dass sogar jeder Versuch einer Systematisierung der Chromidialgebilde, begründet auf deren Funktionen, ohne Erfolg bleiben muss. In Anbetracht gewisser Vorteile, welche jede bestimmte Ter- minologie dem Arbeitenden bietet, erscheint esnaturgemäß wünschens- wert, solche Bezeichnungen für die Chromidialgebilde anzuwenden, welche ohne das Bestreben, deren funktionelle Unterschiede fest- zulegen, doch gleichzeitig ihre wesentlichsten Merkmale mit ge- nügender Deutlichkeit zur Geltung bringen. Für diesen Zweck wird man meiner Ansicht nach ganz gut die schon eingeführten Bezeich- nungen verwenden können. So kann man mit dem Worte „Chro- midium“ solche Chromidialgebilde bezeichnen, deren Substanz, soweit uns bekannt ist, nicht für die Bildung von Gametenkernen ver- 6) Der Besprechung der Hypothese von den „polyenergiden Kernen“ ist in der vorliegenden Arbeit ein spezieller Artikel gewidmet. 458 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. wendet wird, mit dem Worte „Gametochromidien“ (einer von Schaudinn eingeführten Bezeichnung) dagegen solche Chromidial- gebilde, welche unabhängig von ihren sonstigen Funktionen das Material für solche Kerne abgeben. Literaturverzeichnis. Awerinzew, S. Studien über parasitische Protozoen I—-VII. Trav: Soc. Natural., St. Petersbourg, Bd. 38, 1908. — Studien über parasitische Protozoen VIII—XI. Trav. Soc. Natural., St. Petersbourg, Bd. 40, 1909. Bott. K. Über die Fortpflanzung von Pelomyxa palustris. Arch. f. Protist., Bd. 8, 1907. Goldschmidt, R. Die Chromidien der Protozoen Arch. f. Protist., Bd.5, 1905. — Lebensgeschichte der Mastigamoeben. Arch f. Protist., Suppl. I, 1907. Hertwig, R. Die Protozoen und die Zelltheorie. Arch. f. Protist., Bd. 1, 1902 — Über den Chromidialapparat und den Dualismus der Kernsubstanzen. Sitz.- Ber. Gesellsch. Morph. u. Physiol., München 1907. Khainsky, A. Untersuchungen über Arcellen. Arch. f. Protist., Bd. 21, 1910. Kuschakewitsch, S. Beobachtungen über vegetative, degenerative und germina- tive Vorgänge bei den Gregarinen. Arch. f. Protist., Suppl. I, 1907. Leger, L. et Duboseg, O. Etudes sur la sexualit@ chez les Gregarin. Arch. f. Protist., Bd. 17, 1909. Mesnil, F. Chromidie et questiones convexes. Bull. !’Inst. Pasteur, Bd. 3, 1905. Moroff, F. und Fibiger, J. Über Eimeria subepithelialis n. sp. Arch. f. Protist., Bd. 6, 1905. Schaudinn, F. Untersuchungen über den Generationswechsel bei Coceidien (1900). F. Schaudinn’s Arbeiten. Hamburg und Leipzig 1911. — Untersuchungen über die Fortpflanzung einiger Rhizopoden (1903). Ibidem. — Neuere Forschung über die Befruchtung bei Protozoen (1905). Ibidem. Swarezewsky, B. Über die Fortpflanzungserscheinungen bei Arcella vulgaris. Arch. f. Protist., Bd. 12, 1908. — Beobachtungen über Lankesteria sp., eine in Turbellarien des Baikalsees lebende Gregarine. Festschr. z. 60jähr. Geburtstag R. Hertwig’s, Bd. 1. Zuelzer, M. Beiträge zur Kenntnis von Difflugia wurceolata. Arch. f. Protist., Bd. 4, 1904. Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. Von Alexander Gurwitsch, St. Petersburg. (Hochschule für Frauen.) Mit dem vorliegenden Essay wird die zweite Etappe des von mir vor 2 Jahren entworfenen Programms!'), wenn auch nur ın vorläufiger Form, ın Angriff genommen. Es erschien mir für dieses Mal zweckmäßig, die theoretischen Grundlagen des aufgeworfenen Problems ganz unabhängig von den bereits gewonnenen, allerdings noch spärlichen empirischen Ergeb- nissen vorzulegen und zwar zum Teil, weil eine Vervielfältigung und größere Abrundung meines statistischen Materials noch wün- schenswert erscheint, hauptsächlich aber aus dem Grunde, weil, 1) Arch. f. Entwickelungsmech., Bd. XXX (Festschr. f. Roux). Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 459 wie die Erfahrung lehrt, die theoretischen Erörterungen in den Abhandlungen, welche auch empirisches Material bringen, meist ganz überschlagen werden. Man vergisst allzuleicht, dass streng induktiv gewonnene theo- retische Begriffe ja auch Tatsachen, wenn auch nicht sinnlicher Natur. sind und eigentlich den Hauptreiz und das Endziel jeder mühsamen empirischen Untersuchung bilden. Wenn man die moderne Erblichkeitsforschung, nicht nur an der Hand der Spezialuntersuchungen, sondern auch nach mehreren, in der Letztzeit erschienenen zusammenfassenden Darstellungen des ganzen Gebietes überblickt, so kann man sich des eigentümlichen Eindruckes nicht erwehren, dass das Problem zwar mit großem Erfolg, dafür aber ın recht einseitiger Weise angefasst wird. Es lassen sich die in Angriff genommenen Fragen in zwei große Gruppen einteilen: 1. Erforschung der Phänomenologie der Erblichkeit, die dank der glänzenden Methode der Mendel-Analyse ein exaktes Wissensgebiet erst zu werden beginnt. 2. Untersuchung der Prämissen resp. der Ausgangspunkte der Entwickelung, somit auch der Vererbung, d.h. der Geschlechts- zellen und der an denselben vor, während und nach der Befruch- tung sich abspielenden Vorgänge. Die „Erklärung“ der Eigenschaften des fertigen Erzeugnisses der nächsten Generation aus denjenigen der zugrunde liegenden (Geschlechtszellen, winkt der modernen Forschung als zwar entferntes, aber einzig ersehntes Ziel entgegen. Die eigentliche Embryogenese, der Werdegang des Organismus, fällt dagegen merkwürdigerweise vollständig aus dem Rahmen der sogen. Erblichkeitsforschung. Man gewinnt geradezu den Eindruck, als ob die Übermittlung der die Er et ausmachenden Anlagen ein spezieller neben der Embryogenese einherlaufender, oder in einen bestimmten Zeitpunkt derselben fallender Vorgang sei, dessen spezielles Studium daher erstere unberücksichtigt lassen kann. So paradox diese Äußerung auch vorkommen mag, so dürfte sich dieselbe schon allein durch die Tatsache rechtfertigen, dass in den zahlreichen, die Erblichkeitsforschung von verschiedensten Ge- sichtspunkten erschöpfenden zusammenfassenden Darstellungen der letzten Jahre, die Embryogenese überhaupt nicht zu Worte kommt. Aus dem großen Gebiete des Werdeganges eines Organismus wird in den folgenden Zeilen nur der Verwir ch ungsprozessder Morphe zur Sprache kommen. Das Problem der Vererbung soll dadurch auch nicht annähernd erschöpft werden. Es wird aber, wie ich glaube, durch Aufstellung neuer Untersuchungsprinzipien 460 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. resp. durch bessere Erkenntnis auf diesem Gebiete, ein neues Licht auf das ganze Vererbungsproblem geworfen. 1. Die Erforschung der Morphogenese ist gleichbedeutend mit der Untersuchung der Beziehungen der Teile zum Ganzen, da dasjenige, was wir als eine bestimmte Form (des ganzen Organismus oder eines beliebigen Organes, Bestandteils desselben) zu bezeichnen pflegen, in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ein Kollektiv- gegenstand ist. Diese Erkenntnis ist meiner Ansicht nach grundlegend für das tiefere Eindringen und Verständnis sowohl der Embryogenese wie des organischen Geschehens im allgemeinen. Es ist dabei, wie ich bereits in meiner früheren Arbeit ausführte, vor allem zu berück- sichtigen, dass im Gegensatz zu der allgemein geübten interindi- viduellen Kollektivbetrachtung auf soziologischem und auch bio- logischem Gebiete, die Bezeichnung eines Organismus Kollektiv- gegenstand nicht eine Fiktion oder Abstraktion, sondern ein uns primär Gegebenes ist. Wir können uns bestimmte Verhältnisse fingieren, unter denen es auch anders sein könnte. . Wenn wır uns nämlich ein Wesen denken, dessen Sehvermögen und beschränktes Gesichtsfeld demjenigen unserer stärksten Ver- größerungen gliche, so wären für dasselbe viele oder die meisten unserer scharf umschriebenen Gestaltungen in lose gefügte Haufen diskreter Elemente — Zellen — aufgelöst, die unmittelbare Übersicht über das enorm gewordene Ganze dagegen unmöglich geworden. Für ein derartiges Wesen wären die den unsrigen entsprechen- den Vorstellungen der Morphe erst induktiv zu gewinnende, eines Beweises bedürftige Begriffe, deren Entstehung etwa derjenigen der Kollektivbegriffe in der sozialen Statistik analog zu setzen wäre. Es handelt sich hier wie dort gewissermaßen um Abstraktionen, zuweilen sogar um Fiktionen, das Problem der Beziehungen der Teile zum Ganzen hätte demnach hier einen nur bedingten Wert und Berechtigung. Diesem fingierten Extrem können wir eine andere, geschichtlich reale Sachlage entgegenstellen, in welcher sich die embryologische Forschung etwa zu Zeiten ©. F. Wolff's und seiner Nachfolger befand. Die sichtbare Morphe, resp. ihre Genese war hier das einzige und das letzte, aus homogener Materie bestehende Gegebene. Jede Betrachtung über die Beziehungen zwischen diesem und jener hätte dann gewissermaßen nur in metaphysischem, platonischem Sinne einen Wert. Nun das Mikroskop uns die materielle Diskontinuität der uns als real Gegebenes erscheinenden Morphe aufgedeckt hat, gewinnt das Problem der Beziehungen zwischen dem Ganzen und den Teilen einen rein konkreten, von etwaiger subjektiver Auffassung ganz u 2 1 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 461 unabhängigen Charakter, indem beide Glieder — das Ganze (die Morphe) und ihre Elemente — uns gleich real gegeben sind; die em- bryonalen Anlagen resp. Organe als Kollektivgegenstände zu be- zeichnen, heisst demnach nur dem objektiven Sachverhalt einen adäquaten Ausdruck zu verleihen. Das Problem ist in der Tat ebenso alt wie unsere Kenntnis vom zellulären Aufbau und Entstehung der Organismen, und es wäre ein müßiges Unternehmen, die Gesamtheit der auf diesem Gebiete aufgestellten Theorien und gemachten Äußerungen anzu- führen. Es genügt uns, den Inhalt beider, gewissermaßen entgegen- gesetzter Schlussfolgerungen, zu denen die Forschung auf diesem (Gebiete bisher gelangte, auf ihren Inhalt zu prüfen. „Durch die Leistungen und Eigenschaften der Teile (se. der Zellen) sei das ‚Ganze‘ erschöpfend bestimmt“, behauptet die vor- wiegend ältere Forschung. „Nicht die Teile bestimmen das Ganze, sondern vielmehr um- gekehrt: das Ganze bestimme die Teile,“ lautet die andere Alter- native, die ın klarer’ Weise schon von Sachs, Rauber u.a. durch- schaut wurde, aber erst durch die von Roux inaugurierte experi- mentelle Forschung und namentlich durch Driesch’s scharfsinnige Experimente und tiefgehende logische Analyse immer mehr zur Anerkennung gelangt. Der logische Kern dieser entgegengesetzten Anschauungen ist nicht schwer herauszuschälen, Die erstere impliziert die Annahme, sämtliche Geschehns- parameter seien den Teilen (Elementen) zugewiesen. Die simple Negation dieses Satzes führt aber noch keinesfalls zur zweiten der von uns angeführten Alternativen. Gilt es als nachgewiesen, dass dem Element A ein Teil der (eschehnsparameter abgehe, so bleibt es sehr wohl denkbar, dass die fehlenden Bestimmungsfaktoren irgend einem anderen, eventuell dem ersteren sogar analogen Element B zukommen. Die Aufdeckung der Tatsache der sogen. abhängigen Differen- zierung (Roux) hat dementsprechend in den meisten Fällen nur zu verschiedenen, an sich sehr wenig besagenden Vorstellungen über Wechselwirkungen zwischen den Elementen u. dgl. geführt. Irgendein bestimmter Versuch, diesen Gedanken systematisch und konkret fassbar durchzuführen, ist übrigens gar nicht zu ver- zeichnen. Es wurden vielmehr derartige Annahmen meist nur als Zugeständnisse oder Korrekturen zu Systemen wesentlich erster (d. h. präformatorischer) Art ausgesprochen. Der Inhalt der zweiten von uns angeführten Anschauung über die Beziehungen der Teile zum Ganzen muss daher ganz unabhängig 462 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. von dem ersten vorhin charakterisierten Gedankengang abgeleitet werden. Die Einsicht, die wir auf diesem Gebiete besitzen, verdanken wir fast allein dem experimentellon und noch mehr dem logischen Scharfsinn Driesch’s. Wir können den wesentlichen Inhalt seiner diesbezüglichen Analyse etwa folgendermaßen fassen: (rewisse Bestimmungsparameter für das Geschehn in den Ele- menten lassen sich nur unter Hinzuziehung der ausschließlich auf das (event. erst zu erreichende) Ganze bezüglichen Faktoren ausdrücken. Sıe fassen in sich bestimmte Konstanten, die nur mit Bezugnahme auf das Ganze einen Sinn haben, ja, wenn man so sagen darf, in der Sprache der Elemente sich gar nicht ausdrücken lassen. Diese Erkenntnis der „Unauflösbarkeit der Morphogenese“, wie sie Driesch selbst bezeichnet, ist bei all ihrer grundlegenden Bedeutung für unsere ganze biologische Auffassung von wesentlich negativem Charakter, insofern als durch die Aufstellung des Be- griffes der Entelechie über den positiven Inhalt derselben auf deduk- tivem Wege nichts gewonnen werden kann, was ja natürlich von Driesch selbst klar durchschaut wurde. Es lässt sich jedoch auf dieser, von Driesch geschaffenen Grundlage weiter bauen. Es sollen an dieser Stelle die leitenden Prinzipien der Unter- suchung, deren erstes Expos& in meiner vor 1'/, Jahren erschienenen Arbeit!) erfolgte, in etwas anderem Zusammenhange kurz dargelegt werden. 2. Wenn wir verschiedene Fälle der embryonalen Formbildung überblicken, so können wir zwei Modi derselben unterscheiden: a) Kontinuierliche, gewissermaßen geradlinige Entfaltung der Anlagen durch immer weiter fortschreitende Komplikation derselben. b) Erreichung der definitiven Formgestaltung durch wiederholte, kontinuierliche oder dıskontinuierliche Ummodelung, Umregulierung des bereits Geformten. Ersterer Modus ist namentlich für die pflanzliche Embryogenese charakteristisch, in welcher wir je lockere, unregelmäßige Zellver- bände, wie etwa das tierische Mesenchym, vermissen und jede Ent- wickelungsetappe eine völlig geschlossene, vollkommene Form dar- stellt?2). Diesen Entwickelungsmodus will ich ım folgenden als ortogenetische Embryogenese bezeichnen. 2) Die Embryogenese der aus Pseudogeweben zusammengesetzten Pilze scheint sich allerdings in diese Rahmen der vollständig geregelten Entfaltung der (inneren und äußeren) Form nicht ganz zu fügen. Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 4653 Der Beurteilung mancher embryogenetischer Bildungen als un- vollkommener und der nachträglichen Umgestaltung, resp. Aus- besserung bedürftiger Gebilde mögen auch zum Teil rein subjektive Elemente zugrunde liegen; es lassen sich jedoch in der Regel Kri- terien aufstellen, die kaum in berechtigter Weise beanstandet werden können. So können wir z. B. eine Anlage nicht anders als eine unvollkommene, gewissermaßen provisorische bezeichnen, falls die- selbe in ihrer Gesamtkonfiguration oder innerem Bau in geome- trischer Hinsicht höchst unregelmäßig, das fertige Erzeugnis da- gegen geometrisch betrachtet höchst vollkommen ist. Der französiche Ausdruck „ebauche embryonnaire* (deutsch vielleicht am besten — roher Entwurf) bringt diesen Sachverhalt zum treffenden Ausdruck. Das strikt präformatorische Schema, welches unserem Er- klärungsbedürfnis im Falle der ontogenetischen Embryogenese ge- nügen mag, erscheint höchst gezwungen und unbefriedigend ange- sichts der mit Umregulierungen einhergehenden regulatorischen Embryogenese. Es drängt sich uns vielmehr letzterenfalls die Vorstellung eines speziellen regulierenden Faktors auf, den man ohne jede Prä- sumption über den näheren Inhalt desselben mit Driesch als Entelechie oder mit Noll als Morphästhesie bezeichnen kann. Letzterer Ausdruck dürfte für meine weitere Betrachtung passender sein, da er deutlicher den Inhalt des supponierten Ge- schehns zum Ausdruck bringt. Ein bestimmter Bestandteil des wachsenden Komplexes (es braucht nicht unbedingt die Oberfläche desselben, wie in Noll’s Objekt zu sein) hätte als Reiz jeden Zustand der Gesamtkonfigu- ration empfunden, der nicht einem bestimmten End- resp. Gleich- gewichtszustand entspricht. Als solcher wäre eine bestimmte Kon- figuration, die Morphe der betreffenden Einheit zu verstehen. Diese Formulierung des Entwickelungsprinzips, resp. der Be- griff der Morphästhesie ist jedoch an sich nur eine halbe Waffe. Er entspricht ungefähr dem zentripetalen Gliede der sogen. Reflex- kette. Denn wäre es bei bloßer Empfindung der nicht vollendeten Form geblieben, ohne dass adäquate zentrifugale gestaltende Impulse damit verknüpft wären, so müsste es dem Zufall überlassen werden, wenn die nachfolgenden Umgestaltungen des Keimes, resp. des be- treffenden Abschnittes, dem Reizbedürfnis angepasst wären. Für den ganzen Geschehnsablauf wäre daher etwa die Bezeich- nung Morphästokinesis zu wählen, womit zum Ausdruck gebracht wäre, dass die gestaltenden Bewegungen innerhalb des wachsenden Keimes durch Formreize bestimmt werden’). 3) Ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich den Begıiff der Morphästokinesis durchaus nicht in Parallele, vielmehr in prinzipiellen Gegensatz zum Reflex- 464 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 3. Wenn wir für den ganzen Ablauf der Embryogenese die im vorangehenden kurz skizzierte Auffassung vertreten, so gestalten sich die fundamentalen Probleme der ersteren, somit auch der Ver- erbungslehre, etwa folgendermaßen. a) In welchem Sinne kann die Morphe als im Keime präexistierend gedacht werden. b) Welcher Art sind die Beziehungen dieser gedachten „ideellen“ Morphe zu den ausführenden Elementen? Wie gestalten sich m. a. W. die Verwirklichungsvorgänge der Em- bryogenese ? Ehe, oder richtiger, damit wir diesen Grundfragen näher treten können, muss die oben skizzierte Begriffsbestimmung der Morphe des näheren analysiert werden. Sofern wir die Morphe als dem Begriffe des Gleichgewichts- zustandes synonym setzen, ist erstere nicht notwendigerweise ein- deutig bestimmt, da letzterer an sich mit verschiedenen Konfigu- rationen eines bestimmten Systems oder Komplexes verträglich ist. Der Verwirklichungsprozess einer spezifischen Morphe hat demnach speziellere Bestimmungsparameter für die Umgestaltungen der Elemente des betreffenden Kom- plexes zur Voraussetzung, als dieselben durch das bloße Vorhandensein eines bestimmt gearteten Gleichgewichtes gegeben sind. Es ist demnach der Fall sehr wohl denkbar, dass die organische Formgestaltung sich u. a. auf die gewissermaßen primitive Stufe der Festsetzung eines bestimmten Gleichgewichtszustandes‘ des be- treffenden Systems beschränkt, ohne bis zu einer speziellen Morphe vorzudringen, letztere als eindeutig definierter Spezialfall unter den möglichen Eventualitäten des ersteren verstanden. Es müsste dann ein Polymorphismus der Gestaltung resultieren, der ja selbstverständlich ın bestimmtem Maße jeder organischen (Gestaltung eigen ist und auch als (fluktuierende) Variabilität derselben vielfach bezeichnet wird. Nun zeigt aber gerade die statistische Bearbeitung der fluk- tuierenden Variabilität, dass ein Grundtypus, somit auch eine ge- wissermaßen ideelle Morphe sich aus der Mannigfaltigkeit der indi- viduellen Erscheinung fast stets herausschälen lässt, indem ein bestimmter Typus sich als der bei weitem häufigste erweist und die übrigen sich nach bestimmter Häufigkeitsskala gruppieren. Sollte ein derartiger statistischer Nachweis fehlschlagen, resp. die verschiedenen überhaupt vorkommenden Typen in bezug auf begriff der Physiologie setze, da ersterer, im Gegensatz zum letzteren, das Pro- blem der unerschöpflichen Regulierbarkeit der Beziehungen zwischen zentripetalem und zentrifugalem Glied einschließt. Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 465 die individuellen Differenzen in annähernd gleicher Häufigkeit ver- treten sein, so wäre schon ein Polymorphismus der Gestaltung ın dem oben auseinandergesetzten, eine wirkliche Morphe ausschließen- dem Sinne anzunehmen. Diese Unterscheidung von, durch spezifische Morphe und durch nicht eindeutig bestimmte Gleichgewichtszustände geleiteten Embryo- genese, gewinnt erst an Bedeutung, falls erstere nicht nur auf das fertige Erzeugnis, sondern auf die Verwirklichungsprozesse selbst Anwendung finden kann. Der Begriff der Morphe wird vernünftigerweise entweder auf die definitive, als Abschluss der Embryogenese erreichte Konfigu- ration, oder auf bestimmte typische, gewissermaßen stationäre Zwischenstadien der Entwickelung Anwendung finden können (letztere wiederum durch ihre fortschreitende Annäherung an die definitive Morphe charakterisiert). Jede vorübergehende, im beliebigen Augen- blicke gewissermaßen fiktiv fixierte Konfiguration des untersuchten Komplexes als seine spezielle Morphe zu betrachten, hieße letzteren Begriff jedes realen Wertes entkleiden, resp. einer bloßen Tautologie verfallen. 4. Das Problem wird sich in konkreten Fällen etwa folgender- maßen stellen: Gegeben ist eine bestimmte, als (im oben dargelegten Sinne) unregelmäßig zu bezeichnende räumliche Anordnung der Elemente einer gewissen Embryonalanlage. Diese Anordnung im Zeitpunkte T verwandelt sich bis zum Zeitpunkt T, in eine andere, nicht minder unregelmäßige, wobei den einzelnen Elementen des Komplexes verschiedene räumliche Veränderungen, respektiv Bewegungen zu- fallen. Die definitive Konfiguration des evolutionierenden Komplexes sei als bekannt vorausgesetzt. Es ist nun denkbar, dass der Zustand des Systems im Zeit- punkt T, sich im Vergleich zu demjenigen des Zeitpunktes T der definitiven Konfiguration genähert hat oder auch nicht. Ist letzteres der Fall, so können wir natürlich für die in Betracht kommende Zeitspanne die Morphe nicht als das Movens der stattgehabten Ver- änderungen des Systems annehmen. Es könnten jedoch sehr wohl letztere als ein Zustreben einem bestimmten temporären Gleich- gewichtszustand angesehen werden, der ja an sich mit der definitiven Morphe nicht irgendwie verknüpft zu sein braucht. Lässt sich durch eine derartige Betrachtung die präsumierte Beziehung der Morphe zur gegebenen Entwickelungsetappe ins rechte Licht, wenn auch im negativen Sinne, setzen, so läuft der zweite, hier eingeführte Begriff des „Gleichgewichtszustandes* Gefahr, in eine vage, nichtssagende Umschreibung des Sachverhaltes zu zer- fließen, wenn nicht demselben in jedem konkreten Fall ein präzis XXXL. 30 466 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. fassbarer Inhalt gegeben werden kann. Letzteres wird somit hier zur eigentlichen Forschungsaufgabe. Es muss jeweils eine Formel für den präsumierten Gleichgewichts- zustand gefunden werden, durch welche die ganze Mannigfaltig- keit der am Komplexe ablaufenden Elementarveränderungen als beherrscht vorausgesetzt werden kann: dann wäre auch eine Erklä- rung der betreffenden Entwickelungsetappe gegeben. Voraussetzung bleibt dabei, dass eine derartige Formel nicht als eine bestimmte Morphe umschrieben, sondern mit ver- schiedenen (event. unbegrenzt vielen) morphotischen Kombinationen verträglich sei. 5. Die Morphogenese, resp. die Erreichung eines bestimmten Gleichgewichtszustandes ist, wie es zuerst Roux klar ausgesprochen, durch Angabe der zeitlichen und räumlichen Parameter der invol- vierten Geschehnsmomente definiert. Sofern nur die zeitlichen und räumlichen Parameter für die, den betreffenden Komplex zusammensetzenden Elemente variabel sind, wollen wir letzteren als einen Kollektivgegenstand erster Ordnung bezeichnen. Die Elemente (je nachdem Zellen oder Zellgruppen oder Zell- produkte u. s. w.) werden demnach in diesen Fällen als unter sich durchgehend gleichartig, und die Morphogenese als in zeitlich defi- nierten Ortsveränderungen der Elemente sich erschöpfend ange- nommen. Die Unauflösbarkeit der Morphogenese besteht, wie es Driesch dargetan, in der vielfachen Unmöglichkeit, diese Parameter anders als mit Bezugnahme auf die zu erreichende Morphe (resp. Gleich- gewichtszustand) auszudrücken. Die erwiesene Notwendigkeit der Fiktion eines. präexistierenden Zweckes kann jedoch keinenfalls einem Nachweise der Realität der präformierten Morphe_ gleich- gesetzt werden, da ja letztere auch ein extensiver Begriff ist und folglich auch räumlich lokalisiert werden muss. Der Nachweis einer realen Präexistenz einer Morphe kann nun in dem Sinne erfolgen, dass, ehe dieselbe durch ent- sprechende räumliche Verteilung der involvierten Ele- mente verwirklicht wird, ein auf den betreffenden Bezirk beschränkter und in entsprechender Konfiguration in irgendeiner Hinsicht ausgezeichneter Zustand*) des Ge- schehnsfeldes festgestellt wird. Dieser Bezirk des ausgezeichneten Zustandes wäre nun allmäh- lich durch die in Betracht kommenden Elemente verdinglicht. Es 4) Physikalische Analogien wären hier leicht heranzuziehen, es empfiehlt sich jedoch, die Formulierung möglichst abstrakt, ohne Anlehnung an irgendein kon- kretisierendes oder gar bindendes Beispiel zu halten. BUY Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 467 wäre gewissermaßen als geometrischer Ort, welcher den Gleich- gewichtszustand für die Ortsverschiebungen, resp. Prozesse rein räumlichen Charakters der Elemente angibt, zu betrachten. Mit einer derartigen Feststellung wäre das erste der beiden, oben ausgesprochenen Grundprobleme erledigt. Das zweite Problem bezieht sich, wie wir sahen, auf den Ver- dinglichungs- oder Verwirklichungsvorgang, dessen Endergebnis durch die präexistierende Morphe, resp. Gleichgewichtszustand vor- gezeichnet wird. 6. Wir wollen nun sehen, wie wir zum erstrebten Nachweis einer „ideell präformierten Morphe“ gelangen können. Es sei nur die definitive Morphe und die räumlichen Beziehungen derselben zu den zusammensetzenden Elementen gegeben. Da es sich, unsrer Annahme entsprechend, um Kollektivgegen- stände erster Ordnung handelt, so erschöpfen sich die gesuchten Beziehungen in räumlichen Verhältnissen. Die in Betracht kommende Konfiguration wäre gewissermaßen als ein Koordinatensystem zu betrachten, in welchem ein den Zu- stand des erreichten Gleichgewichts bezeichnender analytischer Aus- druck für bestimmte räumliche Verhältnisse jedes Elementes ge- funden werden müsste. Der Verwirklichungsgang der Morphe ließe sich dann als die Gesamtheit der auf die definitiven Koordinaten jedes Elements bezüglichen Veränderungen der letzteren darstellen. Versuchen wir, die Erfahrungen einer derartigen Darstellung zu antizipieren, indem wir die verschiedenen ın Betracht kommenden Möglichkeiten erwägen. Unter den überhaupt in Betracht kommenden Merkmalen räum- lichen Charakters der Elemente suchen wir denjenigen oder die- jenigen heraus, welche sich als Funktion der räumlichen Beziehungen zu der als ein Koordinatensystem betrachteten Konfiguration des Ganzen darstellen oder erkennen lassen. Ein derartiges aufgefundenes Verhältnis ließe sich natürlich an sich stets auch im umgekehrten Sinne deuten, indem die er- reichte Konfiguration (Gleichgewichtslage) als Funktion der räum- lichen Verhältnisse der zusammensetzenden Elemente dargestellt werden könnte. Die reale biologische Interprätation der Ergebnisse wäre jedoch in beiden Fällen eine grundverschiedene. A. Die erste Eventualität ist gleichbedeutend mit der Schluss- folgerung, dass alle Elemente bezüglich ihrer räumlich-zeitlichen Parameter äquipotentiell sind. Die erreichten Endcharakter oder Endgröße der Parameter wären als Funktion der räumlichen Be- ziehungen der Elemente zu bestimmten Koordinaten anzusehen und 30* 468 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. die Spezifizität (sc. die erreichte Konfiguration) wäre durch die Art der Funktion, resp. der Koordinaten bestimmt. B. Die zweite Interpretation der funktionalen Beziehungen zwischen Morphe und bestimmten Parametern der Elemente führt zur Annahme, dass hezüglich ıhrer in Betracht kommenden räum- lich-zeitlichen Parameter die Elemente gruppenweise spezifisch ver- schieden sind. Wenn die erreichte Morphe sich unter diesen Verhältnissen als Funktion bestimmter Parameter ergibt, so heisst es m. a. W., dass die unter sich (bezüglich der betreffenden Parameter) äquivalenten Elemente sich in bestimmten Niveauflächen verteilen, die wir als die spezifische Konfiguration erkennen und daraus die Merkmale und den Inhalt der Funktion ableiten. Die Verteilung der Elemente, nämlich ıhre Ortsverschiebung, müsste ja selbstverständlich in bezug auf bestimmte Koordinaten erfolgen. Da wir jedoch bei der hier durchgeführten Fiktion die Annahme spezifischer Verschiedenheiten jedes Elementes (bis auf die bewusste Gruppe der zeitlich-räumlichen Parameter, bezüglich deren die Elemente gruppenweise äquivalent sind) vertreten, so kann für die Ortsverschiebung der Elemente jedes beliebige Koordi- natensystem gedacht werden, ohne etwas von der Spezifizität der in Frage kommenden Konfiguration zu besitzen. 7. Eine Entscheidung zwischen beiden, als A und B unter- schiedenen Eventualitäten kann von folgenden Erwägungen erhofft werden: Die gefundenen Formeln der funktionellen Beziehungen zwischen Konfiguration des Ganzen und der bezüglichen Parameter der zu- sammensitzenden Elemente werden fast ausnahmslos Kollektivgesetz- lichkeiten sein: es werden m. a. W. nicht die realen Parameter jedes einzelnen Elementes, sondern, ihrem Wesen nach fiktive, passend gewählte mittlere Größen aus einer Anzahl der ersteren zur Aufstellung der betreffenden Formeln Verwendung finden. Die Analyse der Abweichungen der realen Parameter von diesen mittleren Größen gibt uns nun ein Mittel in die Hand, eine mit einem an gehbaren Wahrscheinlichkeits- grad behaftete Entscheidung zwischen den Alternativen zu fällen. Den mittleren Größen eines bestimmten Komplexes kommt eine verschiedene Bedeutung zu, je nachdem sie zugleich die dich- testen Werte darstellen oder nur als arıthmetische Mittel gewonnen werden. Ersterenfalls können dieselben konkret existierenden, letzterenfalls nur abstrahierten oder fingierten Faktoren entsprechen. Denken wir uns nun die Morphe eines beliebigen Entwicke- lungsstadiums eines typischen Gebildes etwa folgendermaßen ange- Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 469 deutet (wir nehmen ein rein fingiertes, dafür aber übersichtliches Beispiel): Wir hätten ein aus großen Mengen lauter gleichartiger und mehr weniger gleichmäßig verstreuter Zellen bestehendes Ge- schehnsfeld. Die Zellen (oder eventuell ihre Kerne) hätten eine kugelige Gestalt. Innerhalb dieses „homogenen“ Geschehnsfeldes deute sich eine typische Konfiguration als Anlage eines späteren scharf abgesetzten Gebildes dadurch an, dass eine Reihe von Zellen eine von der kugeligen abweichende, z. B. stark abgeflachte ellipsoide B größter Durchmesser “kleinster Durchmesser sei als P, die betreffende, sich in der Weiterentwickelung als typisch- konfiguriert erweisende Fläche — als morphogene Fläche bezeichnet. Die Größen des P für eine Anzahl weiterer, äquidistanter und mit der morphogenen kongruenter Flächen, soll sich nun als Funktion der Entfernung letzterer von ersterer darstellen lassen. Es wären m. a. W. die Zellen auch hier, wenn auch in geringerem Maße, abgeflacht. Voraussetzung ist weiter, was nochmals hervorgehoben zu werden verdient, dass wir in unserem Beispiel die Morphe, die Konturen nur infolge der eigentümlichen Gestaltung der Zellen der morphogenen Fläche erkennen’). Die Werte P-P,; P,. ... für. die. Flächen I, D, III... „seien als statistische Größen aus der Gesamtheit der in jede Fläche I, II, III... gehörigen Fälle abgeleitet, wobei wir im wesentlichen mit drei möglichen Ausgängen rechnen werden °). I. Es können die reellen P-Werte innerhalb jeden Komplexes um einen dichtesten Wert, annähernd dem Fehlergesetz entsprechend, schwanken, wobei a) jedem Komplex eine bestimmte, eigene Größe des dichtesten Wertes entspricht, welche in bestimmter, funktionell durch den Abstand von der morphogenen Fläche bedingten Weise ab- resp. zunimmt, oder b) die diehtesten Werte für alle Niveauflächen an- nähernd übereinstimmen resp. = P sind, der Dispersionsgrad der- selben innerhalb jeder Niveaufläche dagegen als Funktion der Ent- fernung von der morphogenen Fläche zunimmt. Gestalt annehmen. Das Maß der Abflachung, z. 5) Es mag dieses als bloße Fiktion erscheinen, was ja eigentlich für unsere spezielle Zwecke keinen Vorwurf bedeutet, da wir zur Ableitung der Prinzipien fast stets zu Fiktionen Zuflucht nehmen müssen. Als einen reellen, von mir tatsächlich auch ausgenützten und gegebenenfalls einzigen morphogenetischen Faktor kann ich neben verschiedenen anderen die Dichte der Zellanhäufungen als erste Konturierung des Vorknorpels anführen. Wollten wir jedoch diesen Prozess zur Diskussion benutzen, so hätte sich dieselbe viel weniger übersichtlich als mit der von uns gewählten Fiktion erwiesen. 6) Die übrigen Eventualitäten, wie das Vorkommen mehrerer dichtester Werte bleiben unberücksichtigt. 470 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. II. Innerhalb bestimmter, für jeden Komplex spezifischer und als Funktion der Entfernung von der morphogenen Fläche zu- nehmender Variationsheiten, alle Werte des P annähernd gleich- mäßıg verteilt sind. 8. Wir haben nun zu prüfen, inwiefern diese drei verschiedenen Ausgänge mit der einen oder der anderen der beiden Alternativen a priovi (Au.B $6) verträglich sind, ob m. a. W. die statistische Betrachtung unseres Materials uns eine Entscheidung in Form eines Wahrscheinlichkeitsschlusses liefern kann. Wir untersuchen zunächst den Fall a. Eine spezifische Konfiguration wäre dadurch angedeutet, dass eine bestimmte Anzahl von Elementen eine typische, um einen dichtesten Wert schwankende räumliche Eigenart, z. B. Gestalt annimmt und dadurch von der Umgebung absticht. Eine Anzahl äquidistanter, mit der ersten kongruenter Flächen wiese ein analoges Verhalten mit anderen Größen des M (dich- tester Wert) auf”). Die Verteilung einer Anzahl Größen um einen dichtesten Wert entsprechend der sogen. Fehlerkurve berechtigt an sich zu ver- schiedenen Interpretationen der zugrunde liegenden Faktoren: a) Es ist denkbar, dass jede der vertretenen Größen ein ge- treuer Ausdruck der genuinen Spezifizität des betreffenden Ele- mentes ist. Die Fehlerkurve wäre also ın diesem Fall als eine Häufigkeits- kurve anzusehen, der nur eine Bedeutung ın deskriptivem, nicht auch ın kausalem Sinne zukommt. b) Es können aber auch Gründe zur kausalen Deutung einer derartig typischen Verteilung der Fälle vorliegen, indem man Ver- anlassung hat, einen, allen Elementen jener Gruppe gemeinsamen, vielleicht sogar maßgebenden Grundfaktor des Geschehns anzunehmen. Dieser Faktor käme in geringerer oder größerer Annäherung durch den dichtesten Wert zum Ausdruck. Die Dispersion der übrigen Werte zum letzteren wäre in üblicher Weise als Resultat zahl- reicher, nicht systematischer ete. Abweichungsmomente zu inter- pretieren. Die Prüfung der Wahrscheinlichkeit der einen oder der anderen Deutung muss ganz unabhängig von der Zulässigkeit a priori einer spezifischen Verschiedenheit jedes Elementes erfolgen, da die Gründe, 7) Es sei vorweggenommen, dass in unseren Betrachtungen der Ausdruck „Gruppierung der Einzelfälle um einen dichtesten Wert“ nicht im topographischen Sinne verstanden werden darf, d. h. dass die Fälle mit dem besagten Wert nicht etwa in irgendeinem Bezirk der betreffenden Konfiguration zusammengehäuft liegen und rings um denselben herum sich der Fehlerkurve entsprechend die übrigen Größen verteilen. Es ist vielmehr nur von dichtesten Werten in rein statistischem Sinne überall die Rede. Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. A741 mit denen man letztere Annahme bekämpfen oder vertreten kann, in keiner Beziehung zu unserer Betrachtung stehen. Es wurde daher die apriorische Möglichkeit einer spezifischen Verschiedenheit der Elemente ebenso wie diejenige ihrer Äquipotentialität zugegeben. Es muss nun aber erwogen werden, ob nicht diese aprioristische Annahme der Verschiedenheit der Elemente in direktem Wider- spruch zu dem sub 1 fingierten Ausgang der statistischen Unter- suchung der Geschehnisse steht, oder ob sie nicht zum mindesten verschiedene Hilfsannahmen erheischt, die an sich sehr unwahr- scheinlich sind. 9. Soll der Fehlerkurve eine rein deskriptive Bedeutung zu- kommen, so heisst es m. a. W., dass die im entsprechenden Kom- plex vertretenen Elemente bezüglich des in Betracht kommenden Parameters voneinander verschieden sind; es wären m. a.W. unter n im betreffenden Komplex enthaltenen Elementen, am häufigsten diejenigen mit dem Parameter M versehenen, dann, in abnehmender Häufigkeit die von M nach der Seite + abweichenden, und zwar der Häufigkeitskurve entsprechend vertreten. Über die Gründe einer derartigen Häufigkeitsverteilung sei uns nichts bekannt, sie sei uns gewissermaßen „gegeben“. Es wäre nun denkbar, dass jede, um einen bestimmten Mittel- wert schwankende, d.h. innerhalb der Grenzen M+m (resp.M, + m,, M,+ m, u. s. w.) befindliche Elementengruppe bestimmt gestaltete Niveauflächen bildete, indem die Elemente sich in bestimmter Weise anziehen oder sonstwie beeinflussen u. s. w. Für eine derartige Fiktion ließen sich beliebige anorganische Analogien anführen. Sofern somit keine der Gruppen gemeinsame Größen einschließen, ist die rein deskriptive Auffassung der Häufig- keitskurve ohne weiteres zulässig. Durch die Größe des betreffen- den Parameters jedes Elementes ist auch seine Zugehörigkeit zu einem bestimmten Komplex prädestiniert und bleibt die „Selbst- gestaltung“ einer Gruppe von Elementen zu einem typischen Ganzen, zu einer Morphe als höchstes Problem auch ungelöst, so müssen wir uns ja mit derselben Sachlage etwa auch bezüglich der Genese der Kristalle u. s. w. bescheiden. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir die hier fingierte Kon- struktion als einen nur genauer präzisierten Ausdruck für die wohl allgemein übliche Auffassungsweise der Morphogenese bezeichnen. Zur Aufrechterhaltung derselben gehört aber das oben an- geführte Postulat einer vollständigen Inkongruenz der Parameter (M+-m,M,+m,...) der einzelnen Komplexe. Es wäre ja widrigen- falls die Größe eines Parameters für die Zugehörigkeit des bezüg- lichen Elementes zu einem bestimmten Komplexe nicht maßgebend, und verschiedene Hilfsannahmen erforderlich, die mit der ursprüng- lichen Fiktion z. T. unverträglich sind. 412 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 10. Für diejenigen Fälle, in welchen die Variationsbreiten der verschiedenen Komplexen (Niveauflächen) zufallenden Elemente z. T. miteinander zusammenfallen, ist die eigentümliche, der Fehlerkurve entsprechende Verteilung der einzelnen Parametergrößen innerhalb jeder Niveaufläche ım kausalen Sinne, wie oben $ Sb dargelegt, aufzufassen. Wir wollen daher versuchen, ın diesen Fällen die dichtesten Werte als annähernde Größen der allen Elementen einer Gruppe gemeinsamen Parameters anzusehen, wobei man allerdings von „potentiellen“ Parametern zu sprechen hätte, deren wirkliche Größe nur in den häufigsten (diehtesten) Fällen zum Ausdruck gelangt. Prüft man nun im Lichte dieser Deutung der statistischen Untersuchung die beiden, oben ausgeführten aprioristischen Mög- lichkeiten A und B $ 6, so ergibt sich folgendes: a) Werden alle auf die ganze Morphe überhaupt bezügliche Elemente als unter sich äquipotentiell (bezüglich des Parameters P) betrachtet, so kann das statistische Ergebnis nur so gedeutet werden, dass die ın Verwirklichung begriffene Morphe gewissermaßen als ein entsprechend konfiguriertes Kraftfeld präformiert ist, durch welches den Elementen, je nach ihren Koordinaten verschiedene, auf letztere bezügliche Parameter P aufgedrückt werden. b) Sucht man den statistischen Befund in Einklang mit der aprioristischen Annahme B zu bringen, so gelangt man zu einer der im $ 9 durchgeführten ganz analogen Konstruktion. Die, unter sich gruppenweise (bezüglich des Parameters P) äquivalenten Elemente hätten sich in entsprechende Niveauflächen angeordnet, entweder weil sie sich gegenseitig beeinflussen oder mit entsprechenden Parametern für ihre Ortsverschiebungen ver- sehen sind. Sollten auch die Variationsbreiten der Parameter P von ver- schiedenen Niveauflächen ineinander greifen (d.h. Mm, M, m, etc. partiell kongruent sein), so ergibt sich daraus für dieses Mal keine Schwierigkeit, da ja jeder individuelle Fall der Voraussetzung gemäß nicht mehr als getreuer, unbeeinflusster Ausdruck eines spe- zifischen potentiellen Parameters betrachtet wird, sondern als Haupt- komponente seiner realisierten Größe bald den dichtesten Wert M, bald M,, M, u. s. w. enthalten kann. Wir können damit die Analyse des ersten der drei möglichen Ausgänge) der statistischen Prüfung abschließen. Es ergibt sich aus derselben, dass beide aprioristischen Annahmen A und B über die Verwirklichungsweise der Morphe mit dem sub a formulierten Aus- gang der statistischen Untersuchung formell verträglich, d.h. widerspruchsfrei sind. 8) Ia des 87. Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 4713 11. Es soll nun in gleicher Weise die empirische Verifikation der aprioristischen Annahmen A und B durchgeführt werden, unter der Voraussetzung, dass die statistische Bearbeitung des Materials einen der übrigen in $7 dargestellten Ausgänge (Ib oder II) ergibt: Es ist beiden Fällen folgendes gemeinsam: einer bestimmten Niveaufläche ist ein Maximum von Regulierung des P-Wertes der darin befindlichen Elemente eigen: dieselbe äußert sich entweder in dem Vorhandensein eines dichtesten Wertes, oder bestimmter Variationsbreiten, innerhalb welcher die Abweichungen der Para- meter vom Mittel annähernd gleichmäßig verteilt sind. Im Falle des Vorhandenseins des ersteren ist das Dispersions- maß, letzterenfalls die Varıationsbreite innerhalb einer bestimmten Niveaufläche ein Minimum und nehmen dieselben entsprechend einer empirisch festgesetzten Funktion in Abhängigkeit von der Ent- fernung von dieser Niveaufläche zu. Prüfen wir nun näher den ersten dieser beiden Fälle. Wir hätten demnach äquidistante Niveauflächen A, B, C..., innerhalb welcher bestimmte Parameter der Elemente sich um den gleichen dichtesten Wert M gruppieren, das Dispersionsmaß D jedoch in der Richtung von A nach B in bestimmter Gesetzlichkeit zunimmt: Di <= Di< De'.;; Es ist ohne weiteres ersichtlich, dass die im $ 10 durchgeführte Analyse a fortiori auch hier Anwendung finden kann, dass m.a. W. die Verteilung der Fälle um die dichtesten Werte nicht ım rein deskriptiven Sinne aufgefasst werden darf. Es muss demnach die Verträglichkeit des statistischen Ergebnisses mit den aprioristischen Annahmen A und B geprüft werden. Die Fiktion der Äquipotentialität sämtlicher Elemente in bezug auf den Parameter P ist mit beiden in Betracht kommenden Even- tualitäten der statistischen Betrachtung ohne weiteres verträglich: wenn wir demnach das ganze Geschehnsgebiet als ein Kraftfeld auf- fassen, so ist die, dem Dispersionsmaßminimum entsprechende Fläche, als eine entsprechend konfigurierte Kraft-(Niveau)Fläche zu be- trachten, von der eine Wirkung auf sämtliche Elemente ausgeht. Der analytische Ausdruck für diese Wirkung als Funktion der Ent- fernung von der Fläche kann aus dem Dispersionsmaß der äqui- distanten parallelen Niveauflächen B, ©... abgeleitet werden. Der Schwerpunkt unserer Analyse liegt vielmehr in dem Nach- weis, dass diese Eventualität die einzig mögliche, d.h. wider- spruchsfreie ist, dass m. a. W. die aprioristische Annahme B mit dem hier fingierten Ergebnis statistischer Betrachtung unverträg- lich ist. Wir setzen in der Tat mit der Annahme B die gruppenweise spezifische Verschiedenheit der Elemente bezüglich des Parameters P voraus, indem wir bei jedem, um den dichtesten Wert M sich 414 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. scharenden Elementenkomplex einen gemeinsamen, nur mehr weniger markierten Grundfaktor annehmen, durch welchen die Zusammen- gehörigkeit der betreffenden Elemente zu einer Niveaufläche in der einen oder der anderen Weise gewährleistet wird. Da in unserer ersten Fiktion die dichtesten Werte für jede Niveaufläche verschiedene Größen M, M,,M, u. s. w. annahmen, so wird dadurch dem Postulat der Spezifizität in der Zusammensetzung jeder Niveaufläche ohne weiteres Genüge getan. Dieser letztere und zwar Hauptpunkt fehlt jedoch in der uns jetzt interessierenden Fiktion. Der dichteste Wert, somit auch der supponierte Grundfaktor für den Parameter P hätte sich der sta- tıstischen Betrachtung gemäß als für die ganze Elementenschar gemeinsam erwiesen. Als einziges von einer Niveaufläche zur anderen variierendes Moment wäre das Dispersionsmaß zu kon- statieren. Es sind verschiedene Niveauflächen unterscheidbar, nicht weil sie bezüglich des Parameters P verschieden sind, sondern — der allen gemeinsame Grundfaktor für die Erzeugung des Parameters P kommt ım verschiedenem Maße, je nach der Entfernung von der Fläche mit dem Dispersionsminimum zur Geltung — was eben zu beweisen war. Es wäre mit dem empirischen Nachweis eines der- artigen Ausganges statistischer Betrachtung die erste eingangs aufgeworfene Grundfrage in eindeutiger Weise beantwortet und die dynamisch präformierte Morphe als realer Vorläufer der materiellen Gestaltung des be- treffenden Gebildes erkannt’). 12. Wir kommen nun zur Untersuchung des dritten denkbaren Ausganges statistischer Betrachtung. Es seien die einzelnen Niveauflächen, durch welche die ın Ent- stehung begriffene oder gebildete Morphe erkannt wird, durch be- stimmte Variationsbreiten des P-Wertes gekennzeichnet und von- einander unterschieden. Innerhalb der Variationsgrenzen seien dagegen keine dichtesten Werte erkennbar, die Verteilung der Parameter vielmehr als eine mehr weniger gleichmäßige erkannt. 9) Es wurden von mir bis jetzt in diesem Sinne einige Stadien von Knorpel- bildung untersucht, in welchen die typische Konfiguration ausschließlich durch eine Fläche maximaler Dichte der Vorknorpelzellen angedeutet ist. Die in Frage kommenden P-Werte waren hier demnach die Abstände der benachbarten Zellen. Teilt man nun das anliegende Mesenchymfeld samt der in Bildung begriffenen Knorpelregion in eine Anzahl äquidistanter, mit der morphogenen kongruenter Flächen, so lässt sich an genügendem Material der einwandsfreie Nachweis erbringen, (dass ein bestimmter P-Wert (d.h. typischer Abstand zwischen benachbarten Zellen) in allen Flächen als dichtester Wert auftritt, das Dispersionsmaß jedoch nach Maß- gabe der Entfernung der betreffenden von der morphogenen Fläche zunimmt. Näheres und andere Belege werden in einer speziellen Arbeit mitgeteilt. Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. + Die Analyse des Sachverhalts wird durch die gleichen Er- wägungen geleitet, die uns schon vorhin eine Aufklärung brachten. 1. Will man den P-Wert jedes Elementes als getreuen Aus- druck seiner wirklichen Spezifizität betrachten, so ist die Verteilung der Elemente in spezielle, äquidistante, parallele Niveauflächen nur unter der ergänzenden Voraussetzung zu erklären, dass die Variations- breiten für die verschiedenen Flächen völlig inkongruent sind. 2. Ist dagegen die für jede Fläche spezifisch fiixierte Variations- breite als Ausdruck eines Kollektivgeschehns zu betrachten, so lässt sich letzteres nur in dem Sinne interpretieren, dass bestimmte, außerhalb der Grenzen F + m liegende Werte des Parameters P für die Fläche A,AF + m, — für Bu. s. w. aus irgendeinem Grunde un- möglich sind. Es lässt sich jedoch für jeden Bezüglichen Elementenkomplex der Flächen A, B... kein anderer spezifischer Faktor denken, welcher eine Verschiedenheit der Komplexe gegeneinander bezüg- lich des Parameters P irgendwie bedingen könnte. Die ganze Elementenschar muss demnach auch hier aus lauter in bezug auf P äquipotentiellen Elementen bestehen. 13. Die vorangehende Erörterung wurde in rein formeller Weise durchgeführt, indem es ausschließlich darauf ankam, die logische Korrektheit, resp. Unzulässigkeit der einen oder der anderen der denkbaren Fiktionen nachzuweisen. Es haben sich auf diesem Wege bestimmte Voraussetzungen oder Umstände ergeben, unter denen die Schlussfolgerung auf die Äquivalenz sämtlicher bei einer bestimmten Morphogenese beteiligten Elemente in bezug auf den oder die morphogenetischen Para- meter des Geschehns sich als unabweisbar zeigt. Ob und inwiefern die postulierten Voraussetzungen in der Morphogenese überhaupt zur Geltung kommen, ist eine von unserer rein methodologischen Untersuchung ganz unabhängige, empirisch zu lösende Frage°). Um so notwendiger erscheint es dagegen, den wahren, logischen Charakter der soeben als „unabweisbar“ bezeichneten Schlussfolge- rung auf die Äquivalenz der Elemente aufzuklären, vor allem darzutun, dass es sich nur um einen, wenn auch unendlich wahr- scheinlichen Wahrscheinlichkeitsschluss handelt. Wir müssen zu diesem Zwecke auf die allgemeine Frage über die Verwertbarkeit statistischer Ergebnisse zurückgreifen. Es hat sich bereits aus unseren Erörterungen im $ 5 ergeben, dass die voraussetzungsfreie Betrachtung des statistischen Materials, z. B. der Fehlerkurven u. s. w., auch mit der Möglichkeit einer rein 9) Es wurde oben hervorgehoben, dass positive Ergebnisse bereits vorliegen, die an anderer Stelle mitgeteilt werden sollen, 476 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. deskriptiven Deutung der Ergebnisse, unter Verzicht auf die kausale Verwertung derselben, zu rechnen hat. Diese beiden, die deskrip- tive und die kausale Deutung, sind in ihrem logischen Charakter recht verschieden. Die kausale Verwertung bestimmter statistischer Größen, z. B. der dichtesten Werte als realer, dem ganzen Komplexe gemein- samer Faktoren, kann durch bestimmte Tatsachen oder Erwägungen als unmöglich, als falsch, die deskriptive Betrachtung dagegen entweder als ungenügend oder als mehr oder weniger unwahr- scheinlich erwiesen werden. Unsere ganze Beweisführung zugunsten der Äquipotentialität der Elemente beruht demnach auf dem Nachweis der Unwahr- scheinlichkeit der deskriptiven Auffassung statistischer Befunde unter den speziellen, im obigen fingierten Umständen. Vergegenwärtigen wir uns demnach nochmals die Sachlage: Die verschiedenen Größen des für die Formgebung maßgeben- den Parameters P fügen sich innerhalb der ganzen Elementen- schar bestimmten Kollektivformeln: a) wählt man eine Anzahl von Niveauflächen, welche mit der typischen „morphogenen* Fläche kongruent sind, so findet man innerhalb jeder einen dichtesten Wert für P und eine typische Dispersion der übrigen P-Werte um den- selben. b) Die Größen der dichtesten P-Werte lassen sich als Funktion der Entfernung der betreffenden Niveauflächen von der „morphogenen“ Fläche darstellen. Unter speziellen, im $ 8 dargelegten Verhältnissen, ließen sich diese Kollektivgesetzlichkeiten insofern rein deskriptiv fassen, als eine folgende Konstruktion des Sachverhalts durchführbar wäre: Jedes Element wäre mit einem bestimmten festen Parameter der P-Art versehen. Die Gruppe der Elemente, deren P-Parameter innerhalb der Breite P,„...Pn liegen, mögen in bestimmten Be- ziehungen bezüglich der Parameter ihrer Ortsverschiebungen stehen und zwar derart, dass nach Vollziehung der durch erstere vorge- zeichneten Ortsverschiebungen die betreffende Elementenschar eine gemeinsame Niveaufläche bilde. Wir können der Einfachheit halber annehmen, die Y-Werte wären allen betreffenden Elementen ge- meinsam, bezüglich der X- und Z-Werte wäre jede Größe durch ein einziges Element vertreten. Es hätte sich dann die Elementen- schar in eine der X-Z-Koordinatenfläche parallele Fläche angeordnet. Das plausible einer derartigen Fiktion legt ın der Anerkennung eines funktionalen Zusammenhanges zwischen den Größen des Para- meters P und derjenigen für die Faktoren der Ortsverschiebung. Die Erfahrung kann aber ergeben, dass ein derartiger funk- tionaler Zusammenhang nicht besteht, dass m. a. W. bestimmte P-Werte sich mit den verschiedensten Ortsbestimmungsparametern verbinden. Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. AT Sollten auch hier, der diskutierten Fiktion gemäß, sowohl die Ortsverschiebungsparameter als die P-Werte fixiert sein, so wäre der P-Wert jedes Elementes zufällig in bezug auf seine Lage inner- halb einer bestimmten Niveaufläche. Der wahrscheinlichste Ausgang wäre somit der, dass innerhalb aller Niveauflächen die verschiedenen P-Werte entweder gleich häufig vertreten seien (falls innerhalb der ganzen Elementenschar die verschiedenen P-Werte gleich häufig vorkommen) oder eine, der relativen Häufigkeit der P-Werte annähernd proportionale, für alle Niveauflächen gleiche Vertretung der verschiedenen P-Werte zu verzeichnen wäre. Es wären m. a. W. die einzelnen Niveauflächen voneinander gar nicht zu unterscheiden. Diese Konstruktion (sc. die Fixierung der P-Werte jedes Ele- mentes unabhängig von der Zugehörigkeit desselben zu einer be- stimmten Niveaufläche) wird demnach um so unwahrscheinlicher, 1. je mehr die Verteilung der P-Werte in jeder Niveaufläche spe- zifisch verschieden wird und in ihrer Spezifizität sich einem be- stimmten, analytisch definierbaren Typus, z. B. der normalen Dis- persion um einen Mittelwert nähert und 2. je enger die für das Verhalten jeder Niveaufläche als typisch erkannten Kriterien, z. B. das Dispersionsmaß oder der Mittelwert der P-Werte u. s. w. sich einer einfachen analytischen Funktion (die Entfernung der betreffen- den Niveaufläche von der „morphogenen“ Fläche als unabhängige Variable betrachtet) anschließen. 14. Wir können demnach gewisse Umstände präzisieren, unter denen die kausale Auffassung der Frequenzkurven, resp. die Äqui- potentialität der Elemente entweder gruppenweise (zweiter Ausgang der statistischen Prüfung) oder auch des ganzen Komplexes (dritter Ausgang) unendlich wahrscheinlich sind. Es heisst m. a. W., dass am richtigen Orte die Elemente die nötigen P-Werte annehmen, nicht weil speziell mit dieser Tätigkeit behaftete Individuen an den richtigen Ort gelangten, sondern um- gekehrt: die Elemente, die sich am richtigen Ort befinden, nehmen zur bestimmten Zeit die P-Werte an, es könnte sich aber auch jedes andere Element der betreffenden Schar dafür tauglich erweisen. Nur in dieser von Driesch gegebenen, ganz allgemeinen, keines- falls jedoch in speziellerer Fassung dürfte eine auf experimen- tellem Wege gewonnene, analoge Schlussfolgerung auf die Äqui- potentialität einer Elementenschar auftreten. Es reicht aber die- selbe keinesfalls zur Aufstellung des Begriffes eines (dynamisch) örtlich lokalisierten Bezirkes eines „ausgezeichneten Zustandes“ oder einer bestimmt konfigurierten Kraftfläche aus, welche nach- träglıch, zur bestimmten Zeit, „materialisiert“ wird. Letztere wird jedoch durch die statistische Betrachtung nicht nur begrifflich als ev. unendlich wahrscheinlich erschließbar, sondern, +15 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. was ja die Hauptsache ist, in allen Parametern ihrer Wir- kungsweise in eindeutiger Weise deffnierbar, d.h. in gleichem Sinne, wie jedes andere physikalische Geschehn erkannt. Denn, sobald wir innerhalb eines Kraftfeldes eine Niveaufläche als Ort des Geschehnsmaximums und eine Anzahl mit der ersteren kongruenten Flächen, innerhalb welcher die Intensität des gleichen Geschehnsprinzips als Funktion der Entfernung von ersterer ab- nimmt, nachweisen und andererseits Veranlassung haben, die Ele- mente des ganzen Kraftfeldes (mit angebbarer, beliebig großer Wahrscheinlichkeit) für äquipotentiell zu halten, ist die ın der Kon- figuration der Kraftflächen ausgedrückte, dynamisch präformierte Morphe ebenso real und ebenso genau definiert, wie etwa magne- tische, durch Eisenfeile event. materialisierbare Kraftlinien. Es ıst dabei im Auge zu behalten, dass als Veränderliche zur Aufstellung eines analytischen Ausdruckes für das Kraftfeld das empirisch ge- fundene Dispersionsmaß, resp. sein reziproker Wert innerhalb jeder der untersuchten Niveauflächen zur Anwendung kommen kann, die Äquipotentialität der Elemente dagegen aus der Gemeinsamkeit der dichtesten Werte des P ın allen Niveauflächen erschlossen wird. Beides sind Wahrscheinlichkeitsschlüsse, deren Wahrscheinlichkeit nach Maßgabe dessen steigt, je näher die Zusammenstellung aller Dispersionsmaße sich einem einfachen analytischen Ausdruck an- schließt, und je mehr die Verteilung der P-Werte innerhalb jeder Niveaufläche der Häufigkeitskurve entspricht. 15. Es drängt sich von selbst die Zusammenstellung unseres Begriffes der als „ausgezeichneter Zustand“ präformierten Morphe mit Driesch’s Entelechie auf. Man wird wohl sofort erkennen, dass dieselben nicht widersprechend sind, dass vielmehr die Ente- lechie als eine allgemeiner gefasste Vorstellung nur den Weg an- zeigt und den Kreis umzeichnet, in welchem weiter gebaut werden soll. „Die Entelechie ist“, wie Driesch selbst hervorheht, „in Ge- danken mannigfach, als Naturagens einfach'°).“ Sie ist m. a. W. nur ein gedankliches Postulat, sagen wir eine Kategorie, welche, um Driesch’s Formulierung letzteren Begriffes zu benutzen, IB jedem Versuch das Gegebene zu verstehen, zur Anwendung Komniz 12), Jeder Versuch, die Entelechie zur Aufklärung einer bestimmten (eschehnsweise anzuwenden, führt auf eine Tautologie. „Die Entelechie (die Morphe) beherrscht die Morphogenese eines Systems in der Weise, dass die Gesamtheit der Umwand- lungen, resp. Entwickelungsvorgänge der letzteren zur Verwirk- lichung der ersteren führt.“ 10) Philosophie des Organischen, Bd. II, S. 138. 11) Ibid., S. 304. Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 49 „Die prospektive Bedeutung eines Teiles ist Funktion seiner Lage zum Ganzen.“ Mit diesen zwei Sätzen, deren letzter von Driesch stammt, ersterer, wie ich glaube, sinngemäß ım Geiste Driesch’s formuliert ist, könnte man das Wesen des Entelechiebegriffes präzisieren und etwas Näheres über die Wirkungsweise dem Begriff abzugewinnen ist einfach unmöglich aus dem Grunde, weil die Entelechie, wie es Driesch selbst betont, als „Naturagens eins ist“, es sich aber realiter um die Verursachung des mannigfaltigen Geschehns an äquipotentiellen Elementen handelt. Wenn wir uns die Entstehungsgeschichte des Begriffes „Ente- lechie* vergegenwärtigen, so wird das Gesagte noch klarer. Die experimentelle Forschung hat ergeben, dass nur ein Teil der Potenzen der Elemente normalerweise zur Verwirklichung gelangt. „Wenn an einem bestimmten Ort etwas anderes geschehen kann was tatsächlich geschieht, warum geschieht denn eben das, was geschieht und nicht etwas anderes?“ Darin erblickt Driesch mit Recht das kardınale Problem der Embryogenese und diese Frage- stellung führt etwa auf den Begriff der „Entelechie“. Die Entelechie erscheint demnach, wenn man sich so ausdrücken darf, als Weckerin, aber auch Wählerin von Potenzen, die sonst unverwertet geblieben wären. Frägt man, wie dies geschieht, so erhält man die Antwort: dadurch, dass „mögliche anorganische Wechselwirkungen in regu- latorischer Weise aufgehoben und freigegeben werden“ (Bd. II, S. 192). Es liegt in dieser Definition eine offenbare Tautologie in- sofern, als unsere Frage sich auch auf den Wahlvorgang, d.h. die Beziehungen zwischen der Entelechie und jedem ausführenden Ele- ment bezieht und diese Beziehungen eben von Fall zu Fall spe- zıfisch verschieden sein müssen, da ja dıe Elemente ex definitione an sich äquipotentiell sind, „die Entelechie als Naturagens aber einfach ist“, d. h. über die Mannigfaltigkeit der Beziehungen zu den Elementen aus diesem Begriff nichts abgeleitet werden kann. Die Bedeutung der Entelechie als eines gewissermaßen „obersten“ Geschehnsprinzips ist durch die vorangehenden Erörterungen ebenso- wenig gefährdet als etwa diejenige der Hauptsätze der Energetik durch den Umstand, dass dieselben für das spezielle Getriebe einer Maschine an sich genommen nicht ausreichen. Alles geschieht im Einklang mit diesen Prinzipien, nicht jedoch durch die- selben. Die Erkenntnis, dass das Schicksal eines Elementes im Organısmus Funktion seiner Lage im Ganzen ist, gehört eben, wie die soeben angeführten Hauptsätze der Mechanik zu den Maximen des Geschehns, nicht zu dessen Ursachen. Es gilt nun für die Frage: wodurch die Entelechie die Morpho- genese beherrscht, eine Antwort zu geben, durch welche die For- 480 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. schung aus dem Zirkel erlöst wurde, welchem sie in der Formu- lierung von Driesch: „dass mögliche anorganische Wechselwir- kungen in regulatorischer Weise aufgehoben oder freigegeben werden“, verfällt. Den Kernpunkt des Problems bilden hier, wie oben auseinandergesetzt, die Beziehungen der Teile zum Ganzen und das Ungenügende der entelechialen Formulierung dieser Be- ziehungen liegt ın der Unmöglichkeit, das „Ganze“ für einen ge- gebenen morphogenetischen Akt auch nur irgendwie in konkreter Weise zu formulieren. Denn einen Faktor konkret zu erkennen, heisst m. a. W. seine Wirkungsweise ın eine Formel zu fassen, deren Inhalt nicht aus der Definition des Begriffes analytisch abgeleitet, sondern empirisch- synthetisch gewonnen wird. Die gesuchte „Wirkungsweise des Ganzen“ sind gegebenenfalls seine Beziehungen zu den Elementen, ein Begriff, welcher in der entelechialen Betrachtungsweise inhalts- leer bleibt und erst durch die oben vorgeschlagene Erforschung der Verhältnisse zwischen dem Ganzen und den Teilen einen reellen Sinn und Inhalt erhalten kann. 16. Die vorangehenden Erörterungen haben bezweckt, wenig- stens einen unter vielen möglichen Wegen anzudeuten, auf welchem wir zur Erkenntnis der embryogenetischen Prozesse als Verwirk- lichungsvorgänge der Vererbungsanlagen gelangen können. Die dynamisch präformierte Morphe war hier als „Anlage“ gedacht. In den modernen präformistischen Gedankengängen findet die Morphe (des ganzen Keimes oder der einzelnen Organe) keinen Platz unter den „Genen“. Es ist dieses nur ganz konsequent, da ja die Morphogenese allgemein für „auflösbar“ gilt. Da wir aber die Morphe eines bestimmten Organes oder sonstigen Keimesteils als etwas Einheitliches, Nichtauflösbares betrachten, müssen ihrer Einreihung in die Kategorie der „Anlagen“ eine ge- wisse Einigung über die Tragweite und Sinn letzteren Begriffes vorangehen. 1. Die Entwickelungslehre kann zwar des Begriffes der „An- lage“, oder einer demselben äquivalenten — „Gene“ etc. nicht ent- raten — es lässt sich jedoch darüber streiten, welchen näheren Sinn oder Umfang man demselben zu verleihen hat. Insofern der Nachweis erbracht werden kann, oder zum min- desten als erbracht gilt, dass ein befruchtetes Ei ein materiell völlig abgeschlossenes System ist und sich als solches entwickelt, will der Begriff der in demselben eingeschlossenen „Anlagen“ nur so viel besagen, dass alles für die autonome Entwickelung Not- wendige, der „zureichende Grund“ derselben im Ei enthalten ist. Es ist aber außerdem und zwar fast allgemein üblich, den Be- griff der Anlage im spezielleren, materiellen oder wenigstens topo- Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 481 graphischen Sinne zu fassen, mdem man für den „zureichenden Entwickelungsgrund“ spezielle Substrate innerhalb des Eies sucht und zu finden wähnt. Es wird dadurch der Begriff der Anlage ungebührlicherweise verdinglicht und dieses Verfahren geradezu als ein denknotwendiges Postulat hingestellt, obwohl die Berech- tigung dazu erst bewiesen werden sollte. Durch die Annahme, die „Anlage“ sei speziell im Eibezirke oder Eiorgane A lokalisiert, wird ja gleichzeitig besagt, dass den übrigen Bestandteilen der Eisubstanz spezielle, für das werdende Individuum individuelle oder typische Bestimmungsfaktoren abgehen. Es folgt daraus m. a. W., dass das embryogenetische Geschehen, die Umwandlungen dieser letzteren Eibestandteile durch ihre Be- schaffenheit allein nicht eindeutig bestimmt sind, sondern je nach Bedarf durch die im speziellen Bezirk A lokalısierte „Anlage“ in die eine oder die andere Bahn gelenkt werden. Dass diese schwerwiegende, aus obiger Begriffsbildung der „Anlage“ sich rein deduktiv ergebende Annahme bei weitem nicht “ axiomatisch ıst, braucht nicht erst dargetan zu werden. Sie bedarf jedenfalls eines Beweises, und zwar schon aus dem Grunde, weil die alten Präformationsvorstellungen der ersten Embryologen wohl als naiv oder falsch, aber nicht als absurd, widersinnig bezeichnet werden müssen. Es ist demnach das sogen. Lokalisationsproblem der Erbanlagen nur ein bedingtes, wenn nicht gar fingiertes Postulat der Erblich- keitsforschung. Da der an sich indifferente Ausdruck „Anlage“ mit obig be- zeichnetem willkürlichen Nebensinn nunmehr fest verknüpft ist, wird es im weiteren vorzuziehen sein, den nichts präjudizierenden Ter- minus der „Potenzen“ statt seiner anzuwenden. 2. Die Zusammensuchung der Erbmasse aus mehreren Eın- heiten, die offenbar während der Befruchtung ihren Abschluss findet — die Komposition derselben — erlaubt an sich keinerlei Schlussfolgerungen auf ihren etwaigen Dekompositionsvorgang oder Dekompositionsfähigkeit. In welchem Maße und ob überhaupt eine Dekomposition der Erbmasse in der Embryogenese stattfindet, muss demnach für jeden Fall empirisch nachgewiesen werden. Ist ein derartiger Nachweis innerhalb bestimmter Grenzen er- bracht, so ist er auf deduktivem Wege nie erweiterungsfähig. Enthält m. a. W. ein Keimstiel A — m verschiedene Potenzen, welche bei der räumlichen Halbierung des ersteren ebenfalls in zwei Gruppen zerfallen, so ist daraus noch nicht zu schließen, dass auch bei der weiteren Zerteilung des A in n diskrete Einzelteile auch eine entsprechend oder ebenso weitgehende Parzellierung der m Potenzen erfolgt. Auch ist aus der Parzellierbarkeit der Potenzen einer m-Art nichts über diejenige einer n-Art zu folgern. XXXII. 31 482 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. Am wenigsten ist aber eine Schlussfolgerung aus den Eigen- schaften des Ganzen auf diejenigen seiner Teile gestattet. Diese Einsicht, die ja z. B. für die Chemie etwas selbstverständliches ist, wird merkwürdigerweise von der Vererbungslehre meist ignoriert. Es wird infolgedessen das schwierigste und gewissermaßen das End- problem der Vererbungsforschung, — die Frage, wie weit die Erb- masse parzellierbar ist, als etwas Selbstverständliches im positiven Sinne hingenommen. Wir haben daher die Frage zu prüfen, ob dasjenige, was schon bei der Furchung und event. bei der Entstehung jeder neuen Zelle parzelliert wird, auch wirklichen Anlagen oder Vererbungspotenzen im Sinne von Vererbungsfaktoren gleichgestellt werden kann. 17. Es soll vor allem der Begriff der „Potenz“ des näheren analysiert werden. Wörtlich und auch begrifflich genommen besagt dieser Ausdruck nur die Fähigkeit zu etwas, oder im weiteren Sinne auch — Eigen- schaft. Dass die neuentstehenden Elemente des Keimes, z. B. seine einzelnen Zellen eine Summe bestimmter Fähigkeiten, Eigenschaften, Potenzen besitzen, ist ja selbstverständlich, ebenso, dass diese Eigenschaften vererbt, d.h. durch die Eigenart des (befruchteten) Eies bestimmt werden. Es darf aber aus diesen selbstverständlichen Prämissen nicht gefolgert werden, wie es ja wohl ausnahmslos ge- schieht, dass diese, sowohl potentiell verweilende, als auch aktivierte Eigenschaften stets Vererbungsfaktoren sind. Es muss in der Tat in scharfer Weise zwischen den Äuße- rungen erblicher Eigenschaften eines Elementes im allgemeinen und solchen Prozessen der Embryogenese, die man als Vererbungs- faktoren bezeichnen kann, geschieden werden. Die Vermengung beider Begriffe trägt wohl die Hauptschuld daran, dass die Erblichkeitsforschung so leicht in eine Sackgasse gerät. Sie wird ihrerseits hauptsächlich durch die eigenartige, streng deterministische und ökonomische Auffassung der Embryo- genese verschuldet, die ja ganz und gar unberechtigt ist. Eine präzise Definition des Begriffes „Vererbungsfaktor“ lässt sich unschwer geben. Man kann als Äußerung eines Vererbungsfaktors jeden Vor- gang an einem beliebigen Keimeselement bezeichnen, durch welchen der Keim seiner Vollendung näher geführt wird. Es musste dem- nach jede gegebene Leistung eines Keimeselementes unter diesem Gesichtspunkte geprüft werden. Es ist nicht nur denkbar, sondern sogar sehr plausibel, dass eine Reihe von Lebensäußerungen der Keimeselemente, darunter auch konfigurationserzeugende Bewegungen u. s. w. der typischen Morphogenese, als solcher gar nicht zugute kommen. Es kommen hier weniger die zahlreichen, wohlbekannten, Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 485 z. B. als palingenetische Rekapitulationserscheinungen aufgefassten Embryonalanlagen vorübergehender Natur in Betracht, die ja an sich wohlgebaute, aus größerer Elementenzahl bestehende Ge- bilde sind. Wir haben vielmehr die Frage im Auge, inwiefern jedes Ge- schehen an jedem Keimeselemente (in der Regel die Zelle als solches aufgefasst) auf geradem Wege zum Ziele der Embryogenese führt. Nur in dieser Fassung lässt sich das Problem ohne jeden Beigeschmack der subjektiv-teleologischen Betrachtung beurteilen, da ja „der gerade Weg“ hier vielfach direkt wörtlich verstanden werden kann. Wäre der Nachweis erbracht, dass alle Elementar- prozesse der Embryogenese stets auf „geradestem Wege“, in ökono- mischster Weise ablaufen, so fielen der Begriff „Potenzen“ der Elemente im allgemeinen und ıhre „Vererbungspotenzen* zu- sammen. So lange ein derartiger Nachweis ausbleibt (und ob ein solcher erbracht werden kann?), müssen stets, wenn auch nur formell, Äußerungen der Potenzen im weiteren Sinne des Wortes und solche von Vererbungsfaktoren auseinandergehalten werden. Es können dieselben nicht nur dem Grade nach unterschieden sein, sondern, sofern es sich um vektorielle Werte handelt, sogar ins Umgekehrte umschlagen. Wir wissen daher nicht, ob das mikro- skopische Bild, welches wir von einem Embryo bekommen, tatsäch- lich ein reines „Entwickelungsbild“ ıst, d. h. ob alles, was ın jeder der Zellen geschieht, auch ausschließlich zur Entwickelung gehört, ob m. a. W. die Entwickelung in ökonomischster Weise abläuft. Wir können uns z. B. eine erbliche Potenz einer Zelle als ihre Bewegungsfähigkeit im allgemeinen denken, welche entweder durch innere Faktoren (d. h. wiederum erbliche Potenzen der Zelle) zur bestimmten Zeit aktiviert sind, oder als Antwortsreaktion auf einen äußeren Reiz erfolgen kann. Damit die Aktivierung dieser Potenz der Zelle zum Bestand- teil des Verwirklichungsprozesses des Vererbungsmechanismus wird, müssen die zeitlichen und räumlichen Parameter der auszuführenden Bewegung eindeutig definiert sein: die Zelle muss m. a. W. zur richtigen Zeit am richtigen Orte anlangen, um ihren Anteil für den Verwirklichungsvorgang einer Morphe beizusteuern. Dass diese Bestimmungsparameter zur Erbpotenz jeder Zelle gehören, ist nicht selbstverständlich und nicht wahrscheinlich. Es galt nun, den Weg zu finden, auf welchem der Nachweis der Unmöglichkeit eines solchen Sachverhalts direkt bewiesen werden konnte. Diesem Postulate ıst, wie ich glaube, durch die vorangehenden Erörterungen Genüge geschehen. 484 Gurwitsch, Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. Es müsste demnach die Gesamtheit der Errungenschaften der experimentellen Embryologie in der Frage nach der Lokalisation und Parzellierung der Potenzen daraufhin geprüft werden, ob und inwiefern es sich tatsächlich um Vererbungsfaktoren oder um Po- tenzen (Eigenschaften) schlechterdings handelt. 18. Die von mir erörterte statistische Betrachtung der morpho- genetischen Prozesse kann u. U. und hat auch bereits für einige Fälle (der Knorpelbildung) die oben postulierte Sonderung von erblichen Potenzen einerseits und Vererbungsfaktoren andererseits ergeben. Der „Vererbungsfaktor“ ist hier der von mir oben als „dyna- misch präformierte Morphe“ bezeichneter entsprechend konfigurierter Bezirk oder Fläche (morphogene Fläche), von welchem eine Beein- flussung aller umgebenden, das Kraftfeld ausfüllenden Elemente ausgeht. Der Grad der Beeinflussung eines gegebenen Elementes lässt sich als Funktion der Entfernung derselben von dem morpho- genen Bezirk oder Fläche darstellen und es ist daher letztere als Kraftquelle anzusehen. Den Elementen — sc. Zellen — sınd bestimmte Potenzen (erb- lich) zugewiesen und für den zum Studium herausgegriffenen morpho- genen Vorgang kommt die eine derselben — die Fähigkeit, ver- schiedene Werte für den Parameter P anzunehmen, zur Geltung. Es kann sich z. B. um die Fähigkeit des Formwechsels, des Orts- wechsels u. s. w. handeln. Die zeitlichen und räumlichen Parameter dieser Leistungen, durch welche dieselben erst zu morphogenen Prozessen werden, werden jedoch durch die Eigenschaften des Kraftfeldes, d. h. der betreffenden Niveaufläche bestimmt. Wir können uns dieses Geschehn in zweifacher Weise denken: 1. Es kann sich um Schaffung bestimmter, für jede Niveau- fläche geltender Bedingungen handeln, durch welche die Resultate für jedes Element zwar nicht in eindeutiger Weise festgestellt, wohl aber bestimmte Chancen zugunsten eines bestimmten Aus- ganges (sc. Wertes für P) gesetzt werden. Für eine derartige Be- einflussung des Elementargeschehns hatte ich in meiner ersten Arbeit die Bezeichnung Normierung vorgeschlagen. 2. Eine eindeutige Bestimmung des P-Wertes für alle Ele- mente jeder Niveaufläche (wobei selbstverständlich stets ein ge- ‚ringerer oder größerer Dispersionsgrad der Ergebnisse nach dem gewissermaßen physiologischen Wert zulässig ist), wäre entsprechend der von mir eingeführten Nomenklatur als „Determination“ zu be- zeichnen. Es genügt uns, diese Richtlinien der Forschung hier nur an- zudeuten. Ich werde bei anderer Gelegenheit die diesbezüglichen tatsächlichen Ergebnisse mitzuteilen haben. Yız Gurwitschg Die Vererbung als Verwirklichungsvorgang. 485 19. Nun kommen wir, zur letzten und schwierigsten Frage. Was ist der materielle Träger einer eigenartig konfigurierten Kraftfläche, als welche sich die dynamisch präformierte Morphe ja kundgibt und wo kann er lokalisiert sein? Wir müssen hier von vornherein diejenigen, vielleicht nicht spärlichen Fälle ausscheiden, in denen diese Frage ohne weiteres zulässig ist und mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit beantwortet werden kann. Wir müssen in diese Kategorie alle diejenigen morphogene- tischen Prozesse verlegen, bei denen es sich um Entstehung von Gebilden handelt, für die eine fertige Form, gewissermaßen ein Muster bereits vorliegt. Es liegt uns hier nichts im Wege, die Oberfläche dieser bereits bestehenden Bildungen für eine Art Potentialfläche zu erklären, welche die Konfiguration und die Eigen- schaften der Niveauflächen für das umgebende Kraftfeld bestimmt. Es dürfte diese Vorstellung ohne weiteres auf die Entstehung des Wirbelkörpers rings um die Chorda, der Wirbelbögen um die Modullarröhre, der Gefäß- und Darmwände um die Epithelröhren derselben u. s. w. zutreffen. Wir können uns auch denken, dass komplizierter gestaltete und in ihrer Konfiguration nicht direkt präformierte Niveauflächen, durch eine Art Interferenz einfacher gestalteter und schon exi- stierender entstehen können. Es hieße jedoch den gesunden Forschungsdrang einschläfern, wollte man diese Spezialmöglichkeiten als allgemeines Geschehnsprinzip der Morphogenese gelten lassen. Es kann die Formmannigfaltigkeit durch einfache Zurückführung neuer und komplizierter Gestaltungen auf präexistierende und ein- fachere Konfigurationen bei weitem nicht erschöpft werden, und obzwar die Frage nach der Lokalisation des morpherzeugenden Faktors auch berechtigt erscheinen mag, es würde durch die Be- antwortung derselben keinesfalls das Problem unserem Verständnis näher gerückt, welcher Art der Faktor ist, welcher ein eigentüm- lich konfiguriertes, materiell nicht präformiertes Kraftfeld erzeugt. Sofern die Morphogenese als Materialisierung von dynamisch präformierten Morphen erwiesen werden kann, können wir uns der Eigenartigkeit des Problems der erblichen Übertragung eines nicht- materiellen Vererbungsfaktors nicht verschließen. Es wäre jedoch ganz verkehrt zu behaupten, dass diese Schwierig- keit erst infolge unserer Betrachtungsweise oder bestimmter Deu- tung unserer Ergebnisse auftritt. Das ewige Problem war und ist immer da und ich glaube, durch präzisere Fassung der Fragestellung die Sachlage nicht verdunkelt, sondern die für unser Verständnis unfassbaren Momente der Embryo- genese klarer und präziser formuliert und gewissermaßen lokalisiert zu haben. 486 Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. Können wir die Wirkungsweise eines dynamischen Faktors in erschöpfender Weise darstellen, so ist dieselbe erkannt, wenn auch nicht materialisiert. St. Petersburg, 15. April 1912. Über die Berechnung des osmotischen Druckes. Eine Literaturstudie. Von O©. Renner. Die Bestimmung des osmotischen Druckes in physiologischen Flüssigkeiten geschieht aus verschiedenen Gründen ausschließlich auf indirektem Weg, meist durch Ermittelung der plasmolytischen Grenzkonzentration oder der Gefriertemperatur. Die experimentelle Basıs für alle diese Berechnungen waren bis vor kurzem einzig die klassischen Untersuchungen von Pfeffer (1877), die 30 Jahre lang an Genauigkeit nicht wieder erreicht, viel weniger übertroffen worden sind. Weil die von Pfeffer gewonnenen Daten durch van t’Hoff zu einer überzeugenden Theorie der Lösungen ver- arbeitet worden waren und die Übereinstimmung zwischen den beobachteten und den von der Theorie geforderten Werten außer- ordentlich nahe war, machte sich lange Zeit nicht das Bedürfnis fühlbar, den osmotischen Druck solcher Lösungen, die bei physio- logischen Untersuchungen sozusagen als Eichmaße Verwendung finden, nach Pfeffer’s Vorgang neuerdings direkt zu messen. Schon beim Rohrzucker, den Pfeffer am genauesten studiert hatte, fehlten Bestimmungen der Druckhöhe für Konzentrationen über 6°/,. Seit einigen Jahren sind nun Arbeiten amerikanischer Forscher, nämlich die von Morse und seinen Mitarbeitern, im Gang, in denen bei Zucker- lösungen etwas höhere und anderen Gesetzmäßigkeiten folgende Werte gefunden werden als van t’Hoff’s Theorie erwarten lässt. Die Berechnung des osmotischen Druckes wird damit auf eine ver- änderte und, wie es scheint, sehr zuverlässige Basıs gestellt. Der Umstand, dass die Ergebnisse der Amerikaner in der physiologischen Literatur, so weit ich sehen kann, bis jetzt keine Berücksichtigung finden, macht es zur Pflicht, auf diese Arbeiten aufmerksam zu machen. Pfeffer fand bei Rohrzuckerlösungen, die 1—6 Gewichtsprozent Zucker enthielten, den osmotischen Druck proportional diesem Zuckergehalt. Genau genommen war der osmotische Druck bei den höheren Konzentrationen etwas geringer als der Proportionalität entspricht; und dasselbe galt für 1— 16 °/ ige Lösungen von arabischem Gummi. Es schien also nicht auf gleiche Menge des Lösungs- mittels (Wasser) anzukommen, sondern eher auf gleiches Volumen der Lösung. Und nach den absoluten Werten der Druckhöhen Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. 45% konnte deshalb van t’Hoff (1887) sein wichtiges Gesetz so formu- lieren: „Der osmotische Druck einer Lösung ist gleich dem Drucke, den der gelöste Stoff ausüben würde, wenn er als Gas im gleichen Raume vorhanden wäre, den die Lösung einnimmt“ (zitiert nach Drucker, p. 328). Auch alle späteren Autoren haben unter dem -Raum, der dem Gasvolumen entspricht, das Volumen der Lösung, nicht das des reinen Lösungsmittels verstanden. Auf Grund dieser Formulierung sind die Lösungen für plas- molytische Bestimmungen allgemein nach Art der Normallösungen der Chemiker hergestellt worden. Man arbeitete mit „räumlichen“, nicht mit „numerischen“ Konzentrationen. Von einer Rohrzucker- lösung, die im Liter Flüssigkeit ein Grammolekül enthält, wurde an- genommen, dass sie bei 0° einen osmotischen Druck von 22,4 Atmo- sphären entwickelt, und Lösungen von niederigerem Druck wurden durch entsprechende Verdünnung der Normallösung hergestellt. Vereinzelte Angaben in der botanischen Literatur, nach denen eine Mollösung ein Grammolekül im Liter Wasser enthalten soll, dürften auf Versehen im Ausdruck beruhen!). Nun hat aber u.a. Overton schon 1895 (p. 171, Anm.) darauf hingewiesen, dass bei höheren Konzentrationen der osmotische Druck weit davon entfernt ist, sich dem van t’Hoff’schen Gesetz genau zu fügen. Auch später (1907, p. 839) teilt er z. B. mit: „Während eine 30°/,ige Lösung von Gummi arabicum nur etwa den gleichen osmotischen Druck wie eine 0,6°/,ıge Kochsalzlösung besitzt, ist eine 60°/ ige Lösung von Gummi arabicum mit einer etwa 7°/,igen Kochsalzlösung isosmotisch.“ Auf welche Weise dieses Ergebnis gewonnen ist, darüber finde ich leider keine Angaben. Von dem verschiedenen Dissoziationsgrad der Kochsalzlösungen kann die Er- scheinung nicht herrühren, und Overton schließt, „dass bei hohen Konzentrationen der osmotische Druck viel schneller zunimmt als das Volum abnımmt, wobei die gewichtsprozentische Konzentration mehr als die molekulare in Betracht kommt“. Zu demselben Re- sultat wird er geführt durch Beobachtungen über die Quellung von unbegrenzt quellbaren Kolloiden, bei denen der Quellungsdruck mit dem osmotischen Druck identisch ist. Er sagt hier auf Grund von vergleichenden Bestimmungen des Quellungsdruckes (1907, p. 797): „In höheren Konzentrationen dieser Körper nimmt ihr osmotischer Druck viel schneller zu als ihre Konzentration. Dies ist indessen keine Eigentümlichkeit der Lösungen von Kolloiden, sondern findet auch allgemein bei den konzentrierteren Lösungen leicht löslicher indifferenter Kristalloide und selbst vieler Elektrolyte statt... Es 1) So wohl die Stelle bei Keeble (p. 114). Dass es sich in den „Vorlesungen“, 2. Aufl, p. 20 um ein solches Versehen handelt, hat mir Herr Prof. Jost in freundlicher Weise mitgeteilt. 488 Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. lässt sich im allgemeinen der Satz aussprechen, dass bei Lösungen von gleicher molekularer Konzentration eine merkliche Abweichung von den einfachen Gasgesetzen ... um so früher eintritt und um so erheblicher ist, je größer das Molekulargewicht der gelösten Verbindung ist. Daher kommt es, dass die Lösungen der Kolloid- körper mit ihren meist sehr großen Molekulargewichten bereits ber recht geringer molekularer Konzentration so erhebliche Abweichungen von den einfachen Gasgesetzen aufweisen.“ Es mag hier gleich betont werden, dass diese Regel bei der üblichen räumlichen Art der Konzentrationsangabe Geltung hat; je höher das Molekular- gewicht und je kleiner das spezifische Gewicht des gelösten Stoffes ist, desto geringer ıst ın äquimolekularen Lösungen der Wasser- gehalt. Es ist also schon jetzt zu vermuten, dass die Abweichung von den Gasgesetzen mit der Veränderung des Wassergehaltes zu- sammenhängt; dieser verringert sich mit zunehmender Konzentration der Lösung ımmer schneller, ähnlich wie der osmotische Druck immer rascher zunimmt. Höber gibt diese Erörterungen Over- ton’s ausführlich wieder. Die beiden Sätze „Verbindungen mit hohem Molekulargewicht sind osmotisch besonders wirksam“ (p. 25) und „osmotische Wirksamkeit und hohes Molekulargewicht sind einander entgegengesetzte Größen“ (p. 26) bedürfen aber wohl einer ver- mittelnden Erklärung. Der erste Satz gilt natürlich, wenn äqui- molekulare, der zweite, wenn gleichprozentige Lösungen miteinander verglichen werden. Auch die Beziehungen zwischen dem van t’Hoff’schen Gesetz und der Gefrierpunktserniedrigung sind nicht so glatt, wie sie in der Praxis gewöhnlich angenommen werden. Die molekulare Gefrierpunktserniedrigung für Wasser A—= 1,85° wird nach thermo- dynamischen Prinzipien als Äquivalent eines osmotischen Druckes von 22,4 Atmosphären betrachtet. Nach Nernst z. B. (p. 143) be- trägt der osmotische Druck einer Lösung von der Gefrierpunkts- erniedrigung t°:12,05-t Atmosphären. Nach dieser Formel rechnen auch Dixon und Atkins (1910, p. 59). Nach Bottazzi (1908, p. 188) entspricht „jedem tausendstel Grad der Gefrierpunkts- erniedrigung ein osmotischer Druck von 0,0120 Atmosphären?). Livingston (p. 37) berechnet den osmotischen Druck nach der Formel 9173,2 A cm Quecksilber. Alle diese Berechnungsarten laufen darauf hinaus, dass „einem osmotischen Druck von 22,4 At- mosphären bei 0° eine Gefriertemperatur von — 1,35° entspricht“ (Höber, p. 20). 2) Mit der Myriotonie von Errera (1901), wie Bottazzi das meint, hat diese Druckgröße, die der Einheit der Gefrierpunktserniedrigung entspricht, nichts zu tun. Die von Errera vorgeschlagene Druckeinheit hat keinerlei Beziehung zur Er- niedrigung des Gefrierpunktes, und eine Myriotonie ist etwas kleiner als 0,01 Atmo- sphären. ii ee Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. 489 Eine Gefrierpunktsdepression von 1,85° kommt aber einer Lösung zu, die 1 Mol eines Nichtelektrolyten in 1000 cem Wasser enthält. Nach den übereinstimmenden Erfahrungen der Physiker geht die Gefrierpunktserniedrigung überhaupt der Konzentration viel eher parallel, wenn diese auf gleiche Gewichtsmenge des Lösungsmittels (nach Raoult; numerische Konzentration), als wenn sie auf gleiches Volumen der Lösung (nach Arrhenius; räumliche Konzentration) bezogen wird (vgl. z.B. Hamburger, 1902, p. 81, 82). Wenn also einerseits für eine Lösung von der Gefriertemperatur —1,85° und andererseits für eine Lösung, die 1 Mol eines Nicht- elektrolyten im Liter Flüssigkeit enthält, ein osmotischer Druck von 22,4 Atm. angenommen wird, so wird einfach Volumen der Lösung und Volumen des verwendeten Lösungsmittels gleichgesetzt. Dass Hamburger diesen Fehler fühlt, zeigt die Berechnung der „osmotischen Konzentration‘, die er p. 14 für Urin gibt. Unter der osmotischen Konzentration versteht er die Verhältnis- zahl für die Gesamtanzahl der Moleküle plus Ionen (der Molionen) im Liter Flüssigkeit; sie lässt sich nach einer einfachen, p. 15 ge- gebenen Formel berechnen, wenn außer der Gefriertemperatur der Lösung ihr spezifisches Gewicht und ıhr Prozentgehalt an gelöster Substanz bekannt sind. Man müsste also, um dem van t’Hoff- schen Gesetz gerecht zu werden, für die Berechnung des osmo- tischen Druckes die Zahl der in 1000 g Wasser enthaltenen Molionen, die sich aus der Depression des Gefrierpunktes ergibt, umrechnen auf die Zahl der im Liter Lösung enthaltenen Molionen. Diese Umrechnung wird aber nirgends ausgeführt, und deshalb ist es selbstverständlich, dass „der aus der Gefrierpunktsdepression be- rechnete Wert gewöhnlich etwas größer ist als der durch Plasmo- lyse und ihr analoge Methoden abgeleitete Wert“ (OÖverton, 1907, p. 783). Eine Mollösung nach Raoult ist ja meistens (abweichend verhält sich z. B. Kochsalz, vgl. p. 501 u. p. 502) weniger konzentriert als eine solche nach Arrhenius bezw. van t’Hoff, und weil die Kryoskopie mit der ersten, die plasmolytische Methode mit der zweiten rechnet, während den beiderlei Mollösungen der gleiche osmotische Druck von 22,4 Atmosphären zugesprochen wird, muss notwendig die Differenz der Ergebnisse zustande kommen, von der Overton spricht®). Die Übereinstimmung ist aber, wie sich gleich zeigen wird, nicht auf dem von Hamburger vorgeschlagenen Weg herzustellen, sondern durch die umgekehrte Operation. Morse und Frazer haben nämlich schon 1905 mitgeteilt, dass es ıhnen gelungen sei, mit Hilfe verbesserter Pfeffer’scher Zellen 3) Wenn an turgeszenten Pflanzenzellen die Membranen stark gedehnt sind und bei der plasmolytischen Bestimmung die Kontraktion der Membran nicht be- rücksichtigt wird, kann umgekehrt die kryoskopische Methode geringere Werte geben; vgl. Pantanelli, 1904a, p. 314; 1904b, p. 101ff. 490 Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. (mit Ferrocyankupfermembran) den osmotischen Druck von Rohr- zuckerlösungen bis zu bedeutenden Konzentrationen direkt zu messen, und dass der osmotische Druck den Gasgesetzen folgt, wenn man die Konzentrationen auf gleiche Mengen des Lösungsmittels be- zieht. Drucker (1907, p. 328) hat auf Grund dieser Ergebnisse das van t’Hoff’sche Gesetz unbedenklich in folgender Weise neu formuliert: „Der osmotische Druck einer Lösung ist gleich dem Drucke, den der gelöste Stoff ausüben würde, wenn er als Gas in dem Raume vorhanden wäre, den das reine Lösungs- mittel allein einnimmt.“ Walden (1907, p. 501) teilt eine brief- liche Äußerung van t’Hoff’s mit, in der dieser nach den Morse- schen Arbeiten ohne weiteres die Notwendigkeit zugibt, die Konzen- tration auf 1000 cem Lösungsmittel zu beziehen. Auch N ernst (1907, p. 135; ebenso 1909, p. 135) zitiert Morse, ebenso Ostwald (1909, p. 191). Eine ausführliche Besprechung der Methoden und der Ergeb- nisse von Morse findet sich bei Cohen und Commelin (1908, p. 12). Theoretisch ist die neue Fassung des Gesetzes schon 1894 abgeleitet worden von van Laar (vgl. van Laar, 1908; dort findet sich auch eine Auseinandersetzung mit einer Arbeit von Lewis (1908), der auf anderem Weg zum selben Ergebnis gekommen war wie van Laar). Die Ergebnisse der amerikanischen Forscher werden also von den Physikern allgemein anerkannt. In der physiologischen Literatur finde ich Morse nur bei Höber (1911, p. 10, Anmerk.) zitiert. Overton scheint die amerikanischen Arbeiten leider nicht ge- kannt zu haben; das ıst sehr zu bedauern, weil seine ungewöhn- lich weit ın die Tiefe gehende Darstellung der Lösungen (in Nagel’s Handbuch, 1907) durch die Verarbeitung der neuen Erfahrungen noch viel gewonnen hätte. Dass Overton dem früheren Irrtum selber schon auf der Spur war, ist bereits zur Sprache gekommen. Die Untersuchungen von Morse und seinen Mitarbeitern scheinen jetzt zu einem gewissen Abschluss gelangt zu sein. Die letzte ver- öffentlichte Übersicht über die in zahlreichen Versuchen an Rohr- zuckerlösungen gefundenen Mittelwerte (1911, p.602) ist in der neben- stehenden Tab. 1 wiedergegeben. Die Konzentrationen der Lösungen sind als Anzahl der Mole Rohrzucker auf 1000 g Wasser angegeben. Diese Lösungen nennen die Verfasser „gewichtsnormale* im Gegen- satz zu den sonst üblichen „volumnormalen“. Der osmotische Druck ıst annähernd, doch nicht streng pro- portional der numerischen Konzentration; bei höheren Konzen- trationen ist er verhältnismäßig höher als bei niederen. Bei jeder Konzentration ändert sich der osmotische Druck genau nach dem Gay-Lussac’schen Gesetz. Der beobachtete osmotische Druck ist immer höher als der Druck, den dieselbe Anzahl Gasmoleküle, auf das Volumen von 1000 ecem gebracht, ausüben. Das Verhältnis zwischen dem osmotischen Druck und dem Gasdruck nimmt mit a m Fee Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. 491 steigender Konzentration zu, ist aber für jede einzelne Konzentration bei allen Temperaturen konstant. Tabelle 1. & GM in 1000 g Wasser a5 01 |o2 |o3 |o4 | 05 |o6 |or |os | os 1.0 SF Osmotischer Druck in Atmosphären 0°| (2,462) | 4,722 | 7,085 | 9,442 11,895 | 14,381 | 16,886 | 19,476 22,118 | 24,825 5°| 2,452 | 4,818 | 7,198 | 9,608 | 12,100 | 14,605 | 17,206 | 19,822 22,478 | 25,283 10°! 2,198 | 4,893 | 7,334 | 9,790 | 12,297 | 14,855 | 17,503 | 20,161 | 22,884 | 25,693 15°| 2,541 | 4,985 | 7,476 | 9,949 | 12,549 | 15,144 | 17,815 | 20,535 | 23,305 | 26,189 20° 2,590 | 5,064 | 7,605 | 10,137 | 12,748 | 15,388 | 18,128 | 20,905 | 23,717 | 26,638 25°| 2,634 | 5,148 | 7,729 | 10,296 | 12,943 | 15,624 | 18,134 | 21,254 | 24,126 | 27,053 Verhältnis des osmotischen Druckes zum Gasdruck 1,083 1,061 | 1,060 1,060 ı 1,067 | 1,074! 1083| 1,093 | 1,103 1,114 Früher haben die Autoren für die Lösungen, deren osmotischen Druck sıe bestimmten, auch die Gefriertemperaturen mitgeteilt. Die Genauigkeit der Druckmessungen war damals noch nicht so weit getrieben wie jetzt, und die Beziehungen zwischen osmotischem Druck und Gefrierpunktserniedrigung waren nicht ganz klar. In ihren letzten Publikationen sind die amerikanischen Forscher auf diese Beziehungen nicht wieder zurückgekommen. Ich habe deshalb in der Tabelle 2 die beobachteten Gefrierpunktserniedrigungen ver- glichen mit den Werten, die von einem normal sich verhaltenden Körper zu erwarten sind, d.h. mit den Werten, die einer mole- kularen Depression von 1,85° entsprechen. Mit den Verhältniszahlen (Kol. 4) sind die schon oben mitgeteilten Quotienten aus osmotischem Druck und Gasdruck zusammengestellt (Kol. 5). Weiter sind aus den Gefrierpunktserniedrigungen nach der Formel P= 4 12,05 Atmo- Tabelle 2. 1 2 3 4 B) 6 7 GM in Gefrierpunktserniedrigung 4 Osm. Druck in Atm. 1000 = beob. - osm. Druck berechn. beob. en beob. berechn. Verh. —— Verh. ee bei 0° 0,1 0,195 0,185 1,054 1,083 2,350 2,462 02 0,393 0,370 1,062 1,061 4,736 4,122 0,3 0,584 0,555 1,052 1,060 7,037 7,085 0,4 0,784 0,740 1,060 1,060 9,447 9,442 0,5 0,983 0,925 1,063 1,067 11,845 11,895 0,6 1,190 1,110 1,072 1,074 14,339 14,381 0,7 1,390 1,295 1,073 1,083 16,749 16,886 0,8 1,621 1,480 1,095 1,093 19,533 | 19,476 0,9 1,829 1,665 1,098 1,103 22,039 22,118 1,0 2,066 1,3850 1,117 1,114 24,895 24,825 1268 | 2,66 32,053 492 Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. sphären die osmotischen Drucke für die Gefriertemperaturen be- rechnet, und zum Vergleich sind die bei 0° beobachteten Drucke (aus Tabelle 1) nochmals wiedergegeben. Für eine volumnormale oder 1,268 gewichtsnormale Lösung fehlt die direkte Messung des osmotischen Druckes. Wie man sieht, kommen die Werte der 4. und der 5. Kolumne einander sehr nahe. Man wird also annehmen dürfen, dass die Ab- weichung des osmotischen Druckes vom Gasgesetz und die anomale (re a ee: eine und dieselbe Ursache haben. Sehr genau ist dementsprechend auch die Übereinstimmung zwischen den beobachteten und den aus der Gefriertemperatur berechneten osmotischen Drucken. Wir haben damit die Gewissheit, dass die Kryoskopie sehr zuverlässige Bestimmungen des osmotischen Druckes ermöglicht®). Außerdem lässt sich jetzt sagen, dass die bisher aus kryoskopischen Daten abgeleiteten Drucke richtig berechnet sind, während die mit Hilfe der plasmolytischen Methode gewonnenen Werte zu niedrig gegriffen sind. Ausdrücklich mag noch darauf hingewiesen werden, dass eine volum- normale Rohrzuckerlösung schon bei ihrer Gefriertemperatur (— 2,66) einen Druck von 32 Atmosphären entwickelt, nicht von rund 22 Atmo- sphären, wie bisher angenommen wurde. Für höhere Temperaturen berechnet sich der osmotische Druck, weil er der absoluten Tem- peratur proportional ist, nach der Formel pP, = 12.034: le ZN aa Danach hat die volumnormale Rohrzuckerlösung bei 15° einen Druck von 34,1 Atm., bei 18° von 34,5 Atmosphären. Auf einer mittleren Stufe ihrer Untersuchungen haben Morse und seine Mitarbeiter sich auch mit Traubenzucker beschäftigt. Die Gefrierpunktserniedrigung der Glukoselösungen ist der Konzentration (nach Raoult) streng pr oportional; die molekulare Depression wächst nicht wie beim Ealsardaer mit steigender Konzentration, sie ist aber doch nicht ganz normal, weil sie 1,91 oder 1,92° beträgt an- statt 1,85%. Entsprechend sind seinerzeit bei Glukose auch niedrigere osmotische Drucke gemessen worden als bei Rohrzucker (vgl. z. B. ) Wegen der mitunter beträchtlichen Veränderung der molekularen Depression mit der Konzentration (beim Rohrzucker nimmt die molekulare Depression mit steigender Konzentration zu, vgl. Tabelle 2, bei Elektrolyten nimmt sie wegen Ver- minderung der Dissoziation ab, vgl. Hamburger, p.82ff.) empfiehlt Pantanelli (1904a, p. 307) die zu prüfenden Säfte für die kryoskopische Messung zu verdünnen und den osmotischen Druck für die Ausgangskonzentration so zu berechnen, wie wenn der osmotische Druck der Konzentration proportional wäre. Diese Annahme ist aber nach den Erfahrungen von Morse nicht statthaft, vielmehr scheint der osmotische Druck allen „Anomalien“ der Gefrierpunktserniedrigung zu folgen. Wenn es mög- lich ist, den Saft ohne Verdünnung abzupressen, muss also die Verdünnung unter- bleiben. Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. 495 Morse, vol. 37, 1907, p. 593). Eine 0,1 gewichtsnormale Lösung gab nach den damaligen Messungen bei Glukose einen Druck von 2,40 Atmosphären, bei Rohrzucker von 2,44 Atmosphären; das Ver- hältnıs ist 1: 1,017. Die Gefrierpunktserniedrigungen sind für die angegebene Konzentration 1,92 und 1,95°, das Verhältnis ist 1: 1,016. Neuerdings sind keine Beobachtungen an Traubenzucker mehr mit- geteilt worden. Aber die enge Beziehung, die augenscheinlich beim Rohrzucker zwischen osmotischem Druck und Gefriertemperatur besteht, macht es doch wahrscheinlich, dass die isotonischen Ko- effizienten der beiden Zucker, wie es 1907 auch gefunden wurde, im selben Verhältnis stehen wie die Gefrierpunktserniedrigungen. Man wird also, entsprechend den Erfahrungen, die die Kryoskopie schon lange gemacht hat, sagen dürfen: Äquimolekulare Lö- sungen auch von Nichtelektrolyten brauchen nicht genau denselben osmotischen Druck zu entwickeln’); oder: die isotonischen Koeffizienten auch der Nichtelektrolyte sind nicht alle gleich, und das Verhältnis zwischen den isotonischen Koeffizienten zweier Körper bleibt nicht bei allen Konzentrationen dasselbe. Overton (1907, z.B. p. 775) meint, Lösungen von gleicher Gefrier- temperatur, also von gleichem Dampfdruck, müssten je nach ihrem spezifischen Gewicht verschiedenen osmotischen Druck entwickeln. Nach dem Schema, das gewöhnlich, und so auch von Överton (p. 774), für die Veranschaulichung der Beziehung zwischen Steig- höhe und Dampfdruckerniedrigung gegeben wird, sieht die Ablei- tung ganz einleuchtend aus, vorausgesetzt, dass die Konzentration der Lösung auf der ganzen Länge der Flüssigkeitssäule die gleiche ist. Wenn man aber, wie es Ostwald tut (1909, p. 203), die Steighöhe der Lösung ersetzt durch die Steighöhe des Lösungs- mittels, dann spielt das spezifische Gewicht der Lösung keine Rolle. Bei Berkeley und Hartley (1906a) finde ich nun die Frage experimentell und theoretisch entschieden zugunsten der zweiten Auffassung. Sie bestimmen den Dampfdruck konzentrierter Rohr- zuckerlösungen direkt und finden rechnerisch recht gut überein- stimmende Werte, wenn sie das Gewicht der gehobenen Flüssig- keitssäule aus der Dichte des Wassers, nicht aus der Dichte der Lösung berechnen. Die theoretische Ableitung ist im Original nach- zusehen (p. 166ff.); eine Korrektur an ıhrer Formel hat noch Spens (1906) angebracht. | Für die Praxis ist wichtig, dass wir den osmotischen Druck des als Plasmolytikum so ausgezeichneten Rohrzuckers nun sicher kennen. Falls genaue absolute Werte bei osmotischen Bestim- 5) Auch de Vries (1884, p. 453) hat die isotonischen Koeffizienten von Rohr- zucker und Invertzucker verschieden gefunden, aber den des Rohrzuckers kleiner, nämlich 1,81 gegen 1,88. 494 Renner, Über die Berechnung des osmotischen Drnckes. g mungen gesucht werden, ist es vorläufig angebracht, sich, wenn möglich, des Rohrzuckers zu bedienen. Wenn wir jetzt auch wissen, dass der osmotische Druck von Rohrzuckerlösungen der räumlichen Konzentration nicht proportional ist, wird es doch nicht zweckmäßig sein, die Lösungen für plas- molytische Bestimmungen in anderer Weise herzustellen als es bis jetzt üblich war. Von einer gewichtsnormalen Ausgangslösung lassen sich ja beliebige numerische Konzentrationen nicht durch Verdünnung in einfachen Volumverhältnissen gewinnen, sondern der Verdünnung muss eine umständlichere Rechnung vorausgehen; andernfalls muss jede Konzentration mit besonders abgewogenen Zuckermengen hergestellt werden. Viel einfacher ıst es, die Lö- sungen nach dem alten Verfahren, durch Auffüllen und Verdünnen, zu bereiten und hinterher für die Grenzlösung die räumliche Kon- zentration in numerische umzurechnen. Für genaue Umrechnungen, vor allem bei hohen Konzentrationen, -muss außer der räumlichen Konzentration auch das spezifische Ge- wicht der Lösung bekannt sein. Nach den Daten bei Morse (z.B. 1905, p. 95) ist aber die Kontraktion, die das Wasser bei der Auf- lösung von Rohrzucker erleidet, so gering, dass sie vernachlässigt werden darf, dass also die Dichte der Lösung nicht ermittelt zu werden braucht. Eine Lösung, die 1GM = 342g Rohrzucker im Liter enthält, besteht nach dieser vereinfachten Rechnungsweise zu 342:1,6— 214 ccm aus Zucker (das spezifische Gewicht des Zuckers ist 1,6) und zu 786 cem aus Wasser. Das Mol Zucker ist also in 786 g, nicht in 1000 g Wasser gelöst. Auf 1000 g Wasser treffen bei der volumnormalen Lösung 2% 1 GM = 1,27 GM Rohrzucker. 786 (Genauer sind es nach Morse (1905, p. 95) 1,268 GM. Ebenso lässt sich für jede Lösung, von der bekannt ist, dass se m GM oder ng Rohrzucker im Liter enthält, die Gewichts- normalität berechnen nach den a m: 1000 a 397 - 1000 1000 — 214m 1000 — 1,6 Der osmotische Druck lässt sich dann nicht durch Einführung einer für alle Konzentrationen geltenden Konstanten berechnen, sondern er muss aus den in Tab. 1 nach Morse wiedergegebenen Werten durch Interpolation bestimmt werden. Wenn das zunächst für 0° geschieht, so berechnet sich der Druck für die Temperatur t° zu 273 -t als: a) Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. 495 Mit den jetzt zur Verfügung stehenden Daten sollen nun zu- nächst die Resultate geprüft werden, die Berkeley und Hartley (1904) an Rohrzuckerlösungen erhielten, vor den ersten Veröffent- lichungen von Morse über denselben Gegenstand (1905). Das Prinzip der neuen Methode, die die englischen Autoren anwandten, besteht darin, dass der osmotische Druck durch einen bekannten, mit Hilfe eines Stahlkolbens erzeugten hydrostatischen Druck äquili- briert wird®). Die gefundenen Werte waren der (räumlichen) Kon- zentration nicht proportional, auch unerwartet hoch. Wie die folgende Tabelle zeigt, entsprechen aber die beobachteten (korri- gierten) Drucke den nach Morse’s Ergebnissen zu erwartenden Werten sehr genau. Das spricht um so mehr für die Brauchbar- keit der Methode, als es sich bei Berkeley und Hartley um einen orientierenden Versuch handelt, bei dem die Autoren selber mit Fehlern von 10°/, rechnen. Tabelle 3. 1 | 2 | 3 | 4 5 we Gramm Rohr- | Osmotischer Druck in Atmosphären | zucker im |@M im Liter | GM im Liter 'berechn. nach | berechn. nach Liter Lösung | Lösung | Wasser vant’Hoff Morse | beobachtet 120,7 70353 | . 0,382 8,4 | 9,45 9 180 | 0,526 0,593 | 125 14,96 14,4 240 0,702 0,826 16,7 ER 21,3 360 1,053 1,358 25,1 36,55 | 37 420 1,228 1,665 29,2 471 | 43 Die Daten der Kolumnen 1, 4 und 6 sind Berkeley und Hartley ent- nommen. Kolumne 2 ist aus Kolumne 1 berechnet, 3 aus 2 nach der oben ge- gebenen Formel. Aus den Zahlen der Kolumne 4 geht hervor, dass die Versuche von Berkeley und Hartley bei ungefähr 15° angestellt wurden. In der Kolumne 5 sind die osmotischen Drucke nach den Morse’schen Resultaten für 15° berechnet; der Wert für 0,382 GM ist abgeleitet aus dem bei Morse zu findenden Wert für 0,4GM, entsprechend die Werte für 0,593 GM und 0,826 GM aus den empirisch bekannten Werten von 0,6 bezw. 0,5 GM. Der osmotische Druck von 1,355 GM und 1,665 GM ist aus der Gefriertemperatur von 1,268 GM (1 GM im Liter) = — 2,66° berechnet, was bei 15° einem Druck von 34,1 Atm. entspricht; er ist also etwas zu niedrig angesetzt, weil die molekulare Gefrierpunktserniedrigung mit steigender Kon- zentration weiter zunimmt (vgl. unten). In der ausführlicheren Arbeit (1906b) teilen Berkeley und Hartley Messungen des osmotischen Druckes an noch konzen- trierteren Rohrzuckerlösungen mit Aus ıhrer Tabelle X auf p. 503 sind die Kolumnen 1 und 7 der folgenden Tabelle 4 entnommen. Die Zahlen der Kolumne 6 finden sich bei B. und H. in Tabelle XT auf p. 505; von den Dampfdruckmessungen, auf denen diese Be- 6) Figur und Beschreibung des Apparats auch bei Cohen und Commelin, 1908, p. 16. 496 rechnungen beruhen, war oben die Rede (p. 493). Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. Die Zahlen der Kolumnen 2—5 sind von mir eingesetzt. — Die Temperatur war 0°. Tabelle 4. konalnn2 7 r To | 6 7 Im Liter Lösung Im Liter Wasser Osmotischer Druck in Atmosphären DR TETE 1 en 4 2 | berechn. aus zn ccm | GM N, aus & Zucker WE Zucker Zucker 22,4-GM 2: Dampf- | beobachtet rn Bu RE | ensıon 180,1 887 2038 | 0,59 13,2 13,95 300,2 812 369,7 1,08 24,2 26,77 420,3 736 Hl 1,67 37,4 43,97 540,4 662 816 2,39 51,5 69,4 67,51 660,5 587 1125 3,29 KOHL 101,9 100,78 al |, 1413 4,13 92,5 136 133,74 Auch die graphische Darstellung dieses Ergebnisses (p. 504) mag, weil sehr instruktiv, reproduziert werden. Die gerade Linie RENT stellt den Gang des osmotischen 1 — r Druckes dar, wie er nach dem van | t’Hoff’schen Gesetz zu erwarten 20 wäre, die obere Kurve ist nach den Resultaten der Versuche kon- struiert. Die mittlere Kurve ist von mir eingezeichnet; sie stellt die Wertedar, die sich ergeben müssten, wenn der osmotische Druck propor- tıonal wäre der auf 1 Liter Wasser bezogenen Konzentration und wenn eine gewichtsnormale Zuckerlösung bei 0° einen osmotischen Druck von 22,4 Atmosphären entwickeln würde; | die Zahlenwerte für diese Kurve sind in Tab. 4 in der 5. Kolumne verzeichnet. Auch an Glukose (außerdem noch an Galaktose und Mannit) haben Berkeley und Hartley mit ihrem Apparat Versuche an- gestellt (1906b). In der folgenden Tabelle sind die bei 0° ge- wonnenen Resultate (nach p. 503) zusammengestellt und daneben die Druckwerte verzeichnet, die sich unter der Voraussetzung be- rechnen, dass der osmotische Druck einer gewichtsnormalen Glu- koselösung bei 0° 23,1 Atmosphären beträgt (entsprechend der molekularen Gefrierpunktserniedrigung von 1,91°) und dass die De- pression und damit der osmotische Druck bei allen Konzentrationen der Gewichtsnormalität proportional bleibt. Das Molekulargewicht des Traubenzuckers ist zu 180 angenommen, das spezifische Gewicht zu 1,57, die Kontraktion des Wassers ist vernachlässigt. Wie man in abmospheres Zr | Equilibrium pressures (6) 150 300 450 Concentrations in grammes per litre of solution 600 250 .. A f ‘ : re Renner, Uber die Berechnung des osmotischen Druckes. 497 sieht, ist bei niedrigeren Konzentrationen die Übereinstimmung zwischen beobachteten und berechneten Werten recht gut, die Ge- frierpunktsbestimmungen von Morse und die Druckmessungen der beiden englischen Autoren bestätigen einander also gegenseitig. Wenn bei höheren Konzentrationen die Abweichung beträchtlich wird, so erklärt sich das vielleicht aus Anomalien des Dampfdruckes. Der isotonische Koeffizient des Traubenzuckers bleibt aber immer kleiner als der des Rohrzuckers; 3,49 GM Glukose im Liter Wasser geben einen Druck von 87,87 Atmosphären, 3,29 GM Rohrzucker einen Druck von 100,78 Atmosphären (vgl. Tabelle 4). Tabelle 5. & Glukose | cem Wasser | GM Glukose | GM Glukose Osm. Druck in Atmosphären im Liter im Liter im Liter im Liter Lösung Lösung Lösung Wasser berechnet beobachtet 99,8 936 0,554 0,592 13,68 13,21 199,5 874 1,108 1,268 29,29 29,17 319,2 797 1703 2,224 51,37 53,19 448,6 714 3 2,492 3,490 80,62 87,87 548,6 651 3,048 4,682 108,15 121,18 Aus der Literatur über plasmolytische Studien mag erst ein Befund von Overton (1895, p. 170) an den revidierten Gesetzen geprüft werden. Overton fand bei Versuchen mit Sperogyra 1508- motisch 6°/, Rohrzucker und 3,3°/, Traubenzucker, d. h. Lösungen, die 6g bezw. 3,3 g Zucker in 100 cem Flüssigkeit enthielten. Unter der Voraussetzung, dass der osmotische Druck der räumlichen Kon- zentration proportional sei und dass die beiden Zucker gleiche isotonische Koeffizienten haben, war die theoretisch geforderte Konzentration des Traubenzuckers die von 3,15°,. Die folgende Tabelle gibt nun die Berechnung nach den neuen Regeln. Spezi- fische Gewichte u. s. w. wie vorher. Das Verhältnis der isotonischen Koeffizienten ist als 1,018:1 angenommen, entsprechend den Ge- frierpunktserniedrigungen von 0,2 GM (0,393° bei Rohrzucker, 0,386 bei Glukose); der Wert 0,185 ın der letzten Kolumne ist also ge- wonnen als Produkt von 0,182 und 1,018. Tabelle 6. | gin GM in GM in 1000 & Wasser ' 1000 cem | 1000 eem Lösung Lösung beobachtet | berechnet Bohrzußker . . .. .. ‘. 60 | 0,175 0,182 Traubenzucker . . . . 33 | 0,183 0,187 0,185 XXX. w ID 498 Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. Die Übereinstimmung zwischen beobachtetem und berechnetem Wert würde der Leistungsfähigkeit der plasmolytischen Methode ein glänzendes Zeugnis ausstellen, wenn es nur sicher wäre, dass das Plasma des Versuchsobjektes für die beiden Zucker vollkommen impermeabel oder in gleichem Maße permeabel war. Es haben nämlich auch Tröndle (1910) und Ruhland (1911) für verschie- dene Objekte die Grenzkonzentrationen von Rohrzucker und von Glukose festgestellt, und dabei glauben sie eine beträchtliche Per- meabilität des Plasmas für Glukose gefunden zu haben. Ich greife bei Ruhland ein p. 229 gegebenes Beispiel heraus, in dem 0,80 Mol Rohrzucker und 0,90 Mol Glukose an Palisadenzellen von Beta vulgaris denselben Grad der Plasmolyse hervorrufen; die Lösungen enthielten die betreffenden Zuckermengen in 1000 cem Wasser, wie Herr Prof. Ruhland mir freundlich mitgeteilt hat. Aus dem Material, das Tröndle gibt, sei das p. 251 mitgeteilte Experiment ausgewählt, in dem am beleuchteten Blatt von Tikia cordata die Grenzkonzentration von Glukose bei 1,125 Mol, von Rohrzucker bei 0,937 Mol liegt, während für das verdunkelte Blatt die be- treffenden Werte 1,050 Mol und 0,975 Mol sind; hier handelt es sich um die üblichen volumnormalen Lösungen, ebenfalls nach per- sönlicher Mitteilung des Autors. In der folgenden Tabelle ist für die beiden an erster Stelle stehenden Tröndle’schen Versuche die Volumnormalität in Gewichtsnormalität umgerechnet und zudem sind, auch für den Versuch von Ruhland, die isotonischen Koeffizienten, wie sie sich aus der Gefrierpunktserniedrigung der betreffenden Lösungen berechnen, in folgender Weise berücksichtigt: Für die Rohrzuckerlösung ist aus den Daten der Tabelle 2 (Kolumne 2) die Gefrierpunktserniedrigung A entnommen bezw. durch Interpolation bestimmt. Die Gewichtsnormalität der isotonischen Glukoselösung erhält man dann, indem man A durch 1,92 (die molekulare De- pression von Glukose) dividiert. Tabelle 7. - : | a : CET on u; Gefrierpunkts- | 1:1,92=GM ( wa erniedrigung A| berechnet y Rohrzucker . Er: 0,937 zäl 2,445 ° Traubenzucker . . . 1,125 1,292 1,273 I/Rohrzuekern zer 0,975 1,223 2,560 ° | Traubenzucker . . . 1,050 1,193 1,333 KRohrzuckersk 222.8: 0,80 1,621° : \ Traubenzucker . . . 0,90 0,844 Wenn Tröndle aus seinen plasmolytischen Bestimmungen den Schluss zieht, dass die Permeabilität des Plasmas für Glukose ım Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. 499 Licht höher ıst als im Dunkeln, so bleibt die Bereehtigung dieses Schlusses wohl bestehen. Aber der absolute Wert der Permeabilität dürfte niedriger zu veranschlagen sein als es Tröndle tut. In dem zweiten der oben angeführten Versuche wäre sogar nach dem Ergebnis der plasmolytischen Bestimmung die Permeabilität für Rohrzucker größer als für Glukose”), Denn die mit 1,223 GM Rohrzucker isotonische Glukoselösung enthält, nach Morse’s Er- fahrungen berechnet, 1,333 GM Glukose ım Liter, während Tröndle schon 1,193 GM Glukose ısotonisch fand. Eher lässt sich aus den Zahlen des mitgeteilten Versuchs von Ruhland entnehmen, dass Traubenzucker leichter permeiert als Rohrzucker. Von Elektrolyten sind die osmotischen Drucke neuerdings nicht wieder direkt gemessen worden. Berechnet wurden sie gewöhnlich nach dem van t’Hoff’schen Gesetz unter Berücksichtigung des aus der elektrischen Leitfähigkeit bestimmten Disassoziationsgrades. Im folgenden soll das für volumnormale Kalisalpeter- und Kochsalz- lösungen geschehen, unter Anwendung des nach M orse modifizierten van t’Hoff’schen Gesetzes, und zur Probe soll auch die Berech- nung aus der Gefrierpunktserniedrigung ausgeführt werden. Wenn 1GM oder 101 g KNO, zum Liter gelöst werden, hat die Lösung die Dichte 1,059, das Liter wiegt also 1059 g. Auf Salpeter treffen davon 101 g, auf Wasser 958 g (nicht 952 g, was der Fall wäre, wenn keine Kontraktion stattfände; denn das spe- zifische Gewicht des Salpeters ist 2,1, also das Volumen von 101 g:48 ccm). Auf 1000 g Wasser einer solchen Lösung kommen — -101 g Salpeter. Allgemein berechnet sich die Gewichts- normalität einer Lösung, deren Volumnormalität und Dichte bekannt sind, nach der Formel 1000 m 1000s—m-M Darin bedeutet s das spezifische Gewicht der Lösung, M das Äquivalentgewicht (bezw. Molekulargewicht) des gelösten Körpers, 7) Ähnlich liegen die Verhältnisse in den Fällen, wo Tröndle aus seinen Versuchen eine geringe Permeabilität für Kochsalz folgert. Nach längerem Aufenthalt der Buchsblätter im Dunkeln waren z. B., wie p. 188 am Schluss von Versuch 10 mitgeteilt wird, isotonisch 0,705 Mol NaCl und 1,012 Mol Rohrzucker. Wenn das Molekulargewicht von NaCl zu 58,5 angenommen wird, die Dichte der 0,705 Mol-Lösung zu 1,028, dann enthält die Lösung auf 1000 &g Wasser 0,714 Mol NaCl. Die Rohrzuckerlösung enthält auf 1000 g Wasser 1,29 Mol. Der Dissoziations- grad der Kochsalzlösung ist etwa 0,72, die mit 1,29 Mol Rohrzucker isotonische Lösung müsste also 1,29:1,72 = 0,750 Mol NaCl auf 1000 g Wasser enthalten. Noch ungünstiger wird das Verhältnis, wenn man die Gefrierpunktserniedrigungen der isotonisch gefundenen Lösungen ins Auge fasst. Für 0,705 Mol NaCl ist 4 — 2,4", für 1,012 Mol Rohrzucker ist 4 = 2,7°. Die osmotische Konzentration der Zucker- lösung wäre danach 1,125mal so groß als die der Salzlösung. [9 500 Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. m die Anzahl der Grammäquivalente (bezw. der Grammoleküle) im Liter Lösung. Für die Berechnung des osmotischen Druckes muß natür- lich noch der Dissoziationsgrad a und die Zahl k der Ionen, in die ein dissoziiertes Molekül zerfällt, bekannt sein. Der osmotische Druck einer Lösung, die m GM im Liter enthält, ist dann bei der Temperatur t° all + (k — 1)a]- 1000 PG2AUH 73) Aus mM Die Berechnung aus der Gefriertemperatur geschieht nach der oben (p. 492) angegebenen Formel. Die Dissoziation ändert sich nicht mit der Temperatur. Nach diesen Formeln berechnen sich für ee (M = 101) und für die Temperatur 18°, wobei 22,4-(1 ie - —,) = 23,88 ist, die Atmosphären. folgenden Werte. m = 0,1. s= 1,006; «= 0,828. Daraus P = 4,38 Atm. A= 0,3314°. Daraus P = 4,26 Atm. 11,0: s= 1,059; a—= 0,636. Daraus P = 40,79 Atm. A = 2,656°. Daraus P = 34,43 Atm.?). Für Natriumchlorid (M = 58,5) ist, wenn m =0,17: ss 1,027: ,@ = 0,115.0 DaraussP/— 291 3y Nm: A= 2,399. 2) Daraus D= 31,07 Am. Wie man sieht, stimmen die aus a und die aus A berechneten Werte gar nicht gut überein, besonders schlecht bei der Mollösung von Kalisalpeter. Wie das zu erklären ist und auf welchem Weg man zu zuverlässigen Berechnungen des osmotischen Druckes dieser Lösungen kommt, darüber hat mir Herr Dr. O. Stern in Breslau, dem ich hierfür wie für seinen Rat in einigen anderen Fragen zu großem Dank verpflichtet bin, in der liebenswürdigsten Weise Aul- schluss gegeben. Nach seiner Mitteilung gibt die Berechnung aus a falsche Werte, weil a aus der elektrischen Leitfähigkeit abgeleitet 8) Für die hochkonzentrierten Salpeterlösungen, mit denen Fitting (1911, p. 237) gearbeitet hat, nämlich 2 und 3 GM im Liter, finde ich in der Literatur keine Bestimmungen der Gefriertemperatur. Im Vorübergehen mag darauf hingewiesen sein, dass mit Hilfe der Kryoskopie schon von Cavara (1905) bei Halophyten ähnliche osmotische Konzentrationen fest- gestellt worden sind, wie sie Fitting mit der plasmolytischen Methode bei Wüsten- pflanzen gefunden hat. Die Arbeit Cavaras ist wenig bekannt geworden, deshalb gibt Bottazzi (1908, p.224—244) in dankenswerter Weise einen ausführlichen Auszug. Danach ist die beträchtlichste Gefrierpunktserniedrigung bei Haloenemum strobila- ceum zu 8,50° ermittelt worden (Bottazzi, p. 236). Das entspricht schon bei der Gefriertemperatur einem osmotischen Druck von 102 Atmosphären, und bei 18° erhöht sich dieser Wert auf 112 Atmosphären. Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. 501 ist und die Ionenbeweglichkeit mit der Konzentration sich ändert. Aus A ist der osmotische Druck für die Gefriertemperatur der Lösung wohl immer genau zu berechnen, aber für höhere Tempe- raturen können die Werte falsch werden, wenn man annimmt, dass der osmotische Druck der absoluten Temperatur proportional ist. Diese Proportionalität gilt für Körper, deren Lösungen beim Ver- dünnen keine Wärmetönung zeigen, also z. B. für Rohrzucker, aber sie gilt nicht genau für Salze. Der osmotische Druck steigt näm- lich stärker als die absolute Temperatur, falls beim Verdünnen der Lösung Wärme aufgenommen wird, wie es bei Kalisalpeter und Kochsalz geschieht. Herr Dr. Stern hat für Lösungen, die 1 Mol Kalisalpeter bezw. Kochsalz in 1000 g Wasser (also Konzentration nach Raoult und Morse) enthalten, die Korrektionsgrößen aus der Verdünnungs- wärme berechnet. Die Berechnung ist so umständlich und kom- pliziert, dass ich nur das Ergebnis wiedergeben will. 1GM KNO, in 1000 g Wasser. A — 2,56°. Osmotischer Druck bei der Gefriertemperatur 30,8 Atm., bei 18° ohne Korrektion 33,2 Atm., korrigiert 33,2 + 2,4 = 35,6 Atm. 1 GM NaCl in 1000 g Wasser. A— 3,424°. Osmotischer Druck bei der Gefriertemperatur 41,26 Atm., bei 18° ohne Korrektion 44,5 Atm., korrigiert 44,5 + 0,98 —= 45,5 Atm. Wie oben auseinandergesetzt, sind für plasmolytische Arbeiten die alten volumnormalen Lösungen bequemer zu handhaben. Für 1 Mol KNO, im Liter dürfte nun der Druck bei 18° zu 34,4 (s. oben) + 2,4 Atm. oder rund 37 Atm. zu veranschlagen sein. 0,1 Mol KNO, gibt einen Druck von etwa 4,3 Atm. (s. oben). Für Konzen- trationen zwischen 0,1 und 1 Mol ist es wohl für physiologische Zwecke gestattet, die osmotischen Drucke durch geradlinige Inter- polation abzuleiten. Danach würde eine Lösung, die 0,5 Mol Kalı- salpeter im Liter enthält, einen Druck von 20 Atmosphären ent- wickeln. Kochsalz gibt höhere Drucke. Für 0,1081 Mol NaCl im Liter ist A —= 0,3756°, also für 0,1 Mol etwa 0,348°; der osmotische Druck bei 18° (unkorrigiert) 4,5 Atm. 0,7 Mol: P = 31,07 Atm. (s. oben); korrigiert zwischen 31 und 32 Atm. Die Lösung, die 1 Mol NaCl (58,5 g) in 1000 g Wasser enthält, ist 5,53°/,ig (Gewichtsprozente); eine 5,5°/ ige Lösung hat (bei 15°) das spezifische Gewicht 1,039, was zugleich die Dichte der volumnormalen Lösung ist (Landolt- Börnstein, p. 322 und 343); die gewichtsnormale Lösung wird also infolge der Kontraktion etwas konzentrierter als die durch Auffüllen gewonnene volumnormale Lösung, und der letzteren dürfen wir deshalb einen osmotischen Druck von rund 45 Atm. (korrigiert) geben. Beim Kochsalz ist also der osmotische Druck proportional der auf das Liter Lösung bezogenen molaren Konzentration; für 502 Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. 0,7 Mol z. B. berechnet sich der Druck zu 7-4,5 = 31,5 Atm., was zu dem oben aus A abgeleiteten Wert sehr gut stimmt. Am mangelhaftesten ist die Proportionalität zwischen osmo- tischem Druck und „Konzentration“ der Lösung, wenn der Gehalt an gelöster Substanz in Gewichtsprozenten der Lösung angegeben wird. Overton berichtet z. B. (1907, p. 798): „Während eine 6,7°/,ıge Rohrzuckerlösung nur etwa den gleichen Dampfdruck wie eine gleich temperierte 0,67 °/ ige Kochsalzlösung ausübt, besitzt eine 67°/,ige Rohrzuckerlösung fast denselben Dampfdruck wie eine 18'/,°/,ıge Kochsalzlösung von gleicher Temperatur.“ Das Ver- hältnis der gewichtsprozentischen Konzentrationen ist also bei diesen ısotonischen Lösungen ım ersten Fall 10:1, ım zweiten nur 3,6:1. Es fragt sich, ob die „osmotischen Konzentrationen“ (im Sinne Hamburger’s, aber auf 1600 g Wasser bezogen), in jedem Lösungs- paar einander entsprechen. Dichte von Rohrzuckerlösungen bei 15° nach Landolt-Börnstein, p. 364. 6°/,:1,02287; 7°], :1,02692. Daraus interpoliert: 6,7°/, : 1,0257. 67°, :1,33109. Dichte von Kochsalzlösungen bei 15° nach Gmelin-Kraut: 1°, : 1,00725; 18%, : 1,1355 192], 21,143. Daraga interpoliert: 0,571,:2.0012 18:59 12215139: Die Gehalte der Lösungen in g Substanz pro 100 cem Lösung werden dann erhalten durch Multiplikation der Gewichtsprozente mit dem spezifischen Gewicht. Das Molekulargewicht von NaCl ist zu 58,5 angenommen. Der Dissoziationsgrad «a von Kochsalzlösungen bei 18° ist nach Abegg, Handbuch der Anorganischen Ohemie II. 1. (1908), p. 231: Mole im Liter: 0,1 0,2 0,5 1 2 5 0: 0,844 0,805 0,743 0,682 0,595, 0,392. Daraus sind durch graphische Interpolation die für die Berechnung verwendeten Werte abgeleitet; bei 0,115 Mol im Liter ergibt sich für « etwa 0,83, bei 3,6 Mol etwa 0,50. Die wichtigsten Daten für die Berechnung der osmotischen Konzentrationen unserer Lösungen sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Tabelle 8. — - - ——— 5 | i GM i GM in R = gm N ın | 1 Any Gen | 1000 cem | 1000 cem 1-+.«a | 1000 8 Bar re ı Lösung | Lösung | Wasser | ° ) - ——— — —- ——— = ET m —— = Nm: — _ _ | —— \ Rohrzucker . . 6,40 368% 0,201 0,210 1 Kochsalze OB 0,119027 71,63 0,115 0,210 jRohrzucker . . | 62 | 891,72 | 2,607 | 5,84 ) Kochsalze 22 18,5 In 2L0T 3,6 12521550: 17 .3,88 5,82 I | | | I Nach der früheren Rechnungsweise müsste die 18,5 °/,ige Koch- salzlösung einen viel höheren osmotischen Druck haben als die 67°/,ıge Rohrzuckerlösung. Denn die erste enthält 3,6 Mole zur Hälfte dissozuerter Substanz im Liter Lösung, die zweite nur 2,6 Mole nicht ionisierter Substanz. Die Wassermengen, in denen See Muaf = i= Ha Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. 505 diese Quantitäten gelöst sind, sind aber recht verschieden groß; das Salz ist in 928g, der Zucker in 439 g Wasser aufgelöst. Wenn die molekularen Konzentrationen auf 1000 g Wasser bezogen werden, kehrt sich ihr Verhältnis um. Wird nun die Dissoziation der NaÜl- Lösung berücksichtigt, so ergibt sich für die Molionen dieser Lösung fast dieselbe Zahl wie für die Moleküle der Zuckerlösung. Voll- kommen gleich erscheint die osmotische Konzentration der beiden verdünnteren Lösungen. In Zukunft wird es bei plasmolytischen Bestimmungen immer nötig sein, genau anzugeben, in welcher Weise die verwendeten Lösungen hergestellt worden sind°). Im Text wird man sich dann einer vereinfachten Bezeichnungsweise bedienen dürfen, wenn von Anfang an die Möglichkeit eines Missverständnisses ausgeschlossen wird. Es war bisher üblich, z. B. eine Lösung, die 10 g einer Sub- stanz in 100 ccm enthält, als 10prozentig zu bezeichnen, und das wird der Kürze wegen wohl auch so bleiben. Genau besehen sind diese sogen. „Volumprozente“ freilich ein Unding, sobald das spe- zifische Gewicht der Lösung vom Wert 1 abweicht. Es werden ja in dem Verhältnis 10: 100 inkommensurable Größen, nämlich das Gewicht des gelösten Körpers und das Volumen der Lösung, aufeinander bezogen. Ergebnis. Für plasmolytische Bestimmungen ist unter einer Mollösung, d. h. einer Lösung, die den gleichen Druck entwickelt wie ein auf das Volumen von 1 Liter gebrachtes Mol Gas, eine Lösung zu ver- stehen, die 1 Mol Substanz in 1000 g Wasser aufgelöst enthält. Damit ist die Übereinstimmung zwischen der plasmolytischen und der kryoskopischen Methode für die Berechnung des osmotischen Druckes hergestellt. München, Pflanzenphysiologisches Institut. Zitierte Literatur. Abegg, Handbuch der Anorganischen Chemie. 1908. Berkeley and Hartley, A method of measuring directly high osmotic pressures. Proceed. Roy. Soc. London 73, p. 436, 1904. Dies. (1906a), The determination of the osmotie pressures of solutions by the measurement of their vapour pressures. Proceed. Roy. Soe. London, Series A, vol. 77, p. 156, 1906. Dies. (1906b), On the osmotic pressures of some concentrated aqueous solutions. Transact. Roy. Soc. London, Series A, vol. 206, p. 481, 1906. Bottazzi, Osmotischer Druck und elektrische Leitfähigkeit der Flüssigkeiten der einzelligen, pflanzlichen und tierischen Organismen. Ergebnisse der Physio- logie, herausgeg. von Asher und Spiro, 7. Jahrg., p. 161, 1908. 9) In einer Arbeit „Experimentelle Beiträge zur Kenntnis der Wasserbewegung“ (Flora, Neue Folge, 3. Bd., 1911) habe ich die Zuckerlösungen. von denen p. 23% die Rede ist, schon nach dem Morse’schen Rezept hergestellt; die Angaben über den osmotischen Druck brauchen also nicht korrigiert zu werden. 504 Renner, Über die Berechnung des osmotischen Druckes. Cavara, Risultati di una serie di ricerche erioscopiche sui vegetali. Contribuzioni alla biologia vegetale. IV. 1905. (Zitiert nach Bottazzi, der einen Aus- zug gibt.) Cohen und Commelin, Osmotische Untersuchungen. Erste Mitteilung. Zeitschr. f. Physikal. Chemie, 24, p. 1—52, 1908. Dixon and Atkins, On osmotie pressure in plants; and on a thermoelectric method of determining freezing-points. Notes from the Botanical School of Trinity College, Dublin, vol. 2, p. 48, 1910. Drucker, Umwandlung der Aggregatzustände In Müller-Pouillet, Lehrbuch der Physik, 10. Aufl., 3. Bd., 1907, Braunschweig. Errera, Sur la myriotonie comme unit& dans les mesures osmotiques. Acad. roy. de Belgique. Bull. de la classe des sciences. 1901, p. 135. Ders., Cours de physiologie mol6culaire. Brüssel 1907. Fitting, Die Wasserversorgung und die osmotischen Druckverhältnisse der Wüsten- pflanzen. Zeitschr. f. Bot., 3, p. 209, 1911. Gmelin-Kraut, Handbuch der Anorganischen Chemie. Hamburger, Ösmotischer Druck und Ionenlehre in den medizinischen Wissen- schaften. Wiesbaden, I. Bd., 1902. Höber, Physikalische Chemie der Zelle und der Gewebe. 3. Aufl., 1911. Jost, Vorlesungen über Pflanzenphysiologie. 2. Aufl., 1909, Jena. Keeble, Practical plant physiology. London 1911. van Laar, Einige Bemerkungen über den osmotischen Druck. Zeitschr. f. physikal. Chemie, 64, p. 629-—632, 1908, Landolt-Börnstein, Physikalisch-chemische Tabellen. 3. Aufl., 1905. Livingston, The röle of diffusion and osmotie pressure in plants. Chicago 1903. Morse and Frazer, The osmotie pressure and freezing points of solutions of cane sugar. Amer. chem. journal 34, p. 1—99, 1905. Weitere Arbeiten von Morse mit verschiedenen Mitarbeitern ibid. 36, 1906, p. 1 u. 39. 3%, 1907, p. 324, 425, 558. 38, 1907, p. 175. 39, 1908, p. 667. 40, 1908, p. 1, 194, 266,.325. 41, 1909, p. 1, 92, 257.45, 1911, p:91, 237,5.383,. 602. Nernst, Theoretische Chemie. 5. Aufl., 1907. 6. Aufl., 1909. Ostw ald, Grundriss der Allgemeinen Chemie, 4. Aufl., Leipzig 1909. Overton, E., Über die osmotischen Eigenschaften der lebenden Pflanzen- und Tier- zelle. Vierteljahrsschr. Naturf. Ges. Zürich, 40, 1895, p. 159—201. Ders., Über den Mechanismus der Resorption und der Sekretion. Nagel’s Hand- buch der Physiologie des Menschen, II. Bd., 1907, p. 744—898, Pantanelli, a) Zur Kenntnis der Turgorregulation bei Schimmelpilzen. Jahrb. f. wiss. Bot., 40, p. 303, 1904. — b) Studi sull albinismo nel regno vegetale. Studio IV. Sul turgore delle cellule albicate. Malpighia, 18, p. 97, 1904. Pfeffer, Osmotische Untersuchungen. Leipzig 1877. Ruhland, Untersuchungen über den Kohlehydratstoffwechsel von Beta vulgaris. Jahrb. f. wiss. Bot., 50, p. 200, 1911. Spens, The relation between the osmotic pressure and the vapour pressure in a concentrated solution. Proceed. Roy. Soc. London, Ser. A, vol. 77, p. 234, 1906. Tröndle, Der ar des Lichtes auf die Permeabilität der Plasmahaut. Jahrb. f. wiss. Bot., 48, p. 171, 1910. de Vries, Eine hie zur Analyse der Turgorkraft. Jahrb. f. wiss. Bot. 14, 1884. Walden, Über organische Lösungs- und Isolierungsmittel. Zeitschr. f. physikal. Chen 58, p. 479, 1907. Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. 505 B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. Von J. H. F. Kohlbrugge. Die Geschichte der Naturwissenschaften kennt viele traditionelle Auffassungen, die seit Jahrzehnten von dem einen Buche in das andere hinübergeschleppt werden und als feststehende Wahrheiten gelten, die nicht mehr geprüft zu werden brauchen. Geht man nun aber auf die Quellen zurück, dann zeigt sich, dass sie trotzdem un- richtig sein können. Eine solche Auffassung ist: dass Lamarck der erste theore- tische Begründer der Deszendenzlehre sei, die von ihm wie etwas neues geschaffen wurde. Zwar kennt man dann noch einige Vor- gänger, die wenigstens die Variabilität der Art gelehrt haben, aber niemand, so meint man, machte daraus ein System, eine Lehre, bis Lamarck diesen großen Schritt tat. Zwar wird in historischen Betrachtungen ab und zu de Maillet erwähnt, von dem man dann spottend erzählt, dass er an die Märchen der Meermänner und Meerweiber geglaubt habe, aus denen er dann Menschen hervorgehen ließ!). Wenige scheinen die große historische Bedeutung seines Buches des „Telliamed“ zu kennen, das manche, die es beurteilten, wohl nur flüchtig durchblätterten. Gelesen haben es wohl nur wenige und unter diesen war dann noch manch einer, der es nur in dem Lichte der heutigen Zeit betrachtete und dann erscheint de Maillet’s Arbeit allerdings wie ein wunder- liches, märchenhaftes Produkt. Man sollte sich anstatt dessen aber die Frage stellen: „War de Maillet’s Buch ein Fortschritt für die damalige Zeit.“ Darüber wollen wir zunächst das Urteil der Zeitgenossen hören, um zu zeigen, dass wir es hier weder mit dem Buche eines unbe- kannten, bald vergessenen Autors zu tun haben, das hier als eın Kuriosum gezeigt wird, noch mit dem vorübergehenden genialen Einfalle eines Mannes, der verborgen blieb, sondern mit einem da- mals allgemein bekannten und berühmten Buch. Zum Beweise diene in erster Linie ein Verzeichnis von D.Mor- net?). Dieser sammelte 500 Kataloge der französischen öffentlichen Bibliotheken des 18. Jahrhunderts, um festzustellen, welche natur- wissenschaftlichen Schriften damals am weitesten verbreitet waren. Es fanden sich: Buffon: Histoire naturelle generale, 220 Exemplare. 1) A.Thienemann. Die Stufenfolge der Dinge. Habilitationsschrift, S. 227. Münster, Würzburg 1909. Eine treffliche, ernste historische Studie. Ungünstig urteilt auch Osborn. From the Greeks to Darwin. S. 111. 1894. Allerdings ist dieses angenehm geschriebene Buch keine Quellenstudie. 2) D. Mornet. Les sciences de la nature en France au XVIIIe siecle, Paris 1911. 306 Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. Le Pluehe: Le Spectacle de la nature, 9 vol., 1732 ete., 206 Exemplare. Valmont de Bomare: Dictionnaire raisonn& universel d’hist. nat., Paris 1764 ect., 3 vol., 93 Exemplare. Dezailler d’Argenville: L’histoire naturelle 1742, 86 Exem- plare. Reaumur: Me&moires pour serrir a l’histoire des insectes. 1734—42, 6 vol., 82 Exemplare. de Maillet: Tellıamed ou entretiens d’un philosophe indien avec un missionnaire francais sur la dıminution de la mer, la for- mation de la terre, l’origine de ’homme ete., 1748 ete., 70 Exemplare. Demnach gehörte der Telliamed zu den sechs berühmtesten Büchern der Naturwissenschaft jener Zeit. Dass solch ein Buch mehrere Auflagen erlebte, war zu erwarten. Zunächst wurde die 1715?) entworfene Schrift allerdings nur als Handschrift verbreitet. Darüber berichtete Malesherbes*) um 1750: „manuscrit femaux qui a &t& pendant vingt ans entre les mains de tous les gens de lettres et qu’on a imprim& depuis sous le nom de Telliamed.“ Der erste Druck fand erst 1735 in Amster- dam statt, das Buch erschien aber erst 1748 ım Buchhandel’). Weiter sah ich persönlich die Auflagen Basle 1749, La Haye 1755. Krause‘) und Le Luc (siehe unten p. 274) nennen eine 1750 in London erschienene englische Übersetzung. Die Biographie univer- selle nennt eine Auflage Parıs 1755, Thienemann (I. c.) notierte La Haye 1750’). Buffon, der mit kritischem Blick überall das beste für sein großes Werk zusammensuchte, schloss sich in seiner „Theorie de la terre“ eng an die Ausführungen de Maillet’s an. Allerdings ohne den Autor zu zitieren, dessen Manuskript er gekannt haben muss. Malesherbes protestiert denn auch gleich nach dem Erscheinen der Theorie de la terre dagegen, dass Buffon diese „ma theorie“ nannte und dies schließlich selbst glaubte (l. c., S. 225): „Qu’est ce done appartient a M. de Buffon dans cette theorie de la terre.“ Er wies dann auf Bernard Palissy und de Maillet als Väter dieser Theorie hin. Übrigens wusste auch Buffon und so auch 3) Der Autor verlegt die dem Buche zugrunde liegenden Gespräche selbst in die Jahre 1715 und 1716. 4) G. de Lamoignon de Malesherbes. Observations sur Y’'histoire natu- relle gen@rale et particuliere de Buffon. Vol. I, p. 224, 1798. 5) Nach Isidor Geoffroy St. Hilaire. Resumes des Vues in Histoire nat. generale, t. II, p. 2, 1859. 6) E. Krause. E. Darwin und seine Stellung in der Geschichte der Des- zendenzlehre. S. 213, Leipzig 1880. 7) Vielleicht ist dies ein Irrtum und ist die Auflage von 1755 gemeint. Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. 07 Cuvier unseren de Maillet zu schätzen®). Viele Seiten widmete ihm der Geologe de Luc°’), der manches in seiner Arbeit lobte, übrigens aber als gläubiger Katholik fast überall anderer Meinung war, auch dort, wo die Folgezeit die Resultate de Maillet’s be- stätigte. Wenn de Luc so ausführlich auf ıhn einging, dann war dies wohl besonders dem folgenden Umstand zuzuschreiben: „Il est connu de tous ceux qui se sont un peu occupes de ce que le monde a &te autre fois, ıl merite donc bien qu’on l’examine (de Luc, l. c., p. 274).“ Aus demselben Grunde referierten ihn auch andere Zeitgenossen !P. Goethe!!) hat den Telliamed wiederholt benutzt. Auch später haben manche bedeutende Männer ihm gehuldigt. Huxley‘) schrieb: „Considering that this book was written before the time of Haller or Bonnet, or Linnaeus or Hutton, it surely deserves more respectful consideration than it usually recei- ves.“ Nach Zittel!?) übertrifft der Telliamed an „Originalität der Ideen und an Reichtum gut beobachteter Tatsachen die Mehrzahl der Werke ähnlichen Inhalts im vorigen Jahrhundert (18.)“. Ebenso günstig äußerte sich der Geologe und Historiker d’Archiac'), auch Quaterfages!?) ging ausführlich auf ihn ein. Als Lamarck’s Deszendenztheorie erschienen war, sahen dessen Zeitgenossen in ihm einen Nachfolger des allen bekannten mM 8) „Maillet critiqu& par Voltaire fut applaudi par Buffon et par Cuvier“ schreibt die Biographie universelle. Leider kann ich die Stellen nicht angeben. Ich suchte in der Theorie de la terre und den Epoques de la nature von Buffon, fand dort aber den Namen de Maillet nicht. Wohl aber erinnere ich mich, dass ich beim Lesen der Schriften Buffon’s wiederholt den Namen de Maillet gelesen habe, damals notierte ich aber noch nicht jede Stelle über de Maillet, der mir erst später auffiele So sind mir viele Bemerkungen von Zeitgenossen entgangen. Für Voltaire gibt Mornet (l.c.) an: Oeuvres publies par L. Moland, Paris 1877 1882 (50 vol; m 89), t.%,.p- 175, 183, t. XXI, p. 331. t. XXVII, ;p. 156, 221 etc. Bekanntlich griff Voltaire die katholische Kirche und die Atheisten in gleicher Weise an. 9) De Luc. Lettres physiques et morales sur l’histoire de la terre et de l’homme. Paris, La Haye, 1778—79, Vol. II, p. 269—354, Lettre XLI—XLIV. 10) Clement Les cing ann6es litteraires (1748—1752), t. I, p. 135, Berlin 1756. Seine Beobachtungen werden geschätzt, aber nicht seine Deduktionen. Mornet nennt noch La Porte, Öbservations sur la litt@rature moderne, t. I, p. 304-331. 11) In der Weimarer Ausgabe von Goethe’s Schriften findet man de Maillet an den folgenden Stellen. II. Abt., Bd. 13, Nachträge S.298, 300 und 302. Außer- dem steht fest, dass Goethe den Telliamed im Jahre 1806 und nochmals 1816 aus der Bibliothek in Weimar kommen ließ. 12) Encyclopedia britannica. Ed. 9. Artikel Evolution. 13) A. v. Zittel. Geschichte der Geologie und Paläontologie. S. 46. 1899. 14) d’Archiac. Cours de palöontologie stratigraphique. T. I, pp. 266— 277, 1862. 15) Quaterfages. Precurseurs francais de Darwin. Paris 1870. D0S Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. de Maillet. So Geoffroy Saint Hilaire'), Bertrand”), Cuvier®®). Letzterer nannte Anhänger der Deszendenzlehre „sec- tateurs de Maillet“. Aber nicht nur in bezug auf die Deszendenzlehre, sondern auch als Geologe schloss Lamarck sich in seiner Hydrogelogie an de Maillet an (Cuvier, l.c.). Für die Deszendenzlehre schrieb Lyell!®): „These (Lamarck’s) speculative views had already been in a.great degree antiecipated by Demaillet in his Telliamed.“ Die große Übereinstimmung zeigte sich besonders auch darin, dass: „Lamarck was inclined to assert the priority of the types of marine animals to those of the terrestrial, so as to fancy for example, that the testacea of the ocean existed first until some of them by gradual evolution were improved into those inhabiting the land.“ Der Leidener Zoologe van der Hoeven®) verglich de Maillet und Lamarck noch im Jahre 1855 und d’Archiac tat das gleiche 1862 (l. e.). Im der Biographie universelle schrieb C. Dareste: „A la premiere vue on reconnait entre les idees de Maillet et celles de Lamarck une analogie tellement grande, qu’il est impos- sible d’adınettre que Maillet n’ait pas &te le point de depart de Lamarck.“ Es ist so häufig aufgefallen, dass Lamarck, der früher ein Anhänger der Konstanz der Spezies gewesen, sich 1801 plötz- lich zu der gegenteiligen Auffassung bekannte?!. Man darf an- nehmen, dass seine geologischen Studien (Hydrogeologie, 1802) ihn auf de Maillet geführt haben, dem er dann erst Gedanken zur Hydrogeologie und dann zu einer Deszendenzlehre entlehnt haben würde. Wie gesagt, ist die Übereinstimmung auffällig und war der Telliamed ein viel zu bekanntes Buch, als dass man Lamarck hier entschuldigen könnte, der ja auch sonst seine Vorgänger nicht zu nennen pflegte ??). 16) Geoffroy Saint Hilaire. lÜtudes progressives d’un naturaliste, p. 104, 1835. 17) A. Bertrand. Lettres sur les r&volutions du globe. Ich sah nur die 5. Auflage. Paris 1839. Introduction, p. 10. Diese Auflage wurde auch ins Deutsche übersetzt: Die Revolutionen des Erdballs. Kiel 1544. 18) Cuvier. Discours sur les r&evolutions du globe 6® ed., p. 47—49, Paris 1530. Anatomie comparee, T. I, p. 99—100, Paris 1835. 19) Lyell. Principles of geology II, p. 417. 4. Aufl.; II, p. 551. 5. Aufl. 20) van der Hoeven. Handschriftliche Notiz in dem Exemplar des Tel- liamed der Utrechter Universitätsbibliothek. 21) Discours du 21 floreal de l’an VIII (1801), später gedruckt in Systeme des animaux sans vert®bres an IX und Discours du 27 floreal de l’an X, gedruckt in Recherches surl organisation des corps vivants. Vgl. J.B.de Lamarck. Discours d’ouverture des cours de zoologie. Bul. sci. France-Belgique, Paris, XL, 1907, p- 443—49, mitgeteilt durch A. Giard und M. Landrieu. 22) de Lanessan. Buffon et Darwin. Revue scientifique, T. 43, p. 431, 1889. — Packard, A. S. Lamarck, the founder of evolution, New York, p. 226— 231, 1901. RE Kohlbrugge, B de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. 509 Es war demnach Lamarck ein de Maillet redivivus, ganz wie die Zeitgenossen”) Darwin’s zu dessen Ärger), in ihm einen Lamarck redivivus sahen. Das genügt wohl um zu zeigen, dass wir in de Maillet nicht etwa einen obskuren Autor vor uns haben, sondern dass seine Schrift den Zeitgenossen und weiter während der folgenden hundert Jahre allgemein bekannt war. Er verdient darum eine erste Stelle, wenn die Geschichte der Deszendenztheorie behandelt wird. Als Darwin 1844 schrieb: „With respect to book on this subjeet, I do not know of any systematical one except Lamarck’s”), da zeigte er, wie später wiederholt?®), dass er die Geschichte seiner Wissen- schaft nicht kannte, denn er hätte hier wenigstens de Maillet nennen müssen. Gehen wir nun noch kurz auf den Autor und sein Werk ein. Über ihn selbst habe ich nichts neues zu berichten. Benoit de Maillet wurde am 12. April 1656 geboren?”). Im Jahre 1692 wurde er consul general de France in Egypten, wo er meist in Kairo wohnte?®) und Material zu seinen Werken über Ägypten und Abessinien sammelte, Im Jahre 1702 wurde er Generalkonsul in Livorno, bis er 1708 zum Inspekteur des &tablissements francais dans la meditsrannee 23) Ich nenne hier: Bronn. Jahrbuch für Mineralogie und Geognosie ete. von Leonhard und Bronn, H.I, 1860, S. 112. T. €. Winkler. Het ontstaan der soorten, Utrecht 1860. Holländische Übersetzung von Darwin’s Buch. In der Vorrede lesen wir, wie Staring sofort Darwin mit Lamarck verglich. Gubler, Preface d’une reforme des especes fond& sur le prineipe de la variabilite restreinte du type organique „M. Darwin s’empare des idees exposdes de La- marck“. Bull. de la soc. botan., S. 16, Paris 1862. _J. E. Gray: „Gray sah im Darwinismus lediglich eine Wiederholung des Lamarckismus.“ R. Burchhardt, Geschichte der Zoologie, S. 127, Leipzig 1908. van der Hoeven. Över natuur- kundige theorien omtrent de verschijnselen van het leven en bepaaldelijk over Dar- win’s theorie. Naar W. Hopkin’s in Fraser’s magazine of town and countıy, Nr. CCCLXVI, CCCLXVII, 1860. Haarlem 1860. Ch. Lyell. Life letters and journals, London 1881, vol. II, S. 363—65, 332, 436 (1863). Th. H. Huxley. Life and letters II, p. 42 (1882), 1900. 24) Ch. Darwin. Life and letters II, p. 23, 1844; II, p. 29, 1844; II, p. 39; II,p. 121,158. Besonders Lyell an Darwin 15 March 1863 in Lyell’s letters II, p- 365. 25) Life and letters II, p. 29, 1844. 26) Das zeigte Darwin von neuem in dem historical sketch, den er der 4. Auflage seines Buches vorangehen ließ. Es gehört mit zu dem oberflächlichsten, was in dieser Richtung geschrieben wurde. An anderer Stelle komme ich darauf zurück. 27) Nach der Biographie universelle. Nach der Auflage des Telliamed, la Haye 1755 ist 1659 sein Geburtsjahr und stammte er aus einer adeligen Lothringschen Familie. Diese Ausgabe bringt überhaupt alles, was wir über de Maillet wissen. 28) De Maillet’s politische Korrespondenz ist noch erhalten. Sie findet sich in „les archives du ministere des affaires ötrang®res, fonds correspondance d’Egypte“. Ich danke diese Mitteilung Herrn Bibliothekar Deh@erain vom Institut de France, >10 Kohlbrugge, B. de Maillet. J. de Lamarck und Ch. Darwin. ernannt wurde mit dem Standort in Marseille. Im Jahre 1715 trat er ın den Ruhestand und widmete nun seine Zeit der Ausarbeitung obengenannter Bücher und seiner an allen Ufern des Mittelländischen Meeres gesammelten hydrogeologischen Beobachtungen, die den ersten Teil des Telliamed bilden. Er starb ım Jahre 1738 zu Marseille. Wie oben bereits erwähnt ist, wurde der Tellıamed erst nur handschriftlich verbreitet, was in früheren Jahrhunderten öfter vor- kam?’), wenn man sich fürchtete, öffentlich mit seiner Meinung hervorzutreten. Der erste Druck begann bereits während des Lebens von de Maillet ın Amsterdam’). Das Buch erschien aber erst nach seinem Tode ım Buchhandel. Letzteres geschah nach dem Zeugnis des abbe La Mascrier nicht absichtlich, der Autor hatte dringend gewünscht, das Erscheinen des Buches noch zu erleben. Wohl aber ist Absicht nicht zu verkennen, wenn die erste Auflage den Namen des Autors nıcht bringt, obgleich dieser in dem Ana- gramm „Telliamed“ verborgen lag’). Auch der Herausgeber der Auflage Basle 1740 deutet sich nur mit seinen Initialen J. A. G. an°?), Alle diese Vorsorgungsmaßregeln genügten dem Autor aber noch nicht. Er versah das Buch außerdem mit einer Widmung und einer Einleitung, um etwaige ernste Angriffe im voraus zu ent- kräftigen. Die Widmung galt dem Öyrano de Bergerac, „auteur des voyages ımaginaires dans le soleil et dans la lune“. „C’est ä vous illustre Cyrano que jadresse mon ouvrage. Puis-je choisir un plus digne protecteur de toutes les folies qu’ilrenferme?* So konnte der Autor sich gegen jeden eventuellen Angriff der Kirche verteidigen, indem er seine Ausführungen einer phantastischen Reise nach dem Monde gleichstellte. Heute würden wir sagen, dass er sein Buch mit den Schriften Jules Verne’s verglich. In dem Vorwort wurde nun der Versuch gemacht, den Inhalt des Buches mit der Bibel in Übereinstimmung zu bringen. Schließ- lich wird dann noch der ganze Inhalt einem indischen Philosophen in die Schuhe geschoben, dessen Auseinandersetzungen der Autor getreu wiederzugeben verspricht, wodurch er nochmals jede Ver- 29) So geschah es auch mit dem interessanten Buche „Heptalomeros“ des alten Evolutionisten Jean Bodin. 30) In Frankreich anstößige Bücher wurden wie die des Descartes meist in Holland gedruckt. 31) „Maillet est peut &tre le seul auteur qui se soit avise de maculer d’un anagramme le frontispicee d’un livre de sciences“ (Ch. Nodier, nach Que@rard [siehe Anm. 32 unten| unter Telliamed). 32) Nach Mornet (l. ec.) wurde die erste Amsterdamer Auflage (1748) durch Guers herausgegeben. Diese war mir leider nicht zugängig. Die Auflage Basle 1749 nennt als Herausgeber J. A.G.... Vermutlich wird hiermit derselbe Guers angedeutet. Wer dieser Guers ist, finde ich auch bei Qu&@rard (Les supercheries litt@raires devoilces, Paris 1870) nicht angegeben. Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. 5 antwortung von sich abschob. Trotz dieser vielfachen Verkleidung und eben weil sie eine so vielfache war, die kein Verfasser eines wirklichen Phantasiestückes notwendig gefunden haben würde, zweifelte niemand an dem Ernst des Inhalts, fasste jeder (wie Nodier, l.c.) es als eine wissenschaftliche Arbeit auf, die denn auch auf den Protest der Anhänger der Kirche stieß °?). Das merkwürdigste an dem Buch ist nun, dass es in zwei durch- aus verschiedene Teile zerfällt. Es ist in sechs Tage eingeteilt. Die vier ersten beruhen auf Tatsachen, bringen also das, was bleibenden Wert hat und mit Recht gelobt wird. - Die Deduktionen dieses Teils beruhen auf einem riesigen, mit großem Fleiß und auf weiten Reisen und durch schwierige Meeresuntersuchungen und durch Literaturstudien gesammelten Material. In diesem Teil be- gründete er die evolutionistische Auffassung für die Bildung der Erde, und zwar weit besser und ausführlicher als sein einziger mir bekannter Vorgänger Bernard Palissy. Der zweite Teil ist, wenn er auch viele Gedanken bringt, die später zur Herrschaft gelangten, doch durchaus phantastisch, ıst aber trotzdem die erste ausführliche Darlegung einer Deszendenz- theorie für die organischen Wesen. Dieser Kontrast ist seit Cle- ment (l. c., 1756) jedem aufgefallen, der sich mit diesem Buche beschäftigte. Es liegen darüber zwei Erklärungen vor, die durch ihren Wider- spruch das Rätsel nicht lösen. Die Auflage des Jahres 1755 wurde durch den Abt Le Mas- erier°*) besorgt, der ein persönlicher Freund de Maillet’s war und von ihm mit der Ausgabe beauftragt worden war. Le Mascrier konnte also genau unterrichtet sein. Dieser teilt nun mit®’), dass de Maillet viele Jahre an seinem Manuskript herumkorrigierte, es wiederholt anderen Gelehrten zusandte und dann nach deren Be- merkungen abänderte, ja zuweilen auch verschlechterte: „Comme il est arrıv6 par l’addition des deux derniers entretiens, qu’il n’a ajoutes aux precedens qu’a la persuasion d’un e6erivain fort inge- nieux et tres cölebre“. Er meinte damit „de Fontenelle*“°*). 33) Ich gebe diese nach A. Mornet, 1. c. „les attaques viennent des pole- mistes catholiques (par ex. le P. Sennemaur, p. 14—16) d’apres Barbier; le P. Castel d’apres une note manuscrite sur l’exemplaire de la biblith®que nationale (R. 19645). Pensdes philosophiques d’un eitoyen de Montmartre La Haye 1756 in 12. In der Einleitung des Telliamed (Auflage La Haye 1755) liest man S.19, dass kirchliche Zeitgenossen ihn schalten: „un humme sans religion, un impie, un athee, un extravagant qui ne se repait que des chimßres.‘“ 34) Nach Abeille, dem Herausgeber des oben zitierten Buches von Males- herbes (siehe dort Anm. 4 oben), auch die Biographie universelle nennt Le Mascrier. 35) Man vergleiche: La vie de M.de Maillet p.25 in der Ausgabe La Haye 1755. 36) B. le Bovier de Fontenelle (1657—1757). Ein berühmter französischer Schriftsteller, besonders bekannt durch seine Reden (Eloges) über verstorbene Mit- glieder der französischen Akademie. 512 Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. Wie wir sehen, verurteilte Le Mascrier selbst de Maillet’s Deszendenztheorie. Darum ist es recht merkwürdig, dass L. P. Abeille?”) schon 1796 eben dem Le Mascrier die Schuld für den zweiten Teil des Telliamed zuschob. Le Mascrier habe den In- halt des ganzen Buches in sechs Tage eingeteilt, die Vorrede und und die Dedikation an Cyrano de Bergerac geschrieben und die beiden letzten Tage „un ramas de röveries et d’absurdites“ selbst erfunden: „Nous n’avons done pas dans Telliamed les memoirs du consul general d’Egypte. Nous n’avons que ce que Lemascrier a juge a propos d’en publier dans les quatre premiers entretiens mu- tile par les suppressions, les additions et les changemens.* Das ganze Buch wäre demnach verfälscht. — Ich ließ mich anfangs durch diese Beschuldigung Abeille’s beeinflussen, versuchte dann aber, sie auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Zunächst muss dann schon auffallen, dass, wie wir oben mitteilten, Le Mascrier selbst den Inhalt der letzten Tage verurteilte, weiter, dass die ältere nicht von ihm besorgte Auflage schon die beiden letzten Tage bringt. Da nun nach Malesherbes der Telliamed erst nur in Abschriften verbreitet wurde, so war es wahrscheinlich. dass sich auch noch Abschriften erhalten haben würden und ebenso unwahrscheinlich, dass nach dem Erscheinen der ersten Auflage noch weitere Abschriften angefertigt wurden. Man durfte also an- sehmen, dass etwaige Abschriften älter seien als die Drucke. Darum erschien es mir wichtig, festzustellen, ob solche Handschriften viel- leicht ohne die beiden letzten Tagewerke seien. Fehlten sie den Handschriften nicht, dann konnte man Abeille’s Behauptung als widerlegt betrachten. Es fanden sich nun in Frankreich noch drei solcher Abschriften des Telliamed. Eine ist in der Bibliotheque de l’arsenal und zwei andere in der Biblioth@que nationale zu Paris°®), Vergleicht man 37) L. P. Abeille, inspecteur general du conseil du bureau de commerce, bekannt durch seine ökonomischen Schriften, gab 1796 das oben zitierte Buch von Malesherbes heraus, M. selbst war guillotiniert worden. Malesherbes muss um 1750 sein Buch geschrieben haben, da er es kurz nach dem Erscheinen der ersten Auflage des Telliamed und der ersten Bände von Buffon (1749) verfasst hat. Er war damals aber nicht 18 Jahre alt (Biographie universelle), sondern 28 Jahre. 38) Das Manuskript der Bibliotheque de l’arsenal trägt den Tittel „Nouveau sisteme du monde ou entretiens de Teliamed, philosophe indien avec un missionaire francais“. Es bringt erst einen Auszug in 70 Seiten, dann ein Preeis du present ouyrage in 43 Seiten, und endlich den in nur drei Gespräche eingeteilten Text von 162, 119 und 223 Seiten. Die Manuskripte der Bibliotheque nationale finden sich unter Manuscrits francais Nr. 9774, 9775 Ms. de Telliamed. Außerhalb Paris findet sich keins, nach dem 40bändigen Catalogue general des manuserits des departements francais. Ein Originalbrief de Maillet’s (er bediente sich sonst immer eines Sekretärs) aus dem Jahre 1733 soll in der Bibliothek zu Avignon aufbewahrt sein. Ich danke diese Mitteilungen Herrn Bibliothekar L. Picard (Facult@ de medecine) in Paris, Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. Bi, diese mit den Drucken, dann zeigt sich sofort, dass alle nicht nur die geologischen und hydrologischen Studien de Maillet’s bringen, sondern im letzten Teil auch seine Deszendenzlehre. Im großen und ganzen erhält man den Eindruck, dass keine wesentlichen Unter- schiede vorliegen. Um gleiches auch für Details zu behaupten, wäre eine langwierige Vergleichung erforderlich. Alle unterscheiden sich aber in der Ausdrucksweise, im Stil, wie auch die gedruckten Auflagen. Daran zeigt sich, wie gut Le Mascrier unterrichtet war als er mitteilte, dass der Autor sein Manuskript wiederholt umge- arbeitet habe, je nachdem man ihm riet. Wir kennen diese Arbeits- weise ja auch von Goethe, und es wäre wünschenswert, wenn jeder Gelegenheit hätte, sie zu benutzen. Besonders aber ist durch diese Manuskripte wohl die Behauptung Abeille’s widerlegt. Also ist auch die Deszendenzlehre von de Maillet, wenn er bei deren Abfassung auch von de Fontenelle beeinflusst gewesen sein mag, oder dieser ihn wenigstens dazu trieb, sie seinen anderen Beobachtungen hinzuzufügen. Solche Gedanken konnten dem geist- reichen Verfasser der „Entretiens sur la pluralite des oe: >) nicht so fern liegen. Fontenelle’s Schrift muss stark auf de Maillet gewirkt Be da er sich auch in der Einkleidung des Inhalts so eng an sie anschloss. Beide Bücher sind in Gesprächsform ge- halten, beide in sechs Tage eingeteilt. Weiter findet man viel Ge- danken bei de Fontenelle, die bei de Maillet wiederkehren, obgleich sie damals durchaus nicht allgemein verbreitet waren®). Also nicht Le Mascrier, sondern Fontenelle beeinflusste de Maillet. Den Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Teil des Telliamed müssen wir also wohl in folgender Weise erklären: Seine sehr genauen bewundernswerten Studien über Schichtenbildung, Versteinerungen u. s. w.. hatten de Maillet dazu geführt, weit- gehende Schlüsse auf die Bildung der ganzen Erde zu ziehen, die, weil er vulkanische Studien ganz vernachlässigt hatte, allerdings sehr einseitiger Art waren. Da er nun die Entstehung der Erde sich plausibel gemacht hatte, so musste auch der Gedanke über die Herkunft der organischen Wesen bei ihm auftauchen. Von diesen wusste er aber sehr wenig, ein bescheidener Mann hätte diese Frage nun vielleicht offen gelassen. De Maillet aber war ein höchst ruhm- süchtiger Mann, der außerdem glaubte, dass ein besonderer Schutz- geist ıhn zu Großem bestimmt habe: diese Überzeugung führte ıhn A wie das obengenannte Manuskript anweist, um ein „Systeme 39) 1. Auflage 1686. 2. Auflage 1745. Letztere erschien bei demselben Ver- leger Pierre Gosse, La Haye, der auch eine Auflage de Maillet’s besorgte. 40) So z. B. über die früher schnellere Umdrehung der Erde, wodurch Tage und Jahre früher kürzer waren als jetzt, über das Zurücktreten des Meereswassers, das Bewohntsein aller Himmelskörper und andere mehr. XXX. [0 u 514 Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. du monde“ zu entwerfen und alles, was er nicht wusste, nach Art der Zeit durch Phantasie auszufüllen. Dazu traten die Phantasien Fontenelle’s über die Bewohner des Mondes und aller Sterne, weiter die durch seine geologischen Studien gebildete Überzeugung der langsamen Entwickelung (Evolution kontra plötzliche Schöpfung), und so musste er sich auch wohl Gedanken machen über die lang- same Entwickelung der Organismen. Fontenelle mag ihn dann noch darauf hingewiesen haben, dass ein „Systeme du monde“ ohne Erklärung der organischen Wesen unvollständig sei, und so ent- stand dann die auf den damals sehr geringen Kenntnissen fußende Deszendenztheorie, die allerdings auch den Ruhm des sonst viel- leicht bald vergessenen Autors begründete. War es doch immer gerade dieser phantastische Teil seiner Arbeit, der den Zeitgenossen auffiel. — Seine Verdienste für die Geologie lassen sich kurz in folgender Weise zusammenfassen. In erster Linie wich er von den meisten seiner Zeitgenossen dadurch ab, dass er statt philosophischer Speku- lationen direkte Beobachtungen brachte. Dabei ging er von dem erst durch Lyell zur allgemeinen Geltung gebrachten Grundsatz aus, dass wir die Schichtenbildungen beurteilen müssen nach den heute noch stattfindenden Veränderungen, dass früher also keine besonderen Kräfte gewirkt haben, welche die heutigen Formen her- vorriefen. Er studierte den Einfluss der Meeresströmungen auf die Bildung des Meeresbodens und auf das Land, er unterschied scharf die Schichtenbildung aus salzigem und süßem Wasser und bei allem waren die richtig beurteilten Fossilien ihm Leitsterne, welchen Standpunkt erst Füchsel (1762) und Soulavie (1780) nach vielen Jahren wieder aufnahmen. Die fossilenlosen Gesteine schied er als primäre scharf von den jüngeren Schichten. Gegen die damals be- liebten Theorien, welche alles durch eine große Sündflut erklären wollten, die alles durcheinander warf, stellte er eine regelmäßige langsame Evolution und die Behauptung, dass alles an Ort und Stelle sich langsam ausgebildet habe, wo es sich heute findet. Den Namen eines Evolutionisten im modernen Sinne kann man ihm nur insofern abstreiten, als er alles langsam entstandene und so auch alle Weltkörper wieder zugrunde gehen lässt um an anderer Stelle im Weltraum wieder neue hervorgehen zu lassen, ohne dass er dabei an Progression denkt. Solche und viele andere phan- tastische Gedanken, in denen er ein Kind seiner Zeit war, können nicht den Ruhmestitel schmälern, dass er bei seinen Forschungen für die damalige Zeit neue Bahnen einschlug, die die Folgezeit, oft erst ein Jahrhundert später, als richtig anerkannt hat. Weiter sei zu seinem Lobe erwähnt, dass er seine Vorgänger auf gleichem Gebiet, die alten Griechen und die italienischen Geologen wie Seilla gut kannte und zitierte (leider mit einer wichtigen Aus- Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. 515 nahme), während de Lamarck niemals seine Vorgänger nannte, auch die nicht, denen er wie Buffon, persönlichen Dank schuldete. Ganz phantastisch ist nun seine Deszendenztheorie. Da die ganze Erde erst mit Wasser bedeckt war, so musste er auch alle organischen Wesen im Wasser oder Schlamm entstehen lassen. Übrigens war auch dies eine länger bekannte Auffassung. Dabei nahm er präexistierende, im Weltall verbreitete Keime an, worin . er sich an griechische Philosophen (Tales, Anaxagoras) anschloss. Alle Landtiere sind aus Wassertieren hervorgegangen, alle Land- tiere haben denn auch analoge Formen unter den Wasserbewohnern, so auch der Mensch. So kam er zu seinem oft verspotteten Stamm- baum des Menschen aus Wassermenschen, Sirenen, Tritonen und anderen fabelhaften Geschöpfen, die sich an den Polen der Erde in die Urmenschen umwandelten. Hingegen ist seine langsame Ausbildung der Urmenschen „farouche, muette, sans raisonnement“ *) und anthropoiden Affen zum Wilden und danach zu dem modernen Kulturmenschen ganz in Übereinstimmung mit den modernen Auf- fassungen der Dee Höchst modern klingen auch seine Anweisungen, um das Alter des Menschengeschlechts nach den von ihnen hinterlassenen ältesten Töpferwaren und deren Fund- stellen zu beurteilen, so auch die darauf beruhende Schätzung ihres Alters auf mehr als 500000 Jahre. So auch sein polyphiletischer Standpunkt, der ihn mehrere Menschenspezies unterscheiden ließ. Auch zog er die Embryologie in polyphiletische Fragen hinein. So hatten seine Ur- oder Wassermenschen den Kreislauf der mensch- lichen Embryonen (l. e., S. 380). Er steigt geradezu zum biogene- tischen Grundgesetz auf, wenn er die Urkeime der organischen Wesen mit den Spermien und Eiern vergleicht und so embryonale Entfaltung und phylogenetische Entwickelung einander gleichstellt (l. e., S. 397—401). Seine Auffassungen der Mutationen waren übrigens sehr phantastisch. Wo das Meer schwand, kamen die Fische aufs Trockene und dadurch entstand die Nosmendigkeit, sich in Vögel umzuwandeln. Obgleich er nicht weiter auf diese Not- wendigkeit eingeht, so hat er sich diese vermutlich in gleichen Sinne wie Lamarck gedacht, dass das Bedürfnis die Formen schafft. Auch lehrte er, dass die Umgebung sie beeinflusst, wie später Buffon und Geoffroy Saint Hilaire2) N Ich, zitiere hier nach der Auflage Basle 1749. S. 376. 42) Ajotitez, Monsieur, % ces r&flexions les dispositions favorables qui peuvent se rencontrer en certaines rögions pour le passage des animaux aquatiques du sejour des eaux A celui de Vair, la necessit@ m&me de ce passage en quelques circon- stances....“ „Car il peut arriver que les poissons ailes et volans chassant on etant chasses dans la mer, emportes du desir de la proie on de la crainte de la mort, soient tombes dans des roseaux on dans les herbages et qu’en cet &tat ils aient con- tract& une plus grande facult@ de voler. Alors leurs nageoires n’&tant plus baignees des eaux de la mer se fendirent, et se dejettörent par la s@cheresse, les tuiaux de 29% IB 79} 516 Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. Bei allen diesen gewaltigen Veränderungen blieb aber die allen Tieren (Wirbeltieren) gemeinsame Grundform oder Urform (Typus nach Goethe) bewahrt. „Cependant la conformite de la premiere figure subsiste dans le total; et elle est, et sera toüjours aisce A reconnaitre (l. c., S. 321). Nicht allen Tieren gelang die durch neue Verhältnisse geforderte Transmutation und so gelangte er zu dem Begriff Darwin’s „sur- vival of the fittest“ oder Kampf ums Dasein. „Que cent millions aient peri, sans avoir pu en contracter l’habitude, ıl suffit que deux y soient parvenus pour avoir donn& lieu ä l’espece (l. c., S. 323).“ Er war natürlich auch ein Anhänger der Erblichkeit erworbener Eigenschaften wie später Lamarck, und ebenso überzeugt, dass diese Transmutation ununterbrochen fortschreitet und stets neue Formen entstehen lasse. Er begründete weiter die Möglichkeit solch weitgehender Trans- mutationen durch den Hinweis auf die Erscheinungen der Meta- morphose bei Tieren (l. c., S. 322), wie man 150 Jahre später den Generationswechsel zu gleichen Zwecken verwertete*?). Auch wies er auf die direkte Variation des Keimes hin, die später Darwin befürwortete, „La semence de ces m&mes poissons portee dans les marais peut aussi avoir donne lieu ä cette premiere transmigration de l’espece, du sejour de la mer en celui de la terre (l. c., S. 322).“ Wenn de Maillet alle wunderbaren Reiseberichte über wilde und Tiermenschen glaubte, so stand er damit nur auf gleichem Standpunkt wie später Rousseau, Linn&, ja zum Teil auch noch Huxley. Wenn er die bei Menschen zuweilen auftretenden schuppen- artigen Hautbildungen und auch dessen normale Hautschuppen mit den Schuppen der Fische verglich (l. c., S. 383, 384), dann war dies ein Suchen nach Atavismen wie sie heute in ähnlicher Weise geübt wird. Wenn er die Arten verbessern will oder neue entstehen lässt durch heterogene Kreuzungen (l. e., S. 390), dann finden wir auch solche Gedanken in der post-darwinistischen Literatur. Gleiches gilt von dem abändernden Einfluss des Klimas (l. c., S. 392). Wer sıch ganz ın den Geist der Zeit vor Buffon und Linne& versetzt hat°*), der wird zugeben müssen, dass de Maillet ein leurs nageoires s@pares les uns des autres se prolongerent, et se revetirent de barbes, les membranes, qui auparavant les avaient tenus coll&es les uns aux autres, se meta- morphoserent. La barbe formee de ces pellicules dejettees s’allongea elle-m&me, la peau de ces animaux se rev£tit insensiblement d’un duvet de la m&me couleur dont elle etait peinte et ce duvet grandit.“ Abgekürztes Zitat aus der Beschreibung, wie aus Fischen Vögel wurden, 1. c., S. 319—320. 43) Das taten noch Büchner und Baumgärtner 1855, Weisse 1855, Schleiden 1863 und andere. 44) Wer sich schnell ohne langwierige Studien in den Geist der damaligen Zeit hineinversetzen will, dem sei der Aufsatz von J. S. Schröder empfohlen: „Über den heutigen Zustand in der Naturgeschichte. Leipziger Magazin, 1786. De Kohlbrugge, B. de Maillet, J. de Lamarck und Ch. Darwin. 517 Darwin seiner Zeit war, der aber bei den geringen damals vor- liegenden Kenntnissen, bei dem noch alle Naturforscher beherrschen- den Wunder- oder Märchenglauben nicht anders schreiben konnte als er schrieb. Jedenfalls brachte er, wenn auch viele vor ıhm an die Variabilität glaubten, die erste Deszendenztheorie. Lamarck übertraf de Maillet, weil er fast ein Jahrhundert später schrieb. Trotzdem findet man auch in Lamarck noch so viel, was die Spottlust ebenso anregte wie manche Phantasien de Maillet’s. Beide mussten denn auch erfahren, dass der Teil ihrer Schriften am weitesten bekannt wurde, den man lächerlich machen konnte ®), Darwin übertraf Lamarck, weil er wieder ein halbes Jahr- hundert später schrieb als dieser. Darum konnte er die gleichen oder ähnliche Ansichten weit besser aus dem inzwischen ange- sammelten Material belegen als seine Vorgänger, und hatte dadurch Erfolg. Bei der Beurteilung Lamarck’s hat man sich schon längst daran gewöhnt, nur das Beste aus seinem Buche hervorzusuchen und über das andere zu schweigen. Man sollte in bezug auf de Maillet nicht anders handeln. Wer fähig ist, de Maillet, Lamarcek und Darwin nur in dem Lichte ihrer Zeit zu betrachten, der wird zugeben, dass sie einander sehr nahe stehen. Nachschrift. Meine historischen Studien überzeugen mich immer aufs neue von der Richtigkeit der Worte Goethe’s: „Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niederes im Menschen zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.“ Diese Eitelkeit zeigt sich in erster Linie daran, dass die Autoren immer die ihnen am nächsten stehen- den Vorgänge entweder totschweigen oder unglimpflich behandeln. Goethe selbst wurde ein Schlachtopfer dieser sehr menschlichen Eitelkeit, wie ich demnächst zeigen werde. So verschwieg Lamarck den Namen de Maillet, der doch allgemein bekannt war, und de Maillet seinerseits verschwieg B. Palissy, von dem damals doch auch schon zwei Auflagen vorlagen, von 1580 und 1636 *). Auch muss de Maillet wohl Palissy’s Namen gekannt haben, denn sein Freund de Fontenelle*) kannte ihn sehr gut und hat ihn wohl zu seinem obengenannten Buch benutzt. Fontenelle schrieb 1720 „Cependant son systeme a dormi pendant pres de 45) Vergleiche für de Maillet: d’Archiae, l.c., S. 267. Sogar Darwin urteilte bekanntlich sehr ungünstig über Lamarck. 46) B. Palissy. Les oeuvres de B. P. publiees d’apres les textes originaux par Anatole France. Paris 1880. 47) Anatole France, l.c., p. XXI. D18 Ehrlich, Folia serologica. deux cents ans et le nom me&me de l’auteur est presque mort. Enfin les idees de Palissy se sont röveillees dans l’esprit de plu- sieurs savants. Elles ont eu la fortune qü'elles meritaient“. Man lese nur das Buch Palissy’s und man wird überrascht sein, wie er die Geologie schon ganz im modernen Sinne fasste. Ich hätte ihn ohne Zweifel zu den obengenannten Deszendenztheoretikern gerechnet, wenn er sich über die Deszendenz organischer Wesen ausgelassen hätte. Er beschränkte aber seine Äußerungen auf die Geologie‘). Wenn man Palissy neben de Maillet’s erste vier Tage legt, dann ist die Übereinstimmung eine auffallende Darwin hat Lamarck und Chambers zwar genannt, aber genügend ge- würdigt hat er den Einfluss nicht, den diese Autoren auf ıhn und seine Vorgänger ausübten. Darauf komme ich an anderer Stelle zurück. Folia serologica — Zeitschrift für Chemotherapie und verwandte Gebiete. Herausgeg. von P. Ehrlich, F. Kraus u. A. v. Wassermann, redigiert von Fr. Keysser. Georg Thieme, Leipzig. Hier ist wiederholt auf die Folia serologica hingewiesen worden, die als ein Blatt für Einzel- und für Sammelreferate 1908 von den Folia hämatologica abgetrennt wurden, weil die Lite- ratur dieses Spezialgebietes zu umfangreich geworden war, um als Unterabteilung jenes schon eng umgrenzten Forschungsgebietes er- schöpfend referiert zu werden. Diese Entwickelung ist so rasch fortgeschritten, dass die junge Zeitschrift, die ihre Aufgabe vor- trefflich erfüllte, innerhalb von 3 Jahren zu 7 stattlichen Bänden gedieh; vor noch nicht Jahresfrist ging die Redaktion von dem Herausgeber der Folia hämatologica, Pappenheim, an Fr. Keysser über; außer den besonders auch über die ausländische Literatur rasch und vollständig berichtenden Referaten erschienen neben den Sammelreferaten auch einzelne Originalmitteilungen. Inzwischen war aber der Zeitschrift für Immunitätsforschung und experimentelle Therapie eine eigene Referatabteilung ange- gliedert worden, und so ist es vom Standpunkt zweckmäßiger Ar- beitsteilung aus zu begrüßen, dass zugleich mit dem Übergang in einen anderen Verlag Titel und Aufgabe der bisherigen Folia sero- logica wesentlich geändert wurden. Die „Zeitschrift für Chemo- therapie und verwandte Gebiete“ wird in 2 Abteilungen, Originalien und Referate, erstere in zwanglosen Heften, letztere monatlich im Jahresumfang von etwa 100 Bogen, erscheinen und ın erster Linie jenes neue Forschungsgebiet behandeln, das in der Hauptsache 48) Ich verweise besonders auf die folgenden Seiten der obengenannten Auf- lage: 331-338, 238, 318, 357, 262—263. Übrigens arbeitete er wie de Maillet und Buffon, zum Teil auch Darwin, mit präformierten Keimen. Müller-Pouillet’s Lehrbuch der Physik und Meteorologie. 519 durch Paul Ehrlich’s Pionierarbeit gewonnen wurde, und das sich durch Methodik und Anschauungsweise, die vielfach aus den Immunitätsforschungen herübergenommen sind, von der älteren experimentellen Pharmakologie einigermaßen abscheidet. Im Refe- ratenteil sollen die Nachbargebiete weiter mit behandelt werden. Der Schwerpunkt der Zeitschrift wird nun wesentlich nach der praktisch-medizinischen Seite verschoben sein; inwiefern sie auch künftig der biologischen Forschung dienen wird, lässt sich nach dem ersten Heft, das in Sammelreferaten lediglich die Wirkung und Anwendung des Salvarsans behandelt, noch nicht beurteilen. W.R. Augusto Righi. Kometen und Elektronen. Deutsch von Max Ikle. KI. 8°. 64 8. Leipzig, Akademische Verlagsgesell- schaft, 1911. Der Grund, warum diese kleine Schrift hier angezeigt wird, liegt in der fesselnden Darstellung des Strahlungsdruckes, jener wunderbaren Eigenschaft des Lichtes, wodurch Körperchen von be- stimmter, winziger Dimension, entgegen der Gravitation im Welten- raum fortbewegt werden können. Der Strahlungsdruck ist von Maxwell, Bartoli und Boltzmann, von den beiden letzteren auf Grund des zweiten Hauptsatzes, vorausgesagt worden, aber seine Existenz haben erst Lebedew, Nichols und Hull und Poynting experimentell erwiesen. Nach einer zuerst von Arrhe- nius ausgeführten, dann von Schwarzschild berichtigten Rech- nung, würde beispielsweise einem Kügelchen von der Dichte Eins gegenüber, der Strahlungsdruck und die Anziehung der Sonne gleich sein, wenn der Durchmesser des Kügelchens 15 Zehntausendstel Millimeter betrüge; Kügelchen von kleinerem Durchmesser gegen- über übersteigt der Strahlungsdruck die Anziehung, bei einem Durch- messer des Kügelchens von etwa einem Drittel einer Wellenlänge ist der Strahlungsdruck etwa das Achtzehnfache der Gravitation; von da ab nimmt das Verhältnis zwischen Druck und Anziehung wieder ab und strebt dem Wert Null zu. So können auch Keime lebender Wesen von einem Himmels- körper auf den anderen gelangen oder gelangt sein! Aristides Kanitz. Müller-Pouillet’s Lehrbuch der Physik und Meteorologie. 10. Auflage, herausgegeben von Leop. Pfaundler. 4. Bd. Magnetismus und Elektrizität. 2 Abteilung. Bearbeitet von Walter Kaufmann. Gr. 8 353 8. Braunschweig. Friedr. Vieweg & Sohn. 1912. Diese 2. Abteilung des 4. Bandes von Müller-Pouillet’s alt- berühmtem Lehrbuch behandelt die Kapitel: Elektromagnetismus und Elektrodynamik, Induktionsströme, Gleichstromtechnik, Wechsel- ströme, elektrische Schwingungen, drahtlose Telegraphie und Tele- phonie. Sie ist ganz von Herrn Kaufmann bearbeitet worden, aus dessen Feder auch schon der größere Teil der 1. Abteilung 520 X. Ferienkurs für wissenschaftliche Mikroskopie. des 4. Bandes stammt. Wie in jenem werden auch ın diesem Teil die Grundgesetze stets an der Hand von Versuchen erläutert, welche vom Verf. sorgfältig ausprobiert sind und so eingehend beschrieben werden, dass ein Universitäts- oder Mittelschullehrer in der Lage sein wird, sie nachzumachen und sie als Demonstrationsversuche in seinen "Vorlesungen oder bei praktischen Übungen zu verwerten. Die theoretische Begr ündung der Grundtatsachen und die Ableitung der Grundgesetze ist ohne Aufwendung allzu schwieriger mathe- matischer Entwickelung klar dargestellt. Die Beschreibung der Apparate ist so weit durchgeführt, als zum Verständnis ihres Auf- baus und der wesentlichsten Konstruktionsteile erforderlich ist und bei den wichtigsten sind auch immer die Werkstätten angegeben, aus denen sie bezogen werden können. Freilich musste gerade bei vielen, welche in der Technik eine so große Rolle spielen, eine Einschränkung auf das Wesentlichste angestrebt werden. Die Elektrotechnik hat sich ja ın einem Maße entwickelt, dass ın einem Lehrbuch der Physik eben nur die Grundlagen gegeben werden können. Als die älteren Auflagen dieses Lehrbuches erschienen, gab es noch keine Elektrotechnik. Damals konnte das Buch neben der rein physikalischen Unterweisung nebenbei auch als Anleitung für den Mechaniker zur Herstellung der Apparate verwertet werden. Darauf musste der jetzige Bearbeiter vielfach verzichten. Es wendet sich mehr an diejenigen, welche bestrebt sind, die Lehren der Physik sich anzueignen, für ıhre praktische Verwertung aber, falls diese angestrebt wird, wird auf andere Hilfsmittel verwiesen werden müssen, an denen es ja auch nicht fehlt. Manche der behandelten Kapitel haben engere Beziehungen zur Biologie oder finden auch Verwertung in der medizinischen Praxis, wie die Röntgenstrahlen, die Induktionsströme und elektrische Schwingungen höherer Frequenz u. s. w. Auch derjenige, der über diese Punkte Belehrung sucht, wird das Buch mit Nutzen verwenden können. Es fehlt zur Fertigstellung des ganzes Werkes nun nur noch der Schluss der Elektrizitätslehre. Möge diese Abteilung recht bald erscheinen. Wir werden dann ım Besitz eines Musterwerkes sein, welches für unsere Zeit dieselbe Bedeutung haben wird, wie sie der alte Müller-Pouillet vor etwa 50 Jahren in Anspruch nehmen konnte. Eine Vergleichung jener früheren Auflagen mit der jetzigen gewährt zugleich ein anschauliches Bild dafür, wie sich unsere Kenntnis der Physik in diesem halben Jahrhundert ent- wickelt hat. J. Rosenthal. X. Ferienkurs für wissenschaftliche Mikroskopie. Es wird gebeten, alle Anmeldungen und Zusendungen nicht an Herrn Prof. Dr. Fischer, sondern an Herrn Privatdozenten Dr. P. Hoffmann, Würz- burg, Kgl. physiologisches Institut, Pleicherring 9 richten zu wollen. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, a ennae 2. — Drnee der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. jologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel . und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik " Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. ? Bie Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Ba. XXXII, 20. September 1912. N 9. Inhalt: Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. — Swarczewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypotbese (III. u. IV... — Buddenbrock, Uber die Funktion der Statozysten im Sande grabender Meerestiere.. — Wasmann, Nils Holmgren’s ‚‚Termitenstudien‘, Systematik der Termiten. — Pringsheim, Die Reizbewegungen der Pflanzen. — Jensen, Die Physiologie als Wissenschaft und a's Lehre. — v. Ebner, Uber den feineren Bau der Knochensubstanz. — Raymond, Laienbrevier des Häckelismus. Mutation bei Oenothera biennis L. Von Theo J. Stomps (Amsterdam). Während die Grundgedanken der Mutationstheorie heutzutage wohl allgemein angenommen werden, hegt man jedoch vielfach Zweifel über den Wert der Mutanten derjenigen Pflanze, bei der die Erscheinung der Mutation bis jetzt im größten Umfange fest- gestellt wurde, der Oenothera Lamarckiana. Einige Untersucher betrachten diese Art als Bastard und glauben das Auftreten von Mutationen in diesem Falle durch Bastardspaltung erklären zu können. In ihrer Meinung werden diese Forscher bestärkt durch die Mitteilung Honing’s!), in der dieser sich für eine Bastardnatur der ©. Lamarckiana ausspricht, ohne jedoch dieselbe für eine Er- klärung der Mutanten zu benutzen. Die Tatsachen, welche Honing zu dieser Auffassung führen, sind folgende. Wenn man O. biennis oder O. muricata bestäubt mit O. Lamarckiana oder einigen ihrer Mutanten (0. rubrinervis, O. nanella und O. brevistylis) entstehen bekanntlich zwei deutlich voneinander verschiedene Formen, welche de Vries?) Laeta und Velutina genannt hat, die sogen. Zwillings- 1) J. A. Honing. Die Doppelnatur der Oenothera Lamarckiana. Zeitschr. f. ind. Abst. u. Vererb., 1, 1911, Bd. IV, Heft 3 u. 4. 2) Hugo de Vries. On twin hybrids. Botan. Gazette, 44, Dezember 1907. XXXI. 34 529 Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. bastarde. Honing findet nun, dass die Laeta-Form in 11, viel- leicht sogar in 12 Merkmalen mit 0. Lamarckiana übereinstimmt, die Velutina-Form hingegen in den korrespondierenden Merkmalen mit 0. rubrinervis, Daraus folgert er°): „Die Laeta-Form aus O. biennis (oder muricata) X O. Lamarckiana (oder rubrinervis) hat überwiegend ZLamarckiana-Eigenschaften, die Velutina-Form über- wiegend Rubrinervis-Eigenschaften. Und auf Grund dieses Satzes: Die bei Selbstbefruchtung konstanten O0. Lamarckiana und rubri- nervis sind Doppelindividuen, O. Lamarckiana enthält O. rubrinervis und diese letzte ıhre Mutter Lamarckiana.*“ Wie aus den weiteren Ausführungen des Verfassers hervorgeht, stellt er sich dieses derart vor, dass der Lamarckiana-Pollen und natürlich auch der Rubrinervis-Pollen Doppelnatur besitzen. Die Hälfte des Pollens bei beiden Arten würde überwiegend Lamarckiana- Eigenschaften besitzen, die Hälfte überwiegend Rubrinervis-Eigen- schaften. Und zwar soll dieses dadurch verursacht werden, dass die ©. rubrinervis ein Bastard mit O. Lamarckiana ist. Letztere wäre „vielleicht besser als ein Bastard mit einer unbekannten rubri- nervis-ähnlichen Oenothera aufzufassen‘ *). Ich möchte hierzu folgende Bemerkungen machen, die zeigen sollen, dass Honing’s Auffassung nicht ausreichend begründet und unwahrscheinlich ist. Betrachten wir zu allererst seine Annahme, dass O. Lamarckiana und O. rubrinervis zur Hälfte Pollen mit über- wiegend Lamarckiana-Eigenschaften, zur Hälfte einen solchen mit überwiegend Rubrinervis-Eigenschaften besitzen. Nachher wollen wir dann die Frage in Betracht ziehen, ob, falls sie richtig wäre, die betreffenden Pflanzen unbedingt als Bastarde anzusehen sind. Nehmen wir an, der Pollen von O. Lamarckiana und O. rubri- nervis hätte die fragliche Doppelnatur. Dann müsste dies natürlich ebenso der Fall sein bei O. nanella und ©. brevistylis, welche man mit gleichem Resultat für die Bestäubung von O. biennis oder O. muricata benutzen kann. De Vries hat ja auf die Überein- stimmung zwischen den Laeta- und Velutina-Individuen aus der Kreuzung 0. muricata X nanella mit denen aus der Kreuzung O. muricata X Lamarckiana hingewiesen’). Wie wäre weiter einzu- sehen, dass die O. biennis Chicago, mit den Pollen von O. Lamar- ckiana bestäubt, keine Laeta und Velutina gibt‘)? Wenn wir eine Doppelnatur des Pollens von O. Lamarckiana annehmen, ist dieses für uns ebenso unverständlich wie das Auftreten von Zwillings- bastarden, falls wır diese Annahme nicht machen. Wenn sich also 3). dasA. Honing. #LicHS.2 4)..J. ASHoninge- Slye, 822 5) Hugo de Vries. Über die Zwillingsbastarde von Oenothera nanella. Ber. d. D. Bot. Ges., 1908, Bd. XXVla, Heft 9,'S. 670. 6) Hugo de Vries. On triple hybrids. Botan. Gazette, 47, January 1909, 8.3. Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. 593 Tatsachen finden lassen, welche gegen die Doppelnatur sprechen, so ist es einleuchtend, dass man dieselbe nicht annehmen darf. Solche Tatsachen gibt es. De Vries hat gezeigt, dass die rezi- proken Kreuzungen von 0. strigosa und ©. Hookeri mit O. Lamar-, ckiana beide Laeta- und Velutina-Formen liefern, welche in den reziproken Kreuzungen einander gleich sind’). Dieses zu erklären durch die Voraussetzung einer Doppelnatur der Eizellen der O. La- marckiana ist nicht möglich. Denn bei Kreuzung von O0. Lamar- ckiana mit O. biennis bekommt man einen einheitlichen Typus. Auch durch die Annahme einer Doppelnatur des Pollens von O. stri- gosa und 0. Hookeri gelangt man nicht zum Ziel. Denn wie könnten in diesem Falle die Laeta- und Velutina-Individuen in den rezi- proken Kreuzungen mit O. Lamarckiana einander ähnlich sein? Meiner Meinung nach ist es also klar, dass eine Doppelnatur des Pollens das Auftreten von Zwillingsbastarden nicht genügend er- klären kann und dass die Sachlage hier eine andere und wahr- scheinlich eine viel kompliziertere ist. Ich weise noch darauf hin, dass Davis°) in seinen Kreuzungen z. B. zwischen O. muricata und O. grandiflora auch Zwillinge bekommen hat. Er führt aber die Differenzen zwischen diesen auf jene zwischen den Eltern zurück, und nicht etwa auf eine Doppelnatur des Pollens von O. grandiflora. Honing selbst gibt übrigens zu, dass die Unterschiede zwischen der Laeta und der Velutina von O. muricata und O. Lamarckiana nicht ganz zurückzuführen sind auf jene zwischen ©. Lamarckiana und ©, rubrinervis. „Zum Teil findet man bei der Laeta mütter- liche Merkmale, welche der Velutina fehlen, wie die Form der Ähre mit den vielen zugleich geöffneten Blüten und die scharfen Zähnchen der Fruchtklappen der O. muricata?).“ Die Zukunft muss entscheiden, ob in der Anschauung Davis’ eine zutreffende Erklä- rung liegt. Jedenfalls begegnet man auch bei der Durchführung dieses Prinzips Schwierigkeiten. Durch die Arbeit von de Vries über doppeltreziproke Bastarde!®) wissen wir, dass das „Pollen- bild“ von ©. biennis vom „Eizellenbild“* verschieden ıst und dass letzteres, der sogen. Conica-Typus, Velutina-ähnlich ist. Wie können im Lichte der Auffassung Davis’ bei Kreuzung dieses Typus mit der ebenfalls Velutina-ähnlichen ©. rubrinervis nun die beiden Formen Laeta und Velutina entstehen? Wie dem auch sei, ich glaube zur Genüge gezeigt zu haben, dass Honing’s Auffassung über eine Doppelnatur des Pollens der 7) Hugo de Vries. Botan. Gazette, 47, 8.2 u. 3. 8) Bradley Moore Davis. Genetical Studies on Oenothera, I. The American Naturalist, Vol. XLIV, Feb. 1910. 9, 2 ASHomtinalte., 8. 277. 10) Hugo de Vries. Über doppeltreziproke Bastarde von Oenothera biennis L. und ©. muricata L. Biol. Centralbl,, Bd. 31, 1911, S. 97—104. 34* 524 Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. O. Lamarckiana und der O. rubrinervis nicht angenommen werden darf. Die Übereinstimmung in 11 oder 12 Merkmalen zwischen der Velutina-Form aus der Kreuzung 0. biennis X 0. Lamar- ckiana mit O, rubrinervis halte ich bis auf Näheres für eine zu- fällıge. Am Schlusse seiner Diskussion gegen Tischler weist Honing'!) noch auf folgende Tatsachen hin, deren Entdeckung wir de Vries verdanken!?). ©. (Lamarckiana X biennis oder muricata) bestäubt mit (biennis oder muricata X Lamarckiana) laeta oder velutina gibt wieder O. Lamarckiana. Das gleiche Resultat bekommt man, wenn man anstatt O. (Lamarckiana X biennis oder muricata) die O. La- marckiana selbst in dieser Weise bestäubt. Wie Honing ganz richtig bemerkt, könnte man daraus schließen: „das Laeta-Pollen- bild = das Velutina-Pollenbild = das Lamarckiana-Pollenbild* und da die Laeta und V elutina selbst konstant sind: LaetaX Ve- lutina = Laeta und Velutina X Laeta = Velutina. Tatsäch- lich aber spaltet die Kreuzung O. (muricata X Lamarckiana : laeta) X (muricata X Lamarckiana : velutina) ın Laeta und Velutina. Auch dies möge zeigen, dass die Sachlage nicht so einfach ist, als Verfasser sich dieselbe vorgestellt hat. Schreiten wir nunmehr zur Behandlung der Frage, ob O0. La- marckiana unbedingt als Bastard anzusehen wäre, falls ihr Pollen Doppelnatur hätte. Die Antwort muss eine verneinende sein. Wir kennen den Zwillingsbastarden ähnliche Erscheinungen, welche man gleichfalls durch eine Doppelnatur des Pollens zu erklären geneigt ist. Ich weise nur hin auf das Entstehen männlicher und weib- licher Individuen bei den diözischen Gewächsen. Seit Correns’ und Noll’s Untersuchungen, sowie Strasburger’s Ausführungen nimmt man wohl allgemein an, dass hier in den Pollenkörnern zur Hälfte verschiedene „Geschlechtstendenzen“ stecken. Doch neigt man wohl eher dazu, hier an das eigenartige Verhalten der Zwischen- rassen zu denken als an das der Bastarde. Aus einer gegebenen Doppelnatur des Pollens könnte man also nicht auf eine Bastard- natur der betreffenden Pflanzen schließen. Wenn wir uns jetzt zu einer Besprechung anderer Arbeiten wenden, in denen von einer Bastardnatur der Oenothera Lamar- ckiana die Rede ist, so sehen wir, dass manche Autoren ohne wei- teres die Mutationen bei dieser Pflanze durch Bastardspaltung er- klären wollen, andere aber durch Versuche dem Beweis eines hybriden Charakters nahezukommen suchen. Zu den ersteren ge- 11) J. A. Honing. Über Tischler’s Sammelreferat „Neuere Arbeiten über Oenothera“. Zeitschrift für indische Abstamm. und Vererb., 1., Bd. VI, Heft 5, Juni 1912. 12) Hugo de Vries. Über doppeltreziproke Bastarde u. s. w. Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. Ay or hören z. B. Bateson'?) und Leclere du Sablon'%), zu den letzteren Davis®’) und Gates!®). Die erstgenannten Forscher sind überzeugt, dass Bastarde immer nach den Mendel’schen Gesetzen spalten müssen. Und da das Auftreten von Mutanten aus ©. Lamarckiana jedenfalls an das Auf- mendeln eines Bastardes erinnert, nehmen sie eine hybride Natur von OÖ. Lamarckiana an und betrachten ihre Mutanten als Folgen von Kreuzungen. Die Meinung, dass Bastarde immer die Mendelspaltung zeigen müssen, braucht uns hier nicht eingehend zu beschäftigen, lässt sich aber nicht beweisen. Ich möchte sagen: die Tatsachen sind da, welche das Gegenteil beweisen. Ich weise z. B. hin auf die kon- stanten reziproken Bastarde zwischen O. biennis und muricata, auf die konstanten Laeta- und Velutina-Formen, welche in so zahl- reichen Oenothera-Kreuzungen auftreten u. s. w,, um von den Be- funden Rosen’s!”) an Erophila verna-Bastarden nicht zu sprechen. Meiner Meinung nach haben aber die Untersuchungen der letzten Jahre immer wieder nur die Richtigkeit gezeigt der Auffassung von de Vries, dass Bastarde zwischen Arten und ihren degressiven oder retrogressiven Mutationen mendeln. Für die Erkenntnis des Verhaltens von Artbastarden haben sie dagegen nicht viel geleistet. Hauptsächlich wohl nur dieses, dass wir jetzt wissen, dass eine Art eine Anzahl von Merkmalen haben kann — man könnte sie Varie- tätsmerkmale nennen —, welche bei Kreuzung mit einer anderen guten Art den Mendel’schen Gesetzen folgen. Auch auf diesen Punkt hat übrigens de Vries schon in seiner Mutationstheorie (Bd. II, S. 144) hingewiesen. Was nun die Anschauung betrifft, dass die Mutanten der O. La- marckiana als Folgen von Kreuzungen zu betrachten seien, so ist sofort zu bemerken, dass hier jedenfalls ein Spalten vorliegen würde nach Zahlenverhältnissen, welche völlig von den gewohnten ab- weichen. Wir kennen aber einige Fälle ganz sicherer Mendelspaltung, in denen solche Verhältnisse auftreten. In erster Stelle ist hier zu denken an die bemerkenswerten Tatsachen, welche Nilsson-Ehle'?) 13) W. Bateson and Miss E. R. Saunders. Report to the Evolution Committee of the Royal Society, I, 1902. 14) M. Leelere du Sablon. De la nature hybride de l’Oenothere de La- marck. Rey. gen. de Bot., 22, 1910, S. 266—276. 15) Bradley Moore Davis. Genetical Studies on Oenothera, II. The Ame- rican Naturalist, Vol. XLV, April 1911. 16) R.R.Gates. Mutation in Oenothera. The American Naturalist, Vol. XLV, Oct. 1911. 17) F. Rosen. Die Entstehung der elementaren Arten von Erophila verna. Beitr. z. Biol. d. Pfl., 10, 1911. 18) H. Nilsson-Ehle. Kreuzungsuntersuchungen an Hafer und Weizen. I und II. Lund, 1909 u. 1911. 526 Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. in seinen „Kreuzungsuntersuchungen an Hafer und Weizen“ zutage gefördert hat. Dann aber kommt wohl besonders auch die in der letzten Zeit einige Male beschriebene sogen. Faktorenkoppelung und -Abstoßung für die Lösung des betreffenden Problems in Betracht. Sehen wir, ob ın der Tat solche Fälle besonderer Mendelspal- tung das Auftreten von Mutanten bei 0. Lamarckiana zu erklären ımstande sind. Nilsson-Ehle machte die außerordentlich wichtige Entdeckung, dass eine Eigenschaft von mehreren unabhängig mendelnden Erb- einheiten hervorgerufen werden kann, von denen jede für sich allein schon imstande ist, diese Eigenschaft in geringerem Grade sichtbar zu machen. So wird die rote Kornfarbe des Weizens von min- destens drei Faktoren bedingt. In der zweiten Generation eines in drei solchen Faktoren heterozygotischen Bastardes zählt man auf 64 Individuen nur 1 Exemplar, das die betreffende Eigenschaft gar nicht zeigt, während die übrigen dieselbe in verschiedener Intensität zur Schau tragen. Da der Bastard selbst die Eigenschaft in mitt- lerem Maße besitzt, benimmt dieses eine Individuum sich gewisser- maßen wie eine Mutation. Hierzu ist aber zu bemerken, dass, ab- gesehen von diesem einen Individuum, die Kultur der Deszendenz eines solchen Bastardes eben keinen einheitlichen Typus bietet, während eine Kultur von ©. Lamarckiana, abgesehen von den ein- zeln auftretenden Mutanten, immer ganz gleichförmig ist. Außerdem mendeln die Individuen jener Kultur in verschiedenster Weise auf, während die Deszendenz einer beliebigen Lamarckiana-Pflanze immer die gleiche ist. Durch die Anwendung der von Nilsson-Ehle beschriebenen Erscheinung gelangt man also nicht zu einer be- friedigenden Erklärung der Mutationen. Vielleicht aber sind die Faktorenkoppelung und -Abstoßung imstande, dieselbe zu geben. Wenden wir uns deshalb einer kurzen Besprechung dieser Erscheinungen zu. Ein in zwei Merkmalen heterozygotischer Bastard sollte nach den gewöhnlichen für Dihybriden geltenden Regeln viererlei Sexual- zellen in gleichen Zahlen hervorbringen. Bateson hat aber ent- deckt, dass dieses nicht immer der Fall zu sein braucht. Die uns hauptsächlich interessierenden Tatsachen sind folgende. Wenn eine Pflanze aus der Vereinigung von zwei Eltern AABB und aabb hervorgegangen ist, werden Keimzellen AB und ab bis- weilen viel häufiger gebildet als Gameten Ab und aB. Es scheint, als ob eine Anziehung zwischen den Faktoren A und B stattfindet. Diese Erscheinung wird Faktorenkoppelung genannt. Die Kop- pelung kann eine vollständige sein. In diesem Falle entstehen nur Gameten AB und ab, wie Bauer dieses z. B. für Faktoren der Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. 597 Blattfarbe bei Agwilegia beschrieben hat!?). Im allgemeinen aber werden die Gameten eines als AB x ab entstandenen Bastardes im Verhältnis nAB:1Ab:1aB:nab gebildet, in welchem n besonders oft eine der Zahlen 3, 7, 15 u. s. w. ist. Doch scheinen auch andere Werte von n möglich zu sein. Der Zahl 3 begegnete Baur in seinen Untersuchungen an Antirrhinum für die Koppelung zwischen den von ihm als F und G bezeichneten Faktoren der Blütenfarbe?°). Doch wurden in anderen Bastardpflanzen die Gameten im Verhältnis 7FG:1Fg:1fG:fg ge- bildet und in einer Pflanze ergaben sich sogar durch dergleichen Verhältnisse nicht zu erklärende Unregelmäßigkeiten. Die Zahl 7 fanden Bateson°!) und seine Mitarbeiter für die Koppelung zwischen den Faktoren B (ändert rote Blütenfarbe in violette um) und L (macht runde Pollenkörner länglich) bei Zathyrus odoratus. Doch zeigte das Verhalten mehrerer Bastarde, dass die Gameten auch in einem Verhältnis 15:1:1:15 gebildet werden können, und wieder andere gaben so unsichere Resultate, dass man nicht wusste, welches Schema anzuwenden. Für die Koppelung zwischen den Faktoren D (verursacht das Auftreten eines dunklen Fleckes in den Blattachseln) und F (bedingt Fertilität des Pollens) bei derselben Pflanzenart er- gab sich n gleichfalls als 15. Gregory?) fand Koppelung bei Primula sinensis zwischen zwei Faktoren für Kurzgriffeligkeit und Magentafarbe und zwar nach dem Schema 7:1:1:7. Eine andere Kreuzung gab dagegen in der nächsten Generation Zahlenverhält- nisse, denen weder eine Koppelung nach dem Schema 7:1:1:7, noch eine nach dem Schema 15:1:1:15 zugrunde liegen konnte. Besonders hohe Werte für n wurden schließlich von Vilmorin und Bateson??) bei Pisum und von Bateson bei Zathyrus odo- ratus gefunden. Bei Pisum findet eine Koppelung zwischen den Faktoren T (für Rankenbildung) und R (für runde Samen) nach dem Schema 63:1:1:63 statt; bei Zathyrus odoratus zwischen 19) Erwin Baur. Vererbungs- und Bastardierungsversuche mit Antirrhinum, II Faktorenkoppelung. Zeitschr. f. ind. Abst. u. Vererb., 1, Bd. VI, Heft 4, 1912, 20) Erwin Baur. Ein Fall von Faktorenkoppelung bei Antirrhinum majus. Verh. d. naturf. Ver. in Brünn, Bd. XLIX, 1911. Siehe auch die unter 19 ge- nannte Arbeit. 21) W. Bateson, E. R. Saunders, R. ©. Punnett u. a. Reports Evol. Comm. of the Royal Society, London 1902— 1909). W. Bateson and R.C. Punnett. On the Inter-relations of Genetic Factors. Proc. Roy. Soc. B, Vol. 84, 1911, S. 3. W. Bateson and R. C. Punnett. On gametic Series involving redupli- cation of certain terms. Journal of Genetics, Vol. J, Nr. 4, Nov. 1911, S. 1. 22) R P.Gregory. On Gametic Coupling and Repulsion in Primula sinensis. Proc. Roy. Soc. B, Vol. 84, 1911, S. 12. 23) Philippe de Vilmorin and W. Bateson. A Case of Gametic Coupling in Pisum. Proc. Roy. Soc. B, Vol. 84, 1911, 8. 9. 525 Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. dem oben genannten Faktor B und einem Faktor für glatte Fahne im Verhältnis 127:1:1:127. Für uns ist es jetzt besonders wichtig, zu erfahren, wie sich die zweite Generation eines solchen Bastardes gestaltet. In F, einer normal spaltenden dihybriden Pflanze AaBb zählt man bekannt- lich auf 9 Individuen, welche A und B enthalten, je 3 Exemplare, in denen entweder nur A oder nur Banwesend ist, und 1 Individuum, in dem beide Eigenschaften inaktiv sind. Es stellt sich nun her- aus, dass je höher die Zahl n ist, je geringer verhältnismäßig in der zweiten Generation die Anzahl der Individuen wird, welche entweder nur den Faktor A oder nur den Faktor B enthalten. Wenn z. B. Koppelung nach dem Schema 7AB:1Ab:1aB:T7ab stattfindet, muss F, auf 177 Individuen, welche beide Eigenschaften besitzen, je 15 Exemplare mit nur einer der beiden Eigenschaften enthalten und dazu 49 Individuen, in denen beide Eigenschaften inaktiv sind. Liegt eine Koppelung im Verhältnis 63 AB: 1 Ab: 1 aB:63 ab der Spaltung zugrunde, so muss F, wie 12161 AB: 127 Ab: 127 aB: 3969 ab aussehen. Die Individuen Ab und aB treten im letzten Falle in einem Prozentsatz auf, wie es auch manche Mutanten der Oenothera La- marckiana zu tun pflegen. Lässt sich aber hieraus umgekehrt schließen, dass die Mutanten der O. Lamarckiana durch eine solche Bastardspaltung entstehen können? Durchaus nicht, denn während diese Mutanten in weiteren Generationen konstant zu sein pflegen, mendeln die Individuen AB und aB bis auf eins weiter auf. Auch treten neben den Individuen AB, welche dem Bastard ähnlich bleiben, in sehr "bedeutender Zahl Individuen ab auf, eine Erschei- nung, welche der Mutation von O. Lamarckiana ganz fremd ist, u. s. w. Ebensowenig wie diese Faktorenkoppelung ist die von W. Bate- son entdeckte und von ihm „spurious allelomorphism* benannte Faktorenabstoßung geeignet, um das Auftreten der Mutanten von O. Lamarckiana zu erklären. Die Faktorenabstoßung ist gewissermaßen der Koppelung entgegengesetzt, insofern hier zwei Faktoren getrennt zu bleiben suchen. Sie zeigt sich bisweilen, wenn eine Bastardpflanze AaBb aus der Vereinigung zweier Ga- meten Ab und aB entstanden ist. In diesem Falle werden haupt- sächlich wieder Keimzellen Ab und aB gebildet. Die Gameten AB und ab entstehen viel weniger häufig: die Faktoren A und B stoßen einander ab. Und zwar findet diese Abstoßung derart statt, dass die viererlei Gameten, anstatt in gleicher Zahl, in einem Verhältnis 1AB:nAb:naB:1ab gebildet werden, in dem n wieder besonders häufig eine der Zahlen 3, 7, 15 u. s. w. ist. Von vornherein ist es nicht unwahrscheinlich, dass eine Bastard- pflanze AaBb, welche, als AB x ab entstanden, Koppelung zeigt, als Ab X aB erzeugt, ihre Keimzellen auch mit Abstoßung bildet. Biologisches Centralblatt 1 912 J. Stomps, Amsterdam Tafel I Verlag von Georg Thieme in Leipzig Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. 529 Dieses hat sich in der Tat in manchen Fällen ergeben. Bei der Spaltung einer Bastardpflanze, in der Koppelung stattfindet, ent- stehen immer einige wenige Individuen als Ab X aB oder aB X Ab. In den untersuchten Fällen zeigten derartige Pflanzen Abstoßung, mit einer einzigen Ausnahme jedoch. Baur?!) fand, dass seine FfGg-Antirrhinum-Bastarde ganz normal aufmendelten, wenn sie als Fg X fG entstanden waren. Dies braucht keine Verwunderung zu erregen, wenn man bedenkt, dass die Koppelung selbst bei einem bestimmten Bastard nicht immer in allen Individuen nach dem gleichen Schema verläuft. Im allgemeinen dürfte die Abstoßung jedoch nach dem gleichen Schema, wie die übereinstimmende Koppe- lung vor sich gehen, wie Bateson es dann auch für die Faktoren B und L bei Zathyrus odoratus gezeigt und für die Faktoren B und E bei der nämlichen Pflanze wahrscheinlich gemacht hat. In jenen Fällen, wo die Abstoßung eine vollständige war, während die Koppelung sich als partiell herausstellte, dürfte dies oft auf einer ungenügenden Menge untersuchten Materials beruhen. Für uns ist nun wieder die Feststellung wichtig, dass ein Bastard AaBb, welcher mit Faktorenabstoßung spaltet, nur recht wenig Individuen ab erzeugt. Wenn das der Spaltung zugrunde- liegende Schema 1AB:3 Ab:3aB: 1ab ist, muss auf 64 Individuen nur lab vorkommen. Wenn das Schema 1:7:7:1 ıst, so ent- steht sogar nur 1ab auf 256 Pflanzen. Da das Individuum ab in sich konstant ist, liegt hier auch wieder ein Verhältnis vor, das an die Mutation erinnert. Doch kann die Mutation umgekehrt nicht durch Spaltung mit Faktorenabstoßung erklärt werden: eben weil der Rest der F,-Pflanzen keinen gleichförmigen Typus bietet und ‚die einzelnen Individuen in verschiedenster Weise aufmendeln. Bis jetzt ist nur von einer Koppelung bezw. Abstoßung zwischen zwei Faktoren die Rede gewesen. Das Heranziehen mehrerer Fak- toren könnte die Sachlage zwar komplizieren, jedoch nicht die Argumente entkräftigen, welche wir gegen eine Erklärung der Mu- tationen von O. Lamarckiana durch irgendeine komplizierte Mendel- spaltung anführen können. Fassen wir also das bis jetzt Besprochene kurz zusammen, so sehen wir, dass eine komplizierte Mendelspaltung "eine gewisse Ähnlichkeit mit der Mutation von ©. Lamarckiana aufweisen kann, insofern stark abweichende Individuen in einem gleichen Prozentsatz wie die Mutanten auftreten können. Diese Ähn- lichkeit ist aber nur eine scheinbare, weil die ©. Lamarckiana konstant ist, die Hauptmenge der Nachkommen der Bastarde jedoch nicht. Bevor ich nun weitergehe, möchte ich eine kurze Bemerkung über das Wesen der Faktorenkoppelung und -Abstoßung machen. 24) Erwin Baur. Vererbungs- und Bastardierungsversuche mit Antir- rhinum. II. u. s. w. 530 Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. Anlass dazu geben mir folgende Äußerungen Bateson’s?): „As to the actual meaning or nature of coupling or repulsion there is no elue“ und: „In a problem of such extreme difficulty even impro- bable suggestions are worthy of consideration.“ Da ich glaube, eine Erklärung geben zu können und dieselbe für nicht unwahrscheinlich halte, sei es mir gestattet, sie hier mit einigen Worten zu erwähnen. Ich knüpfe dabei an die herrschenden Vorstellungen an, dass wir in den Chromosomen „die Vererbungsträger — oder sagen wir vor- sichtiger, die Träger der mendelnden Unterschiede — vor uns haben“?%), und dass die Mendel’sche Bastardspaltung „auf einer Verteilung der väterlichen und der mütterlichen Chromosomen bei der Reduktionsteilung“?”) beruht. Letzteres möchte ich inzwischen nur mit einem gewissen Vorhehalt annehmen. Ich bin nämlich der Meinung, dass hier die von so zahlreichen Forschern beschriebene Paarung der Chromosomen in der Prophase der Reduktionsteilung zu wenig gewürdigt wird. Ein Umtausch von Erbeinheiten während der Synapsis wird häufig angenommen und kann neben einer Ver- teilung von väterlichen und mütterlichen Chromosomen für die Bastardspaltung von Bedeutung sein. Beweisen wird sich dies frei- lich erst lassen durch die Entdeckung einer Bastardspaltung, bei der mehr Erbeinheiten unabhängig voneinander mendeln als Chro- mosomen in der haploiden Generation vorhanden sind. Es kommt mir aber nicht unwahrscheinlich vor, dass dieses in der nächsten Zeit gefunden werden wird. Man braucht nun hierzu nur die Annahme zu machen, dass die Auswechslung der Erbeinheiten während der Paarung der Chromo- somen nicht immer vollständig stattfindet, und es liegt eine ein- fache Erklärung für die Faktorenkoppelung und -Abstoßung vor. Die Intensität der Verschmelzung der Chromosomen eines bestimmten Paares könnte sehr gut ein Artmerkmal sein. Ist sie sehr groß, so werden zwei Erbeinheiten A und B, welche nebeneinander ım gleichen Chromosom anwesend sind, unabhängig voneinander men- deln. Findet gar keine Verschmelzung statt, so muss ein Bastard AB x ab nur wieder Keimzellen AB und ab (vollständige Koppe- lung), ein Bastard Ab x aB dagegen nur Gameten Ab und aB (voll- ständige Abstoßung) erzeugen. Ist die Intensität der Paarung eine: mittlere, so muss partielle Koppelung oder Abstoßung stattfinden. Nach welchem Schema dies geschieht, hängt von der Intensität ab. Für diese Auffassung spricht, dass die Koppelung und Abstoßung zwischen den nämlichen Faktoren in der Regel nach dem gleichen 25) W. Bateson and R. C. Punnett. 1. c., Proc. Roy. Soc. B, Vol. 84, 1911, 8. 6. 26) Erwin Baur. Einführung in die exakte Erblichkeitslehre. Berlin 1911, SH1Z. 27) Erwin Baur. Ebenda, 8. 179. Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. 531 Schema zu verlaufen scheinen. Abweichungen vom gewöhnlichen Schema dürften auf eine Fluktuation in der Intensität der Ver- schmelzung zurückzuführen sein. Meine Hypothese ist somit im- stande, die meisten hier entdeckten Tatsachen in einfacher Weise zu erklären, und nur für nebensächliche Punkte ergeben sich Hilfs- hypothesen als notwendig. Ich komme jetzt zu den Arbeiten von Davis und Gates, in denen diese Autoren auf Grund ihrer Untersuchungen der O©. La- marckiana Bastardnatur zuschreiben. Davis sucht besonders die O. Lamarckiana durch Kreuzungen zwischen O. biennis und O. grandi- flora und umgekehrt künstlich herzustellen. Bis jetzt haben seine Versuche jedoch nicht zu diesem Ziele geführt. Gates kommt durch ausgedehnte von ihm angestellte Herbarstudien zu der Über- zeugung, dass 0. Lamarckiana als Bastard entstanden ist. Ich glaube kaum, dass man einen solchen Schluss aus Herbarstudien wird ziehen können. Bewiesen haben diese beiden Forscher ihre Auffassung bis jetzt jedenfalls nicht. In Anbetracht der Angriffe jedoch, denen die Oenothera La- marckiana ın der letzten Zeit ausgesetzt ist, wäre es ganz besonders wichtig, wenn sich feststellen ließe, dass ähnliche Mutanten, wie diejenigen der O. Lamarckiana, auch bei anderen Oenothera-Arten auftreten können. Dadurch würde es sich zeigen, dass die Mutation bei den Oenotheren älter ist als die Art .O. Lamarckiana. Wenn eine solche Oenothera-Art außerdem den Vorteil hätte, nicht im Verdachte einer Bastardnatur zu stehen, wäre damit zu gleicher Zeit ein Argument beseitigt, das jetzt gegen die O. Lamarckiana angeführt werden kann. | Bei welcher Art würde man eher dergleichen Mutationen er- warten können als bei O. biennis, die ja meistens als Stammvater von O. Lamarckiana angesehen wird? Dazu ist dieser in Europa sowohl als in Amerika in zahlreichen Unterarten verbreiteten Form bis jetzt meines Wissens noch keine Bastardnatur zugeschrieben worden und wird sie allgemein als gute Art betrachtet. A priori ist es nicht unwahrscheinlich, dass die O. biennis eine mutierende Pflanze ist. Erstens weil sie in so zahlreichen elemen- taren Arten vorkommt. Zweitens weil in unseren Dünen einige Male abweichende Typen inmitten der gewöhnlichen Form der ©. biennis gefunden worden sind, welche wohl nicht anders als an Ort und Stelle durch Mutation aus ©. biennis entstanden sein können. Es sind dies eine O, biennis sulfurea, welche sich durch schwefel- gelbe Blüten kennzeichnet, und die ©. biennis cruciata, bei welcher die Blütenblätter viel kleiner und schmäler sind als bei der Mutter- art. Im Versuchsgarten sind diese Formen jedoch bis jetzt nicht 532 Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. entstanden. Der strenge Beweis ist also noch nicht geliefert, dass hier wirklich Mutationen vorliegen. Mit ihnen wollen wir uns also nicht weiter beschäftigen. Sie sind für unseren Zweck auch des- halb weniger wichtig, da als Mutation entstandene Sulfurea- und Cruciata-Formen bei O. Lamarckiana nicht bekannt sind. Im vergangenen Sommer gelang mir nun die Feststellung der Tatsache, dass die O. biennis imstande ist, ähnliche Mutanten ab- zuwerfen wie 0. Lamarckiana. Seit einigen Jahren züchte ich O. biennis und O. biennis erueiata, sowie Bastarde zwischen diesen Typen, zwecks einer Untersuchung des Oruciata-Merkmales. In diesen Kulturen traten plötzlich zwei Individuen als Mutanten auf, welche ich, wegen ihrer Ähnlichkeit mit gewissen Mutanten von 0. Lamarckiana, O. biennis nanella und O. biennis semi-gigas nenne. Mit besonderem Nachdruck betone ich, dass die Samen, aus denen meine beiden Mutanten hervorgingen, durch reine Bestäu- bung gewonnen wurden. Die Mutterpflanzen waren aus Biennis- und Biennis eruciata-Eltern entstanden, die je einer reinen Linie angehörten. Alle meine Biennis-Pflanzen rührten von einem In- dividuum her, welches ich in 1905 in den Dünen unweit Wykaan- Zee ausgegraben hatte. Alle Biennis cruciata-Pflanzen von einem Exemplar, das in 1900 von Ernst de Vries in den Dünen un- weit Santpoort gefunden worden war, und sich seitdem als kon- stand erwiesen hatte. Die erstgenannte Mutation, O. biennis nanella, trat auf in der zweiten Generation einer in 1909 ausgeführten Kreuzung zwischen O. biennis und ©. biennis eruciata. Das Resultat einer solchen Kreuzung ist ein Bastard nur in bezug auf das Cruciata-Merkmal; alle anderen Eigenschaften sind bei beiden Eltern dieselben. In der ersten Generation sind die Blumenblätter ausnahmslos herzförmig wie bei der Mutter O. biennis. In der zweiten Generation findet aber Spaltung in Biennis cruciata- und Biennis-Individuen statt. Eines der letzteren hatte nun anstatt der hohen Biennis- Statur Zwerggestalt. Im übrigen glich die Pflanze aber der O. biennss. Von den Zwergen von O. Lamarckiana war sie sehr deutlich unter- schieden durch die nämlichen Merkmale, welche O. biennis von O0. Lamarckiana trennen. So waren die Blüten kleiner und die Griffel kürzer als bei der O. Lamarckiana nanella. Fig. 1, Taf. I gibt uns unsere Pflanze in einem jugendlichen Stadium wieder. In einem Merkmal jedoch stimmte meine Pflanze mit den Lamarekiana-Zwergen überein, nämlich in ihrer Empfindlichkeit gegenüber gewissen Bodenbakterien. Bekanntlich fand Zeylstra°*) in den Gewebezellen der Lamarckiana-Zwerge ein Bakterium, 28) H. H. Zeylstra, Fzn. Oenothera nanella de Vries, eine krankhafte Pflanzenart. Biol. Centralbl., Bd. XXXI, 1911, S. 129 —139. Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. 533 das er vorläufig für einen Mecrococeus hält. Es zeigte sich, dass einige Merkmale der Zwerge, welche zuvor als spezifisch betrachtet worden waren, krankhafte vom Parasiten verursachte Abänderungen sind. Denn unter günstigen Verhältnissen entstehen an den Pflanzen bakterienfreie Zweige, welche diese Merkmale nicht besitzen und ein normales Aussehen haben. De Vries?®) fand darauf, dass man durch Anwendung einer reichlichen Düngung mit Caleiumphosphat die Zwerge nahezu ganz gesund machen kann. Meine Pflanze verhielt sich in dieser Hinsicht in derselben Weise. In Fig. 1 sieht man bei * krüppelhafte Zweige, welche in den ersten Entwickelungs- stadien, als die Pflanze in gewöhnlicher @artenerde stand, ausge- bildet worden waren. Die übrigen fast normalen Zweige entstanden später auf mit Oaleciumphosphat gedüngtem Boden. Die zweitgenannte Mutation trat in der zweiten Generation einer Kreuzung zwischen O. biennis eruciata und O. biennis auf. Auch bei dieser Kreuzung hat der Bastard Biennis-Blüten und findet in der zweiten Generation Spaltung in Biennis- und Biennis eruciata-Individuen statt. Eines der ersteren unterschied sich nun durch eine besonders kräftige Statur von den übrigen Biennis- Pflanzen. Man vergleiche dazu die beiden Figuren 2 u. 3, Taf. I. Fig. 2 ist eine Abbildung des oberen Teiles der Infloreszenz der neuen Form; Fig. 3 zeigt das nämliche von einer normalen Biennis- Pflanze vom selben Beet. Durch ihre kräftige Gestalt erinnerte das betreffende Individuum auffallend an die aus 0. Lamarckiana entstandene O. gigas. Aber auch ın Einzelheiten ergab sich mit dieser letzteren eine gewisse Übereinstimmung. Die Blätter waren breiter als bei O. biennis und von dunklerem Grün. Die Blumen waren bedeutend größer, die Knospen dicker, wie aus den bei- gegebenen Figuren ersichtlich ist. In vielen Blüten trug der Griffel mehr als vier Narbenlappen, wie das bei O. gigas auch oft der Fall ist. Die Pollenkörner zeigten unter dem Mikroskop vielfach die für die Pollenkörner von O. gigas charakteristische viereckige Form. Außer diesen deuteten noch andere Merkmale auf einen Unter- schied mit O. biennis hin. Auffallend waren z. B. die in großer Zahl vorhandenen zweigipfeligen Blätter, denen ich bei keiner anderen Pflanze begegnete. Der Griffel war viel länger, als ge- wöhnlich bei O. biennis der Fall ist. Infolgedessen war die Pflanze nicht wie O. biennis imstande, sich selbst zu bestäuben und musste Bestäubung künstlich vorgenommen werden. Übrigens war sie fast steril und bekam ich nur mit großer Mühe einen geringen Frucht- ansatz. Mein erster Gedanke war, dass meine Pflanze ihren Ursprung einem Bestäubungsfehler verdankte und ich einen Bastard zwischen 29) Hugo de Vries. Oenothera nanella, healthy and diseased. Science, N.S., Vol. XXXV, No. 906, 8. 753—754, 1912. 534 Stomps, Mutation bei Oenothera biennis L. 0. biennis und ©. Lamarckiana gigas vor mir hatte. Weahrschein- lich kam mir dieses jedoch nicht vor, da die Samenernte, aus der das abweichende Individuum hervorging, durch Selbstbefruchtung einer Biennis-ähnlichen F,-Pflanze gewonnen worden war. Wie oben schon bemerkt wurde, befruchtet eine Biennis-Blüte sich selbst und zwar schon bevor sie sich öffnet. Die Infloreszenz der betreffenden F,-Pflanze war deshalb vor der Blütezeit von einem Pergaminbeutel eingehüllt worden, der erst weggenommen wurde, als sämtliche Blumen verwelkt waren. Bestäubungsfehler waren dadurch völlig ausgeschlossen. Ein genauer Vergleich mit den reziproken Bastarden zwischen O. biennis und O. gigas lehrte so- dann, dass auf keinen Fall ein solcher Bastard vorlag. Somit lag es nahe, die neue Erscheinung als Mutation zu betrachten. Bekanntlich führt die O. gigas doppelt so viele Chromosomen in ıhren Kernen als die Mutterart, ©. Lamarckiana. In einer früheren Arbeit?) habe ıch aus theoretischen Gründen zu beweisen gesucht, dass diese größere Zahl nicht nach der Befruchtung ent- standen sein kann, wie Gates°!) und Strasburger°?) dieses als wahrscheinlich hervorgehoben haben, sondern dass schon vor der Befruchtung eine Verdoppelung der Chromosomenzahl in den Keim- zellen stattfindet und deshalb viel häufiger als O0. gigas Mutanten mit 21 Chromosomen entstehen müssen. Neuerdings gelang es mır, diese Auffassung zu beweisen, wie ich an anderer Stelle ausführ- licher mitteilen werde®®). ©. Lamarckiana bringt in der Tat Mutanten mit 21 Chromosomen hervor, die man wohl am sf N besten mit dem Namen Semi-gigas andeutet. ws, Wegen ihrer Übereinstimmung mit O. gigas Rs kam es mir wichtig vor, die Chromosomenzahl >. meiner Biennis-Mutation zu bestimmen. Des- Fig. 1. Kernplatte halb wurden junge Blütenknospen mit Alkohol- aus dem meristema- Eisessig nach Carnoy und mit einer mittel- tischen Gewebe einer starken Flemming’schen Lösung fixiert. Das jungen Blütenknospe - . a: \ . . » BE le Alkohol-Eisessig eingelegte Material erwies sich nis semi-gigas. für die Untersuchung nicht besonders geeignet. Vergr. X 2250. Die Färbung mit Eisen-Hämatoxylin nach Hei- denhain gelang mir mit diesem Material nie- mals gut. Dagegen bewährte sich das mit Flemming fixierte Material ausgezeichnet. Die Färbung der 10 u dick geschnittenen 30) Theo J. Stomps. Kerndeeling en synapsis by Spinacia oleracea L. Amsterdam 1910. 3l) R.R. Gates. The stature and Chromosomes of Oenothera gigas de Vries. Arch. f. Zellf., Bd. 3, Heft 4, 1909. 32) E. Strasburger. Chromosomenzahl. Flora, Bd. 100, 1910. 33) Theo J. Stomps. Die Entstehung von Oenothera gigas de Vries. Ber. d. D. bot. Ges. 1912, Bd. XXX, Heft 7. Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 535 Präparate gab hier immer die schönsten Resultate. Im meriste- matischen Gewebe junger Knospen begegnet man immer zahlreichen vegetativen Teilungen. So war es mir möglich, durch Zählung der Chromosomen in einer erheblichen Anzahl von Kernplatten ihre Zahl auf 21 festzustellen. Nebenstehende Textfigur zeigt eine solche Kernplatte bei 2250maliger Vergrößerung. Ohne Mühe zählt man beim ersten Blick die 21 Chromosomen. Somit kann das ab- weichende Individuum in meiner Kultur als Mutation und zwar als eine O. biennis semi-gigas betrachtet werden. Fassen wir kurz das Mitgeteilte zusammen, so sehen wir, dass die O. biennis L. imstande ist, ähnliche Mutationen hervorzubringen wie O0. Lamarckiana. Dies deutet darauf hin, dass die Mutabilität der O. Lamarckiana älter ıst als diese Art selbst und dass somit die Mutationserscheinungen nicht als Folgen von Bastardierungen aufgefasst werden können. Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. Von B. Swarezewsky (Kiew). II. Über die Doppelkernigkeit der Ciliaten. Die Doppelkernigkeit der Ciliaten wurde seit langer Zeit als ein glänzendes Beispiel einer Duplizität der Kernsubstanz ange- nommen. Maupas und R. Hertwig hielten es für möglich, eine Parallele zwischen zwei funktionell verschiedene Kerne der Ciliaten einerseits und somatischen und Geschlechtszellen der Metazoen anderseits durchzuführen. Von diesem eigentümlichen Bau des Cilhiatenkernapparates aus- gehend wurden die Voraussetzungen über die Duplizität der Kern- substanz der Protozoen im allgemeinen aufgebaut. So z. B. macht R. Hertwig (1907) einen Versuch, die Kerne von Actinosphaerium Eichhorni mit denjenigen von Ciliaten zu ver- gleichen. Bei Actinosphaerium, einem vielkernigen ÖOrganısmus, sind während dessen vegetativen Lebens alle Kerne gleichwertig und nehmen in gleichem Maße sowohl an dem vegetativen Leben des Tieres wie auch an dessen sogen. vegetativer Fortpflanzung Anteil. Es lässt sich demnach keinerlei Unterschied zwischen diesen zahl- reichen Kernen feststellen und sie alle müssen nach der Hypothese von Schaudinn in ganz gleicher Weise sowohl aus vegetativer wie auch aus generativer Substanz bestehen. Allein bei dem Ein- treten des geschlechtlichen Prozesses geht die Mehrzahl dieser Kerne (bis zu 95°/,) zugrunde oder degeneriert und nur etwa 5°/, nehmen Anteil an der geschlechtlichen Tätigkeit. Versuchte man es, diese letztere Tatsache im Sinne derselben Hypothese auszulegen, so müsste man annehmen, dass nur die an den geschlechtlichen Pro- 536 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. zessen teilnehmenden Kerne (5°/,), wirklich generative Kerne dar- stellen; die übrigen Kerne dagegen (95°/,), welche vor dem Eintritte des Momentes der geschlechtlichen Tätigkeit der Zerstörung anheim- fallen, müssen als rein vegetative Kerne angesehen werden. Gegen die Zulässigkeit einer solchen Annahme sprechen indessen die Be- obachtungen über die den Geschlechtsprozess von Actinosphaerium begleitende Enzystierung. Es erweist sich, dass die Zahl der Kon- jugationszysten unter der Einwirkung der Veränderungen in den äußeren Bedingungen (Temperatur, Ernährung) Schwankungen unter- liegt; da nun diese Zysten nur je einen Kern besitzen, so ändert sich die Zahl der an dem Geschlechtsprozesse teilnehmenden Kerne. Es wird demnach ganz klar ersichtlich, dass die Zahl der Kerne, welche an dem geschlechtlichen Prozesse teilnehmen müssen, durch- aus nicht beständig und von vornherein festgestellt ist, was nach der Ansicht von R. Hertwig der Fall sein müsste, wenn die Kerne von Actinosphaerium sich als vegetative und geschlechtliche Kerne untereinander unterscheiden würden. In dem Bestreben, die bei Actinosphaerium beobachteten Er- scheinungen, wenn auch nur bis zu einem gewissen Grade zu er- klären, stellt R. Hertwig die Voraussetzung auf, dass an dem geschlechtlichen Prozesse nur solche Kerne teilnehmen können, welche in geringerem Maße als die übrigen an dem vegetativen Leben des Organismus Anteil genommen haben: „Funktionell stärker in Anspruch genommene Kerne gehen... zugrunde, die minder betroffenen werden zu Befruchtungszwecken benutzt!).* R. Hertwig nimmt an, dass die Unterschiede, die bei dem Aectinosphaerium zwischen den degenerierenden Kernen und solchen, die in den Geschlechtsprozessen teilnehmen, „graduelle“ sind und dass sie sich im Laufe des Lebens des Tieres entwickeln. Bei den Ciliaten äußern sich diese Unterschiede in den Verhältnissen des Haupt- und des Nebenkernes und scheinen „dauernd“ und „prin- zipiell“ zu sein. Allein seit jener Zeit sind mehrere Arbeiten über Ciliaten er- schienen, deren Kernapparat sich während der Periode des vege- tativen Lebens des betreffenden Organismus von demjenigen der meisten Infusorien dadurch unterscheidet, dass er aus einem oder mehreren Kernen besteht, die ihren Funktionen nach nur dem Makronukleus entsprechen, während der Ergänzungskern, der Mikro- nukleus, bei diesen Formen erst unmittelbar vor dem Beginn des (seschlechtsprozesses auftritt. Diese Formen sind Ichthyophthirius multifiliis und Trachelocerca phoenicopterus. Bei Ichthyophthirius, dessen Entwickelungsgeschichte in neuester Zeit von Neresheimer (1908) und Buschkiel (1910) 1) 1. c. (1907), 8. 27. Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 537 erforscht wurde, ist der Kernapparat auf vegetativen Stadien durch einen einzigen massiven Kern dargestellt, welcher eine etwas in die Länge gezogene runde Gestalt besitzt. Zu einer gewissen Periode in seinem Leben enzystiert sich dieses Tier und beginnt sich dann zu teilen. Das Ergebnis dieses Vorganges ist eine be- trächtliche Anzahl sehr kleiner Individuen, in denen der geschlecht- liche Prozess nach dem Typus der sich bei einigen Amoeben ab- spielenden Autogamie vor sich geht. Es erweist sich nun, dass die auf diese Weise gebildeten zahlreichen kleinen Individuen mit Mikronuklei bei Anwesenheit eines Makronukleus versehen sind. Nach den Beobachtungen von Neresheimer ist das Auftreten dieses bis jetzt fehlenden Teiles des Kernapparates an den Moment geknüpft, wo der Inhalt der Zyste in 2—3 Dutzende von Tochter- zellen zerfällt. Nach den Angaben von Buschkiel hingegen kann man das Auftreten der Mikronuklei bereits nach der Teilung des Mutterindividuums in 4 Tochterindividuen beobachten. Der Bildungsprozess der Mikronuklei lässt sich nach den An- gaben der beiden Autoren auf eine Ausscheidung derselben aus dem einzigen Kerne dieses Organismus zurückführen. Bezüglich der Anzahl der zur Bildung gelangenden Mikronuklei weichen die An- sichten von Neresheimer und Buschkiel etwas voneinander ab. So löst sich nach den Angaben des ersteren Autors nur ein ein- zıges Körperchen von dem Hauptkern von Ichthyophthirius ab, welches sich ebenso intensiv färbt, wie der Kern selbst, welchem es seine Entstehung verdankt, und sich in einen echten Mikro- nukleus verwandelt, worauf man aus seinen nachfolgenden Teilungen und seiner Teilnahme an dem geschlechtlichen Prozesse schließen darf. Nach den Beobachtungen von Buschkiel erfolgt in einigen Fällen noch eine wiederholte Bildung solcher Körperchen, deren Zahl bis zu 3 betragen kann. Das erste dieser Körperchen ver- wandelt sich stets in einen echten Mikronukleus, das Schicksal des zweiten ist nach der Ansicht des Autors das gleiche wie bei dem ersten, das dritte dagegen unterliegt seinen Angaben nach einer Degeneration. | Nach dem geschlechtlichen Prozesse, welcher in diesem Falle. durch eine Autogamie vertreten ist, worauf schon weiter oben hin- gewiesen wurde, tritt der Mikronukleus von neuem in den Makro- nukleus ein und verschwindet in demselben nach einiger Zeit, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen. Eine vom Standpunkte der Duplizität der Kernsubstanz aus- gehende Deutung der bei Ichthyophthirius vor sich gehenden Pro- zesse erscheint auf den ersten Blick gar nicht schwer. Man wird sich vorstellen können, dass bei diesem Organismus die geschlecht- liche wie auch die somatische Kernsubstanz auf den vegetativen Stadien in ein und demselben Kerne verbunden sind, wie dies bei XXXIL 39 98 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. zahlreichen Formen gewöhnlich beobachtet wird. Vor dem Eintritt des geschlechtlichen Prozesses erfolgt eine Loslösung der geschlecht- lichen Substanz von der Hauptmasse des Kernes: es wird der Mikronukleus gebildet; nachdem der geschlechtliche Prozess sein Ende erreicht hat, verschmilzt die generative Substanz von neuem mit der vegetativen Substanz, d. h. der Mikronukleus tritt wiederum in den Makronukleus über und beide Kernsubstanzen — die gene- rative und die somatische — sind wiederum in ein und demselben Kerne vereinigt. Diese Erklärung könnte ganz befriedigend erscheinen, wenn die Beobachtungen an Ichthyophthirius sich auf dasjenige Stadium beschränken würden, auf dem wir sie bei Neresheimer finden, d.h. wenn in Wirklichkeit nur ein Mikronukleus, nur ein geschlecht- licher Kern, ausgeschieden würde. Allein Beobachtungen, welche auf eine Wiederholung der Bildung des Mikronukleus hinweisen, wobei an dem geschlechtlichen Prozesse nur ein einziger der ge- bildeten geschlechtlichen Kerne Anteil nımmt, und zwar derjenige, der sich früher als die übrigen aus dem Makronukleus abgeschieden hatte, legen einer Deutung dieses ganzen Prozesses in einem für die betreffende Hypothese günstigen Sinne beträchtliche Schwierig- keiten in den Weg. Wollte man um jeden Preis die von Busch- kiel beschriebenen Erscheinungen in den Rahmen der hier be- sprochenen Lehre einpassen, so müsste man die Voraussetzung zulassen, dass die Menge des generativen Chromatins bei verschie- denen Individuen von Ichthyophthirius nicht die gleiche ist und dass bei einigen derselben, und zwar bei denen, wo eine wieder- holte Bildung des Mikronukleus beobachtet wurde, mehr von dieser Substanz vorhanden ist als bei den übrigen; oder aber man müsste annehmen, dass die wiederholt ausgeschiedenen und späterhin degenerierenden Körperchen ihrer Zusammensetzung nach ganz ver- schieden sind von dem ersten Körperchen, welches sich in den Mikronukleus verwandelt und an dem geschlechtlichen Prozesse teilnimmt. Allein die erstere Voraussetzung würde ın vollem Wider- spruch stehen zu unseren Begriffen von der generativen Substanz - des Kernes ın ıhrer Eigenschaft als Idiochromatin, d. h. als Träger der erblichen Eigenschaften; die zweite Annahme kann in keiner Weise begründet werden, indem die Angaben von Buschkiel, des Urhebers dieser Untersuchungen, uns keinerlei Ausgangspunkte für eine solche Auslegung bieten, Eine andere Form, deren Kernapparat uns interessierende Ab- weichungen von dem bei den Ciliata vorherrschenden Typus darbietet, ist Trachelocerca phoenicopterus. Nach den Untersuchungen von Lebedeff (1908) wird dieses Infusor ın zwei Modifikationen angetroffen, und zwar in Gestalt eines einkernigen oder eines mehrkernigen Organismus, wobei diese Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 539 beiden Modifikationen verschiedene Stadien aus ein und demselben Entwickelungszyklus darstellen, d.h. mit anderen Worten, die ein- kernigen Formen können sich hier in mehrkernige verwandeln und umgekehrt. Nach den Angaben von Lebedeff findet der Konjugations- prozess zwischen mehrkernigen Individuen statt. Der Kernapparat dieser Individuen besteht ausschließlich aus Makronuklei. Kurz vor dem Eintreten des Momentes der Konjugation degenerieren die zahlreichen Kerne von Trachelocerca, wobei eine kleine Menge Kern- substanz eines jeden Makronukleus in das umgebende Protoplasma übergeht und sich in einen Mikronukleus verwandelt. Die Zahl dieser Ergänzungskerne muss demnach der Anzahl von Makronuklei des konjugierenden Individuums entsprechen, aber an dem eigent- lichen Konjugationsprozess nimmt nur je ein Mikronukleus von seiten eines jeden der den Prozess beginnenden Individuen Anteil; die zahlreichen übrigen Mikronuklei degenerieren und gehen zu- grunde. Nimmt man an, dass die Mikronuklei aus generativer Kern- substanz bestehen, d. h. dass sie geschlechtliche Kerne repräsen- tieren, so wird man auf Grund der durch die Lebedeff’schen Untersuchungen bezüglich Trachelocerca bekannt gewordenen Er- scheinungen schließen müssen, dass bei dieser Form durchaus nicht die gesamte generative Substanz an dem geschlechtlichen Prozesse teilnimmt. Ein Teil des Idiochromatins, des Trägers der erblichen Eigenschaften, und zwar der größte Teil desselben, nimmt keinen Anteil an dem geschlechtlichen Prozesse und geht gerade während dieses Prozesses zugrunde: zu diesem Schlusse wird man gelangen müssen, wenn man annimmt, dass alle bei Trachelocerca gebildeten Mikronuklei gleichwertig sind. Natürlich ıst auch noch eine andere Deutung möglich: man wird behaupten können, dass bei der ge- gebenen Form nur ein einziger Mikronukleus gebildet wird, während alle die zahlreichen übrigen Gebilde, welche den gleichen Ursprung haben wie dieser einzige geschlechtliche Kern, demselben nicht gleichwertig sind und nicht aus generativer Kernsubstanz bestehen. Selbst wenn es möglich wäre, im Interesse der Hypothese eine solche Deutung in bezug auf die soeben behandelte Form zuzu- lassen, so erscheint doch eine solche Erklärung in bezug auf eine ganze Reihe anderer Organismen, von denen sofort die Rede sein wird, meines Erachtens noch ın keiner Weise berechtigt. Ich meine hier eine beträchtliche Anzahl solcher Cikata, bei denen der Kern- apparat zwar nach dem allgemeinen Typus gebaut ist, aber aus einem oder mehreren Makronuklei und ee Mikr onulelei besteht. So gelangt bei Bursaria truncatella, deren Konjugation von Prowazek (1895) untersucht worden ist, normalerweise das Vor- handensein einer großen Anzahl von Mikronuklei bei einem einzigen 540 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. großen, bandförmigen Makronukleus zur Beobachtung. Die Zahl der Mikronuklei bei dieser Form ist nach den Angaben der ver- schiedenen Autoren eine unbeständige: so nimmt Bütschli deren 15 an, Schewiakoff — 20, Prowazek selbst — 24; in den meisten Fällen beobachtete er 16—18 Mikronuklei. Vor dem Ein- tritt des geschlechtlichen Prozesses nımmt die Anzahl dieser Er- gänzungskerne durch Teilung noch zu und kann bis zu 64 betragen; allen an dem geschlechtlichen Prozess selbst nımmt nur je ein Mikronukleus von seiten eines jeden der konjugierenden Individuen Anteil. Bei Didinium nasutum, wo die Zahl der geschlechtlichen Kerne nicht durchaus beständig ist (es können deren 2, 3 oder mehr sein) nehmen, wie uns nach den Befunden von Prandtl (1908) be- kannt geworden ist, bei Vorhandensein von 2 oder 3 Mikronuklei im Kernapparat — alle vorhandenen geschlechtlichen Kerne, bei Vorhandensein einer größeren Anzahl derselben dagegen augen- scheinlich nur 2 Mikronuklei an der Konjugation Anteil. Bei Stentor coeruleus nehmen nach den Beobachtungen von Hamburger (1908), ungeachtet der ziemlich großen Anzahl von Ergänzungskernen, nur 2 derselben an dem Vorgange der Kon- jugation Anteil. Nach den älteren Angaben von Maupas (1889) erfolgt in der gleichen Weise auch der Konjugationsprozess bei einer ganzen Reihe von Formen, in deren Kernapparat mehrals ein Mikronukleus enthalten ist. So sind bei Zoxophyllum fasciola *ı—3 Mikronuklei vorhanden, bei Spirostomum teres 1—4, bei Onychodromus grandis 2, bei Clima- costomum virens 3—T; an der Konjugation ist indessen nur ein ein- zıger derselben beteiligt, während die übrigen degenerieren. In allen hier von mir angeführten Fällen erfolgt eine Degene- ration von echten Mikronuklei, welche in jeder Beziehung mit den- jenigen übereinstimmen, welche an dem geschlechtlichen Prozesse Anteil nehmen und für den Aufbau des ganzen Kernapparates der Exkonjuganten verwendet werden. Mit anderen Worten, in diesen Fällen geht gerade derjenige Teil des Kernapparates zugrunde, welcher vom Gesichtspunkte der Schaudinn’schen Hypothese aus- gehend zweifellos aus generativem Chromatin besteht; wie mir scheint, lässt sich diese Erscheinung wohl kaum in irgend befrie- digender Weise zugunsten der erwähnten Hypothese auslegen. Die bei Dietyocysta elegans beobachteten (Swarczewsky, 1912) Erscheinungen lassen sich vom Gesichtspunkte der Lehre von der Duplizität der Kernsubstanz ebenfalls nur schwer auslegen. Bei dieser Form (vielleicht auch bei einigen anderen derselben Familie der Tintinidae angehörenden Formen, wie wir dies auf Grund der bei verschiedenen Autoren angetroffenen, die Schwankungen im Bau dieser Tiere betreffenden Angaben annehmen können) erfolgt Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 54 die Bildung neuer Mikronuklei aus der Substanz des Makronukleus und zwar sozusagen bei Vorhandensein von „geschlechtlichen“ Kernen. Ist nun eine Erklärung dieser Erscheinungen denkbar, wenn man annimmt, dass die Mikronuklei geschlechtliche Kerne darstellen, d.h. dass sie aus Idiochromatin bestehen? Bei der Suche nach einer entsprechenden Erklärung müsste man meiner Ansicht nach zulassen, dass dıe Makronuklei im gegebenen Falle keine rein soma- tischen Kerne darstellen, sondern vielmehr somato-generative Kerne, d.h. dass sie aus einer Mischung von somatischem und generativem Chromatin bestehen und dass sich von Zeit zu Zeit, je nach Bedarf, von diesen somato-generativen Kernen geschlechtliche Substanz ab- scheidet und neue selbständige geschlechtliche Kerne bildet. Eine derartige Auslegung steht aber natürlich in direktem Widerspruch zu der Lehre von der spezifischen Doppelkernigkeit der Infusorien. Es sind hier noch die Ergebnisse der, wie es scheint, von allen späteren Autoren übersehenen Versuche von Le Dantec (1897) über die Regeneration der Mikronuklei zu erwähnen. Dieser Autor war auf Grund seiner zahlreichen Beobachtungen zu der Über- zeugung gekommen, dass bei dem Durchschneiden von Infusorien, deren Kernapparat: nur einen einzigen Mikronukleus aufweist, in zwei Hälften, wobei die eine derselben einen Teil des durchschnittenen Kerns sowie den Mikronukleus, die andere dagegen nur den übrigen Teil des Makronukleus enthält, beide Teile des Infusors vollkommen regenerieren und dass in der eines Mikronukleus entbehrenden Hälfte in Bälde ein neuer Ergänzungskern auftritt. Will man mit den Angaben von Le Dantee rechnen, so wird man dieselben unter Berücksichtigung der Schaudinn’schen Hypo- these nur in dem Sinne auslegen können, dass die generative Kern- substanz nicht ausschließlich in dem Mikronukleus enthalten ist. Indem wir alle bis jetzt bekannt gewordenen und auf den Kern- apparat der Infusorien bezüglichen Beobachtungen zusammenfassen, müssen wir zu folgenden Schlüssen gelangen: 1. Der Kernapparat besteht nicht bei allen Oikata und nicht immer aus zwei Teilen — einem Makro- und einem Mikronukleus, welche gewöhnlich als der „vegetative“ und der „geschlechtliche* Kern bezeichnet werden. 2. Bei einigen Formen (vielleicht auch bei allen, Le Dantee) werden die Mikronuklei durch die Makronuklei gebildet, d. h. die „vegetativen“ Kerne ergeben die „geschlechtlichen‘“. 3. Bei den mit einer großen Anzahl von Mikronuklei versehenen Formen nehmen bei weitem nicht alle „geschlechtlichen“ Kerne Anteil an dem geschlechtlichen Prozesse. Diese Angaben scheinen mir direkt auf die Unmöglichkeit hin- zuweisen, die Eigentümlichkeiten im Baue des Kernapparates der 542 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. Infusorien in dem Sinne zu deuten, wie dies von seiten der An- hänger der Schaudinn’schen Theorie geschehen ist. Es liegt keinerlei Grund vor, den Makronukleus, aus dem der Mikronukleus hervorgeht, als aus „vegetativer“ Kernsubstanz allein bestehend zu betrachten; was dagegen die Annahme betrifft, der Makronukleus könne aus „vegetativer“ und aus „geschlechtlicher* Substanz be- stehen, so widerspricht dieselbe der Lehre von der spezifischen Doppelkernigkeit der Infusorien. Man wird die Doppelkernigkeit der -Infusorien demnach, wie mir scheint, nicht in dem Sinne auslegen können, ın welchem sie von Schaudinn und seinen zahlreichen Nachfolgern verstanden wird, indem eine ziemlich große Anzahl der bei den Ciliata zur Be- obachtung gelangten Erscheinungen sich nicht dem Rahmen der Lehre von der Duplizität der Kernsubstanz anpassen lässt. Von allen oben angeführten Tatsachen ausgehend, wie auch auf Grund des von R. Hertwig (1907) zwischen dem Kerpapparat der Infusorien und den Kernen von Actinosphaerium gezogenen Ver- gleiches, will ich hier nunmehr versuchen, eine Deutung der Doppel- kernigkeit der C/kata zu geben, welche meinem Ermessen nach alle bei diesen Organismen beobachteten Erscheinungen umfassen kann. Die Doppelkernigkeit der Infusorien bedeutet meiner Auffassung nach eine Trennung ihres Kernapparates in solche zwei Teile, von denen der eine (der Makronukleus) aus einer im Sinne von vegetativen Funktionen tätıger Kernsubstanz besteht, der andere Teil hingegen (und zwar der Mikronukleus) aus einer in diesem Sinne nicht tätigen Substanz. Wenn wir unter vegetativer Tätigkeit die Summe aller jener Prozesse verstehen, welche bei den verschiedenen Offen- barungen der Lebenstätigkeit der Infusorien vor sich gehen, so werden wir nicht umhin können, auch jene (chemischen) Verände- rungen in Rechnung zu ziehen, welche zweifellos dabei stattfinden müssen. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet stellt der Makro- nukleus denjenigen Teil des Kernapparates dar, welcher sich unter der Einwirkung vegetativer Vorgänge (in chemischer Hinsicht) ver- ändert, der Mikronukleus hingegen den Teil desselben, der keinen solchen Veränderungen unterworfen ist und eine bestimmte (che- mische) Struktur beibehält ?). 2) Die von Calkins (1909) über die senile Degeneration bei Paramaecium aurelia angestellten Beobachtungen scheinen meine hier ausgesprochene Ansicht zu bestätigen. Die hauptsächlichsten Ergebnisse dieser Beobachtungen bestehen in folgendem: bei andauernder Ernährung von Infusorienkulturen mit einförmiger Nahrung wird die Lebenstätigkeit des Organismus allmählich herabgesetzt; durch Anwendung ver- schiedener künstlicher Faktoren (Veränderung der Nahrung) lassen sich die Degene- rationserscheinungen (Depression) ziemlich lange Zeit hindurch beseitigen, endlich aber büßt dieses Heilmittel seine Wirksamkeit ein und die Kultur stirbt aus. Bei der Unter- suchung degenerierender Individuen erweist es sich, dass sowohl der Makro- wie auch Swarczewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 543 Es versteht sich von selbst, dass nicht immer die gesamte Masse der den Makronukleus ausmachenden Substanz unter der Einwirkung von vegetativen Prozessen (chemisch) verändert wird. Überdies ist es sehr wohl möglich, dass die Kernsubstanz gleichsam wiederhergestellt werden kann, sei es durch Prozesse, welche den während der vegetativen Tätigkeit des Kernes vor sich gehenden entgegengesetzt sind, oder aber durch neue Schaffung von Kern- substanz in unberührter Gestalt seitens der Kernwerkstätte?). der Mikronukleus von den Degenerationsprozessen in Mitleidenschaft gezogen wurde, worin Calkins denn auch die Ursache des Todes erblickt, indem er in der Degene- ration des Mikronukleus eine Degeneration der Fortpflanzungsfunktionen sieht, mit anderen Worten eine Degeneration des Idiochromatins. Gleichzeitig vermutet er, dass die Ursache der Depression in einer Veränderung der chemischen Natur der Zellbestandteile zu suchen ist, welche den Organismus unfähig macht, die für die Verdauung der Nahrung notwendigen Reaktionen auszuführen. Von dem Gesichtspunkte aus. betrachtet, den ich in vorliegender Arbeit durch- zuführen bestrebt bin, wird man die von Calkins beobachteten Erscheinungen wohl in folgender Weise auslegen können: die Substanz des Makronukleus wird bei gleichförmiger Nahrung im Verlaufe des Lebens des Organismus allmählich veraus- gabt, d. h. sie verändert sich unter der Einwirkung jener Reaktionen, welche bei den Assimilierungsprozessen u. dgl. m. vor sich gehen: es tritt eine Periode der De- pression ein, aus der das Tier durch eine Veränderung in dem Bestande der Nahrung herausgerissen werden kann (CGalkins wandte zu diesem Zwecke Fleisch- oder Pankreasextrakt an), indem ein anderer Komplex chemischer Verbindungen andere Reaktionen statt der früheren hervorruft, nachdem letztere bei dem gegenwärtigen Zustande der Kernsubstanz unmöglich geworden sind. Allein schließlich werden die (chemischen) Veränderungen der Kernsubstanz des Makronukleus so tief eingreifend, dass jegliche Reaktionen ihrerseits unmöglich werden und auch der letzte Vorrat an Kernsubstanz, der Mikronukleus, an den vegetativen Prozessen teilzunehmen beginnt. Sobald auch dieser Vorrat aufgebraucht ist, tritt der physiologische Tod ein. 3) Diese letztere Vermutung dürfte durch die Beobachtungen von R. Hert- wig (1904) über einige die physiologische Degeneration von Actinosphaerium be- gleitenden Erscheinungen bis zu einem gewissen Grade bekräftigt werden. Dieser Autor wies nach, dass bei Actinosphaerium unter gewissen Umständen eine Aus- scheidung von Kernsubstanz (Chromidien) aus den Kernen in das Protoplasma des Tieres stattfindet. Bei Individuen, welche in verschiedene, mehr oder minder un- günstig auf den Organismus einwirkende Bedingungen verbracht wird, ist auch der Grad der Chromidienbildung ein verschiedener, mit anderen Worten, bei den einen Individuen geht eine geringere Menge Kernsubstanz in das Protoplasma über und verwandelt sich in Chromidien, bei anderen Individuen eine größere Menge, während bei einigen Individuen, die ser unter den allerungünstigsten Existenzbedingungen befanden (oder am längsten den ungünstigen Bedingungen ausgesetzt waren), die gesamte Substanz der Kerne sich zu Chromidialgebilden umwandelt und die Kerne selbst völlig degenerieren. Indem R. Hertwig das Schicksal der verschiedenen Individuen verfolgte, fand er, dass das Tier bei völliger Degeneration des Kernes zugrunde geht; ist jedoch die Substanz der Kerne eines Individuums noch nicht vollständig in das Protoplasma übergegangen, so kann ein solches Individuum sich bei Veränderung der dasselbe umgebenden Bedingungen von den durch die physio- logische Degeneration erlittenen Beschädigungen erholen und wieder normal werden. Es will mir scheinen, dass diese Beobachtungen auf eine Befähigung der Kernsub- stanz zur Regeneration hinweisen oder vielleicht auch auf eine Fähigkeit sich neu 544 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. Alle von mir in vorliegender Arbeit besprochenen Erscheinungen, wie auch die durchaus normalen, bei den Cihiata allgemein vor sich gehenden, lassen sich meiner Ansicht nach von diesem Gesichts- unkle ausgehend in durchaus befriedigender Weise erklären. Die sn der Mikronuklei durch die Makronuklei bei Ichthyophthirius, Trachelocerca und Dictyocysta bedeutet nicht eine Loslösung „geschlechtlicher* Kernsubstanz von der „somatischen“, sondern einen Vorgang, bei dem ım Momente des Eintretens des geschlechtlichen Prozesses die Kerne eine Substanz ausstoßen, die von den vegetativen Prozessen unberührt geblieben ist, d.h. eine Substanz, welche sich in ihrem (in chemischem Sinne) ursprüng- lichen Zustande erhalten oder denselben wieder erlangt hat, während die zurückbleibende Masse der Kernsubstanz unter der Einwirkung dieser Prozesse irgendwelche Veränderungen erfahren hat. Das Zugrundegehen einer größeren oder geringeren Anzahl von Mikronuklei bei Formen wie Bursaria, Stentor und vielen anderen bedeutet keinen durch nichts erklärbaren Verlust von „Idiochromatin*, sondern einfach eine Degeneration des Überschusses an Kernsub- stanz, welcher in dem geschlechtlichen Prozesse keine Verwendung findet. Von dem gleichen Gesichtspunkte aus betrachtet bedeutet die Doppelkernigkeit der Ciliata nur eine spezielle Anpassung, welche die Erhaltung eines gewissen Teiles der Kernsubstanz in deren unberührter Gestalt für den Bedarf des geschlechtlichen Prozesses zur Folge hat®). Von diesem Standpunkte aus ist die Duplizität der Kern- oder Uhromidialsubstanz auf eine Veränderung (in chemischem Sinne) unter Einflüssen vegetativer Vorgänge der Kernbestandteile zurück- zuführen, ein Teil deren der vegetativen Tätigkeit mehr oder minder getroffen und zur Geschlechtsfunktion unbrauchbar wird — soma- tisches Chromatin der Autoren, während ein anderer Teil von vegetativen Prozessen unberührt verbleibt, ihre primäre chemische Zusammensetzung unverändert bewahrt und somit offenbar zuZwecken der Geschlechtsfunktion fähig ist — generatives Chromatin der Autoren. Die quantitativen Verhältnisse dieser zwei Teile der Kernsub- stanzen zueinander unterliegen Schwankungen, die mit den Be- zu bilden, unter der Voraussetzung, dass der Zerstörungsprozess sich nicht auf den ganzen Kern verbreitet, d. h. dass nicht jene ganze Werkstätte zerstört wird, in der diese Prozesse vor sich gehen können. 4) Wodurch eine solche Anpassung hervorgerufen wird, bleibt für uns natur- gemäß ein Rätsel. Es ist wohl möglich, dass ihre Ursache in der im Vergleiche zu anderen Protozoen erhöhten Lebenstätigkeit zu suchen ist, mit welcher wohl überhaupt die gesamte höhere Differenzierung der Zelle bei den Ciliaten im Zu- sammenhange steht. Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 54 or dingungen des vegetativen Lebens zusammenhängen. Im Zusammen- hang mit diesem stehen offenbar die Degenerationserscheinungen. So kommt bei stärkerer Ernährung (besonders bei einartiger) die Masse der chemisch veränderten Kernsubstanz zum Überwiegen. Die Veränderung der Kernsubstanzen kann endlich so weit gehen, dass ihre ganze Masse in seiner neuen chemischen Zusammensetzung nicht nur zur geschlechtlichen, sondern auch zur weiteren vege- tativen Tätigkeit unfähig erscheint. Eine Veränderung der Bedingungen des vegetativen Lebens (z. B. Veränderung der Nährsubstanzen u. s. w.) und eine damit in Verbindung stehende Veränderung chemischer Prozesse kann wieder die Lebenstätigkeit des Tieres heben, was man scheinbar als eine Wiederherstellung des größeren oder kleineren Teiles der Kern- substanz bis auf ihre ursprüngliche Zusammensetzung sich vor- stellen muss. Literaturverzeichnis. Buschkiel, A. Beiträge zur Kenntnis der Ichthyophthirius multifiliis F. Arch. f. Protist., Bd. 21; 1910. Hamburger, C. Zur Kenntnis der Konjugation von Stentor coerulens. Z. f. w. Zool., Bd. 90, 1908. Hertwig, R. Über physiologische Degeneration bei Actinosphaerium Eichhorni. Festschr. z. 70. Geb. von E. Haeckel, 1904. — Über den Chromidialapparat und den Dualismus der Kernsubstanzen. Sitz.- Ber. Gesellsch. Morphol. u. Physiol., München 1907. Lebedeff, W. Über Trachelocerca foenicopterus Cohn. Arch. f. Protist., Bd. 13, 1909. Le Dantec, F. Le Regeneration du miecronucleus ches quelque Infusoires cilies. C. R. Acad. Sc. Paris, Bd. 125, 1897. Maupas, E. Le ragenissement karyogamique chez les cilies. Arch. de Zool. exp. et gener. 2 S., Bd.7, 1889. Neresheimer, E. Der Zeugungskreis des Ichthyophthirius. Ber. d. k. k. Ver- suchsstation, München, Bd. 1, 1908. Prandtl, H. Die Konjugation von Didinium nasutum O.F.M. Arch. f. Protist., Bd. 7, 1906. Prowazek, S. Protozoenstudien I. Bursaria truncatella und ihre Conjugation. Arb. a. d. Zoolog. Inst. Wien, 1895—99. Schaudinn, F. Untersuchungen über die Fortpflanzung einiger Rhiozopoden (1903). F. Schaudinn’s Arbeiten. Hamburg und Leipzig 1911. Swarczewsky, B. Die Chromidien der Protozoen und ihre Beziehung zur Chro- matindualismushypothese. M&m. d. l. Soc. Natural. Kiew, Bd. 22, 1912. IV. Die polyenergiden Kerne Hartmann’s — bei Protozoen. In den letzten Jahren bemerken wir eine ganz neue und recht unerwartete Phase in der Entwickelung der Lehre von den Chro- midialgebilden. Augenscheinlich sehen sich die Autoren, durch die Unmöglichkeit einer vom Standpunkte der Lehre von der Duplizität der Kernsubstanz genauen Charakterisierung und Systematisierung der verschiedenen Chromidialgebilde ausgehenden, sowie wegen des 546 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. zwischen vielen der beobachteten Erscheinungen und dieser Lehre bestehenden Widerspruches, in die Notwendigkeit versetzt, irgend- einen Ausweg aus der geschaffenen Lage zu suchen, wobei dieser Ausweg so gewählt werden muss, dass die Grundlagen der Lehre keine Einbuße erleiden. Einen solchen Ausweg hat Hartmann gefunden und denselben in Gestalt seiner Lehre von den „polyenergiden“* Kernen bekannt gegeben. Indem Hartmann (1909b) die Bezeichnung „Energide“ bei Sachs entlehnt, welcher mit demselben den Kern samt dem ihn umgebenden und in seiner Einflussphäre befindlichen Protoplasma bezeichnet, und die Bedeutung dieser Bezeichnung einigermaßen abändert, unterscheidet er „monoenergide“ und „polyenergide“ Kerne. Für „monoenergid“ hält Hartmann (1911) solche Kerne, welche sich „nur durch polare Zweiteilung“') vermehren können. „Poly- energid“ sind von seinem Standpunkte aus betrachtet „alle solche Kerne, welche sich nicht durch polare Zweiteilungen, sondern durch multiple Zerfallsteilung, respektiv durch die Bildung sogen. gene- rativer Chromidien vermehren“ ?), d. h. durch Zerfallsteilungen, welche zur gleichzeitigen Bildung einer bedeutenden Anzahl von Tochterkernen führen. Wie dies aus den letzten Worten des an- geführten Zitats zu ersehen ist, sind die von Hartmann geschaffenen „polyenergiden“ Kerne dazu bestimmt, die „generativen®“ Chromidien zu ersetzen, welche sich als höchst unbequem für die Anhänger der Lehre von der Duplizität der Kernsubstanz erwiesen haben, worauf schon weiter oben an entsprechender Stelle hingedeutet worden ist?). Zwei Aufsätze von Hartmann, betitelt: „Polyenergide Kerne“ (1909) und „Die Konstitution der Protistenkerne und ihre Bedeu- tung für die Zellenlehre“ (1911), haben die direkte Aufgabe, alle bis jetzt bekannten Fälle der Bildung von Kernen (der Gameten) aus Chromidien im Sinne eines Zerfalles von „polyenergiden* Kernen in eine große Anzahl von Tochterkerne auszulegen. Um in der Bewertung der Hartmann’schen Konstruktionen ganz logisch zu sein, halte ich es für das beste, nach Möglichkeit alle jene Tatsachen durchzusprechen, auf welche dieser Autor seine theoretischen Erwägungen aufbaut. 1. Adelea ovata*). Bei dieser Form kann man, wie auch bei anderen Coceidien, eine schizogene Fortpflanzung beobachten, wie dies seinerzeit von Schaudinn und Siedlecki (1897, 1899) und anderen Autoren beschrieben worden ist. Jollos (1909), welcher . 4. on m o else 21.05 P:.29. 3) Siehe: Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. II. A909 lc, pP. 483; I ale Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 547 seine Studien unter der Leitung von Hartmann anstellte, fand, dass bei diesem Prozesse die Kernteilung bei Adelea ovata auf eine Teilung des Karyosoms innerhalb des Kernes zurückgeführt werden kann. Diese Teilung erfolgt auf dem Wege der bekannten primi- tiven Mitose (Promitose), auf welche hier näher einzugehen kein Anlass vorliegt. Solche Teilungen des Karyosoms erfolgen wieder- holt und das Ergebnis dieses Verganges ist eine bedeutende Anzahl von Tochterkaryosomen. Die Teilung des Kernes selbst ist in einigen Fällen von einer Teilung des Karyosoms begleitet; in anderen Fällen verschwindet die Kernhülle und die zahlreichen, infolge der intranukleären Teilungen entstandenen Tochterchromosome verteilen sich in dem Protoplasma des Tieres und spielen nunmehr die Rolle von Tochterkernen. Diesen Prozess bezeichnet Jollos als die „mul- tiple Zerfallsteilung“. Fig. A. Adelea ovata. Die übliche Gestalt des Schizonts und einige Stadien der Vermehrung seines Kernes (aus d. Arb. v. Jollos). Hartmann erblickt in den von Jollos beschriebenen Erschei- nungen einen Beweis dafür, dass der Kern von Adelea ovata als „polyenergid“ zu betrachten sei. Doch übergeht er vollständig die Ergebnisse, zu welchen die von Jollos beschriebenen Vorgänge führen müssen. Und doch bietet uns die Analyse dieser Ergebnisse verschiedene Daten, welche nicht zugunsten der Schlüsse von Hart- mann sprechen. Der Teilungsprozess führt nach den Beobachtungen von Jollos zu der Bildung einer großen Anzahl von Tochterkernen, aber diese Kerne unterscheiden sich durch ihre Dimensionen ganz beträchtlich voneinander, wie dies aus den hier beigegebenen, den Arbeiten des genannten Autors entnommenen Zeichnungen zu ersehen ist. Die einen derselben besitzen eine ziemlich beträchtliche Größe, während andere wiederum die Gestalt äußerst kleiner, von einem hellen Hofe umgebener Chromatinkörper aufweisen (Fig. A 4). 548 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese, Nimmt man an, dass die Dimensionen aller dieser Tochterkerne sich schließlich ausgleichen, was durch weitere Teilungen der größeren Kerne zustande kommen kann, so wird man natürlich voraussetzen müssen, dass die Zahl der kleinen Kerne eine sehr große sein wird. Einen jeden der so gebildeten Kerne (oder richtiger Karyosome) halten sowohl Jollos wie auch Hartmann für „totipotent“, d.h. wie man annehmen muss, für völlig ausgebildete Kerne, welche im- stande sınd, alle dem Kerne zukommenden Funktionen zu erfüllen. Indessen weist der Erforscher der hier angeführten Erscheinungen, Jollos, darauf hin, dass diese Kerne, um sich in Kerne der Merozoiten, d. h. der aus der Schizogonie hervorgehenden Gene- ration, verwandeln zu können, noch eine ganze Reihe von Prozessen 1 2: 3% 4. Fig. B. Adelea ovata. Verwandlung der „totipotenten“ Kerne in die Kerne der Merozoiten. 4 — Einzelnes Merozoit (aus d. Arb. v. Jollos)®). durchmachen müssen, welche uns auch aus den Beobachtungen anderer Autoren bekannt und in der Fig. B nach den Abbildungen von Jollos selbst dargestellt sind. Diese Prozesse bestehen darin, dass diese („totipotenten“) Kerne ihres gesamten Chromatins ver- lustig werden, welches sternförmige Figuren in dem Protoplasma bildet (Fig. B1, 2); hierauf werden die kompakten Flocken des in das Protoplasma ausgetretenen Chromatins feinkörnig und es tritt in ihnen ein wabiges Netzwerk auf, in dem kleine Chromatinkörnchen eingeschlossen sind; gleichzeitig bildet sich auch die Hülle des Kernes (Fig. BB). Von den „totipotenten“ Kernen bleibt somit eigentlich gar nichts übrig. und die Kerne der Merozoiten werden in ihrer definitiven 5) Alle diese Zeichnungen, wie auch die auf Seite 547 wiedergegebenen, sind von Jollos in ein und derselben Vergrößerung angefertigt worden. Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 549 Gestalt, wie man annehmen muss, aus den Chromidien gebildet. Außerdem halte ich es für notwendig, noch auf den Umstand hin- zuweisen, dass ungeachtet der großen Anzahl von „totipotenten“ Kernen, welche aus der Zerlallsteilung resultieren muss, und welche augenscheinlich nach den Angaben von Jollos selbst auch in der Tat aus diesen hervorgeht („Schließlich wird so das ganze Plasma des Coceidiums von kleinen Kernen erfüllt... .“®)), die Zahl der zur Bildung gelangenden Merozoiten verhältnismäßig nicht groß ist (nach den Angaben von Siedlecki sind es ihrer 20—40, auf Grund der Jollos’schen Zeichnungen sind sie auch nicht sehr zahlreich); die Dimensionen der Merozoitenkerne aber sind so beträchtlich (Fig. Bb), dass die Unmöglichkeit ihrer Bildung aus den kleinen „totipotenten* Kernen klar zutage tritt (vgl. Fig. A4 u. Fig. BA). 2. Eimeria schubergi'),. Hartmann (1909b) ıst der Ansicht, dass bei dieser Form (und natürlich auch bei anderen Coceidien während ähnlicher Erscheinungen) bei der Bildung der Mikrogameten die Kerne dieser letzteren nicht aus Chromidien gebildet werden, sondern durch den Zerfall eines „polyenergiden“ Kernes. Zur Be- kräftigung seiner Annahme führt Hartmann die Beobachtungen von Viereck über die Bildung der Mikrogameten bei Eimeria stidae an, welche in seinem Institute angestellt worden waren. Dabei spricht sich Hartmann (1909b) in nachstehender Weise über die Ergebnisse dieser Beobachtungen aus: „... scheint es mir im hohen Grade wahrscheinlich, dass es sich auch bei dieser sogen. Chromidienbildung nur um den Zerfall eines polyenergiden Kernes handelt“°). In seinem späteren Aufsatze dagegen (1911) erwähnt er diese Beobachtungen mit keinem Worte. Der Prozess, von welchem hier die Rede ist, verläuft nach den Beobachtungen von Siedlecki, Schaudinn, Dobell, Braisil und anderen Autoren in der Weise, dass der Kern der Mikro- gametozyten eine ungeheure Anzahl kleiner Chromatinkörnchen aus- stößt, welche sich (bei den meisten der untersuchten Formen) in Gestalt einer ganzen Schicht an der Peripherie der Zyste ansammeln. Diese Körnchen kondensieren sich sodann zu Anhäufungen und zu- letzt enthalten nur noch diese Anhäufungen Chromatinsubstanz und nur sie repräsentieren die Kerne der Mikrogameten. Vom Gesichts- punkte der Hartmann’schen Hypothese aus betrachtet, müsste ein jedes der aus dem Kerne der Mikrogametozyten abgestoßenen Körnchen einen „totipotenten“ Kern darstellen; in Wirklichkeit aber ist dieses durchaus nicht der Fall. Mit besonderer Schärfe tritt der Unterschied zwischen den aus dem Kerne der Mikrogametozyten 550 Swarezeweky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese, austretenden Körnchen und den definitiven Kernen der Mikro- gameten in denjenigen Fällen zutage, wo nur vier dieser letzteren gebildet werden, wie dies z. B. bei Adelea ovata der Fall ist, bei der nach den Beobachtungen von Dobell (1907 b) sogar ein echtes Chromidialnetz gebildet wird (Fig. ©). 3. Wagnerella borealis?). Obgleich die Beobachtungen von Zuelzer (1909) über dıe Fortpflanzung bei diesem Organismus recht wichtig für die Konstruktionen von Hartmann sind, so müssen wir uns dennoch gänzlich davon enthalten, dieselben kritisch zu besprechen, da wir, abgesehen von der Zuelzer’schen Arbeit, in der einschlägigen Literatur keinerlei Arbeiten über Wagnerella oder dieser nahestehende Formen finden, welche mit Hilfe moderner Methoden ausgeführt worden sind. Es muss aber auf den Umstand hingewiesen werden, dass Zuelzer ganze vier be- trächtlich voneinander abwei- chende Arten der mitotischen Teilung beschreibt, von denen drei, einander ganz unähnliche, bei der schizogenen Fortpflan- zung und bei der Knospung vorkommen, die vierte hin- gegen während der Gamogonie beobachtet wird, einem Pro- Fig. C. Adelea ovata. Bildung der Chro- zesse, welchen dieser Autor midien und Wiederherstellung der Mikro- selbst ın seiner Arbeit mit gametenkerne (nach Dobell). einem Fragezeichen versieht („Gamogonie [?], Gametenbil- dung [?]*!%)). In Anbetracht dieses Umstandes wird man, solange keine Untersuchungen vorliegen, durch welche die Beobachtungen von Zuelzer bestätigt werden, wohl kaum auf Grund dieser letz- teren irgendwelche theoretischen Konstruktionen unternehmen können. 4. Caleituba polymorpha‘“'). Bezüglich dieser Form erklärt Hart- mann direkt, dass die „multiplen Zerfallsteilungen“ des Kernes, welche von Schaudinn (1895) beobachtet und beschrieben wurden, prinzipiell mit dem übereinstimmen, was wir in den Beschreibungen von Jollos bezüglich Adelea ovata und von Zuelzer bezüglich Wagnerella borealis finden, und spricht sein Bedauern darüber aus, dass man nach den Beschreibungen von Schaudinn nicht darüber klar werden kann, dass die Tochterkerne durch wiederholte Teilungen des Karyosoms des Mutterkernes gebildet werden. Indessen sind 9).1909. 1. c.,'p. 4855. 1911. 1er pr 33: ul..cH pP. ‘179. 1171909. 1.:c., p. 486; 1911 Tlser5p.738- Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 551 die in dem Kerne von (. polymorpha vor sich gehenden Prozesse von Schaudinn sehr eingehend beschrieben worden und es liegt keinerlei Veranlassung vor, auf Grund dieser Beschreibung eine Aufeinanderfolge von Teilungen des Karyosoms anzunehmen. Durch die Beobachtungen von Swarczewsky (1909) an Allogromia ovoidea werden die von Schaudinn bei (©. polymorpha erzielten Befunde nur bestätigt. 5. Polystomella und Penerophis‘?). Bezüglich dieser Formen gibt Hartmann unter Hinweis auf die Originalarbeiten von Schaudinn und Winter an, dass die Kerne ihrer Gameten aus einzelnen - Chromidienkörnern gebildet werden, so dass diese Chromidien An- häufungen einer ungeheuren Anzahl von „sekundären“ Kernen dar- stellen, welche durch „multiple“ Zerfallsteilungen des „primären“ Kernes gebildet werden. „Jedes einzelne Korn“, schreibt Hart- mann (1909), „wird zu einem vollkommenen Gametenkern“ '?). Bei den Autoren, auf welche Hartmann verweist, finden wir indessen keinerlei derartige Beobachtungen. Was die Bildung der Gametenkerne bei Polystomella betrifft, so finden wir bei Schau- dinn (1903) nur Angaben darüber, dass das Chromatin aus dem Kerne in das Protoplasma übertritt, wo die auf diese Weise ge- bildeten Chromidien sich teils aus sich selbst, teils vermittelst neuen Austrittes von Kernsubstanz aus dem Kerne weiter vermehren. Aus diesen Chromidien bilden sich schließlich zahlreiche, bläschen- förmige Kerne'*). Was nun die Chromidialgebilde bei Peneroplis betrifft, so gibt uns Winter (1907) eine ausführliche Beschreibung derselben, aus der hervorgeht, dass ihre Struktur dem Bau der Chromidialnetze bei Arcella‘?) vollständig entspricht. Die Bildung der Gametenkerne aus diesen Netzwerken erfolgt nach Winter ın der Weise, dass 12,190 92E1Re3 ’P-7487: Ta).lse;2p: 487. 14) 1. c., p. 50. „Was geschieht nun mit den Chromidien von Polystomella weiter? Während des Wachstums werden sie konstant vermehrt, ‘teils aus sich selbst, teils durch Abgabe von Chromatin und Plastin seitens des Prinzipalkernes. Besonders lebhaft wird die Vermehrung gegen das Ende des vegetativen Lebens oder auch, wenn man das Wachstum durch Hungerperiode unterbricht. Am Ende des Wachstums ist das ganze Plasma dicht mit Chromidien erfüllt, während der Prinzipalkern ganz degeneriert und zerfällt. Aus den Chromidien bilden sich schließ- lich unzählige kleine bläschenförmige Kerne, die das ganze Protoplasma der Fora- miniferen dicht erfüllen.“ 15) l.e., p. 89. „Die extranukleare Kernsubstanz zeigt, wie auch R. Hert- wig bei einer extranuklearen Kernsubstanz von Arcella (1899) fand, einen alveo- laren Bau. Weiter ]. c., p. 90. „Das Bild der extranuklearen Kernsubstanz erinnert an das Chromatinnetz von Arcella, wie es R. Hertwig 1899 auf Tab. 37, Fig. 1 u. 2 abbildet. Ein äußerer Unterschied besteht darin, dass die Maschen etwas feiner und unregelmäßiger sind, das Gesamtnetz viel lockerer und verzerrt ist.‘ 552 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. in den Knotenpunkten des Chromidialnetzes Verdickungen auf Kosten der Substanz seiner Wabenwanderungen entstehen und aus solchen Verdickungen sich blasenförmige Kerne bilden!%), 6. Pelomyza‘”). In betreff dieser Form spricht Hartmann (1909 b) die Überzeugung aus, dass ihre Kerne augenscheinlich „polyenergid“ sind. Eine solche Überzeugung könnte auf den Angaben der Untersuchungen von Bott (1907) begründet werden, nach dessen Beobachtungen die Gametenkerne dieser Form durch intranukleäre Teilung des Karyosoms gebildet werden (einer Er- scheinung, welche der nach Jollos und Hartmann bei Adelea ovata stattfindenden ähnlich ist). Allein die Angaben von Bott erscheinen durchaus nicht überzeugend. Die Bildung des ganzen Gametenkörpers ausschließlich aus der Kernsubstanz des Mutter- organismus, ohne jede Anteilnahme des Protoplasmas einerseits, andererseits aber die äußerst vollständigen Mitosen, welche weder mit den Kernteilungen der verwandten Formen, noch mit den vege- tativen Kernteilungen bei Pelomyxza selbst!°) etwas gemeinsames haben, veranlassen uns, meiner Meinung nach, den Resultaten dieses Autors mit großer Vorsicht entgegenzutreten. Allerdings werden bei dem Prozesse der Chromidienbildung Erscheinungen beobachtet, welche im Sinne Hartmann’s ausgelegt werden könnten, d.h. als ein Zerfall des „polyenergiden* Kernes, aber das Schlussergebnis dieses Prozesses sind Chromidien, welche einen vegetativen Cha- rakter besitzen und augenscheinlich in inniger Beziehung zu der Ernährung des Tieres stehen. 7. Echinogromia'?). Bei dieser Form brauchen wir gar nicht zu verweilen, da Hartmann selbst in seiner Arbeit vom Jahre 1909 nur die Vermutung ausspricht, ihr Kern könne „polyenergid“ sein und diese Vermutung in nachstehender Form ausspricht: „In Prä- paraten, die mir Herr Kollege Schröder in liebenswürdiger Weise übersandt hat, glaube ich nach Umfärbung, die allerdings nicht sehr gut ausgefallen ist, auch Oentriolen in den Binnenkörpern (Karyo- somen) beobachten zu können, was, falls es sich bestätigt, diese Deutung im hohen Grade sicherstellen wird“ („diese Deutung“, 16) l. c., p. 90. „Wenn auch das alveolare Grundnetz der extranuklearen Grundsubstanz nach den verschiedensten Richtungen verzerrt erscheint, so zwängt sich doch die Anschauung auf, als würden bei der Vermehrung Substanzpartikel in den Wabenknotenpunkten durch seitliche Zufuhr auf den Wabenwänden heran- wachsen‘, Weiter l.c., p. 91. ‚Aus diesen kleinen Brocken der extranuklearen Substanz bilden sich jene bläschenförmigen Kerne heraus, die für die makrosphärische Gene- ration charakteristisch sind, wie das schon Schaudinn zuerst für Polystomella (1895) aussprach.“ 17) 1909. 1. e,, p. 491. 18) Swarczewsky, 1912. 19) 1909. 1. »e,,/p. 421. Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 553 d.h. dass die Kerne dieses Organismus polyenergid sind). Da Hart- mann indessen in seiner späteren Arbeit vom Jahre 1910 Echino- gromia überhaupt nicht erwähnt, so hat sich seine Hoffnung, bei dieser Form einen polyenergiden Kern anzutreffen, offenbar nicht verwirklicht. 8. Radiolaria. Die ın letzter Zeit von Hartmann und Hammer (1909) veröffentlichten Beobachtungen über die Kernteilung bei Colloxoum und namentlich über die Bildung der Sporenkerne bei verschiedenen Formen, bilden sehr gewichtige Beweisstücke zu- gunsten der hier besprochenen theoretischen Betrachtungen. Bei Collozoum haben Hartmann und Hammer in jungen vegetativen Kolonien eine multipolare Kernteilung beobachtet, welche mit den von Moroff(1908) für verschiedene Aggregata beschriebenen große Ähnlichkeit hatten. Hartmann selbst hat (1909) auf das Vorhandensein dieser Ähnlichkeit hingewiesen, weshalb ich mich nicht damit aufhalten will, diese Frage zu besprechen und die Mög- lichkeit einer Deutung der bei Colloxoum beobachteten Erscheinungen zu erwägen: alles, was ich bezüglich der Aggregataria?°) ausge- sprochen habe, kann voll und ganz auch bezüglich dieses Organismus wiederholt werden. Ich wıll daher unmittelbar zur Besprechung der Vorgänge bei der Bildung der „sekundären“ Kerne in den Sporen und Gameten (oder den Iso- und Anisosporen) übergehen; es sind dies die Prozesse, für welche Hartmann glaubt, folgendes Schema aufstellen zu können: Die sogenannten „Ühromosomen“ gehen aus dem Kern in das Protoplasma über und ein jedes der „Chromosomen“ verwandelt sich in einen kleinen Kern mit Centriol. Diese Kerne vermehren sich hierauf durch sukzessive mitotische Teilungen. In ein solches Schema lassen sich nach Hartmann die bei Thalassicolla, Thalassophysa, Physematium, Oroscena und Aulacantha, d. h. bei allen bisher daraufhin untersuchten Radiolarien beobach- teten Erscheinungen unterbringen. Um mit völliger Objektivität beurteilen zu können, inwiefern dieses Schema den von verschiedenen Autoren beschriebenen Tat- sachen entspricht, halte ich es für notwendig, zu einer Besprechung dieser letzteren überzugehen. a) Thalassicolla. Die Vorgänge bei der Bildung der Gameten- kerne bei Thalassicolla entspricht nach den Beobachtungen von Hartmann und Hammer (1909) vollständig dem weiter oben von mir angeführten Schema. Die einzelnen Chromosomen, in denen die färbbare Kernsubstanz konzentriert ist, treten aus dem „pri- mären“ Kerne durch in dessen Hülle vorhandene Poren in das Endoplasma über, wo sich ein jedes derselben in einen kleinen Kern 20) Siehe: Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. I. XXXU 36 554 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. verwandelt, in dessen Innerem sich ein Centriol befindet. Andere Autoren indessen, welche das gleiche Objekt untersucht haben, be- schreiben die Vorgänge bei der Bildung der Sporenkerne in ganz anderer Weise. So lassen sich die Beobachtungen von Brandt (1905) über die Bildung der Isosporen folgendermaßen zusammenfassen: 1. Der Kern nimmt infolge der gleichmäßigen Verteilung des Chromatins ein fast homogenes Aussehen an, 2. die Hülle des Kernes verschwindet, 3. die Masse der Kernsubstanz zerfließt im Protoplasma und zerfällt in einzelne Bezirke, 4. in diesen Bezirken treten kleine Kerne auf. Bei der Bildung der Anisogametenkerne tritt nach den Angaben von Brandt in dem Kerne von Thalassicolla zuerst ein Chromosom auf, welches allseitig von Strahlen umgeben ist. Dieses Uentrosom tritt aus dem Kern in das Plasma über. Gleichzeitig sickert aus dem Kerne der Kernsaft mit den Chromatinkörnchen in das Plasma hindurch. Aus diesen Elementen bilden sich kleine Kerne. Diese Beobachtungen von Brandt sind offenbar unvollständig, doch wird man nicht umhin können, seinen Hinweis auf ein Gebilde zu beachten, welches er glaubt für ein Öentrosom ansehen zu können, und dies um so mehr, als er ein solches Centrosom sowohl bei T. nucleata wie auch bei T. gelatinosa beobachtet hat; seine ent- sprechenden Zeichnungen dabei machen durchaus den Eindruck von Anfangsstadien in der Bildung der Spindel. Nach den Beobachtungen von Schouteden (1907) nimmt der Kern von Thalassicolla bei der Entwickelung der Isosporen ein homogenes Aussehen an, indem die Chromatinfäden („Chromo- somen“) vollständig verschwinden. Die Hülle des Kernes ver- schwindet und dieser letztere nimmt unregelmäßige Umrisse an und zerfällt in eine große Menge kleiner Bezirke von gleicher Größe, welche sich dann in die Sporenkerne verwandeln. Bei der Bildung der Anisogameten sickert der Kernsaft mit dem Chromatin in Gestalt von Fäden („Chromosomen“) durch die Kernhülle hindurch. Diese Fäden nehmen an Zahl zu, während sie gleichzeitig kleiner werden und verwandeln sich schließlich in kleine Körnchen, deren Anzahl durch Teilung zunimmt. Diese Körnchen ordnen sich in Gestalt radialer Stränge an, innerhalb welcher denn auch die „sekundären“ Kerne entstehen. Schouteden nimmt an, dass sich aus dem „primären“ Kerne die Sporetien, d. h. die gene- ratıven Chromidien abscheiden. Moroff (1910) endlich, dessen Beobachtungen sich auf das gleiche Objekt beziehen, beschreibt zwei Prozesse, welche sich bei der Bildung der „sekundären“ Kerne abspielen. Bei dem einen derselben ist die Bildung einer Sphäre (Centrosom von Brandt?) w Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 555 zu sehen und Moroff vermutet, dass die „sekundären“ Kerne durch aufeinanderfolgende Teilungen des „primären“ Kernes gebildet werden; der größte Teil dieses letzteren (nach Moroff der trophische Teil) nimmt dabei aber keinen Anteil an der Teilung, während ein sehr kleiner Teil desselben — das Idiochromatin — auf den Auf- bau der Chromatinteile der ersten Mitose verwendet wird. In anderen Fällen zerfließt die Kernmasse in dem Plasma und zerfällt in einzelne Teile, in welchen runde Körper auftreten — die Idiochromatinkerne —, welche sich die erste Zeit hindurch durch direkte Teilungen vermehren, später dagegen auf mitotischem Wege. Was nun jene Kerne betrifft, welche nach Hartmann und Hammer aus den „Chromosomen“ hervorgehen, so hält Moroff dieselben für Eiweißkugeln, welche, wie er selbst feststellen konnte, in großer Anzahl aus dem Kerne austreten und sich sodann zum Teil im Protoplasma auflösen, zum Teil aber in Fettropfen ver- wandeln. b) Thalassophysa. Die bei dieser Form während der Sporen- bildung stattfindenden zytologischen Erscheinungen sind bis jetzt nur von Hartmann und Hammer beschrieben worden. Bezüg- lich der die Isosporenbildung begleitenden Prozesse geben diese Autoren nur kurz an, dass die Kernhülle verschwindet und die zuvor in dem „primären“ Kerne zur Bildung gelangten „sekundären“ Kerne in das Endoplasma des Tieres übergehen. Bei der Bildung der Anisosporen (Gameten) teilt sich der Kern der Radiolarien zuvor in zwei ungleiche Teile und die Autoren dieser Untersuchung vermuten, dass diese Teilung nach dem Typus der heteropolaren Teilung verläuft. Als Ergebnis der Teilung liegen in dem Plasma der Zentralkapsel zwei Kerne, und zwar der eine derselben, der größere, im Zentrum der Kapsel, der andere, be- deutend kleinere, in deren peripheren Zone. Beide Kerne verlieren ihr Chromatin. Über die Art und Weise, wie diese Erschei- nung vor sich geht, liegen keinerlei Angaben vor, allein die Autoren vermuten, dass die einzelnen, schon fertig gebildeten „sekundären“ Kerne ganz in das Protoplasma übergehen. Die „sekundären“ Kerne teilen sich mitotisch. Nach der Ansicht der Autoren stellen die Kerne in dem zentralen Teile der Kapsel die Kerne der weiblichen Gameten dar, diejenigen der peripheren Zone dagegen die der männlichen Gameten. c) Physematium. Eine Beschreibung der bei dieser Form während der Bildung der Sporen (ob Iso- oder Anisosporen bleibt unbekannt) vor sich gehenden zytologischen Prozesse finden wir nur bei Hartmann und Hammer. Auf frühen Stadien in der Bildung der „sekundären“ Kerne finden diese Autoren um den „primären“ Kern von Physematium herum eine Anhäufung von Chromatinsubstanz, welche man nach 36* 396 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushygothese. ihren Worten für ein Chromidialnetz halten könnte. Allein sie glauben diese Anhäufung nicht für ein solches Netz ansehen zu können, sondern deuten dieselbe als eine große Ansammlung „sekun- därer“ Kerne, welche so dicht beieinander liegen, dass der allge- meine Eindruck eines Netzes hervorgerufen wird?!). Als Beweis dafür, dass hier in der Tat nicht von Chromidialnetzen die Rede sein kann, führen Hartmann und Hammer folgendes an: „Dass dem in der Tat so ist, zeigt das Verhalten der sogen. Chromidien in den mittleren und peripheren Teilen der Zentralkapsel. Die Färbbarkeit des Chromatins lässt nach und ein großer Teil wird offenbar aufgelöst, während der Rest sich um je ein Oentriol zu einem kleinen, kaum färbbaren Bläschen zusammenschließt. Die Plasmastränge und vor allem die Klumpen sind dann von derartigen, kaum färbbaren, aber wohl gesonderten Bläschen (Kernen), von denen jedes ein Centriol einschließt, dicht erfüllt. Noch mehr gegen die Peripherie nehmen die kleinen Kerne wieder an Färbbarkeit zu, werden etwas größer, und in der Gegend der Zentralkapsel- membran zerstreuen sie sich und teilen sich nun durch primitive zweipolige Mitose. Ihre Kernnatur und somit unsere Deutung des Chromidialnetzes kann somit nicht mehr zweifelhaft sein ??).* Ich habe mir erlaubt, diesen langen Auszug aus dem Texte der Arbeit von Hartmann und Hammer anzuführen um zu zeigen, wie wenig die Darlegung des Prozesses der Bildung der „sekun- dären“ Kerne bei Physematium sowohl mit der grundlegenden Ein- leitung dieser Autoren, welche in der „polyenergiden“ Natur des Kernes gipfelt, als auch mit der soeben am Schlusse des Zitates angeführten Schlussfolgerung übereinstimmt. Genau mit den gleichen Ausdrücken könnte man auch die Bildung der „sekundären“ Kerne aus der Substanz des Chromidialnetzes beschreiben. Ich glaube hier hinzufügen zu müssen, dass die meisten Zeichnungen in der Arbeit dieser Autoren halbschematisch ausgeführt sind. d) Bei Oroscena, wo die Vorgänge bei der Bildung der Gameten von Haecker (1907) beschrieben wurden, besteht der Kern der jungen Individuen aus einer großen Anzahl einzelner Chromatın- knäuel („Einzelknäuel“). Diese letzteren verwandeln sich in Bläschen („Chromosomenbläschen“), von denen ein jedes einen Chromatin- faden enthält (es ist auch wohl möglich, dass diese Bläschen den „sekundären“ Kernen von Hartmann und Hammer entsprechen). Hierauf verschmelzen diese Bläschen zu größeren Chromatinanhäu- fungen, worauf der Kern in zwei Teile zerfällt. Auf diese Weise entstehen zwei Kerne, von denen der eine, nach der Ansicht von 21) l. c., p. 245. „Das Bild des gemeinsamen Chromidialnetzes kommt nur dadurch zustande, dass... bei der dichtgedrängten Lage der Einzelindividuen die Chromatinelemente derselben ineinander übergreifen.“ 22) 1. c., p. 245. Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 557 Haecker einen „Geschlechtskern“, der andere einen „Dauerkern“ darstellt. Der Geschlechtskern zerfällt in „sekundäre“ Kerne, während der Dauerkern aus seiner Masse nochmals einen neuen Geschlechts- kern abgibt; ein solcher Vorgang kann sich bei Oroscena nach den Beobachtungen von Haecker mehrfach wiederholen. e) Bezüglich Aulacantha endlich liegt eine sehr ausführliche Arbeit von Borgert (1909) vor, nach dessen Angaben bei der Bil- dung der geißeltragenden Generation in der Tat einzelne „Chromo- somen“ aus dem Kern in das umgebende Protoplasma übertreten, die sich später in sogen. „Chromosomenbläschen“ verwandeln; diese letzteren ergeben dann durch amitotische Teilungen die „sekundären“ Kerne, welche sich nunmehr durch mitotische Teilungen vermehren. Obgleich Borgert, welcher im Sinne seiner theoretischen An- schauungen als ein Anhänger von Hartmann erscheint, den „pri- mären“ Kern von Aulacantha für „polyenergid“ ansieht, indem er Fig. D. Aulacantha. Verwandlung der „Chromosomenbläschen“ in sich mitotisch teilende Kerne (aus Borgert). annimmt, ein jedes einzelne „Chromosom“ sei der schon im „pri- mären“ Kerne angelegte zukünftige Kern der Spore, so verwandeln sich doch diese „Chromosomen“, nach Borgert’s eigenen Beobach- tungen, nach ihrem Übertritt in das Protoplasma nicht sofort in die „sekundären“ Kerne, sondern sie teilen sich zuvor amitotisch (oder vielleicht durch sehr primitive Mitosen) (Fig. D). Diese sogen. „Chromosomen“ können demnach meiner Ansicht nach keinesfalls selbständige „totipotente* Kerne darstellen, wie Hartmann und Borgert dies annehmen, sondern ein jedes von ihnen ergibt min- destens zwei solcher Kerne. Wir haben nunmehr die meisten (soweit ich darüber urteilen kann) an Radiolarien im Laufe der letzten 10 Jahre angestellten Untersuchungen besprochen und es hat sich dabei herausgestellt, dass alle die zytologischen Verhältnisse bei den Prozessen der Sporenbildung berührenden Angaben der Autoren entweder wenig klar oder aber anfechtbar sind; auf Grund dieser Angaben wird man daher wohl kaum irgendwelche theoretische Schlussfolgerungen ziehen können. | 558 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 9. Gregarina euneata?). Trotz der eingehenden Beschreibung der bei der Gametenbildung dieser Gregarine sich abspielenden zytologischen Vorgänge durch Kuschakewitsch (1907), nimmt Hartmann dennoch an, dass bei dieser Form nicht eine Ausschei- dung von Chromidien, sondern eine Zerfallsteilung des „primären“ Kernes stattfindet; dabei muss diese Teilung seiner Ansicht nach in der Weise vor sich gehen, wie dies nach Moroff (1908) bei den Vertretern der Gattung Aggregata der Fall ist, d.h. durch Bildung einer großen Menge von Spindeln in dem stark angewachsenen Kerne. & Allein die Angaben von Kuschakewitsch geben nicht den geringsten Anlass zu dergleichen Voraussetzungen. In dem Sinne spricht sich auch Popoff (1911) aus, indem er schreibt: „Ich habe die Gelegenheit gehabt, die schönen Präparate von Kuschake- witsch zu sehen und kann mich jetzt noch des feinkörnigen Chro- midiums erinnern. Dieses letztere entsteht durch eine Auflösung des der Zystenperipherie nähergerückten Kernes und durch das Ausbreiten dessen Chromatins in die periphere Zystenschicht?*).* Meine eigenen Beobachtungen über die bei Lankesteria sp. vor sich gehenden Prozesse geben ebenfalls keinerlei Anlass zu der Annahme einer „multiplen“ Teilung des „primären“ Kernes da, wo eine Aus- scheidung von Chromidialgebilden und die Wiederherstellung der „sekundären“ Kerne aus diesen letzteren beobachtet wird. 10. Opalina ranarum?). Die Chromidien dieses Infusors hält Hartmann für vegetative Gebilde, wobei er sich auf die Beobach- tungen von Metcalf (1909) stützt. Nach den Angaben aber von Neresheimer (1907) sind die Chromidien der Opalinen generativ, indem aus ihnen die Kerne der Gameten gebildet werden. Ein Urteil darüber, ob diese Form als ein Beweis für die Richtigkeit der Hartmann’schen Hypothesen dienen kann, wenn auch nur als ein „Beweis der entgegengesetzten“, muss demnach aufgeschoben werden, bis die betreffenden Beobachtungen nachgeprüft worden sind. 11. Opalinopsis, Chromidina?®). Es sind dies einzigen Formen, deren Chromidialgebilde (nach Gonder [1905] tritt ihre Chromatin- substanz ausschließlich in Gestalt von Chromidien auf) Hartmann augenscheinlich für generativer Natur anzusehen geneigt ist; doch hält er es nicht für möglich, ein bestimmtes Urteil über diese Ge- bilde abzugeben, da die weitere Entwickelung ihrer Chromidial- stadıen bis jetzt noch ganz unbekannt ist. Es muss hier auf die Hartmann offenbar unbekannt gebliebene Arbeit von Dobell (1908) hingewiesen werden, dessen Beobach- Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 559 tungen festgestellt haben, dass bei Opalinopsis und Ohromidina das von Gonder beschriebene Chromidialnetz nichts anderes darstellt als eine bestimmte Modifikation des Kernes. Allein auch Dobell war es nicht gelungen, den geschlechtlichen Prozess dieser inter- essanten Organismen festzustellen, weshalb die definitive Beant- wortung der Frage, ob hier in der Tat ein Kernapparat oder aber ein Chromidialapparat vorliegt, bis zum Vorliegen neuer Unter- suchungen verschoben werden muss, ganz wie dies auch bei den Opalinen der Fall war. 12. Eutamoeba coli?’). Nach Hartmann beruhen die Beobach- tungen von Schaudinn (1903) über die generativen Prozesse bei diesem Organismus auf Irrtum. Die von Hartmann selbst unter- nommene Nachprüfung lässt ihn mit Sicherheit annehmen, dass die Chromidien im gegebenen Falle nicht generativer, sondern vege- tativer Natur sind. Außerdem verweist Hartmann auf die Be- obachtungen von Wenyon (1907) über eine nahestehende Form — E. muris —, bei der dieser Autor angeblich keine generativen Chromidien gefunden haben soll. Allein in der Arbeit dieses letz- teren finden wir keinerlei kategorische Aussagen in diesem oder jenem Sinne. Wenyon teilt mit, dass die Kerne ihr Chromatin einbüßen, welches in das Plasma übergeht; infolge dieses Vorganges nehmen die Kerne beträchtlich an Größe ab. Bisweilen scheint es, als bleiben gar keine Kerne mehr übrig, und statt ihrer befänden sich im Protoplasma nur einige Chromatinkörnchen; ob in solchen Fällen eine völlige Zerstörung der Kerne mit nachfolgendem Wieder- aufbau derselben aus den Chromidien vor sich geht, wagt Wenyon nicht zu entscheiden, da seine Untersuchungen nicht erschöpfend genug sind, um diese Frage in definitivem Sinne zu beantworten °*). Es liegt demnach keinerlei Anlass dazu vor, die Beobachtungen von Wenyon als angebliche Bestätigung für die Angaben von Hartmann ansusehen. Andererseits werden die Beobachtungen von Schaudinn durch die von Craig (1908) an E. coli angestellten Untersuchungen vollauf bestätigt. 13. Eutamoeba histolytiea?”). Hartmann selbst bestätigt auf Grund seiner eigenen Beobachtungen dasjenige, was Schaudinn Zu a0 ep. 502. 28) 1. c., p. 178. „This loss of chromatin reduces the nuclei to a much smaller size, while in some cases there appear to be no definite nuclei remaining, but only granules of chromatin in the protoplasm. It may be that in these cases there is a complete destruction of the nuclei followed by their reformation from the chromatin in the protoplasm, as has been described by Schaudinn for Eut- amoeba coli. As these stages of Amoeba muris have not been followed in the living eyst and as a sufficient number of cysts showing this chromatin reduction have not been examined, a definite statement as to the dissolution and reformation of nuclei cannot be made.“ 29) 1909. 1. c., p. 502. 560 Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. (1903) bei dieser Form gefunden hatte, d. h. die Bildung „sekun- därer“ Kerne aus den Chromidien, hält es aber für möglich, diesen Prozess im Sinne einer Abschnürung der „geschlechtlichen“ Kerne von dem „primären“ zu deuten; dabei gibt er aber zu, dass dieses Objekt, wegen der Unvollständigkeit der Untersuchungen, einstweilen unbedingt außer acht zu lassen ist. 14. Mastigamoeba°’),. Im Jahre 1909 hatte Hartmann die Ansicht ausgesprochen, dass die von Goldschmidt (1907) für Mastigina setosa und Mastigella vitrea beschriebenen Gameten, deren Kerne aus Sporetien, d. h. aus generativem Chromatin, gebildet werden, in Wirklichkeit Parasiten darstellen. Diese Ansicht be- gründete er darauf, dass von vielen Autoren (so z.B. von Prandtl, Daugeard, Doflein) Parasiten in verschiedenen Amoeben beob- achtet und beschrieben worden waren. In neuester Zeit sagt sich Hartmann in seiner Arbeit über die Trichonymphiden (1910) von diesem seinem ursprünglichen Gesichtspunkte los und ist nunmehr geneigt, die von Goldschmidt beschriebenen Prozesse als ganz normal anzusehen; doch vermutet er, dass dieselben auf den Zerfall eines „polyenergiden“ Kernes in die Gametenkerne zurückgeführt werden können und spricht sich für eine Nachprüfung der Beob- achtung Godschmidt’s unter Bezugnahme auf diesen neuen Ge- sichtspunkt aus. 15. Trichonymphidae°?'). Der geschlechtliche Prozess dieser Orga- nismen ist bis jetzt nur von Hartmann allein (1910) untersucht worden; der zytologische Teil seiner Beobachtungen lässt sich dahin zusammenfassen, dass bei der Bildung der mutmaßlichen Gameten (eine Kopulation derselben hat Hartmann nicht beobachtet °?)) die Kerne dieser letzteren die Zerfallsprodukte des polyenergiden Kernes des Mutterorganismus darstellen. Es ist wohl kaum möglich, die Untersuchungen von Hart- mann einer eingehenden kritischen Analyse zu unterziehen, da Be- obachtungen über die Trichonymphiden einstweilen nur von seiner Feder vorliegen; allein es muss hervorgehoben werden, dass diese Beobachtungen an wesentlicher Unvollkommenheit leiden, indem wir keine volle Sicherheit dafür besitzen, dass Hartmann in der Tat die Gameten der von ihm untersuchten Organismen beobachtet hat. Andererseits muss daran erinnert werden, dass bei einem der Vertreter dieser Infusoriengruppe (Joenia annecteus) von Grassi und Foa (1901) ein Gebilde gefunden worden ist, welches diese 30) 1909. 12€, Pp: 503: SAL EN INE B.N37. 32) 1 e., p. 378. „Leider war es mir bei der Spärlichkeit meines Materials aus schwärmenden Termiten nicht möglich, die vermutete Kopulation zwischen den Produkten der Zerfallsteilung (multiplen Knospung) von den Formen A und B sicher- zustellen.“ Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 561 Autoren für ein Chromidium halten und dessen Bedeutung unauf- geklärt geblieben ist. | 16. Tecamoebae®??). Nach Hartmann unterliegt es keinem Zweifel, dass bei den schalentragenden Süßwasserrhizopoden Chromidialnetze existieren, welche generative Gebilde darstellen, d. h. solche, aus deren Substanz sich die Gametenkerne entwickeln, allein er hält es auch für höchstwahrscheinlich, dass in diesen Netzen die („bisher unbekannten“ ®*)) Kernlagen („einzelne Individualanlagen“ ®°)) angelegt sind, welche durch wiederholte Teilungen entstanden sind. Bei dieser Gelegenheit führt Hartmann (1909b\ seine Beobachtung über ein junges Individuum von Centropyxis an, in welchem er, bei Abwesenheit eines Chromidialnetzes, zwei Kerne beobachtet hat, einen großen und einen kleinen, dem Mikronukleus der Infusorien ähnlichen. Dieser letztere bildet seiner Ansicht nach durch wieder- holte Teilungen das Chromidialnetz. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, erscheint das Netz einfach als eine polyenergide Kernmasse °®). In seiner Arbeit „Die Konstitution der Protistenkerne“ (1911) erwähnt Hartmann auffallenderweise mit keinem Worte mehr seine hier soeben mitgeteilte Beobachtung über die zwei Kerne von Oentropyxis, sondern weist nur auf die Unzuverlässigkeit der Er- gebnisse der Beobachtungen von R. Hertwig, Schaudinn, El- patjewsky und Swarczewsky hin, wobei er hervorhebt, dass bei den in seinem Institute angestellten Untersuchungen an Chla- mydophrys und Difflugia in diesen Organismen Parasiten gefunden wurden, was seiner Ansicht nach auch in den von den soeben an- geführten Autoren beschriebenen Fällen statthaben muss’”). In neuester Zeit ist zu diesen Autoren noch ein weiterer hin- zugekommen, nämlich Popoff (1911), in dessen Arbeit „Uber die Entwickelung von Amoeba minuta n. sp.“ seine Beobachtungen über die ersten Stadien in der Bildung des Chromidialnetzes bei Arcella vulgaris mitgeteilt sind. Nach den Angaben dieses letzteren Autors findet dieser Vorgang bald nach der Kopulation der Gameten statt und verläuft in der Weise, dass von allen Seiten des Kernes die Kernsubstanz aus demselben auszutreten (auszuschwitzen) beginnt (Fig. E). Infolge dieser Ausscheidung bildet sich eine große An- häufung von Kernsubstanz um den Kern herum, welche sich sodann in ein Chromidialnetz verwandelt ®). 39) Ol eier p. 503; .1911.,, 1..C.,, p: 41. 34) 1. c., p. 503. 35) L’e, P., 503: 36) 1909. 1. e., p. 504. „Das Chromidialnetz wäre dann einfach eine poly- energide Kernmasse von vorwiegend generativem Charakter. 37) 1911. 1. c., p 42. „Das dürfte eventuell auch bei Arcella zustimmen “ 38) l. e., p. 213. „Noch in sehr frühen Stadien nun ist an deren Kern ein allseitiges Chromatinausschwitzen zu beobachten (d). Die Chromatinausstoßung geht, 562 Swarcezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. Durch die Beobachtung von Popoff wird die Beobachtung von Hartmann bezüglich der zwei Kerne von (entropyxis gänzlich ausgeschlossen. Außerdem bestätigt Popoff in der gleichen Arbeit die Beob- achtungen von Elpatjewsky und Swarczewsky über die Bildung der Kerne in den Gameten, wie auch in der schizogenen Generation von Arcella, aus der Substanz des Chromidıalnetzes. Die Beobachtungen über den Prozess der Verteilung des Chro- midıalnetzes auf die beiden bei der vegetativen Teilung resultieren- den Individuen’) scheinen mir ebenfalls gegen die Hartmann’sche Annahme zu sprechen, wonach das Chromidialnetz einen Komplex von Kernen darstellen soll. N Bei der Teilung des Tieres zerfällt dieses Netz in eine Menge kleinster Körnchen, welche wegen ıhrer geringen Größe und ungeheuren An- - zahl in keiner Weise mit i „sekundären“ Kernen iden- tifiziert werden können, wie dies der Fall sein müsste, wollte man die Chromidial- netze vom Gesichtspunkte Hartmann’s aus betrach- ten. Die Kerne der Gameten | von Arcella, wie auch die a Kerne ihrer schizogenen % 9 (senerationen, müssen na- Fig. E. Arcella vulgaris. Ausscheidung der turgemäß den Komplex einer Kernsubstanz aus dem Kerne der Kopula (d) beträchtlichen Anzahl sol- und Bildung des Chromidialnetzes (aus der Ar-- cher Körnchen darstellen. beit von Popoff). Was nun speziell die Frage nach der Bildung der Chromidialnetze betrifft, so kann ich hier, gegenüber der Auffassung Hartmann’s von deren Herkunft aus einem besonderen Kerne, auf die Erscheinungen hinweisen, welche von mir (Swarczewsky, 1912) bei Henneguya sargi beobachtet werden. Allerdings gehört dieser Organısmus zu einer ganz anderen Gruppe von Protozoen als die von dem genannten Autor besprochenen Formen, allein man wird zugeben müssen, dass ihre Chromidialnetze keinerlei wesentliche Unterschiede von denjenigen der einkammerigen Süßwasserrhizo- wie aus den Stadien e, f, g deutlich zu ersehen ist, weiter vor sich, bis ein ziem- lich breiter Chromidialhof gebildet wird (f).“ 39) Siehe Swarczewsky, B. Die Chromidien der Protozoen und ihre Be- ziehung zur Chromidialhypothese. 1912. Swarezewsky, Zur Chromidienfrage und Kerndualismushypothese. 563 poden aufweisen; der Ursprung dieser Netze aber weist direkt auf einen zwischen ihnen und dem „primären“ Kerne bestehenden gene- tischen Zusammenhang hın. Wir haben hier somit alle jene faktischen Angaben erörtert, welche Hartmann als Grundlage für den Aufbau seiner Hypothese von den „polyenergiden“ Kernen gedient haben und in seinen zwei Arbeiten von 1909 und 1911 niedergelegt sind; es muss nun zum Beschlusse darauf hingewiesen werden, dass wir unter allen diesen Angaben keine einzigen finden, welche als durchaus klare Bestätigung von Hartmann’s theoretischen Konstruktionen dienen könnte, ohne gleichzeitig irgendwelche Zweifel hervorzurufen. Literaturverzeichnis. Borgert, A. Untersuchungen über die Fortpflanzung der tripoleen Radiolarien. Arch. f. Prot., 14, 1909. Bott, K. Uber die Fortpflanzung von Pelomyza palustris. Ibidem, 8, 1907. Brandt, K. Beiträge zur Kenntnis der-Colliden (I, II). Ibidem, 1, 1902. — Beiträge zur Kenntnis der Colliden (III). Ibidem, 6, 1905. Craig, D. F. Studies upon the Amebae in the Intestine of Man. Journ. Inf. Dis., 5,1908: Dobell, ©. Physiological Degeneration in Opalina. Quart. Journ. of Micr. Sc., 51, 1907. — ÖObservations on the Life-history of Adelea ovata Aim& Schneider. Proc. Roy. Sc. B., 79, 1907. — Observations on the Infusoria parasitic in Cephalopoda. Quart. Journ. Mioer. De, 93, 1909. — Chromidia and the binuclearity hypotheses. Ibidem, 53, 1909. Elpatiewsky, W. Zur Fortpflanzung von Arcella vulgaris Ehrb. Arch. f. Prot., 10,-1,.1908. Goldschmidt, R. Lebensgeschichte der Mastigamoeben. Ibidem, Suppl.I, 1907. Gonder, R. Beiträge zur Kenntnis der Kernverhältnisse bei den cephalopoden- schmarotzenden Infusorien. Ibidem, 8, 1905. Grassi, B. und Foä, A. Ricerche sulla riproducione dei Flagellati. Atti Acad. Lincei, R. ©. 3-semestre, Roma, 13, 1904. Haecker, V. Über Chromosomen- und Sporenbildung bei Radiolarien. Verh. d. Deutsch. zool. Ges., 17, 1907. Hartmann, M. Polyenergide Kerne. Studien über multiple Kernteilung und generative Chromidien bei Protozoen. Biol. Centralbl., 29, 1909. — Untersuchungen über Bau und Entwickelung der Trichonymphiden. Festschr. z. 60. Geburtstag R. Hertwig’s. Jena, 1, 1910. — Die Konstitution der Protistenkerne und ihre Bedeutung für die Zellenlehre. Jena 1911. — und Hammer, H. Untersuchungen über die Fortpflanzung der Radiolarien. Sitz.-Ber. Ges. nat. Freunde. Berlin 1909. Jollos, V. Multiple Teilung und Reduktion bei Adelea ovata. Arch. f. Protist., 15, 1909. Kuschakewitsch, S. Beobachtungen über vegetative, degenerative und germina- tive Vorgänge bei den Gregarinen. Ibidem, Suppl. I, 1907. Metcalf, M. Opalina. Its Anatomy and Reproduction. Ibidem, 13, 1909. Moroff, T. Die bei den Cephalopoden vorkommenden Aggregata-Arten als Grund- lage einer kritischen Studie über die Physiologie des Zellkernes. Ibidem, 11, 1908. 564 Buddenbrock, Über die Funktion der Statocysten ete. Moroff, T. Über vegetative und reproduktive Erscheinungen bei Thalassicolla. Festschr. z. 60. Geburtstag R. Hertwig’s. Jena, I, 1910. Neresheimer, E. Die Fortpflanzung bei Opalinen. Arch. f. Prot., Suppl. I, 1907. Popoff, M. Uber die Entwickelungsregeln von Amoeba minuta. Ibidem, 22, 1911. Schaudinn, Untersuchungen an Foraminiferen. I. Caleituba polymorpha (Zeitschr. f. wiss Zool., 59). F. Schaudinn’s Arbeiten. Hamburg und Leipzig 1911. — Untersuchungen über die Fortpflanzung einiger Rhizopoden (Arb. a. d. k. Ges.-Amt, 19). Ibidem. Schouteden, H. La formation des spores chez les T'halassicolla. Ann. Soc. Zool. Mal. Belg., 42, 1907. Siedlecki, M. Etude cytologique et cycle evolutiff de Adelea ovata. Ann. de l’Inst. Pasteur., 13, 1899. Swarczewsky, B. Über die Fortpflanzungserscheinungen bei Arcella vulgaris Eihrbe; Arch. f. Prot, 12, 1908. — Zur Kenntnis der Allogromia ovoidea. Ibidem, 14, 1909. — Die Chromidien der Protozoen und ihre Beziehung zur Chromatindualismus- hypothese. M&m. de la Soc. des Nat. de Kieff, 22, 1912. Wenyon, ©. Observations on the Protozoa in the intestine of Mice Arch. f. Prot., Suppl. I, 1907. Winter, F. Zur Kenntnis der Thalamophoren. Ibidem, 10, 1907. Zuelzer,M. Bau und Entwickelung von Wagnerella borealis Mereschk. Ibidem, 17, 1908. Über die Funktion der Statozysten im Sande grabender Meerestiere (Arenicola und Synapta). Von Dr. W. v. Buddenbrock, Assistent am zoologischen Institut Heidelberg. Mit 6 Figuren im Text. Unsere Kenntnis der Funktion der sogen. Statozysten der Wirbellosen ist in den beiden letzten Jahrzehnten nicht unbeträcht- lich gewachsen. Die Untersuchungen zahlreicher Forscher haben in übereinstimmender Weise gezeigt, dass die Statozysten, soweit bisher bekannt, auf Schwerkraftsreize reagierende Organe sind und dass sie zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts dienen. Gewonnen wurden diese Resultate hauptsächlich an Krebsen, zum Teil auch an Mollusken. Dagegen existierte bisher keine einzige Arbeit, die sich mit der Funktion der Statozysten der Anneliden beschäftigt hätte. Beobachtungen fehlen; von Experimenten existiert nur ein misslungenes: Fauvel!) exstirpierte nämlich die beiden Statozysten von Branchiomma. Ein Erfolg blieb aber seinen Bemühungen leider versagt, denn Fauvel schreibt selbst, dass sich der Wurm nach der Operation genau so benommen hätte wie vorher. So herrschten bisher völlig nur die verschiedenen Hypothesen, welche gelegent- lich der Erforschung der anatomischen Verhältnisse der Anneliden- Statozysten geäußert wurden. Eine Zusammenstellung derselben 1) Fauvel, Pierre. Recherches sur les otocystes des Annelides Polychetes. Ann. sc. nat. Zool. IX. Ser., Tome VI, 1907. Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. 565 findet sich bei Fauvel!) in seiner Arbeit: „Recherches sur les Oto- cystes des Anne&lides Polychetes“, auf welche ich für Einzelheiten verweisen möchte. Ich will mich mit der Anführung seines Schluss- wortes begnügen, das am besten die Unsicherheit und Unklarheit zeigen dürfte, welche auf diesem Gebiet existiert: „En resume, raisonnant par analogie, nous dirons, que les otocystes des Anne- lıdes sont probablement des organes percevant des vibrations et peut-etre en outre, des organes d’orientation, mais Ja d&monstration experimentale de ces proprietes nous fait encore defaut pour le moment.“ Im ganzen muss man also sagen, dass unsere Kenntnisse auf diesem Gebiet äußerst gering sind. Sie ein wenig zu erweitern, war der Zweck der vorliegenden, im März dieses Jahres an der zoologischen Station zu Neapel ausgeführten Studie. Über die Verbreitung, welche die Statozysten in der Abteilung der Polychäten besitzen, sind wir, vornehmlich durch die oben ge- nannte zusammenfassende Darstellung Fauvel’s, recht gut orientiert. Es sind nach ihm Statozysten sicher nachgewiesen bei den Ari- ciiden, den Arenicoliden, den Terebelliden und den Sabel- liden. Alle diese Familien gehören zur Gruppe der Sedentarier, sind somit entweder in Röhren oder im Sande lebende Formen. Die Errantier dagegen scheinen, obgleich teilweise recht geschickte Schwimmer, samt und sonders der Statozysten zu entbehren. Die Ariciiden besitzen mehrere Paare Statozysten, die sich über eine Anzahl der vorderen Segmente verteilen; bei sämtlichen übrigen Polychäten findet sich stets nur ein Paar, in der Nähe des Kopfes. Für mich wäre es nun das Nächstliegende gewesen, die Ver- suche an Branchiomma weiterzuführen, der sich erwiesenermaßen operieren lässt; es war mir dies aber leider nicht möglich, da dieser Wurm in Neapel recht selten ist. Ich wählte daher zur Unter- suchung die Gattung Arenicola, von welcher die Arten A. grubei und A. claparedei ziemlich häufig im Golfe vorkommen. KErstere lebt im Sand und besitzt wohlausgebildete Statozysten, die andere ist ein Schlammbewohner und hat absolut keine derartigen Organe. Die Möglichkeit, diese beiden in dem für uns wichtigsten Punkte so verschiedenen Formen vergleichend zu beobachten, schien mir besonders verlockend. Denn so bot sich die Aussicht, event. auch dann zu einem Resultat zu kommen, falls sich aus irgendeinem Grunde die Exstirpation der Statozysten von A. grubei als unmög- lich herausstellen sollte. Bevor ich die Schilderung meiner Beobachtung beginne, möchte ich noch bemerken, dass es mir keineswegs gelang, die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, vollständig zu lösen. Ich vermag nur das Fragment einer Lösung zu bieten. Wenn ich es wage, das bisher Erforschte trotz seiner Unvollständigkeit schon jetzt zu ver- 566 Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. öffentlichen, so geschieht dies in der Hoffnung, dass ich gelegent- lich weiterer Studien über die Statozysten der Polychäten das Fehlende bald nachtragen kann. Anatomische Einzelheiten vorzubringen beabsichtige ich in dieser Mitteilung nicht. Wo sie zum Verständnis der sonstigen Schilde- rung notwendig erscheinen, werden sie an Ort und Stelle nach- getragen werden. Wichtiger ist für uns, Einiges über die Lebens- weise der Arenicolen zu erfahren. Hierüber ist nun leider erst sehr wenig bekannt, was erklärlich ist wegen der verborgenen unter- irdischen Lebensweise der Tiere. Es gäbe eigentlich nur einen einzigen Weg, dieselbe zu studieren, nämlich das Freilegen ihrer Wohnröhren, aus deren Form sich mancherlei erschließen ließe, an einem geeigneten Sandufer bei Ebbe. Er scheint aber bisher kaum beschritten zu sein, wenigstens finden sich in der Literatur keine nennenswerten Angaben darüber. Unsere Kenntnis der Lebens- geschichte der Arenicolen beschränkt sich daher auf folgende Punkte: Die Tiere leben dauernd unter Sand und kommen wohl nur an die Oberfläche, um, ähnlich den Regenwürmern, ihre Exkremente ab- zulegen. Sie bohren sich in einer Weise durch die Erde, die zwei abwechselnd F erfolgende Bewegungsarten erkennen Bee lässt. Die erste (Fig. 1 A) besteht darin, Kopfes in den Sand bei zurück- dass bei zurückgezogenem Rüssel der als- gezogenem Rüssel. 5 Vorstül- dann spitz zulaufende Kopf als Keil in pung desselben. den Sand getrieben wird. Bei der zweiten Bewegungsweise (Fig. 15) wird durch Kontraktion der Ringmuskulatur die Leibeshöhlenflüssigkeit nach vorn gedrängt und dadurch der stempelartige Rüssel vorgestülpt. Er drängt den Sand zur Seite, lockert ıhn und schafft so Platz für den nach- folgenden Körper. Während das Tier bohrt, scheidet die gesamte Epidermis allseitig ein schleimiges Sekret ab, welches die um- gebenden Sandteilchen fast augenblicklich miteinander verklebt. So bildet sich sehr schnell eine fest ausgekleidete, ziemlich be- ständige Röhre, in welche sich das Tier sehr schnell zurückzieht, wenn es gestört wird. Schließlich ist es leicht zu beobachten, wie das Tier sich wieder von neuem eingräbt, wenn man es aus dem Sand nimmt. Man macht diesen Versuch ganz unwillkürlich, denn die Arenicola muss normalerweise im Aquarium unter Sand gehalten werden; ich musste sie also jedesmal ausgraben, wenn ich sie untersuchen wollte, und nachher wieder in ihr Bassin zu- rücklegen, wo sie sich sofort eingrub. Zufälligerweise gibt nun gerade dieser einfache Versuch auch Aufschluss über die Funktion der Statozysten. Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten ete. 567 Betrachten wir zunächst A. grubei. Wir legen also ein solches Tier, nachdem es ausgegraben und von der ihm anhaftenden Sand- hülle befreit wurde, auf den mit Sand bedeckten Boden eines kleinen Versuchsaquariums. Es zeigt sich, dass der Wurm, gleichgültig ob er auf dem Bauch, Rücken oder auf der Seite liegt, sein Vorderende stets vertikal nach unten krümmt, so dass er in jeder Lage fast augen- blicklich mit dem Kopf den Boden berührt und nunmehr die geschil- derten- Bohrbewegungen aufnehmen kann. Ganz anders benimmt sich A. claparedei, die, wie bereits erwähnt, keine Statozysten besitzt. Auf den Bauch gelegt freilich zeigt sie kein Verhalten, das von dem abwiche, was wir soeben bei A. grubei sahen: Das Vorderende biegt sich vertikal nach unten und der Wurm beginnt sich einzubohren (Fig. 2a). Dreht man ihn aber um, so dass er auf den Rücken zu liegen kommt, so tritt etwas höchst Unerwartetes ein: Zunächst entfernt er sein Vorder- ende vom Sande, indem er es ge- nau wie vorhin bei der Bauchlage ventralwärts krümmt (Fig. 2b). Auf diese Krümmung, die für den vor- liegenden Zweck, den Boden zu er- reichen, aufs erste wenig geeignet erscheint, erfolgt eine Reihe weiterer, sehr komplizierter Bewegungen, die ich versucht habe, durch die Figuren 2c—kklarzustellen. Betrachtet man den Vorgang von oben, wie es ja in natura tatsächlich meist der Fall ist, so sieht man in Fig. c, die den Augenblick festhält, der direkt auf die Lage b folgt, eine auch Rechtskrümmung) des Vorderendes eintreten. 104 RK, IRRE. Mh IHR. HR, Ih; Z 7 HH ZA Fig. 2. Bewegungen einer ausgegra- benen und auf den Sand gelegten Arenicola claparedei. (Der Rücken des Tieres ist jedesmal schwarz ge- zeichnet, der Bauch weiß.) a Bewegung bei Bauchlage; seitliche Ansicht; D—%k Bewegungen bei Rückenlage; b, iu. %k von der Seite, e—e von oben, f—h von vorn betrachtet; 2 Bewegung bei Seitenlage. leichte Linkskrümmung (oder Hierzu tritt in dem darauffolgenden Stadium (d) eine Torsionsbewegung, die so lange anhält, bis in e der Kopf mit der Rückseite nach oben nach vorn 568 Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten ete. gerichtet ist. Indem nun gleichzeitig der Vorderleib sich immer stärker ventralwärts krümmt, geschieht es mit Notwendigkeit, dass schließ- lich der Kopf in einigermaßen senkrechter Lage den Boden berührt. Indessen wird dies keineswegs immer schon beim ersten Versuch erreicht. Im Falle des Misslingens versucht das Tier nach der andern Seite sein Glück; es geht also zunächst von e über d wieder nach ce zurück, worauf durch Rechtskrümmung und Rechtstorsion die Spiegelbilder von c, d und e zustande kommen. So pendelt das Vorderende mehrfach hin und her in stets heftiger werdenden Bewegungen, bis es am Ende doch einmal den Boden berührt. Die Figuren fund g zeigen von vorn gesehen zwei derartige, der Lage e bezw. ihrem Spiegelbild entsprechende erfolglose Versuche, zur Erde zu kommen, zu denen sich erst in % ein erfolgreicher gesellt. “und k endlich zeigen dasselbe Stadium des Bewegungskomplexes in seit- licher Ansicht. In © wendet sıch das Vorderende des Wurms nach hinten, vom Beschauer weg, in k umgekehrt auf ihn zu, also nach der rechten Seite des Tieres. Was macht nun der Wurm, wenn man ihn auf die Seite legt? Hierauf antwortet Fig. !. Sie lehrt, dass die Arenicola genau wie in den bisher besprochenen Fällen ihren Vorderleib zunächst ventralwärts krümmt und erst hierauf seit- lich biegt. Dass diese Biegung durchaus nicht immer gleich nach der richtigen Seite erfolgt, möge durch den punktierten Umriss ange- deutet sein. Während alle hier geschilderten Vorgänge bleibt der Hinter- leıb des Tieres bwegungslos, erst wenn der Kopf den Boden ge- funden hat und zu bohren anfängt, wird der übrige Körper mecha- nisch nachgezogen. Schon aus den bisherigen Beobachtungen ergibt sich mit Sicherheit, dass die verschiedenen Bewegungen, die der Wurm ausführt, je nachdem er auf dem Bauch, Rücken oder auf der Seite liegt, nicht prinzipiell voneinander abweichen. Denn offenbar führt das ın Rückenlage befindliche Tier zunächst die gleiche Bewegung aus wie in der Bauchlage (Ventralkrüämmung), dann die für die Seitenlage charakteristische Seitenbiegung, und erst hierauf erfolgen die für die Rückenlage eigentümlichen Torsions- bewegungen. Es liegt also die Annahme sehr nahe, dass der Wurm ganz unabhängig von seiner Lage stets die gleichen Bewegungen aus- führt, um sich einzubohren, nur dass dieselben je nachdem in ver- schiedenen Stadien abgebrochen werden, und zwar am zeitigsten bei Bauchlage, wenig später in der Seitenlage, während die Rückenlage die ausgiebigste Bewegung verlangt. Dies wird durch folgendes einfaches Experiment streng bewiesen: der Wurm wird in eine kleine, mit Sand gefüllte Röhre gesetzt, aus der nur sein Kopf ca. einen Zentimeter vorschaut. Jetzt ist es ganz gleichgültig, wie ich die Röhre halte, stets erfolgen bis zur Ermüdung die bei der Rücken- Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten ete. 569 lage geschilderten komplizierten Bewegungen. Einflüsse der Schwer- kraft oder solche einer einseitigen Berührung mit dem Erdboden sind bei dieser Versuchsanordnung vermieden, so bleibt nur die oben gemachte Annahme. Zusammenfassend lässt sich also folgendes über die Einbohr- bewegungen von A. claparedei sagen. Das Tier ist über seine Lage absolut nicht orientiert und hilft sich daher, wenn es ausgegraben wird, in der Weise, dass es durch mannigfache Bewegungen den Raum ganz systematisch nach drei verschiedenen Richtungen ab- sucht, und zwar zunächst ventralwärts, hilft dies nichts, seitlich, endlich, im Falle auch dieses misslingt, nach der Dorsalseite hin. So kommt der Wurm nach einigen Anstrengungen stets mit abso- luter Sicherheit dazu, den Boden zu berühren, wobei das Vorder- ende nicht genau senkrecht steht, sondern ein wenig geneigt ge- halten wird, mit der Rückseite nach oben. Fig. 3. Arenicola grubei. Versuch mit kleiner Glasröhre zur Demonstrierung des Vertikalreflexes. Der Wurm biegt sein aus der Röhre vorstehendes Vorderende stets vertikal nach abwärts (ce), Dreht man die Röhre um 180°, so geht er sofort aus der Lage a über db nach c zurück. Von A. grubei wissen wir bereits, dass sie, auf den Sand ge- legt, ungeachtet ihrer Lage stets das Vorderende vertikal nach unten neigt. Indessen blieb es bisher ungewiss, ob dies eine Schwer- kraftswirkung sei oder eine thigmotropische Bewegung, hervor- gerufen durch eine Reizung der jeweils den Boden berührenden Seite. Ein Versuch mit einer kleinen, sandgefüllten Röhre, in welche der Wurm hineingesteckt wird (Fig. 3), genau wie es von A. cla- paredei soeben beschrieben wurde, entscheidet zugunsten der Schwer- kraft. Denn es zeigt sich, dass der Wurm auch hier in jeder be- liebigen Lage sein Vorderende erdwärts biegt. Am nettesten lässt sich dies in der Weise demonstrieren, dass man die Röhre zunächst senkrecht stellt, mit der Öffnung nach oben. Wenn sie nicht zu eng ist, kriecht der Wurm sofort hinein. Will ich ibn nun zwingen, wieder hervorzukommen, so brauche ich nur die Röhre so zu drehen, dass die Öffnung nach unten gekehrt ist, der erwartete Erfolg tritt augenblicklich ein. Hiermit ist unsere Untersuchung beendet, soweit sie auf einem Vergleich beider Arenieola-Arten beruht. Die Tatsache, dass die statozystenlose A. claparedei sich zur Schwerkraft absolut indifferent XXXII 37 370 Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. verhält, während A. grubei, welche im Besitz wohlausgebildeter Statozysten ist, deutlich positiv-geotropisch reagiert, lässt kaum eine andere Deutung zu, als dass eben diese Statozysten es sind, welche die Schwerkraftsreaktion vermitteln. Indessen ist dies noch kein völlig strenger Beweis, ein solcher ist nur auf operativem Wege durch Exstirpation der Statozysten oder durch Durchschneidung ihrer Nerven zu erreichen. Diejenigen Forscher, die sich bisher mit unserem Gegenstande beschäftigt haben, scheinen nun eine solche Operation für unmög- lich gehalten zu haben. So schreibt Ehlers (1892)”) in seiner Arbeit über „die Gehörorgane der Arenicolen“, nachdem er aus- A Fig. 4. Vorderende von Arenicola grubei. A von der Seite, B von oben gesehen. B.m. Bauchmark; B.S. erstes borstentragendes Segment; d.S. dorsale Sinnesgrube; Geh. Gehirn; M. Mund; N.st. Nervus staticus; s.S. seitliche Sinnesgruben; St. Statozysten. geführt hat, dass den Otozysten „neben der akustischen Funktion auch die der Empfindung und Überwachung der Gleichgewichtslage des Körpers“ zugeschrieben werden könnte: „Bei der schwer zugäng- lichen Lage der Organe bei Arenicola wird die Bestätigung solcher Auffassung auf dem Wege des Experiments kaum zu erreichen sein.“ Fauvel kleidet die gleiche Auffassung in folgende Worte: „Seul le Branchiomma permet l’experimentation, les autres especes sont trop petites ou bien comme les Arenicoles, ont des otocystes situ6s trop profondement pour qu’il soit possible de les enlever sans l&sions graves entrainant rapidement la mort de l’animal.“ Ich freue mich nun, beweisen zu können, dass die Skepsis, welche den Worten dieser Autoren zugrunde liegt, eine unbegrün- dete war. Die Exstirpation der Statozysten selbst scheint zwar 2) Zeitschr. f. wiss. Zool., Bd. 53, Suppl., 1892. Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. 571 auch mir unmöglich, dagegen erwies sich die Durchschneidung des Nervus staticus bei Ar. grubei leicht durchführbar. Zum Verständnis des weiteren ist es notwendig, etwas genauer auf die Anatomie des Kopfes von Ar. grubei einzugehen. Das bei zurückgezogenem Rüssel konisch zulaufende Vorderende, als dessen hintere Begrenzung das erste borstentragende Segment gelten mag, zeigt fünf Ringel, die durch vier Ringfalten getrennt sind (Fig. 4). Das vorderste dieser Ringel, an dessen terminalem Ende sich der Mund befindet, ist zirka doppelt so lang als die anderen und trägt als auffallendstes Merkmal die sogen. Nucal- oder Nackenorgane (d.S. und s. S.). Diese bestehen bei unserer Art aus einer medianen, dorsal gelegenen (d.S.) und zwei lateralen Sinnesgruben (s.S.), die von den Seiten der ersten aus nach hinten und bauchwärts ziehen. Dicht vor der medianen Grube liegt das Gehirn (Geh.\, während die Schlundkommissuren dem Vorderrande der seitlichen Gruben parallel zum Bauchmark ziehen. Um nun die Lagebeziehung dieser Organe zu den uns hier am meisten interessierenden Statozysten festzustellen, macht man am besten folgendes Präparat: Der Wurm wird in schwachem Alkohol (10—20°/,) getötet und darauf in Seewasser übertragen; hierauf wird er ventral genau entlang des Bauchmarks geöffnet bis zum Munde und aufgeklappt, sowie Darm und Dissepimente entfernt. Dreht man nun das Präparat um, so dass die Haut nach oben ge- richtet ist, so gelingt es leicht, mit Hilfe einer spitzen Pinzette die Kutikula gänzlich abzuziehen und die darunter liegende grüne Epi- dermis mit einem Messerchen vorsichtig abzuschaben. Ist das störende Pigment völlig entfernt, so wird das Präparat gut aus- gespannt, gehärtet, in Boraxkarmin gefärbt und aufgehellt. Wenn es gut gelungen ist, kann man an ihm folgende Einzelheiten er- kennen (siehe die umstehende Figur 5): Gehirn und Schlund- kommissuren umziehen in flachem Bogen die deutlich sichtbaren Sinnesgruben. Etwas dorsal und ein wenig kaudalwärts vom ven- tralen Ende der seitlichen Gruben gewahrt man die Statozysten, deren ganglienzellenreicher Nerv hart am Rande der Gruben ent- lang zum Schlundring zieht. Aus diesem Befunde ergibt sich leicht, dass ein Schnitt durch das ventrale Ende der seitlichen Sinnesgruben mit Sicherheit auch den Nervus staticus treffen muss. Auf dem Bilde ist ein solcher idealer Schnitt durch eine schwarze Linie markiert. Man sieht, dass er, richtig geführt, andere lebenswichtige Organe nicht trifft. Vor allen Dingen aber braucht man zu dieser Operation den Wurm gar nicht zu öffnen, da die Sinnesgruben von außen deutlich sicht- bar sind. Zur praktischen Ausführung des Schnittes bedarf es natürlich einiger Übung. Narkotisiert werden die Tiere am besten durch 377 572 Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. Einleiten von Kohlensäure in Seewasser, worauf man sie in eine kleine Präparierschale auf die Seite legt und in das ventrale Ende der seitlichen Sinnesgrube mit einem feinen Messerchen einsticht, und zwar so, dass der Schnitt schräg von vorn und oben nach unten und hinten verläuft. Ist dies beiderseits geschehen, so wird der Wurm ins Aquarıum zurückgelegt und nach einigen Stunden wie gewöhnlich mit Sand bedeckt. Die Untersuchung findet am besten erst am nächsten Tage statt, um eine etwaige ungünstige Einwirkung der Narkotisierung auf die Reflextätigkeit des Tieres auszuschließen. Am 27. März waren auf diese Weise fünf Würmer operiert worden. Am 28. war einer davon aus nicht näher unter- suchten Gründen gestorben, die anderen vier waren äußerst munter und bohrten wie normale Würmer. In die kleine Versuchsröhre | dorsale Mittellinie la | Gehirn Statozyste SE | £ En | Sinnesgrube idealer Schnitt SIE Bauchmark seitliche | Sinnesgruben Fig. 5. Arenicola grubei. Lagebeziehung der Statozysten zum Gehirn und den Nackenorganen (Sinnesgruben). (Wurm ventral geöffnet und ausgebreitet.) gesetzt, zeigten zwei von ihnen gegen früher durchaus keine Ver- änderung, der Vertikalreflex war deutlich und scharf ausgeprägt — es bedarf keiner Erwähnung, dass sämtliche Arenicolen vor der Operation in der gleichen Weise auf diesen Reflex hin geprüft worden waren —. Die übriggebliebenen zwei dagegen erwiesen sich der Schwerkraft gegenüber als völlig indifferent, sie hatten somit durch die Operation ihr Orientierungsvermögen verloren. Nunmehr wurden alle vier Tiere abgetötet und zu den oben beschriebenen Flächenpräparaten verarbeitet, deren wichtigste Einzel- heiten die nebenstehende Figur zeigt. Hierbei beziehen sich die Bilder A und BD auf diejenigen beiden Würmer, die den Vertikal- reflex auch nach der Operation in unveränderter Weise gezeigt hatten, Ü und D auf die beiden anderen. Die Löcher, welche das Messer geschnitten hat, sind völlig schwarz gehalten, Schlundring und Statozystennerven punktiert, die Sinnesgruben nur in ihren Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. 573 U Umrissen angedeutet, alles Übrige ist fortgelassen. Es ist nun deut- lich zu sehen, dass bei A die Operation linkerseits missglückt ist. Der linke Nervus staticus ist ganz sicher unverletzt; rechts geht der Schnitt sehr nahe an den Nerv heran, und ist es nach dem Totalpräparate zunächst nicht zu entscheiden, ob derselbe ver- letzt ist oder nicht. Bei B sind vier Löcher zu sehen, die daher rühren, dass der Wurm bei beiden Anstichen vollständig durchbohrt wurde, so dass das Messer auf der anderen Seite wieder zum A) Vorschein kam, bei a‘ und bei b‘, während a und b die Einschnittstellen bezeichnen. Wiederum ist die linke Stato- zyste und ihr Nerv (N.st.) völlig zweifelsfrei intakt. Der rechte Nervus staticus dagegen ist zerschnitten. Wenn trotzdem der Wurm den normalen Ver- tikalreflex auch weiterhin auf- weist, so braucht uns dies nicht zu wundern. Durch die Be- obachtungen, die wir bisher über die vermutliche Funktion der Statozysten von A. grubei anstellen konnten, ist es äu- Berst wahrscheinlich geworden, dass die Wirkung der beiden = Statozysten darin besteht, dass Fig. 6. Arenicola grubei. Mikroskopischer sie das Vorderende des Tieres Befund bei vier operierten Exemplaren. Die vertikal einstellen. Dies ist Würmer sind, wie in Fig.5, ventral geöffnet wohl nur dann möglich, wenn und ausgebreitet. Geh. Gehirn; d.S. und nzeder belieh; L s.S. dorsale und seitliche Sinnesgruben I TT DENENIZen nase (Nackenorgane); N.st. Nervus statieus; #t. in gleichem Sinne wirken, dh; Statozyste. Die mit dem Operationsmesser die gleichen Muskeln verkürzen geschnittenen Löcher sind schwarz gezeichnet. bezw. strecken. Die Entfer- nung nur einer von ihnen kann also niemals eine qualitative Änderung des Reflexes bewirken, sondern nur eine Schwächung desselben, die wohl schwer nachweisbar sein dürfte?). Gelungene Präparate zeigen die Bilder © und D. Aus der Lage der Schnittlöcher ergibt sich mit absoluter Sicherheit, dass Geh. 3) Es ist gewiss interessant, dass neuerdings R. Magnus und A. de Kleijn in ihrer schönen Arbeit über „die Abhängigkeit des Tonus der Extremitätenmuskeln von der Kopfstellung“ das prinzipiell gleiche Verhalten für die Wirbeltiere (Katze) feststellen konnten. Sie schreiben p. 478: „Es genügt also ein Labyrinth, um den Gliedertonus auf beiden Körperseiten gleichmäßig zu beeinflussen.“ 574 Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. in beiden Fällen die beiderseitigen Nervi statici durchschnitten sein müssen. Direkt sichtbar ıst dies indessen nicht, da an den Schnitt- rändern die Gewebe zu stark zerstört sind, um ein klares Bild zu ermöglichen. Mikrotomschnitte, die von den hier beschriebenen vier Prä- paraten angefertigt wurden, ergaben für B und © das gleiche Re- sultat wie das Totalpräparat. Bei A zeigte es sich, dass der rechts- seitige Nervus staticus deutlich durchschnitten ıst. Präparat D konnte wegen ungünstiger Schnittführung leider nur linksseitig kontrolliert werden. Dieser Operationsbefund samt der Tatsache, dass bei den Würmern C und D der Vertikalreflex nach der Operation fehlte, während er bei A und B fortbestand, gibt uns die Gewissheit, dass es tatsächlich die Statozysten sind, welche den Vertikalreflex be- herrschen. Daraus, dass ich die Operation nur an so wenigen Exemplaren ausgeführt habe, glaube ich, mir keinen allzu schweren Vorwurf machen zu müssen. Es scheint mir, dass die gleichsinnigen Resultate von zwei sicher gelungenen Operationen zu einem scharfen Beweise ausreichen, um so mehr, als dieser Beweis sich völlig mit dem Ergebnis der früher beschriebenen vergleichenden Beobach- tungen deckt, die an sich schon zwingend genug waren. Immerhin wäre es natürlich besser gewesen, zahlreichere Individuen zu ope- rieren. Hieran hinderte mich ein unglücklicher Missgriff ın der Wahl der zunächst angewendeten Narkotisierungsmittel. Ich hatte in der ersten Zeit Äther hierzu genommen, der sich allem Anschein nach auch recht gut bewährte, da sich die Würmer sehr schnell von ihrer Betäubung erholten. Auch erwiesen sich alle Operationen, die ıch mit ıhnen anstellte, scheinbar als erfolgreich, indem der Vertikalreflex stets prompt ausblieb. Schließlich stellte sich aber heraus, dass er auch denjenigen Würmern fehlte, die zwar mit Äther narkotisiert, aber überhaupt »icht operiert worden waren. Alle mit Äther ausgeführten Operationen waren daher wertlos ge- worden und es fehlte mir später an Zeit, um eine größere Anzahl von Würmern anderweitig zu behandeln. Wir wollen uns in folgendem wieder der Beobachtung des normalen, nicht operierten Wurmes zuwenden. Es ist ganz selbst- verständlich und bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass der be- reits geschilderte Vertikalreflex, den Ar. grubei zeigt, sobald sie auf den Sand gelegt wird und der, nochmals gesagt, darın besteht, dass der Wurm sich senkrecht in den Sand einbohrt, nicht fortwährend wirksam sein kann, da offenbar eine derartige Einrichtung in jeder Hinsicht zu völlig unsinnigen biologischen Folgerungen führen würde. Wir müssen also damit rechnen, dass die Vertikalbewegung einige Zeit nach dem Einbohren aufhört, und es erhebt sich nun- mehr die Frage, durch welche Faktoren dies bedingt sein möge. Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. 3 Um hierüber ins Klare zu kommen, wähle ich folgende einfache Versuchsanordnung: Eine Glasröhre von ca. 3 cm innerem Durch- messer und etwa 25 cm Länge wird locker mit Sand gefüllt, der natürlich vollständig mit Seewasser durchtränkt ist, der Wurm oben hineingesetzt, sofort hierauf die Röhre mit einem Korken verschlossen und horizontal gelegt. Das Tier, stets bemüht, erdwärts zu bohren, wird so gezwungen, die Röhre in querer Richtung zu durchkriechen, Sehr bald erscheint sein bohrender Rüssel an der unteren Wand des Rohres, worauf dasselbe ca. 180° um seine Längsachse gedreht wird. Der Wurm, dessen Kopf jetzt senkrecht nach oben sieht, wendet sich sogleich um und erscheint nach wenigen Minuten wiederum an der unteren Röhrenwand. Die Umdrehungen der Röhre werden so lange fortgesetzt, bis die Arenicola nicht mehr darauf reagiert. Ich habe nun mit ein und derselben Röhre eine ganze Anzahl Würmer geprüft. Das Resultat war ein höchst merk- würdiges, denn stets hörten die Tiere nach ca. 15—20 Minuten auf, der Schwerkraft zu folgen. Dann blieben sie bewegungslos liegen oder bohrten in einer beliebigen Richtung weiter, horizontal oder gar nach oben. Machte es schon diese letzte Beobachtung unwahr- scheinlich, dass das Aufhören des Reflexes eine Erschöpfungs- erscheinung sei, so konnte dies auf folgendem Wege streng wider- legt werden. Der Wurm wird, sobald er nicht mehr reagiert, aus der Röhre geschüttet und in die neu gefüllte sogleich wieder hinein- gesetzt, was alles in allem nur wenige Minuten beansprucht. Hier- auf wird er einem neuen Ablenkungsversuch in der horizontal ge- legten Röhre unterworfen. Er bohrt nun wieder ca. eine Viertelstunde erdwärts, genau wie vorher, wobei er eine gewisse Erschöpfung nur insofern zeigt, als er gegen das erste Mal seine Geschwindig- keit verringert hat. Nötigenfalls kann der Versuch noch ein drittes Mal wiederholt werden. Wenn also das Aufhören des Reflexes nach dem gesamten Zeitraum keine Erschöpfungserscheinung ist, was ist es dann? Man muss sich wohl vorstellen, dass der Statozystenapparat auf eine vorerst nicht näher bekannte Weise — in den beschriebenen Versuchen eben nach der genannten Zeit — ausgeschaltet wird, so dass also nachher der Wurm in beliebiger Richtung weiterbohren kann. Wir haben es folglich, wie später noch näher bewiesen werden wird, mit einer Hemmung des Vertikalreflexes zu tun. Was nun die Ursachen dieser Erscheinung betrifft, so könnte man sich zunächst durch die soeben mitgeteilten Versuche zu der An- nahme verleiten lassen, dass tatsächlich die Zeit hierbei eine Rolle spiele, derart etwa, dass der durch das Ausgegrabenwerden aus- gelöste Vertikalreflex nach einiger Zeit allmählich verklinge. Eine solche Annahme führt aber erstens notwendigerweise zu biologisch unsinnigen Konsequenzen, wie später gezeigt werden wird, ferner 576 Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. ist sie experimentell auf folgende Weise leicht zu widerlegen. Eine Arenicola wird in eine sandgefüllte Röhre gesetzt, die einen inneren Durchmesser von nur 15 mm hat. Man wird erstaunt sein zu finden, dass sich unter diesen Verhältnissen eine Bohrtiefe von nur 5—10 cm ergibt, die in 5—7 Minuten etwa erreicht wird. Zweitens zeigt es sich, dass in der gleichen Röhre, in der die Würmer sonst 15—20 Mi- nuten bohren (30 mm innerer Durchmesser), die Bohrzeit eine sehr viel geringere wird, wenn man den Sand ein wenig feststampft. Das Gemeinsame beider Versuche liegt nun offenbar in dem größeren Sandwiderstand, den die Tiere beim Bohren finden, im ersten Falle hervorgerufen durch den geringeren Durchmesser der Röhre, welcher ein Ausweichen des Sandes verhindert, im zweiten durch den fest- gepressten Sand selber. Folglich liegt der Gedanke nahe, dass es der größere oder kleinere Sandwiderstand ist, der die Länge der Bohrzeit bedingt, die Hemmung des Vertikalreflexes verursacht. Wenn dies nun richtig ist, so muss es umgekehrt irgendwie gelingen, durch möglichstes Herabsetzen des Sandwiderstandes die Bohrzeit erheblich zu verlängern. Zu diesem Zwecke wurde ein kleines Aquarium konstruiert, welches ca. 30 cm Höhe und 15 cm Breite hatte bei nur 1 cm Tiefe. Von den beiden Breitseiten wurde die eine aus Glas angefertigt, die andere dagegen aus einem mög- lichst dünnen und nachgiebigen Stoff (Gaze). Das Ganze wird nun hochkant unter Wasser gesetzt, möglichst vorsichtig von oben mit lockerem Sand gefüllt und der Wurm schließlich oben auf den Sand hinaufgetan. Das Aquarıum wird am besten ein wenig schräg gestellt (10—20°) mit der Glas-Breitseite nach unten. So zwingt man den erdwärts kriechenden Wurm, stets am Glase entlang zu kiechen und kann nun alle seine Bewegungen genau beobachten. Es ist nun klar, dass bei einer solchen Versuchsanordnung die Tiere beim Bohren nur einen äußerst geringen Widerstand finden, da der Sand nach der Gazeseite hin stets mit der größten Leichtig- keit ausweichen kann, und tatsächlich ergeben sich nun, unserer Annahme entsprechend, bedeutend verlängerte Bohrzeiten. Ich habe Würmer beobachtet, die mit geringen Unterbrechungen 1'/, Stunden hintereinander bohrten. Hierbei ist es natürlich notwendig, dass man jedesmal, kurz bevor der Wurm den Boden erreicht, das Aquarium um 90° oder 180° umkehrt. Immer wieder von neuem erstaunt man über die Präzision, mit welcher die Tiere auf die Schwerkraft reagieren; ohne Zweifel liefern sie das glänzendste Beispiel für geotaktische Bewegungen im Tierreich, das bisher bekannt ist. Das Merkwürdigste aber ist, dass sich bei diesen Versuchen im Gazeaquarium eine eigentliche Hemmung überhaupt nicht be- obachten lässt. Vorübergehend kann sie zwar auftreten, wenn man Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. 977 den Wurm sich selbst überlässt, der dann dem Vertikalreflex folgend bis auf den Boden des Aquariums kriecht. In solchen Fällen wurde es gelegentlich beobachtet, dass er von hier aus zeitweilig nach oben bohrte, aber niemals lange. Sehr bald kehrt er zum Boden des Aquariums zurück, wo er dauernd liegen bleibt. Selbst nach mehreren Stunden, die er in dieser Lage verbracht hat, zeigt er sich sofort reaktionsfähig, wenn man das Aquarium wieder umdreht, ein Beweis, dass der Vertikalreflex die ganze Ruhepause hindurch „eingeschaltet“ war, eine Hemmung somit nicht eintrat. Ganz im Gegensatz hierzu sind Würmer, die sich in Glasgefäßen befinden, nach derartigen Ruhepausen völlig indifferent der Schwerkraft gegenüber. Das Ausbleiben der Hemmung im Gazeaquarium scheint mir nun zu beweisen, dass tatsächlich der Sandwiıderstand der hemmende Faktor ist, und nicht das Auftreffen auf irgendeinen harten Gegenstand, wie den Aquariumsboden oder etwa einen Stein. Wäre dies letztere der Fall, was ja, nach den Glasröhren- versuchen allein zu urteilen, durchaus möglich wäre, so müsste bei dem im Gazeaquarium sich selbst überlassenen Wurme mit Not- wendigkeit ebenfalls die Hemmung nach einiger Zeit auftreten, da er ja häufig genug mit dem Rüssel gegen den harten Boden des Aquariums stößt. Dies tritt erfahrungsgemäß nicht ein. Physio- logisch sind beide Prozesse natürlich grundverschieden. Hoher Sandwiderstand erfordert als Antagonisten beim Bohren notwendiger- weise einen entsprechenden Druck in der Leibeshöhle, also eine starke Muskelkontraktion, soll der Rüssel vorgestülpt werden. Beim Auf- treffen auf einen festen Körper inmitten lockeren Sandes dagegen weicht der Rüssel einfach seitlich aus oder plattet sich gänzlich ab, ohne dass der Innendruck des Körpers deswegen zu steigen braucht. Die vorübergehende Hemmung, die trotzdem im Gazeaquarium ge- legentlich beobachtet wurde, kann ich mir nur so erklären, dass der Wurm für kurze Zeit genau in eine Ecke des Aquariums kroch, wo naturgemäß der Sand nicht ausweichen kann und daher einen höheren Druck besitzt. Indessen ist dies nur eine Vermutung, zuverlässige Beobachtungen darüber fehlen leider. Zusammenfassend können wir also über die vermutliche Ur- sache der Hemmung etwa folgendes sagen: Die Hemmung des Vertikalreflexes tritt um so eher ein, je größer der Sandwiderstand ist, den das Tier beim Bohren findet. Sie unterbleibt aber, wenn derselbe dauernd unterhalb einer gewissen Grenze liegt (Gazeaquarium). Hieraus folgt, dass der Sandwiderstand, welchen das Tier bei den einzelnen Bohrstößen zu überwinden hat, bezw. der ıhm ent- sprechende Innendruck des Körpers, der Hemmungsreiz ist, der aber erst wirksam wird, wenn sich die Reizwirkung durch verschiedene aufeinanderfolgende Bohrstöße genügend summieren kann. Ist der Druck der einzelnen Bohrbewegung, wie im Gazeaquarium, sehr ge- 578 Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. ring, so wird er überhaupt nicht rezipiert, folglich kommt alsdann auch keine Summierung, keine Hemmung zustande. Der biologische Nutzen dieser Einrichtung — soweit es sich wirklich so verhält, wie ich es hier geschildert habe — scheint mir nun äußerst klar zu sein. Der Vertikalreflex ist ganz sicherlich ein Fluchtreflex; er dient dazu, den Wurm von der Oberfläche des Sandes in eine bestimmte von ihm bevorzugte Tiefe zu führen, die nach Geschwindigkeit und Dauer des Bohrens zu urteilen, ziemlich beträchtlich sein dürfte, sicherlich über einen halben Meter. Dieser Erfolg könnte, rein theoretisch betrachtet, offenbar auf zwei gänz- lich verschiedene Weisen erreicht werden: Es könnte erstens so eingerichtet sein, dass der Reflex den Reiz (des Ausgegrabenwerdens) überdauert, um dann nach einiger Zeit von selbst wieder abzu- klingen. Zweitens wäre es vorstellbar, dass der Reflex so lange währt, bis er durch einen neuen Reiz gehemmt wird, der natürlich erst in der betreffenden Tiefe auftreten dürfte, die der Wurm zu erreichen sucht. Überlegt man sich nun, was das für ein Reiz sein könnte, so kommt offenbar nur der Sandwiderstand ın Frage, denn dieser allein ändert sich mit der Tiefe, während das Medium sonst dauernd das Gleiche bleibt. Werden beide Möglichkeiten auf ihre Zweckmäßigkeit hin ge- prüft, so ergibt sich, dass die zuerst erwogene (Abklingen des Reizes) sehr unzureichend wäre, denn je nach dem Widerstande durch Steine etc., den das Tier auf seinem Wege nach unten findet, wird sich die Zeit verlängern, die es braucht, um die Tiefe zu gewinnen, und der Reflex ganz verschieden bald in dieser bald in jener Tiefe aufhören. Beim zweiten Modus dagegen (Hemmung durch Sand- widerstand) durcheilt der Wurm zunächst offenbar eine hemmungs- lose Zone, in der ihn, wie früher ausführlich erörtert wurde, Steine und andere Hindernisse wohl aufzuhalten vermögen, ohne dass aber deswegen der Reflex aufhört, da der Sandwiderstand in dieser Region stets unterhalb der Reizschwelle bleibt. Die Hem- mung kann vielmehr erst in derjenigen Tiefe eintreten, die zu er- reichen der Sinn des ganzen Vorgäanges ist. Meine Beobachtungen an Arenieola sınd hier im wesentlichen zu Ende. Eine Reihe weiterer Punkte, die unser Problem betreffen, bedürfen noch der Untersuchung. Zunächst bleibt es unklar, wie die Würmer den Hemmungsreiz (also den Sandwiderstand bezw. den ihm entsprechenden Innendruck des Körpers) eigentlich rezi- pieren. Ich habe bisher keinen Weg gefunden, diese Frage zu lösen. Möglicherweise spielen die unten erwähnten Nackenorgane hierbei irgendeine Rolle. Näher liegt mir indessen die Vorstellung, dass die Empfindung des durch die Muskelkontraktion hervorgerufenen Innendruckes an keine bestimmte Stelle des Körpers gebunden ist, und dann dürfte es unmöglich sein, weiter vorzudringen. Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. 579 Wenig bekannt ist ferner der nähere Mechanismus der Aus- lösung des Vertikalreflexes. Wir wissen bisher nur, dass er stets eintritt, wenn der Wurm aus dem Sande genommen wird. Dieser Akt des Ausgegrabenwerdens gehört zunächst sicherlich in die Kate- gorie der mechanischen Reize*). Er ist aber ein äußerst komplexer Reiz, und es fragt sich nun, welche Einzelreize innerhalb dieses Komplexes die eigentlich wirksamen sind. Vor allem umfasst er eine Reihe grober mechanischer Insulte: Der Wurm wird beim Ausgraben notwendigerweise gedrückt, ge- zogen u.s. w. Diese auszuschließen ist völlig unmöglich. Dagegen müsste die Feststellung leicht gelingen, ob starke mechanische Reize auch dann den Vertikalreflex auslösen, wenn sie den Wurm im Sande treffen, ohne dass er ausgegraben wird. Voraussehen lässt sich dies keineswegs. Der sehr leicht auszuführende Versuch müsste — positiv oder negativ — jedenfalls ein wichtiges Ergebnis liefern. Parallelversuche mit anderen Polychäten anzustellen, die sich hin- sichtlich ihrer Lebensweise mit Arenicola vergleichen ließen, hatte ich bisher keine Gelegenheit. Um so näher lag der Gedanke mit der Holothurie Syrapta zu experimentieren, einer Form, die mit Arenicola den Besitz von Statozysten und die grabende Lebens- weise teilt. Über die Anatomie der Statozysten von Synapta sind wir hin- länglich orientiert. Dem radıär-symmetrischen Bau der Holothurien entsprechend finden sich zehn Statozysten, die paarweise an den fünf Radiärnerven in der Nähe des Nervenringes sitzen. Auch über ihre Funktion sind wır bereits ein wenig unterrichtet, durch Versuche, die Clark’) angestellt hat, und aus denen hervor- geht, dass die Statozysten auch hier auf Schwerkraftreize reagieren. Was Clark fand, sei ım folgenden mitgeteilt: Er schreibt: „Dass die Tiere auf eine Änderung ihrer Lage reagieren, wurde durch folgendes Experiment bewiesen. Einige Synaptas wurden auf ein dünnes Brett gesetzt, das gegen den Boden eines Seewasserbehälters stark geneigt war. Sie suchten nun stets den Boden des Gefäßes zu erreichen, ganz gleichgültig, in welcher Stellung sıe auf das Brett gesetzt worden waren. Kein einziges Mal geschah es, dass das Tier nach oben kroch. Eine einzelne Synapta wurde auf das Brett gesetzt, und das- selbe, nachdem das Tier begonnen hatte, abwärts zu kriechen, sehr 4) Die Möglichkeit, dass die Ausgrabung als Lichtreiz wirkt, glaube ich von vornherein ausschließen zu dürfen. Die Versuche wurden unter den verschiedensten Beleuchtungsbedingungen angestellt, vom hellsten Sonnenlicht bis zum matten Schein einer einzigen, weit entfernten Glühbirne, ohne dass jemals ein Unterschied in den Reflexen zutage getreten wäre. Immerhin dürfte eine Nachprüfung auch dieses Punktes nützlich sein. 5) Clark, H.L. The Synaptas of the New England Coast Bull. U.S. Fish. Comp., Vol. 19, 1899. DS0 Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. vorsichtig so lange gedreht, bis das untere Ende zum oberen wurde. Kaum hatte das Brett die Horizontalebene erreicht, als die Synapla zu kriechen aufhörte, und als nun die Neigung größer wurde, drehte sie sich um und kroch wieder zurück. Jeder Wechsel in der Neigung des Gefäßes hatte einen solchen in der Bewegungsrichtung der Synapta zur Folge. Dieses Experiment wurde verschiedene Male mit verschiedenen Individuen versucht, stets mit dem gleichen Erfolg. Die Bewegung des Brettes wurde unter möglichst geringer Erschütterung des Wassers vorgenommen, und niemand, der das Benehmen der Synaptas sah, konnte in Zweifel sein, dass es die Änderung der Lage war, welche die Bewegungsänderung des Tieres hervorrief.* Im weiteren schlägt dann Clark für die Statozysten den Namen „positional organs“ vor. Dass wirklich diese es sind, welche die soeben geschilderten Bewegungen bedingen, daran kann ja wohl, besonders ım Hinblick auf die so sehr ähnlichen Verhältnisse bei Arenicola kein Zweifel sein. Es braucht nicht erwähnt zu werden, dass es völlig unmöglich ist, die zehn Statozysten von Synapta zu exstirpieren, schon des- wegen, weil die äußerst empfindlichen Tiere auf jeden sie störenden Eingriff mit Autotomie antworten, die allem Weiteren ein Ziel setzt. Man muss sich also mit dem Ergebnis der direkten Beobachtung begnügen. Ich habe nun die meines Erachtens unnötig umständ- lichen Ulark’schen Versuche nicht genau wiederholt, sondern eine Reihe von Experimenten angestellt, ähnlich denjenigen, die bei Arenicola zur Anwendung kamen. Als Objekte dienten junge, etwa 5—10 em lange Exemplare von Synapta digitata. Dieselben zeigen die höchst lästige Neigung zur Autotomie lange nicht in dem Maße, wie erwachsene, halten sich auch im Aquarium länger frisch. Über die Wirkung der Statozysten kann man sich nun in sehr einfacher Weise orientieren. Man nehme eine Synapta aus dem Sande und halte sie unter Wasser in beliebiger Lage ın der Hand. Es wird sich zeigen, dass sie, ohne jede Rücksicht auf ihre Lage, jedesmal ihr Vorderende vertikal nach unten krümmt, also je nachdem ventral- wärts, dorsalwärts oder seitlich, genau wie wir es bei Arenicola grubei gesehen haben. Diese Vertikalkrümmung ist stets begleitet von den charakteristischen Grabbewegungen der zehn Tentakeln. Diese werden zunächst nach vorn vorgestreckt und dann nach außen gebogen, wodurch sie den Sand, der dem grabenden Tiere ım Wege liegt, beiseite schaffen. Die Tentakeln setzen ihre Tätig- keit gewöhnlich eine Zeitlang an Ort und Stelle fort, bis sie ein genügend großes Loch gegraben haben, in welches sich dann der Körper ruckweise vorschiebt. Es erheben sich nun genau die gleichen Fragen, die schon bei ‚renicola berührt wurden nach Auslösung und Hemmung des durch die Statozysten hervorgerufenen Vertikalreflexes. Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. 581 Hinsichtlich der Auslösung hoffe ich ein wenig weiter gekommen zu sein wie bei Arenicola. Zunächst steht auch hier fest, dass das „Ausgegrabenwerden“ als auslösender Reiz wirkt. Im Anschluss daran drängt sich einem wiederum die Frage auf, welcher Einzel- reiz dieses Reizkomplexes der wirksame sein möge. Bei Arenicola bleibt dies fürs erste unentschieden. Hier dagegen lässt es sich zunächst leicht zeigen, dass selbst ziemlich starke mechanische Reize nicht wirksam sind, wenn das Tier gänzlich im Sande verborgen bleibt: Zwei Synapten werden in das bekannte, sandgefüllte Gaze- aquarıum gesetzt und dasselbe horizontal unter Wasser gehalten mit der Glasseite nach unten. Nun wird der Sand von oben her mit dem Finger ziemlich kräftig durchgeknetet, systemetrisch über die ganze Fläche hin. Trotzdem ist eine Wirkung auf die Synapten nicht erkennbar, deren Tentakeln bei eingetretener Reaktion auf der Glasseite bohrend erscheinen müssten. Zweitens konnte bewiesen werden, dass qualitativ gleiche, aber viel schwächere Reize sehr wohl wirksam sind, wenn sich das Tier außerhalb des Sandes befindet. Die Synapten sind, wie hier er- wähnt sein möge, keine tiefbohrenden Tiere. Sie kommen zuweilen an die Sandoberfläche und liegen unbedeckt da. Dass dies nicht nurim Aquarium, sondern auch in der freien Natur geschieht, dafür spricht die verschiedene Färbung von Rücken und Bauch. Zufällig überraschte ich einige Tiere, deren Kopf und Hinterteil frei ins Wasser ragte, während nur das Mittelstück unter Sand war. Ein vorsichtiges Betupfen des Hinterendes hatte nun jedesmal sofort die charakteristische Vertikalkrümmung des Vorderendes und Be- ginn der Grabbewegungen zur Folge. Man wird also zweifelsohne sagen dürfen, dass nur solche mechanische Reize den Vertikalreflex auszulösen vermögen, die das Tier im freien Wasser. treffen. Über die Hemmung, die nunmehr zu besprechen übrig bleibt, bin ich leider bisher zu keiner vollständigen Klarheit gekommen. Sie lässt sich, wie bekannt, nur durch einen sogen. Ablenkungs- versuch einigermaßen ergründen: durch Drehung der sandgefüllten Glasröhre verändert man die Lage des darin befindlichen Tieres zur Schwerkraftsrichtung und beobachtet nun, ob dasselbe kompen- satorische Bewegungen ausführt, die seinen Vorderleib wiederum vertikal einstellen, oder nicht. Durch eine Reihe derartiger Versuche glaube ich mich hinläng- lich davon überzeugt zu haben, dass im strengen Gegensatz zu Arenicola der Vertikalreflex bei Synapta aufhört, sobald das Tier im Sande verschwunden ist. Diese Versuche ausführlicher zu schil- dern, ist eigentlich bei ihrer Einfachheit kaum nötig: Eine Glas- röhre von ca. 3 cm innerer Weite wird mit Sand gefüllt und — selbst- redend unter Wasser — die Holothurie darauf getan. Hat sie sich halb eingegraben, so wird die Röhre schräg gelegt, fast horizontal, 582 Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten ete. worauf sehr bald die grabenden Tentakeln des Tieres an der Unter- seite des Glases erscheinen. Dreht man jetzt die Röhre um 180°, so wird man je nachdem verschiedenes beobachten: Ist noch immer ein Teil des Tieres außerhalb des Sandes, so wird auf die Um- drehung eine deutliche Reaktion eintreten, hat es sich aber in- zwischen gänzlich eingegraben, so bleibt jede weitere Reaktion mit Sicherheit aus. Wenn nun, wie es doch den Anschein hat, das völlige Ver- schwinden im Sande tatsächlich die Bedingung zum Aufhören des Vertikalreflexes ist, so müssen folgende zwei Kontrollversuche leicht gelingen: Tiere, die unmittelbar nach der Ausgrabung wieder mit Sand zugeschüttet werden, dürfen den Reflex überhaupt nicht zeigen; solche umgekehrt, die irgendwie gezwungen werden, ihr Hinterende im freien Wasser zu belassen, müssen dauernd fortbohren. Der erste dieser beiden Versuche ist nun sehr leicht realisierbar. Die Holothurie wird in eine nur halb mit Sand gefüllte Röhre gesetzt und dieselbe dann so schnell wie möglich vollständig aufgefüllt. Halte ich jetzt die Röhre horizontal, so werde ich stets vergeblich darauf warten, die Tentakeln an der Unterseite des Glases er- scheinen zu sehen. Der Gegenversuch, welcher eine dauernde Bohr- leistung bezweckt, ist nun aber leider nicht ausführbar. Man kann natürlich während des Ablenkungsversuches den Sand im gleichen Maße wegschaufeln als das Tier sich eingräbt und so den Hinter- leib dauernd freihalten, dabei wird aber unvermeidlich das Tier immer wieder von neuem gereizt. Hierdurch wird der ganze Ver- such illusorisch, denn er soll ja gerade zeigen, wie lange der ein- malige Reiz auf das Tier wirkt. Wir müssen also wohl oder übel auf diesen Versuch ver- zichten®). Immerhin hoffe ich auch ohne ihn die Sachlage so weit 6) Ich möchte immerhin ein Experiment nicht unerwähnt lassen, durch das ich versucht habe, die angedeuteten Schwierigkeiten zu umgehen. Wenn es auch nicht streng beweisend ist, kann es doch als Hilfsargument dienen für die oben skizzierte Anschauung. Eine Bleiröhre von etwa 30 cm Länge und 3 cm innerer Weite wird in einzelne ca. 1 cm hohe Stücke zersägt, diese alle übereinander ins Aquarium gestellt, das Ganze vorsichtig mit Sand gefüllt und das Tier oben darauf gesetzt. Nun warte ich immer so lange, bis nur noch ein knapper Zentimeter des Hinterleibes vorragt und nehme dann behutsam den jeweils obersten Bleiring ab, worauf der überstehende Sand langsam allseitig herunterfließt. Wenn man das Ab- nehmen der Bleiringe mit genügender Vorsicht ausführt, kann man neue Reizungen des Tieres ziemlich sicher vermeiden. Es zeigt sich nun, dass bei solcher Versuchs- anordnung die Synapten tatsächlich außerordentlich anhaltend bohren, oft über 1 Stunde hintereinander. Die größte hierbei durchgrabene Strecke, die ich gemessen habe, betrug 18 cm. Man sieht, dass die Tiere außerordentlich langsam bohren. Nachher sind sie ziemlich erschöpft, was daran zu sehen ist, dass sie, ins große Aquarium zurückgebracht, sehr viel mehr Zeit als normalerweise gebrauchen, um sich wiederum einzugraben. Der Versuch ist aber ganz einfach deswegen ziem- lich wertlos, weil er kein Ablenkungsversuch ist. Wir wissen ja gar nicht, ob das Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten ete. 583 geklärt zu haben, dass es nunmehr gelingt, von der ganzen Erschei- nung folgendes Bild zu entwerfen: Die Statozysten vermitteln bei Synapta eine erdwärts gerichtete Fluchtbewegung, die eintritt, sobald das Tier entweder gewaltsam aus dem Sande gegraben oder frei auf dem Sande liegend von irgendeinem Feinde überrascht wird. Die zwangsläufig vertikale Bewegung hört auf, sobald die Synapta gänzlich im Sande ver- schwunden ist. Dies erlaubt kaum eine andere Deutung, als dass bei Gegenwart des Hautreizes, den die allseitig das Tier umgeben- den Sandpartikelchen verursachen, der Statozystenapparat irgend- wie ausgeschaltet wird, genau wie es bei Arenicola durch den Sand- widerstand der Fall ist. Die Tatsache, dass Reize, die das Tier im Sande selbst treffen, unwirksam bleiben, erklärt sich so von selbst. Mit der Schilderung meiner eigenen Beobachtungen bin ich hier zu Ende. Es sei mir zum Schluss nur noch gestattet, einen kritischen Blick auf diejenige Ansicht über die Funktion der Stato- zysten von Synapta, Arenicola und anderen grabenden Formen zu werfen, die wohl zurzeit als die herrschende gelten kann. Früher sprach man bekanntlich stets davon, dass die wirbel- losen Tiere mit ihren Otozysten hören; später, als in gewissen Fällen ihre Funktion als Gleichgewichtsorgane erwiesen wurde, ge- wöhnte man sich daran, ganz allgemein von ÖOrientierungsorganen zu reden. Man stellte sich dabei wohl vor, dass die Tiere mit ihrer Hilfe das ganze Leben hindurch über ihre Lage in Raum unter- richtet wären, und dass sie danach ihre Bewegungen einzurichten verständen. Hören wır einen neueren Autor. Becher sagt (1909)’) p. 422: „Mit Sicherheit können wir annehmen, dass die Synapten die Stellung ihres Körpers mittelst der Statozysten wahrzunehmen imstande sind. Für Tiere, die im Sande etc. graben, müssen solche Organe für die Wahrnehmung der Körperstellung von höchster Bedeutung sein. Die Körperoberfläche steht ja beim Graben an allen Stellen in inniger Berührung mit dem Sande, die Sensationen der Haut können daher für die Orientierung nur wenig oder gar keinen Wert haben. Dagegen vermag eine Synaptide, die ganz im Sande vergraben ist, vermittelst ihrer Statozysten z. B. stets die Richtung nach oben (die in den meisten Fällen aus dem Boden hinausführt) zu finden. Danach mag man ermessen, wie außerordentlich wichtig diese Organe gerade für die Synapten sind.“ Tier während der ganzen Zeit wirklich dem Vertikalreflex folgte, oder ob es einfach in der Richtung bohrte, die ihm die eng begrenzte Röhre vorschrieb. Man darf überhaupt bei Synapta das Vertikalbohren nicht verwechseln mit dem Weiterbohren in der einmal angenommenen Richtung. 7) Becher, S. Die Hörbläschen der Leptosynapta bergensis. Ein Beitrag zur Kenntnis der statischen Organe. Biol. Centralbl., Bd. 29, Nr. 13, 1909. 584 Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten etc. Diese, wie ich ausdrücklich hervorheben möchte, auf lediglich spekulativer Grundlage aufgebaute Ansicht dürfte, wie schon ge- sagt, zurzeit die herrschende sein; sie lässt sich natürlich genau so gut auf Arenicola anwenden. Ich halte sie indessen für durch- aus verfehlt. Wenn tatsächlich die Statozysten zur Orientierung im Sande so überaus wichtig sind, wie Becher meint, so muss man eigentlich erwarten, dass sie sich bei sämtlichen grabenden Formen vorfinden. Dies ist nun keineswegs der Fall. Wie helfen sich aber dann diejenigen Formen, die keine Statozysten besitzen? Einfach zu behaupten, sie seien schlechter organisiert als die anderen, scheint mir durchaus unzulässig. Es ist doch überhaupt mehr als fraglich, ob es besser und schlechter angepasste Arten gibt. Wo es so aussieht, ist höchstwahrscheinlich unsere Unwissenheit in biologischen Dingen daran schuld. Wenn also von zwei einander nahestehenden Formen die eine irgendein bestimmtes Organ besitzt, welches der anderen fehlt, so wird man entweder annehmen müssen, dass diese zweite das betreffende Organ nicht braucht, oder dass sie dafür einen geeigneten anderweitigen Ersatz gefunden hat. Welches ist nun dieser Ersatz für die Statozysten — vorausgesetzt, dass dieselben Organe zur allgemeinen Orientierung sind — bei denjenigen Formen, denen sie fehlen? Solange es hierauf keine Antwort gibt, muss man es, scheint mir, leugnen, dass die Stato- zysten irgendetwas mit der allgemeinen Orientierung zu tun haben, um so eher, als keine einzige Beobachtung dafür spricht. Immer- hin ist es notwendig, die Berechtigung der bisherigen Ansicht experimentell nachzuprüfen. Dies ist natürlich nur unter gewissen Voraussetzungen angängig. Wird behauptet, dass die jeweilige Lage mit Hilfe der Statozysten nur empfunden wird, ohne dass bestimmte Reaktionen auftreten, so ist es unmöglich, auf dem Wege des Ver- suchs irgendetwas zu erreichen. Es ist aber auch vorstellbar, dass auch nach dem Aufhören des Vertikalreflexes die Bewegungen des Tieres durch die Schwerkraft irgendwie bestimmt sind, etwa ın diageotropischem oder negativ geotropischem Sinne. Meine bis- herigen Versuche sprechen nun dagegen. Niemals habe ich fest- stellen können, dass meine Versuchstiere nach Eintritt der Hem- mung des Vertikalreflexes in irgendeiner durch die Schwerkraft bedingten Richtung sich bewegt hätten. Ich muss aber zugeben, dass die wenigen Experimente, die ich anstellte, die Frage nicht definitiv entscheiden können, deren Lösung somit einer nochmaligen Untersuchung bedarf. Über eine andere, von Becher aufgestellte Hypothese, glaube ich schneller hinweggehen zu dürfen. Er schreibt: „Schon eine gewöhnliche Statozyste mit gleichartigen Inhaltszellen wird aber auch eine Vorstellung von der Schnelligkeit einer aktiven oder passiven Körperbewegung geben können. Nach einer ruckartigen Buddenbrock, Über die Funktion der Statozysten ete. 585 Bewegung werden die Statolithen in anderer Weise zu dem neuen tiefsten Punkt der Blase gelangen als nach einer ganz langsamen Drehung. Bei einer plötzlichen Bewegungsänderung werden die Inhaltskörner durch ihre Trägheit an die Wand stoßen oder von ihr abfliegen, wie der Reisende beim plötzlichen Beginn oder Auf- hören der Fahrt im Abteil des Eisenbahnwagens. Solche Über- legungen, die sich leicht weiter ausführen ließen, dürften zur Ge- nüge deutlich machen, dass neben der Wahrnehmung der Lage, die Wahrnehmung der Bewegungen und der Schnelligkeit ihrer Änderungen durch die in Rede stehenden Organe ermöglicht wird. Die statischen Organe sind gleichzeitig dynamische Organe. Das gilt nicht allein für die „Hörbläschen“ der Synaptiden, sondern auch für die als „statische Organe“ erkannten ähnlichen Bildungen, die in anderen Tiergruppen vorkommen.“ Zunächst ist meines Erachtens diese Hypothese speziell für Synapta theoretisch nicht sonderlich gut fundiert. Denn dass diese Tiere bei der Langsamkeit ihrer Bewegungen besondere Organe zur Empfindung ihrer Geschwindigkeit nötig haben sollten, ist doch keineswegs wahrscheinlich. Indessen sei dies nur nebenbei erwähnt. Was mich hauptsäch- lich dazu bringt, die Becher’sche Hypothese abzulehnen, ist, dass dieselbe in die Kategorie der völlig unkontrollierbaren Spekulationen gehört. Sie stützt sich auf keine vergleichende Beobachtung — wenig- stens hat sich bisher nirgends eine Beziehung ergeben zwischen dem Ausbildungsgrade der Statozysten und der Geschwindigkeit ihrer Träger, obgleich nach Becher’s Hypothese eine solche eigentlich existieren müsste — und sie entzieht sich außerdem jeglicher experi- mentellen Nachprüfung. Dem Stande unserer bisherigen Kenntniss scheint es mir daher am besten zu entsprechen, wenn ich sage, dass bei Arenicola sowohl als bei Synapta, die Statozysten lediglich im Dienste einer speziellen Fluchtbewegung stehen, welche die Tiere von der Oberfläche in die sichere Tiefe führt, und dass ihnen eine sonstige Funktion nicht zu- kommt. Die Leitung der zoologischen Station zu Neapel, welche mich bei meinen Studien in jeder Hinsicht in zuvorkommendster Weise unterstützte, möchte ich auch an dieser Stelle meines aufrichtigsten Dankes versichern. XXXI. 38 586 Wasmann, Nils Holmgren’s „Termitenstudien‘“. Nils Holmgren’s „Termitenstudien‘“, Systematik der Termiten'). Von E. Wasmann S. J. (Valkenburg, Holland). Der erste Teil der „Termitenstudien* von N. Holmgren war 1909 erschienen. Er beschäftigte sich mit anatomischen Unter- suchungen und gewann durch die vom Verf. aufgestellte Exsudat- theorie, nach welcher die Pflegeweise der verschiedenen Stände und Entwickelungsstufen der Termiten durch ihnen eigentümliche Exsudate ausgelöst wird, auch ein besonders biologisches Interesse. (Vgl. die Besprechung im Biol. Centralbl. 1910, Nr. 9, S. 303—810.) Der II. und Ill. Teil befasst sich mit der Systematik der Isoptera und bietet zum erstenmal ein nach modernen Prinzipien durchgearbeitetes, vollständiges System der Termiten, das sich bestrebt, die natürlichen Verwandtschaftsverhältnisse ın dieser Insektenordnung zum Ausdruck zu bringen. Als ich im Jahre 1897 zuerst den Vorschlag machte, auch die Soldatenkaste der Termiten zur Charakteristik der Gattungen und Untergattungen heranzuziehen, begegnete derselbe einigem Widerspruch. Silvestri führte ihn jedoch weiter und Holmgren vollendete ihn. Prinzipiell spricht der- selbe sich (II, S. 4) dahin aus, dass keinem der verschiedenen Stände der Termiten in systematischer Beziehung mehr Bedeutung zuge- schrieben werden dürfe als den übrigen. Da jedoch die Imagines und die Soldaten eine größere Summe von differenzierten Eigen- schaften besitzen als die Arbeiter, sind sie auch, praktisch genommen, für die Systematik wichtiger, obwohl auch die Arbeiter nicht aus- zuschließen sind, wo sie sich verwerten lassen. Das reiche Material, das dem Verf. von den verschiedensten Seiten zukam, hat ıhn hier in den Stand gesetzt, eine, alle bisher bekannten Termiten um- fassende' Systematik auszuarbeiten. Wer die Schwierigkeiten der Termitensystematik kennt, wird zugestehen müssen, dass Holm- sren hier eine wahre Riesenarbeit geleistet hat. Wenn seine neue Systematik auch nur ein Versuch sein soll, namentlich bezüglich der Metatermitiden, wo noch vieles zu klären ist, so ist es doch ein sehr wertvoller und für künftige Studien grundlegender Versuch. Nach einem Überblick über die verschiedenen bisherigen Termiten- systeme gibt Holmgren zuerst seine Einteilung der Ordnung Isoptera in vier Familien: Mastotermitidae, Protermitidae, Mesotermitidae und Metatermitidae. Bei den drei erstgenannten Familien erwies es sich als durchführbar, für deren systematische Unterabteilungen alle Stände zu benützen. Bei den Metatermitidae dagegen war es dem Verf. „nicht immer möglich, die Gattungen durch alle Stände so zu präzisieren, dass sie gegen die benachbarten Gattungen scharf 1) II. Teil. Die Familien Mastotermitidae, Protermitidae und Mesotermitidae. 86 S. Fol. mit 6 photogr. Taf. u. 6 Abbild. im Text (K. Svensk. Vedensk.. Handl. XLVI. Nr. 6), Upsala und Stockholm 1911. Ill. Teil. Die Familie Metatermitidae. 166 S. Fol. mit 4 phot. Taf. u. 88 Text- abbild. (Ibid. XLVIII, Nr. 4), 1912. Wasmann, Nils Holmgren’s „Termitenstudien‘“. 587 abgegrenzt wurden (II, S. 4).“ Als Grund hierfür hebt er hervor, dass die Metatermitiden die jüngste Termitenfamilie sind?), wes- halb scharf abgegrenzte Gattungen bei ihnen kaum zu erwarten seien. Die Masto-, Pro- und Mesotermitiden dagegen stellen nach Holmgren (III, S. 4) die isolierten Reste von früher reicher ge- gliederten Faunen dar; daraus glaubt er die scharfe Abgrenzung ihrer Gattungen voneinander erklären zu sollen. Die Mastotermitidae sind heute überhaupt nur noch durch die einzige Gattung Mastotermes in Australien vertreten. Holmgren weist die Ursprünglichkeit des Mastotermes-Typus und dessen nahe Beziehungen zu den Protoblattoideen nach (II, S. 24ff.). Die Ter- miten sind deshalb von letzteren stammesgeschichtlich abzuleiten. Die Protermitidae sind heute durch 4 Unterfamilien vertreten, von denen die Termopsinae 8 Gattungen, die Hodotermitinae 2, die Stolotermitinae 1, die Calotermitinae 2 Gattungen umfassen. Die Gattung Calotermes wird in 9 Subgenera geteilt. Die Mesotermitidae gliedert Holmgren (II, S. 62) in 6 Unter- familien, von denen die Psammotermitinae 1 Gattung, die Leuco- termitinae 1, die Coptotermitinae 2, die Termitogetoninae 1, die Rhino- termitinae 2 (Rhinotermes mit 2 Subgenera), die Serrötermitinae 1 Gattung enthalten. Sehr groß waren die Schwierigkeiten, die sich im III. Teile einer scharfen Charakteristik der systematischen Unterabteilungen der Metatermitidae entgegenstellten. „Es ist wohl möglich, die Meta- termitidae in Reihen zu gruppieren, aber diese Reihen besitzen im allgemeinen nicht den Charakter von wohldefinierten, scharf umgrenzten Unterfamilien“ (III, S. 5). Holmgren schlägt eine Einteilung derselben in 3 bezw. 4 Unterfamilien vor, von denen jedoch nur die 3 ersten sich einigermaßen scharf abgrenzen lassen: 1. Termitinae, welche die Termes-Reihe, Syntermes-Reihe, Hami- termes-Reihe und Mirotermes-Capritermes-Reihe umfassen. 2. Mierocerotermitinae —= Mierocerotermes-Reihe. 3. Pseudomicrotermitinae = Pseudomicrotermes-Reihe. 4. (?) Foraminitermitinae = Foraminitermes-Reihe. Innerhalb dieser Reihen lassen sich die Gattungen in Art- reihen ordnen, die aber oft durch Übergangsformen. verbunden sind. Namentlich gilt dies von den Termitinae. Dennoch glaubt Holmgren — und, wie mir scheint, mit Recht — auch die Gat- tungen der Termitinen nicht in eine einzige Kollektivgattung „Ter- mes“ zusammenziehen zu dürfen, weil dadurch die heterogensten Elemente vermischt würden. Die von ihm zur systematischen Gruppierung der Metatermitidae (III, S. 8ff.) benutzten Kategorien sind also: Reihen, Gattungen, Untergattungen, Arten. 2) Dies scheint auch durch die neuen Studien Curt v. Rosen’s über die Bern- steintermiten bestätigt zu werden, denen wir mit Interesse entgegensehen. Nach brieflicher Mitteilung v. Rosen’s sind unter den tertiären Termiten bisher überhaupt keine Metatermitiden gefunden. 38* 588 Wasmann, Nils Holmgren’s „Termitenstudien“. 1. Die Termes-Reihe umfasst die Gattungen Gnathotermes, Pro- termes?), Acanthotermes, Synacanthotermes, Termes Ss. str., Sphaero- termes, Odontotermes und Microtermes. Protermes wird wiederum ın 2, Termes in 2, Odontotermes in 3 Untergattungen getrennt. 2. Die Syntermes-Reihe umfasst die Gattungen Syntermes, Oorni- termes, Armitermes, Eutermes s. str. und Anoplotermes. — Wegen der Ähnlichkeit der Imagines sind hier Gattungen von sehr verschiedenen Soldatenformen zu einer Reihe zusammengestellt. Den Fortfall der Soldatenform bei Anoplotermes erklärt Holmgren durch Überent- wickelung. — Kutermes teilt der Verf., entsprechend der riesigen Mannigfaltigkeit der Arten, in 14 (bezw. 16) Untergattungen, Anoplo- termes in 2 Untergattungen. 3. Die Hamitermes-Reihe umfasst die Gattungen Protohami- termes, Prohamitermes, Eurytermes, Oylindrotermes, Cephalotermes, Hamitermes (mit 3 Subgenera) und Eremotermes. Bei zweien dieser Gattungen sind die Weibchen mit Exsudattrichomen ausgestattet, am reichlichsten bei Purytermes. 4. Die Miro- Capritermes-Reihe umfasst dıe Gattungen T’horaco- termes, Orenetermes, Apilitermes, Apicotermes, Mirotermes (mit 6 Sub- genera), Orthognathotermes, Procapritermes und Capritermes (mit 2 Subgenera). Thoracotermes verbindet die Mirotermes- mit der Termes-Reihe. Cubitermes und Spinitermes snd von Holmgren als Untergattungen zu Mirotermes gezogen, weil gewisse Arten UÜbergangsformen darstellen. 5. Die Mecrocerotermes-Reihe umfasst die Gattung Microcero- termes mit zahlreichen Arten. 6. Die Pseudomierotermes-Reihe enthält nur diese eine Gattung. 7. Die Foraminitermes-Reihe ist provisorisch aufgestellt auf diese eine Gattung, von welcher bloß die Imagines bekannt sind. Wenn auch, wie Holmgren selbst bemerkt, die von ihm für die Familie der Metatermitidae hier vorgeschlagene Einteilung später vielleicht in manchen Punkten modifiziert werden muss, so wird man ihm doch dankbar sein müssen dafür, dass er in dieses schein- bare Formenchaos zum erstenmal gesetzmäßige Ordnung gebracht hat. Die mutmaßlichen phylogenetischen Beziehungen der verschiedenen größeren und kleineren systematischen Kategorien der Termiten zueinander hat Holmgren ebenfalls in sorgfältige Erwägung gezogen und durch viele Entwickelungsschemata zu veranschaulichen gesucht. Im III. Teile (S. 129ff.) wirft er dann noch einen zusammen- fassenden „Blick auf den mutmaßlichen stammesgeschicht- lichen Entwickelungsverlauf der Termiten.“ Nach seiner Ansicht bietet die morphologische Entwickelung der Termiten im großen ganzen das Bild einer regressiven Entwickelung, die durch das Staatenleben bewirkt wurde. Bei den Imagines zeigt sich die Regression hauptsächlich an den ancestralen Organen, ins- 3) Der Gattungsname Protermes Holmgren (III, S. 24) erscheint nicht glück- lich gewählt, da er eine Gattung der Metatermitiden, nicht der Protermitiden, be- zeichnen soll. Wasmann, Nils Holmgren’s „Termitenstudien“. 589 besondere an den Üerci und Styli, ferner an den Tarsengliedern, die bei Mastotermes noch ın der Fünfzahl vorhanden sind, an den äußeren Geschlechtsanhängen, die nur bei Mastotermes noch rudi- mentär zu finden sind, am Verschwinden des Postanalfeldes der: Flügel, das nur noch bei Mastotermes auftritt, an der abnehmenden Retikulation der Flügelmembran, an der Reduktion [der Flügel- aderung, die von Mastotermes bis zu den Metatermitiden auf ein Drittel herabsinkt, an der Reduktion der Zahl der Antennenglieder von 32 bei Mastotermes bis auf 13 oder 14 bei manchen Meta- termitiden u. s. w. Gegenüber den zahlreichen Anzeichen einer regressiven Entwickelung findet Holmgren nur zwei relativ sicher progressiv entwickelte Eigenschaften bei den Imagines der Termiten, nämlich die schlauchförmige Stirndrüse mancher Mesotermitiden und die damit verbundene Änderung des Ulypeobasale und }des Vorderteils der Stirn bei Ahinotermes. . Auch bei den Arbeitern der Termiten ist Regression in wich- tigen Eigenschaften bemerkbar, Progression nur in wenigen unter- geordneten Punkten. Bei den Soldaten folgt die Regression der- jenigen der Arbeiter, was den Hinterleib angeht; andererseits findet sich jedoch in der Entwickelung des Vorderkörpers in der morpho- logischen Spezialisierung der Soldatenkaste eine sehr weitgehende und sehr mannigfache progressive Entwickelung, welche namentlich den Kopf betrifft (Größe und Form desselben, Kiefer- bildung, Stirndrüse etc... Bei manchen Metatermitiden, vorzüglich in der Termes-Reihe, ist wieder eine regressive Entwickelung auch in der Soldatenform eingetreten. Mit Recht betont Holmgren die große Bedeutung, welche die progressive Entwickelung der Soldatenform für die Systematik besitzt. Während namentlich bei den Metatermitiden die Imagines meist äußerst einförmig sind, hat die Entwickelung der Soldaten hier die mannigfaltigsten und extrem verschiedensten Richtungen eingeschlagen. „Dass diese Soldaten auch bei der Systematik der Metatermitiden ausschlaggebend sein dürfen, ist mir nun so selbst- verständlich, dass ich mich wundern muss, dass darüber überhaupt eine Diskussion hat entstehen können“ (III, S. 135). Mit der regressiven Entwickelung der Imagines geht im allge- meinen Hand in Hand eine sehr deutliche progressive Entwickelung der psychischen Fähigkeiten der Termiten, die sich am deut- lichsten in der Nestkonstruktion ausdrückt. Holmgren spricht sich ferner für die gleichartige Keimplasmakonstitution der drei Kasten aus und beruft sich dafür besonders auf Heath, nach welchem die Soldaten von Termopsis nicht nur Soldaten, sondern auch normale Arbeiter und Imagines erzeugen können. Auf dieser Grundlage erörtert der Verf. weiterhin „das Pro- blem der Artbildung bei den Termiten (Ill, S. 136—145). Zuerst fasst er die Tatsachen zusammen, welche als Anhaltspunkte für dieses Problem dienen können (S. 139): „l. Unter den Protermitiden kommen fertile Arbeiter und Sol- daten vor. 590 Pringsheim, Die Reizbewegungen der Pflanzen. 2. Unter den Meso- und Metatermitiden sind weder fertile (gynäkoide) Arbeiter noch fertile Soldaten nachgewiesen worden.“ Zum zweiten dieser Punkte ist allerdings zu bemerken, dass ın den letzteren Familien nicht wenige sogen. „ergatoide Weibchen“ und „gynäkoide Arbeiter“ bekannt sind (S. 137— 139). Ich glaubte 1897 bei Beschreibung der gynäkoiden Arbeiter von Eutermes lati- ceps, dieselben würden aus fortgeschrittenen Arbeiterlarven heran- gezogen. Holmgren dagegen ist der Ansicht, dass es sich bei derartigen Individuen nicht um ein Produkt aus der Generations- reihe der Arbeiter, sondern aus der Stammesreihe handle, dass dieselben also „als Züchtungsprodukt von einem relativ späten Larvenstadium der geschlechtlichen Entwickelungslinie“ aufzufassen sind. Hieraus erklärt sich seine obige Formulierung des zweiten Punktes. Bei jenen Termiten, welche außer als Imagines auch im Ar- beiter- und Soldatenstadium fortpflanzungsfähig sind, haben wir drei Variationszentren, deren Varıation Holmgren als wahrschein- lich durch die Umgebung beeinflusst annimmt. Zur Regulierung der Anpassung hält er hier zwei Selektionsprozesse für nötig, einen Individual- und einen Kollektivselektionsprozess. Bei jenen Ter- miten dagegen, welche „geschlechtslose* Arbeiter und Soldaten besitzen, gestaltet sich der Entwickelungsprozess insofern einfacher, als nur ein Variationszentrum vorhanden ist. Für beide Gruppen kompliziert sich ferner das Verhältnis durch das Auftreten von „neotenen“ und „ergatoiden“ Geschlechtstieren. Auf die Einzelheiten dieser Hypothesen kann Ref. hier nicht eingehen. Für die Entstehung des Polymorphismus der Termiten (111, S. 145 ff.) lehnt Holmgren die landläufige Ansicht entschieden ab, als ob der Polymorphismus der höheren Termiten aus einfacheren Verhältnissen bei niederen Formen hervorgegangen sei. Er glaubt ım Gegenteil, dass die Entwickelung umgekehrt von sehr umfassen- dem Polymorphismus zu einfacheren Verhältnissen verläuft (S. 153). Er wendet sich auch gegen die Ansicht, als ob die Entstehung dımorpher Arbeiter oder Soldaten nur durch „Aussterben der Zwischenformen“ bewirkt werden könne. Am Schlusse des III. Teiles findet sich ein Literaturverzeichnis zu allen drei Teilen dieser „Termitenstudien“. Die Termiten- Photographien auf den Tafeln sind gut gelungen. Dem Verf. seı nochmals dafür gedankt, dass er seine Arbeit in deutscher Sprache veröffentlicht hat. Pringsheim, E..G. Die Reizbewegungen der Pflanzen. Berlin. G. Springer. 1912. 8. 326 Seiten. Das vorliegende Buch gibt einen sehr schönen Überblick über die Reizbewegungen der Pflanzen und erreicht sicher sehr gut das Ziel, das sich der Verfasser im Vorwort gesteckt hat, nämlich dem Niehtbotaniker eine Einführung in die pflanzliche Reizphysiologie zu sein. Abgesehen aber davon, wird es auch der Fachmann viel- Jensen, Die Physiologie als Wissenschaft und als Lehre. 591 fach mit Nutzen konsultieren können, besonders auch, da darin zum erstenmal die neueren Ergebnisse der Reizphysiologie mit ver- arbeitet sind. Im zweiten Kapitel werden die verschiedenen Arten der Be- wegung und die Mittel, mit denen sie ausgeführt werden, behandelt. Im weıtern werden dann die Reizwirkungen der Schwerkraft ein- gehend behandelt. Ebenso werden die Bewegungen, die auf Licht- reiz erfolgen, ausführlich dargestellt, worauf mechanische und che- mische Reizung folgen. Am Schluss orientiert ein zusammenfassendes Kapitel über Wesen und Entwickelung der Reizbarkeit. Die gegebenen Schilderungen werden durch sehr gute Abbil- dungen erfolgreich unterstützt und ergänzt. Diesen Abbildungen liegen vielfach Originalaufnahmen des Verfassers zugrunde. Die Lebendigkeit des Dargestellten wird durch die hier und dort ein- gestreuten biologischen Abschnitte angenehm erhöht. Arthur Tröndle. Paul Jensen. Die Physiologie als Wissenschaft und als Lehre. Antrittsvorlesung, gehalten im physiologischen Institut der Universität Göttingen im Oktober 1910. Gr. 8. 20 Seiten. Jena. Gustav Fischer. 1912. Dass ein Professor, wenn er sein Lehramt antritt, das Bedürfnis fühlt, sich über die Art, wie er das Wesen seiner Wissenschaft auffasst und wie er dieselbe vorzutragen gedenkt, in einer ein- leitenden Vorlesung auszusprechen, ist natürlich. Dass seinen Zu- hörern diese Ausführungen im Druck zugänglich gemacht werden, kann gleichfalls als wünschenswert erachtet werden. Und dass dies besser durch eine besondere Ausgabe geschieht als durch Abdruck in einer Zeitschrift, ist gleichfalls zuzugeben, da im letzteren Falle der Vortrag denjenigen, für welche er bestimmt ist, nur schwer zugänglich ist. Wenn aber der Vortrag ım Buchhandel erscheint, so kann außerdem die Frage aufgeworfen werden, ob er so viel eigene, originelle Gedanken enthält, dass er einem größeren Kreise von Fachgenossen und sonstigen Interessenten Neues zu bieten vermag. Ist dies der Fall, dann hätte der Verfasser dıe Pflicht, seine neuen Gedanken seinen Fachgenossen mit Belegung durch gute Gründe vorzulegen. Da er aber seinen Hörern, die doch zum allergrößten Teil aus Anfängern bestehen, zunächst das allgemein Anerkannte vorzutragen und nur ganz zaghaft das, was er anders wie seine Fachgenossen auffasst, mitzuteilen hat, so könnte er das Neue, wie es ja auch nicht selten geschieht, durch Anfügung von Zusätzen und Anmerkungen passend darstellen. Diese Bemerkungen knüpfe ich an das Schriftchen des Herrn Jensen an, ohne damit sagen zu wollen, dass sie auf dasselbe in allen Stücken zutreffen. Wır finden in ıhm nicht gerade neue und von der allgemeinen Auffassung abweichende Ideen vorgetragen. Da aber das Gute und Wahre nicht oft genug wiederholt werden kann, so ist zu erwarten, dass auch aus diesem Vortrag so mancher, 599 v. Ebner, Über den feineren Bau der Knochensubstanz. der noch nicht darüber aufgeklärt ist, was die Physiologie anstrebt und was sie zu leisten vermag, sich Belehrung holt. Diesen sei daher die Schrift bestens empfohlen. R. V.v. Ebner. Über den feineren Bau der Knochensubstanz. Zum 70. Geburtstage des Verfassers neu in Druck gelegt von seinen dankbaren Schülern. Mit 4 lithographierten Tafeln. Gr. 8. 90 Seiten. Leipzig. W. Engel- mann. 1912. Eine sinnige Ehrung für den berühmten Histologen haben ihrem gefeierten Lehrer eine Anzahl seiner Schüler bereitet durch den Neudruck seiner im Jahre 1875 ın den Sıtzungsberichten der k. Aka- demie der Wissenschaften zu Wien erschienenen Abhandlung. Der Ertrag dieses Neudrucks wurde dem unter v. Ebner’s Rek- torat ins Leben gerufenen deutschen Studentenheim in Wien über- wiesen. Wer bedenkt, wie schnell selbst die hervorragendsten Leistungen der Forscher in Vergessenheit geraten oder wie oft ihre Urheber vergessen werden, während die Ergebnisse schon in die Lehrbücher übergegangen und so zum Allgemeingut geworden sind, wird solche Neubelebung nicht für überflüssig erachten. Die jüngeren Forscher sind von den massenhaft erscheinenden Pro- dukten der Tageslıteratur so in Anspruch genommen, dass sie selten auf die älteren klassischen Schriften zurückgehen können. Und wer von ihnen in irgend einem, manchmal ganz untergeordneten Punkte zu abweichenden Ergebnissen gelangt ist, stellt nicht selten die Sache so dar, dass noch unerfahrenen Leser jener Vorgänger nur in dem ungünstigen Lichte erscheint, Irrtümer begangen zu haben, während die Fortschritte, die er gezeitigt hat, ıhm, ja der ganzen neuen Generation nıcht selten unbekannt bleiben. Da ist es denn ganz zeitgemäß, wieder und immer wieder an die Leistungen der älteren Forscher zu erinnern, zumal wenn es sich um eine so grund- legende, für alle Zeiten mustergiltige Arbeit handelt, wie es die vor- liegende v. Ebner’s ist. R. M. Raymond. Laienbrevier des Häckelismus. Jubiläumsausgabe. 1862—1882—1912. München. Ernst Reinhardt. 1912. Dies lustige Büchlein, das längst vergriffen war, erscheint hier in erneuter, etwas gekürzter Form. Es wird wohl auch jetzt wieder manchem Biologen einige Belustigung bereiten. Die Hauptlehren Häckel’s werden mit Humor in ziemlich witziger Art vorgetragen. Im Anhang wird hauptsächlich die „Duftstofftheorie“ des „Seelen- riechers“ Jäger in ähnlicher lustiger Weise verspottet. Ob es not- wendig gewesen ist, auch diesen Teil auszugraben, wollen wir nicht weiter erörtern. Wer Lust hat, eine müßige Viertelstunde sich durch den harmlosen Spott Raymond’s erheitern zu lassen, wird bei dem Büchlein hoffentlich auf seine Kosten kommen. R. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt. Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr. R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. . Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. BA XRXLII, . 80. Oktober 1912. Ns 10. Inhalt: Toyama, On certain charaeteristies of the SIlk-worm which are anparontiy non-Mendelian. — Gross, Über intermediäre und alternative Vererbung. — Huxley, A Disharmony in the Reproductive Habits of the Wild Duck (Anas boschas L.). — Tschachotin, Die mikro- skopische Strahlenstichmethode, eine Zelloperationsmethode. — Comes, Effetti della decapi- tazione in Calotermes flavicollis e in altri Ariropodi. — Schöne, Die "heteroplastische und homöoplastische Transplantation. — Meyer, Die Zelle der Bakterien. — ]IX. Internationaler Physiologen-Kongress 1913. On certain characteristics of the Silk-worm which are apparently non-Mendelian. By K. Toyama. (The Zoological Institute, College of Agriculture, Tokyo Imperial University.) Since the discovery and confirmation of Mendelian principles in 1900 by three independent workers, Öorrens, Tschermak and De Vries, a great many experiments have been carried on by many eminent biologists. As a result, the theory now stands on firm ground, supported by many facts verified by experiments which have been systematically carried out, and thus has been rendered possible that rapid advance which has taken place in the science of Genetics. In the first part of the last ten years when there were only a few experiments systematically carried on after Mendelian methods, there were enumerated many non-Mendelian cases in the inheritance of characteristics, and even now some anomalous cases exist; but as the experiments advanced in number and became more accurate, we gradually perceived that we could easıly show these so-called anomalous cases to be in accordance with the Mendelian Theory. In the breeding of sılk-worms, we have found certain cases ın which Mendelian characteristics show themselves to be non-Mendelıan in heredity. I shall desceribe them ın the following pages. XXXIlL 39 594 Toyama, On certain characteristics of the Silk-worm etc. Before entering upon the subject, we shall enumerate the normal Mendelian characteristics found in the silk-worm during the last five years. In my first experiments on the breeding of silk-worms published in 1906, we came to the conclusion that *of various characteristics of the silk-worm, some strictly follow Mendel’s laws (colours of cocoons, larval markings etc.), while others obey certain other laws which are not to be clearly formulated as Men- del’s (such as voltine characters)”, concerning the latter of which McÜracken!) arrived at the same conclusion in her paper published ın 1909. An investigation made by Kellogg?) (1908) gave a similar result. He says “Larval colour-pattern differences are consistently and rigorously alternative and Mendelıan in inheritance” and *cocoon colours tend to be alternative and Mendelian in behaviour but are inconsistent as to dominancy and recessiveness and numerical propor- tions, and may even break down and blend, or one colour be otherwise influenced or modified by the presence, in a mating, of another. Thus sweeping generalizations concerning the inheritance behaviour of the cocoon colours tending to class them unqualifiedly in the Mendelian category can not be made. The tendency is for them to behave in Mendelian manner, but it is a tendency subject to numerous, marked and various inconsistencies and irregularities.” Now we shall briefly enumerate the various characteristies of silk-worms studied by us since 1907. Larval Charaeteristies. 1. *Exuviation.” ÜOertain breeds of the sılk-worm moult four times during their larval stage, while others only moult three times. We call the former tetra-moulting worms and the latter trı-moul- ting. Most of the good breeds now in vogue belong to the former class. These are Mendelian characteristics, the tetra-moulting being recessive to the tri-moulting There are found sometimes tri- moulting worms among ordinary tetra-moulting ones. In this case, the characteristie is not transmissible to the offspring. We believe now that it is caused by certain external influences. 2. The colour of the blood. In the silk-worm, there are two sorts of breeds, the one being yellow-blooded and the blood of the other being colourless. All the former spun yellow or some other coloured cocoons, while the latter are mostly white cocooners, rarely green or canary yellow cocooners. These character- istics come also in the Mendelian category, the yellow blooded being dominant towards the colourless. Most European yellows belong to this category. All the green breed are colourless. l) McÖracken, J. — Heredity of the race-characters univoltism and bivol- tinism in the silk-worm. 1909. 2) Kelogg, L. — Inheritance in silk-worms. 1908. Toyama, On certain characteristics of the Silk-worm ete. 595 3. Blue worms. In Japanese or Chinese breeds, we often found certain blue worms, characterized by the special blue colour of the skin, its cause being the absence of special pigments in the hypodermal cells. This is also a Mendelian characteristic and recessive to the normal-skinned characteristic. 4. “Knobbed” or “Dragon-horned” worms. In the larvae of certain Chinese breeds called “Dragon-horned”, the worm has a pair of small knobs or horns on the dorsal part of certain segments. These knobs are only an evagination of hypodermal epithelium together with the cutiele, and are generally found on the second, third, fifth and eighth, sometimes on the sixthor seventh, and more rarely on the other segments. This ıs also a Mendelian characteristic dominant to the normal one. Quajat’s°) results are quite in accordance with ours. 5. Spotted worms. These are characterized by the presence of a pair of large yellowish brown or greenish brown spots on the dorsal part of certain segments of the worm. As to their number, it varies greatly according to the individual. 'Thus certain worms have the pair of spots in every segment except the anal segment, while some others bear a pair of the spots on the fifth and eighth segments. Normally they are provided with the spots on the 5th, 7th, Sth and 9th. This ıs also a Mendelian charac- teristic, dominant to the absence of this characteristic. 6. Striped characteristic. Worms who are decorated with these markings are called striped or zebra worms. They are found in breeds reared in Japan, China, India, Siam, Korea, Europe or Turkey. This is also a Mendelian characteristic, dominant to the non-striped characteristic. 7. The red and dark worms). In normal breeds, the worms in the first larval stage are brownish black, but now and then we find orange-red worms whose larval markings in advanced stages are reddish brown, contrary to the normal dark or brownish black colour. This is a Mendelian characteristic recessive to. the normal dark. 8. Moricaud or “bear” worms. These are found in certain European, Turkish, Japanese, Chinese or tropical breeds. 9. Chinese black worms, characterized by the dark markings which cover all the dorsal part of the larval body except the inter segmental region, where it is white, and consequently it looks lıke a black worm striped with white rings. 10. Normal patterned worms. These are generally found in nearly every breed. The ground colour of the body is nearly white, marked with fine spots or faint markings. Conspicuous 3) Quajat-Gulla reproduzione degli incroci. 1911. 4) Toyama,K. -— A sport of the silk-worm and its hereditary behaviour. 1909. 39* 596 Toyama, On certain characteristics of the Silk-worm etc. markings are those of the eye-brow on the second segment, a pair of horse-shoe shaped markings on the fifth, and a pair of roundish markings on the eighth. 11. *Smudged” or “*Kasuri” worms. These are found in Japanese breeds. They are characterized by the presence of mark- ings like light smudges over the dorsal part of the body. 12. Pale worms, which have lost nearly all the markings. 13. Pale smudged worms which are the pale form of the smudged worms just referred to. These latter,six kinds (Nos. S—13) of markings may be divided into two classes, one of these having “special markings” and the other having no special markings. By the words “special markıngs”, we mean those markings which are found on the second segment or the “eyebrow”, a pair of horse-shoe-shaped ones on the fifth, segment, and a pair of roundish ones on the eighth. The other markings which decorate the general surface of the body will be called “general markings”, except certain markings which are found on the ventral side of the segments. The moricaud, Chinese black, normal-patterned, and smudged worms, belong to the category which possess the special markings, and the latter two, pale and pale smudged, to the category of those which do not possess the special markings. They are Mendelian allelomorphs, the presence being dominant towards the absence. In the general markings, the Chinese black stands first in dominancy, then in order come the moricaud, the normal smudged, pale, and pale smudged markings. The relation between normal, smudged, pale, and pale smudged is very interesting because if we cross certain pale worms with smudged worms, the results will be the production of all normal F, which gave in F, 9 normals: 3 smudged: 3 pales and 1 pale smudged. In the mating between pale and pale-smudged, the F, is all pale worms, which segregate into 3 pales to 1 pale-smudged in F,. The phenomena of inheritance are quite the same as those observed by Bateson in fowls and many plants?) In the silk-worm larvae we may therefore enumerate the follow- ing Mendelian characteristics: Dominant. Recessive. 1. Trimoulting characteristie. Tetra-moulting characteristie. 2. Yellow blood characteristie. The absence of yellow colour characteristie. 3. The presence of some pigments in The absence of pigments. the hypoderm. 4. The presence of knobs. % > „ knobs. 5. The presence of spotted markings. 5 r „ spotted markings. 5) Bateson, W. — Mendel’s principles of Heredity. 1909. Toyama, On certain characteristics of the Silk-worm etc. 597 Dominant. Recessive. 6. The presence of striped markings. The absence of striped markings. 7. Dark worms. ÖOrange-red worms. 8. The presence of the special markings. The absence of the special markings. General Markings. 9. Chinese black. Moricaud. 10. Moricaud. Normals. 11. Normals. Smudged. 12. Smudged. Pale. 13. Pale. Pale-smudged. Colour-charaeteristies of the Cocoon. Now we shall observe the colour of cocoons. Regarding the relation between Japanese white and European yellow, as we have already reported in my previous papers, the yellow is dominant to the white. The Japanese white is also recessive to the Japanese yellow (Onodahime). When we crossed European yellow, Papillons noirs with Japanese divoltine white, the segregation is quite complete and they gave the proportion of yellow and white in each mating, as demanded by the Mendelian theory and the yellow is dominant to the Japanese white. On the contrary, European whites, such as Itallıan white, and Sina blanc, are dominant to Japanese or European yellows. As the results of many series of experiments we are justified in saying that there are two kinds of white breeds in the silk- worm, one being dominant and the other recessive towards the same yellow. As far as our experiments went, the majority of European whites are dominant, some of them being a mixture of both dominant and recessive whites. Most Oriental whites, on the contrary, are recessive to the yellow and some other coloured cocoOners. If the cerossing were made between such a mixed white breed with yellows, the results would be quite different from that obtained by normal mono-hybrid. Let us now represent the dominant white by WW and the recessive white by ww and the yellow by YY. In a mixed white, we may infer that there exist three kinds of whites having different zygotic compositions, WW, Ww and ww. Hence in the F, derived from the white X the yellow, we expect to have the following gametic combinations: 1. WW NS ZWY = all white’ PB}: ” 2.Ww x YY=WY-wY=.a mixture of white and yellow in an equal proportion. 3.ww xXYY—-wY —=all Yellow F.. alle) Toyama, On certain characteristics of the Silk-worm etc. The first or homozygous dominant white mated with yellow gives all white F,, the second or heterozygous white mated with yellow, a mixed F,, consisting of yellow and white in equal propor- tions, and, lastly, the third or homozygous recessive mating, all yellow F,. Hence in such white-yellow matings, F, will consist of three kinds of offspring. As the composition of all white F, is WY, the F, will be 3 whites: 1 yellow, while all yellow F, whose composition is wY will give diametrically opposite results; namely 1 white: 3 yellows in F,. The posterity of these series will follow the mono-hybrid prin- ciple, in the former, white always behaving as dominant, and in the latter, as recessive. In the series in which the F, is a mixed offspring of white and yellow, both white and yellow segregate again into their compo- nents and thus the phenomena of inheritance seem to be quite inconsistent with Mendelian principles, if we considered them to be a case of Monohybrid back-crosses, 1W:1Y. As the formula shows, however, both of them are heterozygous, and therefore their segregation in F, is consistent with Mendelian principles, and the white is dominant in the white series, and recessive in the yellow series. Thus the order of inheritance of mixed white mated with yellow will be represented as below: Mixed White x Yellow. (1) (2) F, Al W (1W 1 Y) — —. — — — F, 8W:1ıY) 8W:1Y) 1W:3Y). (3-) F, AU Y —— — F, 1W:3Y). (4.) (F, white X F, yellow.) F, (1 W : 1Y) F, 8W:1Y) d(d1W:3Y). The results of experiments made by Coutagne and Kellogg may come ın the same category. We shall now quote their results graphically summarized from their original papers®). 6) Coutagne, G. — Recherches experimentales sur l’heredit& chez les vers a soie. 1902. Kellogg, V. L. — Inheritance in silk-worms. 1908. F, Expectation F, Expectation F, Expectation F, Exspectation F, Expectation F, Expectation F, Expectation F, F, Expectation F, Expectation F, Expectation F, Expectation Toyama, On certain characteristics of the Silk-worm ete. Coutagne’s results. White X Yellow. (1.) All W (1,750) Al] white y AS ee White (75,5°/,) + Yellow (27,5 °],) 5% + 25°, (2.) (White (818) + Yellow [849]) on I Be (3.) All White F, X pure yellow. we) + Ye) ıW iR 1Y ———— II. W (710) + Y (247) W (717°|,) + Y(239'],) (4.) All Yellow All yellow 0. —— W(69) + Yı(s7l) All yellow. Kellogg’s results. (Bagdad white X Istrian yellow.) (1). AU W. (all white) W (139) + Y 82) Tawe ew) (2.) AUSN (All yellow) W (52) + Y (125) 1(W-+3Y). (F, Y X pure W) Et nn mn 0UD m——— een u W (1,016) Y (432) W (624)-+Y (645) W (859) Y (964) AIIW (1,086 -- 362) (634,5 + 634,5) (830°), + 992'/,) all w. 600 Toyama, On certain characteristics of the Silk-worm etc. 3.) F, a (dl) + Y(80) Expectation au W + al 7 : / SI Ba R N Ye AR > — [1 _— — — F, W (216) + Y (108) Wi (283) es Yen) (315) W (65) + Y 255) Expectation W-+ m (IW-+1Y) (1w-4 3y). 4. (EREWAS ’ z se N un / Stand \ N 1 \ aN [2 S 5 N / Bäumeetc. --- it os: Sen SEE Ser NN 2 N | a \ | \ N Tisch (Serie) EL En @] Gelbe Kaas a o| Scheiben 5 en er G a Der | (Serie II) An, d N Profil Die Bienen dieser Straße (2) flogen zu einem Klee- acker ın ca. 600 m Entfernung vom Stande und kamen auf dem gleichen Wege zurück. In direkter Linie vor dem Stand, 5 m von ihm entfernt, lag ım Bereich der zweiten Straße das schon erwähnte Beet mit Borago 682 v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. offieinalis. Hier war der Futterplatz vieler scheinbar jüngerer Bienen. Als weitere Hilfsmittel bei den Versuchen dienten jetzt qua- dratische Scheiben aus dünnem Holz und Pappendeckel. Drei der Scheiben wurden mit gelbem Glanzpapier tapeziert, eine mit rotem, eine mit orangefarbenem. Die Größe der Scheiben betrug 20 qem. Inmitten jeder von ihnen wurden je 5 schmale Gläschen zur Aufnahme des Honigs befestigt (!/, cm Durchmesser und 6 cm Länge). Diese Einrichtung sollte als Schutz gegen ein zu schnelles Aussaugen des Honigs dienen. Von außen waren die Gläser ge- meinsam mit dem entsprechenden farbigen Papier umgeben. Auch wurden einige gelbe Scheiben von 15 em Länge und 10 cm Breite mit je drei Gläschen verwendet. Beim Experimentieren wurden die Scheiben stets auf schmalen Stäben ca. !/, m über dem Boden aufgestellt und zwar ın der Weise, dass die vordere mit den Gläsern versehene Seite gegen den Stand, also senkrecht zum Boden gerichtet wurde. Experiment l. 15: VIL292 Zur Ausführung dieses Experimentes wurden ın 5m Entfernung vom Stand am vorderen Rande des Borago-Beetes drei von den größeren Scheiben ın einer Reihe aufgestellt, so dass die gelbe Scheibe (a) ın die Mitte, die orangefarbene rechts, die rote links von ıhr zu stehen kam. Die Entfernung der Scheiben ‚voneinander betrug '/,; m. Diese sämtlich honiglosen Scheiben blieben den ganzen Tag ausgestellt, ohne dass sie von den Bienen beachtet wurden. Gleich nach dem Aufstellen wurden sie 1 Stunde ununterbrochen, dann innerhalb verschieden langer Zeiträume zehnmal je 10 Minuten beobachtet. Experiment Il. 16.111295 An diesem Tage wurden außer der honiglosen roten und orange- farbenen Scheibe noch 4 gelbe Scheiben aufgestellt, von denen die 3 größeren a— b—c mit Honig versehen waren, die vierte kleinere (d) dagegen honiglos war. (Siehe Skizze!) A. Um 9" wurden die rote Scheibe, die orangefarbene Scheibe und die gelbe Scheibe (a) in der Anordnung des vorigen Tages und an derselben Stelle aufgestellt und während einer Stunde beobachtet. Sie blieben während dieser Zeit sämtlich von den Bienen unbeachtet. B. Um 10% wurde die zweite gelbe Scheibe (b) in direkter Linie hinter der Scheibe a und 1m von dieser entfernt, aufgestellt, so dass sich der Honig in Scheibe bh kaum '/, m über der Tracht he- v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. 685 fand. Innerhalb 15 Minuten Beobachtung zeigte sich keine Reaktion der Bienen. C. Um 10420 wurde eine weitere gelbe Scheibe (c) zwischen den Stand und die unter A erwähnte Gruppe gebracht. Innerhalb 15 Mi- nuten Beobachtung zeigte sich keine Reaktion der Bienen. PD: Die vierte honiglose gelbe Scheibe (d) wurde um 10"35 in !/, m Entfernung etwas abseits vom Stock, wo gewöhnlich die Bienen gefüttert wurden, aufgestellt. Innerhalb 10 Minuten zeigte sich keine Reaktion der Bienen. E. Hierauf wurde die Scheibe (d) entfernt und an ihre Stelle ein Teller mit Honig gebracht. Die Bienen waren an schlechten Tagen gewöhnlich an diesem Orte stets aus diesem Teller gefüttert worden. In 5 Minuten kamen 2 Bienen herbei. Die eine flog wieder davon, an ihrer Stelle kam eine dritte und setzte sich auch auf den Teller, der samt den Bienen zu Scheibe ce gebracht wurde. Eine der saugenden Bienen wollte zuerst wegfliegen, bemerkte dann aber die Scheibe, untersuchte sie, fand den Honig, sog sich voll, wurde be- zeichnet und flog zum Stock zurück, um bald aber wieder zu kommen. Vor dem Wegfliegen vergaß sie nicht, einen sorgfältigen Orien- tierungsflug zu unternehmen, wobei sie, wie gewöhnlich den Kopf gegen die Scheibe gewendet, diese in immer weiteren Kreisen um- flog. In 10 Minuten waren mehrere Bienen bei Scheibe ce, keine bei den anderen. Diese Scheibe wurde mit den auf ıhr saugenden Bienen ganz nahe (30 cm) zu Scheibe a gebracht. Diese Scheibe wurde jetzt fast sofort untersucht und besucht. Gleichzeitig kamen einige Bienen zu Scheibe b. Ob dieser Besuch ein rein zufälliger war oder ob die Bienen die Scheibe b aufsuchten, nachdem sıe an den honiggefüllten Scheiben a und ce Erfahrungen gesammelt hatten, kann ich nicht entscheiden. Jedenfalls wurde innerhalb der nächsten halben Stunde folgendes Bild beobachtet: Auf allen gelben honig- gefüllten Scheiben saugen zahlreiche Bienen. Sie kommen zu ihnen und fliegen davon ohne weitere Orientierungsflüge. Beim Honig drängen sich viele Bienen durcheinander, werden in den engen Gläsern mit Honig beschmiert, den andere Bienen stürmisch von ihnen ablecken; sie fallen gemeinsam zu Boden, wo einzelne Gruppen von 3—5 Bienen entstehen. Auch die orangefarbene Scheibe ohne Honig wurde stark von den Bienen umflogen, wohl wegen der Ähn- lichkeit der Farbe mit der Farbe des Honigträgers; sie blieb jedoch später fast vollkommen unbeachtet. Bald sınd alle Gläser leer. Die Bienen kommen nicht wieder. Nur vereinzelte Tiere umfliegen ab und zu die gelbe Scheibe in 684 v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. größeren Kreisen. 3 Stunden später wird der Honig im den gelben Scheiben wieder ersetzt und in ca. 5 Minuten sind bereits wieder mehrere Besucher zur Stelle. Die orangefarbene Scheibe ohne Honig wird nicht umflogen. Experiment III. 17. VIE 2 An diesem Tage wurde die gelbe Scheibe a mit Honig, die rote und orangefarbene ohne Honig, an derselben Stelle und ın derselben Anordnung wie in Experiment II A aufgestellt. Die Scheibe a erhielt in den ersten 10 Minuten 6, später zahlreiche Besuche. Der Honig wurde nach Bedarf stets erneuert. Die Scheiben blieben bis 1" stehen, ohne dass die rote und orangefarbene Scheibe während dieser Zeit von den Bienen beachtet wurden. Experiment IV. 18: VIE Die Anordnung war die gleiche wie in Experiment III; wie am vorigen Tage wurden die Scheiben genau um 11" aufgestellt. Jedoch blieb die gelbe Scheibe a in den ersten 10 Minuten ohne Honig. Trotzdem wurde sie von mehreren Bienen umflogen; keine Biene aber setzte sich darauf.‘ Nach 10 Minuten wurde Scheibe a mit Honig versehen und sofort von Bienen besucht. Die Scheiben blieben bei ständiger Erneuerung des Honigvorrats bis 1" stehen. In den nächsten 6 Tagen wurden die Scheiben in der üblichen Weise am Rande des Borago-Beetes aufgestellt, so dass die gelbe Scheibe a mit stets erneuertem Honigvorrat in der Mitte stand, die orangefarbene rechts, die rote links von ihr zu stehen kamen. An der Zeit von 11—1" wurde während dieser 6 Tage strenge fest- gehalten. Die Bienen besuchten täglich regelmäßig die gelbe Scheibe, deren Inhalt so aufgefüllt wurde, dass er bis gegen 1" erschöpft war. Um diese Zeit fanden sie die Scheibe leer vor und gaben nach und nach ihre weiteren Besuche auf. Am 6. Tage wurde das folgende Experiment V. 24. .VibE32 vorgenommen, in welchem die Scheiben aber nicht nur am Vor- mittag zwischen 11 und 1°, sondern auch wiederum am Nachmittag um 3% aufgestellt wurden. (Gelb a mit Honig.) Bei der Beobach- tung während einer halben Stunde erhielt die gelbe Scheibe keinen Besuch. Experiment VI. 25. VILALUSS: An diesem Tage wurden die Scheiben wie gewöhnlich von 11-1" aufgestellt und erhielten zahlreiche Besuche. Am Nachmittag wurde Experiment V wiederholt. Die gelbe Scheibe blieb von den Bienen unbeachtet. v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. 685 Experiment VII. 27. VIER 18 An diesem Tage wurden in der üblichen Anordnung folgende Veränderungen getroffen: an Stelle der gelben Scheibe kam die orangefarbene, an Stelle der orangefarbenen die rote, an Stelle der roten die gelbe mit Honig. Die gelbe Scheibe wurde sofort, die orangefarbene und rote nicht umflogen. Experiment VIII. 28: VEIL.: LIE An diesem Tage wurde die übliche Anordnung wieder beibe- halten, nur mit dem Unterschiede, dass dieses Mal die gelbe Scheibe honiglos war, die rote und orangefarbene dagegen reichlich mit Honig gefüllt waren. Innerhalb der Beobachtungszeit von einer Viertelstunde wurde die gelbe Scheibe von den Bienen umflogen. Keine Biene beachtete jedoch die honiggefüllten, andersfarbigen Scheiben. Nach einer Viertelstunde wurde der Honig aus diesen Scheiben entfernt und die gelbe Scheibe mit Honig versehen. Sie blieb bis 1 am Platze und wurde eifrig von den Bienen besucht. Experiment IX. 30V HR An diesem Tage wurde nur die orangefarbene und die rote Scheibe, beide mit Honig versehen, aufgestellt, und innerhalb einer halben Stunde Beobachtung von den Bienen nicht umflogen. Experiment X. IVIEL ER In diesem Experimente wurde nur die gelbe Scheibe alleın und ohne Honig aufgestellt und innerhalb der ersten 15 Minuten stark umflogen. Erklärung der Experimente. Serie II. Die Experimente I, IH A, B, GC, D, E, UI, VIII und IX der Serie II bestätigen noch einmal die Resultate der Experimente I, II, III der Serie I. Bei guter Tracht, wenn alle Bienen beschäftigt sınd und mit prallgefüllten Honigblasen und Pollenkörbehen nach Hause kommen, können die farbigen Objekte an einer mehr oder weniger auffallenden Stelle mit oder ohne Honig keine Anziehung auf die Tiere ausüben, vorausgesetzt, dass die Bienen nicht zuvor die Erfahrung gemacht hatten, dass diese farbigen Objekte an dieser Stelle soviel wie das Vorhandensein von Honig bedeuten. Die Experimente IV, VIII und X beweisen ferner, dass, wenn die Bienen öfter an einer Stelle auf Objekten von bestimmter Farbe Honig gefunden hatten, das Erscheinen von diesen farbigen Objekten allein, abgesehen davon, ob dieselben noch als Honigträger funk- tionieren oder nicht, genügt, um die Tiere anzulocken. Kleinere Verschiebungen in der räumlichen Anordnung spielen dabei keine weitere Rolle (vgl. Exp. VII). 686 v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. In Experiment V und VI waren die Tiere beim Auffinden des Honigs durch längere Übung nicht nur an Ort und Farbe, sondern auch an eine bestimmte Zeit (11-—1?) gewöhnt. Wurde der Honig zu einer anderen Zeit aufgestellt, so reagierten die Bienen trotz der gleichgebliebenen Farben und Plätze nicht darauf. Es verband sich also bei ıhnen die Vorstellung des Vorhandenseins von Futter nicht nur mit einer bestimmten Farbe und einem bestimmten Ort, sondern auch mit einer bestimmten Zeit. Die Biene ıst somit fähig, sich nicht alleın Ort und Farbe, sondern auch die Zeit zu merken. Lernvermögen. Serie III. Mitte September. Die Experimente der dritten Serie wurden ın dem in Serie Il beschriebenen Garten ausgeführt. In der rechten Ecke am Ende des Gartens wurde hierfür ein Tisch aufgestellt, der den bei den Experimenten in Verwendung kommenden Objekten als Unterlage diente. Vor Beginn dieser Serie von Experimenten wurden 6 Tage hindurch die in Serie II beschriebenen gelben Scheiben mit Honig, sowie eine rote Scheibe ohne Honig aufgestellt, um die Tiere an die gelbe Farbe zu gewöhnen. Der Honig wurde während dieser Zeit so oft als nötig erneuert, so dass die gelbe Scheibe stets reich- lich Honig trug. Die Trachtverhältnisse waren inzwischen, wohl infolge des ausnehmend heißen Sommers?), ziemlich schlechte ge- worden. Die Bienen flogen weit, um Nektar zu holen und kehrten mit nur halbgefüllten Honigblasen von der Tracht zurück. Experiment |. Es wurden zwei Pappendeckenschachteln von 20 cem Größe, !/, m voneinander aufgestellt. Die gelbe Schachtel enthielt Honig, die rote war leer. An der Vorderseite beider Schachteln waren Öffnungen von 3 em im Durchmesser angebracht. Da die Bienen auf die gelbe Farbe bereits durch die Scheiben „dressiert“ waren, so rief diese Veränderung in der Form des Honigträgers nur eine geringe Stockung hervor. Die Bienen flogen herbei, drangen durch die Öffnung in die gelbe Schachtel hinein, saugten sich voll Honig und fanden, wahrscheinlich ohne zu lange zu suchen, den Ausgang wieder. Einige von ihnen machten Orientierungsflüge um die Schachtel und flogen dann davon. Nach mehreren Minuten kehrten die Bienen zurück und so war der Verkehr zwischen dem Stock und den neuen Objekten hergestellt. Es waren ungefähr 9—10 Bienen, die vorher schon die Scheiben entdeckt hatten und nun auch die Schachteln aufsuchten, die bis zum Abend, wo sich die Zahl der Besucher dem Anschein nach vergrößert hatte, an Ort und Stelle bleiben. 2) 1911 — Oberbayern. v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. 687 Nachdem es dunkel geworden war und die Bienen ihre Besuche eingestellt hatten, kam nun anstatt der gelben Pappen- deckelschachtel eine gleich große Glasschachtel an den gleichen Platz, deren vordere Seite allein aus Pappendeckel bestand, der von außen und nach innen mit gelbem Glanzpapier tapeziert, und wie bei den anderen Schachteln in der Mitte von einer 3 cm großen Öffnung durchbohrt war. Diese Schachtel wurde reichlich mit Honig versehen und bleibt über Nacht am Platze. Experiment Il. Am Morgen des nächsten Tages konnte man ungefähr 10 eifrig tätige Bienen an dieser Schachtel zählen. Sie blieb noch 2 Stunden stehen, dann wurde sie ın Experiment Ill durch eine andere zweimal größere Glasschachtel ersetzt, deren Vorderseite gleichfalls aus einem hier weißen Pappendeckel be- stand, der mit einer 20 gem großen gelben durchlöcherten Scheibe bekleidet war. Die Bienen schienen diese Veränderung gar nicht zu bemerken und besuchten die neue Schachtel wie vorher die andere. Experiment IV. Ein Glasbehälter von 1,20 m Länge, 45 cm Höhe, und 1m Breite erhielt einen Deckel aus grauem verwittertem Holz, der an einer der breiteren Seiten durch Scharniere beweglich befestigt wurde. Im Deckel wurden rechts und links zwei 3 em große Öf- nungen angebracht, an welche durchsichtige Glasscheibehen zum Schließen angepasst waren. Der Behälter wurde so auf den Tisch gestellt, dass der Deckel nach vorne gerichtet war. Am Deckel befand sich noch eine Einrichtung, die das Aufhängen 20 gem großer Scheiben, deren Öffnungen genau denen des Deckels entsprachen, ermöglichte. Es wurde nun in diesen Behälter eine Wabe mit Honig gebracht. Die rechte Öffnung wurde verschlossen, und außen und innen mit roten Scheiben bedeckt. Die linke Öffnung blieb frei und erhielt zu beiden Seiten gelbe Scheiben. Vor Beginn dieses Versuches standen am Tische die stark be- suchten Schachteln von Experiment II. An ihre Stelle wurde nun 688 v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. möglichst rasch der Behälter gebracht. Die zurückkehrenden Bienen schienen von dem Wechsel wenig erstaunt zu sein und flogen in die bekannte Öffnung hinein. Beim Herausfinden entstanden ihnen jedoch gewisse Schwierigkeiten. Sıe untersuchten die Vorderwand. Besonders die dunkelrote Scheibe mit der verschlossenen Öffnung zog durch den Kontrast viele Bienen an. Endlich fanden einige von ihnen den richtigen Ausgang; die anderen folgten ihnen sofort, als wären sie durch ein Signal gerufen. (Ich konnte aber durch die Wände des Aquarıums die Geräusche im Innern nicht so deut- lich wahrnehmen, um entscheiden zu können, ob es nicht ein „Lock- ruf“ war.) Nach S Minuten war schon keine Verkehrsstörung mehr vorhanden. Die Bienen kamen und gingen wie immer, wenn sie eingeflogen sind. Experiment V. I. 7; | 0: A. R: Nach einer Stunde vertauschte ich die beiden gelben Scheiben aus Experiment IV mit den roten Scheiben, die nach links kamen. Die rechte Öffnung wurde frei gelassen, die linke verschlossen. Diese kleine Ortsveränderung störte die Bienen aber durchaus nicht; sie richteten sich beim Ein- und Ausfliegen nach den gelben Scheiben. Experiment VI. Nach einer halben Stunde wurde der ganze Behälter nach rechts, also in derselben Richtung verschoben, nach welcher hin die gelben Scheiben ın Experiment V ihre Stelle verändert hatten. Die Bienen verhielten sich wie ın Experiment V. Der Behälter blieb bis zum Abend ausgestellt. Die Zahl der besuchenden Bienen war bis dahin ungefähr auf 35 gestiegen. Experiment VII. JeR IE Runde 4. RR. Am nächsten Tage um 8" früh wurden schon mehrere Bienen tätig vorgefunden. v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. 685 Die innere rote und gelbe Scheibe vertauschten nun ihre Plätze, die äußere rote Scheibe wurde entfernt und beide Öffnungen wurden freigelassen. Die ankommenden Bienen flogen ohne Stockung in den Behälter durch die rechte von außen gelb verkleidete Öffnung hinein und kamen durch die linke, von innen gelb verkleidete Öffnung wieder heraus. Innerhalb 10 Minuten Beobachtung fand keine Stockung oder Störung statt. Experiment VIII. L. 1: Kl; 4. ER 92.0) ®%W: 9.,@) (ER; Die äußere gelbe Scheibe kam nun nach links, die rote Scheibe bekleidete die rechte Öffnung. Im Innern blieb die Anord- nung von Experiment VII bestehen. Beide Öffnungen lagen frei. Die Bienen flogen innerhalb 10 Minuten Beobachtung nur durch die linke, von innen und außen gelb verkleidete Öffnung. Die Anordnung wurde ın der nächsten halben Stunde beibe- halten, die rechte Öffnung aber wurde geschlossen. Experiment IX. L. T. ee: Ar Tre 9420 ar. | An Stelle der inneren gelben Scheibe kam eine grüne Scheibe, In den ersten 5 Minuten sammelte sich eine größere Zahl von meinen im Behälter an und suchte nach dem Ausgang, ohne ihn aufzufinden. Sie wanderten, vorwiegend an der vorderen Seite, ruhelos im Behälter herum und erhielten immer neue Genossen. Erst nach weiteren 5 Minuten, nachdem sich im Behälter bereits ca. 30 Bienen versammelt hatten, fand eine herumschwirrende Biene den Ausgang; ihr folgten sofort andere Bienen. — Nach einiger Zeit kamen sie fast alle auf einmal zurück und flogen ohne weitere Untersuchungen in den Glasbehälter hinein. Beim Herauskommen umflog die Mehrzahl dieser Bienen die Vorderseite des Behälters noch einmal. Die Anordnung dieses Experiments blieb 3 Stunden lang be- stehen. XXXI. 45 HI v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. Experiment X. L. 7 "rap B 4. R. Die gelbe äußere und die grüne innere Scheibe wurden von links nach rechts verschoben. Die beiden roten Scheiben umkleı- deten die linke Öffnung, die verschlossen wurde, während die rechte frei blieb. Innerhalb 30 Minuten Beobachtung richteten sich die Bienen beim Hineinfliegen nach der gelben, beim Herausfliegen nach der grünen Farbe. Experiment XI. L. 1. Ru: aD. A. IR: Die inneren Scheiben behielten ihre Lage wie in Experiment X. Die äußeren vertauschten ihre Plätze. Beide Öffnungen lagen frei. Die Bienen flogen durch die linke Öffnung ein, durch die rechte Öffnung heraus. Experiment XII. I. el RR: Beide Öffnungen wurden von innen mit roten Scheiben be- kleidet. Die äußere Anordnung bleibt die des Experiments XI. Im Behälter findet eine Stockung statt. Die Bienen flogen nach einigem Suchen durch beide Öffnungen heraus, eine etwas größere Zahl konnte jedoch für das Ausfliegen durch die rechte Öffnung kon- statiert werden. Erläuterungen der Experimente. Serie II. Nachdem es festgestellt war, dass die Bienen eine Farbe lernen. und sich nach ihr richten können, prüfte ich, inwiefern sie imstande v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. 691 sein können, dieses Vermögen in einer mehr schwierigen Kon- stellation von Bedingungen auszunützen. Die nach dieser Richtung hin vorgenommenen Experimente stellte ich abseits von den Stöcken an, um eine zu große Zahl von besuchenden Bienen zu vermeiden. Zuerst wurden die Bienen an einen bestimmten Ort, die künst- lichen Objekte und die gelbe Farbe durch längere Übung gewöhnt. Zu diesem Zwecke wurde zuerst die gelbe Scheibe verwendet als eine am wenigsten komplizierte Einrichtung. Dann kam die Pappen- deckelschachtel, um die Tiere zum Hineinschlüpfen in einen abge- schlossenen Raum zu veranlassen, ohne sie gleichzeitig in gänzlich ungewöhnliche Verhältnisse, wie es bei sofortiger Anwendung eines Glaskastens mit durchsichtigen Wänden der Fall gewesen wäre, zu setzen. Hierauf wurden nacheinander die beiden Glaskästen von verschiedener Größe angewendet, um die Tiere für die darauf- folgenden Versuche an einen im Innern erhellten, viel größeren Kasten von anderer Form stufenweise zu gewöhnen. Trotzdem entstand beim Herausfliegen aus diesem letzteren eine nicht unbedeutende Verkehrsstockung und die Bienen mussten sich den Ausgang erst suchen. Dies scheint darauf hinzuweisen, dass die Tiere beim Ausfliegen aus den zwei ersten Glaskästen sich nicht nach der Farbe der an den Fluglöchern im Innern der Kästen angebrachten gelben Scheiben richteten, sondern vielleicht nach der relativen Lage des Fluglochs, die sie sich schon von der Pappen- deckelschachtel her gemerkt haben konnten. Dies konnte ihnen besonders dadurch ermöglicht worden sein, dass die beiden ersten Glaskästen ebenso wie die Pappendeckelkästen von kubischer Form waren, im Gegensatz zu dem zuletzt in Verwendung gekommenen Behälter von länglicher Form. In diesem versagte die Art von Orientierung, nach der sich die Bienen bis jetzt geleitet hatten und sie waren zu einem neuen ÖOrientierungsflug und zum Aufsuchen von neuen Merkzeichen gezwungen, um den Ausgang aus dem Innern des Kastens zu finden. Die bekannte gelbe Farbe als die- jenige, nach der sie sich beim Hinfliegen richteten, konnte ihnen Jetzt wiederum als neues Orientierungszeichen am leichtesten ein- fallen. Dass es tatsächlich die Farbe und nicht etwa wieder die rela- tive Lage des Flugloches war, zeigen die Experimente (V—VIM). Nach ihnen wäre damit nachgewiesen, dass sich die Bienen beim Verlassen des Glaskastens nach der Farbe richteten. Es bleibt aber noch die Frage zu entscheiden: Muss die im Innern des Behälters angewandte Farbe, die den Bienen als Orientierungszeichen dienen soll, dieselbe sein wie die, die die herbeifliegenden Bienen von außen leitet? Oder wären die Bienen auch imstande, sich zwei verschiedene Farben zu merken, um sich nach der einen Farbe beim Hin-, nach der anderen beim Wegfliegen zu orientieren? 45 592 v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. In den Experimenten IX, X, XI, wurde daher im Innern des Kastens eine den Bienen unbekannte Farbe angebracht — die grüne. Die Bienen fanden sich in dieser neuen Situation viel leichter zu- recht, als man dies voraussehen konnte, und es unterliegt keinem /weifel mehr, dass sie nicht nur wie eine mehr oder weniger kom- plizierte „Reflexmaschine“ durch die Farbe beim Nahrungssuchen angelockt werden, sondern sie verstehen auch in anderen, neuen und unerwarteten Verhältnissen ihren Farbensinn als ein Orientierungshilfsmittel auszunützen. Schluss. Fassen wir die allgemeinen Resultate der vorliegenden Experi- mente noch einmal zusammen, so ergibt sich: 1. Die Bienen richten sich nach den Farben, besitzen somit ein Farbenunterscheidungs- vermögen. 2. Die Farben gewinnen für die Bienen nur dann eine Bedeutung, wenn sie gelernt hatten, dass gewisse Farben mit irgend- welchen Vorteilen für sie verbunden sind. Das ganze Benehmen der Tiere trägt den Charakter von zweck- mäßigen, gewollten Handlungen, die durch die zuvor mittels des (edächtnisses gesammelten Erfahrungen und nicht durch be- liebige Sinneseindrücke bestimmt werden. Die Bienen sind keine „meflexmaschinen“, und wenn sie eine gewisse farbige Blume be- sonders gern befliegen, ist dies nicht eine besondere Vorliebe für jene, was wir als reflektorischen Chromotropismus deuten müssten, sondern es ist vielmehr eine Folge der Erfahrungen, die sie zuvor gemacht hatten. Das sich nach der Farberichten ist somit nur ein sekundäres Orientierungshilfsmittel. Aus diesem Grunde ist auch die schon von Plateau besonders betonte Beobachtung verständlich, dass es farblose unansehnliche Blumen gibt, die von den Bienen sehr gerne besucht werden, während oft auffallend farbige unbeachtet bleiben. München, ım Juli 1912. Zur Erklärung der Skizzen zu den Experimenten der Serie IH. Die Skizzen stellen die vordere Wand des Behälters dar. 4A. = außen, De = links: Ts=-ainnen, R. = rechts, 9. = gelb, OÖ = Flugloch. 1 Ol ‘ re & = geschlossenes Flugloch. UN = alla), Literaturverzeichnis. Andreae, Eugen. Inwieferne werden Insekten durch Farbe und Duft der Blumen angezogen? Beih. z. bot. Centralbl., Bd. 15, 1903. Bethe, A. Dürfen wir Ameisen und Bienen psychische Qualitäten zuschreiben ? Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 70, 1898. — Noch einmal über die psychischen Qualitäten der Ameisen. Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 79, 1900. v. Dobkiewiez, Beitrag zur Biologie der Honigbiene. 6953 Bethe, A. Die Heimkehrfähigkeit der Ameisen und Bienen, zum Teil nach neuen Versuchen. Biol. Centralbl., Bd. XXII. v. Buttel-Reepen, H. Sind die Bienen Reflexmaschinen ? Leipzig 1900. — Die stammesgeschichtliche Entstehung des Bienenstaates, sowie Beiträge zur Lebensweise der solitären und sozialen Bienen. Leipzig 1903. — Zur Psychologie der Hummeln. Biol. Oentralbl., Bd. 27. — 4prstica. Weitere Beiträge zur Systematik, Biologie, sowie zur geschlecht- lichen und geographischen Verbreitung der Honigbiene ete. Mitt. a. d. zool. Samml. d. Mus. f. Naturk. in Berlin, 1906. — Psychologische und biologische Beobachtungen an Ameisen, Bienen und Wespen. Naturw. Wochenschr. Jena 1907. Darwin, Ch., The effects of cross and self Fertilisation in the vegetable kingdom. London 1876. Errera, L. und Gevaert. Pentstemon gentianoides et Pentstemon Hartwegi. Appendice ä „Sur la structure et les modes de fecondation des fleurs“, 1878. Forel, A. Die psychischen Fähigkeiten der Ameisen und einiger anderer Insekten. München 1901. — Das Sinnesleben der Insekten München 1910. Giltay, E. Über die Bedeutung der Krone bei den Blüten und über das Farben- unterscheidungsvermögen der Insekten. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 40, 1904. Lowell, The color sense of the honey bee. The American Naturalist, Bd. 43, 1909. — The color sense of the honey bee etc. Ibid. Bd. 44, 1910. Lubbock, J., Ameisen, Bienen und Wespen. Internat. wissensch. Biblioth., Bd. 57, Leipzig 1853. — Die Sinne und das geistige Leben der Tiere. Ibid. Bd. 67, 1889. Müller, H. Die Befruchtung der Blumen durch Insekten und der gegenseitigen Anpassung beider. Leipzig 1873. — Versuche über Farbenliebhaberei der Honigbiene. Kosmos, 1582. Perez, J. Notes zoologiques. Actes de la soc. Linneenne, Bd. 47, 1894. — De l'attraction exercee par les couleurs et les o deurs sur les insectes. Mem. de la soe ds. Sciences phys. et nat. de Bordeaux, 1903. Plateau, F. L/instinet des insectes peut-il @tre mis en defant par les fleurs arti- ficielles? Assoc. franc. pour l’avancement des sciences, 1876. — Recherches experimentales sur la vision chez les insectes. Bullet. de l’acad. royale de Belgique. Classe des sciences. 3® serie, Bd. 10, 1885. — Recherches experimentales sur la vision chez les arthropodes’I. Bullet. de l’acad royale de Belgique. Classe des sciences, Bd. 14, 1887. — Dasselbe II. Ibid. Bd. 15, 1888. — Dasselbe III. Ibid. Bd. 16, 1888. — Dasselbe IV. Ibid. Bd. 17, 1889. — Un filet empeche-t-il le passage des insectes? Ibid. Bd. 30, 1895. -— (Comment les fleurs attirent les insectes. Ibid. Bd. 30, 1895. — Dasselbe. Ibid. Bd. 32, 1896. — Dasselbe. Ibid. Bd. 33, 1897. -— Dasselbe. Ibid. Bd. 34, 1897. — Nouvelles recherches sur les rapports entre les insectes et les fleurs etc. 1. Mem. de la soc. zool. de France, Bd. 11, 1598. — Dasselbe II. Ibid. Bd. 12, 1899. — La vision chez l’Anthidium manicatum. Ann. de la soc. entomol. de Belgique. Bd. 43, 1899. — Nouvelles recherches ete. III. M&m. de la soc. zool. de France, Bd. 13, 1900. Experiences sur l’attraction- des insectes par les etoffes colorces et les objets brillants. Ann. de la soc. entomal. de Belgique, Bd. 44, 1900. Observations sur les ph@nomenes de la constance chez quelques Hymenopteres. Ibid. Bd. 45, 1901. — L’ablation des antennes chez les Bourdons et les appreciations d’Auguste Forel. Ibid. Bd. 46. 1902. — Observations sur les erreurs commises par les hymenopteres visitant les fleurs. Ibid. Bd. 46, 1902. — Les pavots decoralldes et les insectes visiteurs. Bullet. de l’acad. royale de Belgique. Classe des sciences, 1902. 694 Nathansohn, Allgemeine Botanik. Plateau, F. Les fleurs artificielles et les insectes. M&m. de l’acad. royale de Beleigique. Classe des sciences, Bd. 1, 1904—1906. — Note sur l’emploi d’une glace &tamde ete. Bull. de l’acad. royale de Belgique, Classe des sciences, 1905. — Notes sur l’emploi des r&cipients en verre etc. Ibid. 1905—1906. — Le Macroglosse ete. M&m. de la soc. entomol. de Belgique, Bd. 12, 1906. — Les insectes et la couleurs des fleurs. L’annde psychologique, Bd. 13, Paris 1907. — Les insectes ont-ils la m&moire des faits? Ibid. Bd. 15, 1909. — La pollination d’une orchidee A fleurs vertes ete Bull. de la soc. royale de botanique de Belgique, Bd. 15, 1908. Sprengel, Chr. Das entdeckte Geheimnis der Natur. 1793. Turner, Experiments on color-vision of the honey-bee. Biolog. bull. of the marine bio‘. laboratory Woods Hole, Mass., Bd. 19, 1910. Weismann, A., Vorträge über Deszendenztheorie. 1904. Wery, J. Quelques exp6riences sur Vattraction des abeilles par les fleurs. Bull de l’acad. royale de Belgique. Classe des sciences, 1904. A. Nathansohn Allgemeine Botanik. Mit 4 farbigen und 5 schwarzen Tafeln und 394 Abbild. im Text. Leipzig 1912. Verlag von Quelle und Meyer. Bei jeder mündlichen oder schriftlichen Darstellung irgendeines Wissensgebietes ist es eine der Hauptschwierigkeiten, die durch viele assoziative und kausale Fäden verknüpften Einzeltatsachen so auseinander zu legen, dass sie ohne Zerreißung aller jener Zusammen- hänge hintereinander folgen. Die eigentliche Einteilung des Stoffes kann jedesmal nur eine Art der Verknüpfung widerspiegeln, so viele andere auch im Kopf des Darstellers gegenwärtig sein mögen. Alle anderen Beziehungen müssen als Seiten-, Vor- oder Rückblicke eingeschoben werden. Es ist nun üblich geworden, ein durch die Art des Stoffes umgrenztes Wissensgebiet, wie etwa die Botanik, dadurch einer Dis- position zu unterwerfen, dass es je nach der wissenschaftlichen Be- trachtungsweise in Teildisziplinen zerlegt wird. Man überbliekt also die Gesamtheit der Gewächse von verschiedenen Gesichtspunkten aus. mehrmals hintereinander und sucht durch die einander parallelen Darstellungen der Vielzahl der gedanklichen Verknüpfungen gerecht zu werden. Jeder einzelne Darstellungsgang ist nicht völlig unab- hängig von den anderen; sondern die späteren sind in ihrer Gesamt- heit auf die früheren aufgebaut und alle untereinander wieder durch Verweisungen verknüpft. So wird etwa mit der „äußeren Morpho- logie“ begonnen, weil sie am ehesten an Bekanntes anknüpft. Es folgt dann die innere Morphologie, bei der zur Lokalisierung der einzelnen Zellgestalten das früher Gesagte vorausgesetzt werden muss u. 8. f. Die Zahl der so behandelten Teildisziplinen, resp. der ihnen entsprechenden Abschnitte des Gesamtwerkes ist beschränkt, denn Wiederholungen wären sonst unausbleiblich. Es konnte aber nicht ausbleiben, dass an dieser Art der Darstellung mancherlei bemängelt wurde, um so mehr, als die Einführung der „Biologie“ in den Plan der höheren Schulen eine allseitigere Ausbildung der zukünftigen Lehrer fordert. Es wurde den gebräuchlichen Lehrbüchern einer- seits Schematismus vorgeworfen, andererseits Unvollständigkeit. Wagner, Vorlesungen über vergleichende Tier- und Pflanzenkunde. 695 Tschulok!) z. B. fordert die Behandlung von sieben Einzeldisziplinen, die in ihrer Gesamtheit freilich wohl eine erschöpfende Darstellung erlauben würden. Wie stände es aber mit der Übersichtlichkeit, Lesbarkeit”und dem Umfang eines solchen Lehrbuches? Nathansohn fasst die Sache anders an; man kann sagen umgekehrt. Von der Erkenntnis ausgehend, dass etwa der Bau eines Blattes nicht verständlich ist ohne Kenntnis der Funktion und umgekehrt, ist die rein deskriptive Darstellung fast ganz ver- lassen und hat der ökologischen Durchdringung des gesamten Stoffes Platz gemacht. Freilich musste dabei eine Menge Tatsachen- material fortbleiben. Aber die Darstellung gewinnt an Lebendigkeit. Um den Geist des Ganzen zu charakterisieren, möchte ich sagen, es liest sich gut, eignet sich aber wenig zum Nachschlagen. Dem- entsprechend sind auch keine Literaturhinweise gegeben. Die zahl- reichen Abbildungen dürften meist gut gewählt sein. Nur die erste farbige Tafel ist "nicht sehr schön. Der Inhalt des Buches ist in zwei Hauptteile gegliedert, deren einer das vegetative Lehen, der andere die Fortpflanzung behandelt. Der erste umfasst als Unterabteilungen A. Die Ernährung als Grund- funktion des vegetativen Lebens, B. Die Vegetationsorgane der Algen, C. Den Bauplan der Vegetationsorgane höherer Pflanzen, D. Den Lebenslauf der Vegetationsorgane höherer Pflanzen. E. Die Orientierung der Vegetationsorgane im Raume, F. Den Bau der Vegetationsorgane unter besonderen Ernährungsbedingungen. Der zweite Hauptteil ist in folgender Weise angeordnet: A. Die Fort- pflanzung der niederen Pflanzen, B. Moose und Gefäßkryptogamen, C. Die Fortpflanzung der Blütenpflanzen, D. Die Beziehungen zwischen vegetativem Leben und Fortpflanzung. E. Die Vererbung. Diese Gruppierung spiegelt, besonders im ersten Teile, die eigenartige Behandlungsweise deutlich wieder. Ernst G. Pringsheim, Halle a. S. A. Wagner (Innsbruck). Vorlesungen über vergleichende Tier- und Pflanzenkunde. Zur Einführung für Lehrer, Studierende und Freunde der Naturwissenschaften. Gr. 8. VIII und 518 Seiten. Leipzig 1912. Verlag von Wilhelm Engelmann. Herr W. sagt in der Vorrede, dass er es als eine Notwendig- keit empfunden “habe, die wissenschaftlichen Probleme des Tier- und Pflanzenlebens in möglichster Parallele vorzuführen. In den Werken von O. Hertwig und Verworn sei dies zu einseitig ge- schehen. Sie behandelten fast nur die Physiologie der Zelle. Das Studium der Zelle bilde aber nur einen vorbereitenden Schritt zum Studium des Organismus. Man könne niemals zu einer richtigen Einschätzung der Lebenserscheinungen gelangen, wenn man nur die Zellfunktionen vergleichsweise betrachte, denn dort, wo die Zelle zugleich einheitlicher Organismus ıst, sind ihre Fähigkeiten zu beschränkt und zu wenig differenziert, als dass wir an ihr schon 1) en as System der Biologie“. Jena 1910. 606 Wagner, Vorlesungen über vergleichende Tier- und Pflanzenkunde. allein zu erkennen vermöchten, was der Begriff des Lebens alles in sich schließt. Diese Aufschlüsse gebe uns nur die vergleichende Betrachtung der Organiısationsstufen. Erst „retrospektiv“ erscheint dann auch die Zelle in anderem Lichte. Daraus ergebe sich zu- gleich die zweite Aufgabe, die er sich gestellt habe, aus den Grund- lagen der vergleichenden Betrachtung der Organisationsstufen pflanz- lichen und tierischen Charakters die Grundphänomene des Lebendigen wirklichkeitsgemäß und folgerichtig zu entwickeln. Ich kann dieser Beurteilung der „Zellphysiologie* und ihrer Identifizierung mit „allgemeiner Physiologie“ ım großen und ganzen um so mehr zustimmen, als ıch denselben Standpunkt immer ver- treten und ihn bei der Anzeige der ersten Auflage von Verworn’s allgemeiner Physiologie in ausführlicher Begründung Ausdruck ge- geben habe (vgl. dies Öentralbl. 1895, S. 587). Ich habe aber auch versucht, das, was ich unter „allgemeiner Physiologie“ verstehe, in meinem Lehrbuch der allgemeinen Physiologie (Leipzig 1901) zur Darstellung zu bringen. Das Buch scheint Herrn W. unbekannt geblieben zu sein. Eine Vergleichung seines Werkes mit dem meinigen wird natürlich trotz der Übereimstimmung in der Grund- tendenz wesentliche Unterschiede aufweisen. Namentlich zeigt sich, dass bei mir das Physiologische, die Vorgänge im lebenden Orga- ismus an der Hand der tatsächlichen Befunde, ım Vordergrund stehen und die Organisation als Grundlage für das physiologische Geschehen besprochen wird, während bei W. das Morphologische, wenn ich so sagen darf, also die Organisation selbst, im Mittelpunkt des Interesses steht, aus welchem, um mit ıhm zu sprechen, die „Grundphänomene des Lebendigen entwickelt“ werden. Auf Einzelheiten des Wagner’schen Buches einzugehen habe ich keine Veranlassung. Wo meine Anschauungen von den seinigen abweichen, würde meine Beurteilung vielleicht nicht unparteiisch genug ausfallen. Ich begnüge mich deshalb, um wenigstens anzu- deuten, was der Leser von dem Buch zu erwarten hat, die Kapitel- überschriften mitzuteilen. 1. Einleitung: Das Problem des Lebens. 2. Tier und Pflanze. Organisation. — 3. Protoplasma. Er- nährung der Tiere und Pflanzen. — 4. und 5. Die Beziehungen zwischen Ernährung und Organisation. — 6. Heterotrophe Ernährung. Sekretion. — 7. Stoffleitung. — 8. Stoffspeicherung und Stoff- umwandlung. — 9. Atmung. — 10. Bewegungsfähigkeit. Festigung. — 11. Bewegungsorgane und Bewegungsmechanismen. — 12. Irri- tabilität und Sensibilität. Sinnesfunktionen. — 13. Der Tastsınn der Tiere und Pflanzen. Der statische Sinn der Tiere. — 14. Der statische Sinn der Pflanzen. — 15. Der Lichtsinn der Tiere und Pflanzen. — 16. Der chemische Sinn der Tiere und Pflanzen. — 17. All- gemeine Reizgesetze. Reizleitung der Pflanzen. — 18. Regulations- organe und Reflexe der Pflanzen. Zentralisation der Funktionen. Psyche. — 19. Bedürfnis, Zwecktätigkeit und Zweckmäßigkeit. —. Zusätze und Anmerkungen. J. Rosenthal. V erlag von Georg Thieme in n Leipzig, , Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Biologisches Gentralblatt, Unter Mitwirkung von Dr. K. Goebel und Dr.R. Hertwig Professor der Botanik Professor der Zoologie in München, herausgegeben von Dr. J. Rosenthal Prof. der Physiologie in Erlangen. Der Abonnementspreis für 12 Hefte beträgt 20 Mark jährlich. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen und Postanstalten. Die Herren Mitarbeiter werden ersucht, alle Beiträge aus dem Gesamtgebiete der Botanik an Herrn Prof. Dr. Goebel, München, Luisenstr. 27, Beiträge aus dem Gebiete der Zoologie, vgl. Anatomie und Entwickelungsgeschichte an Herrn Prof. Dr. R. Hertwig, München, alte Akademie, alle übrigen an Herrn Prof. Dr. Rosenthal, Erlangen, Physiolog. Institut einsenden zu wollen. Bes Dezember 1912 x 12. Inhalt: Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. — Awerinzew, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte von Lagenophrys sp... — Zacharias, Eine neue Varietät des Pferdespulwurms. — Reum, Zur Biologie der Gattung Microgaster Latr. — Peter, Ver- suche über das Hörvermögen eines Schmetterlings (Endrosa var. ramosa). —P. v. Lieber- mann, Über das Wesen des Vokalklanges. — L. v. Liebermann, Uber Resistenzänderungen der roten Blutkörperchen gegen hypotonische Salzlösungen bei Krankheiten und unter dem Einfluss versehiedener Gifte. Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. Von Dr. Ernst Voges. T: Den folgenden Betrachtungen liegen die Regenerationserschei- rungen an den Hagelschlagwunden von Holzgewächsen zugrunde, worüber an anderer Stelle berichtet wird. Hier seien zum Ver- ständnis unserer allgemeinen Darlegungen nur ganz kurz einige Hauptergebnisse der Untersuchungen aufgeführt: Gegenüber den normalen Gewebe- und Organbildungen zeigt sich bei den Regene- rationsvorgängen, welche auf den Ersatz der geschwundenen oder abgestorbenen Gewebepartien und Organteile abzielen, neben einer weitgehenden Zellenverkorkung und der geringeren Differenzierung der neu entstehenden Gewebemassen die Bildung neuer Gewebs- elemente, die im normalen Gewebskörper des verletzten Holz- gewächses nicht vorkommen. Sodann sehen wir die Entstehung eigener Schutzgewebe in Gestalt von Korkzellagen, ferner die Be- teiligung ganz ungleicher Gewebearten an dem Aufbau des Regene- rats, also die infolge der Verwundung bewirkte Auslösung latenter Zellvermögen und weiter das auffällige Verhalten der Markstrahlen, die im Verein mit den Holzparenchymzellen durch Teilung und XXXI. 16 698 Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. durch ein hypertrophisches Wachstum ihrer Zellen ein Markstrahl- zellengewebe entstehen lassen. Durch radiale und tangentiale Teilungen der großen Frucht- fleischzellen der durch Hagelschlag verletzten Birnfrucht entsteht ein in seinen Zellelementen radıär angeordnetes Wundkorkgewebe. Es tritt ferner in der Hagelwunde dieser Frucht zu der Korkzelle die Sklerenchymzelle, welche direkt aus der Fruchtfleischzelle her- vorgeht und, mit jener verbunden, ein Kork-Sklerenchymgewebe bildet, so zwar, dass die nach der Wundfläche gerichteten Zellradien im vorderen Teile aus Korkzellen und im hinteren Teile aus Skleren- chymzellen bestehen. Zuweilen kommen daneben auch parenchyma- tische Zwischenzellen vor. Ebenso gehen die Sklerenchymzellen in dem regenerierten Riındengewebe der Hagelschlagwunden von Pomaceen unmittelbar aus den Rindenparenchymzellen und aus Markstrahlzellen des Rindenteils hervor. Die Sklerenchymbündel treten dann in Gemeinschaft mit den Bastfaserbündeln zu einem geschlossenen mechanischen Bündelringe zusammen. Ein inter- essantes Vorkommnis, als hier ein Organ in einem regenerierten Gewebekörper auftaucht, welches dem normalen Rindenkörper unserer Pomaceen fehlt, während es bei zahlreichen anderen Holz- gewächsen vorhanden ist. Das regenerierte Perideum hat wie das normale wohlausgebildete Lentizellen. Andere Eigenartigkeiten des Regenerats bestehen in dem zahlreichen Vorkommen von Chromo- plasten und Kalkoxalat in den Rindenzellen sowie isolierter Bast- faserbündel und Holzkörper ım Rindengewebe. Am auffälligsten aber reagierte der pflanzliche Organısmus auf die Hagelschlagver- letzungen durch Markstrahlzellgewebswucherungen. Sind die nor- malen Markstrahlzellen meist langgestreckt und tafelförmig, so erscheinen die Zellen der abnormalen Markstrahlen viereckig, keil- förmig, länglich, tangential gestreckt und von ganz unregelmäßiger und absonderlicher Gestalt. Ihre Wandungen haben einfache, runde Tüpfel. Die trachealen Gewebselemente zeichnen sich durch große längliche Tüpfel aus. In dem wimmerigen oder maserigen Wundholze kommen kurze, tonnenartige Tracheiden mit länglichen Tüpfeln vor, die quer zur Längsachse gestellt sind. Ebenso mit Hoftüpfeln mit Längsspalt parallel zur Längsachse der Tracheide. Die verbogenen Fasertrachoiden haben Hoftüpfel. Diese Knäuelbildung der Holzelemente führen bekanntlich Vöch- ting und Mäule auf die Polarität der Zellen zurück, während nach der älteren Ansicht das Vorhandensein zahlreicher Adventivknospen den Faserverlauf bedingt. Frank!) wiederum ist der Anschauung, dass Maserholz auch ohne Beteiligung von Adventivknospen oder sonstigen dem Cambium fremden Körpern, nämlich durch eine 1) A.B. Frank, Die Krankheiten der Pflanzen. Breslau 1885, I. Bd., S. 84. Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. 599 bloß vom Cambium ausgehende veränderte Zusammensetzung des Holzes, insbesondere durch Verbreiterung der Markstrahlen ent- stehe. — Soviel über unser Tatsachenmaterial! 1. Auf dem biologischen Forschungsgebiete begegnen wir zweien Richtungen, die bemüht sind, die ursächlichen Zusammenhänge der Erscheinungen und Wirkungsweisen aufzudecken. Das ist die mechanistische und die vitalistische Erklärungsart. Aber, ob uns die eine oder die andere begleitet auf dem so verheißungsvollen Pfade zur Erforschung des inneren Wesens der Dinge: gar bald sind wir mit unserer Erkenntnis zur Selbstbescheidung an das Ende gelangt. Und das gerade bei den Regenerationserscheinungen, wo der Organismus in der Entfaltung der Kräfte sich von einer anderen als der gewohnten Seite offenbart, wo er nach Eingriffen in seine Organisation gewisse Reaktionen zeigt, die morphologisch und phy- siologisch von seinem normalen Verhalten abweichen, wo er poten- tielle Energien entwickelt, die unter den gewöhnlichen Lebens- verhältnissen nicht zutage kommen. So werden aber andererseits die Regenerationserscheinungen zur Quelle einer erweiterten Er- kenntnis in das wechselvolle Spiel der Lebensvorgänge des Orga- nismus, wobei sich neue Konstellationen zeigen, die unsere bis- herigen Auffassungen über morphologische Struktur und physiologische Funktion, über spezifische Eigenschaften und Vermögen der Zellen, Gewebe und Organe oft wesentlich berichtigen. Unsere Einsicht in die Entstehungs- und Differenzierungsweise der regenerierten Gewebe nach ihren treibenden Kräften ist nur sehr beschränkt. Wir erhalten, so bemerkt Simon?) mit Recht: „ja kein reines Bild von den Wirkungsweisen der einzelnen Fak- toren auf die Gewebsdifferenzierung, sondern, was wir sehen, wird stets eine Kombination der Effekte von äußeren und inneren Be- dingungen bleiben“. — Woher kommt es, um mit einer der zahl- reichen Fragen zu beginnen, die sich bei unserer Untersuchung aufdrängen, woher kommt es, dass bei Verletzungen des Holzkörpers das Markzellengewebe nicht seinesgleichen, sondern grundverschie- dene Gewebearten entstehen lässt, genau wie sie das Bedürfnis des pflanzlichen Organismus in dem jeweiligen Falle verlangt? Das ın der darwinistischen Literatur viel zitierte Pflüger’sche Kausalgesetz, wonach „die Ursache jedes Bedürfnisses eines lebenden Wesens zugleich die Ursache der Befriedigung des Bedürfnisses ist“, gibt, was auch schon Winkler?) hervorhebt, für solche Erscheinungen 2) Experimentelle Untersuchungen über die Differenzierungsvorgänge im Callus- gewebe von Holzgewächsen. In: Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 45, 1908. 3) Über die Umwandlung des Blattstieles zum Stengel. In: Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 45, 1908, S. 61. 46* (00 Voges, Allgemeine Betrachtungen und Regenerationsvorgänge. keine kausale Erklärung, sondern nur die Feststellung eines tatsäch- lichen Vorgangs. Wie ın unserem Falle, so stellt sich durch die Hagelschlagverletzung im Organısmus das Bedürfnis nach Ersatz der vernichteten Körperteile ein, wenn anders jener nicht durch Gefolgschädigungen zugrunde gehen soll. Die Verletzung ist also die äußere Ursache zu dem Bedürfnis und zugleich die Ursache, dass dieses befriedigt wird. Aber mit der Konstatierung dieser Tatsachenaufeinanderfolge wird ihre innere kausale Verknüpfung gar nicht berührt. Welches sind denn nun die causae efficientes, dass das Markzellengewebe nicht gleichartige, sondern ungleichartige Abkömmlinge hervorbringt, entsprechend dem vorliegenden Bedürfnis? Die Tatsache, dass die Markzelle nicht nur Abkömmlinge gleicher, sondern auch ungleicher Art in die Welt schickt, dass eine mor- phologisch und funktionell schon differenzierte Zelle ihren Charakter unter gewissen äußeren Bedingungen ändern und mit bis dahin latentem Vermögen hervortreten kann, diese Erscheinung ist zwar aus der Vererbung erklärbar, wonach die ım Laufe der phylogene- tischen Entwickelung erworbenen morphologischen und physio- logischen Eigenschaften, wie sie in den verschiedenen Gewebe- arten vorliegen, auch dem Plasma der Markzellen inhärent blieben. Aber wenn wir auch annehmen, dass diese Energien durch die schädigenden Eingriffe ın den Bestand des Organısmus ausgelöst werden, so bleibt uns doch die Art des Reagierens des Organismus, weshalb so und nicht auch in einer anderen Weise, ganz unver- ständlich. Die Notwendigkeiten hierfür entziehen sich vollständig unserer Einsicht. Wir kommen nur zu immer neuen Fragestellungen. Wir sehen, wie die Zellen und der Gesamtorganismus bei abnor- malen Lebensbedingungen nach dem Effekt zweckmäßig handelt, wie bei Verletzungen ein Wundverschluss gegen weitere Schädi- gungen zustande kommt, indem sich die Gefäße mit Wundgummi verschließen, die Gewebselemente des Rinden- und Holzkörpers ihre Membranen verdicken oder Suberinlamellen ablagern, ferner wie unterhalb der abgestorbenen Zellen die lebenden ein Schutzgewebe in Gestalt eines neuen Periderms bilden und wie dann aus dem neu entstandenen Wundgewebe sich die einzelnen Gewebearten differenzieren. Alles Vorgänge, welche zwar die mechanistische Erklärungsweise auf Reizwirkungen zurückführt. So sagt Simon‘) über die Entstehungsweise der Leitungsbahnen: „Die junge, in der Entstehung begriffene Anlage übt auf die in der Verlängerung ihrer Längsachse liegenden Calluszellen einen Reiz aus, der diese ver- anlasst, Leitungsbahnen auszubilden. Die Reaktion der Calluszellen auf diesen Reiz äußert sich zunächst in einer Teilungstätigkeit, die zur Anlage eines kurzen Procambiums führt. Mit dem schnelleren I) A.a. O,, S. 366. Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. ‘ol Größerwerden der Anlage aber erreicht der Reiz bald eine solche Höhe, dass die in der Calluszelle vorhandene Fähigkeit, sich direkt zur Tracheide resp. Trachee umzuwandeln, realisiert wird.“ Allein, wir sind in Verlegenheit, wenn wir sagen sollen, worin denn dieser Reiz besteht, welcher die Calluszellen zur Bildung un- gleichartiger Gewebselemente nötigt; wir sind ratlos, was wir uns darunter vorstellen sollen. Wenn von der Höhe eines bestimmten Reizes die Entstehung der Trachee abhängt; was bewirkt denn, dass diese Höhe erreicht wird? Und was geschieht, falls die Steigerung nicht erfolgt? Kommt es dann überhaupt zu keiner Gewebsdifferenzierung? Und weshalb entsteht das eine Mal auf einer Reizhöhe eine Tracheide und das andere Mal als Produkt der Nachbarzellen eine Holzparenchymzelle oder Fasertracheide? Sind es wechselnde Grade desselben Reizes oder unterschiedliche Reizqualı- täten, die sie entstehen lassen? Und worin bestehen diese verschie- denen Reizqualitätern, worauf beruhen sie? Aufall diese Fragen ver- mögen wir keine Antwort zu geben. Was willes besagen, wenn es bei Küster?) im entwickelungsmechanischen Sinne heisst: Die unter- schiedliche Ausbildung der Procambialstränge im Stengel der Mono- cotyledonen zu mechanischen oder zu Leitbündeln hängt ursächlich gewiss mit der Lage des betreffenden Stranges und mit seiner Ent- fernung von der Oberfläche des Achsenorgans zusammen. Sind erst einmal aus dem homogenen Urmeristem heterogene Gewebs- schichten entstanden, so werden sie sich gegenseitig mechanisch wie chemisch (durch ihre Stoffwechselprodukte) beeinflussen und die Ausbildung weiterer Mannigfaltigkeit bedingen.“ Das ist doch, mit Verlaub, schwerlich eine entwickelungsmecha- nische Erklärung der Gewebsdifferenzierungsvorgänge! Eher doch wohl ein Rückschluss, den wir in diesem Falle machen, indem wir uns im Zirkel drehen: wir kennen die topographische Verteilung der ausgebildeten Gewebesysteme im Achsenorgane, ihre Lageverhältnisse zueinander. Und man schließt nun, dass mit dieser ihrer bestimmten und ungleichen Lagerung die ungleiche Aus- bildung ihrer procambialen Anlagen zusammenhängt! Aus der Lagerung der Gewebesysteme, ihrem örtlichen und zeitlichen Auf- treten im Achsenorgane, lässt sich entwickelungsmechanisch auch kein Gesetz ableiten, höchstens eine Regel. Denn die Gewebs- regenerationen bei Verwundungen werfen jenes über den Haufen. Als gesetzmäßig hatten wir bislang erkannt, dass die Korkzelle aus der Epidermiszelle hervorging und nicht umgekehrt. Jetzt aber fand Vöchting®) an regenerierten Geweben des Kohlrabi, dass die 5) Aufgaben und Ergebnisse der entwickelungsmechanischen Pflanzenanatomie. In: Progr. rei botanicae, Bd. 1I, 1908, S. 519. 6) Untersuchungen zur experimentellen Anatomie und Pathologie des Pflanzen- körpers. Tübingen 1908, S. 78. 02 Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. Epidermis aus Kork entstehen kann! Wenn man sodann mit Küster die Mannigfaltigkeit der Gewebeschichten auf ihre gegen- seitige mechanische und chemische Beeinflussung mit zurückführt, so ist das gewiss in mancher Hinsicht zutreffend. Experimentell ist der Einfluss des Druckes, der Schwerkraft, des Lichts, der Wärme, der Elektrizität, der Luftfeuchtigkeit, des Wasserkontaktes und der verschiedenartigsten chemischen Reagentien auf das Wachstum und die Ausbildung der Gewebselemente erwiesen. Aber all die tat- sächlichen Feststellungen geben uns noch keinen aufklärenden Ein- blick in die ursächlichen Zusammenhänge der Entstehungsweisen und Differenzierungsvorgänge der verschiedenartigen Gewebe. Woher kommt es, dass unter anscheinend äußerlich gleichen Bedingungen im regenerierten Rindengewebe unmittelbar neben den Bastbündeln noch Sklerenchymbündel entstehen, die im normalen Gewebe fehlen ? Welcher Art sind die mechanischen oder chemischen Einwirkungen, dass nach Verletzungen des Achsenorgans nun Bastbündel von Korkzellenwällen umgeben werden und Holzkörper ın der Rinde erscheinen? Wie ist es zu erklären, dass bei dem Verwachsungs- prozesse der aufeinander treffenden Callı die gleichartigen Gewebs- elemente sich derartig miteinander verbinden, dass selbst die Tüpfel in den gegenseitig aufeinander stoßenden Membranen. der Zellen miteinander korrespondieren? Welche mechanischen oder chemischen Bedingungen, welche Tropismen sind es, die hier für die aufeinander zukommenden Protoplasten die Orientierung bewirken, dass die Tüpfelbildung ın den Zellwänden der gegeneinander wachsenden Zellen gleichsinnig wird? Selbst da, wo bestimmte Wachstumsvorgänge und Gewebs- bildungen eine kausale Erklärung in gewissen äußeren Faktoren fänden, also ein mechanischer Kausalnexus nachweisbar ist, selbst da geraten wir noch zu Widersprüchen bei ein und derselben Er- scheinungsweise. So sagt H. Winkler’): „Zwischen der Tran- spirationsgröße und dem Maße der Gefäßbildung besteht eine strenge Proportionalität, die den Gedanken an einen kausalen Zu- sammenhang zwischen beiden Erscheinungen nahelegt. — Die Tran- spiration beeinflusst die Qualität des Zuwachses in dem Sınne, dass er gefäßreicher wird.“ — Allein, die Gefäßbildung im Wundholz der Hagelschlagwunden der Pomaceen ist mit dieser sonst gewiss zutreffenden, aus dem experimentellen Ergebnis abgeleiteten Regel nicht in Einklang zu bringen. Das eine Mal erscheinen in dem Wundholz überhaupt keine oder nur ganz englumige Gefäße, das andere Mal waren in der gleichen an den Rindenkörper grenzenden Wundholzpartie die Gefäße größer, als ım normalen Holze. Die Wunden waren in der gleichen Zeit entstanden und untersucht. 7) Ara. 0.,.S- 68. Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. 103 Auch de .Vries°) berichtet über gleiche Anomalien: „Das langzellige faserlose Wundholz besteht aus Holzparenchymfasern und engen Gefäßen, welche gewöhnlich anscheinend ohne Regel miteinander gemischt sind. Bald besteht es hauptsächlich aus Holzparenchym mit nur wenigen Gefäßen. Bald herrschen die Gefäße mehr oder weniger vor, nicht selten fast bis zum gänzlichen Ausschluss des Holzparenchyms. Diese Unterschiede mögen oft in der Natur der Spezies begründet sein, oft aber sind sie dies entschieden nicht. So zeigte Po Rs canescens in einem Ende Mai verwundeten Zweige Be nur enge Gefäße ım faserfreien Wundholze, während ein Mitte August verwundeter Zweig desselben Baumes in demselben Gewebe sehr viel Holzparenchym zwischen den Gefäßen erkennen ließ.“ — Wie Winkler’) dann weiter ausführt, so dürften wir uns den Vorgang der Gefäßbildung nach Bedarf etwa so vorstellen, dass die unmittelbar an tätige Gefäße grenzenden lebenden Zellen, die ja vielleicht selbst direkt an der Wasserleitung aktiv beteiligt seien, Zustandsveränderungen erfahren, die mit der Größe des von den (Gefäßen transportierten Wasserstromes schwanken und die sich durch die benachbarten lebenden Zellen bis zum Cambium fort- pflanzen und hier die Oambiumzellen in einen Zustand versetzen, der die Entstehung einer Gefäßtochterzelle zur Folge habe. Als Reizleiter spricht Winkler besonders die Markstrahlen an, die ge- wissermaßen das Cambium zu orientieren hätten über das Bedürfnis. Der ganze Vorgang verlaufe rein mechanisch und nicht etwa so, dass die Cambiumzellen nun je nach der Art des ihnen zugeführten Reizes „entschieden“, ob es zweckmäßig oder nicht sei, unter den gegebenen Bedingungen eine Gefäßzelle oder ein anderes Element zu liefern. — Also auch hier soll durch die stärkere Inanspruchnahme der Leitungsbahnen ın den benachbarten Protoplasten der Gefäße ein Reiz ausgelöst werden, der sich durch die Markstrahlen nach den Cambiumzellen fortpflanzt, die nun ihrerseits daraufhin Gefäße ent- stehen lassen. Aber auch hier müssen wir fragen: Was ist denn das für ein Reiz, welcher die Cambiumzellen nun nötigt, für den in Aussicht stehenden gesteigerten nel a die er- forderlichen Gefäße zu produzieren und nicht etwa Fasertracheiden oder Holzparenchymzellen? Was wir uns nach mechanischen Prin- zipien bei der ganzen Reizwirkung vorstellen können, das ist eigent- lich letztinstanzlich recht wenig; nämlich: durch die stärkere Inan- spruchnahme der Leitungsbahnen wird auf die Nachbarzellen der (refäße ein erhöhter Druck und durch das größere Wasserstrom- quantum, welches an oder durch die Protoplasten gehe, wırd diesen $) Über Wundholz. In: Flora, 59. Jahrg, 1876, S. 84. 9) A, 08,79, 104 Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. zugleich ein größeres Stoffquantum zugeführt, was beides gewisse Zustandsänderungen oder Störungen des bisherigen molekularen Gleichgewichts und eine andere Konstellation verursacht, welche, von den Markstrahlen als Reiz auf die Cambiumzellen übertragen, diese zu einer Gefäßproduktion veranlassen! Es wird gewiss jeder eingestehen, dass dies denn doch nur eine recht willkürliche und rohe Anschauungsweise ist über die zweckmäßige Handlungsweise des pflanzlichen Organismus, der zur Befriedigung eines sich zeit- weilig einstellenden Bedürfnisses besondere hierfür geeignete Organe bildet! Aber wir sind nach unserem heutigen Wissen außerstande, eine tiefere Erkenntnis ın das Wesen der Reizqualitäten — und verschiedene Qualitäten muss die mechanistische Erklärungsmethode schon annehmen — zu gewinnen. Gewiss, wir sprechen wohl vom Wundreiz, der durch einen mit Substanzverlust verbundenen Eingriff in das lebendige Gefüge des Organismus hervorgerufen wird, wobei durch die Wunde bisher eingeschlossene Gewebeteile freigelegt und Wachstumswiderstände aufgehoben werden. Aber die Anschauungen hierüber sind bei weitem nicht geklärt. M. Verworn!®) definiert Reiz ganz allgemein als eine Veränderung in den äußeren Lebensbedingungen. Und die Reize, deren man mechanische, chemische, thermische und elek- trische unterscheidet, beeinflussten die Intensität des normalen Lebens- prozesses der Zellen, indem sie entweder eine Steigerung desselben, oder eine Herabsetzung, eine Lähmung herbeiführen. Erregung und Lähmung des Stoffwechsels der Zellen, so lautet nach Verworn das allgemeine Gesetz der Reizwirkungen, sind die fundamentalen Ursachen der ganzen Fülle mannigfaltiger Reizerscheinungen am Organısmus. Sodann wieder unterscheidet man eine funktionelle, eine nutritive und eine formative Reizung der Zellen. Bei der funktionellen Reizung ist die Funktion gesteigert, bei der nutritiven das Zellenwachstum, bei der formativen die Zellvermehrung. Die nutritive und formative Zelleistung fasst C. Weigert") unter dem Namen der bioplastischen Prozesse zusammen. Der Umstand, dass nach äußeren Eingriffen Zellwucherungen entstehen, genügt nach Weigert jedoch nicht, um es als selbstverständlich zu be- trachten, dass diese durch den äußeren Eingriff selbst angeregt würden, dass es also direkte äußere bioplastische Reize gebe. Driesch!?) sieht nicht in der Wunde den auslösenden Faktor für eine Regeneration, sondern in der gestörten Kommunikation der 10) Erregung und Lähmung. In: Verhandl. d. Gesellsch. d. Naturf. u. Ärzte, 1896, S. 76. 11) Neue Fragestellungen in der pathologischen Anatomie. In: Verhandl. d. Gesellsch. d. Naturf. u. Ärzte, 1896, 8. 123. 12) Die organischen Regulationen. Vorbereitungen zu einer Theorie des Lebens. Leipzig 1901, S. 62. Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. 105 Gewebe. Auch Nemec!?) hält den Wundreiz nicht für das Wesent- liche zur Hervorrufung der Regenerationsvorgänge. Wäre er dies, so müsste eine stärkere Verwundung auch eine Beschleunigung der Regeneration bewirken, was nicht der Fall sei, weshalb die Ver- wundung nicht das Wesentliche wäre. — Allein, so ohne weiteres ist nicht einzusehen, wie von der Stärke der Verwundung die Energie der Regeneration abhängen sollte. Oder, was dasselbe sagt: je stärker der Wundreiz, desto beschleunigter die Regeneration! Um zu einer solchen Ansicht zu kommen, da müsste man das, was den Wundreiz ausmacht, in allen seinen Einzelheiten kennen. Wohl aber sagt uns eine aus der Er- fahrung abgeleitete allgemeine Erwägung, dass Reizgrad und Effekt in einem gewissen Verhältnis zueinander stehen, dass Schwell- und Grenzwerte für sie vorhanden sein müssen. So vermag der ther- mische Reiz die Bewegungen zahlreicher Protozoenformen zu steigern. Überschreitet er ein gewisses Maß, so erfolgt jedoch Bewegungs- losigkeit und die Wärmestarre bei den een Wird also eine bestimmte Reizhöhe überschritten, so tritt das Entgegengesetzte ein von dem, was ein schwacher Reiz bewirkte. Einmal ange- nommen, die Regenerationsenergie hänge von der Stärke der Ver- wundung ab, wie das insofern bei dem tierischen Organismus zu- trifft, als experimentell festgestellt wurde, dass die Regeneration !*) eines Armes eines Schlangensternes schneller erfolgte, wenn gleich- zeitig mehrere Arme entfernt wurden, so ist übrigens hieraus, weil bei einer stärkeren Verwundung die Regeneration schneller vor sich geht, als bei einer schwächeren, die Schlussfolgerung doch noch nicht berechtigt, dass die Verwundung an sich allein der eigent- lich auslösende und betreibende Faktor der Regeneration sei. Und ebensowenig dürften wir argumentieren: weil die Regenerations- energie unabhängig von der Stärke der Verwundung ist, kann des- halb der Wundreiz nicht der auslösende Faktor der Regeneration sein. Denn es ist sehr wohl denkbar, dass der Verlauf der Re- generation von ganz anderen Umständen abhängt, als ihre Ingang- setzung. Durch den Eingriff in den Lebensmechanismus, der zu- nächst eine Störung des bisherigen normalen Zustandes bewirkt, indem anderweitige Stoffumlagerungen durch veränderte Bewegungen sich vollziehen, durch einen solchen Eingriff sind die an den Stoff gebundenen potentiellen Energien im Organismus geweckt, es sind gleichsam gewisse Spannungen ausgelöst, wodurch das Lebenstrieb- werk zu besonderen Leistungen angeregt wird, die auf die Er- gänzung des Substanzverlustes und auf Behebung der Störung 13) Studien über Regeneration. Berlin 1905. Nach einem Zitat im Sammel- referat von W. Magnus: Regenerationserscheinungen bei Pflanzen. In: Naturw. Wochenschr. Nr. 40, 1906. 14) E. Korschelt, Regeneration und Transplantation. Jena 1907, S. 147. 06 Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. hinauslaufen. Das aber wieder sind gesonderte Vorgänge, die nichts mehr mit dem Wundreiz an sich zu tun haben. Ebenso- wenig wie Feuchtigkeit und Wärme mit dem Keimungsprozess, obwohl sıe erst die im Samenkorn schlummernden Energien wecken, dass sıe zur Auslösung gelangen. Jene latenten Vermögen der Zellen können aber nur zur Betätigung kommen, wenn der Anstoß dazu durch eine Verwundung gegeben ist. Und insofern ist sie tat- sächlich der auslösende Faktor für eine Regeneration. Das erste Glied ın der komplizierten Gleichung der Regenerationsvorgänge, die ohne diesen Reiz nicht zur Aufstellung ın der Natur käme. Aber nicht nur auf ihre Aufstellung, sondern auch auf die Art ihrer Lösung hat die Verwundung im gewissen Sinne einen be- stimmenden Einfluss. Insofern nämlich, als von dem Umfang und der Art der Verwundung auch die Art der Regenerationsvorgänge abhängt. Jede Verwundung setzt sich aus Einzelver- wundungen zusammen. Je nachdem, welche Zellen, welche (Gewebe und Organe im Pflanzenorganısmus getroffen und wie sie verletzt sind, je nachdem zeigt sich, da die einzelnen Zell- und (Gewebearten eine bestimmte Selbständigkeit besitzen, auch ein un- gleichartiges Reagieren. Und aus diesen ineinander greifenden Einzelreaktionen setzt sich der Komplex der Regenerationsvorgänge zusammen. Ob Längs- oder Querwunde, ob nur das Oberhaut- gewebe, oder das Gollenchym, das Rindenparenchym mit den Bast- bündeln, ob das Cambium oder das Holzgewebe in seinen inneren Teilen bis zum Mark hat Eingriffe erlitten, ob bei der Wurzel das Pericambrium oder das exile Gewebe verletzt, das ıst mitbestimmend für den Verlauf der Regenerationsvorgänge. Ist, nachdem durch diesen zerstörenden Eingriff ın die bisherigen Organısationsverhält- nisse auch die äußeren Lebensbedingungen, unter denen bislang der Stoffwechsel, die Assımilation, Respiration und all die mannig- fachen Oxydationsprozesse vor sich gingen, eine Veränderung er- fahren haben, mitbestimmend für das jetzt anhebende Wechselspiel der gegenseitigen Beeinflussung der Zellen und Gewebe unter sich. Ob man bei dieser gegenseitigen Beeinflussung, vor allem durch Druck und Nährstoffvorwegnahme, wodurch ein ungleiches Wachs- tum und ungleiche Formengestaltungen sowie Lageverschiebungen der Gewebselemente, stellenweise eine Beengung in der freien Ent- faltung der in jeder lebenden Zelle enthaltenen Energien bedingt werden, ob man hierin nun einen Kampf der Teile mit Roux zu erblicken hat, welcher um die Erlangung der günstigsten Daseins- bedingungen zwischen den verschiedenen Zellorganisationen ent- brennt, das erscheint mir doch fraglich. Bestände ein solcher Kampf unter den Elementen eines Gewebeverbandes, so wäre das gleichbedeutend mit anarchistischen Zuständen ım Zellenstaate, während doch ein gleichsinniges Zusammenwirken der verschieden- Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. 107 artigen Zellen- und Gewebsverbände die notwendige Voraussetzung für die Bestandsicherung des Gesamtorganismus ist. Sonst müsste man annehmen, dass über dem Kampfe der Teile eine Regulation stände, die verhütete, dass durch ihn nicht der Gesamtbestand, der ganze Organismus gefährdet wird. Aber wer oder was ist es denn nun, .das regulatorisch eingreift, damit nicht der wüste Kampf der Teile mit dem Untergang des Ganzen endet? Auch hier stehen wir wieder vor dem großen Rätsel des Lebens, das uns überall entgegentritt, sobald wir den Endursachen des Wirkens in der Natur nachgehen und uns nicht mit Umschreibungen der Erschei- nungen und Vorgänge begnügen. Wollen wir sodann mit Goebel®’) aus den qualitativen Unter- schieden in den organbildenden Baustoffen, insonderheit aus der Po- larität der Zellen und aus der dadurch bedingten verschiedenartigen Stoffstromrichtung die Neubildung und richtige Lagerung der Ersatz- teile nach einem Substanzverlust erklären, oder mit Morgan, Noll und Przibram generell die Gleichgewichtsstörungen oder Spannungs- differenzen in der Materie dafür regenerationsanregend und regu- lierend ansprechen, so geben diese Erklärungsversuche neben neuen erweiterten Ausblicken auf dem Felde der Naturerkenntnis aber auch zugleich neue Probleme: die Regenerationsgleichung ist eben nicht gelöst! Dass, wie Goebel und andere Forscher annehmen, die Qualität der plastischen Stoffe bei der Art der Organbildung eine ausschlaggebende Rolle spielt, und nicht die Quantität, wie Klebs und Magnus meinen, dieser Anschauung möchten auch wir uns anschließen. Wenn Magnus!) glaubt, es seien „in letzter Hinsicht die Ernährungsbedingungen, die die Anlage resp. Um- differenzierung der Anlage dieses oder jenes Organs bedingen“, so hat schon Weigert!”) in etwas drastischer Weise bemerkt, dass noch niemals durch viel Futter ein Mops in einen Neufundländer verwandelt sei. Die Ernährungsbedingungen haben sicherlich einen bedeutenden Einfluss auf die Ausgestaltung der Gewebe- und Organanlagen. Aber bestimmend, so etwa, dass von der Quantität der Nährstoffe die Gewebe- und Organdifferenzierung abhinge und die Unterschiede in den Nährstoffmengen auch Unterschiede in den Zellgeweben be- wirkten und die eine Gewebeart in die andere überführten, das ist doch wohl nicht der Fall. Zwar hat besonders G. Klebs!*) gezeigt, dass bei Blütenpflanzen sowie bei Algen und Pilzen von der Kon- zentration des Nährmediums das vegetative bezw. das fruktifikative 15) Nach einem Sammelreferat von Werner Magnus, Regenerationserschei- nungen bei Pflanzen. In: Naturw. Wochenschr., Nr. 40, 1906. 10) Aa: 1772220. 18) Uber Probleme der Entwickelung. In: Biol. Centralbl., 1904. 108 Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. Wachstum abhängt. Allein, dem stehen auch zahlreiche Versuche gegenüber, zumal Kulturversuche mit Pilzen, die dartun, dass trotz der verschiedensten Nährmedien in den wechselndsten Konzen- trationen, dass trotz aller Kombination und Variation dieser äußeren Lebensbedingungen die betreffenden Pilze zu keiner Fortpflan- zung und in anderen Fällen zu keinem vegetativen Wachstum nach der Keimung zu bringen waren. Hier entschied also nicht „die Außenwelt, ob überhaupt und zu welcher Zeit und in welchem Grade die Fortpflanzung an Stelle des vegetativen Wachstums tritt“1°). Ein einzelner Lebensfaktor kann in seiner quantitativen Steigerung oder Herabsetzung wohl den Organısmus vernichten, jedoch nicht einzig und allein Organteile gestaltend schaffen. Die schöpferische Gestaltung ist erst dem Zusammenwirken der ver- schiedenen Lebensfaktoren möglich! Übrigens hebt auch Klebs „den notwendigen Zusammenhang jeder Formbildung mit bestimmten äußeren und inneren Bedingungen“ ausdrücklich hervor. Und er betont ferner, dass das Problem der Form ein ganz allgemeines Problem der Naturwissenschaft sei, das im letzten Grunde erkenntnis- theoretischer Art und für uns unlösbar wäre, eine Ansicht, der man nur zustimmen kann. Welcher Art die Vorgänge im Inneren der Zellen indes sind, die eine Um- oder Neubildung von Formen, einen gestaltenden Prozess an der Pflanze zunächst einleiten, ob sie auf quantitativen oder auf qualitativen Änderungen der inneren Bedingungen zur Herbeiführung der Formenbildungen beruhen — das entzieht sich unserer Wahrnehmung. Wo aber mit jedem Jahre neue organische Verbindungen nachgewiesen werden, ihre Zahl gleichsam in das Ungemessene wächst bei einem toten Ma- terial, um wieviel mehr haben wir da Ursache, anzunehmen, dass im lebenden Organismus als einem System stetig sich verändernder Massen die Lebensprozesse wie Wachstum und Fortpflanzung nicht nur auf quantitativen, sondern weit mehr noch auf qualitativen Änderungen der inneren Bedingungen beruhen. Wären nur die Ernährungsbedingungen maßgebend für die Anlage und Ausbildung der Organteile, so müsste sich das auch an dem Verhalten der Regenerate der Hagelschlagwunden zeigen. Aber die mit Wunden übersäten Zweige der Bäume im nährstoff- reichen Boden wie jene im nährstoffarmen Erdreich bekundeten bei dem Wundheilungsprozess ein gleiches Verhalten. Ebenso ver- mag ich keinen Umstand zu finden, der dazu nötigte, die Ab- wegungen von den normalen Gewebebildungen und Wachstumsweisen des Organismus im Regenerationsprozess: wie Sklerenchymbildung, die direkte Umwandlung von Rindenparenchymzellen in Skleren- chym- und in Bastzellen, die Wucherung der Markstrahlzellen in IO)EA. a0, DE 008: Voges, Allgemeine Betrachtungen tiber Regenerationsvorgänge. 709 den Hagelschlagwunden, also Zellen- und Gewebs-Umordnungen und Umdifferenzierungen nach Roux nur auf Ernährungsbedingungen zurückzuführen. Auch unter den infolge der Verletzung veränderten Ernährungs- und Wachstumsbedingungen kommt es stets wieder zu einer Periderm-, Rinden- und Holzgewebebildung unter Ein- lenkung in die normalen Bahnen der Organisationsentwickelung. Wenn nun die Ungleichartigkeit der Baustoffe sowie das polare Verhalten der Zelle, wonach sie „sprossbildende Substanzen nach der Sprosseite, wurzelbildende nach der Wurzelseite transportiert“ und die dadurch verursachte „verschiedenartige Stromrichtung“ ?°) die „Neubildung und richtige Lagerung der fehlenden Organe ver- anlassen“ sollen, dann fragt man sich: Worin besteht die Ungleich- artigkeit der plastischen Stoffe? So gewaltig auch die Fortschritte in der Chemie der Eiweißstoffe gewesen sind: von der Chemie der lebendigen Substanz wissen wir so gut wie nichts! Und die Polarıtät der Zellen? Sie soll nach Vöchting eine Struktureigen- tümlichkeit der Zelle sein und nach Sachs und Goebel) durch die Wanderung spezifischer plastischer Stoffe nach entgegengesetzten Zellrichtungen zustande kommen. — Es wird also eine Auswahl und Scheidung von Baustoffen vorgenommen, sodann ein Transport nach gegensätzlichen Richtungen sowie eine Ablagerung an den beiden Richtungspunkten, dem Basal- und dem Apikalpunkt der Zelle. Welches sind nun die auswählenden und bewegenden Kräfte? Ist es der Chemismus der Zelle, welcher die Sonderung der pla- stischen Stoffpartikelchen bewirkt und verhalten sich diese bei ihrer Ortswanderung nach entgegengesetzten Richtungen passiv oder aktıvr? Werden sie von der Plasmaströmung befördert, so käme für die Polarität der Molekulardruck oder die Oberflächenspannung in Frage, welche die Plasmaströmung beherrscht??), so zwar, dass die Molekel von dem Orte der geringeren Oberflächenspannung nach dem Orte der größeren Spannung hingezogen würden. Da aber die Oberflächenspannungen und damit die Mechanik der Be- wegung in der Zelle wechseln können, wer hält die passiven pla- stischen Teilchen am zugewiesenen Orte oder dem Pole fest, dass sie nicht mit der Plasmaströmung den Ort wechseln, also die Polarıtät der Zelle wieder aufgehoben ıst? Nimmt man aber an, dass die differenten Polaritätsmolekel sich aktiv verhalten, also ein Örientierungsvermögen beweisen und durch die Eigenbewegung nach entgegengesetzten Richtungen in der Zelle wandern und sich dort gruppieren, so muss ein Affinitätsverhältnis je unter den Spross-Polaritätsmolekel und den Wurzel-Polaritätsmolekel bestehen, damit Gleichartiges zu Gleichartigem kommt und an den entgegen- 20) Magnus, Regenerationserscheinungen bei Pflanzen. Sammelref. a. a. O. 21) Allgemeine Regenerationsprobleme. In: Flora, Bd. 95, 1905, S. 407. 22) E. Berthold, Studien über Protoplasmamechanik. Leipzig 1886, S. 115, ‘10 Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. gesetzten Zellpunkten verharrt und nicht changiert. Genug, je weiter unsere erkenntnissuchende Analyse geht, um so mehr zwingt sie uns, die für das Spross- und die für das Wurzelwachstum be- stimmten plastischen Stoffe mit Eigenschaften auszustatten, welche denen der prästabilierten Monaden Leibniz’ wenig nachstehen. Ill. /weifellos hat die entwickelungsmechanische Forschungsmethode und Betrachtungsweise zu ungeahnten Ergebnissen und Erkennt- nissen geführt. Aber sie enthüllt, was auch Goebel?) in ähnlicher Weise hervorhebt, uns weder das Wesen der Polarität, noch viel weniger die damit zusammenhängenden Lebensvorgänge im Orga- nismus. Unsere mechanistische Vorstellungs- und Anschauungs- weise bleibt doch da nur recht grobsinnlich und ebenso plump wie das künstliche tote Maschinentriebwerk zu dem lebendigen Organısmus! Die Schwierigkeiten, die sich einstellen, sobald es sich darum handelt, die zweckmäßigen Reaktionserscheinungen des pflanzlichen Organısmus auf schädigende Eingriffe zu erklären, diese weiß am ehesten die vitalistische Erklärungsweise zu beheben. Sie an- thropomorphosiert einfach, indem sie Plasma, Zelle und den Ge- samtorganısmus mit seelischen Qualitäten ausstattet, mit Willen, Überlegung, Urteil, Vorstellung und Gedächtnis. Gleichwie der Mensch sich den veränderten Lebensbedingungen seiner Umgebung anzupassen weiß, durch ein zweckmäßiges Handeln, zuweilen auch unzweckmäßiges, bei Gefährdungen der Außenwelt, so soll auch der pflanzliche Organısmus verfahren zu eigener und der Arterhal- tung. Es hat nun zwar W. Roux?*), der Hauptvertreter der Ent- wickelungsmechanik, die Selbstregulation als eine Grundeigenschaft der Lebewesen erklärt. — Aber ein solches Vermögen oder eine solche „elementare Eigenschaft der Lebewesen“ muss doch für unsere Vorstellung neben der Empfindung auch ein Unterscheidungs- und Urteilsvermögen in sich schließen. Ohne diese Vermögen ist eine Selbstregulation, d. h, im gegebenen Falle bei schädigenden Einwirkungen und unter veränderten Lebensbedingungen durch zu- meist zweckmäßige Handlungen — in dem Selbst liegt das eigene Handeln nach voraufgegangenem Wollen — eine Abwehr der Ge- fährdungen und Sicherung der Existenz vorzunehmen, für uns nicht denkbar. Die Lebewesen, die sich „selber im Wechsel der Um- stände erhalten“ mit Roux°°) als Selbstbildungs- und Selbsterhal- tungsmaschinen noch obendrein mit der „sogenannten geistigen Selbstbestimmung“ und die besonderen Wirkungsweisen, welche in 28) 8. 8. 0., 8. 407. 24) Die Entwickelungsmechanik. Ein neuer Zweig der biologischen Wissen- schaft. Leipzig 1905. DHEATEEROES. 227. Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. TH den Lebewesen stattfinden, auf Ursachen zurückzuführen, die ın der komplizierten physikalisch-chemischen Zusammensetzung der Lebewesen liegen — diese Umschreibung der Lebensinhalte und Vorgänge eines zielstrebigen Handelns nach Auswahl der für den Zweck geeigneten Mittel, eine solche Umschreibung ist allerdings sehr maschinenmäßig und bringt uns in deren Erkenntnis nicht sonderlich weiter! Und wenn andererseits G. W olff?®) als Vertreter der vitalistischen Richtung „die Tatsache zweckmäßiger Reaktionsfähigkeit“ als ge- geben binnimmt, „weil wir die Möglichkeit zugeben müssen, dass Organismen von jeher existiert haben und dass also organische Zweckmäßigkeit von jeher bestand“ — so ist dieses Postulat auch nur ein Zugeständnis unseres geistigen Unvermögens, die ursäch- lichen Wurzeln des Verhaltens des Organismus im Regenerations- prozesse aufzufinden. Hier liegen eben die Grenzen unseres Natur- erkennens, hier ist die Sackgasse, in welche der menschliche Geist seit Jahrtausenden geriet auf der Suche nach Erkenntnis des Ge- schehens ın dem, was wir Leben nennen! Da fragt es sich denn, ob es wohlgetan ist, dass der Forscher bei seinen Untersuchungen den sicheren Boden der tatsächlichen Ergebnisse verlässt und, den Lockungen des Kausalıtätsbedürfnisses folgend, in die luftigen Höhen der Spekulation sıch versteigt, um das Warum für seine Untersuchungsresultate aufzudecken. Weist ihn doch gerade seine Methode, dıe exakte naturwissenschaftliche Untersuchungsmethode stets in die Schranken der Empirie. Allein, der Boden der empirischen Forschung nährt nun einmal nicht allein den gegebenen spekulativen Menschengeist, der nach Erkenntnis schmachtet. Er verlangt nach einer Abstraktion, nach einer Idee. Und wenn er hierzu gelangt bei seiner Analyse auf induktivem Wege, so ist das immerhin ein Gewinnst für die Erweiterung und Vertiefung des Wissensgebietes! Aber indem wir uns der Grenzen unseres Naturerkennens be- wusst werden, sowohl bei der mechanischen wie bei der vitalistischen Betrachtungs- und Erklärungsweise der Erscheinungen in der Natur, kann für eine strerge naturwissenschaftliche Forschungsmethode doch nur einzig und allein die mechanistische in Anwendung kommen, die es mit der Ergründung der kausalen Zusammenhänge der physi- kalisch-chemischen Vorgänge im Lebensgeschehen zu tun hat. IV. Es liegt in Rücksicht auf die Einheitlichkeit der Organismen- welt nahe, gewisse Vergleichsmomente zwischen pflanzlichen und tierischen Zellstrukturen sowie entwickelungsgeschichtlichen und 26) Mechanismus und Vitalismus. Leipzig 1905, S. 40. 112 Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. regenerativen Vorgängen aufzusuchen. Ein Verfahren, das gerade in den letzten Jahren viel geübt ist und jedenfalls dazu beiträgt, unsere Einsicht in den Aufbau und in die Vorgänge der lebendigen Materie zu klären. Allerdings besteht dabei die Gefahr, dass man leicht zu vermeintlichen Gleichartigkeiten kommt, zumal bei der Anwendung einer einseitigen Untersuchungsmethode, wie sie unsere Färbetechnik bietet. Und hinterher stellt sich dann heraus, dass die verglichenen Gebilde nichts miteinander gemein haben, wofür genug Beispiele vorliegen ?”). Übrigens bleibt auch stets zu beachten, dass wir es zumeist mit analogen Gebilden und Vorgängen und nicht mit homologen zu tun haben. Es taucht nun gleich bei einer prinzipiellen Frage, nämlich: Ist die Regeneration, wie der Zoologe Weismann behauptet, eine erworbene und ungleichgradig ausgebildete Anpassungserscheinung, oder ist sie, wie der Botaniker Vöchting verficht, eine allgemeine Eigenschaft der lebenden Substanz, gleich hier taucht ein Wider- streit der Meinungen auf, zu dessen Begleichung der Vergleich des Tatsachenmaterials aus dem botanischen und dem zoologischen Unter- suchungsgebiete sicherlich beiträgt. Ein solcher Vergleich bringt mich zu der Überzeugung, dass die Regeneration nur eine Modalität des Wachsens ist. Ebensowenig wie das Wachstum an sich als Ganzes, das Wachstum in seiner Allgemeinheit eine erworbene An- passung ist, ebensowenig die Teilerscheinungen oder Modalitäten, woraus sich jenes zusammensetzt. Wohl aber kann der Verlauf des Wachstums, wie er sich in den Regenerationsvorgängen ab- spielt, den äußeren Wachstumsbedingungen als Licht, Temperatur, Druck, umgebenden Medium, Schwerkraft, Ernährung, Kontakt an- gepasst sein und insofern derartige Anpassungen erkennen lassen. Wenn wir nun eine Parallele zwischen den Regenerationsvorgängen bei pflanzlichen und tierischen Organısmen durchführen, so wäre zunächst des Wundverschlusses zu gedenken, der bei Pflanzen- und Tierwunden ın analoger Weise vor sich geht, indem das verletzte und abgestorbene Gewebe in seinen Resten einen Wundabschluss bildet. Die Ausbildung der Regenerate vollzieht sich hinter einer alsbald nach der Verwundung entstehenden Schutzhaut; so bei den Arthropoden hinter der Chilinhaut, bei den Holzgewächsen hinter dem Korkgewebe (Periderm). Sowohl ım pflanzlichen, wie im tierischen Organismus beteiligen sich die verschiedensten und schon differenzierten Gewebearten durch Umänderung an der Regeneration. Aber die Spezietät der Zellen, dass „Gleiches nur von Gleichem“* konıme, stimmt nicht mit den Tatsachen überein. Aus den Mark- zellen können bei Pflanzen alle Gewebearten hervorgehen, und 27) Vgl. Ernst Willy Schmidt, Pflanzliche Mitochondrien In: Progr. rei bot.. IV. Bd., Jena 1911, S. 163, Voges, Allgemeine Betrachtungen über Regenerationsvorgänge. 13 Knorpel kann Bindegewebe, Pereost Knorpel, gewöhnliches Binde- gewebe Knochen bilden?®). Also Metaplasien in beiden Fällen! Eine „nachträgliche Verlagerung“ ”’) der angelegten Organe, wie die Geradestreckung der schräg gerichteten Flossen von Fischen und Froschlarven oder der Ausgleich zu normalen Wachstums- verhältnissen in bezug auf die regenerierten Gewebe vollzieht sich bei Tier und Pflanze in ähnlicher Weise. Und analoge Gewebs- reduktionen oder Rückbildungen, wie man sie bei Tierwunden kennt, finden ebenfalls bei der Regeneration im Pflanzenkörper statt, wo ein differenziertes Gewebe eine Meristemschicht bildet, also die Rückkehr auf ein embryonales Gewebestadium vornimmt. So ließe sich der am stark verletzten Kiemenkorb einer Ascidie nach der Ver- wundung erscheinende gleichmäßige Gewebsklumpen, „aus welchem sich dann die neuen Organe ganz allmählich herausbilden“, ver- gleichen mit dem Calluskörper der Wunde der Holzgewächse, wor- aus die verschiedenen Gewebearten hervorgehen. Ebenso ist die geringe Differenzierung der Regenerate den Pflanzen und Tieren gemeinsam. So kommt denn — und das ist das Bedeutsame für die bio- logische Auffassung des Wesens des Phänomens — auch in den Regenerationsvorgängen, in der Umformung bestimmter Gewebe zu meristematischen, gleichsam embryonalen Elementen, woraus dann erst die höher differenzierten Dauergewebe und Organe in dem Körperersatzteil hervorgehen, in dieser Entstehungsart der Gewebe kommt das allumfassende Deszendenz- und Entwickelungs- prinzip zum Ausdruck, der historische Werdegang in der Welt der Organismen von den einfachen zu den zusammengesetzten Gebilden. Es sind gleichsam Fragmente des „biogenetischen Grundgesetzes“, die uns in jenen Regenerationserscheinungen entgegentreten und die anders wohl kaum zu erklären wären, um so weniger, als neben den meristematischen Zwischenstufen es auch vereinzelt vorkommt, dass diese übersprungen werden und dass sich aus schon differen- zierten Geweben, wie Rindenparenchymzellen und Markstrahlzellen, direkt andere Gewebselemente entwickeln. Ein Geschehnis, das den Entwickelungsgang der gleichen Zellelemente aus meristematisch umgeformtem Gewebe in eine phylogenetische Beleuchtung rückt. Literatur. E Berthold, Studien über Protoplasmamechanik. Leipzig 1886. H. Driesch, Die organischen Regulationen. Vorbereitungen zu einer Theorie des Lebens. Leipzig 1901. A. B. Frank, Die Krankheiten der Pflanzen. Breslau 1885. K. Goebel, Allgemeine Regenerationsprobleme. In: Flora, Bd. 95, 1905. 28) Weigert, a... 0., 8. 135. i 29) E. Korschelt, Regeneration und Transplantation. Jena 1907, S 82. XXXI. 47 AA Awerinzew, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte von Lagenophrys sp. G. Klebs, Über Probleme der Entwickelung. In: Biol. Centralbl., 1904. E. Korschelt, Regeneration und Transplantation. Jena 1907. E. Küster, Aufgaben und Ergebnisse der entwickelungsmechanischen Pflanzen- anatomie. In: Progr. rei botan., Bd. II, 1908. W. Magnus, Regenerationserscheinungen bei Pflanzen. In: Naturw. Wochenschr., Nr. 40, 1906. W. Roux, Die Entwickelungsmechanik. Ein neuer Zweig der biolog. Wissenschaft. Leipzig 1905. E. W. Schmidt, Pflanzliche Mitochondrien. In: Progr. rei bot. Jena 1911. S. Simon, Experimentelle Untersuchungen über die Differenzierungsvorgänge im Callusgewebe von Holzgewächsen. In: Jahrb. f. wissenschaftl. Botanik, Bd. 45, 1908. M. Verworn, Erregung und Lähmung. In: Verhandl. d. Gesellsch. der Naturf. und Arzte, 1896. H. Vöchting, Untersuchungen zur experimentellen Anatomie und Physiologie des Pflanzenkörpers. Tübingen 1908. de Vries, Über Wundholz. In: Flora, 1876. C. Weigert, Neue Fragestellungen in der pathologischen Anatomie In: Verhandl. d. Gesellsch. d. Naturf. und Arzte, 1896. G. Wolff, Mechanismus und Vitalismus. Leipzig 1905. Beiträge zur Entwickelungsgeschichte von Lagenophrys sp. Von Prof. S. Awerinzew. (Vorläufige Mitteilung.) Während meines Aufenthaltes in Amanı (D. ©. A.), wo ich im Laboratorium des kaiserlichen landwirtschaftlichen Instituts arbeitete, fand ich, unter anderem, auf den Kiemen des Krebses Telphusa sp. die Infusorien Lagenophrys Sp. Da das Material in großer Menge vorhanden war, ist es mir gelungen, die Entwickelungsgeschichte des Infusors ziemlich hin- reichend aufzuklären. Ich führe hier nur die wichtigsten Daten an; die ausführliche Arbeit wird später am anderen Ort erscheinen. Wie bekannt, besitzt Lagenophrys zwei Teilungsarten. Die eine führt zur Bildung von neuen vegetativen Individuen, während bei den anderen, die als Knospung auftritt, Gameten entstehen. Was die erste Teilungsart anbetrifft, so kann folgendes betont werden. — Vor der Teilung der Infusorien finden Veränderungen in der Struktur und Lage des Makronukleus statt; er wird feinkörnig und unregelmäßig-kompakt, während er früher länglıch war; dabei stellen sich die Chromatinpartikelchen reihenartig auf, ihm dadurch ein faseriges Aussehen einverleihend. Am Ende aller dieser Umwand- lungen nımınt der Makronukleus eine ganz andere Lage ein als die, welche er vor dem Teilungsanfang hatte — er legt sich in die Quere des Infusorkörpers, wird größer und verlängert sich. Der Mikro- nukleus, der gewöhnlich dicht neben dem Makronukleus sich be- findet, kommt auf eine ziemlich große Entfernung von ıhm zu liegen, = = Awerinzew, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte von Lagenophrys sp. 715 da er alle die soeben beschriebenen Umlagerungen des Makronukleus nicht mitmacht. Parallel den Formveränderungen im Makronukleus verändert sich allmählich auch der Mikronukleus; er wird zu einer kleinen, langsam länger werdenden Spindel, deren lange Achse ungefähr parallel der langen Achse des Makronukleus zu liegen kommt. Es ist wichtig zu betonen, dass die Teilung des Zytoplasmas lange vor dem Ende der Teilung der Kerne eintritt, so dass der endgültige Zerfall in zwei Teile des Zytoplasmas und des Makro- und Mikronukleus fast gleichzeitig vor sich geht. Die Stelle, wo die Einschnürung stattfindet, kann noch von der eigentlichen Tei- lung unterschieden werden. Mir scheint also, dass man die Ursache der Zellteilung, wenig- stens in diesem Falle, nıcht im Kernapparat der Zelle sehen kann. Hier ist die Teilung das Resultat ungefähr gleichzeitiger Verände- rungen, die sowohl im Zytoplasma als im Kern stattfinden. Zwar sind diese Veränderungen verschieden in verschiedenen Teilen der Zelle, was auch selbstverständlich ist, doch führen sie am Ende zu einem Resultat. Die entstehenden zwei neuen Infusorien besitzen nicht dieselbe Größe: dasjenige, das in der Mutterhülse bleibt, ıst etwas größer als das, welches dieselbe verlässt und eine neue Hülse bildet. Nach Schluss der Teilung kehrt das größere Infusor sehr rasch zur nor- malen Form zurück, während im anderen der Makronukleus eine V-Form annimmt und der Mikronukleus innerhalb der durch den ersteren gebildeten Figur zu liegen kommt. Zu dieser Zeit färbt sich der Makronukleus dieses Infusors viel weniger intensiv mit Kernfarbstoffen als derjenige des Schwestertieres. Diese Tatsache erklärt sich dadurch, dass der Makronukleus zu der Zeit ziemlich viel Chromatin verliert, welches sich im Zytoplasma verteilt, wodurch die — ım Vergleich mit dem Makronukleus der erwachsenen vegetativen Formen — intensivere Färbung hervorgerufen wird. Der grösste Teil der Chromatinpartikelchen kommt in die Nähe des Mikro- nukleus zu liegen; sie verteilen sich in Kreise und erzeugen einen eigenartigen Ring membranellartiger Gebilde, die eine gewisse Rolle spielen bei der Anheftung des Lagenophrys zum Substrat, nachdem das Tier die Mutterhülse verlassen hat. Dieser Ring, der, augen- scheinlich, homolog dem Haftapparat von Trichodina ist, besteht bei Lagenophrys nur eine kurze Zeit; er verschwindet allmählich, nachdem die Hülse gebildet worden ist. Ferner denke ich mir die Chromatinpartikelchen als tätig bei der Bildung von Cilien und Myofibrillen, welche letztere an der Basis der Peristomscheibe liegen. Bei der Mikrogametenbildung verläuft die Teilung bei den von mir gefundenen ZLagenophrys etwas anders, und zwar fängt die sicht- bare Teilung des Mikronukleus vor der Makronukleusteilung an. 47* 16 Awerinzew, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte von Lagenophrys Sp. Bei der weiteren Teilung des Infusors, welches aus der Kopulation resultiert, entstehen Formen mit drei und vier Makronuklei; sie wachsen allmählich und strecken sich in die Länge. Wenn später durch Teilung Tiere gebildet werden, die zwei Makronuklei besitzen, verschmelzen meistens diese letzteren miteinander, wodurch ohne weitere Teilungen die Infusorien ihr normales Aussehen wieder er- halten. Bei der Durchmusterung eines reichen Materials können immer einige degenerierende Lagenophrys getroffen werden — eine Tat- sache, die eines gewissen Interesses nichtsentbehrt. — Der Makro- und Mikronukleus des degenerierenden Infusors büßen allmählich jegliche Struktur ein, sie werden kompakt und verwandeln sich in kleine Klumpen, die oft miteinander verschmelzen. Gleichzeitig verschwindet die kontraktile Vakuole, das Protoplasma zieht sich stark zusammen und das Infusor geht zugrunde. Alles, was ich an den lebenden Infusorien beobachten und auf den Präparaten sehen konnte, und zwar die vielen Befunde leerer Hülsen auf den Kiemenblättern dicht neben zahlreichen ganz nor- malen Exemplaren von Lagenophrys, ziemliche viele Fälle des Vor- kommens degenerierender Formen, das Nichtvorhandensein irgend- welcher Parasiten, sowie auch die Unmöglichkeit, die Degenerations- erscheinungen durch irgendwelche ungünstige äußere Bedingungen zu erklären, hat mich dazu geführt, in diesen Erscheinungen einen normalen Prozess des Absterbens einiger Individuen von Zagenophrys zu sehen. Aus dem Vergleich einer ganzen Reihe gametenbildender Formen mit degenerierenden — ın einigen Fällen sind diese Formen ein- ander sehr ähnlich — schließe ich, dass bei Lagenophrys dasjenige Infusor, welches — wahrscheinlich mehrere — Mikrogameten er- zeugt, einem normalen Tod unterliegt, nachdem die Gameten ge- bildet worden sind. In einigen Fällen sterben auch die Makro- gameten, es sind diejenigen, bei denen es zu einer Verschmelzung mit einer Mikrogamete nicht gekommen ist. Es fängt ın diesen ein parthenogenetischer Prozess an, welcher nie abgeschlossen wird und zum Tode führt. Es degenerieren ebenfalls die bei der Makrogametenbildung ab- geschnürten Protoplasmaklumpen, die anfänglich einen normalen Kernapparat besitzen, was ıch auf Grund zweier in meinem Besitze sich befindenden Präparate erschließe. Also, wıe das auch früher von einigen Autoren betont worden ist, kommt auch bei den Protisten, wenigstens in einigen Fällen, normaler Tod vor, ein Geschehen, das vollständig demjenigen, welches wir bei den Metazoen kennen, entspricht. Es muss noch erwähnt werden, dass ich in normalen Verhältnissen (nicht in Kul- turen) solche Lagenophrys gefunden habe, bei welchen die Mikro- Awerinzew, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte von Lagenophrys sp. 717 Der sich vom mütterlichen Organısmus ablösende Teil hat stets eine geringere Größe, als es bei der gewöhnlichen vegetativen Tei- lung der Fall ıst. Im Zytoplasma der auf diese Weise entstandenen Knospe kann auch verstäubtes Chromatın aufgefunden werden. Bald nach ihrer Bildung teilt sich die Knospe von neuem in zweı Teile, wobei, ebenso wie vorher, sich der Mikronukleus vor dem Makronukleus und dem Zytoplasma teilt. Beide Gameten er- halten je eine kontraktile Vakuole und es entsteht am vorderen Ende unweit vom Mikronukleus ein Cilienkranz. Es soll nun auf eins hingewiesen werden: soviel ich aus meinen Beobachtungen erschließen konnte, kopulieren die Mikrogameten nicht mit einer beliebigen ZLagenophrys, sondern nur mit solchen Exemplaren, die vorher eine ungleiche Teilung durchgemacht haben. Die Teilung besteht darin, dass sich vom Infusorium ein kernhaltiger Proto- plasmaklumpen abschnürt, welcher dem Aussehen nach an eine Mikrogamete erinnert, aber nicht als solche fungiert, sondern degeneriert. Ich habe die verschiedenen Kopulationsstadien von Zagenophrys direkt auf den Kiemenblättern der frischgefangenen Krabben be- obachten können. — Alle von mir erhaltenen Angaben sprechen dafür, dass die Kopulation und folglich auch die Konjugation nicht das Resultat der Einwirkung äußerer Ursachen, sondern die Folge einer Reihe innerer Prozessen und Ursachen sind, auf welche in dieser oder jener Weise äußere Einflüsse einwirken können. Die Veränderung der äußeren Bedingungen ist also nicht als ein die Kopulation und Konjugation hervorrufender Faktor aufzufassen, sondern als solcher, der den Lauf gewisser innerer Umwandlungen verlangsamt oder beschleunigt. Der Makronukleus der kopulieren- den Gameten der von mir gefundenen Zagenophrys zerfällt allmäh- lich in eine Unzahl kleiner Einzelstücke. Zuerst bekommt er das Aussehen eines eigentümlich geknäuelten Bandes, dann zerfällt er in einige kleme Stücke, welche sich weiter teilen, wobei sie der Form nach den sich ın Teilung befindenden Mikronuklei ähnlich werden. Als Resultat der Mikronukleusteilung der Makro- und Mikro- gameten entstehen vier Kernspindeln in der ersten und acht in der zweiten Gamete. In jeder Gamete teilt sich je eine Spindel noch- mals dadurch einen Geschlechtskern und einen degenerierenden Kern bildend; das Schicksal des letzteren teilen auch alle übrigen Kernspindeln der beiden Gameten. Die Geschlechtskerne kommen einander gegenüber zu liegen gerade an der Berührungsstelle der kopulierenden Gameten. Eine deutliche Strahlung (die Strahlen sind kurz) kann rund um jeden Geschlechtskern im Zytoplasma beobachtet werd@n. Bei der weiteren Teilung bildet der Befruch- tungskern sieben Makronukleusanlagen und einen Mikronukleus. 118 Zacharias, Eine neue Varietät des Pferdespulwurms. gametenbildung unmittelbar nach Schluss des Kopulationsprozesses von neuem stattfand, während in den Infusorien die Überreste der alten Makronuklei noch nicht zerstört waren. Das entspricht voll- ständig den Fällen einer wiederholten Konjugation, die von Enriques beobachtet worden sind. Eine neue Varietät des Pferdespulwurms. (Ascaris megalocephala, var. trivalens.) Von Prof. Dr. Otto Zacharias (Plön). Zu den beiden schon lange bekannten Varietäten des großen parasitischen Nematoden vom Pferd (Var. univalens und bivalens) ist nun noch eine dritte gekommen, die schon dadurch, dass sie überhaupt vorhanden ist, ein allgemeines Interesse für sich in An- spruch nehmen kann. Ich entdeckte diese Abart von Ascaris megalo- cephala bei Durchsicht einer langen Serie von Dauerpräparaten, in denen ich seinerzeit (1910) die verschiedensten Stadien der Eireifung und auch die aufemanderfolgenden Etappen der Karyokinese des Pferdespulwurms in Xylolbalsam konserviert habe. Alle diese Ob- jekte sind mit Hämalaun (oder durch eine Mischung dieses Farb- stoffs mit Rosanılın) vorzüglich scharf und klar tingiert. Wie aus der beigefügten Abbildung hervorgeht, unterscheidet sich Asc. tervalens von seinen Schwestervarietäten sofort durch den Umstand, dass die Kernplatte des sich zur Teilung anschickenden Eies bei ihm nicht aus zwei oder vier, sondern überraschenderweise aus drei Chromatinschleifen besteht, die unter einem Winkelabstand von 120 Grad zum sogen. Mutterstern angeordnet sind. Vor Aus- bildung dieses Stadiums der Metaphase liegen diese chromatischen Elemente eigentümlich gruppiert schon in der Teilungsebene und ich habe ın den Figuren a bis » die verschiedenen, aber immer wiederkehrenden Bilder, welche im Gesichtsfelde des Mikroskops zu beobachten sind, dargestellt. Am häufigsten sieht man dasjenige Chromosom, welches im Längen- und Dickenwachstum einen Vor- sprung vor den übrigen zweien besitzt (Fig. a, c, d und g) in der Mitte liegen, und von den beiden anderen (kürzeren und dünneren) flankiert. Oder falls es ıhrer zwei sind, welche das dritte Chro- mosom in Länge und Stärke überholt haben, so stellen sie sich so, dass die Schleifenscheitel einander zugekehrt sind und das dritte (kürzere) nımmt seinen Platz zwischen zwei divergierenden Schleifen- schenkeln ein (Fig. d). Sobald aber die gleichmäßige Ausbildung aller drei Elemente erfolgt ist, gruppieren sie sich in der bereits angegebenen Weise zum Teilungsstern (Fig. h). Nicht selten habe ich auch die Anwesenheit zweier ganz winziger akzessorischer Chro- mosomen bemerkt, die sich genau so intensiv färben wie die drei großen. Es sind dünne, kurze Stäbchen von 6—7 u Länge und Zacharias, Eine neue Varietät des Pferdespulwurms. 7119 sie gleichen (der Form nach) ganz genau einem Bakterium. Manch- mal habe ich auch nur ein einziges solches Körperchen zu entdecken vermocht; vielfach aber auch gar keins. Aus Fig. a, d, eund f ist die Lage ersichtlich, welche diese leicht zu übersehenden Stäbchen zu den großen Uhromosomen einnehmen. Hervorzuheben ist noch, dass ich nach voller Ausbildung der Kernplatte niemals mehr eins Chromosomen und Pronuklei von A. megalocephala var. trivalens. dieser problematischen Mikrochromosomen zu konstatieren imstande gewesen bin. Meine Präparate gehen bis zu dem Embryonalstadium von vier Blastomeren; dieses und das in zwei Furchungskugeln geteilte Ei bieten kein auffallendes Charakteristikum weiter dar. Wenn man nicht besonders auf die Anzahl der Chromosomen achtet, könnte man glauben, dass Eier von der Varietät umxvalens, die in Segmentierung begriffen sind, vorliegen. Anders steht aber die Sache, wenn wir bei der neuen Abart auch die Vorkerne (Pro- 720 Zacharias, Eine neue Varietät des Pferdespulwurms. nuklei) zum Gegenstande einer näheren Beobachtung machen. Be- kanntlich entwickeln sich dieselben völlig unabhängig voneinander: der eine aus der im Ei zurückbleibenden Hälfte des zweiten Rich- tungskörpers, der andere aus dem Spermium; beide gehen in ihrer Ausbildung, wie der mikroskopische Befund zeigt, ganz konform mit- einander, und nach Ablauf einer gewissen Zeit sind sie beide nicht nur gleich groß, sondern haben auch ein völlig gleiches Aussehen in morphologischer Hinsicht, so dass man die weibliche Abkunft des einen ebensowenig (auf den Augenschein hin) diagnostizieren kann, als diemännliche des andern. Dieser vollkommene Parallelis- mus in der Ausbildung der beiden Pronuklei (den wir stets auch bei der Varietät univalens wahrnehmen), ist bei Ascaris trivalens nicht vorhanden oder er gehört wenigstens bei dieser Varietät zu den Ausnahmen. Dass er tatsächlich vorkommt, zeigt die Fig. 5 in unserer Zeichnung. Gewöhnlich dokumentieren aber die beiden Kerne des noch ungefurchten Eies bei Trivalens ein ganz ab- weichendes Verhalten, nämlich dieses, dass einer von ihnen während des Prozesses der allmählichen „Aufblähung“ in bezug auf das Volumen fast stets hinter dem anderen erheblich zurückbleibt. Sehr selten tritt der in Fig. 5 veranschaulichte Fall ein, dass sie alle beide dieselbe Größe erreichen. Dieses Missverhältnis hindert aber nicht, dass die Ausbildung des typischen Lininnetzes mit seiner Ohromatinauflagerung (resp. Durchtränkung) gesetzmäßig von statten geht und dass sie in der Regel gleichzeitig den diktyotischen Zustand in sich ausbilden. In jedem großen Kerne konstatierte ich immer auch die Anwesenheit eines deutlich sichtbaren Nukleolus, wogegen mir das Auftreten eines solchen bei dem kleineren Pro- nukleus zweifelhaft geblieben ist. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass ich ihn bei dem zwerghaften Kern nur übersehen habe. In einem der von mir beobachteten Eier (Fig. 6) lag die merkwürdige Tatsache vor, dass der große Pronukleus noch nicht den geringsten Anlauf zum Eintritt in das Stadium der Knäuelbildung gemacht hatte, wogegen die Membran des kleineren bereits aufgelöst war und das von ihm gelieferte einzige Uhromosom frei im Eiplasma lag. Dieser Befund ermöglichte es mir, mit Sicherheit festzustellen, dass der kleinere Pronukleus seinerseits nur ein einziges Chromosom zur Kernplatte beisteuert, womit aber zugleich erwiesen wurde, dass die anderen beiden von dem größeren Vorkern geliefert sind. Dieser letztere stimmt also hiernach in seinem mitotischen Ver- halten mit einem Pronukleus der Varietät biralens vollkommen überein. Gelegentlich begegnete mir bei wiederholter Durchmuste- rung meiner Präparate ein Ei, an dem diese Tatsache auch ganz direkt (vgl. Fig. 4) zu ermitteln gelang. Nun bleibt aber noch die Frage offen, wie es mit der Pro- venienz dieser beiden an Größe und Chromatinbesitz so erheblich Zacharias, Eine neue Varietät des Pferdespulwurms. 121 differierenden Vorkerne bestellt ist. Welcher von ihnen ist nun wohl der vom Vater herstammende und welcher ist mütterlicher Abkunft? Hierüber lässt sich nur indirekt etwas erkunden, da mir keine Präparate über die Richtungskörperbildung bezüglich der neuen Varietät vorliegen. Wir sehen nämlich, dass in sehr vielen Fällen auch bei Varietät bivalens der Vorkern väterlichen Ursprungs!) es ist, der in seiner Entwickelung nicht gleichen Schritt mit dem aus dem mütterlichen Chromatin hervorgegangenen hält, sondern dass er zeitweilig erheblich hinter demselben zurückbleibt, ja sogar über- haupt nicht die volle Größe des letzteren erreicht. Deshalb besteht nun aber auch eine große Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass es bei unserer Varietät Trivalens gleichfalls der männliche Pronukleus ist, bei dem die Neigung zu einer retardierenden Ent- wickelung sich in der Weise geltend macht, dass sie sogar zu einer bleibenden Beschränkung seines Volumens und damit zu einem be- trächtlichen Größenunterschiede zwischen ihm und seinem Partner geführt hat. Um die obwaltende Differenz genauer abschätzen zu können, möge die Angabe gemacht sein, dass der Durch- messer des größeren Vorkerns bei Trivalens durchschnittlich 24 u und der des kleineren nur 8—9 u beträgt. Im Kubikinhalt dieser kugeligen Gebilde macht das natürlich eine ganz enorme Verschiedenheit ans. Selbstverständlich muss man sich bei der oben geschilderten Wahrnehmung auch an die Beobachtungen von Herla und Zoja erinnern, welche vereinzelte Fälle von Bastardbefruchtung zwischen den Ascaris-Varietäten bivalens und univalens konstatiert haben. Mit Berücksichtigung der Feststellungen dieser beiden Forscher be- stünde die Möglichkeit, dass in der mir vorliegenden Eierserie, welche ausnahmslos Mutiersterne mit 3 Chromosomen zeigt, eben- falls eine derartige Bastardierung vorläge. Sie wäre aber in meinem Fall eine auf alle Eizellen des betreffenden Weibchens sich er- streckende und nicht eine bloß sporadisch auftretende. Und hierzu kommt ferner noch als auffällige Besonderheit das Auftreten der strichförmigen (bazilloiden) „Heterochromosomen“, die meines Wissens weder von V. Herla noch von R. Zoja gesehen worden sind. Nicht minder merkwürdig ist auch die konstante ungleiche Größe der vollkommen ausgebildeten Pronuklei bei den Eiern meiner Serie. Mit Hervorhebung dieser Eigentümlichkeiten mache ich aber dennoch den Vorbehalt, dass sich meine Mitteilung vielleicht doch bloß auf ein eklatantes Vorkommnis von massenhaft eingetretener Bastard- befruchtung zwischen den zwei bereits bekannten Varietäten des Pferdespulwurms beziehen könnte. 1) Der männliche Pronukleus bei Ascaris megalocephala ist meistenteils auch später noch durch die an ihm festhaftende Reste des Protoplasmamantels zu identifizieren, womit er in seiner Jugend dicht umhüllt zu sein pflegt. 22 Reum, Zur Biologie der Gattung Microgaster Latr. ete. m Zur Biologie der Gattung Microgaster Latr. unter besonderer Berücksichtigung der Entwickelung aus der Puppe von Pieris brassicae L. Von W. Reum, Redakteur, Rostock i. M. (Aus der entomolog. Zeitschrift auf Wunsch des Herrn Verfassers übernommen.) Einer der größten Schädlinge unserer Kohlfelder ist bekannt- lich die Raupe von Pieris brassicae L., die zu gewissen Zeiten direkt als Landplage auftritt. Der Mensch ist in der Bekämpfung dieser Raupe fast machtlos. Die Natur hat ihm aber in der Gattung der Microgaster Latr. eine Feldpolizei geschaffen, die ganz gewaltig unter den Schädlingen aufräumt, und gar viele unserer Leser werden die von unseren kleinen Hilfstruppen bestraften Feinschmecker an Baumrinden, Zäunen, Mauern, Staketen ete., die sich in der Nähe der von Raupen befallenen Felder befinden, gefunden haben — tot — oder noch schwache Lebenszeichen von sich gebend, dicht von kleinen gelben Kokons umgeben, ebenso auch Puppen von Pieris brassicae, und zwar gelblichgrüne mit schwarzen Punkten besetzte Puppen, welche bei der Berührung sich lebhaft bewegen, und erd- farbene steife. Während erstere im Raupenzustand den Angriffen der Schlupfwespen glücklich entgangen sınd, beherbergen letztere die zahlreiche Nachkommenschaft ihrer Besieger. Der Mensch sollte daher als Äquivalent auch seinerseits seinen kleinen Freunden gegenüber seinen Schutz angedeihen lassen. Wir wollen uns nun im nachfolgenden näher mit der Ent- wickelung dieser kleinen Schlupfwespen beschäftigen. Ende vorigen Jahres gesammelte, von Mierogaster Latr. angestochene Raupen von Pieris brassicae L., welche zunächst ihre charakteristische grünlichgelbe, mit schwarzen Punkten besetzte Hautfarbe beibe- hielten und den hellgelben Seiten- und Dorsalstreifen zeigten, dann aber eine dunklere, schmutziggrüne Färbung annahmen, waren eines Tages plötzlich teils von je ca. 50 bis 100 2 bis 3 mm langen, leb- haft sich bewegenden, grauweißen speckigglänzenden Maden mit durchschimmerndem Darm, die die Haut durchbohrt hatten, besetzt, teils gelang es ihnen, sich noch vor der völligen Entwickelung der Maden zu verpuppen. Nach überraschend kurzer Zeit hatten sich die Larven, die den Raupen entschlüpft waren, in gelbe Kokons eingesponnen und umgaben die nunmehr vollkommen leergefressene Raupe, die trotz der furchtbaren Verletzungen noch einige Zeit Lebenszeichen von sich gab, mit einem dichten gelben Kokonkranz. Kiner nach etwa 14 Tagen aufgebrochenen Puppe wurden die fettglänzenden, klebrigen Larven entnommen und ın ein: Beobach- tungsglas gesetzt, da ja der Entwickelungsvorgang im Innern der Puppe dem Auge verschlossen bleibt. Ich stellte nun fest, dass diese Larven nicht wie ihre Kollegen aus den Raupen, sich ein- spannen, sondern zunächst tagelang wie leblos dalagen und nur geringe Bewegungserscheinungen zu konstatieren waren. Anfang Februar erfolgte eine vermehrte Kotabsonderung und die bisher grauweißen Larven nahmen eine dunklere Färbung, ein Reum, Zur Biologie der Gattung Mierogaster Latr. etc. 123 Teil von ihnen jetzt auch eine andere Gestalt an, indem an der Mundseite eine Einschnürung und Verdickung auftrat, die deutlich den Kopf des künftigen Insekts erkennen ließ, auch die Partie unterhalb der Einschnürung färbte sich dunkelgrau und ließ die Füße, Flügel, sowie die charakteristische Wespeneinschnürung (Wespentaille) zwischen Vorder- und Hinterkörper erkennen. Die früher stattfindenden Bewegungen — einige Tiere waren an den Wänden des Glases äußerst langsam emporgekrochen — hörten ganz auf. Die gleichalterigen in Kokons befindlichen Larven er- wiesen sich auffallenderweise teils als abgestorben, teils als in der Entwickelung hinter denjenigen im Beobachtungsglase befindlichen zurückstehend. (Beobachtung bis 22. Februar 1912.) Am 26. Februar 1912 war zu konstatieren, dass bereits zwei Drittel aller im Glase befindlichen Tiere sich im oben erwähnten Entwickelungsstadium befinden. Deutlich heben sich die Leibesringe in Form haarfeiner brauner Linien vom Hinterleibe ab. Die Männchen haben eine Länge von etwa 2 bis 3 mm, die Weibchen eine solche von 4 bis 5 cm und fallen besonders durch vollere Körperform auf. Beobachtungen am 29. Februar 1912 ergaben folgendes: „Fast sämtliche Larven, einige wenige in der Entwickelung zurückgebliebene ausgenommen, haben ihre madenähnliche Gestalt abgelegt. Die Augen der zukünftigen Ichneumonide erscheinen als große rotbraune Punkte, welche ihrer Größe nach in keinem Ver- hältnis zum übrigen Körper stehen. Eine am 2. März stattgehabte Beobachtung ergab, dass fast die Hälfte der im Glase befindlichen Microgaster eine auffallende Verwandlung durchgemacht hat. Der vordere Teil ıst glänzend tiefschwarz geworden, ebenso weisen die Augen eine fast schwarze Färbung auf. Am 4, März hatten die obenerwähnten Larven eine durchweg tiefschwarze Färbung angenommen. Vorder- und Hinterkörper sind gleichmäßig tiefschwarz und glänzend. Beine und Flügel heben sich reliefartig vom Thorax ab. Bewegungen am Insekt sind nicht zu konstatieren. Am 5. März erschien der erste beflügelte Microgaster und zwar ein Männchen. Er hat eine Gesamtlänge von ca. 2 mm und weist eine schwarzgrüne, metallisch glänzende Körperfarbe auf, während die Flügel wasserhell sind. Er ist lebhaft damit beschäftigt, mit seinen hellrotbraunen zierlichen Füßchen den Körper zu putzen und die Flügel zu glätten. In Kürze werden ihm seine Artgenossen folgen. Nicht mehr lange wird es dauern, und in der neuerwachten Natur beginnt wie jahraus, jahrein der Kampf um Gegenwart und Zukunft, auch unsere Microgaster werden wieder viele Arbeit vorfinden. Mögen diese wenigen Zeilen dazu beitragen, das Verständnis für die immense, vielfach noch verkannte, und doch in kultureller Beziehung segensreiche, speziell auf der Vernichtung der unseren Kohlfeldern äußerst schädlichen Raupe von Pieris brassicae fußenden Arbeit dieser kleinen Menschenfreunde zu erwecken und ihnen unseren Schutz angedeihen zu lassen. 124 Peter, Versuche über das Hörvermögen eines Schmetterlings etc. Versuche über das Hörvermögen eines Schmetterlings (Endrosa v. ramosa). Von Karl Peter, Greifswald, Anat. Institut. Die Frage, ob die Insekten hören können, ist noch nicht positiv beantwortet. Man sollte zwar meinen, dass die zahlreichen, zum Teil recht kunstfertigen Musikanten unter ihnen, die Heuschrecken, Grillen, Zikaden, ihre Laute hervorbrächten, damit sie von ihres- gleichen gehört würden, aber E. Mangold kommt in seiner Zu- sammenfassung „Gehörsinn und statischer Sinn“ in Winterstein’s Handbuch der vergleichenden Physiologie (Jena 1912) zu dem Er- gebnis, den niederen Tieren, d.h. den Wirbellosen und unter diesen den Insekten, das Hörvermögen abzusprechen. Er schreibt: „Die Frage, ob die niederen Tiere hören im Sinne unserer Gehörs- empfindungen, ist vom gegenwärtigen Standpunkte der vergleichend- physiologischen Psychologie aus zu verneinen“, und weiterhin: „Auch lässt das bisher durch keine Untersuchung einwandfrei widerlegte gänzliche Fehlen irgendwelcher auf Schallreize hin ein- tretender spezifischer Reaktionen von biologischer Be- deutung als ausgeschlossen erscheinen, die Schallreize als adäquate Reizform oder spezifischen Sinnesreiz für die Wirbellosen zu be- trachten.*“ Doch gibt Mangold die Möglichkeit des Hörens selbst zu: „vom biologischen Standpunkte wäre es wohl denkbar, dass auch akustische Reize hier eine zweckmäßige Verwertung fänden.“ Versuche, unsere Frage zu beantworten, gibt es in Menge; Mangold führt sie auf und beleuchtet sie kritisch, und eben diese Kritik zeigt ihm, dass kein Experiment mit anscheinend positivem Ergebnis einer strengen Prüfung stand hält. Meines Erachtens leiden die Versuche fast alle an dem Fehler, dass sie gar zu sehr vom anthropozentrischen Standpunkt aus unter- nommen worden sind und dass man glaubt, wenn Tiere hören, so müssen sie eben alles das hören, was wir selbst als Schallempfin- dung wahrnehmen, und in der gleichen Weise; das ist aber meines Erachtens durchaus nicht richtig. Ich meine, man muss auch bei Prüfung der Sinnesempfindungen immer das Tier in seiner Umwelt betrachten und nur dann Äuße- rungen von ihm verlangen, wenn der -Sinnesreiz irgendwelche bio- logische Bedeutung für es besitzt. So wird man einem Hunde doch nicht das Geruchsempfinden absprechen dürfen, weil er den Geruch einer Rose oder Nelke an- scheinend nicht wahrnimmt; auch stark riechenden Blumen gegen- über verhält sich der Hund, der die Fährte eines Hasen oder seines Herrn zu verfolgen imstande ist, vollkommen indifferent. Die Blumengerüche, die für Insekten entstanden sind und von uns fast Peter, Versuche über das Hörvermögen eines Schmetterlings etc. 25 durchweg als angenehm empfunden werden, haben für den Hund keinen biologischen Wert, wie es mit den Fährten der Fall ıst; er beachtet sie nicht oder empfindet sie vielleicht gar nicht, was für unser Beobachten auf dasselbe herauskommt. Ebenso verhält es sich mit dem Gehör. Edinger gibt in seiner „Einführung in die Lehre vom Bau und den Verrichtungen des Nervensystems“ (Leipzig 1909) ein interessantes Beispiel hierfür, wenn er es auch nicht in unserem Sinne verwertet. Er schreibt: „Man kann vor einer Eidechse, welche auf das Rascheln eines Käfers hinhört, schreien, pfeifen u. s. w., ohne dass sie sich rührt, weil sie diese Geräusche nicht versteht, mit nichts assoziiert.“ Das Rascheln des Käfers, der ıhr zur Nah- rung dienen kann, ist für sie weitaus wichtiger als das Schreien des Menschen; deshalb wird letzteres nicht beachtet, wenn es auch eine für unser Ohr weit stärkere Äußerung ist als jenes Rascheln. Edinger benutzt freilich diese Beobachtung als Beweis dafür, dass die Tiere, denen die Hörbahnen vom Corpus geniculatum me- diale zur Rinde des Großhirns fehlen, unfähig seien, Gehörtes zu verstehen. „Taub sind die Tiere, welche sie nicht besitzen, nicht, aber Fische, Frösche und Eidechsen scheinen uns oft völlig taub zu sein, weil selbst die lautesten Geräusche und Töne von ıhnen mit keinem Zucken beantwortet werden.“ Aber ıst das Hinhören auf das Rascheln eines Käfers nicht auch eine Verwertung eines Gehör- eindrucks? Der Grund der Nichtachtung des Schreiens ist doch wohl auf biologischem Gebiet zu suchen. Ebenso ıst es nicht verwunderlich, wenn — ich zitiere aus Mangold nach Fabre — sich die auf einem Baume musizierenden Zikaden durch den Donner von Geschützen, die darunter abgefeuert wurden, keinen Augenblick unterbrechen ließen; das ihnen ganz fremdartige starke Geräusch des Geschützes ist für sie ohne bio- logische Bedeutung und wird daher nicht beachtet oder wahr- genommen. Aus diesen Betrachtungen ergibt sich auch, wie wir bei der Untersuchung des Hörvermögens von Tieren vorgehen müssen. Wir dürfen nicht, wie es meist geschehen ist, Töne einer Violine oder Pfeife benützen, wie sie ihnen während ihres Lebens nicht vorkommen, sondern müssen mit Geräuschen arbeiten, wie sie ihnen stets entgegentreten und müssen ihre Reaktion auf diese unter Ausschluss der anderen Sinne feststellen. Am besten ist es, wenn es sich um Töne handelt, die das Tier selbst hervorbringt und denen man eine biologische Bedeutung beilegt. An diese Laute muss die betreffende Art angepasst sein und hier muss man nach einer Reaktion auf diese Geräusche fahnden. Ein Objekt, bei dem mir derartige Versuche auch Erfolg ver- sprechen, bot sich mir in diesem Sommer dar, 726 Peter, Versuche über das Hörvermögen eines Schmetterlings ete. Vor 2 Jahren hatte ich in den Walliser Alpen die Männchen eines Flechtenspinners (Lithosiden, Endrosa [Setina] aurita var. ramosa) beobachtet und beim Fliegen derselben einen knackenden Ton vernommen (s. Mitteil. naturwiss. Ver. Neuvorpomm. Rügen, 42. Jahrg., 1910, dort auch Literatur). Diese Entdeckung war nicht neu, die Tatsache aber wenig be- kannt. Ich deutete das Geräusch, allerdings ohne sicheren Beweis, als Erregungsmittel für das Weibchen. Wenn es nun gelänge, eine Reaktion des Weibchens auf das Knacken des Männchens zu beobachten, so wäre es möglich, festzustellen, ob das Weibchen das Geräusch als solches wahrnimmt, ob es also mit Gehörsinn ausgestattet ist. Fürs erste galt es daher die Weibchen aufzufinden. Auf einem steilen Bergabhang, eine Stunde weit über dem Kur- haus in Arolla (Wallis), in einer Höhe von etwa 2500 m, fand ich den Schmetterling häufig herumfliegen, doch vormittags ausnahmslos Männchen. Die selteneren Weibchen sitzen versteckt mit zusammen- gefalteten Flügeln in Grasbüscheln, schwer zu sehen und vor Ent- deckung gut geschützt durch die Streifenzeichnung der Vorderflügel. Sie sind so schwer wahrzunehmen, dass man ein gefundenes Exem- plar stets im Auge behalten muss; sieht man einmal weg, so ist man oft gezwungen, das Tier von neuem zu suchen, wenn man auch seinen Platz genau weiß. Ich habe daher die Weibchen auch nur mit Hilfe der Männchen gefunden. Kommt ein solches bei seinem niedrigen Fluge in die Nähe eines Weibchens, so setzt es sich flatternd und knackend nieder, etwa zwei Spannenweiten von ihm entfernt. Dann fliegt und kriecht es allmählich näher. Zwar lassen sich die Männchen oft fallen und ruhen vom Fliegen aus. Es ıst aber leicht zu erkennen, ob sie dies nur aus Müdigkeit tun oder weil sie ein Weibchen wahrgenommen haben: im ersten Fall sitzen sie ruhig mit flach ausgebreiteten Vorder- flügeln auf dem Boden und erheben sich bald wieder in die Luft; im letzteren Fall dagegen flattern sie unruhig weiter. Konnte ich dann das Weibchen noch nicht finden, so ließ ich mir den Weg zu ihm vom Männchen noch weiter zeigen, das genau in gerader Richtung auf jenes zuflattert. Für diese Beobachtung ist der Vormittag zu benutzen, am besten die Stunden zwischen 10 und 12, da die Copula zu dieser Zeit stattfindet. Vier Weibchen habe ich auf diesem Wege aufgefunden und an ihnen meine Beobachtungen angestellt. Ich will erst diese vier Fälle kasuistisch beschreiben, um dann die Beobachtungen zusammen- zufassen und Schlüsse aus ihnen zu ziehen. Peter, Versuche über das Hörvermögen eines Schmetterlings ete. MT I. 16. August 1912. Ein Weibchen saß unbeweglich mit aus- gestreckten Fühlern an einem Stengel eines Grasbüschels. Bald ließ sich etwa 30 cm von ıhm ein Männchen nieder, das mit den Flügeln schlagend das knackende Geräusch hervorbrachte. Sofort begann das Weibchen den Hinterleib rhythmisch hin und her zu bewegen. Nachdem ich das Männchen getötet hatte, ver- hielt sich däs Weibchen wieder vollständig ruhig wie vorher. Der Wind wehte von der Talsohle an der Berglehne herauf. Da das Männchen seitlich von seinem Partner saß, also senkrecht zur Windrichtung, so konnten kaum Gerüche oder Bewegungen durch die Luft übertragen werden, zumal der Boden sehr uneben war. Bald flog ein Männchen knackend etwa 1'/, m über das Weib- chen weg. Dieses kroch sofort auf die Spitze eines isolierten Gras- halmes und blieb dort sitzen; der andere Schmetterling war aber schon vorübergeflogen. Ein drittes Männchen setzte sich wieder knackend etwa einen halben Meter seitlich vom Weibchen nieder. Dieses reagierte sofort auf das Geräusch durch Bewegung der Füße und des Hinterleibes. Das Männchen kroch und flog knackend ihm näher und begann die Copula. Sicher geht also aus dieser Beobachtung hervor, dass das Weibchen auf das vom Männchen hervorgebrachte Geräusch reagiert, und zwar durch ein sehr auffälliges Bewegen des Hinterleibs und der Füße, sowohl wenn ein Männchen vorüberfliegt, als auch wenn es sich seitlich von ihm niedersetzt.. Die Windrichtung spielt keine Rolle bei der Wahrnehmung, da sie senkrecht zur Verbindungs- linie zwischen den beiden Faltern stand. II. 18. August 1912. Ein zweites Weibchen reagierte noch lebhafter auf das Knacken des Männchens, und zwar mit zittern- den Bewegungen des Leibes und der Flügel, mochte das Männchen fliegen oder flatternd kriechen. Die Reaktion erfolgte völlig synchron mit dem Geräusch; hörte das Knacken auf, so saß auch sofort das Weibchen unbeweglich da. Das wurde lange Zeit beobachtet und mit verschiedenen Männchen. Immer ergab sich dasselbe Resultat. Auch hier war die Richtung des Windes völlig gleichgültig, ob das Weibchen vor, gegen oder senkrecht zum Winde vom Männchen saß. Um die Wahrnehmung einer Bewegung des Männchens, etwa des Flatterns, das zufällig das Knacken erzeugen könnte, durch den Gesichtssinn auszuschalten, hielt ich den Hut zwischen beide Schmetterlinge, so dass sie sich nicht sehen konnten. Auch dann dauerte das Spiel unverändert fort. Das Weibchen zitterte sofort mit dem Beginn des Knackens und saß nach dem Aufhören des- selben ruhig da. Es hatte das Geräusch also als solches wahrgenommen. 128 Peter, Versuche über das Hörvermögen eines Schmetterlings ete. II. 18. August 1912. An demselben Vormittag wurde noch ein zweites Weibchen entdeckt, als ein Männchen von ihm wegflog. Es handelte sich um ein bereits an den Flügeln zerschlissenes Exemplar. Obgleich ich es lange Zeit beobachtete, kümmerte sich doch kein Männchen um das im tiefen Grase sitzende Tier, und dieses selbst reagierte auch in keiner Weise auf das Knacken der zahl- reichen herumflatternden Männchen. Diese völlige Nichtachtung lässt den Schluss zu, dass es sich um ein Weibchen post copulam handelte, bei dem derartige Liebesspiele natürlich nutzlos wären. Die Fadenscheinigkeit seines Gewandes spricht auch dafür, dass es kein ganz frisch ausgekrochenes Exemplar war. Somit möchte ich diege negative Beobachtung nicht gegen die positiven Ergebnisse bei frischen Weibchen ins Feld führen; sie liefert uns aber einen interessanten Ausblick auf den biologischen Zweck des Knackens. IV. 29. August 1912. An diesem Morgen fand ich ein Weibchen, das sehr lebhaft auf das Knacken des Männchens antwortete. Leb- haftes Zittern stellte sich ein, sobald das Geräusch hörbar wurde und hörte mit dem Sistieren desselben wieder auf; auch hier be- stand völlige Synchronie. Vor allem versuchte ich jetzt den Gesichtssinn auszuschalten, um dadurch die Existenz des Gehörsinnes beweisen zu können. Die ersten Experimente misslangen, boten aber anderweitige wich- tige Ergebnisse. Einmal bedeckte ich das Weibchen mit meinem Hut oder einem aus Papier gefertigten Kästchen, um ihm die Möglichkeit zu nehmen, das Männchen, das es dann knacken hören sollte, vorher zu sehen. Leider verlief dieser Versuch, wie gesagt, resultatlos, denn wenn sich auch dem Tiere, so lange es unbedeckt war, Männchen in großer Zahl näherten, so erschien kein einziges, um das dem Gesichtssinn entzogene Weibchen zu suchen, obgleich viele vorbeiflogen. Der fremde Geruch der bedeckenden Gegenstände konnte nicht die Ur- sache des Misserfolges sein, da die Männchen sofort ankamen, wenn ich Hut oder Papierkästchen neben das Weibchen legte. Ich habe wohl 1'!/, Stunden in dieser Weise beobachtet, ohne dass ein ein- ziges Männchen zu dem verdeckten Weibchen gekommen wäre. Ich glaube daher, dass das Männchen das Weibchen ge- sehen haben muss, um es zu bemerken, und hierzu sind dessen zitternde Bewegungen wohl geeignet. Ich erinnere daran, dass das erste Weibchen auf das Geräusch des vorüberflatternden Männchens auf die Spitze eines Grashalmes kroch, um besser ge- sehen werden zu können. Gestützt wird diese Vermutung, dass der Gesichtssinn der Männchen beim Aufsuchen der Weibchen eine Rolle spielt, durch den zweiten Versuch. Peter, Versuche über das Hörvermögen eines Schmetterlings etc. 129 Ich fing mehrere Männchen, die sich sofort tot stellten, und setzte sie in Entfernung einer Handbreite neben das Weibchen, doch so, dass die Tierchen einander nicht sehen konnten. Statt nun das Weibchen wahrzunehmen, wie es mittels des Geruchssinnes leicht gewesen wäre, und sich ihm zu nähern, flogen sämtliche Männchen nach kurzer Zeit weg, ohne jenes zu beachten. Der gewünschte Erfolg, den Gesichtssinn auf diesem Wege auszuschließen, blieb also aus, da die Männchen und Weibchen sich nicht beachteten. Doch konnte die Bedeutung des Gesichtssinnes für das andere Geschlecht auf diese Weise erwiesen werden: die Männchen haben ihn nötig, um auf die Weibchen auf- merksam zu werden. Somit war ich auf die gleichen Versuche angewiesen, wie ich sie mit dem zweiten Weibchen angestellt hatte, und diese lieferten stets das gleiche Ergebnis, sogar in noch deutlicherer Form. Wenn sich ein Männchen in der Nähe des Weibchens nieder- ließ, hielt ich ein Stück Papier zwischen die Tiere. Sobald das Männchen sein Knacken ertönen ließ, zitterte auch das Weibchen mit Leib und Flügeln, ohne dass es den Musikanten sehen konnte, und zwar reagierte das stark erregte Weibchen sehr schnell, so dass beide Äußerungen völlig gleichzeitig vor sich gingen. Gleichzeitig mit dem Aufhören des Knackens hörte auch das Weibchen mit seinen Bewegungen auf. Ich habe dieses Spiel lange Zeit beobachtet und kann es mir auf keine andere Weise erklären, als dass das Weibchen das Knacken des Männchens wirklich hörte. Fasse ich diese Beobachtungen zusammen, so ergibt sich folgendes: 1. Das Weibchen reagiert auf das Knacken des Männ- chens mit zitternden Bewegungen des Leibes und meist auch der Flügel. 2. Diese Reaktion tritt ein, wenn das Männchen vor- überfliegt oder sich in der Nähe niedersetzt. 3. Die Reaktion hört sofort auf, wenn das Geräusch des Männchens aufhört; die Äußerungen beider Ge- schlechter gehen also völlig synchron vor sich. 4. Bei der Übertragung des Reizes spielt die Wind- richtung keine Rolle, da das Weibchen sich stets in gleicher Weise benahm, mochte das Männchen vor dem Wind, gegen den Wind oder seitlich sitzen. 5. Auch der Gesichtssinn ist bei der Übertragung aus- zuschalten, da das Weibchen auch dann zittert, wenn es das knarrende Männchen nicht sehen kann. Es scheint also das Geräusch als solches von dem Weibchen wahrgenommen zu werden und damit nicht nur eine zufällige Be- gleiterscheinung irgendeiner Äußerung zu sein, die mit einem anderen XXXII. 48 (90 Peter, Versuche über das Hörvermögen eines Schmetterlings etc. Sinne perzipiert wird, etwa einer Bewegung, die das Weibchen sieht. Das Geräusch als solches ist das Wichtige bei der Vereinigung der Geschlechter. Somit glaube ich zu dem Schlusse berechtigt zu sein, dass die Weibchen das Knacken der Männchen als Laut mit Hör- organen wahrnehmen, dass ıhnen also ein Gehörsinn zu- zusprechen ist. Die geschilderten Beobachtungen liefern aber noch andere inter- essante Ergebnisse, und zwar in bezug auf den biologischen Zweck des Knackens einerseits und der zitternden Bewe- gungen anderseits. Einmal lehren sie nämlich, dass das knackende Geräusch des Männchens in der Tat als Erregungsmittel des Weibchens zu be- trachten ist, wie ich schon mit Laboulb&ne angenommen habe. Ich konnte es trotz mehrfacher Versuche nicht wahrnehmen, wenn ich den Schmetterling zwischen die Finger fasste, wie es Guene6e beschreibt, sondern nur beim Fliegen oder Flattern. Interessant war es, das Weibchen daraufhin zu untersuchen, ob es die Fähig- keit hat, die gleichen Töne hervorzubringen. Da sie hier einen ähnlichen Zweck nicht zu erfüllen hätten, so wäre die Lautgebung ohne Nutzen, und ın der Tat habe ich von den Weibchen nie einen Laut gehört. So oft ich auch die trägen Weibchen in die Luft warf und zum Fliegen zwang, so habe ich doch nie von ihnen ein Geräusch gehört. Am 29. August fand ich ım Val des Dix am Nachmittag sogar ein Weibchen freiwillig fliegend, wahrscheinlich, um einen geeigneten Platz zur Eiablage aufzusuchen. Auch bei diesem konnte ich kein Knacken hören; der schwerfällige Flug ging völlig lautlos vor sich. Es handelt sich also um eine Eigen- schaft, die allein dem Männchen zukommt. Das Weibchen reagiert also auf dieses Knacken mit zitternden Bewegungen, aber augenscheinlich nur ante copulam; post copulam zeigt es diese Reaktion nicht mehr. Diese Bewegungen scheinen mir nun ihrerseits wieder nötig, um das Männchen anzulocken, damit es das Weibchen wahrnimmt. Im allgememen nimmt man ja an, dass die männlichen Schmetter- linge ihre Weibchen mit dem Geruchssinn aufspüren, und es ist eine lange bekannte und von den Sammlern benutzte Erscheinung, dass die Männchen z. B. der Spinner, auch seltener Arten, von weither heranfliegen, um ein frisch ausgekrochenes Weibchen auf- zusuchen. Ich möchte hierfür nur auf die anschauliche Schilderung des Altmeisters der Insektenbeobachtung, J. H. Fabre, verweisen, der ın seinen „Bildern aus dem Insektenleben“ (Stuttgart, Kosmos) bei Gelegenheit der „Hochzeitsflüge der Nachtpfauenaugen“ diese Erscheinung beschreibt. Ich glaube aber doch, dass der Gesichts- P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. 731 sinn bei den Männchen von Endrosa eine Rolle spielt, und dass die Bewegungen des Weibchens dazu dienen, die Aufmerksamkeit der Männchen auf die versteckt sitzende Genossin zu lenken. Dass das dritte Weibchen von den Männchen nicht beachtet wurde, soll hier nicht als beweisend dafür ins Feld geführt werden, Es führte zwar keine Bewegungen aus, aber hier kann der Geruchs- sınn in gleicher Weise gewirkt haben. Denn bekanntermaßen findet sich post copulam kein einziges Männchen mehr bei dem Weibchen ein, so viel ihrer auch vorher herumschwärmten. Aber das scheint mir für meine Ansicht beweisend zu sein, dass kein Männchen an ein Weibchen herankam, wenn es dasselbe nicht sehen konnte oder nicht vorher gesehen hatte. Wenn ich das Weibchen mit Hut oder Papierkästchen bedeckte, so fand sich kein Männchen in seiner Nähe ein; und Männchen, die ich fing und in nächste Nähe des Weıibchens setzte, flogen sämtlich wieder fort, ohne sich um jenes zu kümmern, das sie mit dem Geruchssinn wohl hätten wahrnehmen können. Da sie nicht knackten, so be- wegte sich das Weibchen nicht und konnte nicht gesehen werden. Beide Geschlechter arbeiten also ineinander, um ein Zusammen- kommen zu ermöglichen: das Männchen fliegt knackend niedrigen Fluges über die Halde; das Weibchen hört dieses Geräusch und führt zitternde Bewegungen mit Leib und Flügeln aus; das Männ- chen sıeht diese und lässt sich ın der Nähe des Weibchens nieder, flatternd und knackend kommt es dem zitternden Weibchen ent- gegen, bis die Uopula stattfindet. Alle Sinne arbeiten zusammen, um die Erhaltung der Art zu garantieren; in unserem Fall ist beim Männchen besonders der Gesichtssinn beteiligt, beim Weibchen sicher der Gehörsinn. Über das Wesen des Vokalklanges. Von Privatdozenten Dr. Paul v. Liebermann (Erlangen). Die Frage nach dem Wesen des Vokalklanges, die lange Zeit Gegenstand heftigen Streites gewesen war, ist durch Untersuchungen der jüngsten Zeit wesentlich geklärt worden. Obwohl noch eine ganze Reihe von Einzelfragen unbeantwortet ist und durch die neuen Entdeckungen auch ganz neue Probleme geschaffen worden sind, ist die Lehre andererseits doch soweit abgeschlossen, dass eine Übersicht wohl gegeben werden kann. Dies soll im folgenden ge- schehen. Inhalt: 1. Vokalität und Klangfarbe. Vokalität durch feste Töne bestimmt. 2. Die Vokalreihe « bis © und die Prinzipalvokale. Die Vokalität einfacher Töne. 48* ER P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. | cs € 3. Die Rolle der vokalbestimmenden Töne im Stimmklang. Die Stellung der Vokalität unter den drei Grundeigenschaften der Tonempfindung. 4. Verstärkungstheorie und Anblasungstheorie.. Das Zusammenwirken der Vo- kalitäten. Oszillationssheorie. 1. Vokalität und Klangfarbe. Vokalität durch feste Töne bestimmt. Singe ich denselben Ton auf verschiedene Vokale, so muss die Verschiedenheit dieser Klänge auf ıhrer verschiedenen Zusammen- setzung beruhen. Man hat deshalb immer gefragt, wie sich zwei Klänge in ihrer Zusammensetzung unterscheiden müssen, wenn der eine etwa wie ein o, der andere etwa wie ein © klingen soll. Man ist dabei zu einer Reihe richtiger Ergebnisse gekommen, ohne doch das Wesen des Vokalklanges erkannt zu haben. Das lag daran, dass in der obigen Fragestellung ein Vorurteil steckt: dass der Klang, um wie ein Vokal zu klingen, ein zusammengesetzter sein müsse. Dieses Vorurteil war dadurch nahegelegt, dass die Klänge, bei denen wir auf „Vokalität“ am meisten zu achten pflegen, die unserer Stimme sind, denn bei diesen kommt es uns, der Sprache wegen, auf die Vokalität an; da nun die Stimmlaute zusammen- gesetzte Klänge sind und ihre Vokalunterschiede wirklich auf ver- schiedener Zusammensetzung beruhen, war man von vornherein auf die Zusammensetzung hingewiesen, und erst in jüngster Zeit fand sich, dass man bei der Untersuchung der Vokaleigentümlichkeit von einfachen Tönen ausgehen muss. Doch wollen wir bei der historischen Folge bieiben; das ist zwar für die Darstellung des heutigen Standes der Fragen nicht der einfachste Weg, bietet aber, wie immer, besonderes Interesse. Das Vorurteil, dass Vokalklänge stets zusammengesetzt sein müssten, wurde durch einen psychologischen Irrtum unterstützt. Man hatte sich gewöhnt, mit Helmholtz drei und nur drei Eigen- schaften an den Tönen zu unterscheiden: Höhe, Stärke, Klangfarbe. Da in diesem Schema für weitere Empfindungsmerkmale kein Platz ist, dachte niemand daran, die Vokalität als besondere Eigenschaft neben die anderen zu stellen und zählte sie daher zur Klangfarbe. Helmholtz selbst spricht sich ganz deutlich so aus!). Da er nun festgestellt hatte, dass die Unterschiede der Klangfarben auf Unter- schieden der Zusammensetzung beruhen, so musste er schließen, dass dies auch für die Vokalitätsunterschiede gelte. Und da es für die Klänge der Stimme tatsächlich zutrifft, so begreifen wir, wie die fundamentalen Tatsachen der Vokalität einfacher Töne so lange unbemerkt, und wenn bemerkt, unbeachtet bleiben konnten. 1) Tonempfindungen, 4. Aufl., S.31 und an vielen anderen Stellen. Schon aus der Einteilung des 5. Abschnittes: Von den Unterschieden der musikalischen Klang- farben geht diese Ansicht hervor, da er hier die Klänge der Vokale an die der ver- schiedenen Instrumente anreiht. P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. 133 Freilich hätte eine naive psychologische Betrachtung vor solch einem Vorurteil schützen müssen. Fragen wir den naiven Beobachter, ob sich a von o in derselben Weise unterscheide wie Geige von Fagott, so wird er das ohne Besinnen verneinen. Zwischen Geige und Fagott ist der Unterschied von derselben Art wie zwischen einem von ihnen und der menschlichen Stimme; a und o aber sind Unter- schiede innerhalb der Klangfarbe der menschlichen Stimme. Gesang müsste eine klägliche Art von Musik sein, wenn wir die Vokalıtät nicht ändern könnten, ohne auch die Klangfarbe wesent- lich zu ändern. Man stelle sich nur vor, in Schubert’s Der Tod und das Mädchen Fee u Su Ju nd de Gib deine Hand, du schön und zart Ge- bild klänge jedes d in anderer Klangfarbe, als wenn verschiedene Instru- mente abwechselten! Diese Beobachtung kann uns nun schon auf den Gedanken bringen, dass die Vokalität durch andere physikalische Eigenschaften des Klanges bestimmt sein möchte als die Klangfarbe; beruht die Klangfarbe auf dem Amplitudenverhältnis der Teiltöne nach ihrer Ördnungszahl?), so kann man vermuten, dass die Vokalität auf etwas anderem beruhen wird. Man kann das aber zunächst höchstens vermuten, und es wäre ein arger Fehler, aus dieser Überlegung einen wirklichen Schluss zu ziehen. Einer einzigen Variabeln im Physikalischen kann eine ganze Anzahl im Psychischen entsprechen, wie das noch genau zu erörtern sein wird. Dennoch wird dieser Schluss bei etwas genauerem Zusehen möglich und unvermeidlich. Beruhte nämlich die Vokalıtät auf dem Stärkeverhältnis der Teiltöne nach ihrer Ordnungszahl, so wie die Klangfarbe, so wäre doch erstens zu erwarten, dass jeder Klang in irgendeiner Vokalität erscheine, wie jeder in irgendeiner Klang- farbe erscheint; jedermann weiß, dass das keineswegs der Fall ist. Zweitens könnten Klangfarbe und Vokalität nicht unabhängig ver- änderlich sein, wie sie es doch tatsächlich sind, wie das Noten- beispiel oben zeigt und der Gegenversuch, den Vokal konstant zu lassen und die Klangfarbe zu ändern (etwa indem man Brust- und Fistelstimme abwechseln lässt). Demnach ist die Vokalıtät eines zusammengesetzten Klanges durch etwas anderes als das Stärkeverhältnis der Teiltöne nach ihrer Ordnungszahl physikalisch bestimmt. Was dies ist, lässt sich nach den verschiedensten Methoden prüfen, und wir wollen sogleich hervorheben, dass all diese Methoden zu demselben Resultat geführt 2) D. h. auf den Verhältnissen ce, :@&,:c,u.s.f., wo Cn die Amplitude des n-ten Teiltones. =; u en P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. haben. Wenn es doch lange Zeit Meinungsverschiedenheiten gab, so lag das nur an falscher Deutung der Resultate. Man kann die Methoden in zwei Hauptgruppen teilen: analy- tische und herstellende, d. h. solche, die einen gegebenen Vokal- klang zerlegen und solche, die ihn herstellen. Wir beginnen mit den analytischen. Der Mund nimmt für die verschiedenen Vokale verschiedene Stellungen ein: Form und Dimensionen der Mundhöhle sind je nach dem Vokal verschieden. Da dies einen akustischen Effekt haben soll, so fragen wir, was sich an den akustischen Eigenschaften der Mundhöhle ändert, wenn wir ihr verschiedene Formen und Dimen- sionen geben, und die Antwort heisst: ihr Eigenton. Die Luft in der Mundhöhle ist ein schwingungsfähiger Körper. Wir werden sehen, dass sie als Pfeife oder als Resonator wirken kann; ob sie bei ihrer Funktion, die Vokale zu bestimmen, als das eine oder als das andere wirkt, ist aber zunächst gleichgültig, jedenfalls wirkt sie dadurch, dass sie schwingen kann, und die nächste Frage ist die nach ihrem Eigenton. Der Eigenton eines Hohlraumes wie der Mundhöhle hängt von Volum und Öffnung ab; er bestimmt sich nach den Formeln, die von Helmholtz und anderen angegeben worden sind). Diese Formeln sind der quantitative Ausdruck für den Satz, dass der Eigenton mit zunehmendem Volum sinkt, mit zunehmender Öffnung steigt. Wie verhält er sich nun bei den einzelnen Vokalen ? Singen wir die Tonleiter auf einen Vokal, so können wir die fundamentale Tatsache feststellen, dass die Mundhöhle dabei ihre Einstellung nicht ändert oder wenigstens nicht zu ändern braucht. Daraus folgt, dass der betreffende Vokal immer durch den kon- stanten Eigenton der Mundhöhle bestimmt ist, unabhängig davon, auf welchen Grundton wir ihn singen. Singen wir z. B. den Vokal © nacheinander auf ce, d, e, f u. s. f., so rührt die “-Artigkeit aller dieser Klänge von dem konstanten Eigenton der Mundhöhle her. Da dieser konstante Ton bei Änderungen des Grundtones seine Ordnungszahl als Teilton ändert, so sehen wir, dass nicht ein Teilton bestimmter Ordnungszahl, sondern ein Ton bestimmter Schwingungs- zahl hervortreten muss, wenn der Klang wie ein bestimmter Vokal klingen soll. Dies unser erstes Hauptergebnis: schon von Willis gefun- den®), wurde es von Helmholtz eingehend begründet’). Helm- 3) Tonempfindungen, Beilage II. 4) Trausactions of the Cambridge Philosoph. Soc. Vol. III, p.231. Poggen- dorff’s Ann., 24. Bd., S. 397. 5) Lehre von den Tonempfindungen, 5. Abschnitt, Punkt ”. Helmholtz gibt an, dass die Theorie von Wheatstone zuerst entwickelt worden ist. The London and Westminster Review 1837. P. v. Liebermann, Uber das Wesen des Vokalklanges, 5) holtz kam zu diesem Resultat, obwohl er psychologisch Vokalität und Klangfarbe nicht unterschied — gewiss merkwürdig. Dass die Vokale durch feste Töne bestimmt sind, wurde dann vielfach be- stätigt, mit verschiedenen Methoden. Über diesen Satz kann also nicht der mindeste Zweifel sein. Es ist deshalb zu bedauern, dass manche Autoren immer noch die Bedeutung des „relativen Mo- mentes“ (Stärkeverhältnis der Teiltöne) neben dem „absoluten Mo- ment“ hervorheben, was den nicht orientierten Leser zu der Vor- stellung führen muss, als wirkten diese beiden „Momente“ irgendwie in mystischer Weise zusammen. Dass das Stärkeverhältnis der Teiltöne nicht ohne Einfluss sein kann, ist ohne weiteres klar, denn der feste Ton muss hervortreten, wenn er dem Klang die be- stimmte Vokalität erteilen soll; dass er das nicht kann, wenn er von den anderen erdrückt wird, liegt auf der Hand. Das ist aber eine Selbstverständlichkeit, die mit dem Wesen der Vokalität nichts zu tun hat°). Unsere Aufgabe ist nun mehrfach. Zunächst werden wir noch einige von den Methoden anzuführen haben, die den Grundsatz nachweisen, dass die Vokalität von festen Tönen bestimmt ist. Dann gehen wir über zu der Frage, welche Töne dies für die ein- zelnen Vokale sind — dabei wird in einem auch der Nachweis des Grundsatzes selbst vervollständigt werden. Weiter werden wir die Frage zu behandeln haben, wie es der charakteristische Ton fertig bringt, den Klang zum Vokal zu machen. Die Besprechung dieser Frage wird von allgemeineren Erörterungen über die Stellung der Vokalıtät unter den Eigenschaften der Tonempfindungen nicht zu trennen sein. Endlich bleibt uns dann eine physikalische Seite des Gegenstandes zu betrachten: die Art, wie die Mundhöhle es macht, dem Stimmklange den charakteristischen Ton beizufügen. Ein eleganter Versuch, der die Bedeutung des festen Tones zeigt, ist die Reproduktion am Phonographen in verändertem Tempo. Lässt man den Apparat bei der Reproduktion langsamer oder schneller laufen, als er bei der Aufnahme lief, so ändert man da- durch die Höhe jenes Partialtones um dasselbe Intervall, nämlich um das Verhältnis der beiden Drehgeschwindigkeiten. Das Amplı- tudenverhältnis der Partialtöne nach ihrer Ordnungszahl bleibt dabeı unverändert; hingen die Vokale von diesem ab, so müssten auch sie unverändert bleiben, wie es die Klangfarbe bleibt.. Sie werden jedoch verändert, wie Hermann gezeigt hat: manche verwandeln sich in andere, manche verlieren nach seinen Angaben die Vokalität 6) Grassmann hat bemerkt, dass das „absolute Moment“ zur Erklärung des- halb nicht ausreichen könne, weil wir die Mannigfaltigkeit der Vokale auf einer Linie nicht vollständig darstellen können. Felix Auerbach stimmt ihm hierin zu. S. darüber S. 75l, Anm. 37. 156 P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. überhaupt. Welche Verwandlungen eintreten, ist keine ganz ein- fache Frage; es mag an diesem allgemeinen Hinweise genügen’). Die Bedeutung der festen Töne lässt sich ferner durch die Analyse von Vokalkurven zeigen — ein im einzelnen leicht irreführendes Verfahren, das bei der Feststellung, welches die charakteristischen Töne sind, große Verwirrung angerichtet und zu vielen falschen Resultaten geführt hat. Der allgemeine Satz von den festen Tönen ließ sich dennoch auch auf diesem Wege veri- fizieren; von den vielen Untersuchern seien hier nur Hermann, Pipping, Boeke genannt. Es ist hier nicht der Ort, auf Einzel- heiten der Methode einzugehen; das Prinzip besteht bei den meisten Methoden darin, die Luftschwingung des Vokalklanges von einer Membran aufnehmen zu lassen und die Schwingung dieser zu regi- strieren. Die Zwischenschaltung einer Membran ist vermieden bei der Methode von Raps, die auf dem Prinzip von Boltzmann beruht, zwei Lichtstrahlen zur Interferenz zu bringen, von denen der eine durch ruhende, der andere durch tönende Luft geht. Eine Zusammenstellung der Methoden findet sich in Auerbach’s Hand- buch der Akustik, III. Abschn., Punkt 3. Die Kurven werden nach Fourier analysiert; man erhält dann die Gleichung der Kurve bekanntlich in der Form y=e, sin (x-+9%;,) + c, sin (2x+9,) 4 ce, sin (3x 4 9,)+..., worin c, die Amplitude der Grundtonsewingung, c, die der Oktave, c, die der Duodecime u.s.w. bedeutet. Es zeigt sich nun, dass die Koöffizienten mit steigendem Index im allgemeinen nicht monoton abnehmen, sondern gewisse Maxima aufweisen, ‚meist ein besonders hervorstechendes; und es findet sich, dass dieses auf eine Teilschwingung um so kleinerer Ord- nungszahl fällt, je höher der Grundton, auf den man einen bestimmten Vokal singt; und zwar bleibt es annähernd bei Teilschwingungen von derselben Schwingungszahl — was zu beweisen war. Man kann die Intensitätsmaxima auch subjektiv aufsuchen; durch Heraushören mit dem unbewaffneten Ohre oder mit Resonatoren, wie es be- sonders Auerbach, ursprünglich auf Anregung von Helmholtz, ausgeführt hat°®). Alle diese Methoden führen zu dem angegebenen Resultat. 2. Die Vokalreihe und die Prinzipalvokale. Die Vokalität einfacher Töne. Gehen wir nun zu der Frage über, welches der charakteristische Ton für jeden einzelnen Vokal ist. Wir müssen uns dabei immer vor Augen halten, dass es nicht eine beschränkte Anzahl von Vo- 7) Hermann, Pflüg. Arch., Bd.”47, S. 42, 53, 8.8 u. 139, 8. 1. 8) F. Auerbach, Inauguraldissert. Berlin 1876. Ann. d. Phys., Ergzbd. 8, 1578, S.177— 225. S auch sein Handbuch der Akustik, S. 691 ff. P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. 137 kalen gibt, sondern unendlich viele, und dass daher die Frage nur dann erschöpfend zu beantworten sein kann, wenn es zunächst ge- lingt, die Vokale in ein System zu bringen — zu zeigen, dass sie eine wohlgeordnete Menge bilden, eine Mannigfaltigkeit also, in der jeder Vokal seinen bestimmten Platz hat, so wie dies bei den Farbenempfindungen der Fall ist. Tatsächlich finden wir, dass sich die Vokale in Reihen ordnen lassen, ebenso wie die Farben. Eine psychische Qualitäten- reihe heisst nach G. E. Müller°) eine Reihe von Empfin- dungen, in der sich die Qualität stetig und geradläufig ändert. Der Ausdruck geradläufig bezieht sich dabei auf den unmittelbaren Eindruck. Stellen wir die Reihe her: Rot — Orangetöne — Gelb — Gelbgrüne Töne — Grün, so haben wir den Eindruck der gerad- läufigen Änderung von Rot bis Gelb, dann von Gelb bis Grün. Bei Gelb jedoch ändert sich die Richtung der Qualitätsänderung. Solche Punkte nennen wir ausgezeichnete. Es gibt deren unter den Farbenqualitäten bekanntlich vier: Rot, Gelb, Grün und Blau !P): zwischen je zweien erstrecken sich die Reihen der Zwischenfarben. Als Prinzipalvokale müssen wir nun U, OÖ, A, E und I be- zeichnen. Zwischen U und OÖ liegen die sogen. offenen!!) U-Laute, zwischen O und A die offenen O und geschlossenen A, das sind die ä-Laute, wie sie im Deutschen in Diphthongen vorkommen (Haus), aber auch aus den oberdeutschen Dialekten, ferner aus dem Eng- lischen bekannt sind (paw); im Ungarischen ist jeder kurze a-Laut ein & Zwischen A und E liegen die Ae-Laute, zwischen E und I die offenen 1. . Aus diesem System fehlen also außer den „Halbvokalen“ die U- und Ö-Vokale, deren Stellung noch genauerer Untersuchung bedarf ''?). Beim Aufsuchen der charakteristischen Töne werden wir zu- nächst die für die Prinzipalvokale U, OÖ, A, E und I zu finden 9) Zur Psychophysik der Gesichtsempfindungen. Kap. I. $ 7. Zeitschr. f. Psychologie, Bd. 10, S. 33. 10) Die Sonderstellung dieser ‚„‚Prinzipalfarben“ ist zunächst rein psychologischer Art; sie hat nichts zu tun mit der besonderen Stellung der „Grundfarben“, wie sie die Young-Helmholtz’sche Theorie annimmt; diese geht von physiologischen Tatsachen aus. 11) Im Deutschen finden wir die Prinzipalvokale in den langen Silben. In den kurzen dagegen wir das U O-artig, das O A-artig, das A O-artig, dasE A-artig, das I E-artig. Bei vielen Menschen sind diese Unterschiede schon beim Sprechen deutlich bemerkbar. Sie werden schlagend, wenn man im Gesang auch die kurzen Silben - zu dehnen hat. Da nun ein O-artiges U bei offenerem Munde entsteht als ein reines U, nennt man wohl das reine U (Prinzipal-U) ein geschlossenes; ebenso heisst das reine O ein geschlossenes, auch das reine E und I, während beim A der reine Vokal der offene ist, das geschlossene A aber O-artig wird. 12) Von den „Halbvokalen“ hat das ın seine Stelle bereits erhalten. S. S. 741. 138 P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. trachten. Für die Zwischenvokale gibt es dann zwei physikalische Möglichkeiten: sie könnten entstehen durch zwischenliegende Töne oder durch Tonmischungen. Wie es sich damit verhält, wollen wir, soweit es beim heutigen Stand unserer Kenntnisse möglich ist, an geeigneter Stelle besprechen. Wir beginnen mit den analytischen Methoden. Erteilt man der Mundhöhle die Stellung, die dem zu prüfenden Vokale ent- spricht, so kann man den Eigenton der Mundhöhle feststellen, in- den man aus einer Reihe von Stimmgabeln die sucht, deren Ton durch die Mundhöhle am meisten verstärkt wird. Diese einfache Methode gibt recht scharfe Ergebnisse; mit ihrer Hilfe haben Helm- holtz und König!?) die charakteristischen Töne bestimmt. König’s Ergebnis lautet: u o a e 1 b b! b? b? b* 225 450 900 1800 3600. Helmholtz fand dasselbe für O, A und E; für I fand er einen viel zu tiefen Ton (d*), da er keine genügend hohen Gabeln hatte; für U gibt er wohl fan, doch bemerkt er selbst, dass es eine große Reihe U-artiger Vokale gebe, und dass bei der Stellung des Mundes, wo die Gabel f! anspricht, der Vokal immer noch ein U, und zwar ein O-artiges sei: Helmholtz weicht hier nur deswegen von König ab, weil er das zu bestimmende U nicht scharf genug definiert hatte. Es ist also schon deswegen der König’schen Angabe der Vorzug zu geben. Es fällt aber auch in die Augen, dass das merkwürdige Oktavenverhältnis der Töne der Hauptvokale so gewahrt bleibt, was für die König’sche Angabe einnehmen muss, da es eine Ge- setzmäßigkeit ist. Dieses Verhältnis nehmen wir einstweilen zur Kenntnis; wir kommen noch ausführlich darauf zurück. Über die objektive Methode der Zerlegung haben wir noch folgendes zu. bemerken. Die Untersucher meinten, dass sich diese nicht nur zum allgemeinen Nachweis der Bedeutung der absoluten Höhen, sondern auch zur Bestimmung der charakteristischen Töne würden verwenden lassen. Es brauchte ja nur bestimmt zu werden, welchen Schwingungszahlen die erwähnten Amplitudenmaxima zu- gehören. Obschon nun der Gedanke an sich richtig ist und tatsächlich auch auf diesem Wege einige richtige Ergebnisse gefunden worden sind, so müssen wir doch betonen, dass die Methode an dem prin- zipiellen Fehler leidet, eine indirekte zu sein. Wie sich dieser Mangel im speziellen äußert, wird besser erst nach Besprechung der herstellenden Methoden und ihrer Ergebnisse ausgeführt; hier nur so viel, dass bei diesen Zerlegungsverfahren stets der un- 13) Compt. rend. de l’Acad. des Sciences de Paris. Tome 70. Quelques experiences d’acoustique, p. 47. P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. 139 mittelbare Nachweis fehlt, dass der gefundene Ton wirklich der vokalbestimmende war. Besser entspricht dieser Anforderung ist eine andere analytische Methode, die der Interferenz. Grützner und Sauberschwarz haben sıe zuerst angewendet!*). Man leitet den Klang durch einen Interferenzapparat und sucht, auf welche Wellenlänge dieser ein- gestellt werden muss, d. h. welche Teilschwingung ausgelöscht werden muss, damit er seine Vokalität verliere®°). Aber auch diese Methode steht an Sicherheit, und wie wir sehen werden, auch an Einfachheit und Eleganz weit hinter der herstellenden von W. Köhler zurück '°). Vokalsynthesen sind nichts Neues. Willis stellte schon Vokalklänge zusammen, und berühmt sind besonders die Synthesen von Helmholtz geworden; er stellte dıe Vokale bekanntlich aus Stimmgabeltönen her. Dennoch haben diese Methoden keine voll- ständige Klarheit geschafft, weil alle Untersucher an der psycho- logischen Hauptfrage vorbeigegangen sind, die allein es schließlich ermöglicht hat, das herstellende Verfahren genügend einfach zu ge- stalten. W.Köhler ging von der Frage aus: wie fängt es der charak- teristische Ton an, den Klang zum Vokal zu machen? Steckt in ihm eine mystische virtus alterandi, eine Fähigkeit, dem Klange Vokalıtät zu verleihen, von der aber gar nichts zu merken ist, so- lange wir den Ton allein hören? Sollen wir etwa Hermann glauben, dass der charakteristische Ton intermittieren müsse, wenn diese Fähigkeit sich zeigen soll!’)? Liegt es nicht viel näher, an- zunehmen, er sei selbst der Vokal? Diese Annahme lässt sich natürlich ohne weiteres prüfen. Man braucht ja nur einen einfachen Ton anzuhören. Die ganze Technik reduziert sich darauf, reine Sinusschwingungen herzustellen. In aller Strenge leistet das der Interferenzapparat. Aber mit großer Annäherung leisten es Töne mancher Stimmgabeln, Töne von Flaschen, und bei den höchsten Tönen alle Instrumente, selbst die ın der Tiefe und Mitte so obertonreiche Geige. Man höre nun solche einfache Töne an und man wird finden, dass jeder, wenigstens im Bereich von c! bis ec’, wie irgend- ein Vokal klingt. 14) Sauberschwarz, Pflüg. Arch. 61. 15) Nämlich die, die er hatte. Es braucht dabei nicht jede Vokalität über- haupt verloren zu gehen; sie kann sich in eine andere verwandein. Die Beurteilung der Resultate wird erschwert durch den Umstand, dass beim Tilgen einer Teil- schwingung ihre ungeraden Vielfachen mit getilgt werden. 16) Akustische Untersuchungen I und besonders II. Zeitschr. f. Psychologie, Bd. 54 u. 58, 1909 u. 1911. 17) Diese Hermann’sche Theorie wird im 4. Abschnitt besprochen werden. 1740 P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. Man wird auch finden, dass verschiedene Schwingungszahlen verschiedene Vokale ergeben, und zwar ohne Ausnahme. Aus dem Stetigkeitsprinzip folgt schon, dass der Reihe der Schwingungs- zahlen eine stetige Reihe von Vokalen entsprechen muss, und wir werden uns nicht wundern, die oben rein psychologisch ge- fundene Reihe U-offene U-O-A-A-Ae-E-offene I-I hier als psycho- physische wiederzufinden. Ebensowenig wird es uns überraschen, dass sich für die Prinzipalvokale annähernd dieselben Schwingungs- zahlen finden, die Helmholtz und König nach der Mundton- methode gefunden hatten. Warum nicht ganz genau, wird sich leicht erklären lassen, wenn wir bedenken, wie bei der Köhler’- schen Herstellungsmethode die Prinzipalvokale gefunden werden. Sie sind die ausgezeichneten Punkte der Vokalreihe, und werden durch Vorführung der Reihe festgestellt. Dem Beobachter sind also alle Vergleichungen stets in der Empfindung möglich: er sucht den Vokal der Reihe, der nach keinem anderen Haupt- vokal neigt, also etwa das a, das weder nach o noch nach e neigt. Dass dies außerordentlich erleichtert wird, wenn er fortwährend mit den Nachbarn vergleichen kann, davon wird man sich nach dem ersten Versuch überzeugen. Und die auch so noch bleibende Unsicherheit, die darin steckt, dass das Urteil, den Hauptvokal gefunden zu haben, ein negatives ist (der Vokal ist rein, d.h. weder o- noch e-artig), wird behoben, wenn man die Aufgabe so stellt: es werde der Punkt gesucht, von dem aus die eben merk- liche Änderung nach der einen Seite zu o-artigem, nach der anderen zu e-artigem Klange führt. Wem Farbenvorstellungen geläufig sind, mag sich’s ins Optische übersetzen; die Analogie ist voll- kommen. Es leuchtet also ein, dass diese Methode, die sich der Stetig- keit der Reihe und der Verschiedenheit der Nachbarn bedient, um den Hauptvokal zu finden, diesen Punkt am allerschärfsten von allen Methoden finden wird; schärfer jedenfalls als die Mundton- methode, wenn sie so geübt wird, dass man der Mundhöhle aus dem Gedächtnis die Stellung gibt, die man ihr zu geben pflegt, wenn man etwa das reinste a sprechen will, das man zu sprechen oder zu singen gewohnt ist. Wenn dieses z. B. o-artig ist, etwa wegen mundartlicher Besonderheiten oder aus gesangsästhetischen Rücksichten (ein ganz reines a klingt grell), so muss die Schwin- gungszahl etwas anders gefunden werden, als nach der Köhler- schen Methode. Allerdings glaube ich, dass sich auch die Mund- tonmethode viel schärfer gestalten ließe, wenn man erst die Vokalreihe spräche oder sänge, so den Prinzipalvokal aufsuchte und dann erst die ihm zugehörige Mundstellung beibehaltend, die übereinstimmende Gabel suchte. Jedenfalls wird es uns nun ver- ständlich, dass Köhler für die Prinzipalvokale statt der b-Töne P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. 741 die c-Töne (nach hoher Stimmung) fand, « bei 263 Schwingungen, die anderen in den entsprechenden Oktaven'?). u (0) a e ei e2 e3 et 263 521 1053 2097 Von der Genauigkeit der Methode zeugt der sehr kleine Wert der mittleren Variation; sie betrug in Köhler’s Versuchen zwischen 1 und 2°/, der Schwingungszahl, meist aber wenig über 1°/,. Die angeführten Zahlen sind Mittel aus den Mittelwerten von 4 Be- obachtern. Die Schwingungszahl für ı ließ sich nicht so genau feststellen, da sich kein geeignetes Instrument fand. Doch wurde gefunden, dass 4000 noch nach e klang, während 4800 kein gutes i mehr war und als jenseits dieses liegend bezeichnet wurde. Der Oktavensatz lässt keinen Zweifel über die wirkliche Lage (e?). Aus der Stetigkeit der Reihe folgt, dass die Töne, die sich an c! nach unten und an c? nach oben anschließen, auch noch u- resp. i-artig klingen müssen. Die Töne der kleinen Oktave klingen wie verhüllte u, m-artig, die u-Artigkeit verschwindet bei c®. Die fünf- gestrichenen Töne zeigen eine Beimengung des Konsonanten s, sie klingen als 1—. Die Tatsache, dass einfache Töne Vokale sind, ist nicht Köhler’s Entdeckung. Schon für Willis „hat es den Anschein, als sei in einfachen Tönen ein jeder Vokal- laut unzertrennlich von einer gewissen Tonhöhe“ (l. ce. S. 415), worin „einfacher Ton“ allerdings nicht im heutigen Sinne steht. Ähnliche Bemerkungen, wenn auch von weit geringerer Schärfe, finden sich mehrfach in der Literatur. Am merk- würdigsten ist es, dass Helmholtz selbst diese Tatsache bemerkt hat, ohne ihre Tragweite zu erkennen; er erwähnt bei ganz anderer Gelegenheit, dass eine auf b gestimmte Flasche ein u, eine auf b! gestimmte ein o gibt (Tonempf. S. 104) — was ihm um so mehr hätte auffallen müssen, als er selbst b und b! als ‚„charakteristische Töne“ für die gesungenen Vokale O und U gefunden hatte. Aus dem Zusammen- hang der zitierten Stelle ergibt sich klar, dass es die Verwechslung mit der Klang- farbe war, die ihn hinderte, die Bedeutung seiner Beobachtung wahrzunehmen. Nicht lange bevor Köhler seine Ergebnisse mitteilte, hat v. Wesendonk wieder die „Entdeckung“ gemacht. Dennoch gehört das Verdienst ausschließlich Köhler, nicht weil er die Erscheinungen dank einer klaren Fragestellung unab- hängig von seinen Vorgängern ‚gefunden hat, sondern weil er erkannte, dass damit die Lösung des Vokalproblems gegeben ist, dass es sich hier um eine Grundeigen- schaft der Tonempfindungen handelt. Darum war er auch der erste, der seine Ent- deckung systematisch verfolgt und ausgewertet hat. 3. Die Rolle der vokalbestimmenden Töne im Stimmklange. Die Stellung der Vokalität unter den drei @rundeigenschaften der Tonempfindung. Mit den Ergebnissen der Köhler’schen Arbeit wäre nicht nur der schlagendste Beweis für die Bedeutung der absoluten Schwin- 18) Es ist auffallend, dass die Helmholtz’sche Methode, obgleich sie andere Töne ergeben hat als die Köhler’sche, doch den Oktavensatz der Vokale er- kennen ließ. Der Unterschied der Ergebnisse kann also nicht auf bloßer Unge- nauigkeit der älteren Methoden beruhen. 742 P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. gungszahlen gegeben, wenn es eines solchen nach dem bisherigen noch bedürfte, sondern es ist damit auch die Bestimmung, welche Schwingungszahlen die charakteristischen für die einzelnen Vokale sind, in einfachster und exaktester Weise erledigt. Die früheren analytischen und synthetischen Arbeiten sind aber damit nicht gegenstandslos geworden. Nur erscheinen sie in ganz anderem Lichte — und ıhre Fortsetzung hat in Zukunft die Fragen ganz anders als bisher zuzuspitzen. Denn darauf, wie es der charakte- ristische Ton fertig bringt, den Klang zum Vokal zu machen — „For- mant“ zu sein (Hermann’s Ausdruck) —, hat Köhler die Ant- wort schon gegeben: indem er selbst der Vokal ist; aber es ent- steht sofort die Frage: wie bringt er denn diese seine Eigenschaft zur Geltung, wenn er mit anderen Schwingungen zusammen er- klingt, wenn er nur Teilschwingung eines Klanges ist — wir wir es bei den Vokalklängen der Stimme hören? Ist der Formant einfach der stärkste unter den Teiltönen und dominiert deswegen ? Dass es damit weit verwickelter steht, zeigt der einfachste Versuch. Es ıst ja eine Ausnahme, dass wir einen Vokal auf die Note seines Formanten singen — beim Sprechen, wo die Grundtonhöhe gleitet, kann dies gar nur für einen Augenblick — vorübergehend -— vorkommen. Der Formant des Vokales E (c*) liegt an der äußersten Grenze der Sopranstimme, und der des I (c?) ist unserer Stimme als Grundton überhaupt nicht zugänglich. Im allgemeinen singen wir einen Vokal also auf einen Ton, der ganz verschieden ist vom Formanten des Vokales. Beachten wir wohl, wie merkwürdig dies ist. Einen Vokal, etwa I, auf die Note c! zu singen, heisst doch nichts anderes, als ıhn so zu singen, dass dieser gesungene Ton musikalisch die Rolle eines ce! spielt. Seine Vokalıtät ist aber nicht die, die dem c! entspräche — das wäre U —, sondern sie entspricht dem Teiltone ec”. Musikalisch dominiert im Klange c!, der Vokalität nach c®. Es wird uns dadurch klar, dass die Frage, welcher Ton im Klange der stärkte sei, nicht eindeutig ist. Der stärkste kann er zunächst in physikalischem Sinne sein — dann aber kann er im psychologischen Sinne der stärkste sein, seinen musikalischen Eigenschaften oder seiner Vokalıtät nach — ja man muss sogar eine physiologische Intensität unterscheiden, die sich gar nicht in der Empfindung zu äußern braucht'?). Man kann also, wenn gefragt wird, warum im Versuch vorhin die Note c! als I klang, zunächst nur sagen, weil im Klange der 19) Töne oberhalb der Hörgrenze geben doch subjektive Kombinationstöne (schon von König beobachtet) ; ich konnte es neuerdings bestätigen. Sie sind also physiologisch wirksam, trotz psychischer Intensität Null. P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges 743 Teilton ce? seiner Vokalität nach dominierte — was natürlich keine befriedigende Erklärung ist. Die experimentelle Prüfung hat die Aufgabe, die Bedingungen festzustellen, unter denen dieser oder jener Teilton seiner Vokalıtät nach entscheidend wird — eine Auf- gabe, zu deren Lösung in den bisherigen analytischen und synthe- tischen Beobachtungen schon einiges Material niedergelegt ist. Von dessen Zergliederung sehen wir jedoch ab, da diese älteren Beob- achtungen nicht genau auf die hier präzisierte Frage zugeschärft waren, und daher doch noch vielfacher Ergänzung bedürfen werden. Dagegen müssen wir der Tatsache, dass in den Klängen der Stimme ein Ton mit der Vokalität eines andern erscheint, noch einige Worte widmen, da dies eine psychologische Merkwürdigkeit ist. Wir müssen offen gestehen, dass wir für diese „Zuteilung“ der Vokalıtät vorderhand keine Erklärung geben können und uns damit begnügen müssen, auf eine ähnliche Erscheinung bei den Klangfarben aufmerksam zu machen. Die Tatsache, dass in den zusammengesetzten Klängen der Instrumente die Obertöne für ge- wöhnlich nicht als solche bemerkt werden, sondern die Empfin- dung des Grundtones modifizieren, ist eine Sonderbarkeit von derselben Art. Es ist dabei wohl zu beachten, dass die Ober- töne durch besondere Richtung der Aufmerksamkeit herausgehört werden können, dass aber die ersterwähnte Art, den Klang aufzufassen, die naive ist. Der ungelehrte Hörer weiß nichts von Obertönen, er weiß nur, dass ein f auf der Geige anders klingt als auf der Flöte, ebenso, dass es anders klingt, wenn es auf o als wenn es auf ; gesungen wird. Wir können auf die nähere Analyse dieser Verhältnisse nicht eingehen und möchten nur noch das eine bemerken, dass diesen „Zuteilungen“ keine elementaren psychophysischen Prozesse zugrunde liegen können, da die Aufmerksamkeit darauf Einfluss hat. Wir wollen endlich den Gegenstand noch von einer ganz anderen Seite betrachten, die allgemeine sinnesphysiologische Bedeutung hat. Wir werfen die Frage auf, welche physiologische Stellung die Eigenschaft Vokalität unter den akustischen Eigenschaften der Töne einnimmt; insbesondere ob ihr physiologisches Substrat — das ma- terielle Korrelat der psychologischen Eigenschaft — mit den phy- siologischen Substraten der musikalischen Eigenschaften untrenn- bar verknüpft ıst. Diese Frage ist zu verneinen. G. Revesz hat kürzlich gezeigt, dass an den Tonempfindungen zwei Eigenschaften zu unterscheiden sind, die ihre Rolle im melodischen und harmonischen Zusammenhang bestimmen; offenbar gehört dıe Vokalität nicht zu diesen, da wir ein Lied in eine andere Sprache übersetzen können ?°). Es handelt sich vielmehr um die Eigen- kalische Wirkung eines gesungenen Tones gänzlich gleichgültig wäre. Doch kann 744 P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. schaften, die mit den musikalischen Namen der Töne bezeichnet werden. Wenn man angibt, ein Ton sei gis?, so besteht ja diese Bezeichnung aus Namen und Index. Man hat das wohl als bloße Bequemlichkeit angesehen, da es umständlich wäre, für alle musi- kalisch gebräuchlichen Töne besondere Namen einzuführen. Nun konnte freilich die große Ähnlichkeit, die zwischen den Tönen gis!, gis? u. s. w. besteht, der Beobachtung nicht entgehen; aber sie wurde im Anschluss an Helmholtz als „sekundäre“ Eigenschaft angesehen, die von der Klangzusammensetzung abhängig sei. Bren- tano hatte allerdings die entgegengesetzte Ansicht geäußert, doch fand seine Anschauung keine Beachtung, außer von Stumpf, der sie zwar stets bemerkenswert fand, ıhr aber in seiner Tonpsycho- logie doch eine ablehnende Kritik zuteil werden ließ. Die ausführ- liche Untersuchung, die nun Revesz unabhängig von Brentano’s Idee durchgeführt hat und auf die hier nicht eingegangen werden kann?!‘, ergab als sicheres Ergebnis, dass in der Bezeichnung gis? der Name gis allein tatsächlich eine besondere Eigenschaft angibt, die allen gis-Tönen gemeinsam ist. Revesz nennt dies die musi- kalische Qualität?) des Tones. Sie kehrt in der Tonreihe periodisch wieder, in der Periode der Oktave. Die andere musi- kalische Eigenschaft ist die, die uns veranlasst, die Töne als hoch und tief zu unterscheiden; sie ist nicht periodisch, sondern ändert sich geradläufig mit der Änderung der Schwingungszahl. Für sie kann zweckmäßig das alte Wort Höhe beibehalten werden. Zu diesen beiden musikalischen Eigenschaften gesellt sich nun noch die Vokalität. _Es gehört also jeder Schwingungszahl eine musikalische Qualität, eine Tonhöhe und eine Vokalität zu. Die Schwingung 523 z. B. erzeugt eine Tonempfindung, deren musikalische Qualität c, deren Höhe c? und deren Vokalität o ist. Wir müssen nun fragen, ob dieser Schwingung unter allen Um- ständen diese drei Toneigenschaften entsprechen, und wenn nicht, ob sie sich etwa nur zusammen verändern können, so dass nun die Empfindung genau der entspräche, die sonst von einer Schwingung anderer Frequenz erzeugt wird; die andere Möglichkeit wäre ja die, dass die Eigenschaften unabhängig wären und sich daher unter Umständen auch unabhängig verändern könnten. Wir werden sogleich sehen, dass tatsächlich das letztere zutrifft, und wir kommen da- sie verändert werden, ohne dass damit Melodie und Harmonie geändert würde, darum zählen wir sie nicht zu den musikalischen Eigenschaften im engeren Sinne. 21) Eine kurze Zusammenfassung der demnächst ausführlich mitzuteilenden Untersuchungen Zur Grundlegung der Tonpsychologie, Leipzig 1913, findet sich in den Nachrichten der K. Gesellsch. d. Wissensch. zu Göttingen, Math. phys. Kl., 1912. 22) Der Ausdruck Qualität schlechthin darf nur da gebraucht werden, wo kein Missverständnis zu befürchten ist, denn W. Köhler hat diesen Namen für die Vo- kalität in Anspruch genommen. P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. 745 durch zu dem Schlusse, dass die physiologischen Substrate der ein- zelnen Toneigenschaften verschieden sind. Zunächst betrachten wir nochmals die Tatsache, dass auf c!, z. B., alle Vokale gesungen werden können. Wie oben ausgeführt, bedeutet dies, dass in einem Klange der Vokalität nach nicht not- wendig der Ton der stärkste sein muss, der es seinen musikalischen Eigenschaften nach ist. Es ist also in einem Klange nicht not- wendig ein Ton der schlechthin stärkste. Dies legt den Gedanken nahe, dass den drei Toneigenschaften verschiedene psychophysische Prozesse entsprechen. Auf dasselbe weist eine Bemerkung von Revesz hin: dass in den meisten Instrumentalklängen gar keine Vokalität deutlich ist (weil keine hervortritt), während musikalische Qualität und Höhe ganz ausgesprochen sind. Wir vermuten also, dass das Paar der musikalischen Eigenschaften unabhängig ist von der Vokalität??) und verstehen nun auch, warum wir im Stimmklange die Vokalität und die musikalischen Eigenschaften unabhängig verändern können, wie wir es tun, wenn wir etwa die Tonleiter auf einen Vokal singen, oder umgekehrt auf einem Ton den Vokal wechseln lassen. Wir hätten damit, so könnte es scheinen, auch die unabhängige Veränderlichkeit gefunden, nach der wır oben fragten. Das haben wir aber noch nicht; denn wenn wir auf einem Ton singend, den Vokal varıieren, tun wir ja weiter nichts als dass wir einmal diesen, einmal jenen Partialton des zusammengesetzten Stimmklanges stark werden lassen. Wir haben oben etwas anderes gefragt: ob es vor- komme, dass sich an einem einfachen Tone die drei Eigenschaften unabhängig verändern? Auch dies ist möglich, wie die Pathologie gelehrt hat. Ein Fall von Falschhören war es zunächst, der den Beweis lieferte. Die Anomalie bestand darin, dass im oberen Teil der Tonreihe, vom unteren Ende der zweigestrichenen Oktave an aufwärts, die Töne ihre musikalische Qualität verändert hatten. Köhler konnte nun feststellen, dass der pathologische Prozess die Vokalität der Töne gänzlich unberührt gelassen hatte. Dies war schon daraus zu ersehen, dass der Kranke die Sprache wohl verstand und auch einzeln vorgeführte gesungene oder gesprochene Vokale richtig er- kannte. Es wurden nun einfache Töne geprüft. Die Töne der zweigestrichenen Oktave erschienen, wie beim Normalen, als verschiedene Abstufungen des & Um zu entscheiden, ob die Vo- kalıtäten genau normal waren, machte sich Köhler die Tatsache der ausgezeichneten Punkte in der Vokalreihe zu nutze und ließ 23) Vgl. hierüber das in Anm. 21 zitierte Werk von R&ev&sz: Zur Grundlegung der Tonpsychologie. Kapitel: Vokalität und die beiden musikalischen Eigenschaften. 24) v. Liebermannund R&v&sz: Über Orthosymphonie, Zeitschr. f. Psychol., 1908. Dieselben: Experimentelle Beiträge zum Falschhören und zur Ortho- symphonie. Zeitschr. f. Psychol. 1912. XXXI. 49 746 P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. das reine A aufsuchen. Es ergab sich, dass seine Schwingungszahl unverändert war, da es, wie normalerweise, beim dreigestrichenen c lag. Dabei hatte dieser Ton zur Zeit der Prüfung die Qualität gis?°). Es gibt also pathologische Prozesse, die die musikalische Qualität der Töne angreifen, ihre Vokalität aber unberührt lassen. Folglich sind die physiologischen Korrelate dieser beiden Eigen- schaften der Tonempfindungen verschieden. Die Prüfung der dritten Eigenschaft, der Höhe, ergab, dass auch diese normal geblieben war ?°). Dies könnte uns auf den Ge- danken bringen, dass Höhe und Vokalıtät zusammengehörten, phy- siologisch untrennbar wären, und nur die musikalische Qualität ihr eigenes Korrelat hätte. Allein bei der Betrachtung der Stimmklänge haben wir gesehen, dass dort der Grundton in musikalischer Be- ziehung schlechthin, d.h. nach Qualität und Höhe dominierte, während ein ÖOberton für die Vokalität bestimmend war. Wir vermuten also für die beiden Eigenschaften Höhe und Vokalität zwei verschiedene psychophysische Prozesse. Auch dies wird durch einen pathologischen Fall am schlagendsten bewiesen. Ich hatte Gelegenheit, einen Patienten zu prüfen, der die höheren Töne, von e? ab, überhaupt nicht hört. Da also der höchste Ton, den er (eben noch) hören kann, ein mehr o-artiges ä ist, so müssten ihm alle gesungenen oder gesprochenen Vokale als u, ü oder 0, bestenfalls als ö erscheinen. Dies trifft nun keines- wegs zu. Als ich ıhm die verschiedenen Vokale in undurchsichtigem Wechsel vorsang (sämtlich auf c®), erkannte er das reine a ohne Ausnahme richtig. . Es machte also der Teilton c? seine Vo- kalıtät geltend, obwohl er, allein vorgeführt, gänzlich unhörbar war. Ein schärferer Beweis für die physiologische Trennbarkeit der Toneigenschaften ist nicht denkbar. Der Fall hat aber noch tiefere Bedeutung. Er beweist, dass der physiologische Prozess, dem als psychisches Korrelat die Vo- kalıtät zugehört, von den psychophysischen Prozessen der beiden musikalischen Toneigenschaften trennbar ist. Anderseits aber hat sich dieser Prozess in diesem Falle unselbständig gezeigt. Ging nicht gleichzeitig ein „musikalischer* Prozess im Gehirn vor, so blieb der Vokalıtätsprozess, sofern er überhaupt zustande kam, latent, ein bloßer physiologischer Vorgang. Zum manifesten, psycho- physischen Vorgang wurde er erst, sobald er die ihm entsprechende 25) Die noch nicht ausführlich veröffentlichten Versuche sind auf dem 5. Kon- gress f. exper. Psychol., Berlin 1912, mitgeteilt worden. 26) S. die oben zitierte Arbeit von Rev&sz und mir: Exper. Beitr, etc. sowie das Buch von Rev@sz, Zur Grundlegung der Tonpsychologie. Der Schwingung 1046 entsprach also in diesem Falle eine Tonempfindung von der musikalischen (Qualität gis, der Höhe c? und der Vokalität A. Die Höhe ist hier, wie ersichtlich, durch den gebräuchlichen Namen der Tonempfindung angegebeben, die normaler- weise diese Höhe hat. P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. 747 Vokalität einem Tone zuteilen konnte — sei es seinem „eigenen“, wie bei den einfachen Tönen, sei es, wie in den Stimmklängen, einem anderen. Das Wesen der Zuteilung ist damit von psycho- physischer Seite dem Verständnis näher gerückt. In diesem Zusammenhange müssen wir noch an die merkwürdige Erscheinung der geflüsterten Vokale erinnern. In diesen treten bei sehr deutlicher Vokalıtät die musikalischen Eigenschaften außer- ordentlich zurück. Die nähere Untersuchung verspricht wertvolle Aufschlüsse. — Wir sehen nun deutlich, warum Vokalität und Klangfarbe so scharf gesondert werden müssen. Vokalität ist eine von den Elementareigenschaften der Tonempfin- dung, Klangfarbe dagegen ist, wenigstens ohne einschränkende Definition, gar kein einheitlicher Begriff, wie das Stumpf in seiner Tonpsychologie, Bd. II, $ 28, II ausgeführt hat. Sie steht mit den Erscheinungen des Zusammenklanges in Verbin- dung, doch ist vielfach betont worden, däss das Amplitudenverhältnis der Partial- töne im Zusammenklang nicht das einzig bestimmende sei, insbesondere dass die Schwingungszahl (‚die absolute Höhe‘‘) des Grundtones nicht gleichgültig sei, indem bei gleicher relativer Zusammensetzung die Klangfarbe hoher Töne der von tiefen nicht gleich ist. Wir haben das oben der Klarheit wegen unerwähnt gelassen. Die strenge psychologische Scheidung von Vokalität und Klangfarbe findet sich schon bei Willis (l.c. S. 401). Sie ist dann leider bis in die letzte Zeit hinein verwischt worden. Hermann hat in verdienstvoller Weise den Unterschied der physikalischen Bedingungen hervorgehoben, so in einer Arbeit über die Übertragung der Vokale durch das Telephon und Mikrophon (Pflüg. Arch. 48), wo bestätigt wird, dass durch Veränderung des Amplitudenverhältnisses der Teiltöne die Klangfarben ungemein verändert werden können, bei unveränderter Vokalität. Der fundamentale psychologische Unterschied jedoch wird nicht mit gebührender Schärfe herausgearbeitet, obschon ihn Hermann wohl brmerkt hat (S. 558). 4. Verstärkungstheorie und Anblasungstheorie. Das Zusammen- wirken der Vokalitäten. Osziliationstheorie. Wir kommen zu einer ganz anderen Frage: wie entsteht der Vokalklang physikalisch? Wir müssen fragen, wie der Formant in den Stimmklang hineinkommt. Wir wissen schon, dass die Mundhöhle das macht, indem sie eine Größe und Gestalt annımmt, bei der ihr Eigenton der Formant ist. Aber wie wirkt die Mund- höhle akustisch? Wird sie vom Luftstrom angeblasen, als Pfeife, oder wirkt sie nur als Resonator, indem sie Teiltöne des Stimm- bandklanges verstärkt, die ihrem Eigenton nahe liegen? Diese Alternative ist von besonderem Interesse. Wir haben gesehen, dass jedem Vokal eine und nur eine Schwingungszahl ent- spricht; diese Schwingungszahl müsste also der Formant haben, wenn der gewünschte Vokal erzeugt werden soll. Ein Ton von dieser Schwingungszahl ist aber nur von einer beschränkten Anzahl von Klängen Teilion; ın der Mehrzahl der Klänge, die wir singen”) können, kommt er gar nicht vor. Wirkt nun der Mund als Reso- 27) Beim Sprechen schwankt die Grundtonhöhe kontinuierlich, so dass da der Formant wenigstens vorübergehend stets Teilton sein wird, zumal da wir auf tiefen Tönen zu sprechen pflegen. 49* 48 P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. nator und nicht als Pfeife, so könnte man also nicht auf jede be- liebige Note jeden beliebigen Vokal singen. Es ist nun eine etwas missliche Sache, diesen Gegenstand zu behandeln, ehe durch sorgfältige Versuche diese Frage selbst ent- schieden ist, ob man denn alle Vokale auf alle Noten singen kann. Das ist oft bestritten worden; Helmholtz selbst gibt an, dass die Charakterisierung der „tiefen“ Vokale leidet, wenn sie auf hohe Noten gesungen werden°®®). Obwohl nun eine systematische Unter- suchung hierüber fehlt, können wir doch so viel mit Sicherheit sagen, dass wir die verschiedenen Vokale jedenfalls auf weit mehr und weit verschiedenere Noten singen können, als es nach der bisher vorgetragenen Theorie möglich wäre, — vorausgesetzt, dass der Mund als Resonator wirkt. : Wir wollen sehen, ob uns dies veranlassen muss, den Mund stets als Pfeife zu denken, so also, dass der Eigenton der Mund- höhle dem Stimmbandklange unabhängig beigefügt würde oder ob auch die Resonanztheorie imstande ist, durch eine Ergänzung die Schwierigkeit zu lösen. Hermann ist es besonders gewesen, der mit aller Entschieden- heit gegen die Resonanztheorie („Verstärkungstheorie“) auftrat. Er legt großes Gewicht zunächst darauf, dass auf sehr tiefen Tönen alle Vokale sehr deutlich zu geben sind; wird der Formant durch Verstärkung wirksam, so müsste der Stimmbandklang Teiltöne sehr hoher Ordnungszahl enthalten. Singt man z. B. den Vokal i auf groß F, so wäre der charakteristische Ton (c?) der 48. Partial- ton. Hermann hält es für undenkbar, dass solche Teiltöne im Stimmbandklange enthalten seien. Diese Behauptung ist jedoch nicht bewiesen, sie widerspricht sogar der Erfahrung, dass sich tatsäch- lich Zungenklänge von so reicher Zusammensetzung finden ??). Viel wichtiger wäre das umgekehrte Argument: dass man Vo- kale mit tiefen Formanten auf Grundtöne singen könne, die höher als der Formant sind. Leider ist gerade dies noch nicht hinläng- lich untersucht. Doch wird man sich wohl eines « auf sehr hohen Tönen von guten Sängern besinnen können. Jedenfalls schreiben die besten Komponisten unbedenklich so, — in Schubert’s Ode Dem Unendlichen heisst es: Den, dankend entflammt, kein Ju- bel ge- nug be- singt Wenn man nun da wirklich « hört, so kann freilich Suggestion 20) Yel-Köhler, a.a. O., 8.76, 28) Tonempfindungen, S. 184. P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. 49 mitspielen — obschon man sich hüten muss, ihren Einfluss zu überschätzen; sollten systematische Untersuchungen zeigen, dass wirklich ein « auf as? gesungen werden kann°®), so müssten wir uns wenigstens in diesen Fällen vorstellen, dass der auf c! einge- stellte Mund durch den Luftstrom angeblasen wird. Der Leser möge beachten, dass auf as? nicht nur kein reines «, sondern nicht einmal ein u-artiger Zwischenvokal gesungen werden könnte, ja nicht einmal ein o; das „dumpfeste“*, was da hervorzubringen wäre, müsste ein sehr a-artiges ä sein. Ein solches durch Suggestion als « aufzufassen, dürfte doch nicht leicht fallen. Sehr er weirdie gestaltet sich die Frage für die Fälle, wo der Formant mit keinem Partialton zusammenfällt, aber mern zweien liegt. Nehmen wir den Fall, es solle ein o auf fis! gesungen werden. Die beiden ersten Partialtöne sind fis! und fis?, fis! ıst ein ü, fis® ein ä& Stellt man den Mund auf c? ein (reines o), werden, wenn die Mundhöhle als Resonator wirkt, fis! und fis? noch merklich verstärkt werden können °!.. Kommt nun dabei ein o zustande, so müssen wir annehmen, dass sich die o-heiten dieser beiden Töne summieren, während die u- und die a-Artigkeit nicht zur Geltung kommt?). Ich glaube, dass die Vokalitäten verschiedener Töne in dieser Weise zusammenwirken können. Man lese die Beschreibung von eo über seine Syntheseversuche ®?), und die neueren von K. v. Wesendonk °%), und betrachte die vielen Einzelangaben vom hier bezeichneten Gesichtspunkte aus: man wird ed sein, wie gut die Ergebnisse mit unserer Auffassung harmonieren. Tatsächlich gibt v. Wesendonk an, aus f! und f? ein o gemischt zu haben. Helmholtz fand, dass er kein ganz reines a herstellen konnte, als die Stimmgabelserie seines Vokalsyntheseapparates nur bis b? reichte; später, als ihm höhere zur Verfügung standen, setzte er noch d? zu und erhielt so ein gutes a. Auch hier liegt der reine a-Ton (c?) zwischen den Teiltönen b? und d?. 30) Die bisherigen Versuche reichen zur Entscheidung nicht aus. 31) Die Mundhöhle hat, da ihre Schwingungen stark gedämpft sind, ziemlich breite Resonanz, d.h. sie verstärkt Töne auch dann noch merklich, wenn sie ihrem Eigenton nicht ganz nahe liegen. Vgl. Helmholtz, Tonempfindungen, S. 182. 32) Helmholtz .hat bemerkt, dass bei plötzlichem kräftigem Ansetzen des Tones der Eigenton der Mundhöhle auch dann ansprechen muss, wenn er mit keinem Partialton des Stimmklanges zusammenfällt. Er verklingt dann allerdings rasch, „blitzt aber doch als kurzer Tonstoß auf“. „Dadurch wird der Vokal im Moment des Einsetzens deutlich charakterisiert werden können, selbst wenn er beim längeren Forttönen unbestimmt werden sollte‘ (Tonempfindungen, S. 154—185). Da aber die Vokale deutlich auf den betreffenden Tönen ausgehalten werden können, genügt diese Erklärung allein nicht. 33) Tonempfindungen S. 200—201. 34) Physikal. Zeitschr., 10. Bd., S. 313. 50 P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. Jeder Leser wird sich erinnern, im Lohengrin in der Grals- erzählung an der Stelle eu re es een rn De=seiss Es heisst: der Gral einen schönen reinen a-Vokal gehört zu haben. Die ersten Teil- töne von a! sind at, a2, e®. Der A-Ton liegt also wieder zwischen zwei Tönen, von denen der eine o-artig, der andere e-artig klingt (a? = A, e®— ae). Offenbar geben diese beiden zusammen eine reine Vokalität A. Es ist leicht, sich davon durch Synthese zu über- zeugen: An zwei Stern’schen Tonvariatoren°®’) stelle man a? und e? ein. Es ist nicht nötig, a! an einer dritten Tonquelle besonders zu erzeugen, da dieser Ton beim gleichzeitigen Klingen der beiden hohen Töne als starker Kombinationston entsteht. Man kann sich nun zunächst die Einzelvokalitäten der beiden hohen Töne vor- führen, indem man jeden für sich anbläst. Lässt man sie dann gleichzeitig tönen, so erscheint a!, und zwar mit der Vokalität eines A. Durch die Annahme also, dass die Vokalıtäten zweier ver- stärkter harmonischer Partialtöne in der eben dargelegten Weise zusammenwirken, kann die Resonanztheorie davon Rechenschaft geben, dass ein Vokal auch auf solche Grundtöne gesungen werden kann, unter dessen Obertönen sein charakteristischer Ton nicht vorkommt. Einige weitere Fragen des Zusammenwirkens der Vokalitäten sollen hier noch kurz erwähnt werden. Wir haben eben von den Fällen gesprochen, wo die beiden Töne zu beiden Seiten eines reinen Vokales liegen. Nicht minder interessant ist die Frage, was sich ergibt, wenn sie innerhalb einer Qualitätenreihe liegen °*). Am lehrreichsten wird es wohl sein, zunächst die Endglieder der Reihen zu verbinden, also etwa c? mit c? in verschiedenen Stärke- verhältnissen zusammen erklingen zu lassen. Die Analogie mit den Farben lässt vermuten, dass dabei die Vokalitäten der zwischen- liegenden Schwingungszahlen, die verschiedenen Arten des ä& heran- kommen werden. Doch bedarf das alles noch der Untersuchung. Wir wissen auch noch nicht, ob das Konsonanzverhältnis für die Mischbarkeit von Bedeutung ist, obschon v. Wesendonk angibt, dass die Töne gut verschmelzen müssen, wenn die Synthesen ge- lingen sollen. 35) Gedeckte Orgelpfeifen (Flaschen) mit kontinuierlich veränderlicher Ton- höhe. Sie geben annähernd einfache Töne, so dass ihre Vokalität recht deutlich ist. 36) Qualitätenreihe im engen Sinn: das Wort soll nach G. E. Müller nur eine geradläufige Strecke bedeuten. Also von c! bis c?, d. h. von u bis o, von c? biseezedeh= yon o bis au. s. L. P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. 51 Durch Mischungsversuche wird auch die Stellung des ö und im System schärfer bestimmt werden müssen ’”). Nach dieser Abschweifung kehren wir zu der physikalischen Frage nach der Entstehung des Formanten zurück, um eine An- schauung zu würdigen, die unter dem Namen der Hermann’schen Vokaltheorie bekannt ist. Ihr Grundgedanke findet sich schon bei Willis, l.c. S. 414ff. Wir können sie Oszillationstheorie nennen. Hermann’s Theorie versucht Rechenschaft zu geben von zwei merkwürdigen Tatsachen, die wir schon ausführlich behandelt haben: erstens von der weitgehenden Unabhängigkeit der Vokalitäten vom Grundton, zweitens davon, dass es der Grundton ist, der als Vokal erscheint. Um das erste zu erklären, verwirft er die Resonanz theorie (Verstärkungstheorie) und nimmt den Pfeifenmechanismus an (Anblasungstheorie),. Wir haben schon gesehen, dass diese An- nahme für manche Fälle nicht zu umgehen ist — soweit wir sehen können — für andere aber durch die Mischungshypothese entbehr- lich wird. Die zweite Merkwürdigkeit, dass es der Grundton ist, den wir ın der Vokalität hören, die der Formant bestimmt, ver- suchte Hermann durch seine Theorie vom intermittierenden Formanten zu erklären®®). Hermann nimmt an, dass die Mund- höhle durch den Luftstrom periodisch angeblasen werde. Der Luftstrom ist ja bei der Stimmerzeugung von periodisch schwan- kender Intensität, mit der Periode des Grundtones, wie sie von der Stimmbandschwingung bestimmt ist. Dieser intermittierende Luftstrom soll nun nach Hermann die Mundhöhle anblasen und dadurch den Mundton intermittierend erzeugen. Dass es der Mundton ist, der die Vokalıtät für den Klang her- gibt, war längst entschieden. Wie er aber diese Rolle spielt, war Hermann’s Frage. Und er meinte sie dadurch zu beantworten, dass er annahm, jenes Intermittieren seiner Intensität sei es, das ihm diese Fähigkeit erteilt; an die Möglichkeit, dass er selbst schon der Vokal sei, dachte er gar nicht. Das ist verständlich, da es ja der Grundton ist, nicht der Mundton, der als Vokal erscheint; der Gedanke, dass ein hoher Partialton eigentlich die Vokalität besäße und sie einem viel tieferen Ton zuteilte, lag gar zu fern. Hermann glaubte also, dass der Mundton dadurch, 37) Sind öund«Mischvokale, so folgt, dass ihre verschiedenen Abstufungen vom Stärkeverhältnis der Komponenten abhängen müssen. Bedenken wir nun, dass die ü-Vokale vielleicht die Reihe zwischen u und i schließen, die ö-Vokale dagegen keinesfalls in der u-i-Reihe untergebracht werden können und hiermit die vollständige Darstellung der Vokalqualitäten auf einer Linie unmöglich wird, so ist ersichtlich, dass Auerbach aus dieser Unmöglichkeit wirklich mit Recht schließen konnte, dass das Stärkeverhältnis der Teiltöne im Klange irgendeine Bedeutung für die Vokalitäten haben müsse. Vel. S. 735. 38) Phonophotographische Untersuchungen III, Pflüg. Arch. Bd. 47. Siehe besonders S. 380ff. "529 P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. dass er intermittiert, zum Formanten, d. h. zum Vokalbildenden werde und dass der Ton die Vokalıtät erhalte, ın dessen Periode die Intermittenz stattfindet. Es ist klar, dass diese Anschauung, wenn sie zu Recht bestünde, tatsächlich das leisten würde, was sie verspricht. Die Unabhängig- keit der Vokaliıtät vom Grundton wird durch den Anblasemecha- nismus verständlich, da dieser keine harmonische Beziehung zwischen Grundton und Formant erfordert, und die Frage, woher die Merk- würdigkeit stamme, dass die Vokalıtät auf dem Grundton zu sitzen scheint, wird durch eine entsprechend merkwürdige Hypothese be- antwortet: wenn ein Ton x in der Periode eines anderen y inter- mittiert, so kommt ein Vokalklang zustande, und zwar erscheint y in einer Vokalität, die durch die Schwingungszahl von x bestimmt ist. Hermann ist zu seiner Anschauung durch das Aussehen seiner Vokalkurven geleitet worden °?). Eine solche Kurve lässt sich, wie der Anblick lehrt, als Schwebungskurve betrachten. Wenn zwei starke harmonische Partialtöne, etwa die, die dem Eigenton der Mundhöhle benachbart sind, miteinander schweben, so muss eine solche Kurve resultieren. Der Abstand zweier Minima muss der Wellenlänge des Grundtones gleich sein, da die Schwebungszahl gleich ıst der Differenz der Schwingungszahlen der beiden benachbarten Partialtöne, also der Schwingungszahl des Grundtones. So sind diese Kurven bis Her- mann stets aufgefasst worden. Hermann meint nun, diese Auf- fassung sei unnatürlich. Der Hauptsache nach sehen wir hier, nach seiner Auffassung, eine Schwingung, deren Amplitude periodisch wechselt. Misst man die Länge dieser Periode, so findet man sie gleich der Wellenlänge des Grundtones. Hermann meinte nun, in dieser Tatsache stecke die Lösung der ganzen Frage nach der Natur der Vokale. Die intermittierende Schwingung ist nach ihm dıe des Formanten, dieser intermittiert also in der Periode des Grund- tones; wir hören den Grundton in der Vokalität des Formanten. Der Grundton selbst wäre ein sogen. Unterbrechungston*). Her- mann kam so zu dem Schlusse, dass es auf diese Beziehungen wirklich ankomme: dass wir einen Vokal dann hören, wenn der Formant intermittiert und dass wir ıhn ın der Tonhöhe der Inter- mittenzperiode hören. Mit dem intermittierenden Anblasen wäre natürlich auch völlige Unabhängigkeit der Vokalıtät vom Grundtone möglich. 39) Man vergleiche hiezu Hermann’s Tafeln in seinen phonophotographischen Untersuchungen III u. IV, Pflüg. Arch. 47 u. 53, und in den Weiteren Unter- suchungen ete., Bd. 61. Nicht alle Kurven entsprechen genau dem hier besprochenen Typus. Typisch ist z. B. Kurve 3 auf Tafel 1 im letztgenannten Bande. 40) Durch periodisches Unterbrechen von Tönen oder Geräuschen kann man Töne erhalten, deren Schwingungszahl die Unterbrechungszahl ist. P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. 753 Hermann glaubte eine wesentliche Bestätigung seiner Ansicht zu finden in Syntheseversuchen von der Art, wie wir sie vorhin bei der Erzeugung des Vokales A auf a! aus zwei Pfeifentönen er- wähnt haben; er führte derartige Versuche an der Helmholtz’schen Doppelsirene aus*°). Die Versuche schienen ihm und anderen eine schlagende Bestätigung der Theorie zu liefern, so lange man den Differenzton als Intermittenzton auffasste. Bekanntlich hat ja der erste Differenzton eine Tonhöhe, die der Schwingungszahl h —t (Hoch minus Tief) entspricht. Da dies auch die Anzahl der Schwe- bungen ist, die die beiden Töne miteinander geben, so hatte schon Young angenommen, dass der Differenzton durch Verschmelzung der Schwebungen entstehe. Auch Hermann war früher dieser Ansicht, dass der D. T. ein „Schwebungston“ sei. Da er zudem annahm, dass beim gleichzeitigen Erklingen der beiden Töne ein Mittelton ent- stehe, dessen Schwingungszahl (bei gleicher Amplitude der primären Töne) das arithmetische Mittel der erzeugenden Schwingungszahlen wäre, und dieser es nun sei, der in der Schwebungsperiode intermittierte, so glaubte er die in seiner Theorie angenommenen Verhältnisse realisieren zu können, wenn .er die beiden Töne so h-+t 2 manten. Dann entstünde der Mittelton und intermittierte; es ent- steht in einem auch der Differenzton, dessen Schwingungszahl der Intermittenzperiode entspricht. Dann muss also nach seiner Theorie der Ton (h — t) in der Vokalität erscheinen, die durch die Zahl Mt Der Versuch behält natürlich seinen Wert, wie wir ihn denn auch oben, in ganz anderem Sinne, verwertet haben. Hermann'’s Deutung können wir aber heute nicht mehr gelten lassen. Einen Zwischenton hört man überhaupt nur bei kleinen Intervallen (bis zur kleinen Terz)*!). Der Differenzton entsteht nicht aus der Ver- schmelzung von Schwebungen, wie unter anderen Hermann selbst später hervorgehoben hat. Das Intermittieren hat also nicht die Bedeutung, die ihm Hermann zugeschrieben hatte. Weder wird die Vo- kalität erst durch Stärkeschwankungen erzeugt, noch können wir sagen, dass sie stets dem Unterbrechungs- ton zugeteilt werde®?). 40) Pflüger’s Arch. Bd. 47, S. 387 ff. 41) Stumpf, Beobachtungen über Kombinationstöne, Beiträge zur Akustik und Musikwissenschaft, Heft5. S. 83. Freilich käme es nach Hermann gar nicht darauf an, dass der Mittelton als Ton auch wirklich zu hören sei. Wir kommen auf diesen Punkt noch zu sprechen. 42) Helmholtz ließ b und b! zusammen erklingen und hörte b mit der Vokalität O, also den tiefern Ton mit der Vokalität der höhern. Immerhin ist es wählte, dass — f wurde, wo f die Schwingungszahl des For- bestimmt ist. Dies war nun tatsächlich so zu hören. 754 P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. Obschon es nun also aufs Intermittieren nicht ankommt, und somit der Versuch, für die besondere psychologische Beziehung von Formant und Grundton (Zuteilung) eine physikalische Besonderheit aufzuweisen, misslungen ist, so bleibt doch die Hermann’sche Hypothese, dass der physikalische Vorgang von dieser Art sei, immer noch möglich, und die Ansicht, dass die Mundhöhle als Pfeife wirke, immer noch beachtenswert, weil sie die Unabhängigkeit des Vokales vom Grundton erklärt. Ehe wir aber hierauf eingehen, müssen wir ausführlich einen Einwand besprechen, der von vielen Autoren erhoben worden ist (Hensen, Pipping*)), und der zu einem der merkwürdigsten Streite geführt hat — der jedenfalls die größte Konfusion in der Lehre von den Vokalen angerichtet hat und eine Zeitlang sogar die Klar- heit der ganzen Lehre von den Tonempfindungen zu gefährden schien. Es handelt sich um die Frage, ob die Vokalklänge der Stimme nur solche Teiltöne enthalten, die zum Grundton harmonisch sind, also die Reihe 1, 2, 3 ete. Hermann hatte es, wie erwähnt, als eine der hauptsächlichsten Leistungen seiner Theorie betrachtet, die Unabhängigkeit der Vokale vom Grundton zu erklären. Sobald der Eigenton des Mundes die Vokalität dadurch erzeugt, dass er selbständig erklingt, indem er angeblasen wird, ist natürlich zwischen den beiden Perioden (Kehl- kopf- und Mundtonperiode) gar keine besondere Beziehung nötig. Will ich z. B. ein reines o auf B singen, so stelle ich den Mund auf ec? ein**) und blase ihn ın der Periode des B, also etwa 117mal in der Sekunde, an; c? intermittiert dann in dieser Periode, und wohl möglich, dass durch die Anordnung, einen schwingungsfähigen Körper inter- mittierend erklingen zu lassen, günstige Bedingungen für zugeteilte Vokali- täten entstehen können; dass der intermittierend angesprochene Körper eine Vokalität, die seinem Eigentone entspricht, dem Tone von der Schwingungszahl der Intermissionsfrequenz erteile.. Ein Versuch von Willis (l. e. S. 417) sowie die er- folgreichen weiteren Syntheseversuche von Hermann (Pflüg. Arch. 91 und 141) sprechen hierfür. Die Hermann’sche Ansicht jedoch, dass der Grundton im Stimm- klang nur ein subjektiver Unterbrechungston sei, können wir nicht aufrecht erhalten. Hermann meinte, der Grundton sei im Stimmklange als Schwingung kaum vertreten — so sprachen seine Kurven. Doch muss das an den aufnehmenden Membranen gelegen haben, die wohl auf die tiefen Töne nicht gut ansprachen, eine sehr naheliegende Vermutung, die Hermann selbst natürlich nicht entgangen ist. Denn Resonatoren, die auf den Grundton gestimmt sind, werden vom Grundton kräftig erregt (Auerbach). Eine Aufnahme einer einfachen Schwingung von der Schwingungszahl der tiefen Stimmnoten würde jeden Zweifel heben; ich vermisse sie in den Tafeln Hermann’s. Die sinnreiche Art der Klangaufnahme, durch die Hermann die Treue seiner Kurven akustisch kontrolliert, gibt keine genügende Kontrolle. Dies kann hier nicht ausgeführt werden. 43) Hensen, Zeitschr. f Biol. 28, besonders S. 46—47. Pipping, Ebenda 2%, besonders S. 40. 44) Dass Hermann andere Töne für o annimmt, ist hier unwesentlich und beruht auf der irreführenden graphischen Methode. P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. 5») wir hören den Ton B mit der Vokalität 0. Dass unter den har- monischen Obertönen von B das c? nicht vorkommt, wäre dann gänzlich irrelevant. Nun haben aber alle klanganalytischen Methoden ohne Aus- nahme ergeben, dass in den gesungenen Klängen keine anderen Teiltöne enthalten sind als die harmonischen Obertöne des Grund- tones*?). Auch Hermann’s Kurvenanalysen haben zu diesem Resultat geführt. Seine Kurven haben nämlich alle die Periode des Grund- tones. Daraus folgt, dass sich bei ihrer Fourier-Analyse nur solche Sinuswellen ergeben, deren Länge in der Wellenlänge der Grund- tonschwingung aufgeht; es finden sich also im Klang der Stimme nur solche Sinusschwingungen, deren Schwingungszahlen Multipla der Schwingungszahl des Grundtones sind. Soll sich nun, um bei unserem Beispiele zu bleiben, die inter- mittierende Schwingung c? als Teilton im Klange geltend machen, obwohl sie nicht als Sinusschwingung darin steckt, so heisst das, dass als Teilschwingungen physiologisch nicht immer die Sinusschwingungen betrachtet werden müssen, dass die Fourier’sche Art der Zerlegung nicht immer die einzige ist, die physiologische Bedeutung hat. Hermann hat sich tatsächlich so ausgesprochen: es sei sehr wohl möglich, dass von den Teilwellen, die die Vokalkurven aufweisen, etwa die physiologisch maßgebend würden, die man bei unmittelbarer Betrachtung erkennt — ın einfachen Fällen könne man z. B. ein- fach durch Auszählung der Kurvenzacken die Frequenz der physio- logisch maßgebenden Teilschwingung finden. Die Tatsache, dass sich bei der physiologischen Klanganalyse die Fourier’sche Reihe ergibt, dass also das Ohr die Töne aus einem Klange heraushört, die den Gliedern dieser Reihe entsprechen, hat Hermann nicht irre gemacht; er hielt es durchaus für ver- einbar damit, von unharmonischen Tönen im Vokalklang zu sprechen. Dass war deswegen möglich, weil die Definition von Ton nicht scharf gegeben war. Es wird dies sogleich deutlich werden, wenn wir die Hermann’sche Ansicht nochmals kurz zusammenfassen *°), Wirkt auf das Ohr eineSchwingung, deren Stärke periodisch schwankt, so hören wir einen Ton, der nach Höhe und musikalischer Qualität durch die Periode der Stärkeschwankung bestimmt ist und als Vokal erscheint; die Vokalität ist durch die Wellenlänge der schwan- kenden Schwingung bestimmt. Auf die Form dieser Schwingung kommt es nicht an. Sie braucht durchaus keine Sinusschwingung zu sein. Es ist auch 45) Vgl. z. B. die Beobachtungen von G rassmann, Wiedemann’s Annalen Bd... 3..613: 46) Sollte der Leser durch das bisherige eher verwirrt als aufgeklärt worden sein, so hat er ein richtiges Bild von dem Stande dieser alten Polemik bekommen. 56 P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalklanges. durchaus nicht nötig, dass ein Ton aus dem Klange herausgehört werden könne, der dieser Schwingung entspräche. Sie macht sich vielmehr dadurch geltend, dass sie einem anderen Tone eine be- stimmte Vokalıtät erteilt. Der Leser wird nun sehen, dass es unmöglich ist, auf die Frage zu antworten, ob im Vokalklang unharmonische Töne enthalten seien, ehe genau gesagt ist, in welchem Sinne „Ton“ verstanden werden soll. Man sollte meinen, dass hier kein Missverständnis möglich wäre; es könne nur heissen: ist eine Teilschwingung da, der die Empfindung eines zum Grundton unharmonischen Teiltones entspricht? Allein die Geschichte des Streites zeigt, dass es Her- mann nicht so gemeint hat. Für ihn war „Ton“ vielmehr eine Teilschwingung, die geeignet ist, dem Grundtone Vokalität zu ver- leihen, einerlei, ob im Klang ein Ton gehört werden kann, der ihrer Frequenz entspricht, oder ob ein solcher nicht herauszuhören ist. Und da seiner Ansicht nach eine solche Teilschwingung gar nicht sinusförmig sein muss, so konnte er sagen: die Fourier-Analyse ergibt nur harmonische Teilschwingungen, zu hören sind im Vokal- klang nur harmonische Töne und doch enthält der Vokalklang einen unharmonischen Formanten. Er dachte es sich also so, dass die Schwingung des Vokalklanges auf verschiedene Arten zerlegt werden kann: nach Fourier, dann kommen die Sinusteilschwingungen heraus, deren Wellenlängen die heraushörbaren Teiltöne bestimmen — oder anders, z. B. so, dass man die Schwingung als intermit- tierend auffasst und zusieht, welche Wellenlänge die Schwingung hat, deren Amplitude schwankt; dann bekommt man nichts Heraus- hörbares, aber man hat die Frequenz der für die Vokalität mab- gebenden Schwingung. Wem diese Betrachtung Schwierigkeiten machen sollte, der denke an die Schwebungskurve zweier benach- barter Töne. Zerlegt man sie nach Fourier, so bekommt man zwei Sinusschwingungen von konstanter Amplitude; sieht man sie an, so erscheint sie als eine in ihrer Amplitude schwankende Schwingung von zwischenliegender Wellenlänge *’)., Wenn man diese nicht sinusförmige Schwingung, der nichts Heraushörbares entspricht, einen Teilton nennt, dann kann man allerdings sagen, der Vokalklang enthalte unharmonische Töne. Der Streit um die „Harmonie in den Vokalen“ ist damit er- ledigt, da man ja weiter nur noch ums Wort streiten könnte. Aber zur Hermann’schen Ansicht über den Mundhöhlenmechanismus haben wir damit noch nicht Stellung genommen. Die Annahme, dass die Mundhöhle angeblasen werde, und zwar intermittierend, muss für sich diskutiert werden, wobei das eben gewonnene Er- gebnis über die Natur des resultierenden Klanges zu verwerten ist. 47) Über die Länge dieser resultierenden Welle vgl. Stumpf, Über zusammen- gesetzte Wellenformen, Beiträge zur Akustik und Musikwissenschaft, Heft 4. P. v. Liebermann, Über das Wesen des Vokalhlanges. 13% Wir können an dieser Stelle nicht auf alle Argumente ein- gehen, mit denen Hermann die Verstärkungstheorie als unmög- lich nachzuweisen sucht*®), da dies in polemisches Detail führen würde. Vielmehr wollen wir die Darstellung vereinfachen, indem wir uns auf seinen Standpunkt stellen und zeigen, dass dies zu keinem Widerspruch mit der von uns vertretenen Anschauung führt. Auf den ersten Blick scheint sich nämlich ein solcher zu er- geben. Wenn wir die Mundhöhle auf einen Ton einstellen, der kein harmonischer Oberton des Stimmtones ist und sie nun mit dem tönenden Luftstrom anblasen, so muss doch wohl ein Klang mit einem unharmonischen Bestandteil erscheinen ? Das ist nicht der Fall. Die Hypothese führt, indem sie inter- mittierendes Anblasen annimmt, zu dem Ergebnis, dass nur har- monische Teiltöne resultieren, und zwar aus folgendem Grunde. Intermittierendes Anblasen ist nur bei starker Dämpfung des ange- blasenen Körpers möglich. Eine gedämpfte Schwingung nun ist aus einfachen geometrischen Gründen niemals eine genaue Sinus- schwingung, und bei sehr starker Dämpfung, wo also die Amplitude sehr rasch abnimmt, wird die Abweichung beträchtlch®). Ist die Dämpfung so stark, dass die Schwingung in strengem Sinne inter- mittiert, dass also ihre Amplitude ın jeder Periode des anblasenden Tones einmal auf Null herabsinkt, so hat die so erzeugte Schwingung die Periode des anblasenden Tones, ihre Zerlegung in Sinus- schwingungen muss also harmonische Obertöne des anblasenden Tones geben. Es ergibt sich also in dieser Beziehung dasselbe als wenn der Hohlraum als Resonator gewirkt hätte; der Unter- schied besteht nur darin, benachbarte Sinusschwingungen nach dem Anblasungsmechanismus entstehen, nach dem Resonanzmechanis- mus verstärkt werden. Der akustische Effekt ist derselbe: die benachbarten Sinusschwingungen bestimmen durch das Zusammenwirken der zugehörigen Vokalitäten die Vokalıtät des Klanges. Der mathematische Teil dieser Betrachtung ist selbstverständ- lich und fällt daher mit Hermann’s Darstellung zusammen. In der Deutung des akustischen Effektes hat Hermann geirrt, indem er die gedämpfte Schwingung selbst akustisch wirksam dachte. Unsere Stellung zur Unterbrechungstheorie ist also folgende. 1. Dass Tonempfindungen ihre Vokalität durch ein Intermittieren von Bestandteilen der erregenden Schwingung erhielten, ist un- richtig. 48) S. die Zusammenstellung in seinen Neuen Beiträgen zur Lehre von den Vokalen und ihrer Entstehung, Pflüg. Arch. 141, S. 24 ff. 49) Vgl. Auerbach, Handbuch der Akustik, 8. 60. 758 L. v. Liebermann, Über Resistenzänderungen der roten Blutkörperchen ete. 2. Dass Tonempfindungen mit der Eigenschaft der Vokalität durch intermittierendes Ertönen schwingungsfähiger Körper ent- stehen können, ist richtig. 3. Dass der Mechanismus bei den Klängen der Stimme dieser sei, ıst möglich. 4. Die Vokalität rührt auch bei diesem Mechanismus von den einfachen Tonempfindungen her, die den sinusförmigen, zum Grund- ton harmonischen Teilschwingungen des Klanges entsprechen. 5. Die Unabhängigkeit der Vokalität vom Stimmton erklärt sich daraus, dass die Vokalıtäten dieser Bestandteile zusammen- wirken. Dezember 1912. Über Resistenzänderungen der roten Blutkörperchen gegen hypotonische Salzlösungen bei Krankheiten und unter dem Einfluss verschiedener Gifte. Von Prof. L. v. Liebermann (Budapest). Wenn es richtig ist, dass die roten Blutkörperchen keine toten Gebilde sind, sondern Körperzellen, die wichtige Aufgaben erfüllen, und wenn man andererseits annehmen darf, dass sich Zellen und Gewebe normaler Individuen von denen vulnerabler, schwächlicher oder kranker, in ihrem Bau oder auch in ihrer chemischen Struktur unterscheiden, da anderenfalls die so sehr verschiedene Resistenz gegen schädliche Einwirkungen bezw. die Disposition zu Erkran- kungen nicht zu verstehen wäre: so ist man auch berechtigt, zu erwarten, dass solche Unterschiede auch in dem Verhalten der Erythrocyten zum Ausdruck kommen, dass also schwächliche oder kranke Individuen irgendwie anders geartete Blutkörperchen besitzen als kräftige, bezw. gesunde. Auch wäre zu erwarten, dass sich der Einfluss gewisser Gifte in einer Veränderung der Resistenzverhält- nisse der Erythrocyten gegen Einflüsse, die diese direkt schädigen, zu erkennen geben dürfte. Es fragt sich nun, wie solche Unterschiede zu erkennen sind? Solange es an Anhaltspunkten, bestimmten Beobachtungen fehlt, die der Untersuchung der Blutkörperchen ganz bestimmte Rich- tungen geben könnten, tut man am besten, eine Methode zu wählen, die Änderungen der osmotischen Verhältnisse der Erythrocyten er- kennen lässt; denn in diesen Änderungen besitzen wir ein sehr feines Reagens für Verschiedenheiten des chemischen Gefüges im allgemeinen, wenn sie auch über die Details der chemischen Ver- änderungen noch keinen Aufschluss geben können. Bestimmt man also z. B., wie es Verfasser dieser Zeilen getan hat, die Konzen- tration jener Kochsalzlösung, die die Erythrocyten normaler, ge- sunder Menschen während einer bestimmten Versuchsdauer noch L. v. Liebermann, Über Resistenzänderungen der roten Blutkörperchen etc. 750 unangegriffen lässt und findet man andererseits, dass dieselbe Salz- lösung unter den gleichen Versuchsbedingungen die roten Blut- körperchen an gewissen Krankheiten Leidender ganz oder teilweise zerstört, so dass der Blutfarbstoff austritt und die Salzlösung färbt (Hämolyse), so ist eine Änderung ihrer Resistenz, also in diesem Falle eine Resistenzverminderung, erwiesen. Solche Resistenzbestimmungen sind denn auch schon vor längerer Zeit von verschiedenen Forschern wie v. Limbeck, Mosso, Viola, Humbert, Kirälyffi und Keller, Morawitz und Pratt, Ou- tore, Stassano und Billon, Lang u. a. augeführt worden. Sehr eingehend hat sich mit dem Gegenstande, insbesondere mit der Ausbildung der Methodik H. J. Hamburger befasst (Ösmotischer Druck und Ionenlehre, 1902, Bd. I, S. 359, wo auch die ältere Literatur nachgesehen werden kann). Trotzdem haben sich aber diese Blutuntersuchungen keinen Eingang in die ärztliche Praxis verschafft und es ist mit ihnen überhaupt in den letzten Jahren still geworden, wohl hauptsächlich aus dem Grunde, weil die verwendeten Methoden das quantitative Verhältnis zwischen resistenten und nichtresistenten Blutkörperchen nicht zum Ausdruck brachten — und doch ıst es dieses, was vor allem bestimmt werden muss, da die Blutkörperchen eines Individuums auch unter normalen Verhältnissen durchaus nicht gleichwertig sind, sondern sich Schädlichkeiten gegenüber verschieden resistent verhalten, wie dies jüngst in meinem Laboratorium L. Dienes nachgewiesen hat. Aber auch das war ein Hindernis für die praktische Verwertung, dass es bisher an Angaben über die Resistenzgrenze der Blutkörperchen gesunder Menschen gefehlt hat. Man muss ja doch vor allem wissen, welche Hypotonizität, welche Verdünnung der Salzlösung vom Blute normaler Menschen noch ohne Zerstörung der Erythrocyten unter bestimmten Versuchsbedingungen ertragen wird, wenn aus derlei Untersuchungen an Kranken gewisse Schlüsse gezogen werden sollen, oder wenn aus Resistenzverhältnissen der Blutkörperchen geradezu auf normale oder anormale Zustände geschlossen werden soll. Um diesen Forderungen gerecht zu werden, hat nun Verfasser unter Mitwirkung von Dr. F. v. Fillinger zunächst festgestellt, dass, wenn man einen Tropfen (etwa 0,05 ccm) frischen, nicht defi- brinierten Blutes gesunder Menschen 2 Minuten lang mit 5 cem einer "ja °Joiger Kochsalzlösung sanft schüttelt, entweder gar keine oder eine nur geringe enge eintritt. Unter diesen Versuchs- bedingungen sind alle oder mindestens 90°, aller Blutkörperchen gesunder Menschen resistent. (Bei diesen Versuchen waren fast alle Altersklassen von 3—91 Jahren vertreten.) Trat aber unter solchen Umständen bedeutende Hämolyse ein, so handelte es sich in der Regel um schwächliche, besonders anämische, oder an ge- wissen Krankheiten leidende Personen. 760 L. v. Liebermann, Über Resistenzänderungen der roten Blutkörperchen ete. Auch der Einfluss gewisser Gifte zeigte sich in veränderter Resistenz der Blutkörperchen und zwar so, dass gewisse Gifte die Resistenz herabsetzen, andere aber erhöhen. Besonderes Interesse bietet der Alkohol, der bei Menschen und Tieren die Resistenz häufig herabsetzt. Bevor wir aber auf einige dieser Details näher eingehen, muss noch etwas über die Methode angegeben werden, von der schon oben gesagt wurde, dass sie eine quantitative sein, d. h. es gestatten muss, das Verhältnis der Masse der resistenten zu den nicht- resistenten Erythrocyten zu bestimmen, da ja auch bei gesunden Individuen eine gewisse Anzahl minder resistenter Blutkörperchen vorkommen kann und es insbesondere bei Versuchen mit Giften und bei der Frage, ob sich der Zustand eines Kranken zum Bessern wendet oder verschlimmert, um quantitative Änderungen handelt. Wie schon erwähnt wurde, wird zu dem Versuch ein Tropfen nicht- defibriniertes Blut verwendet, der beim Menschen auf gebräuchliche Weise, durch einen Stich in die Fingerbeere gewonnen wird. Er wird in ein Kapillarröhrehen aufgezogen und sofort in 5 eem einer 1/,°/,ıgen Kochsalzlösung gebracht. Man schüttelt 2 Minuten lang und fügt dann noch 5 cem einer 1'!/,°/,igen Kochsalzlösung zu, um die Hämolyse in der nunmehr 1°, Kochsalz enthaltenden Lösung zum Stillstand zu bringen. Hierauf wird scharf zentrifugiert, die. Flüssigkeit vom Bodensatz möglich scharf abgegossen. Ist diese unge- färbt, so ıst die Resistenz praktisch vollkommen, ist sie gefärbt, so wird der Bodensatz (die unangegriffenen Blutkörperchen) mit einem dem abgegossenen Volum gleichen Volum destillierten Wassers ver- setzt und die so entstandene Hämoglobinlösung mit der anderen kolorimetrisch verglichen. Das Verhältnis des Hämoglobingehaltes sıbt den Resistenzquotienten (R@). Es bedeutet demgemäß z. B. RQ = 1, dass die Masse der resistenten Blutkörperchen gleich ist der Masse der nichtresistenten (50°/, Resistenz); RQ —= 2, dass auf 2 Teile resistente 1 Teil, RQ = 0,5, dass auf 0,5 Teile resistente 1 Teil nichtresistente fallen ete. Praktisch vollkommene Resistenz wird mit RQ = x bezeichnet. Soll auch eine Erhöhung der Resistenz über das Normale bestimmt werden, so wird die abgegossene farblose Flüssigkeit durch 5 ccm einer geringer konzentrierten Salzlösung, also z. B. einer 0,45°/,- igen ersetzt, wieder 2 Minuten geschüttelt, dann mit 5 cem 1!/,°/,iger vermischt und zentrifugiert. Die kolorimetrische Bestimmung ge- schieht wie früher. Die Resistenz wird unter Angabe der Konzen- tration wie oben ausgedrückt. So bedeutet also z. B. RQ..; = 1, dass bei Anwendung einer 0,45 °/,igen Salzlösung auf 1 Teil resi- stenter, 1 Teil nichtresistenter Erythrocyten fallen. So kann der Versuch auch noch mit geringer konzentrierten Salzlösungen fort- gesetzt werden. Dies in großen Zügen das Wesen der Methode, L. v. Liebermann, Über Resistenzänderungen der roten Blutkörperchen ete. 761 deren Details in Nr. 10, Jahrg. 1912 d. Deutsch. med. Wochenschr. publiziert wurden. Mit Hilfe dieser Methode wurde vom Verfasser unter Mit- wirkung von Dr. F. v. Fillinger gefunden, dass in schwereren Fällen von Tuberkulose und bei tuberkulösen Affektionen der Augen häufig beträchtliche Resistenzverminderung bis herab zu RQ = 0,5 (0,5 resistente: 1 nichtresistente Erythrocyten) zu konstatieren ist, ebenso bei älteren Fällen von Syphilis, bei Lues hereditaria und bei frischeren (1—2 Jahr alten) Fällen von Tabes, bei Leukämie und Karzinom, bei letzterem dann, wenn schon Anzeichen von Kachexie vorhanden waren. Die bisherigen Erfahrungen berechtigen zur Annahme, dass besonders jene Krankheiten mit Resistenzverminderung der Erythro- cyten einhergehen, bei denen sich mehr oder weniger hochgradige Anämie entwickelt, wo also das hämopoetische System in Mitleiden- schaft gezogen ist. Von praktischem Interesse scheinen einige Be- obachtungen meines Sohnes, Dr. L. v. Liebermann jun., zu sein, der an der hiesigen Augenklinik mehrere tuberkulöse Iritiden mit Tuberkulininjektion zur Heilung gebracht, und dabei konstatiert hat, dass sich die Resistenzverhältnisse der Erythrocyten ın dem Maße gebessert haben, als die Heilung fortschritt, bis sie dann zur Norm zurückgekehrt waren. Es weist dies darauf hin, dass diese Reaktion, wenigstens in gewissen Fällen, dazu benützt werden kann, das Fort- schreiten des Heilungsprozesses zu kontrollieren. Es wurde schon erwähnt, dass gewisse Gifte ebenfalls eine Änderung der Resistenz der Erythrocyten bewirken. Recht auffallend ıst häufig die Wirkung alkoholischer Getränke, besonders auf Menschen, die daran nicht gewöhnt sınd. Es kann da sehr rasch, schon in wenigen Stunden, zu sehr beträchtlicher Resistenzverminderung — bis zu 50°, — kommen. Mein Assistent Dr. Fr. v. Fillinger hat auch an Tieren — Hunden und Kanin- chen — solche Versuche angestellt (Deutsche med. Wochenschrift, 1912, Nr. 2i). Die Resistenzverhältnisse kehren bald wieder zur Norm zurück. Unsere Resultate erinnern an diejenigen von Taav. Laitinen (Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankheiten, 58, 139), der gefunden hat, dass minimale Mengen von Alkohol die Hämolysierbarkeit der roten Blutkörperchen von Kaninchen durch Rinderserum erhöhen. Zu den resistenzvermindernden Giften gehören auch Benzol, Benzin etec., zu solchen, die die Resistenz erhöhen insbesondere Blei, Queck- silber und Phosphor. H. Dr. Orban hat hierüber in meinem Institute eingehende Versuche angestellt. Was das Blei anbelangt, so hat schon Ma- lassez eine Resistenzerhöhung bei Bleianämie gefunden. Die Ver- suche Dr. Orban’s an Kaninchen bestätigen diese Angabe. Nach XXXI 50 769 L. v. Liebermann, Über Resistenzänderungen der roten Blutkörperchen ete.. subkutaner Einspritzung von essigsaurem Blei und bei Anwendung 0,55°/, Kochsalzlösung zur Bestimmung der Blutkörperresistenz bei Kaninchen, stieg die Resistenz von RQ =0 auf RQ = x, worauf der Tod des Tieres eintrat. Ähnliches war auch bei Quecksilber der Fall, das in Form von Quecksilberchlorid subkutan injiziert wurde. Eine Resistenzsteigerung trat auch bei Vergiftung mit Phos- phor ein. Eine ausführliche Mitteilung dieser Versuche erscheint in der Deutschen med. Wochenschrift. Die Erklärung der Resistenzänderungen kann noch nicht mit Sicherheit ‘gegeben werden. Eine Resistenzverminderung kann ebenso durch direkte Schädigung der schon in Zirkulation befind- lichen Blutzellen in der Blutbahn selbst entstehen, als durch Schä- digung der blutbildenden Organe und Verhinderung der Entstehung junger Erythrocyten, die, nach den jüngst erschienenen bemerkens- werten Mitteilungen von J. Snapper aus dem Laboratorium von Hamburger, resistenter sind als ältere. Man wird an die letztere Ursache besonders dann denken müssen, wenn sich die Resistenz- abnahme allmählich entwickelt, oder sich nicht unmittelbar nach Einverleibung gewisser Gifte, sondern erst später zeigt. Die Resi- stenzerhöhung kann auch beiderlei Ursachen haben, denn wie H. Dr. v. Fillinger hier gefunden hat, kann die Resistenz der Blutkörperchen durch Zusatz von Blei etc. auch in vitro gesteigert werden. Sie kann in vivo auch daher rühren, dass eine erhöhte Produktion junger Zellen stattfindet, vielleicht auf Kosten unter solchen Umständen rascher zerfallender älterer, die das Material dazu liefern könnten. In manchen Fällen könnte aber die Resistenzerhöhung nur eine scheinbare sein, nämlich dann, wenn durch Einwirkung gewisser Gifte die weniger resistenten Blutkörperchen eines Individuums zerstört wurden, so dass nur die resistenteren übrig geblieben sind, ohne dass es zur Produktion junger, widerstandsfähiger Erythro- cyten gekommen ist. An derlei wäre vielleicht bei der künstlichen Phenylhydrazin-Anämie zu denken, bei der nach Morawitz und Pratt eine Resistenzerhöhung stattfindet. Verlag von Georg Thieme in Leipzig, Rabensteinplatz 2. — Druck der k. bayer. Hof.- und Univ.-Buchdr. von Junge & Sohn in Erlangen. Alphabetisches Namenregister, A. Abegs 503. Abeille 512. Adamovie 255. Anaxagoras 515. Andreae 669. d’Archiae 507. Arrhenius 489. 519. Atkins 488. Auerbach, F. 735. 736. 751. Autenrieth 292. Awerinzew 451. 714ff. B. Baehr, v. 25. 94. Baltzer 16 ff. Barfurth 185. Bartoli 519. Bateson 525. 596 ff. 643. Bauer 300. Bauke 106. Baur 526. Becher 583. Behn 295. Beigel 194. Benedicenti 630. Benoit 509. Berkeley 493. Berthold, E. 709. 713. Bertrand 508. Bethe 154. 191. 315. 671. Bianco, Lo 58. Bielschowsky 380. Billon 759. Blackmann, S. 6. Blakeslee 105ff. Blaringhem 425. Boas, F. 48. Böke 376. 736. Bolle 112. Boltzmann 519. 736. Bonnet 507. Bonnier 674. Borgert 557. Born 69. 102. 184. Botazzi 488. Bott 451. 552. Boveri, S. 64. 111. 191. 608. 624. 656. Braem 322. Brailsford, Robinson 365. Braisil 549. Branca 60. Brandt 554. Brehm 126. 256. Brentano 744. Brun 154. 172. 213.216. 308. Brunelli, S. 9ff. Buchner, S. 9. 190. Buchtien 106. Buddenbrock, v. 58. 564. Bütschli 363. Buffon 506. Burian 624. Buschkiel 536. Buttel-Reepen, v. Buytendijk 300. ©. Carnoy 534. Castle 18ff. 620. Catkins 542. Cavara 500. Chabry 624. Chun 185. 324. Clark 579. MeClung, S. 4. Comes 630. Cori 53. 642. Correns 110. 132. 524. 593. 653. Coutagne 598. Cuenot 69. 102. 437. Cutore 759. Cuvier 291. 507. Cyrano de Bergerac 510. Czerny 630. 137. 166. 672. D. Dalton 328. Dalyell 53. Dammerman 376. Dantec, Le 541. Dareste 508. Darwin 608. 657. 665. Daugeard 560. Davenport 644. Davis 401. 523. Dearborn 285. Deh&erain 291. Delage 624. Delpino 665. Dezailler d’Argenville Dixon 488. Dobell 189. 549. Dobkiewiez, v. 661. Doflein 127. 191. 484. 664. Donceaster 17 ff. Driesch 461. 477. 624. 213: Drucker 487. Duboseq 440. 454. E. Ebner, v. 185. 592. Edinger 185. 376. 725. Edwards 12. Eggeling, v. 199. Ehlers 570. Ehrenberg 657. Ehrlich, P. 518. Elpatjewsky 561. Emery 166. 213. 222. Engelmann 337. Enriquez 33. 370. Erdmann 190. Erhard 189. Erlanger, v. 38. Ernst 146. Errera 670. Escherich 111. 161. 211. Ewald, Wolfgang 191. 50* 506. 704. 64 F. Faber, v. 48. Fabre 725. Fauvel 564. Ferrein 326. Fibiger 455. Fielde 170. Fillinger, v. Fischer 126. Fitting 500. Flemming 534. Foa 560. Forel 151. 154#££. 217. 309. 368. Fourier 736. 756. Frank 358. 698. 713. Franz 375. Frauenfeld 658. Freundlich 128. Friedemann, Ulrich 207. Frisch, v. 191. 301. Füchsel 514. Fürbringer 185. Fuhrmann 350. Fulinski 193. &. Galilei 204. Galtzotf 325. Gates 386 ff. 525. Geerts 399 ff. Gegenbaur 253. Geoffroy, St. Hilaire Giard 109. Giemser 384. Giltay 667. Göbel 707. Goethe 196. 507. 515 Golanski 192. Goldschmidt 18. 69. 137. 190. 451. 560. Gomont 658. Graefte 58. Grassi 28. 560. 631. Grassmann 735. Gregoire 425. Gregory 527. Grochmalicki 192. Groß 607. 64Lff. Grützner 739. Guenther 336. Gulick, S. 6ft. Gurwitsch 458. (@uyer, 8. 7. '67. H. Haberlandt 257. Hadzi 52. 759. 761. 762. 09.221020. Haeckel 180. 253. Häcker 119. 556. Haller 507. Hamburger 489. 540, 762. Hammer 553. Hamy 291. Hartley 493. Hartmann 40. 190. 208. 547. Heidenhain 377. 534. Heider 54. 120. Helland-Hansen 329. Helmholtz 732. 734. 738. 740. 744. 748. Henkinsg, S. 4. Hensen 660. 754. Herbst 229. 624. Herla 721. Hermann 735. 741. 747. 7A8. 749. se se, Kay, Tor 137. Herouard 53ff. Hertel 625. Hertwig, O. 184. 624. 695. Hertwig,, R., If. b5f. 1298. 189. 535 Ef. Hirschler 193. Höber 243. 488. 624. Hoeven, van der 508. Hofer 80. t’Hoff, van 486. Hofmann 121. Holmgren, N. 586. Honing 521. Howard 189. Hoyt 349. Hull 519. Humbert 759. Hutton 507. Huxley 254. 507. - Huxley, Julian S. 621. 3. Ishikawa 119. Ishiwata 604. Issaköwitsch 28ff. 3. Jacobshagen 199. Jaeger 292. Jaekel 250. Jakubski 193. Janson 206. Jennings 342. Jensen 591. Jörgensen 190. Jone Duyal 106. Johnston 376. 759. 384. Alphabetisches Namenregister. Jollos 547. Jost 342 ff. K. Kanitz, Aristides 128. 447. 519. Kapterew 233. Karsten 1SOff. Kaufmann, W. 519. Keeble 487. Keilhack 29. Keller 759. . Kellogg 594. 642. . Kepler 188. Kerherv& 28. Khainski 454. Kielmeyer 291 ff. Kinel 193. 739. King, Helen 102. . Kirälyffi 759. Klaatsch 254. Klebs 106. 257 ff. 707. 708. za Kleijn, de 573. Knauthe 298. Köhler 624. 739. 745. Kohlbrugge 64. 291. 505. Kolkwitz 659. König 738. 740. 741. Koorders 263. Kornauth 112. Korschelt 54. 120. 705. 713. 714. Koshewnikov 333. Krassilschtschik 113. Kraus 518. Krause 506. Kreuter 640. Kühn 124. Küster 226. 701f. 71 Kulikowska 194. Kusano 345. Kuschakewitsch 15. 190. 441. 454. 558. Kuttner 29. 169 ff. 69 ff. L. Laar, van 490. Laitinen 761. Lamarck 293. 503. Landsteiner 207. Lang 191. 612. 645. 759. Langerhans 32. Lebedeff 190. 538. Lebedew 519. Lebedinzew 336. Leclere 525. Leduc 383. Leger 440. 454. Leibniz 710. Lemmermann 363. Lespes 635. Liebermann, L. v. 761. T58ff. Liebermann, P. v. 731ff. Limbeck, v 759. Linnaeus 507. Livingston 488. Lode 297. Loeb, Jaques 183. 243. 342. 624. 636. Lohmann 659. London 446. Lowell 670. Lubbock 665. Lubosch 205. Lue, de 507. Lüttgens 657 ff. 255. Lutz, Anne M. 385 ff. Lyell 508. M. Maas, ©. 191. MacDougal 390 ff. Magnus, R. 573. Magnus, W. 705. 707. 714. Maillet, de 505. Malesherbes 506. Mallard 621. Mangold 724. Mäule 698. Maraldi 187 ff. Marchal, Elie 105 ff. Marchal, Emil 105ff. Mareinkiewiez 192, Marcus 190. Mascrier, La 510. Massart 357. Maupas 33. 535. Maxwell 119. Mayerhofer 298. MeCracken 594. Medes, 6. Meissner, O. 661. Mendel 12. 66. 139. 594. 608. 641. Mesnil 450. Metealf 558. Metschnikoff 621, Mewes 13. 202. Meyer, Arthur 640. Michaelis 246. Miehe 46. Milde 106. Minchin 190. Miyajima 111. Moeser 365. Molisch 352. 445. 709. 525. Alphabetisches Namenregister. Moll, v. 293. Montgomery, 4. Morawitz 759. 762. Mordwilko 27. Morgan 21ff. 74. 94. 137. 707. Morill, 11. Mornet 511. Moroff 189. 441 454. 553. Morse 490. Mosso 759. Müller, G. E. 737. Müller, H. 665. Müller, J. 250. Müller, Johannes 254. Müller-Pouillet 519. Mulsow 441. N. Nathanson 694, Negretti-Richter 326. Nekrasoff 322. Nemee 705. Neresheimer 536. Nernst 249. 488. Nichols 519. Nilsson-Ehle 525. 641. Noll 106. 463. 524. Nowikoff 376. Nusbaum, Jözef 191. Nussbaum 33. 180 ff. Ale ®. Ognew 237. Oltmanns 351. Oppel 180ff. Orban 761. Ostwald, Wilhelm 128. 493. Overton 487. Oxner 194. R- Palissy 506. Papanikolau 29£f. 99. 235 ff. Payne, 4. 139. Perez 667. Peter 724ff. Pfaff 292. Pfaundler 519. Pfeffer 337 ff. 486. Pfeiffer, R. 207. Pflüger 69ff. 102. 184ff. 699. Pipping 736. 754. Plate 190. 652. Plateau 665. Pluehe, Le 506. 6l1ff. 65 Pogonowska 193. Polimanti 296. Poluszynski 192. Popoff 13ff. 189. 558. Potts 24. Pouchet 297 ff. Prandtl 44, 106. 560. Pratt 759. 762. Pringsheim, Ernst G. 210. 256. 337 ff. 383. 590. 695. Prowazek 40. 113. 384. 437. 539. Przibram 707. Pütter 195ftf. Punnett 33. 68. 0. Quajat-Gulla 595. 642. („Quaterfages 507. R. Raoult 489. Rauber 461. Raymond 592. Reaumur 506. Regnard 298. Reichensperger 213. Reichert 350. Reinsch 658. Reis 194. Renner 230. 486. Reum 722f£f. Revesz 743. 744. 745. 746. Righi 519. Rijnberk, van 300. Ritter 293. Rohlfs 14. Rona 246. Rosen 525. Rosenberg 399. Rosenthal, J. 519. 695. Rosenthal, W. 127. 208. 446. 640. Rothert 339. Roux 180ff. 461. 624. 706. 709. 710. 714. Rüschkamp 213. Ruhland 498. Rutherford 447. Ruzicka 189. S. Sablon 525. Sachs 461. 709. Saint-Hilaire 293. Samassa 119, Santschi 165. Sasaki 113. 766 Sasaki Rigakohakushi 190. Sauberschwarz 739. Schacht 106. Scharfenberg, v. 29ff. 99. 125: Schaudinn 40. 450. 435 ff. Schaxel 189. Schechtel 192. Scheffer 384. Schellack 438. Schelling 293. Schewiakoff 540, Schiff 190. Schimper 257 ff. Schleip, S. 6ff. 111. Schleip, W. 661. Schmidt, E. W. 712. 714. Schmitt-Marcell 81. Sehöndorff 298. Schöne 638. Schouteden 554. Schouten 418. Schreiner, Alette 230, Schröder 552. Schtschelkanowzew 190. Schuberg 384. Schütt 363. Schwangart 190. Schwarzschild 519. Secerov 299. Semon 154. 320. Semper 297. Sennemaur 511. Shearer 16ff Shull 33ff. 109. 389. Siebold 13. Siedentopf 626. Siedlecki 436. 549. Simon 699. 700. 714 Simroth 254. Sinety 12. Smith Jeffrey 24.109. 261 ff. Snapper 762. Soulavie 514. Speiser 153. Sprengel 665. Stael, de 293. Standfuß 14. 126. 609. 642. Stassano 759. Steche 190. Steinach 297. Steinmann 191. Stern 500 Steuer 658. Stevens, Miss S. Stomps 386ff. 521. tif. 626. Alphabetisches Namenregister. Strasburger 104 ff. 354. 426. 524. Street, James 622. Strohl 29. Stromer 190. Studnieka 376. Stumpf 744. 747. 753. 756. Sumner 301. Sutton 608. Swarezewsky 190. 435. 449. D3aHk 4 NN Tales 515 Tammes 612ff. 645. Tanzo Yoshida 191. Thury 109. Tirala 50. Tischler 524. Tomas, Miss 425. Tower 126. Toyama 593. Traube-Mengarini 302. Trawinski 192. Treub 257. Tröndle 498. 591. Tschachotin 623. Tschermak 593 ff. 657. Tschugunoff 333. Tschulok 695. Tubeuf 112. Tur 193. Turner 670. U. Uhland 29. Ulehla 350. V. Valeton 48. Valette, la 665. Valmont de Bomare 506. Verne, Jules 510. Verworn 695. 704. 714. Viola 759. Viehmeyer 161. 216ff. Vilmorin 527. Voges 697 ff. Voechting 698 al Ale Vögler 345. Vogt 187. 332. Volkens 258ff. Vollmer 119. 701. 709. Vresian, de 389. Vries, de 390ff. 521. 593. 609. 642. 703. 714. Ww. Wachtl 112. Wagner, A. 695. Wahl 112. Walden 490. Waldeyer 13. Wallace, 7. Wasielewski 630. Wasmann 60. 153ff. 212. 216. 219. 586. Wassermann, v. 518. Weber 180. Weichardt 207. Weigert 704. 707. 713. 714. Weigl 194. Weinland 191. Weismann 2dff. 119. 324. 608. 645. 664. 712. Wenyon 559. Wery 670. Wesendonk, v. 749. 750. Wetzel 626. Wheeler 161. 213. 216. 221. Whitney 33. Wichura 611. Willis 734. 739 754. Wilson, 4ff. Winkler 48. 209. 326. 699. 7022703: Winogradsky 446. Winter 551. Wittich 101. Wolff, ©. F. 460. Wolff, G. 191. 711. 714. Wolff, Max 113. 200. Woltereck 29. 99. 125. Woronkoff 326. Wright 257. Wülfing 630. 741. 747. 2. Zacharias 718ftf. Zarnek 139. Zimmermann 46ff. Zittel 507. Zoja 721. Zsigmondy 626. Zuelzer 452. 550. Zwickert 660. Alphabetisches Sachregister. A. Arcella 451. 551. Arcella vulgaris 561. Abraxas grossulariata 17 ff. Ardisia cerispa 46. Abraxas lactieolor 1Sff. Areciiden 565. Acalypha 259. Areniecola 564. Acanthotermes 588. Arenicola claparedei 565. Acer niveum 272. Arenicola grubei 565. Acridier 5. Arenicoliden 565. Actinosphaerien 41. Arthropoden 93. 630. Actinosphaerium 535. Ascaris bivalens 718. Actinosphaerium Eichhorni 535. Ascaris megalocephala 12. 718. Adelea ovata 547. Ascaris trivalens 718. Adoptionskolonie 163. Ascaris univalens 718. Agelastica alni 193. Aulacantha 557. Agelena naevia 7. Autochromosome 4. Aggregata eberthi 441. Autokatalytische Theorie des Wachs- Aggregata jaquemeti 442. tums 365. Aggregata labei 444. - Aggregata reticulosa 442. Aggregata schneideri 442. B. Aggregata siedleckii 442. Aggreguta spinosa 443. Bacillus radieicola 46. Aggregataria 441. 553. Bacterium monachae 112, Albizzia moluccana 260. Batrachier 73. Albizzia stipulata 264. Bienenzelle 187. Albugo candida 226. Blutkörperchen, rote 758. Allianzkolonien 308. bodo saltans 350. Altingea excelsa 275. Bombax 283. Alydus 5. Bombyx mori 116. Amblyanthus 47. Bonellia 141. Ameba 287. Borago 677. Ambherstia nobilis 271. Bothriomyrmex 166. Amoeba minuta 561. Botrydium 364. Amphioxzus 377. Brachionus 287. Anasa 5. Brachystola 5. Anax 5. Branchiomma 564. Anergates 166. Brood characteristies 607. Anoplotermes 588. Brownea 273. Antirrhinum 527. Brownea coccinea 272. Aphiden 24. 67. 93. 106. 134 Bryonia alba 110. Aphis rosae 26. Bryonia dioica 110. Aphis saliceti 26. Bryum caespitieium 105. Apicotermes 588. Bupalus piniarius 113. Apilitermes 588. Bursaria truncatella 539, 1768 Alphabetisches Sachregister. C. Caleituba polymorpha 55. Calotermes flavicollis 630. Camponotus ligniperdus 155. Carchesium 40. Carchesium polypinum 43. Caryota urens 260. Centropyxis 561. Cephalopoda 306. Cephalotermes 588. Ceratium 329. Ceratopteris thalictroides 106. Chemotaxis 337. Chemotherapie 518. Chlamydomonas 349. Chlamydomonas Braunii 358. Chlamydophris 561. Chlamydozoon 113. Chlamydozoon bombyeis 113. Chromidienfrage 435. 449. 555. Chromosome 1. Chromosome, Konjugation der 3. Chromosome, Hetero- 3. Chydorus sphaericeus 238 Ciliata 539. Cirripedien 107. 141. Oladoceren 35. 119. Clamydothrix ochracea 446. Clitoria ternala 260. Coecidien 40. Cocos nuficera 260. Coleochaete 359. Coleopteren 4. Collozoum 553. Cottus gobio 66. Crenetermes 588. Oridrilus 50. Cridrilus lacuum 50. Cupitermes 588. Cyelops 289. Cyclostome 253. COylindrotermes 588. Cyprimus 298. Oypris Nusbaumi 192. D. Dahlia variabilis 368. Daphnia 287. Daphnia cucullata 234. Daphnia hyalina-cucullata 235. Daphnia longispina 122. 234. Daphnia magna 122, Daphnia pulex 120. 234. Daphniden 24, Decticus verrucivorus 9. Dietyocysta elegans 540. Didinium nasutum 44. Difflugia 454. 561. Dilepten 41. Dillenia aurica 272. Dinarda 313. Dinophilus 16. 141. Dinophilus apatris 32. Diplocystis minor 437. Dipteren 4. Dixippus morosus 661. Drosophila 9. 21. Dryanobalanops 272. Dulosis 167. 219 ff. Duranta 259. E. KEchinogromia 552. Echinomera hispida 438. Echinus microtuberculatus 16. Egg 600. Egg light brown 601. Egg spindle-shaped 602. Egg whitish grey 602. Liimeria schubergi 549. Eisenbakterien 445. Ekphorie 220. Elektroendosmose 247. Elektronen 519. Eleutheria 322. Embryogenese, ortogenetische 462. Iindrosa aurita 726. Endrosa ramosa 726. Engramme 154. Engraphie, mnemische 322. Entelechie 478. Entomebae 449. Entwickelung der Dauereier der Olado- ceren 119. Ependym 375. Ependymzellen 378. Epistylis 40. Equisetaceen 104. Equisete 106. Isremotermes 588. Eriobotrya japonica 276. Eriodendron 281. Eriodendron anfractuosum 262. Erophila verna 525. Errantier 565. Euglena acus 361. Euglena deses 361. Euglena gracilis 358. Euglena variabilis 361. Euglena viridis 357. Eugregarinaria 441. Eurytermes 588. Eutamoeba coli 559. Eutamoeba histolytica 559. Eutamoeba muris 559. Eutermes 588. F. Fagus silvatica 280. Faktorenkoppelung 526. Alphabetisches Sachregister. Fannia manicata 153. Farne 104. Farne, heterospore 106. Fieus fulva 272. Ficus geocarpa 260. Fitchia 9. Folia serologiea 518. Foraminitermes-Reihe 587. Formica 219. Formica cinerea 169. 219. Formica exsecta 179. Formica flori 219. Formica fusca 146. 168. 214. 219; fusca sanguinea 216. Formica gagates 150. Formica glebaria 169. Formica pratensis 150. 172. 311. Formiea rufa 146. 172. 310. Formica rufibarbis 146. 150. 169. Formica sanguinea 146. 161. 310. Formica truncicola 178. 318. Fritillaria imperialis 369. &. Gallen der Pflanzen 226. Gameten 231. Gametochromidien 450. Gametophyt 104. Ganglion opticum 235. Gastropoden 193. Generationsvorgänge 697. Geschlechtsbestimmung bei Pflanzen 104. Gewebsdifferenzierungsvorgänge 701. Gnathotermes 588. Gnetum Gnemon 272. Gonium 351. Gonoblastie 323. Gregarina cuneata 435. 452. 558. Grumilea micrantha 48. Grundlage, engrammtheoretische 222. Gryllus desertus 10. Gymnodinium 350. Gymnodinium fucorum 362. Haematococcus 349. Haematococcus pluvialis 354. Haemosporidien 40. Hamitermes 588. Hamitermes-Reihe 587. Helix pomatia 192. Henneguya sargi 562. Hermophroditismus 21. Heterakis dispar 6. Heterakis inflexa 6. Heterakis vesiceularis 6. Heterochromosomen 4. 721. Heterogametie 133. Hibiscus 259. 169 Homogametie 133. Homophonie, mnemische 321. Honigbiene 664. Hopea Pierüi 272. Hörbläschen 585. Hydra 287: 323. Hydra tuba 52. Hydrachniden 192. Hymenopteren 13. 27. 67. 134. 665. Hypothalamus 381. I. Ichthyophthirius multifiliis 536. Immunitätsforschung 207. Idiochromidien 451. Idiochromosome 4. Inachus 24. J. Joenia annecteus 560. K. Kapillarchemie 128. Katalyse 128. Kataphorese 247. Kerndualismushypothese 435. 535. Kerne, monoenergide und polyenergide 545. Kleinplankton 659. Kolloide 248. Koloniegründung 219. Kometen 519. Kompensation, osmotische 246. L. Laeta-Form (Oenothera) 522. Lagenophrys 714. Lamellibranchiaten 193. Lankesteria 435. 558. Lasius emarginatus 152. Lasius flavus 146. Lasius fuliginosus 160. Lasius niger 163. 220. 318. Lathyrus odoratus 527. Latrodectes mactans 66. Lealaps oophilus 146. Leptothrix 446. Ligniperdus 160. Linum angustifolium 519. Linum erepitans 519. Linum usitatissimum 519. Litsaea latifolia 266. Lizzia 324. Loligo 66. Lophius piscatorvus 66. Lycopodiaceen 104. Lymphocystis johnstonei 452. ra) Alphabetisches Sachregister. M. Macropodus viridi-auratus 192. Maraldische Pyramide 187. Marchantia 362. Marchantia polymorpha 105. Margeliden 322, Mastigamoeba 560. Mastigella vitria 60. Mastigina setosa 456. 560. Mastotermitidae 586. Mayetiola poae 226. Meerwasserblüte 658. Melandrium 109. 226. Memecylon oligoneurum 272. Merogonie 2. Mesotheria 251. Mesotermitidae 586. Metagame Bewirkung 102. Metatermitidae 586. Metazoen 39. Microcerotermes-Reihe 58. Microeoceus lardarius 113. Microgaster 722. Mikronukleus 439. Miotheria 251. Mirotermes 588. Mirotermes-Capriterme:-Reihe 587. Mischgeruch 308. Mneme 154. Moina 124. Monocystis agilis 437. Moose, diözische 105. Morphästokinesis 463. Morphe 463. Musciden 12. Myriapoden 6. Myrmica 146. Myrmica rubra 220. N. Nackenorgane 571. Narnia 5. Nausithoe punctata 58. Nemachilus barbatula 299. Nematoden 7. 40. 67. 98. 134. Nemertine 194. Nervus statieus 571. Neuroependymzellen 379. Neuroterus lentieularis 38. Nezara viridula 13. Nieotiana tabaccum 278. Nina gracilis 438. Nipa fruticosa 260. ®. Oberflächenspannung 247. Odonaten 4. Odontotermes 588. Oedogonium 352. Oenothera 385. Oenothera biennis 401. 521. Oenothera biennis-cruciata-Pflanzen 532. Oenothera brevistylis 521. Oenothera gigas 385. Oenothera grandiflora 427. 523. Oenothera Lamarckiana 386. 521. Oenothera lata 387. Oenothera muricata 523. Oenothera nanella 386. 521. Oenothera rubrinervis 388. 522. Oenothera. strigosa 523. Oenothera-Typus 649. Oligochaeten 193. ÖOntogenese 181. Opalina ranarum 558. Opalinopsis 558. Opercularia coarctata 40. Ophryotrochen 109. Opossum 7. Oroscena 556. Orthognathotermes 508. Örthogenesis 252. Orthopteren 4. Osmotischer Druck 486. P. Pagurus 24. Paludina vivipara 13. Pandorina 351. Pangium edule 272. Paramaecium 287, Parasitismus, sozialer 221. Parthenogenesis, künstliche 2. Passatstaub 657. Pavetta angustifolia 48. Pavetta oligantha 48. Peltogaster 24. Peneroplis 551. Perca fluviatilis 298. Peritriche 40. Petraea volubilis 266. Pflanzen, androdiözische 107. Pflanzen, andromonözische 107. Pflanzen, gynodiözische 107. Pflanzen, gynomonözische 107. Pferdespulwurm 718. Pfropfbastarde 209. Phacus 350. Phacus pyrum 361. Phanerogamen 104. Philodina 28%. Phototaxis 338. Phoxinus laevis 302. Phylloxera 7. Phylloxera caryaccaulis 26. Phylogenese 167. 219. Phylogenie, biologische 219. Physematium 593. Alphabetisches Sachregister. Phytophtire 25. 35. 40. Pieris brassicae 722. Pisum arvense DIS. Pisum sativum 518. Pisum-Typus 649. Plantago lanceolata 129. 278. Platessa 297. Pleuronectes maximus 300. Pleuronectes platessa 300. Pleuronektiden 296. Poa nemoralis 226. Podocysten 52. . Polycalie 217. Polyeder 112. Polyederkrankheit 113. Polyergus rufescens 146. Polyphemus 124. Polyremie 645. Polystomella 449. 551. Pothos aurea 259. Primula sinensis 527. Prinzipallaute 736. Prionidus 9. Procapritermes 588. Prosobranchier 15. Protenor 5. Protermes 588. - Protermitidae 586. Prothallium 104. Protistenkerne 208. Protohamitermes 588. Protozoen 35. Protozoen, pathogene 260. Pseudomierotermes 588. Pseudomicrotermes-Reihe 587. Psychotria bacteriophila 48. Psyehotria umbellata 48. Pteridophyten 104. Pteroloma triqguetrum 260. Pteropoden 134. Puppenraub 224, Pygeara anachoreta 14. Pygeara pigra 14. Pyrrhocoris 5. R. Radiolaria 553. Radium 446. Rana esculenta 69. 83. Rana temporaria 69. 83. Rathkea 324. Regeneration 50. Reizbewegungen 588. Resistenzänderungen der roten Blut- körperchen 758. Rhabdonema nigrovenosum 6. 22. 94. Rhabdoneme 93. Rhodites rosae 227. Rhomboidichtys podas 301. Rhombus 303. Rhombus laevis 303. Rhopalosiphum nympheae 193. Rocconeta 9. Rotation 342. Rotatorien 24. Rufa-fusca-Kolonien 213. Ss. Sabelliden 565. Saceulina 24. 109. Saccus vasculosus 377. Salmo fario 194. 302. Sandwiderstand 577. Sanguinea-Gruppe 223. Saprolegnia 359. Scaevola sericea 260. 274. Seidenwurm 593ff. Schizogregarinaria 441. Schizolobium excelsum 263. Scyphistoma 57. Seyphopolypen 52. Sepia 306. Serranus 107. Sexualitätsproblem 1. 65. 129. Shorea pinanga 272. Silk-worm 593. Simocephalus 234. Simocephalus vetulus 234. Sinea 9. Sipunculus nudus 370. Somatochromidien 450. Spermatozoen 10. Spermatozoen, apyrene 13. Spermatozoen, eupyrene 13. Spermatozoen oligopyrene 13. Sphaerocarpus californicus 105. Sphaerocarpus terrestris 105. S'phaerotermes 588. Spongicola 58. Sporophyt 104. Stabheuschrecken 661. Statocysten 564. Stentor 287. Stephanosphaera 349. Sterculia javanica 272. Sterculia laevis 272. Sterculia macrophylla 266. Strahlenstichmethode 623. Streptococcen 113. Strongylocentrotus lividus 16. Strongylognathus 166. Strongylus paradoxus 6. Strongylus tenuis 6. Strophotaxis 340. Symbiose 46. Synacanthotermes 588. Synapta 564. Synapta digitata 550. Syntermes-Reihe 587. Synura 363. Syromastes 7. ar la TIR.: Alphabetisches Sachregister. T. Taeniolhydra 54. Taktische Reaktionen 337. Tapinoma 146. 166. Taraxacum 278. Tecamoebae 561. Tectona grandis 263. 283. Terebelliden 565. Termes lucifugus 630. Termes obscuriceps 211. Terminalia catappa 261. Termiten 211. 568. Tetramorium 166. 220. Thalassicolla 553. Thalassophysa 553. Thea assamica 279. Theobroma cacao 266. Thoracotermes 588. Thylacien 229. Tilia cordata 498. Tintinidae 540. Trachelocerca 536. Trachelocerca phoenicopterus 536. Trachinus 304. Transplantation 50. Transplantation, heteroplastische 638. Transplantation, homöoplastische 638. richodina T15. Triehonymphida 560. Trophocromidium 450. Tryxalis 9. U. Ulva 359. Ustilago 109. V. Vaucheria 352. 364. Velutina-Form (Oenothera) 522. Vererbung 458. 607. Vererbung, alternative 607. 641. Vererbung, geschlechtsbegrenzte 17. Vererbung, intermediäre 607. 641. Viburnam opulus 667. Vicia Faba 367. Vokalklang 731. Vokalkurven 736. Voltinism 607. Volvocineen 40. Vorticella 287. Vorticella microstoma 40. wWw. Wagnerella borealis 550. Wild Duck 521. Wipfelk:ankheit der Nonne 111. Worms 595. Worms blue 595. Worms chinese black 59. Worms knobbed 59. Worms moricaudor „baer“ 595. Worms normal patternd 595. Worms pale 596. Worms smudged 596. Worms spotted 595. Worms striped 595. x; Xantholinus atratus 213. Z. Zea-Typus 616. 649. Zelloperationsmethode 623. Zellphysiologie 696. Zoothamnium 40. RU, im NUN Rt, ih ae a 2 Kun } II ’ NEAR RL Ai Kol Leaay Bl 188