Masaccio, der begründer des klassischen

italienischen

Schmarsow

IM-

i

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MASACCIO

DER BEGUCNDER DES

KLASSISCHEN STILS

DER

rr.VLlENISCHEN MALEREI

FÜM- BÜCHER KRll LSCliKR SilJDlEN

VON

AUGUST H. ÖCHMARSOW

KASSEL TH. G. FISHER & CO. MDCCCC

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SCHMARSOW

MASACCIO-STUDIEN

ERSTEb BUCH

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MASACCIO

STUDIEN

VON

AUGUST SCHMARSOW

CASTIGLIONE D'OLONA

MIT DEN

MALEREIEN DES MASOLINO

KASSEL Th. G. Fisher & Co. 1895

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J lach jalirelatiger Venögemng komwe irh eiidHch daxu, mein Versprechen einxtt lösen, indem irh die Stufüen über Mosnerio und MasoHnQ^ die ich schon ofl für niriftr Srhüfc?- xum Geficnstandv kritischer T^chmitjen gemaefU^ nun xnsnmtnenfasse nnd herausgebe. Schwierigkeiten aller Art haben das Frsrheinen .seither unmiiglich gemacht, bis diese ' aUeti ^Jialicfrisrhcn Forsch nHgrn"- fürrhf ich - fast xn sjnit kommen.

Jemehr dir Krffrhnissc f/ tr(/crho//t r JYäf/n/g, dir irh .^rffiKf vor fünfxehn Jahren .schon gcironmn hafte, von A/i fruit/ his \ii Emir die seihen gchliehen sind, nie irh sir rfnn/nls rorgetragen, desto iceniqrr hnl die stete Krnenerung de.s Virfahrrns unter tlnn Wrrhsrt der f>rt(irhrti utid pPTftönlichen Mitte! geduldet, das Urteil ilo;ifi."!f>.<rh :iu formulieren und an die Sfrffe lebetnliger l niersuchnng, dir lim Fehler fpctsern kann. Beweise vorgefassicr Thfseft xu firfxeit, dir Lriiir amlre Losung mehr ver- tragen. Die Ocuo,s.scn des Florrfdi/iischen \\ intersetnesters ron 1888 auf 1889 hatte ich xnnächsf nu Auge, als dieser Inhalt ium ersten Mal Gestalt gewann um ana Licht xu t/ctcn , denn sie allein waren in der Lage, sich Jeder an seinem Teil hei dieser Arbeit xn rersnchen. Auch jetzt aber er.schieu es ratsam, den Charakter, der itieh daraus van selbst ergab, dwchwcg lu bewahren. Die Kenuxeichen dieser Herkunft tverden gerade ihnen vnäkommen aein, denen dies Uueh tu persiynUcher Erwaeiung geicidmet iti. Und wer sonst seif dem mstm Mai in OätÜngm bis zum kixien Mal in Leipzig an diesen Auseinander' Setzungen teilgenammen hat, ivird eben darin pielleieM den besten Wert erkennen.

Es ist eine Reihe von Mnxduntersuehunffen, die ieh biete, MasaeeiO' Siudien, keine Biograjpkie des grossen Meders, die edlseOs tUtgeeMtssen, sich vermäfss in jeder Frage das letzte Wort xu sprechen.

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IFtr aUe, die daran beteiHgi warm, sind nieht die eeibeu mehr wie damals, als dieses Buch für Sinn und Wesen unsrer SUtdien in Fkurenx ein Zeugniss hatte werden soUen. Die kleine Sduutr ist nieht mekr voUxähUg beisammen. Die Ueberlebenden haben sich zu Jfbehgenossen enHffieM, die auf eigenen Pässen Mm, Midi sdbst entzieht die un- erwartete Wendung des Schicksals^ die mich noeft Jjeipxig geführt, dur^ ambre Pßiditen der Uebgewordenen ZufiuchistHtte untres genusmamen Bestrebens und versagt mir aUxu oft die Mufse^ reehheitig meine Ernte einzuheimsen, ihre geniefsbaren Früehte auszulesen, und Andern darxur hingen, ehe sie den Duft verlieren. Denn die Wirksamkeit des Lehrers drängt an dieser Stelle xum FortschriU im grösseren Zusammenhang, und theoreiische Durchdringimg des ganzen Gebietes oder spezielle Ver- tiefimg in die Kuvsl mies einzelnen Volkes entfremden ihm ehe ers denkt die Errungenschaften des früheren Arbeitsfelds. Nur fortdauemdar Verkehr mit Jüngerem Nachwuchs belebt auch das alte Besiixium wieder, so dass es Macht behält immer neue Ilcrxen zu envärmen.

Ein Freund und Oönner der Kunstgeschirhfc, der dir nnmotivierien Ilcmninissf meiner Lehrtätigkeit i)t Prcslnu inil (in<}f.'<chen., hat die hilf- reiche Httinl (/rlioff ft, die schon <laiiiai'< die IL t ausgäbe der ..Meisten/ erkc deutscher lii/dnen / des Mittelalters ' i niiiifjlii Ide. Sonst wäre i< li auch heute I:aum im Slamh\ diese Studien bildlich \u erläutern nie es hier ffpsfhiehf, und daimt die iiir/uje Absicht \u reririrklichefi, die icJi mit ihrem Druck crrelrheii n Iii Stück für Stück nur können sie er.^cheinm; aber der innert Zusauinn iiii(ntg ihres Inhalts und die Einheit ihres i liuraktrrs Inirgen irol x/n/le/rh für die Ziirersicht, das Band, das ihne^i fehlt solange sie nirlit cd/r hei einander sind, irerde sicli von selbst hinzu- finden solxild das (hnne rurliegt.

Als Erinnerung für die einstigen Genossen italienischer Forschung lege ich dann in die Wiege des kuusthistori^chen Institutes lu Florenx-, (las wir uns wünschen, dies Angebinde für alle künftigen Genossen^

Schmarsoiv

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Inhalt

Seite

Erstes Buch ; Castiglione d'OIopa i 80

I. Bauten und Bildwerke i n

Branda Castiglione Kollegiatkirche Portal Kardinalswohnung Chiesa della Villa Taufstein im Baptisterium Grabmal Toskanische Meister.

II. Die Deckenmalerei im Chor der Collegiata 22 38

Masolino Entstcliungszeit Verherrlichung Marias Verkündigung Sposaltzio Geburt Christi Anbetung der Könige Geolile da Fabriano Die Kunst Ma- solinos.

III. Die Ausmalung des Baptistcriunis 39 "5

1 ) Eiitstehun^>/;cit Maler Deckenbildt.r . V> 45

2) Vcrkündi;;ung an Zacharias - Visitation Geburt Namengehung - Predigt des Johannes Kcce Agnii:?

Dei Taufe Christi 4^— «jS

3) Johannes vor Merodes Einkerkerung Enthauptung

Gastmal des Herodes . . z^g 7 1

4) Architekturen und Raumgefühl 71 75

Masolino 76 80

Anhang: Die Wandgemälde im Chor der Kollegiatkirche . . . 81 io8 Entstehungszeit Grän/scheidung Zwei Maler I. Die Stephanslegende II. Die Laurentiuslegende III. Reihcnfolgp tier Ausführung IV. Der Zweite von Beiden V. Der Erste von Beiden S. demente in Rom.

Beilage: Regesten des Kardinals Branda 1421 1443 .... 109 112

er die Anfänge toskanischer Malerei im fünfzehnten Jahrhundert

* * an ihrer Heimstatte Floren/ zu ergründen denkt, w ird über den Umkreis der Kuppel Brunelleschis gar bald hinaus gewiesen. Suchend püegen die Blicke der Forsdier sidi zunächst nach Pisa und nach Siena zu lichten, weil der ererbte Name einer toskaniscfaen Scfbule diese Nachbarinnen mit umschliesst Aber schon die um- brischen Berge scheinen hoch genug, um als natOrliche Gränze den Verkehr zu sperren und, wo die Wasserscheide nicht ausrelcfat, stellt sich wenigstens das Vorurteil entgegen: was kann aus Umbrien Grofses kommen? Noch entlegener allerdings ist der Ort in Ober- italien, dessen Name heute an die Spitze gestellt wird. . Das ist schon ein gflnstiger Zwang, wenn es gilt, über Hergebrachtes hinweg einen neuen Anlauf zu versuchen; denn von diesem Punkt in der Lom- bardei führen auch andere Wege nach Rom, und einmal als Ausgangs- punkt gegeben gewährt er die Möglichkdt, den Kunstwerken Tos- kanas von verschiedenen Seiten beizukommen. Vielldcht gelingt es so, den festgewordenen Bestand giddisam wieder in Fluss zu bringen und im Er&ssen der geschichtlichen Entstehung erst recht lebendiges Verständnis zu erschliessen. Die Erweiterung der Umschau, die fipeiere unbefangene Prüfung des gleichzeitig oder gar frOher Vorhandenen hat einen unschätzbaren Wert für jede Erklärung des historischen Zusammenhangs, indem die Betrachtung durch mancherlei Ausblicke V)ereichert wird und dann zur Hauptsache zurückkehrend sich ein- dringlicher und vielseitiger zugleich in ihren Wert vertieft.

Tn diesem Sinne darf die Kenntnis der Sachlage im ersten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts im Allgemeinen vorausgesetzt

CASTIGLIONE D'OLONA ^

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Castiglione d'Olona

werden und der Besuch \ <>ii Castigliont^ d'Olnna als wichtigste Er- irän/\mg vorangehen. Dort liegt in nächster Xähe der Al})€nseen eine Pflanzstätte toskanischer Kunst. Versprengte und deshalb lang vergessene Denkmäler florentinischer Fnihrenaissancc versprechen Aufschlüsse, die am Arno selbst, nach dem Untergang so vieler Mittelglieder kaum noch erwartet werden. Die erhaltenen Reste in Caistiglione sind jedenfalls für die Geschichte der toskanischen An- fänge des Quattrocento bedeutsamer als alle Spuren gleichzeitiger Sendlinge in Verona, Venedig und anderen Orten Oberttaliens, und schon deshalb verlohnt es sich, sie dem ursprünglichen Zusammen* hang einzuordnen, in den sie gehören.

CASTIOr.loNE d'Oi.oxa ist ein kleiner Burgtlecken /wischen Varose und Tradate, also mitten zwischen dem südlic hen Teil des T.u- ganer Sees und der Hauptstadt Mailand gelegen, der das b'liisschen, das diesen Ort von so vielen anderen gleiches Namens unterscheidet, gerades Wegs entgegen eilt. Die alte Bezeichnung ( "astellionuni erzählt, wcnti auch nicht von einem römischen Standlager, dessen Aufspiirung wir Andern überlassen, doch jedenfalls \ on einer mäch- tigen lUirgA'estc, die sich am Eingang der fruchtbaren lombardischen Kbcne den fremden Eindringlingen von jenseits der Alpen ent- gegenstellte. Diese Lage, dem Norden zugekehrt, musste sich empfindlich fühlbar machen, sobald es darauf ankam, den Gewalt- herrschern drunten in Mailand die Stirn zn bieten oder nur eine Zuiluchtstätte vor ihren Übergriffen zu gewähren. Schon früh im Mittelalter sass hier ein ritterliches Geschlecht, das mit den Herrn von Pusteria auf der Burg von Tradate, dem höchsten Adel vielfach verwandt war. Es hatte sich den Namen aus Spätlatein noch vul- gärer als »Löwenburg« gedeutet und sich darnach ein redendes Wappen gebildet: einen steigenden Löwen mit dem 2weitürmigen Kastell in erhobener Pranke. Im fünfzehnten Jahrhundert war dies silberne Wahrzeichen im roten Felde so ehrwürdig, dass ein Re- naissancepoet nicht anstand die Volksetymologie zur Verherrlichung seines Gönners, des Cardinais Branda Castiglione, in lateinischem Vers zu verwerten:

Castilion dixere Patres, dixere NepötCS

Nomine quipp«:- Leonis rt ariis

singt Antonin FM.intanida und wiederholt dieses Spiel wie einen geist- reichen tinfall .s.« oft OS geht:

Castilion teneat formam Ca^tri atque Leonis.

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Bauten und Bildwerke

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Das zinnengekrönte Schloss freilich überragte nicht mehr den \volgebort;'cnon Häuserzug, der den beherrschenden Hügel um- lagert. Seine Mauern waren unter den tyrannischen Händen der Visconti bereits gefallen, als der Ort den bauJi li m C harakter erhielt, den wir noch jetzt nach langem Verfall erkennen. Noch im Anfing des sechszehnten Jahrhunderts aber blühte das Haus der Castigli >ne in so zahlreichen Zweigen, dass (xiangiacomo Trivulzi dem Kunig Ludwig XII. von Frankreich nicht weniger als sechzig waffenfähige Stammhalter zugleich, unter Führung ihres Kriegshelden Fioramonte vorzustellen vermochte, allesamt bereit dem Bezwinger des Sforza zu folgen. Dieser Übergang zum Franzosenkönig hatte allerdings die Rache des Massimiliano Sforza zur Folge und gab den Stamm- sitz 1513 einer verderblichen ßelagerung preis, deren Spuren auch erneuernde Gönnerhand nur verschlimmem konnte. Über den Ru- inen der Denkmäler und den verödeten Wolinungen der letzten Träger dieses Namens ragt indess noch immer das freundliche Gottes- haus mit schlankem Glockenturm empor, das einst den Mittelpunkt eines edleren. Daseins gebildet hat und noch heute die verblidienen Schatten beherbergt.

BAUTEN UND BILDWERKE

Es war die Pflege eines einzigen ausgezeichneten Mannes, der seine Angehörigen mit bestimmend, dem heimatlichen Nest an der Olona im vollen Sinne des Wortes neue Gestalt verlieh. Er allein hat das alte Kastell zu einer Oase toskanischer Kunst auf lombar- dischem Boden umgesdiaffen, die wir noch heute zwischen dem kunstreichen Mailand und den naturschönen Alpenseen freudig be- grOssen; denn noch heute träumt das lombardisdie Kirchlein von Florenz und Rom, und auch uns will es scheinen, als müsse drunten aus der schimmernden Ebene, sobald ein Windhauch den Schleier auseinanderreisst, statt des Mailänder Domes vielmehr die Kuppel Brunelleschis emportauchen.

Am 4. Februar 1350 gebar dem Maf!eo CastigKone seine Gattin Lucrezia di Stefano Porro, Gräfin von Polenza, den ersten Sohn, der den drohenden in der Familie hochgehaltenen Namen Branda empfieng. gewiss nicht um friedliche Hoffnungen des Vaters zu bedeuten. Aber Demütigungen des Hauses zwangen auch diesen Erstgeborenen

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BRANDA CASTKiLlONE

in andere Bahn'). TTm seinen Weg zu .m. mh sseiion Amtern zu finden, ward er zum Studium der Recht*' bestimmt und erlangte schon 1374 seine Aufnahme ins Kollegium der Juris consiilti zu Pavia. Die Bestallung zum I.ector des kanonischen Rechts ilurch Giangaleazzo Visconti und zum Rat des Herzogs belehrt über soine ursj)rüngH('hen Absichten. Als aber die Universität Pavia ihn i.^'-iy nach Rom schickte, die papj>tliehi ßestätigung für einige Privilegien zu erwirken, da Hess sich Branda von lionifa/ XI. bestimmen, zum Klerus überzutreten und bei der Kurie in Rom zu bleiben. Zuerst Kaplan des Papstes, dann Auditor der Rota, wurde er bald zu wichtigeren Aufgaben verwendet und erhielt als Anerkennung das Bistum Piacenza. Unter Gregor XII. war sein Ansehen schon so befestigt» dass er dem eidbrQchigen Papst wie die meisten Prälaten den Gehorsam weigerte, und als dieser ihn seines Bistums verlustig erklflrteb den Namen und die Insignien des Episcopus Placentinus beibehielt, selbst als er zeitweilig von seinem Sitze weichen musste. Als das Condl zu Pisa 1 409 den Papst Gregor XIL selbst enttronte und Alexander V. zum Nachfolger wählte, da stieg auch der Ein- fluss des klugen Rechtsgelehrten schnell zur Hohe. Schon 14 10 war er als Gresandter Johanns XXIII. in Polen und Ungarn"), erhielt im folgenden Jahre noch grössere Vollmachten in allen Ländern Sigismunds und zum Dank fCx die eifrige Tätigkeit schon bei der ersten Kreation von Kardinälen am 5. Juni 1411 den roten Hut, und zwar mit dem Titel von S. Demente, der freilich von Gregor XIL seinem Neffen Gabriel Condulmer verliehen war, doch bei allen An- hängern des Pisaner Concils wegen der Unrechtmässigkeit dieser Ernennung für erledigt galt Abermalige Aufträge von der Kurie,

') Die folgende Darstellung stützt sich »uf handschrirtliche Akten im Archiv fler Casa Castiglione, deren Beniitrung mir Herr Avv. Conte Francesco Caslijjlionc horriiw illiyst gestattet hat Die Haupt-sacben sind bei Matteo Casüglione abgedruckt: »De Origine Kcbu« Gestb ac PrivUegiis G«Btift CafttillioMae Matthaei Castilionei I. C. Commentvw. Madtolani. Ex oJfidm Typogntphka qtum. FKifid Fontij. 159$; Veneliis 1596, VgL bewradeis Annales Ecclesiastici auct. Odorico Raymüdo. Tom. VIII. IX. voll. XXVII. XXVIII. (1738 I7S9)« Poggiali, Cristoforo, Memorie sloriche di Piacenza. tom. VII. Pisiccn/a 1759. Die I..ebensbeschreibungen des Cardinais bei Ciacconius, Litta, Tiraboscbi u. A. sind mehr oder weniger ungenau, nur ein ErinnerungsbUtt giebt Vespasiano de* Bistiod in dctt ^le <tt Uomiiii fllwtri del «ecolo XV. Mo&aenpliieeti Aber CastigKooe d'Oloui: Loogoni, Giac. Abb. mit Lithogr. von Locamo, unvollendet geblieben. Peluao, Franc: La Chiesa di Castij^'i.o p e le opere d 'arte che contiene. Milano 1874. 4°. und {janr neuer- dings mit wiilkonmicncu Abbildungen: 11 Borgo di Castigiicue Olona pre.süo Vurcse, lUuütrazione artistica con 50 tavole in eliotipia. Testo : Dr. Diego Sani' Ambrogio, Milanu 1893, Caliolari e Fcrnuio (nidit hn Buchhandel).

*) Theiner, Monum. Hnngar. II, 184. Amt. Ecd. XXVII. p. 325. Reichst^ Ahten VII. p. 186 f. Caro, Ge§ch. Polens. III, 330 IT.

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BRANDA CaSTICtUONH 5

Vennittlungen zwiachen dem Herzog von Mailand und Sigismund hielten ihn Jahre lang fem, in denen er sich das unbedingte Ver- trauen des deutschen Königs gewann^). So erscheint er erst am 2, ACai 1415 auf dem Concil von Konstanz, um dann bei keiner Sitzung mehr zu fehlen. Hier war es, wo Sigismund ihm 1417 zwei ausgezeichnete Privilegien verlieh, indem er alle Mitglieder der Familie Castiglioiie zu Pfalzgrafen erhob und ihr das Recht gab, aus ihror Mitte einen Richter zu bestellen, der in allen ihren eigenen Streitigkeiten im Namen des Kaisers selbst entscheiden sollte, Privilegien, die erst 1786 und 181 2 aufgehoben wurden.

Als Johann XXIII. vom Konstanzer Concil gestürzt war und Gregor XIL seine Unterwwfung erklärt hatte, beteiligen sich bei der Wahl des neuen Papstes zwei Kardinäle von S. demente friedlich neben einander: ("iabriel Condulmer als Episcopiis Scncnsis und Branda Castiglione als Placentinus. Mit Martin V., der das Concil geschlossen, zog Branda durch die Schweiz über Freiburg und Genf nach Mailand. Mantua, Ferrara und Ravenna, um 1419- 1420 mit der Kurie in Florenz zu verweilen, solang^e in Rom der Aufenthalt n«»<:h unmöglich schien. F-rst am j;. September 1420 sah die Tiber- stadt den Sohn eines ihrer mächtigsten Häuser, Odo Colonna, als Haupt der Christenheit in ihren Mauern, wenn auch Papst Martin so wenig wie seine Kardinäle in den verwüsteten Palästen eine bleibende Stätte fand.

Für Branda Castiglione begann schon im Frühjalir 1421 wieder das unstate Leben, da er als Fegat jenseits der Alpen unent- behrlich schien. Am i;v April wird er als Nachfolger des inzwischen gestorbenen Johannes D(jminici-) mit unumschränkter Vollmacht für Böhmen, Mähren, Meissen und das übrige Deutschland versehen, gegen die Ketzer gesandt Am 31. Mai ist er schon auf einem Tage der Forsten und Städte zu Wesel am 6. Juni in Köln und halt am 2 1 . Juni seinen feierlichen Einzug in Lfittich, wo der gesamte Klerus ihm entgegen kam*). Am i. August bricht er mit einem doppelten Kreuzheer von hier zur Bekämpfung der Hussiten auf. Aber schon Ende Oktober desselben Jahres ist er wieder an der Kurie in Rom wenn auch nur während des Winters zu bleiben und

•"i Zu^ammrntrcfToi) Johanns unJ Sigisniuntls in Piaccn7.a, (1cm Risrhofwitze Brandas. 2. Aug. 14 13 reist Branda nach Venedig und Ungarn ab. In den ctütcn Sitzungen da» Condls wild er aichC g^oannt, 16. Nov. 1414—17. April 1415.

*) Oni. Pned. (it. S. Sixti CanL Er war VI. Jd. JtU. 1418 ab Legal nach BShmen und T'agarn geschickt.

'1 R.T.A. VIII. 62^ 66 ::. v^l p »Rnm« zu VUI. 4. al. 6.

*) Ma{;n. thron. Belg, in Ann. EccI. XX\'1I. p, 555.

') Commissioni di Riaaldo degli AJbizi (ed. Guasti) Fireiue 1869. I. 328.

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Castiglione

im Frühjahr 1422 abermals über die Alpen nach DeutschlancP) und Ungarn /urückzukehrrn. Und dicsinal wuchsen die Schwierigkeiten seiner Aufgabe von allen Seiten immer aufe Neue, so dass ihn Italien Jahre lang nicht wiedersah.

Erst am 25. März i_i25 finden wir ihn auf der Heimkehr in Castiglionc und zwar bei der Einweihung der Kirche .tut dorn Schlosshugel an der (^lona. Nur in Kücksicht auf die pcrsuidiche Anwosonheit des Stifters, dessen Ausbleiben sicli wiflcr Erwarten verzögerte, scheint der Vollzug" dieser feierlichen Handlung solange hinausgeschoben zu sein, nachdem Tapst Martin schon im Hcrlist 1423 die Ermächtigung dazu erteilt hatte. Zur Ausstattung des neuen Gotteshauses als Kollegiatkirche setzte der Kardinal die Ver- einigung mehrerer Kirchenpfarreien und Kaplanstellen in Castigliun».- durch, gewiss eine schwierige Krmoglichung des Baues daheim, die bereits am 7. Januar 1422. als Ikanda selbst noch in Rom war, die päpstliche Bestätigung erhielt. Damals hiess es in der Bulle aus- drücklich: nach dem Bericht des Kardinals von S. demente sei die Pfarrkirche von S. Lorenzo zu Castiglione durch Kriegsläufte und andres Unheil, die jene Gegend lange Zeit heimgesucht, in ihrem Bau sdbst und ihren Häusern so verfallen, dass kein P&rrer mdir den Gottesdienst darin abhalten und dort wohnen könne; deshalb habe der Kardinal beschlossen, sie neu aufbauen xu lassen. Genauer bezeichnet die päpstliche Erlaubnis zur Weihe, um die von der Orts^ gemeinde nachgesucht war, den Zustand dieser Pfarrkirche als »olim dirupta, totaliter reparata, seu de novo facta«, die nun mit ihren Altären, ihrem Friedhof, mit ihrer Ausstattung an Kelchen, Patenen, Gewändern, Gewissen und sonstigem Schmuck dem Kultus Obergeben werden soll^ Statt im Herbst 1423 ward die Feier jedoch erst am Sonntag, den 25. März 1425 abgehalten, nachdem der Kardinal- legat glücklich aus Ungarn und Deutschland zurOckgekommen war; der Bischof Alexius von IHacenza, ein Minorit aus Seregno, dem Branda sein Bistum abgetreten hatte, vollzog die Weihe, unter Bei- hfllfe des Bischofs Johannes von Nervi und des Berteto Trivulzi, Abts von S. Faustina e Giovita in Brescia, sowie des Pietro Castig- lione, der bis dahin Erzpriester des Mailander Domes soeben zum ersten Prior der heimischen KoUegiatlürche bestellt war').

•) R.T.A. Vitt laq. »J7. iS4. »W. a^i.

*) Schon aus dem Wortlaut dieser (bei Mattco Casti^ÜMiu- S. U'^ fl. ■^eclnRl<tcn) Bullrn ergiebt sich die Irrtüntiicbkeit der Meinung des Dr. Diego banl Anil>roßio, der ia !.eincni Text /.ur Mailänder Publikation »Castiglione Olonu« 1893. S. 29. ausspricht, auf dem alten SdilotshOgel habe vorher keine Kirche gestanden, sondern das jetzige Raptisteriuni sei der llteste Bestandteil, di< ehrni;ili^;r Schlosskapelle. Es bestand di-* P.'ii 1 > !ii:iIkinho S. T.nronz.

Arcbivio Castiglione l'asc I. vol. II. a. N. 32. Vgl. Fase 102. Culto Chics« BeflcHdi, ooie vatie.

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KOLLEGIATKIRCHE

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Dass in clor kurzen Zeit kein \ ollständigcr rCcubau errichtet WftnIiMi. (l.iruber lässt die altcrtünilichc Einfachkeit der Anlage wir dii' HcilK haUiinjTf älterrr Teile im Innern des Langhauses keinen /vvfitrl. Die (irundtbrm der Kirche ist ein ziemlich breites Rcclil- k. das seiner ganzen Lange nach in drei Schiffe geteilt wird, sodasi» keine KreuzHügel heraus treten. Im letzten Drittel ist durch eingezogene Mauern der Haujjtchor von den beiden giadlinig ge- schlossenen Seitenka])ellen getrennt, in welche die NebenschifFc aus- gehen. Die um einige Stufen erhöhte Chorkapelle ragt mit drei .Seiten aus dem Achteck über die Schlussw tind hinaus uml hat eine gleichgeformte Krypta unter sich, da an dieser Stelle der Hügel abfällt und für solche Verlängerung des Chorhauptes besondere Substruktion erforderte. Hier haben wir es, wie in dem anstoisenden Glodeenturm, der an der freien Seite des Hügels über dem Neben- chor« am Ende des linken Seitenschiflfes in schlichtem Viereck auf- steigt, mit Bestandteilen des Neubaues zu tun, dessen Backstein- mauerwerk auch ringsum im Aeussem des ganzen Kircfaenkörpers gleichmälsig durchgeftihrt ist Hier steigt auch über dem Nebenchor rechts vom Hochaltar die einzige Strebemauer zum Gewölbe des Hauptchors hinan, als Widerhalt dem Turm auf der andern Seite gegenüber. Sonst gliedern und verstärken nur vortretende Wand- pfcilcr die Umfassungsmauern des Langhauses, wie an den Ecken des Turmes und des Chorhaupts. Vier solche schlicht au%emauerte Pfosten teilen nach lombardischer Art auch die glatte Schlusswand der I'^assade l^s an den Rand des breiten Giebels, der alle drei Schiffe zusammenfasst, obwol das mittlere die Ab.seiten an Höhe überragt, also über seinem Lichtgaden auch seine Kreuzgewölbe unter eigenem Satteldache trägt.

Um die vortretenden, hier Pfeilern dort Halbsäulen ähnlichen Vorstärkungen läuft rings am obern Rand der Umfassungsmauern ein Kranzgesims, aus vorragenden ßaclcsteinen gebildet, mit Spitz- bogenfrics herum, folgt auch den schräg ansteigenden Giebelseiten der Front und gliedert die Geschosse des Glockenturms durch den Gegensatz der weiss getünchten kleeblattartig gezackten Zwischen- räume zwischen den ziegelroten Zwickeln, die so wie Konsolen wirken. Zu diesen unverkennbaren Merkmalen lombardischer Back- Ntoinbauten der Uebergangszeit ins fünfzehnte Jahrhundert, in deren zahlreiche Masse sich dies Kirchlein von Castiglione unzweifelhaft einordnet, kommt an der .Stirnseite dann noch die grosse penster- rose vor dem Mittrlschitf mit oinnn riin(ll)ogigen Portal darunter unrl je einem spitzbogjgfMi l enster vor den Abseitf^n. Schon der Gegensatz in der Wahl der Bogenform für Portal und Fenster, deren

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Das Portal

spit/bo^igc ]*orm s'«i)st auch an Langsthitf und Chnr bewahrt ist, wie der ausserordenilu h u^rrin^'^e Abstand zwischen dem Scheitel des Torbügens und dor rossen Rose miissen befremden. Im Innern sehen wir vier Paare von stämmigen Rundpfeilern als 'Ira^^er der Obermauern, zwischen denen die fünf Kreuzijewolbe eingespannt sind, gewiss auch hier den ( ley^ensatz zwischen älteren Restandteilen, die den Grundriss bestimmen, und dem Gewölbesystem, das durchweg zum Neubau gebeert, deutlich bezeichnend. Der einheitliche Charakter dieses schlichten, aber freundlich anmutenden Backsteinwerkes bezeugt die Tätigkeit eines lomljcu dischen Baumeisters, anspruchslose aber regelmässige und schnell fortschreitende Arbeit, derentwegen die lombardischen Maurer während des ganzen Jahrhunderts überall in Italien begehrt waren. Nur S. Cristoforo vor Porta Ticinesc in Mailand und die Badia von Mirasolc mögen als verwandte Beispiele dieser Art genannt werden.

Die grosse Fensterrose dagegen und das Portal weichen merk- würdig genug davon ab. Bei dem Relief des Tympanons vollends und dem der kleinen Seitentür. die neben der anstossenden Häuser- reihe ins Querschiff führt, kann es wol keinem kundigen Auge ent- gehen, dass sie toskanischen Ursprungs sind Weiter und höher als das Portal einer etwa vorhandenen romanischen Kirche in dieser Gegend gewesen sein würde, föllt an ihm vor allen Dingen ein Missver- ständnis auf: die Archivolte, die das Tympanon auch mit einem gedrehten Wulst umschliesst, zieht sich ohne Absatz und ent- sprediende GebalkstQcke zu den Seiten des TOrsturzes hinunter auf die Pfostenkapitelle, und die Einteilung des ganzen Bogen^ feldes in einen Querstreifen unten und äne kleinere LOnette darüber macht den Eindruck der Willkür oder der Anpassung, wahrend die hufeisenförmige Erweiterung des Halbkreisbogens, die sich auch am Dom von Arezzo findet, wol den Ausgleich einer optisdien Täuschung bezweckt, also von perspektivischer Rücksicht auf den Standpunkt des Beschauers zeugt. Das Ganze besteht aus grauem Sandstein *).

Der Steinbalken, der auf den innersten Türpfosten aufniht, ist der GUedening der beiden Türflügel entsprechend in vier kassetten- ähnliche Rahmen geteilt, aus denen vier Halbfiguren in mäßiger Rundung hervorschauen. Durch die Köpfe eines Engels, eines

Ich frcur mich iWc^c Ueberzcugurifj. die bei mir s«*it Jahrrn fr^tstcht, wie ich sie oben niedergeschrieben hatte, ncucidings auch bei Diego Sant Ambrogio (a. a. O. 30j aus» gesprochen sa findeD. Wo wir im Folgenden, von vendiiedenen Seiten kommend, sonst Übereinstimmen, wird das Urteil wol gesicbcrt erscheinen ; wo idi ra abweichenden An- siditeo ^(^lanyt war, muss ich mein Ei^gebnis nadittiglich auch gegen ihn begründen. *) Phot. Brogi No 4642.

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Das Bogen FELD

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Adlers, eines Lt)wcn und eines Ochsen auf ihren Schultern und die offenen Böeher in ihren Händen sind sie hIs a|x>kalyptischc Dar- stellungen der vier EvangelisU'n kenntlich, während die h lügelpaare mit dem Kopf in der Mitte sich wie Teile eines inneren Fenster- bogens in die rechteckigen Rahmen spannen. Auf dem obern und dem untern Rande dieses Sturzes steht in gotischen Lettern die Inschrift :

t f^orrri tninirnin qiiiibrittnffttfrimiiü ntt\ öiqcu ortauiiit i^iii öfuoluirnr munm Mmn gratiibtui niitniii pattv in |;po ttfiiimiöuit |Ic btm biranika üotttinuti öc cafliUoito f

•avIliiiiB ^1 ntfl&ff qiii prtFöitd] ipft f^tvfiüi ab latibia üoc tfitipltttn uingitiia a(tt» inm ^nn pdntafi» lattitinMufi H prorlfoniaitliii ^tat. ^ fi btgttä rtipini {mpftoatt Italitli*

Im Bogenfelde ist rechts neben der Gestaltcngruppe cbcntalis die Jahreszahl eingegraben 21TCCCC3£3£Vin.

Das Relief a^bst zeigt in der Mitte, auf gotiacheni Tronstul sitzend, Maria mit hoher Ztnkenkrone auf dem Haupt als Himmels- königin. Sie fittst mit der Rechten den Leib, mit der Linken das rückwärts gestreckte Füsschen des nackten Knaben, der mit dem andern Bein auf ihrem Knie steht und sich segnend herüberwendet zu dem Stifter, der auf dieser linken Seite betend kniet. Zwisrhf n dem Oiristkind und dem Kardinal, der seinen Hut auf den Hoden gelegt hat, steht als Vermittler der heilige Papst Gregor mit drei- facher Tiara auf dem Haupt, während hinter dem Knieenden links S. Laurentius, mit dem Rost zur Seite, die Hand empfehlend auf die Hand seines Schützlings legt, soeben im Begriff sich auch auf die Knif niederzulassen. Auf der andern Seite, dem Trone zunächst steht S. Ambrosius als Patron der DiAzese von Mailand, mit Geissei und Buch; neben ihm kniet wieder S. Stephanus, der erste Märtyrer im Diakonengewand, den Stein auf der Schulter. Hinter ihm rechts bleibt eben die Lücke, wo die Jahreszahl steht.

Bei der Betrachtung des Portals allein empfindet man die Ver- schiebung des Gleichgewichts der Massen, die durch die Anzahl (lor \ orgeschriebcnen Personen und deren .Beziehung veranlasst wordf n ; aber an Ort und Stelle gewinnt dieser Eingang fürs Auge des Beschauers, der durch das alte Burgtor kommend auf den Kfrchplat/ tritt, seinen guten Sinn, der wiederum in toskanischen Arbeiten dieser Zeit Seinesgleichen findet.

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RELIEt bKU LPTU R

Der Bildluiuer, der im jähre 1428 diese Relicfgnippe j^cschaften hat, offenbart auch sonst seine künstlerische Herkunft in allen Stücken. Er muss in Florenz, wo die entscheidende Kntwickel- ung aus der gotischen Tradition in die Frührenaissance sich gerade damals vollzog, geschult sein, und im nächsten Umkreis dieses Mittelpunktes wäre seine Wirksamkeit sonst zu sudien. Eine Um- schau in seiner Heimat genügt, die Stellung des Meisters, den Kar- dinal Branda 1425 auf sdner Reise über Florenz nach Rom für dkse Arbeit gewonnen haben ntnrd, mit wünschenswerter Genauigkat zu bestimmen. Er gehört nicht der Richtung auf entschlossene Wirklich- keitstreue an. der sich Donatello damals von Jahr zu Jahr entschiedener ergab, sondern zu den idealeren Verehrern einer feierlichen Schön- heit, die durch kirchliche Aufgaben geheiligt war, wie Lorenzo Ghiberti und Niccolo d*Arezzo in sdnen fraheren Arbeiten. Be- sonders mit Ghibertis Reliefe an der Bronzetflr des Baptifteriums, die soeben errichtet war, seiner Statue des hl Stephanus an Orsan- micfaele die 1426 in ihrer Nische aufgestellt ward, und dem Relief mit Johannes dem Täufer vor Herodes för den Tautbrunnen in Siena von 1427, steht die Gestaltentnldung und die Gewandbehandlung des Tympanons von Castiglione in so nahem Zusammenhang, dass die Abzweigung dieses Bildhauers von dem grossen Meister der Bronzeblldnerei gerade in jenem Stadium seiner Entwicklung nicht zweifelhaft sein kann. Seine Figuren sind schlank und zartknochig, aber wol proportioniert und plastisch klar in der Bewegung der Gliedmafsen, obschon sie ganz im (jeschmack Ghibertis mit dem flies- senden Faltengehänge umgeben sind, das zwischen allen Vorsprüngen und Höhenpunkten seine Bogenlinien ausspannt und als wallende Draperie auf den Boden gleitend den Körper malerisch mit seiner l^mgebung verbindet. Seine Köpfe zeigen ein sanftes Oval oder jugendliche Rundung mit feingeschnittenen Zügen von mildem Aus- druck, sein nacktes Christkind ist wolc^ebildct, verrät am ehr ten die Neigung zu realistischer Wied ergäbe und belebt durch sein munteres Benehmen erlrischrnd ironug die Harmonie der Gruppe, die sym- metrisch aufgebaut, doch nidil architektonische Strenge bewahrt, sondern durch leichte Verschiebung nacli der vSeite der Handlung auch so einen Anflug malerischen Wesens erhält.

Dies Hochrelief am Portal der Kollcgiatkirche bezeichnet genau die Vorstufe, fast mek-hte man sagen schfii die Schwelle zur Hin- führung der Persj)ekti\ c. die auf Atn'egung Ürunelleschis unmittel- bar (laneb(Mi MTsuchl wird. Wer genau mit den Daten rechnet, konnte im Jahr«' 1428 unsern Toskaner in Castiglione deshalb schon zu den Zurückbleibenden recUnea. Mit grösserem Rechte als bei

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Der Meister

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dieser ceremoniellen Gruppe geschähe dies vielleicht bei dem kleinen Spitzbogenfeld der Seitentür, wo Christus im Grabe erscheint, ohne dass im Relief eine Anwandlung zu schwieriger Untensicht und Verkürzung bemerkt würde.

Die feine Arbeit der neuerdings stark gereinigten und ge- glätteten Portallünette erinnert durch das Material nicht minder an eine bestimmte Gruppe toskanisrher Skulpturen in dem beliebten Ma- cigno, der an Weichheit und Milde mit der Terracotta. an Bestimmtheit imd Schärfe mit dem Marmor wetteiffert In der Tat gehört dieser Meister auch zweifellos jenen Bildnern an, drren Eiy»'nart sich wesent* lieh durch die Eigenschaften dieses Materials, durch seine bequeme, fast empfindliche Bildsamkeit, durch seine matte lichtsaugende, nirgends durch unangfonchmc Reflexe untcHirochone Obcrflächo bedingt.

Nach beiden I<ichtun^(^n finden wir den Bildhauer in Castii,dionr tätig, und /.war überall in so enir'^r Verbindung mit der Architektur selbst, dahs wir in ihm auch den Krbaiier der Werke vermuten, die er mit Bildwerk in Pietra di molera oder Terracotta, in seltenen Fallen einmal in Marmor geschmückt hat. Darin stellt er sich >^anz den Dombaumeistern in Florenz, besonders Niccol^ d'Arezzo an die Seite.

Den nackten Buben des nämlichen Meisters begegnen wir in Terracotta an der zierlichen Kintassung der Penster eines Palastes, der nach dem Wappen am 1 urbogen den Castiglione gehört hat. liier herrscht an den Fenstern noch der gotische Spitzbogen, auf dessen Rücken sich an Stelle der Krabben üppiges Blattwerk g«'gen die Mauerfläche auslegt, während an der Innern Leibung noch reich- grezackte Nasen die Ansätze von Mafswerk im Bogcnfeld erheischen. Zwischen dem innern und dem äussern Rahmenprofil zieht sich ein flacher Fries mit aufeteigendem Rankenwerk hin, in dessen Win- dungen sich nackte Genien tummeln und zwar in zwei Formen wiederkehrend, einmal ganz von vom gesehen mit einem gesenkten und einem erhobenen Arm» und das andre Mal in Profilbewegung seitwärts wie das Christkind auf dem Schofs der Madonna im Tym- panon der Hauptkirche. Der Geschmack dieses Rankenwerks, das audi an andern gleichzeitigen Bauten des Ortes in ähnlichen Fenster- rahmen wiederkehrt» besonders die breitblätterige Sternblume, aus dem Mitte hier und da ein langer Staubwedel hervorwächst, und andere Einzelheiten stimmen völlig mit dem Schmuck des nörd- lichen Domportals in Florenz überein, das um 1402 bis 140S unter Leitung des Niccolö d'Arezzo mit Antonio di Banco und dessen Sohn Nanni gearbeitet war.

*) Vgl. unsere phot. Aulmüjnnc. Bei St. Anibrogio lai. XXI. etwa* iu klein.

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Sonstige Arbeiten

Zu beiden Seiten der Einfassung sind aber die Fenster an diesem Palazzo Castiglione bis zum Bogenansatz von flachen Pfosten flankirt, die sich aus je fünf Relicfiplatten übereinander, mit Einzel- figiiren darin, ebenfalls aus Terracotta, zusammensetzen. Hier wechseln in gotischer Nischenrahmunj]f zwei alleg-orischc Gestalten mit einander ab: ein härtiger Mann in voller Rüstunir mit Streitkolben in dor Rechten, ganz wie Ghibcrtis Krieger, nach antikem Vorbild t]ru-h im Geschmack der eignen Zeit, und eine fast nackte Jungfrau, die mit der Linken den Zipfel des leichten, um die Hüften geschlagenen (icwandstückcs hebt, und im rechten Arm einen Olivenzweig hält, also Personifikationen des Krieges und des Friedens. Auch diese Art von Anordnung erinnert wieder deutlich an Xiccolo d'Arezzo, und zwar an das seitlich*^ Dc.^mportal seiner Vaterstadt, dessen ver- gängliches Sandsteinmaterial nur allzu zerstört ist, um genauere A'crgleiche zu lohnen, und das soeben genannte Nordpnrtal des Florentiner Domes, wo zwischen den Halbfiguren der Engel la sechs- eckigem Ralmien aus dem Blattwerk Einzelfiguren nach klassischem Muster heraustreten, sogar in klassischer Nacktheit. Ganz nahe stehen unserm 3ildncr die Arbeiten des Herkules, die aus dem Rankengewinde hervorwachsen.

Minder reiche l^enster dieser Art finden sich daim auch in Mailatul und dessen Nat lib.irgebiet, besonders am Ospedalc Maggiore wieder, und zeugen für die Bedeutsamkeit dieses tuskanischcn Mannes für die lombardische Renaissance. Die nämliche Beachtung darf in Castiglione auch das Portal des nämlichen Palastes beanspruchen, das in marmorähnlichem Haustein ausgeföhrt, sogleich die Erinnerung an eine ganze Reihe solcher Arbeiten in dieser Gegend wachruft. Auf niedrigen mit gotischem Rahmenwerk gegliederten lösten wölbt sich ein breiter Rundbogen mit dem Wappenschild am Scheitel. £r ist dem Keilschnitt der WerkstOcke entsprechend in trapezähnliche Felder geteilt, in deren Rahmen Proiiiköpfe von römischen Kaisern, wie vTrajan« und »Vespasian«, mit Sinnbildern der Familie Cas- tiglione nebst erklärenden Schriftbändeni abwechseln. Der äusserste Bogenrand biegt aber beim Zusammenstoss mit dem Pfosten hori- zontal nach den Seiten ab und trägt auf diesen Ohren als Absdduss der gotischen Blätterfassung, die äch zum Scheitel hinanzieht, stehende Kriegerfiguren in Hochrelief. Heute ist allerdings nur eine noch leidlich erkennbar, sie genagt aber, um auch von hier aus auf nah verwandte Erscheinungen hinzuweisen, wie in Mailand, so auf Isola- bella an einem Monument der Borromei und gar in Ravenna in der kleinen Seitenhalle von S. Vitale, wo ein ähnlicher Krieger natOrlich als Antike angesprodien wird.

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Kardinakswohnunii

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Wenn der Reichtum des Schmuckes und die Auswahl der Ab- zeichen hier das weltliche Oberhaupt der Familie als Erbauer des Mau.Nf^ s \ i rkun len, dessen reizende Konsolen und Kapitelle aus den Loggien drinnen bis nach X'aredo verstreut '), alle derselben Meister- hand ihr Dasein danken, sind am gegenüberliegenden Eckhaus die Fenster mit ihren neuerdings wieder freigelegten Terracottarahmen, und das Portal am Eingang vom Hauptplatze des Ortes in die Strasse (Vitt<»1o Emanuele) viel eiti&cher gehalten. Die Fenster haben im Ornament noch mehr spätgotisches Laubwerk» gehören also sicher einer früheren Phase desselben Bildners an, als dip reicheren mit mythologischen Figuren. Dies Haus aber ist die Wohnung des Kardinals Branda, sicher das erste dieser profanen Bauwerke in Castiglione und das Vorbild für die Hauser seiner Verwandten.

Gerade hier haben spätere Veräiiderunj^eu den ursprünglichen C harakter des Äussern w ie des Innern sehr entstellt, und der erklärliche Wunsch der Nachkommen diese geräumigste der vorhandenen Woh- nungen den ciuenen Bedürfnissen anzupassen, huL fast allen Zu- sammenhang der künstlerischen Dekoration vernichtet. Daircjren j^-estattet eine poetische Schilderung, mit der Antonio Plantanida dem Kardinal Branda unter die Augen getreten*), wenigstens der Phantasie eine Ergänzung der Überreste:

Stat tua Castiiio in medio domus ampla piorum

Sceptra teoeusi regina domonun, Cbr^iiie lod; dioms omnii adest bominttm Deonunqne.

AmphioD muroft et Apollo Condidit ad numeros: dum to SMWUuime CbrUtttm

Oinneis ad terras celebrares . . . Vestibulum iot^os portas aperit, mox porticus aureu

A dextim Cbmti aediculwn offert Inferins; raper Keroes picti in spicuta »It«

Vestrum Castilii speculum sit. Quin *'t vita hominum incnnstans hie cernitur et sors

At locus ioferior sapientia. Uode domus oculus sculpto saxo, ampla fenestra,

ScGKtum vwr aapidt borto, Aapidt et trivlum, platcwn et nobile Fannm«

Nobile stmctim attjne oolossis . . .

*) Bei SU Ambrogio Taf. XX. Vgl. auch die Madonna Taf. XXII, aus Cxstiglione.

«) Hacr. in der AmbrosiBiia. Vgl. Afgelati, Bibliotbeca scriptoram Blediolaneimum Tafn.I. Medlolani 1725. No. CCCCXC. p> 349« Negrioi, Elogi Hist. Mantua 1606. S. 245.

') W:irc dieser Angabc zu vertrauen, <;o wäre die Zeit seiner bi^n LegatioDt bia 1435 ^bon fQr den Begioa des Baues anzusetzen.

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14 Kardin AL.swonxuN(i

Quid refenm Tridiai» et Anlas? Quid pmetrafiB et auimta mtik long» per hortm

Musarum, Dryadumque vircnteis ? Aur<>a tcrta cnvo mnnfp extoüiinlnr ad auras Scandilur unde n'eniu&culutu ad hnrtns . . .

Das Portal ist am Bogon nur mit den fruchtbehaniion«^ Palm- z\veiix<^n clrni bdicbton SinnbiUl 'nifl mit di ni Wap])en des Kardinals geschmückt. Jenseits öffnet sich im i^craumigen Vestibül der Säulen- gang, (he {)ortiriis aurea, doren Dcckenpfehälk wol einst vergoldet war, wir die bemalte '["crracottabttste am Fuss der IVeppe, in deren /crsiorteni Antht/ der ICigentünu r das Ideal verehrte, das mit der Aufschrift Diva Faustina für uns doch uameidos bleibt.

Zur Rechten ^vinktc d.igegen die Ilauskapeile, von der noch Spuren der Ileihgtumer erhalten sind, wähnmd die luftige Loggia, 7U der man darnber hinaufstieg, und die gemalten Helden, die Vor- bilder des deschlechts, schon lange verschwanden. Nur an der v\u>senseite des Palastes rechts verrät noch ein Wehrgang, der auf K' Hsolen und flachen Bogen entlang läuft, durch seinen burgmässigen Charakter, dass man zugleich auf Verteidigimg bedacht war, während eine vermauerte I.oggia an der h'cke gegen die Piazza die Stelle fried- lichen Ausblicks sogar mit verzierten Kapitellen die Art des Meisters in Pietra serena erkennen lasst Kine Ahnung wenigstens von dem Geschmack, mit <1(mu der Kaniuial drinnen sein friedliches Dasein in diesen Mauern umgab, gewährt im Krdgeschoss ein Kamin mit tlachem Reliefschmuck und im oberen Stockwerk zwei grössere Säle *J. In dem einen Raum (der durch ein vermeintlich gotisches Fenster entstellt worden) ist ausser dem Kamin in der Wand noch die dekorative Bemalung der Wände und der alten Balkendecke erhalten Unten zieht sich eine Reihe gewirkter Teppiche hin mit Rosetten aus Bandwerk und flatternden Inschriften, auf denen in gotischer Schrift allerlei Sinnsprüche und Mahnungsworte der Lebens- weisheit gemalt sind, oben unter der Decke läuft eine breite Zier- leiste hin, von Vterpassfeldem mit Wappen darin unterbrochen. Zwischen dieser obem und jener untern Einfassung erblickt man, ebenso tapetenartig gemalt, auf dunklem Grunde gradgewacbsene Obstbäume mit nackten Kindern, die auf Leitern htnanklettem, und Schriftbändem, die um die Stämme geschlungen oder in die Zweige gehängt sind. Bei dem heutigen, mehrfach aufgefrischten Zustand dieser Gobelinimitatton ist Aber den ursprQngllchen Charakter der

') Castiglione 0!nna Mailand 1893. T«f. IX— XI. >) Daselbst Taf XIV XVIII.

•) Vgl. Scbricker, Knie Fahrt nach Castiglione d'Uiona, Kcpert. f. Kvrschft. 1885.

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Chiesa DEiJ-A Villa

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Malerei nur zu .sagon, dass sie lodigUcli (Irkorativ fii Wertes, jeden- falls den Tagen Brandas selber entstaninit, und in manchem alten Familenpalast Mailands und der Umgebuiij^- Ihrcs^rli ichcn findet. Ebenso weiii^ bedeutet auch an der Schmahvand des andern Saales der Überrest eint\s landschaftlichen Prospektes auf hügelige Gegend mit einer Ortschaft im Grunde, die wol für den Eigentümer wenigstens und die Genossen seiner Tafelrunde fa^are Ähnlichkeit besass. Uns erschien der schattenhafte Überrest zu leer und unbestimmt für eine italienische Stadtansicht, so dass wir an die (irafschaft Vesprim denken möchten, die König Sigrismund dem Kardinal in Ungarn verliehen ; doch damit wäre auch an einen Maler gedacht, der allein vielleicht diese Gegend gesehen hatte. Wol eher einem mailändischen - Kanstler als einem Toskaner gehört dagegen das völlig verblasste Fresko mit S. Martin» der dem Bettler ein Stack seines Mantels sdienktf drunten an der einspringenden Ecke des Palastes gegen den Platz, wo drei Strassen sich kreuzen und vielleicht ein Vorgärtchen lag. Dort mahnte den Rittersmann, der des Weges zog, dies Bild S. Martins zur Barmherzigkeit gegen den Armen, der barfufs und frierend ihm begegnete. Aus den Eckfenstern blickt man noch heute fiberrascht auf das freundUche Bild des Platzes mit seinem Kirchlein und glaubt im Herzen Toskanas eher zu sein als droben an den Ausläufern der Alpen: nobile fenum, sagt der Poet bezeichnend» nobile structura atque colossis.

Es ist ein kleiner Centraibau von quadratischem Grundriss mit angelegtem Altarhaus, mit Kuppel über dem riemeinderaum, ganz ähnlich wie die Sakristei von S. l.orenzo und die Cappella Pazzi in Florenz, mit denen sich der Name Brunelleschis selber unlöslich verbindet.

Die Stirnseite der Kirche» die sich gegen ein( n Vorplatz kehrt, ist durch kannellicrte Pilaster aus grauem Sandstein in drei Abtei* lungen gegliedert, während die Langseite gegen die Strasse zu nur deren zwei aufweist. Ueber klassischen IMäit« rkapitellen zieht sich ein gemalter Fries mit guirl.md» niragendcn Putten hin, vom vorsspringen- 'l*^n Ziegeldaeh kräftitr beschattet. Der zurücktretende Kuppeltambour wird von einem Kranz kleiner Sfiulen umstanden, die das Zeltdach iiber d<T Ka]ottn tragen. Im Tambour sind vier krcisrundr ( >ffnungf'n, im unteren Kirc henkörper rechtwinklige Fenster mit Dreieckgiobd an- gebracht. Diese sitzen an der Strassenseite in der Mitte der l eilrtiiche zwichen den Pilasterii, an der Fassade dai^ei^'-en sind sie in Rücksicht auf eine andre Grupi)ierung verchüben. Hier öffnet sich in der Mitte »LiN i laujiLportal mit dreieckißfem Giebel uml ursprünglich, wie noch erkennbar, ein Kundfenster darüber; in den seitlichen Abteilungen

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Bildwerke

sind aber die Fenster ^3.ni nahe an die milderen Pilaster ^'■erückt, weil links und rechts neben den Eck[nlastern noch zwei Kolossal- figuren unter vorspringendem Pultdacli. in i lochrelief ans dem grauen Sandstein gehauen, bis zu gleicher Höhe mit der Fingangstür empor- ragen '). Sie heben sich von gemaltem Untergrunde ab, der mit einer gemusterten Kante umzogen ist, und stellen den Riesen Christo- phorus dar, wie er auf mächtigein Baumstamm sich stützend das Christkind dordi das Wasser trägt, und S. Antonius Abbas mit seinem Schwein, dem eine Glocke um den Hals hängt. Der übermenschliche MaTsstab lässt doch deutlich und unzwdfelhalt die Formgebung des nämlichen Bildhauers erkennen, der 1428 das Portal der KoUegiatkirdie geschmückt hatte, und wenn die Gewandiigur des alten Einsiedlers die Beihilfe einer konventioneller arbeitenden Schülerhand gestattete, so war der Meister in der Durchbildung des nadcten Körpers beim Riesen, der nur mit einem kurzen Kittel bekleidet bt, auf sich selber angewiesen, besonders zu einer Zeit, wo kein Bildner Oberitaliens diese Herrschaft über naturwabre Formen besass, die plump freilich und ungeschlacht doch über gotische Schultradition w&t hinausliegen und einen unverkennbaren Fortschritt über die Idealfiguren jenes Tym- panonreliefe bezeugen. Die Geäditszüge sind krftf^er und voller geworden, der feste Knochenbau mehr betont; aber dar Typus ist der gleiche geblieben und ebenso die Vorliebe füi Regelmässigkeit der Haare, der Bartlocken und der Gewand&lten.

Für die technische Behandlung ist sehr bezeichnend der Über- gang von flachstem Relief in der Andeutung des strömenden Wassers bis zu voller Rundung in den Köpfen, Vorderarmen und im grössten Teil des Christkindes. Ganz wie bei Agostino d*Antonio di Duccio waltet die malerische Reliefanschauung vor und geht nur hier und da bis an die Ghränze statuarischer Selbständigkeit Volle Bestätigung für das Eigentumsrecht des gleichen Bildhauers, der die Fenster und Türen der Paläste von Castiglione geschmückt hat, gewährt das Portal der Kirche, in der Mitte zwischen den bdden Kolossen. Diese Türeinfassung ist ein ausserordentlich vornehmes Beispiel echt toskanischer Frohrenaissance, deren beliebte Fietra

■) Diese zusammenhängende Gruppienu^, wie die Erwähnung der Kolosse bei Aat, PUntanida beweisen, das% Dicj^o Sant' Anibrogio irrt, wenn er S. i6 meint »Ic <lue Statue colossali« . . . >di caratterc tutt' ailatto locale e po»tuma aggiunzionr« seien fremdartige iCu- tolm «piteier Zeit, bei denen an die WerkitBtt oder Sdinle des Jocopino da Tradate zu denken wire. Die aig verieute Koioaaalfignr eines Heiligen auf einem Torpfdler Unics neben der Kirche, etwa S. Ambrosius soll ursprünglich die Spitze des Zeltdadies hrkroiit haben, also etwa Wie noch lieute der Tempielto degli Orsiai in Vioovaro un- weit Tivoli zi'%t.

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Chiesa della Villa

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Serena hier zur reiner "Wirkung kommt. Sie ist in dem gewohnten kleinen Mafsstabe verziert, offenbart aber in der Anordnung dieses Schmuckes wie im Aufbau des Ganzen ebenso entschiedenen Fort- sdiritt zu klassisdiem Stil« wie das Bauwerk selber. Wie die Gliede- rung- der Wand durch kannelUerte unten ausgestabte Filaster mit ihren geschmackvollen Kapitellen giebt auch die rechtwinklige TQr- läasung mit feiner Gliederung des Simses, der Fries mit guirlanden- tragenden Putten darüber und der dreieckige Giebel mit ebensolcher architektonischer Rahmung, an der die Traufrinne fehlt, und mit der üalbfigur Gottvaters zwischen zwei schwebenden Engeln, leider nicht unverletzt, ebenso viel Beweise engster Verwandtschaft mit den gldchzdtigen Bestrebungen eines Bnindleschi und Michelozzo, Vfie unmittelbarer Herkunft aus der Dekorationswdse des Niccolo d'Arezzo und Antonio di Banco.

An der eigentlichen Türfassung zieht sich das wolbekannte, Rankenwerk mit Blumen und Knospen hin, das wir in Florenz bis an das nördliche Domportal und die Tabernakel von Orsanniichelo vorfolgen können. Dazwischen schauen in abwechselnder Reihe Halbfiguren hervor, an den Seiten je drei Propheten, am Querbalken die vier Kirchenväter: Gregor, Hieronymus. Ambrosius und Augustin, unter denen der Patron der mailändischen Dioecese wie der heilige Papst durchaus dem Relief der Kollegiatkirche entsprechen, während Hie- ronymus mit dem Kardinalshut offenbar nur deshalb ein Kirchenmodell in der Ilaiul trägt, weil der Kardinal Branda der Stifter dieses Kirchleins gewesen. T.angbärtig und würdevoll, dem Christnphorus verwandt, erscheint dottvatcr, leider an Stirn und linkem Arm be- schädigt — , wolgebildet, in klarer plastischer Durchführung schon im Sinne Luca della Robbias iiber Ghiberti hinausi^ehcnd. das Paar anbetender Engel. An Miebelozzos Kinderfries am iVragazzigrabe zu Montepulciano streift scimn die Reihe von fünf nackten Buben, die in anmutiger Frischt^ die herabhängenden Festons mit flatternden Bändern tragen. Die \ ier erhaltentm Hürschchen sind muntere Ge- spielen des Christkindes auf dem Schols der Madonna am iV^rtal der Collegiata, nur sicherer und freier durchgeführt, den |)lumpen, allzu rundlichen Gnomen des Jacoix» della Quercia am drabe der llaria del Carretto entschieden überlegen.

An der kleineren Seitentür gegen die Strafse zu linden wir die nämlidien Grundformen, selbst den Mangel des Traufsimses wieder, und im dreieckigen Giebelfelde ein Paar knieender Engel mit der Monstranz in der Mitte. Es ist das Symbol der Congregation del SS. Corpo dl Cristo, die im vierzehnten Jahrhundert in Gualdo Ta- diso bei Nocera in Umbrien gegründet, sich allmählich im römischen Sckmarsow, Masacdo. I

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Bildwerke

Gebiet verbreitet hatte. Diesem römischen, in Oberiulien noch fremden Kultus^ hatte Kardinal Branda das Kirchlein seines Heimat- ortes geweiht, das sonst als Chiesa della Villa bozeichnei wird. Eine päpstlicbe Urkunde, die vom November 1437 aus Bologna da- tiert ist, wo der Kardinal Branda sich damals mit der Kurie befand, giebt über diese Stiftung vollständig genügenden Aufedilufs. Sie richtet sich an den Stifter selbst und bezeichnet dies Heiligtum als „aliam (capellam), quam in praefato loco sub sacratissimi corporis D. N. Jesu Christi et Assumptionis et quattuor doctorum Ambrosii, Hieronymi, Augustini, Gregoni titulis fiindari et construi facis", d. h. deutlich genug" als noch im Bau berindlich, wenn auch der Vollendung so nahe, dass für die Ausstattung des Geistlichen daran gesorgt wird.

Das Innere des Gotteshauses war einfach gehalten, Gliederung und Schmuck fast ganz der Malerei und Plastik überlassen, deren gemeinsame Dekoration nur durch Tünche zerstört ist. So wirken die Reste in ihrer farbigen Erscheinung nicht mehr wie sie sollten. Besonders gilt dies von den bemalten Statuen der vier Kirchenväter und einer Verkündigungsgruppe in Terracotta. die auf Konsolen mit wulstigem Blattwerk einander gegenüber stehen. Sie alle geh«">ren unzweifelhaft dem selben Bildner ;in, den wir hei dem engen Zu- sammenhang mit den Pro|>()rtirmen und Profilirun^en dos Piaues seihst auch für den leitenden Bauführer dieses durchaus t< iskanischen dan/en erklären möchten. Nur der tote ("h'-istus, eine liegende MarmorHirur unter dem fre stehenden Altar, an dem der (ieistliche noch mit «leni Antlitz i^ff u< n die (rtMneinde /.u fungieren srillte, ist eine spätere Zu- tat, wie das Grabmal des Guido Castiglione (y ^^5^ ^'^ der Seitenwund. Die Erstcre darf am ehest(Mi als Werk des Samuele di Jacopino da Tradate angesehen werden, der i no nach Mantua berufen ward und 1 )03 mit Mantegna Vermessungen antiker Reste am (lardasee unter- nahm, das Letztere gehört dagegen unzweifelhaft dem Giox. Am. Omodoo, der 14^.5 auch das Grab eines andern Oistiglione in S. M. delle Grazie zu Mailand gefertigt hat

Die farbigen Terracottahguren tuhrtin uns wie die nackten Buben am Portal zurück auf den Schlosshügel zu einer andern Sch')pfung des Kardinals. Die selben drallen Knäblein, die hier am i'Vies ihre Guirlanden tragen, .stüt/eu den achteckigen Fufs untl das Taufbecken darauf im ßaptisterium, droben am äufsersten Rande des

*) Vgl. Diego St. Ambrogio S. 19 ff., der die Christusfigur irrtümlicher Weise fiir toskaiittcli nimmt. (Tav. XXVHI.)

>) Vgl «. «. O. p. 25, Tav. XXXL

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Taufstein Grabmal

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einst bofestij^tcn Vorspninges. Die Wang^en des achteckig'en ziem- lich roh t,n>arl>< itcton r.cckcns sind mit Rankenwerk ausgefüllt, nur die Vordersciie /eiyj^t das Wappen des Kardinals; der Baluster ist mit gT<»sscn wulstigen Blättern, die \ (»m untern Kanth- emporsteig-en beleiht, und von kräftigen kleinen Kerlen, in mannithlaltiger Haltung des Tragens und Stützens umstanden. Sie erreichen trotz einzelner Sclnvacl^en, wie z. Ii. der unzulänglichen Durchbildung der Hände und Füsse, doch den höchsten Grad realistischer Wiedergabc des Kinderkörpers, die diesem Zeitgenossen des Jacopo della Quercia und Lorenzo Ghlberti noch möglich scheint, und erinnern sehr be- stimmt an die nackten Kinder der Aragazzi am Tron der Madonna in Montepuldano und an die musiderenden Engel am Hochaltar des Santo zu Padua, d. h. an Schulwerke des Michelozzo und des Donatello, die wir als Anhänger der Naturwahrheit zu feiern pflegen.

Wie hier das Wasserbecken selbst nur das Erzeugnis einer handwerksmäfsigen Schfllerhand sein kann, so teiSt dn dhnlldies Ver- hältnis wol zu bei dem Grabmal des Kardinals Branda, das jetzt unter einem Bogen der Seitenwand im Chor der CoUegiata verborgener stdit als es ursprünglich beabsichtigt war. Als Tumba des Stifters sollte es gewiss frei, von allen Seiten sichtbar, unter der Vierung vor den Stufen des Hochaltars seine Stelle finden. £s ist eine flüchtige un- bedeutende Gehtlfenarbeit, doch aber unzweifelhaft der selben tos^ kanischen Schulung angehörig, und aller W^ahrscheinlichkdt nach von demselben Meister abhängig, dem wir die übrigen Bildwerke zugewiesen haben, freilich der Ausführung nach vielldcht von der Hand eines lombardisdien Steinmetzen also das rechte Mittel- glied zwischen dem Florentiner und den Comasken, das nur die Unfähigkeit der heimischen Kräfte beweist von dem fremden Bei- spiel schon damals zu lernen. Ihm reiht sich das Wandtabemakel im Chor der Kirche unmittelbar an, während der Altar der Apostel in der Seitenkapelle unter dem Glockenturm *) schon eher als charakteristische Leistung lombardischer .Schule bezeichnet werden darf, wie sie der Dom \'on Mailand mehrfach bietet. Mit dem Tode des Kardinals im Februar 1443 giengen ohne Zweifel auch die fremden Künstler von dannen, und die Beziehung zu Toskana war abgebrochen.

Den Irrtum zu berichtigen, der in dem Namen unter der Grab- schrift sl.eonardus (iryphus composuit die Bezeichnung des Hild- haucrs zu besitzen wähnte, während der Wortlaut nur den Dichter

') Diego Sant' Ambrogio S. 31 f. hAlt es Hlr lombardiache Meisterarbeit. ») Vgl. a. a. O. Ta». XLIV.

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Der Toskanische Meister

des langen Panegyricus darin zu finden erlaubt, ist kaum melir iMg. »L*Epitaffio composto da Leonardo Griffio nobile spirito di quei tempi« sagt schon BefiTa Negrini, der die Verse in seine Elogi Historid ddla famigHa Castiglione (Mantua 1606) aufgenommen. Der Mann gehörte einem gfuten Hause in Varese an, ward später Bischof von Gubbio und starb als Erzbtschof von Benevent!

Ob abor die Kunstgeschichte im Stande wäre, den Mamen des Künstlers zu nennen, der von 1428 bis gegen 1443 in Castiglione d'Olona nachweisbar eine so r^che und mannichfaltigc 1 ätigkeit ent- wickelt hat, ist eine andre Frage. Seine künstlerische Herkunft aus Toskana, aus unmittelbarer Nachbarschaft des Nicoolo d'Arezzo und Lorenzo Ghiberti ist bestimmt genug aufgezeigt. Die Fortschritte zum Realismus, die seit 1435 ungefähr hervortreten, die genauere Bdcanntschaft mit dem reinen Stil der Renaissancearchitektur, den wir damals nur bei Bninelleschi selbst und seinen nächsten Mit- arbeitern voraussetzen können, verlangen wol den Rikkschluss auf eine abermalige Anwesenheit in l'^Ioronz. Sic gäben X'cranlassung genug, nach einem Aufenthalt dos grofsen Architekten selbst in Mailand um 1432 auszuschauen'), wenn nicht die Abwesenheit de*» Kardinals Branda auf dem Conzil zu Ikisel in die nämliche Zwischen- zeit fiele. Sie verbieten vollends an Masolino, den Maler zu denken, den Vasari eine Zeit lanvr als Ciseleur bei Lorenzo Ghiberti an den Bron/etüren des Baptisteriums mitarbeiten läfst*'). Vielleicht ist es bei dem heutigen Stande der Forschung überhaupt noch zu gewagt, einen bestimmten Namen zu fordern und auszusprechen. Eine Reihe verwandter Erscheinungen in Oberitalien, von Mailand bis Venedig, müfste erst als toskanischen Ursprungs mit vorurteilsfreiem Urteil von den Erzeugnissen heimischer Lokalkunst gesondert werden, bevor eine Sichtung florentinischer Ableger im engern Kreise versucht werden könnte, und diese iVuscinandcrsetzung kann sich nur all- mählich vollziehen nicht bei Gelegenheit abgetan werden wie hier.

Die Tatsadie, dass in Oberitalien zahlreiche Denkmäler ver- wandter Art sich auf Schulgenossen aus Florenz zurückführen lassen, ist bekannt genug, aber die Bedeutung der florentinischen Enklave

') Diego Sant* Ambrc^io behauptet S. 33 einen zwiefadien Aufenthalt Bnincllcscbi^ in Mailand, 1427 tmd 143; Vn]. da^u Com. de Fabricry, Filippo Brunellescbi S. 374i der nur einmaligen Besuch zwischen 1427 und 1432 /ulüs!>t.

*) Ibn schlägt Diego St. Ambrogio, a. a. O. S. 32 vor, indem er ihn zugleich al^ Bftutndsler denkt.

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TOSKANISCHE BiLONER IN OsERITiVLIEN 2 t

in Castiglione d'Oloiia för diesen Zusammenhang noch kaum er- wogen ').

') Da w8rc an f>T«-tcr Stelle allerdings in Aiezro «clbst das Grabmal des Rcchts- gclehrtcn Anlonio de Royzcilis, ein ganzer Aufbau am Tcrracotta in S. Franceitco zu ttenneD, (leitaen Sarkophag mit den Brustbildern dreier Berühmtheiten der Jurisprudenz dem Friei mit den KircheiiTitcnt am Porlat von Castii^iaiie sehr nahe kommt (sdiwerlicia erat 1467 wie das im SarIo xu Padua). Damit aber wäre wol noch der Hinweis auf die zahlreichen Wuike des sofjcnanntcn Meisters <lcr Pclleyrinikapelle in St. Anastasia zn Verona gegel>cn, wo die Wände mit Reliefs aus dem Lclien Christi von flüchtiger Arbeit bedeckt üind, mit Einzelliguren von Heiligen dazwiiichen und der Itnteenden Porträtgcstall des Stifters. Im Dom au Moden« ist von derselben Hand in der swciten Kapelle Kiiks ein Altarwerk erbalten, allerdings wdss angestridieB und vergiddet mit blauem Grande; CS enthält unten die Madonna, stehend zwischen vier Heiligen, darüber den Gekreudgten mit Johannes und Maria, sowie die sitzenden F^ren der vier Evanpcti?ten, in den Giebc'n Engel, in den dreieckigen Eckpfeilern, die zwei Seiten herauskehren, je vier NisdtCD mit Statuetten fibereinsnder, und an der Predella ReHefr mit Darstdluiigen ans der HeiligenlegeDde. Ihm gdiAren in Florenz die Halbfigor der Madwina mit Kind in der Kapelle des Bargello und das hochverehrte Gnadenbild, die Madonna del Popolo in der Brancaecikajiclle des ( ;iTniiTif> Im Berliner Museum haben wir jedenfalls die sitzende Kreifigur der Madonna mit dem Kinde (No. 107 1 und das Relief (108), im South iCensington Mu«euni zu London die Einzelfigur einer Annunziata (No. 4633) und die Reliefe (7366 und 7S94) ^ Alten ber dort dem Qneid» mgeteUt weiden.

Dagegen teilen wir vorerst die Bedenken, wenn dem selben Meister andi das G«ab> mal de« Beat^ Carissimo da Chioggia in S. M. de Frari zu Venedig beigemessen wird. Das Blattwerk des spitzbogigen Baldachins, aus dem Halbfigurcn von Heiligen, Propheten, Sibyllen und musicierenden Engeln hervorwachsen, erscheint allerdings diesem ionbildner völlig entsprechend. Aber das gro^ Reliei der Taufe Christi unter dem BOfsn «xmcht beinah die Scfateheit und Innigkeit <Hiibertis selber und die ReUefr am Snrkephi^ die Auferstehung und die Höllenfahrt Christi, zeichnen sich durch meisterhafte Kladiek der Komposition, durch die freie Wiedergabe nackler K^r]fr in man nich falliger Bewegung und Verkürzung, durch die klassisch einfache Gewandung so vorteilhaft vor dem Meister der PcUegrinikapt-lle aus, dass wir nur auf ein verwandtes Beispiel in Florenz zurück« weisen mochten, suf das Relief mit der Enthauptung des Jakobus am Tabemakd ^ücses Heilig an Onanmichele, die im unverkennbaren Anachluss an die Anferwcdkuiig des I^zarus von Ghibertt komponiert, von einem seiner Sltercn Genossen herrühren muss, deren viele ihn ja 1424 au^ Furcht vor der Pest verlassen hatten, die ihn selbst nach Venedig trieb (^Ükt.— Decbr. vgl. Milanesi Doc. Sen, II. 119).

Die Auferstehung am Grabmal des Beato Ctrissimo (1437) m Vened% bat allerdings Verwandtschaft mit dem Grabmal Brensoni (f 1410) in St Fcrmo su Verona, auf dem sich Giovanni di Bartolo ü Rosso als Urheber bezeichnet, und mit dem Reiter- monument des Corte^ia da Serego (1429) in St. Anastasia, das auf den'^elhen Namen Anspruch bat, während das Denkmal des Fulgoso (f 1427) im Santo zu Padua wol sicher von einem andern Florentiner, Piere di Niccolö, herrührt, der mit Giovaniu di Martino da Ficaole das Grab des Dogen Mocenigo hi Vened% (f 14S3) und vorher in Flofens das Grab des Noferi Stroszi (f 1417) in der Sakristei der Trinitft gefertigt hatte.

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'i m DIE DECKENMALEREI IM CHOI\ DER COLLEGIATA

Nicht die Bauwerke und Bildwerke sind es, die den Namen Castiglione d'Olona in der Kunstgeschichte berühmt gemacht haben, obgleich sie es ebenso verdienten, sondern die schattenhaften l'eber- reste der Maloreion im Chor der KoIIogiatkirche und ein ('vklus aus dem I.obf'ti johunnes des Täufers im kleinen Baptistoriuni. unver- kennbare Arbeiten florontinischer Meister aus den Tagen des Kar- dinals Branda Castiglione ').

Die Fresken im Chor der Kircho sind üborweisst p>v\ i son und erst im Jahre 1K43 wieder aufgedeckt, leider nicht mit der Sorytali und Geduld, die der Rettung eines so wirhtigon Denkmals j^cljührt hätte. Tlier und da ibt di«- Maltlachc selber mit abj^dallen, ( Tosit hlcr und Körperteile zerkrat/t, an anderen Stellen durch Teuchtigkeit au( h die Zeichnung verschw laulen. an der Wölbung gar mit dem einen P)il(le der Versuch g<'wagl. die schadhaften Teile durch l'eber- malung wieder wirksam zu maclien. l)enn<>eh muss bei dem ge- schichtlichen Wert dieser Urkunden Alles aufgeboten werden, die verblichene Erscheinung zu bannen, und in der Tat kommt uns die Photographie ausserordentlich zu Hülfe, den Eindruck an Ort und Stelle zu ergänzen. Sie stellt mit mechanischer Sicherheit noch Einheit und Zusammenhang fest, wo das Auge, durch Farbenflecke beirrt» nur mühsam arbeitend die auseinander gerissenen Fetzen zu verbinden lernt. Nur gestatten die Enge des Raumes, der Einbau euies Hochaltars mit weitem Baldachin und die Ungunst der Beleuchtung den photogrraphischen Aufnahmen nicht genügende Freiheit, alle Teile gleichmässig zu behandeln.

Der Grundriss des Chors besteht aus einem Quadrat mit angc- legtem Trapez, d. h. er ist mit drei Seiten aus dem Achteck geschlossen, deren zwei schrägstehende Wände mit schmalen Spitzbogenienstem durchbrochen sind, während in der rechtwinklig zur Hauptaxe stehen- den Schlusswand ein höheres Rundfenstcr gesessen hat, das später

') Vgl. Vasari, Vite (Lcmonnicr) III. 13g (T., Opcrc (Sansoni) II, 2(19 ff. Crowc u. Cavalcaselle, Gesch. d. itnl. Mal. II S. tT., If.i!. Au<«<:. 1883, S. 244 fl.

A. V. Zahn, Jahrb. f. Kunsiwisscnschalt II ('1869) S. 155 ff. Lubke, dusolbil III, 280 ff. «. Gesdi. d. ital. Mal. I (i8;8) S. 285 t. Woltmann, Gescb. d. Mal, II. 143. - Butckbanlt-Bode, Ckvrone. 3. Aull. (1874) S. 873 bis 6. Aufl. (1893) S. $$3. Weiteres im Verfolg «n »einer Stelle.

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Masounos Deckenbilder

^3

erweitert wunte. Das ^itzbogigc Gewölbe besteht demgeinäss aus drei schmalen langgestreckten Kappen über dem Chorhaupt, zwei breiteren aber den SeitenwAnden> nnd einer sechsten, sehr in die Breite gezogenen, über dem Eingangsbogen gegen das Langhaus zu. Zwischen den spitzen SchildbOgen und den stark vortretenden Rippen eingespannt, bieten diese sechs sphärischen Flächen aber keineswegs g^lnstige Verhältnisse für die Malerei. Der Schlufsstein des Gewölbes zeigt eine runde Scheibe mit der gemeisselten und bemalten Halb- figur Gottvaters, der die Weltkugel in der Linken haltend, die Rechte srj^mrnd ausstreckt, und so von vornherein ZU den Deckenbildern selbst in Beziehung steht.

Er wendet sich mit dieser Gebärde der himmelfahrenden Maria zu, die von Engeln getragen zwischen Eingan gsbngen und Gewölb- scheitel emporsteigt, und erscheint zugleich mitwirkend bei der Krönung der Himmelskönigin im schmalen Mittelfelde des Chor- liauptes» Und wie diese beiden in der Hauptaxe gelegenen Dar- stellungen gehören auch die übrigen paarweis zusammen: über den beiden andern Polygonseiten links \ om Beschauer di«» Verkündi- ir^i'ig, rechts das Sposalizio, und über den beiden (Juadratseiten links die Geburt Christi, rechts die Anbetung der Könige.

Ganz links in der Ecke unter der Geburt Christi liest man auf einem Schriftbande am Felsgestein, mit dem die Zwickel ausge- malt sind, die Bezeichnung

MASOLINUS DE FLORENTIA ') . PINSIT die sich natürlich auf die Ausmalung der ganacen sechsteiligen Chor- dccke bezieht, aber auch nur auf diese, nicht mehr auf die unteren Wandmalereien beziehen kann, die in der einen Hälfte die Geschichte des hl. l^urentius, in der andern die Geschichte des hL Stephanus enthalten.

Die Wandmalmien des Chores sind späteren Ursprungs und von andrer Hand, bleiben hier also vorerst ausser Betracht Die Deckengemälde dagegen lassen sich aus der Geschichte des Kirchen- baucs, wie aus der ihres Stifters und ihres Urhebers genauer datieren. Im Januar 1422 wurde, wie wir gehört haben, die erste päpstliche Genehmigung zur Errichtung der KoUegiatkirche gegeben, bereits im November 1423 die Erlaubniss zur Wethe, also zum Beginn des regelmässigen Gottesdienstes erteilt, wenn damals vielleicht auch die Chorpartie allein, der wichtigste leil des Neubaues, vollständig

') £ und N ^nd zmammengexogen.

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Entstehunoszeit

ausjjefülirt sein mochte'). Am 25. März 1425 '"rst fand die Weihe wirkHch statt, die wegen der Abwesenheit des Stifters als Kardinal- legat jensc iis der Alpen solange hinausgeschoben war. Der Haupt- altar wurde der Jungfrau Maria und den beiden Märtyrern Laurentius, dem litular d<T ursprünglichen Kirche, und Stephanus geweiht, der Scitenaltar in tlcm einen Xebenchor dem Petrus und Paulus nebst den übrigen Ap<».stehi, offenbar in Rucksicht auf die Würde des apostolischen Legaten und Kardinals der ri)mischen Kirehe. der Seitenaltar im andern Nebenchor dagegen dem heiligen Papste Clemens, dessen Basilika in Rom Branda Castiglione als Kardinalstitel inne hatte, so dass er Reliquien dorlhrr mitbringen konnte, ferner dem heiligen Ambrosius, dem Schut/patr(.)n der M .il. t;der Diözese, zu der Castiglione d ( )lona gehurt, und anderen bekennern, wie Konrad, Kaiser Heinrich, Leodegar, Corbinian und Oswald, von denen der Legat sich .lul seinen amtlichen Reisen im Norden Reli- quien verschafft hatte. In der Unterkirche erscheint als erste Titel- heilige des Altars unter der Chorkapelle St» Katl:. rina von Alexandrien, gefolgt von Margaretha, Hedwig, Afra, Walpurgis und Ursula mit Ihren eilftansend Jungfrauen. Wenn für den Altar der Assunta droben sogar Prato ein Pärdkelchen seines gefeierten Heiligtums, des Gürtels der Madonna, herausgegeben hatte, so ergeben die Namen der andern Reliquien Winke genug fiftr die frommen Streif- züge des Stifters in fernen Landen. Mit der Verteilung dieser Reli- quien auf die vier Altäre und der Einweihung in Gegenwart des Kardinals war auch das Thema fidr etwaige Malerei oder bildnerischen Schmuck vorgeschrieben. Also vor dem März 1425. der Rückkehr des Kardinallegaten aus Ungarn und Deutschland» kann die Verherr- lichung der Maria am ChorgewOlbe durch die Hand des Florentiners Masolino keines^s entstanden sein.

Und die Daten aus dem eigenen Leben des Malers, die wir besitzen, bestätigen diesen Gränztermin. über den wir nicht zurück- gehen können, durchaus. Dieser »Masolinus de Florentia« ist identisch mit dem kleinen« Thomas, eigentlich vTommaso di Cristoforo Fini, pictor populi sancte Felicitatis de Florentia«, der am 18. Januar 1424 bei der Zunft, der die Maler damals angehörten. Arte de' Medici e Speziali, in Flore nz immatrikuliert ward, um als selbstständiger Meister Aufträge übernehmen zu können. Ein Rechnungsvermerk der Com- pagnia di S. Agnese dellc laudi presse 11 Carmine ergiebt, dass er

>) Dwanf bat mit Recht wfaoQ Lttbke, Jahrb. f. Kwscbft. III. a8i 11. 284, aaf- inerksam geiaadit.

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Masolino in Ungarn

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noch am 8. Juli 1425 eine kleine Zahlung entgegen nahm. ') Im Jahre 1427 aber besagt der Katasterbericht seines Vaters ( ristuforo di Fino, imbiancatorc : Tommaso suo figlio, d'anni 43, sta in Ungheria; diccsi dovor avcre certa quantila di danari da Tercde di messer Filippo Scholari; non r chiarito il che , und am Rande dazu die weitere Notiz: Sono tiorini 360 di Monte Comune ch'erano iscritli in Simone Milancsi e Simone e Tomniaso Corsi.v -|

Filippo de' Scolari, der berühmte Feldherr in Ungarn, war selbst Florentiner, aus dem alten Hause der Buondelnionii /u Tizzano 1^)9 geboren, in seiner Heimat unter dem Namen Pipp<> Spann, d. h. der ( )hcrgespan (von Temesvar) bekannt. Als Schatzmeister König Siirib- munds. wurde er durch seine Gcmalin (iraf von O/ora imd trat damit als llospodar in die Reihe der ungari>chen Magnaten ein. Er Hess sich von toskanischen Künstlern, zu denen auch Manctto Ammanatini -il grasso legnajuolo« gehörte, ein prachtvolles Kastell und Kirchen in Ozora bauen, ein Hospital in Lippa und eine Fainilien- kapelle in Stulweissenburg neben der Grabkap^e der ungarischen Könige, Dort wurde er adbst bestattet, als er an; 27. December 1426 zu Lippa gestorben war. Sein Grabmal, gewiss bei Lebzeiten vorgesehen, aber schon 1536 zerstört, wie alle seine Bauten, trug die Inschrift:')

SEPÜLCHRUM EGREGH ET MAGNIFICI DOMINI PHILIPPI DE SCOLARIBÜS DE FLORENTIA COMITIS THEMESWARIENSIS ET OZORAE . QÜI OBIIT ANNO DOMINI MCCCCXXVI. DIE XXVIL MENSIS DECEMBRIS

Diese Kapelle war jedenfalls im Mai 1426 sehr weit gediehen, wahrscheinlich sogar in ihrer malerischen Ausschmfickung volU endet; denn damals ruhte er nicht, bis der Gesandte von Florenz Rinaldo degli Albizi nach Stulweissenburg gekommen war und sie

*) Vgl KmUmi, MmmcIo og den floreatiaske Mmterkoiwt poa hAos Tid, Kopen- hagen 1875. S. 160. »A Masolino di . , . dipintore a di VIII di luglio liro dur soldi qnatro, sono per dipignicrr la nuphola e metere d'azuro c orn tlno.« (Arcb. OiUrale Ubro d'EntraU e Uscita dal 1425 al 1441, Compagn. di ä. Agnese deile Lawii, !>egn. B. No. 98 p. 81 tergo.)

>) Vgl. Mihncsi, Giornale storico d«gU Aivtiin ToscaDi 1860, Juli bi« S«pt S. 192 ferner die folgende Notiz : Milaneri, Scritti vaij 1873 p. 38; : >E pifi riinane a detti Milan' si fior. 450 di Monte Cbomune che sono nel quartiere Spin'to, in somma di fior. 810 sol 6 den. 8 a oro in oro: dicbono in Simone MUancsi e Simone e Tommaso Chor&i . . . poranUA In fOMStro Tomaso di XpoGmo dipint««.

*) Maani, Dom. Marii, Oaaervadoni isUMridie «opim i sj^llt «ntidit de*aeooK bmsai. Tom VIII. (Firenze 174a.) p, 63.

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Entstehungszeit

besichtigt hatte Am 14. Mai 1426 verzeichnet dieser in seinem Berichte an die Signoria: »vedemo la capella sua, fatta di nuovo, \yeT sua sepultura, adoma dt molto e bene dotata e di ricchi para- menti ec.« ')

I Pippo SpanOt seit seinem dreizehnten Jahre im Ausland, war nur einmal wieder nach Florenz gekommen» am 23. Juni 1410. Dagegen wollte er im Mai 1425 den Konig Sigismund zu seiner Krönung nach Italien begleiten; aber die Romfahrt verzögerte sich bekanntlich bis 1435, so dass Filippo sie nicht mehr erlebte').

Bei einem der letzten Einfälle der Türken in Ungarn gegen König Sigismund war Branda Castiglione, Graf von Veqmm und Kardinallegat unter den Wordenträgern des Reiches, die mit dem König zusammen den gichtkranken Spano bestimmten» den Ober- befehl der Truppen zu übernehmen um die Feinde aus dem Lande zu jagen. Die Durchrase des Legaten durch Florenz» bei seiner Heimkehr nach Rom, als er seine Kirche an der Olona geweiht und beim Visconti in Mtiiland seine Mission erledigt hatte, mag also auch für Masolino den letzten Anstofs gegeben haben, im Hochsommer 1425 nach Ungarn aufzubrechen.

Wenn Masolino aber fikr Filippo degli Scolari die Ausmalung jener Kapelle ausgeführt hatte, für die beim Tode des Auftraggebers, Ende December 1426, noch 360 Gulden zu zahlen waren, so bleibt das Wahrscheinlichste die Annahme, dass Kardinal Branda ihn bei der selben Gelegenheit auf der Durchreise durch Florenz, zwischen Mai und Juli 1425. bestimmt hatte, 'auf dem Wege nach Un- garn in Castiglione d*01ona einzukehren und die Ausmalung des Chores in der neugeweihten Kirche zu beginnen. Dass Masolino dort nur die Gewöll>efelder vollendet hat und sich im Zwickel oben.

*) Giiniiiiisiom di Rinsido de^t Albiii, II. $88. »lo Spano volevm noi fiMMshno la via da Albareale per vedere b sna cappella e urnameoti, e alloggiassiino in cua U Pro*

])osto, c l'aUro di andassimo a Osora sua casa principale, per vedere la Contcssa e I'altir sue <r.sf.s .A di 14 (Mai 1426) partimo da Tata, cn' detti famigli d( 1 Conte di ( ilia con paretxhi cavagli per uno, e con quello dello Spano con tre cavagli, e co' detii carreiti ec . . . vcjnlmo ad Albareale, citta aenaa' veioovado, dove si coronano i Re d'Ungheria, e molte loro sepultai« vi »ono. Stnootamo in casa il Proposto, che molto vi funio onoimti per aiDorc dcllu Spano. . {&. oben). 15. Mai Besudi bei der Contessa in Oioitti »e fecemt tnostrarc il ca".tcllfi hclli'i'-imn e piü cliioie fattc di nuovo con molti riccbi paramenti e molte altrc jnagDjticciJ/.if ad htMioiom I)< i V'jjl. Dom. Meilini, Vita di Filippo Scolari, Firon/.c 1570.

Vgl. Gio. (.'anestrini, Arch. slor. ital. 1843 Anbang zu den beiden gtcicbzeitigen Lebensbeschreibangen des Fil. desU Scolari. (Tom. IV. p. 1 17 ff.) Handicbriftlidiet Material *m Arch. slor. centrale (Arch. della Badia Fiorentina No. 3^6^ Familianim tom. XV.) Canestriai, Disoorao aulle relazioni di Fireaae coli' Uogheria, Arch. »tot, ital. IV. p. «06 fL

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MASOLINOS DECK£NBnJ)£R

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unter dem letzten Bilde links bezeichnet, spricht ebenfalls ifür vor- übergehenden Aufenthalt] bei dem es vor allen Dingen darauf an- kam, dem Kardinal wenigstens guten Willen zu zeigen, den Auf- traj^ wenn auch nur teilweise zu erftillen, vielleicht dankbar Ver- pflichtungen nachzukommen, über denen doch die pi^ünstigc Jahreszeit zur Reisf nach Ungarn nicht versäumt werden durfte. Der \ nrläuhgc Abschhiss mit der Deckenmalerei allein würde sich i<Hum erklären, wenn wir den Künstler erst 1427, aut" der Rückkehr \ Stulwcissen- burg nach Florenz hier in Oberitalien g^eLrenwärti^^ dächten.

Dazu kommt ausserdem die Entwicklungsstufe der Kunst, die diese Malereien selber vor Augen stellen.

Ueberblicken wir die Bilder in der herkömmlichen Reihenfnlv^'^c des Marienlebens, aus dem hier drei correspondierendo Paare gew.iiilt Worden, so zeigen sich sofort die Richtung der Zeit wie die persön- lichen Eigenschaften des Meisters. Die Form der schmalen lang- gezogenen Gewölbekappen hätte darauf hinweisen sollen, die Vor- gctngr in möglichst idealer Behandlung zu geben, das heisst die Figuren silhouettenhaft nach den Grundsätzen der Flächendekoration auf das fest umrahmte Deckenfeld zu bringen, dagegen die räumliche Entwicklung eines bestimmten Schauplatzes zu vermdden. So wenigstens wflrde ein Abkömmling der älteren Schule, auch am Uebergang des vierzehnten ins Ainfzehnte Jahrhundert noch ver&hren sein. Unter den Bedingungen des gotischen Gew^bebaues heran- gebildet, würden Don Lorenzo Monaco oder gar Fra Angeltco da Fiesole nicht minder als Spinello Aretino sich bemüht haben, auch die Vorgänge aus dem Marienleben, die hier an der Decke verlangt wurden, möglichst raumlos, in gleichsam transcendentaler Allgemein- heit zu halten. Sie hätten bei der Enge der gegebenen Bildflächcn gewiss rituelle Feierlichkeit der Auffassung und Abstreiiiing alles nebensächlichen Beiwerks als dringendes Gebot erkannt, selbst wenn ihnen die Bestimmtheit der Gebärde und die Macht des Ausdrucks in den Gestalten selbst nicht mehr zu Gebote stand wie den grofsen Mdstem des Trecento selber.

Masolino dagegen sudit, wie ein Bilde auf seine Deckenbildcr lehrt, den Fortschritt über jene Schultradition gerade in der Wieder- gabe irdischer Bestimmtheit des Ortes jeder Handlung. Es ist ihm mehr darum zu tun, die Bühne recht leibhaftig aufzubauen als die Gestalten selber, die dort auftreten. Er hängt mit dem (iange der Entwicklung, die sich von Taddeo Gaddi und Giovanni da Milano zu Angelo Gaddi und Antonio Veneziano vollzogen hatte, noch eng zusammen, indem auch er noch vom Zuwachs des Beiwerks,

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Marias Himmelfahrt und Krönung

von der mann ich faltigen Umg'ebung au^eht, srl})st auf Kosten der Hauptsache, auf die ein Giotto seine ganze Kraft gerichtet Darin bleibt auch er ein Ausläufer des Trecento, dem die grundlegenden Jahre seiner Jugend angehören. Aber seine Schilderung des Schau- platzes verfügt bereits über neue Mittel: er kennt die Forderung perspektivischer lllusioti für das Auge und will den Schauplatz der Handlung aueh da n alistisch hinstellen, wo die Hildtiache sich hoch über dem Betrachter beiludet. Dadurch aber gerät er am Chor- gewolbe zu Castiglionc mit den starkvortretenden Rippen in Wider- streit, jemchr der eigene Aufbau einer Scheinarchitektur versucht wird. Seine Darstelhuigen sind in Florenz vorbereitet, unter den Auspicien Brunelleschiö sogar und dem Eindruck der neuer.stehenden Archi- tektur: aber an so schmale Gewolbkappen eines lombardischcn Chorhauptes war der Maler nicht gewohnt.

Nur wo die vorgeschriebenen Sccnen selbst den irdischen Schau])latz ausschliesscn, gelingt auch ihm ein harmonischer Eindruck un festen Rcdunen.

Durch die Reliquie vom (nirtel der Mari<i. den sie der Legende nach dem ungläubigen Thomas zugeworfen, als sie gen Himmel entrückt ward, ist die Darstellung über dem Hochaltar bestimmt. Von fliegenden Engeln in symmetrischen Reihen links und rechts umgeben, sehen wir die Mutter Gottes emporgetragen. Leider ist die Hauptfigur fast gar nicht mehr zu erkennen, zumal seitdem nach der Übertündiung gerade in ihrem Leibe ein Haken fükt den Bal- dachin befestigt worden, der über dem Altar hängend dem Auge kaum gestattet hier und da ein Stück des Bildes 2u eriiaschen.

Desto wichtiger ist das Gegenstück im Mittelfelde des Chor- hauptes: die Krönung Maria's durch Christus, die den Cyklus ab- schliesst. Auf prächtigem Tron mit hohen, flalenbekrönten Ldinen und apfiisähnlicher Nisdie in der Rückwand, über der eine durch* brodiene gotische Turmspitze von reicher Schmuckarbeit au&teigt, sitzen vor einem köstlichen im Halbrund ausgespannten Teppiche die beiden Hauptpersonen. Christus rechts, etwas höher tronend, ist soeben im Begriff der Mutter, die bescheiden etwas niedriger an der linken Ecke des Sitzes Platz genommen hat, mit beiden Händen eine Krone auf den Scheitel zu drücken. Demütig neigt sie ihr An- gesicht vor dem Sohn in seiner Herrlichkeit. Zahlreiche Engel schauen dabei von beiden Seiten durch die Fenster des Trongestüls, während ganz vorn zwei mädchenhafte Wächter an den Stufen stehM. Es sind ausserordentlich gestreckte Figuren, mit schmalen Schultern, kurzem Oberkörper aber langem Rumpf und doppelt so langen Beinen. Sie bestehen fast nur den Hauptlinien ihrer Güedmaisen

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Verkündigunü

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nach, ohne jede Rundung der Form, d. h. aus Kopf und Händen, die aus der Draperie eines (xeslells hervorsehen; selbst am Rande der Sitzbank hockt oder lehnt diese Gliederpuppe nur seitwärts, so dass alle Verkürzungen, die sonst bei festem Niedersitzen entstehen, vermieden sind. »Es ist wesentlich das Gewand in welchem sich die Bewegung ausdruckt«, sagt Albert von Zahn, »und zwar In schlanken, ziemlich allgemeinen Zflgenc. Und Cavalcaselle hebt mit Recht »eine gewisse mflde, aber nicht ungraztOse Ruhe« hervor, »in Verbindung mit zartem Ausdruck und schlicht anmutigen Zügen.«

Wie Bewegung und Gebärde dieser schemenhaften Ideale haben auch ihre Köpfe eine wdche Unbestimmtheit der Form und molluskenartige Haltung, als UMe ihnen jede Festigkeit des Knochen- gerflstes und jede Straffheit der Musk^lbänder. Nur die Haarforbe und der Bart unterscheidet Christus von der jungfräulichen, ganz bellblonden Mutter, deren Köpfchen so kindlich rein wie eines un* erwachsenen Mägdleins, duftig und durchsichtig wie eine Rbsen- knospe auf Ihrem Stengel schwankt.

Wenn schon hier im Trontabemakel -das schnelle Zusammen^ ffiehen der Lmien nach der Höhe das Auge beirrt, so merkt es empfindlicber den Zusammenstofs mit der vorgefundenen Rippen- teilung bei der VerkOndigung. Der Scheitel des Scbildbogens, d. h. der Höhepunkt der wirklichen Kapellenwand wird vom Maler als emporragend Ober den Boden der gemalten Bahne gedacht, die er im darüber befindlichen Gewölbfelde ent&ltct. In Halbkreislinien nach links und rechts weicht hinter dieser Bogenspitze der Rand des gemalten Fussbodens zurQck und scheidet so die beiden unteren Zwickel der Gewölbkappe, die mit abgestuftem Felsgestein gefüllt sind, aus der Darstellung aus. Wie der Souffleurkasten einer Bühne verdeckt der einspringende Scheitel des Schildbogens auch dou Fuss einer schlanken Säule, die nicht ganz in der Mittelaxe, doch un- mittelbar dahinter aufsteigt. Ihr einfaches Volutenkapitell trägt die Ecken eines graden Gebälks das zu den Anten zweier Vollmauern hinüberrcicht, die im rechten Winkel aneinanderstofsend die beiden Rückwände der turmartigen auf quadratischem Grundriss aufsteigenden I^oggia bilden. Uber dieser GebälklajLj'C erhoben sich noch zwei luftige Geschosse mit Rundbogenfenstf rri, die im oberen mit Mittelsäulchcn austjesetzt sind, darüber ein schräges Zeltdach, dessen Mitte in einer Laterne gipfelt. Schon die hjtrechto Säule, die zwei Drittel der Bildhöhe teilt, und die Horizontalbalken des Aut Daues vertragen sich nicht recht mit der konkaven Fläche, auf der .sie j^-emalt worden. Das Ganze gleicht einem Altarciborium, dessen hintere Seiten, durch Vorhänge geschlossen, den Durchblick versagen. An der einen

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30 Sposalizio

Wand ist aber ein Schrankchen angebracht» auf dessen offenen Borten die Andachtsbücher und kleinen Gerätschaften der Jungfrau gesehen werden. Zwischen Säule und Wandschränkchen steht auf dem Fuss- boden eine Vase mit Blumen darin. Ganz rechts an den Rand des Bildes i^rängt, erscheint Maria, aufgeschreckt aus ihrem Gebet Scheu zurQckweidiend, neigt ffle doch ergeben das Haupt und kreuzt beide Arme über der BrusL Es ist eine schlanke feinlmochige Ge- stalt mit kurzem Oberkörper, und von den Schultern ab so voll- ständig eingehtkUt in die welchen fltessenden Massen ihres Mantels, dtiss nur die sanfte Biegung vom Kopf bis zu den Fflssen sichtbar wird, in dem vorwärtslallenden Faltengeschlängel am Boden sich noch die Bogenlinie fortsetzt und das Zurückiiiehen aus der früheren Stellung vorrät, wie beim schwanken Rohr, das vom Winde bewegt ^vird, Links beugt sich der Engel schwebenden Ganges zu ihr herein. Kaum die Zehen berühren den B(uien, auf dem das weite Gewand nachschleppt; fast scheint es, als wolle er niederknicen, indem die Flügel sich senken, der Arm sich hebt and vorstreckt, seine Bot- schaft begleitend. Die Linke mit dem Lilienstengel bleibt abwärts gerichtet, während das Antlitz, eaii/ in Profil, fnine^f srlmittcn und zart wie das Mariens, zu der demütigen Gottesmagd hinüberschaut. Auch hier ist der Körper untt^r df^m doppelt geschürzten Kleide kaum fassbar, die Rpwegiing der ik'ino nur zaghaft und unsicher gegeben. Nur Arme und Köpfchen müssen, wie hei Maria, zum Aus- druck eigenen Lebens genügen. Der poetische Vorgang selbst ist nur in lyrischer Empfindung aufgcntnniuen, weicher und unwirklicher ntK'h als bei F"ra Angelicu da Plesoie, und völlig unberührt \ on dem Drang realistischer Ausgestaltung, den der Schauplatz erwarten liisst. An der aufdringlichen Säule \ orn st< )sst sich immer wieder der Schwung der idealen Wesen, von denen keines der Wirklichkeit angehört.

Ganz das nämliche Verhältnis zwischen Fisrnreri und Architektur waltet im Sposalizio, das rituell und feierlich hehatulelt ist, doch mit der selben Un Wirklichkeit, wie die Schlufsscene eines Elfenrei^rns in die Erscheinung tritt. Vorn an der Schwelle des Heiligtums steht der Hohepriester, der das Paar zusammengiebt. Links Maria über- schlank, Sylphidenhaft, von der alten Anna begleitet, die wenigstens scharfen Blickes der Beringung der Tochterhand zuschaut, während eine Schaar jugendlicher Begleiterinne nihre Köpfe emporreckt. Auf der unteren Stufe .steht, Maria zunächst, eine clegi.sche Jungfrau, und eine anmutige junge Mutter mit einem Kinde an der Hand steigt, fast wie dne Leidtragende zur Schwelle des Grabes, hinan. Joseph ist ebenso zart wie seine Verlobte, nur ideale Gewandfigur mit aus- gcsprodien gotischer Draperie. Gross und weihevoll dagegen steht

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Sposalizio

3t

sein Nebenmann auf der nächsten Stufe, in seinem langen weissen Bart wie ein Moses anzusehen, in ernster Ruhe, g-esenkten Blickes vor dem Walten des Schicksals, wie der ehrwürdige Alte hinter ihm auch. Nur Einer von diesen Freiern mit dürr gebliebenen Stäben Ifisst seinen Unmut aus, iadem er den Gegenstand seines Zornes über dem Knie zerbricht; aber es geschieht gleichsam verstohlen und zaghaft, ohne daas die anderen es bemerken und ohne jede Energie der Bewegung, so dass das Motiv als soldies ebenso wenig Interesse erweckt wie es beim Künstler die Beobachtung des Lebens bevausgefordert hatte*).

Es ist also im (jegensat/ zu den burlesken Anwandlungen, in denen sonst der Sinn für wirklichkeitstreue Schilderung auch in biblischen Scenen am ehesten Befriedigung suchte, hier eine Reinheit des religiösen Gefühls bewahrt, die in Erstaunen setzt. Und wenn man in der ernsten Gresdnnung des Kardinals Branda, dem Wunsdi des Auftraggebers, die nächste Erklärung sucht, so macht sich die weiche Stimmung des Ganzen fast rührend als positiver Inhalt fühl- bar« dass ne wie ein Hymnus aus tiefstem Gemüt des Künstlers herüber klingt, den selbst die Mönche wie Fra Angelico und Don Lorenzo nicht aufzuweisen haben. Es ist dne schwermütige Weise, aber so scMicfat und kindlich in ihren Mitteln wie Lieder des Land- volks» und erscheint wie eine Zwischenstufe zwischen der sentimen- talen GefiOldsmalerei der Meister von Perugia und der prec^ösen Innigkeit d^ Sienesen. Die Kleinheit der Köpfe, das schwebende Neigen der Gestalten, die gleichmafsig abwärts flielsenden Falten aus geschmeidigem Gewebe und das melodische Geschlängel der Säume Ober den Stufen hin, Alles trägt dazu bei das rein seeUsche Gebahren der Versammelten zu vermitteln. Und in all diesen nur halb verkörperten Wesen sehnt sich etwas wie Heimweh nach einem besseren Jenseits.

War es die Abgeht des Malers, dies gehorsame Über^^ich-ergehen- lassen eines vorbestimmten Erdenloses, das wir aus seinen unpersön- lichen Figuren heraus zu lesen vermögen, nun etwa durch den Hinter- grund einer idealen Ardütektur zu sanctionieren ? Sollte das gesetz- märsige Geftige des Bundes noch gefestigt und verklärt erscheinen durch diesen Tempel, den er darüber aufbaut? Jedenßklls bt das gemalte Bauwerk die VeranschauHchung eines Phantasiegebildes, in dem sich die luftige unwirkliche Natur der Trecentokoulissen mit Elementen des neuen Stiles, den er in Florenz entstehen sah, und mit Kunststücken

*) I>ider itt hier an den GewlDdem tdlweiieder Vctsodk g^HMiCbt, die Farben m ern^ ;f>rr deren Einheit dadurch xerstört winl; «ber die KApfe sind fvt alle nnberflhrt

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Gebuki Christi

perspektivischer Konsequ^z verbinden, die tieide im Jahre 1425 alle Beachtung verdienen. Die Kenntnis der neuen klassisch gereinigten Bauformen ist nicht mit dem Verständnis eines Architeicteo auf- genommen» sondern mit der Anschauung eines Malers oder höchstens der Übung eines Goldschmieds; aber die Kenntnis der Linear- perspective» die Brunelieschi gelehrt, kommt dabei wesentlich zu Hülfe, und der störende Einfluss der konkaven Bildfläcbe» ihrer gestreckten Dreieckforro mit spitzem Scheitelwinkel, der fthlbar genug auch den Zeichner beirrt hat, darf bei dem Urteil aber seine Unsicherheit nicht unterschätzt werden. Ein sechseckiger Tempel auf schlanken Pfeilersäulen mit schlichten Bogenstellungen dazwisdien baut sich in zwei Geschossen auf, darüber ein sdväg ansteigendes Zcltdacli mit Fialen auf den Ecken und hoher Laterne in der Mitte, deren Helm immer deutlidl^ in die Dekoration italienischer Spätgotik übergeht An diese turmartige Vorhalle stö&t in der Mittelaxe ein ebenso zweigeschossiges l^nghaus, in dessen kreuzgewölbte Decke mit ein- gespannten Quergurten wir unten wie oben bis an den Vierpass der Fensterrose in der Schlusswand hinoinbücken. Diese Untensicht des Kirchengewölbes in zwei Stockwerken ist, wie der allseitig ofiFene \'orbau ein perspectivisches Bravourstück, das auch Vasari gebührend hervorgehoben hätte, wären ihm diese Deckenbilder Masolinos be- kannt geworden. Die einwärts weichende Rundung des Horizon- talgebälkes und der Schein einer konischen Verjüngung aller i»enk- rechten Glieder von unten bis oben vereitelt allerdings d:is Bemühen des Malers, seinen Wunderbau fürs Auge tauschend wiederzugeben, und schiebt den ganzen Versuch zurück auf die Siufe des unselbstän- digen Uebergangs. dem die figürliche Darstellung durchaus angehurt.

Günstiger fiir die räumliche Anordnung der Seenen sind die breiten Gewölbkappen über den beiden Wänden des ("horquadrates, die durch Aussonderung der abwärtsreichenden Zwickel fast gleich- seitige Drcieckfelder darbieten. Sie werden der (jeburt Christi und der Anbetung der Könige zugewiesen, die beide im Freien dar- gestellt zu werden pflegen, also beliebige Erweiterung tlor Raum- tiefe gestatten. Die bescheidene Hütte von Bethlehem, imi dem Stall filr Oechslein und Esel daneben, ist allerdings auch hier nicht aberzeugend lotrecht in die selbsterfundene Landschaft hineingestellt und muss von dem perspektivischen Ungesdiksk des Meisters fifa^- zeugen. Sie hat etwas von einer kindlichen Arche Noahs und wird wie hier auch drüben, an der Innenseite des Kahmens hervorschauend« genau wiederholt Beide Seenen sind als Anbetungen ruhig ge- haltene Situationsbilder, in ritueller Andacht weit entfernt von drama- tischer Belebtheit.

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Geburt Christi

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Bei der Anbetung des neugebornen Kindes kniet Maria vor der Tür der Hütte, gerade über dem Scheitel des einspringenden Schildbogens. Sie wendet sich mit gefalteten Händen nach rechts, wo das nackte Knäblein von einer länglichen Aureola umgeben auf dem Boden liegt, während über dem Dach die Engelchöre mit langen Schriftbändem das Gloria in excclsis singen. Zur Linken kniet in ehrfürchtigem Abstand der alte Joseph, der ebenfalls mit gefalteten Händen inbrünstig betet. Sein ernster Kopf steht im Profil, von flachem Heiligenschein umrahmt, gegen die Lan<Urh.ift: sein weiter gelber Mantel umhüllt mit \v(Mrlif n Falten den Korper und legt sich in \v<>lgeordneten Zipfeln zur Seiti> aus, genau in dem Ge- schmack des Lorenzo Ghiberti und seiner Genossen an der Brenzetür des Baptisteriums, die damals soeben viollendet war. Der \'ercMnzelte Beter hält so einer anderen Erscheinung drüben das Gleichgewicht, wo zu den herkömmlichen i^iguriMi noch zwei andere Zeugen hinzu- gefügt sind. Wie sonst w(»l S. Francisriis oder Maria Aegyptiaca und andere Heilige gelegentlich in die Darstellungen des Presepe eingeführt werden, um gleichsam das Wunder der heiligen Nacht perstiulich mit zu erleben, so sehen wir an dieser Stelle die Gestalt eines Kirchenfürsten, der verehrend auf den Knieen liegt, und liauer ihm sich vorbeugend eine zweite Person mit Heiligenschein, die ihn belehrend hinweist auf den Zusammenhang zwischen der Jungfrau und dem Kinde. Nach der Kopftracht würden wir das bartlose, wenn auch nicht eben jugendliche Antlitz auf eine weibliche Schutzheilige des knieenden Verehrers deuten» der nach seinem eigenen KostQm, mit Purpurmantel und weissem Kopftuch, Niemand anders sein kann ab firanda Castiglione, der Stifter dieser Malereien selbst, dessen Grabmal unter dem Bogen der nflmlichen Chorwand seine Stätte gefunden. In dem barilosen Antlitz v/hrd mit erkennbarer Portr Atabsicfat versucht, die strengen, etwas asketischen Züge festzuhalten; es ist aber kaum unmittelbar jiach dem Leben gemalt, geht infolgedessen an in« dividueller Durchführung nur wenig über die Idealköpfe der heiligen Geschichte hinaus und steht auf gleicher Stufe mit dem Kopf der Heiligen neben ihm. Wir würden an Stelle dieser Schutzpatronin, die dem Kardinal die hohe Gunst verschafft, des Einblicks in ein solches Mysterium gewürdigt zu werden, am ehesten den heiligen Laurentius erwarten, den ursprünglichen Titular der Kirche, der den Stifter auch in dem Relief des Portals von 1428 empfiehlt; aber es fehlt jede Andeutung di s I *i konenornates, und es widerspricht ge- radezu die schleierähnlichc iünde. die wie ein Turban über dem Haare liegt und damals bei weiblichen Personen vorkommt. Darnach können wir auf die Braut des Christkitidcbens als die Nächste zu Scbniarsow, Masaccao. 3

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Anbetung der Konige

solchem Amt verfallen, auf die hl. Katharitia, der an erster Stelle der Altar der Krypta unter diesem ( höre geweiht ward. Wegen der ältlichen l'orträt/.üge, die sie trägt, drängt sich utiu illkurüch die Ver- mutung auf, dass hier an den persönlichen Eintkiss einer Frau auf die religi(»se Uebcrzeugung des Stifters erinnert werden sollte, wenn nicht an die Züge seiner Mutter, Gräfin Lucrezia del Porro.

Lassen wir das vorläufig dahin gestellt, so ist nur noch der Verkündigung an die Hirten zu gedenken, die im Hintergrunde links über Joseph durch einen kühn herabfahrendon Kngel vollzogen wird, l.oidor ist diese Ueberraschung inmitten der weidenden Lämmer fast verloren; aber sie ergänzt sich drüben in der Anbetung dor Könige durch eine ähnliche (ienrescene, wo auf der Bergwiesc aber- mals die Hirten und ihre Herde gezeigt werden. Ein Schäfer in leichtem Fellkittel steht auf der Halde nach rechts gewendet, auf sdnen langen schräg unter den Arm gestellten Stecken gestfitzt Er lauscht dem Gefällten der vor ihm am Boden lagert, wAhrend am Rande der Schäferhund sitzend über die Herde wacht, die da* neben weidet. Dieses ländliche Idyll gleicht sehr auf&dlend den Darstellungen Ghibertis an der späteren Porta d^ Paradiso^ wo Abel als Hirtenbub auf der Alm sitzt mit seinem S|ntz zur Seite, oder wo die Knechte Abrahams, während des Opfers auf dem Berge, drunten an der Quelle rasten. Aber der stehende Jüngling mit s^nem Stecken ist eine Lieblingsfigur der ganzen Zeit, die wir von den Tagen Masolinos und Ghibertis bis zu denen Signorellis und Rafaels verfolgen können. Im Skizzenbuch zu Venedig reiht sie sich einem Hirten mit Dudelsackpfeife und einem Doppelllötenbläser an, den wir in antiken Bronzen wie in mehreren Wiederholungen der Re- naissance noch heute besitzen. Sie hat auch Aehnlichkeit genug mit einer Zeichnung in den Uffizien, die früher den Namen Masolino's trug und einen jungen Burschen in enganliegendem Kostüm mit langem Stab in der einen Hand und einen schlafenden Hund am Boden darstellt Sie stimmt auch mit der Haltung der Jüngern Kt mige überein, die vorn im Hauptbilde als ruhige Zuscliauer zur Rechten stehen, wo ihre Dienerschaft und ihre Rosse mit richtigen Trecento- Physiognomieen neugierig ihre Hälse recken. In prächtigem Kostüm, mit Strumpfhosen und kurzen faltenreichen Röcken, deren Saum rund absteht, halten sie ihre Gaben in den Händen. Besonders der Jüngste ist eine von jenen reizvollen Schmuckfiguren, die wir aus dem Meister- werk kennen, das die Vorliebe für solche Kleinmalerei nach Florenz

1) CaUüogo dcUe «tainpe e disqpii 1B81, Conike 95 No. 393. 394 mtd

Com. sc 2*9,

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Gentile da Fabriano

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verpflanzte, eben aus der Anbetung der K6nige von Gentile da

Fabriano, die 1423 vollendet war. Es ist also ein andres für die Geschichte der toskanischen Malerei bedeutsames Ereignis, das sich in dieser Darstellung von Masolino wiederspiegelt, wenn auch in ' 'Mf ni lei(J(T fast völlig verloschenen Fresko natürlich nur in bleichem Abglanz: ich meine die Ansiedelung des Gentile da F^abriano in Florenz, der aus Venedig kommend seinen Gehilfen Jacopo Bellini mit dorthin brachte, und vom Frühjahr 1422 bis zum Spätsommer 1425 dort beschäftigt war, um dann über Siena und Orvieto nach Rom wcitor zu zichon, wo ihm ein ehrenvoller Auftrag in der Lateransbasilika Teil ward.

Ausser dem Königstross zur Rechten bleibt im Bilde Maso- lino's die Komposition locker und einfach wie in der Geburt gegen- über. Nur ein kleiner Page guckt noch neug^ierij^ um die Ecke des Krippendachs, unter dem selbst Ochs und Esel eine Ahnung seelischen Anteils verraten, da der älteste der Magier sich in An- dacht niederwirft. Während die Hände sich auf der Brust kreuzen, streckt sich der hochbetagte Greis auf den Boden hin, berühren die Uppen des ^raiibärtigen Kahlkopfs in brünstiger Verehrung das Füsscheii des Kindes. Diese vollendete Prnskvneso eines Mächtigen der Erde wirkt um so mclir, je einfacher und ärmlicher die Hütte und je anspruclisloser die heilige Familie selber gehalten sind. Auch sie ist wahrscheinlich eine Anregung aus dem Bilde des (icntilc, wenigstens ein Zug, den wir bei Don Lorenzo Monaco vergebens suchen Ganz zu äusserst links am Rande des Bildes steht Joseph mit der Gabe des greisen Königs in den Händen, befangen und ratlos, als wage er nicht aufzublicken zu der unerhörten Ehre, dass gekrönte Fläupter seinem Pfleg-ling huldigen. Sorgfältig drapiert mit den dekorativen (xewandzipfeln, ist er auch trefflich erhalten wie drüben.

Ihm ähnlich hätten wir uns die Einzelfiguren von Heiligen an der T-aibung^ des Eingangsbogens zu ergänzen, wenn aus den spär- lichen Resten überhaupt noch zu entnehmen wäre, wie weit mit Ma- solino zu rechnen ist. Näher jedenfalls gehörte zu dem Cyklus des Marieidcbens auch der Tod der Jungfrau, den man an der Stirnwand der Kapelle über dem sogenannten Triumphbogen hat erkennen wollen. Drinnen im Chorhaupt ist jedoch sicher schon die Drei- einigkeit über dem Rundfenster nicht mehr von Masolino, und

') VgL das AlUrbild in lien UfTuicn No. 20 (Phot, Alin.ari II, 79O) dessen FlUlstüd xwiidien den Giebeln, zwei Propheten und eine Verkfindigung von Cosimo RoMdli hinsa eemalC wwde.

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Masolino

unsere Betrachtung hat dort abzuschliessen, wo er sich bezeichnet hat, als er seines Weges weiter zog^).

In diesen wieder aufgedeckten Gewölbefeldem besitzen wir die einzigen, durch eigene Namensunterscfarift beglaubigten Werke seiner Hand. Als Leistung eines Künstlers, der das Schwabenalter schon erreicht hatte, ftr einen Auftraggeber, der zu den dnflussreichsten und kunstverständigsten Personen gehörte, die je in das Leben dieses Meisters eingreifen konnten, darf die Deckenmalerei in Castiglione als mafsgebendes Beispiel seines Könnens angesehen werden, selbst wenn die gelegentliche Entstehung zu etwas schnellfertigem Ver- fahren nötigte; vielleicht desto unmiltelbarer zeugt sie for den Be- sii/.staiul, den er aus JFlorenz mitbrachte und nach Ung-arn mitnahm. Trotz dem ent^bten und zerkratzten Zustand, in dem die f-rr sken auf uns gekommen, stehen sie immer noch greifbar genug vor Augen, um dem kritischen Beschauer ein Urteil über alles Wesentliche zu gestatten.

Ein Kenner der Technik wie Cavalcaselle sieht sogar die Mal- weise heraus: ^cine Untermalung von graulichem Grün, auf der die Fleischtöne in lichtem rosigem Cielb aufgetragen, die Schatten mit dünnen warmen Lasuren, die Lichtmassen mit leichten, breiten Pinsel- strichen aufgesetzt sind,« also kein ausschliessliches Verfahren »a buon frcsco«, sondern eine Mischtechnik, die der Temperamalerei und Miniatur des Trecento ähnelt. Das Ganze ist \ nn lichter heiterer Durchsichtitrkeit wie bei Antonio Venoziann, und was über diesen hinausgeht, fände seine natürliche^ Erklärung durch dou Hinweis Vasaris auf Gherardo Starnina, bei dem Masolino die Malerei gelernt und der seinerücitb ein Schüler des Antonio Veneziano gewesen.

Wenn aber der selbe Biograph von Starnina berichtet, er habe

in seinen I^falereien der Cappella di S. Girolamo im Carmine ZU I'lorenz mit be sonderer \'orliebc spanische Kostüme abgebildet, die er nach seiner Rückkehr aus der Fremde den Florentinern als neuen Reiz und überzeugenden l-'aktor wirklichkeitsgcireuer Schilderung anrtiselU"', so muss angebiehts der Deckenbildor seines Schülers Ma- sohno Ix nierkt werden, dass in der KoUegiatkirche von (\-istig-lione d'^>1f»na unch nichts von Nachahmungen ausländischer Kostüme auf- fällt, die der Maler etwa aus Ungarn mitgebracht haben könnte, eine negative Tatsache, die um so mehr berechtigt, die Arbeit an

Neaerdiitj^ nimmt Inrtimlidier Weise wieder Dr. Diego Sani' Aniluogio o. a. O. S. 41 diese Dreidnigkeit wie die Wandgen^de aus der L^ade des Stepbaaus und Lauientiiis Ar Masolino in Anspruch.

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Unfertiges Wesen

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der Chorwülbung- vor die Reise nach Ungarn zu setzen, wie es schon aus anderen Erwägungen geboten schien.

Um so mehr fällt auch die Wiedergabe prunkvoller darderobc italienischer Fürsten ins (rowicht, die nach dem Vorbild des Gontilc da Fabriano in der Anbetung der Könige. sönr;ir al frescn versucht wird. Sie bezeichnet neben der Anbringung idealer Rcnaisbcmrc- bauten, selbst in den schmalen Kap|>cn eines Rippengo\V()lbos, mit deren konkaver Dreieckflärhe in starker Rahmung sie sich schlci ht vertragen, gewiss das wichtigste Element, das Masoliuo aus dem gärenden, /u schnellem Fortschritt drangenden Kunstleben seiner Heimat soeben erst aufgenommen hatte. Rechnen wir zu dem Neuen noch die frischeren Genrrniotive, die er in landschaftlicher Umgebung der biblischen \'orgängo einflicht, so haben wir von echten Florentinern /u dem Xanien Brunelleschis auch den (ihibertis gesellt. Daneben bleibt aber in allem Figürlichen der i I.iuplsccnen selber eine ausserordentliche Verschwommenheil, oder doch lyrische Weichheit und Unbestimmtheit übrig, die von der Strenge und Klar- heit des alten gotischen Stiles ebenso weit entfernt ist wie von der Plastik und LebcnsfüUe des neuen Realismus Im Gegensatz zu architektonischen und landschaftlichen Koulissen sind die Personen, die darin auftreten, fast raumlose Erscheinungen, jedenfalls ohne festes Knochengerüst und ohne Rundung der Glieder. In der Mehr- zahl dieser Bilder bleiben sie vage, unwirkliche Schemen, erreichen nur in der Geburt und Anbetung die schärferen Umrisse und inneren Linicnzttge einer Goldschmiedsarbeit, gehen indess auch hier nicht weiter in die dritte Dimension als jene halb flächenhaften Gebilde aus getriebenem Silberblcch» in denen die Höhenausdefanung als Stell- vertreterin der Hefe dient, sobald die Darstellung hinter den Vorder- grund hinausstrebt. Nur vereinzelte Figuren stdien, wie die jungen Kdnige, leidlich sicher auf ihren Bdnen, wenn auch immer auf ab- schüssigem Terrain mit abwärts gerichteten Füssen; sonst waltet wie bei Lorenzo Monaco die Ndgung, den unteren Teil der Ge- statten in dekorativer Absicht ^t wie kalligraphische Schnörkel, auszuschweifen, schwebend in die Fläche zu breiten und mit Draperie zu verhangen.

Dem gemäss wechseln auch die Proportionen seiner Figuren, je nach dem Bedürfnis omamentaler FlächenfQllung zwischen lang gestreckten, zu äusserster Schlankheit ausgereckten Wesen, wie Parri Spinelli sie damals bis zur Karrikatur treibt, und zwischen kurzen, gedrungenen Puppen, die von Goldschmieden in den Reliefs ihrer Truhen und Kästchen bevorzugt werden. Fliegende Eni,M>l haben über- haupt nur bis unter den Gürtel eine Andeutung körperlicher Formen,

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Masolino und Masaccio

das nackt(^ (Christkind ist nur mit dürftigstem Leibe j^^eborcn w ie im uriL,''it!i.stij4en Klima dos Nordens, die Hände selbst erwachsener Männer gelangen nirgend aber die allgemeine Miniatorenschablone hinaus. Und damit ist vielleicht d:is Wort ausgesprochen, das eine Erklärung für dies schwankende, unausgeglichene (Tomisch von schattenhafter Idealität und perspektivischer Konsequenz zu geben vermöchte. Wenn man bedenkt, dass Masolino damals, 1425, sein vierzigstes Lebensjahr überschritten hatte, so reicht auch das Schick- sal, einer Übergangszeit anzugehören, wol kaum aus, um diese Halb- heit des Wesens und diese Unsichcrhi'it im Zusaiunu luvirkcn hete- rogener Bestandteile seines Wollciis und Könnens zu begreifen. Man fühlt sich versucht anzunehmen, dass ihm ausser der Übung in dekorativer Stubenmalcrei vom Vater her, dem imbiancatorc, der vielleidit unter dem bescheidenen Namen dncs Anstreicbers und Tüncfaers die zogehörige Kleinarbeit schablonenhafter Auszierung mit besorgte, doch während det eigentlichen L^ujahre nur die Schulung dncs Biieimaleis oder Miniators zu Teil geworden sein könnCi und dass er schon in verhältnismässig späten Jahren durch die Verbindung mit Stamina zu dem höheren Beruf übergegangen sei, in dem wir ihn jenseits der Dreissiger erst nachweisen können. So wfirde sich von selbst erklären, weshalb er in seiner Heimat Florenz noch 80 spät im Jahre 1423^24 nach dortiger Rechnung, als selb- ständiger Meister immatriculiert werden muss. Dagegen geraten wir mit dieser Annahme auf Grund seiner Leistungen in Castiglione, selbst wenn wir sie auf 1425 zurüdulatimn, vielleicht in Widerspru<^ zu Vasaris Nachricht, dass Masolino der Lehrer Masacdos gewesen, der seinerseits schon 1421 22 als Meister in Florenz vereidigt war. Oder hätten wir Masolino wirkUch, wie Vasari erzählt, daneben als Goldschmied zu denken, der sich ab Gehilfe Ghibcrtis bei der Über- arbeitung der Bronzereliefs für die erste Tür des Baptisteriums be- schäftigen Hess, also kurz vor ihrer Aufstellung t i2.\, unmittelbar vor seiner Eintragung als Mal^ noch in einem anderen Berufszweige tätig gewesen war? Dann verschöbe sich das Verhältnis der beiden Maler chronologisch erst recht.

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^ DIE AUSMALUNG DES BAPTiSTERlUMS ^

i.

Die zweite Arbeit zu Castiglionc d'Olona, die für Masolino in Anspruch genommen wird» ist der Freskenschmuck der TaufkapeUe, die durch ein langes Wohngebäude von der Kollegiatkirche getrennt, den Komplex von Bauten auf der alten Burghöhe abschliesst Sie ist ein ziemlich niedriger, äusserlicb unansehnlicher Bau, so dass man sie für den ältesten Rest des ursprünglichen Kastelles, nämlich die Schlosskapelle ani^irechen konnte, während sie zwdfellos Gir ihren besonderen Zweck erbaut ward, von vornherein mit dem Hinblick auf einheitliche Ausmalung des ganzen Innenraumes. Sic besteht aus dem rechteckigen, mit einem Kreuzgewölbe gedoc kten Gemeinde- haus und einem kleinen ebenfalls rechteckigen Presbytenum, (! ^ mit seiner Langseite an die Schlusswand dem Eingang gegenüber sich anlehnt und durch einen starken, etwas einspringenden Spitzbogen mit dem Vorraum verbunden ist. Unter dem Bogen führen zwei Stufen in diese nischenähnliche Erweiterung, die mit einem kurzen Tonnen- gewölbe gedeckt ist, und ursprünglich nur das Taufbecken und die Gcistlu heii aufzunehmen bestimmt war. Oben im Scheitel der Bogen- lailjung siti^t nnch der eiserne Ring zum AiiflviTiijrcn des Deckels über dem Taufbecken, das ]Vt/t drunten vor den vStufcn steht. Und an derselben Stelle vor dem I\ in^'^(> liest man die Jahreszahl ,

MCCCCXXXV.

die zwar mit rohem Pinsel erneuert i.st, aber docli hinrcicheiuio Kigentümlichkeiten der ursprünglichen Ziffernform jener 7j'\i l>ewahrt, um bis auf die letzte Stelle jeden Zweifel auszuschliessen. Es ist das alte zugehörige Datum zu der langen aufgemalten Inschrift an der Stirnseite über dem Bogen, die von fliegenden Engeln getragen bis auf wenig Ucberrestc lat(Mnischer Verse verloren ist. Diese Jahreszahl also, wie Crowc und Cavalcasellc tun, lui einen Irrtum ZU halten, sind wir nicht berechtigt, wie schon A. v. Zahn erklärt hat und neuerdings auch Dr. Sant'Ambrogio bestätigt Im Gegen- teil, wir können hinzufügen : die urkundlichen Nachrichten, die uns über die Tätigkeit des Kardinals Branda für seinen Geburtsort, Ober seine persönliche Anwesenheit und die Reihenfolge seiner frommen

*) Bei ihm Badtl sich Tat. L ein EinUick in dM Innere. Vgl. Cnvalcuelie, Stoiin dell» nttnm in Itdin U p. »s* Aun. n. Znhn, Jahib. f. Kwwbfi. II» S. i6i.

Üigilizeu by VoÜOgle

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Entstehüngszeit

Stiftun^rii in Casliglionc erhalten sind, tührcMi mit wünschonswfrii r Bcstinnnthcit auf das näuilic lio Datum der Vollondung hin. Unmittel- bar darauf folgt der Centrulbau des Kirchkins Corpus Domini. dnniten im Orte, und im Jahre 1439 das Schulgebäude mit seinem Zubehör.

Am DH-nstag den 11. Oktober i4,vs wurde in Gegenwart dos Kardinals, d<T im l'Vülijahr dieses Jahres erst nach mehrjäh ri;<; er Abwesenheit auf d<m Konzil zu Basel nach Italien zurückgekehrt war, der am 5. September neu gewählte« Erzpriestcr Giovanni Bianchi aus Velate in sein Amt eingeführt und am selben Tage iiber die Verteilung der Wohnungen /wischen ihm und den beiden Cappt^llani Maggiori. dem Schuhueistcr und den acht »Corali« verhandelt, und zwar im Hause des Kardmalbisciinfs von Porto*:, wie Branda jetzt lu ifst, und im l ieisciu divs Bischofs Alexius von l'iaccnza, der Herrn ( lugliclmo und (iabriele Castiglione und Ambrogio de' Conti '). Am 7. Juni 1436 erneuert der Herzog Filippo Maria Visconti die Erlaubnis zur Wiederbebauung des Burghügels, mit seinen seit Odone Visconti zerstörten Türmen und seiner daselbst vorhandenen Kirche, gleichwie diese Herstellung schon froher dem Kardinal Branda gewfthrt war, als CT noch den Titel Pk^b3rter von S. Q^ente trug: »tunc ^dentis functionem Sancti Clementis presbyteri cardinalis nunc vero portuenas Episcopi' Jetzt handelte es sich also um die Umfassungsmauern des Hügels und das getürmte Burgtor, durch das man zur KoUegiatkirche gelangt, und so erklärt sich die Sdiiefsscharte in einem nlschenarttgea Ausbau vor dem Baptisterium am entgegengesetzten Hflgelrand, wie die nämliche Fensterform in der Taufkapelle selber und deren mas^ve Struktur. In einem Diplom Papst Eugens IV. endlich, wo- durch zwei neue Kaplanstellen in Castiglione bestätigt werden, heisst es 1437 IIL Kai. Novembris Pont N. anno VII aus Bologna mit genauester Gegenüberstellung des bereits vollendeten Baptistcriums und des noch im Bau begriffenen Kirchleins della Villa: »imam, quam in Castro I.oci de Castilliono Medi<d. Dioecesis sub vocabulo sancti Johannis Bapttste fundasti et construi fedsti pro uno perpetuo capellano, . . . aliam quam in praefato loco sub Sacratissimi Corpofis D. N. J. Christi .... Doctorum . . fundari et construi fads.« . . .

Dazu kommt auch hier als Bestätigung die Entwickelungastufe der Malereien selbst. Der Unterschied zwischen den Gewölbfresken im Chor der Collegiata und den Wandgemälden im Baptisterium ist, wie A. v. Zahn mit Recht hervorgehoben hat, so stark, dass

*) Handsdbriftl. Akten im Ardtivio Cftsli^iooe, Fmc 102 : Culto Chieae B«Delidi. etc. ^ AbgednKkt bei Uatteo Castig^one p. 73 ff.

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Bestimmung des Malers

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wir einen längeren Zwischenraum zwischen beiden Werken annehmen müssen. Dies ist um so mehr der Fall, wenn man beide dem selben Meister beimisst, dlf rdings »eine Annahme, welche keine urkund» liehen Nachweise für sich hat.'

Für die Zuschreibung des Frcskmsrhmurkes in der Ta\ifkapcllc an den selben Masolinus de Floren tia, der sich am Chi )r^( \v6lbe der Kirche bezeichnet hat, kann in der Tat weder ojne lii-^< hrift an Ort und Stelle, noch urkundliche Belage, noch litterarischt: IJeberliefcrung verantwortlich gemacht werden. Wtuu jedoch A. v. /iahn behauptet: »dass Beides von einom Meister herrührt, ergicbt sieh nur aus dem Bilde, welches wir uns von Masolino aus den älteren (lOinäldcn der Cappella Brancacci gestalten,- -- so geht er damit zu weit.

Wir wenigstens haben hier noch keine Vorstellung von diesen Malereien zu Florenz ins Feld geführt, weder absichtlich herangezogen noch unbewusst eingemischt. Für uns mögen noch die Fresken der Cappella Brancacci gehören wem sie wollen. Selbst »die alteren Uc- mäde« dort giengcn uns bis jetzt gamichts an, oder kämen erst in zweiter Linie in Betracht, da der Anteil Masolinos an der Ausmalung der Brancacdkapelle, von dem die Überlieferung berichtet, der Reise nach Ungarn vorausliegen müsstc, also auch vor den Gewölbefresken im Chor der Collegiata von Castiglione anzusetzen wäre, während diese, nach unserer Rechnung im Spätsommer 1425 entstanden, sich weit bequemer zur Vergleichung bieten. Freilich haben wir auch hier mit einem Zwischenraum von zehn Jahren zu rechnen, nachdem für die Taufkapelle das Datum 1455 gesichert worden.

Die Zusammengehörigkeit der Deckenbilder im Chor der Colle- giata und des Freskänschmuckes im Baptisterium daneben crgiebt sich vielmehr aus stilistiscben Eigentümlichkeiten, die selbst bei einem zehnjährigen Abstand so überzeugend abereinstimmen, dass an der Tätigkeit des selben Künsders hier wie dort gamicht gezweifelt werden kann. Selbst die mancherlei Abweichungen, die daneben hervor- treten, können in der späteren Arbeit nur bcfiiedigend und voUständig aus biographischen Umständen erklärt werden, die wir eben für den Maler des ersten angefangenen Cykhis besitzen, n.lnilich aus seinem Aufenthalt in Ungarn, der für einen florentinischen Meister zwischen 1425 und 1435 doch immerhin ein seltenes und einschneidendes Er- lebnis war, das den Mann kennzeichnet unter Seinesgleichen,

Die Übereinstimmung muss schon einlruchten beim Anblick der Verkündigung, die an der Anssenseite der Taufkapelle gemalt, zum Vergleich mit dem Schmalbilde im Chor der Kirche heraus- fordert. Während in dem engen Rahmen der Gewölbkappe die beiden Gestalten nahe zusammengerückt sind, stehen sie hier durch

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42 Verkündigung

das KiniLfanLrstor getrennt, weit ab von einander, unter einem £fe- malltm I'oriikus von schlanken Säulen. Der luij^^^cl eilt von links her tfan/ im TVofil und segnet mit erhohcner Rechten die Junijfrau, die ihrcrseitjj überrascht die rechte Hand bcwe^jt, während zwischen ihnen (lOttvuter hereinschaut. Von dieser Ilalbhgur in der Lünette der 1 ür ist leider wenig erhalten, die ganze untere Hälfte der Maria verloren, und die Farbe überall verblichen oder ganz mit dem Be- wurf abgeblättert. Aber Kopf und Oberkörper des lirzongels ge- nügen, um die Identität des Malers zu erweisen, der in Technik und Ausdruck nur noch vollere Herrschaft über sein schnelles Ver- fahren offenbart, mit dem er die Erscheinungen des frommen Bilder- kreises, die ihm geläufig waren, aus freier Hand auf die schlichte Putzflächc gezaubert hat. Den Gefahren der Wetterseite vermochte es freilich nicht zu trotzen; aber noch beute überrascht gerade hier die Verwandtschaft mit Fra Angclico da Ftesole. Ein Hauch der Begeisterung und beschwingter Boteneile malt sich in dem rQdc- wärtswchenden Lockenhaar und atmet aus dem vorgedrängten Antlitz des Engels, dessen freundliches Auge die Auserwählte trifft, als glitte ein feines Lächeln um die kaum geöffneten Lippen. Die lange spitze Nase und das vorspringende Kinn vollenden mit dem scharf- geschnittenen Munde das fiorentinische Rrofil, das durch weiten Ab- stand zwischen Nase und Ohr, durch den flachen Bogen der Kinnlade und durch die Breite des Halses noch auffallender wirkt Die nackten Teile des Kopfes und die Hände sind wie immer bei Maaoltno mit besonderer Sorgfalt gearbeitet und haben so der Zerstemuig länger widerstanden als Gewand und Beiwerk, das flüchtiger hinzugemalt, sich heute dem Urteil völlig entzieht. *

Der persönhche Zusammenhang mit den Deckenmalereien im C'hor der Kirche wird vollends im Innern der Taufkapellc durch die Teüe des Frcslcenschmuckes bestätigt, die ganz ähnlichen Be- dingungen unterlagen, also auch am ehesten die nämliche Behand- lungsweise und den gleichen Stil aufweisen müssen, wie zehn Jahre früher: die Einzelfiguren an der Wölbung. Im Hauptraum sind es die vier Evangelisten, um das Gotteslamm in der Mitte, auf Wolken- streifen tronend. S. Matthäus schreibt, indem er mit der Linken das lintcnfass hält, und lauscht dem anmutigen Engel; S. Marcus spitzt seinen liänsekiel, während das Buch noch geschlossen mit dem Knie ruht ; S. Lucas ist in Nachdenken versunken bei seiner Arbeit, indem er die Feder erhoben hält; Johannes schaut horchend, indem er die Anne mit I)uch und I'cder sinken lässl, zu dem Adler, der seitwärts neben ihm ein offenes Buch in den Krallen hält

*) Jolumnes und Maicus riiid von Bro^ pbotognphiert. No 6321 itdd 6333«

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Einzelfiguren

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Dieser langbärtigo ( rrcis nimmt im Krcuzß^ewölbe gerade die Kappe vor dem Allerheilij4Stcn ein und hat soeben ein Zeugnis über den letzten Proi)hctcn, Johannes den Täufer niedergeschrieben, von dem noch die r>uclistaben (if^uiA)Ni:< (HAipTlSTA . .K . .IMo lesbar sind. I )ie Gestalten sind auffallend altertümlic h, n n sicher auf ihrem Wolken- sii/ hockend, mit schlaffen Gliedniafsen und <Miergielnser Rewei»-ung, mit dünnem xielfach i^crillteni und ^eschhun^elicni (icfalt umhangen: nur die Kopte haben eine herbe F »estinmitheit und würdevollen Charakter, wenn sie auch hinter den sitzenden liildwcrkeji. tlie Niccolo d'Arezzo und Donatello, Nanni d'Antonio di Banco und Hernardo Ciuffagni ( 1 408 i j 15 > am Dome von Florenz gest IiatTen hatten, empfind- lich genug zurückbh iben. Der Maler wiederholt nur die erlernten Typen, ohne sich durch die Nähe der LJildflächen für den H( .sc haurr und den Malsstab der Wölbung irgendwie zu ernsterem bemühen veranlasst zu fühlen. Kr steht hier noch durchaus auf der nämlichen Stufe, wie bei der Darstellung Josephs und seiner Genossen im Chor der CoUegiata. Nur der dekorative Sinn für die Bedürfnisse des weiteren Sptekaunts hat dazu gefOhrt, die gotische Silhouette zu malerischer Breite auszudehnen, hat aber nicht ausgereicht, die gelockerte Strenge der Form mit Kraft und Leben zu erfQUen.

Nicht viel besser steht es mit den beiden Propheten und vier Kirchenvätern, die in je drei rundbogigen Nischen über einander an der Innenseite des Bogens zwischen Vorraum und Altarhaus gemalt sind. Der Meiste versucht es, die gegebene Fläche mit seiner perspektivischen Kunst wenigstens scheinbar architektonisch aus- zugestalten, nimmt aber keinen Anstoss an dem Widerspruch zwischen seinen Nischen mit Sitzbänken darin und der Kurvatur der wirk> liehen Mauer, deren Hälften steh im Bogen gegen einander neigen. Besonders aufi^lend ist der Mangel einheitlicher Verarbeitung in dem untersten Paar: Jesajas mit dem Spruchband »Vox Qamantis In Deserto. Parate Viam Domini Rectam«, das er mit beiden Händen auseinander rollt, ist möglichst breit hingesetzt. Die Beine von den Knieen ab nach rechts, darüber nach links richtend, be« scfardbt der Körper mit dem weit hängenden Gewände die gotische Schlangenlinie nicht unwirksam, ist aber flachtig hingemalt bis auf den Kopf, der schon durch seine Ghrösse auffallend, ein Stück Fresko- malerei fiir sich bildet. Unter kahlem Scheitel wölbt sich eine mächtige Stirn gerade absteigend zur langen Nase, die unten etwas klumpig über den eingezogenen Mund hänget, und ein breiter weisser X'ollbart, in der Mitte gescheitelt, umrahmt die langen eingefallenen Wangen. Die Augen blicken unter schweren Lidern seitwärts. Während die Brauen sich über der Nase zusammenziehen, und drücken

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Einzelfiguren

zug'leit.h mit den s^rkniffoncn l,iji{)cn wol die trübe Verstimmuiii^ und Hittorkrii dos Leiden aus, die seine (icdarikcinvclt erfüllen. Dieser Kopf mit dem schweren Schädel und morosen Charakter offenbart einen entschiedenen und grossen Fortschritt in der Kunst des Malers. Leider ist sein Genosse drüben und die Mehrzahl der Kirchenvater fast völlig zerstört, in der Gewandung erneuert, um diesen Unterschied durchverfolgcn zu können. S. Ambrosius, der Schutzpatron der Mailänder Dioccese, sitzt in btschöflicfaem Ornat, ganz von vom gesehen, in seiner Nische hinter dem einfach ge- zimmerten Schreibtisch, der vorn offen die Knie des Sitzenden sehen lässt. Am Rande des Pultes hängen Tintenfass und Scheere, rechts die Gcifsel, deren herabßillende Knoten ihren Schatten gegen die Innenseitc des Kastens werfen. Eifitg lesend richten sich die Blicke des zusammengezogenen Gesidites in das aufgerichtete Buch, das von beiden Händen gehalten wird. Der Kardinal sc& hieronim*, noch am besten erhalten, sitzt dem Presbyterium zugekehrt und schreibt an seiner Ucbersetzung der Bibel, deren Originaltext auf* geschlagen aber der entstehenden Vulgata an der Wand lehnt. Die Nische der Wand enthält unter dem halbrunden Bogen eine Borte, nnl anderen Büchern und Pergamentrollen darauf. Der Profilkopf mit langem weifscm Bart und kahlem Schädel hat aufserordentlich energische /üge und hebt sich von dem flachen Heiligenschein sehr wirksam ab. Der scharfe Blick des Auges, die runzlige Haut an Stirn und Mals, die gcschwoUcneti Adern an der Scliläfc charakte- risieren das Alter des an geistige Arbeit gewöhnten Mannes glücklich genug, w'ihrcnd die Hände breit und kurz, doch nur konventionell b(<handrlt, doT Tätigkoit nicht rntsprechen und, wie der Körper mit abfallenden Schultern, nur lahm erscheinen

Nehmen wir dazu noch, an der Stirnseite dieses das Taufbecken überwölbenden Bogens, die schwebenden Engel mit dem grossen Schrift- band hinzu, dessen lateinische Verse bis auf wenige Reste verloren sind, beachten auch hier den wolbckannton Knpftypus, die lang- L,^cstrockte riostrdt, dio vom Oborschonkrl in Gevvandfalten ausläuft, und den sclK^mat -srh irr faltelten Saum ihrer vom Wolkenstreif begrän/ten Kocko, so haben wir das Nebenwerk beisammen, in dem viclleichl nur die be{l(nitsameren Teile, die eigene Sorgfalt des Meisters forderten, während alle andern selinellfcrtiges, nur etwas allzu summarisches Verfahren beweisen. Wenn hier noch altertümliche Gewohnlieiten

*) S. Hieronymus, l'bot. Brogi No 6323 zeigt oben die Jahreszahl MCCCCXXXV, S. Ambrosius No 6334« Jesi^as No 6325. Auf der linken Seite der Bogenlaibuiig ist zuoberst S. Gregor kcnntUdi daninter folgt S. AiigusÜD, d«ui ein Propitet. Olxr den ZusUtnd vgl. Cr. u. Cav.

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Zacharias im Tempel

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und willkürliche Behandlung der Gcwundhülle wie des darunter gedachten Körpers vorwalten, so sind doch die Köpfe ernst und würdig-; sie rufen die Durchgeistigung der Züge, die l'ra Angclico j^elang, ins Gedächtnis und streifen anderseits an die etwns rauhe Grösse des T.iica della Robbia in seinen Medaillons mit den vier Evangeliston der Cappella Pazzi. In mancher Beziehung erklärt sich die uns^Ioichc DurchfObrunj^- mit der Rürksirht auf technijsciie I'o- dingungen, und grade die flottesten, wenn auch otwas oborflärh- lichen Partieen schlichter Freskomalerei sind hier am besten erhalten.

II.

D ic Hauptsache für die Beurteihmg des Künstlers selbst bleibt der Cyklus der Wand j^^eni aide, die dem Leben Johannes des Täufers j^ewidmct sind, liier konnte dem Künstler, wenn ihm daran laiL;-. oin Jahrhundert heimischer Kunstübung zur Seite stehen, die tlich« n Gegenstand, dem Stadtheiligen von Florenz zu Ehren, mit immer neuem Eifer bearbeitet hatte.

Im Baptisterium zu Castiglicme beginnt die Reihe der Dar- stellungen an der Fingangswand rechts von der Tür und zieht sich links herum durci» die ganze Kapelle mitsamt dem tonnengewi »Ibten Recess. Die ersten Bilder haben aber, besonders an der Wetterseite des frei liegenden Hügels, zur Linken des Eintretenden, so arg von der Feuchtigkeit gelitten, dass nur wenige Spuren noch erraten lassen, welche Scenen sie enthielten. Deutlicher erkennt man den Zusammen- hang der Reste mit Hülfe der Photographie, während an Ort und Stelle nur bei hellstem Tageslicht nach vorangegangener Nässe die Schatten sich wieder beleben, falls ihnen die Geduld des Beschauers und genügende Vorbereitung zum Hineinsehen in Farbenflecken und Umrissfetzen entgegen kommt

In der vordem Ecke rechts stofsen das erste und das letzte Gemälde zusammen. Das erste neben dem Eingang zeigt uns Zacharias, wie ihm die Geburt eines Sohnes verkündigt wird. Ein' kleiner sechs* eckiger Tempel öffnet seine drei vorderen Seiten, die äusserste links soweit sie nidit durch den herabsteigenden Gewölbzwidkel beschnitten wird. Zwei schlanke sechseckige Pfdlersäulen tragen das gerade Gebälk, das von gleicfharttgen Eckpilastem der geschlossenen Wände aufgenommen, ^ch Ober den letzteren hinzieht Obgleich der höhe Fries aussen mit farbiger Mamiorinkrustation bemalt ist, die hier und da den Eindruck einer Ausbauchung hervorbringt, geht die (ilieder- rung doch nicht Ober Schreinerarbeit hinaus: die dünne Deckplatte mit Rundstab darüber, wo wir einen kräftigen Architrav erwarten.

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Zacharias im Temfel

darauf die hohe Plankf. dio nur durch den aufgemalten Mittelstreifen über die Schlichtheit des hul/ernen Para])ets täuschen mag. das schmale mit einer Schmii ge zwischen zwei Platti n pr«)liherte Sims, alles Zimmeriuannsgeschmack Darüber oder gar dahinter steht eine Reihe von je acht, auf jeder Seite frei aufgerichteten Stützen, abwechselnd viereckige Pfosten und schlanke Säulchen, die durch Querbalken und Sims verbunden, als Zwerggalerie ein Zeltdach zu tragen scheinen und die Kuppelwölbung verdecken, die ohne Tambour in sechs Kappen aufeteigt Am schlichten Altar drinnen stehen, von den VorderpfeüerQ eingerahmt, zwei Personen sich gegenüber. Zur Rechte in priester« lichem Ornat ein bärtiger Ghreis mit Heiligenschein um das Haupt» ohne Zweifel Zacharias, dessen zerstörte Hand wol das Rauchfiss schwenkte. Ganz klein über dem Altar schwebend wird die ganze Figfur eines Engelchens sichtbar, der die Hand des vorgestreckten Armes gegen das Antlitz des Alten erhebt, dass er verstummt Ebenso nah an der andern Ecke des Altars steht ein Zeuge dieses Vorgangs im Zeitkostüm, dne weisse Kappe mit Ohrenklappen auf dem KopC die Hände in einem Muff verbergend, wie vom Spaziergang draussen in rauher Witterung oder gar von der Reise kommend hier zufällig eingetreten. I^e bevorzugte Stelle und die Pürpurfarbe des aermellosen Kaftans erlauben wol nur ein Bildnis des Kardinals Branda darin zu sehen, wenn auch das Antlitz in seinem zerstörten Zustand keine . nähere Feststellung der Züge mehr gestattet. Desto unverkennbarer sind die Porträtköpfe seiner nächsten Angehörigen, die in ihrer vor- nehmen Laientracht mit Capuccio hinter dem Würdenträger der Kirche hereintreten. Guglielmo und Gabriele Castiglione wären die Xamen, die uns die Akten von 1435 bestätigen, als im Herbst der Kardinal- bischof von Porto selber zugegen war. Rechts hinter Zacharias j drängen sich andre Zuschauer ebenfalls im Zeitkostüm, in Jagdmütze oder hohem in einander geschobenen Filzhut, vielleicht ein Geistlicher in ihrer Mitte. allesamt von Feuchtigkeit und ruchloser Hand sehr entstellt ^).

Die Darstellung des biblischen Vorgangs beschränkt sich also auf die Person des Zacharias und das elfenhafte Engelchen; alle Uebrigen sind Zuschauer, und zwar nichts als das, nur Schaulust | keine innere Teilname verratend, der Kirchcnfürst vollends an solche ' Eingriffe überirdischer Mächte gewöhnt. Die erste Scene des Cyklas | ist nur willkommene Gelegenheit, Bildnisfiguren aus der Umgebung des Künstlers auf die Bühne zu bringren, den ehrwürdigen Stifter, die Schlossherren und sonstigen Autoritäten, deren leibhaftiges Auftreten

*) V^. QQwre photograpliiKbe Anfnahme.

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Visitation Geburt

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allein sclioii du- Irmiinien (ioniütcr im Parterre zu erbauen pflej^t. Doch ist auch hier eiiu* (ileichwertigkcit der Köpfe, der idealen wie der wirklichen, zu bemerken und noch kein vorvvalteiules lntc'resi>e für die Tracht. Der Charakterkopf des alten Zachari;is erreichte, soviel sich erkennen l^usst. den selben Grad der Belebung und mehr Aus- druck als die Bildnisse der Lebenden, und der prächtige Chormantel des Hohepriesters hat die Aufmerksamkeit des Malers in dem selben Malse in Anspruch genommen wie der moderne Anzug der Statisten, und zwar überwiegt noch keineswegs das Bemühen die Kleidungs- stücke und das Gebaren darin mit emsigster Kleinmalerei abzu- konterfeien. So erinnert die DurchiUirung der Figuren gerade hier nodi überzeugend genug an die GewOlbemalerei im Chor der Collegiata, besonders an die jungten Könige bei der Anbetung und das Bildnis des Kardinals gegenüber. ,Aber diese Gestalten fühlen eben den festen Boden unter ihren Füssen, weil sie nach dem Leben beobachtet sind, und der Tempel, der sie aufnimmt, ist freilich nur ein hölzernes Modell, aber kein luftiges Phantasiegebüde mehr wie beim Sposaltzio dort Kaum höher wölbt sich über uns das breite Kreuzgewölbe des Baptisteriums oder gar der Eingangsbogen des erhöhten Heilig- tums über dem taufenden Priester; also bezeugt das Verhältnis der dargestellten Personen zur umgebenden Räumlichkeit in diesem Bilde schon dnen unläugbaren Fortschritt Seitdem Andrea Pisano an der Bronzetür in Florenz die Scene so ganz auf Zacharias und den £ngel beschränkte, dass selbst die Oertlichkeit nur als Andeu- tung gegeben ward, verkündet sich die Zwischenzeit eines Jahrhunderts, die Wandlung der Intentionen in keinem andern Zuge so stark, als in dem- Auftreten von Porträtfiguren umschlossen von dem ebenso getreuen Abbild des Schauplatzes selber.

Auf der andern Seite der Eingangstür folgte die Begegnung Marias mit Elisabeth, die nur in den allgemeinsten Zügen noch entziffert werden kann. Vor dem ^»^otischen Palast des Zacharias erscheint von linksher kommend der Besuch, die Jungfrau mit zwei Begleiterinnen ; rechtsher tritt Elisabeth auf sie zu. Die Umrisse rlor beiden Hauptgestalten lassen erkennen, dass die beiden Frauen sich innig umarmten.

Die Seitenwand links ist chirch ein Fenster geteilt, das, erst neuerdings wieder geöffnet, dem licht und der Luft bessern Zutritt gestattet. Sie enthielt dem gemäss zwei Scenen, vnn donen wir die erste nur aus der notwendigen Reihenfolge als (icburt dos Jo- hannes, oder Wochenstube der Elisabeth bestimmen können, da rechts davon die Namen geh nntr durch Zacharias wenigstens in den Hauptsachen noch sichtbar blieb.

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NAMEN(iEBUN(i

Hier lernen wir den Meister von einer Seite kennen, die Crowe und Cavalcaselle, wie schon A. v. Zahn hervorgehoben Imt» zu un- ^ günstig beurteilt haben und zwar auf Grund ihrer nicht ganz korrekten Abzeichnung des letzten, dieser Wand gegenüberliegenden Bildes mit Salome. Der Maler verlegt nämlich die Namengebung in einen langen Säulengang, wie er im' Erdgeschoss eines Palastes oder im Kloster- hof dnes bevorzugten florentinischen Stiftes damals gefunden werden mochte» ganz im Stil Bninellescfais, dessen neu erfundene Bauwdae hier mit überraschendem perspektivischen Durchblick in einem Beispiel verherrlicht wird, das sich seither der Gunst aller Kunstveiständigen ganz besonders erfreute. Wir blicken durch eine Arkade, deren Stirn- seite — scheint es noch den rohen Backsteinbau zeigt» während der Bogen sich über einem Paare glatter Brunelleschischer Säulen qiannt ; deren attische Basen entdehen sich hinter einem spätem Altar- vorsatz — unserm Blick, sind aber nach Analogie der übrigen Doppel» reihe sidier vorhanden, wie ihr Kapitell in voUear Frührenaissance.

Der Standpunkt des Beschauers ist so gewählt, dass wir die Säulenreihe rechts vcSl überblicken, bis an die Schmalwand hinten, die glatt abschliessend doch durch eine rnndbogige Tür den Ausblick in den anstofsenden Baumgarten eröffnet, während die Säulenreihe links, weil senkrechter gesehen sich stärker verschiebt, wol n ch gestattet die einzelnen Rundstämme zu zählen, doch nicht über die Zwischenräume zu urteilen wie zur Rechten. Hier dagegen ist deutUch, dass die Säulen dicht an die Längsmauer anstc^sen, dass ihre Kapitelle konsolcnähnlich aus der Wand vortreten und so die Grate des Klostergew» >lbes aufnehmen, dessen Stichkappen an der Wand rund- bogige Lunetten zu bildnn scheinen. Diese Bogenfeldcr sind (jetzt) mit rotbrauner Farbe i^t^tüticht, das Geweihe daq'eg'eii weiss, j^rieich den Basen der Säulen, deren Schafte samt dem Kapitell das i-ieb- Ungsgrau der Pietra serena behalten.

Der Maler, der durch seine biblische Geschichte keineswegs veranlasst war, über die bislierige Stubendarstellung hinauszugreifen, stellt sich also ganz aus freien Stücken eine .\ufgabe, deren Lösung im Jahre t 535 nur einem Florentiner möglich war, der die Kunst- entwickluni;- seiner Vaterstadt im letzten Jalir/ehnt nach zwei ent- scheidenden Seiten hin genau kennen gelernt hatte: die Ausbildung der Architektnrf. >rni« ti zum Stil der Renaissance und die Herrschaft über die perspektivische Darstrlhing solcher Säulenhallen, d. h. die volle Aneii^-nung zweier Haupii>tücke aus dorn Kunstvennögen des OuattriH enio, deren Erfindung dem grossen Architekten Brunelleschi verdankt ward. Die V\<^urcn allerdings stehen durchaus nicht auf der Höhe dieser Zeit, verzichten vielmehr gerade hier auf die Wirk-

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Kamengebung

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lichkeitstreue und die eingehende Durchbildiiniji- des cii^onen I,ebfns, die so leibhaftige Raumf^ntfaltung uns schon erwarten iä.sst. Zur Linken sitzt vorn der alte Zacharias allein an seinem Pult, um den Xamen des Kindes, den er aus/usprochen nach jener Erscheinung im Tempel nicht mehr vermag, auf seine l afel zw srhrriben. damit die Andern ihn läsen. Vor ihm stellt eine anmutige Frau, in der man fast die befreundt^te Maria vermuten möchte, mit dem Kind auf dem ^\rm. Dazwischen beugt sich ein Neugieriger herüber, um die Buchstaben zu lesen, die der alte Herr bedächtig niederschreibt, und auf der andern Seite der jungen J rau noch eine Gevatterin, die beim Kinde nicht fehlen darf, (ianz rechts aber tritt feierlichen Ganges in langem weichfliessendem Gewände mit weiten Armein und fein gerillter senkrecht verlaufender Fältelung ein Jünger des geist- lichen Amtes mit offenem Buch in der Hand herein. Die Höhe äeser vordersten Gestalt, die ausserordentlich schlank erscheint, erreicht doch nicht den Rand des Säulenschaftes, d. h. ein Verhältnis, das bei den sichersten Vertretern der perspektivischen Raumdarstellung zur Zdt der FrOhrenaissance üblich ist Der einzige Kopf, der ausser dem Kinde leidlich erhalten blieb, ist der des Zacharias : ein Grau- bart mit kahlem Schädel, der dem Propheten Jesaias ähnlich sieht; die Haltung seines Körpers aber kann nur noch der flüchtigen Vor- zeichnung entnommen werden, die jetzt zu Tage tritt Die ganze figürliche Komposition gehört der nämlichen Entwicklungsstufe an, wie das Sposalizio im Chor der CoUegiata, d. h. sie entstammt einem letzten Ausläufer des Trecento, der zu plastischer Durdibildung der Körper, zu schwierigem Verkürzungen der Gliedmafsen oder der Köpfe, zu mannichfaltiger Charakteristik der mitwirkenden Persr.non nirgends einen Anlauf nimmt Es ist die selbe weiche Gefühligkoit, die selbe getragene Stimmung, die zum Elegischen neigt, wie in jenem Deckengemälde, nirgends ein Anflug jener Unmittelbarkeit und Frische, die in so reizender Räumlichkeit toskanischer Klöster und Paläste auch das wirkliche Leben darin beobaclitet hat und des- halb auch in seiner wirksamen Farbigkeit, setner zufälligen Beleuch- tung an Ort und Stelle malen will.

Zwisdien dieser Namen geb ung und dem Bogen, der zum er- höhten Recess hinanführt, ist eine Wandnische gemalt und davor ein Tauflinrnncn, der mehr die Bestimmung des ganzen Raumes kenn- zeichnet als zu einer Sccne der dargestellten Geschichten in Beziehung steht, wol aber darauf hindeutet, dass das gemcissclte Becken von der Hand des Bildhauers, der auch den Portalschmuck des Kirchleins

') Vgl. unsere phot. Auinabine, Schmarsow, Masaccio. 4

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Johannes in der Wüste

Corpus liomini m arbeitet, noch In-i der Ausführung dieses Fresken- eyklus nicht vorhanden war.

Die Gi schichto dos Tänfr-rs setzt sich im Prosbyterium an dor linken Schmahvand fort, ( lan/ > Ix ii im folsicfon GehirLfo stoiqt der Knahi^ in Wüsteneinsamkr il umher, bis er drunten den Wellkindern, die seines \\ (';^es kamen, zuin rrsten Male als Rufsprediger entgegen- tritt. Bärli!^; und ernst erscheint er in hiirenrm (rewande und drüber- gcschlagenem Mantel, wie ihn die vorangt^gan^eiie Kunst vorbereitet hatte, ja genau so wie bei Andrea Pisano. ni(hi liefticr erreg-t, nicht pathetisch ausijTeifend, nicht schreckhaft entstellt, no< h ininier in der wiirdigcn lialtuug eines römischen Rednc^rs, wenn auch eilmc Eleganz. Aber er steht sicher auf seinen nackten l' iilsen und nimmt sich zu- sammen in geschlossener Gebärde. Allerdings der Maler versucht es auf der andern Seite auch nicht, die zündende Macht .seiner Rede, ihr Einschlagen im Kreise der Ilürer zu zeigen. Die Beziehung der bekannten Mahnworte auf die lebende Gemeinde gicbt ihm viel- mehr Veranlassung, eine Reihe von Bildnistiguren aus Castiglione d'Olona hfer vorzuführen, die in gemessener Entfernung von dem Wüstenmenschen sich aufgestellt haben. Bei aller Aufincrksamkeit bewahren sie im Zuhören den ruhigen Anstand ihres herrschaftlichen Betragens, Sie falten ihre Hände über den Bauch oder stecken sie behaglich in den Gürtel ihres Rockes; sie richten ihr Auge auf den sonderbaren Heiligen, dessen fremdartige Erscheinung durch den Gegensatz der modischen Kostüme iOr uns gewifs mehr als itlr die Zeitgenossen gesteigert wird. Die letzten besterhaltenen Zuschauer scheint nur der Anblick herzulocken, während unsre Neugier sich unwiUkürltdi diesen Porträtfiguren und ihrer Kleidung zuwendet. Voran steht vielleicht in der Rolle des Herodcs selbst ein stattlicher, wolbcleibter Herr in dunkelrotem Rock, mit einem hohen Filzhut, der sich aus einem halben Dutzend in einander geschobener Stockwerke auftürmt, als habe ihn die übermütigste Faschingslaunc erfunden. Aber das gemächliche Benehmen des vornehmen Trägers läfst keinen Zweifel, dass dies Konterfei ernstlich gemeint sei^ und die Ähnlichkeit mit den Gesichtern bei der Verkündigung an Zacha- rias im Tempel belehrt uns, dass es dem Meister wie seinen Gönnern ans der Familie der Castiglionc vielmehr auf Bildnistreuc und ehr- liche Porträtkunst ankam. Hier ist die Predigt q^ogen Weltlichkeit und Merrenpnmk nur Vorwand, das leibhaftige Dastehen der Personen mit wolbekannten Zügen. Grofs und Klein, Dick und Dünn, welt- lichen und geistlichen .Standes, von v<^rtihere;n die Hauptsadie gewesen. Leider ist die Mehrzahl völlig verloren, das Spiel der

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EccE Agnus Dei 51

H.uulo wie ihro Form noch so konventionell, dass es mülsig wäre, zu tragen, wie weit sich mit dem gaffenden Zuhören Zerknirschung und Reue vertrugen oder nicht ').

Dass wir nicht ungerecht ein Zurückbleiben der J)urchgcistigimg

im Sinne der idcali"'n Aufgabe hinter dem /nwarlis des Könnens im Sinn(> realer Nachahmung v^rmiiton, flas beweist die Behandlung der benachbarten Scene an der llauptwand, wn dor Prophot seine Hörer auf Christus als Erlöser hinweist 1. Hit r sind alle Kopfe in dem Ausdruck erhalten, den der Mah r ihnen gegeben hat. und ein cntsrhcid(Miiles Urteil kann gesprochen werden. Wiedc^r sieht Jo- haanes links, in der selben Haltung und ( tebarde, nur nicht sn fest wie im vorigen Bilde; sein lang herabwallemios Schriftband in der Linken, die Rechte in eckiger ungelenker Bewegung vor der Brust erhebend, das Antlitz in Dreiviertelsicht nach rechts gekehrt. Es ist üonau der selbe Kuigbartige Kopf, den wir als vordersten Freier neben Joseph im Sposalizio gesehen, nur dem Mafsstab und der Xähc hier entsprechend ausgebildet und im Einzehien sog.ir auf- fallend realistisch durchgeführt, besonders auch die Hände.

Ein schräg von links nach rechts verlautender Felsl)]f>ek trennt den Propheten von Christus, der mit dreien seiner Jünger in halber Fii>ur an der oberen Ecke des Bildes sichtbar wird. Auch er ist nur die weiter entwickelte Wiederholung des (Toiiessohnes, der am Chorgewtjlbe der Collegiata die Mutter kr<»nt; nur hat der Kopf durch festeren Knochenbau mehr Halt bekommen. Der Gesichts- typus selbst, mit den hochgeschwungenen Brauen über schmal- geschnittenen Augen, der zugespitzt vorgeschobene Mund, der da- durch einen kleinlichen Zug bekommt, und der dünne Flaum des ebenso zugespitzten Backenbartes, ist nicht verändert. Er blickt in schläfriger Teilnahme auf Johannes und erhebt die Rechte zum Segen. Nicht minder leicht vermögen wir, die Köpfe seiner Jünger unter den Freiem im Sposalizio wie unter den Evangelisten der Decke hier wieder zu finden. Der Graubart zur Rechten des Herrn ist eine Wiederholung des ältesten Freiers, der hinter dem Vordersten hervorsieht, er ähnelt dem anbetenden Könige zu Fölsen des Christ- kindes, und erscheint in diesen Variationen wol nicht anders als eine Übertragung des Christuskopfes ins Groisenaltcr. Der Jünger zur Linken des Meisters bekundet die nächste Verwandtschaft mit dem stabbrechenden Freier, bemüht sich hier als scharfer Beobachter

') atuere photc^nphische Aufnahnie.

Phnt. V. Brogi Nr. 6^i8. Auf dorn Sthnfthaiul : KCCK Al .NVS DEI KCA E QXl TOLUT PECCAXA MVNDl . HlC EST DE ^UO DIXI . POST ME VENt.

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Jdealköpfe und Bildnisse

des Wüstenpredigers, halb verdeckt herüberlugend, neben dem er- staunten Knabenantlitz des Lieblingsjüngers, der die Rolle des Pagen bei den Königen aus Morgenland weiter spielt. Die linke Hand des Erlösers ruht eigentlich auf der Felsenkouüsse ; aber sie ist mitsamt dem Arm und der ganzen linken Brust bis zur Sdiulter hinan durch einen aufgemalten Hut naditräglich zugedeckt Diese abenteuerliche Kopfbedeckung gehört dem ersten Zuhörer des Jo- hannes, d. h. zu einer Figur, die erst hinzugefögt wurdep als die tibrige Freskomalerei bereits fertig war. Nur das Anditz mit dem Halse ist auf einem neu eingestrichenen Stücke des nassen Bewurfes al fresco ausgeführt, das Übrige al secco hinzugepinselt So blieb von dem aufdringlichen Herrn Castiglione nur die sorg^ßUtige Arbeit des Forträtkopfes wol erhalten, während das Gewand, so prächtig es war, samt den zweifarbigen Strumpf hosen, silt>erweiss und schar- lachrot wie das Wappen der Familie und dem künstlichen Filz- turm auf dem Sdieitel wieder verschwanden. Fast ebenso stdit es mit dem geistlichen Herrn daneben, der unter der Soutane ein Paar von Beinen verbarg, die ihm nicht gehören ; jetzt kommen die wettlichcn Strümpfe wieder zum Vorschein, während auf den Schultern mit dem Chorhemd das eingesetzte Freskostück mit dem Bildniskopf die Züge des Arciprete in überraschender Unverletzlichkeit bewahrt Es bleibt kaum ein Zweifel, dass es der neugewählte Giovanni Bianchi da Velate sein mufs, der am ii. Oktober 1435 in sein Amt eingesetzt wurde.

Hinter dem pelzverbrämten Rockzipfel der ursprünglichen Figur, der gleich Hut und Mantel des letzten Zuhörers im vorigen Bilde ganz ruhig um die Ecke herumgemalt worden, stehen in der

Schräge des Fensters noch drei andere Figuren*): ein weltliches Mitglied der Stifterfamilie mit üppigem, aber etwas struppigem Haar, das nind zu rechtgeschnitten fast ebenso perrückenhaft erscheint wie das des Geistlichen, der es wahrscheinlich aus seiner Stelle vorn verdrängte. Sein kurzer pelzbesetzter Rock mit abstehenden Falten und die dunkelrote Strumpfhose des sichtbaren Beines entsprechen der Tracht, in der noch bei Benozzo Gozzoli die Vornehmen jener Tage sich verherrlichen liefscn. Der junge Mensch im langen Kittel mit einer Pol/mütze auf den Ohren, der nur einem alten Srhul- meistorantlitz noch gestattet hervorzulugen, tritt überall, soweit sich erkennen lüfst. als williges Modell des ^^ale^s in die letzte Stelle. Hier liat er in dnn lansren Kock mit geschlossenen Armein wüI seine Amtstracht als Schreiber bewalirt, und dies sorgfältig ge-

') Vgl. unsere phot. Aufxubme.

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Taufe Christi

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arbeitete ixcsitlit luit so woniiif italienischen, sondern germanischen Schnitt, dass wir versucht snul ,tuf einen Sekretär des Kardinals zu raten, wie l oiffrad Cleipel aus Münster oder Mattheus de BcUc aus Lüttich, die der l.CjL^at ans dem Nordm initv^cbracht hatte.

Das Fenster, in dessen (rewande diese Zuschauer des Eccc Aj^nus« jTfcmalt sind, durchbricht die Mitte der graden Schlulsniauer und ist so Veranlassung g-eworden. die g-anze Wandtlächc, die sich dorn Auge des Eintretenden als Kinheit darbietet, für die Dar- siellungeii des Cyklus zu verwerten Das BogciifV-ld über dem Fenster ist in seiner vollen Breite der Taufe Christi eingeräumt. YUC BAPTISA IA R A . lOHK INIORDANE lautet die Unterschrift über dem flachen Fensterbogen. Aus der Tiefe des Bildes, dli. aus der Höhe herabfliesscnd. durchzieht der Fluss ein felsiges Tal, das links und rechts von Bergen eingeschlossen nur einen kleinen Teil unter dem Scheitel des Rundbogens für das Blau des Uitnmds Qbrig lässt, wo die Taube des heiligen Geistes herdn- fiattert Dieser Versuch der Raumentfaltung in freier Natur ist so kindlich ausgefallen, die Höhenausdehnung muss darin die Tiefe in solchem Umfang vertreten, dass man den Maler nach diesem Bei- spiel allein för einen Spätling des Trecento erklären mQsste, der von der Anforderung des Quattrocento an Darstellung der Raumtiefe, von der Erfindung Brunelteschis, durch perspektivische Konstruk- tion auf de^ Fläche den Schein der dritten Dimen^on zu erzielen, gar keine Kenntnis besitzt. Die Wiedergabe der landschaftlichen Umgebung bleibt hier, wo er nur durchs Fenster auf Hügel und Fluss- tal hernieder zu schauen braucht, im Bilde auf der Stufe genügsamer Unwirklichkeit stehen, bei der Fra Angelico einsetzt Ja der helle Widerspruch mit dem Augenschein draussen scheint gamicht zu stören. Statt der Berge sehen wir nur Pappfelsen, wie aus Spiclzcug- achachtcln hier aufgebaut, das kahle abgestufte Erdreich der Treconto- maler ist mit ein paar Grasbüscheln oder Blumen im Vordergrund bosät. am Rande der Hügelketten eine Reihe vereinzelter Tannen- baumchen hingepflanzt. Das Flussufer fallt steil gegen den Wasser- s>trudcl ab, soweit es überhaupt durchgeführt wird, genau so wie es ein Goldschmied damals in dünnem Silberblech von der Rückseite herausgearbeitet hätte. Nacht weniger auffallend beweist die Ein- «^rdnung der Figuren in dies abfallende Hochplateau des steinichten Syriens die mangelhafte Tiefenansrhaiiung des Malers. Gerade das Strehnn nach Verteilung der viTschiiMlcnrn KotupositiDusglieder fordert die Unfähigkeit zu läge, eine bestimmte Richtungsaxe fcst-

^) VgiL die GeMmtaufnahm« b«i Sant Ambrogio^ CastigUooe Olooa, Unlaiid 1893^ TaC so.

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Taufe Christi

zuhalLen. l 'di r ist dies Fresko von links nach rechts furUschreitend so unhe(!af hSam in mehreren Absäl/ou /usanimen j^cpinselt, dasb der Meisti-r die ( lesamtheit ih s ßildes selbst erst überblickte, als er das (iorüst ,il)})ra(h, um darunter fortzufahren? Die Abwesenheit jeder arcliitda* 'nisrhen Absonderuntf iIlt LüneUc von den beiden unteren W andl« Idi rn lässt noch i<'i/t. wie auf der voranlicgendcn Scluiialwand, die Xahu- der Freskijtläclicn wie den Zusammenhang- der Hächenartivi'en (iesamtvorstellunyr der ijanzen Wand erkennen 'j.

Am Ftorraiuiü Hnks .stehen die hl aneinander aufgereiht, auch in ihrem ( irsaiiiiumriss die schm llffriive Bequemlichkeit des Meisters keuii/eiduund drei juv' ndheln' Kn_i;el mit langen (iewandcTn. Sic halten die Kleid^T des liDltessohnes, die ihre 1 laude wie ein Stück des l' lussuters \ erbergen, \'un ihren Kopfeii ist der niittk re in ] )rei\ ierlclsicht, die beiden äussern in Profil geiiomnien, das riugclpaar nur beim vordersten vorhanden al secco aufycmalt und wieder abgeblättert, wie alle anderen derartigen Zutaten. Sie kommen den lieblichen Engeln Fra AngeUcos sehr nahe, nur das gotische Faltengchänge dar KlctdungsstOckc beweist Suren eigenen Zusammenhang mit der ältem Kunst, dem gemeinsamen Boden, auf dem der firommc Dominikaner wie MasoHno beide erwachsen sind Im strömenden Wasser vor ihnen stellt Christus, bis über die Knicc bespült mit einem leichten Tuch um die Lenden, sonst nackt von vom gesehen. Die Arme sind halb erhoben, indem die rechte Hand die Finger zum Segnen stellt, der Kopf leise nach der andern Seite geneigt, um den Guss des Täufers zu empfangen. So bietet er dem Auge einen dürftigen Körper, in dem sich allerdings das Streben offenbart, sorgfältigere Naturbcobachtung zu geben als den Vor- gängern möglich war, von einer künstlerischen Auffassung und getreuen Darstellung des nackten Leibes aber noch nidit die Rede sein kann. Weder im plastischen Sinne vermag das Ganze für steh zu wirken, noch malerisch im Zusammenhange mit der Natur- umgebung. Dies ist schon durch den gänzlichen Mangd an Luft und Licht im Gemäkle selber vollständig ausgeschlossen. Das Antlitz hat zu dem kleinlichen auch einen herben Zug- und bestätigt nur die Befangenheit in dem überlieferten Typus, die in solcher bibli- schen Sccne ohne modernes Publikum nur am reinsten hervortritt. Davon zeugt auch Johannes, der dicht am Ufer rechts ein Knie ge- beugt hat, mit der l.ink<'n seinen Mantel an der Hüfte zusammen hält und die Rechte mit der Schale über das Haupt des Täutiin^fS ausstreckt. Der ganze Körper erfüllt keineswegs in wahrfaeits-

Phot. Krogi 63 und, alles Figürliche umfassend, Nr. 6317, nach der tture Tiid.

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Taufe Christi 55

geroässer Durchbildung was mit der Wahl dieser Bewegung und GHcderhahung gefordert war. Das Knie des einen Beines berührt den Boden in gerader Linie hinter der Ferse des aufgesetzten andern Fusfies» aber das Faltt^gehänge, über das vordere Bein bis zur andern Hüfte sich ausspannend, gestattet dem Auge nicht, äch Ober den Oberschenkel des knicenden. Ober den drunter befindlichen Schols des Fellkleides und die Breite des Rumpfes beim Schenkclansatz auch nur annähernde Rechenschaft zu geben. Und ebenso gleitet der Oberkörper mit den beiden magern Armen vermittelst der Hüllen, wie durch eigene Schmalheit zwischen den Schultern, aus der Körperlichkeit in die Flache über. In der wirksamen Silhouette ist auch die schmächtigste Gestalt noch ungenügend durdigefbhrt; sie steht noch völlig auf der Stufe des Bronzereliefs, das Ghtberti um 1417 für den Taufbrunnen in Sicna, nur allzusehr als Nebenarbeit behandelt hatte. So macht die Hauptgruppc, auf die es an so her- vorragender Stelle im Freskeneyklus der Kapelle v^ornehmlich ankam, um den Höhepunkt im Leben des Vorläufers gleichsam als Altarbild vors Auge der Gläubigen zu bringen, das Vorbild der Tauthand- lung selber, einen altertümlichen ja nebensächlich unbedeutenden Ein- druck, der durch die Genresccne daneben nur noch mehr zurück- gedrängt wird.

Die Gruppe der Täuflinge rechts» die sich von Johannes bis an die vorderste Ecke des Bogenfeldes ausbreitet, während die gegen- überliegende Seite hinter den Engeln leer geblieben, stört vor allen Dingen empfindlich das architektonische Gleichgewicht der Kompo- sition. Obgleicli der Christuskorper im Jordan die Mittellinie klar niarkirt und ursprünglich alb Dominante gedacht war, wird der Täufer doch zu sehr in den Linienzug dieses Anhanges rechts hineingezogen, so dass er srlhst an (tewicht allzuviel einbüsst und dass der Vf^llzug der Tautliandluiig an dem (iottessohn nur wie ein zufälli'^'-es Moment im Verlauf einer Massentaufe an glcichgiltigen Individuen erscheinen muss.

Dagegen < rtreut sich (iicsi Xrbcni^rujipe einer allgemeinen Berühmtheit; sie entschädigt .■iuigcrmal>rii für die unfreie Wieder- hulung der herkömmlichen Sk nc und ihn ii ceremoniellen Zuschnitt; wer die Voraussetzung eines hnsucliügcn Dranges nach Lebens- wahrheit und Naturbcubachtung iniLbriniift. sucht gern auch das Haupt- interesse, ein Aufatmen des gelangvvcilten Künstlers aut dieser Seite. Legt man sich aber die l'ragc vor, weshalb nicht auch das reizende Motiv der drei Engel nni den (tewändern zu einer reicheren Entwicklung eigenen Lebens im Sinne einer gleichwertigen Gruppe ausgestaltet worden sei, - und erinnert man sich andrerseits» dass

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Die Täuflinge

wir uns im Jahro 14^^. douh geraume /cit nach dem Tode Mab.acdos, in der I>luic J ra An^clicos und I )uii<it< iiui., in don Aiiian^tMi des J-uca dcllu Kobbia und des Domenico Vcncziaiio befinden, .so regt ^ich wol der Zweifel, wie weit diese Täuflinge das Lob, das ihnen gespendet worden, verdienen.

Zunächst hinter Johannes higt ein Frierender, in seinen Mantel eingehüllt, zu Christus hinüber, als übertiele ihn das Vorgefühl des kalten Hcrgwassers. I"r ist dem Platze gemäfs noch im kleineren Malsötab gehalten, erreicht nur die (jrufse des knieenden Täufers, macht also den Hindruck eines Knaben, besonders im Vergleich zu den drei Andern vorn, die bich /u engerer Gruppe zusammen- schhefsen. Ein vSit/cndcr rechts zieht seine Beinkleider an ; ein Zweiter, schon entkleidet, etwas höher sitzend, streift die Strumpf- hosen soeben noch vom rechten Fufs ab; ein Stehender, diesem zur Seite und zu Häuptcn des Vorderen» vom Rücken gesehen, zieht sich gerade das Hemd dber den Kopf. Dieser letzte, in verhältnifs- mäfsig ein&cher Haltung, ist am besten gelungen; er'giebt, wenn auch immer noch summarisch und unsicher die ruhig symmetrische Gliederung der Rückseite nach einem Modell wieder, das leidlich gebaut war. Die KOrper der beiden Anderen, von vom gesehen, sind hager und unerfreulich, nicht so gleichmäfsig durchgeführt. Der Mittlere hockt in unbequemer Haltung auf dem Rand des Fcls^ blockes, das linke bereits entblöfstc Bein hängt herunter ohne den Fufs zu fester Stützung auf den Boden zu setzen, indem es durch die Hebung des rechten Beines, das von der einen Hand über den Knöcheln g^alten, von der andern im Abziehen des Strumpfes am Fufs gezerrt, unwillkürlich gedreht wird. So ist der Oberkörper ziemlich ;^ut hingebracht, wenn auch der rechte Arm zu kurz und muskelschwach, die Beine dagegen in ihrer Verkürzung nur recht mangelhaft geraten. Durchaus häfslich, oberflächlich zurecht ge- schmiert und verfehlt isi drr Vorderste, der sein Wams schon wieder angetan hat und sich abmüht, die Beinkleider auf die feuchten (rlieder zu ziehen. Xur dies Bewegungsmotiv ist erhascht, aber weder kräftig noch überzeugend als unliebsame Anstrengung durch- geführt, sondern in sich lahm, energielos, die Haltung des andern Beines vollends unwahrscheinlich hinzugefügt, und dazwischen auf- geh.mgles dünnes (iewebe, das di(^ Scham verdeckt, ebenso kon- venti"n!'ll, wie der Rmiipf verschwommen /wischm Arttien und Beinen hinzugeluscht iiigentlirh ist also dem Künstler nicht sowol an der Bewältigung des menschlichen Körpers in mannichtcdtiger Haltung der Gliedmafsen gelogen, als vielmehr an dem Genremotiv um der Bewegtheit willen, und das Urteil kann nur lauten: Ut

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Die Täufunge 5?

desint vires, tarnen c^i laiulanda vohiiitas Wir können wol seine Lust verstehen, eine (^ruppe von J>adcndcn zu sclialfcri, die «t am Wiesengrund der Olona oder am Arnf> treschen, wir mögen ihm nachempfinden, dass er sich aus Freude daran verleiten liefs, sie hier anzubringen, so gut wie wir Michelangelo bogreifen, wenn er ^ aus der Schlacht bei Cascina ein Genrebild von badenden Soldaten gemacht, die vom Alarmsignal überrascht noch mit feuchter Haut in die Kleider fahren. Aber es klingt wie Blasplu nne, anj^esichts eines solchen Er.stliiif^>.ver.sueh(\s wie hier an solche Grofstaten voll- endeter Herrschaft über die plastische Form auch nur zu erinnern, weil die Motive daran anklingen. Selbst die Täuflinge Masaccios, die dem Maler hier vor Augen gestanden hatten, als er 1435 diesen ähnlichen Anlauf nalim, können nicht ernstlich als vergleichbare Erscheinung genannt werden. Legt man sie wirklich daneben, «drd dies dilettantische Unter&ngen im Verdacht des Wetteifers auch von dem schattenhaften Überrest der Cappella Brancacci in Grund und Boden gespottet, gleich dem Urteil aller begeisterten Kunstfreunde, die sich in Castiglione an dieser frischen Episode ge- fireut» ohne Masaccios Leistung mehr als ungenau im Gcdäditnis mitzufahren. Das Einzige, was aus Florenz herbeigezogen werden kann, vräre ein Paar von ebenso dilettantischen Zeichnungen, auf blftulichgrauem Papier mit Weiss gepinselten Modellstudien'): ein nackter Mann auf hohem Stul sitzend, mit Stecken in der vor- gestfeckten Linken, eine Frau gegen den Stul mehr lehnend als sitzend; darunter eine Gewandfigur mit Stecken auf niedrigem Stul, eine Frau auf dem Boden hockend, die Hände Obers Knie gefaltet; auf der Rückseite ein Mann auf hölzernem Schemel, die Frau am Boden hockend, gegen einen Stul gelehnt und nochmals aufrecht sitzend in lehrhafter Gebärde. Mit diesen und ähnlichen Überresten der Ufiizien verdienen diese Täuflinge in eine Reihe gestellt zu werden, wie andrerseits aufserhalb der Hauptstadt des Quattrocento, in Prato mit der Steinigung Stephans, in der man ein Werk des üherardo Starnina oder des Antonio Vite da Pistoja geniutmafst hat

Wenn es schon dem Feingefühl des Künstlers für seine ideale Aufgabe, die Taufe Christi ds AndachtsbUd des ßaptisteriums dar- zustellen, ein etwas bedenkliches Zeugnis ausstellt, darin eine (lenrc- scene anzubringen, die sich schon im bürgerlichen Dasein dem Auge gern entzieht, so konnte das malerisch glückliche und an sich dank-

») Phot. Fhilpot 544. 546,

*) Alinari Pbot Nr. 1 1524. Ober diese, zeitweilig im Cicerone (1S74, S. S73. Beilr. S. 34) auda mit Maiolino tu Verbindnng eebradaten Malereien v^. Schmanovr, Die Capella delF Asnwta im Dom xv Piato, Repertor. f. Kwsdift. 1893.

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G(/fTVATER IN Engelglorie

bare Motiv doch neben der herkömmlichen Komposition der bib- lisdicn Scone schon garnidit bis zu eiiwm Grade von Wahrheit und Frische durchgeführt werden, der ihm selber zu seinem guten Rcchl verhülfe. So ist der Zweck beider Bestandteile nur beeinträchtigt, und die Wiedergabe der Naturscene so nebenher erscheint kflnst* lerisch nicht minder frivol als die oberflächliche Wiederholung des . kirchlichen Gegenstandes, mit dem sie willkürlich verbunden wird.

Zu dieser Darstellung der Taufe Christi gehört auch die Er- schetnung Gottvaters an der halbcylindrischen Wölbung des ChOf' Icins. Neun Vertreter der Engeischaaren, vier auf der einen, f&of auf der andern Seite schweben anbetend empor zu dem Bilde des Höchsten, der in halber Figur aus einem runden Rahmen herab- schaut auf die Scene im Jordantal. Die Engel sind durchaus die nämlichen Gebilde, die wir aus der Himmelfahrt Marias im Chor der Collcgiata bereits kennen. Kindliche, mädchenhafte Köpfe mit kraus- gelocktem oder schlichtem Flachshaar, mit andächtig gefalteten oder verehrend über die Brust gekreuzten Händen, mit einem wehenden (icwandende, das von Wolken getragen, unbestimmt läfst, wo sich die Andeutung des Körpers in dem luftigen Schemen der Phao- tasii \ ( rliert. Auch Gottvater besteht aus einem langbärtigen Greiscn- kopt und einem Paar abwärts gestreckter Arme, einem Mantel und einem Rock ohne rechten Körper darunter. Freilich fliefsen die Falten des Zeuges über die Schultern nieder, werden am Rock von einem Crürtel /usamniengelKiltcn ; iiber die Gestalt bleibt tlächenhaft Desto auffallender ist Schnitt und Besatz dieser Kleidung und der Typus des Knpfos. l^eidc weichen von dom toskanisclu n Charakter, ja vom italienisi hon dieser Periode üb*'rh.iuj>t ab. Man sucht zuerst in Venodig, dann noch weiter ostwärts uiit(^r slavischcn, bulgarischen (Christen nach cim-tn Vorbild, vorfällt bei den breiten Bcixitzst reiten, die über dem Leibe sich kreuzi n und mit Reihen rautenfOrmiirer (loldplatten benäht sind, auf russi.sche ( madenbilder. und erinneri sich bei dem wcifsbanigen Greise mit langem gescheiteltem Haupt- haar, das in gew ellten Strähnen sieh s\ innietrisch über die Sehultern legt, an ungarische Patriarclien oder doch an die Erzväter und Heiligen der grieehisehen Kirche. Jedenfalls stammt der Antlui; fremden Wesens, das hier in der höchsten Person d(\s italienischen Bilderkreises fühlbar genug zum Vorschein konunt, aus jenen «"»st- lichen Ländern, in denen der Kardinal liranda so häufig und Um^^c als Legat gewirkt h.itte, in denen auch spätbyzantinische Fresken- cyklen in Kirchen und Klöstern der römisch-katholisdien (remeinden verbreitet sein mochten und selbst einen toskanischen Meister, der zeitweilig dort beschäftigt war, nicht ohne nachhaltigen Eindruck eutHefsen.

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Johannes mahnt Herodes

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III.

£incn CDtschiedeticn Fortschritt realistischen Strebens zoii^on im (icgensatz zum hieratischen Wesen der 1 aufe Christi und der oberflächlichen Kinmischung von Genremotiven die Wandgemälde darunter zu beiden Soiten fies Fensters. Es ist die leibhaftige Wiedergabe wirklicher l^ rsinicii aus seiner eigenen Umgebung, dii- den Maler zum Bewufstsein bringt, wie viel Worivullercs er eigent- lich mit den Mitteln seiner Technik erreichen kaini, als jene ver- blasenen Wiederholungen traditioneller Bibelilluslr atiun. Die heulen Predigten des Tauiers /eigen «li' s Schritt für Schritt in den Zuhörern, die sich vor dem Propheten aufgestellt. Ja die Erscheinung des Pro- pheten wird von dieser Freude am Fin/< lnen. elien am leibhaftigen Augenschein bis in die Rvui/ehi der Haut hinein, mit ergriffen, wie Antlitz und Hände Gottvaters selbst in der Höhe. Immer wirksamer drangt sich die Genauigkeit der wolerhaltenen Teile dem Auge des Betrachters entgegen und leitet es an, auch in zersetzten und ent- färbten Stücken noch die emsige Kleinarbeit zu bestaunen, die bei dem heutigen Zustande freilich den Eindruck eines seltsamen Flick- Werks aus lauter Lappen, hier kostbaren Brokats und schweren Wollentuches, dort zersdilissenen Zeuges und leichter Spinngewebe, hervorbringt. Ganz einheitlich war wol dies Abkonterfeien wirklicher Bestandteile sdion in der zweiten Scene der Altarwand« wo Johannes vor Hcrodes auftritt und ergriffen wird. Vor der Mauer ist aus rotem Backstein eine kleine Loggia herausgebaut, in der die Scene spielt. Sie öffnet sich unter dem flachen Dach mit schmalem Sims- streifen in einer Doppelarkadc nach vom, zwischen deren schlanken Pfeilern jedoch zwei Mittelsäulchen weggelassen sind, um den Einblick nicht zu durchschneiden. Ebenso ist die Schmalseite links offen, während zur Rechten, wo der luftige Vorbau an weitere Gebäude stöfst, eine Tür hinausftihrt. Drinnen ist die Vollmauer mit einem grofs« gemusterten Teppich aus Damast oder gar Brokatstoff behängt; denn links an der Schmalseite tronen didit bei einander Hcrodes und die Gattin seines Bruders; vor ihnen steht Johannes, den ein Kriegsknecht, durchs Tor schreitend, soeben ergreift

Wenn schon die Abfindung mit der Haltbarkeit des kleinen Bac^steinbaues bedenklich erscheint, und die Konsolen wt&r den Arkaden vielmehr auf die Hinterwand gemalt sind, als in gehörigem Abstand vor ihr, so bezeugt auch die Diirchfühning der Figuren

') PhuU Brogi hiU}.

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Johannes mahnt Herodes

wieder den Mangel an Konsequenz trotz allem Fortschritt im Einzelnen. Der Vierfürst mit dem Sceptcr in der Linken, wie seine unrechtmärsigc Genossin tragen das modische Kostüm der ober- italienischeti Stadtherren und kleinen Tyrannen des Quattrocento» ja die ganze Kleiderpracht maitändischer Ädelsgeschlecfater, die auf Darstellungen aus dem Leben dieser Jahre, z. B. in Casa Borromeo zu Mailand begegnen ; der. Scherge tritt in Helm und StahlrQstung damaliger Soldaten auf. Jc^annes, in langem hemdartigem Kittel und barfufs, hält aber eine ganz unwahrscheinliche Pergamentrolle mit den Worten seines Vorwurfe in der linken Hand: NON LICET TIBI HABERE VXOKE FRATRIS TVI ADVLTERAM. Mit der Rechten weist er auf Herodias hin, während er den Macht- haber unerschrocken ins Auge fefst Sein Kopf, hier besonders würdevoll und ernst mit seinem dunkeln Haar und Vollbart, ist ganz in Profil genommen, grofs geschnitten, aber mit Falten auf Stirn und Wange in eindringlicher Strenge gezeichnet, mit einem breiten Heiligenschein aus gerilltem und punktiertem Gold umzogen. Fest und sicher stehen auch die nackten Füfsc auf dem Roden; ihre anatomische Durchführung ist noch ungenau, aber ihre malerische Wiedergabc mit dem Boden umher und der Beleuchtung des Raum- tciles schon überraschend gelungen, so dass Domenico Vencziano und Piero dei Franceschi als unmittelbare Fortsetzer dieses Könnens zu nennen sind. Dagegen ist die Haltung der ganzen Gestalt durch- aus lahm und hölzern, ohne Pathos, ohne dramatische Kraft.

Schläfrigen Andres blin/elt die betroffene, des Ehebruchs ge- ziehene Fürstin zu dem Bufspredigcr hinüber. Ihre linke Hand erhebt sich, wie unwillkürlich abwehrend gegen den lästigen \^or- wurf, während die andere lässig auf dem Schofse ruht. Die stummen kaum berührten Züge des (trsirbts vorraten in stolzer Kälte fiist Nichts von dem Aufruhr driiuien. In dem feisten, glattrasierten Profilkopf des Herrsi liers verkündigt h<^chstens die emporgezogene Braue und der stechende Blick den Unwillen, während um die Lippen des kleinen zusammengepressten Mundes ein Kampf mit der bittern Wahrheit, die er kosten muis, zu zuckcMi scheint. Fast mechanisch hebt sich der Arm, mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Johannes deutend, als einzige Aulserung ih s licfehls, den kühnen Anklager zu entfernen. Dem Häscher s^inügt der Wink; er vvenightens greift kräftig zu. Sein Kisenarm !( gt sich auf die Linke des Propheten, die rechte Hand krallt sich scheniatisch ungeschickt in der Zeichnung. in sein Gewand auf der Brust. Sein Gesicht stiert aul die Gebieter.

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Johannes mahnt Merodes

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Die (tenaui^rkcit und Sorgfalt, mit der die Kleidung des trnnendon Paares j^cmalt ist, besonders die holu I- iirstenniütze und die wulstige Haube, die an burt;undischr 1 Inttracht erinnernd, sich mit goldener Krönung vom dunkeln Grunde des Wandteppichs ab- heben, verleiten den lioschauer auch in den Kopten die Zü^e be- ^mmter Individuen zu sehen, die mit ilorodcs und seines iiruders Wdb nichts zu schaffen haben. Doch kann die Bildnistreue wol nor bei Herodes selber zugegeben werden; denn die Genossin seines Trones hat bei aller DurdtfÜhrung doch nur das typische Gesteht, das der Meister auch sonst bei schönen Frauen und jugendlidien Engeln zu zeigen ptiegt. Freilich gewähren die zerstörten Bilder der Namengebung» der Wochenstube, der Begegnung Marias mit Elisabeth keinen Anhalt mehr; aber schon die Engel bei der Taufe leiten ans zurQck zu den Deckenbildem im Chor der Collegiata, besonders zur Maria in der Krönung, und nicht umsonst hat eine fromme Hand der Folgezeit in das Prachtgewand der Herodias den Grufe des Engels eingeritzt „Aue maria gracia plena, dominus" . denn in der Tat ist dieses stolze Antlitz mit den ebenmäfsigen Zügen, der rundgewölbten Stirn und dem kleinen spitzen MOndchen nur aus dem zarten Antlitz der Jungfrau entwickelt, das im Marien- leben des Masolino vorherrscht Die demfitige Königin des Hinmiels ist freilicdi in eine hochfahrende Königin dieser Erde verwandelt, <fie um so sädierer dem Rachegedanken für die Kränkung dieses Augenblickes nachhängt, je weniger das Auge seinen Schleier lüftet. Wer hätte «ch auch dazu hergegeben, mit Bildniszügen hier als Ehebrecherin zu sitzen, die das Schriftband des Täufers für jeden Lateinleser brandmarkt ? So kann vcmi diesem Kopfe nur gesagt werden, dafs es dem Meister gelungen ist. ihn mit sf>viel Kennzeichen persönlichen Daseins auszustatten, dafs wir die kalte Schi'^nhnit als Charakterbild hinnehmen, das er gewollt hat. So erscheint zum ersten ^fal die biblische Figur des johann(\s mit flem Gegenspiel im Zeitkostüm einheitlich verarbeitet zu einem (Tan/oii, das nicht mehr in sieh durch die Kontraste ausoinandcrfällt. J -eider ist die P'arbe seines (icwandes bis auf die Vorzeiehnung verschwunden und (^b(Miso der sorgfältig vorbereitete Glan/ der Rüstung bei dem Kriefrsknecht, der im ]\ ahmen der Tür aus dem dunkeln Vorplatz überraschend genug hereinbricht.

Die Sinnesart des Malers, die Vorzüge und die Gränzen seines Könnens und Wollens, kommen erst recht /um Rewufstsein, wenn wir den selben biblischen Gegen^t ind \ on einem Zeitgenossen be- handelt zum Vergleich herbeiziehen. Ein Bildner, der dieser Srhwester- kunst so nahe steht wie der pcrsöulichea Bildungsstufe AXasoUnos,

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Ghiberti und Masolino

J.orenzo Ghibcrti. hat in einem Br< 'ii/crcliof für den l'aufbrunnen in Siena um 1427 die n;imliclie Scene komponiert, in der Johannes, aus dem Angeklat^ten /ihm Anklaj^er geworden, unter dem Ansturm der Häscher und dem Machtwort des (iebieters noch, die mahnende Stimme der Warnung erhebt, deren Nachhall ihm selber das Ende bereitet. Auch da eine Mischung lüblischer, klassischer und ita» lienischer Tracht, aus denen die Künstler jener Tage das Gewand jeder glänzenden Vergangenheit zusammenwoben ; aber wie ein- heitlich alte Figuren, in Erscheinung und Gebaren eine homogene Gesellschaft, die nur ab Kinder dieser einen Phantasie hervorg^en, aber auch ihre volle Berechtigung in sich selber tragen. Denn es ist eine Handlung, die sie alle voltziehen, ein lebendiger Flufs un- mittelbaren Geschehens, der sie alte bewegt, Idar in den Gegen- Sätzen durch jede Form, jede Gebärde, aufe Höchste dramatisch in dem Widerstreit zwischen der äulseren Macht, die den Mahner bewältigt, und der inneren Seelenlcraft, die den Grefangenen noch über alle hinaushebt. Gegen diesen Reichtum und Adel ist Masolino arm an Erfindung und roh in seinen Mitteln. Der einzige Ersatz, den er solchem Meisterstück Ghibertis gegenüber zu .stellen hat, ist die farbige Wiedergabe des Augenscheins im Einzelnen, eine Einfachheit der maloribchen Kontraste, die trotz aller Best liränktheit und Ungeschicklichkeit im starren Nebeneinander den Eindruck der Gröfse, ja der Wucht erzeugt.

Dieser Vorzug eignet auch den folgentlen Stücken, die in allen bisherigen Besprechungen dieses Cyklus in Castiglione zu kurz gekommen sind, weil die Aufmerksamkeit schnell zu dem letzten grofsen Wandbild mit dem Triumph der Herodias übergicng. Es and fast nur Einzelfiguren die dazwischen liegen ; aber ae tragen wesentlich zum 'Gesamturteil Über den Maler bei und werden will- kommenste Belegstücke für den historischen Zusammenhang wie für die Vergleichung mit den Cyklen in Rom und in Florenz, die uns ferner beschäftigen müssen. Denn diese Bilder geben die Gestalten in ähnlichen Situationen wie sie dort vorkommen, oder bezeugen, wie dieser Künstler zu Castiglione im Jahre 1435 sich mit ähnlichen Anforderungen des Stoffes abfand, die auch dort zur Aufgabe gehören.

Xebcn joiior J iir, durch die der Kriegsknecht eintrat, um Johannes /.u i^reifon. Affriet sich auf der anstofsenden Schmalwand der Hof des Palastes, dessen l-Cnslcrrcihc im oberen Geschols noch {T'itische Wimperge und Fialen mit mancherlei Sknlptnnmschmuck aufw ( ist, und aus Marmorinkrustation der unteren Teile zu nacktem Backsteinmauerwerk oben hinanreicht.

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Einkerkerung des Johannes

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Ganz links tritt durch das offene lioi^cnior der ge\vaj)i)nete KripjT.skncrht an dio Korker])f(irti^ dani'lxin iukI bcu)iit sich vornüber, um (ien starken Riegel vorzuschiehrn oder den Schlüssel .-xbzuziehen Es ist die volle Gestalt eines jiuigen Sr.ldners im Eiscnldcid, dessen Darstellung mit den Milieln der Freskomalerei den Meister unwillkürlich zum Wetteifer mit den {il istisrhen Werken eines Donatello und sinner (jcsinnungsgenossen drangt, Oder kam der Anreiz von Bravourstücken andrer Makr selbst, und mit der wacliscridcn Übung die Lust, etwas Ähnliches zu wagen? Jeden- falls ist die Wahl des nebensächlichen Motivcs für ein eigenes Wandbild an sich schon beachtenswert. Die eigentümliche Be» scbaifenheit der Matterflache, die an dieser Schmalseite abermals diirdi ein einspringendes Fenster zerteilt wird, wie drQben die Ptedigt Johannes durch die Wandnische für Gerät, mag allerdings dabei mitgesprochen haben.

Wir kennen Masolinos Vorliebe für Genremotive aus gelegent- licher Krwcitcrung seiner Bilder, aus den Hirten in der Anbetung der Könige im Chor der Collcgiata, aus den Täuflingen am Jordan- ufer hier; aber der Versuch perspektivischer Illusion mit Hülfe zweier Türen in der Ecke und anstofsender Rundbogenfenster, die er zum wirklichen hinzumal^ und die Wahl gerade dieses Be- wcgungsmotives beim Schlielsen der Kerkerp forte fordert d&e Er- innerung an dnen Fräcedenzfall in der Kunst seiner Heimat heraus. Vasari erzählt im Leben des Masaccio, dieser habe im Klosterhof des Carmine die ganze Frocesston zur Einweihung der Kirche vom 19. April 1432 abgemalt: „e vi ritrasse . . . anco la porta del con- vento ed il portinajo con le chiavi in mano." Es ist allerdings aus diesen Worten allein nicht zu entnehmen, in welcher Aktion der Fra Guardiano dargestellt war, ob in der Ausübung seines Pfortner- amtes beim Auf- oder Zuschliefsen selber, oder als ruhiger Zu- schauer neben dem Tore nur mit den Schlüsseln in der Hand, und das Wandgemälde selbst vermögen wir, da es verloren ist, nicht mdir zu Rat zu ziehen. Aber die Idee der perspectivischen Täuschung ist sicher aus der Schilderung narh weisbar, und die Bekanntschaft mit jenem vielbewunderten Werke Masac( ins mufs angesichts dieses verwandten Versuches in Castiglione bei Masolino im Jahre 1435 vorausgesetzt werden, gleich gut vorerst, in wachem Jahre zwischen 1422 und 1428 jenes Fresko im Carmine entstanden sein mag.

Ebenso absichtlich, für den Anblick der Gemeinde berechnet, ist die Wahl der Fensterschrägc zur Darstellung Johannes des

*) Vgl. nnsre pbotographiscbe Aulnabine.

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Johannes im Kerker

Täuters im Kerker. Kur/sichtig-e freilich wcrflen die Hauptperson als (iefantrpnen im liurg\ orliers erst suchen müssen. Auf dem dunkeln (Trunrle der Kerkertiiisiornirs hebt sich in vollem Licht die Halbfigur des Gottesm.iniies heraus, der betend durch das Kisen- gitter schaut, und wirkt erj^reiteiid. Besonders der Kopf, vom jToldenen Heilig-enschein umrahmt, jarf'hf)rt zu den j:»-lücklichsteii Im- provisiitioncn Masolinos, die hier in Castiglinne übrig- sind. Bei dem verblirhenen Zustande kommt die Photographie zur Herstellutii^ des ursprünglichen Eindrucks, wenn auch mit Abzug der Farbe sehr zu Statten Johannes wendet das lange schmale Antlitz wie verklM von Gottvertrauen nach oben, die helle Beleuchtung glättet alle Furchen, und die grade griechische Nase, die eng gestellten Augen, das schlichte in der Mitte gescheitelte Haar und der spitze Vollbart geben dem Ganzen eine Ähnlichkeit mit dem byzantiniadien Ideal, die ihn edler erscheinen läfst als Christus selbst und Gottvater droben am Gewölbe.

Jenseits des Fensters hat wol die Ungunst der Wandfläche dazu veranlagt, von der sonst beliebten Scene des Besuches der Jünger abzusehen» die Andrea Pisano an der Tür des Baptisteriums in Florenz so ergreifend geschildert hat, ohne Johannes selbst dabei zu zeigen. Wollen wir dem historischen Zusammenhang Schritt ftür Schritt folgen, so müssen wir aus dem Chörlein zurück in den Haupt* räum' tretend die Seiten wand, die dort noch übrig bleibt, und das schmale Stück neben dem Durchgangsbogen, dem An&ngsbilde des Cyklus gegenüber, zusammen betrachten; denn hier vertmlt der Maler die einzelnen Momente des letzten Aktes ohne Rücksicht auf ihre örtliche und zeitliche Folge nach Mafsgabe der Bildflächen, die noch zur Verfügung standen. Obgleich die Hauptwand, rechts vom Eingang, nicht durch ein Fenster unterbrochen ist, wie drüben zur Linken, und somit ein einheitliches Gemälde zu schaffen erlaubte, werden hier noch zwei selbständige Scenen, wie Wochenstube und Namengebung dort, herausgegriffen und nebeneinander zur Dar- stellung gebracht: das (lastmal des Herodes mit Salome und die Darbringung des TTauptcs an Herodias. Die Haupt.sache dagegen, die eigentlich mitten hineingehört, wird an den sclimalfii Wand- streifen zur Soite des (rastmals verlegt: die Enthauptung selbst, die si( h nun dem Eintretenden sofort zur Rechten des AUerheiligsten darstellt.

Künstlerisch gehört dieses Martyrium, wie Masolino es vor- führt, vielmehr in eine Kategorie mit der Einkerkerung; denn wie

*) Vgl. die GeMiatMiroiliine Taf. 50 bei Sant Ambrogio und nnsi« Eimebufiiahiiie det Johannes.

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ENTHAUPTUNCi

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dort drinnen ist auch hier der Scherge die Hauj)t])ors()n tür den Maler und der Moment, den er wählt, nicht die Handlung selbst, sondern die Situation darnach, <)d<>r richtitT-^r eine (ienrefigiir im Nachspiel. Während dort, in der ensterschrätre wenigstens, Jo- hannes noch zu seinem Rechte kommt, ist hier die (iestalt des Opfers ein gänzlich mifsglücktes Nebending, in dem weder die Würde fier heiligen Person bewalirt wird, noch die Wahrheitsliebe da- niahgen Kunstgeschmackes ihr Genüge findet. Johannes liegt mit beitlen Armen auf der Schwelle der Kerkerpforte, dertii schweres Eisengittcr sich nur zum Tode wieder giH)ffnet hat. Der Streich ist gefallen, das Haupt wird aber, noch am Rumpfe hänge nd, zwischen den Armen gehalten ; nur ein Blutstral entspringt dem getroffenen Gcnik und bildet eine Lache vor der Tür. Die gänzliche Unfähigkeit Maso- linos einen Mensdienk6rper in starker Verkürzung zdchn^risch 2u bewältigen, mu/s bei dieser Schaustellung um so peinlicher auf- « ^en

Zur Seite vor der hellen Mauer steht der Kriegsknecht, der den Befehl vollstreckt hat, ni voller Rüstung inid streift von der Spitze des langen Schwertes, das vom Rückschlag noch über den Nacken hängt, das Blut ab. Diese überraschende Stellung des strammen Burschen festzuhalten und dem Eintretenden unerwartet in möglicbfiter Lebhaftigkeit vor Augen 2u stellen, das ist das Ab- sehen des Malers, und diesem Bravourstüdc hat er die andern Rück- sichten geopfert Die Wiedergabe der Haltung ist auch trefiUch genug gelungen, allerdings auf Kosten wirkhcfa überzeugender Bewegung und ihres weiteren Zusammenhangs. Wie der TürscUierser dort ist der »Schwertfeger« hier eine völlig plastische Erscheinung nach dem Herzen dieser Zeit, gemalt ohne dabei in die harte Körper- konstruktion eines Paolo Uccello zu ver&Uen, die der äufsersten Rundung der , Formen zuliebe so Idcht die malerischen Reize ver- niditet und den perspektivischen Kunststückeir eingelegter Holzarbeit zu ähnlidi wird. Mit eriiobener Rechten, in deren Faust das lange Schwert, der eigenen Schwere folgend, über den Rücken hangt, doch so dass die Linke das letzte Ende nodi erreichen kann, steht der junge Krieger leicht ausschreitend da und blickt zugleich auf- merksam auf die heikle Mrmipulation der blofsen Hand an der scharfen Schneide hin, die bis auf die letzte Spur gereinigt werden soll, damit «e nidit leide. Die jMalerei selbst hat natürlich zu viel gelitten, um ein vollständiges Urteil zu gestatten, besonders da die Rüstung mit ihrem Metallglanz nur unter Zuhilfenahme eines komplicierten

*) Vgl. nn«ierc phot. Aufinfame. Schmarsow, Masacdo.

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Enthauptung

Verfahrens auch a1 secco hergestellt worden ist Doch erkennt man gerade in dem jetzigen Zustand, dass sidi der Maler auch in der Ausfbhningnoch genauere Rechenschaft Qber den jugendlichen Körper gegeben hat, als man sonst bei ihm erwartet, und kommt in genauerer Betrachtung auf den Gredanken, er habe die Gestalt zuerst im UmrUs nach dem unbekleideten Modell auf die Wand gebracht, dann erst die RQstung hinzugetan. Trotzdem oder deswegen ist die Rundung mangelhaft, der Eindruck zu flächenhaft geworden oder der Silhouette zu ähnlich geblieben.

Etwas allzu nahe rückt dem ausgreifenden Henker auch die Mauer auf den Leib, die links oben durch ein trefflich gemaltes Gitter- fenster durchbrodien, mit einem gezackten Streifen aus vortretenden Backsteinen unter dem Sims, wie noch heute das Haus mit Schwib- bogen am Burgwege, der zur Kirche fährt, und mit Zinnenkranz geschmüdct ist Hinter diesem niedrigen Gefilngnis sieht man weiter- hin den hohen Turm des Palastes aufragen, und die feine Beleuch- tung, mit wirksamen . Schattenkontrasten dazu, erhöht den Eindruck der freien Umdichtung dieser Bildiläche, die frdlich mit der Nischen- architektur des grofsen Spitzbogens darin nicht glücklich zusammen- stöfst

Das grolse Wandgemälde« das den Scfaluss des Cyklus enthält, ist durch die Abbildung bei Crowe und Cavalcaselle bekannt, wie durch Brogis Photographie ; aber dieerstere enthält eine Ungenauig- keit in der perspektivischen Konstruktion der Bühne, die dem Original einen anderen Fehler unterschiebt ate den es wirklich hat und dann das ungünstige Urteil über den Charakter der Architektur und das Verhältnis der Figuren zu diesen Baulichkeiten mitbestimmt

Wir blicken in einen Schlofshof, dessen Umfessungsmauem an der Innenseite rechts und im Grunde von Säulengängen umzogen sind. Deren Rundbogen ruhen auf bescheidenen Säulen toskanischer Frflh- renaissance; über ihren Klostergewölben, die an der Wand auf Kon- solen sitzen, legt sich an den Zinnenkranz der Mauern ein Pultdach, das über den Arkaden vorn von einer Brustwehr mit kleineren Blend- arkaden zwischen den Simsen verdeckt wird. Nur ganz rechts erhebt sich auf einer Terrasse noch eine Loggia, deren schlanke Säulchen mit Backsteinarkiiden unter schlichter Obermauer verbunden sind. Dieser Teil reiht sich so dem Tempel mit der Verkündigung an Zacharias und der Loggia mit der (Tcfangennahme des Johannes als verwandte Erscheinung an. Links dagegen springt aus dem Hauptzug

'J Brogi No. 0312, in Urei Teilen No. 6313 15; eine GesamUutsicfat auch bei Saat Ambrogio TaT. 49.

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Gastmal des Herodes

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des Palastes etwa, ein zweig-cschossiger Vorbau heraus ; unten öffnet sich gegen den Hf>f eine Ecklaubo, deren drei sichtbare Säulen du l « den offenen Vorderseiten des quadratiselien Cirundrissesbegrän/en, walirend die beiden innern Seiten mit VoUmaucrn geschlossen sind. Wie die vortretende Stirnseite der Wandelbahn rechts, so bietet sich auch, hier die offene Säulenstellung von vorn gesehen, mit ihrem geraden Gebälk, das aus Arcfaitrav und reichgegliedertem Sims besteht, und UÜst uns die flache Decke dieses luftigen Gemaches tiberblicken. DarQber erhebt sich wie drüben ein Parapet, hier aber wie Säulen und Gebälk aus grauem Sandstein gemeifselt und mit einem Reigen goirlandentragender Kinder geschmückt» wie der Fries am Haupt* portal der Kirche Corpus Domini. Auf diese geschlossene Balustrade, die sonach die Stelle eines Frieses bekommt, setzt als Obergeschoss des Pavillons eine zweite Loggia mit eigener Brustwehr auf. Sie ist allem Anscheine nach aus Holz gezimmert. Dem Abstand der gemeisselten Putten entsprechend tritt über jedem dieser Kranzträger das Postament eines Pfeilers heraus, um das sich das feine Gresims der Brüstung verkrOpft, im Einklang mit dem Ptofil der Kämpfer unter den kleinen Rundbögen und mit dem bescheidenen Dachränd darüber. Wie in der Pergola rechts war auch hier ursprünglich die getafelte Holzdecke zu sehen, ist aber hier wie dort bei früherer Ausbesserung mit dunkler Farbe übertüncht. Von den fünf schmalen Arkaden der Vorderseite entzieht uns der Rundbogen, der das Gemälde einfasst, ein Stück wie auch drüben. Zwischen beiden Baulichkeiten hindurch blicken wir über die Umfassungsmauer des Palasthofes aut das Gebüsch des Gartens oder I.ustwäldchens und drüber hinaus in die kahl ansteigenden Berge, wo auf einer Halde in kleinen Figuren die Rf^stattung des Johannes durch seine jünger gezeigt wird : DISCIPVLI SEPELIERVNT TOVANEM BAPTTSTAM, wie die ergänzte Unterschrift lautet. Nur tehlt es für solche P^^nsicht dem Gemälde allzusehr an Luft und Abtönung gegen die Tiefe zu, um die Intention des Künstlers in rechte Wirkung zu setzen.

Vom unter der Ecklaube des Palastes sitzt Merodes mit seinen Gästen beim Male. Auf einem hölzernen Podium stehen schmale Bänke vor den teppichbehäng^ten Wänden und der gedeckte Tisch

mit sauberem Eeintuch. Links an der Spitze der Tafel sitzt der Vierfürst selber, in dem nämlirbon Kostüm und den selben Portrat- zügen wie vorher beim N'orwurf des Pufspredigers. Er hebt die rechte liand leicht über den Tisch, wie in peinlicher Ueberrascliung, mit dem selben bittersüfsen Zug um den kleinlichen Mund, wie dort vor dem Mahnwort des Gottesmannes. Neben ihm an der Lang- seite des Tisches sitzt, als| ausgezeichnetster Gast oder würdigster

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Gasimal des IIeködes

Ratgeber gedacht, ein geistlicher Herr in silberwetssem Haar. Seine Tracht i$t die eines römischen Kardinals mit dem purpurnen Ueber« wurf und der pelzgefütterten Cappa, die heruntergelassen mit weichen Falten des weissen Hermelin den Hals umrahmt. Dieses Amtskletd und das Alter der dargestellten Person lassen keinen Zweifel, dafs 'hier ein Bildnis des Branda Castiglione gegeben sei, und zwar in seinem Alter von 85 Jahren. Aber auch dieser Kopf ist etwas durch den Versuch entstellt, der Scene enstprechend, einen mis- billigenden Ausdruck, vielleicht des bedenklichsten Widerwillens darin auszuprägen. So erklärt sidi auch die Weiiduiig^ des Kopfes, der rechtshin hörend sich nach der andern Seite abkehrt, so die Erhebung der Hand vom Tische, mit der selben unwillkürlichen Ciebärde halb entsetzten Erstaunens wie bei Herodes, während die Unke noch beim Male beschäftigt ruht. Sein Nachbar lässt beide Arme sinken, dass die Fäuste mit dem Messer in der einen, dem Becher in der andern, gewifs nicht geräuschlos auf den Tisch fallen, und blickt vor- wurfsvoll oder tief bekümmert nach der nämlichen Seite, von der das schlimme Wort gokonmicn. Unverkennbar ist auch hier die !*f rtratdarstcllung, die durch ein fremdartiges Aeufsere noch mehr autfällt als der Kardinal un'l der Herzog, die wenii^'^stcns nach Italien gehören. Während rdle Uebrigen entblössten Hauptes an der latel des Fürsten sitzen, bleibt er gleich diesem selber bedeckt, und /war mit einer hohen Bärenmütze, die auch am südlichen Fufs der Aijx n kaum Ihresgleichen fand. Hals und Schultern bedeckt ein zugehöriger Pelzkragen. Aus dem geschHtztcn Ucberwurf kommen cntr anliegende seidene Aermel hervor, während der schwere Stoff des Rockes unter dem Tisch bis auf die Fufsspitzen reicht. Es ist die Tracht eines ungarischen Magnaten jener Zeit, die der Maler konterfeit, - ohne Zweifel sein Tr iger Pipjx» Sjjano selber, der Gönner des Meisters Masolino und Freund des Kardinallegaten in l'ngarn am Hofe König Sigismunds. Die Beschreibung seines Aeufsern, die uns erhalten, stimmt in allen Zügen wol mit diesem Bild übcrcin, das Masolino aus Stulweifsenburg mitgebracht haben muss, als er dort die Kapelle des Obcrgcspans von Temesvar und Grafen von Ozora zu malen hatte. »Dicesi, heisst os im I^ben des Fllippo Scolari, lui essere stato di mediocre forma, d*occhi neri, di pelo bianco, di faccia allegra e quasi simile a uno che ride, di corpo magro, dl buona valetudine . . . Us6 barba lunga e' capelli insino in sulle spalle lunght secondo il costume di quella gcnte; le vesti insino in terra lunghe e sempre di seta. « Hier erscheint er allerdings in hohem Alter, mit verwetter- ten Zügen, die durch gichtische Schmerzen, an denen er jahrelang eiden mufste, das Lächeln der Jugend, das man in Florenz erinnerte,

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Salome

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verlernt, aber immer noch gutmütig, ein Charakterkopf, dem die Herzenswärme aus den Augen leuchtet, so heldenhaft und würde- voll zugleich seine ganze Erscheinung wirkt. Und ist es nicht das selbe ledeal, das dem Maler hier noch bewufst oder unbewuist bei seinem Johannes und seinem Gottvatter vorschwebt? Jedenfalls versetzt uns der Anblick des jungen Herrn zur Seite des Hospodars in die selbe Umgebung. Seine durchüchtige Hautfabe mit rosigen Wangen dazu, seine Uondoi in die Stime gekämmten Locken, sein rötlicher Schnurbart vollends kirnen nur einem Prinzen jener öst- lichen Reiche gehören. Er blickt als Höfling erwartungsvoll nach (ieni I iirst n an der Spitze des Tisches, wie einer Antwort aus dem Munde des» Monarchen gewärtig.')

Draulsen vor der Loggi.i, zwischen den Säulen zunächst, er- scheint die junge Tochter der Herodtas, in langem schleppendem Gewände, als Bitterin ; denn sie senkt ^t demütig die Augenlider und kreuzt die Arme über die Brust, als erwarte sie in orientalischer Unterwürfigkeit die Antwort. Der verführerische Tanz mit dem sie das Gelage verherrlicht und die Sinne des Fürsten betört hatte, muss also vorüber sein. Die Bitte aber, deren Erfüllung ihr als Lohn versprochen war, lautet nun ganz anders als diese sanftmütige Maid vermuten läfst. Das grause Verlangen, das die Mutter ihr aufgetragen, ist den Uppen entflohn. Daher der Ausdruck des Mifsbehagens, des Widerwillens, des Vorwurfs und der Spannung in allen Gesichtern der Tafelrunde; daher die schwüle Stimmung bei den Begleitern, die der Tänzerin gefolgt sind. Hinter ihr steht ein junger Page mit hell- blondem Lockenhaar, der die schmausenden Herrschafken . bediente, und blickt mit etwsis schläfrigen Augen doch fragend genug auf die Wördenträger des Hofes. Verlegen wartet der Jüngling, verstimmt blickt der Zweite zu Boden, in reicherem Kostüm mit kurz gehaltenem Bart über Lippen und Kinn, nicht unähnlich dem überlieferten liild- nis des Malers Masolino, ganz vom runzelt der Aeltestc die Stirn und presst die glattrasierten Lippen mit kritischer Bedenklichkeit aufeinander, nicht ohne Sarkasmus über die Pause der Verlegenheit Sogar die Warzen auf seiner Wange sind nicht vertuscht, ein meisterhaftes Porträt im Sinne des Quattrocento, das an dieser bi - vorzn^ten Stollo wol nur einem Ca.stigliono gewidmet sein k<uin. l>ie I'arbe des pelz\ i rbr.nnlc n Rockes mit dem weiten runden Aermel, aus dessen kleiner üetfnung die Hand hervorkommt, ist völlig ver-

') ITrspn'Sn^^lu Ii war in lif^r Wand über ilie.srm Polenkopf ci:i< ( »effnung gemalt, die dann durch Erhöhung do Teppichs vcrdcckl und durch Abbiatlern der Farbe wieder skbtbMT geworden ist.

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Herodias

schwunden; aber die Hand stützt sidi auf einen kurzen Stab, der aufs Knie des ausschreitenden Beines gestellt, sicher die Würde des Hajordomus bezeichnet, die er im Palast des Herodes übernehmen muss, um hier aufzutreten. Aber die Sicherheit dieses Dastehens charakterisiert ebenso das geschlossene Wesen der Persönlichkeit, wie die höchste Vollendung der Kunst, die dem Meister erreichbar blieb.

Die Person der Salome verbindet diese Sccne links mit der anderen gegenüber. Ihre Erscheinung bestätigt wieder, wenn irgend eine, den Zusammenhang dieses Cykhis im Baptisterium mit den Deckenbildern im Chor der Collegiata, dh. die Tatsache, daf's niemand anders als Masolinus de Florentia, der dazwischen in Ungarn gewesen, sie beide gemalt hat. Seine Tochter der Herodias entspricht nämlich gerade in ihrer demütigen Gebärde und ihrem sanftmütigen Antlitz dem Hilde der Maria in der Verkündigung und der Krönung am Chort^a-wölbe, an dem der Name steht, und die Fortschritte der Durch- führung im Einzelne n /rügen nur für tortgesetzte Uebung der nämlichen Kraft in einem Jahrzelint, das dazwischen lieg^. Bei allem Zuwachs in der Wiedergabe der farbigen Aufsenseite sind doch die alten Fehler noch kenntlich, die dem Vierzigjälirigen schon 1425 anhaf- teten und bcgreitlicher Weise unverbesserlich blieben. Die Länge des aufrechten Leibes, die an sitzenden und knieenden Figuren im Kirchen- chor gerügt werden mufste, entstellt auch hier die letzte Gruppe, wo Salome niederkniet, um der tronenden Mutter das Haupt des Johan- nes zu überreichen. 1 numphierend hat sich die junge Tänzerin einen Kranz von vollen Rosen aufgesetzt, wo sie unter der 1 lof halle rechts bei Herodias erscheint. Die königliche F rau sitzt auf erhöhtem Stul unter der vordersten Arkade, umgeben von zwei mädchenhaften Dienerinnen oder Gespidinnen des Töcliterldns, und empfiUtgt auf ihren Knieen die silberne Schale mit der blutigen Gabe. Sie beugt den Kopf, den die turbanartige Haube mit der Krone darauf be- schwert, der Last des hochgetfirmten Wulstes gehorchend vornüber, wie ein Pfau, und der lange Hals, bis in den Nacken entblöist durch den Ausschnitt des prachtvollen Brokatkleides» das die Brust um- schliefst, sieht fast aus wie gebrochen« Beide Gestalten, die sitzende wie die knieende sind viel zu gestreckt, und die beiden "Mägde neben ihnen erscheinen wie zierliche Blumenelfen, denen zum Engelsantlitz nur die Flügel fehlen. Sie fehren entsetzt zur Seite bei dem grausen Anblik des abgesdilagenen Kopfes, und werfen die Arme in die Luft, wahrend in den ähnlichen Zügen der Salome nicht das leiseste Zdchen des Schauders auftaucht und Herodias selbst keine Miene v«rzidlt, indem ihr Auge die todesbleiche Stirn und die verstummten Lippen des Mahners betrachtet, vor deren Vorwurf sie einst erbleicht war-

Architektur

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In sich ungleichmäfsig und ungenügend verarbeitet, setzt sich die Scene nur aus oberflächlicher Wiederholung fertiger Bestandteile zusammen, die der ideulercn Vcr^^angenheit des Malers ebenso angehören wie seiner hetzten roalisti'-f hon Entwicklung'. Die ^^ol.liifigcn Ficfuren der Engel und Jungfrauen neben den neusten Errungenschaft« n in getreuer Imitation der Modetracht beweisen durchwetr den Zusammenhang, der nur durch die Identität der Person jenes MasoHno und seinen brsondern Lebensweg befriedigende Erklärung lindet. Die ganze druppe ist aber, mit den Gr<>rsonv(»rhaUnissen der Haupt gestalten im Widerspruch, in die erste Säidenarkade der Wandelbahn hinein gesetzt, wie in einen eigenen Bildrahmen, unbekümmert um die Zugeh()rig- keit der ubrii/on Architektur, die denn doch mit perspektivischer Konstruktion durchgetulut, grade an (hescr Seite sich schnell nach hinten zu verjüngt, und mit ihrer zusammenschwindenden Säulenreihe, mit der winzigen Arkadenfront am Ende des Hofes allzu föhlbar gegen die grofsen PortFätfiguren des Vordergrundes protestiert

IV.

W ie Crowe und Cavalcasellc über dieses Mifsverhältnis zwischen den dargestellten Personen und dem umgebenden Schauplatz gcur- teilt haben, so spricht steh auch neuerdings Cornel von Fabriczy gelegentlich über dies letzte Wandgemälde aus: ^dessen architek- tonische Staffage wo! den entschiedenen ^Vlllen zu perspektivischer Belebung, aber auch die Unfähigkeit kundgiebt, damit über das von der Schule Giottos erreichte Niveau hinauszukommen während andrerseits Diego Sant Ambrogio, in Anerkennung dieser architek- , tonischen Abbildungen, MasoHno auch für den leitenden Architekten der Renaissancebauten in Castiglione anzusehen geneigt ist-). Ich vermag keinem dieser Urteile bei/ntreten. Cavalcaselles Ansicht ist schon, wie gesagt, von A. v. Zahn mit Recht beanstandet wonlen, trifft aber, in der Modihkatiun durch Nachprüfung des Originals oder der Photographie statt des Hol^sehniues, noch immer die Sache am besten. Die Architekturperspektive, für sich betrachtet, ist auch im Jahre 1435 noch eine höchst anerkennenswerte Leistung, ebenso wie die Säulenhalle im Hause des Zacharias drüben, in der die Namen- gebung stattfindet» Beide gehen weit über das Können der letzten Ausläufer des Trecento hinaus und würden einem Paolo Uccello Ehre machen. Sie können von Masolino, wenn man die ersten An>

>) FUippo BmnelleMlii, Stutt^it 1892. 5. 50.

*) Text n CMtigfioae Olona, Maikod 1893. S. f.

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Architektur

laufe /,u architektonischer Staifage an den Gewt^lbefeldern der Colle- giata \<)n 1425 vergleicht, nur auf Grund erneuter eifriger Studien in Florenz, während der Zwischenzeit zwischen seiner Rückkehr aus Ungarn und seinem Wiederauftreten in Castiglionc d'Oloria zu Stande gebracht sein, wie auch der Stil der dargestellten Architek- turen beweist. Der wunde Punkt ist das Verhältnis der hinein- gesct/.ten Personen, die ungenügende Verarbeitung beider Faktoren zu einer einheitlichen Gesamtanschauuiig, der Mangel an ausge- glichener Bildwirkung, an dem auf di^r andern Seite auch die un- gleichmässige Behandlung der (leslaltcn unter sich schuld isi. Ware diese Schwäche Masolinos nicht auch im 1 igürlichen allein zu beül> achten, so würden wir zu der Vermutung gedrängt, dass alle diese perspektivischen Darstellungen von Renaissancearchitektur nicht Masolinos eigene Errungenschaft wären, sondern Beiträge eines Im Stil Brunellescbis und seiner Mitstrebenden genau bewanderten Genossen, womöglich eines Baumeisters selbst, dessen Aufrisse er nur al fresco ausgeführt hätte. Dann wQrden sich Ungenauigkeiten und MissgrifTe, würden sich die innem WidersprOche des Raum* gefühls erklären, die zwisdien Figurenkomposition und Bfihnenkon- struktion vorhanden sind. Damit kämen wir zur Umkehrung der Idee Sant Ambrogios, indem wir nicht dem Maler Masolino Anteil an den Bauten von Castiglione, sondern dem Renaissance- Baumeister des Kardinals Branda den perspektivischen Anteil an der Architekturmalerei in den Fresken von Castiglione beimäfsen.

Wir hätten also von diesem Architekten ungefähr das selbe zu sagen« was man von der Beihülfe Bramantes in Ramels Schule von Athen beliauptet hat, und haben in der Frühzeit des Quattrocento, wo weder die Formen des Renaissancestiles noch die perspektivische Zeichnung von Bauwerk im Aufriss so sehr Gemeingut waren» wie beim Beginn der Hochrenaissance, gewifs mehr Anrecht zu einer derartigen Unterscheidung. Aber das Beweismaterial, das zu weiterer Begründung und Nachprüfung solcher Ansicht notwendig wäre, ist zu lückenhaft auf uns gekommen. Die Uebereinstimmung des Frieses mit guirlandentragenden Putten am gemalten Palast des Merodes und an der gleichzeitig erbauten Kirche Corpus Domini reicht nicht aus; aber das reizende Skulpturwerk des Portales wird vom Maler nur skizzenhaft: gegeben, in seinem plastischen Wert nicht erfasst und ausgefälut. Sein Bild kann sogar entstanden sein, bevor das Portal der Kirche gemdfselt ward; dann aber hatte er wol sicher einen Architekturprospekt des befreundeten Baumeisters oder Bildners als Vorlage für sein Fresko in Händen. Als wichtigstes Mittelglied fehlt uns die Palastarchitektur im Stil der Frührenaissance, die z. B. an

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ARCHrrsKTUR

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der Wohnung des Kardinals entwickelt war. Die Fafsade hat noch die spitzbogigen Terrakottafenster des Ucbergangs, gegen dcB Platz zu war im ersten Stock eine offene Laube mit kurzen Pfeilern und Säulen unter gradem Gebälk vorhanden, die jetzt geschlossen ist; aber die po^che Beschreibung des Plantanida redet von einer »spicula alta< mit gemalten Heldengestalten, und geht aus in »aurata atria longa per hortos« und ähnliche Vermittclungon zwischon der iesten Wohnung und den Lustgärten, ja dem Hain, der freien Natur. Wie weit war also in Castiglione selbst auch dem Maler ein V<H'bild gegeben, oder wie weit müssen wir den Anreiz zu solchen Prospekten in den Schöpfungen anderer Künstler suchen, die er bei seiner Rück- kehr in Florenz vorfand ? etwa jenes Bild mit der Verkündigung in einer Säulenhalle, das Vasari dem Masaccio zuschreibt in S. Nicco]6 oltr' Arno, oder eine Kapelle in S. M. Maggiore, die Paolo Uccello per- spektivisch umgedichtet hatte, dem auch ein Teil des Altarwerks, das Masaccio sonst g-eliofcrt, gehören sollte beides verlorene Stücke aus der fortschreitenden Entwicklung dieser Zeit.

Also lassen wir solche These vorläufig dahingestellt und fragen das Vorhandene im Baptisterium zu Castiglione, was es uns lehren kann. Schon der Turm hinter dem Kerker m der Enthauptung des Täufers ist ein erstaunlicher Anblick bei einem Maler, an dessen Raumgefühl zu zweifeln wir sonst alle Ursache haben. Mit der nachlässigen Routine, die hier bei Verwendung aller gewohnten Re- quisiten religiöser Wandmalerei bemerkt wird, während die Genre- motive und die Porträtfiguren mit entschiedenem Realismus behan- delt sind, hänjjft ein andres Verhalten des Künstlers zusammen, das sonst ein unerklärter Widerspruch bliebe. Das ist die Sorglosigkeit gegenüber dem Aufbau des gegebenen Innenranmes, den er mit einem Cyklus von Wandmalereien zu schmücken hat. Masolino zieht lustig forter/ählend seine Geschichten ringsum auf den vorhandenen Flächen hin, ohne sich um die einheitliche (iliederung seiner Innen- dekoration und die klar gesonderte Einrahmung der einzelnen Bilder irgendwie /u kümmern. Eine Fensterüifnung veranlasst ihn aller- dings das Wandfeld /u teilen; aber er scheut keinen Augenblick davor zurück, die Reihe der Personen um die Fcnsterschrä^e herum fortzusetzen. Kr trennt die oberen Scenen einer Wandtlacho nicht durch ein geniallcs Gei>ims, wie alle ern.stcn Meister des (Juattro- ccnto, oder wenigstens durch flache Ornamentstreifen wie die Ver- treter der Trecentokunst. Wie su tiaulig in den Anfängen einer

*) Vgl. Vanri Opere II, im Leben des Masaccio uiul Paolo Uccello, sowie Fr. Albertiai Menorie.

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Raumgefühl

auf Wahrheit erpichten Neubelebiing, verwechselt er sie mit der Wirklichkeit des Alltags und wahnt, die Natur der Dinge um so unmittelbarer zu fassen, je regelloser er die erhaschten Bruchstücke wieiler auftischt. Und gerade dieser, architektonisch so dürftig ge- gliederte Innenraum des Baptisteriums in Castiglione forderte die Hülfe einer gemalten Architektur fühlbar genug heraus. Aber Ma- solino ist gegen derartige Wahrnehmung offenbar ebenso stuinpt wie Fra I'^ilippo im Chor dos Domes /u Prato. Johannes als Knabe in der Wüste, seine Predigt und sein Hinweis »luf Christus gehen alle auf einem und demselben felsigen Grunde vor sich, wie zwischen den zufälligen Vorsprüngen eines Steinbruches. Und die Taufie im Jordan geschi^t ebenso über der Loggia des Herodes» als ob der Strom sich ohne Gefiihr für das angränzende, an sich schon haltlose Bauwerk herunter crgöfse von dem schrägansteigenden Hochplateau, welches seinerseits die Tiefenanscbauung des Malers auf einem so unentwickelten Standpunkt zeigte, dass wir die Architektur- prospekte haben und drüben in der nämlichen Kapelle ohne fremde Hülfe kaum begreiflich fanden.

In dem letzten grossen Wandgemälde mit der Rache der He- rodias stiefscn wir bei aller Anerkennung für die Vorzüge doch auf die selbe Schwäche des Raumgefühls. Die Konstruktion des dar- gestellten Schauplatzes ist einheitlich aus einem Augenpunkt ent* worfen, wenn auch nicht überall genau ohne Verschiebung während des Malens bewahrt Das Centrum liegt nicht ungeschickt fOi den Prospekt allein in ein Drittel der Gesamthöhe des Mittellotes, in dem ersten Kapitell der querlaufenden Arkaden, das hinter dem Hut des vordersten Zuschauers hervorsiebt Da dieser Prospekt aber die volle Höhe der zweigescholsigen Baulidikeiten und die ganze Länge des Palasthofes in der Mittelaxe zu umfassen trachtet» ent- steht aus der regelrechten Konstruktion eine Bühne, die filr Figuren von zwetdrittel Lebensgröfse hn Vordergrund zu empfindlichen Wider- sprüchen fiUiren mu(s, sowol mit den schnell zusammenfliehenden Hofizontallinien wie mit den vertikalen Höhenmalsen in der Archi- tektur. Dieser Kontrast des Figürlichen mit dem Architektonischen wird besonders anstöfsig aufgedeckt, da zwei Gruppen finks und rechts in die Gebäude gebracht werden, deren eine jedoch ihre Statistenreihe bis an die Mitte des vorderen Planes hineinstreckt, so dass das volle Normalmafs der Gestalten unmittelbar mit der stärksten Verjüngung der Architektur zusammentrifft, ohne dass die Luftperspektive den räumlichen Abstand zwischen vom und hinten mildernd ausfüllt Je lebendiger diese Zuschauer hinter Salome sich geltend machen, je überzeugender ihre bildnismäisige Wirklichkeit

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Raumgefühl

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erreidit ist, desto emplindOdier klafit die Lücke daneben, föllt die andere Gruppe, in niedriger Arkade eingescJilossen, aus dem Zu- sammenhang der Raumanschauung heraus. So lühlt der Beschauer die Aneinanderschiebung zweier Bilder, deren mittlere Granzscheide nur willkfirll^ unterdrückt oder inisverständlich abhanden gekommen scheint, und dieser Zwittereindruck befadlt die Oberhand, so oft das Auge von Einzeldarstellungen solcher Art ringsum zu dem Scblufs- bilde zurückkehrt, in dem sich Masolino zu einer höchsten Leistung zusammenfasst

Neben solchen Auftritten in mehr oder weniger geschlossenem Innenraum nehmen sich diejenigen in landschaftlicher Freiheit schon im Verhältnis der Figuren abweichend aus, und noch stärker ist der Gegensatz bei den Kinzelfiguren, bei denen dio TJmgcbung nur teil- weise mitgegeben ist oder ziemlich neutral der Gestalt nur als Folie dient, wie beim Türschliefscr und Srhwertfcgcr. Vergleicht man diese plastisch selbständigen (Tenreriguren am Ende des Cyklus mit der Anfangsscene der Verkündigung an Zacharias im Tempel, die der Enthauptung grade gegenübersteht, so mufs der ganze Abstand klar werden, der sich mit allmählicher Abstumpfung gegen die ge- gebene KaumgTofse und fulilbarem Zuwachs an F"reiheit des Malers herausstellt. Dazwischen fällt überall das vSchwankcn zwischen diesen beiden Polen ins Auge und giebt auch eine Erklärung luv du- Ilaupt- schwäche des Salonu Itildes, das uns bei einem Vergleich der beiden Breitbildcr der Cappella lirancacci, der 1 Icilung des Lahmen mit der Erweckung Tabithas auf der einen und der Geschichte vom Stater auf der andern Seite noch einmal beschäftigen wird.

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Masolino

So erweist sich Masolino in der Taufkapelle zu Castiglione d'Olona vom Jahre 1435, wo er mittlerweile sein fünfzigstes Lebens- jahr fiberschritten hat, doch als einen Meister des Übergangs, in dessen Kunst weise die Elemente des Neuen, die er sich in wieder- holten Anläufen zu erwerben strebt, mit den versdiwimnienden Resten des Erbgutes nicht zu voller Ausgleichung gekommen, ge» schweige denn ganz fertig geworden sind. Die mannichfaltigen An- regungen, die ihn ergrdfen und bestimmen, vermag er nicht zu haltbarer Abklärung zu bringen. Auch ihn dürstet nach Wahrheit, er berauscht sich an dem Most des neuen Jahrhunderts; aber er füllt den jungen Wein auf den schal Lfc\vordcncn alten, füllt sogar mit rührendem Eifer von Jahr zu Jahr den Ertrajr seiner kleinen Kelter nach und bringt so den Vorrat immer wieder in (laruiig. Sein ganzes Benehmen in dem Rahmen werk des Chorgew« .Ihf^*^ be- kundet ja schon 1435. dass der architektonische Sinn ihm eigentiich fehlt, obgleich er in architektonischer Staifage dilettiert. So bewähn er auch in der l aufkapelle zehn Jahre später nirgends eine einheit- liche Raum Vorstellung innerhalb eines gegebenen oder fest gewählten Maisitabes und macht bei dem Überblick über den ganzen ( \kliis den Eindruck des Unordentliehen, Zerfahrenen, Unklaren wie Ira Filil)]jo, der in dieser Beziehung mehr Verwandtschaft mit Masolino besitzt als mit irgend einem andern seiner Vorgänger und Zeit- genossen. Imlelsen fehlt Masolino aufser dem Rückgrat der Raum- kunst auch sonst Folgerichtigkeit des Denkens und Gleichm äfsigkeit der Verarbeitung. Der Aufbau seiner Crruppen entbehrt des gesetz- mäfsigen Gefüges, die Ausbreitung seiner Bilder des organischen Zusammenhangs. Wie die Scenen werden auch die Figuren beliebig aneinandergereiht, besonders da, wo die Lust am Bildnis bestimmter Personen aus seiner Umgebung den überkommenen BilderschaU überwuchert. Die Wirklichkeit des Lebens zu erhaschen greift er seiner leichten, aber oberflächlichen Begabung gemäls, nach auf- fallenden Einzelheiten statt an den Kern des Wesens. Mit solcher Hingabe an den Augenschein verliert er aber den Halt, den die Schulung am Ende des Trecento überhaupt noch hinterlafsen, und besitzt doch nicht die Kraft und die Tiefe der Auffassung, um stdi selber zu voller Herrschaft durchzuringen. Hier reiht er also Por^ trätfiguren an die biblischen Typen, dort Genremotive an die bei-

Masolino

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ligen Mysterien iind verlotkt das Auge des Beschauers von der Andacht im kirchlichen Anschauungskrcise zu der profanen Wirk- lichkeitsfreude, die auch ihn verführte, stört die Krs( heinung der (fottheit selbst in ihrem Tempel durch burleske Aklfiguren, verliert die Hauptperson der Er/.ihlung darüber aus dem Sinn und unterhalt uns mit stämmigen Kriegsknec.hten statt mit dem ALmyrer. Gewifj^ folgt er als Jvuid seiner Zeit darin dem stärker und stärker werden- den Strome, aber eben mit fortgerissen von dem schnellen Fort- schritt Anderer und deshalb nicht Herr dieser Fortschritte selber als eigner Errungenschaften. So hinto'lfliat sein Freskenschmuck im Baptistarium von Castiglione, me viel des Anzi^enden, Über- raschenden, Wertvollen im Einzelnen er auch enthalte, doch keinen harmonischen Eindruck, weder eine kOnstlerisch mächtige Vorstellung der biblischen Greschichte oder der PersönlicMceiten seiner Tage, noch dne lebendige Empfindung von dem selbständigen Wesen des Künstlers.

GewiTs trägt auch der heutige Zustand der Malerelen seinen Teil der Schuld an solchem Ergebnis. Indefs entgeht dem kritischen Betrachter keineswegs, dass an der gegenwärtigen Entstellung nicht Ortliche Einflasse und willkfirliche Eingriffe im Lauf der Zeit allein gearbeitet haben, sondern dass die Ursache wesentlich mit in der ur^rünglidien Ungleichmärsigkeit, im Verfahren des Malers selbst gesucht werden muTa Genauere Prfliung entdeckt einen solchen Wechsel zwischen flachtiger Schnellfertigkeit und sorgsamer Einzelarbeit, dass diese technisdien Metamorphosen den Urheber schon sehr bezeichnend charakterisieren, bevor noch die künstlerische Auflassung der vorgeschriebenen Gegenstände seiner Darstellung im Sinne poetischer oder malerischer Phantasie initzusprechen beginnt. Es sind die IKnge, in denen man Nachweise der Schulung und Be- weise der Selbsterziehung zunächst zu suchen hat Oft kommt dem Foncher die jetzige Zerstörung der Oberfläche, die Blofslegung der nntem Sdiichten dabei zu Statten, indem sie Vorgänge zu verfcdgen erlaubt, die von deckenden FarbhüUen dem Auge sonst entzogen werden.

Nadi den besterhaltenen Überresten heben Crowe und Caval- casdle hervor, dass ein lichte rosiger Ton durchweg überwogen hat »Die für Köpfe bestimmten Stellen sind zuvor glatt poliert gewesen, die Schatten mit einem dQnnen grünlichen Grau aufge- tragen, mit flüfsigen Lasuren übergangen und dann durch sorgfäl- tiges Auftupfen, wobei die Bewegung der Bogeidinie angestrebt wird, mit den rosig gelben Lichtpartiecn verbunden. Für die h<^chsten lichter sind pastose Retouchen zu Hilfe genommen. Das ganze

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Masolino

Verfahren fihnelt der Kolorierung von Miniaturen auf Pergament, wobei die Fläche des Stoffes sdbst ftkr die belichteten Teile dient und die plastische Wtrlcung nur dadurch hervorgebracht ist, daas die transparenten Sc^tten durch den weilaen Untergrund Brillanz bekommen.«

Es ist also von keiner reinen Freskotechnik die Rede. Innige erhalten gebliebene grüne und rote Stacke sind offenbar in Waaser- &rbe aufgetragen, wie z. R der grflne Mantel des Propheten Jesajas erkennen IftTst, in dem aus dem weilsen Grund die lichter ausge- spart sind und das Grün auch in den Schatten nur dünn blobt; ahnHch sind an andern Figuren die gelben Stoffe behandelt und schillernde Gewebe mit roten Schatten und grünen Lichtem. Dieses Verfehren, das mit dem Fra Angelicos genau fibereinstimmt und die grolse Zahl seiner Malerden erkl&rt, in denen er darüber nidit hinausgeht^ gewflhrf den Vorteil der Geschwindigkeit, läÜBt aber durch den Mangel wirksamer Farbenkontraste und raumadiaffenden Helldunkels alle Sorg&lt der Zeichnung, alles Studium der Form nicht voll zur Geltung kommen. In dieser Gesamthaltung sehen die Reste der Deckenmalereien im Chor der CoUegiata durchaus denen des Baptisteriums gleich. Zugegen kommt in den Geschichten des Täufers besonders ein anderes Bemühen hinzu, das unmittelbar neben den schoellfertigen Teilen emsigste Sorgrfcilt in der Durchführung von Einzelheiten zur Schau stellt. Gewifse für die Fr^kotechnik schwer oder gamicht verwertbare Farben sind durch dunkle Grun- dierun^ vorbereitet, so das Gold der Heiligenscheine, der Purpur oder Scharlach fürstlicher Kleider, sogar das Grün der Pflanzen. Dadurch entsteht abermals Ähnlichkeit mit impastierten Teilen kost- barer ATinraturen, Dazu kommt dann noch die umständlichere Nach- ahmung mehrfarbiger Gewebe, des (roldbrokates der Stickerei obor- italienischer Ricamatoren, wie im An/\ic^ der lierodias, des Ober- gespans oder am Wandle} pich, der in der Loggia beim Gastmal auf gelbem Grunde aufgesetzt Ist. Hier spielt der Wetteifer mit Gentile da Fabriano hinein, der auf seiner Anbetimg der Könige von 1423 in Florenz die Prachtgewänder der morgenlaiKli^( hen Fürsten auf Goldgrund gemalt und mit Frcilcgung des Metaiiglanzes den erstaunlichen Schimmer erreicht hatte, den alle Kleinarbeiter als Ziel ihres Wetteifers beneideten. Solche Bravourstücke im Gold- .schmiedegeschmack kontrastieren dann seltsam mit der nachlassij-i^n Aulniulung al secco, die nicht allein bei nachträglichen Zutaten vi»r- kommt, sondern z. B. bei ganzen Gewändern oder bei AbgT<iuzung und Ausfchmückung der landschaftlichen Gründe. So treten auch die Deckfarben der Kleider, die schwerfällige Ausstaffining mit

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Masouno

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Futter und Pelzbesatz neben den zart behandelten Flcischpartieen zu stark hervor und beeinträchtigen die fein ausgeführten Köpfe, ohne bei all ihrer Fflile grofsartig zu erscheinen. Genug, das ver- schiedenartige technische Verfahren bringt schon an sich oft den Emdruck hervor, dass hier dn Kopf zu seinem Rumpfe nicht stimmen will» oder dass individuelle Persönlichkeiten mit aller Erdenschwere neben luftigen leiditen Gestalten wohnen, die wir als Gäste über- irdischer Regionen begrüfsen oder nur unter sich als Erscheinungen poetischer Phantasie vertragen. Die Vereinigung so widerstrebender Bestandtdle lässt weder den Glauben an das Märchen noch den an die Wirklichkeit aufkommen, und aller Fleifs der Einzelnacfa- ahmung ist für die Wirkung des Ganzen umsonst und fällt heute vollends als Stückwerk wieder auseinander.

Und dürfen wir dem Maler bei semen technischen Künsten auf die Finger sehen, so verraten diese wechselnden Manipulationen, durch die Stelle wo sie auftreten, dass der Meisler bei seiner idealen Aufgabe selber nicht warm geworden, bis auf einzelne Stücke. Deshalb stehen seine Zuhörer dem Gottesmann bei der Bufspredigt ziemlich tetlnamlos g^enftber, und die Wirkung des Propheten wird nirgends überzeugend. Deshalb meidet Masolino die Wahl des ent- sdieidenden Momentes, wo es galt die Handlung dramatisch zuzu- spitzen. Kein tragischer Widerspruch ergreift uns in der Mahnung des Asketen vor dem sündigen P'ürstenpaar ; keine Leidenschaft stöfst den Unerschrockenen in die Nacht des Kerkers; kein Besuch der Jünger führt uns das Loos des Dulders eindringlicher zu Gemüte. Statt des Hauptmomentes wird der nächste daneben gegriffen und statt fies Ereignifses oder der Tat die ruhige Situation oder ein Genremotiv der Gelegenheit g-egeben. Es schneidet in das Innerste dieser Künstlcrpcrsönlichkcit, wenn gesagt werden miifs: er sucht den äufseren Sinnenschein der Dingo, aber nicht ihr Wesen -zu packen, er zeigt den Henkf r nicht im Zuschlagen oder auch nur im Ausholen, sondern nach ge.schehenem^ Hieb beim Putzen der Klinge. Welcher drastischen Wirkung wären in andrer Hand die beiden Scenen fiihig gewes(m, die das letzte Wandbild vereinigt: sei es der berückende I anz der Schonen, sei es das Entsetzen über den grau- sigen Preis. Masolino schildert das Zuständliche mit Liebe, den mannichfaltigen Reflex. Das schflchtern(^ Mägdlein bleibt hier das unschuldige Werkzeug der rachedurstigen Mutter, das ahnungslos seine Bitte sagt; aber was geht in diesem Kopf unter dem Rosen- kranz vor, da sie das abgeschlagene Haupt in den Händen hält? Die erschrockenen Ehrenftftulein erscheinen wie zimperliche Gans-

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Masolino

eben neben der dämonischen Gauklerin, die mit lädielnder Virtuosität den SchluTseiFekt ihrer Rolle zu halten weife.

Weder in seelischer Tiefe noch in dramatischer Aktion jedoch darf die Begabung dieses Meisters gesucht werden, das merkt sich bald auch ohne solche Erwägung. Durchgehends fehlt der elektrische Strom, der aus dem lebenden Bild, das er zu stellen versucht, erst ein Bild des Lebens mach^ das uns gefangen nimmt. Und trotzdem hat er in dem rosigen Schimmer des Tons« in der IfebenswOidigeD Hingabe an Dinge^ die aein Auge entzücken, selbst in der Ober* flächlichkeit seiner Natur manchen erjfreultchen Zug zu bieten, dass wir auf Augenblicke die innere Unhaltbarkeit seines bunten Gewebes aus Wirklichkeitskonterfei und Legendendichtung vergessen.

Anders frcihch mufs das Urteil ausfallen, wenn nach seiner histo- rischen Stellung im Gange der toskanischen Kunst gefragt wird. Dies Urteil kann sich erst im Vergleich mit seinen tonangebenden Zeit- genossen ergeben.

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^1 DIE WANDGEMÄLDE IM CHOR DER KOLLEGIATKIRCHE

Unser Urteil über Masolinos Leistungen im Baptisterium, die wir nach dem vorhandenen Datum um 1435 (Eitstanden glauben, erhält eine Ergänzung und Bestätigung durch den Vergloicli mit den Wandgemälden im Chor der Collegiata, die den Gewölbebildern Masolinos von fremder Hand hinzugefügt wurden.

Wie (lio Kirche, laut Inschrift am Hauptportal, der Madonna und den beiden Mart\ rn Laurentius und Stephanus geweiht war, so schliessen sich im Chor an die Deckengemälde mit der Verherr- lichung Marias nun die Geschirhten der beiden Titelheili^'^en auf den Wänden an. Aus dieser engtMi /usammeu^rh« »riLfkeit /u eincmi ein- heitlichen Plane, der um so mehr it Anbeginn des Neubaues be- absichtigt sein mochte, als die Kollt oiaikin he aus der Vereinigung mehrerer Heiligtümer mit der altt n Pfarrkirche San Lorenzo zu Stande kam, hat man das Recht hergeleitet, die Kntstehunvr der Wandgemälde mit den Legenden des ursprünglichen Patrons und des Protomartyrs m<')glichst uimiittelbar nach j<men Deckenbildern anzusetzen, die wir um 14JS datieren. Den chronologischen Anhalts- punkten, die wir besitzen, gtMTiäss ergäben sich zwei verschiedene Termine, Der Erste würde. w<miii man von Masolinos Abreise nach Ungarn ausgeht, den lod Pi})po Spanos im December und den

Katasterbericht von Masolinos Vater z. J. 1427 berücksichtigt, in die Zeit seiner sichern Abwesenheit fallen, also noch vor dem Ab- sdllussdatum 1428 am Portalrelief der Kirche. Dafür spräche der Umstand, dass Masolino. nochmals in Castiglione d*01ona beschäftigt, im Jahre 1435 das Baptisterium ausmalt und nicht erst die Fort- Scbnariow, MMaoeio. 6

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Entstehungszeit

Setzung dos bf'Cfonnenen Cyklus im Chor der Kirche übernimmt. Man meint nämlich, dass doch diese Fortsetzung zunächst wicht? jrer gewesen sei. und dass der Begiim einer anderen Arbeit deshalb Zeugnis für die frühere Vollendung dieses Cyklus angesehen werden dürfe. Indes weder die Voraussetzung noch der Schluss daraus sind zwingend und sicher. Schon in KOcksidit auf den regelmässigen Cbordienst, der schon 1423 dringend ersehnt ward, mochte man sich Jahre lang mit dem Schmuck der Wölbung begnügen, und dem Kardinallegaten, der so viel mit dem Marienkultus jenseits der Alpen in seiner Innif^keit und Tiefe verkehrt hatte» mochte als Stifter ganz besonders um die Erhöhung dieses Ideales zu tun sein, selbst auf Kosten der älteren Patrone des Ortes. Und das Baptisterium andrerseits ward, wie gesagt, in so einfachen architektonischen Formen, eigentltch nur als Bedürfnisbau aufgeführt, dass es viel not- wendigfer den Schmuck der Schwesterkunst forderte. War einmal, nicht ohne Anhänglichkeit an die ahe kirchliche Grewohnheit, die Selbständigkeit der Tauf kapelle beschlossen, so musste um ihre voll- ständige Fertigstellung für den Bedarf der Gemdnde am ehesten gesorgt werden. Die Wahl eines schlichten Ziegelbaues und die Hilfe der Malerei gehen Hand in Hand.

Es ergäbe sich also aus diesen Erwägung^en all^n kein hin- reichender Grund, die Ausführung der Wandmalereien im Chor der Kirdie vor 1428 anzusetzen, oder auch dem Freskenschmuck des Baptisteriums von 1435 voraufgehen zu lassen. Aber der Spielraum für diesen ersten der möglichen Termine bleibt immer von 1426 bis 1434 offen, freilich soweit nicht andrerseits die Daten aus dem Leben des Aufh-aggebers sich dagegen stellen. Wir dürfen nicht vergessen, dass er t)esonders durch das Koncil zu Basel, von 1431 bis 1434 dauernd seiner Heimat entrückt war, dass er vor dieser Zeit, besonders bis zum Tode Martins V. vor allen Dingen der Kurie in Rom gehörte, während unter dem X.i< hfolger Eugen XW ein unruhiges Leben begann, das während der Koncile zu Ferrara und Florenz dem Vielerfahrenen wenig Mufse Hess.

So drängen diese Schicksale des Kardinals Branda viel mehr zu dem zweiten Termin, der von Masolinos zweiter Anwesenheit in Castiglione, also frühestens von 1435 ab, bis spätestens zum Tode des Kardinals im Frühjahr 1443 reichen würde, es sei denn, dass die Vollendung des Freskeneyklus im Chor seiner Kirche, wie es häufiger vorkam, erst im Auftrag seines Testaments geschehen wäre. Für die Datierung nach 1435 fällt dann entscheidend ins Gewicht, dass eben nicht Masolino den Cyklus fortgesetzt hat. Und wenn wir nicht annehmen, dass der Maier damals gestorben sei, so wird

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ENTSTEttUNfiSZEIT

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auch die WahrscheinlTchkeit eines Zwischenraumes zwischen der Vollen lIuu)^- des Jkiptisteriums durt h seine und der Wiederaufnahme des ( horschmuekes durch andre Hand j^msser. Die Aiuiahme einer Mjlchen Zwisrhenzeii ergiebt sich ebenso im \ ertolg der Urkunden über die Bautätigkeit des Kardinals und seine Stiftnntren in Casti- glione d'Olnna. Er hat, wie früher berichtet ward, nach der Tauf- kapelle zunächst das Kirchlein Corpus Domini, im Angesicht seiner Wohnung erbaut und ausgestattet, dann für das Scliulhaus Sorge getragen. Zu Anfang December 1442 errichtete er, nachdem er sich im Oktober in Rücksicht auf sein Alter vollständig nach Casiiglione zurückj^ezogen, das Amt eines Praefekten für die Erhaltung seiner Schöpfungen. Das war also ein Schritt abschliessender Sicherung för sein Lebenswerk; über das (irrab binausblickend mochte er sich sagen, dass die Erben entweder nicht gesinnt oder nicht bemittelt seien, die frommen Stiftungen und nützlichen Anstalten zu pflegen, wie er aus den Zuflössen kirchlicher Pfründen und Legationen sie gegründet.

An dem kleinen, abseits vom grossen Verkehr gelegenen Orte am Fuss der Alpen, war ausserdem gewiss immer die Villegiatur, die der Kardinal sich hier am Stammsitz seiner Väter im Kreise der Angehörigen gönnte, die willkommenste, vielleicht die einzig passende Gelegenheit, auch Künstler herzuführen und in seinem Haushalt mit zu verpflegen. Je mehr persönliche Liebhaberei des Kirchenftirsten im Spiele war, desto mehr wird er verlangt haben, gerade die Aus- führung von Malereien selber mit zu erleben, und ein gut Teil der Schnellfertigkeit mag sich aus dieser kurz bemessenen Frist erklaren, wenn nicht auch Ungeduld im Temperament dieses Mäcens lag wie bei Julius II. Jemehr die Schwäche des Alters dem vielgereisten Herrn das Waidwerk und sonstige Kurzweil junkerlichen landlebens versagte, desto mehr mussten Gespräche im Lustgärtchen seines Pälastes oder literarische Beschäftigung drinnen Ersatz schaffen. So liess er malen und meisseln, um die Arbeit im Entstehen zu geniessen wie ihren Fortschritt zu überwachen, mit lebhaftem Anteil Alles durchzusprechen und seine Tage mit Inhalt zu füllen* Kurz vor seinem Ende kam sogar Cyriacus von Ancona zu ihm nach Casti- glione und fand ihn schwach und kränkelnd, nicht mehr aufgelegt wie sonst zu geistiger Unterhaltung.

Die Entscheidung, weh lier von beiden Terminen für die Wand- gemälde im Chor der CoUegiata fiestzuhalten sei, muss wieder dem kunstgeschichtlichen Dokumente selber anheim gestellt werden« d. h. der stilkritischen Untersuchung der vorhandenen Malereien. Eine solche Prüfung ist allerdings bei dem arg zerstörten Zustand schwer.

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GränzsCheidung

Die Fresken waren lange schon wcg-en Schadhaftigkeit ühertüncht. als sie in unsoren Tagen, zu Aufani,^ dor vierziger jähre, durch un- vorsichligtiges Abkratzen wol oder übel wieder /um Vorschein kamen. Bei der Enge des Raumes, die durch t inen unform hohen Hochalter mit breitem Baldachin noch verschlimmert wird, kann auch die Photographie nur unter ungünstigen Bedingungen zu Hilfe kommen; wo immer sie regelrecht arbeiten konnte, verdanken wir , der Gamm eine so klare Zusammen&ssung der Reste, wie das Auj^ | sie nicht erreicht').

Schon über dem (vergr '»sfiorten) Rundfenster in der Schluss- wand des Chorhauptes ist die Darstellung der Dreieinigkeit in » Halbfiguren ein Zeugnis für den durchgreifenden Unterschied der Kunstweise, die hier mit der Fortsetzung des von Masolino begon- nenen Freskenschmuckes betraut ward. Ob^^l<'ich Gottvater und der gekreuzigte Gottessohn noch dem älteren gotischen T3rpus verwandt sind, ist doch die realistische Sinnesart ihres Malers unverkennbar. | und dw Cherubim, die sie umgeben, erscheinen gar derb wie Bauern- jungen, besonders die in der Fensterschräge trotz ihren /. T. st-rünen Flügeln auf rotem Grunde Unterhalb dieses Fensters standen \ iel- | leicht /.u b(Mden Seit(Mi die Einzelfiguren der Titelheiligen Stephanu> und Laurentius, deren Lej^jceiule auf den Linstossenden Wänden erzählt wird. Nur in der Leibung- des Einy-angboirens, also an der äusserster Gränzc cler Chorkapelle, haben nocli andere Heilige, von denen An- tonius Abbas und ein Bisehof (Ambrosius?) erkennbar geblieben, bescheidener Platz gefunden. ^

Der Nachfolger Masolinos. der diese Dreieinigkeit gemalt hat. i beweist gerade hier, in der Beh.indlung des Hochheiligen, wie wenig er mit dem Urheber der Krönung Marias am üewölbefeld darüber geniein hat*). Er unterscheidet sich von ihm wie Fra Filippo \on Fra Angelico, oder wie Donatello \ on Ghiberti; eine entscheidende Wandlung der Kunst selieint sie /u trennen.

Das Erste, was Masolinos Nachfolger im Chor unterniunnt.ist sodann die architektonische Einteilung des gegebenen g<jtischen Raumes, ja bis zur Umdichtung im Sinne der Renaissance. Wo die Rippenwulste des Gewölbes aus der Mauer hervortreten, setzt er gemalte Pfeiler-

Die bewährt*- Sorgfalt dr?s Pbntr.f^r.iphcn e', Racmei-ter hat wenigsten«; ein*" Heihe von dankenswerten Aufnahmen zu Stande gebracht, die gleichzeitig im Verlage von Th. G. Fisher in Cassel erscheinen.

*) Bei der Konluilon der Ncüsen von Crowe und Cawlcttelle bedarf es kein« Hinweises «nf die filsdie Gttnzt dieidtti^.

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STEPHAXSl^riENPE

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kapitellc darunter» mit Voluten an den Ecken unrl klassischem Blatt- werk ; als Träger giebt er ihnen, statt der schlanken Dienste, breite kannellierte PUaster, so dass je ein Paar mit dem Schildbogen darüber die g'anze Wand umrahmt. Von einem Kapitellansatz zum andern zieht er einen Simsstreifen, der das rechteckige Feld unten von dem Bogent'eld darüber trennt. Nur die beiden schmalen Fenster der schräg- stehenden Chorwände springen mit ihren Spitzbogen störend in diese Horizontalgliederung ein.

Die Neiguntf, dem neuen Architekturstil in der Malerei dieses Innenraumes Geltung zu verst haffcn. ist bei dem neuen Meister so gjoss, dass in den ersten Bogenfelriern gU irhs.un im Gegensatz zum go- tischen Gewölbe überall klassische liauformen vorgi^führt werden, seien es wie in der I laupttcilung kanellierte Pfeiler mit Rundbogen i>der Säulen, oder gar eine romanische Kirchcnfassade.

Die erste Scene aus der Stephaiislog(»n{le geht in cnner Tenipel- halle vor sich, die durch vier kanellierte Pfeiler mit Rundbogen darüber in drei Schiffen sich öffnet, als befänden wir uns etwa wie auf Rafaels Teppichbild mit der Heilung des I -ahmen. <in der Pforte, die da heisst die schöne , unter dem offenen X'urbau einer Basilika, wie ein Gesinnungsgenosse des Michelozzo sie wimschen mochte. Sie ist in etwas trockener l^auberkeit mit wenig ausladen- den Basen und Köpfen in rosa-grauem Sandstein gebaut und ge- währt links zwei sitzenden Weibern freien Einblick in den Vorgang^ der sich lirinnen vollzieht, während rechts hinter einem Rautengitter der Anblick in die Land.schaft frei wird.

Im Krei.se der Apostel, die ihn (licht gedrängt umstehen, er- scheint unter dem Miit(^ll)o^en knieend der junge Stephanus, wie er das Diakonengewand empfangen soll, und wendet sich nun mit ge- talteien Händen ganz im Profil nach links, der majestätischen Gestalt des Apostelfürsten zu, der hoch aufgerichtet, neben dem ersten Pfeiler, links, mit ernster M.dinung /u ilmi redet, wahrend der andre, *m bischöflichen Chormaniel (akso wol Petrus), ihm das Abzeichen seines Amtes anlegt. Die ganze Versammlung ist bis auf die Um- risse der Köpfe mit ihren Heiligenscheinen und Ueberresten der Ubliscben Gewandung verloschen, aber noch die Schatten lassen eine gewisse feierKclie Grossartigkeit erraten, die von Donatellos

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Stephanslegende

Auü&ssung der Gottcsmänner bestimmt scheint, in Einzelheiten an Nanni d' Antonio di Banco, besonders die vier Heiligen in einer Nische an Orsanmichele erinnert.

Wol erkennbar bis auf das Antlitz ist der Redner, der schon zweifellos Masaccios mächtigste Gestalt in der Cappella Brancacci voraussetzt, wenn er in der fliessenden Faltengebung auch nicht die Breite und Einfachheit dieses grossen Malers erreicht. Hier hindert überhaupt die seltsame Verstellung mit Architektur. Verwertbar für ein Urteil über die Zeichnunj? der Gesichter sind fast nur die beiden Frauen, die, mit weichen Linnentüchern über dem Kopf, an- dächtig lauschen. Die Vordere hat den Ellbogen auf das Knie ^o- stützt und lehnt die Wange gegen die Innenfläche der Hand, während die Linke lässig auf dem andern Knie ruht. .Sie bezeugen in Blick und Haltung eine ganz andre Koncentration als sie Masolino auch 1435 noch gelungen war, ohne aus ihrer Nebenrolle heraus/riitreten.

Den nämlichen Blick, etwas seitwärts gewendet, richtet der junge Diakon aut seine Hörer, wie er als begeisterter Bekenner sein«'s Glaubens in i1( r Synagoge lehrt. Er steht in einer perspektivisch korrekten, wenn auch etwas niedrigen Tempelhalle, die uns in Unten- sicht gezeigt wird, auf einer Kanzel gerade über dem einsjiriiigen- deii Spitzbogen des Fensters im nächsten Bogenfeld inmitten einer links und n'elits sitzenden Vcrsaninihmg^ Und das Zusammen- wirken des Ausdrucks ist auch hier, dem naiven Ton der Legende gemäi>s, wol getroffen.

Darauf folgt, in der untern Reihe dieser Hälfte, der weitere Verlauf Merkwürdiger Weise ist jedoch die Verteilung der Scenen nicht mehr im Anschluss an die architektonische Gliederung ert<)lgt, sondern, weil (li(^ llaujUscene, das Martyrium des Heiligen, &onst durch das Fenster allzusehr beeinträchtigt wäre, ein Drittel der ersten Wandflachi' der Schilderung dieses Vorganges eingeraun r. der sogar auf der andern Seite noch die Fensterschräge in Anspruch nimmt, also unbekümmert um die Mauerecken und über den gemalten Pfeiler sich hinzieht.

Das er.ste Bild, rechts vom Eintretenden, zeigt die Disputation (los Diakons mit den nohepriestern und Schriftgelehrten, doch ist der Auftritt hier zur Verdeutlichung der verhängnisvollen Situation mehr als \ erhör vor dem Richter oder Ueberantwortung an die fanatischen Juden aufgefasst. Links tronen auf dem Hochsitz, unter einer Aedicola zu zweit oder dritt neben einander, die Riditer, zu denen sich noch ein Ratgeber gesellt. Vor ihnen steht Stephan us im Ornat seines Kirchenamtes und erhebt bescheiden doch entschieden genug die Rechte zum Bekenntnis seines dreieinigen Grottes

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Stepkanslegende

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während ein Ankläger auf ihn hinzeigend über Lästerung schreit, und ein Scherge schon Hand anlegt, auf einen Wink der Richter zuzugreifen. Hinter ihm drän^: norh ein Kirchgänger oder Geist- licher herein, der sein rrebetbuch im Säckchen trägt, wie es zur Zeit des Malers üblich war. So tragen auch alle übrigen Personen, so- gar der Heilige selbst, das Kostüm des Ouattrocento ; einen fremd- artigen Eindruck macht nur der Bewaffnete, der im langen Rock, einen krummen Türkensabc! an der Seite, an Cxliibortis Darstellung des Pfingstfestes aut s< iner ersten Tür erinnert, vielleicht aber auf Er- st heinungen des Florentiner Koncils und der Gefolgschaft des Griechen- kaisers zurückgeht. Zur Hauptsache \\ ird diesem Maler das Kostüm nirgends, so dass wir auch in diesem Punkt den Abstand von Ma- solinos Stoffimitation gewahren. Die Einheit des Vorganges und die Kl.trheit der Anorchiung beh.iuj)ten unv(^rl<ennbar ihr gutes Vorrecht. ISchr geschickt ist die Bank der Richter mit dem Baldachin darüber schräg gestellt, und die 1 lauptpersrm an die SjMtze einer b'igiiren- masse gebracht, die sich keilförmig in die Mitte vorschiebt. Besonders bemerkenswert ist auch das Spiel der Hände und der Augen, beim gegenseitigen Aufmerksammachen, Zurückhalten, Befragen.

Der Eckpfeiler der ( terichlslaube links trennt diese Sccnc von der Steinigning, die sich links im Freien vollzieht. Ein Drittel, d^is noch zur selben W'andHäche gehört wie d<is erste Bild, ist dem Auf- lauf des wütenden Pöbels eingeräumt. Am Rand eines Hügels, der mit einzelnen Bäumchen besetzt ist, drängt die Schaar der Angreifer in schräger Linie vor. Drei lebhaft bewegte Jünglingsgestalten bitden die Spitze, drei ruhigere Männer die Basis des Dreiecks. Der Mittlere der Burschen backt sich, Stane vom Boden au&uraffen, während die andern beiden in voller Wurfbewegung ausholen. Der Eme^ mehr im Profil, erhebt nur den rechten Arm und blickt vor- wärts, sein Gescboss zu verfolgen. Der Andre vom hat mehr Platz und wird in ebenso wahrer wie eleganter Aktion ganz vom Rücken gesehen, indem er, den Vorwärtsstrebenden entgegengewendet, doch den Kopf dem gemeinsamen Ziele zukehrt. Auf dem rechten Fuss stehend hebt er das linke Bein, nur mit den Zehen noch den Boden berührend, und dreht den Oberkörper, der mit ausgestrecktem rechtem Arm vom Autheben des Steines noch halb gebeugt ist, soeben in der Richtung des Blickes herum. Ganz abgesehen vom Grade des Gelingens, verdient schon die Absicht des Künstlers, diese mannich- faltige Augenblicksbewegung eines schlanken Jünglingskörpers mit zwei andern völlig verschiedenen in Überraschender Gruppe zu ver- einigen, unsre volle Beachtung; denn sie bekundet in der lebendigen Wiedergabe zugleich den Wunsch und die Fähigkeit über das

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Stephanslegende

hinaiis/f II gehen, was /. B. Masarcio in der Figur des Torwächters auf dem I lauptbildc der C.ip]irll.i liraiu acci erreicht h.itttv Zwischen den beiden Schleudercm erscheint der Kopf des wütenden Anl.l.i'jcrs als der psychisch /un.ichst Beteiligte, und, ausserordentlich wirksam gegen diesen Aufruhr \ürn, kommen sodann die beiden let/tfii der Gruppe, deren Einer noch mit leidenschaftlicher Errej^^un^ seinem Begleiter ins Auge schaut, während dieser, ein bärtiger Alter in t\irbanartigem Hut und langem Kock, sich ausserlich ruhig verh.ilt, aber beide Arme auf den [.eib /usamnu'nkgend, doch in den scharfen Zügen den fanatischen Hass nicht birgt noch den grausamen Genuss am Untergang des Christen.

Wenn der Wert dieser ausdru( ksvollen Köpfe und leben s\ ollen Geslaken nur noch mühsam ent/ilferl werden kann, da die Farbr-n fast völlig \'cr]jlichen sind, so fällt die Schönheit der Haupttigur wenigstens unmittelbarer in die Augen. Zwischen dem gemalten Pilastcr und dem I-enster erblicken wir den knieenden Stephanub. und seinen nächsten ^Vngreifer, der mit einer Hand den Rockschofs voll Steine haltend, mit der andern das Haupt des Märtyrers trifft. Je brutaler die Gewalt dieses rohen Knechtes gegeben ist, zu dem ein Bauernrüpel Modell gestanden, desto ergreifender wirict die herrliche Gestalt des Heiligen, der sich betend auf ein Knie nied^- gclafisen hat und mit kindlicher Zuversicht aufblickend sein furcht- bares Ende hinnimmt wie ein unschuldiges Opferlamm. Jugend- liche Frische und Kraft gewinnen unsre volle Teilname; denn hier offenbart der Künstler, der seiner Wahrheitsliebe sonst, solange sie nicht abstossend wirkt, entschieden nachgeht« eine Wärme der Empfindung, die so in der Richtung der neuen Kunst ohne Einbusse einen bewundernswerten Fortschritt erreicht Die beiden Figuren allein, vor dem Felshang mit ein paar Bäumchen darauf, kommen in voller plastischer Grösse zur Geltung.

Welchen Rang diese Steinigung Stephans in der Malerei jener läge verdient, das wird erst recht klar, wenn man sie mit zwei Wandgemälden desselben Gegenstandes vergleicht. Ich meine die zeitlich frühere dnes unbekannten Uebergangsmeisters in der Cappella dell'Assunta des Domes zu Prato. und die späte Leistung des Fra Angelico in der Frivatkapelle Papst Nicolaus V. im Vatikan, In beiden Versuchen geht über dem Streben nach Bewegung und Hast in den Tätern die Bedeutung des Dulders fast verloren ; hier behauptet bei aller Energie des Ansturms das Bild des Opfers den Sieg.

In der Fensterschräge stehen als Zeugen dessen zwei weitere Personen, wie gebannt. Der Eine von ihnen, ganz;im Profil, ist ein Jude mit Spitzbart und gepflegten Locken vor und hinter dem Ohr;

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ST£PHANSLE(>pfDE

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der Andre, ein junger bartloser Hursch mit breiten Schultern, eine Filzkappe mit abwärts stehendein Rande auf dem Kopf. könnten sie, dieser als Paulus, jener als dessen Lehrer gemeint sein, die beim Ende des Protomartyrs eine Rolle spielten.

Der letzte Vorgang, an der Fensterschräge gegenüber, stellt wd nicht die Bestattung des Toten, sondern die Wiederauftindnng des Leichnams, der die Kirche ein besonderes Fest gewidmet hat, oder die Bergung der Reliquien dar. Wir sehen vom Fussende einen Marmorsarkophag, in den die sterbliche Hülle gesenkt oder aus dem ^e gehoben wird, also ein perspektivisches Kunststück, bei dem schon die reremonielle Feierlichkeit des Vorg^angs in etwas die Deutlichkeit der Handlung beeinträchtigt, bei dem aber auch sonst die überraschende Vertiefung des Raumes und die .schwierige Verkürzung einiger Kt'^pte das Hauptabsehen des Künstlers gewesen, /u ruhiger Betrachtung und reHifiösor Erbauung eignet «;irh das Bild allerdings auch seiner .Stelle nach wenig; es fällt immer nur plötzlich und vorübergehend ins Auge, es sei denn, dass wir den unbequemen Zugang erzwingen.

Ueber dem Kopf des Heiligen, drr etwas erhoben, vom Kinn aus gesehen w ird. guckt nur noch ein Teil vom Antlitz des Trägers in die Bildttäche herein. Daneben erscheinen zwei wunderlich ver- kürzte Köpfe, bestimmt verschiedene Stimmung der Beteiligten aus- zudrücken, doch nach dem selben Modell. Der vordere, mit rund geschorenem Haar, beugt sich vornüber, als gucke er sinnend oder forschend in den Steinsarg. so dass wir von der Höhe des Scheitels Ober (1( n Nasenrücken auf die gesenkten Augenlider und die breiten Backen sehen; der andre hinter ihm blickt gen Himmel, lobpreisend oder verzückt, und wirft dabei den Kr^pf in den Nacken, sodass wir unter seine Kinnladen, die Oberlij)j)cn. die Niisenl^lcher und die Augenbrauen .schauen. Ein Dritter wendet sich in scharfem IVotil nach rechts, während eine Narhharin, ein junges Weih in Dreiviertel- sicht die Lippen ofTnot wie heim Singen. Das Antlitz des Haupt- iragers links, der sich über den Rand des .Sark'>phages beugt, ist leider v^^llig zerstört. Den Hintergrund bildet ein antiker Rund- tempel mit schlanken Säulen und geradtMii (ic-bälk, durch dessen offene Halle wir in der Ferne no( h siuende Hirten und weidendes Vieh auf einer bergwiese entdecken.

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LAURENTIUSI.E(f£NDE

n.

Wenden wir uns auf der anderen Seite den Bildern der Lau- rentiusle^eiulc zu. so beginnen sie links vom Eintretenden, ganz ähnlich wie di(^ dcsrhichto des Stephaniis. Die Pjo^enfelder bewahren auch den nämlichen Ton der Erzählung wie dort. Nur sind schon in der ersten Lünette zwei Vorgänge in einen Rahmen gebracht- Links im ersten Drittel giebt Laurentius Almosen an eine Gruppe vor ihm sitzender und stehender Bettler ; rechts verteidigt er sich vor dem Tron des Herrschers, und diesem beliebten Auftritt sind die andern zwei Drittel der Bildfläche eingeräumt

Die erste Scene ist nodi der früheren Kunstweise sehr ver- wandt, oder steht wenijLjstens solchen iJui-sLeihmgen bei Fra An^elico. oder aus der 1-rühzeit des Benozzo Gozzoli sehr nahe. Aus der Tur der Kirche, vor der die Armen und Kranken sich wartend nieder- gelassen, ist der junge Diakon hervorgetreten, dem Papst Sixtus II. den Kirchenschatz anvertraut hatte, und trägt wie der Geistliche, der ihn begleitet, einen Geldsack in der Hand, um den Inhalt zu verteilen. Rechts tront auf einem Podium, mit einem Pagen hinter sich, der Kaiser Decius. In lang^ Gewand, eine Zinkenkrone auf dem Haupt, sitzt er auf kurulischem Stule und wendet sich in Profil zu der Gruppe vor ihm. Sein bartloses Antlitz hat einge- fellene Wangen, stechende Augen und eine lange scharfe Adlernase, die bei der gebieterischen Gebärde mitzuwirken scheint, mit der er die Hand gegen den Angeklagten ausstreckt. Diesem Arm der Gerechtigkeit oder Gewalt zunächst steht der Ankläger, ein Pontifex mit kurzem dunkelm Vollbart und hoher Motze. Mit grimmigem Blick streckt er die Rechte abwärts gegen den Christen aus, als gälte es den milden, auf der Tat ergriffenen Gottesmsuin noch seines Tuns zu flberf&hren, oder durch jähen Vorwurf von jedem Versuch zur Rechtfertigung abzuschrecken. Drei Lictoren, elegant in höfische Tracht des Quattrocento gekleidete Jünglinge, umringen den angeblichen Volksverfikhrer, dessen beide Arme mit rückwärts gebogenen Händen nur ruhig abwehrend solchem Vorwurf begegnen. Mit dramatischer Zuspitzung sind die widersprechenden Charaktere zusammengebracht, und mit dem Gipfelpunkt in der Alitte baut sidi die Komposition als wol abgewogene und klar gegliederte Gruppe vor uns auf.

In der folgenden Lünette, in die das Fenster einschneidet, ist oben ein offenes Baptisterium mit dem Taufbrunnen vom in der Mitte sichtbar, perspektivisch korrekt fär den Standpunkt des Be*

LAURENTrUSLEGENDE

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flcbaners von unten, so dass vnr den Heiligen, der einen jQngüng tauft, nur in Halbfigur sehen. Auf dem Immersionsbecken steht die Inschrift S; ECCL. E8IE. Zu den Seiten des Fensters harren links zwei JOnglinge als Zuschauer, während rechts der Heilige zu einem Manne redet* der vor ihm ein Knie beugt.')

In der unterm Reihe haben wir auf dem grossen Wandfelde das Hauptbild : das Martyrium des hl. Laurentius. Die Malerei, die von vorn herein sehr hell und dünn von Körper gewesen war, ist fast völlig abgeblättert und verlöscht Die Scene spielt auf einem Platz, der von mehreren Gebäuden umstanden scheint; besonders breit dehnt sich die Fassade eines reichen Palastes, mit offenen Ar- kaden unten und rechtwinkligen Fenstern über dem kräftigen Kaf- gesims ; zu ihm schoint auch cino vortretende Säulenhallo links y.u gehören, die mit einem Fries von klassischen Guirlanden zwischen Stierschädeln geschmfirkt ist. Ganz vorn in der ^fitte, gerade über dem Bogen, unter dem das Grabm i! des Kardinals Branda steht, befand sich der Rost, auf dem der Heiliiro nackt ausgestreckt den Feuertod erleidet, soviel wenigstens lässt sieh noch erkennen. Zu Häupten und zu Füssen schüren zwei hagere Gesellen, in leichtem Kittel, mit Stangen die brennenden .Scheite, während eine Schaar von Zuschauem in zwei Reihen die ganze Breite des Platzes besetzt. Links treten ein Krieger im Helm, ein heidnischer Priester, oder Juden in langen Gewändern und Jünglinge in Stutzertracht hervor, Einer sogar mit dem Falken auf der Hand: weiter vorn in der Mitte, in prächtiger Rüstung, der Befehlshaber selbst, breit dastehend, mit dein K< Jinauuidostab auf die Hülle gt\>iut/i, ein bärtiger Wüterich, und neben ihm gepanzerte Begleiter, darunter Einer auf seine Hellebarde gelehnt. Ganz rechts erscheinen drei Reiter: zwei von ihnen, auf Fuchs und Braunem, ruhig haltend, der Eine empor- schauend mit der Hand Ober den Augen, als blende ihn ein licht von oben ; der Dritte sprengt auf einem Schimmel heran, oder viel- mehr bäumt sich das Tier und hebt den Kopf schaudernd vor den auflodernden Flammen zurück, sodass der Hals von unten gesehen wird, das Maul sich wiehernd <yffnet und die Zähne bleckt. Es ist die unverkennbare Wiedergabe des einen Dioskurenrosses von Monte Cavallo in Rom; aber der Maler hat die Kühnheit, einen Reiter darauf zu setzen, der sich kaum zu halten vermag.

Noch jenseits vom einrahmenden Pilaster scheinen hier die Zu- schauerreihen sich fortzusetzen und sogar die eine Fensterschräge zu füllen; aber es Iftsst sich wenig mehr entziffern.

') Crowe und Cavaka>.eile (II, 77 Anin. 3) behaupten irrtümlich, aa dieser Stelle sei „ausser eimgen Soldaten and einem lahmen Bettler nichts erhalten."

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Q2

Zwei Maler

Auf der anderen Hälfte der Fensterschräge ist dagegen die Bestattung dos Märtyrers erkennbar geblieben. Auch hier wird der Sarkophag mit dem nackten Körper, den man hinein senkt, vom Fu&endc aus gezeigt. Die Verkürzung des lierkulischen Leibes, dessen Kopf, vom Kinn her sichtbar, etwas erhoben ist, verrät die Fliichti^^ki'it der Mache auch im heutigen Zustand no( h. Drei Träger sind mit aller Anstrengung beschäftigt, das Bahrtuch herabsulassen, zwei rechts zur Seite, einer von vorn gesehen zu Häupten, ohne doch den Vorgang wahrscheinlich zu machen, während in der Mitte der Bischof mit Buch und Weihwcdol. mit singenden Geist- lichen hinter sieh, ebenso gewaltsam und weihelos di'- kirchlichen Bräuche vollzieht. Der Maler .schwelj^rt in roher Kraft, k<irpulenten Jiauern und brutalen Bonzen, deren I)ickk(')j)te in mancherlei Ver- kürzung hart und rücksichtslos hiniiehauen werden, mehr um das Auge des Beschauers vorübergehend /u erschrecken, als dauernd zu erfreuen. Zeichnung und Farbe /eig<'Ti 'n diesen allerdings über- raschenden, wenn auch derben Hra\ oursiucken mehr Gewöhnung an Intarsiatechnik als an wirckilche Malerei

in.

Schoti aus dieser Beirachtuni^ (i(T \ rrlo.schenen Freskenreihe, soweit liei ihrem heutigen Zustande irgend noch Rechenschaft über die Fin/.elheiten möglich ist, muss sich ergt^ben, dass sie nicht alle- samt von der Hand eines und desselben Künstlers herrühren krmnen. Deutlicher worden die Gegensat/e. wenn wir die Bilder in der Reihenfolge durehmusLern, wie sie aus praktisclien (iründen wahr- scheinlich entstanden .sind. d. h. wenn wir nicht der gegenständlichen Finteilung gemiiss wie oben die Legende »les hl. Stephanus auf der einen und die des hl. Laurentius aul der anderen Seite gegenüber- stellen, sondern die Bedingungen des Raumes und der Arbeit der Freskomalerei entscheiden lassen. Iiier wurde zur Fortsetzung der Deckenbilder, wo sich Masolinus de Florentia bezeichnet hat. zunächst jedenfalls die ganze Reihe der Bogenfelder darunter in Angriff ge> nommen, fOr die ein Gerüst im Chor angebracht werden musste» und zwar bei der Enge dieses Altarhauses wahrscheinlich eine durch' gehende Bretterbühne, unter der wenigstens der Cbordienst noch möglich blieb. Damach wäre etwa Stephans Weihe zum Diakon das erste Stück gewesen, das hier oben zur AusfEthrung kam, dafür

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Reihenfolce

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spricht aiirh dif N'rrwendnriir der riilmlichen kannelliorten Pfeiler wie bei der (losatntciiuojlung der \\'anilni;dr»rei , und Siophanus in der Synagoge hätte sich angeschlossen. Die Dreieinigkeit über dem Riindfenster liegt in der Mitte, blieb vielleicht \orerst aus dem Spiel. Auf d<T andern Seite jedoch foli^te li.iurentius taufend, indem die besondere Beschaffenheit der vorhandenen Bildfläche sie natür- lich mit (h m gegenüberliegenden näher zusammenstellt, und zuletzt die Almtj enspende und die Verantwortung vor dem Kaiser, in der vordersten Lünette links, wo der Gegensatz zur gegenüberliegenden hervorbricht.

Darauf erst käme die untere Reihe in Betracht. Und wenn hier sich schon die Frage einstellt, ob damit auch die zweite Hand beginne, so erhalten wir aus dem Vergleich der letztgenannten Lünette mit dem ersten Wandfelde der Steph<inslegende unten sofort die entscheidende Antwort, dass vor der äusserlichen und innern Uebereinstimmung dieser beiden Gemälde die Frage nach dem zweiten ALiler noch zurücktreten muss. Wie nämlich in der Lünette droben zwei S( enen, Almosenspende und Verhör, in einen Rahmen zusanuuengetasst sind, so dass ein Drittel für jene, zwei Drittel fürjdieses verwertet worden, die räumliche Abgränzung zwischen beiden aber nur durch die Koulisse der dargestellten Bühne bewirkt wird, genau so benimmt sich der Maler bei der Geschichte des Stephanus unten gegenüber, wo das Verhör vor dem hohen Rat von Jerusalem und die Steinigung vor den Stadtmauern dargestellt werden sollte^ und doch nur ein ungebrochenes Wandfeld vorhanden War. Die Verlegenheit, die an dieser Stelle zum Austrag kommen musste, wurde drüben an der I^urentiusseite dadurch vermieden, dass man sich mit der Disposition der ausgewählten Scenen recht- zeitig vorsah, z. B. die IKakonenweihe und die Aushändigung des Kirchenschatzes durch Papst Sixtus II. kurzweg bei Seite liess, ob- gleich sie als Voraussetzung erwünscht waren und auch bei Fra Angelico im Oratorium des Vatikans nicht fehlen.

So ist, wie erwähnt, dem Verhör S. Stephans der grössere Teil Wandfläche eingeräumt, wo der rechts in den Chor eingetretene Beschauer beginnen soll, und ein Drittel entfilUt ftkr die Schleuderer bei der Steinigung, indem nur die Rückwand des Tribunals mit ihrem Eckpfosten die Stätte des hohen Rates von der bergigen I^ndschaft trennt

Vergleidien wir dagegen das Martyrium des hl. I^urentius auf dem gleichen Wandfelde gerade gegenüber mit diesem hier oder mit seiner zugehörigen T-ünette droljen, so tritt der Gegensatz der beiden Hände, die wir im Verfolg des Einzelnen vermutet, voll zu

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Gränzscheidung

Tapfe. Wir haben nicht nur die eiiiheitlirh»> \'or\vertung" der ganzen Bildfläche, ein Vorzug, der durch d'u^ hedt iiklirhen Erfahrungen in der Arbeit vorher gewonnen war, sondern auch eine anders- artige technische ]^«>hundlung.

Die Wanilnia Irrel dieses andern Meisters ist viel schlechter erhalten, obgleich die Mauer niclit mehr als drüben gefährdeL war. Die Wiedergabe des bdeisches zeigt den \ orherrschenden Gebrauch grelleren Rotes und einen erhitzten Ton. der allerdings zu dem Feuertode dt^s Heiligen passt, aber keinebvvegs als Widerschein der FlamnK n gemeint ist, und ebenso in den anstofsenden Feldern wiederkehrt. Xach dieser flüchtigem unsolidem Malweise, wie nach der wenig dun hd.ichtr-n Komposition und nach dem „uberperspek- tivischen Wesen", das ihnen unter sich gemeinsam ist, hätten wir dem selben Meister auch die Bestattung des Laurentius und die Auf- findung der Rest*» S. Stephans beizumessen. Und diese Abgränzung des An^Is bestätigt sich auch durchweg in dem Unterschied der Typen und der sonstigen Grundlagen künstlerisclier Durchbildung, deren genauere Plrüfung die Frage nach Herkommen und Person der beiden als Nachfolger Masoltnos hier auftretenden Maler einscfaliesst

Das Verhflltniss der Beiden wäre so zu denken, dass der Eine, der die architektonische Gesamtgliederung gemalt, die Stephans- legende rechts oben begonnen und alle Lünetten ausgef)Uirt hat, erst bei Vollendung der untern Wandfelder den Genossen bekam, sei es weil der Abschluss der Arbeit bis zu einem gewissen Xennin erreicht werden sollte* sei es weil dieser Geschäftsfreund, gleichzeitig beauftragt, erst spater eintreffen konnte, oder zuerst mit anderen Arbeiten für den Kardinal, in den Seitenkapellen der Kirche, in Corpus Domini oder im Palast beschäftigt war. oder weil er aus irgend welcher Veranlassung als Ersatzmann für den Ersten 'ein- treten musste. Dergleichen Vorkommnisse waren damals ja häufig genug.

Alle bisherigen Versuche, das Verhältniss der Wandmalermen zu charakterisieren, gehen von der Voraussetzung aus, dass sie un- mittelbar nach der Gewölbemalerei entstanden sein massen, und möchten deshalb über den etwaigen Schülerkreis des Masolino nicht hinausgreifen. Crowe und Cavalcaselle, die auch 1883 in der italienischen Au.sgabe die ZusammenwQrfelung mit Masolino wieder- holen, ohne sich um die Bemerkungen A. v. Zahns und W. Lübkes in den Jahrbüchern für Kunstwissenschaft (1869 1870) zu kümmern, sprechen sich für die Urheberschaft „einer minder geschickten und minder erfahrenen Hand'* aus^ der die Fertigstellung des Freskeneyklus übertragen worden. (II, p. 249.)

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SchCler Masolinos }

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A. V. Zahn lässt sich in seinem berechtigten liemOhen, die Be- teiligung des Masolino selbst an diesen Wandgemälden zu verneinen, allzusehr durch die aufiiaUende Erscheinung; des (xegensatzcs in den letzten Bildern bestimmen. Angesichts der Malereien Masolinos im Baptisteriura jedoch bemerkt er durchaus zutreffend, schon aus der Gruppe der Täuflinge am Jordan sei ersichtlich, wie weit Masolino das Studium des Nackten sich an^elotrcn sein lifss, ,,ohno dabei in jenes harte überperspektivische Wesen des L'ccello, das aus den Wandbildern der Kirche spricht, zu verfallen". Das heisst doch an- erkennen, dass Masolino utuen im Chor der Colleiriaia nicht als leitender Meister betrachtet werden darf, wie Crowe und Cax cdraselle anzunehmen versuchten; das heisst doch ebeiis(i anerkennen, dass in den letzten Bildern dor Stephanus- und Laurenliuslegende Bestrebungen hervortreten, die über Masolinos Kunstweise und Geschmack.srichtang hinausgehen. Und trot/.dem bringt A. v Zahn für diese Teile den Schüler Masolinos, Paolo Schiavo, in Vorschlag, indem er die Stelle \ a.>.iris, die v(m diesem Maler handelt» etwas allzu stark in seinem Sinne interpretiert,

Vasaris Worte: „Paolo .Schiavo, che in Fioren/.a. in sul canto de'dori fece la Nostra Donna ( on le tigure che scortano i piedi in SU la cornice. s'ini^egno molto di se>.^uir la manic^ra di Masolino'... berechtigen kaum, von besonders „tauschenden V Crkur/ungen" zu reden, geschweige denn grade diej»e zum entscheidenden Charakteristicuni zu erheben. Ebensowenig sind solche Dinge bei erhaltenen Arbeiten dieses Paolo Schiavo vorhanden. 1*> hiess, wie Alilanesi berichtet, eivifentlich Paolo di Stefano ßadaluni und hat 1426 ein bezeichnetes Fresko in S. Miniato bei Florenz gemalt, das besser erhalten ist als das restaurierte Tabernakel am Canto de'Gori, jetzt „le Cantonelle'* ge- nannt- Von dem selben Maler r&hzt meines Hrachtens auch das Tabernakel in Lippi a Rüredi vor Florenz her, über das W. v. Seidlitz in der Zeitschrift far bildende Kunst bei Besprechung des Buches von Knutzon berichtet hat (1B79), nur dass die Inschrift aus späterer Zeit, bei Gelegenheit der Restauration, den Namen Paolo di Stefano mit dem bekannten Paolo Uccello vertauschte.^)

Wenn Lübke in voller Anerkennung des Guten in diesen Wandgemälden von Casiiglione d'Olona, sich zu dem Ausruf \ er- steigt: ».Welcher Maler hatte - um 1426 .solche Gestalten hin- zusetzen vermocht, wenn nicht Masaccio?' so ist er wol später

Idi hoffe dies demDäcbst mit Hälfe pbotogr. Aurnahme der betreffendeo Werke wtd «hws nnbdmmteo BUddiMift von Paolo UocellOb niiii B«leg leiner frflhern £ntwick- kug^ genaimer eiwcinn wa kttniieB.

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t)ER Zweite von Beiden

selbst von diesem Vorschlagf /.uruckgekominen, der n< Ii' i; Irr Blas- plicTTiie auth einen Anachronismus einschliesst. Aber seme Charak- teri-sLiks. ,,i^c\visse starke X'erkürzungen der auf und nieder blickenden Kopte. be.sünd<^rs iti der Iieerdigunt{ drs Stephanus. sind noch nicht ganz gelungen. Ijeueisen aber deutlich genug die Tendenzen dieser neuen Kunstrichtung"' ist vollkommen zutreffend, freilich wiederum, wie die A. \. Zahns, nur fiir die letzten Bestandteile. Und für die KiUstehungszeit bleibt uns ja der Spielraum nicht allein von 1426 bis sondern ein volles Jaiirzehnt später, von 1436 bis 1442 offen.

IV.

Fragt man sich vorurteilsfrei, was denn diese Wandgemälde im Chor der CoUegiata überli.tupt mit Masohnus Art geniein haben, so bleibt kaum etwas (ireitbares übrig-, um ein persönliches Schulver- hältnis testzustellen. Wo] aber zeigt sich die Verwanfitacliatt. wenn etwa mailändische Lokalpairioten die Frage stellten, ob diese Fresken wirkhcli Horeutinischen ITrsprungs seien. Die allgemeinen Eigen- schaften, die im Charakter der florentinischen Kunst dieser Zeit über> Haupt liegen, sind allerdings unverkennbar drunten wie droben.

Oder will man die Lehre Masolinos in der Untugend des un- reifen Realismus suchen, dass die untern Bilder rücksichtslos um du Wandecken gebogen, in die Leibungen der Fenster mit hineingcmalt sind? Wir haben erklärt, wie man im Gedränge zwischen den dar- zustellenden .Scenen und den vorhandenen Wandflächen dazu ge- kommen sei, und durften dies nur so erklären, da das Uebergreifeo in der obern Reihe nicht vcHrkommt, und die gemalte Gliederung des Innenraumes ausserdem bezeugt, wie wenig solche Unart ursprttngUdi in der Absicht gelegen. Und da wir die Annahme, dass auf Maso- linos Deckenbilder unmittelbar der ( \ klus der Wände gefolgt sei nicht für bindend erkennen, so bliebe ja sogar die Möglichkeit offen, daas die Priorität dieses Verfahrens, das übrigens noch Fra Filippo in den sechziger Jahren zu Prato sich erlaubt, hier in Castiglione zwischen Kirchenchor und Baptisterium strittig werde.

Jedenfalls aber kommen wir mit einem Gehilfen oder Schüler Masolinos nicht aus. Und gemäss unsrer obigen Unterächeidung zweier verschiedener Meister sind jene »überaus wunderlich ver* kürzten Köpfe« nur auf die Rechnung des Zweiten zu setzen, sodass auch seine Dazwischenkunft erst den Au88«di]ag gegeben

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Paolo UccEt.1.0

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haben könnte, mit der architektonischen Disposition, die sem Vor- gänger festgestellt, kurzen Prozess zu machen, und für den Bruch mit der klaren Gliederung des Cyklus durch verblüffende Kunst- stocke der Tiefenillusion und Verkürzung zu entschädigen, wie denn die beiden Fensterschrägen nur dem Ergötzen der Chorherm dienten. Xur hier in den letzten Stücken des Cyklus bricht das »harte über- perspektivische Wesen des Uccello« durch, von dem A. v. Zahn ge- sprochen, nur hier ist die ^rohere Ausführung« zii bemerken, die Cavalcaselle hervorhebt. D:imit ist unser zweiter Maler bezeichnet.

Sieht man sich im Kreise der bekannten Z< itgnnossen um, so ist der Name, der angesichts dieser überraschenden Kunststücke zu- erst genannt werden muss, jedenfalls Paolo Uccello. Nicht ein Nach- eiferer Masolinos war es, der »seine Gestalten so täuschend verkürzte«, sondern Paolo di Dono, cfonannt Uccello, der in die Schwierigkeiten der perspectivischen Probleme .so vernarrt war, dass er die Farben- palctte daro!3 \-ergass, und den Tadel Donatellos wie den Mismut seiner Frau zu dulden hatte.

In der 'J'at glauben wir als den zweiten Maler, der hier im Chor der Collegiata mitgewirkt hat, niemand anders mit solchem Recht in Anspruch nehmen zu können als Paolc Urcr'llo selber. Der Nachweis gonüicender I/ebereinstimmung init hejrlaubi.s^'ten Werken seiner Hand, die wir besitzen, knüpft sich am besten nicht an die letzten Stuekf zunächst, wo die brutale \'erkiirzung- allen I""rschern aufgefallen ist, sondern an die erste Darstellung, die wir der namhchen Hand l)eiiiiess( n, an das Martyrium des heiligen Laurentius. Sie giebt, auf breitem Wandfelde unter den gew < ihnli("lien Bedingimgen der Freskomalerei, auch am besten eine \'urstellung \ on der per- sönlichen Art ihres Urhebers und von dem Durchschnitt seines Kunst \erni(»gens.

Zwei ganz individuelle Eigentümlichkeiten springen als besonders bezeichnend sofort ins Auge: die stattlich geru.steien Krieger, die niii sichtlicher Vorlie])e aufgestellt sind, und die derben Strcitgäule, zu deren Einführung in der Legende selbst kein Anlass vorlag. Beide Bestandteile tragen mit ihrem besrmdern ( leljaren, zumal die Rosse mit ihrer L^nruhe, unlaugl)ar da/u hei, den \^organg mannich- faltiger ZU beleben: aber sie sind auch gewagte Zutaten, aus eigenem Vergnügen des Malers, ohne viel Rücksicht auf Andacht oder Rührung der Beschauer hinzugenommen. Nur das Bedürfnis des Realisten, die unmalbare Feuersglut, in der Laurentius leidet, durch solche Mittel wenigstens vor die Phantasie zu rufen, erklärt zum Teil ihre Wahl, die in dieser Zeit doch für den Mann entscheidend charakteristisch bleibt B«de Bestandteile erklären sich als willkommene $c1in«rsoir, Mmcdo. 7

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Paolo Üccello

Requisiten bisheriger Praxis bei keinem andern Florentiner so selbst- verständlidiwie bei Paolo Uccello, der durch eine Reihe von Schlachten- bildem aus dem Garten der Bartolirii in Gualfonda allgemeiner be- kannt geworden ist als durch sonstige Leistungen. Eins nur be- findet sich heute noch zu Florenz, in den Uffizicn, ein anderes zu Paris im Louvre, und ein drittes in der National (iallery zu London. Wer diese Stücke nicht im Gedächtnis hat oder im Original ver- gleichen kann, wird wenigstens Photographieen neben unsre Auf- nahme des schattenhaften Ueberrestos aus Castiglione legen. Selbst die ausführh'che Beschreibung, die Crowe und Ca\ alcaselle von jenen drei Schkichtbildern gegeben haben, führt der Einbil(Uing.skraft nii|t^ bestimmte Züge zu, die sich im Chor der ( "olleg^iata wieder- tiiiden. Wenn diese enerpfisch auftretenden Krieg-cr mit ihrem Be- fehlshaber in der Mitte schon in ihrem Dastehen den Einfluss Donalellos verraten, so erzählen die sorgfältig gezeichneten Panzer, Beinschienen und Heime vom Interesse des Malers an der künstlerischen Durch- führuntf der W<iffenschmiedc nn khissischen ( r(\srhmack der Re- naissance, von seinen Studien antiker Ornanientstück(\ die er mit Lorenzo Ghiberti teilt, und seinem Hangen an Einzellieiten, die der Bildhauer besser bei Seite Hess. Die turbanähnliche Koptbedcrkung oder der hoi hgetürmte, vielfach ineinandergeschobene Fil/huL komn^ n auch hier vor, wie bei den Fürsten und Condottieren in jenen Schlaeht- gemälden und in einem kleinen Turnierstück, das sich früher in der Sammlung Castracane zu Urbino befanil, wo im Istituto di Belle Arti wenigstens noch drei l'redellenstücke ziemlich armseliges Zeug- nis von seiner Tätigkeit ableircn. '< Hier in ("astiglione haben die Kriegsgäule die nämlichen schweren Hufe und derben Kupfe, die selbst das Reiterstandbild John Hawkwoods im Dom zu Florenz, das Uccello in sichtlichem Streben nach antiker Schönheit gemalt hat, mit allen vorgenannten Beispielen teilt. Der Schimmel, der sich rechts vor dem Feuer bäumt, ist wie gesagt die Nadialimung eines Dioskurenrosses von Montecavallo, efai weiterer Beleg für die Studieo in Rom, und selbst der Palast mit seinen Arkaden und sdnem Fries von Guirlanden mit Stierschldeln nach römischem Muster offen- bart ein gleiches Streben auf dem Gebiet der architektonischen Staffiftge und Dekoration.

Technik und Farbenwahl bestätigen die ITebereinstimmung mit Uccellos Malerei, soweit dies bei dem Zustand dieses und der sonstigen Beispiele nur möglich bleibt Besonders charackteristisch

^) Vgl. Schmarsow, Giovanni Santi, Berlin 1887 S. 41 u. Meiozzo d.i Forli, Stull- SPrt p. 359 f.

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Paolo Uccello

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ist die Vorliebe für kalte ^Taiio Töne neben roten linten, die sowol in der Karnation, wie in den dewändcrn. ia im Steinmaterial der Architektur neben einander stehen. Seine Gestalten sind fast immer sciilank, in den Proportionen den Jugendwcrkcn Donatellos ver- wandt, «Hvvas dünnbeinig, aber elastisch und stramm penug; in der Wiedert/abe der Extremitäten nicht selten nachlässig behandelt; im Rumpf ohne die U(>\\'eglichkeit ]el)ender Körper, aber von plastischer Bestinmitheit der l'orm, die überall vom Eindruck statuarischer Bildung zeugt. Seine Köpfe zeigen besonders zwei verschiedene Typen. T3er Eine hat ein längliches Oval als Grundform, erscheint bei verkürzter Ansicht oft etwas gestreckt und im Zu.sammenhang der Teile verschoben; der Andre ist ein breiter, ii] den Umrissen plumper Rundkopf, dessen innere Gesichtsteile nicht selten klein und gedrückt, eckig wie stereometrische Zeichnungen ausfiallen.

Beide Typen findet» wir auch hier in unsenn Fresko, bei fibmer stehenden Flgaren sogar den Mangel an Schädel unter dem platlen Hut oder die gequetschte Verkümmerung der Kinnladen, die ihm beim Ringen mit schwierigen Ansichten und perspektivischer Illusion auch sonst begegnet Darin hat dies Wandgemälde in Castiglione sogar einige Aehnlichkeit mit den flüditigen Ftodukten der Ueber- gangsmeister wie z. B. in Prato^ mit der Auffindung der Reste S. Stephans oder dem Sposalizio gegenüber, in der Cappella dell' Assunta.

Sehr entscheidend spricht für Paolo Uccello endlich die Kom- position, die er mit diesen Bestandteilen hier anordnet Sie ist durch- aus reliefmässig und setzt nicht sowol die eigene Gewohnheit in jenen Schlachtenbildem, als vielmehr Masaccios breite Wandgemälde in der Cappella Brancacd voraus, besonders das Meisterw^k mit der Geschichte vom Stater und die (von Masaccio unvollendet gelassene) Auferweckung des Königssohnes. Wie dort eine tsokephale Reihe von Figuren als Zeugen des Hauptvorganges in der Mitte steht, und zwar auf verhältnismässig schmalem Vordergrund, so auch hier vor der Palastfront als Skene, und wie dort zu den Seiten die Koulissen schräg vorgeschr lir n oder Durchblicke eröffnet sind, so auch hier mit dem loggienartigen Vorbau links und der Vertiefung des Prospektes rechts» wo die Reiter halten. Dass grade Paolc; Uccello bemüht gewesen, die Gesetze der Reliefkunst auf die Malerei anzuwenden» ist immer zur Charakteristik seiner Eigenart hervorgehoben, und hängt aufs innigste mit seiner sonstigen plastischen Auffassung der Einzel- formen wie seiner Anordnung der Gruppen, seiner Dreiteilung der gegebenen Bildfläche zusammen.*)

') Vgl. Crowe und Cavalca:>cUe besonders bei Gclegenheil der imulul un Cbiostro vtfde voll & M. NoreU*.

1*

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Paulo Vucello

Die beiden letzten Darstellungen in den Fensterschräg-en r^md voUends nichts Anderes als Kxperimenii^ schwierigster Ve^kll^/unJ^^ die in ihrer ll.iufung von Kunststuckon uns knabenhaft und scriüler- mässig vorkünimon müssten, wt iin wir uns nicht hiiiciiKlachten in jene Zeit einer völh)^ neuf^n Disciplin. der es bitter ernst war mit der Bewältigung aller Autg.ibr'n solcher Art. sodass sie die »er- lernte Losung der Probleme aucli in regelrechter Folgt' auftischt wie in einem Lehrbuch der Geometrie. Hier ein nackter, dort ein be- kleideter Körper von den Füssen aus gesehen ; hier der Kopf der liegenden Grestalt vom Kinn her, dort von der Nasenspitze aus, oder hier mit aufwärts dort mit abwärts stehendem Kinn verjüngt. Dort ein Autblickender und ein Niederblickender unmittelbar neben ein- ander; hier breite Schädel und Fetthälse wolgenährter Bonzen, dort hagere, asketische, aber ebenso hochfahrende Pfafien. Bei der Be- stattung des Laurentius im Hintergrunde die Stadt Rom, bei der Auffindung des Stephanus ein klassischer Rundtempel in nächster Nähe mit dem Durchblick auf die Bergrweide zwischen den Säulen hin. Hier sind auch die verwandten Züge der Einzelheiten schon unverkennbare Zeugen des Zusammenhangs mit Uccellos letzten Fresken in St*. Maria Novella. Die Gesichtsbildung des Stephanus und die Gewandbdumdlung erinnert an die stehende Figur in der Sintflut, die Sarkophagschräge an die Wand der Arche Noahs. I^nd die Weinlaube, wo der trunkene Erzvater beim Fasse eingeschlafen, wie die Halbiigur Gottvaters über dem Altar mit dem Kopf nach der Hefe des Bildes zu geben nur Umkehrungen der hier in Castiglione versuchten Konstrucktionsprobleme, die kaum geschmack- voller ausg^allen sind, aber die Zugehörigkeit zu I^ccellos syste- matifichem Arbeitsprogramm beweisen.

Unserer Ueberzeugung nach kann die Tatsache, dass auch hier in Castiglione d*01ona Wandmalereien des Paolo Uccello dem völligen Untergange nahe sind, kaum noch bezweifelt werden. ^) Es fragt sich nur, wann wir etwa seine Anwesenheit und damit den Abschluss dieses Cyklus im Chor der Kirche ansetzen dürften.

Paolo di Dono ist nachweislich zu wiederholten Malen in Ober- Italien gewesen. Schon am 5. August 1425 machte er in Florenz sein Testament vor der Abreise nach Venedig, wo sich die Florentiner Dombehörde noch 1432 beim Geschäftsträger der Signorie nach seinen Leistungen in der Mosaikmalerei erkundigt Im Jahre 1433 kehrt er dann in seine Heimat zurück, wo er mannichfaltig von der

*) Idi erinnere auch an die „Herocs (»cti in spicula altn** der KjirdinalswobnQiis- Vgl. oben S. 15 f.

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D£R Andre

lOI

Optra dob Dom^ hesch.itii^i wird bis 14.^7. Dann Ichlen die Nach- richten iiber ihn bis i \^ \. also ger.idf bis /um Todesjahr des Kar- dinals Rninila. Nach Vasaris Erzählung wäre er noch lici Donalcllos Ueber.siedelung nach l'adua ifi dieser Stadt Obt ritidiens gcw t scn. wo perspektivisches Schulwesen seitdi-m so vorherrschend den ( h.irakier der Malerei bt stinimi. Wir hatten ;dsn. was dir A Tn\ es(Mih<nl l 'c- cellos in Casiiglionc betrifft /.wei U rniin«- zur Wahl: zwisriicn 142'! und 1431. wo er nicht ausschliesshch in \^?ncdig geblieben zu sein brauchte, und zwischen 1437 und 144J. Da die Komposition des Martyriums aber die letzten Kompositionen Masaccios in der Brancacci- kapelle voraussetzt, andrerseits die perspektivischen Bravourstücke soviel Verwandtscbaft mit den letzten Fresken Paolo Uccellos selbst in S. M. Nuvella aufweisen, entscheiden wir uns unbedenklich für den zweiten Terrain, der sowol mit der Chronologie der sonstigen Untemdimungen des Kardinal Branda wie mit dem Entwicklungs- gang der toskanischen Malerei übereinstimmt

V.

Ganz anders geartet ist der Meister, der, unseres Erachtens vor Paolo UcKzello, die Ausmaluug der Chorwände mit Bildern aus der Legende des Stephanus und Laurentius begonnen, also dort un- mittelbar fortgefahren hat, wo Masolino s Gewölbekappen aufhören. Gewisse Eigentümlichkeiten sprechen für einen ausgebildeten archi- tektonischen Sinn, ja für eine Neigung, seine Gestalten mit um- gebender Architektur zusammen zu denken, die sogar die Freiheit ihrer Bewegung einengt. Er malt nicht allein einen Renaissance- ' Aufbau aus kannellierten Pilastern und gradem Gebälk in diesen gotischen Chorraum hinein, wenigstens seinem Bedürfnis nach klarer Disposition und fester Einrahmung der Bilder zu genügen, sondern benutzt auch die Sputzbogen der beiden Fenster in den Lünetten. wo sie von unten einspringen, wie einen gewölbten l^nterbau für feste Bestandteile seiner Darstellung, das Taufbecken hier, die Kanzel dort, im Mittelpunkt des Baptisteriums, der Synagoge, die er dem Blick des Beschauers öffnet Bedenklicher wird diese architektonische Konsequenz in den beiden vorderen Lünetten, wo die Arkadenreihe mit ihren Pfeilern vom die Figuren der Handlung durchschneidet oder doch den Linienfluss der Gruppen beeinträchtigt, die der Künstler sonst wiederum so klar und gesetzmässig aufzubauen, so sicher zu-

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Der Andre

sammenzuhaheii und in einander zu srliiebon woiss. Jo mehr er mit dem Raum für die Geschichte seinr-r fri'mmen Helden H.nis halten muss, desto mehr g-iebt » r die /eneiliing der Bildtläche durch vor- tretende Rau^;liedcr auf, schiebt sie als Sk^ne in den HintercTund, oder benutzt sie, wie das Tribunal des hohen Rats, zur Sondi'ninjf der Schauplätze. Von der nämliclien Durchbildung seines < leschmackes zeu!2ft auch die Verwertunv^ di s Hügelrandes beim Martyrium des Stephanus, sowol für die ruhrende Hauptfigur als Folie, wie als Halt und Richtungsaxe der Raumentfaltung im Freien. T^nd » bens. » die räumliche Ausnutzung der Bildtiäche nach ihrer Form und ihrer Stelle für den Betrachter.

Bei der Kinkleidung des Stcj^hanus inmitten der Apostel triebt die dreifache Arkade des Atriums auch die Hauptgliederung der fast symmetrisch verteilten \'ersanunlunkr nnt dem Apostelfürsten und dem knicenden Diakon in der Mine, wahrend di<' dreieckigen Seg- mente des Bogenfeldes links und rechts für Beiwerk entfallen, das« mit feinem Gefühl für das Auge des Eintretenden gewählt ist: geg"en den Eingang vom Langhaus zu <)ffnet sich der Raum möglichst leicht und neutral, auf der andern Seite wird er mit sitzenden Frauengestalten im Vordergrund geschlossen» in denen die Bedeutung des Auftrittes wiederscheint

»Zwei schöne Kompositionen« nennt auch Cavalcaselle die beiden Scenen, die in der Lünette gegenüber vereinigt sind, die Almosen- spende und die Verantwortung des Laurentius. Sie sind es im Auf- bau jede für sich, aber auch als Teile des ganzen vom Spitzbogen umrahmten Bildes; denn das Uebergewicht der zweiten Gruppe, die zwei Drittel der Fläche beansprucht, wird für das Auge durch die Architektonik des Schauplatzes aufgewogen, so dass hier die Haupt- person, der Heilige, umgeben von den Häschern, genau in dem Hdhenlot des Bogenfeldes, von zwei Eckpfeilern der gemalten Bau- lichkeiten «eingerahmt erscheint, zwischen denen sich ein Bogentor öffnet, und zu Häupten dieses schmalen Mittelstückes wiedecbolt ein dreiteiliges romanisches Fenster oder drei Bogenstellungen einer Zwerggalerie über dem Portal die Gliederung des Ganzen.

Andere Gesetze walten in dem unteren Wandstreifen mit dem Verhör des Stephanus und seiner Steinigung. Den Relief kompositionen eines Ghiberti verwandt entwickelt sich die Reihe der sitzenden und stehenden Figuren fast in gleicher Kopihöhe. Wo Stephanus vor den hohen Rat gefuhrt wird, ist zwischen den beiden Gruppen ein Auaschnitt frei, wie der Zwickel zwischen einem Bogenpaar; die Mittdlinie trennt unsichtbar und doch wirksam genug den Märtyier von seinen Richtern, obwol seine Feinde hinter ihm drein dr&ngea

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Nocli itiimer wirkt dir Grwohnhoit nach, in nahezu (|uadratischen Bildern, oder doch mit wenig liberwiegend« r I '»reite zu denken, wie an den Türen des Andrea Pisanri und I oren/..i (rhiberti, oder in den Freskocyklen des I rccento. Soi^ar die bck.iniUf Vierp.issiimraiimuntr, dieGhiberti festhalten rnnsste, wirkt hier auch tuhll)ar weiter; bt-sonders in den b(-idt'n Ankiagescenen, die auf das Vorbild ,.( hristus vor Pilatus" oder Johannes vor lierudes" zurückgehen, t 'ni so l)e/eieh- nender ist die Tatsache, dass die Komposition eines breileren \'er- laufes. wie die Steinigung, welche als fortlaufender Streiten eines ungebroehenen W'andfeldes behantlelt werden konnte, sofort in Bruch- teile auseinandergeht. In der Steinigung hier schiebt sich die Rotte der Angreifer wie ein Reil aus der Tiefe in schragiT Linie gegen den geniaiten Pfeiler vor, als macho der Weg, hinter diesem Träger an der Maucrccke, eine Biegung, und so ist allerdings wieder das wirkliche Verhältnis der beiden W'andstULke zu seinem Recht ge- kommen; wer aber von diesen zufalligen Absätzen in der Malfläche absieht, bemerkt die Gewohnheit des Meisters, in schmaleren Raum- ausschnitten zu denken, deren Zusammenschiebung und Verarbeitung hier freilich durch das örtliche Hindernis unmöglich wurde.

Genug, in Allem, was die Disposition der Bilder und die Kom- position der Gruppen betriiTt, gehört dieser Mann der strengeren Sdmlung an, der die besten Errungenschaften des monumentalen Stiles aus dem Trecento noch nicht abhanden gekommen sind über den Aeusserlichkdten des Realismus. Er steht dem Brunellesco näher als dem Donatello, er weiss sich Eins mit Masaccio und mit Ghiberti, die in diesem Punkte zusammengehören. Er ringt hier darnach, das wertvolle Erbteil der giottesken Tradition, soviel es angeht, mit dem neuen Verlangen nach wahrheitsgemüsser Dar- stellung des Raumes und der Körper darin zu vereinigen. Die Konsequenz der räumlichen Anschauung steht ihm voran, die plastische eist in zweiter Linie; auf Wirkltchkeitstreue und Ausführlichkeit des Einzelnen ist er am wenigsten erpcht. Auf jener Seite li^ seine unläugbare Begabung, alle Vorzüge seiner ernsten Gesinnung und geistigen Kraft. Nur scheint ihm auf der einen Seite die Gelegen- heit gefehlt zu haben, sich zu monumentaler Breite auszuwachsen, und auf der andern Seite die malerische l echnik oder die Gabe vollen malerischen Sehens in farbiger Anschauung, die damals vielleicht vielfach unverstanden von den Zeitgenossen nur Masaccio offenbart.

Ausserdem ist es die leidige Vielheit der Scenen, die auf engem Raum von ihm verlangt ward, ein verhängnisvolles Krbteil der Trecentokunst im Dienst der kirchlichen Lehre, aber auch ein ver-

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broitptos Verlangen der l.ust am ]*abuUeren. an der die Mal^^roi und noch mehr die Plastik im jran/.en Quattrocento krankt. Damit hängen bei dir scm Maler aus dem ersten Drittel dos neuen Jahrhunderts natürlich die sonstigen Kigonschaften seiner W'rise /usmnmen.

Seine Gestalten sind länglich und schlank, haben also auch Ir. den Proportionen noch Verwandts< haft mit denen des ausgehenden Trecentn; aber sie beweg-en sich freier und natürlicher, und haben in dem harmonischen Fluss ihres Benehmens viel von dem Geschmack des Ghiberti, sind aber 1('l)!i.tfter von Temperament und dramatischer iti ihrem (jebarcn. das hier und f!a selbst vor drastischer Derbheit nicht zurückschr(Hkt. wenn es /. Ii. gilt, dom orqehcnon Märtyrer einen rohen (Tcscllcn onti^rc^rn/usielien. Seine Gewandung ist gross und feierlieh in der \'er>aminhmpf der Ap'istel. soweit die Arch'- tektiir ni( ht hindert, ninmu in tlcii A nkUtgescenen rei/volle Kostiinif der eigencMi /< ii neben d'Mn tallenreichcn Ornat der Diakunen oder des Kaisers aif und weiss neben den Langröcken die kur/geschur/ten Pagen oder Fantini mit ihren Mäntelchetv und die aller lästigen Überwürfe entledigten Schleuderer in ihren envianliegenden Strumpf- hosen und leichten Kitteln zu schildern . er weiss wirkstin» /u w ählen. u'u diese oder jene Faktoren am IMatze sind, ohne sich bei der bililischen Dra{)ene in die konventionelle Allgemeinheit der Trc'ccnto- malcr oder beim modischen Kostüm in die Stoffnachalinuing und Kleinkrämerei des Masolino zu verlieren. Er bchäU bei allem Realismus der Auffassung doch die ideale ^Vufgabe im Bewusstsein und wägt nach diesem höheren Zweck die Bestandteile der Wirk- lichkeit ab. denen er Zutritt gestattet. Wenn Crowe und Cavalcaselle meinen, die Güte der Ausführung entspreche nicht der Schönheit der Aktion, so bestimmen dies Urteil wol wesentlich die untern Stücke der Laurentiuslegende mit, die wir Uccello zugewiesen; denn über die malerische Vollendung der Lonetten ist bei dem schattenhaften Zustand der abgekratzten Flächen wol kein Urteil mehr möglich. Fast überall ist, besonders bei den Gewändern, die obere Farben* Schicht mit der KalktQnche abgeblättert, die sie zu einer Zeit zuge- deckt hatte, als gewiss das Aussehen schon zu viel zu wünschen Übrig Hess. Einzelne Stellen dagegen, in den untern Wandstreifen besonders, wo die Malerei besser erhalten blieb, berechtigen noch heute zu Lübkes Aussage: «.durchweg herrscht in der Farbe ein kräftigerer Ton" „eine vollere plastische Modellierung der Form, eine schärfere und mächtigere Auffassung des Individuellen" (als tn den Deckenbildem des Masolino). ~ „Das feierlich Würdevolle der tronenden Richter^ und der Apostelschaar, die „beiden lebensvollen Porträtköpfe rechts im Fenster, mit der tief bräunlichen Kamation'*

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hätten auch wir auf die Rechimnpf unseres Meisters zu setzeiit und damit auch hier wol das zeitliche Verhältniss zu Masaccios male- rischen Grofstaten in der I'rancaocikapelle bezeichnet, an die auch I-übke sich erinnert fand. Freilich wird die Breite und Wucht der Gestalten, die durchgreifende Energie der Charaktere Masaccios hier ebensowenig erreicht, wie von andern Zeitgenossen ; aber es ist schon eine hohe Anerkennung, wenn die ernst und sorgfältig durch- dachten Kompositionen neben dem Besten aus jenen Tagen floren- tiiiisrher Kunst bestehen. Wie dieser Maler in Castiglione ungern aus dem architektonischen Rahmen heraustritt, so bleibt auch sein Individuahsmus fast unbeirrt in einem idealen Medium, das er von der Tradition des Trecento um so lieber festhält, als er fühlen mag. dass beim Aiifgel)en des g-elragenen Tones, den auch Ghiberti ni( lit ver- lässt, zugleich ein gut J'eil seiner wertvollsten Eigen.schatti ii gefährdet würde und sicherlich manche Schönheit verloren gienge.

Schwieriger als über diesf innern Oualitäten der schlecht er- haltenen P>ilder dürfte eine Verständigung üImt die Person des Künstlers zu erreichen sein, wenn wir es darauf anlegten. I)estimmte Namen tn Vorschlag zu bringf-n. Im Augenblick aber schtMut mir der Stand der Forschung bei allen Fortschritten, die ihr netierdings gelungen sind, noch nicht in der Lage, nach einer einzigen, auf diese Weise herausgeschälten Arbeit den Identitätsnachweis mit einer historisch bekannten Persönlichkeil zu versuchen. Sind uns doch gerade aus der ersten Hälfte des Tahrhundcrts so viele Cyklen florentiniscber Wandmalerei in Kirchen und K](')stern \erloren gegangen, dass wir uns von dem Wesen oder gar den Fortschritten gar manches Meisters nur ini\ ollstandige Begriffe machen können. Aus biographischen Daten wahrscheinliche Vermutungen zu spimien wäre Gelegenheit genug; Anklänge an den Stil bestimmter Maler drängen sich ebenfalls auf, jemehr uns der ganze l'mkreis vertraut geworden, in dem auch diese achtenswerte Kraft erwachsen sein muss.

Gewisse Kigentümlichkeiten mögen indess hervorgehoben werden. Die AyKistel in der Diakoncnwoihe mit ihren strähnigen Haaren, ihren markanten Zügen und ihren bald fliessenden, bald wulstigen Gewändern erinnern mehrfach an das Abendmal des Andrea dcl Castagno in Sant' Apollonia zu Florenz, wo auch die weiche Behandlung des Stoffes bei einzelnen Jüngern wiederkehrt wie bei den Richtern des Stephanus hier. Eine der Frauen vor der Tempel-

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halle stützt ihren Kopf wie der vorletzte der Jünger rechts, während die Intensität des Blickes beim Ankläger <l<^s Diakons und dem Beirat am I^ribunal wie in dem vorletzten Kopf bei der Steinigung dem durchbohrenden Seitwärtsstarren der Köpfe Castagnos nahe kommt. r)io ( iesichtsbildung des J'>hannes in Sant' Apollonia hat grosse Aehnlichkeit mit dem Stephanus, und der alte Jude, der als letzter der Steinigung beiwohnt, /eiii^t die selben auffallenden Eigenschaften des verlorenen Profils wie S. Romuald im Fresko von S. Matteo, wo sowol der gekreuzigte Christus wie Johannes die etwas geschwollenen zuj.^'-espitzt vorgeschobenen Lippen aufweisen, di(^ auch hier in Castiglione bemerkt werden. Eine ganze Auswal solcher l'ebereinstimmungen glauben wir in der Doppelscene zu er- kennen, mit der die Legende des Laurentius beginnt, ganz besonders in den Köpfen des Ivaisers Decius. des nächsten Trabaiilca und des Pontifex, bis hinein in die Bildung des Ohres, der Nase mit geblähten Flügeln und dem durchbohrenden Blick. Indess die Vergleichung muss ja, sobald es sich nicht mehr um Einzelheiten der Manier handelt, resigniert stehen bleiben, da uns alle Mittelglieder, alle Handhaben ftlr weiteres Eindringen versagt sind. Bis zum Jahre 1444, wo Castagno in Florenz zflnftig wird und die Zeidinong der Kreuzabnahme fOr ein Glasfenster der Domkuppel abemimmt, ent- zieht sich sein Bildungsgang unsrer Kenntnis. Der Mann, der 1435 den Beinamen Andreino degli Impiccati verdient, zeigt in den er- haltenen Beispielen seiner Malerei vielmehr den Einfiluss des Paolo UcceUo, wie z. B. im Abendmal, und er&sst als Hauptaufgabe auch des Malers vielmehr das plastische Bestreben, jeden Körper selb- ständig in möglichster Schärfe und Rundung hinzustellen, d, h. er huldigt der Richtung des Bildners Donatello und verdankt ihr ein gut Teil der Wucht und Giossheit seiner derben Heldengestalten aus Villa Fandolfini wie seines Feldherm auf plumpem Kärmergau im Dome

Das ist ein völlig andres Wollen als die Charakteristik unseres Unbekannten in Castiglione d'Olona ergab; es scheint mit solchen Anfängen in sorgftltig überlegter Kompositton und feiner Erfindung unvereinbar. Und doch bleiben die Anklänge bestehen. Daneben walten noch andre Zusammenhänge mit dem gemeinsamen Besitz der florentinischen Schule. Die feste Umrisszeichnung z. B. in den besterhaltenen Frauenköpfen der vordersten Lünetten, wie des Lau- rentius im Baptisterium und des Stephanus in der Synagoge, ja noch bei der Steinigung, die nicht wenig zur Markierung des Typus bei- trügt, ISsst sich bb zu untergeordneten Handwerkern wie Neri di Bicci verfolgen. Sie ist auch einer Gruppe von Madonnenbildern

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kleinen Formates eigen, die z. B. im Städelschen Institut in Frank- furt a. Main (Nr. 10), im Privatbesitz in England und sonst mehrfach vor- kommen. Sie scheinen mir aus Gründen, die idi hier nicht entwickeln kann, vielleicht Anspruch auf einen andern Namen zu haben, wenigstens

zunächst als Sammelmarkc statt der jetzigen »Graffione« , dais wäre der des G i 11 1 i a n o d'Arrighi, des alten P e s c 1 1 o , der bisher immer noch zu den unbekannten Grössen gehört, und mindestens mit ebensoviel Recht wie Dello ') für diesen Anteil zu Castiglione in Betracht kommen dürfte. Doch genug der Hinweise auf Beziehungen, die ein festes Jirgebnis noch nicht gestatten.

Wenn es mir gelungen ist. in der Cappella dell'Assunta zu Prato die Hand des Domenico Veneziano nachzuweisen, und damit zugleich darzutun, wie nah seine Anfänge noch von Masolino be- rührt scheinen % so gewähren diese Wandgemälde im Chor von Castiglione andrerseits Gelegenheit diejenigen Elcmento /u erfassen, die im künstlerischen Werden eines Francesco Pesellinu oiler Alesso Baldovinetti ihre Rolle gespielt haben. Mit Francesco Pesellino hängt besonders das VerhAr der beiden Diakonen und die Steini- gung des Stephanus /usamnien, deren Gestalten ich hier nur ein Beispiel des genannten Meisters zum Vergleich an die Seite stellen will, das ist eine tronendc Madonna mit S. Antonius und S. Hie- ronymus, S. Ludwig von Toulouse und S. Georg, nebst zw^ei weib- lichen Heiligen im Besitz des Capt. G. L- Holford in London. (Ex- hibition of Early Italian Art The New Gallery 1894, Nr. 107) ein Werk, das mit dem bekannten Bildchen in Casa Buonarroti zu Florenz ganz nahe zusammengehört.

Wir mögen uns vorstellen, dass der Meister, der hier den grOssten der Wände gemalt, im Verein mit Paolo Uccello, dem das Martyrium des Laurentius, die beiden perspektivischen Kunstp stfidce mit den Toten und die Dreieinigkeit über dem Rundfenster nebst dem weiteren Schmuck dieser letzten Polygonseite zufielen, den Freskenschmuck noch bei Lebzeiten des alten Kardinals Branda zu Ende geführt habe.

') Fflr die Bildnemen im Vcne/ianisch-Veronesischen Gebiet ist neuerdings : Pictro

l".io!etti, L'Architcttura e l:i scultura dcl Rinascinicnto I. Veneria 1893. S. um! "8 und weitere Nachweise über Giovanni <ii Hartolo il Ro"?-o und den Meist- r dct fellegrini* kapelie /u vi-rgleichen. Darnach käme Dellu ai^ Nöcli&lcr ^uch hier in Betracht. *) Repertorinm flb KnattwjsieiiKlMft XVI (1893) S. 159 ff.

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S. Clemente in Rom

L/amit wäre die Reihe der künstlerischen Unternehmungen dieses Kirchenförsten in seinem Heimatsitz beschlossen und unsre Aufgabe in Castiglione d'Olona erfüllt; doch werden wir dem Kar- dinal noch ein Mal als Stifter eines wertvollen Denkmals floren« tinischer Kunst in fremder Umgebung begeg^nen. Denn auch In Rom, an seiner Titelkirche 8. Clemente hat Niemand anders als er die berühmte mit Fresken ausgemalte Kapelle gestiftet, die nach der selben Heiligen S. Katharina von Alexandrien benannt wird, der hier oben in Castiglione der Altar der Unterkirche geweiht ist, wie sie droben am (unv( Mbc dos Chores bei der Geburt Christi das Bildnis des Stifters begleitet, das Masolino vor seinem Weggang nach Ungarn gemalt

Antonio BefFa Negrini (geb. 1532, gest 1603) sagt in seinen Elogi Historlci di alcuni personaggi della famiglia Castigliona, (gedruckt Mantova MD VI) p. 239 von unserem Kardinal Branda:

„Feee fare vn0 CapeUa in Ra$iu$, in San Oemenie Muo pHmo Uioiot di^mia ei omaia di beiiissime ßgnnt done soletra spena atidare a mirmrle U diuin MieHier An- gela BonaroiÜ: nel franOepimo delta quäle veggonnfin* ai giorno iPhoggi tmrme di Branda,"

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I^egesten des Kardinals Branda CasUglione

für die Jahre 1 421 1443

1421 Apr. 13, al> N:it hfol^Tr des (liovanni Dominici apost. l,c^;at in UngHrn, tmd durch päpstl. bcbreibcn vom VI id. Apr. d. J. mit uuunischranklcr Vullmachl füi BObmen, Hlluen, Meissen und Deutichland veraehra. B«roDta$, Annal ecdei. LoccA 1752. VIII. (XXVII).

» Mai 31. auf einem Tage der FUfiten und Städte txx Wesel; ermahnt verschiedene •^r ihc ilif Untrrnebmungen der Kurfürsten gegen die Hussit' 11 .11 unter- slulzcn. Rcicbstags::kten VIII. 66 vgl. VIII. {>. 62, 30. 38. 50" u. p. 65, 19.

» Juni 6. in Kein. R. T. A. VIII, 6;. Z. 42 b a. 77 »H Pal«;ky, GcM:h. v. BOtiDteD m, 2. 244 not. 205.

Juni 21, in Lflttidi, Ton wo er am 1. Aug. nach Böhmen abgeht (Chron. Belg.

magn. vgl. Ann. ecc!.)

» Okt. 26. Rom, 'Mntisi^Ti .re di Puigenza lia oggj qui.- Brief des Barl, de' Bardi ao die in (jaeta betindlicbcu Gesandten von Florenz Mich, de Castrllani und Rin. de|^ Albbi. (Omtmistioni di Rinaldo degji Atbiai, ed. Guasti. I. 3S80

> Dec. 12. A di f 2 di dioembie desinamo cnl cardinale di I'iagenza ; c poi ]>er par*

lare della materia, cavalcatno con lui e co! cardinale di Pisa') alla caccia: c tutto conferito insiemc, ci dissen ' che 001 aadaäsiroo l'altra mattina al Papa, che vi saiebbe «luel di Pi«g>.ii/u per aocondo del fatto: accio che noi avewimo bnona riapoala, e sanza indogia (Rinaldo d^U Albizi, Com- missioni. I. p. 365.)

» Dec 12. datiert ein p.^pst]iches Schreiben worin Branda aufgetragen wird; »Ut Bohenios Moravosque catholicos craäh symbolo insigairet«.

1422.

(422 Januar 7. Bulle Martins V, welche einem Wun'.che Brnndas gemäss dir Vririnigung mehrerer Kirchenpfarreion und Kaplan'stcüm in Castiglione d'ülona zu einem Arcbipres byterat verlügt. Gedruckt in : De Origine Rebus» Ge»üs ac Privileg Gentis CastiUioneae . , Matthaei CastOUonci I. C. Commentaria. Mediolani Ex Offidoa Typographien quon. Pacifid Pontij. IS9S. S, 65.

> April 25. ist Branda am Rhein. R. T, A. VIII. p. 129. No. II 8. » Mai in d^r NSb'» von Rpf;? n^hiirj,«.

» Mai 22. in Nürnberg »itim andern malec R. T. A. VIII. p. 232, 16. ibid 226, 35, vor 10. Juni; Juli 8.— Aug. 5. ibid. 228, 7.

* Sept. 4. Ksbischof Konrad von Mains beriditet an Herzog Adolf von Berg, dass

Card. Branda auf GeheiTa des Papstes dem KöMg Sigismund zu St. Sebald in NOmberg eine geweihte Fahne übergeben habe. ibid. 153 No. 141, »54 *1. 5.

') Alamamio Adiman, i'rcsb. Card. 5. Eusebü, f 17. Sept. 1422.

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Kegesten Brandas

1422 Oku 3. Rcjjrn-l'iiTj;. Deutscher Uri' f BrnnMa, in Markymf Fhcdricb von Bnodcil»

bur;;. iliid. 186. No. i(>3. vj^l, 245, Xo. 199.

> Herbst. Dann in Bülniicur ibid No. 291. arl. 3.

M-'.v

1423 Mai ts. Erlass Brand«!, von Mainz an dcu Bischof Johann II. von Re^ensbtuf.

R. T. A. VIII. 291. No. 243. » WeihiMditen mU «r nach Brfinn kommen.

1424.

1434 Jan. 17. KurrürstcnUg zu Bingen trt Anwesenheit s Kardinals Branda. Dann Gesandter in Polen, vgl. Caro, Ausg. v. Cioick» Uber ouicellarius 456. Palacky, Urk. Beitr. I. 309 313.

Min 6. Vertreter des Papstes bei der Krönung der Sophia, Gcmalin Jagellos mn

Polen, in Krakau. (Aitdibach, ^gmnnd III. lÄf. Engel, Getcb. Ungvat

n. 309.)

a April, in der Charwochc i^st er bei K6nig Sigmund in Slulweisseobuig (Aidib. ID. 185. Engel II. 310.)

1425 Januar. Briefe Martins V. an WladiskttS von Polen und an den Herzog vod Lifthrinen /non Jan. pontif anno VIII, Annal. Eod. Tom. IX. (XXVIU.) nach denen Branda noch in Deutschland ist. » Mi» «5. In Castijj^one d'Olona bei der Einweihung der Kollegiatkirche auge]>cn. » Mai 5. Brief von ihm, in einer Rede des Riaaldo degli Albiai Fkurens erwihnt, wonach er beim Herzog in Mailand anwesend scheint. (Commissioni dt Rin. degli Albizi. II. p 323. Vj^l die IVstrede, <!ie Paolo Biumi beim Besuch des Collegio de' Dottori in Mad;md an Branda gerichtet, Mso*. d. Ambrosiana. Fr. Peluso, La cbiesa di Caaligliom- p. 15.)

Juli 34. Die floientiniiehen Gesandten in Rom bcsvdien den Kardinal Bianls

>iiuel di Piaoenzi« el quäle molto d strigneva al Fsgionamento ddla paoe.« (Mhin.)

» Juli 24. tieheimes Konsistorium zum Empfang der florcntinischen Gesandten: »FuroDvi XI. Cardioales, timnes excepto Aquilegeosi.« (R. degü Albizi. Comm. II, S34 ) Nach llichele Siminetti, Mesoolanze Macr. Oresd. Ob. 44. Bl. 30*): »nel qual oonsistoro furono Hnfra scritti cardinali cio^ Cardinale deUi orsini » di conti ')

» di viuiers ucce canccilicrj ') » di lodi «) > di vinegia») » di äena^

*) Vgl. über diese Hdscbr, in Dresden CiusUv Buchholz, Zschr. C vcrgl. I-ilL Gesf^. V. Renaissance Litt. N. F. II.

Giordano Orsini, Ep. Card. Albanensia. •) Lucido de* (^onti, Diac. Card, di S. M. in Cosmedin. •) Giovanni Armet, de Broniac (Brof;ners pres Anecy) t *) Fr. Angelus de Anna, lipisc, Laudeosis, Epiüc. Cartl. Praenest. f 1438.

Francesco Lando, Patriarch v. Ccmslantiikup^^I. j 142;. *) Gabr. Condolmer, Presb. Card. S. CtemMitis whmah Eog^n IV.

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ReGESTEN BrANDAS III

Cardioali di tricarico ') > di piagenza ') » di nn m»roo *) » de* bnuMaod *) 9 <li Santo eustachi •'') 1435 Sept. 6. in Rom anwesend. (Rin. d^li Aibizi. II. 387.) » Okt. 21. (ibid.)

1426.

1426 Mai «4. seine UntersdinK mf einer Urkunde Mutias V. : dat. Romae 9 Kai. 1426.

Ebenso: Kai. Jidii »qnia ex . . dilecti fUii Birandae relationifaus COnstitit et constat

hn Fcl)ruar 1420 war Kardinai Jordano i>rsini als Nachrolj;er Brandas zum Legaten designirt, er kehrte im November desselben Jahres aus Deataebland heim, (Conmiss. di Rinaldo d^li Albizi) nnd «ein Nach- folger wird Henricqs Beaiifort, Ejdsc Wintonienm, ttt. S. Enaebii presb. Card. 14. Mars 1427. (Annales Eod. XXVIII. (IX.)

'429-

1429 MIrs (14 Kai. Aprilis) Bolle Martins V. Aber die GrOadung eines Kcdlegs in Pavfa

durch Branda C^astiglione. » Sommer ist Branda zur Herstellung seiner Gesundheit in Montcca-ssino vf^l. Ambros.

(Traversari) Camald. Lat, Epist a P. Canoelo editae. Flurent. I7S9« Praefatio IL u. Xi.VIII.

'43J.

1431 März 2. Konklave. Wahl Eugens IV. in Rom.

» März 15. erhält Branda das erledigte Bistum von Porto?

» Juni. Abreise des apostd. Legaten Giutiano CeMurini ans Rom nach Basel (Anhunft

19. Juli).

» Not. 12. Pftpstl. Urlninde ohne Untcrsditift Brandas: Romae pridie Id. Nov.

1432.

1432 Sept. 6. sidier in Basel auf dem KoncU scixdinalis Placentiausc

M34-

1434 Mira 2$. (Vm. Kai. Aprilis) Plpstliehe Urkunde nodi ohne Untenichrift Brandas.

1435-

1435 >7* (13 Kai. Martii) Fkweat» PIpslI. Urkunde: »Branda . . . Episc Portuensls«

(seit Utn 1431 Inhaber dieses Titelst)

>) Tommaso Biancacci, Episc. Tiioifiensis Presb. Card. S. Job. et Paul, j 1428. ') Branda CastigUone, Episc. Plaoentinns, Presb. Dird. S. Clementis. ■) GttUI. Fillaslie, Presb. Card. S. Marci. f 1428.

*) Raynaldn Brancarci, Diac, Card, S. Vili e Mod. + 1427.

Jac. Isoiani, Diac. Card, di S. Eusttacbio. f 1431, oder Alfonso Carillo, der diesen Titel durch Benedikt XII. filhrte, und bis 15. Aug\ist 1423 Legat in Bologna gewesen war. (R. d. Albiai Commissionii I. 414)^

Darnach fehlten aber ausser Antonio Pancerini» dem Patriarchen v. Aqnileja noch andere Kardinäle, z. B. Antonio Corario, der am y. Nov. 1425 aus seiner Legation in Penigia /tmlckkrhrt, (Commis^ioni di R. d. Alhizi. Tl.); ferner T'icrro de Foix, Presb. Card. S. Steph. in Coelio, der seit Januar 1425 als Legat icur Unterdrückung des Schisma in Spnnien war, woher er erst Im Jamiar 1428 zurttdckehrt.

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Regesten Brandas

'435 Conven?ioni fra l'Arriprptp, Ii dne < "apprll.ini Map;,'iori c lo scolastico dclJa

Collc^iaia di Casiigiionc »Die Marlin» X.I Munsis Octobris . . . m preseotii Revmi D, D. Brande de Castilliono- Hpisropt Portuensis Cudinifis D^- nissiini . . .c Rof^to Gio. Batt. Castiglione, Test. Alexius Dei Gratia Epiacopu» Placentinus.

1436.

1436 Juni 6. erneueit Filippo Maiia Visconti die Erbttbnis xar Bebaunof des Sdiloss-

liügel > in ("asliglione,

Brief an Branda v. Beruabo Corcaneos. Mscr. in fol. H. Dum 48. der Ambrosiaiu.

1437-

1437 Okt. 30. (III. Kai. Xovcmbris) Errichtung zweier KapbnsU-llen in Castiglione an

rjcr Taufkapelle und der Ktrcbe Corpus Cbrisü. Päpatl. Urkunde «0$ Bologna.

Dec. 4. Statuten des Coli. Castilioo. oa der Universität Pavia, dat Bononiae opod

S. Jacob.

•439-

14.39 Juli 6. Unionsurkundc d. Fl irentinfr K'uitil^- »pridie non, Jnl.<: » Sept. 26. {VI. Kai. Octob.j Florenz. Ercclio Scholae Ca.stilioni »pro parte venera* bilis fratris nostri Brandac Epi»copi Poriueosis . .

1440.

1440 (Aug. t».— Oct, 8.) »Episfopns Sabiiiensisc Siegel Bran da«; in Florpns', S Maria Mai' del Cestello bei Mansi, Dom. M. Ossertazioui isioHche sopra i iii^lii auticfai de* secoK bassi. Tomo IX. Pirenze 1742 p. 8t. >) Vgl. Poggiali, Memorie storidie di Piaeensa. VII (1759) p. 224.

1442.

1442 Gel. 30. Ankunft und Empfang in Mailand.*)

» Dec. 8. De praefecto Fabrieae . . Castil. »corani D. D. Brand« naiseratione Divina Episcopo Sabioeosi . « . Testes; Ai^lai« Episcop. Airianensis; Petrus de Mera decret. Doct. Praepos. Embriaeea . . .t

1443 Jan. 20. Cyriacus v. Ancona beswht den Kardinal in CastigBom d'Obna (Kiikkt

Anconitani Itinerariom. Nova fragm. cura Pomp. Compagnini. Pisauii 1764.) » Febr. 3. Tod Brandas.

Grabschrift: ^L'Epitaffio rompo';tn da I.poriardn Grtffio, nobile spirito di quci lempi- bei Bctla Ncgrini, Eiogio 41, dessen Edition schon von Cesare Campana vorbereitet war. Vgl. Argelati, Bibliotbccn Scriptonun Mediolanensium. I. (172$) Na CCCCXC. col. 349— 351 (Leonardus Grypbus, Bischof v. Gubbio 1478» Ersbiscliof von Benevent 1482, gest 1485).

') Dort wird erwlhnt: »Lilio Gregorio Giraldi sagt« im Dialogo IV. de* Poeti, er babe ein Manuscript mit ilor Aufsdirift: Andveae Dominici Flocci Florentini ad Bnmdam

Cardinalem Pla»entinum de Roinanis Magistratibu« Liber.«

') Vgl. (Tollatio pro adventu , . . Brandae , . auct. Matt, de iiecchis. Msc. Am«

brotiiaa. B, n. I lO.

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Lieferung I

Verzeichnis der Tafeln.

I.

CasUgUone d'Olona. Collegiata, CherdMke.

1) KrOiroi^ M«riM.

2) Vokflndigniig.

3) Sposalizin.

4) G<*bnrt Christi.

ö) Anbetung der Könige.

II.

Bapiisterittin.

6) VedtflndigBiiesengel.

7) Jotuinoes der Evai^tist.

8) Prophel Jesajas.

9) Zacharia«; im TeinpeL 10) Naniciij^cl.ung.

tl) Predigt Jubaiuib. 12) Eeee Acmw.

15) Zuschauer in der Fensteradirlge. 14) Taufe Christi.

15^ Gottvater in Eogelglone.

16) Johannes malmt Hemdes.

17) Einkerkerung des Johanne».

! 18) Johaoneü im Kerker.

19) Enthauptung^.

20) Gastmal des Herodes. •Jl) 1

28) I Details daraus.

23) 1

lU.

WandgemUde im Chor der Ctollegiata.

24) Legende des heiligen Stephanus.

25) Martyrium des heiligen StephantlS. 2f)) Geschi.ht- n des S Laurentius.

27) Bestattung der beiden.

IV.

Masaccio.

28) Zeichmiiif! narh einem Dioskuren vom Ouirtnal in Koni. (Phot. Braun nach Ungmal im British Museum n London).

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SCHMARSOW

MASACCIO-STUDIEN

ZWEiTKb BUCH

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MASACCIO

STUDIEN

VOR

AUGUST SCHMARSOW ^ 11

MASACCIOS MEISTERWERKE

(Mit i8 Lichtdrucken)

1896

Th. G. Fisrbr A Co.

KASSEL

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MASACCIOS

MEISTERWERKE

STUDIEN

VON

AUGUST SCHMARSOW

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Inhalt

Seite

Das Urteil der Zeitgenossen I— 4

I Dio Hauptstücke der obern Reihe in CappellB Bnocacd . . . « . 4 34

1) Die Ge«>chichte vom ZoUgrosclicn 4 14

2) Die Vertreibung aus dem Paradiese 14—25

3) Die TÄttfe 23—30

IKe Zeidunuf einet DkMkoren von Monte Cnvntlo lo-'JS

VL Die untere Reäie seiner Fresken in C^pftelln Bninetod 34~5o

1) Die Alroospnfpende 36—39

21 Die Schattcnhoitung 39 42

3; Petrus in Cathedra ...^ 43 46

4j Die Erweckung des Knaben. | 46—50

La Sag!» del Cnnnine jl 60

III. Die sonstigen Meistentflcke dieser Periode 6a~96

f) Das Ftesko in S. M. Novella 61—71

2) Das Ruiidbildch.cn in Berlin 71 76

3) Das Altarwerk von Pisa 76—89

Die Heilung des besessenen Knaben 89—96

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MASACCIO'S MEISTERWERKE ^

^/jiisacrio hat niitton in Flnren/ sein Lebenswerk eiitlaltet, uiul die nachfolgende Generation steht den (xrofstaten seiner kur/eti l.aiin)ahn wie ( )ffenbarunj^en einer Wunderkraft geLjenübor. Uonio niaraviglioso figura niaravigli< .^a - ma lui niaraviglioM» stnria maraviglios.i d'artificio a ogni intondente , stammelt Antonio Manetti zwischen der schlichten Aufzählung st^ner Leistungen, ein Architekt und Mathematiker, der gewiss /u den Sa< liverständigen gehörte.') (^nd welch höhere Anerk»>iinuiiL; k'>tinte es geben, als was zeitge- nossische Handschriften dieser kurzen Nachricht hinzugefügt: i'ilijijM) di ser Brunellesco, der grosse Architekt, hat ihn sehr geliebt, weil er seinen durchdringenden Geist erkannte, und hat ihn viele Dinge der Kunst gelehrt Bei der Nachricht von seinem Tode zeigte er, wie tief sie ihn ergriff, und wiederhalte unter seinen Leuten: wir haben einen grossen Verlust erlitten.»*)

Schon im Jahre i^So ist das Urteil des gebildeten Florenz, mit seinen scharfsinnigen und geschmackvollen Freunden der Kunst, vollständig abgeklärt Mit bewusster Sicherheit Ober den Wert des Erreichten, der gewiss in mancherlei Gesprächen erörtert war, drängt Cristoforo Landini im ersten Florentiner Druck der gottlichen Komödie Dantes den Wahrspruch der Zcitgt nossen in ein paar Sfltze zusammen, die nur zu oft wiederholt sind: >Masaccio war ein

*) Operette istoric^ eiUte et inedite di Antonio Bfaaetti, rtux. da Gaetano Milanesi Firenze 1887.

V^]. il Libro di Antonio Billi (CoiI. Slm/zian.), r.-d. Ma^li:il<ctchian. cl. XVII, 17 und Cod. Fetrci bei C. v. Fabriczy, Filippo Urunellcschi, Stuttgart lü^z S. 489. SdnuMov, liMaocio4Stiidien II. 1

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2

Masaccio's Meisterwerke

vortrefflicher Nachahmer der Natur, vnll pl.istischor Durchbildung, ein Meister der K«)ni))MsiLit>ii, orsoll, und rt in ohne Zierwerk; denn er ergab sich ganz der Nachahmung- des Wahren und der plastischen Erscheinung^ der Gestahcn. Kr beherrsehtc die i'ersjx klive so g-ut wie irgend ein andt rer jener Zeit und besafs eine grosse l.cicliligkcit des SchalTi ns, da er doch noch sehr jung war, indem er mit sechsundzwanzig Jahren starb«.')

Schon damals aber scheint der Inbegriff seiner Kunst an eine einzige Stelle der Amostadt geknüpft. Die kurze Nachricht des Antonio Manetti beschränkt sich wenigstens auf Kirche und Kloster del Carmine, obwol dem Verfasser die sonstige Ausdehnung des Wirkungskreises auf andere Stellen in Florenz, auf Pisa, Rom und anderweit nicht unbekannt war. Ihn leitet das sichere GefOhl, hier im Carmine sei doch die Hauptsache zu suchen.

Und hier wieder bildet die Cappella Brancacci den Mittelpunkt, die noch Giorgio Vasari als unerschöpfliche Quelle der Belehrung gepriesen hat. Man muss sich klar halten, was es fflr einen Künstler mitten im sechzehnten Jahrhundert bedeutet, wenn er das Bekenntnis ablegt, hier seien »i precetti e le regole del far bene« zu suchen, hier habe Rafael den Ursprung seines schönen Stiles gewonnen, hier Lionardo da Vinci nicht minder, ja selbst »der göttlichste Michelagnolo Buonarroti«, und die berühmtesten Bildner und Maler seither, sie hätten es durch Studien in dieser Kapelle so herrlich weit gebracht. Klingft es doch wie die Vorausnahme eines Lehrsatzes- aus akademischen Zeiten, wenn er Masaccio das höchste Lob zu- erkennt, »massimamente per aver egli dato ordine nel suo magisterio alla bella maniera dei tempi nostri .

Wie das Ansehen eines Heiligtums, das die Hand der Vor- sehung vor drohendem Untergang bewahrt (\ gar bald die Ansprüche aller anderen zurückdrängt, so mochte sich diese alte Wallfahrts* Stätte der Künstler aufs Neue herausheben, seitdem beim grossen Brand der Kirche von 1771 nur dieser Teil des ganzen Gotteshauses \erschont geblieben war. Die Hand der Menschen hatte ohnehin dafür gesorgt, die Zahl der Werke Masaccios zu verringern, selbst in Kirche und Kloster del ('armine sich nicht gescheut, ein Beispiel seiner Moistersrhaft nach dem andern preiszugeben.

itn i^iesit/. (Its Besten blieb man unbekünnuert um die Frage wie dieses Wunder erwachsen sei, und erst der historische Sinn der letzten Generation fordert vorwurfsvoll Rechenschaft über solche

Der Conimentar des Landini ist von 1480, der Dnclc am 30. August 1481 vollendet. Die W it> <;incl in allen obigen drei HBiidscbrUten vor dem Veneidiais der Werke Masaccio's wiedergegeben.

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X.EBENSDATEM

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Eintmase, weil ihm jede Vorstufe, jeder Zwischenakt im Verfolg des Hodisten willkommen wäre, und weil er meint, gerade diese ver- untreuten Stacke mflssten, in solcher Nachbarschaft zumal, sein Be- dOrfiiis nach genetischer Erklärung befriedigt haben.

Noch immer vermag die Cappi IIa Brancacd an S, M, del Carmine zu Florenz in ihrer Reihe von Wandgemälden so reichen Einblick in das Schaffen des Malers zu gewähren, dass daneben alles Uebrige nur noch Ergänzung oder Erläuterung scheint. Deshalb suchen auch wir heute, ihn an dieser Stelle zunächst zu fassen.

Und dieser sichere Ausg-angspnnkt verdient um so mehr den Vorzug auch des zielbewussten I orschers, je weniger die spärlichen Daten aus Aktenmaterial für die Kunst selber zu ergeben im Stande sind. Was haben wir denn für dns \'erständnis des Genius gewonnen, wenn wir wissen, dass Masaccio iia( h Aussage seitios oiq-enon Bruders am 'ITionrtstage, d. h. am Ji. Dezember dos Jahres i \o\ geboren ward, und zwar als Sohn eini-s Notars in dem kleinen ( hi Castollo San Giovanni im oberen Arnolal.') Dem Künstl<T kommen wir näher mit der Angabe, er stehe schon am 7, Januar i ]?i in der Matrikel der Aer/lc und Spezeristen verzeichnet so dass er schon mit zwanzig Jahren sich selbständij^^ gemacht, während im alten Libro delP Arte di S. I.uca sein Name ^Maso di ser Giovanni da sangiovanni i' mit der Jahreszahl M( ( ( '( 'XXIV versehen ist. Xeuerdinus ist als Errungenschaft eifriger Archivstudien die Tatsache hinzLigek"ninien, dass ihm 1426 ein Altar werk in Pisa zwischen dem 24. Juli und dem 8. Dezember in mehreren Raten he/ahlt ward. ') Aber die I afel, die so beglaubigt und datiert wird, ist in Pibu nicht mehr vorhanden, und fast befriedigt mehr der Xebcnumstand. dass Donatello ihm dabei als Zeuge zur Seite steht. In kümmerliche \'erh aUm'sse lässt uns seine eigene Angabe zur Einschätzung des Jahres 1427 hinein blicken,^) wenn wir nur etwas zwischen den Zeilen lesen. Danach wohnt er mit seiner zum zweiten Mal verwitweten Mutter und seinem zwanzigjährigen Bruder Giovanni zu Florenz in einem ge- mieteten Quartiere und arbeitet in einer geteilten Werkstatt, die der Badia gehört Sie haben mehr Schulden als Einkommen, so dass

') »A ili 15 di setlembrc 1472, schreibt Antonio ManetU am Rande seinct Schrift »HwHnini singnlui in Firense dal MCCCC ianmzi«, mi disse lo Scheggia sno fratdlok

ch« nacqae nel 1401 el di di Santo Tomaso apostolo, ch* ^ a di 21 di dicembre.«

*) BaMinucci, Notizic dei professori (Ausgabe Firenze i^lS. I. 4"-) ;

dcrsellx» gicbt abrr das Jahr des Kintriftt; in die Malrrt^'iKlr* S. Liica auf I423 an, was Milanesi verbessert, ohne die Matrikel der Medici e Speziali zu eitleren.

«) L. Taaftat Cento&nti, Donatello in Pisa. 1887.

^ Gaye, Cut^fpo J. 11$ f.

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Cappella Brakcacci

er sogar dein Gehilfen Andrea di Giusto noch seinen Lohn nicht entrichtet hat. Und als Tommaso ini folgenden Jahr zu Rom ums Leben gekommen ist, man weiss nicht wie, da weigert sich sein Bruder, die Erbschaft anzutreten, weil er nichts aufbringen kann.') So wichtig solche Anhaltspunkte werden können, sobald man sie richtig verw ertet, tlie volle Hodeutung dieser Namen und Jahres- zahlen vermag doch erst einzuleuchten, wenn die ßetrachlung der Werke selbst gezeigt hat, wo die Probleme liegen, und begreifen lehrt, welche Tragweite den Fragen nach dem Wie und Wann gebühre.

1*^ DIE HAUPTSTÜCKE DER OBEREN f^EIHE IN CAPPELLA BRANCACCI

Die Geschichte vom Zollgroschen

Während der letzten Jabre seines Aufenthaltes zu Florenz, der durch Zahlungen in Pisa für 1426 und durch die Einschätzung für 1427 belegt ist. denken wir Masaccio sonst in voller Tätigkeit bei den Freskomalereien der Cappella Brancacci, die er dann un- vollendet zurückgelassen, als er nach Rom gieng. so dass sie nach .seinem nnenvarteten Ende erst lange Jahre später durch Filippino Lippl vollendet wurden.

') Dieser ülovanrii, genannt lo ScUeggi^ vegetiert als Maler bis 1486. Der Name ihres Vateis Uvtct in den Urkunden »Mr Giovanni di Mone Guidi«. Im Codex Magliabeodi. XVII. 17 findet sich schon der Irrtum »Tommaso Masaog«. (der bei Fraacesoo AUwftini

(IS 10 wiederkehrt), aber «renkten» mit dem Zusatz >dctto per cognome Masaccio«. Diesem .Spitznamen, der unjjelähr iinserm Deutschen »»Ji-r wOste Toms« entspräche, !»ucbl Vasari den Beigeschmack des Spottes oder ladels zu nehmen, der ein ungünstigem Vor- urteil erwecken kOonte. Nur sein vüiligcü Aufgehen in der Kunst halle <lem Maler Ar die alltl^lichen Ding^ des Lebens keine Zeit und Laune ttbrig gelassen, so dan er attch in Geldangelegenheiten sorgIo<> gewesen, wie mit seiiii-r Kleidung. Die VcrsicbenUlg^ Mri^;ic< in i Ii'm .n*l< ib licbenswnnli>^ uixl hüftx-rcit, ilie iiatnrlirhe Güte selbst gewesen, i>t al>o hier zu >ciir Rückschlag jenes Beiuameiis, um .iIn j;!:iubliaü<- Cliaiaktcristik gelten zu dürfen. Die einfachste Veranlassung, dass man den grossen Thomas durch die Be* seicbnung Masaodo nur vom kleinen Thomas, nJbalieh »Tommaso di Chriatofano di Fino« oder Masolino da P»nicale unterschieden habe, weil beide in Floienx nebeneinander gelebt und verkehrt, wird nirgends erwSbnt, vielleidit weil sie selbstvemtindUcb schien, bis Vasari darüber moralisierte.

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Die Geschichte vom Zollgroschen

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Da erscheint noch heute, wie schon Vasari sich ausdrückt, die Geschichte vom Zollgroschen als wichtigste Leistung vor den übrigen, die Masaccio hier gemalt. »Da sie nun gen Kapernaum kamen«, erzählt das Mathäus-Evangelium im XVII. Kapitel, ^giengen zu Petrus, die den Zinsgroschen einnahmen und sprachen: Pflt vit oucr Meister nicht den Zinsgroschen zugeben? £r sprach: Ja. Und als er heim kam, kam ihm Jesus zuvor und sprach: Was dünket Dich, Simon? von wem nehmen die Könige auf Krdrn Zoll oder Zinse? von ihren Kindern oder von den Fremden? Da sprach zu \hm Petrus: Von de>n Fremden. Jesus sprach zu ihm: So sind die KIihI^t frei ! Auf dass aber wir sie nicht ärgern, so gehe hin an das Meer und wirf die Angel, und den ersten Fisch, der herauftährt, den nimm, und wrnn du seinen Mund auftust, wirst du einen Statcr finden : denselben ninmi und gieb ihn für mi< Ii und dich. Diese Kr/ahlung wird in dem grossen Breitbildr' ])ehaiKlclt, das den ganzen >>l)ercn Streiten der ciiK n Seiten w and, zur Linken des Besuchers einnimmt. Sie ist hier in drvi Momente /erlegt; oder vielmehr dem letzten Monient der biblischen Fr/ählimg selbst, dem Refehl Christi an I'etrus, sind die beiden folgenden der Ausfuhrung hinzugefügt, uamlieh die Auftindung d(>r Mün/e im Fische und die Fntrichtung des /olles an den Kinnehnier. So weil konnte die Vorschrift oder Hülfe eines geistlichen lieirals gehen, di-n wir im Kloster der Kar- meliter voraussetzen müssen. Die Anordnung der Scenca, ihr \'er- hältiiis zu einander, und was die Darstellung sonst bietet, ist ganz des Künstlers Eigentum. Zur \'erdcutlichung des 1 lauplmonicntes ist schon die Forderung di s lieamten unmittelbar hereingezogen, so- dass diese Mittelscene den Befehl zugleich mit seiner Veranlassung zeigt. Das Ganze wird vor den Mauern der Stadt Kapernaum gedacht, als handle es sich um Entrichtung des Torschillings.

Auf breiter Strasse, die sich von links her zwischen Hügel- ketten und dem Gestade des Sees hinzieht, hat sich die Schaar der jQnger, mit ihrem Meister in der Mitte, der Stadt Kapernaum ge- nähert, deren Tor mit dem Wächterhäuschen zur Rechten liegt Soeben is{ der Beamte auf die Ankommenden zugetreten und fordert die Abgabe vor dem Eintritt in die Stadt Vom Rücken gesehen, steht er in kurzem Kittel fest auf dem linken Bein, während das rechte, nur mit den Zehen den Boden berQhrcnd, in schräger Haltung sich seitwärts streckt; die Unke Hand hält er gec>fihet hin, die Münze zu empfangen, während die rechte zur Erklärung des An- sinnens rückwärts auf das Tor weist, wo von jedem Fremdling ein Eingangszoll erhoben wird. Diese doppelte Bewegung in der bäurischen breitschultrigen, scheinbar sogar etwas buckligen Ge-

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Cappella Brancacci

stalt. deren Antlitz wir nur in verlorenem Profil zu sehen be- kommen, weil es sonst die Wirkung der sprechenden Gebärde beeinträchtigt hatte, ist ein Nfeisterstück anschaulicher Exposition. Es ist kein Bettler, der Almosen heischt, sondern ein Mann, der auf seinem Rechte steht, ganz objektiv behandelt, nur in Ausübung seiner anerkannten Funktion, die an si< h f^^leichgiltige V eranlassung zu dem wuiidervollon Auftritt, ilcr sich nun zwischen Christus und den Seinen .il)spieli. Krgrininil über die Forderung an die Kinder der Armut sieht Petrus dem l orwärter gegenüber, alle Muskeln seines (icsicht> ziehen sich zusammen, während die v<^rgeschubenc Kinnlade den zornigen Blick fast verächtlich hcniusfordernd be- gleitet, und die linke Hand, leise vorgestretkL sich hebend, dem lästigen Anlauf allein gcgeniil)er, eiiie Zurückweisung l)e<leutcn wollte. Aber des Meisters Wink \ ervvandelt dfii Sinn der Antwort im \'<>ll/uge. Christus selbst tritt in diesem Augenblick zwischen beide Gegensätze und befiehlt dem alten erreglichen (ienossen, an den See zurück/ugehcn und <iem ersten Fisch, der an seine Angel beisst, das Geldstuck /u eulnelinicn. de.ssen sie bedürfen. Unwill- kürlich .streckt sich die Rechte des gehorsamen Jüngers in derselben Richtung aus, wohin die Weisung gehl, und die abwehrende Haltung der anderen Hand wird nun zu einem -Warte, bis ich dich befriedigen kann«. Auch hier wieder ein kritischer ITbergang im Ausdrudc zweier verschiedener Momente der Handlung. Nur Christus stdit ruhig und klar, mit sich selber eins, vom^m im Wesen und har- monisch im Wirken da. Sein Wille löst den Widerspruch, bevor noch die Verlegenheit ein Ärgernis gegeben, und nur in der horchenden Jüngerschaar spiegelt sich Spannung und Staunen ob des seltsamen Befehles wieder.

Von Petrus auf der einen zum Wächter auf der anderen Seite der Hauptperson umgiebt den Meister ein weiter Bogen« der sich beim Wortwechsel sofort gebildet hatte, während hinter Petrus eine enggedrängte Reihe aufschliesst, wie sie des Wegs dahergewandelt kam und nun zurückstaut So malt sidi der unerwartete Zwischen* fall noch im friedlichen Zuge. Wie das flüssige Element vor dem hineingeschleuderten Stein im Kreis auseinanderweicht und wieder- kehrt, so hier nachgiebig oder ratlos die Frommen. Nur Einer macht Miene zum Widerhalt, und Einer gewährt Rückhalt, wenn es nötig wird: das Brüderpaar Petrus und Andreas. Und so hebt sich doppelt das Auftreten des Führers, dessen geistige Ueberlegenheit den Anprall aufhebt und die Welle glättet. Neben Petrus, der zum Stein des Anstosses m werden drohte, steht der milde Johannes, ganz Hingebung und Vertrauen zum Herrn, und am anderen Ende

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Die Geschichte vom Zollgroschen

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des Bogens der zweifelnde, ungläubige Thomas, der mit äusserster Skepsis dem Ablauf folgt, wahrend die letzten drüben, mit dem langbärtigen Andreas wie einem Eckpfeiler an der Spitze, sich zur Mauer zusammenschlössen, wenn er das Beispiel gäbe. Drei Charakter- köpfe verschiedenen Alters sind gleich gerichtet dem Mittelpunkt zugekehrt, während ein vierter, nach ihnen liingcwendet, zu Petrus, ihrem Vordermann, überführt, der nun erst recht als Säule hervortritt. Ihm reiht, in gleichem Werte, sich Johannes an, während der nächste Kopf zwischen ihm und Christus, wir der folgende, zwischen Cliristus und dem Tt irwarter. nur wie Trab.uiten dos Meisters in .mgcincssener Entfernung verharren, doch als Folie der Miniptpersun /ugleidi durch encrgisclicn UUck nach dieser wie nach jener Seite vermitlehj. Ueb(T der Schulter des Beamten siehtbar, blickt noch ein jugendlicher Kopf nach rechts hin zu dt r Sehhissrciho von abermals drei Ge- stalten, die denen links entsi)reehen(l, nach Innen gericlitet gegen- über stehen. So führt von «i(T in.Lehtigcn Gewandtigur, die wir als rhomas anerkannt, die doppelle Bewegung des Zollcinnehmers in seinem Kittel zu Christus nach der Mitte des ganzen Gestaitenringes zurück.

Eines Weges Breite treimt diese in gleicher Kopfhöhe durch- geführte Hauptgruppe des Bildes von dem gemalten Pilaster, der den Wandstreifen links begränzt. Tlter sieht man vor einer Reihe junger, noch spärlich belauhtor T'.äume, die unsre Wanderer im Rücken gelassen, den Rand des Wassers, wo das Wunder mit dem Fisch geschildert wird, soweit es tunlich war. Halb sitzend, halb auf ein Knie gestützt, beugt sich der alte Petrus am Ufer des Sees vornüber, um mit beiden Händen diis Maul des Fisches zu öffnen, der ihm die Münze bringt. Die abgeworfenen Oberkleider liegen neben ihm am Boden, sodass (lie angestrengte Haltung seines Korpers in ihrem zweckmäfsigen Zus.unmenhang auch in stark ge- krümmter Ansicht noch klar heraustritt. Sie macht in ihn r Bestimmt- heit und Knergie dem Meister umsomehr Ehre, als er sie h durch die Schwierigkeit der T.eistung nicht hat verleiten lassen, sie auf- dringlich in tlen Vordergrund zu rücken. Kr schiebt das Bravour- stück \ielnichr entschlossen auf den Irrner» -n Pinn, im richtigen fiefiihh dass all/ugrc>sse Deutlichkeit des (u schehens (l« in Wuntlrr sciiade, und orilnet es so als Xebeusaclie nur dem (t.mzen unter, dem gerade diese Erweiterung des Raumes zugleich fMtio Stn ( ke Weges, den die fromme Schaar zurückgelegt, al»sehbar ein\ erl.-ibt, und ausserdem, im Gegensatz zur anderen Seite, eine Wirkung sichert, die dem innersten Geheimnis seines Genius angehört

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Die Geschichte vom Zollgroschen

Während hier das Augo des Beschauers den Abstand der K<')rper crmisst. ohne sich allzusehr gefesselt abseits zu verlieren, dringt die Scene rechts am Toro nah und d<nitlich auf volle Be- achtung. An (lor Schwelle des F.ingangfs zur Stadt, wo ein paar Stuten schraL,"^ hinanluhren. steht wieder der derbe (tcsoII mit seinem Stecken unterm Arm, beinahe wie ein Wej^n lagerer. Zum Bettler fast, dem man Almosen rei<'ht. drückt ihn die Vdruelimf^ llaltuni:^ des Petrus herab. Hoch ruif^crieluet ist der Ai>')stel zu ihm lirTans^a- treten und Ii gl das ( K^ldsluck in die «.»ffene i land. Fast K'*"'' vom Rücken gesi lieii, den Kopf im Profil herumwendend, würdigt er den Kinnelnncr kaum eines Blickes. Meisterhaft ist die (n'vjen- iilxTstelhing des rr»mis( hen 1 i )g,itr.igers, mit dem weissgel< »t. ku-u Jupiterkopf .luf breitem Nacken, und des linkischen Rüpels, di r mit seinen st.miniig i^e wachsen en (-iliedern ni< ht recht zu bleiben weiss und nur zum Knecht gcborea ward. Die groben Züge des Einen, durch ein fehlerhaft tief sitzendes Ohr und eine Hängelippe enti^telk. bleiben im Schatten, w ahrend (kn Kcjpf des Apustelfursten das volle Tage.slicht erhellt. Schon diese stärksten Kontraste der seitlichen Beleuchtung erschweren es, ausser sichtlicher Beschädigung des Kopfes, beim Wächter die echt italienische Schilderung Vasaris im Einzelnen zu kontrollieren. Er sah oder fühlte: »die Gier des Em- pfängers, der mit grösster Freude das Geld in seiner Hand betrachtet, wie den Affekt des Andern, der zahlen muss.«

Zwischen beiden Figuren steht vom am Rande der niedrige Gränzpfahl, das wolbekannte Wahrzeichen der drohenden Barriere, noch heute das Ärgernis des Landbewohners, der die Cinta daziaria passieren muss, wenn er in die Stadt wilL Und gerade von hier aus beginnt die perspektivische Konstruktion der Seitenkoulisse mit dem Wächterhaus und seiner I^ube, deren Arkade so wirksam die Gestalt des Petrus umrahmt. Ihr quadratischer Unterbau, von ein- fachen Pfeilern getragen, legt sich nach drei S^ten offen mit der vierten vor das längliche Rechteck der Wohnung. Ein schmales Pultdach mit roten Ziegeln läuft über den Bogenöffnungen herum und schützt auch die Türen des Hauses zur Seite hüben und drübea Eine durchgehende Reihe von Fenstern mit halbgeöffneten Holz- läden gewährt eine Vorstellung des luftigen Obergeschosses» dessen Abschluss sich schon dem Anblick entzieht, während an der Schmal- seite des Gebäudes vorn ein kleines Gitterfenster die glatte Mauer durchbricht, um dem sdmialen Hausflur über der Türhohe Licht zu geben oder von innen die Beobachtung des Stadttores zu erleichtem. Die Fluchtlinien an der Fn)ntseiie dieses Bauwerks laufen nach dem Mittelpunkt der perspektivischen Konstruktion, der unmitt^bar über

üiyiiizeo b^^^^Q^^

Perspektive und Komposition

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dem Scheitel der Hauptperson gelegen ist, also an drei Fünftel des H()henlotcs über der Grundlinie. Gdit man in ilen Abmessungen der BUdfläche von dem Centralpunktc über dem Kupfe des Christus aus, SO ergiebt sich, dass rechts ein neutraler Streifen ausserhalb übriggelassen ist, der an Breite ungefähr der Wundcrsccnc mit dem Fisch zur Linken entspricht. So kommt es, dass diese Architektur, so korrekt sie an sich gezeichnet ist, zu den dargestellten l'igurcn noch nicht in richtigem Verliältnis steht. In ihren Teilen etwas zu klein, und zu schwächhch für die wuchtigen (iestalten, erinnert sie noch deutlich genug an die (iewohnheiten des Trec entf) und an die allzu schlanken Bauwerke selbst auf (ihibertis l*i»rta dcl Paradiso,

Unverkennbar bozeichnet die Figuronkomp*>siti('n wieder tur sich einen zweiten Anlauf, und /.war einen unvorkennbarcn Furiscliriit in der Krkenntnis d<\s nie>tuimentalen Stiles, in dem die Handlung der !\ren5chen immer ilie llauiitsaihe bleilien will. .Sie ist fast aus- schliesslich schon auf die plastische Selbblandii^-keit und \olle Wirkung der Gestalten berec Iniet. Sie besehranki si( h <lr«slialb auf einen ziemlich selimalen ^rderj^rimd, und zwar ^anz ainilieii wie die Reliefkonipositionen l)<'natellos. Die Ber^ziige dahinter v^elien einen Untergrund von willkomtnencr Neutralitat und die Bauiiikrunen vor diesen einen Malsflab, wie weit die.se innere Keliefflärhe zu wirken hau Die S( enerie giebt nicht mehr und nicht weniu^er als zum Verständnis des Vorganges erforderlich wird, und biMet aueh ;ils solche nur die äussere l^nigebung. Nur in unmittelbarer N.ilu\ an der Aussenseite der .Stadt zur Rechten genauer ausgeführt, beginnt hinter dieser Koulissc, die Kapernaum bedeutet, sogleich di(? Hügelreihe, die das Seetal umkränzt, und die Strasse begleitend in die Ferne Üieht, aber von einem Seitental durchbrochen einer höheren Gebii^kette Raum gewährt herüber zu schauen und den Schauplatz beruhigend abzuschltessen. Ohne durch besonderen Charakter, schroffe Fels- fbrmen, zerklüftete Wände, üppige \'egetation oder sonstiges Beiw^k die Auftnerksamkeit in Anspruch zu nehmen, rücken diese Bezeich- nungen der Oertlichkcit den Figuren nirgends auf den I^b und bieten dem Auge erwünschte Blickbahnen, sich über die Weite zu orientieren. Es ist nur die freie Natur, die wir f&hlcn, milde anmu- dge Gegend mit emstcrem Hintergrund, das frische l^ub der Bäume, und beinah ein kühler Luftzug über der Wasserfläche eine länd- liche Umgebung, in der die Menschen sich ungestört ergehen, bis die Nähe der Stadt zur abendlichen Einkehr winkt Auf solchem Grunde kann die Entfaltung der Personen zu vollem Rechte kommen, sei es in Charakter und Handlung des Einzelnen, sei es in Gesamt- haltung einer gleichgearteten Sippe. Ja noch mehr. Gerade diese

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Die Geschichte vom Zollgroschen

freie Natur des lindes, ein Stück Erde» das Allen gehört, bis die ab- gränzcndcn Mauern sich zeigen, - entspricht dem tieferen Sinn der Scene, die hier geschildert wird. Sie ist die V'oraussetzung für die Antwort Christi: eigentlich sind wir als Kinder dieses lindes, als Söhne seines Srh')pfors und Herrn, von Abgaben frei, und eben sie bringt uns den ( icgcnsat/ in dem Auftreten des Zollcinnehmcrs und der TIebcstelle einer Stadt unmittelbar zum Bewusstsein. Dahin wirkt die i^anze Disposititm des Bildes : rechts am Rande wird die Nahe betont, links am Kandt" die i'erne err^ffnet. und dadurch die Tiefriihi'u CL^iin^ dia^'-onal dureli die })reite Maehe geführt, ohne dass. die Mitte sich verengert. I ).is ist K.uimkuiibt!

Und wieder bildet (he Schaar der Jüni^er den ruliigen llinler- yrund für die handehKlen Personen, die aus ihr hervortreten, wie für das lebhaüe Spiel der Bcwei^unq", dis die V«.>rdcrreihe durch- zieht, und über die I laiii)li(ruj)pe liinauswcii>end auch die Neben- momente links und rechts mit ihr verbindet.

P'ine unsichtbare MitteHinie, die dcis I»nMtbild mathematisch halbieren würde, treht zwischen Christus und dem Zollbeamten hin- durch, der ganz am vcjrdcrsten Rande stehend in seinem doppelten Motive die Scheidung beider Hälften und ihren inneren Gegensatz bezeichnet Bis an die Gränze seines Gebietes vorgetreten, hat er den Zug der Wanderer angehalten und löst in anscfaaufidister Alternative den ganzen Ablauf der Handlung aus. Mit genialem Wurf ist diese voUcstfimUche Gestalt hier auf die Bflhne gebradit, als derber Anstofs zur Entfaltung idealsten Inhalts. Sie offenbart ein Verständnis der Fonn Perspektive« eine Kühnheit der Zeichnung und ein so ausgeprägtes Gefittit filr die Wirkung lebendiger Gebärde, des Körpers und der Gliedmalsen auch ohne das Antlitz und sein Mienenspiel, dass schon sie allein das Eindringen des Malers in das Innerste der plastischen Kunst bezeugt. Wie die biirleske Figur des Boten in der antiken Tragödie erscheint hier der Wächter vor dem Protagonisten und seinem Chorus ivürdiger Männer.

Diesem treibenden Agens in seiner physischen Gestaltung treten die Hauptpersonen in ebenso statuarischer Durchbildung ent- gegen. Statt der länglichen Proportionen, in die Florentinische Künstler damals so leicht verfallen, sind es gedrungene brcitsdiultrigc Typen, die Masaccio bevorzugt, Körper von voller Rundung und Breite, die jeden fremden Halt entbehrlich machen, fast allzu untersetzt und wuchtig bis auf den Meister in der Mitte.

Christus allein wird ganz von vom gesehen und wirkt völlig frei in seiner Sphäre ; nun gewinnt es Macht, dass er im Central« punkt dieses Mittelsttkckes steht, auf den alle Fluchtlinien der Feespek'

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Gestalten und Bewegung

II

tive zusanunenftthren. Er ist das männliclie und doch in voller Jugendkraft stralende Idealbild des Heilande»^, wie es im Zusammen- hang nodi mit dem wertvollsten Erbteil des Trecento, doch im Sinne der neuen Generation erwachsen konnte. Grofs und feierlidi in der breit drapi^ten Gewandung tritt er hervor; in elastisdier Körper- bewegung wendet er das Antlitz und die ausgestreckte Rechte zu Petrus hinüber, wahrend die Linke, über die Hüfte herabhangend, den Mantel trägt und diese Seite ruhig und Mirnclnn gegen den Anspruch schliosst. Der Typus des Kopfes, die Hände, die weite flach über die Brust hangende (iew.mdung vorraten nodi am deut- lichsten die Nähe des Agnolo (iaddi und Don Lorenzo Afonaco, und doch gelingt dem wirklichkeitsfreudigen Eifer des Quattrocento schon hier viel überzeugender als jenen die Verkörperung der idealen Persönlichkeit

Petrus daneben, älter und wettergebräunt, beherrscht auch als (rraubart kaum noch seinen Feuerkupf. Als Beleidigung des ge- liebten Meisters scheint er das Ansinnen des Tnrwärters zu emi)tinden, und wie aun>rausend hebt sieh sein gedrungener l');iu gegenüber dorn I Vcchling in seinen Augen, der Abgabrtl heis« In vnn freiwillig Armen. In der ganzen Haltung ist das (n^genbild des Zöllners durchgefülirt. nur in luiherer Tonart und leidensdiatllicbeni Tempera- ment. Ohne Dazwisehenkunft einer höheren Einsicht kannte es dem Unbequemen hier äbnlirh wie dem Knechte M.ilclius gehen. und nicht umsonst erscheint er, wo Petrus ihm allein begegnet, mit dem Stecken unterm Arm.

Beredt genuv'. nur durcli die Erscheinung wirkend, steht neben ihm der Liebling des Herrn, Johaiuies. ein herrlicher Jungling von klassischer Schunlieit. dessen blonde Ringelh)cken leider so regel- mässig auch nach antikem V^orbild aufgereiht sind. Die Eormen seines Kopfes scheinen sonst wie in Marmor gemeisselt, und der träumerische Bhck, der wol Hingebung und Zuversicht, doch weder Entschiedenheit des Wollens noch Klarheit des Denkens bedeutet, hebt ihn kaum aus der Ruhe stiller Gegenwart zu lebendiger Be- ziehung empor, und die Haltung der Hände, die nur mit dem Mantel beschäftigt sind, dient der malerischen Breite der Draperie allein. So ftUilen wir den Unterschied von Christus wie von Petrus gleichermalsen.

Der langbärtige Andreas steht dagegen grade aufgerichtet und unbeugsam wie ein Erzvater des alten Bundes, wie Donatellos Abraham am Campanile des Domes, das Urbild dos Moses für die folgenden Künstlergenerationen, dem auch Michelangelo noch seine ganze Kraft gewidmet hat Und so leuchtet auch hier der Unter-

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Die Geschichte vom Zollgroschen

scliif d der iicut n r) ])cnbildunp ein. zw ischen ilim nnd Johannes, den die Florontinor bisher als Verfasser di r Apokcdypse in liuhem Alter und mit langem Hart zw denken ptle;^<^n. Neben Andreas sieht gar Donatelk» selbst herein, und es ^fewinnt (he X'ersicheruiig' Vasaris. der Thomas driib( n sei das ( iv;ene Bildnis des Malers in der Knill' seines Schul/piilrotis um i>u mehr Wahrseheinlichkeit, aJs auch der altere Apostel n«>bpn ihm die Züge des I *aolo Uccello trägt. Doch sei es mit der I\>nrultrene dieser ( Ii.iraklerköpfe wie es will. Der letzte Api>slel rechts, den sein dun hlx'hrender Scharf- blick allein /um 1 Immas ma<"ht, ist eine herrliebe ( leu .mdligiir. die grandios und eiata( Ii den Kreis der Jünger .s( hlies.^t. H<'i <iller biidnismafsigen HesünnnLlicil der Kr)pfe waltet eine ciidieitliche Behandlung, die alle Besonderheiten ausgleicht, ohne ihr berechtigtes Mafs zu verwischen, und die schlichte BnMte der Draperie trägt nicht wenig dazu bei, die würdevolle Getragenheit des Tones durch- zuhaken. Auch da ist wieder das wertvolle Erbteil des gotisclien Stiles, das Masaccio noch festhält wie Ghiberti, ein ideales Medium för so viel Individualität.

Eine Art Verklärung giebt diesen mannichfalttgen Köpfen die einheitliche Beleuchtung; sie lichtet ihre Reihen und setzt hier und da, die ganzen Figuren umfliessend» sie in plastischer Selbständigkeit auseinander, sodass überall die reliefmärsige Komposition deutlich gegliedert und zu malerischer Freiheit aufgelockert wird. Und diese Beleuchtung gerade ist doch nichts Anderes, als die resolute Auf'»' nähme der Wirklichkett*in das Wandgemälde, nach den besondem Bedingungen der Bildfläche an ihrem Ort in dem Kapellenraum selber. Wie das Tageslicht durch das gotische Fenster hereinstrOmte, so führt es der Maler in voller Sdiärfe durch den Schauplatz, den er entfaltet, bis hinten gegen die llügelwand, die sich seitlidi vorschiebt, und über die Spiegelfläche des Wassers, die der Wandpfeiler links zum grössten Teil verbirgt. So treten uns auch seine (rcstalteii erst recht überzeugend entgegen, mit dem Abglanz des lebendigen Lichtes auf der Stirn, und wir glauben dieser Schaar, die da droben zusammensteht, hinausgehoben üV^er die kleinlichen Bedingung^en des Alltags und zu bleibend gültiger Erscheinung mit grossartigem Geist durchdrungen. wie einer Ciemeinschaft auserlesener Man n er, und empAnden den Anlauf des Torwärters wie den natürlichen Widerspruch der roheren Aussenwcit.

Durch diesen Gegensatz wird auch das Auge schon energisch in das Innerste des Bildes liineingeführt ; denn es gehorcht auch hier dem Willen des Malers, der mit klugem Sinn seine Vorkehrungen getroffen liat Die nackten Beine dieses bäurischen Gesellen fallen

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Beleuchtung und Farbe

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schon auf vor der cinhcitlirlu n Masse i^^It it lirr dewandnn^': sio hAu n unsern Blick in die (Mit^eli» idciui*- Bahn. Die oranirorote Farbe in< s Kiuels koninU liin/u, dm Kontrast zu voll« nd< ii. Tn tiel blauem Mantel, der leise in Urun fällt, hält ihm Christus das (iejtcengewicht, und hobt sich in helh ioh tier Tunica. deren Lichter in Henn>t übtTgthcn, mit nitbhuideni li.uir und Hcirl heraus, und zu Petrus hinüber, tler einen yelben ^lanlel über die j^-rüne Tunica ge- schlai^cn liat, verinilt' lt dur( Ii J< ihannes. der das Hellrot von Christus auhuhniend, über dem blauli< h v^rüuen Rock, aus dem sein nackter Fuss hervorsieht, die nändiche milde Farbe in weitem Mantel aus- breitet. Andreas in hellgrünem Mantel und hellkanninroteni Rock auf der einen Seite, und Thomas mit seinem breiten Überwurf in ebenso bellem Karmin auf der andern Seite schliessen auch den Kreis der Farben ab and heben die Gruppe aus dem Grunde. Die tiefblaue Farbe mit ihrem gesättigten Ton zeichnet nur Christus aus, sie wird ringsum weislich vermieden und klingt nur einmal noch deutlich an, wo Petrus am Tore für beide zahlt.

Gemeinsam ist den Farben der GewandstofFe, besonders den helleren, die auffallende Eigentümlichkeit starkcrUnterschiede zwischen den Schattentiefen und den beleuchteten Faltenrändern oder breiten Flächen. Sie nähern sich dadurch gradweise der Karnation. Alle nackten Teile sind im kräftigsten Gegensatz zwischen Licht- und Schattenseite herausmodelltert, während die Heiligenscheine am hellen Ende der Grruppc durchsichtig, fast verschwindend, an dem andern wie metallene Scheiben in scharfer perspektivischer Zeichnung ge- geben, und vergoldet, wie alle übrigen Mittel dazu beitrugen, die Reihe plastischer Gestalten vom landschaftlichen (rrunde abzuheben, der seinerseits ebenso absichtlich in einheitlichem T«>n gehalten, die starken Gegensätze vermeidet und so erstrecht den Eindruck räumlicher Tiefe für das Auge hervorbringt.

In dieser Ri( htung g(>hört mit dem grossen Breitbild(\ das die Geschichte vom Züllgrf^)schen erzählt, das benachbarte Stück am Eingangspfeiler der Kapelle aufs Engste zusammen. Die Rechnung mit Licht und Farbe folgt durchaus den selben Grunds.it/en, nach Mafsgabe nur des gegebenen Platzes nii der Leibung des Eingangs^ bogens; die technischen Eigenheiten, die vollendet breite, si« lu^re Pinselführung, die im Grossen arbeitet und sich auf Kleinigkeiten nicht einlässt, sind beiden Fresken gemeinsam, so dass sie als male- rische Leistungen sich unmittelbar aneinander schliessen. Und es darf der Umstand nirlit irre machen, dass die Wahl clos dargestellten (iegt'n- standes der Krwartung keineswegs entspricht und mit der (ie.schichte des Apostelfürstcn in keinem Zusammenhang steht. Auf dem

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14 Die VERTREIBtTNG AUS DEM PARADIESE

schmalen Im hie, das sich in gleicher Höhe bietet, erblicken wir die Vertreibung Adams und £vas aus dem Paradiese.

Die Vertreibung aus dem Paradiese

Oi« m;il<Tis{ h(^ üebereinstimmung mit dem anerkannton Haupt- werko Miisaccios crweM'st auch diVsrs Stück als Ei^aMitiini des- selbtMi Meisters, das Vasari all« rdinirs jrar nicht erwähnt. Wie drulx-n am andern Ende im Schatten der Altarwand das Si.id: 'T von Kapernaum sich öffnet, zu dem der '/utr der Jünger mit ilirein 11< rrn in dor Mitte hinstrebt, so dräncft sich hier die schmale Pf<»rte des l*uradieses v^anz dicht an den Rand des Bildes links, wie ein Stadttor mit Zinnenkranz. Uiul der Betrachter der Kapelle tritt durch den Eingan gsboj^ren zugleit li mit dem ersten Menschenpaar in den Bann der besonderen Bebuichtanv^ dieses Raumes. Rechishin sclireiten die beiden Verbannten, und werden so vom vollen lachte getroffen, das durchs Fenster in der Mittelaxe des Innenv(eniaches hereinstroint. Den besonderen Bedins^unj.>en dieses äussersten Platzes unter dem Eini^ant^sbogen entsprechend, ist der Hinter- grund tiir die beiden Eii^uren i^anz dunkel ^elialten, und die Durch- führung des hellbraunen Erdbodens, aut den sie hinaustreten, be- schränkt sich auf die Andeutung seiner öden unfruchtbaren Kahl- heit, des starren Gegensatzes zum irdischen Paradiese, das ver- schlossen hinter ihnen liegt. Ja der Engel des Zornes, der (Iber * ihnen auf einem Wolkenstreifen knieend, Unter den Verbannten dreinfährtp wie die Stimme des eigenen Gewissens, die sie vorwärts treibt, ist mitsamt dieser Wolke ganz rot auf den dunkeln Grund gesetzt. Dass in Gewand und Körper, in Antlitz, Haar und Händen bis auf die feuerroten Schwingen kein Untersdiied der Farbe waltet, wie im natürlichen Ebenbilde des Menschen, erklärt sich nidit aOein aus der Absicht, den Träger des flammenden Sdiwertes zu kenn- zeichnen.*) Er trägt dieses Schwert ruhig in aufrechter Haltung, mehr im Arme ruhend wie ein Abzeichen der Gerechtigkeit, denn als fürchterliche Waffe, nicht abwärts gekehrt, noch als ^irühende Flammenrute ausgemalt. Nur die Linke streckt er befehlend vor sich hin und weist sie aus dem auserwählten Bezirk der Kinder

\1 GüIJeuc Stmlen, die aus dem Tor heniiisfdiren, bedeuten «ttiMnleBi den Stoae einer Ki»ft, die hinter den Sündigen dreinblitxt.

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Der Engel des Zorns

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Gottes in die fremde Welt da dranssen. Es ist die malerische Er- wägung mafsgebend gewesen, dass die gleichartige Behandlung des Himmelsboten mit dem Menschenpaar darunter, die gleiche Stärke plastischer ModellieruTig und farbiger Wirklichkeit in beiden Faktoren eine fiüsche Wirkung hervorgebracht hätte, die den Sinn des Vor- ganges nur verdunkeln, den Wert der Hauptsache nur beein- trächtigen konnte., Deshalb reduciert Masacdo auch hier, wie beim Auffinden des Stater nebenan, ein Bravourstück seiner Verkürzung durch die unwirkliche und gleichmäfsige Färbung zu einem Neben- werk. Sein Himmelsbote tritt nicht ein in die volle LeibhafHgkeit wie die nackten Menschen vor unsem Augen; mit dem einzigen Mittel, dem Widerspruch zu naturgemäfsen Farben, wird er zum Oberirdischen Wesen, befreit von der unmittelbaren Berührung, nah und doch unnahbar, wird er zugleich untergeordnet, als eine Art geistiger Voraussetzung, ein symbolisches 2^ichen nur fär andere Dinge, die der Maler im Bilde des Menschonpaares selber zu zeigen sich erkühnt Wir müssen ihm erst nachsdiauen in seiner Höhe, ihn zurückverfolgeh in seiner Bewegung, um seiner Vorzüge recht inne zu werden und die künstlerische I^istung zu ermessen, die der Maler mit dem roten Anstrich wieder zugedeckt, weil er noch Höheres will.

Dieser Jüngling im langen Gewände, mit engen Ärmeln und hohem Gürtel, kniet mit dem rechten Bein auf seiner Unterlage und streckt das linke riickwärts über die Wolke hin, sodass nur die Hälfte des Oberschenkels noch sichtbar bleibt. Kr beugt den Oberkörper wie in rascher Fahrt vornüber, indess sein Flügelpaar sich aufwärts spannt. Das Antlitz neigt sich unter der Sonne und hat auf der reinen Stirn keinen Schatten eigner Leidenschaft. Die Vorkürzung des seitwärts niederblickenden Kf>pfes das \'or- beugen . das l^brrsrhnridf^n des rechten Oberschenkels über die nach links zuriu-kwcic hriidc Jlauptünif» dfr (rf^stalt haben die vollste Anerkennung;' tciiisiniüi^cr iieobachtcr 'l iifffundcn. sobald sie hinter (Ii*- Bildwirkung des danzen zurückzugehen lr,i( hl« ii. Die rh\'lhmischo Sclx >tiheit der (rliederbewegung? erschien in ilirem inah risrh ganz v lilond^ton \'<'rtrag hier so plötzlich, neu und über- zeugend h»'r\ (»r/ubrech»'n. d.iss man (larülxT fast der kl« incn Schief- heit im Oberkörper und der suniuiariscbcn .Steifheit des rechten Arms NiTgafs. dir gleichsam als chronologische Merkmale (li«'ser Frülizeit gerade den kühnsten Fortschritten Masaccios aiilialt«jn. Nicht durch den Wolkenstreifen als Andeutung der Luftregion

1) A. V. Zahn, JahrbOcher f. Kwscbft. Leipzig 1869. S. 168.

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Die Vekireibung aus dem Paradiese

über unsern Häuptern ist hier der Eindruck eilenden Schwebens hervorgebracht, sondern durch die Haltung des Körpers, die Lage seiner Glicdmafsen zu einander und die uiigc^^ohnte Ansicht solcher Verschiebung von unten her. Die verkürzte Zeichnung wird jcdodi nicht wenig unterstützt und in ihrem Gesamteindruck so annehmbar gemacht, wie überraschend zugleich, durch die Beleuchtung von der Seite her, die das Vorspringen der vorgestreckten Teile noch ver* stärkt und die unwichtigeren zurückgeschobenen Partieen des Leibes in Schatten legt, oder wo sie anfangen könnten fragwürdig zu werden, vollends der Ergänzung unsrer Phantasie Überlassen darf. Nehmen wir nun abermals die unwirkliche Färbung hinzu, die solche An- sprüche fernhält, so dienen die Wolke drunten wie die Flügd droben fast nur als Folie, deren Umrisslinien den Zug der Form- Verjüngung begleiten und alles Gewicht vermittelnd in die Fläche breiten.

Die Schmalheit der Bildfläche gestattete dem Maler aussordem in seinem Engel das Abwärts mit dem Vorwärts an einem Wende- punkte der Bahn zu verbinden, sio schnitt von selbst räumliche UmgobimiT uml körperhaftes Beiwerk ab, die uns sonst für das Verhalten der Dingo zu einander den MafsPtab geben. Sie erlaubte ihm mit den beiden unteren Figuren, die hinzukamen, den Schein der niederfiihrenden Beweg^ung beim Himmelsboten durch das Aus- schrrittn der Flüchtlinge, die er vor sich hin treibt, zu unt( rNtut/m. und leiirte ihn b(M solchem Wechsel Verhältnis zugleich, tlio drei Gestalt(Mi so nah miteinander zu verbinden, dass im mannichfaltigen (rebaren der Kinzclnen doch r einheitliche Zug der gemeinsamen Beweginig noch vorw.iltot. 1). r 1' iigel, der neben dem fore vorüber- sch\v«^bt, und das vt rbainite Paar, tlris hindurchgescilritten ist, bilden ZUSiimmen eine wundervoll be\ve«^le (rruppe.

Schleppenilcn ( ranges sclireitet Adam daher. Das linke Bein setzt er vor, das rechte wird luichge/ugen, oder hängt vielmehr in einer I nge, nls iKifte die l^'erse ati der S( h\\e]le. oder gleite nur langsam, aut den Zehen verweilend hiiui})er. Unsicher und zaghaft ist das Aufln ü'tJ. schwankend und mühsam der Schritt; denn Scham und Rene haben das autrt ( lite ßewusslscin geknickt und lassen keinem W'iilerstand R.iuni. Der Nacken 1)t ugt sich dem harten Gebot, dessen Bannstralen hinter ihm dreintahren, und l)eide Hände \rrl)eri^en d.is Antlitz. Gescheucht imd zitternd setzt au(^li Eva, hastigeren Ganges ihre Füsse vorein.intler , mit der hnken Hand deckt sie den Schofs, mit der rechten den Busen, und wirft den Kopf in den Nacken, schliesst die Augen und öffnet die Lippen, als dränge aus ihrer Kehle ein schriller Jvl.igelaut. Der Scham,

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Adam und Eva

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mit der sie ins Freie hinauslauft, g^esellt sich nichts als die Angst des Augenblicks, als fühlt»- sif .sich gezüchtigt von strafender Hand und schriee unter dem korix rhchen Schmerz: denn der ganze Leib erbebt zuckend wie unter plutzlich*Mn Sc hauder.

Die beiden nackten Gestalten sind nicht aus berechneten Proportionen der gotischen Schultradition oder nach M afs^abe antiker Statuen aufgebaut, sondern wirklich nach der Natur ge- bildet, sodass der Unterschied beider Geschlechter zu vollem Recht gelangt und wesentlich mitwirkt zu dem psychologischen Bilde des Augrenblicks. Es sind nicht blos Aktiiguren, sondern lebendig be- wogte Menschen, keine so und so zurechtgestellten Modelle mehr, sondern von innen heraus beseelte Wesen, die sich benehmen, wie die furchtbare Empfindung sie treibt Der ganze Leib ist Werkzeug des seelischen Ausdrucks und die Organisation der grundver* schiedenen Charaktere von Mann und Weib offenbart sich im Kon- trast als gegenseitige Steigerung. Schmerz und Scham äussern sich so einfach und unmittelbar in ergreifender Wahrheit, dass die sadi- lichste Angabe Ober Haltung und Gliederlage sofort zur Deutung ihrer Sprache wird.

Solche Durchführung eines einheitlichen Affektes durch den ganzen nackten Körper setzt eine Kenntnis dieser leiblichen Er- scheinung und eine Herrschaft über die Ausdrucks&higkeit aller Teile voraus, die den Zusiimmenhang des Malers mit plastischen BestrebuHjy^en ausser Zweifel stellt, und als eigene Leistung in SO friilier Zeit volles Zeugnis seiner Meisterschaft, seiner genialen Über- legenheit bedeutet. Die charakteristische Gebärde beider Gestalten vereinigt sich mit der treilsenden Kraft rles Engels zu einem mäch- tigen Zusammenklang, den die plastische Rundung der Formen, die Entfaltung der ganzen Gruppe aus einem Mittelpunkt in perspek- tivischer Konstruktion, die fühlbare Gesetzmässigkeit nur wirksam unterstützen. Ein feines Spiel der Lichter und Schatten setzt auch die beleuchteten Flächen des Leibes in Relief und malt sein aus- druckvoilstes Muskelspiel, während die Ilaupt^'-estaltung- der Knqjer aus kräftigsten Gegensätzen zu Stande k'>mmt. Schon Ruinohr er- kannte hier den steij^'^enden Mut im Bestreben nach Rundung, aber auch einen Rest von Unsicht rhoil oder wenigstens flüchtigeres Dreinfahren im Dienste der Gesamtwirkung und zum Festhalten des Seelenlebens im sinnlich fassbaren Abbild.

C. F. V. Rumohr beobachtete den für Masaccio persönlich bezeichnendt-n Fehlgriff, die llAhe der Lichter nicht in die Mitte, sondern an den Rand der Form< n /u bringen, was diesen durchbin ein gewisses Ansehn von Schiefheit giebt^, und wir

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t8 Masaccio und Quercia

dürfen in der summ arischen Jie/eichnun^ der inneren Gesic litstHle bei Eva, in ihrer physi<^jrn<imischen Versclii( buntf. sowie in der etwas derben Obertlachlichkeit ihres auf r P.rust liegenden Armes, ihrer Fü.sse und (ielenkknürhel wol Spuren haMi^er X'ollendung' sehen, während daneben der Leib Adams mit seiner die Px. kh^mmung verratenden Einziehunjr ausserordenthch geglückt ist, und der Blätter- schurz um die Hüften beider, der mit seinem Grün die kühle Kar- nation erst recht in Wirkung seut, das untrügliche Gelingen des grossen Malers offenbart.

Den Wert dieser »Vertreibung aus dem Paradiese« darzutun, beruft man sich gewöhnlich auf die Schätzung Rafaels, der noch spät in den Loggien des Vatikans nur eine Wiederholung dieses Vorbildes gegeben habe. Dieser Vergleich ist jedoch nur unzu* treffend oder oberflächlich; die EntleJinung beschränkt sich nur auf Adam und höchstens die schon wesentlich veränderte Eva; die Gleichstellung des Engels aber, der in ganzer Figur auf dem Boden neben ihnen wandelt, giebt dem Ganzen einen völlig anderen Charakter. In dieser Beziehung fordert das Breitbild der Loggien vielmehr zum Vergleich mit plastischen Werken auf, und ein solcher ist auch hier lehrreicher für Masaccins Art als ein Sprung ins Cinque- cento zu den Werkstattbildchen des römischen Rafael. Wenn wir dort in den Loggien nicht wissen, ob den Engel, der seine Hand auf Adams Sdiulter legt, w&hrend er mit dem Schwert in der Rechten mit den Schuldigen über die Schwelle schreitet, mehr Mit- leid bewegt oder Zorn, wenn wir in Evas allzu gefälligem Gehaben di» Deutlichkeit des Kindrucks völlig vermissm. so zeigt uns ein Bildner am Anfang des Quattrocento, wo wir im I'mkreis unserer historischen Betrachtung bleiben, die ganze Kraft des plastischen Gedankens, dor aurli tl« ti llimmclsboten auf die Erde stellt in einem WtTke, das auc:h Rafael gekannt wie Michelangelo. In einem Relief der Fönte gaja zu Siena') lässt Jacopo della Quercia (1419) den Schuldigen mit (Tcwalt hinausstossen ins Elend. Der Himmels- bote, des Menschen schöneres l'"b*>nbild voll Jugendkraft, stemmt beide Arme gegen den Rücken Adams, der seinerseits nicht ohne Zaudern, Verwunderung oder gar Widerstreben den Sitz des Glückes lässt, das er \ ersrjif rzt, während Eva neugierig mehr und leicbtf»rn Sinns sich umschant, als gab es noch F.rbarnien, nder als sei nicht vr>lHg ernst i5eni( int, was da cfosrhii ht. Und in dem spätt-ren Relief d< '>'>rlbrn istt rs, airi llauptportal \ (m S. Petronio in P.clogna. ist Adams Sträuben mit verzweifeltem Flehen gepaart, die in mächtig

Alter Gypsabguss io der Librcria des Domes daselbst.

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Masaccio und Ghihehti

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ht-ninunder Gebärde zurückkehren gegen den Vollstrecker des li;iiiii])efehls.

M.Lsaccios Fresko bleibt, durch das Schwebe n des Kngols und seine ungewohnte Farl)c, bei aller pkistist hen Bestimmtheit im (lebiet dos Malerischen, und gleicht eben darin mehr der Darstellung eines anderen Reliefbildners, der ihm in Ort und Zeit noch näher stand als Quercia. Das erste Bronzebild der Porta de! Paradiso von Lorenzo Ghiberti enthält die selbe Scene neben andern und fordert nicht nur zum Vergleich heraus, sondern zu kunstgeschichtlicher Krwügung ganz aktueller Art. Im Januar 1425 hat Ghiberti den Auftrag ftr dies Werk empfangeti; wie mag Masaccio dazu stehn? Genau so wie hier am Eingang der Brancacctkapelle ist auf dem Bronzereltef die Pforte aufgerichtet, nur die Schwelle höher hinauf- g^erückt; denn Glubertis Engel schwebt nicht neben dem Tor des Gartens gleichsam Über die Mauer hin, sondern durch den Bogen hindurch, sodass die vordere Hälfte des Körpers mit gespanntem Flügelpaar draussen sichtbar wird, das Ende dagegen, wenigstens ein zweites anliegendes Flügelpaar und der Zipfel des Gewandes drinnen jenseits, wo am Himmel Jehovah selbst im Sphärenkranz, vom Schwärm der himmlischen Heerschaaren begleitet, dem schnellen Fluge des Boten folgft In heftiger Bewegung sehen wir Adam entfiiehen, nur den Blick zurückwendend zu dem Seraph, der zu ihm redet Aber er wird fast völlig verdeckt und jedenfalls völlig überstralt von Eva, die, einer Venus gleich, in nackter Schönheit dasteht. Staunend wie die Schaimigebome hebt sie die Rechte und wirft ihr loekivres Haupt hemm, als hörte auch si«- die Stimme und schaute das Nahen des zürnenden Schöpfers ; aber tlio Keinheit ihrer Formen ist ungetrübt, die harmonische Anmut ihm Bewegung bleibt die selbe, wie Liebesgötter sie nach Gottes W ink gebildet Hin- reissende Schönheit geht diesem Künstler über Alles; er opfert ihr den furchtbaren Ernst der AufV'i^>'^, tlic innerliche Bedeutung des Vorganges unbedenklich auf und entschädigt das Auge mit einem seligen Traumbild, wo wir Angst und Reue, Scham und Schuld- bowusstsfin, Schmerz und Verzweiflung zu schon or\vart( n. Fr deckt mit milder Hand die verhänsrnisvolle Vertreibung^ /u und lässt auf dem \'<'rtluchton Rndon der l'^rdr- dir» srln'mste Blut«- der Schöpfung weiter blülien, kraft seiner Kunst, die alles reinigt und verklärt.

Ganz anders >rasarcio! -- Sein starkes niatuiHclu s Gefühl«,

hat schon Rumolir anerkannt, sein hoher iiegriff von der Würde

der Aufgaben, derrn Lösung ihn beschäftigte-, spricht hier auf

ensrem Raum so deutüch, wie auf dem breiten Wunderbild daneben.

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Masaccio und Bkünelleschi

Und dieser Emst des Künstlers» der den Menschen an das Herz greift, verbindet sich mit einer Hoheit der Gesinnung, die uns weit hinaus rückt über die naiven Anschauungen, die kincUichen Märchen seiner Zeitgenossen, wie über so manchen Nachfolger, der diese Auffassung nicht verstanden hat Vergleichen wir ihn mit dieser Schöpfung (xhibertiSf so tritt er historisch auf die Seite des Filippo Brunelleschl Erinnern wir aber an diesen Freund und Gennnungs- genossen, dem er so viel verdankt, so ist es billig, auch den Unter- schied zu betonen, der zwischen Brunelleschis Engel beim Opfer Abrahams und Masaccios Engel des Zornes sich herausstellt In jenem kleinen Konkurrenzrelief vom Anfang des Jahrhunderts föhrt doch der Gnadenbringer schon handgreiflich drein, weil echte Biidnerkunst leibhaftiges Handeln braucht; nadi mehr als zwanzig Jahren tritt der Maler hier, Masaccio, sicherlich bewusst und frei, mit seinem Engel auf Gbibertis Seite: er schwebt und weist, im Fluge sich neigend, die Verbannten fort, lasst aber das Rache- schwert im Arme ruhn.

Gbibertis erstes Relief an der Porta del Paradiso, das die Er- schaffung Adams und Evas, den Sündenfall und die Vertreibung in einem Ralimen vereinigt, offenbart auch in der Anordnung dieser vier Bestandteile die Sinnesart d»'s Meisters charakteristisch genug. Die Erschaffung Adams ist in die Ecke links des »rd orgrundes gerückt, wie wir erwarten mögen, weil dii; Erzählung daiiiii beginnt; der letzte M<^ment, die Vertreibung, füllt den schmalen Streifen zu- äusserst rechts, ein letztes Viertel. Die ganze breite Mitte zwischen Anfang und Ende wird allein der (iestaltung des Weibes gewidmet. Der Entstehung; dieses Meisterstückes der Natur wendet sich die liolx'vollo Teilnahme des Bildners so begeistert zu. dass sie im Kran/ d*T Knijel wie eine hininilisrhe \'< rherriichung hervorgeht. Uagei^n-n ist der Sündcnfal! in flaclistmi Rclii f ijanz in den Mintor- grnnd ^^edr.ini^l. So le^t .sich, \<'r dem Aii^i« dos soeben zum i^e- wusstscin erwachend« n >fannes links, dit- übrige Reihe fast wie ein Traumgesicht auseinander, die Erschaffung der lockenden Gefährtin, mit der alles Übels iveim in die Welt gekc»mmen, die Verführung unter dem Baume der Erkenntnis und die Verjagung aus Eden.

Mit dieher Anordnung der tiruppen im Raum und dieser Reihenfolge der Momente in der Zeit hat das benarhl>arte Wand- bild Masa( rios eine merkliche Verwandlschatl. lunc breili* llaupt- .stcne ninunt .luch hier die Mitte des Eeldes ein; sie enthält den Kern und Ausgangspunkt des ferneren Verlaufes, ohne zunächst ein Vorrecht für weiten^s AusgTcifcn vor den übrigen Momenten der Erzählung beanspruchen zu kOnnen. Diese entfaltet ach links

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Masaccio und Ghiberti

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und rechts in zwei seitlichen Gruppen, und zwar ebenso in einer kleineren im Hintergrund, die zeitlich zunächst folgt, und einer voll* wertigen aber schmalen im Vordergrund, die den Abschluss bildet, sodass das Auge des Betrachters von der Mitte nach links und dann um das Hauptstück herum wandern muss, um den Verlauf in seinem Kausalzusammenhang nachzuorlobcn. Der springende Punkt der Fabel liegt bei Masaceio wie bei (ihibf rti in dem versteckten, stief- mütterlich behandelten Ereig-nis, das beinaJie jenseits der eigentlichen Bühne vwgeht. Nur ist der Maler in besserem Recht, weil er den Vordergrund links vor diesem wichtigen Fernbild wenigstens frei- lässt, die Bahn für unseren Blick fühlbar und einladend offen legt, und weil der wunderbare I'^ang. an sich kaum darstellbar, für die Gosrhichte selbst bei Weitem nicht die Bedeutung hat, wie der' Sündonfall in seinem Zusammenhang d*>rt. (ihil)erti verhüllt die Peripetie, rlic Schuld, weil seine Bildnerkunsl an dieser Stellt» des Rrlicls (Irni psychologiscluMi Inhalt doch nicht i^crceht wrrdt-n konnte, es sei denn uif Kosten der w illkommensten ( u leirrnhelt, das plastisch Schone selber ungetrübt /.u j^ehen. Masac( ins räumlicli-zeithche Disposition dreier Mf>niente eines X'erlaufes stimmt vollkommen überein, bis auf den einen Punkt, wo bessere Ueberlegung ihn drüber hinaus hebt. Da nun die übrigen neun Reliefs der Porta de) Paradiso oder ander« Arbeiten Ghibertis die nämliche Kom- jx^sitionsweise nirgends darbi» len und aiM Ii Masaccios Fresko in der iiraiicaceikapelle in dieser Hinsicht vereinzelt dasteht, so ble ibt wol die Übereinstimmung der beiden Arbeiten auf l»enachbartem K iii-^i- gebiet eine bemerkenswerte Tatsache, die Erklärung heischt. Und das merkwürdige Auftreten der Vertreibung aus dem Paradiese neben der Legende des Apostelfürsten, mit der sie gar nichts zu tun hat, spricht vielleicht mit bei diesem Zusammenhang, dessen geschichtliche Ursache sidi unserm Blick entzieht

Die Breite der Entfaltung ftlr einen verhältnismässig so un- wichtigen Gegenstand, wie die Episode mit dem Stater in der Ge- schichte des Petrus zunächst war, die MögUchkeit, das Ereignis selbst durch Zusammenschiebung der beiden Seitenbilder viel deut- licher im Sinn der Legende zu veranschaulichen» während nun das MittelstQck mit der Exposition, zu vollem Übergewicht hervor- gewachsen, als unverkennbare Hauptsache dasteht, das alles verlangt einen Aufschluss« je mehr wir diese Momente als Symptome eines fortschreitenden Prozesses auch in der Auffassung des schaffenden Künstlers er&ssen. Wenn .die schönheitstrunkene Seele Ghibertis uns unmittelbar verständlich macht, weshalb er mit dem Aufgebot von Engeln und Liebesgöttern zugleich an der Schöpfung Evas

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22 Christus unter den Aposteln

hängen bleibt, als ffobe es für den Bildner kein wichtigeres Ge- schehnis in der Weltentstehiing nachzuerleben, als diese plastische Gestaltung- des fruchtbaren Gefiisses, dies F'^^rmc n und Bilden der SrhdpfcridfM" im fühll)aron Stoff, dies Werden und Wachsen des Leibes unlc r den liebk'Ksenden i landen der Geisterwelt, was sollea wir da von Masaccio Siigon, wenn er das Auftreten o'uws Torwächters t»-anz <iliiili( h in die Breite th^int? Sein Christus im Krcisr der Aijostd iriLL hier in die Welt, durch äussere Veran- lassung luir hervorgerufen, wie auf ih n Wink des jungen Malers, neu geschaffen, und diese Scliojttung, vollwertig und bleibend zu- gleich, bedeutet eine Tat, für ihn gleit h wichtig wie das künstlerische Tun des Bildners, das Selbstbekenntnis Ghibertis dort. Tn diesem Christus mit seinen Aposteln Hegt eine Hoheit der Gedanken, (»ine Weihe der Stimmung, dass es sich um mehr handeln sollte, als um die Kntrichtung eines /ollgr« »sehens oder um ein Auskommen ulii.e Ärgernis niil den Beamten des StiuiU s. Der Befelil, einen Fisch zu fangen und ein Geldstück in seinem Munde zu finden, weil der Herr es nicht in der Tasche trägt oder der gemeinsame Beutel leer geworden, das genügt uns nicht als Inhalt der idealen Erscheinung, die vor uns steht Die packenden Erfolge der Wirklichkeitstreue sind auch hier einer höheren Aufgabe untergeordnet; ein strenger« auf Emst und Würde gerichteter Sinn durchwaltet diese Schaar von auserwAhlten Männern mit solcher Freiheit, dass erst die Träger des glücklichsten Aufschwunges diesen Vojrzug wieder zu verstehen und anzueignen vermochten, Rafaels Teppichkarton mit dem Auf- erstandenen, der die Einsetzung des Sdilüsselamtes mit dem Aufruf: »Weide meine Lämmer!« verbindet, giebt auch uns die Antwort was eigentlich in diesem Vorbild von Masaccio geleistet ist. Die Aufgabe, die der malerischeste Genius des Quattrocento in diesem Wandbild zu Idsen versucht, geht über den Wortlaut der Legende »Staterem in ore piscis invenit« weit hinaus. Dafür wäre der Auf- wand viel zu reich. Erst die folgenden Sätze »Claves regnt caelorum a domino accepitc, »pascendas oves a Christo suscepit« gewähren uns volles Genüge und geben den Inhalt der dem Geist des Künst- lers vorgeschwebt, der seine Seele durchleuchtet und seine Gestattung erhöht hat sodass die Schaar der Gottesmänner in breitem Bogen auseinander trat um Christus und Petrus in ihrer Mitte.

Auf diese Sätze der Legenda aurea folgt unmittelbar: ^tria milia hominum in pentecoste sua prcdicatione convertit«, wie in der Bilderreihe der Brancaccikapelle die Predigt Petri auf der an- stossenden Fensterwanrl zu sehen ist. Folgen wir aber andererseits dieser hymnischen Aneinanderreihung der Ruhmestitel des Apostel-

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SCHLDSSELAMT UND TrANSFIGURATION

fCOrsteti hinter die Geschichte mit dem Zollgroschen zurfick, so stossen wir auf seine Bevorzugung* durch ilon Meister in anderen Fällen: -'Ilic super mare ad dominum ambulavit, in domini transfigiiratione et puellae suscitatione a domiiio oloctus fuit^» . . . d. h. auf seine ( ietj-enwart bei Erweckung" von Jairi TtVchtorlein und bei der V^er- klärung auf Tabor, wie auf die stürinisc lio Fahrt, wo Christus am Meere erschit-n und Fetru.s aus dvm SchittV rief, zu iluu ulx'^r flas Wasser /u waudehi. Otese Srmc erwähnt X^isari im J.rhin df\s Masohno als eins der oberen lÜldr-r: il tempestoso naufra^id dt ^li A]»<'st*>h ', und die Transfiif ^ra tio n liätto zu folgen, wo jetzt die Vertreibung aus dem FaratHes*.- gemalt ist.

Um so auffä1h{rer wird die Wahl dieses fc^rnlieeeiulen. für (He Petruslegfende beziehuni^sloscn ( K-j^enstandes am Fingangder Kapelle. Nur die Vorliebe des Meisters und das Drani^c^n der Zeit nach der Darstellung des Menschen in nackter S{ hr)nheit mag auch hier an- gerufen werden, wie in d(nn Schupfungsbilde des Lorenzo Ghiberti. Das Frohlcm, die volle Ausdrucksfähigkeit der ganzen Gestalt für die Kunst des Malers zu verwerten, geht vöUig im Sinne Masaccios über das Beispiel des Bronze- Reliefs hinaus. L^nd gerade hier kam ihm das Verständnis der eigenen Generation wie die Bewunderung der folgenden zuerst entgt gcn. Das verrät noch der Umstand, dass die alten han^chriftlichen Aufzilhlungen seiner Werke von seinem Anteil in der Hrancaccikapelle nur eins herausheben »infra l'altre ügure vi h uno che triema«, »cosa mirabile a vedere«. Es ist nur ein Nachtrag aus diesen Notizen der Quattrocentisten, wenn Vasari am Schluss noch dasselbe Stflck erwähnt: »Neil istoria dove San Pietro battezza, si stima grandemente un ignudo che triema, fra gl! altri battezzati, assiderato di freddo, condotto con bellissimo riÜevo e dolc^ maniera«. So schliesst die »Taufe< schon als künstlerisch willkommener Gegenstand sich unmittelbar an die »Vertreibung aus dem Paradiese« an.

Die Taufe

T)ie Darstellung, wie Petrus tauft, mit der berühmten Figur des Zitternden darin, die Vasari und seine handschriftlichen Quellen besonders hervorheben, gelu)rt zu den bestbeglaubigten Werken Masaccios, aber leider auch zu den schlechtest erhaltenen Stücken der Cappella Brancacci. Sie befindet sich au der Altarwand zur

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Petrus tauft

Rechten des ursprünglichen Fenstt^rs, das lang und schmal, wie in den Bauten jener Zeit, herabreichte, wo jetzt das marmorne Taber- nakel sich ausbreitet, und darüber erst im alten Bogenfeld das neue Fenster ausgebrochen ward. Wenn damals auch nur die westwärts rückende Sonne, grade herrinstralcnd. dem geblendeten Auge diese anstofsenden Teile des Innern entzng, so i,'^ehnrtc doch immer dieser Platz zu den ungünstigsten der ganzen Kapelle. Von der Bildflaf he neben dem Fenster oben war nur das untere Stück n chts mit gewöhnlichen Mitteln leidlich verwertbar, das löchrige um so weniger, je mehr man nach links oder nach oben hinauf rückt. Diese örtlichen Bedhigungen mussten die Komposition wesentlich mitbestimmen, wenn die Stelle einmal für die Taufe ausersehen war, mochte nun die Apostelgcseiiichte oder die Legende für die Wahl des Momentes entscheidend sein.

Die kurz i'urmulierten Epigramme der Legenda mrca enthalten nur ein Beispiel, wo Petrus als Täufer auftritt: ('onielium baptizaviit d.h. den Uebertritt (l(\s Hauptmanns von Caesarea mit seinem Haus, von dem das X. Kapitel der Apostelgeschichte * i/ahli. Dagej^tn findet sich hier noch im II. Kapitel, schon im unmittelbaren Anschluss an die Pfingstprcdigt, gleichsam als ihr Erfolg die Angabe: s Und die sein Wort gern annahmen, liessen sich taufen, und wurden hinzugetan an dem Tage hei dreitausend Seeten«. So erscheint die unmittelbare Gegenüberstellung beider Scenen, links und rechts vom Fenster, auf diesen Zusammenhang hinzuweisen. Wie in der Predigt nicht sowol die Bekehrung der zahlreichen Horerschaar, sondern vielmehr das Auftreten des Apostels als Prediger des Evangeliums überhaupt gegeben werden konnte, so mochte auch hier sehr bald die Absicht vorwiegen, die Einsetzung und Austeilung dieses Sakramentes durch den ersten Nachfolger Christi im Allgemeinen zu schildern* Wichtiger freilich erscheint die Behandlung als Gegenstück zur Predigt, wenn zugleidi der übm'asdiende Erfolg des Wortes gezeigt werden sollte. Darin lag die Auffordenmg, die gleiche Bildfläche hüben und drüben auch zu künstlerischer Kontrastwirkung zu verwerten. Wer immer die Predigt zu malen hatte wir lassen es vorläufig dahingestellt er musste den Nachdruck fast ausfchliesslich auf die Person des Redners legen, dessen überzeu gende Gebärde die lauschende Versammlung ergreift, aber auch ruhig zusammenhält. Hier dagegen gilt es nur den Ein- druck äusserlich zu besiegeln, die Aufnahme in den neuen Bund zu voUzi^en und zwar in herkömmlicher Form erkennbar an jedem, der es wünscht, d. h. so oft gleichmässig zu wiederholen, wie es heute noch geschieht Die Rolle des Apostels ist wesentlich anders:

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Unterschied von der Taufe Christi

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er bleibt nur der Spender des Sakramentes in vorgeschriebener

Tätigkeit, soweit die Wirkung" seines Wortes um sich streift und ein Beispiel das andere nach sich zieht. Der Andrang der l äuflinge ;'u ihm, das begeisterte Verlangen der Montfc ist das aktive Prinzip, und dem Prediger bleibt nichts anderes übri^j^, als diesen Rückschlag des eigenen Pathos auszuhaken und seine Krnte einzuheimsen, wo immer die Ausfaat c^csegnci ward.

So ist die Abwechslung zugleich mit dem dankbarsten Motiv des zweiten HiUles gewonnen, d.is nun erst aus einer Parallele zum Gegenstück gedeiht. So waren wol Predigt und Taufe im Leben des letzten Propheten ^'enuysam vorbereitet, in Florenz zumal, wo Johannes der Taiiler als Schutzpatron verherrlicht ward. Aber gerade ein Vergleich mit diesen) überliefVrten Vorbild offenbart den Charakter des Mei.sters, dem hier S. Petrus als laufer zugefallen. Er begnügt sich nicht mit äusserlicher Aniithe.se. so .sehr die Stelle seines Wandfeldcs dazu einlud die laufe Christi als Vorbild zu benutzen.

Wie der W'üstenprcdiger tauft auch S. Petrus am Müsse zwischen den Bergen. Aber der Hauptperson wird nicht die Stelle des Tdufers Johannes in jenem überlieferten Schema eingeräumt, obgleich sie mit dem bestbeleuchteten Fleck der Mauer hier zu- sammenfiele. Der Apostel ist auf die Unke 8dfe getwacht, die Neophyten ihm gegenober aufe rechte Ufer des Flusses. Möglich, dass dabei die Absicht mitgespielt, den Zusammenhang mit der Pfingstpredigt drüben dadurch erst recht vor Augen zu stellen, die Scene hüben nur als Folge der vorangegangenen zu schildern. Möglich auch, dass die Täuflinge schon den besten Platz im Bilde för sich verlangten. Jedenfalls hat sich sofort die Schwierigkeit ein- geteilt, die das ererbte Vorbild der Taufe Christi schon vermied. Dort steht Johannes auf der rechten Seite, damit sein rechter Arm mit der Schale über dem Haupte des Messias, sich ins Innere des Bildes erstrecke, nicht nach Aussen vor den Kopf des Gottessohnes her. Hier ragt sofort die Rechte des Apostels aus dem Bilde heraus und erschwert unserm Auge den Einblick in die Tiefe des Sc:hauplatzes. Aber auch dieser Nachteil wird dem Künstler Ver- anlassung zur Aufnahme eines neuen Problems, das die ganze Wandmalerei als Raumkunst berührt, wenn auch zunächst nur ein kühnes Wagnis glücken mag. Der Platz am Fenster würde nicht allein den Helden der Darstellung in Schatten stellen, sondern auch nur vom Rücken zeigen und, wenn die örtliche Lichtquelle lest- gehalten wird, von rückwärts beleuchtet. Und diese Fortführung faktischen Seitenlichtes im Bilde selbst giebt der Maler nicht auf.

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Petrus tauft

der einmal an diesen W.uidt n flaiiiit ^»^eredinct hatte. Er hilft sich anders und Sf-hrifft (An erstes Beisjiii^l |)fr.spektivischer Tllusion, Er stellt seinen Ap<'^t^•l auf einen Vorsprung des Uferrandes, so weit ausserhalb der \ ^ 'rti» srhonen i'uihne hin, dass er vom einströmenden Lichte mehr eni{»f,iiii^t als der Rahmen von gemaUer Architektur. Mit hell IjeieiH ht( tr m Nacken Profil und Arm hebt er sich in märhtiifpni Uniriss mt den übrig-en ab. Seiner Rolle als Sjxnd-^r des Sakraments entsprechend, die eine psychologische Vertiefung des Ausdrueks fast verbietet, iTscheint dieser Petrus in erster Linie als grossartige (icwandfigur, Ueber dem geschlossenen Zusammenhalt der Drap(Tif> wirkt der erhobene Arm mit der Schale, und dis würdige Antlitz in Profil gerichtet, doppelt stark als durchgreifende Funktion, die für alle gilt. Und die Wucht dieses (iebarens mit der ernsten Majestät der Person gepaart, verleiht in den Augen des Beschauers dem Guss des Wassers erst die Bedeutung, die er haben soll.

Bei solchem Auftreten des Feuergeistes stellt auch das Anselieo sic^ ungerufen ein. Zwei vornehme ü^lm^ntiner aus der Zeit des Meisters, mit breitem Kopfbund kommen hinter der Kurve der Apostclfigur zum Vorschein und schauen andächtig, mit gesenkten Augenlidern, auf die Taufe, die hier vollzogen wird. Im Wasser drunten kniet mit gefalteten Händen ein junger Mann und beugt sein Haupt vornaber unter den Guss der Schale. Auf Scbeitd, Brust und Schultern vom Licht aus der Höhe Qberströmt, hebt er sich ganz gesammelt der Gnade entgegen, als fasse er allein vor all den Zeugen die Weihe des Augenblickes im Gebet zusammen. Nichts stört den Eindruck, der sie alle bannt. Nun mag der Maler dem nackten Körper des Jünglings mit unverholener Freude seine Sorgfalt widmen. Er trägt die blutwarme Fleischfarbe mit vollem Pinsel auf, und folgt mit seinem Strich dem Zug der Schwellungen und Furchen nach, als runde er plastisch die Formen. So gelinf^ ihm trefflich die Modellierung der Muskellagen, der Pidster zwischen festen Gliederungen des Knochengerüstes, und die weiche Fülle der Jugend, die vor ihm aufblüht, reizt den malerischen Sinn noch mehr. Die durchsichtige Welle des Hergwitssers kommt eilenden Laufes daher und umspielt mit ihren Ringen die strammen Schenkt des Beters, der achtlos seine Knie hineingetaucht Und Licht und 1-uft gesellen sieh di m s( himmernden Wasserspiegel, um die Schön- heit des nackten Leibes in freier Natur zu offenbaren und. mit ihrem farbigen Schein umgeben, sie liebkosend in sich aufzunehmen, als wäre sie ein Stück von ihr, das Menschenhand nur töricht ihr entzogen.

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Die Täuflinge

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In klaren Augenblicken ahnt das Auge des Betrachters auch heute noch die Augenlust des Malers und fühlt ihm nach, was er gewollt, obgleich von seinen Farben nur spärliche Reste noch auf dieser Fläche haften. Das fortsi lir(Mt(>ii(l( Verschwinden ihrer Glut darf uns nicht vorleiten, die malerische Leistung für jono Zeit zu unterschätzen. Wenn Paolo Uccello, der harte Schematiker der Perspektive, im Klosterhof xon S. M. Xovella selbst unter dem Ge- wirr der Sintflut nicht versäumt, die Kreise des Wassers um einge- tauchte Körper wiederzugeben, so wirkt diese Wi(>derholung aus den vierziger Jaliron um so nu lir als Warnung, das Vorbild auf Masarcio's Wandgemälde zu würdigen , w ie es ihm gebührt, wmni^^leir h dt r Nachfolger im Chiostro verde sich auf einfarbige Kälte beschränkt.

Zur Gruppe des Apostels mit .seinem frommen l äutlini^ gf^hort als dritter Faktor noch die helle schlanke (iestalt ;ini riThten ITer, als Gegenstück iler breiten GevvandHgur dos Petrus, ilic \ ulHg nackte des Frierenden. Es ist ein h< »einlese hos.seuer deselle, der echte Florentiner im Vergleich zu (b rn i.,n drungenen Römersohn, der vor ihm kniet. I'.r Iwit tlie Arme krt uzweis über die Brust geschlagen und wartet auf den AuL,fi iil»li( k. wo auch er ins Wasser treten kann. Docli wie es soeben am Kucken des Vordermannes nieder- rinnt, so üljiTl.iuft das X'orgetulil des kalten Gusses auch seine Haut, als müssten ihm die Knieo sr hloltern. die er frö.stelnd aneinander drückt. Und unwillkaria h, wie di r Rucken sich deiint, .schlingen die Arme sich fester /usannnen. Solche zufälligi-. der Natur ab- gelauschte Erscheinungen im Bilde anzubringen lag grade im Geschmack der Zeit. Die Sehnsucht, aus den Schemen der Ueber- lieferung ins freie Leben selbst vorzudringen, bezeichnet den Aus- gang des Mittelalters und den Uebergang zum Wirklichkeitskultus des Quattrocenta Zahlreiche sdiwache Anläufe, von Antonio Veneziano mit seinen Fischern im Camposanto zu Pisa bis zu Gherardo Stamina mit seinem Schulbuben unter der Rute, einst im Carmine hier, bezeichnen den Weg. ITnd jauchzend klingt uns der Jubelruf der Staunenden „uno che trema cosa mirabilc". Aber in Masaccios Bilde guckt dies Bravourstück keineswegs aus dem Ganzen heraus, ebenso wenig wie sein flammender Cherub an der Pforte des Paradieses oder sein gebückter Petrus beim Fischfang daneben. Er stört nicht die ernste Haltung des Vorganges, wie dies von MasoUno in seiner Taufe Christi im Baptisterium von Castiglione d'Olona gesagt werden musste, obgleich die Wirklich- keitstreue seiner Genrefiguren noch 1435 so weit hinter diesen Leistungen Masaccios zurückbleibt.

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Malerische Wirkung

Die willkommene Gelegenheit, in nackten Gestalten zu schwelgen, verleitet den wahren Kflnstler nicht, die künstlerische Freiheit zu misbrauchen; bei ihm nimmt jede Figur in der Oekonomie des Ganzen nur ihren wolberechneten Anteil, und er opfert Lieblings»

geschöpfc, (lio ihm gelungen, der Gesamtwirkung auf, wo diese ge- fährdet wird. Zwei ruhig ernste Gewandfiguren dienen schon hier als Folie für den h r ikteristischen Umriss des fröstelnden Bursch«i, der seinerseits dem Apostel drüben die Wage hält. Ein dritter Täufling steht halb entbl^sst weiter zurück und lässt sein Hemd über die Hüften nieder v. ahrend auch hier ein Büfser in dunkelm Rock mit dem Ausdruck tiefer Zerknirschung den Andrang hemmt als wäre er ein Begleiter des Petrus, der mit dem Chrisam in der Hand die Cerrmonie erst abschliesst. Dann erst schaaren sich di** Jünglinge Kopf an Kopf und schauen in mannirhfaltiger Haltu'ii' schon verlangend mier neugierig noch herüber. Hell belruchtrt. bo- z<M( hnen sie zugleich eine Gasse, die rechts her aus der Tiefe k -m- mend, am engen Sch.iuplatz des Flüsschens mündet, und lenken den Blick auf die freiere (iruppe des Vordergrunds ^'')^ ]\"trus aus- gehend erftreckt .sieh die.se Bahn als Riehtungsaxc des Raumes diagonal an den Hergen vorüber, die in ähnlichem Zuge Kuppe an Kuppe hinter(>in.inder aufrücken.

Als dunkle Massen aufgereiht dienen <]iese Höhen zunächst da2u, die hellen Figuren drunten energischer herauszuheben und au dieser schlecht sichtbaren Stelle wenigstens die hellen KOrper zu Selb.stleuchtern zu machen, die dem I^etraehter ins Auge fallen. In klaren Augenblicken erkennt man auch hier trotz aller l^eschädigiing auf dvmkelgrauen Felsen noch grünbewachsene Hänge, tiefere Schatten der Einschnitte mit seitlich beleuchteten Spitzen darüber, und das Spiel des Helldunkels setzt auch hier das Leben, das vom in reicher Fülle drängt, ins Weite fort b& über alle Berge. Eine landschaftliche Feme mit freierem Ueberblick wäre auf dieser Fläche sdion för den gegebenen Standort des Beschauers nicht mehr und nicht weniger als ein Misgriff gewesen, und dergleichen lu verlangen, ist solchem Maler nur eine Torheit, .wie dem wahren Philosophen die Spiegelfechterei so^istischer Beweise. Wer immer, soweit der traurige Zustand dieses Wandgemäldes irgend noch ge* stattet, die feine Abstufung aller Mittel nachzuwägen versucht» der wird an Masaccio gerade hier bewundern, wie sehr der plastische und der malerische Sinn im Raumgefühl zusammengehen.

') Am Hinterkopf des Zitteters ist eine starke Protabeius, mm Gesicht sase* NeberniMnnes redkts ftbenfUls Uebemniiiiig bemerkbar.

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Zeichnung

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In (If-r Aiisführuiig des Einzelnen musste schon bei den hinteren Figuren ein sunini.uisches Verfahren walten, das mehr aiulentct und voneinander ab&ülzt, als zeichnerische Präzision er>trohi ; desto wirk- samer steigert sich im Vordergrunde die Formgebung zu vollge- rundeter Bestimmtheit Leider hat die Mittellage gerade am meisteii durch Feuchtigkeit der Wand oder \'erwaschung beim Brande gelitten. Die ungleich verschwommene Weichheit darf doch nicht verfiihren, hier duftigen Zauber zu suchen, den erst weit spätere Maler Italiens erstrebten. Aber schon Vasari. der sie unbe- schädigt sah, lobt ah der Figur des fröstelnden Jünglings nicht nur »hellissimo rilievoir, sondern auch »dolce maniera«. So gut wie neben diesem nackten Körper der hellgraue Eckpfeiler mit seinem Rosarot an ßasis und Kapitell nicht ohne Einfluss bleibt, so hilft auch die Wärme der Karnation an dem knieenden Täufling nicht wenig mit zur malerischen Einheit, ja die Röte des Fleischtones ist ein unentbehrlicher Faktor, den Masaccio mit bewusstcr Wahl in seine Rechnung einsetzt.

An dieser schwierigen Stelle des Kapellenraumes mit Licht und Farben Wunder zu tun, war für den jungen Künstler eine technische Aufgabe, die wol alle Kraft in Anspruch nahm. So er- scheint es durchaus natürlich, wenn bei dieser Ausfilhnini; ein anderer Teil, der zugleich erledigt werden musste, eine gewisse Flüchtigkeit und Schwäche deutlicher als anderswo verrät. Was böse Zungen hernach von Fra Filippo sagten, er habe mehr als billig die Hände versteckt, das könnte man hier erst recht an Masaccio tadeln. Die wenigen Beispiele, die er zeigt, sind mangelhaft geraten, die Füsse nicht viel besser, und in mancher anderen verkürzten Form kehrt jene Schiefheit und Wulstbildung wieder, die wir mit Rumohr schon soeben in der (leschichte vom ZoUgroschen und in der Vertreibung aus dem l*aradiese l)emerkten.

Die Gestalt des knieenden Täutlings, die Adams dort und die nackten Beine des Torwächters von Kapernaum haben so \io1 charakteristische Merkmal«*, Vorzüge wie Mängel, miteinander ge- mein, fl.fss sie als Reihe iinl)r/weitVlt{T Arbeiten Masaccios uns die Bestimmung eines vierten Stückes ermöglichen, dessen Vergleich grade hier ausserordentlich willkommen ist. Denn diesen malerisch wirksamen, in breiter Freskotechnik auf die Wand ^ebra( hti n Figuren gegenüber regt sich W(»l ohtieliin der W^ins« h. Masaccio als Zeichner kennen zu lernen, womöglich bei dem Ahst hen, die Formen, die er sieht, in festen Uniriss /u fassen, und mit genauer Rechenschaft über alles Kinzelne zu eigenem Besitz aufs Papier zu bannen.

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Zeichnungen

Dif» Mehrzahl freiUch der vielen Blätter, die hier und da in iinseni Simniluniron als Originale Mas;trri<.s ausgegeben werden, durtleii sich t her als Studien spaterer Künstler nach seinen \'or- bildern herausstellen. S(*hon Vasaris Er/ahlunij von dem eifrij^on Bemühen, ihm i;lei( h/Aik<>riimen , macht solchen Ursprung- wahr- scheinlich. Die meisten von ihnen .sind wieder Gewandfiguren ; die Breite .seines Wurfes, tUc schlichte Grös.se seines Vortrags sind das Ziel des .Strehons, das hier gelingen kann und bis auf Weiteres täuschen, dort seltsam genug sich mit der Eigenart des Nachahmer verquickt und an der Unart oben den wahren Autor kenntlich macht. Ein Beispiel fflr Viele ist Filippino J.ippi, der eine Zeit lang sich redlich einzuarbeiten versucht hat, um die unvollendeten Stficke des Cyklus hier zm Ende zu bringen, und darin alle Anerkennung verdient, freilich nur um desto schneller in Schnörkel und Bausche, in flatternde Bänder und verwickelten Aufputz zurückzufallen und als ausgemachter Manierist zu enden.

Die Zeichnung eines Oioskuren

Hier aber gilt es den nackten (lestalten, die Masaccio selbst gemalt, eine Aktfigur anzureihen, die er selbst gezeichnet Vielleicht gelingt CS in genauer Vcrgleichung dieser Proben wenigstens einen Neophyten anzuschliessen und diese Taufe sogleich vollgültig zu bescheinigen. Die Zeichnung, die wir meinen, verbirgt sich unter dem Namen Antonio del Pollajuolo, der ihr alle Ehre macht, sil gran disegnatore« sagt Rafaels Vater. Aber sie trägt einen zu frühen ( harakter sc hon an der Stim geschrieben, entspricht weder in der Technik der Ausführung nnch in der Formgebung der wol- bekannten Art dieses vom Goldschmiedshandwerk ausgegangene Meisters. Sie war im Printmom des British Mu.seum, unter dessen reichen Schätzen sie bewahrt wird, auch vor zehn J:diren schon und länger nur mit Fragezeichen unter diesen Namen eingereiht.*) (Payne Knight Pp. i Xo. i3.) Auf blau grundiertem Papier mit Silberstift gezeichnet und weiss gehöht, erscheint hier einer der Dioskuren von Montecavall > in Rom, in voller Ansicht vor seinem Rosse, das rei;hts>hin in die iiuhe steigt Der linke Arm des Jüng-

*) Vgl. unsere Tafel (in Liefening I) nach Phot. ßraun No. 65. British Mus«im uttier Pollajuolo. Es ist der als *opus Pbidiaec bezeichnete, vom Pal. Quirinale liidu.

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DiOSKUR VON MONXECAVALLO

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lings hebt sich mit der Faust dicht vor das Gebiss des fechnaubcn- den Tieres, d<'ss< n niahnongeschmüt kter iiali» gerade hinter der Schulter des liändig-ers eiidiift. So überraj^ft der Kopf dos Pferdes völlij^- df'ti <lcs Mannes nolien ihm, lauter bezeichnende Ab- wcichunsjen des Ouattroccntislcn v<>ii dem Vorbild der Antike, das er studiert. Die j^f-esenkte Faubt des rechten Armes, der jeder Dra{>erie entledig^t iist, steht in schräger Linie zwischen seiner Schulter und dem Schweif mitten vor dem Hinterbacken des Gaules, der gedrungen und kurz, ganz ohne die energische Muskulatur des Marmorwerkes, doch ebenso ängstlich, fast zitternd vor dem Ruck des Zflgels beide Hinterhufe dicht aneinandersetzt Ross und Mann sind hier zur Einheit verbunden, während sie auf Montecavallo aus^ einandergehen. Das Tier dient diesem Zeichner nur als Folie für die Menschengestalt, die er in voller Breite entfalten wilL Freilich die Auffassung bleibt auch hier weit zurück hinter der gewaltigen Kraft des antiken Heroenleibes, £Me prachtvollen schon übermässig hervor- gedrängten Muskellagen mit den tiefen Schattenfturchen dazwischen bleiben fast unbemerkt Die Breite des Brustkastens mit seinem vorgewölbten Bau wird gradezu ins Engbrüstige der unvoll- kommenen Modelle zurückübersetzt, die der Maler sonst zu sehen bekommen. Und doch ist kein Zweifel, er hat in Rom vor diesen Statuen selber gearbeitet und verfolgt unv^kennbar die Absicht, in seinem Abbild wiederzugeben, was er am Vorbild ersehen kann. Und mit welcher Deutlichkeit folgt die gewellte Umrisslinte von der Achselhohle zur Hüfte hinab den Schwellungen der Muskulatur oder den Rippen, deren Ränder sich bemerkbar machon. Wie ballen sich ähnliche Polster voll fester Spannung am Arm entlang, wol gelungen am rechten, aber fast ins Gegenteil missglückt am erhobenen link« 11 w- das ijcht den Zeichner geblendet. Wie eifrig giebt er im Gesicht des Streiters die Anstrengung der Kraft, die gepressten Uppen und geblähten Nasenflügel: ja das Auge bekommt eine Intensität des Blickes, wie er im Marmor nicht erschien, und das Ross gar menschliche Züge nach Trecento-Art.

Gemässigt in allen Formen, gekürzt im Vergleich zum bäumen- den Tiere, wird die Gestalt des Mannes in der unteren Hälfte voll- ends ung-enau. Mit i^esprcitzten Beinen tritt er auf, aber der Sinn der Haltung, dii' Richtuiivi" des Widerhalts ist nur obenhin erfasst und scluvacli betont. J'^ine .luffalleiide Ki-^-ent ümlichkeit aber prai^t sich aus: die ]:>reite Phalanx d(M' Zehen und d.is Aufpressen beider Füsse auf df^n Boden grade an dieser Stelle, hi* r wie da. Nehmet! wir dann noch die scliartV»ii Getreiisät/e in der M< idcHieruni^- nament- lich seines rechten Beines hinzu, oder die mächtigen Fäuste mit

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Zeichnung Masaccios

dem Ijrciton Mctacarpinm, flom dkkon Wulst iintor dem Daumen und den kleinen vcrkrüninitt-n Finurrn, su sind wir bei Masaccio und dem Erträgnis dieses »Siiidiunis mit seinen Vorzügen und seinen Fehlern, Beine und Füsse Adams und des Torwärters bezeugen die genaueste Verwaiidtsf h.itt, in der Bildung der Einzelheiten, die wir hervorgehoben, wie in der Modellierung, deren Misserfolg schon Rumohr so treffend beschrieben hat. »Die Höhe der Lichter nicht in die Mitte, sondern an den Rand der Formen 2U bringen, was diesen durchbin ein gewisses Ansehn von Schiefheit giebtc, diese Procedur zeigt audi die Zeichnung im British Museum. Die Ueberhöhung der Lichter, die schon ins Kreidige übergehen, die Randbeleuchtuug auf der einen und die tiefen Schatten auf der anderen Seite finden sich ebenso auf diesem Blatte wie auf den Fresken der Brancaccikapelle.

Ohne Zweifel hat Masaccio nicht diese weiss gehöhte Ansidit des Marmorwerkes auf seinem blaugetönten Papier allein nach den Koloasen von Montecavallo gefertigt, sondern auch sonst eifrig an ihnen studiert. Denn die Bildung des jugendlichen kraft> strotzenden Leibes, die er hier sich ausersehen, kehrt wieder an dem knieenden Beter in der Taufe. Die Form des Oberanns besonders mit der starken Muskelschwellung, die Fülle der Brust mit der Ein* Senkung in der Mitte findet sich ebenso, und ebenso zeigt sich an allen nackten Gestalten, am Frierenden wie an Adam und Eva drüben, die nämliche Nabeltiefe mit auslaufender Furche nach oben. Ueberall endlich begegnen uns Köpfe unter den Täuflingen hier, wie in der Apostelschaar um Oiristus, die ihre Herkunft von den klassischen Vorbildern deutlich offenbaren. Unter ihnen bemerltcn wir eiiil^'^c, die nach liedarf der Freskomalerei den grossflächigen Zug der Marmororiginale noch beibehalten, während die Zeichnung des Dioskuren selbst ihn intimer verfeinert. Sie zeichnen sich da- durch aus, dass di(^ \as<' in ununterbrochenem Zusammenhang von der Stirn ausgeht, mit scharf beleuchtetem Rticken sich heraushebt und dass die Augen tief beschattet unter den breiten Höhlenrändern liegen; ebenso ist der plastische Vorzug stark vorspringender und voll geschwellter oder leise geöffneter Lippen bewahrt. So Johannes der Kvangelist und der jug-cndlirlio Apostel hinter dem Steuer- einnehmer. Dacifofven sticht in anderen l)artlnsen K<>pten mehr die A<"linli( hkeit mit dem Antlitz hervor, das Masacc io unwillkürlich unter den Händen erwuchs, als er die Zeichnung nach dem Dioskuren in vermeintlicher Nachiihnnmg des antiken Typus voll- endete. Ihm gleichen besonders di(^ beiden Apostel hinter Petrus, besonders der neben dem Bilde Donatellos hat den BUck und die

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DiOSKUR VON MONTECAVALLO

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Formation (]or ohrron Hälfte seines Gesichts, sein Nachbar die tief eingegrabenen Mundwinkel und die aufjjoblähton Nasenflügel wie auf dem Blatt in London. In den übrig^en Fresken wie in der Almosensprnde wirkt in Johannes der antike Idealkopf fori, \on dessen I r^inuiit! nur die Zeichnung zu erzählen weiss» die wir als Masaccios Eig( ntum in Anspruch nehm« n.

Das Blatt im British IVhisenm mit seinem blau gettniroii (frunde und s»'iiioii wf'iss vr<'h"htcn l.irliLern hat. als Ganzes betra<htot, noch eine \'erwan(]tsrhatt aufzuweisen, die wo! nur Lestätigt, weshalb w ir sie früher angcset;^! hab» n als Pollajurij«, und in anderem Umkreis sut-ht'ii als beider (loidscluniedsgruppe in di r /weiten Hälfte des Jahr- hunderts. .Sie gleicht bis in die starken KoiUraste des Weiss und l>lau den Majolikaplatten des Luca della Rohbia. wie z. B. den ^lonatsbilderu im South Kensington Must um. die aus Balazzo Medici stammen. Wie diese Malerei des befreundeten Tonbildners, der mit Filippo di Ser Brunellesco und Donatello, also auch mit Masaccio zusammengehört, so trägt au^ die Zeichnung in der Wiedergabe der Formen, in ihrer Be&ngenheit und Naivctät, noch Spuren genug an sich, die uns die Nähe eines Fra Giovanni da Fiesole auf der einen Seite und eines Benozzo Gozzoli auf der andern verraten. Als Einziger der späteren Generation gehört nur Picro de Franceschi hierher, dessen Taufe Christi, als wilHcommenes Beispiel in London, auch die Erbschaft dieser Antikenstudien Masaccios antritt, wie noch so mancher andern Errungenschaft, die nur er mitzunehmen ver- stand in seine Heimat am oberen TilsertaU Masaccio selbst aber, vor dem antiken Marmorbilde eines jungen Heros dem Studium des nackten Körpers in seiner plastischen Schönheit ergeben, das ist für uns die Hauptsache hier, noch nicht Masaccio in Rom, den dieses Blatt beglaubigt.

Scbmarsow, MasaccioStudien II. 3

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DIE UNTERE I\EIHK SEINER FRESKEN IN DER BRANCACCIKAPELLE 4^^

^Im Verfolg der Geschichten S. Peters^ die Masolino begonnen, vollendete er einen Teil«, erzählt Vaaari von Masaccio: »d. h. die Geschichte vom Stul Petri, die Heilung der Kranken» die Aufer^ weckung der Toten, die Gesundung der Krüppel durch den Schatten beim Tempclgang mit S. Johannes«. Die ungenaue Ausdruckoweise dieses BerichtSi der aus dem Gedächtnis allein schöpft, kann Ober die Hauptsache, was er meint» keinen Zweifel lassen. Vasari denkt an die untere Reihe der Wandbilder, die seines Wissens Masaccto g^Ören, das heisst, in chronologischer Folge der Vorgänge genannt, die Almosenspende, die Schattenheilung, die Auferweckung des FQrsten- sohnes und die Stulfeier ,4a storia della cattedra.** tXe beiden ersten, die Erleichterung der Kranken und die Heilung der KrQppel, ge- hören noch der Erzählung der Apostelgeschichte an; die beiden letzten, das Wunder vor Theophilus von Antiochien und die Ein- setzung in der Kathedrale, sind dt r Legende entnommen.

In die Zeit der ersten Gemeinde zu Jerusalem führt uns die Schilderung brüderlichen Zusammenlebens. „Es war auch keiner unter ihiirn der Mangel hatte; denn wie viele ihrer waren, die Äcker oder Häuser besafscn, verkauften sie und brachten das Geld des verkauften Gutes, und legten es zu der Apostel Füfsen ; und man gab einem jeglichen, was ihm not war." Im Anscblnfs daran erzählt das fünfte Kapitel d«^n Zwischenfall mit Ananras, der rinon Toil des Frlöscs aus seinem (iut zurückbehielt, und von Petrus durchschaut, vor ihm niederfiel und seinen Geist aufgab. „Ananiae et Saphirae mortem predixit" rühmt das Loblied lakonisch genug. Und nnmittelbar auf diese Brstrafung der Unwahren, folgt die IJeihmg der Krüppel: „also, dals sie die Kriinken auf die Gassen heraustrugen, und legten sie auf Hellen unil liahren, auf dass, wenn

Petrus kämo, dafs sein Schatten ihrer etliche überschattete und

wurden alle gesund."

Ohne Zweifel sind diese beiden Vorgänge, schon in der heiligen Schrift so nah verbunden, auch hier in der lirancaccikapellc als Paar von Gegenstücken vorgesehen, wie droben die Predigt am Ptiiigsttag und ihr Erfolg, die Taute der Bekehrten. Streng zusammengehalten erscheinen die beiden Darstellungen darunter an der selben Altar- wand, nur in umgekehrter Folge, die Almosenspende rechts, die

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Disposition und Schauplatz

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SchattcMiheilung- links vom Beschauer, und schon beim ersten Einblick in die Kapelle, durch das Gitter hin, wirkten sie zu beiden Seiten der liauplaxe als symmetrische Hälften einer Bühne. Hier galt es, den normalen Mafsltab für alle Verhältnisse des Inncnraiimes zu geben, schon vor dem Eintritt gehörig zu orientieren und den richtigen Standpunkt für die Umschau anzuweisen.

Deshalb ist die perspektivische Vertiefung des Schauplatzes f&r beide Bilder wenn auch nicht am» einem und dem selben Mittel- punkt im HöhenXot der Wand konstruiert, wie es später Andrea Mantegna in Freskenpaaren aus der Legende des Jakobus und Christophorus zu Padua getan hat, doch mit bewufstem Anachluss an die Bedingungen des wirklichen Raumes, und nicht wie dort bei den Eremitani im Kampf mit Konsequenzen, sondern zum Vorteil des Beschauers. Die schematische Grundlage der Disposition verleitet jedoch den Maler keineswegs, bei genauer und deshalb langweiliger Entsprechung der Hälften stehen zu bleiben, sondern er entfallet den Schauplatz in jedem Bilde nach den Erfordernissen des Vorwurfe und sucht in ihm um so mehr Abwechslung als er die Hauptpenon der Scene beidemal redits anbringt, während sie im oberen BÜder- paare, bei der Fredigt wie bei der Taufe, links steht Wahrend die beiden oberen Scenen in Gebirgstälern gedacht sind» mit Höhenzug als Hintergrund für die Figuren, geschehen diese beiden darunter in den Strafsen der Stadt Jerusalem. Der scharf begränzte, Von Baulichkeiten umgebene Ort der Handlung umschliefst die Gestalten in unmittelbarer Nähe, und ordnet sie zwingender als sonst den Mafsverhältnissen der Häuser und Paläste unter, vor denen sie hier unten in TischhOhe des Altars erscheinen. Das war kein leichter Entschluls für den Maler, der seine majestätischen Personen so breit und frei schon ausgelegt hatte, sie auf offenem Plan als feste Körper im Räume hinzustellen und geltend zu machen gewohnt war. Das alles knmite in enj^rer (iasse, unter sichtbarem Einspruch der Architektur wieder zu Schanden werden. Und in der Tat befremden diese beiden perspektivisch wirksamften Stücke der Altarwarvl durch die stren^-e Reduktion der Figuren, im Ver^lei( h zu den übrigen Ge- mälden der Kapelle. Nur sorgfältiges Kindrin^^cn in die Oekonomie des Meisters läfst wieder erkennen, wie bcwufst er auch hier die Faktr)ren der Anschauung abgewt)gcn, mit welcher Ueberlegenheit des Gefülils er die Gasse frei maeht für dies»- (if^stalten, und das Auftreten der Personen wieder so hindurchführt, dals .>^n' die Koulissen seines Theaters nicht Lügen i>traf( n. Das « ine Mal galt es, den Schatten der Hauptperson im Voriilx rirchen an einer harrenden Reihe entlang sichtbarlich hinzuwerfeji. Mifr zeigt er nur die eine

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Das Freskenpaar der Altarwand

Seite der Strals»- mit ihrer Hauserflucht, und sein Apostt l kommt in (liaviMualer Richtung aus dem nintergrundf um seinen Wvg nach der linken Ecke vorn zu nehmen. Das andre Mal schreitet Petrus mit seinem (iefolire im NOrder^rund quer über die Huhne und trifft an der F.cke eines Kreuzwet^es mit der Belllerschaar zu- sammen ; j»erade hier aber, wo die Querstrasse mündet und der Blick ins Freie sich öffnet, wird auch der Fortgang der Handlung durch einen Z\vischen&ll unterbrochen. Sn bringt der Künstler Ab- wechslung in den Anblick der Scenen und Mannichfahigkeit in den Ablauf des Geschehens, je nach dem Inhalt der Erzählungen selber. Aber beidemal ^ht eine Bewegung von rechts her aus der Tiefe hervor und begegnet einer Masse, die ihrer wartet; denn beide Vor- gänge schildern das Auftreten der Apostel und ihr Walten in der ersten Gemeinde.

Die Almosenspende

Neben dem Marroorpfeiler rechts, der die Bühne begränzt, drängen sich überschauende Köpfe, ein junger nach einwärts, ein alter nach vor* wärts, hinter dem Ebenbild der Barmherzigkeit und Milde Johannes^ der Petrus begleitet. Und zwischen den Häuptern der Apostel mit ihren Heiligenscheinen hindurch starrt, ganz von vorn gesehen, ein Mann mit dunkelm Vollbart hi rein, wie versteinert vom Entsetzen. Was geschieht hier mitten im \'<»llzug des Liebeswerks?

In der Linken den offenen Lederbeutel vor sich haltend lässt Petrus ans den Fingern der Rechten soeben ein Geldstück in die Hand eines jungen Weibes gleiten, das mit einem Kind auf dem Arm herantritt. Ihr Kleid ist grau und armselig ein weifses Tuch um den Kopf gewickelt, und die hleidu ( resichtsfarbe wie der magere Hals verraten, dafs Elend und Leid ihr die Frische geraubt hat. Si» darf der Gabe vor :\llen. Eine andre junge Muttor eilt hitUer ihr herein, ein Mann kniet neben ihr und hält die Hand noch w artonfl offen, als sei ( r iibergangen. \'on links her humpelt ein Krüppel ht.Tan, an der 1\« k*- des vorsprini^rnd'H Hauses; auf Krücken gestützt, hat er die iMii^cr nicht Irei, aber desto gieriger dringt der r^Hrk (1<T fiinkeliulen Aui^cn unter buschii^fu Brauen herN<»r. und die kahle rialt< seint s Si hädels leuchtet über dem dunkeln l Liar- schopf im Nacken und dem Spitzbart am Kinn, das ebenso eitrig

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Ananias

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dem Almosengeber enfgegrenstrobt. Vergebens versucht das alte Mütterlein mit breitem Kopftuch vorriüber ^»^obeugt noch neben ihm. vor/iik()iiimrn; er sperrt mit seinen Stelzen den Zugang. Oder packt auch ihn die Furcht, so daTs er bei Seite lenkt?

Zu den Fäfsen der Apostel liegt ein kräftiger Mann auf der Strasse hingestreckt. Der Kopf ist auf den linken Arm gesunken, -während die Rechte an das Handgelenk greift und die Finger der Linken sich flach auf den Boden breiten. Die ungeschlachte Form des Körpers in guter bürgerlicher Tracht veranlafst unwillkürlich an die Wucht eines jähen Zusammenbruchs zu denken, wenn auch die Zerstdrunjyr der Bildfläclu^ dureh den neuen Altar gerade an der Stelle, wo die Beine weitem Aufsihlurs i»-eben sollten, inis volle Klarheit versagt. Ist es r in Kranker, der mit gläubiger Inbrunst sich niedergeworfen hat, als erflehe er mehr denn Almosen von den heiligen Männern ? Schwerlich; denn wenigstens Johannes würde sich ilim zuwenden, wenn Petrus seiner noch nicht aditet; aber klar lind fest verharrt der Lieblingsjünger des Herrn und blickt nur be- kuminert vor sich hin, wo sich vollzieht, was ihn nicht überraschen darf. T'^nd Petrus selbst ist garnicht so im Austeilen der Münzen befangen, dafs er abgezogen erschiene von diesem Zwischenfall. Auch er l)lickt vor sieh hin. aber ni( ht in stiller \V'<'nne des fiehens, \\" die Linke nicht si(^ht w;us di*' Kiihtr tut, sondern ernst und streng, mit dem iinverkeiuiharen Ausdriu k <.i< s Ingrinnns ulier etwas, das die brüderliche ( icmejnschaft stOrt und dem Geist der Liebe, den er soeben betätigt, zuwiderläuft.

Es würde dem engen Anschlufs an die Apostelgeschichte nicht entsprechen, wenn wir mit V'a.sari ein „liberare gl! infermi", sehnn eine Krankenheilung erkennen wollten, wo es sich um Ver- teilung aus gemeinsamer Kasse handelt. Und der Ansdnirk un- heimlichen Grauens, der ])lrit/1if lien Anfregtmg hüijen und (irul)cn wäre unerklärt. Die feste Haltung der AjK>stel. die finstre Miene des Petrus verträgt .sich mit der Alnv »s. iisi)« nde nur. wenn wir zu- v^]ei( h die Bestrafung des Ananias nn' uns sehen. Masaccie» steigert den dmmatischen Kontrast zu voller An.scii.tuliclikeit, wenn er die verschit denen Momente der bibli.schen Erzählung zusammenzieht: die ITcberreichung des Kauferloses in der Biirse »les Ananias. die nur soviel enthalt wie er preisgeben will, die Verteilung de.s Inhalts «in die Armen und die Erkemunig wie die Bestrafung des Betrug's. „Warum hast Du das 1) . ngen in Deinem Herzen," murmelt Petrus, „Du hast nicht Menscht ii sondern Gott belogen." Und der Vorwurf streckt den Mann zur Erde wie ein Blitz.

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Almosensfende

So denkt Masacdo; aber es kommt ihm nicht bei, den Stral .des Zornes in seiner Wirkung an dem Opfer mit gräflicher Ver- zerrung durdizuführen. Ananias taunieli nicht willenlos mit Zuckungen aller Glieder zurück, wie auf Rafaeis Teppichkarton, Petrus ist nidit der Zauberer, der mit drohendem Wink physische Vernichtung vollzieht. Es ist die Haltung eines Reuigen, eines moralisch Ge- troffenen, in der hier ein starker Mann am Boden liegt Das Herz ist ihm gebrochen, der Schlag hat ihn gerührt, sagen die Leute, weil sie nicht wissen, wie os geschah. Ananias fiel nieder und gab den Geist auf. Erst Sapphira hat die Stirn zur Widerrede, ihre freche Lüge macht sie vollauf zur Mitschuldigen, und auch sie wird abgetan. Hier aber sehen wir sie nicht, während sie bei Rafael schon ahnungrslos durch die Türe kommt. Ein Fall genügt, um so mehr, da Läugncn sich nicht malen läfst

Masacrio ist ebenso weit entfernt von der Sanftmut und Wcirh- herzigkeit fin^s Fra An^-elico. Winler seine Apostel sind in s<> kindlicher F.infalt von der S(>liijkf''t des Gebens durchdrungen, noch seine Armen so harmlos im I5ei^elircn, so friedtertig im Nehmen wie beim Klosterbruder von S. Domenico. Dieser Mann hier kennt den Stachel der Armut w ie dt^r 1 ler/en llartigkeit. Aber grade dadurch hat der einfache Vorgant," tler Almosenspende schon einen Reichtum an psychologischem Ausdruck gewonnen, wie ihn kein Liebeswerk im Klostergarten um sich sieht. Diese Verteilung^ tremcinsamen Geldes ist eine Volksfcene, die den Keim des Auflaufs in sich trägt. Die Geber wie die Nelmier müssten fühlen, dafs ein Körnchen Sauer- teig das Ganze in Gärung bringt. Nur der unerwartete Zwischen- fall, das fufi litl)are Schicksal des reichen Mannes weift den Vorgang in die Schr.mken der Armen])fiei;c zurück. So wird das Antlitz des Apostclfürsten, in dem sich diese Wendung spiegelt, zur Hauptsache des Bildes, Er waltet seines Amtes unbeirrt; aber kein Blick be- geisterter Freude und warmen Anteils leuchtet unter den gesenkten Lidern hervor; scharfe Furchen laufen abwärts Uber die Wangen in den Bart, als bandle es sich mehr um bittem Ausgleidi unge- rechter Not oder um die herbe Strenge der strafenden Gerechtig- keit aUdn.

Die ganze Helligkeit des Sonnenlichts strömt Über die Bettler- schaar auf dieses Antlitz und die beiden Gestalten der Apostel Vor dem karminroten Mantel des Johannes und dem gelben Ueber- wurf des Petrus über grünem Rock können wir nicht umhin den Körper am Boden zu beachten, der in feuerrotem Bürgerkleide da- liegt Unter dem peinlichen Eindruck des Falles, unter dem starres Entsetzen und der beweglichen Habgier auf den Gesichtern umher,

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Schattenheilung

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wird der Ausblick ins Freie zur Woltat. So stellt der Maler einen hoben Turm mit gotischen Fenstern im Rusticabau zur Seite auf, an der Ecke der Querstrafse einen leichten Palast übereck, sodass wir sein Zeltdach überblicken und die schräge Flucht seiner Hauptfassade mit ihrer rundbogigen Fensterreilie im Mittclgeschols verfolgen. Auf der andern Seite der Gasse, links am Rand des Bildes, lässt er die dunkle Masse eines Bürjrcrhauses. mit vorgekragtem Ausbau, bis auf das Fxkfenster im Schatten liegen, und eröffnet daneben die Landschaft, wo der Fahrweg sich zur sanften Höhe eines Hügels hinanwnidft. aus de ssen drün eine ucifse schlofsähn- liche Villa mit kurzem Turm über dem /iimrnkranz hervortj'länzt, wahrend rin Höhenzug dahinter die sellio Kichtung in die Ferne dehnt. Je nieisterh;dU'r die Führuntf des LiclUes hinter dem hölzernen Eckbau hervor uijcr die Mache des neui^cbauten 1 lauses am Strafsen- anfang gelungen ist, de.sio williger folgt das Auge dort hinaus, als schimmere ihm lockend die Villa Castello am Fuss des Monte Morello entgegen.

Die Schattenheilung

Auf der gegenüberliegenden Seite der Altarwand blicken wir im entsprechenden Bilde auf die Hfluserrdhe zur Linken einer schmalen Gasse. Der Augenpunkt liegt ganz ausserhalb, &st um die ganze Breite der Bildfläche nach rechts, so dafs diese Ardiitektur- koulisse mit Vorbauen, Dachrändem und Fenstern eine Anzahl enerfifischer Fluchtlinien und perspektivischer Wahrzeichen aufweist Nur ein dreieckiges Feld rechts bleibt fQr die Einsl^lung der Figfuren abrig-; aber gerade dadurch wird der Eindruck einer un- mittelbar vor uns hingesetzten Scene errekht Genauer als sonst wird vorn in der Ecke ein Rusticabau mit hohen gewölbten Fenster- Offnungen im Obergeschofs und der vorgelegten Stange zum Auf- hängen von Wäsche, mit Steinbänken vor der Tür und dem Ein- blick ins Innere geschildert Daran schliefsen sich leichtere Fach- werkhäuser von grauer und rötlicher Farbe, mit schrägen Stütz- balken unter dem vorspringenden Oberstock an, und hinten ragt ein schlanker Turm über die Dächer. An dieser Häuserflucht entlang sendet die Sonne ihren Schein, wie das wirkliche Licht des Kapellen- fenstera von oben einfällt Diesen örtlichen Umstand macht der Maler

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Der magische Schatten

zum Bmidt s:^<'ii' ».S.NC11 feriut r Kunsl, die 1 ).irsl<'llimi4 des \\^iin<lrrs rn- 'j^- lifhst .sinnt. illi- und u])(. r/cugend vor die w alirlifitsiiursi i-^i n Aii^iMi .sriner (loineindo zu briiij^cn. „l'nd^ra bui corporis infirnius saiiavii" rühmt die Ix'üfondc vom Apostel IVtrus ; das konnte der realistisch denkende Kiiiistler in dieser Kapelle nur mit dieser Stelle malen. Hier alU in s( nd<'t eine avis der Tiefe kununendc Person ihr«*n Schatten in seillicher Rirhtung voraus, so dafs die Wunde rwirkung dieses Schattens im \\>r])('isj< hen wenigstens als unniiUelbare Folge neben <l< ni Iruger der Heilkr.iti solhcr /um Vorschein kommen mochte. Eine solche Niichu irkung hiiUcrrütks v or/ululiren, so dafs der Ap<^stel garnicht von Angesicht gezeigt ward, verbot sich für die heilige Geschichte \on selbst Deshalb schiebt sich die Häuser- reihe zur Linken hin. Hier haben die Gläubigen ihre Kranken auf d&r Steinbank niedergesetzt, hierher sind Krüppel gekrodien und andre Dulder zusammengedrängt Von der Sonne beschienen warten sie» dafs P^rus vorüberkonime und erlösend überschatte wen es grade trifft.

Im Vollbewu(stsein seines lloheitsrechtes wandelt der Apostel daher, wie verloren in Gedanken. Sein rechter Arm hängt ruhig herab, der linke wird vom gelben Mantel völlig verhüllt; denn ohne eigenes Zutun, ohne Mitwirkung der Hand oder nur des Blickes geht die Heilkraft von ihm aus, sein Schatten genügt sie überzu- leiten. Er selber achtet der Wandlung nicht, die seine Nähe aus- übt; aber siehe da, wohin nur ein Streifen seines Schattens gefallen, da erheben sich die Kranken gesundet und loben den Herrn, der sie begnadet.

Ein bärtiger Mann in hemdartigem Kittel unmittelbar zur Seite des vorübergehenden Petrus, steht sclion aufgerichtet auf seinen

nackten Beinen, als merkte er eben, dafs sie ihn wieder tragen wollen, und faltet die Tl imle in Anbetung, scharf beobachtet, wie es scheint, von seinem Nachbar in roter Kapuze, der beide Hände auf einen Stock gestützt hereinschaut und nach Vasari das Bildnis Masolinos wäre. Neben dem Beter mit verbundenem Bein kniet ein Kahl- kopf mit hohler» A vieren und s(h merz voller Stirn; seine Arme sind demütig über die Brust gekn^uzt, aber sein Blick vermag aus dumpfer Lethargie des langen Leitlens kaum noch mit Zuversicht sich aufzu- raffen. Ein armer Krüppel dagegen, der sich mühsam auf kleinem Holzschemelchen am Boden hinschleift, lugt wie ein Hund nach einem Knochen auf, aucher norli f in ^Tonschcnkind das Erlösung hofft. Eine ergreifende Stufenleiter Iciblirhrr (iebrcf^hen, von halber Tier- heit bis zur \Viedr>rgobnn in \'>ll<>r Gesumlhoil führt zu Petrus hinauf, demein schmal wangiger Jüngling mit verblichenem Heiligcn-

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FOHMEN UND TYPEN 4 t

schein, also doch wol Johannes in karminrotem Mantel, und ein langbärtiger (xrcis mit Käppchen auf dem Scheitel, in gemessener

Entfernung fol}>{on.

Bei dem jetzigen Zustand des Bildes, das goratlo an der linken Seite besonders gelitten hat, würde man allerdings, ohne den Inhalt zu wissen, kaum noch den Schlagschalten dos Ajjostels als eigent- lichen Wundortätcr erkennen. Aber die scharf und klar durchge- fülirte Beleuchtung belehrt noch immer unzweifelhaft genug über die Absicht des Malers, mit seinen Mitteln wirklich zu zeigen, was "keine andre Kunst darzustellen vermochte. Noch immer erregt die wirksame Modellierung der Köpfe bis zum entarteten deschüpf hinunter, oder die Halbfigur mit nackten Armen und kahlem Schädel vor dem grauen Rock des stehenden Naf lil>ars, Bcwundi rung, wenn auch die Vollkraft an dieser Stelle nur mit schweren schwarzen Schallen erkauft ist. Mit welchrni (icfiihl fiir malerische (iegon- sätze isl niitteii hinein in die dunijite daiiiiiu ris^e ( iasse des Arinen- viertcis di<' 1 .ichlgostalt des CTn,iileiis])e!ider.s eitiy ctVilirl. nur vorüber» g^ehend allerdings, aber desto unberuhrlcr als Krst:heinung.

Wol mag es auffallen, dals an dieser Stelle n«M li die nanili< hen Kchler wiederkeliren wie an den Händen Kvas und dm ( iwas sclncf in die Breite geilenden Kt>pit?n tler i\j>o.sielsr|iaar. Die l)eiden Paare neben Petrus mögen etwas allzu stark im Malsltab tlifferieren, weil der Meister alle Kunstftücke versucht, die Tiefe zu eriausclien. Alle diese kleinen Schwac hen erklären sich wie die unlaugb^ire 1 alsaclie, dafs die ganze Behandlung nicht so kühn und breit ist wie sonst, aus der Befangenheit im engsten Raum. Die strenge Einfügung der l'igurcn in den brauchbaren Ausfchnitt seiner Fläche, die per- spektivische Gebundenheit im Interesse der Gesammtwirkung als V^andgemälde und im Zusammenhang eines vielgliedrigen Ganzen haben unwillkarlich die Freiheit seiner Hand beschränkt Wie sehr wir diese Örtlichen Bedingungen in Betracht ziehen müssen, das lehrt besonders ein vergleichender Blick auf die Einzelgestalt des Helden.

Bei der Almosetispende erscheint der alte Apostel wie eine bewufste Weiterbildung des strengen Typus^ den wir schon bei Giotto deutlich hervortreten sehen. Das volle Haupthaar legt sich in drei wulstigen Ringren um den Schädel, fast wie eine Perrücke, deren stark unterschnittener Rand mit tiefen Schatten über Stirn und Ohr den Backenbart, der über die Schläfen hinanstetgt, wie ein künstliches Anhängsel erscheinen läfst. Die längliche Adlernase und der abwärts gezogene Knebelbart über dem vollen weifsen Haarwuchs am Kinn verstärken den altertümlichen Eindruck dieses

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42 Disposition der Langseiten

Kopfes, der dem ^ffcisen Eiferer wol ansteht.') Dagegen sehen wir in der andern Wandhälfte, in ganzer Breite von vorn, ein wdt milderes Antlitz, unter dem grauen Haar und Bart frischere Farben und minder durchfurchte Flächen. Als ganzes ist es kein so aus- geprägter Charakterkopf, alles malerisch vereinfacht zu woltuender einhdtlicher Wirkung. Und infolge dessen wol mit ist der jugend- liehe Begleiter, den wir als Johannes ansprechen mOfsen, zu zarter Schw&che zusammengeschwunden, weit entfernt von dem Dioskuien- kopf bei der Almosenspende rechts oder gar von dem herrlicfaea Antinous des grofsen Uauptbildes an der Längswand. Der ApostelfÜrst selbst aber kommt in der malerischenBehandlung^ schon dem tronenden Petrus nahe, der unmittelbar daneben im untern Wand- streifen zur Seite des Altars links verehrt wird

Die feierlichste Verherrlichung des Apostels auf Erden steht hier in der Kapelle seinem Marteitod am Kreuz gegenüber, sicher schon als entsprechende Glieder im Freskenschmuck voraus bestimmt, unter entgegengesetzter Beleuchtung wie die beiden Bilder der Altar* wand. Und im unmittelbaren Anschlufs an die nämlichen Bedingrungeo dos seitlichen Lichtes von oben her, wie das Scbattenwunder, ist offenbar auch diese Anbetung des Kirchenhauptes gemalt. In der Legende bezeichnet „Petrus in cathedra" freilich den Absclilufs der Scenenreihe, der dieser ganze untere Streifen der linken Wand ge> widmet ist.

„Als nämlich Petrus bei Antiochien predigte, so erzählt die Ueberlieferung, ward er von Theophilus, dem Fürsten dieser Stadt zur Rede gestellt, warum er den Sinn des Volkes verkehre. Da aber Petrus sich des Glaubens an Christus rühmte, liefs er ihn fesseln und ohne Spoise und Trank i*Tfangen setzen. Als Paulus von diesem Schicksal des Petrus erfuhr, begab er sich zu Theophilus und stellte ihm vor, der alte Mann, der Krankn heilen und Tote erwecken könne, werde in Freiheit auch (l»^m l urstea wol zu nützen im Stande sein. Weshalb er sich denn m lit sr]l)< raus den Banden befreie, entg«-gnete Tlu^ophilus. \\'enn er vermöge ihm seinen Sohn, der seit vierzehn Jahren tot sei, zurückzubriniren, so solle er ledig sein und unversehrt bleiben. Als Paulus dem (iefangenen diese Botschaft brachte, meinte Petrus: ,JDu hast Grofses versprochen;

■) Vgl. dea Farbeadnu^ der Amndel Society mit den neuestea photographitdif

Aufnahmen.

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Aufbau des Andachtsbildes

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denncKli mit Gottes Hilfe wird es ein Leichtes sein.** Und herausgefäliit aus dem Kerker, betete Petrus am geöffneten Grabe des Knaben, und sogleich kehrte dieser ins Leben zurück. Darob ward Theophilus und das ganze Volk Antiochiens mit vielen Andern gläubig, erbauten eine herrliche Kirche und stellten mitten hinein einen höhen Sitz, auf den Petrus erhoben ward, damit er von Allen gesehen und gehört werden könne. Auf diesem Bischofstul von Antiochien saJs Petrus sieben Jahre bevor er nach Rom zog."^)

Petrus in Cathedra

Diese Kirche von Antiochien stellt Masaccio am rechten Ende seiner Bildiläche dar, so dafs wir eine Schmalseite in starker Ver- kürzung und einen Teil der anstofsenden Langseite vom parallel zur Grundlinie des Bildes verlaufen sehn. Das untere Stockwwk dieses schlichten Baues ist an Stelle eines Simses mit einem Pult- dach umzogen, dessen Sparrenwerk unten mit flacher Felderdecke verschalt, oben mit mten Ziegelsteinen bedeckt ist, ganz ähnlich wie droben am Wächterhaus vor Kapernaum. Zwischen einer recht- winkligen Türe rechts und der Ecke des Gebäudes ist unter diesem Dache der Tron für Petrus errichtet. Ein grüner Vorli.in^'^ bekleidet die Wand I'm l^ücken des Tmnenden, ein Teppich breitet sich über die Stufen unter seinen ['iifscn.

Der Apostel legt in dankbarem Gebet die Hände ziisaninieii und blickt andächtig empc^r, nicht zum Nachteil der clirturchtge- bietenden Erscheinung der eigenen Person, deren nfTenes Gottver- trauen auch dieser Ueroenkultus nur zur Eiire des H<)chst(tn wendet. Der Ausdruck aufrichtiger Demut hält die einlache Würde des Greises von allem pomphaften Wesen rein und giebt der schlichten Gestalt eine natürliche Ucberlcgenheit über alle X'erehrcr, die nun, statt den Apostel anzubeten, sich mit ihm im Gebet zum Ewigen vereinen.

Im Halbkreis knieen zu seinen Füfsen drei fromme Männer im Gebet, während rechts und links sich stehend(> Verehrer an- schliefsen, zu je dreien gesellt. Vorn in der Mitte wird die Figur des Fürsten Theophilus nur vom Rücken gesehen. Rechts neben ihm erscheint ein Zeitgenosse des Malers in scharlaclwotem Gewand mit kahler Platte zwischen dem kurzgehaltenen Haar, gewils ein

*} Jacobi m Yongiiie Lcgeoda Amw (tec Groeoe) Ctp^ XLIV.

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Malerische Vorzüge

Bildnis des Patn)natshorrn der Kapelle, der den j^fanzen h reskenschmuck zu Ehren des Aj>osleIfürstcn bestellte. Und neben ihm stehen wol die andern Angehöriju^en der Familie Brancacci, zwei Männer vorn und eine Kra'i. so s( heint es; erkennbar ist an dieser arg mitgenommenen Stolle, (vor der dunkfln Kirchcntiir ursprüniifHt h gewiss sehr wirksam hervortrotend,- nur das Anllit/. des rincn XelTon,') der aufmerksam aus dem BiUle heraus schaut, w ahn nd der K< )pf t^inrr \ iorlen Person, dio ilun nur an die Schulter reii lit, wir ein Kitulringling am '1 ur- ptbslen hereini^ui kt. Zur Linken der Mittdtiv^ur dagegen nehnu*ii die Mönche des Klosters in schwarzwcilseni Karmeliterklcid ihre Rechte in Aiispni« h. Vorn km'rt irdi ntalls der Prior, begleitet v<.n drei An- gehörigen s' itii's ( irdciis, di< an die Koke di s 1\ irchenk' <rpers her.ingc- treten, stehend \ rrli.trrfn. Sie geh«»ren /u dru best(ThaltPnen l*orträt- hguren, die Masaccio hier gelungen sind, und bezeichnen auf solcher Bahn die höchste Staffel seiner Kunst.

Die gcin/c i\uniiX)sitioii dieser druppe rundet sic:h und giptelt in hoher architekloniseher Schrmhcil. jeder Körper hcbl sich in plaslisi lu^r Selbständigkeit aus dem (rrumle und hängt doch in klarer Bc/iehung zu seinen Nachbarn mit dem gemeinsamen Mittel- punkt zusammen. Feierlich getragen vollzieht sich jede (tebärde in bleibender Bedeutung, während Blicke, Faltcnzug und Beleuchtung sie zur Lebendigkeit einer spontanen Aeufscrung steigern. Solch ein Bild vermochte doch nur die Malerei mit dem vollem Umfang ihrer Mittel za «reichen. Vom einheitlichen Tageslicht übergössen, wie es jeden Gegenstand an dieser Stelle je nach dem Platze den er einnimmt treffen mag, in eigner Farbe» aber vom Widerscfam der Nachbarn wie von Ihrem Schatten mit verändert, erscheinen alle Bestandteile ftlr das Auge des Beschauers so eng verbunden und verwebt, und der Reiz des farbigen Helldunkels verwandelt die stumme Pantomime in klangvolle Harmonie. Erst diese Einstralung aus der I^Iöhe läutert die Anbetung, die dem Apostel gezollt wird, zur Andacht in Gott, der ihn beseelt Es ist eine ideale Zusammen^ fassung im Sinne des ganzen Heiligtums, und so ein Mei^ierstfldc monumentaler Wandmalerei. Noch heute, in dem mannichfach be- schädigten Zustand, ist die Einheit der farbigen Grundlage so stark, dats die Gränze, wo Masaccio aufgehört und Filippino Lippi sdne (restalten herangedrängt hat, sofort empftmdcn wuxl, trotz allem Be- mühen den Gegensatz auszugleichen.

Die Rundung und Auseinandersetzung der Körper im licht- durchströmten Medium der I^uft, die Klarheit der farbigen £r-

*) V|^. irorttufic die AngtbeD im V«sari ed. Mibneii II, p, 396 Aam.

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Masaccio und Filippino

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scheinung im gemeinsamen Raum, die volle Freiheit des Gebarens und schlich tf Ursprünglichkeit des Ausdrucks, (h'e lobendige (Gegen- wart der historisrhen Person unter den lebenden X'erehrern, das Alles erwerkt die h'»rhste Frwartiino'. was ans dem llauptbilde da- nc'hcMi. dem i/ten Stück hatte- werden kt»nnen. wenn Masaccio es vollendet. Aber diese It t/te I\omp( isiti< »n besteht aus Beiträgen zweier Hände, aus Antani^m und (irundiagcn von Masacrjn \uu\ Zutaten \-<>n l-ilippinu, die un^or historisch geschultes Auge doch immer auscinandersieht. Und fragen wir genau, was Masaccio j^c- malt und gewollt hat. so stolsen w ir gerade hier zuerst auf ein neues Element, das sein glückliclisles Gelingen wieder gclahrdet: eine Masse von Bildnishguren ist eingeführt, die Zahl der /us( haut r so bedenklich vermehrt, dafs wir zweifeln, ob niclit duiiurch die Vor- züge der lluldigungsfcene wieder enlriickt wurden. l'ntrr der Hand Filippinos, der die Macht des ilclldunkels und die einfache Entschiedenheit raumschaffender Mittel nicht besafs, ist dieser Chorus jedeniäUs erstarrt.

Schälen wir die Zutat Filipijinos in der Mitte der Figurenreihe einmal heraus, dh. verfolgnen wir vom letzten KarmeliterkopfMasaccios, dessen Gesicht so energisch hinter den beiden Ordensbrüdern her- vorsieht, die Laienporträts Filippinos, die mit scharfer Rückenlinie der vordersten Profilgestalt ansetzen, so kommen wir mit dem achten Kopf, der den Vordermännern nur über die Schultern blickt, wieder an die Arbeit Masaccios und erkennen seine Freskotechnik unzweifelhaft in dem vollbärtigen Mann, der in schwarzer Kapuze und grünem Talar grade auf den nackten Knaben herabschaut; diesen letztem hat, wie auch Vasari erzählt, Filippino gemalt nebst dem grünen Gewände des stehenden Zuschauers, der Kleidung des knieenden Petrus und der Hand des Petrus.*)

In der ganzen Ecke die daran stOfst bewährt Masaccio, bis auf einen von Filippino erneuten Kopf mit stumpfer grauer Gesichts- &rbe, in seiner eigenhändigen Leistung die überlegene Freiheit eines Malers, der vor den kühnsten Problemen der Formenverkürzung und Auseinanderhaltung im Räume nicht mehr zurückschreckt, sondern vielleicht grade durch die Schwierigkeiten zu Wagnissen verlockt ward, die, zu auffallend im Einzelnen, die harmonische Gesamt-

') Die Gt&nrc läuft von unten am Mantel des Pctnis empor, schneidet s<>in#»n Arm (dessen unterer Teil nebst Hand vnn Fitip|>iuo hl)^ unter dem JÜart des t'aulus bin, an dem grQoen Gewand des Mannes niit schwarzem Vollbart in die Höhe, unter diesem But weiter und geht zwischen diesem Kopf und dem nScbsten aufwlrta. Links vom Trlbonal Ist ticbcr noch der xweite Kopf mit weifsem Kragen von Masaccio (der vierte Too Inda fmdinet).

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Schauplatz und Figuren

Wirkung vorerst erschweren. Als Stückwerk eines unvollendeten Ganzen fordern sie stets den Hinweis auf das Fehlende. Versuchen wir es wenigstens, sie zunächst als Bestandteile der grossen Kom- position, im eigenen Umkreis ihres malerischen Zusammenhangs zu «Qrdigen.

Die Erweckung des Knaben

In der richtigen Erkenntnis, dafs in dem unteren, dem Besucher der Kapelle so nahen Streifen der Längswand, eine grössere Entfidtung der Raumtiefe nur die Gröfse der Figuren und ihre selbstftndige Wirkung beeinträchtigen würde, hat Masaccio den Schauplatz der Handlung durch eine quergezogene Gartenmauernach hinten zube- sduränkt Damit nähern sich die Bedingungen der Kompoaitioa b^ trächtlich denen eines Reliefe. Vor allen Dingen ist die pera|id[- tivische Entwicklung in centraler Konstruktion für die ganze Wand- breite ausgeschlossen, die i)lr den Standpunkt in der Kapelle eio gewaltsamer Zwang, für den Standpunkt an der Schwelle des Heiligftums vollauf ungünstigf gewesen wäre. Nun rücken die beiden Scenen an die Enden des Wandstreifens auseinander, und die Mitte wird neutral, sodafs die Trennung der beiden Momente durch einen gemalten Pfeiler möglich erscheint, wenn er wie drüben und ober- halb auch tatsächlich weggeblieben ist, und nun die ganze Länge der antiken Bühne sich einheitlich vom Eintritt in die Kapelle bis an den Altar hin entrollt. Links und rechts treten Gebäude als Ab- schlufs hervor, dort eine Kathedrale mit dem erhöhten Stul Petri, hier ein Palast mit dem erhöhten Tribunal. Die Gartenmauer mit prachtvoller Marmortäfolung und irdenen Blumentöpfen darauf zieht sich verbindend zwischen beiden Höhepunkten hin, und läfst zugleich über vorderen Palasthof den Blick frei, auf die Bäume des jenseits anstnlsenden dartens, auf den blauen Himmel, genug in die AVt-itr drausscn. I'nd dit^se Illusion wird sogar noch angebahnt durch die Garteiifassade des zugehörigen Palastes links, die in drei Stockwerken herüherragt und auf der schrägen Fläche noch einmai das Sonnen- licht auffängt, das V(jn rechts hereinfällt.

Das Fürstenhaus ist an der X'orderwand durch kannelierte korinthische Pilaster gegliedert, an der Schmal wand rechts mit einer Nische für den Richiersiul und P. ik ti für die Beisitzer versehen. Ueber dem Architrav, den die Pil.isier uulnehmen, ragen aus der

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Handlung und Ausdruck

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Mauer braune Holzbalken hfT'^ or. die ein ziegelj^edecktcs Schutzdach tragen. Ucber diesem roiein i^ultrand, der das Licht abfäng-t, wird ein Obergeschoß» mit Parai)et und Fensterreihe sichtbar. Jenseits der (TartenTDaiKT zeigt sich in gleicher Höhe ein Doppelgeschofs, mit kleinen rechteckigen Fenstern im untern und druppen von je zweien neben einem grftfseren Giebelfenster im oljern Stockwerk, über dem dann noch ein Mezzanin oder eine Dachkamnierreihe sichtbar wird. Aus den Fluchtlinien dieser Profunbautcn wie der Kirche drüben ergiebt sich, dafs beide aus einem gemeinsamen Centrum perspek- tivisch konstruiert sind, also die Einheit des Scliauplatzes, dessen Augenpunkt in die Kopfrcihe der stehenden Figfuren fallt.

So ents:« hl t i r den Auftritt selbst eine Bühne von mäfsiger Tiefe, uihI Alles drangt darauf hin, die körperhafte Erscheinung der Dinge in möglichster Schärfe zu entwickeln. Auch dazu dient die rück- stralende Fläche der mannorgetäfelten Mauer hinter den Figuren; denn im sonnenheOen Tageslchein wird es möglich auch den letzten Streifen des Raumes formend zu durchdringen. Nur links vor dem Tribunal des Fürsten OffiDet sich die Tiefe geräumiger für die Haupt- personen und ihre nächste Corona.

Auf dem Hochsitz in der Nische tront Theophtlus, in hellrotem Rock und dunkelm Pelzbarett, mit Reichsapfel und Scepter in den Händen, ein noch junger Mann mit rundem Kopf und spitzem Kinn- bart. Formgebung und Faltenzug erinnern ausserordentlich an den Stil des Luca della Robbia, dessen Klarheit und Harmonie hier auch sonst in mandier Erscheinung vorhieltet wird. Der Herrscher schaut mit grossen runden Augen ruhig drein, fast ohne eine Miene zu ver- ziehen. Erwartet er so wenig das Gelingen des Wunders, dafs er gamicht darauf aditet, wie weit es schon gedi^en ? Der eine seiner schwarzgeideideten Räte blickt in höchstem Erstaunen zu ihm auf und weist mit den Händen auf den Vorgang unter seinen Augen hin, damit der Vater nur gewahre, dafs sein Sohn schon wieder im Leben ist. Gerade dadurch kommt ein Bild beredtesten Ausdrucks, ein- dring^lichsten Mienenspiels zu Stande. Und neben diesen gespannten Zogen wirkt auf der andern Seite des Fürsten das leise Schmunzeln des alten Rechtsgelehrten vorn, de r in kritische Erwägung verloren zcheint: er hat die Hände in den Schofs gelegt und trifft mit seiner Skepsis wol den betenden Paulus, der das Antlitz zur Höhe richtend am Boden kniet. Zwischen ihnen tteiden steht Petrus in gelbem Mantel über graugrüner Tunica, mit seinem Rücken nach der Palast- eckc, mit der vorgestreckten Rechten und niederschauendem Blick dem Innern Kreise zugekehrt, wo die Gebeine des Knaben auf einem Linnentuch liegen, das aus dem Grabe herausgehoben, hier

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Masaccio und Filippino

aus^^ohreitt i w ird. Wir Masaccio die Schwierigkeit des Wunders zu überwinden d.u Iii. , in wie weit auch bei ihm das NebcMieinandcr der Knochen und des lebenden Körpers die I.ebendigmachunif eines vor langen J4ihien verstorbenen Knal)en vcranschaulicliLn sollte, wissen wir nicht; dafs er glücklicher darin gewesen wäre lU l'ilippino hier, oder l.orenzo Ghiberii an der Area di S. Zanobi, ist schwer zu denken. Aber sein Apostel wenigstens zeugt in jedem Zoll von der Zuversicht des Gottesmannes, dafs auch diesmal die Hülfe des Himmels und die Wunderkraft seines Glaubens nicht ver- sage. Er allein ist hier der Gewaltige, der über Tod und Leben gebietet, selbst an zerfallenem Gebein die Wiederbringung des Fleisches vollzieht Jemehr sich in Paulus die Inbrunst des Gebetes von dem Gegenstande w eg zum Himmel wendet« desto eifriger sind die andern Zeugen erpicht zu sehen, mit zweifelnden, verwunderten Augen zu folgen, womöglich zu erspähen, wie die Erfüllung des Gebetes, der Vollzug des Machtgebotes vor ihnen geschieht Soder dunkle vollbärtige Mann in grünem Talar, mit goldner Kette und schwarzer Kapuze, der die Mittelaxe der Komposition Masaccios innehält, er beobachtet, wie der Arzt die Atemzüge eines schwer Erkrankten. Und zwischen ihm und Petrus drängt sich über dem Haupt des Paulus eine Schaar erstaunter Zuschauer Kopf an Kopf heran. Nur der Vorderste hinter dem knieenden Apostel hat Platz, mit beiden Händen den überraschenden Verlauf zu begleiten« während die Uebrigen hinter ihm und seinem jugendlichen Neben- mann, begierig nur einen Blick zu erhaschen, hindurch lugen so gut es gehen will. Ueberzeugend ist dieser Einblick zwischen die Kc)pfe der hinteren Reihen hier wie zwischen Petrus und dem Rieht ersitz;—* überreich in mannichfaliiger 1 faltun^ und charakteristischer Bewesriin^, fast zu bestimmt in die verschiedensten Kinzelheiten verfolgt, die WirkunsT des Fr< ii^nisses in der Mitte. Die Schärfe der plastischeD Durchbildung, die Al)w echslimg verkürzter Ansit^hten. <lie unerbittliche Besonderheit der Individuen, sie muten tlem Auge des Beschauers eine Arbeit zu, die vom Hintergrunde doch wieder zurückge- stofsen wird.

Hinter dem auHilickenden Kopf des Beisitzers ist leider eine Veränderung vnrg-efallen, die sich doppelt fühlbar macht, je lebendiger der letzte Kahlkopf, iiiil ausgearbeiteten Zügen wie DonateH<>s Niccolo da TTzzano, hervortritt. Sein Nachbar, zur Linken des P ürsten, erscheint wie nh] fremdartiger Zusatz, und zw;ir durch seine ge- senkten Augcidider wie durch seitie aschgraue Karnation. Wir würden glauben, dass Filippino l.ippi dies 1*. »rirat eingeflickt habe; Cavalcaselle versichert, es sei nur durchhrnisst als man eine Durch-

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Die Erweckung des Kn^vben

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/c!( linung davon nehmen wollte. ') Auf der andern Seite des I ribunals, au der Langseite des Palastes, stehen dagegen fünf Zu- schauer, deren Mehrzahl die Malweise Filippinos aufs Deutlichste erkennen läfst Kur der Erste an der Eckß der Steinbank könnte Zweifel erregen, während der Zweite, ein Karmeliter scheint es, sicher als ein Ueberrest von Masaccios Hand selber begrflfät werden darf. Filippino malt mit starkem Reflexlicht, geringerm Gegensatz von IJdit und Schatten, wie bei gedeckter Beleuchtung, Er ist vor- gieschritten im Einzelnen, aber auf Kosten der Hauptwirkung, die bd Masaccio auch in weiterem Abstand noch ihre volle Kraft bewahrt

Schon hier also verrät sich Filippinos Mangel an Raumgefühl Cr verfällt, gewifs den Wünschen andringender Gönner entsprechend, in Ueberladung mit Bildnisfiguren, und hat in der Mitte der Wand grcrade damit ohne Zweifel der Komposition Masaccios empfindlich gfeschadet Flach und körperlos stehen diese Statisten aneinander g'epfercht, wie ein photographisches Massenbild von heute mit auf- geklebten Einzeiköpfen, ohne Luft und Licht um sich herum. Selbst der Knabe hinter dem auferweckten Fflrstensohn hebt sich nicht ge- nügend von der Gestalt des Vaters ab, der ihm seine Hand auf die Schulter legt, gewifs in rührender Teilname bei dem ähnlichen Schicksal. Die Malerei Filippinos hat mehr Farbenkörpor, ist aber auch weniger durchsichtig als die Masaccios und befolgt nicht seine wirksame Oekonomie, den hellen Untergrund zur Ausfparung der Lichter zu verwerten. Seine Kamation ist deshalb lange nicht so selbstU'Uchtend und warm wie die Masaccios, sondern stumpfer, schmutziger, bald zu bräunlich, wie gekocht, bald durch einvn Stich ins Olivenfarbige getrübt, und die Vorzüge seiner feineren Model- lierung mit weicheren Uebergängen und reiferer Ausgleichung er- scheinen in dieser Nachbarschaft wie ebenso viel Abweichungen von der grofsartig monumentalen lYeskokunst des Vorgängers.

Wenn riber Filippino aus Gefälligkeit cfei^'*on seine Mitbürger die künstlerische Pflicht vorsäumte, die Reihen sd aufzulockern wie (Irr {»lastische Sinn Masaccios dr\neben es vernvx lu, so darf ni( ht verschwiegen bleilien, dafs dii-M* Neigung. Bildnisse ,mt"/uneliinen, schon bei Masaccio \ ()rl)i'rrii ri war. Srlmn er ,, führt das damahL;«' Klorenz als mithandelnd oder zusciiauend nntleii in den Iii r^anL»^ ein;' und eben darin liecft ein wesentlicher Unterschied dieses letzten, unvollendet hinterlas^« n< n. Wandgemäldes von den übrit''<^n, besonders von dem gleichgrolscn Breitbilde darüber. Dies leiden-

•) Storia della Pittura in Italia II, 309. Wer aber balle dann den Jesuitenhut des B45isiCseci mdialdet?

Scliin«rso«, M«wocio*Stodien II. 4

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Bildnisse der Zeitgenossen

schaftliche Verlangen nach Individuellem, nach der strotzenden Fülle persönlichster Wirklichkeit, das ist ein neues Moment im Entwick- lungsgangr des Meisters, im Jalirc 1427, und daraus erklärt sich manche andre Eigentümlichkeit dieser letzten Leistung wie von selbst Der Andrang der BUdnistreue ist auch hier von Masaccio, dem hoch- begabten > Maler, noch nicht völlig bewältigt, noch nicht rdn ins malerische Ganze wieder aufgegangen, und diese letzten Bruchstücke seines Schaffens bezcichticti deshalb melur den Beginn eines aber« maligen Kroberungszuges in (Hn umgebende Welt hinaus als den Alischlufs des ausgereiften Meisters, der zur letzten Klarheit schon hindurchgedrungen wäre.

Je spärlicher die Bildnisse von Zeitgenossen sonst in der Reihe dieser Wandgemälde hervortreten, bei der Taufe nur tragen die beiden Zeugen hinter Petrus ungescheut ihr modisches Kostüm desto stärker erhebt sich für uns die Frage nach dem Ursprung dieses Wandels. Bezeugen die frühern Darstellungen Masaccios, die wir soeben betrachtet, bis auf eine Ausnahme das Reinhalten der heiligen Geschichte von solcher Zutat, der einheitlichen Erscheinung zu Liebe, oder haben wir nur die natürliche, allmählich fortschreitende Erweiterung der Herrschaft des Malers über alles Lebendige, den notwendigen Vollzug realistischen Strebens zu erkennen?

Von künstlerisch freier Verwertung bestimmter Individuen tür Charakterköpfe der Apostelschaar, wie die Geschichte vom Zoll> grroscfaen sie darbietet, ist es doch ein entschlossener Schritt zur Aufnahme des Zeitkostüms und setner Träger zugleich, dh. zur voll- ständigen Abbildung der lebenden Person.

Im Gegonsat/. /.u suicht-n 1 loiligenlegrnden oder biblischen ür- /uliluni^cii, die (\cn idealen ScIuvuiil; des ( i( isics, die ] loh^it der Ge- sinnung und die Reinheit des (ieluhls nu'lir in Aiisjtriieh nahmen als die täuschende Wiedergabe der Welt, hat Masacciu hi- r i:n Carmine zu Florenz, aber ausserhalb der Brancaccikci])eih% ein andriS Meisterstück geschliffen, das eben durch seine volle Porträtwahrheit das Staunen der Zeiigcnossen erregte, und das Konterfei eines be- stimmten Strafsenprospektes mit den Bitdntsßguren zahlreicher Mit* lebenden verband. Hier lag aber die Aufforderung zu solchem Nachahmungswunder im Gegenstande selbst, den Ort und Gelegen- heit zunächst an die Hand gegeben. Wir mefnen die sogenannte Sagra del Carmine.

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Das Wandgemälde im Klosterhof

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La Sagra del Carmine

Am 19 April 1422 war die Kirche vom Erzbischof Amcrigo Corsini gewdht worden. ..Tu Erinnerung daran" oder „zum Andenken daran** so erzählt Viisari „malte Masaccio in Chiaroscuro mit Iprfiner Erde, und zwar oberhalb der Tür, die zum Konvente führt, drinnen im Klosterhof, die ganze Feierliclikeit wie sie geschehen ; er bildete darin eine zahlreiche M(Mige von Bürgern in Mantel und KLapUZe ab, wie sie hinter der Procession hergehen: unter ihnen Filippo di S«^r Bruncllesco auf Holzpantoffeln, Donatello. Masolino da Panicale, der sein Meister gewesen war, Antonio Brancacci, drr ihm die Kapelle aufgetragen hatto, Niccolo da Uzzano, (iiovanni di liicci de'Mcdici, Bartolommeo Valori, die beide von seiner Hand P'^rträtir-rt auch im Hause des SimnTU' Cor?^i, eines tlorentinischen Imannes zu sehen sind. !)• >-ltM( lit ii l»iM( te er darin ab den Loreii/o Kidolfi. der in jenon Ta^m ( n saiuiler dt-r J\t publik Florenz in Venedig gi;wes<'n, und koiitorli ile nicht allein die genannten vor- II« Imien Herrn nach der Natur, sondern auch die 1 ür des Kon\ t lUt s iiiid den Pförtner mit drn Schlul-^chi in der Hand. Dies Werk weist in der Tat grosse Vollkoniin( iih' it auf, da Ma.saccio es so trefflich verstanden ii.ii, auf die M arlio dieses JMatzes, zu fünf und sechs gereiht, den ganzen Zug dieser i.eute hinzustellen, die sich in wolberechneter Ab.siulung verjüngen, wie sie für die Ansicht unsres Auges erscheinen, dafs es wirklich ein Wunder ist,') und unisomclir als man darin, grade als ob sie lebten, seine Rücksichtnahme erkennt, indem er diese Männer nicht alle nach einem Mafsftab entwarf, sondern mit richtiger Beobachtung die Unterschiede zwischen Kleinen und Bicken, Grofsen und Schlanken wicdt^gab. Und alle setzen ihre Füfse auf die selbe Ebene, in ihrer Reihe sich so gut ver- kürzend, dafs es in Wirklichkeit sich nicht anders ausnimmt"

leider ist dies Wandgemälde Masaccios im Klosterhof des Carmine nicht mehr vorhanden oder doch cndgiltig wol dem Blick entzogen. Giovanni Cinelli erzählt in seinen Anmerkungen zu I^occhi's Bellezze di Firenze^ gelegentlich eines Dantobildnisses, das Cxlotto in Santa Croce gemalt haben soll, „che poi e stato scorte^ seroente imbiancato, come fu fatto ncl Carmine a' ritratti del Brunei' lesco, di Donatello, e d'altri uomini insigni di que* tempi, a' quali pero

*) Antonio M«n«tti : „wm tAoria manvigtiosa d'artificio a ogni intendente, dove si rapresenta la piaza del Cannino con molte ßghure."

Le Bellezze dtü.i ' itli di Fircnze, sciitte giä da M. Fraiiifsrn I^orchi Kd OTa d* M, Giovanni Cineiii Ampliate, cd accresctule. In Firenze 1677. p, 336.

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Die KlRCHWEIHPROCESSION

e statu tatta miiu r srnrtosia. poiche por riquadrare il primo Chiostro gli c stata alzala tlavanti una parotc senza guastarli," dh. es sei ihnen vor der Nase nur eine Wand entlanggezogcn, ohne sie zu verderben Aber die Nachforscliungen von Seymour Kirkup und Padre Sand Mattei im Jahre 1^59 haben wol zur Aufdeckung andrer Ueberreste von farbigen Wandmalereien geführt, nidit aber 2ur Freilegung jenes „Chiaroscuro di verde terra** von dem Vasari so ausföhrlich erzählt und schon Antonio Manetti ausdrOcklich ebenso hervorhebt, es sei „di verde terra" gematt. Richa freilich hatte schon 1762 in seinen Notizie istoriche dclle Chiese Fiorentinc (Tomo Dectmo, IV) versichert, dafs dies Fresco bei der Herstellung der Klosterhöfe um 1612 heruntergeschlagen sei. Und eine 2^tchnung von drei Personen, die sowol Cavalcaselle wie Santi Mattei gesehen haben, enthält von einer Hand des 17. Jahrhunderts die Bemerkung „6i mano d'Anni' bale Mancini da Masaccio nel chiostro del Carmine, hoggi mandato a terra o coperto dairintonaco."

Wenn dieses Blatt von der Hand des Annibale Mancini schcm einer späteren Zeit angehört, so haben wir eine, wie es sdieint, wertvollere Skizze aus dem 15. Jahrhundert selbst noch unter den Zeichnungen des Domenico Ghirlandajo in den Uffizien zu Florenz. In der Führung der Feder durchaus mit den ersten Entwfirien dieses Meisters für seine Fresken in S. M. Novella tibereinstimmend, doch mit dem fühlbaren Charakter einer Abzeichnung nach fertigem Vorbild und ebendeshalb mit Hülfe leichter hellbrauner Bisterfari)e durchschattiert, wenn auch ebenso flüchtig, stellt dieses kl^ne Blatt unzweifelhaft einen 1 eil aus solchem Festzuge dar, „processionel^ sagen die handschriftlichen Quellen der selben Zeit geradezu v<» diesem Wandgemälde „im Klosterhof des Carmine, bei der Tür die zur Kirche filhrt". Dieser Zug bewegt sich nach rechts, wie wir an der Stolle erwarten müssen, die Richa noch verständlidier als Manctti und Vasari mit ihrem „sopra", angiebt: »nella facciata del

1) RAgioiimineQÜ intorso all'aottca chien del Caraiine di Firenie p«r il p. Suti MaUei Ciirmetitano. Firenze 1869. S. 5. Cavalcaselle, Storia della PiUura in Ilalik H, 315 Anni. „In qucMo <liscj;nn, la lijjura di profilo sulla sinistra di chi guarda, porta fli znccoli. K conie il Vasari ci (licc che la (i^tira dcl Brunclicscbi avcva similc caUalufa, cosi jMjtrcbbe csscrc qucsla fiyura il suo rilrallo," . . Weiter mijcbten wir jedenfalls nkkt geben, wena Crowe u Cavalcaselle noch aadie Sdiltt6e »m Vasads Auffiblmig Mgfn. Leider (;iebt keiner dieser GewSbrBfnAaaer an, wo er die Zodmiig gtadien oder wo sich jct/t befinde. Vgl. auch Land, Storia pittorica della Italia. Pisa 1815. I. p. 59. „la Sucm r1e1!.t rbir <in iM CamiiDe, di cai vidi un Disegno ia Pavia presto U dotto F. Lcttor l'otit.iii.i I'.ui 11 ihit.i."

•) Vgl. Anhang zu diesem Kapitel. S. 60.

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Skizze von Ghirlandajo

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Chicfötro, cho k lunj^o Ui Chicsa". Domenico Ghirlandajo giebt auf seiner Federskizze drei Reihen der Kirchweihprocession hinter- einander. Von der vordersten sind noch dr('i Männer sichtbar, von der zweiten vier, von der dritten fünf. ITnd hier ist durch die Kebeneinandcrstollung eines Grossen, der die andern überragt, und eines Kleinen, der ihm nur an die Schultt^n reiclit, jene Auflockerung bewerksteUigt, die Vasari besonders hervorhebt, und auch uns sofort die iUuilichen Mafsnalimen in Massaccios Fresken der lirancacci- kapello vor die Erinnerung ruft, l'eberhaupt passt die Besciireibung' Vasaris von der Sagra del Carniine ganz genau für dies^e Abzeich- nung" eines Ausschnittes von (tliirlandajo. Alle IN rs-mcn sind in Mantel und Cay>ucf i<) und dif^ tti.'.Ii risch breite, dot li uivj'nsiirht ein- fache Behantllung sUmnit so sehr mit Masaccir-s l'j\;( iiart überein, dass wir uns anheischig machen, nach dieser IVoln*, (He Ghirlandajos Hand bewahrt hat. die /eil r iüusUhung des Originals selbst im Leben Masaccios zu bestinunen'). obwol es dem N u 1ir( rlo* r doch nur darauf ankam, einige llauptbaclien, die ihm wichtig waren, für sich festzuhalten.

Die Skizze eines Ausschnitts aus dem (ianzen, die wir Domenico Ghirlandajo verdanken, reicht trcilich nicht aus, den Wert dieses Ganzen zu ermess« ii und den Kindruck nachzuschaffen , den es auf die Zeitgenossen uiul die Nachwelt ausgeübt hat. Mh^ künstlerische T.rislung als sr»lrhe war ein ( legenstand der 1 ■Bewunderung für alle Saciivcrstandigen, von Anl< »nit » Manetti bis ( iinr;^io Vnsari, die darin die erste siegreiche Lösung eiin s S' »leben perspektivischen Pruhh mszu würdii^^en wufsten. „Maravigli' )sa d'artificio" sagt der Mathematiker, und sel/t hinzu ..a ogni intendente;" die H< grundung liegt in seiner Beschreibung selbst: „dove si rapresenta la piaza del Carmino c^n molte figure'', das heifst in d< r RaunularsLcllung auf der Fläche und in der richtig"en, glüeklich gelungenen Hineinstellung der zahlreichen Figuren. Das fuhrt X asari nur aus nach beiden Seiten, indem er schon mit den Ausdrücken ,.(jU(\st' opera veramenlo ha in se luoka pcrfezione" und „e proprio una inaraN igliu" das überliefcrie Lob des Quattrocento auch für seine Norgerückte Zeit noch bestätigt. Die Voraussetzung des Gelingens war erstaunliche Herrschaft über die Gesetze der Linear- und Luftpcrspektivo, und die Wahl mono-

') In Fcrri's Katalog von 1881 unter Cornicc 19 Nr. "6, richtig als Ghirlaiidajo. Früher in Fhiipols Photograpbicen Nr. 550 ücbon als Ma&acdo, und ebcofallik bei Bro|;i Kr. 16S1 in Llditdnidc. Oben links ist eine Balustrade sichtbar, wol an der Edie eines Hanse» der Piazia del Carmine gedacht, aber nicht weitet aosg^HIhrt als zur Sdifttsung de« MalBStabes flir die Pignien erforderlidi sdiien.

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Bedeutung des Chiaroscuro

chronxT Malerei, eines grün 'in trrün ^rarht itcl< n riTiar<»sriiro, wio wir es im Chinstro verde von S. M. Novolla iMrli lieut* an Werken seines /eU-en ssen I^aolo Uccello und nianc!i<n anderen l'ebcr- resten sehf u >nnen , bedeutet bei dies in Meisu r der naturwahron Färbt \\ <<] nichts Anderes als eine Reduktion der Sehwierigkciten auf die [ I.uiptsachen , auf die es ibni ankam. Der überraschende ArehiLekuirpru.sjjt kt, die Ansieht des Platzes vor dem Carminc draussen noch (Mumal an der Wand drinnen für die Insassen der Klausur und ihre Besucher abgebildet, wurde nur frappanter durch den Ktjnlrast der vielfarbigen Wirklichkeit und des einfarbigen Ab- bilds, der sich dem Auge aufdrängte, als auch durch die Ableiuiung eines allzu gcMlankenlosen Vergleiches zwischen dem wechselnden Farbencindruck draussen und dem gleichmässig beharrenden, so zu sagen abstrakten Bildcindruck drinnen. Die Abstreifung der Lebensfarbe bestimmte jedoch nicht allein die Leistung der Raum- malerci» sondern auch die Wirkung der Gestalten. Sie betonte auch hier gleichsam das Wesentlichste an ihnen, hob die Kdrpcr- crscheinungcn als Ganzes und damit den Charakter der Haltung und Bewegung, die Gesamtph\siognomic der Individuen hervor, das heilst das mimische Element, die Funktion des Einzelnen Im Rh3rthmus des feierlichen Zuges Das geht aus Vasaris Bemerkungen die bei wulstigem Satzbau duch wertvolle Beobachtung beibringen, noch deutlich hervor^ während die Skizze Ghirlandajos gerade hier Mandies verschleift, weil er die Reihen als gegliederte Masse studiert und eben die Reihe nicht die Einzelnen Mann für Mann als Körper auffafst, den er materisch bewältigt.

Aber auch in diesem flüchtigen Abbild eines Ausschnittes er- kennen wir die FOllc mannichfaltigon Lebens, im Gebaren der Einzelnen die einen Gegenstand in der Hand tragen, wie im Ge- spräch der Nachbarn , die in drr plötzlichen Wendung des Kopfes, dem scharfen Seitenblick, ja der lächelnden oder bedenklichen Miene nach, das Einschlagen eines Witzworh s bezeugen, das der Dritte vorgebracht ohne eine Miene zu \erziclicn.

Das sind genau die selben Kigenschaften, die wir in der unteren Reihe der Wandgemälde drinnen in Cappella Brancacci beobachtet

haben, wahrend droben in der Apostelschaar um Christus wol schon die sichere Stellung auf dem IJoden, die klare Einordnung der Körper in den Raum vorhanden ist, abt^r noch nicht die ganz personliche Charakteristik dos lienehmens, das übermütig zuckende Spiel florentinisclien Geistes in solcher Gesellschaft, vhvn keine Bildnisreih(/n im Sinn«^ der lebcmdigcn (iegenwart, des Tages- ioteresses selber. Das bedeutet dies Chiaroscuro an der Wand des

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La Sacra del Caraiine

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Klosterhofes für Masaccio. Ist es doch sicher eine freie selbstgc- wählte Aufgabe, die zur Erfrischung zwischen emster Arbeit unter- nommen ward, auch die Lösung eines Problems, auch eine künstlerische Tat, aber nicht för .die Kirche und den religiösen Menschen, sondern für den Menschen im Religiösen d. h. selbst im Mönche, im Kloster und auf der Strasse, ein SensationsstQck des Realismus, das die Uebung anderer Kräfte gestattet als der Maler gewöhnlich anspannt, also ein Spiel trotz dem wunderbaren Ergebnis, eine Art Benefiz- Vorstellung für den Künstler, „Vart pour Tart^ in erster Linie.

Solche spoiitiUic Aeufsciun^cn üb rscluifsij^or Kraft, wie die Philister >aj»en .Mlotria. haben für den künstlerischen GriiiL: auch ihre ni rkbarc Bedeutunjj;^. ma^ der Giniiu.s sie .sclb>t bowulsL oder unbi u ufst v<illzichcn. Ein«* Kraft|)robe i^^ewahrleistet eben den (ie- brauch vielleicht uii^eahnler Fäliii^ki it* ii, und diese melden sieh wieder zu ihrer Stunde. Solche Symptome dart" der Prophet ex eveutu, der sich Historiker nennt, nicht entgehoa l.ib.scu, also lejrt er den I'injjfcr dirtut. wo «-r si(^ findet. Dies Neben werk, die Sag^ra (Icl Carniine, cnthiLk eine hülle von Bildnissen von solcher Schärfe der Bezeichnung, dass Vasari noch im Stande war, eine ganze Reihe von Namen zu überliefern, die sich fest von Generation zu Geheration mit diesen Figuren verbunden, diese trugen also jedenfalls mtbr Existenzberechtigung in sich als KostOmiigurcn» auch des Quattro- cento sonst, wo der Kleldcrschnitt die Hauptsache för die Nachwelt wird statt der Person, die darin steckt. Deshalb bietet sich hier eine Möglichkeit dar, die Vorliebe für Bildnisreihen und die Uebung im Hinstellen so ganz individueller Geschöpfe, die auf einmal auch in die Petruslegende eindringen, aus einer äusseren Veranlassung zu er* klären. Wie wäre es, wenn Masaccio bei jenen vornehmen Zeugen des Petrus in der Taufe droben zuerst in vollem Mafs die Woltat empfunden, einmal nicht zu dichten, sondern zu leben, wirkliche Personen aus der eignen Umgebung hinzustellen? ' Dann die Sagra im Klosterhof, die lediglich diesen Drang nach Lebenswahrheit be- fHedigt, ein Schwelgen im Porträt zu suchen scheint, nun freilich mit dem Einstellen wirklicher Personen auch die Unterlage fordert, den wirklichen Schauplatz, und aus Beidem den historischen Vor- Igang wieder gebiert: In memoria di ci6 . . . Dann enthielten für uns auch Vasaris Worte „d opo questo, ritorn a t o al lavoro della cappella de* Brancacci" einen Kern von guter IVberlieferung, ,,seguitando le storie di San Piero . . . ne fini una parte, cioe Wstoria della cattedra, il liberare gFinfermi, suscitare i mord, ed il sanare gli attratti con l'ombra etc.**

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Entstehungszeit

Mehr Gewidit freilich als auf diese Ucberciinstimmung mit dem routinierten Erfinder von zeitlichen, örtlichen und ursächlichen Ver» bindungcn zwischen seinen znsammengestoppelten Notizen, und zwar

entsc lieidendcn Wert legen wir auf die stilistische Uebereinstimroung der Skizze (jhirlandajos mit der unteren Freskenreihe der Ciipi'< IIa Brancacci. Gbirlandajo ist ein objektiver Interpret, er ist geübt in exakter hingebender Beobachtung und wird durch übersprudelnde (ienialität, durch erregliches 'l'eniporament oder angelernt«- Planier nicht gestört. Er hat sich mit viel melir Erfolg in Masacrio einj^e- W(»hnt als Filippino Lippi selbst, der anerkennenswerte Vollender der Kapelle, je vermochte. Deshalb ist sein Blatt zuverlässig, zum Vor- gleich mit Originalen des nämlichen ^fcisters in allen Haupts,-iclicn. die er wieder gicbt, vvol geeignet. Und dieser Vergleich beweist den engsten Zusammenhanir der Sagra mit den beiden untern Bildern der .Altarwand, der Alniosenspendc und d'*r Sfhattenhoihing, sowol im Mafsftab uin_l /usrlmitt der l'igurcn im Verlialtnis zum Raum, wie in dt-r ( ir\vaii<lbchandhii!v4 iiiid deren Faltenzug. Da diosr-r letzte ( lesirhl.s] luiiki bei der Ski/zc tihir!aiu1ai<xs vorw;dton iiiuls. j i fast allein zur deltung kommen kann, so si-j nur darauf hiiiL;r\\ ies- n. dals die Geschichte mit dem Zolign»schen i^eradi' darin ni"uiini<'nialere lireite entfaltet, weil sie mit den Gestalten in freiem Kriuin fast allein wirtschaften mufs, wahrend auf der andern Seite die l'>höhung des Apuj-lels \a>r der Kirche von Antiochien und (he Lr weckung des Fürst* nsnhiU'S aus der beschraakLeren Oekoiiomie der Altarwand wiediT lierausdrängen ; besonders bei Petrus in Cathedra ^ehen wir die Lje\vaiidlit,^urcn in feierlicher Huldigung auch von seli)st schon malerisch in die Breite gehen, mehr jedenfalls als die zugespitzte .Vktion des Wunders daneben gestattete. Die Raumanschauung und Ciesamtdisi)osition dieses untern WandstreiftMis empfängt alx^r ihre unmittelbare Vorbereitung durch die Siigra, wenn wir die Proccssion vom Eingang des Klosterhofes bis zur Kirchentür mit dem Pförtner am Ende ausgebreitet denken.

Damit wäre allerdings jene andre Auslegung der Worte memoria dl ci6 . . . dipinse tutta la sagra come dla fü." als handle es sich um sofortige Abbildung durch Masaccio als Augcnzeugf-n, aufs Einfachste beseitigt» und Vasaris Vorbereitung in diesem Sinne: .Accadde, mentre che e* lavorava in quest* opera, che e* fii consagrata la detta chiesa del Carmine** bedeutete Nichts als eine von seinen zahlreichen Kombinationen ähnlicher Art. Die Zeichnung Ghirlandajos. schon als Bruchstück, und die Charakteristik der kOnstlerischoo Probleme^ die hier gelöst waren, bei Vasari selbst widerspredien einer so engen Verbindung zwischen dem Datum der Einweihung

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LüBEN.SDATHN DER DARGESTEJ.LTEN 57

am 19 April 1422, und dem Abbild im Klosterhof von Masaccios Hand

Doch lassen wir, da jene KrQbzeit des Meisters noch nicht bc> sprochen worden ist, die Frage nach dem Entstehungsjahr jenes Chiaroscuro vorerst dahin gestellt, und geben hier allein noch historischen Erwägungen das Wort, die sich an dargestellte Personen knüpfen, deren Kamen Vasari überliefert Schon die Kommentatoren machen darauf aufmerksam, dafs die Bezeichnung des Lorcnzo Ridolü als Gesandter der Republik Florenz in Venedig sich nur auf sein Verdienst um die Vaterstadt in schwieriger I^ige beziehen kann, das heifst auf die Tatsache, dafs er am 11 April 1425 in Venedig angekommen, am 4 Decembcr desselben Jahres die berühmte I^ega zu Stande brachte. Die Schlufsfolgerung: „allora la Sagra del Carraine sarebbe stata dipinta qualche anno depo avvenuta tat cerimonia,'' das heifst nach 1425, erscheint freilich noch unsicher, da wir nicht wissen, ob das Bildnis des Lorenzo Ridolü hier durch seine Tracht oder sonst ein Abzeichen als Gesandter kenntlich ge- macht war. Woraber wurde er, nach Florenz zurückgekehrt, für Juli und August 1424 Gonfaloniere der Stadt, und in dieser Würde konnte ihn Masaccio dargestellt haben, da es ihm sicher auf histotischc Treue in Wahl und Stellung der Teilnehmer seiner Saj^ra nicht an- kam. Die politische Tätigkeit des Lorcnzo d'Antonio Ridolii beginnt allerdings früher; er war schon im Oktober 1425 im Rat der Zehn, am 12 Oktober 1424 als Gesandter in Rom u. s. w. ; aber die aus- gezeichnete Stellung, die Popularität seines Namens, die jene Tradition bei Vasari erklärt, verdankt er doch (>rst jenem P>folg in Venedig. Einen letzten Termin, vor dem das Werk Masaccios entstanden sein mufs, crgicbt die Erwähnung des Bartolommeo Valori, dessen Porträt von der Hand Masaccit>s Vasari noch im Hause Simone Corsi's sah; Er ist am 2 September 1427 gestorben.*) Solange Valori im Rat der Zehn sitze, Ix richten die Gesandten im Oktober 1424 aus Rom, wolle Papst Martin V. mit Florenz kein Abk inmen schlielsen ; denn er halte sich von ihm beleidigt. Aber Rinaldo degli Albizi selbst hebt hervor: „Papa cupidus est, et utilitates proprias querit ultra alias omnes" (11, 327) und noch im Juli 1425 safs

') Vgl. Commissioni di Hinaldo dejjli Albizi icd. Guastij Fircn/e 1867 - 73.

') Das Leben Valoris „Vita di Bartolommeo di Niccolö di Taldo di V'alore Rnstidielli, scritU in tiagu« laüna da Luca dl Simone della Robbia e fatta Tolgare da M«ner Piero dell* Stuf« Canoiuco fiorentino'* in Archivio ator. ital. IV. Fliente 1843. entbalt wenig cbronologische Daten. Seine Ricordi in Rer, Ital. Scrr. XVHI. 1152. Sein Grab im DÖidlichen Krtnzarm von Sta. Croce wurde von Ghiberti mit Mannorplattt geschmückt.

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Bildnisse von Zeitgenossen

Bartolommeo Valori im Rate von Florenz. Mit ihm zusammen nennt Vasari den Giovanni di Bicd de* Medici, der mit diesem Papst wie mit seinem Vorgänger Johann XXIII in bestem Einvernehmen gestanden, der Martin nach Rom begleitete, als er am 9 September 1420 Florenz verliefs. Er war 142 1 Gonfalonier, ohne besonders hervor- zutreten; erst unter dem Kriege mit Mailand, der das Ansehn des Albtzi durdi die Niederlage von Zagonara 1424 untergrub, wuchs sein Einflufs als Freund des Volkes. Der erste Kataster von 1427 y.cigt ihn nächst Palla Strozzi als den reichsten Mann, der seinem Gönner .Johannes quondam papa" das königliche Grabmal in S. (iiovanni errichten licfs. Er ist am 20 Februar 1429 gestorben. Diesem Mcdiei steht der mächtige Vertreter der Optimatenpartd zur Seite, Niccolo da V/.zuno (f i J52), dessen Büsto von Donatello die wirksamstf Charakteristik ^iebt. (V\c sich denken lälst, seit 1417 mit Ririiddo degli Albizi an der Spitze des Staates. Warum frhlt dieser letztere, den 14.^4 die Verbanniinj*- und 1440 g-ar die Infamie ereih<\ als die Volkspartei ans Ruder kam. Schweif Vasari aus diesem (i runde von ihm, oder war sein ßildnis wirklich nicht auf der Sagra, das Wandg^emalde Masaccios also wälirend seiner . Abw<^senheit auf irgenrl > iner Gesandtschaftsreise entstanden? War er doch ? ] ?6 gar fern in Ungarn, als Masolino für Filippo Scolari die (irabkapelle in Stulweifsenbiiri^ malte. Das P*iUlnis dieses .,T .ehrers" y<m Masarrins Harrd Ijrdurfte der Krklaruiig der pers<"m- liclu-n ^Vnu t-senheit ni« ht so notwendig \\ \r die K<>plr (i<T vornehni' ii ilrrrn, sonst sprä<hr si iti Ki>iiterfeT im Zuge der Künstler neb«'n i^nincUehCO uiui Donatello tur das Jalir i 5 "'j, in dem er aus Ungarn zurück sein m<H'hte. oder für die Zeit vor 1 fochsonimer 142.5, w<» er Florenz verliels und ulx r ( ist ii^lione d' <"»lona ins Ausland gieng.

Wie mit dem Bilde dieses seines Meisters, das bei mancherlei Gehgiiiheit abi^vnnnimen sein konnte und auch sonst in M.isaccios Fresken vorkommen soll, stand es am ehesten auch mit dem Porträt des Auftraggebers Brancacci. Nur wissen wir nicht, wann Masaccio zuerst zu ihm in persönliche Beziehung gelreien, wissen aber wol von mancherl(M Abw(>senheit di(»ses Mannes von Florenz. Nicht Antonio, wie Vasari angiebt, ist der Name des Brancacci, der auf der Sagra dargestellt war, denn dieser starb bereits 1391, sondein sein Vetter Feiice di Michelc di Piuvichese Brancacci kommt aÖein in Betracht. Dieser Patron der Kapelle im Carmine» um die es sich handelt, war 1418 Gesandter in der Lunigiana beim Marchese Leonardo Malaspina. 1420 Orator der Florentiner in Citti 6S. CastelkK Im Jahre 1422 wurde er beauftragt, im Interesse der florentinisdieii Kaufleute zum Sultan nach Bab} I n zu gehen, und machte deshalb

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ExrrSTEHUNGSZEIT

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am 26 Juni dieses Jahres ein Testament, in dem er für den Fall seines Todes das Patronatsrecht Ober die Kapelle an eine Seitenlinie seines Hauses, Gaspare di Silvestro und die Söhiio sciiu^s vcrstorbciion Bruders Bartolommoo di Silvestro sowit^ an Giuliano di Giuliani di Tommaso Hranoacci vermacht, ofifmbar \v«m1 er selbst keine männlichen Nachkoninic!) b«*sars. Fr kelirle jedoch j^Uicklicli aus dem fornen Orient heim und erscheint (uacli Passcrini Aum. z. Vasari II, 296) schon 1425 als (i(\sandter nach Sicna, in d«^n Commissioni (los Kinaldo degli Albizi 1426 als Kommissar der Florentiner im Lager bei Brescia, wo er bis zimi 6 November verbleibt Am 26. desselben Monats wird er mit Pictro di Leonardo Beccanugi von Florenz nach Si(>na g^eschickt, von wo vt am 10 Deceml)er zurück- kelirt. Später finden wir ihn :ils Kommissar der Republik im Kriege gegen den Herzog von Mailand am 29 December 1430 in Lucca, im December 143 1 in Rom, 1432 im Rat der Z( hn. Im 1 »ecember dieses Jahres wird er zu Fugen I\'. geschickt und wirkt 1433 an der Kurie in Rom, 1434 in Bologna, bis auch ihn das Mistrauen der Medici nach Ca|)o d* Istria in die Verbannung treibt, ja 1458 zum Rebellen erklärt. Aiu h hit^ also wäre die Zeit vom 26 Juni 1422 etwa bis 1425 sicher ausgeschlossen, dann mir die erste Hälfte von 1426 wahrscheinlich, sonst schon 1427 in Frage zu stellen. Doch wie gesagt, die Aiitiialime seines iV>rträts konnte Ma'sarrin, solange der Auttrag tur die Kapidlenmalerei in Kratt war. Iii s< Inver fallen, wenn wir auch gerade die.se persönliche Beziehung zur Z(Mt il' r l-.iin\ l ihiuig d(^s Carniinc, etwa .\pri1 bis Juni 1422 schon an- iielnnen dürfen, und während der Abwesenheit des (iesandten in Babvlon bis zur Kin kkidir 1425 auch nicht /ul.issen können, sondern wi( der auf Masoliuos Weggang von Florenz nach Ungarn im Summer 1425 verwiesen werden.

Das wicliiigste Arguin- tit. nach d<*m die j*.ntsteluiii->-/'Mt jenes grun in grün tfcmalten WiHMlMMes im Kloslerhnf zu be.slimmen ist. hl( ibt iiniiier di<' kdiihllcrisrlic l .eistnng als solche, die biisung d<-s per- >pektivis( ben Problems und die i' ulle von Porträtfiguren in Procession, die Antonio Manetti und Giorgio N'asari als Sachverständige für ein wunderbar( s Meisterstück erklären. In der Cappella Brancacci zeigt erst das letzte durch Masaccios Weggang n.ich Rom und .seinen Tod unterbrochene Stück dies Eindring(^n d< r .^eitg<>nössischen Bildnisse unter den Zuschauern, oder als W rehrer und .Stifter am Stule des Apostelfür.sten. Hier erst am Ende, 1427 auf 1428. droht die leidenschaftliche Freude an realistischer Xac hbildung leibhat ligiT Individuen den eigentlichen Inhalt der Darstellung zu überwuchern. Welch ein innerer Abstand zwischen diesem Chorus florentinischer

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VERMEiNTUCHE ÜBERRESTE

Persönlidikt'iton und der homogen tu (loselbchaft der Apostd droben um ihren Mrisicr, selbst wenn dem Maler das Antlitz seines Vor* bildes und Namcnsliciligen Thomas zum eigenen Selbstbildnis ge- worden war und Kunstgenossen wie Donatello zu Gefährten dieses Apostels berufen schienen. Das ist der nämliche Ueberpang, den wir vom Marcus an Orsanniiclirlc zum Habakuk und Jeremias am Campanile bei Donatello beobachten können, und niemand anders als sein Zuccone ist der entscheidende Repräsentant dieses Wandels.

Ks ^^-ilt im Lebenswt^rk Masaccios den Wendepunkt zwischen jenen beiden lireitbildern der Cappella Brancacci näher zu bestimmen, und dazu bieten zwei Mittel sich an: ein Meisterstück perspektivischer Raumdarstellung in strengster Koncentration, das Frcsco in S. M. Novclla, und ein festes Datum, der Ablieferungstermin des Altar- Werkes in Pisa von 1426.

Die Freskofragmente im Klosterhof des Carmine

Da Antonio <li Tuoio MancUi, (Antonio Billi u. s. w.) sowie Giorgio Vasari in der Angabe des Orics ül)erpin<^tinniif»r! : „ncl chiosUo snpra la j)orta dondc si va in cbiesa, io dctto chiobtto" „sopra la porta che va in coiivento dculru »cl cliioslfo." od« „nel chiostro dalla itort«, che entm in chicsa** so kann nur, wie Rieb« angicbt „k facciata del cbioatro, che i lungo U cbiesa'* eemeint sein, das heifst die Aussenmaner der Kirche swischon dem Scitcnaus^ang aus dieser iin<! dem jel/.i|;cn Tor des ersten Kloster- hnfrs K'T''" I'i '<'''-i 'Iii Cairi inc r\\. V,<:\ den Bfnuiliungcn die Sa'^ra Masaccios wiMcr aufzudecken wurden 'kvciletliiii Fragmente buntfarbiger Wandmalerei aufgedeckt, die Crowe und Cavalcaselle lür Masaccio in Anspruch genommen babco. Vgl. Pbot. Brogi Nr. 6364. 6365.

In lebensgrossen F^suren sfebt man ledits einen KarmelitermAnds mit IsaeMn

Krc-uzstab vor einem Altar im Freien stehen und weiter eine <!< n Kücken wendende Figur in roter Krirdinalstrachl. In der Mitte kommen zwei knicrnilc Miincbe und mrhr in <k-' Tiefe ein dritter Karmeliter zum Vorschein und Reste emer (.iruppe stehender fersonca in geistliclier und weltlicher Tracht. Hier Uhemscht durch seine Lebendigkeit und Fiiscbe die kühn hingeworfene Gestalt eines vornehmen Herm in gelbem Mantel über rotem Rock, dessen Kopf in roten) Barett sich linkshin wendet, offenbar im Gcs]iräch mit andern I'crsoncn, dir m l cn ilim j;cTii:«!t \v:!n-ii. nber mit dem Bewurf ab^i fallen sind.

Auf dem andern Stück sind zwischen Hügeln des ansteigenden Terrains einzelne Uaulicbkcitcn verstreut, auf der Höbe ein Haus mit l'urm ia gewagter Ycrkümiog and BeleuchtnDg davor, in der Senkung eine sehr nung^lhafl geseicbnete Kapelle, vor deren Tür zwei Mönche stehen, deren vorderer seinen Kopf im Gespiich sum Genossen zarflck» wendet, während er die Hand ausfireckt um vorn etwas zu zeigen. Sie werden halb durch ein'"ii kleinen Hü^jel mit I^-inmchcn darirtf verd**rl<t. und hier '■it/t vorn nnf einer Ra*enbaT?k ein feister alter Klosterbruder, der sichtlich schmunzelnd die Beichte eines vor ihm koieenden Franziskaners hört, der anc^ Mbieneits dat Gifanen aklkt lassen kaui. So

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Buntfarbige Wandmalerei

mangeihafl auch diese Physiognomiken erhalten sind, so scheint doch die tibcrmütigc Lmm de« Malen unverkennbar. Er miflcbl allerlei versdiiedene Dinge; {i^ffentlidie Feier, die nur die Stiftung einer Kirclie, beim Beginn des Altarbanses, bedeuten Itann, mit Teil-

Dilimi des hohen Klerus und vornehmer Gönner, neben intimen Genrescencn des Kloster» lebens in ländlich« r UiV4;f hung, die nach Art «!fr ..Ein^iedltT i pndri il< I .1' ^' itr" «^f- (larbt wird. In sich haltlos wie diese Raumcntfallun^ ist rmch die »ic-iinnung, die aus dem üunzen spricht, und neben übenoscbend genialer Begaliuit|; Lt gei^nen docb so viele Fehler, s. B. in der Modclliemng der Köpfe, deren seitlicb gesebene Gcsiditer oft u bedifoUicber Breite und Scbiefbett leiden, nicht selten aur Kosten des Hinterkopfes, dfr noch durch riesige Ohren entstrtlt \\ \n], oder in der Zeichnung; der Hände, dafs wir nicht begreifen, wi** sirh vnirli ein Muihwerk mit dem künsticri'schcn Ernst Mns.irrins vereinigen liefse, selbst in einem Huchtig hingrpinseiten Fresko, das er ja immerhin «come per Mfgio dci odori** bitte niadien kennen.

Wenn CavalcMtelle meint, die (echniacben EigemcbaAen und malerisdien "Vonüge »prächen für Masacdo selbst : eine snlchc Masse von Licht und Schatten in SO trcftlicher Verteilung, ein so warmes und (iuulivuhtij^f s Koldtit, finp so hrrite und einfache Ge- wnTKÜJfhandlung, verbunden mit soviel Mannich taltigkcit der Charaktere, so leichten und natürlichen Bewegungen, könne keinem andern /.ugcsch rieben werden, so bleibt doch beschleiuwett, dafs die Tcdiaik dieser Freskomalerei am ehesten noch mit den scbnell- lertigen Ersengnissen des Masolino in Castigtione verglichen werden kann, nicht aber mit erhaltenen Beispielen von Masaccios Arbeit. Und daneben ist immerhin das Zeugnis Vasaris bfher/ipf nswnt, Fra Filippo habe als junger Zögling* (^(•. Karmclitcrordens durch das Studium der Fresken im ('arminc doch itoviel erreicht, dass schon die Zeitgenossen seine Madie sehr ihnlidi fanden: „aveva preio la mano di Masaccm si die le cose sue in modo simili a quelle ÜMeva, che molti dicevnno lo spirito di Masaccio essere enlrato nel eo^o di Fra Filippo," und eine Gestalt des S. Maraiale, die Filij)po an einem Pfeiler der Kirche gemalt, kunne den Vergleich wol au'^hailen. Dafs es Kennern von heute noch so gehen könnlp. in dieser genialen Sudelei den Geist Masaccios zu erkmncne, Ulriht aller- dii^s schwerer begreidicb als das Bonmot der Florentiner, das Vasari beibringt, ohne es selbst XU unterscbieiben.

Die Reste gestatten es freilich nidit, eine bestimmte Arbeit des Fra FiUppo zu identifixtren, die Vasari bezeugt: „nel cbiostro^ vidno alla Sagra di Masaccio, Utt Papa ch*« confrrnia la re^ola dei Carmelitani," um ein pripstJichr< Coiisistnrium kann es «iich hier nicht bandeln, und die&es war, wie Vasari hinzusetzt „lavoro di verde Ictia" also ein Clairobscur w ie Masacdos Sftgra und Uoceltos Wandbilder im Cbiostro verde von S. M. Novella. Aber es folgt auch „ed in motti luoghi, in chiesa in pid pareti, in frrsco dipinse*' diawiacbcn kann auch die Gründung der Kloslerkirche und die Vorgeschichte des Ordens gewesen sein, deren Ricba pedenkt, z. B. die Verherrlichung des Stifters Cione di Tifa di Rinieri Vernacci del Popolo di S. Feücita und seiner TestamentsvollHlrcckcrin Madonna Agnesc, o<kr di? Grundsteinlegung durch Bischof Giovanni de' Mangtadori 30 J uni 1286.

Wir sdiliefsen tau also der Meinung Otto Mflndlers an, der »ch schon 1S60 ao^'^c^^ freigelegten Reste für Fra Fil ippo ausgesprochen hat (S. Mattci, Rngiona« meati elc nennt ihn freilich, Signor Malier addetto alla Galeria nazionale di Londia.")

DIE SONSTIGEN MEISTERSTÜCKE ^

Das Fresko in S. M Novella

Zu den bcstbeglaiibig-ten Werken Masaccios gehört ein Wand- gemälde in der Kirche S. M. Novella zu Florenz, das von seiner ursprünglichen Stelle im XcbenschifF nach der Klosterscitr' zu weg- genommen und an die Eingangsmauer neben dem liauptportalo reclits vom Eintretenden übertragen worden ist. ^C<»stuj dipinse in Santa Maria Novella uno crocifisso, cioc la Trinitä et a piede la morte moltfi brlla dietro nl porpi-nmo,*' hcifst es im T.ibro di Antonio l^illi, und alinlich im ("»»dex der Mat^liabcrchiana cl. XVII. 17. im Codex Petrei und in aller Kür^'e auch bei I-Yanct s( o Albertini, im ^Tomn^ale di moltc Statue et picture . . . di Elorcntia," 15 10. Aus- führlich l)eschreibt es Vasari:*»

Jw S. M. NVvvolln njaltc <>r in I'Vesk*» eine I )n'ifinigk«'it mit Maria und h'hanin's ddu Evangt "list < n. dii' sie in tlie Milte nehmen und den gekren/igl* 11 Christus beirachicn. An den Seiten liegen zwei Figuren auf d< n Knieen, soweit sich urteilen läfst, die Besteller des Werkes. Aulser den Figuren ist aber besonders schoii daran eine llalbt« •nnt ii wölbmig. perspektivisch aufgerissen und in vier- ( ikige Felder mit Kuselten darin geteilt, die sieh so vortrefflich ve rjüngen und verkürzen, dafs es scheint als sei die Mauer aus- getieft."

„Mehr als das!" kennen u ir heute noch hinzufügen, sobald wir des argmitgenommenni I-ililesan seiner unj^unsligen Stelle mir ansichtivr werden. Masacci«» hat hier nichts (icringeres versucht, als die

Vasari selb»t hat dicie Malerei f,ain AJtare di S. Ignazio** mit einem gfofsen Ge- milde setner Hand zugedeckt, so dafs sie hinter seinem Altare del Rosario verborgen w. Alt man diese Leinwand bei der letzten Restauration der Kirche weynahm, fand sich (hs Frcsco, wurde voü-tändig all^{;cbcsselt und an die jetzige Stelle iiberlLigen. Cavalcasello. der Gelegenheit hatte während der Arbeiten io der Kirche das Werk in seinem dauiaiigeu Zustand zu prüfen, ehe es wieder ausgcbesücrt ward, berichtet über die Kinzetheitea (Stoni della Pittura in Italia II. 3 16): Es fehlte an dem Beiwerk z. fi. an dem gemalten Havpt- sims die Farbe, hier und da schon der Bewurf. Am Mantel Goltvaters war rum Tai die Farbe verloren, zum Teil ilunkel und trübe geworden, wie dies auch beim Kleid-' Marias gcschehm war. I'hrn o fr-hltr> an '?cn Ar!n»"n u mehr noch an den Hrmdcn des Christus stelienweis v<>iiig die Farbe oder war verbliihcn wie der untre Teil der Kleider an den Stiflerbildnissen. Erst neuerdings ist es meinen wiederholten BemlUiungeD ge> lui^n, das bedctttamne Denkmal in befriedigender Weise photographieren jm lassen vnd im eisten Jahrgang der „Kunsthistorischen Gesellschaft für photographische Puhlikaliooen*' Leipsig 1895, herauszugeben.

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Dreifaltigkeit in S. M. Novella 63

Kircfaenwand in Altarhöhe scheinbar durchbrechend flQr das Auge des Beschauers eine anstofsende Kapelle zu erschliefsen, vielleicht gar mit dem Ausblick ins Freie dahinter. Er umrahmt diese Oefihung zunächst mit einer Scheinarchitektur im reinsten Geschmack seines Freundes BruneHeschi» nach klassischem Vorbild, doch neu er- funden. Zwei hohe kannelHerte Pilaster aus hellgrauem Stein treten aus der Wand hervor, genau so wie die gemalte Gliederung der Cappella Bi'ancacci! und tragen auf hellroten korinthischen Kafutellen den mehrfach gegliederten Architrav mit seinem römischen Kranzgesims. Zwischen dieser Hauptordnung hindurch öfiffet sich der Eingangsbogen des Heiligtums, dessen halbrund vorspringende Marmorschwelle zugleich den Fufsboden des innem Schauplatzes um eine Stufe höher legt Links und rechts an die Pfeiler angeschlossen runden sich glatte Säulen mit rötlichen Basen und Volutenkapitellen. In drei Viertel Höhe der Pilaster vom setzt auf diese SSulen eine schlanke Archivolte auf, und öffnet so auch dieses obere Viertel der Wand bis auf die Zwickel der rechteckigen Umrahmung, in die zwei Rundmedaillons mit muschelartiger Vertiefung, ebenfalls rot auf grauem Grunde, eingelassen sind. An die Leibung des Bogens, die in scharfer Perspektive die Mauerdicke bezeichnet, stöfst das Kassettengewölbe, dessen Halbcylindor hinten wieder von einem gleidien Bogen aufgenommen wird, den auch dort zwei gleiche Säulen tragen wie vom. Seitlich rahcn sie beide auf dem Mauerwerk der Eckpfeiler, zwischen denen auch die Seitenwände links und rechts durchbrochen sind, so dass nur ein gerades Gebälk auf den gleichen angelehnten Säulen ruht. Auf diesen Architraven aufsteigend ent- faltet das Tonnengewölbe perspektivisch für die Untensicht dem Beschauer seine (juadratische Gliederung mit vergoldeten Randleisten und Rosetten in den ausgetieften Feldern, sicher und meisterlich aufgerissen, so dafs wir heute, mehr als Vasari damals, die gemalte Beleuchtung bewundern und geniefsen.

In der Mitte dieses AUerheiligsten steht, wie in einem Altar- hause, der marmorne Hochsitz Gottvaters : auf Konsolen der Rückwand vorgelegt, dient eine steinere Tischplatte als Schemel, eine Marmorbank darauf als Tron; an den vordem Rand dieses altarartigen Auibaues ist das Kreuz des Erlösers ang-clehnt, das aus dem Fufsboden der Kap« lle aufsteigt. Jehovah hat sich vom Sit/, erhoben und hält lioch aufgerichtet das Kreuz an beiden Armen, während über dem Haupte Christi die Taube des heiligen Geistes ihre Stralen niedersendet. So erscheint die Doppelgestalt des Vaters und des Sohnes mit dem Zeichen der dritten Person zwischen beiden Gesichtern, die damalige Dar- stellungsform der Dreifaltigkeit , gerade in der Mitte der ein-

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Trinität mit Maria Johannes und Stiftern

rahmenden Arkade. Der Stamm des Kreuzes^ an dem das Opfer hängt, verbindet die obere Gruppe mit dem untern Aufbau. Das Holz steckt in einem kleinen Erdhügel, der Andeutung von Golgatha, und an diesem Sockel des Krucifixes war ursprünglich vielleicht der Schädel Adams zu sehen, der nach altem Brauche dazn gehört.»)

Zu den Seiten des Kreuzes stehen Maria und Johannes noch als Zeugen des Opfertodes auf erhöhter Bühne möglichst nah an die Säulen gerückt. Die Mutter links als ernste Matrone, kaum ge- beugt, Mebt die Rechte wie hinweisend auf den Dulder, der voll- bracht hat; Johannes gegenüber, rinj^t die gefalteten Hände und blickt aus seinem Schmerz zu Maria hin, erstaunt, dafs sie zur Rede den Mut findet. So ist die althergebrachte (xruppe um das Kreuz In ungewohnter Nähe mit der Ersclu inung der dreifältigen Gottheit verbunden, und füllt in leibhaftiger Gegenwart den kleinen Innen- raum. Mer plastisch durchgeführte Menschengestalten sind es, gleichwertige K«">rper zunächst. Nur der symmetrische Aufbau zu pyramidaler Giptelung, n it Hülfe der Marmorbank auf dem Altartisrli hergf'stellt, erhebt das Ganze in die Region des un- wandelbar Bestehenden und sichert d( in kühnen Wagnis den Ein- druck feierlicher Würde, den der Kiinstler bei all der realistischeir Sinnesart keinen Augenblick als Endziel ausser Acht läfet

Und wieder verbindet er diese statuarische Kr^nzgruppe in ihrem Tempelchen zu unmittelbarer Nähe mit den Lebenden draussen, indem er einfach das Gesetz des inneren Autbaues jenseits drs Rahmens fortsetzt, als gälte es nur die zwingende Macht des 7o- sammer^hangs zu bewähren. Vor der Schwelle knieen die Stifter; reclils die Frau, auch .schon eine wi'jrdige Mntmne, die ihr scliw ar?< Manteltuch über den Kopf gezogen, links dor Mann in scliarlacli- rotem Capuccio und ;ilinli< hem Tuchrock, beide mit znsamniengc^ legten Händen, ganz in l'rolil gesehen.^ Unwillkürlich haben sie

Vgl. z. B. das Relief des Niccolö Pjsano am Dom von Lucca, und die Vonduiü des MalerbudMs am Bei;ge Atbos. Sonct wire nicht mebr cu »g/en, wn di« *ite Bc> scbieibuDg in den liand-scbriftlidien Quellen piede la niorle*' bei Antonio BjUi, „die

ha a picdi un.i ^^orto" im Codex Petrei bedeuten w ill sei denn unter dem erhaltener Wandgemälde nmh nn Einblulv in die Kryi)l;i <lrz K.\]wur orlur in rinc rirnb!{amTTi!»r gemilt. sonst etwa ein Sockel hinter dem Ireistehendeii Altar mit dem Todesbild daran |;c*climücii gewc&cn. Bei der italienischen Bezeichnung „la Murte" denken wir zunächst an dicaUcgoril^ Dantellong im Camposanto, das heilst an ein weiblidies Geqienst» nicht an ein Totenakdctt. Aber die übliche Zier der Bahren und SargbehAnge mit Totenkopf und Beinkren« h^Murte ebenso gemeint sein, also der S<:hädcl am Kreuzesftamm.

■) Bei Bocchi, Bellezzc di Firenze^ ed. CinelU 1677 p. 2$j beifst die KMftiie „de Capponi."

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Einheit der Erscheinung

dem stillen Zug des Eindrucks gehorchend sich angeschlossen, ab- hängig als Glieder des einen Prinzips, und eben dadurch ihren eigenen festen Halt gewonnen. Die Blicke des frommen Verehrers richten ^ch auf Johannes, ihm gegenüber, die Augen der Gattin haften an der Gestalt Marias. So durchkrou/t sich in diagonalem Aufstieg der Zusammenhang, von beiden I n Ipunkten aussen durch die Richtung der Formen, Gebärden, Bozieliunj^^en, wie durch den begleitenden Rhythmus di'r architektonisch(Mi (xcbilde und der Raum- entfaltung überall hw auf den Höhepunkt des Menschlichen, den Mittelpunkt des Ganzen, auf das Bild der Gottheit selber geleitet. Nicht minder i^t die Wiüil der Farben und ihre wechselnde Wieder- kehr in diesem Sinne durchgeführt. Die schwarze Kleidung der Stifterin gehört zu der dunklen Gestalt Marias und zu dem tief- blauen Mantel Jehovahs, das rote Kostüm des Florentiners zu dem hellroten Gewände des Lieblingsjünj:^ors, das voller nur im Rock Gottvaters wiederkehrt. Kleinere Stellen der nämlichen Farben in umgekehrter Verteilung an Aermeln. Unterkleidern, Besatz durch- schlingen die Ilauptreihe dieser Töne. Die lebenswarme Karnation der Bildnisse erblasst allmählich oben bis zum fahlen Aschgrau des Toten am Kreuz ; währt iid das Antlitz des Höchsten mehr in Schatten zurückbleibt, stralt die Taubo in hellstem Weifs zwisrhcn den goldenen Heiligenscheinen. Selbst die Arciiiiektur, vnn der liclit'Mi Marmor- schwt ll(> niil rnsafarhLiirm Rand, von hellgrauen Säulen mit roten Kapitellen, bis in di«' Dcckenwolbung mit blauen iroldbesetzten Kassetten darin, draussen im Tagesfchein, drinnen im Dämmerlicht und S( hattendunkel, bewalu't die selben Grundlagen einer klaren Harmonie.

Verfolgt man das Zusammenwirken der .irchitekt« »nischen Formen und der mcnschUclu n (leslahen auf diesen ßlickbahiieii \^ eiter. so « rkennt man überall woh rw o^ene Gegenüberstellung und gleichmafsiges Knlhprechen aller Glieder, eine \ ollständi«^ dnreli- dachte Komposition. Mag man vom V^erhältni.s der senkrechten und wagerechten Linien ausgehen, oder der Verteilung der MaSvSen, der Körper, der Märhen, mag man die Tonstellen der Beleuciitung mit denen der Bedeutnnti-, die farbigen mit den geistigen Faktoren ver- gleichen, überall die Bestätigung, dafs wir es trotz allem Realismus mit einem Musterbihl monumentalen Stiles zu tun haben und zwar im Sinne der hoi h.sten religiösen Kunst. Jn iiinigbLem Kinvernehmen mit Architektur und ßilduerei sucht hier Afasaccio zur konsequentesten Lösung einer Aufgabe vorzudringen, die sich der grossartigen Wirk.samkeit der beiden Srhwesterküublc unmittelbar anschliefst. Raumkunst ist der gemeinsame Boden auf dem sie alle drei sich Schmartow, Wtwccio-Stndien IL 6

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MaSACCIO und BRUKELLESCHt

begegnen und zum Bunde die Hand reichen, wie Masaccio selbst, der Maler, sich in seiner Gesinnung einig weifs mit dem grossten Baumeister und dem grössten Bildner seiner Tage.

Die pen?pektivische Ansicht der Kapelle hier, im reinsten Stile der Frührcnaissanrr, ist nicht denkbar ohn& don Schöpfer dieses Stiles, Filippo Brunelleschi.') Und wäre dieser Einblick nicht gröfser als das Altarhaus einer Cappella Pazzi, so ist es doch eine kün-sth rische Tat, deren Bedeutung in so früher Zeit , wie spät auch im Leben Masaccios das Werk zu datieren sei, nicht unterschätzt werden darf, dies eine Beispiel berechtigt zu dem Schlufs: Masaccio nimmt hier zu seinem Freunde und Lehrer Hrunelleschi in der malerischen M^'iedergabe des Raumgefühls und des neuen Raumideales seiner Zeit eine Stellung ein w'io Rafael später zu Bramante. Wie wir, an einer ähnlich bedeutsamen Krisis der Architekturgeschichto Italiens angekommen, eigenthch mir auf Rafaels Schule von Athen einen Gesanitcindruck des Innenraumes empfangen, wie Bramante ihn zu verwirklichen hoffte, sn hat Masaccio hier die bescheiden er<- J^au- pliantasi'f^ der Krührrnaissance zuerst zum Ausdruck gebr.icht. und mitten im gotischen Golteshaus der Dominikaner einen Jkiugedanken im neuen Stil, eine glückliehe KrstlingssehojifunL'- an die Wand j^,- malt, die nur als reifi- i-Vueht römisclier Studien des 1-ilippo Brunelleschi bepriffen werden kann. Wie von Ratael und l'raniante erzählt Vasari auch \<n\ l ilipjx), dem Erfinder der perspeklix i.schen Zeichnung, und eben deshalb mit noch unzweifelhafterm Rechte, er hal)e sie besonders dem Masaccio, pittor .dlor giovane, mollo suo amico vermittelt, und fügt anerkennend hinzu „il quäle gli fece onore in quelio che gli mostro, come apparc ncgli edihzj deli" opere sue."

(ranz wie bei Rafael noch die Darstellung der herrliclien Philosojihenhalle zunächst eine Gef«ilir für die Selbständigkeit und Bedeutung der Personen darin einsehloss, und wie die Rücksicht auf monumentale Wirkung der Figuren für sich nur durch künstliche Vorkf hrun yrn wie der zu ihrem Rechte kommen konnte, so be- obachten wir den nämüchen Vorgang hier, sobald wir Masaccios

') Dies spricht neuerdings auch der Biograph des „Filippo Bnioelleschi" Coruel V. Fabricsjr «uf S. $o seines tivfflidien Buches «us. (Slnttgwt 1892). »iDte mijestltisdie Renaisssncebslle m die er die Scene seiner Dreijilt^idllrtreslce in S. M . Novdl* Teilegt

hat, ist wenn auch das einzig übrige (V), doch vollgültige Zeugnis dafttr, weichet Gewidit der Meister m\( ilio pprspflctivi-iht- Dunlibiltlun^ des Schaiiplatzcs seiner Komposition legte, wie sehr er die Lebren der jungen Wissenschalt beherrschte, ja selbst wie enge er sidi nndi im Fonoslen der Aidütektiir an sein groftes Vorbild schloss." Vgl. d. Ann. deaelbst

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Gestaltung und Ausdruck

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Gestaltenbildung, die plasdsche Seite seiner Aufgabe ins Auge fassen, * die mit dem geistigen Inhalt natOrlich in unlösbarem Zusammen- hange steht.

Das Bindeglied zwischen der architektonischen und der bildnerischen Schöpfung ist das Kruzifix, wo im stärksten Kontrast zwischen dem organischen Leibe des Gekreuzigten und dem tek- tonischen Gerüst des Martena'^erkzeuges doch die Einheit erreicht werden soll. Die umgebende Architektur bindet den Meister an das natOrlidie VerliaUnis menschlicher Figuren zu diesem Raum» den er uns zeigc^i will, und grade seine Wahrheitstreue fordert den Verzicht auf den Ausweg, den die ldealist(Mi sich immer gestattet, auf den grufscren Mafsftab überirdischer Wesen. So kommt es, dafs sein Christus am Kreuz nur schmächtig, zart gebaut erscheint, und besonders durch Schmalheit des kleinen Kopfes auffällt. Nichts desto weniger ist der nackte Körper in dem strengen anatomischen Sinne behandelt, den seine Kunstgenossen Brunelleschi und Donatello in der Plastik förderten, und der wirklichkeitsgemäfsen Haltung zu Liebe wird der Wollaut der Umrifslinien, den die gotische Idealität r-inos Lorenzo (rhiberii treu bewahrt, hier lieber preisgegeben. Nicht der Ausdruck des Göttlichen in menscrhlichem Bilde, sei es auch nur der äussoro Abglanz harmonischer Schönheit noch im Tndo, sondern das Menschliche im Bilde d<T Gottheit ist ihm di»- Haupt- sache. Nur die luhlharcn Merkmale der eii>-enen Krlahnin^-, nur die \ ()llt* Bt-dingtlieit in irdischen (leset/i ii Ncrinag dit se ( icneration des Oiuittroeento aiirli von I ) isein oder Möglichkeit ihr< T Ideale zu überzeugen. Nur in menschlirhster Erscheinung greift ihnen auch die Religion noch an das Herz. I )ii s persönliche Bedürfnis trifft hier aber mit dem SiniK^ ih r ^\utgabe selber zusammen, so weit es si( h um den menschgevvordenen Gottessohn handelt, der tot noch, als Suhneipfer am Kreuze hangt, aber in diesem A u<4<'nl)li( k wieder aufgenommen wird vom Vater, um in <1ie ewige Herrlichkeit zu- rOckzukehren, ohne die bleibende Bedeuiiing seints Erlösun^sw crkes ab/utuii. Noch zeigt der Allwissende ihn am Kreu/essiamm der sündigen Welt ahs Wahrzeichen .seiner Liebe. Deshall) ist auch (he erste Person der Dreifaltigkeit nur das würd' N olle ]'.l)enhild der zweiten, des Mens(-h<'ns(ihn<'s. d'-r aut l'^rden gewatideh. Hie regel- mäfsigen Züge hek<)mnien nur ihweh einen langeri;ii \ uUbiir L tlas Ausfehcn höhern AUcrs. Die ganze (.icsl.iU, untersetzt in den Pro- portionen, .stämmig im Aultri ten und breit in der vollen Gevv.indung, die dem nackten Körper am Kreuz die wirksame Folie giebt, sie hat etwas von der wuchtigen Kraft, mit der Donatello seinen Christus behandelt hatte. Selbst der Kummer ist nicht ganz aus dem Antlitz

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Gestaltung üno Ausdruck

dieses Un*ators e:*^wichen, der ganz im Geist der alten Typologie an den Patriareben erinnert, dem Jehovah ein ähnliches Opfer zu- gfemutet. In so unmittelbarer Berührung mit der irdischen Hülle des eigenen Kindes überkommt auch ihn in Erdennähe das mensch- liche Gefühl. Und wieder offenbart uns dies Eindringen in den Kern der künstlerischen Schöpfung Jtuglei« Ii das Geheimnis ihres Zusammen- hanges mit andern Aufserungen der Zeit. Sowie wir den Erzvater Abraham nennen, so müsste es der Brunelleschis sein, den wir ver- gleichen. An die Körperbildung, die Charakteristik des Auftretens und des Ausdrucks, die dor ältoro Meister in seinem Broncerelief vorgebildet, worden wir deutlich crimiort, selbst die Behandlnn);:^ des Nackten hoim IvnalHMi dort cr.schliosst uns am besten das Ver- ständnis drs ( lokrou/.ii^trn hier. Masaccio schmioj^t sich im Tiild- nerischen seines Werkes hier noch innig an die Formensprache des ältc^rn Frt undes an, als stünde Donatellos Abraham über Isaak noch nicht am Campanilo.

Die Berechtigung des AlenschUchen wächst, sobald die beiden nächsten Angehörigen Christi, Maria und Johannes hinzutreten. Teihielimend bei dem Kreuzestod sind sie Mittelspersonen zwischen der Gottheit dr-jhen und ihren Kindern auf Erden. Kein verklärter, dem Erdenk'id entrückter Heiland hätte ihre Rolle verständlich machen kemnen. Dem Sieger über den Tod, dem Gottesfohn in seiner Herrliclikeit hätte auch die Mutter nur stolz und triumphierend, der Jünger nur begeistert und zuversichtlich zur Seite gestand« n. Hier ist gerade Das worauf es ankam, um die kirchliche Zusammen- stellung von Personen zu einem begreiflichen A'organg durch/u- motivieren, den herkömmlichen Lehrstoff künstlerisch mit Leben zu erfüllen: das dogmatische Symbol der Dreieinigkeit ist mitten hiuein- gesetzt in den geschichtlichen Zusammenhang, und damit der Weg eröffnet, den auch Dürer gefunden hat und in dem Holzschnitt von 1511 siegreich, fast triumphierend zum gewaltigen Historienbilde durchveifolgt, auch ohne Maria und Johannes hineinzunehroen.

Bei Masaccio bleibt es ein Andachtsbüd. So bewahrt die Muttergottes im Schmerz noch die Hoheit ihres Wesens, hält mit fester Hand das weite violettblaue Gewand zusammen, richtet den Nacken willensftark genug empor und zeigt uns ein Antlitz, das unter herbem Weh den Adel seiner Züge nicht verliert So mochte die Witwe eines edeln Hauses, die im Kloster eine Zuflucht gefunden, schwergeprüft doch immer ihrem Werte treu einhergefaen. Und wie

*) Die Gnippe isl eioe gemeinsame Arbeit Donatellos und seines Atelicrgcnossca Nmii di Bartolo il Rosso, die urkuadUch zwischen Mai uod November i^i voileadet

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Schwachen und Vorzüge

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anders, der Jugend angemessen, benimmt sich Johannes! Auch er ist oin Zeugnis, wie sehr dorn Künstler die notwendige Ueberein- stimmung der Körperfoniien und ihn r Bewegung mit dem Ausdruck des Augenblicks bew irfst geworden war. Wie ein schlanker Baum mit gradem Stamme unter dem Sturmwind nur den Wipfel beugt, steht dieser Jüuger da: die Händ< /usammengepresst gegen die Brust er- hoben, das Haupt zu träumeris( her Trauer W'«l gf iieigt, doc h nun mit clasliscliem Schwung sich reckend, als würde er im Angesicht der mutigen Matrone selber zum lebendigen Zeugen des Meisters, der sein Schicksal erfüllt hat.

Diesen seelischen Inhalt in überzeugender Wahrheit zur Kr- scheinun.^ /u bringen, trotz all« r Sc hwierigkeiten des vorgewählten Mafsftabes im innenraum, das ist Masaccios sichtliches Bemühen. Darüber vernachläfsigt er, wie nicht verhehlt werden soll, die Einzel- heiten der Form, die ihm offenbar lux li weniger gelüutig waren. Die Hände besonders sind noch altertümlich befangen, winzig und dünn; sie sehen neben der Breite der Gewänder, der Energie der Bewegung und der durchdachten Tiefe der Gesamtwirkung, wie verkümmert aus. Hier wird man am ehesten geneigt sein, für die Datierung des Werkes im Kreise seiner übrigen Leistungen, den zeitlich frühesten Anhalt zu !>iiehen.

Dagegen sind .iber die BiUhiissc der Siiftf^r nach Seiten wirk- licher Beobachtunijf und mal* rischer Behandlung <>hiic Zweifel das Beste, und zeugen für den vorgerückten Standpunkt der Meister- schaft. Hier war die freie Gestaltung imd volle Wiedergabe des Lebendigen nicht mehr durch erdichtete Architektur eingescliränkt. Wenn auch auf schmaler Bühne knieend, giebt ihnen das Pilaster- paar doch nur den Untergrund, imd wie diesen erst der wirkliche Kirchenraum von Sta. Maria Novella den Mafsftab. Sie erscheinen in L^>ensgröfse, wie alle andern Beter im Gotteshaus. Die Matrone ist eine von jenen robusten Patrizierfrauen, die wir auch sonst in Bildwerken des Quattrocento kennen» wie etwa Donatellos Bronze- bOste im Bargello, nur nicht nach der Totenmaske wie dort, sondern nach dem Leben selber gebildet Nicht eben anmutig, aber freund- lidi und gttüierzig dreinschauend, verrät sie mehr männliche Tfichdgkeit und Geradheit des Sinnes als sanftere Reize des weib* lidien Geschlechts. Der Stifter selbst, ein kräftiger Mann in den Sechzigen, gehört mit seinem energischen Profil und seinen ehernen aber sprechenden Zügen in die Reihe der scharfkantigen, eigen- willigen Charaktere, deren Florenz damals so viele gezeitigt. Mit wie persönlichem Gehaben erfafst ihn der Maler bei seinem Gebet, und mit welcher NatQrlichkelt entfaltet er die malerische Tracht, mit

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Stifterbildnisse

den weiten runden am Handf^dcnk wieder geschlossenen Aermeln und den einfachen aber wirkungsvollen Falten dos Tiirhrs. Nichts lehrreicher als ein Vergleich dieses florentinischen Paares mit den Stiftern des Genter Altarwerkes der Gebrüder van }\yt k, Jod-M iis Vydt und seine Frau Isiibella Burluut, jenem flandrischen Gegen- stück aus der nämlichen Zeit.

Wenn eine L;an/e Reihe von Stifterbildnissen in Floren/ Iiis ans Knde des Jahrhunderts nennen wir mir die besten des Domenico ( ihirhmdajo sich an dieses \'orbild anschliesst, so wundern wir uns nicht '\ \\'<'l al)er pHegt die bisherige Kunsibe- trachtung die geschichtlii he ßedeutung mehr als billig aufser Acht zu lassen. Fragen wir einmal nach dem Rechte der Priorität, sr» kann wol kein Zweifel sein, dafs eine Liröfsere fi*eiere Vorwf rtung <les hier Erreichten durch Masaccio selbst si( h unmittelbar an.M hlicfst: die Ver- ehrer seines I Virus in Cathedra, jeni r 1 heü[>liilus im modernen Fürsten- kleide vorn, jener Stifter Feiice Hrancacci zur Rechtt ii und jener Abt der KarmcliLer als Hüter des Heiligtums zuriank< ii. Dort ist das lUld- nis in seiner malerisclu n lireite als knieende Gewandligur s( Imn vullauf im Innern d* s Bildes selbst v<^rwertet und weist uns vorw .irts weithin auf die Kunst des Fra Bart« >1 omni eo und seines urhinatischen Freundes. Durch diesen Eintritt der Bildnisse in den Org.inismus selbst, giebt jene 1 luldigungsfcene neben dem ^\ltar der Cappella Brancacci, sowie sie hier zum \ crgleich herantritt, einen wertvollen Wink für den zeitlichen Abstand des Werkes in Sta. Maria Novella. Ein natür- licher Entwicklungsprozess hat sich Zwischen diesem Stifterpaar vor der DreifiUtigkeit und jenem Halbkreis von Verehrern um Petrus vollzogen. Und doch waltet das nflinliche Prinzip der Komposition in beiden Gemälden, dort wieder in malerischer Breite unter freiem Himmel, draussen vor der Kirche, dem Bericht der Legende zum Trotz, also in bewufster Absicht des Meisters; hier in architek- tonischer Strenge unter dem Zwang linearer Konstruktion und unter dem plastischen Gesetz des Höhenlotes als unerbitterlicher Dominante.

So steht das Hauptbild im Fresko von S. M. Novella in fthl- barem Zusammenhang mit den beiden Historien an der Altarwand im Carmine, der Schattenheilung und der Almosenspende, deren per- spektivischen Zusammenhang mit der Raumwirkung des Innern der Kapelle wir oben darzulegen versucht haben, um zugleich die Be- schränkung in der Breite ihrer Figuren zu erklären. Nur sind eben

ITierhcr gehört aber auch das TcrrakoUabildnis des betenden Stifter« in der PeUe£nuika|)eUe von St Aoastasia zu Verona und eine Büste im Mu.seo civico tu Trcvisa Zum Vergleidi empfehlen sich die Grabsteine der Tienta von Jacopo della Qmim in S. Ftcdianc» su Lu«gi» von 1416.

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Kunstgeschichtliche Bedeutung

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jenes zwei getrennte Scenen, zu den Seiten des Altartisches und der Afittelaxc der Frnstorwand, korrespondierenden Flügeln vergleichbar. Hier im Altargemälde von Sta. Maria Xovella herrscht die volle Konrentration dos Mittelstückcs selber. Das tiefgreifende Ziisammen- wirkou der drei Schwesterkiinsto. Arrliitrklur, Pkistik und Malerei, (\\v ihren Anteil daran g< haijt. obgleich nur der Maler das Ganze hervorbringen konnte, die Str« iigc des Aufbaues, die SHbständiekeit aller Gestalten im engen Zusammeniialt, die Al)L:es( lilos.senlu'it ringsum sind Higenschaften. deren Wert nicht jedermann zu würdigen ver- steht. Was ist damit gesagt, wenn wir seit Giotto zum ersten Mal wieder t in vollendetes Werk monumintaier Wandmalerei darin er- kennen, und zwar hinausgehend übtn- Giotto und das gan/e Trecento durch die volle Einbeziehung der dritten Dimension, <.ler Tiefe, und di'- damit zusammenhängende Eintracht des dargestellten Raumes mit .se>inen Korpern darin. Nach ITccello hat /unaehst kein Floren- tiner den Ernst des Probl( ms wieder ertalst ofier gar den Weiter- bau für die Kunst der Malerei wieder aufgenommen. Erst Piero dei Franees( Iii aus P>orgo S. .Sepolcro im obern Tibertal, sieht und begreift um was es si( h hand(dt. uutl wird durch Melozzo da Forli und Pietro Perugino /.um Vi rmittler zwischen Masaccio und Rafael. Die Dreif dtigkeitskapelle in S. AI. Novella ist in der Tat das erste i'x'isjiiel dieser Raumkunst, der Anfang einer Entwickluugsreihe, an deren Ende K.daels Dispula und Schule von Athen dastehen, berühmter freilich, aber für viele Hewund'-rer selbst ebenso unver- standen, wie diese Schöpfung Masaccios. Erst wer diesen .Vnfang mit jenem Ende zu.sammengreift, erfesst auch den pragmatischen Zusammenhang der ganzen Reihe gescliiclitlicher Erscheinungen, erst das ist Kunstgeschichte im wahren Sinne des Wortes.

Das Rundbildchen in Berlin

Das Fresko in S. M. Novella bezeichnet natürlidier Weise im kansllerischen Streben Masaccios einen relativen Höhepunkt; es ist das Hauptstack einer Gruppe verwandter Lösungen flhnUcber Probleme, in denen die architektonische und plastische Zusammen- fassung nur nicht so konsequent war wie hier, oder ein Mal bei geringerer Figurenzahl, ein ander Mal bei transitorischem Charakter der Darstellung eine so entschiedene Betonung gesetzmäTsigen Auf- baues weder forderte nodi vertrug.

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VerkCndigung in S. Niccolo

Erst wenn wir an solchem B(^iRpiel den vollen Einblick in die Anstrengung und Arbeit gewonnen, mit der die sichere Konstruktion des Innenraumes auf der Biklfliichc eroliert werden muiste, emi>langen für uns auch ainlro T.eistuniJfen die Bedrulung von Ereignissen im historischen Entwicklungsgang der Malerei. Erst dann Ir-riK n wir den entscheidenden Wert ermessen, den noch X'asari zu rühuMi weifs. Ihm allein verdanken wir die Nachricht von einem ver- schollenen Altarbild Masacrios in der Kirche S. Xiccolo, jenseits dos Arno; darin war eine Verkündii^ung vur einer perspektivisch ver- kürzten Saulcnlialle dargestellt, »un casamento pieno di colonne , deren Schönheit besonders auffiel. Ausser der linearen Zeichnung, die vollkommen genannt wird, hatte Masaccio auch die Farben der- mafsen abzutönen verstanden, dafs die Räumlichkeit täuschend dem Gesicht allmählich 2U entschwinden schien. Er gab also darin einen Beweis wie viel er nicht allein von Linearperspektive sond^ audi von Luftperspekttve verstand.

Nach Verlust dieses Beispieles, das ali> Vorbild wieder eine ganze Keihc ähnlieher Arbeiten von Zeitgenossen, wie hra Angelico und jMusolino, oder Nachfolgern, uie Fra Filippo und Piero de Franceschi, erklären hilft, wird jedes andre verwandte Stuck des Meisters willkommen sein, wo irgend die perspektivische Durch- bildung des Schauplatzes und die malerische Abbildung der Bau* gedanken im Anschluß an Filippo di Ser Brunellesco hervortritt So werden wir, an dieser Stelle am besten sogar ein flüchtigeres Werkchen heranziehen, das ursprünglich nur die Bestimmung eines Präsentiertellers hatte, wie man sie Wöchnerinnen zu, übersenden pflegte und das in diesem Falle sich auch in der Darstellung an diesen Gelegenheitszweck anschlicfst £s ist ein kleines Rundbild von nicht mehr als 56 Centimctem Durchmesser, das im Jahre 1883 für das Berliner Museum erworben ward.') Hier versetzt uns die Kunst des Malers mitten hinein in das Innere eines florentinischcn Palastes, wie ihn damals das Haupt einer begüterten Familie för sich erbaute oder erwünschte, oder wie er bis dahin nur einem Bau- meister, nämlich Filippo di Ser Brunellesco selbst, klar genug vor Augen stand. Wir schauen in den Hof des Palastes^ der von

■) Im Palazzo Mcdici befand sich nach dem InvesUr (MflaU. Lei CoUccÜom öcs M6d)cis au XV. siccie. P«m 1888 p. 86) „URO dewo dft pnto drentovi niw adicfiB^^ di RUino di Masaccio."

•) Kaulog Xr. 58 C. Vgl. besonders die Ausgabe von 1883 p. 553 und die Aus- g»be yon 189 1. p. 1O2 f. Auf der Uoterseite des Telltrs ist ein nacktes Rind mit eine» Hunde spielend («Is Sinnbild ehelicber Tmie?) melir d^ontiT, flSditig gemnlt henldiich ttiüsicrt

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Desco da Parto in Bertjn

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Gängen mit offenen Säulen-Arkaden umzojj^en ist, so dafs sich in der Mitte des Bildes eine Flucht dieser Wundelbahn in der Axe dos Beschauers auftut, während links die andre Seite in rechtem Winkel anstöfst, sich also in der Breitendimension erstreckt. Durch diesen, in der Breite sichtbaren (lanjjf kommt von links ein festlicher Aufzug herein: voran zwei Herolde, der eine in die Trompete stofsend, an der ein Banner mit dem Lilienwappen der Stadt Florenz die offizielle Sendung verkündet, dann zwei vornelune junge Herrn mit (irsf henken in der Hand, oder gar auf dem „Dosco da parto," den w ir hcschroibcn. Jn drr Mitte aber schreiten aus d^r Tirfo würdige l'r.iucu nach vorn, und dio erste biegt S'^tr-lxMi nach rechts in oine Tür ein, die /um (icinach drr Wrirlnifriu fuhrt. Hier ruht die Horrin des Hauses auf ihrem l.d^x^r, umgeben von r)i< iirriiinen, deren eine vor dem Bette sitzend das neugeborne Kind aut dem Schofse hält.') Ks ist die rücksichtsvolle und die geränschvolle (imm- laticn zur Geburt eines Krben, die sowol die Matriinen der X'erw andt- schaft als auch die Gevattern mit dem Stadttrnni|).>ter h< rtührt, hier noch ganz einfach aus der Wirklichkeit des llorenlhiischen Lebens heraus gegriffen, wie die kirehliehe Kunsl utUer dem Namen der Tieburt Jobannes des Täufers oder der langcrs« biUen Maria die W'ochenstube der Elisabeth oder Anna nach dem ßraucii der Zeit zu schildern gewohnt war. *)

Der überraschende T^urehsehnitt, in dem drei verschiedene Kttunie eines Puhust-lnuern ersclili >sen werden, entrollt zugleich in dreifachem Auftritt ein Sittenbild jener Tage. Es ist ein g< iiialcr Wurf glücklichster Art, der uns auf eianial erklärt, wie in dieser Stadt und unter diesem Volke selbst die intimen Ereignisse des HiUises durch den Zusannnenliang der Familif^ und die politische Stellung der Männer sich dem oHentlichen Anteil nicht entziehen. Die trauliche Abgcsehlüssenheii des ])iiri4('rHrhen Daseins, die wir auf vlämischeii und holländischen Bildern so auzieheud finden, und

1) 0er Qa«rscluritt» der diese Wodienstnbe wie deD Hof offen legt* «ud nach oben alJerdingi nit lokntttotion *ls FMsade gegeben.

*) Als Geburt einer HetUgen gilt auch bei Boccbi-Cinclli, Bellezze dclla CUU di Firen/c, 1677 p. 366 ein Bildchen soiclicr Art, das er aU M;isaccio im Hau'^'* '\fs Baccto Valoti beschreibt: „yuadrcUo dipinto a tcmpcra, un parto di una Santa di mano di Mefccio di gran bcllczza di vero : dove oUra la donna di parto, che i fatta con somm« diltgen*«» h belliisinw nn» fignn, che picdu« an usdo^ e dentro «d an« pftnerettn cbe hn in cnpo porta an oppone; In qwde i panneggiaU con tanta grazia che del tutto par vera." Die Darstellunp weicht also fjrr.ide durch diese Gestalt von dem Berlinfi Bilde ab. Vgl. Domenico Veiieziano's Geburt Marias im Dom ?n Prato fRcpert f. Kwlcl.nft XVI. p. 175) und die Beschreibung der Wochenstube in S. Maria Nuova zu Florenz bei VasarL (Opcre n. 677.)

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Geniales Bravourstück

schon im (icj^ensatz zur Strasse fühlen, wenn nur die Haustür offen steht oder das Fenster die Reihe der Nachbarhäuser hereinschauen lüfst, sie erscheint hier so selbstverständh'ch dem Anrecht der weitern Kreise preissjfefi^oben, als verleihe diese Mitwirkung erst dem Glück des Einzelnen seinen vollen Wert. Und wie notwendig wohnt diese Auffassung der menschlichen Dinge gerade in solchem Mause, wie es uns hier gezeigt wird, das in seinem Innern unter tVeirm Himmel einen offenen mit l^oeengängen umzogenen Hofraum um- schliefst, der den Charakter eines Versammlungsortes annimnU, von allen S(Mten zum Zutritt einladend, alle Teil.' der Wohnung mit einander verljindi ni], L;lei<"hwie der l'latz mit <leni Kirchlein draussen die BewoluK r aller umhegenden daüsen zusammenströmen und sich wieder verleilen sieht.

Die sichere Wiedergabe der Arcliiiekturformen im Stil Bruneüeseos, die meistcThafte Behandlung der kV-inen Figuren im Zusammenhang mit dem Renaissancebau, und die malerischen Vor- züge, selbst Im i flüchtiger Ausführung bezeugen mit einander, dafs wir e.s mit der Arbeit eines gewiegten Meisters zu tun haben. Und dieser ist aiieli unseres Erachtens kein andrer als Masaccio. Wenn ein Kritiker wie Giovanni Morelli meint, dafs alle Kenner des Mas, H ( in deti K^'ipf Ijeijcnklii h zu der gewagten 'I'aufe schütteln werdi n. iiiul scim- \'erl»es.seruiig dahin formuliert, der st^lben Zeit ungefähr möge tlas Bildchen angehören, allein für Masaccio sei es zu schwaeh: es rühre wol von der Hand eines untergeordneten Nachalinters her'*. so läfst er < inmal die Bestimmung des Werkchetis .,1s < lebratichsgegensiand und Gelegenheitsgabe ausser Aeht, und /\\ ( itens die architektonist h< ii und perspektivischen X'orau.ssei/.ungen für s<» ein kleines Bravourstut k. die damals eben weder der Hand noch dem Ver.siand eines untergeurdneten Nach- ahtiiers zuzutrauen wären. Wir können also den Erörterungen der BerHni r Galeriedirektion nur völlig beistimmen, wenn sie die Eigen- tUiiiih iikeit der K(»mpi 'sition, (he Freiheit der Schilderung hervor- hei)t. in der „vcrscliiedene Vorgänge sehr sintivoil und zugleich rein

') Kunstkritische Studien über ital. Mulerei, Hic (Lilcri'- /n Bi rlin von Jvan LennoIiclV, Leipzig 1S93. S. 17. „Vielleicht ein Werk jenes Andrea di Giu»lo, der in den letzten Jahren der Wirksamkeit des Masacdo seinGchfllfe war (siebe Gmye, Cnrteggio u w. I. ii6).*< Da kamen wir doch wol eher nodi aof MaMicdoe Bruder Giovaani to Schc;;gta, der ebenfalls Maler war, dh. ins Atelier des Meisters selbst «urück und von der Ri!rk>ri{c f!rs Telirrs doch wol zur eignen Per«f>n de« Meisters selbst. Das Urteil jener Kunstkenner wie Morelli bleibt eben an Aeusst-rlii likeiten hängen und verrät wie immer wenig Sinn flir die Innern Qualittten äet Leistung und ihren Wert im geschichtlidien Znsanimenbaog der Knntt.

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Darstellung von Raum und Körpern

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kflnstlerisch vereinigt sind. Das Kostüm der dargestetlten Personen fuhrt mit aller Genauigkeit in eine Zeit der Frührenaissance, da die praktische Ausübung der neuen Bauart » rst begonnen hatte, und doch wird diese schon in voll entwickelten Formen vorgfetragen", wird die Vertiefung des RaURlcs auf der BildfläclK» mit einer Sicher- heit erreicht, die das Zusammenwirken v(Tschiodcner Richtungsaxen, den malerischen Reiz der Durchblicke, den Kontrast eines traulich engen Gemaches und eines offenen Säulenliofes, zu einem Ganzen verwertet, das als Schauplatz wieder auf das Innif^ste zur über- zouL^fMidcn Wiedergabe des Geschehens mitwirkt. Mit der nämlichen Sicherheit .sind die Figuren und sonstigen Kör])er in richtigem Ver- hältnis als stereometrische J5estandteile in den Raum hineingesetzt, so dafs sie fühlbar hineingehören, dafs diese Umgebung diese ^f^•^schen wie ihre eigne Welt umschliefst. Ks i.st der Einblick in einen Mikrokosmos voll au.sgeprägtor l'ormen und \<>11 charakteristischen l.ebf^ns, der uns hier ge!)< »t( ii w inl. Welche .Starke des kün.stleri.schen Vermögens das < rfordrrtc 1( lirt oin Blick auf die Halbheit des Mnsolino noch zehn Jahre spater in den l'V< ski'n dfs !\;!pt:*;t«Tiunis zu ('asti^lione (i'( )Ion.i. ein \'cri^lei( h, Ix'i dem von cinrm .,imtergeordn« ti'n Xach- alimer" nt.K:li nicht gcs])r"(iion zu wcnlon i)tlt'urt. Dort .si<'hl man in der Namens^a'bung des Zach.iri.is dif \ i »llst.indig aus^f)iil(li>to i'er- spt ktivt' und die Wiedergabc der lu uon .Stiltbrmcn nach dem Vr)r- hild des Filip{io Brunelleschi vri1)niKlen mit einer zurückg(^bli«'benen Schwäche alles Figürlichen, welche die Einheit des dargestellten Schauplatzes mit den Personen darin nicht herzustellen vermag. Dort fehlt es an der Loibhatiigkeit des Gesamteindnickos, der dns Kund- bildchen in Berlin so entschieden auszeichuel. Und dab<^ i haben w ir zu Castiglione um 14^^ doch mit Wandgemälden in betnichtlit hf in Malsitub zu tun, in denen sehnst aller mögliche Aufwand der Kinzcl- arbcit versucht wird, um die Wirklielikeitsi reue zu erhöhen, während der „desro da parto" nur bestiniuit war. n.tch seinem Gebr.iuch für die Durbringung der Geschenke an die Wöchnerin, vielleicht in ihrem Wohnzinuiier als Dekorationsftück .lutgehangt /vi werden, also höchstens den Rang von Truhenbildern und handwerklichen Erzeugnissen ähnlicher Art zu behaupten. Gerade so betrachtet, bezeugt auch die Arbeit des Malers in all ihrer Schnell fertigkeit die Genialität der Meisterhand. Die Farben sind stellenweis so dünn aufgetragen, dafs die Zeichnung durchscheint, stellenweis so markig und voll, dafs mit diesen Gegensätzen die selbe körperhafte Wirkung erreicht wird» die Masaccios Fresken vor allem andern voraus haben. So bewahrt gerade dies kleine Beispiel die Unmittel- barkeit einer Farbenskizze, die mit der nachlässigen Sudelei eines

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Aesthetischer Kern

grrofscn Koloriston eher vcrwcdisrlt worden könnte als mit dem äng-stlichcn Gestammel eines Schwachlintrs. Nur lic^t der Maierei srh(Mi dir strcn^^e K'>nstruktioii der Korper und dor Architektur zu Grunde, die mit malerischer Begabung^ allein ni( ht zu erreichen war, sondern als „artifirio per oirni intendente" jenen „ingegno perspiracr'" vi Tausfetzt, der für l^runollcsrlii Veranlassunjjf ward, dem Maler di» >t' wi'-'>enschaftlichen Hühsmittel df r Raumdarstellung zu er- schhelsen. Die I .ust der Leute an solcher S]ne^'^('lunu^ der Wirklichkeit kam dahoi d<'r Kunst sehnsüchtiger, durstig(^r entgegen als wir heut* bei dein ae.sthetischen Vorgang in Rechnung /u setzen vcrni« 'go!!. Jener Generation, die mit allen Kräften sich aus dem Lkmn des MittH- altors losrang, war j'dc^ n( stätigung der Realität, jede koncentrierte \\'icdergabc der ges('t/i7i.i.ssigen (inindlagen des Daseins in Raum und Zeit, eine willkonnncne Stärkung des eigenen Gefühls auf festem Boden im Licht der Sonne zu wohnen, also ein Zuwachs an Leben. ITnd dies Rundbildchen an der Wand des Zimmers, am Kamin, über dein Bett nahm die selbe Stelle ein und erfüllte die selbe Leistung für den menschliehen Bewohner, wie jener Rund- spiegel im Gemach des Arnolfuii, den Jaii \ an Kvck um die selbe Zeit zu Brügge gemalt mit dem ganzen Ausblick durch die ge* öfiFnete Tür darinnen. So tritt denn dies Familienstück mit der Wochenstube auch seinem acsthetischen Kern nach mit dem Kirchen- bild von S. M. Novella in eine Reihe, eng verbunden durch den Wert ihrer architektonischen und plastischen Strenge. Sie verhalten sich zu einander, wie die Altartafeln für die öffentliche Andacht za den Rundbildern fütr die häusliche Sammlung im Gebet So be- zeichnen Fra Filippos Madonna mit der Wochenstube S. Annas dahinter im Palazzo Fitti und seine Krönung Marias in der Akademie solch ein Paar, das sich ergänzt.

Das Altarwerk von Pisa

Die ganze Reihe der Meisterwerke Masaccios, die wir bisher betrachtet» verteilt sich auf eine kurze Spanne Zeit, auf wenige Jahre vor seinem letzten Gange nach Rom, wo er 1428 seinen Tod fand. Der Versuch, eine chronologische Folge dieser Leistungen herzustellen, wird im Wesentlichen die Abwägung kflnstleriscfaer Qualitäten ins Auge fassen, ein Verständnis der Fortschritte, die jedes einzelne Stück bedeutet, fikr wichtiger halten und sich gern bei relativen Bestimmungen aber den Ablauf der Entwicklung be-

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Altarwerk für Pisa

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icheiden: denn der Wert dieser lehrreichen Beobachtungen wird durch feste Daten in so beschränktem Zeitraum schwerlich gewinnen. Dennoch ist es willkommen, wenigstens einen Anhaltspunkt durch

urkundlich überlicfi^rton Tennin gesichert zu wissen, und mit dessen Hülfe vielleicht die Periode voller Meisterschaft» die dem plötzlichen Tode des jungen Mannes unmittelbar vorangeht, von eint r früheren zu scheiden, die durch Eintragung in die Tukasgilde im Jahre 1424 und die frühere in die Arte de' Medici e SpeziaH von 1421 bezeichnet wird. Solch ein Datum ist erst neuerdings gefunden.*)

Zwischen dem 24 Juli und dem 18 December 1426 wurde dem Masaccio ein Altarwerk bezahlt, und zwar in mehreren Raten, im Ganzen mit achtzig froldgulden. Sein Freund Donatello dient dabei als Zeuge, da er damals bei Arbeiten für das Grabmal des Kardinals Raynaldo Brancacci {in S. Angelo zu Neapel), das dieser noch bei Leb- zpiton bestellt haben mufs {\ 2-j März 1427) in Pisa beschäftigt war. Seit Anfanp dos Jahres ].\2() war dort in der Kirche dol Carmine eine Marrnorkapollo in ArbcMt, die Pippo di Gi<^vanni di Gante, der Vater dos Isaia di l'isa, und Grofsvater dos GiatK i iltoforn Romnno zu liefern hatte, und für diese Kapelle im ( arniiiie war aucli das Altarwork des Masacrio bestimmt. Dt-r Auftraggeber, ein pisanisrlicr Notar, nieih Giuliano di Colino da 8. Giusto; deshalb erscboinen die Namensheiligen Julüinus und Nicolaus, der Schnt^'patron des Stifters und der seines Vaters Nicolin*' unter den Kinz«-lliguren des (icnuildes, das Vasari an seinem ursprünglichen Standort gesehen und ausfülu"- Uch beschrieben hat:^

„Darin eine Madonna mit dem .S(»hneht n, und zu ihren Füfsen einige musiciercndo Kngel; einer von ihnen, der die Tante spielt, horcht mit Aufmerksamkeit seinen lOnen. Dies Madunnenbild wird in der Alitte genommen von S. Petrus, S. joliainios dem Täufer, S. Julianus und S. Nicolau.s, hiuter tüchtigen und lebensvollen Gestalten. Unten aui lier Pr<'della sind in kleinen Figuren Geschichten aus dem Leben dieser Ibiligcn und in der Mitte die drei Magier, die Christus opfern, und in diesem Stück sind einige Pferde so schön naeh dem Leben gemalt, dafs man es nicht besser wünschen kann, und die Hofleute der drei Könige sind in verschiedenen Trachten gegeben, die damals Mode waren. Oberhalb der Tafel sind als Abschluss mehrere Bilder mit lieiligeidiguren um einen Crucifixus herum angebracht^

t) Donatello in Pisa, Documenti publicaü da L. T«nfiiiu«CeDto£uati. Pia«, Mariotti 1887. Vgl. Repcrt. f. Kwfchft XTI. 213. f.

*) Opere II. 293. „Nelia chiesa del Carmtue di Pisa, in una tavola che e dentro a na» capella dd tiUMSio. . . ,

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78 S. Paulus in Pisa

Das Altarwerk ist im Laufe der Zeit aus der Kirche der Karmeliter verschwunden^ zerstückelt und zerstreut; die Haaptbe> standteile scheinen sogar völlig verschollen.') In Pisa selbst ist nur ein Ucberrest erhalten geblieben, der diesem Ganzen aoge> hört haben wird: die Halbfigfur des Apostels Paulus auf Goldgrund, deren ursprüngliche Bestimmung zwischen jenen Heiligen des oberen Aufsatzes gesucht worden mufs, die Vasari um den Ge- kreuzigten — offenbar das Mittelstück dieser obern Reihe herum geordnet sah. Dies Kiiiestück, oben ribgerundet 0etzt viereckig eingerahmt), befindet sich im Miiseo Civico an S. Francesco zu Pisa, nachdem es lange Zeit in der Pinacotora rr »munale bei der Akademie g-ewesen. Es trägt auf der Rückseite eine längere Aufschrift von einer Hand, die zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts zurückweist und das Bild als »Opus Masaccij a Castrt^ S. Joannis Vallis Ami, Pictorum aetatis . . . Pr. . beglaubigt.^) Der Apostel, in gelbem Rock und holl lila Mantel ist dreiviertel nach rechts gewendet, und hält in der erhobenen Linken ein Buch, in dem herabhängenden rechten Arm das aufrechte Schwert, über dessen Querstange am Griff sirli die Einger herüberlegen. Der K<'})fmit dunkelm Vollbart fällt auf dur< h srlno starke lange \ase und einen wulstigen llaar- schwall im Nacken, während der Schädel vorn sicli lichtet. Xur dieser ( harakterkopf selbst ist snrfrtaltiger ausgeführt, wenn auch sichtlich sunnnarisch für die Wirkung aus verhält nismafsiger liöho l)' n ( hnot, dh. in starken Gegensätzen von Hell uml Dinikcl heraus- ninddliert. Um so eher stellt sich der Eindruck der Scliierheii ein. als <»1) ^'^n vornhf^rein die verkürzte Seite des (7esi("htes nicht '^an.^ i^clnny^ n si i. Am linken An-^f sti>rt ein Eehler. 1 )er breite Heiligen- scliein ist aus d> m GoUlgrund heraus jiunkliert. hat ein breites Band mit fünfblaltri;^ en TUnmen. dreiteiligen Knospen und lancettförmigen lilätt'TTi darin, und dreijjcrlige Zacken am Rande. Die Gewandung i.st tlucluig malt und in der Earbe sehr blafs, vielleicht in der Sonne ausgehlii hen, aber im Wurfe zirmlich grofs, auf der linken Schulter h')(h aufgebauscht und verrät eben dadurch, niclit. wio Crowe und Cavalcaselle nuiinen, eine befangene Schülerhand, sondern die malerische Ereihcit des Meisters, der eine breite, locker um den

') In der Kirche war Ua.s Wcrlc sicher \im 1750 nicht mehr au seinem ¥Uiv-, Vgl. A. da Monrona, Pisa, illu»trata 1793, m> f> ^E^* Berliner Katalog.

*) Nr. 199. H. Oi,Si Br. 0,30 m. Es ist sehr davdt WurmMidi besdildigt, be- sonders »nlen, wo ein Sliickchen ausgebrnchen.

^1 Dif Aufschrift der Rückseite (Nr. i>r) bec;innt .\] Cav« Cnl« (Cok.'i Lo. Raimondi. Sic erwähot da» Lob dcä Michaelangelus Botuuotus und giebt daa Epigramm des Annibale Caro.

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S. Andreas in Wien

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Leib geschlagene Draperie bevorzugt, genau so wie die Apo&tel- adiaar um Christus in der Ca^^lla Brancacci und Petrus bei der Almosenspende sie aufweisen.

Wenn wir dieses nach rechts gewandte Bild des zweiten Apostelftrsten auf der einen Seite des Altarwerkcs suchen, wo auch der erste in der Hauptreihe unten stand, so haben wir ein ganz gleiches Gegenstück im Besitz des Grafen Lanckoronski in Wien zu verzeichnen. Es enthält, ebenso oben abgerundet, auf Goldgrund die Halbfigur des Apostels Andreas, nach links gewendet, mit dem Buch in der Linken vom und dem gradarmigen Kreuz an der Rechten. Dies lateinische Kreuz ist in perspektivischer Ansicht gegeben, und zwar schräg gegen die Mittelaxc des Bildes gestellt. Hier sowol, wie in dem Kopf des langbärtigon Greises kehrt die energische Behandlung mit starken Gegensätzen von Licht und Schatten wieder» und ähnlich ist in der Gewandung die unverkenn- bare Gewohnheit der Freskomalerei auf das Tempera verfahren über- tragen. Die gleiche Form und Kandverzierung des im Goldgrund eingeritzten Heiligenscheines mit seinen dreipcrliiron Zacken, wenn auch andcrni Rankenwerk im breiten Bantist reifen, beweist wie die Mafse der Tafel und der ganze Cliarakter des Stückes die unzweifel- hafte Zugehörigkeit /um nämlichen Ganzen, von dem der Paulus in Pisa stammt. Der Kopf hat unverkennbare Achnlichkeit mit dem grofsartigen Andreas im Ilauptbildo der Cappella lirancarci, /.cigt aber einen Grad von Befangenheit, im X'crg^leich /u diesem, dafs er früher angesetzt werden müfste, wenn nicht solch Bestandteil eines Altarwerkes auf Goldg-rund immer hinter der Freiheit der Wand' maierei zurückbliebe . . Bei der Almosenspende sieht ein ganz ver- wandter Kopf in gleicher Stellung hinter Johannes hervor.

Als Zwischenbildchen in horizontaler Reihe, wie sie jetzt ge- rahmt sind, oder vielmehr als PilasterfüllunL; ursprünglich über einander angebracht, wären vier ganze Figuren in kleinem Mafsrtabe zu denken, deren Behandlung auf Goldgrund, im Verein mit uom Charakter der Köpfe, mit der Manier der (iewandung und gemein- samen Fehlem in der Zeichnung uns vollauf berechtigt sie der selben Zeit zuzuweisen, während die Ordenstracht der Karmeliter bei zweien von ihnen auch die Zugehörigkeit zu einem Altar ,,in Carmint»*' bezeugt. Sie sind nach England verschlagen und befitjden sich jetzt im Besitz des Herrn Charles Butler, F. S. A. Auf der Winter- ausftellung der New Gallery 1893/94 waren sie in London zu sehen

') Durch die Liberalität lics Ki;;LiUilniers .siinl wir in der Lage eine Pbolugrapbie nach Uem Ohgiaal in uusrer Abbildung zu reproducieren.

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Vier Heilige in England

und truft-en den überlieferten Namen „Masacdo" auch im Katalog.') Drei vnn ihnen sind nach rechts, der vierte nach links gewendet Zwi i Kirchenväter, S, Hieronymus und ein Bischof, fordern die b( itlon andern Lehrer <ler lateinischen Kirche zur Ergänzung. Die Charakteristik des Bischofs gestattet nicht, uns für S. Augustin oder S, Ambrosius zu entscheiden. Er steht ganz im Profil nach rechts und liest eifrig in seinem Buche, das er mit beiden Händen trägt; ein hellroter Chormantel bedeckt in einfach breiten Falten die ganze Gestalt bis auf die unten hervorsehende Alba; ebenso einfach ist auch die Mitra mit rückwärts herabhang-enden Bändern. Das Antlitz des noch junifcn Mnnnes umrahmt ein kurz gehaltener dunkler Vollbart, sonst wiirde er ^fasaccios Johannes gleichen: so aber begegnet rr niis bartiij in kriegerischer 'Fracht als Hauptmann des Herod«'s dcinnacht wieder. S. Hieronymus da- neben ist durch Kardinalstraclit kenntlich. Kr steht b.irhaupt, ge- senkten Blickes vor Hncm hDl/cinen ]*ult, über dem ein Schrift- blatt hängt, das seine rec hte J land im Lesen weitersrhiebt. Der Typus des ältern kurzbärtigen Kopfes ist fast völlig der des Petrus bei der Schattenheilung in der Brancaccikapelle. Von den beiden Karmeliterheiligen ist der eine langhärtig und alt. ist den Apüstehi Andreas in Wien und Pauhis in I'isa nali x erwundt, sonst etwa dem gehcilu n licler in<'l)cn dem Masulinokopf; im Schatten- wunder vergleiclibar ; < r halt ein Buch unter dem Arm und fasst mit der Linken die Flügel seines weiten Mantels über der schwarzen Kutie /usaninien. Der andre, nach links gekehrt, schaut doch mit lebhaftem Seitetiblick aus dem iiild heraus; er ist jung und hart- los, vollwangig und vollblütig dazu. Die Hände w^issen niclit /u bleiben und verraten so erst recht die Ungeschicklichkeiten, die wir sdiMii and( rwrit kennen: die breite Phalanx der Finger, die Starke des Daumens und andre Schwächen der Zeichnung, und /w.ir in einem Grade, dass man immer geneigt ist an Bescliädigung und Ueberschmierung zu denken. Besonders dieser letzte, etwas dick- nasige und grolsohrige Mönchstypus ist das unmittelbare Vorbild des Fra Filippo geworden, mit seinen Fehlern wie mit seiner Breite und Wucht, während wir beim Ersteren nicht zweifeln können, seine Gewandung mit der des Petrus und Johannes in der Almoseti^pende zu vergleichen, wenn auch lange noch nicht mit seinen Orden»« brüdem bd Petrus in Cathedra.

') H. 0,545 i^i- o»395- Holz. Kai.ilc)^' iler „Exhibiüon of Early ItalUn Art ic tbe Neur Galler}^ (Regent Street) Nr. 27. V^l. uiuere AbbUdnag.

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Predellen in Berun

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Drei andre Bruchstücke desselben Altarwerkes sind vor Jahren schon in der Sammlung des Marchese Gino Capponi zu Florenz von deutschen Forschem erkannt worden und seitdem 1880 in das Berliner Museum gewandert') Die Beschreibung Vasan's wurde zuerst von Adolf Bayersdorfer auf sie angewendet, und Wilhelm Bode hat zur Bestätigung ihrer- Echtheit den Vergleich mit den Fresken der Capp>clla Brancacci angerufen. Die Analogie in den Typen und im Stil der Figuren, in der Art der Beleuchtung und der Komposition ermöglichte schon damals den Nachweis, das Pisaner Altarwerk müsse den letzten Jahren Masaccios angehören. Xun, da wir die Zalil:inL:st(^rmine /wischen Juli und Deccmbcr 1426 kennen, bestätigt sich v^^erade für die Predelhni diese; Plinordnung durchaus, während die ILilbti^uren der A]>(>sLel, die wir soeben be- sprochen, den Zusammenhang mit der früheren Kunstweise des Malers deutlich machen.

Die Beschreibung Vasaris weist den drei Fragmenten genau ihre Stellen an: „sotto, nella prcdella, sono di figure piccole, storie della vita di quei Suiili (Petrus, Johannes Bapt, Julianus und Xicolaus) c nel niezzo i tre Magi che otfcriscono a Cristo," Die Bildchen in BerUn enthalten die Anbetung der Könige, das Martyrium des Petrus ttnd die Enthauptung des Tiiufcrs.

In beiden Legendenbildchen, <lie jetzt, nicht ohne erkennbares Zwischenglied, in einem Rahmen aneinander sitzen, ist die Beleuchtung scharf von der linken Seite her durchgeführt, gewifs im Anschluss an ihren ursprünglichen Stanilort in der Kapelle des Giuliano di Coline da S. Giusto.

Das Ende des Petrus wird „intcr duas metas" nach den An- gaben dargestellt, die uns in der Alirabilien Roms begegnen*); aber dit^se beitlen antiken Bauwerke sind nicht einmal so genau wie auf einer Predella des Jacopo da Casentino in den Uffizien gegeben, ermangeln der wichtigen Spitze und kissen dem Kerker mit ge- öffneter Tür die Hauptbreite des Hintergrundes übrig.

Hier wird der Apostel auf seinen eigenen Wunsch kopfüber ans Kreuz gebracht Einfach und entschlossen beschränkt sich der Vorgang auf die Hauptsache und läXst das Beiwerk um so eher fort, als die Schmalheit des AusTchnittes die gröfste Sparsamkeit gebot Mit den Füfiien schon am Kreuz befestigt hängt der alte Mann mit dem Scheitel auf den Boden stofsend am Holz, und zwei Knedite

•) Katalog Nr. 58 A u. 58 H. Hol^. 11. 0,21 JU. 0,61.

Vgl. Mirabilia Komae cd Giist. l''arthey, Bcrliu ibüy p. 2S, u. über die ikuuo- gxmphie der KmziguDg Petri: Stizygowski, CimaW und Rom, Wien 1S88 p. 76 ff, Sehnarsow, M««wekKStiidiea II, 6

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Martyrien des Petrus u. Joh. Bapt.

sind daboi aiirh bridc Händt- anzunageln, Befehlshaber utid Wacht- hauptmann stehen im cng-en Hof, eine Reihe von Sohiaten sperrt den Zuganjr y.m Rechten al), wo unser Blick auf Iv'ig-elige Gegend hinciusrdnveift und wieder inn<^ wird, dafs er dem Strom des links her einfallondcn Lichtes foli^t. ')

Ebenso kurz und bündig wird daneben die Enthauptung' d«>s Täufers vori^elührt, und zwar im entscheidenden Momente selbst. TJnks zur Seite des übererk ^esti Ilten Turmverh*ers<>s steht in prächtiger Kleidung mit llachem Hut der I>evollmächtigte des Vier- fOrsten und streckt die Hand aus zum JJefehl. Auf dies Zeichen schwingt der Scharfrichter, den wir neben ihm v<*m Rücken sehen, weit ausholend s(Mn Srhwert gegen Johannes. Dieser kniet auf der Schwelle, währenfl ein Krieger ihn beim Schi>])te tasst und mit dem Stiel seiner Streitaxt den Koj^t lu rnicdcrdriickt. Mit beiden 1 landen das Gesicht bedeckend erwartet er den Streich, wahrend zwei Soldaten zur Seite ihre roten Schilde vorhalten. Auch hier schliessen kalile Felsblöcke den Schauplatz der Richtstätte zur Rechten ab, aber tulilbar näher, zur Sonderung von dem Mittelbild der ganzen Predella.

Ausserordentlich charakteristisch für Masaccios Sinnesart ist die resolute Schlichtheit, mit der die beiden Gewaltakte ohne Ura- schweif und ohne gerührte Zu.schauer dastehen. Der Eindruck auf die Kriegfsknechte, die dazu befohlen sind, genügt ihm. Noch ein Jahrzehnt später sehen wir Masolino in seinen Wandgemälden von Castiglione d'Olona die eigentliche Katastrophe umgehen. Statt des Höhepunktes der Entscheidung giebt er einen Moment vofher und einen nachher, und bricht dem Ereignis dadurch die Spitze ab. Masaccios kleine PredellenstOckc geben die Hauptsache; sie sind voll Leben und Energie, in der Bewegung des Augenblicks er&sst, selbst die Röte des andringenden Blutes im Kopf des Petrus nicht vergessen, wie Vasari bei der Auffindung des Stater im ge- fangenen Fische hervorhebt, und der scharfe Gegensatz von Licht und Schatten in den Körperformen, die in eng anschliessender HflUe oder giar nackt auftreten, steigert noch die einschneidende Wirkung der sonst sehr hellgehaltenen Malerei.

Das wichtigste Stück bleibt tndefs die Anbetung der Könige, die sich in doppelter Breite entwickelt und unter dem Madonnenbilde gesessen hat.

'i i',s M-i auch hier auf die Vcrwaiultsi haft des Schlnfshild'^'i in der Brancaccikapelie hingewiesen, da» iretlicb ttlippino geniale, aber wol sicher nach einem Kntwart des UftMMcio telber, der d«m Besteller oder Katgeber im Klotter vorgelegt war, in Atifbif tieluwunen h»L

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Anbetung dkr Magier

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Links ragt das Strohdach der offenen Hatte herein; darunter stellt der Esel angebunden und lagert wiederkäuend das Rind, beide nach innen der Krippe zugewandt, während am Pfosten vorn der Sattel für das Grautier sich am Boden breitmacht. Noch unter der Dachlinie dieses Stalles sitzt auf einem Faltstul im Profil nadi rechts Maria, g-anz eingehüllt in ihren ^Tatitel und hält den Knaben auf ihrem Schofs. Das grofse Kind ist halb nackt, nur mit einem Tuch um den Leib bedeckt, und wendet sich lebhaft zu den Gästen, während Joseph, ein Weihgeschenk im Arm, gebeugten Hauptes bei Seite steht. Der älteste König, ein weissbärtiger Greis, hat sich entblößten Hauptes auf die Knie geworfen und berührt mit seinen Lippen das nackte I'üfschen des Knaben. Der zweite, ein Mann mit dunkelm Haar und Vollbart, erhebt in gleicher Andacht die ge- falteten Hände, noch in angemessener Entfernung von dem Ver- heifsenen, während sein Page hinter ihm die abgenommene Krone in den Händen hält und sinnend betrachtet oder nach Dienerart durch die Finger gleiten läfst; genug sich abkehrt. So schliefst sich fürs Au^^e sogleich der dritte König dem Zut»- der Handlung an, auf die os al)gcsehen ist. Ks ist ein bartloser Jüngling, der anbetend hervorschreitet, indem soin Käninierling schnell den goldnen Reif vom Selieitel hebt, hr hält die Mitte des I.ildes und bezeichnet den Höhepunkt der Hauptpersonen, deren tlreit'ach abgestufte Be- wegung scliräg, wie ein Keil, aus der Schciar der Uebrigen heraus- tritt. Unmittelbar an seiner Seite stehen - wie Vasari will, als Höf- linge gedacht, in der Tat als auserwälilte Zeugen, sehr bemerkbar im Vordergrund, zwei Männer, in der Tracht vornehmer Bürger aus den Tagen des Maler«?, ohne Zweifel »Ser (iiuliano da S, Giusto, der Besteller des Werkes, unil hc\n Vater Niccolino, bei aller Klein- heit doch Gestalten voll persönlichen (Tcbarens mit ganz individuellen Gesichtern. Das letzte \'ierte] dieser l^ildtläche ist wieder Neben- dingen (Miigeräumt, die zur Krklarung dienen, wie die Hütte drüben: Hier warten die reichgezäumten Rosse, von Reitknechten gehalten, in mannichiacher Stellung. zum Staunen Vasaris sclion so über- raschend lebendig, besonders das äusserste rechts, auf dem noch ein Trossbub sitzt, vornüber gebengt, im Begriff sich I'utter zu raufen oder aus einer Pfütze am Weg die Zunge zu netzen.

In der ganzen Breite des Bildes schliefst eine niedrige Hügel- kette am Rand der Strafsc den Mittelgrund, nur wenig höher als die Köpfe der stehenden Figuren vorn ; aber die Höhen selbst sind bis in weite Ferne mit hellem vSchimmer übergössen, als hätten die Reisenden noch gerade beim letzten Gruss der Abendsonne ihr Ziel erreicht Die Beleuchtung von links her giebt gerade diesem BUd-

e*

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Gentile da Fabriano

chcn trotz der hellen Malorei, in dor os aiiscTf^Tührt ist. oincii cij^en- tümlichcn Reiz, lind wenn wir die PhntciL^raphie zu llili<> nehmen, so kommt die ursprunvil'^ hr- Kraft dor I j'chtlührunir «-rstrecht wieder zum \'(irsch(>in. Sie brini^t auf dem schniaion Sfhauplat/ iler nied- rigen Staffel den Srhr-in einer l iefe und freien l^ntfaltutii,'- liervor, der weit mehr l'fMclUung' lurdt-rl als die WietliTgabe des Kin/ehien und die Beobaclilnni^ des Lebens bei Mensch und Tier. Die Slralen der sinkenden Sonne streifen über den Beden, sn dafs im l)unkelder Hütte der Esel durch Kellexe von unten behjuehlet wird, und dais die stellenden Figuren lant^c Schlagschatten hinter sieh werten. So l>lt if.t die heilige Familie an ihrer Zufluclitstatt in be.sclu'ideneni 1 )unkel gegenüber den voll und schart" < rhel]ten Verehrern, die in ihrem (tlanz sich demütig beugen, wie wirksam auch das (refolgc sich hinler ihnen breitet. Das aufgel«)ste Spiel der halbgebrochenen Streiflichter über Rosse und rrabant< n hin dur( hdrinul alle Hauptsachen des Vorgangs, der so wie aus märchenhaftem Dammerschein Gestalt gewinnt.

Diese kleine überraschende Epiphanie gehört zu den liebens- würdigsten Gedichten, die unw illkürlich die zarteste Em[)tindung des grossen Historienmalers offenbaren. Untl diesen frischen Tredellen- bildchen, in denen der junge Meis»ter nicht mehr durch Gc^Ulgrund und sonstige kirchliche Rücksichten gebunden war, verdanken wir auch ein unbewufstes liekenntnis, welche Vorbilder der i atehnalerei ihm damals no( h dem S( Impfer so grofsor hreskowerko sell)st - in die Augt-n sta( hen. r>esaisen wir das Hani)tstiick der Allartatel von Pisa, dann w ürde allerdings auch das Marit«!d)ild in der Milte wol als wichtige Urkundp .solcher Anregungen und Eindrücke da- stehn. Vasaris Beschreibung schon deutet dies an ; denn wer liest wol ohne X erwundern darüber hin; „zu den Füssen (Ut Madonna musicierende Engel, deren Einer aufhorchend dem Klang der eignen Laute prüfend folgt", mitten im .Spiel der andern ! Das ist neu im Sinne des Realismus der Florentiner, wie ein gemaltes Präludium zu reizenden Bildwerken eines Luca della Robbia; aber damals, in der Arnostadt und ihrem Kunstgebiet, wol eigentlich ohne Gleichen.') Wir müssen schon ins umbrische Land hinüberschweifen, um dieser Anordnung jubilierender Engel zu den Füssen Marias zu begegnen. Dort aber in der Heimat des Gentile da Fabriano und Ottaviano Nelli von Gubbio ist gerade diese Erfindung- der Ausdruck.

•) Vgl. aber in (\:\ .\ka'li: inii- zu Floren/, Nr. i (Ange)o Gaddi) Mad. del gijjlio mit nui-ir ierenden Enjjeln und anbetendt-n unteti hcimn. Nr. 129 (Nicc. di Pietro Gerini un<i C.owp.) Nr. 142 (Ignotu) Cb. h. Murrays» Meister, v. 25. Jan. 142c, KrOnung Marias mit masiderenden Engeln, der den selben Gegenstand 1439 mit „RosmIH Juopi Ftaixhi'^ beieicbnet hat.

i by CiOO

Masaccio und Gentile

der das sinnij:je? Gemüt des Volkes allein befriedigt, das natürliche Bild für die lyrische Stimmung ihrer Andacht. Ist es ein Hauch umbrischen I-'.nipfindens, der hier hereinw* ht T^ann hätten sich die Zeiten sehr geändert. Denn Allegretto Nuzi, den Fabriano etwa als Lehrer des Gentile aufzii\s eisen hätte, er ist nicht allein zünftig gewesen in Florenz, wo die Malermatrikel im Jahre 1346 seinen Xanien trägt, sondrrii cUK^h ganz Florentiner geworden im Bann- kreis eines Taddeo Gaddi und andrer Giottisten. Nun aber kommt Gentile da Fabriano als angesehener Maler, von Venedig und Brescia, vom Norden Italiens herein, wird 142 1 in die Lukasgilde aufge- nommen, weil er Aufträge ausführen will, im selben Jahre wie der zwan/iL'jährige Masaccio als Anfänger eintrat, lind die Wirkung seiner Kunst ist zweifellos zu spüren.') Im Jahre 1425 haben wir ÄlasoHno schon droben in ('astiglione d'(^lona zur Verherrlichung Marias so schlanke duftige (iehilde malen sehen, al.«^ seien die Ge- stalten nichts als schemenhafte Trailer lyrisrher Stimmuiii^^. als tauchten sie in biegsamer Gebjirde nur aul', um sc hwungvn]! und feierlich zu den Klangen der Urg» 1 ihre rhylhnn^« lie l'>eu cgung zu vollführen. In der Geburt des Chrislkindes, in der Anbetuiii^ der Kr^nige sahen wir nnahweislirh Kcminisceniicn an das Altarwerk des Gentüe da l'abrianii in l'lMn nz. •')

l'nd nun die Predella mit der Anbetung der Könige von ^las.it f ins Aliar in l'isa. Sie lässt Vf^lLiids keinen Zweifel, wiesehr die iKiniliche Darsti Iking des umbrischen Meisters, den Papst Martin von r.rescia konunen Hess, auch die Phantasie dieses Malers in Llorru/ ergriffen, wie wenig auch Masaccit> selbst den ))oetischen Kei/en, der intinun Beobachtung des I'ierlebens. den X'ersuchen ni.inlirnhafter Kontraste zwischen Daninierschein und Lichtglanz Ii viTN( hI'>ls. Das Altarwerk des fremtlen, von Oberitalien zu- gewanderten Malers trägt als V^illendungsd.ttum die jidireszalil 1423. Ein Vergleich seiner Epiplianie niii der Christnacht, der I-'lucht nach Aegypten und der Darbringung im Tempel an der Predella, niii I lalliliguren der Verkündigung und dem Antlitz des Welterlösers in Runden droben, mit zarten Blütenzweigen im Rahmen- werk, ist ebenso lehrreich für die fruchtbaren Beziehungen, wie für die Unterschiede persönlicher Eigenart und örtUcher Schultradition.

>) Er vollendet im Mmi 1425 du Altarwerk für die Quanitesi in S. NioGol6 oUr* Arno, von dem vier Einselfiguren in die UHizien gerettet sind, das Mittelstfick verloren

scheint. Es war ein Madonnenbild ycwifs nach umbiischcr Art, vielleicht der Anreiz för ili? Bi"s(eII«nß dfs GiuHann (?i Tdlinn bei Masaccio «u Anfang 14^6, oder oodl un» mittelb&rt-r nach Aufsleliung dts Bildes von Gentile. *) Vgl. Eistet Bndi S. 35.

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Das Jahr Mccccxxvi

Bei Masaccio, dessen Denken und SchatTrn ums Jahr t 126 mit soviel ernsten Aufgaben erfüllt war. tritt die Zartheit dos Sinnes gelegentlich mir einmal so g-lürklirh hervor Wenn aber der Zauber dos Lichtes in diesen Hildcheii von Pisa irgendwo vorbereitet war, so stellen die Schöpfungen (icntiles zunächst da. Dort freilich in der Sakristei von S. I rinitä, die der reiche Palla Strozzi ausgestattet, war das Schimmern von innen her, der durchsichtige Schatten der Nacht mit Hülfe des Goldgrundes errei( lit worden, Masaccio rechnet mit dem seitlich einfallenden Licht des Fensters in der Kapelle, ftir die er malt, selbst in Pisa draussen, und führt die Stralen der tiefstehenden Süiiiie von links her über die Landstrasse vorn und über die Huv,;« ]- kette im Hintergnmd, Das (redränge der Rosse, Sialikncciiie und zahlreichen Jag-dgenoshen zu Pferd und zu Fufse, mit dem (ientile die iiaiftc seines Bildes füllt, die Allotria vollends mit kleinen Jagd- leoparden und Affen im Sattel, mit Falken in der Luft unil gros.sen Hofhunden am Boden, diese L^eberfüUe ohne Platz und Sinn im Ganzen, schmilzt bei Masaccio von selbst zu einer NebengTu{)[Ki zusamtnen, deren Bedeutung ni( ht über dit^ Haupth.mdlung hinaus- wächst. Klarheit, Kinfachheit und lüitschiedcnheit zeichnen den Toskaner überall aus, in der Einzel^H^stalt ebenso, wie in der Hand- lung oder feierlichen Ceremonie. G( utile da Fabriano wird gewnfst haben, was er tat, als er den Wirkungskreis am Arno wietiei auf- gab und im selben Jahre, wo er die Tafel der Quaratesi für S. Niccolo vollendet, nach Siena weiterzog, und über Orvieto dann nach Rom zum Papste, der seiner begehrte. S. Giovanni in l^terano, mit seiner Fieberluft und seinem Modergeruch, bereitete diesem Triumphzug ein «dmelles Ende. Und als er noch im Jahre 1427 gestorben war, rief man Masaccio nach Rom, die begonnene Arbeit wdter zu führen; aber auch ihn noch raffte der Tod von S. Griovanni in Laterano hinweg.

Betrachten wir endlich das ganze Altarwerk, soweit wir uns noch heute sei es durch den Augenschein, sei es aus Vasaris Beschreibung oder aus historischen Erwägungen eine Ansicht daraber zu bilden vermögen, mit dem festen Datum der Abliefemngs- termine zwischen 24. Juli und tS. December 1426 in der Hand, so ist vor allen Dingen darauf hinzuweisen, dafs unter den erhaltenen Stücken die Halbliguren von Aposteln auf Goldgrund, vom oberen Teil des Aufbaues, ganz betrachtlich von den Piedellenbildcben ab- weichen, die vom Goldgrunde frei geworden, ohne Zweifel die letzte

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Das Jahr Mccccxxvi

Arbeit an dem Ganzen ausmachen. So bieten g^orad«- sie. wenn auch in kleinem Mafsst.ib, die Möglichkeit, den Stil des Malers in der zweiten Hälfte des Jahres 1426 zu charakterisieren und den Zu- sammenhang^ mit den Wand^^i niälden der Cappella Brancacci viel- leicht an einer bestimmten Stelle nachzuweisen.

Schon Bode hat bei einer Besprechung der Bildchen im Ber- Hner Museum darauf hingewiesen, dafs im Fresko mit der Auffindung des Stater im Maul des Fisches «die Gestalt des Fischers fast ganz dieselbe Person sei, die ach auf dem Martyrium des Johannes findet". *) Er meint den Torwächter von Kapernaum, der die Abgabe ver- langt, und den Henker, der vom Rücken gesehen den Schwert- streich fuhrt.

Wir würden jedoch dem Maler Unrecht tun, wollten wir nicht hervorheben, dafs er jede der beiden Gestalten genau für den Vorgang berechnet hat wie er sie brauchen will. Der Henker im Predellen- bildchen ist ganz in einheitlicher Tätijyrkeit, die beide Arme zugleich in Anspruch nimmt und den Kittel, dessen Saum zur Seite weht, beim Heben dr s Schwertes in die Höhe zog. Der Zolleinnehmer im Fresko der Brancaccikapell»* hat jono sprechende Doppelbewegung, bei der die Rechte begründet was die Linke fordert. Aber in den Boinon ist. trotz zwockontsprechender Verschiedenhoit, die Vcrwandt- .schaft auffa]l(Mid genuj^. und tjanz besonders in den Füfsen, deren Rechter t' st auftritt, wälirend der Link«- nur mit den Zeilen den Boden berührt. Das Heben der Ferse, im Zug des Srhwnnires dort, als Nachklang des Schrcitcns hior. ist beiden gemein, in beiden Fallen ein wirksames Mittel der Beleljung. eins von jenen be- gleitenden Merkzeichen des Verlaut(.s, die den zwingenden Anreiz für die Phantasie zur Weiterdicht inii^^ des Auy^enblirks nach vor- wärts oder rückwärts enthalten. Die Krtindung zweier .so über- zeugender (iestalten ist allerdings ein .schlagender Beweis für die Urheberschaft desselben Meisters sobald man die Zeit, in der sie entstanden, mit zu Rate zieht.

Der Kopf des Petrus auf dem Predellenstück hat bei aller Kleinheit des Mafsftabes doch unverkennbare Aehnlichkeit mit dem Petrus des Masaccio in den Fresken des Carniine, und zwar am meisten wol mit dem Apostelfürsten in Cathedra; dh. in einer Scene, bei deren Komposition für die Nähe des Altars zugleich die Rück- sicht auf das (jegenstück cfewaltet hat, nämlich die Kreuzigung gegenüber. Der freundliche Kopf des Petrus bei der wunderbaren Heilung durch den Schatten, im Fresko der Altarwand daneben,

*) GtMtte d«s Bewn-Arti i388. I. p. 474.

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Beziehung der Werke

kehrt dagegen in der Anbetung der Könige wieder: der gutmütige Pflegevater Joseph stimmt mit dem Apostel hier soweit überein wie die Haltung vornüber und din Beleuchtung von der T.inkcn her es ifgend erlaubten. Der geheilte Kranke mit dunkel m Haar und vollem Bart, der dankbar wieder aufrecht auf seinen Beinen steht, nachdcrn ihn Petrus soeben beschattet hat, er ist mit samt den ge- falteten Händen für den knieenden König verwertet, dessen fürst- liclie Tracht sonst der des TheophiUis im letzten Fresko gleicht. Und die beiden andern Köniqr kehren hinter IVtriis wieder, der lanirbärtige (ireis wie der bartlose Jflng-Hng", nur sind die beiden Typen als Mahner j^anz in l'rohl gestellt. Die allgemeiner gehaltenen Köpfe der Dienerschaft hier wie der Soldaten beim Martyrium des Apostels und der Enthau])tung des läufers entsprechen natürlich am meisten den Neben fi'jnrrn gleicher Art. wie den Jünglingen b"i der Taufe oder den Jüngern i diristu'«; in der Brancaccikap;!!'-. Ueberall, auch bt-i dem Bilduis.se dt-s Siitters (jriuliano di Colino, fällt die ^deiche Bildunsjf der unteren üesichlshälfte mit dem scharfen Kinn und den zugespitzten Lippen auf, die wir bei Johannes in der Almosenspende, wie in der Apostelschaar sonst hervorgehoben. Die beiden Stifterporträts aus Pisa erinnern ebonso in ihrer Behandlung an das knieende Paar in S. M. Novella, wo die biblischen wie die göttlichen Personen des Hauptbildcs wieder mancherlei reb(>rein- stimmung mit den Predellen des Altarwerkcs erkennen ku»sen.

Wenn hier in strenger architektoiiischfT Umrahmung an Maria und joliannes unter dem Kreuz die minder gro.ssc Breite der Draperie auffiel, und im Vergleich zu d«m Betern draufsen der feiner geschlängcltc Faltcnzug, dann dürfen wir uns nicht wundern, an den winzigen P'igurcn des Epiphanienbildes von 1426 diese kleinere Behandlung und verwickelterc Durchführung an einzelnen Beispielen erstrecht zu beobachten. Der Mantel Marias in S. M. Novella und der des Petrus in der Schattenheilung gehören so eng zusammeo. wie der XJeberwurf des Johannes unter dem Kreuz mit dem Josephs bei der Anbetung der Könige. Hier aber hat die Gewandung der jungen Mutter mit dem Christusicind auf dem Schofs ebenso wie der greise König zu ihren Ftirsen unzweifelhaft die Vorliebe des Gentile da Falsriano für schwungvolle Bogenlinien angenommen, die allerdings einem Gotiker wie Lorenzo Ghiberti auch in Florenz nicht fremd geworden war.

Cranz besonders endlich wird der Einfluss des kleinen Mafsdabes der Pisaner Predellen bemerkbar, wenn wir unter der Kleidung die Gliedmalsen der Figuren betrachten. Da sind dann allerdings der oben erwähnte Henker, der Johannes enthauptet, wie die beideo

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Im Fortschritt des Meisters

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kühn verkürzten Burschen, die Petrus kreuzigen, in ihrem drallen KostQm ebenso vollgültige Zeugnisse sicherer Kruft, wie der nackte Ffetrus selber. Aber durch diese Ausnahmen wird der Durchschnitt sonst noch fühlbarer. Die dünnen Beine mit cckij;en Knieen, die schmalen Füfsc mit langen Spitzen befremden vielbtdit am meisten, wenn man die Freskomalerei im Carmine dagegen halt. Dafs die Arme etwas kurz geraten, etwas eckig gebogen oder steif gestreckt sind, daran sind wir mittlerweile gewöhnt, wie an die kli ineti sum- marisch behandelten Hände. Die Zeichnung- der P.cine jedoch, "hno An- deutung der Kniescheiben und der Knöchel beharrt, auch als Neben- sache genommen, gar seltsam in der Gewohnheit der Trecentisten. Bei Fra Giovanni da Ficsolc und Don Lorenzo Monaco erwarten wir sie nicht anders, bei Masaccio wol, und es bedarf der schlagenden Beispiele seiner Bravour in dem nackten Petrus und d(^r sehnigen Henker der zugehörigen Bildchen, um auch in diesem Unterschied nur die Kennzeichen einer und dersf»Uipn schnell fortschreitenden Entwirkhmg zu erkennen. D is Auftreten freilich ist bei allen schon mit Si( horli« it gegeben, aber die übermässige Schlankheit und die feinknochige Magerkeit auf dem Mittelstück der Predella hat höchstens im gekreuzigten Christus von S, M. Novella ihres Gleichen. Wie stark jedoch ist das Erbte il der ( linttistenschiilung in den Figuren der Wochnnstubo auf dem Kiiii(11)il(le zu Herlin! Solbst in der Brancaccikapellc fehlt indos ni( lit ein bolohrondos Stiu k: dio /u- sammengekauerte, külin vcrkür/.te Gestalt des 1 'ctrus* beim l isrh- fang, links im Mittel^Tuiul»^ des grofsen Rreitlnldes. Hier stinnnt. unter alinlu-bon Jiedingungoii , alles überein, bis 7U der hölzernen Form und Stellung der lixtrcmitäten, begrcitiich genug weshalb.

Die Heilung des besessenen Knaben

Mr. Leon S( in/do. Brüssel )

So mannichtacli also die Hf/iehungen der Pisancr Predellen- .stücke zu den Fresken im Carmino sein mögen, so weist doch die älinliche Verbindung mit dem Dreifaltigkritsbikle von S. M. Novella schon über den Umkreis der Cappella Hranrarri hinaus. Und ge- rade die Gegensätze zwischen schlanker Zicrliehki it und wuchtiger Breite, welche die Bildchen in Berlin noch bewahren gleicliw io der Wandgemälde der grors(^n Klosterkirche /.u Florenz, sie verlangen nach einer verständlichen Erklärung, die den Meisterwerken jenes Hauptcyklus, dem unbezweifelten FJgentuin Masaccios, nicht voll- ständig scheint es, entnommen werden kann.

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Ein Probbstock

Diese befremdciido i^igctischaft haben nun dir Pisaner Bild« lifii von 1426 noch mit cinom andorn IVobcstück der Kunst Masaccios pfemein, das bei Vasari austührlich beschrieben wird, b<"i seinen Bi(>i»Taph(Mi alxT für verschollen j^ilt. „Er war ausserordentlich cifriy in der Ausarbcilung der T^erspektive. erzählt Vasari, und in der Bewältigung- ihrer Schwierigkeiten kunstreich und wunderbar. Dcis sieht man an einer von seinen historischen T )arstelhiniTpn in kleint n Figuren, die sich heute im Hause des Kidolfo del Ghirlanüajo be- findet. Darin sind aussei C hnstus der den Besessenen heilt, sehr schone Baulichkeiten in Perspektive aufgtTissen, und zwar so, dass sie zugleich da.s Innere wi<> das Aeulserc zuigen, weil er ihre An- sicht nicht von vorn, sondern der grösseren Schwierigkeit wegen übereck genommen hatte."

Durch Vermittlung unsros unvertrelslichen Nestors, Karl Kduanl von Piphart, sah ich zu ^Vnfang d(T achtziger Jahre') beim Cav. Dufour-Berte ein dem Sammler William Spence in Fiesole gehöriges Bild, das mit diesen Angaben Vasaris der I lauptsacho nach so über- raschend zusammenstimmt, dals kleine Abweichungen dagegen nicht entscheidend ins (tewicht fallen und ebensowenig einen Zweifel an der Identität des Stückes aus Casa Ridolfo (ihirlandajo begründen können wie ähnliche Ungenauigkeiten in der Beschreibung^ der Wandgemälde, die Vasari aus dem Gedächtnis hinwirft. Ganz neuer* dings ist dieses Bild aus Florenz nadi Brüssel gewandert, wo ich es im Besitz- des Herrn L£on Somz^ wieder gesehen habe.

Man blickt in eine nach allen Seiten offene, dreischiffige Halle, die wie ein Ausschnitt aus einer Basilika erscheint, und zwar von der vorderen Aufsenecke des linken Seitenschiffes aus, so dass die diagonal gegenüber liegende innere Ecke des rechtwinkligen Bau- werks in die Mitte der Bildfläche fällt

Die Verschwindungspunkte der zusammenfliehenden Linien för beide Außenseiten der Basilika liegen links und rechts etwa um die halbe Breite der Bildfläche ausserhalb derselben. Durch die hohen Pfeilerarkaden sieht man in das Innere, bb unter die Sparren des Dachstules, und zwar öffnet sich, an der Frontseite rechts, der

*} Seitdem spielt ei in mdncii Semiiwrflbaiigea adtoii i& GOttiogen die Rolle, die ihm cebObrt. K. v. Upiiut htnh eine Pliotosnipliie, luidi der eine DwdixekJuMiic

und Vergrösscning für iinsre Rq>roduktioa YOtt Dr. A. Winkler gefertigt wurde. Iba verdankt jt-denfalk auch Bodo die Kcnntnif des Bilde«;, der in der Gaz. d. Beaux-Arts l8»8, a. a. ü. kurz «iaraul hindeutet, ohne über die Echtheit entscheiden zu wollen. Das Stück ist, wie die Heiligenscheine mit dem Zeichen S. Bernordins beweisen, «dut im 15. Jalirlniadert flbemnit. Mr. SomtAe bei mir ^ne ntnt AnAehme Hbr di« BfMt Imtioii dieMr Stadien mgeeegt.

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Die Hsilukg i>ss Besessenen

Schlufsbogen des linken Seitenschiffes, der breite Triumphbogen des Mittelschiffes, und die Hälfie des entsprechenden Abschlusses vom rechten SritenscliifF, in dessen Dachschräge eine Fensterrose ein- schneidet. Das Mittelschiff hat einige Aehnlichkeit mit dem Innern der alten Peterskirche in Rom. An den Langseiten zeigt sich zwischen gegliederten Eckpfeilern je zwei starke Säulen, darüber ein hohes gerades (lebälk durch drt^ifache Simsftreifcn geteilt, darauf die Oberm.'iuer. den Trägern unten entsprechend durch vortretende Piiaster unterbrochen, mit je einer rechteckig einj^erahintcn l'cnstcr- öffnung, breiter als hoch, in .sf)](^bom Abteil, und oben mit ver- kröpftem TIauptgesims umzo^r^i, auf d<Mn die (Juerbalken des offenen Dachstules ruhen. Die Seitenschiife haben an den 1 ..intrseiten je drei Arkaden von schlanken Pfeilern tiebilck^t. \-<>n deren Kampfern Piiaster über die Scheitelhöhe der Bo^^-en hinaufsteiLr«'e das Dach- gesims durchbrechen und in fialenartige Postamente ausgehen, hinter denen die Sparren des Daches aufstofsen. Durch die offenen Rück- seiten der Basilika sieht man auf heuachb.irte Häuser, rechts im Hinter- pnmde sogar in Strafsenpri>spekte hinaus. Deshalb redet Vasari von ^Casamenti' statt von einem Hauptgebäude, das den eigent- lichen Schanplat/. liildet.

Vor dem linken Pfeiler des Triumphboi^-etis vollzieht sich die Scene, die Vasari als „Heilung des Besessenen durch C'hristus" be- zeichnen mochte. Hier steht auf dem Estrich der Basilika, der durch Stufen über den Jiodi n <kT Strafse erhöht ist, Jesus von einigen Jüngern im Halbkreis unii^eben, und erhebt die Rechte zu einem Machtgebot gegen einen nackten jungling, der draufsen vor den .^Lufen in andächtiger KrwarLuag bei einem Kinde kniet, das rück- lings wie tot oder in Krämpfen an der Erde liegt. Bei dem Jüng- ling könnte man zunächst vermuten, dafs wir es mit einem Aus- fatzigen zu tun haben, der in einiger Entfernung verharrt. Aber mit dem bekleideten Knaben am Boden, auf den sich die segnende Gebärde des Herrn bezieht, kommen wir zu der Erzälilung des Evangeliums, die Vasari meint, Matthäus XVII, v. 14 ff. zurück: „Und da sie zu dem Volke kamen, trat zu ihm ein Mensch und fiel ihm zu "iFfl&en, und sprach: Herr erbarme dich über meinen Sohn, denn er ist mondsflchtig, und hat ein schweres Leiden, er fällt oft ins Feuer und oft ins Wasser. Ich habe ihn zu deinen Jüngern gebracht, und sie konnten ihm nicht helfen

') ..Acccssit ad eum homo fjenihti? provolutiis arte cum, diren^. Domiiic niisprpre tilio meo, quia luna(icus est et male palitur: nani »^aepc cadil , . . Kcspnndcns Jesus ait : ... Afierte huc Ulum ad me. Et iocrepavil illum Jesus et exiil ab eo daemoniumi

et camw aft pmor IBa hon.**

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Zusammenhang der Studie

Hinter dem vordcrslen Eckpfeiler des Seitenschiffes scheint noch ein andrer Unglücklicher daher zu kommen, (ier Heilung ver- langt; denn die nackton Beine treten unsicher auf, die Arme heben sich wie willonlos in RcfloxbcwcjCT.mg', als litte er am Veitstanz. Und scheuen Blickes sieht er sich nach einer (iruppo von Männern um, als gälte CS an diesen Pharisäern und Schrift^elehrten unbe- merkt vorü1>f rxuschlei( hen zu dem Rabbi, der allein helfen kann. Durch eine wirksam absrhlicfscnde Gcwandfii^"ur, mit Kajni/c über dem Kopf, vom Kiu ki n gesolu n, sondern sich diese vor ib r Mittel- arkade links, wo baniL;e (irois(> bemüht sind, einem vrrbeujjten Aoltesten di'^ Stuten luTab/uliollen. Kerlits dagegen unter den Saul» II s( li( int Petrus mit Christus im (iesprache zu stehen, ja so- eijen iui I'o^riff auf den Wink des Meisters davon /u ^ehen, wahrend andere Gruppen hur und da in der Halle verteilt sind, das Bild eines öffentliehen Versammln ng.'iortes 7.n beleben, den der Maler nach antikcTi Kcminiscenzen oder Ruinen des christlichen Korn wiedca" aufzurichi« n versucht hat.

Der iJurehblick durch die Halle und die I iewältigun^ por.sjx k- ttvischer Schwierigkeiten, bei denen es durchaus nicht ohne Irrtumor im Einzelnen und Verwirruntr in den durchkreuzenden Linien des Aufrisses abcf-ei^aniren ist, bclialton für den Lindruek des Bildes das Uf'bor^cwicht, das sie in der Arl)e!t des Zeichners lieansprucht. Die l'iyuren sollen in richtigem \'erhaltniss zu diesem Schauplatz er- scheinen; sio sind deshalb in * inetn so kleinen Mafsftab gegeben, dass sie fast nur wicSiaffagi wirken. Aber sie sind mit Ausnahme des betenden Jünglings vorn, der nur mit einem Schurz bekleidet ist, und des Kranken im Hemd, allesamt in weite Gewänder gehüllt mit der deutlichen Absicht auf malerische Breite. Auch darin er- kennen wir den Charakter des Experimentes bis hinein in unvollendete und aufgegebene Partieen des Hintergrundes und Andeutungen roannichfaltigen Nebenwerks in den Prospekten.

So angesehen, als Probestück, behalt das Bild auch in seinen jetzigen vielfach entstellten Zustand, der ein sicheres Urteil kaum mehr ermöglicht, doch als Urkunde für die Entwicklung der Malerei zu Anfang des Quattrocento eine gewisse Wichtigkeit Unverkemi- bar ist dieser Versuch durch die neuen Grundsätze des Fiüppo Brunelleschi angeregt. Die Architekturformen sind noch tkbennSssg schlank und schwank; aber so bleiben sie bdi Ghilierti, wo er auf seinen Bronzetüren antike Hallen nachahmt, immerdar. Darin ver- rät sich auch hier die Erbschaft des Trecento, dessen gotiadie Bildung doch entschieden abgelehnt wird. So sehr jedoch der Obergaden des Mittelschiffes schon an Bauten S. Lorenzo e^

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Am Wendefunkt des Strebens

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innert, oder gar auf Fra Filippos Vcrkimdigungsbild in dieser Kirche wiederkehrt, ja dem Paläste des Theophilus in der Auferweckung" des Knaben von Masaccio nicht fern steht, so vielfach sind die Be- fangenheiten der bisherigen Raumdarstellung aus der Schule der Trecentisten, wie Aiig* l( < (jaddi und Spinello Aretino, dem Gelingen des Neuen noch hinderlich.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Komposition und der Gestaltenbildung im Einzelnen. Manches findet in Reliefgebilden Ghibertis schon eher seines (ileichen als in Gemälden jener Zeit, deren Gestrecktheit der Proportion, deren willkürliches Geschlängel der Draperie bereits vermieden wird. Wir empfangen auch hier den Eindruck einer Uebergangsleistung, einer Studie für allerlei Probleme, aber zugleich die Ucberzeugung, dass sie einem begabten Künstler angehört, der aus crlornter Srluiltradilimi herausgewachsen mit schnellen Schritten ;'!ir F-roberung eines neuen .Stand])unkts vorwärts dringt. Jeder Schritt bedeutet einen Zuwaclis sei m s eignen K'Vnnens, jede klHne Gruppe, an ihrer Stelle im Räume hingesetzt, einen l^rt'nlg auf dieser Bahn, selbst wenn ebendadurch, auch in flüchtiger Ausführung schon, Uugleichmässigkeiten entstehen, die unvermittelt bleiben, und deshalb verbieten, die let/te Il.infl daran zu legen, imi schliefslich ein dan/es zu errciclien. Gerade deshalb erscheint es völlig ausgeschlossen, angesichts dieser Tafel an eine truglichc Nachahmung oder an das misratene Machwerk eines Nach- folgers zu denken. Darüber kann au( h der traurige Zustand der Tafel nicht irre machen, der immerhin doch erkennh.ir ltdst, dals die ursprünglichen Eigentümlichkeiten der Technik \ <illke>nimen mit der Datierung und Zuschreibung übercintreffen. Das (Tan/e w.ir so nur in jener Entwickelung.sphasc der florentiiiisthcn Kunst möglich, wo die Malerei durch Masaccios und Uccellos Bemühungen im Sinne Brunelle.schis aus der kindliehen Andeutung der Oertlichkeit zur persjif*ktivi.schen Konstruktion d' s .Seiuiuiilat/es wie /um rieluigen Verhältnis zwischen Architektur und Menschen gelangte. Aber auch in dieser Reihe erscheint es als ein Versuch, der als Bild nie völlig ausgeführt sein dürfte.

Fragen wir bei der auffallenden Verbindung der beiden fein- knochigen Gestalten mit etwas hölzernen GliedmaTsen und der vielen untersetzten Gewandfiguren von malerischer Breite nach einer ge- naueren Beatimmung senier Entstehungszdt, so leuchtet auch hier die mannichfaltigate Beziehung des Bildes zu den Meisterwerken der Brancacdkapelle, wie zum Fre^o in S. M. Novella ebenso ein wie zu den Tafeln vom Altarwerk aus Pisa und zum Geburtstagsteller in Berlin. Nichts aber dOrfte einen festeren Anhaltspunkt im Schaffen

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KlNREIHUNG DES GEGENSTANDES

Masaccios gewähren als der Gregenstand der DarsteUung selbst, den wir vor uns haben. Jl Cristo che libera lo indimoniato" sagt Vasaii; die Geschichte vom besessenen Knaben steht im Evaogefittm des Matthäus (XVII. 14) unmittelbar hinter der Verklärung Christi auf Tabor. Deshalb hat Rafael den vergeblichen Versuch der }<taiger den bösen Geist zu bannen mit der Darstellung der Transfiguratioa auf einem Bilde vereinigt. Und auf die Austreibung des Dämons durch den Machtspriu I1 des Meisters selbst folgt unmittelbar die Geschichte mit dem Zoligroschen zu Kapemaum, die Masacdo so ausf)&hr1ich auf dem grofsen Breitbikle der Cappella Brancacci er- zählt Das heifst der (legenstaTid dieses perspektivischen P*robe- Stückes gehört mitten hinein in die biblische Erzählung, aus der die Momente zum 1-eben des Apostels P(?trus für den Freskensdunudi der Kapelle ausgelesen wurden. Die Wahl gerade dieses sonst nicht geläufigen Vorgangs föhrt uns mitten hinein in die gästige Beschäftigung des Malers, in die Periode seiner Laufbahn, wo et mit den Vorarbeiten für die Wandgemälde beschäftigt war.

Und schlagen wir das Kapitel der Legenda aurea „De sancto Petro apostolo" auf, so beginnt jene Aufzählung des Paneg}ririi> die noch he^iitc wio eine R(^iho von Titidi aus dem Tj'bcr Clt-int-ntis hervorklingt: ,Jiic su|W niaro ad dominum ambulavit, in d<*m:r.i transfigurationo et pufUac susritatione a doniin«) olcrtuK fuit, statoreni in ovo pisfis invenit, clavr-s regni caolorum a domino accepit etc." Die Kleingläubigkeit beim dang über das Wasser zu Christus ,il tempestoso naufragio degli apostoli", wie Vasari sicli ausdrückt, war in einem Bogenfelde der Brancarcikappelle geschildert. Wie nun, wenn die folgende Rcilic darunter, die aucli die Hildflächc des Ein- gangsbogens einbc/iehon konntr. tiu* die Verklärung auf Tabor u.s. w bis zur Findung dos .Statcr und Junsot/.ung des S- hlüsspl.imtcs Ix- stimnU war, wie wir schon angesichts des grf)isen dreitcillö^pn Breitbildes mit Christus unter den Jüngern in der Mitte vermutet hatten, dh. für uns hier, wenn die Transfiguration für die Leibung des Eingangsbogens in Auslieht genommen war, für die Stelle also, wo sich jetzt die Vertreibung aus dem Paradiese befindet?

Dann hätten wir ja wol den nächsten Punkt gefunden, wo Masa( ( io sich im Anschluss an 6u' Verklänmg auf Tabc^r auch mit der Heilung des mondsüchtigen Knaben zu beschäftigen \'(ranlassung hatte. In der J at erscheint das Gespräch zwischen Christus und dem Apostel rechts in unscrni Bilde, wo der Meister ruhig steht der Jünger schon ausfchreitet /um (ichen, wie jener Moment, wo Petrus von der Forderung des Steucroiruiehmers berichtet und den Auftrag empfängt, die Münze aus dem Pischniaule zu holen, hitr

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Verknüpfung mit der Frühzeit

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noch ia genauerem AnscMuss an die Worte der Schrift» von denen das grofse Fresko so bezeichnend abweicht.

Und ausserdem, der Christus in jenem Meisterwerk ist noch icenntlich als hervorgewachsen aus dem Aristo che libera lo in- demoniato'*, der Hauptperson dieser Jstoria di figure piccole in casa Ridolfo del Ghirlandajo'', wie die kleine Schaar der Apostel ^ hier schon deutlich genug, wenn auch in unentwickeltem Zustand noch, die berühmte Reihe von Gottesmännem auf dem Fresko der Brancaccikapelle vorbildet Nehmen wir dann Maria und Johannes unter dem Kreuz in S. M. Novella und die vier kleinen Heiligen vom Altarwerk für Pisa (bei Charles Butler, £sq.) hinzu, so er- klären sich die Gewandfiguren hier, wie der vorderste Kapuzenträger links, der das traditionelle Kostüm der Boccaccio-Porträts zeigt, eben- so wie der tänzelnde Kranke im ITrmd und der knieende Jüngling^ dessen Nacktheit wol ganz ein Belieben Masaccios ist, aus den ver- wandten Erscheinungen der Enthauptung Johannes des Täufers in Berlin oder der Taufe des Petrus im Carmine.

Vergleiclit man endlich die Häuser und sonstigen Architektur- kouUssen auf diesen anerkannten Bildern Masaccios, den Kerker des Johannes und des Petrus zwischen den winzigen kleinen Pyramiden auf der Pisaner Predella, oder das Wäclitr rhaus am Tor von Kaper- naum, sowie die Strafsenprospekte in Cappe lla Brancacci, so wird man inne, wie wenig noch die Auffassung der Bauformen und ihres Ver- hältnisses zur Menschengestalt von dem mangelhaften Probestück hier abweicht, wird al)or ebenso bestimmt erkennen, dafs das Rund- bildchon mit den (iratulanten der Wöchnerin auf dem flüchtig ge- malten Desco da j)arto, gleich wie jene Strassonprospoktp der Al- mosenspende und Schattenheil unv^-, und vollends das Heiligtum der Dreifaltigkeit in S. M. Novi'lla die letzte Meisterschaft in solchen Dingen bezeichnen, zu der Aliisaceio erst am i-.tKlc seiner Laufbahn gelangt ist. Die volle Erklärun^»^ für die Alisicliien, die unser un- vollendetes, zur eignen I^ebiinv^' im Anselilufs an die Darstellungen der Petruslegcnde entworfenes Historienbild, mit kleinen Figuren in der weiten Basilika, an der angewiesenen Stelle bestimmt haben, das praktische Verständnis des Ilauptpmblems, das sich dem Maler im Verfolg seiner Arbeit aufdrängte, dazu finden wir den Seiuussel erst beim Pförtner des Klosters, am lüide jener Procession der Sagra del Carmine: „avendo sa])üLn nieltere tanto bonc in sul piano di quell a piazza l'ordinanza di quelle genti. ehe vanno diminuendo con prDporziene e giudizio secondo la \eduta dell' occhio, che e proprio una moraviglia", dh. hier die vollendete Lösung, „un artificio a ogni intendente", und die Vorbereitungen drinnen in der Kapelle

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Masaccio oder Masouno

selbst, in der HfiluriLi; des Lahmen ;tn der Pforte des Tempels und der Auferwerkimsr der rcd)itha iiiil dcrn froien Platz in der Mitte und der Strafsenflucht links und rec hts im iiintergrund, dh, in einem Wandgemälde, das Vasari dem Alasulino zuteilt.

Das heifst, wir werden an dem Ausgangspunkt unserer Be- trachtung, an derselben Stelle, wo sich die Vertreibung aus dem Paradiese dem Sündenfall gegenüber befindet, und schon die Frag"c aufdrängt: „wie kommen diese Darstellungen in das Petrusheilig- tiim?" " auf die Streitfrage über den Anteil des Masaccio und Masolino an diesem liildcrcyklus, und damit auf die früheren Jahre Masaccios zurückgewiesen» deren Erörterung der folgenden Studie überlassen bleibt.

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Lieferung IL

Verzeichnis der Tafeln

I.

BMiifiMCi«K*p«1le Floieos CAimlne.

Obere Reihe.

1) Die Geschichte vorn Zoll^rnschen.

2) Die Vertreibung aus ileni Paradiese.

!) tII^I*' } " ^^^^

Untere Reihe.

5) Almosenspende I , ,

„' ^ , ... 1 an der Altarwand.

b) Schatleuhtilung I

7) a. Petrus in Cathedra

b. und ErwcckuDg des Knaben.

n.

Bintelarbeiten

:iu verschiedenen Orten.

8) La Sagra del Cariiiine, Skitte von Dom« Oürlandajo. (Ufüzien).

9) Deaoo da parto, Beriin. K. Muieeik.

10) S. Andreas, (Wien) i

11) Vier Heilige (England^ 1

12) Martyrium des Petrus ' Altarwerk

n Jobaooei i von Pisa des Tlafers (Berlin) I IB) Anbetung der Magier 14) Heilung des Bt-bC^seripn, Brüssel, bei Mr. Somsie (nach Zeicboung.)

HL

Altetwetk an« 8. M. Mnggiora in Ron

(Beilage am Liefenu« III) 16) Cruci6xus mit Maria vnd Joliannea

(Rom, Vaticana.)

16) HimnK'll.ihrt Miirins ^Neapel

17) Gründung von S. M. Maggiore /Museo,

18) BesUttung Marias (Rom, Vaticana.)

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SCHMARSOW

MASACCIO-STUDIEN

DRITTES BÜCH

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MASACCIO

STUDIEN

VON

AUGUST SCHMARSOW

m

MASOLINO ODER MASACCIO ?

(MIT 13 LICHTDRUCKEN)

1898

T IL Q. Fisher & Co. KASSEL

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HÄSOLINO ODER USÄCGIO?

DIE STREITFRAGE

IN DER

CAPPELLA BRANCACa ZU FLORENZ

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Inhalt

Seile

L Cappella Brancaaä in S. M. del Cvmine i 16

n. Die erste Gruppe der erhalteneii Wandgemllde 17 64

f Heilung des lernen 17 ao

\ Erweckung Tabithas 20— 25

Das Doppelbild als Ganzes 35 31

a) Der SQndenfall 3^—39

Petras und PmiIos an Cappella SemgU 39—40

GemeinMine Eigemdiaftett der WudUlder rediU 4>— 43

Dm Tafdbild in der Akademie 43—5»

3} Die Predigt des PMiw 50— S3

Beiidittiig^ «n anden Arbeiten (Frai^mente in Piia» Wien und firanaftiiidiein

Piifaibciita) S3— SS

Das Fiasko In EmpoU 56—60

Bitebnina 61 64

UL SensUfe TafeUrfUat 65—88

Zwei Madonnen 65—74

Cappeüetta in S. M. M^gfm« an Rom 74—^9

-M-

Druck von L. Döli in Cassel.

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^ MASÜLINO ODER MASACCIO

m

^ CAPPELLA BI\ANCACCI |^

nsere Auf^-abe, die strittigen Wainlyeni.Udo der Brancacci-Ka-

pelle in S.Maria del Carmine zu I'lorenz zwisehcMi den Meistern zu verteilen, die nach zuverlässiger Ueberlieferung darin gemalt haben, fürt uns zurück in den alten Ikicksteinbau der Kirche, von dem im Neubau nach dem grossen Brande von 1771 nur noch wenig Bestandteile vorhanden sind, zurück jedenfalls zur Einweihung am 19. April 1422, deren Andenken durch Masaccios berühmtes Fresko im Klosterhof noch während zweier Jahrhunderte lebendig blieb, d. h. in jene Tage, wo in Florenx zwei Maler namens Tommaso oder in üblidier Abkflfzung Maso neben einander wirkten, so dass man, bequemer Unterschddung zuliebe, sie nach augenfälligen Merkmal^ ihrer Person als Mast^no und Masaccio^ d. h. den kleinen und den grossen Toms bezeichnete.

Die Kapelle der Brancacci, um die es sich handelt, war bei jenem Brande verschont geblieben. Noch kurz vor diesem furcht- baren Ereignis, das ein reidi geschmücktes Denkmal zerstört und damit den Einblick in die Kunstgeschichte des Uebergangs vom vierzehnten ins fünfeehnte Jahrhundert so viel&ch erschwert hat, be- richtet Richa im zwdten Teil seiner »Notizie Istoriche delle Chiese Fiorentinec (X, 17 ff.) 1752: Wappenschilder der Brancacci im Mauerwerk ebenso wie schriftliche Nachrichten bezeugten, dass der linke Kreuzarm der Kirche von ihnen gestiftet sei| wahrend am Glockenturm das Wappen der Alberti den Anteil dieser alten, seit 1387 verbannten, Familie kenntlich mache. Den Kopf des linken Kreuzarros vom Hochaltar aus gegen das Kloster und wdter gegen Porta S. Frediano zu, bildet eben die vielgenannte Brancacci-Kapelle. Schm«r«ow, ÜMMdo-Studien ni. 1

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Cafpelia Brancacci

Ihr gegenüber lag die > Cappella Crocifissino«, so genannt nach dem »Crocifisso della Prowidenza« oder »deir Alberto Bianco<, das 1636 dann in die Cappella Fcrrucci, neben dem Hochaltar links, übertragen ward, nur einen halben Braccio hoch, wie Richa an- giebt »stampato in sula carta.« Diese Kapelle gehörte ursprünglich den Soderini, kam dann aber in den Besitz der Serragli, als diese Familie ihr Patronatsrccht am Chore, der 1318 noch den Nerli ge- hört hatte, den Soderini überliessen, um dagegen diese Kapelle in der Kirche selbst und die der hl. J.ucia in der Sakristei einzutauschen. Schon vor diesem Bcsitzwechsel hatten die Scrragh die Ausstattung des Chores, dessen Schranken inmitten der Kirche bis 1-6S standen, mit Ausname nur des steinernen, von den Martellini errichteten Eingangsbogens, als Denkmal ihrer Frömmigkeit hinterlassen. Die Balkendecke des Chores liess Andrea Corsini, Bischof von Fiesole, herstellen, wie zwei Inschriften von 1365 und 1360 besagten.

Die Wände der Chorkapelle wurden dann, im Auttrag der Soderini*) von Angiolo Gaddi mit dem Marienleben geschmückt das allerdings nicht den Erwartungen entsprach, die man von ihm hegte. Die einzige Darstellung, die Vasari darin lobenswert findet und beschreibt, ist ein Genrebild, das ausserordentlich bestimmt schon die Richtung der Uebergangsperiodc bezeichnet: Maria als junges Mädchen bei der Handarbeit mit zalreichen Gefärtinnen: »in una stanza sono molte fanciuUe che, come hanno diversi gli abiti e l'acconciature del capo, secondo che cra diverso l'uso di que'iempi, cosi fanno diversi esercizj; questa hla, quella cuce, queH'allra incanna, una tesse, e altre altri lavori, assai bene da Angcio considerati e condotti«.

Etwas früher schon war für die Ausmalung der Kapelle neben dem Hochaltar gesorgt, die den Alaiu tti gehörte-). Am 30. Oktober 1350, wie schon am 28. September 1348, hatte Vanni Manetti in seinem TcbUmciU bestininii, cLiss die Kapelle Johannes des Täufers, die er im Carmine errichtet, so schön wie möglich ausgemalt, ge- schmückt und ausgestattet werde. Vasari schreibt diese Wand- gemälde, von denen noch einzelne abgenommene Ueberreste in Liverpool, London und Pisa vorhanden sind *), dem Griotto selber zu. Aber die erhaltenen Fragmente wie das Datum des Testaments von

Im Chor befind ikb andi das Gmb des Nkeol6 Geri Soderini f 13B1» der «lio wol ab Stiller aanttehen ist, so dass wir ein Datum fOr die KiHstriimig der Msletei gewianen.

■) Bocchi, Bcllc2/e di Firenze, gi«bt ao, die CsppclU Maoelti ^tgi neben dem Hochaltar a cornu epistolac.

*) Vasari Opere I p. 37^ Ctowe u. Cavakasetle I, SS^ ff.

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ChIESA DEL CaRMINE

3

dem die Datierung ausgehen muss, scliUessen den Meister selbst aus und weisen auf seine Schüler, wie Taddeo Gaddi (f 1366) oder dessen Sohn Angelo (f 1398). Auf der anderen Seite des Hoch- altars haben wir dann die Kapelle zu suchen» an deren Wänden Spinello Aretino die Geschichte Marias fortgesetzt hatte : »In un altra cappella della medesima chiesa, che e accanto alla magglore, fece Spinello« erzält Vasari im Leben seines Landsmannes ^pur a fresco alcune storie della Madonna, e gli Apostoli quando, innanzi al trapassar dl lei, le appariscono innanzi miracolosamente : e cosi quando ella rouore e poi e portata in cielo dagli Angeli«. Und da diese Darstdlung in Hochformat sich mit der Niedrigkeit der Kapelle nicht vertrugt die nicht tiefer als zehn Braccicn und fünf hoch war, so verlegte Spinello die Himmelfart in eine Reihe mit den übrigen Scenen neben der, wo Christus und die Engel sie empfangen, so wenigstens deuten wir die Worte: »£ perche . . . la picciolezza della cappella . . . non cafnva il tutto e massimamentc Tassunzione di essa Nostra Donna, con bei giudizio fecc Spinello voltarle ne] lungo della storia da una parte, dove Cristo e gli Angeli la ricevono« Die ausnemende Niedrigkeit der Kapelle spricht dafür, dass sie sich unter dem Glockenturm befand, also eine Stiftung der Alberti war, die denselben Meister auch droben in der Sakristei von S. Miniato und draussen auf ihrem Landsitz in Antclla beschäftigt habon. Von Spinello rürten aber auch die Malereien in der Kapelle der Apostel Jacobus und Johannes her, die den Caponsacchi p;ebörte. Unter ihnen hebt Vasari die Begegnung der Mutter beider Bruder mit Christus hervor, die für ihre Söhne die besten Platze im Himmel erbittet, und die Berufung beider Jünger von den Netzen ihres Vaters Zebedäus, con prontezza e maniera mirabile.

Die berümteste Kapelle von allen, die um die \ 1. rung herum- lagen, war jedoch ausser der Brancaccikapeilc die dor Pugliesi, die von Gherardo Starnina mit Gcschicliten ihr* s Titeihciligen S. Hieronymus ausgemalt war, und zwar in Fresko sowol an den Wänden wie am Altar. Nur der Letztere mit der Darstellung des Todes dieses Heiligen war zur Zeit Richas noch übrig. Vasari aber erzält (II. 7.), Stariu'na habe in dem Bilde von Paola und Eustachio mit S. Girolamo einige Trachten dargestellt, die damals bei den Spaniern Mode waren, und sich durch angemessene Erfindung und sinnreiche Mannichfaltigkcit im Gehaben der Personen ausgezeichnet So sei beim Schulgang des Knaben Hieronymus die Züchtigung eines andern durch dcu Schulmeister als Gegenstück vorgeführt

') Die Wiederholung bei Beno^yn Gozzoli in S Gimi^Tiann im Leben S. Aiignstin«»

giebt wol noch eine Idee von diesem »maestro che, faUo icvarc a cavallo an fanciullo

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Cappella Brancacci

beim Testamentmachen des Heiligen besonders die Aufmerksamkeit

der Hörer und Schreiber sehr gelungen.

Das LangschifF der Kirche, dessen Wölbung erst am i6. De- cember 1459 geschlossen wurde, war dagegen ganz ohne Seiten- altäre, und von T.nrenzo di Bicci dekoriert. Nur die Scfalusswand vom hatten die Ardinglielli zum Gegenstand ihrer Fürsorge auserkoren. Sie Hessen die Bekleidung der Fassade mit grauem Sandstein be- ginnen, gelangten aber nicht über das Portal hinaus. In seinem Testament hatte indessen Chiaro Ardinghelli 1377 wenigstens noch eine Summe ausgesetzt, von der die Capitani di Santa Maria del Bigallo die erste Kapelle rechts vom Eintretenden herstellen und ausschmücken Hessen. Im Jahre 1400 wurde die Wandmalerei von Lorenzo di Salvi vollendet , während Don Lorenzo Monaco die Altartaf» 1 mit der Verkündigung lieferte^).

Einem Spätling der Trecenstoschulc wie Lorenzo di Bicci, der die Gewölbe des Langhauses ausgemalt haben soll, gehören auch, wie Crowe und Cavalcascllc mit Recht vermuten, die Malereien der Sakristei, und wie wir meinen auch das Lrcsko im Klosterhof mit der Madonna und Heiligen in breiter spätgotischer Umralimung, das die selben Forscher mit Unrecht für Giovanni da Milano in An- spruch genommen haben, dem es auch der Cicerone noch zuweist %

Da auf Betrieb des Francesco Soderini am 19. April 1422 die feierliche Einweiliung der i^an/'en Kirche durch den Erzbischof Amerigo Corsini, unter Assistenz des Benozzo Federighi, Bischofs von Fiesole, und des Karmelitorbruders Antonio del Fede. Bischöfe von Soana, vollzogen werden konnte, so wird der Baukurper rings- um, besonders mit seinen Kapellen am Ouorhaus damals gewiss fertig gewesen sein. Das heisst auch die Cappella Brancacci, in der das wundertätige Bild der Madonna del Popolo verehrt ward, stand da und war dem Kultus übergeben. Ja, schon im Jahre 1406 wurden die Siegestrophäen aus der Schlacht gegen die Pisaner als Dank fiir den Beistand vor diesem Bilde aufgehängt^).

•ddoHO * «tn «ttiD» lo peicuot« coo la rfena di nMiiieni, dw U poveio {mtto per lo gvan dnolo menando le gambe paie che gridando tenü mordore tin «Hreeddo « cohu che lo tiene. II che tutto con gra7ia c molto leggiadraTnente espccise Ghemdo come cohii che

andAVa ghiribizzando inlomo alle cose della natura,« *) Milanesi zu Vasan Opere II. 29 Anm.

^ Bjcha hat 5. 89 dfi« Notia: n dice anooia die foneri in qucsto diioitro «na Ifadooiia di liaMorilievo di DomatelloL

') Jetzt befindet sich Ober dem Altar statt jenes Gnadenbildes, das sdiOB I<79 im

Besitz des Klostf^f; M Csrmine erwähnt sein ';o!l, eine H.ilbfigur in Tenracotta von dem sogenannten »Meister der i'eiiegrinj- Kapelle« in S, Anastasia zu Verona, d. h. von einem florentinischen Zeilgeoossen des Loreuzo Ghiberti und Jacopo della Quercia.

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Cappella Brancacci

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Wenige Monate nach der feierlichen Sagra Carniine, am 26. Juni 1422 errichtete Feiice di Piuvichese Brancacci, im Begriff als Gesandter seiner Vaterstadt /um Sultan nach Bab>lon zu reisen, sein Testament, in dem er für den Fall seines Ablebens seinen Vetter

Gaspare di Silvestro und die Sf)hne von dessen verstorbenem Bruder Bartolommeo di Silvestro, nebst Giuliano di Giuliano di Tommaso Brancacci zu Erben aller seiner Rechte einsetzt, und ihnon Fürsorge für die Kapelle überträgt, von Malereien darin jedoch nichts vorlauten lässt. Der Testator kehrt indessen selbst g"lücklich aus dem Orient heim und erscheint, wie schon erwähnt worden (II. 59), 1425 als (icsandtrr in Siona, 1426 als Kommissar der Florentiner im Lager bei Brescia, wo er bis /um 6, November verbleibt, um vom 26. November bis 10. Pecember abermals in Siena zu wirken.

ie ältesten und zuverlässigsten Nachrichten die wir über die Malereien der Brancacci-Kaprlh^ besitzen, finden sich in der Schrift des Antonio ^fanetti »Uomini singolari in Firenze dell MCCCC innanzi«') und im sogenannten »I.ibro d' Antonio Billi,« das in verschiedenen Reproduktionen vorliegt*).

Der Ersterc schreibt in der Notiz über Masaccio: »fece in Firenze nel Carmino uno Santo Pagolo tra la cappella de' Serragli (ch'e dov'eS. f) [= croceiisso] c la cappella dipintovi la storia di Santo Girolamo» ügura maravigliosa*.

*Dipinse nella cappella de' Brancacci piu storie, el mcglio che V* e: e dipinta di mano di 3 maestri tutti buoni, ma lui maravigliosoo . . . ,

Der Codice Stroz/iano hat fol 78" in der Nachricht über Masolino: 'Costuj dipinse insieme con masaccio [la cappella] de Brancaccj nel Carniine di hrcnze .

Fece nel Carmine nel pilastro della Cappella de Serragli u(n)o s(ant)o piero«.

Die drei Maler, die Antonio Manetti meint, nennt uns Fran- cesco Albertini in seinem Memoriale di molte Statue et Picture sono nclla inclyta Cipta di Fh)rentia« von 1510.

»Sancta Maria del Carmine o antiqua et devota, limga brac. 143, nella quäle sono picture di antiqui maestri: et maxime nel

' ) OpcreUe istoriche di Antonio Manetti cd. Miianesi, Firenze 1887 p. 165. Vgl. Corad T. Fabriczy, Filippo Biunelle&chi, Stuttgart 189a p. 490.

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Capi'ella ürancacci

prinio claustro sopra la porta per mano di Tho. Masacci et la cappella de' Braiicacci meza di sua mano et l'altra di Masolino exccpto sancto Pietro crucifixo per mano di Philippo. El sancto Pietro allato alla cappt IIa dello Starnina h per mano di Masolino et sancto Paulo di Masaccio.« *)

Darin liaben wir den ersten Versuch zur Abgränzung des Anteils: iidch Abzug der späteren (schon technisch leicht erkennbaren) 7ut i: des Filippino Lippi, die bei Albcrtini allzu kurz als Kreuzigung l'cin bezeichnet wird, soll Masaccio die eine und Masolino die andre Hälfte der Kapelle gemalt imben. Es fragt sich nur, wo die Halbierung liegt.

Dann kommt Gior)^io Vasari, dessen Text in aller Händen ist. Er unternimmt es. Über Albertinis Angabc hinauszugehen, indem er Darstellungen namhaft macht, die dem Einen und andre, die dem Andern gehören sollen. Aber er schreibt flüchtig, aus dem Gedächtnis, wfirfelt einige Scenen der Legende zusammen und läast andre Stflcke der Malerei ganz unerwänt

Im Leben des Masidino erzält er: »im Cannine machte er zur Seite der Cappella del Crodfisso die Figur des S. Petrus, die man noch dort alehtt. In gewohnter Weise veiknttpfend fügt er hinzu: das Lob, das diese Gestalt bei den Künstlern gefunden, sei Veran- lassung zu dem Auftrag geworden , die Brancacdkapelle mit Geschichten des Petrus auszumalen, eine Aussage, die wir vorerst auf sich beruhen lassen, da Vasari sicher nicht ftlr diese Motivierung ein- stehen konnte und nicht einmal das Faktum verbürgt, dass die Kapelle ein&ch dem Masolino in Auftrag gegeben sei. Dagegen erkennt er, als historisch unterrichteter Künstler, nur men Tdl des ganzen Freskoschmuckes als Arbeiten des Masolino: >er führte mit grossem Fleiss einen Teil zu Ende«, und zwar >an der Wölbung die vier Evangelisten«; femer 9 wie Christus Andreas und Petrus von den Netzen ruft«, dann »sein Weinen über die Sünde, Christus verläugnet zu haben«. . . ,

Alle diese Bestandteile sind nicht mehr erhalten; denn die Wölbung wie die anstossenden drei Bogenfelder waren schon im i6. Jahrhundert durch Feuchtigkeit so zerstört, dass 1747 Vincenzo Meucd beauftragt ward, an der Decke die Erscheinung der Madonna del Carmelo vor Simon Stock zu malen, wahrend Carlo Sacconi die Lflnettenbilder durch aufgemalte architektonische Ornamente ersetzt hat^.

Amgßb9 iroD SdiMl in Crowe 11. Diir«lcMelie, D. A. v. Jordan, Bd. U. Aakaog. *) Rieba, Chiese Fiorenline X (176s) p. 40.

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ÜBERLIEFERTE SCHEIDUNG DES ANTEILS

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Dann aber g-eht Vasari auf eine der erhaltenen Darstellungen, links oben an der Altarwand über: »ed appresso la sua predicazione per convertire i popoli«. Wir können also aus dieser Ortsangabe über die Prediget des Petrus den Rücksrhluss ziehen, dass sich das vorher genannte zunächst gelegene Bild der Reue über die Ver- läug-nung^« im Bogenfeld über der Altarwand befunden habe, da zwischen dem Gewölbe und der rechteckigen Mauerfläche keine andre vStelle übrig bleibt. Dieser vSchhiss wird auch bestätigt, wenn Vasari in der Aufzälung fortfährt: fecevi il tempestoso naufiragio degli Apostoli, e quando San Piero libera dal male Petronilla sua figluola; e nella medesima storia fece quando cgli e Giovanni vanno al tempio, dove innanzi al portico e quel povero infermo che gli chiede la hmosina, al quäle non petendo dare ne oro ne argento, col segno della crocie lo libera«. Das heisst, die stürmische Seefart der Apostel, bei der Petrus zu Christus über das Wasser schreitet, war das Lünettenbild über dem erhaltenen Hauptstück der Seiten- wand rechts vom Eintretenden, das sowol die Heilung des Lahmen als die Auferweckung der Tabitha (Vasans Petronüia; umfasst, nella medesima storia, zwei Scenen in einem Breitbilde.

Darnach bliebe für die zuerst genannte Scene, die Berufung des Petrns und An lreas von den Fischernetzen nur das Uogenfeld übrig, das sich über der andern Seitenwand der Kapelle, links vom Eintritt aus, befand, und damit wäre der Anfangspunkt für die Petruslegendc, unterhalb des Kreuzgewölbes mit den Evangelisten- figuren, fest bestimmt.

Den Sündenfall, am Eingangspfeiler rechts, nennt Vasari Über- haupt nicht, sondern schliesst: >le quali storie sopraggiunto dalla morte lascio imperfette«.

Dieselbe Angabe begegnet in der Biographie Masaccios; aber bei der kurzen Rdrapitulation im Leben des Fihppino Lippi stellt sich der Sachverhalt rund und nett heraus: »Costui . . . diede fine alla cappella de* Brancacci nel Carmine dl Piorenza, cominciata da Masolino e non del tutto finita da Masaccio per essersi morto«.

Dem Erklärungsbedürfnis Vasaris fehlte somit nur der Beweg- grand für die Unterbrechung der Arbdt Masolinos und den Ueber- gang des Auftrags an Masaccio. Diesen Beweggrund aber kennen wir heute: es sind andre verlockende Aufträge, der Wunsch des Filippo de*Scolarit seine Stiftungen in Ungarn, besonders seine Kapelle in Stulweissenburg von einem fiorentinischen Künstler mit Malereien schmücken zu lassen, und die persönliche Werbung des Kardinals Branda Castiglione, der im Frühjahr 1425 durch Florenz kam, und den Maler, der sich zur Reise nach Ungarn entschlösse zugldcfa für

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Cappella Bkancacci

seine Kirche in Castiglione tl'Olona verwendet hat. Wir wissen, dass Masolino am 8. Juli 1425 in Florenz noch eine kleine Summe einkassiert hat. die ihm die ( oinpagnia di S. Agnese delle laudi beim Carmine für eine delegenheitsarbeit schuldig war, g^ewiss schon im Begriff von dannen zu gehen. Im Spätsommer desselben Jahres müssen die Malereien am Gewölbe des Chores in der Kollegiatkirche von Castiglione d'Olona entstanden sein, die er mit seinem Namen Masoi.invs DK I'LORENTIA bezeichnet hat, als er. bei gaiter Jahres- zeit noch, nach Ungarn weiter zog. Denn dort hat er für Pippo Spano. der am 27. December 1426 gestorben ist. noch bei Lebzeiten dieses Bestellers die Grabkapelle vollondet, di(» dem florentinischen Gesandten Rinaldo degli Albizi schon im Mai dieses Jahres gezeigt ward.

Erinnern wir un.s nun, dass der Stüter der Malereien in der Brancaccikapellc noch am 26. Juni 1422 in seinem Testament über die Kapelle verfügt, ohne die Malereien zu erwänen, die doch höchstens angefangen gewesen sein könnten, also durch seine Sendung nach Babylon und seinen etwaigen Tod auf dieser Reise, grade mitten im Vollzuge gef^rdet w^en mochten, so gewinnt die Tatsache, dass Masolino sich erst am 18. Januar 1423 in die Zunit der Medici e Speziali zu Florenz eintragen liess^ besondere Wlditig- k&t*). Es ist nicht wabrscheinlicli, dass die kontraktlichen Ab- machungen zwischen ihm und Feiice Brancacd vor diesem Termin rechtsgiltig stipuliert worden sind.

Masolino kann nur zwischen 1423 und 1425, also jedenfalls vor dem erhaltenen Cyklus der Deckenbilder in der Kollegiatkirche von Castiglione d'Olona seinen Anteil in der Brancaccikapellc gemalt haben. Diese Deckenbilder in Castiglione können allein als Mafsstab dessen betrachtet werden, was Masolino bis zum Sommer 1425 zu leisten vormochte.

Schon nicht frei von Einwänden und Abzügen wäre die Zulassung des Vergleichs mit den Wandgemälden im Baptisterium von 1435; nur die Gewölbebilder und Idealfiguren, nicht die unteren Geschichten aus der Legende Johannes des Täufers, dürfen herbeigezogen werden.

' ' Vasaii ^icbt im I,rl)pii des Masactid die Notiz, dirscr «^ci hc\ seinem Paulus am Pitiler der Capi^, dcl Ootitis'^f) boxchilfti^^t t;cwescn, als die Kirchweihe stattfand, das wäre im April 1422; doch darl man dieser Zeitbestimmung kaum grösseren Gbaben adieiikeii als den fibrigea, die folgen.

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Fehler der bisherigen Kritik

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DagegeMi ändert es nichts an dem Wert dieser Dokumente seines Könnens, wenn einzelne Forscher noch anncmen sollten, die Becken bilder der Kolleg^iatkirche seien erst nach dem Aufenthalt in Unj^'-arn bis 1427, also nicht 1425. sondern erst 1427 28 zu datieren Im Gegenteil: diese, unseres Erachtens unzulässige, Verspätung würde das Urteil, das darauf begründet wird, nur verstärken.

Die bisherige Kritik hat also den Fehler gemacht, auch nach der Aufdeckung untl der allmalilit hen Bekanntmachung der Fresken im Chor von Castiglione (!'( )lona, zu Vasaris F'ürung zurück zu keren, der von diesen unbezweifelbaren Werken Masolinos ebenso wenig Kenntnis hatte wie von seiner ferneren Wandenmg nach Ungarn. Nachdem nun vollends eine VerAffentlichung photograplusciier Auf- namen der Deckenbilder (zum ersten Buch dieser Studien) statt- gefunden hat, darf das Verfarcn sich durchaus nicht inn< rh : ib der Brancaccikapelle allein vollziehen. Solange die Kritik sich darauf beschränkt, mag auch die Erinnerung an Castiglione gelegentlich hineinspielen bewegt sie sich fortwährend in einem Kreise; denn ihre Schlussfolgerung verwertet Vasaris Zeugnis als untrügliche Voraussetzung. Ihre i'racmissen sind:

Vasari schreibt Dieses dem Masoliuu, Jenes dem Masaccio zu j Dieses uaicrscheidet sich stilistisch von Jenem, und sie zieht daraus den Schluss:

Also ist Dieses Masolinos, Jenes Masaccio's Eigentum, während höchstens gefolgert werden durfte:

Wir anerkennen den selben Unterschied, der Vasari bestimmte, Bicfles zum Anteil Masolinos, Jenes zum Anteil Masaccios zu rechnen; aber ob diese Unterscheidung der Arbeiten zugleich die Unterscheidung der Personen mit sich bringt, bedarf erst weiterer Begründung.

Schon um Vasaris Urteil vollständig nachzuprüfen und im Ganzen zu verificieren, fehlt uns ein wichtiger Teil des damals Vor- handenen, fehlt uns grade Alles, was sich aus dem Umstände, dass Masolino die Ausmalung der Kapelle begonnen, sachgemäss als sein Eigentum ergäbe: nämlich der Anßing dieser Ausmalung von der Wölbung an. Es fehlen uns die vier Kappen des Gewölbes mit den Evangelistenfiguren sowie die drei daran anstossenden Bogen- felder mit den »storie di San Pietro«, deren Anfang ebenfells Masolino gemalt, nämlich die Berufung des Petrus mit Andreas^ die Klein- gläubigkeit, als Christus ihn übers Wasser zu sich kommen läast, der altoblichen Darstellung der »Navicella«, und endlich die Reue Ober die Verläugnung des gefangenen Meisters im Hof des Pilatus, die wir nach Vasaris einseitiger Betonung des Weinens nicht recht vorstellen können, ohne die Verläugnung selbst gegenüber dem

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Cappella Brancacci

belastenden Zeugnis der Magd hinzu zu denken, etwa auf beiden Seiten des einspringenden Spitzbogens, in dem das Fenster der Altarwand ursprünglich gewiss geschlossen war. So erzält auch die Legenda aurea: negat Christum et de ncgatione poemtentiaiii agit« (vgl. Matth. XXVI., 69 f.)

Wir sind also garnicht im Stande zu verfolgen, wie weit die Be- hauptung Vasaris berechtigt war, diesen Anfangsbildcrn der Petrus- legende auch noch die Predigt an der Altar \s arid und das Breitbild an der rechten Seite als Eigenturn Masolinos hinzu zu fügen, während er von dem Sündeniali einfach schweigt, wie bei ^^asaccio von der Vertreibung aus dem Paradiese Und die Uebereinstimmung m:t den unbezweifelbarcn Anfängen des Kapellenschmuckes wäre dtxli der einzige Beweisgrund, der uns bestimmen könnte, das Urteil Vasaris auch für herausgerissene Stücke der Wandbilder darunter als zwingend anzuerkennen.

Dagegen besitzen wir in den Malereien zu Castiglione d'Olona, besonders in den faezeidmeten Deckenbildem, so entscheidende Bei- spiele von Masolinos Kunst um die selbe Zeit, dass sie» sobald sidi ein Widerspruch zwischen diesen Urkunden und Vasaris Meinung ergäbe, die letztere durchaus entkräften mOssenp und uns nur ver* anlassen können, das selbst gebildete oder aus mündlicher Ueber* lieferung empfangene Urteil des Biographen ein für alle Mal bei Seite zu stellen.

VasariSi um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts gebndete» Ansicht ist um so bedenklicher, als sie zu der alteren Tradition bei Francesco Albertini, der seine Au&tellungen als »examinate per mezo di homini degni di fede et di scripture antique« be^idinet, nidit stimmen will. Fr. Albertini hat sich selbst sogar, wenn auch noch so dilettantisch unter der Leitung des Ghirlandajo mit Malerei be&sst, dh. Gelegenheit gehabt die Angaben eines Künstlers zu hören, der gewiss zu den eifrigsten und eingehendsten Verehrern dieses Heilig- tums der Malerei zu rechnen ist, der vor dem Absdiluss durch Filippino schon darin studierte. Albertinls Angabe: >meza di Iba Masacci et Taltra di Masolino« kann doch keine senkrechte Teitmig in eine linke und eine rechte Hälfte meinen. Dann würde die Tauüe; die unsere frühesten Gewährsmänner ausdrückltdi als Masaodos Leistung rühmen (>uno che triema«) ebenso wie die Almosenqpende darunter auf Masolino fallen, wie das Breitbild der Wand daneben, drüben dagegen hätten wir die Predigt Petri, die Vasari dem Masolino zuteilt, wie die Heilung durch den Schatten ebenso als Masacdos Anteil zu erkennen, wie die Geschichte vom Zollgroschen und Petrus in Cathedra. Ausserdem würde das Bogenfeld mit der Berufung»

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Albertinis Halbierung

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dh. der Anlang der Legende 7u dieser Seite gehören, wie aucli die halbe Lunette der Altarwand, und wir wüssten nicht, wie das Kreuzgewölbe halbieren.

Albertinis kurze und bestimmte Angabe kann zunächst nur eine horizontale Gränze bezeichnen wollen; es fragt sicii nur in welcher Höhe? Bis in die Mitte der Wandfelder können wir un- möglich herunter steigen, da auf diese Weise nach Abzug der Kreuzigung Petri und ihres Zubehörs für Filippino TJppi sicherlich keine Hälfte fiir Masaccio übrig bliebe, bei dessen Namen Albertini doch zu diesem Ausdruck greift. Er kann also die Gränze nur eine Reihe höher legen, so dass seiner Meinung nach die vier Gewölbe- felder und die drei Lünetten dem Masolinc), die eigentlichen Wand- gemälde dagegen bis auf einen Rest Masaccio zukämen.

Wir hätten damit den vorläufigen Abschluss der Arbeit bei Masolinos Weggang aus Florenz ähnlich wie im Chor der Collegiata zu Castiglione, mit der Fertigstellung einer oberen Region anzu- setzen, die bis auf Weiteres dastehen konnte, ohne das Auge zu ver- letzen, und nach Wegräumung der Gerüste auch den ivultus nicht stürte, bis die Fortsetzung der Malerei möglich ward. Solche Enklaven, wie sich nach Vasarls Abgranzum^ herausstellen, würden sich dagegen nur durch ein plötzliches und uiivorhergesehenes Alibrechen der Arbeit erklären, wie er selbst es unu illkürlieh iin ! <nie des Malers sucht. Der Entschlu.ss nach Ungarn zu gehen und, auf dem Wege dahin, dem Kardinal Branda einen Gefallen zu tun, liess ihm Zeit seine Angelegenheiten zu ordnen, also auch das Abkommen mit Feiice ßrancacci zunftgerecht zu lösen. Möglich, dass er selbst den Masaccio als Ersatzmann gestellt oder dem Auftraggeber empfolcn: die Ztunutung, ein paar Stücke wie die Predigt an der Altarseite und das Breitbild mit der Heilung des Lahmen und Tabitha in die eigne Arbeit hineinzunraien, wäre gewiss für einen Nachfolger von so selbstständiger Art» wie Masaccio, ein unerträgliches Opfer ge- wesen, das wir der Langmut dieses ausgeprägten Charakters nicht ohne Weiteres zutrauen dürfen. Es sei denn, dass die 6remeinschaft beider Meister damals noch auf dner Stufe gestanden wäre, die all jene entschiedenen Eigenschaften Masacctos, die seine spätem Werke deutlich offenbaren, noch unentwickelt gelassen.

Dazu kommt aber noch Eins: die Einschaltung der beiden schmalen Gegenstücke »SOndenfall« und »Vertreibung aus dem Paradiesec an der Laibung des Eingangsbogens der Kapelle, d. h. die Aufhame zweier Scenen, die mit der Petruslegende gamichts zu schaffen haben. Mag der Sündenfall dem Masolino oder dem Masaccio gehören, er bedeutet immer einen Bruch mit dem ursprOng-

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liehen Programm und schneidet an dieser Stelle, nachdem die F><'^on- felder schon mit dem Anfang der Petriisgescbirinen gefüllt wann sehr auffallend in den gegenständlichen Zusammenhang des Ganzen hinein. Die ( legenüberstellung dieser beiden Eingangsbilder beur- kundet also an derselben Stelle, wo die horizontale Halbierung zwischen Masolino's und Masac cios Anteil im Sinne Albertinis be- ginnen müsste. einen \Vende|)unkt in der Ausfürung, einen neuen Anlauf, der ilas ursprüngliche Programm doch gewiss nicht ohne Zustimmung des Auftraggebers beträchtHch verschob.

Die oberen drei Scenen, die in den Bogenfeldern Platz g»- funden hatten, sind im Mattiiäus- Evangelium erzalt: die Berufung des Apostels Kap. IV. der Gang über das Wasser bei dvr stürmi&chci; Seefart Kap. XIV und die Reue über die Verläugnung Kap. XXVI. Ausserdem ist unter den vorhandenen Bildern nur die Geschichte mit dem Zollgroschen noch aus dem Evangeh'um entnommen, während die Predigt und die Taufe, wie die WundertaLen hernach, den Aou Apostolorum angehören, die letzten gar erst der gende. Ziehen wir die Legenda aurea zu Rat, wo die Ruhmestitel des Apostek Petrus wie in einem Hymnus epigranunati.Neh autgezält stehen, so folgt auf die altberiimte Scene mit der Xavicella shic super mare ad dominum ambulavit nicht sogleich die Geschichte mit dem Zoll- groschen: :»statcrcm in ore piscis invenit«, wie in der Kapelle Bnm- cacd, wenn die Reihenfolge der Bilder alternierend zwischen betdeo Hauptwänden verliefe, sondern erst : »in domini transfiguratione et puellae suscitatione a domino electus fuit«, d. h. die Verklärung auf Tabor und die Auferweckung von Jairi Töchterldn. Die letztare wflrde, als Wundertat Christi, der Auferweckung Tabithas dnrdi Petrus, die in einer Kapelle dieses Apostelfikrsten notwendiger war, allzu ähnlich gewesen sein, so dass man sofort begriffe, weshalb sie weggelassen ward. Die Verklärung auf Tabor wäre jedoch, adioo als Erhöhung des Meisters, sehr wfinschenswert gewesen. Auf sie folgt bei Jacobus a Voragine dann unmittelbar: »staterem in oie piscis invenit« die Hauptdarstellung der Kapellenwand links, so dass die SteQe, wo jetzt die Vertreibung aus dem Paradiese steht, am Pfeiler des Eingangs, für die Verklärung bestimmt sein mochte. Dann aber folgt »claves regni caelorum a domino accepit, pascendas oves a Christo suscepit», d. h. zwei Momente von derselben Be- deutung und Unentberlichkeit in der Verherrlichung des Petrus, dass WUT das ursprQngliche Ptogramm gewiss nicht vollständig dächten, wenn nicht wenigstens Einer darin vorkam. Die Schlflssel- Übergabe wird mit dem Worte Christi bei Matthäus Kap. XVI be- legt, das unmittelbar vor der (Kapitel XVII erzälten) Auffindung

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Ursprüngliches Programm

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des Slater vorhergeht. Denken wir uns den Auftritt im schriftlichen Verzeichnis der Bestellung beim Maler an dieser Stelle eingeschaltet, so würde der Doppelscene drüben, der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas, gegenüber auch hier eine Doppelscene gedacht sein : die Einsetzung des Schlüsselamts und die Auffindung des Stüter. Genau so sind noch heute die letzten Breitbilder von Masaccio und Filippino disponiert: »Filium Theophili in vitam restituit et in cathedra positus est^ auf der einen Seite; Verurteilung und Kreuzigung auf der andern Seite, so dass auch hier die alternierende Reihenfolge zwischen den Wänden, von oben nach unten steigend, sich wieder bestätigt.

Auf die Geschichte vom Stntr r folgt im angezogenen Kapitel der Legen da aiirea: Trin milia hominuni in pentecoste sua predi- catione convcrti; , wie in der Kapelle, die Zweiteihing fortsetzend, an der Altarwand die i*redigt, als Ursache, und die Taufe, als Wirkung, links und rechts vom Fenster stehen. Dem entsprechend sahen wir darunter die Bestrafung des Ananias mit Sapphira und die Heilung durch den Schatten als Gegenstücke zu den Seiten des Altars, und zwar nach dem V. Kapitel der Apostelgeschichte (v. 1 10 u, V. 15 £F.), während auf die Taufe im II. Kapitel der Acta zunächst die Heilung des Lahmen im IIL folgt, wie hier an der Seitenwand der Kapelle, und die Erweckung der Tabitha aus Kap. IX, V. 36 als vSteigerung daneben erhalten hat, besonders da im selben Kapitel die Heilung des paralytischen Aeneas (v. 33) un- mittelbar vorhergeht, die, der Aehnlichkt-ii mit dem Wunder an der Tempelpforte wegen, nicht zu best ritkrer Darstellung geeignet war. Das gleiche Verfaren erklärt die Ausscheidung der Taufe des Hauptmanns Cornelius, die daselbst Kap. X berichtet wird. So be- greifen wir die Auswal aus der Fortsetzung des Festcantus bei Jacobus a Voragine: ^Ai^aiuae et Saplurae mort(^m praedixit. Aeneam paralyticuni curavit, Cornelium baptizavit, Tabitam suscitavit, umbra sui corporis mlinnos sanavit« und stossen nun auf den Schluss »ab Merode incarceratur, scd ab angelo libt raiur , eine ähnliche AiiuthLse, und zwar nach dem XII. Kapitel der Apostelgeschichte (v. 3 10)

Die Befreiung aus dem Kerker durch den Engel steht noch heute am Eingang der Kapelle rechts, von Filippino Lippi gemalt, und drüben ebenso die erste Scene, die schon zur spätem Legende von der Erweckung des Fürstensohnes in Antiochien gehört, »Petrus im Kerker von Paulus ermutigt , das Wunder zu wagen, das der Forst Theophilus von ihm verlangt, nämlich die Wiederbringung des vor vierzehn Jahren Gestorbenen. Verfolgen wir auf dieser * noch von Masaccio begonnenen» Seite die Erzalung weiter, zu

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Petrus in Cathedra, so begreifen wir, weshalb drüben auf der andern Seite, dem Altar zunächst, die Kreuzigung angebracht ist. Das "st der Schluss des Ganzen; die Scene vor dem Richtcrstul Agrippa's geht unmittelbar und notwendig vorher. Dann aber kann die »Be- freiung aus dem Kerker des Herodes« kaum für die Stelle am Ein- gang unten bestimmt gewesen sein, wo wir sie jetzt finden, sondern wir haben hier einen Vorgang aus der Legende, aus den letzten Tagen des Pctnis in Rom zu suchen : also etwa die Begegnung mit (.^hristus : Dnniine quo vadls ?< Dies abermalige Auftreten der Gestalt des Herrn, in dem Augenblick, wo Petrus aus Rom fliehend strh noch der letzten Katastrophe entziehen will, und dann umkert, um in treuer Nachfolge den Kreuzestod auf sich zn nemen, dies*:' Vision im Dunkel der Nacht, die als Vorbereitung für die Kreuzigurii: mit dem Kopf nach unten so unentberlich war, ist nirbt allein ein treffliches Seitenstück zur Befreiung durch den Engel und eine Steigerung zugleich, sondern auch ein Gegenstück zu der Begegnunj^ mit Paulus, zu dem es ebenso eine Steigerung bildet, wie endlich als letztes Auftreten Christi selbst in dieser Bilderreilie, eine fülbaro Fortsetzung der Verklärung auf Tabor, der wir die Stelle oben links am Eingang anweisen durften.

Damit drängt sich die letzte Frage auf, was stand dieser Trans- figuration grade gegenüber, wo jetzt der Sündenfall zu sehen ist?' Im Verfolg der Apostelgeschichte kämen wir, nach der Auferweckuiig Tabithas auf di(^ (iefangenschaft unter Herodes und die Bcfreiunt^ durch den Engel. Dann würde die unterste Reihe der iKitiui Seitenwände ganz dem Stoff der Legende zufallen, mit dem Besuch des Paulus am Kerker in Antiochien links und der Begegnung vor dem Tore Roms »Domine quo vadis« rechts, vom Eintretenden. Bei Seite gelassen wäre dann der Wettstreit mit Simon Magus, wo die Himmelfart dieses Zaubererb auf das Gebet des Apostels zu Schanden wird. Die Legende erzält davon ausfürlich vor dem Ende in Rom. »Cum Simone Mago disputat ; inter duas metas crucifi.xus est« Den Sturz des falschen Propheten könnten wir als Antithese der Verklärung auf Tabor verwertet denken, auch in räumlich-körperücher Disposition auf der Wandflädie^ Aber dem realistischen Bedürfnis würden ebensoviel Schwierigkdtefi erwachsen sein, wie dem dekorativen Sinn sich Vortefle boten. Und der Ao- schluss an die biblische Erzälung oben, an die Legenda aurea unten, lässt vermuten, dass die Anname der Verteilung, wie wir sie ge- geben haben, d.h. die Befreiung aus dem Kerker durch den Eng^ an Stelle des Sflndenfalls und »Donilne quo vadis« an der Stelle des unteni Bildes von Filtppinos Hand, die ursprünglich beabsichtigte gewesen sei

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SÜNDEKFAIX UND VERTREIBimC

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Darnach muss es einleuchten, was es hiess, wenn statt der »Befreiung aus der Gefangenschaft bei Herodes« hier und der »Transfiguration auf TalKÄT« gfegenüber, nun auf einmal der Sünden* fall und die Vertreibung aus dem Paradies eingesdialtet wurden, und zwar in umgekerter Folge der Plätze, So erweist sich dies Bilderpaar erst recht als Einschiebsel, das den Gang des Betrachters, ganz gegen die sorgfältige Vorschrift der Auftraggeber, nur irre- füren konnte. Wenn bei jenem Programm der schriftgelerte Prior der Karmeliter in treulicher Gemeinschaft mit dem Künstler ge- arbeitet haben mochte, so dürfen wir im plötzlichen Auftauchen der ersten Eltern und der Verleg-ung des allgemein bekannton Anfangs drr ganzen Hcilsgeschichte an die verkerte Stelle, rechts statt links vom Eintretenden , erst recht den Eingriff eines Neuen erblicken, sei dies ein Künstler aus Sehnsucht nach dem Narkton oder sein Auftraggeber, der Stifter der Kapelle, im Einverständnis mit ihm. Der Theologe konnte nur den Kopf dazu schütteln.

Der neue Anlauf aber gesdiah nicht etwa, nachdem das Breit- bild der rechten Wand mit der Heilung des Lahmen und der Er- wcckiint; Tabithas bereits gemalt war, sondern vorher, oder doch gleieiizeitig mit der Inangriffname dieser Scenen, deren frühere Ausfürung vor der gegenüber geforderttsn Geschichte vom ZoU- groschen und vom Schlüsselamt doch ebunso auffallend bleibt. Süudenfall, Tabitha und Heilung des Lahmen gehören in eine zusammenhängende Reihe ebenso, wie wir dies von Masaccios Meisterwerken gegenüber, von der Zalung des Stater bis zur Ver- ireibung aus dem Paradiese nachgewiesen haben: denn hüben wie drüben ist ein entscheidender Schritt im Sinne der architektonischen Einteilung der ganzen Kapelle geschehen.

Alle erhaltenen Wandgemälde, die schmalen Stücke am Eingang, wie die Brcitbilder an den Seiten und die scliuMlen Paare an der Altar- wand zeigen die nämhche Einramung durch korinthische Pilaster, die ganz in Brunelleschis Art gcmali sind, und ein horizontaler Streifen sondert die Gesumlli lic der Mauerflächen in zwei Stockwerke, während voll entw'ickeltes, grades ücbvilk nut /cdinschnilircihe die Abgränzung gegen die Wölbung und die Bogenfelder so stark wie möglich be- tont. Es ist eine Umdichtung der gotisch gebauten Kapelle nach dem neuen Ideal der Renaissance- Architektur vollzogen, das damals Filippo Brunelleschi soeben erst den Florentinern vorzufüren begann. Diese gemalte Architektur mit ihren korinthischen Pfeilern und ihrem klassischen Gebälk ist genau dieselbe, die Masaccio an seinem Fresko der Dreifaltigkeit in S. M. Novella gemalt hat Sollte nicht ihr Gegiensati 2u den oberen Bildern des Kreuzgewölbes und seiner

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Cappella Brancacci

Bogenfelder die klare Unterscheidung bei Francesco Alberiiai in »eine Hälfte von Masaccio* und die andre von Masolino veranlasst haben? Wenigstens dürfen wir nach den Deckenbildern im Chor der Kir( wie im Baptisterium zu CastigHone d'Olona, auch in dem oberen Teil der Brancaccikapelle von Masolino kein solches streng architektonisrhns Gerüst voraussetzen, sondern können nur an- nemen, dass die vier Gewölbekappen mit den Evangelisten ganz ähnlich eingeÜEisst waren» wie das Baptisterium sie zeigt, zumal da diese Ausmalung eines ähnlichen Kreuzgewölbes im Jahre 1435 auch sonst den altertümlichsten Bestand seines Kunstvermögens gewiss ebenso wiederholt, wie er ihn in Horenz schon vor seinem Weggang ausgebildet hatte. Noch in den unteren Wandge- mälden des Altarhauses malt er die Geschichten Johannes des Täufers unbekümmert um die Ecken der Wände z, B. in die Fensterschräi2fe hinein und sondert die Prediget und den Hinweis auf das Lamm Gottes nicht durch Ramon als selbständijife Bilder von einander ab. Der Einblick in das Baptisterium lehrt überzeugend, dass es ihm mehr auf fortlaufende Erziilun^ als auf strenge (iliederung seines Biidcrcyklus ankommt, und dass er für die räumliche Disposition der Taufkap<^ne mit ihrem kleineren Altarhaus wie für den selb- ständigen Wert der Wände und Wölbungen in ihrem Verhalttiis zu einander keinen Sinn hatte. Das heisst Masolino war durchaus kein so architektonisch denkender Kopf, wie wir ihn bei Masacdo, dem Freunde Brunelleschis selber, in allen Werken seiner Meister- schaft anerkennen mussten.

Damit ist i^fepen jedes Herausschneiden einzelner Bilder aus dem eigens gemalten Gerüst korinthischer Pfeiler in zwei (beschossen ringsum von vornherein eins der stärksten IVdcnken erhoben, die es beim Uebergang zur klaren Frührenaissance überhaupt geben kann.

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DIE ERSTE GRUPPE DER ERHALTENEN

1^ WANDGEMÄLDE. ^

Beginnen wir die Betrachtung der noch heute vorhandenen Fresken der Brancacdkapelle vorurteilsfrei auch unsrerseits an der Stelle, wo die Anhänger Vasaris die Arbeit des Masolino in erster Linie zu suchen gewont sind: bei dem Doppelbilde an der rechten Seiten wand mit der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas» die Vasari fiüschlich fttr Petronilla angesehen hat

Heilung des Lahmen

Zur Linken schiebt sich in diagonaler Richtung die Vorhalle einer Kirche mit ihren drei schlanken Pfeilerarkaden in das Bild hinein, so dass wir in perspektivischer Genauigkeit die Laibung der Bögen, wie das Kranzgesims zu sehen bekommen und Ober die entschiedene Vertiefung der BQhne an der Hand strenger Kon- struktion nicht im Unklaren bleiben. Auf schlichtem Podium ohne Fussgesims aufgesetzt, macht diese Pfeilerhalle jedoch den Eindruck eines gezimmerten Holzmodells und hftngt so mit den Architektur- konlissen des Trecento noch eng zusitmmen. Ganz in der Ecke vom, wo vor dem Haupteingang eine Stufe weiter vorspringt, sitzt der lahme Bettler mit seinen verkflmmerten Beinen in der selben Diagonalrichtung gegen das Innere des Bildes gekert, und beugt sidi weit vor, indem er die rechte Hand den Ankommenden ent- gegenhalt, um ein Almosen zu emp£Emgen. Nicht minder als der »portico del tempio«, wie Vasari sagt oder »die Pforte, die da heisst die schöne«, wie es in der Bibelübersetzung lautet, verrät die Gestalt des Krüppels in ärmellosem Kittel mit einer Binde um den Kopf noch ihren Ursprung aus der Erbschaft der fiorentinischen Malerei, wie die letzten Träger der Giottoschule sie zu üben pfleg^ten. Wie unter den Genrefiguren des Angelo Gaddi in S^*. Croce könnten wir sie im Camposanto zu Pisa unter den Fischern des Antonio Veneziano suchen, und zwar ist die Verwandtschaft grade mit dem I^^tzteren und den Geschichten des Nicolaus von Bari in S**- Croce, die man mit Vasari dem Stamina, mit Cavalcaselle dem Angelo Graddi beimisst, während sie meines Erachtens von Antonio Veneziano herrüren, ganz besonders hervorzuheben. Sie beweist damit schon

•) Vgl vnen «im AbbUdimg Taf. L SchmAriow, IfMMdo^tndien HI, 2

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Heilung des Lahmen

einen engen Anschluss an den grossen florentintschen Freskensdl und die ernste Gesinnung der Besten, die den menschlichen Körper, selbst in seiner Entstellung noch, als Faktor monumentaler Rechnung zu behandeln gewönt waren. Mit dieser Grossheit des Zuschnitts verbindet sich freilich eine Durchfürung der verkürzten Ansicht vom Rücken her, die bei aller summarischen Breite doch gegen jene verblassten Ueberreste von Figuren dos Antonio Veneziano schon ausserordentlich vorj^escbritton erscheint, l^nd besonders die Beleuchtung von links oben her, die das Gesicht, von der Schläfe ab, und die vordere Ilältle des Körpers in Schatten legt, ist schon so wirksam, dass wir auch in dem heutigen Zustande des grade hier sehr bcschädig'ten Bildes die bewusste Absicht des Malers verstehen : d. h. auch in der Lichtfürung zeigt er sich mit den Prinzipien des Antonio Vcneziano vertraut» die wir auf Gherardo Starnina über- gegangen glauben.

Mit unfehlbarem Zwang gleitet das Auge des Betrachters übe: diesen Gegenstand des Wunders zu der Hauptperson hinüber, der sich sein Arm entgegenstreckt. Vom vollen Licht übergössen wendet sich Petrus, auf den Eingang zuschreitend, zu dem Bettler, der ihn anspriclit, und schaut ihm, leise vornüber gebeugt, mit durch- dringendem Blick in die Augen, als wollte er durch sie liindurch Herz und Nieren prüfen. Und ebenso forschend wie der alte (irau- bart blickt auch der blonde Jüngling Johannes, Schulter an Schuht r zu seiner Rechten daherschreitend, im inständigsten Zusammenhalt mit dem Träger der Jvraft ihres Meisters. Solche Verdopi>eUing des scharf aufs selbe Ziel gerichteten Blickes ist auch ein Mittel zur Verdeutlichung des Geschehens, das schon im Trecento, jedenfalls seit Simone Martini und Pietro Lorenzetti verwertet ward.

1 Petrus aber sah ihn an mit Johannes, erzält die Apostel- geschichte, — und sprach ; siehe uns an ! Und er sah sie an, wartete, dass er etwas von ihnen empfienge. Petrus aber sprach : Silber und Gold habe ich nicht, was ich aber habe gebe ich cür: im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und wandle! und griff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf; alsobald standen seine Schenkel und Knöchel fest, sprang auf und konnte gehen und stehen«. Da es unmöglich war, die entscheidende Verwandlung, die mit dem Krüppel vor sich geht, zur Anschauung zu bringen, wftlt der Maler einen früheren Moment Die Gebärde des Pelms, der mit hochgezogenen Schultern die Rechte geöffnet seitwärts streckt, während die Linke unter dem Mantel, dessen Ende sie beim Grehen emporhob, verborgen bleibt, sagt deutlich genug: »was du erwartest, Geld, habe ich nicht«. Diese sprechende Gebärde ver-

Heilung des Ij^hmeM

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eint mit den Blicken der beiden Männer, die dem Elend fest und unverwandt ins Auge sehen, und, ihre Schritte hemmend, hilfbereit herzu treten, verständigt uns, dass hier kein Almosen gewönlicher Art gespendet wird, das man im Vorbeigehen in die Hand des Armen gleiten lässt, sondern dass die ganze Kraft ansetzt, das Un- glück selber zu heben. Die Hand des Apostels, die soeben nur zeigt, dass sie leer ist, kann zugreifen und aufrichten, das bezeugt die Haltung, an der man »das hässliche Motiv des Ausschreitens mit eingedrückten Knieen« getadelt hat ohne zu bedenken, dass es sich hier nicht um den Ausdruck der Bewegung im Gehen handelt, sondern um die Vorbereitung des Aufhebens eines Hilflosen, also um ein Entgegenstemmen, einen Widerhalt gegen die Last, die der Arm emporziehen soll.

So wirken die drei Wesen, auf die der Vorgang selbst be- schränkt ist, intensiv genug zusammen für die Phantasie des christ- lichen Betrachters, auf deren BekanntschalR; mit dem weitem Verlauf immer in diesen kirchlichen Bilderkreisen gerechnet wird. Für sie bedürfen die Gottesmänner kaum ihres Heiligenscheines; denn sie sieht in den beiden Jünglingen im Zeitkostüm, die dahinter des Weges kommen und auf dem Kirchgang sich mit einander unter- halten, schon im Gegensatz die Kinder der Welt, die höchstens eine Münze fallen lassen, da ihnen beim besten Willen die Wunderkraft nicht inne wont, einen Krüppel mit verdorrten und verkrümmten Beinen gesund zu machen, »der lahm war von Mutterleibe«. Eine junge Mutter, mit ihrem muntern Knaben an der Hand bleibt als Gegenbild zwischen beiden Gruppen im Hintergrund, und erinnert eben dadurch an den schrofferen Gegensatz, den die vorgeschrittene Kunst eines Rafael bei der n:i milchen Darstellung in den Teppich- kartons wagen mochte : dort ist aus dem Lahmen ein halbvertiertcs Scheusal geworden, das einen ebenso unglücklichen Gefärtcn neben sich hat, und vi^l absichtlicher jenem gf stinfllieitstrotzcnden nackten Buben gegenübergestellt, so schrill und h.irt wie Giulio Romano es nur vermochte. Im Hinblick auf solche letzte Steigerung fülen wir uns hier noch dicht vor der Schwelle der kindlich naiven Ueber- lieferung, noch immer am Anfang des Quattrocento, und als Erbe dit sf-r Kunst scheint durch die Jarhunderte ein R'^st altchristlicher tinfachheit hinüber gerettet, der dem wertvollen Kern der Schule Giottos zu gute kam. Es ist der (irad erneuter Durcharbeit von Innen heraus, deren geistiger Ernst noch mehr in Blick und Haltung, als in freier Bewegung aller GUeder und plastischer Fülle der Eormen

') A. Zahn, Jahrbücher für Kunstwissenschaft II, 169.

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Erweckung Tabithas

sich auszusprechen vermag. Fast wären wir versucht, auch den strengen Zusammenschluss der Hauptpersonen, der diese Grruppe als schräg gestelltes Dreieck völlig isoliert, einen Vorzug zu nennen, der ihre Wirkung stärkt. Damit wäre jedenfalls ein neuer Beleg für die eifrige Schulung des Meisters, der sie erfand, an den gross- artigsten Vertretern der Trecentokunst anerkannt, ein bewusster Anschluss an das Beste der Vergangenheit , den wir als chara- kteristisches Merkmal ausdrücklich hervorheben.

Gewiss hat auch diese Absonderung mit der augenfSÜligen Lücke hinter Johannes, die lockere Hinzufügung der vornemen Herrchen einen guten Sinn, den weitere Prüfung uns erschliessen mag. Die Wunderscene beharrt so vor der schrägen TempelfroDt zur Linken und lässt dem figurenreichen Auftritt zur Rechten das Uebergewicht

Erweckung Tabithas

Auch hier drängt die Verteilung der architektonischen Massen nach dem Vordergrunde rechts. Während links nur eine schräg- gestellte Koulisse ins Bild hineinläuft, lagert hier quer vorgeschoben die Flurhalle eines Hauses, ein offener Innenraum in Vordersicht Drinnen sind sechs Personen versammelt, während noch 2wei andre draussen auf der Strasse stehen. Hier erkennen wir Petrus mit einem Begleiter, wie im Vorbeigehen soeben ia die Situation An- greifend, — also wirkt auch der Impuls von der Mitte des Bildes her nach rechts entlang.

So allein hat der Malt r geglaubt die fortschreitende Erzalung der Apostelgeschichte (Kap. IX) in einem Moment veranschaulichen zu können. »Zu Joppe war eine Jüngerin, mit Namen Tabitha, die war voll guter Werke und Almosen, die sie tat. Es begab sich aber zu der selbigen Zeit, dass sie krank ward und starb. Da wuschen sie dieselbe und legten sie ins Obergemach (oder auf den Söller, wie Luther caenaculum übersetzt}«. Da aber Petrus im nahen Lydda weilte, schickten sie, ihn nach Joppe zu holen: »Und förten ihn hinauf auf den Söller, und traten um ihn alle Witwen, weineten und zeigten Ihm die Röcke und Kinder, welche Tat^tha madite als sie bei ihnen war. Und da Petrus sie alle hinausgetrieben hatte, knieete er nieder, betete und wandte sich zu dem Leschnam und sprach: Tabitha stehe auf. Und sie tat die Augen auf| und da sie Petrus sah, setzte sie sich hin. Er aber gab ihr die Hand und richtete sie aui^ und rief die Heiligen und Witwen, und stellte ae lebendig dar«.

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Erweckung Tabithas

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Statt auf stillem SöUer ist Tabitha in der offenen Halle des Efdgieschosses an der Strasse aufgebart Das einsame Gebet des Apostels, bei dem die Erweckung eigentlich geschah, konnte der Maler nicht wälen, da er zugleich Ursache und Wirkung ver- anschaulichen sollte. Die Klagescene vorher hätte nur das Eine» die Jubelscene nachher nur das Andere gegeben. Deshalb zog er diese beiden zusammen. Er fürt uns mitten hinein in die Ver- sammlung der Witwen und Heiligen, von der Petrus erwartet wurde. Neben der Bare knieen rechts zwei Frauen in nonnen- hafter Verschleierung; die Eine hält ein Gewand erhoben über den Armen, nm es zu zeigen, die Andere hat Kleider neben sich am Boden ausgebreitet'). Damit ist die Motivierung gegeben. Drei Männer von Joppe stehen auf der Innenseite; zwei von ihnen be- sondere als Träger des Ausdrucks, den der Erfolg hervorbringt. Petrus mit dem Begleiter, der ihn von Lydda herbeigerufen, erscheint draussen. Ohne die Anwesenden hinaus zu weisen, wie die Bibel erzält, erhebt er die Rechte zum Segen gegen die Tote hin , die auf seinen Wink sich in ihren Leichentüchern zum Sitzen aufrichtet und die Augen aufschlagend den Apostel erblickt. Nur der Augen- blick: »er rief die Witwen und Heiligen und stellte ihnen die lote lebendig dar« enthielt für df^n Künstler die erwünschte Gelegenheit zu mann ichfaltigem Ausdruck, die durch Einboziehung der er- klärenden und motivierenden IMomenle noch bereichert, zu einem Umschwung von Trauer zur Freude ausgestaltet werden konnte. Den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Gebärde des Apostels und dem Dasitzen der alten Frau muss auch hier die Phantasie hinzu dichten. Nur die Tragbare und die eingewickelten Hände lassen erkennen, dass wir es nicht mit einer Kranken, sondern einer bereits Gestorbenen zu tun haben.

Dem Bcwegungsbilde an der Pforte des Tempels tritt also hier ein Situationsbild im Hause gegenüber. Wahrend dort der Moment vorher die eigentliche Wundertat vertreten muss, ist es hier der un- mittelbar folgende Zustand, in dem die früheren noch nebenher fort- dauern, oder wenn man den Befehl >Steh auf und seinen Er- folg zusammen als die eigentliche Entscheidung hinnemen will, so sind hier drei Momente zusammengefasst, Anfang, Mitte und Ende einer Handlung: das klagende Anliegen, seine Erfüllung im Kingriff des Apostels und deren Wirkung. Es ist alo das Zusammen- greifen eines reichen Akkordes, der in voller Stärke des Anschlags gehalten wird.

H"; i^t also über'liissig, Vasaiis Deutung als Bcfrcittog Petronillas von ihrer Krankheit noch eigens zuruckzu weise o.

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Erwecküng Tabithas

Meisterhaft bind in der Mittelaxe des dargestdlten Raumes, durch die ganze Breite hin die drei Hauptbestandteile verteilt, und zwar ihrem Werte nach in aufsteigender Linie. Dem Auge des eintretenden Beschauers begegnet zuerst neben der Bare, die als Horizontale weiter wirkt, am Rande rechts die knieende Witwe mit dem emporgehobenen Gewand, das die Tote gearbeitet, als Trägerin des »treibenden Agens«; dann sucht es Ober die sitzende Gestalt in Leichentüchern den stehenden Apostel als das Ziel der Demon- stration und den Träger der Hilfe, die erwartet wird. Von seinem cncrg-ischcn Wink als Aciisscnin^ dieser Kraft geleitet, kert der Blick auf dem selben Wej^e zurück, allseitig sammelnd was sich aus- breitet nebenher. Vor der Bare ist die zweite Witwe, die ebenso die Zeugnisse mildtätiger Arbeit Tabithas vorgewiesen hat, schon in eine folgende Bewegung übergegangen : auch sie kniet zu Häupten der Verblich! n* n, aber die Kieider liegen neben ihr zur Seite und sie selbst erhebt ihre Hand in staunender Gebärde wie ihr Antlitz in dankbarer Ueberraschung zum Apostel hin. lieber den drei Frauen reckt sich, wie der Gipfel einer pyramidalen Gruppe, die stehende Gestalt eines Greises empor, der aus mitleidiger Riirung in hellste Verwunderung übergehend mit gespannter Aufmerksam- keit jede Bewegung der Toten verfolgt und mit beiden erhobenen Händen das unerwartete Aufstehen hegleitet. Er ist zugleich der Höhepunkt des dramatischen Ausdrucks und der Träger der Peripetie. Denn die beiden Männer, die neben ihm jenseits der Bare vor der Hinterwand der Halle stehen, geben die beiden Momente getrennt und in stärkstem Kontrast zu einander. Der Eine, mit langem weissem Bart und gescheiteltem Silberhaar, neigt sein liaiu t .ilnvaris, wie nach innen blickend und ganz eingehüllt in seinen Mantel, ohne ein Glied zu regen, wie versunken in (iram. So wird er des Er- eignisses, das vor sich geht, noch kaum 'c^nwahr, während sein Nach- bar, in langem Rock und weissem Turbau, wie von liiilsetzen ge- packt, das ihm den Kopf herumwirft, mit den Händen herausfart; die Linke abwärts streckend, die Rechte erhebend, lugt er die plötz- liche Regung starr geglaubter Glieder wie etwas Unheimliches nur von der Seite an. Hier setzt sich der psychische Affekt in physische Bewegung um, und so steht diese heftigste Gebärde als drastischer Uebergang von Ursache zur Wirkung «wischen dem Apostel und Tabitha. "Best Träger einer höheren Madit charakterl^ert sidi daneben, von dem rulüg ernsten Boten wie von dner Folie sich abbebend, durch würdevolle Selbstgewisshdt und vomOTie Haltung auch beim be- fehlenden Aufruf. Die Kraft seines Willens faast sich im symbolischen Zeichen zusammeni dem er weiss es auch die Toten gehorchen.

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Erweckung Tabithas

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Und wie der Jünger von Joppe, der den gewaltigen Gottes* mann gerufen, nur als Schatten dieser Persönlichkeit den Abschluas der ganzen Komposition bewirkt, so versuche man nach dieser Analyse noch einmal die Bewegiingslinie zu verfolgen, die vom Arm des Petrus gewiesen in schräg geöffnetem Bogen um den Gegenstand der Teilname herumläuft, so ergiebt ach die schöpferische Synthese zwischen eindringlicher Motivierung und ausströmender Wunderkraft des Helden, deren bewegliche Mitte wir in der höchsten Gestalt des Greises mit gespaltenem Vollbart bei jedem Vollzug der einen oder der andern Richtiinj^ hcrausfülen. In grader Linie schneidet die Handlung- ein, in engem Kreise wirkt ihr unmittelbarer Erfolg, im weiteren Umkreis klin^*! noch die vorige Stimmung nach, die den Eingriff von aussen veranlasst hat und berechtigt.

Das ist als biblische Krzälung ein Meisterstück, in dem das Jcostbarste Erbteil aus (iiottos Tagen verwertet und durch eigene Vertiefung in den psychologischen Gehalt des Vorgangs verstärkt worden ; es ist auf dieser Grundlage als durchaus originale Leistung erwachsen, die sich grade durch das Verständnis der lebendigen Erregung und den einheitlichen Fluss der wogenden Bewegung als weit organischeres Gebilde vor allem Früheren auszeichnet. Nur im Feuer der schoj)terischen Begeisterung einer ernsten, künstlerisch hochbegabten Natur kann sich solche Läuterung vollziehen. Und noch durch eine, bei (ricjtto nirgends erstrebte, bei Antonio Veneziano erst für sich gepflegte Eigenschaft erscheint die ausdrucksvolle Scene auch als Werk aus einem Guss. Mehr als die Aufschlüsse des rechnenden Verstandes über die bewussLe ÜL-konomie des Aufbaues kommt für die malerische Wirkung die Lichtfürung in Betracht Ein breiter Lichtschein vom Fenster in der Altarwand der Kapelle her streift die entscheidenden Teile der handelnden Hauptperson, besonders den rechten Arm und den Kopf, dessen Antlitz halb beschattet, in Profil sich gegen den Hintergrund ab- hobt. Auch da wieder eine Zusammenfassung des charaktcrisüschen Kindrucks der Person, deren machtvolle Gegenwart hier genügt, und ein Zu: lu kdraiig cn alles Nebensächlichen, das diesen Eindruck nur zersplittern oder ablenken konnte. Keine stark induiducllen Einzelheiten, nur der Trager einer höhercii Mission in hilfbercitem Sinne, deren Ausstralung alle Ucbrigcn bewegt. Dagegen ergiesst sich der volle Lichtstrom über die bleiche Gestalt der Auferweckten, die ganz in weisse Tücher gehüllt, mit einer hellroten Decke über den Füssen, sich als Mitte aus den dunkeln Gewandmassen ihrer Umgebung heraushebt. Grelle Gegensätze von Licht und Schatten unterstützen die jähe Erschütterung des Mannes im hellen Turban;

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Erweckung Tabithas

Streiflicht, das in die Dunkelheit fällt, malt das Auftauchen des weissbärtig-cn Greises aus dumpfem Schmerz ; spielende I laiblichter verdeutlichen den Stimmungswechsel in dem breiten Kaikopf: milde Klarheit breitet sich über die reinen <TCsichter der Frauen, die in treuem Frnst und unschuldiger Zuversicht der Erhörung harrten. Die Wirkungen des Hell und Dunkel, wie die der Farben- töne, sind aber Gefülssaclü wie die einer Melodie, und ihre be- wusste Verbindung mit den Vorstellungen, die wir angedeutet, ent- zieht sich was den Maler selbst betrifft unserer Kontrole. Heisst das zu viel aus einer könstlenschen Leistung heraus lesen, die so viel Vorzüge mnerlicher Auffassung aufzuweisen hat?

In der Gestaltung des Einzelnen freilich trägt sie unverkenn- bare Anzeichen noch schwankender Herrschaft über die Mittel an sich, die wir durch Donatello und Luca della Robbia in schnellem Fortschritt g-ewinnen sehen. Aber diese Errungenschaften der grüssten Bildner sind damals eben erst im Vollzüge oder auch auf plastischer Seite noch nicht erreicht. Um 1424 steht neben den freien Erstlingsstatucn Donatellos noch Lorenzo Ghiberti in vollem Ansehen, sein Johannes der Täufer neben dem herrlichen S. i iic rgio, und der Petrus Donatellos neben dem Philippus des Nauni d Antonio di Banco in den Nischen von Orsanmichele, deren letzte noch leer geblieben Noch überwiegen auch bei diesem Maler das spätgotische Faltengehänge und die weiten Kurven des Zuges in den Gliedmafsen wie in der Draperie; aber die Neigung zu wuchtiger Breite und grossflächiger iLiniachheit ist ebenso unverkennbar.

Sind diese Beobachtungen richtig, und die wolberechnete Anordnung wie die erreichte Intensität des Ausdrucks können als Tatsachen doch nicht in Abrede gestellt werden« selbst wenn man die bewusste Wal des Linienzuges und der Lichtfibrung in Zweifel zöge, dann suchen wir vergebens nach Ahnlidien Eradieinttngen in den anerkannten Werken des Masolino bis hinein in die spätesten Arbeiten, die wir von sdner Hand besitzen, und vermögen ebenso wenig dem Urteil zuzustimmen: »hat Masacdo diese Gruppen ge- schaffen, so müssen sie erste zaghafte im Geiste MasoKnos begonnene Versuche heissen« Es mag, wie A. v. Zahn sich ausdrückt, »frei- lich sehr von der individuellen Anschauungsweise, die in solchen Fragen eine eigentliche Beweisftirung nicht gestattet, abhAngren,

') Die gemeioMme Arbeit von Ghiberti und Michelozzo, S. Matthäus, ist 1422 entstanden. Der Auftrag an Donatello lür die Nische mit S. Ludwig (wo jetzt Ver- rocchios Christus und Thomas) soll 1423 erfolgt sein. Ghibcrtis S. Stephan ward 1426 vollendet.

*) A. V. Zahn, a. m. O. p. 169.

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Das Doppelbild als Ganzes

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ob man sich entschüeasen kann» mit Crowe und Cavalcaselle . . . von der Auferweckung zu sagten: Nichts kann schöner sein als die Gruppe der Männer und Frauen am Krankenbett« Aber auf einen einzelnen Superlativen Ausdruck kommt es wol nicht an! Unläugbare Tatsachen der vergleichenden Beobachtung aber ge- statten auch eine eigentliche Beweisfürung, wenn auch mehr als Demonstration ad oculos, d. h. für die Logik unsres anschaulichen Denkens zwingend, selbst wo es uns schwer fallt die Logik unsres begrifflichen Denkens als dabei oktroyierten Mafsftab immer so glatt zu befriedigen, wie sie es mit Abstraktinnon fertig bringt. Diese Tatsachen aber werden von Zahn wol nicht genüp;cnd in ihrem Wert iTowfirdigt, wenn er meint, die Komposition beruhe *ganz auf dem Prinzip flach ausgeschnittener Figurensilhouetten. * eine Aus- sage, die entweder tatsächlich falsch ist oder, nur relativ gemeint, die historische Bedingtheit der Kunststufc, mit der wir es bei Masolino wie Masaccio um 1424 25 zu tun hah^n. nicht in Rechnung zieht »Jene leisen Abweichungen in den Kichtungslinien der Gliedinafsen, welche in der antiken wie in der neuern Kunst das entscheidende Moment der Entwicklung vom (lebundcnen zum Freien, von der typischen zur begcistigten nsciieiigestalt sind,« wollen eben durch angestrengte Arbeit erst errungen werden, und es ist wol nicht minder unrichtig als ungerecht, das entscheidende Moment der Entwicklung «Alles was, mit Vasari zu reden, die bella maniera moderna offenbart nur in diesem einen Teil der kuuslierischen Gestaltung allein zu suchen.

Das Doppelbild als Ganzes

Diese sonstigen Bestandteile des KunstvermOgens weiden sicher von dem selben Kritiker aufs Einseitigste unterschätzt, weil er stets von dem Vergleich mit den spätem Bildern der Kapelle ausgeht, und ihre Beweiskraft wird gradezu in den Wind geschlagen, wenn er hinzufügt: »der bessere architektonische Hintergrund kann nicht dabei irre machen«. Da grade liegt das entsclieidende Problem. Und das Urteil eines geschulten Fachmannes wie Cavalcaselle wiegt doch schwerer, »Masolino hätte dieses Bild mit seiner Hintergnind-

') Die deutsche Ausgabe giebt die Stelle übrigens» &o; »Volle Schönheit der Gruppierung seigen die Miaaer «od Franeii, welch« du KiaakeabeU T«bithu'^iin-> äteheo, wihreod sie auf das Gebet de* Pein» wieder «nflebt«. Die italieiiiMlie Asspbe

bat riann noch einschränkender: »Null« di meglio a noi par possibile'di vcdere per quci tempi, del gruppo d'uomini e delle due donne che inpinocchiatc sul davanti drcondaao U letto di Tabita nel dipinto della resarreziooe, e giiardono a San Pietro, ■MBtie ^ in alte «tt compiere il minoolob«

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Das Breitbild als Ganzes

Perspektive nicht malen kf»nnen. Nirgends finden wir bei ihm architektonische Hintergründe, seien es nun einzelne Häuser oder ein bebauter Platz, in so strenger Durchfüning und in so gutem Verhältnis zu den Figuren. Das ist keineswegs zufällig, sondern ein Gradmesser für die Aneignuniy der Wirklichkeit. Und für die vorliegenden Fresken, insbesou Ir für die Erweckung der Tabitba, hat dieser Punkt entschiedene Beweiskraft«.

Davon sind auch wir überzeugt. Die Begründung dieser An- sicht bei Crowe und Cavalcaselle. aus der wir die obigen Sätze in etwas verbesserter Ordnunir herausgehoben, weil sie in dieser Folge- richtigkeit ihre Wirkung k.iuin verfehlen können, wollen wir jedoch damit nicht ohne Weiteres in allem Uebrigen unterschreiben, noch uns mit ihren Beweismitteln allein begnügen. Wir müssen vielmehr anerkennen, dass Masolino die beiden Vorderkoulissen, die Finrrangs- halle des Tempels dort und die oifene l^ggia des Hauses r, in den Fresken des Baptisteriums zu Castiglione d'Olona wol erreicht ; aber diese fallen nach dem unbezweifelbaren Datum 1435 am Gewölbe eiii volles Jahrzehnt später und bezeugten uns in dem Fortschritt von der Verkündigung an Zacharias bis zur Entliauptung des Täufers ringsum die F"rüchte eines neuen Aufenthaltes in Florenz nach seiner Ruck- ker aus Ungarn 1427, und des Studiums der inzwischen entstandenen Fresken in der Brancaccikapelle von seinem einstigen Genossen Masaccio. Die grösste Aehnlichkeit mit dem Doppelbilde der Petrus- legende, vor dem wir stehen, kommt grade erst in dem letzten grossen Wandgemälde des Baptisteriums mit dem Mal des Herodes links und der Darbringung des Haupies an Herodias rechts zum Vorschein. Dort aber stehen die seitlichen Hallen grade in unglück- lichem Verhältnis zu den Personen, und das Bravourstück der perspektivischen Konstruktion, der Einblick in den Hof des Palastes mit seinen Wandelbanen an den Umiaasujigsmauern herum, erhöht grade den peinlichen Kontrast zu den grossen Figuren, die unver- mittelt davorstehen, und die Bühne schneidet endlich durch die Quermauer grade an der Stelle ab, wo die Schwierigkeiten der Linienflucht erst recht beginnen. Beide Bilder, das im Baptisterittia und das in der Brancaccikapelle, haben Eins miteinander gemein: sie geben rechts und links nahe Gegenstände und in der Mitte die Feme. »So verengert sich die Tiefenbewegung, breit anfangend nach der Tiefe hin» und wir empfinden das Nahe als das Weite und die Feme als die Engec schreibt Adolf Hildebrand*) und hebt aus- drficklidi hervor: »Eine soldie Anordnung wirkt von vornherein

>) Dm Pfoblcin der Foim in d«r bildenden Kwnt 1893 p. 56.

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Das Brbitbild als Ganzes

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iinsenn wahren und normalen Naturverhflltnls entgegen, beengt unser RaumgeftÜ anstatt es ins Unbegränzte anzuregenc.

Hier aber haben wir einen Sp( cialfall vor uns, eine künstliche Konstrukticm, die fClr die Geschichte der Malerei im Quattrocento ihre besondere Bedeutung bat: es ist sozusagen ein Paradigma der strengen Linea rperspektive» die Brunelleschi verlangt hatte, und zwar durch die Verbindung zweier Scenen in einem Ramen, als linke und rechte Hälfte einer gemeinsamen Bühne, auch ein Miister- stück, zu welchen Konsequenzen das Gebot des Architekten ftkrt Masolino aber nimmt in CastigUone die Unlcidlichkeit der Anschauung ruhig in den Kauf, wenn er nur die Fertigkeit perspektivischer Aufrisse zeigen kann, und kümmert sich garnicht darum, ob die Figuren mit dem Schauplatz in annembarem Zusammenhang stehen oder nicht. Grade darin lieg^ die auflfälligste Schwäche der letzten reifsten Komposition, die wir von ihm besitzen. Und nun sollte die Lüsunjf der selben Aufgabe, die das Doppelbild der Brancaccikapelle bietet, um 1424 von dem selben Maler herrürcn, eine Lösung, die so viel glücklicher gelungen, dennoch grade den schwachen Punkt für das Auge des Betrachters zu verdecken sucht! Wir haben absichtlich diesen Teil des Breitbiides bis hierher zur Be- Siirechung aufgespart.

Unsere Betrachtung hat die Heilung des Lahmen und die Auferweckung Tabithas als ein Paar getrennte Scenen der Petrus- legende, jede für sich mit ihrer zugehörigen Räumlichkeit aus- einander zu halten gesucht Denn nach der Disposition des Stoffes für die ganze Kapelle wären, wie wir gesehen haben, auf jeden dieser Wandstreifen zwei Darstellungen verteilt gewesen, wie unter unserm Doppelbilde noch das Verl^or und di» Kreuzigung des Petrus von Filippino. Dächten wir einen trennenden Pikister dazwischen, so hätten wir auch den Uebelstand vermieden, dass die Aufbarung Tabilhas m rfferar ilallc (it s Erdgeschosses an der Strasse oder am 1 'latz, stall i:ii Coenaculuin i>der aul dem Söller geschähe. Ganz in gcwonter Weise würde sich von einander sondern, was örtlich und zeitlich geschieden war. Wie kam der Maler überhaupt auf den Einfall, die Heilung des Lahmen an der Pforte des Tempels zu Jerusalem, mit der viel spätem Erweckung Tabithas zu Joppe ganz gewaltsam in einem Kamen zu verbinden und auf dem selben Schauplatz vorzufüren? Dieser Schritt war doch keine Kleinigkeit, weder <^e Bedenken noch ohne Schwierigkeiten. Wir können darin nur ein weiteres Moment der nämlichen Erwägungen sehen, die den Aufbau einer zweigeschossigen PfeUerarchitektur eingcfürt hatten. Und in der Tat sdiemen bdde Kompositionen zunächst als

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Ursprüngliche Halbierung

selbständig eingeramte Bilder beabsichtigt zu sein : noch heute schneidet eine auffallend grade Linie am Rücken des Begleiters Petri senkrecht hüben und drüben wie neben einem wirklichen Kamen in der Mitte ab. Aber beide Scenen waren doch ursprünglich schon als Hälften eines einheitlich von einra Centrum aus konstruierten Bildstreifens entworfen, und zwar, ohne Zweifel, in Rücksicht auf die Gesetze monumentaler Wandmalerei, im Sinne des Realismus» dessen Durchfürung in der Raumanschauung unseres Wissens erst Brunelleschi gefordert hatte. Der Centralpunkt wäre dann hinter den Mittclpfeiler zu liegen gekommen, ganz ähnlich wie noch in den fünfziger Jaliren Mantegna sein Paar aus der Jacobuslegendc, TaiifV und Verhör, wirklich gemalt hat, und ganz ähnlich, wie wir es im untern Paar der Altarwand, Almosenspende und Schatten- heilung, von Masaccio durchgefurt sehen.

Nun aber denke man sich, solchem Entwürfe gemäss, die beiden Streifen der Wände links und rechts mit unerbittlicher Konsequenz, wie das Gesetz des Architekten es zunädist verlangte, in zweimal zwei solcher Bühnenhälften zerschnitten 1 Die Unleidlidikeit solcher Anschauung ftlr unser RaumgefQl musste die Strenge des Prinzips ad absurdum f&ren. So versteht sich von selbst, weshalb die Teilung durch den Mittelpfeiler auch bei dem angefangenen Paar aufgegeben und eine andre Lösung versucht werden musste, sei es auch um den Preis, zwei entlegene Scenen, die nichts mitdnander gemein haben als die Person des Helden, auf einer Btihne vorzuflireo, scheinbar gleichzeitig. Die Mittellmie der ganzen Wandflache gebt f didit hinter der äussersten Person der Auferweckung dh. am Ülantel des Begldters, der Petrus nach Joppe gdiolt hat, entlang, und die gleiche Absonderung gewaren wir links hinter dem Rücken des Johannea In dem Mittelstreifen dazwischen liegt der Augenpunkt, und zwar in zweidrittel Höhe, ungeftr hinter dem Kopf des Spazier- gängers, der mit seinem Gefiürten Über den Platz zum Tempel schreitet. Diese Höhenlage des Centraipunktes der gemeinsamen Konstruktion bedingt die Entfaltung eines ziemlich weit in die Tiefe gehenden Bühnenfeldes, das der Maler nun wie einen geräumigen Platz einer italienischen Stadt seiner Tage als Hintergrund ßir die beiden Seitenkoulissen eröffnet. Und zwischen den Vorgängen links und rechts vermitteln die beiden florentinischen Jünglinge im Sonntags- stat, als Körper in der Gestaltenreihe zu dem Paar von biblischen Personen gehörig, dem sie den Rücken drehen, als Zuschauer dagegen zu dem andern Paar, das vor ihnen zum Tempel geht So wird die Verschiebung der S}rmmetrie durch die Kraft der Beziehung wieder

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Das Doppelbild als Ganzes

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aufgewogen, soweit es sich mit der Absicht der Gesamtdispontion verträgt, von der noch später die Rede sein muss.

Diese künstlerisch wichtigen »Lückenbüsser« lassen bequemen Durchblick frei in die Flucht der Strassen, die auf den Platz münden,

und auf die Kirchgängerinnen, die aus den anstossenden Häusern kommen, während andre Männer gemächlich auf der Bank eines Palastes sitzrn, und das Auge des Beschauers mag zu rein malerischem Genuss der BrlnicliLung oder der perspektivischen Reize sonst hinausschw cifen nach Belieben, die Weite der städtischen Um- gebung zu ermessen. Grade in der Mitte aber, hinter den beiden neutralen Statisten öffnet sich die Ferne nicht, sondern cino Flänscr- gTuppe tritt als Wand vor, von der sich die Figuren abli* ben, und so ist der Fehler vermieden, den MasoHno noch t J3s begeht, dass die Enge uns beklemmt. -Die beiden kurzröckigen Jünglinge in der Mitte«, diese »interesselosen Füllfiguren-!, die in ihrem Quattrocento- kostüm sich so gar nicht mit dem biblischen Charakter der Wunder- taten vertragen wollen, sie sind doch nicht allein sichere Kennzeichen einer nachträglichen V^ereinigung beider Bildhälften zu einem grössern Ganzen, sondern sie sind in diesem Breitbilde grad« /u eine Woltat für das Auge. Sie beweisen, wie die perspektivische Raumtiefe, die sie mit den Gestaltenreihen links und rechts im Vordergrunde vermitteln helfen und zugleich erstrecht in Wirkung setzen, die Ueberlegenlieit des Malers, der hier gewaltet hat. Grade ihr vom poetischen Inhalt aus »unmotiviertes Auftreten * ist künstlerisch von höchster W n litigkeit, ein Auskunftsmittel immerhin, aus der Ver- legenheit einer veränderten Oekonomie, aber zugleich die glückliche Lösung eines malerischen Problems, das die starren Konsequenzen des Architekten und seines perspektiviäciien Liniensystemes wieder ^t macht.

Schneiden wir einmal die beiden biblischen Scenen heraus, so dass nur diese KostOmfiguren mitsamt der Hintergrundsperspektive übrig bldben, so behaupten wir mit Crowe und Cavälcaselle in vollstem Einvernemen: Masolino hatte dies Bild nicht malen können; es kann von Niemand anders als Masaccio sein. Die Raument&ltun^ der gemeinsamen Bflhne, des Platzes mit den Strasse« die darauf mfinden, bedeutet eine so persönliche Errungenschaft Masaccios» dass er sie gemalt haben mflaste, auch wenn die beiden Wunder im* Vordergrund von Masolino herrflren sollten. Eine solche Kenntnis der exakten Grundlagen, wie eine derartige Prospektmalerei ae voraussetzt, besafe Masolino nachweislich im Jahre 1425 noch nicht, und erwarb ebensowenig bis 1435 das Gefbl flkr Reliefenschauung, das sich in der Zutat dieser Lückenb13sser offenbart Für jene

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RaUMPERSPECTIVE tJND RELIErAMSCHAUUKG

wissenschaftlichen Voraussetzungen giebt nur der Hinweis auf die Gemeinschaft mit Filippo Brunclleschi bcfricdipfcndcn Aufsclihiss, und das Verständnis für den Unterricht und die Aufgaben dieses genialen Architekten bcsafs, wie dieser selbst bezeugt hat, untor den Atalofü nur Masaccio in dem Malse, dass rr /nm xcrtraiiten l^reundc, zum fruchtbaron Vertreter der Ideale und zum uncrmüdiichen Be- arbeiter der iYobleme ward, soweit eine Verwertung im Bilde sich irgend mit seinem echt malerischen Sinn vertrug. Für jenen Aus- gleich der strengen TJnr arperspektive mit den natürlichen Be- dingungen unseres Raunigt'füls, und zwar in erster Linie mit der einheitlichen Reliefautfassung der vorderen Figurenreihe, giebt es aber -wiederum nur bei Masaccio die Erklärung: es ist das Eingehen in die bildnerischen Bestrebungen eines Donatello, das auch Vasari ausdrücklich hervorhebt, und die Walverwandtschaft mit T.uca della Robbia, die wir im Fortschritt der anerkannten Meisterwerke hervor- gehoben. Nur im Leben des Masaccio findet der Platz, der den Tempel von Jerusalem und das Haus von Joppe zusammenfasst seine Stelle: es ist die Vorstufe zu jener meisterhaften Darstellung der Piazza del Carmine, die der Mathematiker Antonio Manetti wie der Maler Giorgio Vasari mit gleicher Sachkenntnis in der »Sagra< bewunderten, die uns als schlagendes Belegstück leider verloren ist.

Nun erschienen aber die beiden biblischen Scenen für sich be- trachtet, als so ernste, seelisch energisch verarbeitete Kompositionen, in denen das Wertvollste der Treccntokunst mit soviel Eigenstem verbunden ist, dass wir eine Zuweisung dieser Stücke an 2ilasolino nach Allem, was er geleistet, nicht verantworten konnten. Es ist also an eine zeitweilige Arbeitsgemeinschaft beider Maler bei diesem Breitbilde, oder an die Ueberarbeitung vorhandener Stücke des Einen durch den Anderen, ebenfalls nicht zu denken. Vielmehr hängt die allmähliche Entstehung des Ganzen, die w nachzuweisen versucht haben, in allen Stadien so eng mit den persönlichen, durch Brunellescbi beeinilussten Bestrebungen des Masaccio zusammen, dass die Er- findung der Kompositionen wie die Ausfilrung des ganzen Doppel« bildes in seiner jetzigen Redaktion nur ihm selber beigemessen werden kann, und zwar als erster Teil seiner T&tigkeit in dieser Kapelle.

Das bezeugt endltdi auch ein weiterer Zusammenhang mit der Gesamtdisposition der Freskenreihe. In dem Breitbilde, das nun die Heilung des Lahmen und die Erweckung Tabithas auf einem Schau* platz vereinigt, föllt das Uebergewicht der rechten Hälfte, also die völlig unsymmetrische Verteilung der Figurenmasse auf, und die beiden Eindringlinge, die das Situationsbild rechts in das Bewegungs*

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Zusammenhang mit dem dritten Bilde 31

bild links überleiten, können darüber nicht täuschen. Diese Un- gletchmässigkrit i i der Zweiteilung, die zu augenfällig Ist, um als unbewusster Fehler gelten zu können, löst sich sofort, wenn wir die weitere Verteilung an Ort und Stelle ins Auge fassen und mit dem antretenden Betrachter der ganzen oberen Bilderreihe auf dieser Seitenwand rechnen.

Die Komposition des Doppelbildes aus der Petriislegende gravitiert nach Aussen hin, d. h. nach der Seite des Eintretenden, der unter der BogenöfFnung der Kapelle stehend in diesen Innen- raum hineinschaut; aber der Zug der vorherrschenden Bewegung in den Figuren selbst geht ebenso fülbar nach Innen zu gegen die Altarwand, d. h. zum Mittelpunkt des Heiligtums. Nemen wir nun aber das erste Fresko der nämlichen Reihe, das der licschauer rechts neben sich hat, die schmale, von Pilastern nicht einge- schlossene DarstollunL'- des Sündcnfalls am Eingangspfciler hinzu, so erkennen wir einmal in diesem Hilde für sich ebenso deutlich den Starkon Absrhhiss nach rechts, sodmin aber aucli die absichtliche Uebereinstimmung mit der dreihgurigen Komposition zuäusserst links. Selbst wenn die Breite der beiden Bilder in wirklicher Ab- messung nicht gleich ist ; die Nähe des Pfeilcrbildcs, die absetzende Ecke des wirklichen Architekturtciles, wo das Gitter die Kapelle schlnss, und die gemalte Absonderung von der Altarwand drinnen, vor Allem aber die optische Verkürzung bewirken die Gleichwertigkeit, dass Lahmenheilung und Sündenfall wie die Flügel zu dem Ijreitcn Mittelstück mit der Erweckung Tabithas erscheinen. Damit aber rechtfertigt sich um so mehr die auffallende Lücke zwischen dem Apostelpaar und den beiden Pflastertretern ; die letztem sollen ihrerseits in dieser Rechnung zum massigeren, figurenreichen Haupt- bilde des Sireilens gehören. Damit ist die einheitliche und wol ab- j^ewogene Gesamtdisposition erwiesen, und die drei Bilder dieser Reihe gehören unauflöslich zusammen, ebenso wie dies gegenüber von der Geschichte mit dem Zollgroschen und der Vertreibung aus dem Paradies dargelegt worden.

Dies Argument spricht um so entscheidender mit, je weniger ein Zusammenhang des dargestellten Gegenstandes mit der Petrus- legende solche Verbindung schon ;.n sich nahelegte. Bei der Wal dieses Gegenstandes scheint ebensu uas künstlerische Verlangen des Maleri, iKiigespielt zu haben. Die Nacktheit der Personen gab ihm Gelegenheit, sein Bestes im Sinne der neuen Zeit zu wagen^ oder gar selbst erst die malerische Darstellung des nackten Menschen- leibes zum ersten Mal mit der ganzen Wabrhattigkeit zu versuchen, deren die begabtesten Bildner sich damals befleissigten.

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$2 Die Erste Reihe der Wandgemälde

Der SündenfjRll

Das erste Mensdienpaar in nackter Schönheit hinzustetteD, wie es aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen, noch rein und ohne Fehl als Ebenbild des Höchsten, das auch die Kirche zuliess, das ist die Aufgabe die sich der Meister gestellt hat Schon beim ersten Anblick kann darüber kein Zweifel bestehen. Nur mit schmälstem Streifen eingeramt, ist die verfügbare BildflAche last ganz für die beiden Gestalten benutzt, und dennodi, aus der Behandlung des Hintergrundes und der Verwertung des obeten Stückes, das über ihren Köpfen übrig blieb'}, sofort da- leuchtend, dass es nicht ausschliesslich im Sinne geraalter FlastÜc, sondern bei allem Interesse für den Bau der Körper und die Modellierung ihrer Formen doch im eigentlich malerischen Sinne geschieht. Adam und Eva im P^adiese, die nackten Menschen in freier Natur, ist sein Thema. Der Baum der Erkenntnis und das böse Prinzip in Gestalt einer Schlange kommen als notwendige Be- standtefle hinzu, den Sündenfell daraus zu machen, und es ist nicht zu läugnen, ^e sind ziemlich äusserliche Zutaten geblieben; wir müssen sie suchen, wenn die stumme Zwiesprach der beiden Menschen verhängnisvollen Inhalt haben soll. Wir folgen der Ent- stehungsgeschichte des BildeSi wenn wir diesem Gang des ersten Eindrucks genauer nachdenken.

Die ursprüngliche Abmessung- der Pfeilerfläche, wo das Bild erscheint, bestimmt auch das Verhältnis der Körper, die daraus hervor- treten. Sie sind hoch und schmal gebaut, einander so ähnlich in den Mafsen, dass sofort die Frage sich vordrängt, wie weit das Schema einer Normalügur, wie weit die Anschauung eines männ- lichen und weiblichen Modells hier gewaltet. Die gleichmässigc Be- vorzugung dieser gestreckten Proportionen bei beiden Geachlechtern bedeutet hier keine persönliche Wal aus dem Reichtum mannich- faltiger Gebilde, der dem Künstler zu Gebote gestanden hätte, sie ist noch Ersatz für den Mangel an Naturanschauung und an An- eignungsfcLhigkeit , selbst wo Beobachtung zu Grunde liegt. Dif gesetzmässige Berechnung dos Aufbaues nach Mafsgabe archi- tektonischer Regohl diont als Laufkorb , so lange die jüngrre Schwesterkunst noch nicht auf eignen Küssen stehen und ihre eignen Wege gehen kann. Diese Körper von neun Kopflangen sind ererbte Schulgewonhcit, die der toskanische Maler am Anfang des XV. Jahrhunderts erlernte, gotische Mafsgerechtigkeit, die hier

') Obes ist ein beMcfatlidies StSck der uninttiifUdiett BiMflIche doidi das lid* Ncttbaii der Kirdw eingefllgte Geenm «le Hole ngededtt woiden.

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Adam und £va

fortwirkt, ohne sich noch bewusst zu werden, wie sehr die Tatsachen der Er&rungr ihr widersprechen. Es geht dem Quattrocentisten damals genau so mit der Auffassungr antiker Bauformen; überall zeichnet er die Höhendimciision zu gross im Verhältnis zur Breite, die Einzelbildungen zu schlank und dflnn, luftige Konstruktionen, die er in Wirklichkeit garnicht so vor sich sah. Wenn das noch von Ghibertis Architekturen an der Porta del Paradiso gesagt werden darf, so kann es vorher bei einem Maler gewiss nicht Wunder nemen. Ein Blick auf Vorgäng^cr erklärt die Erscheinung, die wir vor uns haben. Man vergleiche nur die lange hl. Katherina, die ein unmittelbarer Nachfolger oder Stellvertreter des Spinelln Aretino um 1388 in der Kapelle der Alberti zu Antclla gemalt hat '), die beiden Figuren Johannes des Taufers und der hl. Reparata in S. Miniato al Monte-), die sicher schon ins erste Jahrzehnt des XV. Jahrhiiinhrts gehören, oder vollends die Darstellungen von Adam und Kva in den Deckenbildern des ehemaligen Convento del Ceppo (S. Antonio Abbatp) zu Pistoja*), die von Lokalschriftstellern für Antonio Vite in Anspruch genommen werden. Hier begog-net die nämliche Sca nr Fva lang und dünn, mit ong aneinander ge- schlossenen Beinen, kerzeng^de vor einem Gebüsche stehend, wie sie Adam die verbotene Frucht nach links hinüberreicht. Adam wendet sich dreiviertel oder ganz im i^rofil zur (irefärtin und greift mit der Rechten zu. Zwischen ihnen der Baum, um dessen Stamm sich die Schlange ringelt, deren menschlicher Kopf genau die Züge des Weibes wiederholt. Dieser Trecento-Nacklheit gegenüber, die man einem Schüler des Gherardo Starnina, also einem Alters- und Ateliergenossen Masolinos zumuten will, obwol sie in völlig ver- ständnisloser Allgemeinheit bcharrt, und überhaupt der ganzen bis- herigen Behandlung des Nackten gegenüber, muss nun diese Leistung in der Brancaccikapellc um so mehr ins Auge fallen.

Hier ist mit der Aufgabe vvirklicli Ernst gern acht, zwei Menschen in körperhafter Erscheinung hinzustellen, wie sie auf dem Erdboden stehen oder sich bewegend auftreten können *). Diese Körper haben ein festes Knochengerüst, dessen Hauptformen und Teilungen dem Meister bekannt sind und in natürlichem Zusammenhalt unter der Oberfläche der Haut gezeigt werden.

Besondere Adam steht auf dem linken Bein, mit der Fufssole am Boden haftend, sicher und doch elastisch da, indem das rechte

') Pbot. Alinari 3615. *) Phot. Brogi 6461.

Phot Brogi 6258. *) VgL mm Abbildiiog Tat II. Selmartow, Mancdo-Stodieii. HI. &

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Adam tjnd £va

Bein leicht nach der Seite vorgestreckt in Spannung bleibt; nur ist hier das Abheben der Sole und die Haltung der Zehenreihe noch nicht glücklich. Hier steckt in der summarischen Behandlung des Fusses noch ein Rest der befangenen Schulfcmn, ebenso wie in der Eckigkeit des Armes, dessen Einbogen nach auswärts steht, während die Hand bis zur Brusthöhe erhoben wird. Die Linke hängt grade an der Hüfte herunter und hält einen Zweig, der die Scham ver- deckt, indem diese ganze Hälfte des Oberkörpers in seitlicher Drehung zurücktritt. Zwischen starken Schultern erscheint die Briistweite etwas dürftig, als wäre auf ihre Kosten der Rücken stärker entwickelt Auf kräftig ansteigendem Halse hebt sich der Kopf aufrecht in Dreiviertelsicht, genau in der Richtung des Oberkörpers nach rechts gedreht: der harte, ebrr eckige Bau des Schädels, die bestimmte Durchmodellienmg der ti* sichtsteiie mit scharfer grader Nase und grossem Ohr, kurz grhaltonctn Haar und Vollbart, machen durch ihren freien und energischen Charakter das Misverhältnis vergessen, in dem die Gesamtlänge des Korpers zu ihm steht. Er ist in sich gross gelialten, dass er sich auch so geltend macht

Auffallender bleibt diese Kleinheit des Kopfes bei Eva, obgleich das länghche Oval das Antlitz mit seiner langen graden Nase, kleinen Augen und spitzem Mund, wieder schmal und gestreckt erscheinen lässt. Ein hochsitzender unentwickelter Busen betont die gleich- förmige Länge des Leibes und der Schenkel nur erst recht, und weckt, wie die Unbestimmtheit der Durchmodeliierung in allen diesen Teilen, den Zweifel ob dem Maler überhaupt ein weibliches Modell zu Gebote gestanden, oder ob er genötigt war, sich auf Erinnerungs- bilder zu verlassen, oder sich mit Umformung eines jungen Burschen zu begnügen. Im Grunde haben wir wol nur die Abwandlung der selben Normalligur vor uns, die beim Manne ebenso das volle Ein- gehen auf Naturwahrheit nicht aufkommen lässt, also eine Kon- struktion nach der Schulregel gotischer Bauhütten. Jedenfalls ist das vortretende linke Bein in ganzer Länge ziemlich unartikuliert und die KnOchelpartie zu stark wie das Handgelenk. Das rechte Behl bleibt vom Knie ab zurOckgebogen hinter dem andern. Während der linke Arm, um den Baum gelegt, mit dem Zweig in der Hand vorgreift, hebt «ch der rechte, mit der Fmdit in den Fingerspitzen zur Sdiulterhöhe, um den Bissen zum Munde zu fbren.

Die malerische Absicht des Künstlers dagegen ist völlig eigen und klar. Er zeigt uns die weibliche Gestalt, &st ganz von vom gesehen in voller Beleuchtung des weicher geformten Leibes^ deo männlichen Körper muskulöser und knochiger, in Dreiviertddrdiung zur Gefärtin und energischem Gegensatz von Schatten und Licfat,

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Plastische und malerische Absicht

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so das» 2. B. der linke Oberschenkel und Arm sowie ein grosser Teil des Rumpfes, im Schatten Hegend» mir durch Reflexlicht erhellt wird. Und diese Beleuchtung ist sehr bemerkenswert: sie entsprach genau dem Standort des Bildes an der rechten Seite der Kapelle vom Eingang aus, wo das einzige Fenster, schmaler als jetzt, in der Altarwand die Lichtquelle war, der anstossende Kreuzarm der Kirche «lagegen nicht so lichtvoll wie heute im Neubau des achtzehnten Jahrhunderts» sondern eher dunkel wie in S. M. Novella oder St^ Croce.

Und noch mehr, bei dieser vollen Modellierung der Formen in immerhin harmonischem Umriss, kommt es dem Maler doch auf etwas anderes an als die rein plastische Wiedergabe, Klarheit der Zeichnung und Rundung des Körperlichen. Er empfindet den eigentfimlichen Reiz des Nackten in der freien Natur und breitet das Grün des Gartens Eden mit Baumschatten und Hagelwand als Folie darunter. Die Wirkung der hellem Hautfarbe des Weibes und der dunkleren Kamation des Mannes so nah bei einander, auf dem braunlichen und blaulichen Grün des Baumschlages hat gewiss das Absdien der Aus- fürung ursprünglich noch mehr bestimmt, als wir es beim heutigen Zustand des Wandgemaides verfolgen können; aber dass die kolo- ristische Stimmung mitspricht und gewollt ist, wird jedes Auge auch jetzt noch herausfülen.

Natürlich steht das Menschenpaar am Baum der Erkenntnis, dessen Stamm die Eva umfasst, und aus dem Gezweig der Krone reckt sich der bewegliche Scblangenleib mit dem kleinen menschen- ähnlichen Kopf hervor, genau so gebildet, wie wir sonst die Engel am Tron Marias zu sehen gewont sind. Dies feine Kinderantlitz steht herabschauend grade in der Mitte, wie die heimliche Bundes- genossin des Weibes, die Peitho der antiken Kunst, zwischen und über Beiden, wie die vcrfürerische Macht des Beispiels, das stärker ist als alles Ueberrcden. Evas Augen sind nach der Seite des Mannes gerichtet, während sie die Hand mit dem verhängnisvollen Bissen bebt; Adam folgt mit ernstem Blick, ob vorwurfsvoll, ob ge- spannt, ob zaudernd, schon diesem Vorgang, noch nicht mit der Hand dem Munde so nah, wie die schwächere Gefärtin, doch bereit genug das Stück zu kosten, das sie gegeben, er genommen und be- halten hat. Ein letzter Rest des Zagens vor der Tat, deren Vollzug kaum zweifelhaft bleibeti kann: das ist der Inhalt des Augenblicks^ den der Künstler gewält hat.

Ob der Ausdruck den Grad sprechender Lebendigkeit erreicht, den er gewollt hat, oder den wir wünschen, sind zwei sehr ver- schiedene Fragen, auf deren zweite nur eine subjektive Antwort

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gegeben werden kann. Ueber Adams ernsten Blick und das Spiel der beiden Hände, zwischen denen der Kopf des Dämons wie das Zeichen an der Wage steht, an dem das Züngldn nodi leise hin und wieder sdiwankt, über diese sichtbare Andeutung des seeliadien Vorgangs geht der Ausdruck kaum irgendwie hinaus. In den Ge- stalten sonst kaum ein leichtfüssiges £ntgegenkommen beim Weibe, ein unsicheres Innehalten beim Manne. Aber man vergesse nicht, sie sollen ja noch rein und unschuldig sein ; Leidenschaft und SOnde haben das keusche Gdäss ihres Leibes noch nicht berürt, das böse Grewissen ihre Nerven nicht durchzittert; die Darstdlung solcher Spuren des Einmal für alle Mal wäre ein Verstoss gegen die Schrift gewesen, deren Veranschaulichung nur als die Aufgabe des Malers betrachtet werden darf. Deshalb dürfen wir nur das Musterstück des ersten Menschenpaares, die Ebenbilder Gottes im Sinn der Kirche, Normalfiguren »at* t^oxrjv im Sinne der Kunst von damals erwarten. Deshalb soll nicht geläugnet werden : man merkt, dass die Bewältigung der Schwierigkeiten, die sich dem Können des Meisters bei solcher Arbeit orp-aben, die Darstelluncf der beiden Körper in schlichtester Ruhe schon so sehr die Kräfte in Anspruch genommen hatte, dass die Belebung der Gestalten im Sinne eines einheitlichen Affekte vielleicht \on selbst schon zurückblieb. »Einen absoluten Mangel jeglicher Beziehung zwischen den beiden schlanken Gestalten , wie A. V. Zahn urteilt, vermag ich nicht zu7ng-eben, und der Vergleich mit der Vertreibung aus dem Paradies ist fr ri lieh an Ort und Stelle sehr natürlich, fast um ermeidlich so einander gegenüber, aber doch immer ein Anachronismus, wenn der Abstand von ein Paar ausser- gewönlich fortschrittlichen Jahren dabei ausser Rechnung bleibt Wenn er vollends zu dem Ergebnis fürt, dieser Süiidenfali erscheine daneben, »als eine leblose langweilige Komposition so ist dies relative Urteil allerdings richtig, aber ebenso ungerecht und irre- förend, wenn man den Stand der fiorentinischen Malerei im Augen- blick der Entstehung vergisst.

Den letzten Schritt zu tun, der den Abstand zwischen beiden Bildern nur durch ZuteiliKi^'^ an zwei verschiedene Künstler erklären zu können glauht, dazu kann auch A. v. Zahn sich gegen C cu alcaselle nicht entschliessen, Er »will den Sündenfall dem Masaccio nicht absprechen«; denn Crowe und Cavalcaselle hatten geurteilt: >inj Stil des Konturs und in der Bildung des Nackten sei dies Gemälde von den übrigen nicht wesentlich verschieden«. Und doch weist grade Zahn auf die Leistungen Masolinos in Castiglione d'Olona hin. ^ gegen welche der Sflndenfall zurück stehe«, auf »die Gestalt des getauften Christus^ Frierenden, den Mx Abtrocknend»

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Masouno oder MASAcao

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unter den Neophyten«, Leistungen, die, als 1435 dh. ein volles Jahrzehnt später entstandene, zur Entscheidung zwischen Masaccio und Masolino in der Brancacdkapelle gewiss nicht mehr so ohne Weiteres herangezogen werden können, ausserdem aber einesteils ganz heterogene Genremotive sind, wie die Täuflinge am Ufer, andernteils durchaus nicht die Vorzflge zur Schau tragen, die sie in Zahns Erinnerung besassen. Man lege sich doch (mit Hülfe unsrer Abbildungen) die beiden Figxiren nebeneinander, die sachgemäss allein in Betracht kommen dürfen : den Christus im Jordan dort und den Adam im Paradiese hier. Der Letztere ist weitaus überlegen.

In der Stellung des Körpers, in der Haltung des rechten Armes haben beide viel Verwandtschaft; aber nach einem Blick auf die oberflächliche und unverstandene Durchmodellierung der Brust, auf die dürftigen Arme, auf den zartknochigen und doch ältlich gebrech- lichen Bau des Gottessohnes bei Masolino, müsste man eher geneigt sein, diese Darstellung des Nackten für viel früher zu haken als den Adam der Branracrikapelle, der daneben wolgebaut, stramm und frisch, wahrhaft ni.innlirh ersrheint, und in der Modellierung der Muskulatur eine vir! '^r-nauerc Kenntnis und fortgeschrittenere Mittel der Durchtürung aufweist. Jener Christus in Castiglione stünde, wenn wir kein Datum dafür besässen, gewiss als gotische Vorstufe da, aus der sich durch eifriges Modellstudium und technische Uebung in der Wiederi^abe der Karnation der Adam entwickeln mochte, wenn jene l aufe ein JugemK ersuch in der ererbten Schulmanier, dieser Sündenfaii ein eigener Anlauf zu kühnem realistischem Streben wäre. Da die Daten beider Werke jedoch grade urngekert liegen, so folgt daraus unw'eigerlich, dass der Maler des Christus in der Taufe von 1435 nicht im Stande gewesen sein kann, ums Jahr 1425 schon diesen Adam im Sündenfall zu malen. Denn selbst eine flüchtige Wiederholung geläufigen Eigentums, wie wir sie bereit- willig bei dem oberen Bilderschmuck des B.iptisteriums in Castiglione zuküsen wollen, würde doch bei solcher Hauptfigur, an einer der vomemsten Stellen des Cyklus, nicht frühere Errungenschaften in der Kenntnis des Körpers wieder preisgeben, Masolino hat überhaupt die Tektonik des Knochengerüstes niemals soweit erlernt, wie der Adam sie zeigt.

Als gleichzeitige Leistungen dieses bereits vierzigjährigen Meisters stehen ja die Deckcnbilder der CoUegiata in Castiglione, mit seinem Namen da. Nur sie dürfet^ wir fragen, ob Masolino diesen Adam in Florenz unmittelbar vorher gemalt haben kann oder nicht. Wem spränge die Unvereinbarkeit nicht in die Augen? Die Proportionen seiner schlanken, langbemigen und kurzbrOstigen Gestalten, mit

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M ASOIJNO ODER MASACCIO

ihren kleinen Köpfen und ihren flieasenden Gewändern sind freUich

sehr verwandt; sie gehören zur selben Schultradition. Aber dort haben wir einen Miniaturstil als Grundlage, hier den Monumentalstil in vollem Ernste. Wir haben in Castiglione beobachtet, wie un- cigentlich diese Wesen Masolinos dastehen, wie die Arme bald zu kurz unter dem Mantel verborgen, bald lang und dünn in engem Acrmel, doch ohne jede Andeutung ihrer Gelenke und Muskulatur, fern abliegen von dem Bemühen um Durchbildung dps Nackten und um Herrschaft über :dle Glieder des Menschen. Dort steckt dieser Abkömmling des Starnina noch ganz in den körperlosen Gewand- figuren des Trccento, durch deren feierliche Draperie er wirken will, ohne Ghibertis Schatz von anmutigen und ausdrucksvollen Motiven, oder seine Gabe harmonischer Entfaltung des Leibes zu besitzen. Seme realistischen Neigungen gehen mehr auf perspektivische Kunst- stucke im Beiwerk, auf luftige Architekturen in Untensicht, grade da, wo sie am wenigsten Plat/e waren. Sonst lautet docii

das Urteil allgemein: »arciuiektonischer Rhythmus des gotischen Stils«, »von jedem realistischen Anklang völh'g freie Arbeit' (A. V. Zahn) und wir sollten in chronologischer Konsequenz nicht I.übkes Ausspruch zustimmen? »Wer zwischen 1422 und 1427 (um den weitesten Spielraum, den die Daten lassen, zuzugestehen) die Bilder am Chorgewölbe der Collegiata ausgefürt hat, dit^ noch so stark vom gotischen Stile bestimmt sind und erst schwache Sparer, einer neuen Belebung zeigen, der kann unmöglich um die selbe Zeit auch nur die schwächsten Bilder in der Cappella ßrancacci gemalt haben«.

Wenn im SOndenfall »nur die völlige Koncentration der Kräfte auf die dem Künstler aufdämmernde Schönheit des Nackten c, wie A. V. Zahn überzeugt Ist, den Mangel einheitlichen Zuges im Aus- druck des seelisdien Vorganges erklärt, so ist schon damit wo! ausgesprodien, dass wir eher einen jungen aufstrebenden Meister wie Masaccio vor uns haben, als dnen vierzi^gährigen Mann, der sdne Aneignung der Körperform nicht soeben erst emstlich beginnt Wir legen aber auf diese Eroberung der Grundlagen alles Gestalten- bildens für den realistisch gesonnenen Maler, die hier vollzogen ist, viel mehr Gewicht als auf den Ausdruck. Die Tektonik des Knocheo- gerOstes und die Rundung der Formen im plastischen Sinne sind die konstitutiven Merkmale für das Können des Meisters» der hier gewaltet; sie sind exakte Dinge, die sich durchaus verstandesmässig und objektiv kontrolieren lassen, also von zwingender Beweiskraft

Deshalb mag hier den Verfechtern Masolinos» die sich doch hauptsächlich auf Vasari berufen, auch wenn er den Sfindenfall nicht

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EIN7ELFIGUREN S. PeTERS UND PAULS 39

aoadrQcklich als Masolinos Anteil erwänt, noch eine Erwftgung vor- gehalten werden, die sich ganz genau an Vasaiis adadrOckliches Zeugnis hAlt Sie betrifft das Schere Dastehen oder feste Auftreten der Figuren im Sandenfall, die ^ch dadurch wesentlich von den BeckenbOdem in Castiglione unterscheiden.

Petrus und Paulus an Cappella Serragli

Vasari erzält, Masacdo habe an einem Pfeiler der (Jäppella del Crocifisso im Carmine die Crestalt des Apostels Päulus gemalt, »die ^ch bei den Glockensträngen befindet«, und die ihm auch von Antonio Manetti ^) und dem Libro d' Antonio BilU, den zuverlässigsten Grewärsmännem des Quattrocento selbst, zugesprochen wird. Und zwar sei dies geschehen, wie nur Vasari weiss »come per saggfio«, um die Verbesserung zu zeigen, die er in seiner Kunst erreicht hatte. An dem andern Pfeiler derselben Kapelle hatte Masolino die Einzelfigur des Petrus gemalt, die ebenso bestimmt in jenen Quellen als sein Eigentum bezeugrt ist.

Die beiden Apostelfüi^ten an den Eingangspfeilern einer Haupti- kapelle, wie die »del Crocifisso« war, hochverdienten Patronen ge- hörig, wie die Serragli im Carmine sich bewdrt, und in unmittel- barer Nachbarschaft der »Kapelle des Starnina«, wie Fr. Albertini noch 1510 hervorhebt, sie mussten von vornherein zum Vergleich zwischen beiden Meistern herausfordern. Nun aber lesen wir bei Vasari. die Gestalt des Paulus von Masaccio habe ausserordentliche Vorzüp;o besessen. Der Kopf sei das Bildnis des Bartolo di Ang-inlino Angiolini gewesen (der 1373 geboren, damals also ungrffir lunfzig Jahre zälte) und zwar von so überraschender Lebenswahrheit, >^dass ihm allein das Wort zu fehlen schien«. Dennoch habe er dem Charakter des Apostels Paulus, den er darstellen sollte, bcsond« rs entsprochen: durch jene Verbindung römischer Urbanität mit christ- lichem Glaubenseifer . Da taucht für uns als neues Vergleichsstück auch S. Matthäus an ürsamuicliele, von Ghiberti und Michelozzo (1422) auf. Als Gemälde aber bekundete die Figur »ein staunenswertes Verständnis für Verkürzung in Untensicht, da er die Schwierigkeit in der Stellung der Fusse überwunden hatte und so über die unge- schickte FehlerhalLigkeit der altern Maler, die alle ihre Figuren nur auf die Fussfpitzen zu stellen wussten, hinausgekommen war«.

In einer eigens deshalb angeschlossenen Erklärung nimmt Vasari das Verdienst dieses Fortschrittes für Masaccio in Ansj ruch und vcrücht sein Prioritätsrecht nochmals, nachdem er die selbe

' ( 'tro Santo Pagholo tra la cappella Je'Scragli, ch' c dov' 4 S. CiOCi&SIOi, e U cappella dipiotoTi la stotia di aanto Girolamo, fighHra maravigliosa.

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S. Paulus umd S. Ivo

Sache schon vorher bei Besprechung des hl. Jvo von Bretagne an ^nem Pfeiler der Badia hervorgehoben hat Leider ist auch dies Freskobild, in dessen unterem Teil die Witwen und Waisen, die von diesem Heiligen Hülfe erwarten, zu ihm aufblickend dargestellt waren, nach zeitweiligem Aufenthalt in einem Nebenraum '), verschollen. Da auch die beiden Gestalten an den Pfeilern der Cappella Serragli im Carmine, der Brancaccikapelle grade gegenüber, schon 1675 dm Neubau des Corsini-Heiligtums zum Opfer gefallen sind, so ist es uns versagt, ein eigenes Urteil zu bilden. Die Aussage Vasaris aber ist klar und muss für seine Anhänger bestehen bleiben. Hat Masaccio erst den gemalten Einzclfigurcn diese statuarische Eigenschaft sichern Dastehens erobert, so hat sie Masolinos S. Petrus eben nicht be- sessen, — und tr.cln Masolino, sondern Masaccio hat Adam undKva im Sündenfall am I jngaiig der Brancaccikapelle gemalt

Damach erscheint die Tatsache, dass Vasari den Sündenfall gamicht unter den Stücken aufzält, die er für Masolinos Arbeit ansah, in ganz anderm Uchte, Und wir müssen der philologisch- historischen MettKjde, die mit den Zeugnissen dieses Biographen operiert, das Recht absprechen, solch ein nicht bezeugtes Werk für Masolino zu verwerten, weil sie sich dadurch 7.u dieser Erklärung Vasaris über Masaccios Priorität in direkten Widerspruch setzt. Von Masaccio dagegen berichtet der selbe Gewärsmann ausdrück- lich über eine ganz analoge Leistung: tlavoro in Fiorcii/a una tavola, denir jvi un maschio ed una femmina ignudi, quanto li vivo, la quäle si trova oggi in casa Palla Rucellai«,

Mit dem Sündenfall gehört nun aber aufs Engste die Erweckung Tabithas zusammen. Wir 6nden das Antlitz der Eva, das doch gewiss als wolerwogenes Ideal de-s jugendschönen Weibes angesehen werden d^iri, dh. als Bestes, was der Maler dam.ds zu erreichen ver- mochte, wir finden es ganz genau im Kopf der nächsten Frauen- gestalt des Nachbarbildes wieder, jener nonnenhaft verschleierten jungen Witwe, die rechts in der Ecke kniet und ein rotes Kleid, das Tabitha gefertigt, auf den Armen vorweist, nur in veränderter Stellung die nämlichen Züge. Die Wiedergabe mit den gleichen technischen Mitteln lässt erstrecht über die Wiederholung des Typus kdnen Zwdfel, dass wir in beiden Stocken audi nur cKe Hand eines und desselben Malers erkennen darfen.

Indessen so ein einzelner Kopf ist ja immer nur Stockwerk gegenober den durchgehenden Erwägungen, durch die wir dies dfitte Bild am Eingang schon mit den beiden Scenen der Petnislegende drinnen verknüpft haben. Alle drei Teile dieses Wandstreifens sind

') B occb i-C i D e n i, 1^ Bellezze . . di Firenze 1677 p. 383.

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Einheit der Bilderreihe

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für uns nur denkbar als die EHindung eines und desselben Meisten^, der sie zusammen, je nach ihrem Werte und ihrer räumlichen Wirkung im grösseren Ganzen der Kapelle komponiert hat, wie er in allen die wirkliche Beleuchtung vom Fenster dieses Innenraumes aus sowol gleichmässig durchgefürt, als auch im Aufbau der Figurengruppen zur Richtschnur genommen hat. Schon der Um- stand, dass Petrus als Bringer der Heilung für den Lahmen rechts auftritt, wie Eva als VerfÜrerin des Mannes, durch die alle Sünde in die Welt gekommen, dagegen im Mittelbilde der Apostel links, nur vom Rücken her beleuchtet, während die Erzälung der Schrift ihn ganz allein ans Lager der Toten bringt, diese für die Aufer- weckung wol berechnete Mafsregel, also Gesetz und Ausname setzen einheitliche Erwägung voraus. Und wenn wir fragen, bei welchem Künstler wir mehr Veranlassung finden, solche Absicht anzuerkennen, so kann die Antwort wol Aller nur »Masaccio'i lauten, und der Name ^^asolino fällt angesichts seiner gesamten T cistungcn in Castiglione einfach aus dem Ramen dieser Hilderrrihr in der Brancaccikapelle heraus. Masaccio ist damals überhaupt der einzige Maler, der mit solchen Abwägungen von räumlichen und körperlichen Faktoren operiert, und grade dadurch zum Begründer des monu- mentalen Stiles der Wandmalerei geworden, auf den Piero de* I rancesciii und Melozzo da Forli folgen und auf dem noch Rafael fusst. Da liegt für uns die Grundlage für allen Ruhm der Brancacci- kapelle, auch wenn nicht Alle, die darin studiert haben, diesen Kern der Leistung zu erfassen vermochten.

Gehen wir darnach auf jenen Punkt des Kunstverm ^* ns über, zu dem die Wiederker des weil li n Tdealtypus schon hindrängte und auf den A. v. Zahn seine Aufmerksamkeit allein gerichtet hat: auf die Bildung und Bewegung der Gestalten.

Da stehen wir keinen Augenblick an, auch liior den fülbaren Zusammenhang mit der Schulgewonheit dos Trecento anzuerkennen. Aber auch hier macht sich das Studium der besten altern Meister allen Ernstes viel mehr geltend, als die Verwandtschaft mit Masel Deckenbildern in Castiglione. Gegenüber jenen schlanken, zärtluh weichen Gebilden erscheint in den Bildern der Brancaccikapelle ein ganz anders geartetes starkknochiges Geschlecht, das auch die Per- sonen der Johanneslegende noch im Baptisterium an markiger Energie übertrifft, jedenfalls vor der letzten Reihe dieser Wandgemälde vom Verhör bis zur Entliauptung für Masoiino undenkbar wäre. Wie

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Gemeinsame Eigenschaften

Petrus und sein Begleiter den geheiligten Typen treu bleiben und in ihrer Gesamterscheinung noch den glücklichsten Leistungen eines Ag^olo Gaddi und Antonio Veneziano nahe stehen * ), vielleicht nur durch grössere Sicherheit in der Wiedergabe des Knochengerüstes und kräftiger Modellierung aller Formen, durch den starken Aufbau des Kftrpors und durch die Festigkeit des Auftretens dem neuen Jalirhundort angehören, so ist dieser Entwicklungsprocess auch in dem stehenden Kaikopf /u fläupten der Bare besonders deutlich. Ein hochbeini^-er gotischer (iliedermann ist mit jenem feierlichen Ouergehänge drapiert, das wir bei allen Aposteln und Propheten des Lorenzo Ghiberti und spiner Srhulss^enossen, besonders an der ersten Tür des Baptisieriums tinden. Aber vergleicht man sie mit Ghibcrtis Statuen an Orsanmichele, vom Täufer (1416) bis zum Stephanus (1426), so wird man inne. welche malerische Breite der Gewandimsr, welche Wucht des Gebarens in dieser Gestalt am Lager Tabithas erreicht ist. Und die energische Modellierung dieses aus- drucksvollen Kopfes geht über Alles hinaus, was wir bei Masolino und Ghiberti finden, beruht vielmehr auf einer plastischen Grobheit die wir allein in der Richtung Donatellos suchen können. Aber es ist eben nur der Kopf, und die heftig bewegte Figur des Turban- trägers zeigt daneben deutlich, wie das mangelhafte Körpergestalten dem Maler in der Durchfürung seiner Absichten noch ein Hindernis bleibt. Dagegen ist die Gestalt Tabithas schon in ihrer sitzenden Haltung aucli mit verhuUum Körper klar und bis auf die Füsse befriedigend gelungen, und die knieende Witwe vorn, die wol zuletzt ausgefürt wurde, schon von einer einfachen (irossartigkeit, die wir aus Masaccios Porträtlij^ uren bei der Dreifaltigkeit in S. M. Novella oder bei der Cathedra Petri in dieser Kapelle wol kennen, bei Masolino jedoch nirgends, auch im Herodiasbilde zehn Jahre später nicht in dieser Weise, nachzuweisen vermögen.

Uniäugbar snid die l'ngleichheiten im Wert der AusfQrung, und schon die Unterschiede in der Gewandbthandlung. die hier belangen und altertümlich scheint, dort breit und grandit>s wird, verraten, dass der Meister hier und da flüchtig dreingefaren und das Tagewerk der I Veskoarbeit an ihren Gränzpunkten zusammengernati hat, wann-nd er in ausdrucksvollen Köpfen, in sprechender Ges:init- lialtung und in einheitlicher Lichtfürung vollauf sein Bestes gegeben. Geht man diesen Ungleichlieiten im Einzelnen nach und vergisst

*} Den bebten Aufscbluss Uber Antonio Veneziano gewibrt wol die Ttfel wit

kniffenden Aposteln in AUctilnirg, die zu einer Hinmu lfart Thri-^ti gehörte (Abbildung in der Festschtift zu Ehren des kb Inst, in Florenz, Leipzig 1S97 S. 175) und die Einzeltigurtn „Agnolo Uaddi, S. Julian u. S. Nicolaus in Müncbeo," Pbot. Brackmaoo N. 9S4.

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Gestaltenbildung Bewegung Ausdruck

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nicht, wie bei alledem doch die Gesamtwirkung sowol im psychisch- dramatischen wie im malerischen Sinne herauskommt, so erkennt man wol die raschen Fortschritte eines hochbegabten Künstlers in seinem Aufstreben aus der Schultradition, der bei der Schnelligkeit seines Ganges unmög-lich alle Teile seines Kunstvermftgens aus- j^leichcn kann, sondern soviel Neues will und Neues zu geben hat, dass daneben das minder Wichtige oder noch nicht zu freiem Besitz Erarbeitete zurückbleibnn muss. Als Leistungen eines vi^Tund- zwanzigjälirigen Malers wie Masaccio sind sie durchaus, in ihren Fehlern, wie in ihren Vorzügen, begreiflich, allerdings längst keine zaghaften schülerhaften Versuche mehr, geschweige denn >im Geiste Masolinos befanvrenv , der so etwas nie geschalSea, nie so von Innen aus sich herausgeboren hat

Tafelbild in der Akademie

2u diesen entscheidenden E^enschaften des breiten Doppel- bildes und des schmalen Eingangsstückes, die wir als früheste Bestandteile der erhaltenen Wandgemälde in Cappella Brancacci betrachten, kommen nun noch Beziehungen zu andern Werken hinzu, die zeitlich hierher gehören, und soweit sie in unsern Quellen- schriften erwänt sind zur Vervollständigung unserer Beweismittel dienen.

So kert vor allen Dingen der Gesichtstypus der jungen Witwe lu äusserst rechts, den wir auf das weibliche Ideal des Künstlers in seiner Eva zurückfüren mussten , zum dritten Male wieder als Madonna auf einem Tafelbilde, in dem auch das Antlitz der alten Tabitba. das uns in der Auferwcckung in scharfem Profi! ^''ezeigt wird, als heilige Anna vorkommt, wenn auch diesmal von vorn ge- sehen. Das Tafrlhild stellt »die hl. .Anna selbdritt« dar und befindet -sich jetzt in der Florentiner Akademie. ') Vordem war es in der Kirche S. Ambrogio, wo es an seinem alten Standort noch von Vasari ausdrücklich als Werk Masaccios bezeugt worden ist:

?Von seiner Hand ist ein Tafelbild, in Tempera gemalt, in dem eine Madonna im Schofs der heiligen Annn sitzt, mit dem Söhnchen im Arm; diese Tafel ist heutzutage in S. xVmbrogio zu Florenz in der Kapeile unmittelbar neben der Tür, die zum Sprechzimmer der Nonnen fürt«

Seitdem hat es als eins der bestbeglaubigten Beispiele für Masaccios Tafelmalerei gelten müssen, zumal nachdem das Altarwerk

') Vgl. unsere Abbildung Tafel V. Mitte.

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Tafelbild von S. Ambrogio

im Carmine zu Pisa zeiBtflckdt worden und ganz verschollen sdiieo. Durch die Sorglo^gkeit bei Veränderungen in der Kirche, durch Sonnenschein, dem es an seiner letzten SteUe daselbst wol ansgosetrt

gewesen, dann wol auch durch Herstellungsversuche na<di seiner Ueberfürung in die Akademie hat dies Ältarstück die ursprünglidie Farbenfrische eingebüsst Auch die Grösse der Tafel scheint an den Seiten beschnitten, und die Abrundung oben nicht ohne Wider- spruch zur vollständigen Form eines Kleeblattbogens ausgefort. dessen Nasen noch in die Goldgrundfläche einspringen« und wie das gotische Gehäuse, das wir hinzuzudenken haben, den inneren Aufbau der Gestaltengruppe und den altertümlichen Apparat dabei mit bestimmt haben. Auf doppelsitzigcm Stu!. dessen schlichte hölzerne Pfosten mit birnförmig gedrechselten Kopfstücken geschmückt sind, tront auf einer obern Bank die heilige Anna, eine ernste Matrone in nonnenhalter Verschleierung, so dass mir Gesicht und Hände frei bleiben. Sie legt die Rechte auf die Schulter ihrer Tochter Maria, die zwischen den Knieen der Mutter auf der unteren Bank sitzt und erhebt die Linke über dem Haupte des Knaben, der nackt m linken Arm der Jungfrau auf deren Schofs sitzt, zugleich von beiden Händen Marias gehalten. Die linke Hand des Christusknaben ruht auf der seiner Mutter, während die Rechte sich zum Segnen empor- hebt, linkshin auf den Beschauer, dem auch das Antlitz des Kindes sich zukert. während Maria ernst und stumm nach der rechten Seite hinausblickt. An der vorn ausgerundeten Stufe des Podiums sind die Worte

-H Ave i Maria : Gr{a)tia j Plena i Domin vs Tecvm

Be(n)edictatv h- herum geschrieben, die etwas kleiner und enger beginnend, grösser und weiter endigen und in Rücksicht auf die Perspektive die ein- geklaiuiaerten Buchstaben verschwinden lassen. Auf diesem etwa^i von oben gesehenen Untersatz steht links und rechts am Pfosten je ein Engel, das Weihranclifass schwingend, während drei schwebende Engel einen prächtigen Vorhang von Goldbrokat hinter der Gruppe emporhalten, so dass der Stoff von beiden Händen dieser Träger erfasst symmetrisch in Eorm eines spätgotischen Vorhangbogens herunterföllt Der oberste, vom Kreissegment des einramendeo Kleeblattbog(>ns eingefasst, neigt sich vornüber, so daas sdn Kopt vom Scheitel gesehen zwischen den ausgebreiteten Schwingen und Armen die Spitze des Ganzen bildet. Die beiden sdllichen Gefitrten wenden sich in Dreiviertelsicht den Hauptpersonen zu.

Diese Engel bezeugen am .Litffallentlsteii, tiass es dem Maler dieses sonst noch starren Kirchenbiides, das zur Heiligung der Mutter

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Anna selbst das Ceretnoniell des Weihrauchoplen und byzantinische Teppichbreitung aufbietet, wie irgend die Sienesen des Treoeato, grade diese dienenden Engel beweisen, dass es dem Künstler persön- lidi um die wirkliche Erscheinung menschlicher Körper zu tun ist, und zwar an ihrer Stelle im Raum. Er will sich nicht mehr mit der Allgemeinheit des Goldgrundes begnügen, noch das Mittel des Vorhangs nur benutzen, die räumlichen Verhältnisse der Gegenstände zu einander nach "Bequemlichkeit zu vcrschlcifcn, um die Verteilung idealer Wesen aiit der Fläche beliebig- nach dekorativen Rücksichten vorn cm en können, sondern er will Körper und Raum deutlicher als bisher auseinander setzen , Auch die Engel tragen wie die drei Glieder der heiligen Sippe reichgemusterte g-oldene Kreise um das Haupt, aber die erhobenen Flügel des Einen verbergen zum Teil diesen Schmuck im Nacken, und in der Modellierung der K^pfe wirkt schon eine ganz bestimmte von links oben her einfallende Beleuchtung mit, die über die allgemeine Helligkeit von vorn in den Bildern älterer Zeitgenossen hinausgeht. Die nämliche 15» leuchtiinti»- breitet sich auch über die Hauptgruppe aus, und die entsprechend energische Schattcngebung hat, wie es st hcint, zum Teil den jetzigen Zustand des im Ganzen stark gebleichten Bildes verschuldet. Darüber belehrt vor allen Dingen die dunkle Karnation des nackten Knaben, der breit gebaut und wol genärt, mit rundem Kopf und vollen Formen eher etwas derb, wie ein junger Herkules erscheint. Der Körperbau dieses kräftigen ßambino bestätigt vollends, dass wir es mit einem Maler zu tun haben, der die Bestrebungen der zeitge- nössischen Plastik in seine Kunst aufnimmt, und zwar im ausge- sprochenen Sinne der Realisten, wie Donatello, Alidielozzo und Luca della Robbia. Am laufbecken des Baptisteriums in Castijflione sind die nackten Buben am Baluster nicht besser gelungen, ubgleich sie zehn Jahre Sf>äter datiert werden müssen. Sie aber teilen mit diesem Christusknaben hier eine Absonderlichkeit, die während der Frührenaissance häufig begegnet: die winzige Bildung der Hände (die FOsse sind ganz verdeckt) im Verhältnis zum übrigen Körper, besonden 211m dicken Kopf. Damit rüren wir an die selbe Zwie- spältigkeit des Malsstabes, die hier zwischen Engeln und Jesuskind ins Auge fallen muss, und um so nuttr verietzt, je vollständiger die Körperlichkeit des nackten Bflrschleins auf dem Schols der Mutter herausgearbeitet ist Den nämlichen Widerspruch zwbchen der neuen Naturtreue und dem ererbten Idealismus der Gotik gewaren wir innerhalb der Engelfiguren selbst, deren Oberkörper eine ganz andre Realität gewinnen als der Rest im langen (xewande. Erst ein Vergleich mit den Engeln Masdinos hei der Krönung an der Decke

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Aufbau der Grupp£

der Collegiata oder in der Glorie Gottvaters noch bei der Taufe im Baptisterium belehrt über den Abstand des Wollens wie des Könnens.

Zum vcdlen Verständnis des Geleisteten gelangen wir aber endlich durch die Kontrole des Aufbaues der Hauptgruppe, indem wir das Verhältnis der beiden sitzenden Frauenkörper zu dem TroO' stul näher ins Auge &ssen. Dies plastisch tektonische Gerüst ist ausserordentlich klar und bestimmt auch unter dem Gehänge der Mäntel und Schleier ausgeprägt In scharfer Bezeichnung der Stufen* folge gipfelt sich das Ganze zu einer geschlossenen PyramidCi zu der die vom stehenden Engel hinzugerechnet werden. Die vor- stehenden festen Punkte, wie Kniee, Elbogen, Schultern sind stark betont, während die Vorderarme S. Annas, wieder mit kleinen Händen, offenbar zu kurz geraten. Sonst sind es Gestalten von selir gestreckten Proportionen, und diese Bildung verrät wie der Typus der Köpfe noch engen Zusammenhang mit den Letztlingen oder Nachzüglern der Trccentokunst. Der Umriss der Köpfe zeigt ein langes Oval, das durch Augenbrauen und Nasenspitze in drei gleiche Teile geteilt wird : die Schädelform ist kugelig gerundet, die Aiigrn schmal geschlitzt, die hochgezogenen Brauen als feine Bogenlinien gezeichnet, die Nase grad ablaufend mit scharfkantigem Rücken, der Abstand zwischen Nase und Mund ziemlich lang, die Lippen etwas vorstf^hend, besonders der mittlere Teil der Oberlippe, so dass die Mundpartie wie kleinlich zng^vspitzt oder bedenklich vorgeschoben erscheint. Sie haben darin eine gt wisse Aehnlichkeit mit der ziemlich rohen und oberflächlichen Wandmalerei in S. Miniato al Monte, die unweit der Grabkapelle des Kardinals von Portugal die hi. Keparata und S. Johannes den Täufer darstellt und schon oben für die P*ro- portionen von Adam und Eva herangezogen wurde. Diese Eigen- schaft zeigt sich aber vornemlich bei Maria, d. h. bei dem weib- lichen Idealtypus, und gerade dieser ist es wieder, der das Tafelbild aus S. Ambrogio augenfällig mit den Wandgemälden der Brancacci- kapelle, die wir soeben besprochen, verbindet. Der Maria wie den Engeln gleichermafsen verwandt sind auch die jugendlichen Köpfe der beiden Stutzer. Die erhobene Linke S. Annas kommt ganz äinüich bei dem kaikopfigen Greise mit gespaltenem Vollbart über den Frauen vor, deren Tracht wieder völlig dem Witwenstande gemäss mit der Annas hier übereinstimmt. Ueberall begegnen die nämlichen Falter. zuge, die mit den weichen, fliessenden Stoffen nicht allein das iiervortreten der entscheidenden llaltpunkte und Gelenke des Körpers zur Geltung bringen, sondern zwischen solchen Höhe- punkten ein breites malerisches Gehänge bilden. Endlich entsprechen auch die Farben, soweit ein Tafelbild hier mit Fresken dort im

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S. Anna SELBDRirt

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heutigen Zustande noch einen Vergleich gestattet, dorn Charakter jener obem Reihe in Cappella Brancacci durchaus. Die Karnation geht von rosiger Jugendfrische in den Engeln zu bräunlichem Weizen- gelb beim Kinde und zur Lederfarbe im runzligen Angesicht der Matrone. Der Mantel Marias ist blau, ihr Kleid ziegelrot ; ein weisser Schleier, der auch um die Büste geschlungen ist, deckt ihr hell- blondes Haar. S. Annas Unterkleid ist blau, darüber liegt der weisse Weihel mit dem Gebäude unter dem Kinn und vom Scheitel herab der weite, an beiden Seiten des Kopfes grade herunterfallende Mantel, dessen helles Karminrot in den Lichtem ins Gelbweisse über- gfcht. Der Teppich scheint einen DamaststofF von dunkelm Karmin- rot mit eingewirkten braunen, ja grauschwarzen Mustern wieder- rjgeben. Die Gewänder der Engel sind rotyelb, gelbrot, violettrot und rosaweiss schillernd. Der Tron ist in hellem Grau, wie die Pietra Serena, angestrichen. Wir haben also die beliebte Zusammen- stellung von hellem Karmin und Silin rnfrau wie an der gemalten Pfeilerarchitektur der Brancaccikapelle und dem Fresko der Drei- faltig^keit in S. Maria Novella, als LTmgebung der Figurengruppe, durch das Gold der Heiligenscheine und des Hintergrundes in Wirkung gesetzt

Nach alledem kann durchaus kein Zweifel aufkommen, dass dies Tafelbild aus S, Ambrogio aufs Allerengste mit der obern Freskenreihe in der Brancaccikapelle zusammenhängt, und dass es ein Beispiel der Kunst des selben Meisters für die kirchlichen Zwecke der Andacht giebt, das unmittelbar vor der Entstehung dir ser Wand- malereien vollendet sein mag. Die altertümlichen Bestandteile durten darüber nicht täuschen, da die Bestelhmg der Nonnen von S. Ambrogio jedenfalls viel davon ausdrücklich verlangte.

Da Vasari dies Kirchenbild nun aber ausdrücklich Masaccio zuschreibt, und zwar nach einem jugendversuch in perspecti vischen Schwierigkeiten an erster Stelle namhaft macht , so giebt er uns damit einen Gegenbeweis in die Hand gegen seine Zuteilung jener Fresken an M asolino. Nach unserer Rochnun^r hätten wir in S. Anna selbdritt, wie etwa in der Einzelfigur des Apostels Paulus die un- mittelbare Vorstufe für den Beginn des Doppelbildes aus der Petrus- legende vor uns, also Masaccio um 1424, und die Bestellung der Nonnen von S. Ambrogio könnte der Anlass sein für seine Ein- tragung in die Malergilde mit der Jahreszal MCCCCXXIV.

Wäre diese Schlussreihe nicht richtig, so bliebe nur die Um- keruiig offen : Vasari hätte die L resken dem Masolino mit voller Sachkenntnis zugeteilt, die Notiz über das Bild in S. Ambrogio aber fälschlich in das Werk des Ala^accio, statt in das des Masolino ein-

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Masaccio oder Masolino

gefugt Dies ist die Schlussfolg^erung aller derjenigen Forscher ge- blieben, bei denen sich die Vorstellung von Masolino nach den er- wänten Wandgemälden der Brancacci kapeile gebildet hatte, so da&s sie zu seil wer davon loskommen können, um vorurteilsfrei den Gang von den bezeichneten Deckenbildern in Castiglione her noch einmal durchzumachen.

Unläugbar nähern wir uns in diesem Tafclbilde der Akademir um einen fülbaren Schritt jenen Darstclliirii^rn der Marienlegende im Chor der ( iUegiata. Ganz besonders sind es die Engel, auf deren Verwandtschaft mit denen Masolinos hingewiesen werden darf. Ja, wir gehen noch weiter, da wir auch in Castiglione die üebereinstimmung der Kunstweise zwischen diesen Deckenbildem und dem ganzen obern Schmuck des Baptisteriums ausdrücklich an- erkannt haben. Wir anerkennen damit auch zalreiche Beziehungen zu den hieratischen Bestandteilen dieses spätem ( N klus von 1435, <^en Engeln, Evangelisten, Propheten und Kirchenvätern Masolinos, und warnen nur vor der Einbeziehung der letzten Bilder aus der Johannes- legende vom \ erhör bis zur Enthauptung als ganz unzulai>sig Dies Alles zugegeben, genügt uns doch ein Hinweis auf die sichere, plastisch oder wenigstens tektonisch durchaus klare Darstellung der sitzenden Figuren, die sorgfalüge fast baumeisterlich rigorose Be- tonung der Kniee, Schultern, Köpfe usw. m ihrer scharfen körper- liehen Form, um S. Anna selbdritt für ein ganz anders geartetes Werk zu erklären, das weder vor 1425, also vor den Deckenbildeni im Chor der Kirdie» noch vor 1435, also vor den Deckenbildem des Baptisteciunis, auf die Rechnung Masolinos gesetzt werden daiC Man vergleiche doch die Unbestimmtheit des Dasitzens auf dem Tron hm. Maria aowol als bei Christus in der Krönung; man ver* gleiche dodi den Propheten Jeremias oder gar den alten Zadiarias unten bei der Namengebung. Dann aber könnte wie das Bild in S. Ambrogio auch die Freskenreihe der Brancaccikapelle, die so eng damit zusammengehört, von dem Masolino, den man sich aus beiden Bestandteilen herausgelesen hat, erst länger als einjahrzefaot nach der bisherigen Datierung der Brancacdfresken, also etwa nach seiner Rückker aus Ungarn gemalt sein. Damit aber fiele ja die anerkannte Chronologie völlig über den Haufen.

Der Meister, der das Bild für die Nonnen von S. Ambrogio ge- malt hat, war damals indess nicht allein ganz anders vorgebildet, is viel strengerer Zucht geschult, sondern auch von Natur ganz andeis geartet, so dass er nur völlig andersartige Gestalten zu sdiaffim m>

In diweii FeUer vCfOUt Kiin4ttOD, Ummoo p. 186 t

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t>AS ItlRCHEI^ttlLD AUS AmBUOGIO

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mag. Vor allen Dingen fällt doch wol an dem B3de der Akademie der gänzliche Mangel an Anmut auf, fOr den auch die Engelköpfchen nicht entschädigen können. S. Anna ist eine hartknochige Sibylle mit runzligen Zügen, wie die unerbittliche Priorin des Klosters selber. Maria hat nichts von der sllphid( tihaften Zartheit und weichen Milde des Wesens, das die Jungfrau Masolinos zu einem anziehenden, wenn auch noch so unwahrschcinlidien Phantasiegeschöpf macht Und das robuste Kind vollends hat trotz der Segenspende etwas von dem mürrischen Ernst der beiden Mütter, daitUr aber eine ge- sunde Leiblichkeit mit auf die Welt bekommen, die wir Masolinos Christkindlein keinen Augenblick, aber auch seinen Putten, als Grenien mit einem Schriftband nicht zutrauen dürfen. Die Anspannung der geistigen Kraft, die Anstrengung der mühsamen Arbeit spricht über- all aus dem Tafelbilde, so dass wir schon daraus nin" auf einen jungen, gewissenhaft ringenden, aufstrebenden, aber noch nicht mit sich und seinen Mitteln fertig gewordenen Meister zu schliessen ver- mögen. Und die Ungleichmässigkeitcn die übrig geblieben sind, der Widerspruch zwischen den Mafsstäbcn, zwischen idealen Bestand- teilen und wirkhVhk^itstrruon, die sich kaum mehr miteinander ver- tragen , all das erklärt sich nur im Uebcrgangsstadium einer viel tiefer greifenden Schöpfernatur, als Masolino je gewesen und t^e- worden ist. Ganz unverkennbar stehen hier zwei verschiedene Ein- flüsse nebeneinander; das Studium der besten alten Meister, bis Giotto hinauf und Brunelleschi herab, auf der einen Seite, und die leichte, liebliche Weise, die wir bei Masolino gefunden und ebenso in den Anfängen Fra Angelicos die Grundlage bilden sehen. Aber seihst dies bequeme Erbteil des nahestehenden Malers nimmt der Ur- heber der strengen Altartafel nicht mehr ruhig hin: die Engel vorn mit den Weihrauchf&ssern sind nicht die schnellfertigen Gebilde Masolinos bei der Krönung, mehr, sondern für ihre Stelle und ihre Tätigkeit gedacht, und ebenso die Teppichträger bis hinein in die Stellung ihrer Flügel, vollends aber der oberste, dessen schwierige Ansicht in Verkürzung vom Scheitel her und mit Rücksicht auf den untenstehenden Micsrhauer niemals, an so unwichtiger Stelle noch da/.u, von Masolino untt rncninit n wäre. Dieser eine Kopf, als selbstgestellte Aufgabe, im Zusammenhang mit dem ganzen körperhaften Aun>au der Mittelgruppe, bis auf die vxirdcrsie Stufe des Trones hinunter, beweist allein schon, dass Masaccio dies Bild gemalt hat, und knüpft den Zusammenhang mit anderen Werken, in denen eine Reihe solcher Probleme verfolgt wird.

Nach dieser eingehenden Analyse des Kirchenbildes aus S. Ambrogio stellen wir uns auf die Seite von Crowe und Caval- Sehmarsow, UasaedoHStiidien III. 4

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Masolino oder Masaccio

caselle, die es als unbezweifelbares Werk Masaccios betrachten und als Beweismittel auch für das letzte Fresko der Brancaocikapelle, das von Vasari für Masolino in Anspruch genommen worden ist, ins Feld füren: die Predigt des Petrus, an der Altarwand obesi links vom Fenster.')

Die Predigt des Petrus

Nicht an die Hoilung- des lähmen anstosscnd, wo wir die Fort- setzung der Freskoarl rii zunächst erwarten konnten, sondern auf der anderen Seite, der (xeschichte vom Zollgroschen benachbart, erweist sich dies Bild doch, durch die Wiederker der Typen schon als zeitlich nächstes in der Reihenfolge, so dass es auch für uns notwendig zu der bisher betrachteten ersten Gruppe der Wand- malereien hinzugehört. In schräger Linie nach links in das Bild hinein erstreckt sich die Versammlung, deren Mehrzal sich in Reihen hintereinander niedergelassen hat, dem Redner zu lauschen. Der kaiköpfitfe Greis mit gespaltenem Vollbart, den wir aus dem Hause Tabithas kennen , begegnet dem Auge zuerst als auffallende Aus- drucksfigur: ganz zusammengekauert sitzt er in sein weites Gewaud gehüllt und lehnt das Haupt gegen den aufgestützten Arm, den Blick zu Boden gerichtet wie zur tiefsten Einker in sich selbst ver- sunken. Ganz am Munde des Predigers hängt tlmeben die junge Nonne, mit glattem KinderanlHtz gläubig zu ihm aufschauend. Sie ist durchaus der Maria im 1 alrl ' jilde von S. Ambr' t^io und der jungen Witwe bei Tabitha, wie der Kwi im Paradies verwandl. und erscheint nur etwas voller und blühender, so dass sie mit dem jungen Stutzer im blauen Damastmantel, der zum Tempel schreitet, die grinste Aehnlichkeit hat. Diese geschwisterliche Eigenschaft teilt auch die Nachbarin der Nonne, die mit gesenkten Lidern horcht und ihre Wange in die Handfläche schmiegt Ihr üppig gewelltes, hellblondes Haar macht sie der Magdalena vergleichbar und nähert sie andrer- seits dem Evangelisten Johannes, den wir aus Masacdos Meistarwefkeo kennen. Sehr bezeichnend aber Är die Formgebung dieses Meisters ist der junge Manneskopf, der hinter dem alten Jeremias ans der dritten Reihe mit gespannter Aufinerksamkeit hervorguckt: er trägt alle Merkmale der persönlichen Eigenart Masaccios an sich, bis hin* ein in den Schnitt der etwas vorstehenden Oberlippe , des Maseo* rflckens und des grossen Ohres. Der Apostel selbst aber, dem alle zugewandt sind, ist gegen die beiden ersten Darstellungen wesentlich verändert Nach dem ersten Anlauf b^ der Heilung des

Vgl. unsere Abbildiuig, mit dem Gegenstück, der X«ttfe sumuaen «nf «tner Ta^

(Liefenuig II, Mr. 3).

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t*REDlGT DES PETRUS

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Lahmen und der bewussten Zurückhaltung an der Bare Tabitbas, bezeichnet diese Gestalt einen achtenswerten Fortschritt und zwar im Sinne der Propheten- und Apostelstatuen Donatellos, so dass sie schon dem Marcus an Orsanmichele nicht mehr fem steht. Dieser Petrus hat etwas von der derben Wucht im Auftreten und dem un- geschlachten Gebaren, als käme es darauf an, den Versammelten möglichst handgreiflich ins Gewissen zu reden. An der linken Seite des Bildes, neben dem Pfeiler, ganz im Profil gesehen, fasst er mit dem linken Arm den Mantel, dessen Ende über das Handgelenk geschlagen ist, so dass die breite Faust sichtbar wird, und erhebt die Rechte bis zur ITühe des eigenen Angesichts mit einer Finger- stellung, die mehr Mahnung und Vorwurf als pathetische Begeisterung oder dialektische Beweiskunst bezeichnet Wie die nackten Füssg mit den Solen fest auf den Boden gepflanzt sind, hat diese Hand mit dem breiten Armansatz, den der zurücksinkende Acrmcl frcilässt» eine urwüchsige Kraft und wirkt als plastischer Faktor vollen Wertes mit dem Stiernacken, der durch die gehobene Schulter bedrängt Avird, und dem mächtigen runden Kopfe, dessen bestimmende Teile durch- aus bildnerisch herausgearbeitet sind, schon imponirend genug zu- sammen, nicht unwesentlirh unterstützt durch die grossflächigen Kontraste von Schatten und Licht. Hinter dem Apostelfürsten wird, vom korinthischen Pfeiler halb verdeckt, ein Porträt sichtbar, in der breiten Kapuze und dem faltenreichen Ueberwurf der florentinischen Patrizier von damals, begleitet von einem jugendlichen, fast weiblichen Geförten. In so unmittelbarer Nähe der Hauptperson, deren Ver- herrlichung die Malereien der Kapelle ^ewiflmet sind, dürfen wir in diesem cnerpfisrhen Antlitz in Dreiviertel&icht wol nur ihren Stifter Fclice di Michele di Fiuvichese Brancacci erkennen. Es ist ein schmal- gebauter Kopf mit schweren Augen und langer Nase, deren Spitze mit dem vorgeschobenen T/ippenpaar wetteifert und den üppig ge- schwungenen Mund wie das festgebaute Kinn zurückzudrängen droht, eine Physiognomie, die an van Eycks Tuchhändler Arnolfini er- innert und an Donatellos Niccolo da Uzzano streift. Auf der andern Seite, die beim Einbau des Altartabernakels leider stark beschnitten worden, stellen ebenso aufrecht und bewusst einiq-e Karmeliter, An- gehörige d(^s Klosters, natürlich in ihrer Ordenstracht und unter Fürung des wolbeleibten Priors, der sich soweit vorwagt, dass er fast dem Apostel Konkurrenz maclit ; dafür ist aber sein Kopf durch das Ramenwcrk des Altars zerstört worden, SO dass nur die breite Hand auf dem Ueberwurf noch dreinredet.

Diese Porträtfi^-uren , deren Anwesenheit bei der Predigt des

Petrus befremden mag, sind doch als H<>rcr in den Hauptvorgang

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MaSOUNÖ oder iliASACClÖ

einbezogen und haften am Wort des Redners wie alle Uebrigen; daneben aber sind sie unabweisliche Zeugen fiir die Vergrösserung des Stiles und den Zuwachs an selbständiger Naturtreue. Wird schon in den sitzenden Figuren der vorderen Reihe die nämliche Grrossheit aufgenommen , die soeben im Vordergrund der Auf- erweckung Tabithas erreicht worden war, so meldet sich in den Stehenden vollends eine schlichte Unbefangenheit, die mit dem zu- sammengeballten Haufen der Kopf an Kopf gedrängten Gemeinde sich knnm mehr vrrtraqf n will, und sichtlich über die ererbte Fassung biblisclier Geschichten hinaus treibt.

Um aber zu begreifen, was auch in diesem Innern der Kom- position Neues für die damalige Zeit erreicht worden ist, genügt ein Blick auf den starren Bussprediger Johaimes, den Masolino noch zehn Jahre später wiederholt. Wo wäre die machtvolle Erscheinuntjf. die überzeugende Gewalt, das Einsetzen der Persönlichkeit, wie beim Petrus hier, von dem wir das rhetorische Pathos oder die römische Urbanität des Paulus freilich nicht erwarten Wo wäre die tief inner- liche Wechselbeziehung zwischen dem Rethier und seinen Hörern wie hier, wo unter der Braue seines Auges die feurige Hingabe des Apostels, aus Blicken und Benemen der Gemeinde so auftichtige Ergriffenheit spriclit. Während bei Masolino die Reihe von Porträt- figureti in voller Gemütsruhe nur dasteht, um konterfeit zu werden, drängen sich auch hier die Neugierigen aus der Florentiner Gegen- wart zu dem wundersamen Heiligen, der draussen in den Bergen zum Volke predigt wie der Täufer; aber sie geraten unter den Baim seiner Worte und selbst die tratres vom Carmine folgen fast mit offenem Munde.

Für den innern Zusammenhalt und die geschlossene Einheit des Bildes, die dort in Castiglione solchen Bildnissen zuliebe verzettelt werden, sorgt hier an der Altarwand der Brancacci-Kapelle auch die bestimmte BelcachLung, die in dem schmalen Wandstreifen oben genau so durchgefürt ist, wie sie durch das Fenster daneben herein- fiel. Ein Streiflicht von rechts oben geht über die Gesichter der Mönche und der Sitzenden hin, während es vollauf nur der Haupt- person zu Gute kommt. Aus solcher Oekonomie der verwertbaren Platze , die dann auf dieser Wandfläche verfugbar blieben, erklärt sich zum grossen Teil auch die Aufeinanderschiebung der Figuren im Vordergrund und der Abschluss darch nahe Hügel, die nur als Folie der Ausdruckskopfe in gleichmässigcr i'arbung ansteigen, und in ihrer (Tcsamtformation, eigentlich erst im Vcrkaif ihres Kammes oben, die raunischaffciide Wirkung gewinnen, die sich der Maler in der Auseinandersetzung dieser Kuppen mit der Luftregion nicht ent-

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Predigt des Psthus

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gehen lässt Diese Redinung aber, auf die Masolino gar nicht ver&llen wSre^wie seine Taufe Christi beweist, enthalt grade die künsüecische Atnicht Masacdos an der dunkeln Stelle der Kapellenwand« Wer den Ansprach aui selbständigen Wert dieser »Landschaft« erhebt, der hat von der Albernheit seines Ansinnens kme Ahnung, und berflcksichtigt jedenfells den Umstand garmcht, dass die Kapelle fr&her mit ihrem schmalen gfotisdien Fenster, in dem gewiss auch forbige Glasscheiben nicht feiten, noch viel dunkler war als heute, wo sie aus dem hellen Querhaus noch dazu starkes Reflexlicht erhält.

Nach aUedem brauchen wir kaum mit Crowe und Cavalcaselle noch hinzuzufügen: »Zur Kräftigung des Beweises, dass wir es lüer mit keinem Andern als eben mit Masacdo zu tun haben, kann ein Vergleich dieser Petruspredtgt mit der »Conception« in der Akademie der Künste in Florenz dienen.« Mit den Deckenbildem in der Collegiata zu Castigtione sind diese Reihen von ausdrudesvoUen Kopien und psychisch ganz vom Wink des Apostels abhängigen Figuren, wie diese lebendigen Bildnisse ganz unvereinbar. Und sie gerade müsste Masolino ja unmittelbar nadi diesem vereinzelten Stack der Altarwand gearbeitet haben, das seinem Orte wie seiner Stellung zur BUderreihe rechts gemäss nur als letzte Leistung vor dem Weggang aus Florenz angesprochen werden dürfte.

Bezieliungen zu andern Arbeiten Dagegen wird es ratsam, auch in beglaubigten Werken Map saccios nach chronologischem Anhalt zu suchen, zumal da wir das Kirchenbild aus S. Ambrogio mit der »Conceptionc oder S. Anna ' selbdritt vielmehr mit den ersten Scenen, die Masaccio unseres Er- achtens hier gemalt hat, in \Vr]>inclung gebracht haben. Zur Predigt des Petrus und zum Mittelbilde des Wandstreifens mit Tabitha steht ein andres Werk in näherer Beziehung, nämlich der Altar für die Kirche der Karmeliter in Pisa, dessen letzte Teile dem Masaccio im Lauf des Jahres 1426 erst bczalt wurden. Wir haben bei Be- sprechung der Ueberreste des vielteiligen, bei Vasari genau be- schriebenen Tafelwerkes die Predellenstücke in Berlin mit der An- betung der Könige besonders ßix die späteste Zutat erklären müssen, die wir bis dahin kennen; dagegen durften zwei Ualbfiguren von Heihgen auf Goldgrund, die dem obern Au&atz über dem Hauptbild angehört Imbcn, S. Paulus im Museo Civico zu Pisa und S. Andreas hf>\m Grafen Lanckorunski in Wien als altertümlichere und deshalb früher entstandene Beiträge betrachtet werden. An dieser Stelle unseres

>) VisU LieC II, Nr. 10.

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54 S. Paulus und S. Andreas aus Pisa

Weges erst kann der weitere Schritt zur Begründung des Urteils geschdien, n&mltch die Behauptung, dass die beiden Halbfigurea von Aposteln ganz eng mit den soeben besprochenen Fresken der Brancaccikapelle, der Predigt des Petrus und der Auferweckung Ta« bitbas zusammenhängen« also wahrscheinlich im Jahre 1425 ent* standen sind. Die Hochschultrigkeit durch aufgebauschte (jewao- dung beim Paulus und die Schiefheit der Ansicht beim langbärtigm Andreas, mit den scharfen Kontrasten von Hell und Dunkel, sind feierhafte Eigenschaften, die für diese Zeit als cfaarakteristisdi er- kannt wurden.

Nun aber sind mir inzwischen noch, wenn auch nur in Ab- bildungen, zwei andre Stücke bekannt geworden, die schon durch die Mafsverhältnisse der Figuren zum Groldgnind wie durch die genaue Uebereinstimmung der breiten Heiligenscheine mit Rosettenfaod und dreiperligen Spitzen an der Peripherie die Zugehörigkdt zu einem gleichzeitigen Werk des Meisters dartun. Es sind zwei Tafeln, deren jede zwei BOsten, eines mAnnlidien und dner weib- lichen Heiligen enthält, und zwar so, dass das eine Paar dem andern sich zukert, also einander gegenüber gestanden haben muss. Der männliche Heiligte, links S. Johannes der Täufer, rechts ein lang- bärtigfer Mönch in schwarzem Ueberwurf über weisser Kutte, be- fand sich nach Innen zu, der Mitte des Ganzen näher, die wdb- liche Heilige, links eine Martyrin barhaupt mit Palme, rechts eine Andre mit dem Mantel über dem Kopf, ein Krüglein in der Hand, einen Dolch auf der Brust, den die Finger der andern Hand kaum berüren, dagegen nach Auswärts.

Die beiden Tafeln sind in dem Katalog »Peintres primitifs, coUection de tableaux rapport^e dltalie et publiee par M. le Chevalier Artaud de Montor, Paris 1843, Tafel 25 in guter lithograpbie nach offenbar sehr zuverlässiger Zeichnung von Gsell abgebildet, dort aber falsch bestimmt und bisher unerkannt geblieben. Uns aber gewären diese vier Köpfe, die man abgesehen von den Halb- figuren in Wien und Pisa immer nur auf Masaccio oder Masolioo taufen könnte, ein ganz besonderes Interesse; denn «e werden uii> gezwungen zum Mittelglied zwischen den verschiedenen Arbeiten des Meisters, deren Reihenfolge wir soeben zu begreifen suchen.^

Johannes der Täufer, dessen Linke mit dem Rohrkreuz abge> schnitten ist, weist mit der Rechten dorthin, während sein Antlitz gegen die Nachbarin gekert ist Der Charakterkopf ist nicht der- jenige in Masolinos Bildern im Baptisterium, sondern steht zwischen

'} ntuei« Abbilduiig TaT. III. Vom Besitzer als „BvflalBMoeo** «Ufesebet, also dodi wol mit Fin in iis^ndwelcher Beziehniig. H : 262 X ^* *>*^*

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Fragmente eines Altarwerks

SS

Adam im Sündcnfall, Christus in der Geschichte vom Zollgroschen, und Gottvater in der Dreifaltigkeit von S. M. Novella in der Mitte. Selbst das runzlige Antlitz der hl. Anna könnten wir, besonders für Stirn und Mundpartie herbeiziehen, um auch dieses Stück damit zu verbinden.

Ganz ausserordentlich dem berühmten Christus unter den Aposteln auf Masaccios meisterlichem ßreitbild verwandt ist die junge Martyrin mit Palme, im Schnitt der Züge, in der Stellung des Kopfes, und der schlichten, schmucklos und faltenlos über die Brust fallenden Tunica, über die ein Mantel bis an N;ick(»nhöhr hinauf und uber den linkeji Ar:n drapiert ist, so dass die Ha:id ganz ähn- lich liervorsieht wie bei Petrus in der Predigt, üeii laiigbartigcn Münch mit krauslockigcm Haar könnten wir unter den Aposteln neben Christus oder Thomas suchen ; aber er ist auch dem Karme- liter und den Kirchenvätern auf tlen vier Einzelstücken in englischem Privatbesitz (Ch. Butler. Esq.) ') auf der einen Seite, wie dem sinnenden Greise am Lager Tabithas ähnlich genug. Die junge Dulderin aber, die neben diesem glaubensstarken Gottesmann so weich und schmerz- voll das Haupt neigt, während sie aus Traoerschleiern hervorblickend ein Tränenkrüglein darbringt, wie die Marien am Grabe, sie steht den Engeln auf dem Bilde aus & Ambrogio am nächsten und damit der Kunatw^se des Masolino, mit dessen weibUdien Wesen an der Decke der CoUegiata äe manchen Zug gemein hat Bei genauerer Vergleichung aber entqnicht der Sdmitt ihrer Gedchtes d^ ge- kreuzigten Christus im Dreifaltigkeitsfresko von S. M. Novella, ihre Haltung im Mantelschlder der Maria in der Anbetung der Könige aus Pisa (Berlin.) Doch genug, sie wird uns später noch mehr- fach beschäftigen.

Grestfltzt auf die durchgehende Uebereinstimmung mit den beiden Fragmenten, dem Paulus in Pisa und dem Andreas in Wien, wfirden wir die Zugehörigkeit zum Pisaner Altarwerk behaupten, wenn nicht ein Bedenken sich erhöbe: S. Johannes der Täufer könnte luer wol nicht als Halbfigur noch einmal vorkommen, während er schon Im Hauptbilde neben S. Petrus stand, und zwar in ganzer Figur neben der Madonna, mit seinem Martyrium zu Füssen in der Predella. Es sei denn diese Halbfigur nur der zusammen- geschnittene Ueberrest des ganzen Uauptheiligen, der nach Vasaris Beschreibung als einzelne Gestalt unten neben der des Petrus g^e- standen hat, eine Anname, die der Zusammenhang mit der Nach- barin verbietet

') Vgl. AbbUduQg in Lieferung II Nr. ii.

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M/ISOLINO ODER MASACCIO

Fresko in Bmpoli

Auf dem Wege zwischen Florenz und Pisa, den Masaccto bei Gelegenheit des Altarwerkes filr Ser Giuliano di Colino mehrmals zurückgelegt zu haben scheint, begegnet uns in dem kleinen Land- Städtchen Empoli ein eigentümlichesi schnellfertiges und doch grossartiges Wandgemälde, von dem alle Kenner geurteilt haben, es dürfe auf den Namen Masolino oder Masaccto Anspruch erbeben. In der Taufkapelle der alten KoUegiatkirche, die unter ihren Kunst- schätzen so mauiches Kleinod beherbergt, ist an der Hauptwand hinten wenn auch in arg beschädigtem Zustand, doch in fast allen Teilen noch erkennbar, eine sogenannte Fieti gemalt Ein schmales, hohes Wandfeld, oben durch einen dreieckigen Giebel abgeschlossen, war ursprünglich gewiss als HauptstOck einer gemalten Dekoration stark genug dngeramt, um es als solches zu kennzeidinen und den Beschauer auf die figürliche Darstellung vorzubereiten, die es ent- hält. Der hAlzeme Kreuzesstamm mit der Inschrift INRY auf dem Zettel, und Geissein, die am Nagel der Arme aufgehängt sind« nimmt die obere Hälfte des Rechtecks ein. Davor erblicken wir unten, statt der Abname vom Kreuz oder der Beweinung des abge- nommenen Leichnams eine damals immerhin seltene Darstellung, die auch den folgenden Moment noch, die Grabtragung voraussetzt, und den toten Christus bereits im Grabe zeigt GewOnlicfa wird der entseelte Körper des Gottessohnes dann von Engeln gehalten, die als himmlische Hüter zugleich ihrer Trauer freien Lauf lassen. Hier dag^n sind die nächsten AngehOrigren, die beim Kreuzestod zu- gegen waren, an die Stelle der Engel getreten. Maria auf der einen, Johannes auf der andern Seite fassen den Körper des Er- lösers, der zwischen ihnen bis an die Hüften im Grabe steht So nähert sich die Gruppe einer Grablegung, ohne die physische An- strengung, die dabei mitspielt, einzubeziehen. So bleibt Christus mit den allernächsten Seinen allein, wie in stiller Totenkammer; aber auch diesen durfte die Last nicht aufgebürdet werden, und so ent- steht ein geheimnisvoller Vorgang, bei dem der Tote^ halb ins Leben zurückgekert, schweigsam aber aufrecht, unbeweglich und doch teilnemend mit ihnen zu verkeren scheint, als fblte er ihre Tränen und tröstete, noch selber leidend, ihren Gram

Von den Hüften abwärts ist der Körper von einem Marmor- sarkophag mit ein&cher römischer ProfiUerung und mgelegten farbigen Platten auf der Vorderfläche umgeben. Aber nach der scharf konstruierten, auch in Licht und Schatten genau perspektivisch

') Vgl. unsere Abbildung Tafel IV.

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Fresko in Ehfoli

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gegebenen Form hat dieser marmorne Behälter quadratischen Grund- riss und gleicht mehr dem Rande eines Brunnens oder der OefF- nung einer unterirdischen Grabhöle, in die der Körper nur in auf- rechter Haltung herabgelassen werden konnte, wie es noch heute in Gebirgsorten Toskanas oder in Massengräbern des Armenfriedhofs von Neapel geschieht. Immer jedoch bleibt das Stehen bei solchem Verhältnis des »Pozzo^ zum Körper unerkUüriich für uns. Aber sollen wir darnach fragen ^

Nicht minder jedoch als die aufrechte Haltung fordert die per- spektivische Genauiifkcit 7.u so roalistischcr Rechenschaft heraus. Maria allerdings umfasst den Toten, dicht tini (Trabesrande knieend, mit ihrem linken Arm um den Rücken, so dass ihre Hand um seine linke Schulter greift, wahrt nd seine Rechte über ihren andern Arm, dessen Hand sich unter dem Mantel emporhebt, in i^n knickter Hal- tung herül)crhängt An ein Festhalten des Leichnams, der willenlos seiner eignen Schwere folgte, ist nicht zu denken. Vnd drüben vollends kniet Johannes nur Hebkosend, indm^ er den hnken Unter- arm des Toten auf beiden Händen hält und mit seinen Tranen benetzt. Sowol dip» grade Stellung des Oberkörpers, wie die aufrechte Haitun des Kopfes, der kaum mit leisester Neigung sein Antlitz der Mutter zukert. köpnen also nur der eigenen Tätigkeit des gekreuzicrten Gottessohnes oder einem mystischen Wunder zugeschrieben werden, das hier mitten im Tode den Schein des Lebens erweckt. Dazu kommt, dass die gesenkten Augenlider leise geöffnet sind, und die Augen nicht starr wie gebrochen erscheinen, sondern müde blickend, wie beim Augenaufschlag aus tieter Erschöpfung und bei der Rück- ker zu schmerzvollem Halbbewusstsein.

Es ist also eine Vorstellung der rehgiösen Phantasie, in der das Leiden des Opfers und der Seinigen, wie in einem Hr>hepunkt der Passion zusammen gefasst wird, ein inbrünstiges dedankenbild zur sinnlichen Anschauung gebracht. Mit den Mitteln einer wahrheits- eifrigen Malerei durchgefürt inu.sste sie den innerlichen Widerspruch heraustreiben, den die Welt der Empfindungen, ja der dichterischen Vorstellung wol vertrug, (ieben wir die Berechtigung des Andachts- bildes auch in so augenfälliger Bestimmtheit zu, so übt es unläugbar grade durch die Wahrheit und l.eibhaftigkeit des Einzelnen eine er- greifende W^irkung aus, die uns das Wunderbare bald wie selbst- verständlich hitmemen lässt.

Der nackte Korper ist gross und wolgebildet, mit einer für die Zeit der Entstehung ganz überraschenden Xaturbeobachtung durch- modelliert. Der Maler lässt sich allerdings nur auf die Haupts;u hen ein; aber er beherrscht den Bau des Knochengerüstes, wie die

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Masolino oder Masaccio

Muskel kitten in einer dem Trec^^nto vt ilH cr fremden Sicherheit. Auf starkem Halse erhebt sich ein edler Kopf, drsst n Zü(?e noch viel von dem bei Angelo Gaddi und seinen Nachbarn üblichen Typus bewart: die längliche Adlernase, die gradliniy^on Brauen, das schlichte, in breiter Welle über dem Ohr zurückgestrichene Haar, das m den Nacken hangt. Maria und Johannes haben breitere Köpfe. Die Mutter zeigt in nonnenhafter Verhüllung nur ihr tiefbekümmert^ Matroncnaiitlitz, dessen Augenbrauen sich in starken Falten zu- sammenziehen. Johannes hat reiclies blondes Haar, in der Mitte ge- scheitelt, und fast weibliche Züge, so dass man ihn als Magdalena angesproch(;n hat. Beide Gesichter, wie das Christi in Dreiviertel- sicht gestellt, sind in der Verkürzung nicht völlig gelungen, sondern etwas verquetscht ').

Ueber diesem Hauptbilde ist ein breiter Fries angebracht, mit Laubornament im Geschmack des Niccolu d'Arezzo in der Mitte, das ein flaches Relief wiederzugeben versucht, daneben aber links und rechts zwei Rundmedaillons eingeschlossen, in denen, wie durch Fenster^>liuungen zwei Halbfiguren von Propheten in perspektivischer Verkürzung sichtbar werden. Der Eine, zur Rechten, der einen Toten- schädel in der Hand hält, hat durch Abblättern des Bewurfs den Kopf eingebüsst ; der Andre zur Linken beugt seinen lai.gharügen Greisenkopf vornüber, sodass wir den Scheitel sehen, und liest, mit einem Gestus der Hand die Worte begleitend, aus einem Schrift- band. Ein ahnliches, etwas grösseres Rund öffnet sich auch im dreieckigen Innenfelde des Giebels; darin erscheint das Antlitz des Erlösers auf dem Tuch der Veronica, aber völlig plastisch durch- modelUert mit dem roten Kreuz hinter sich, das auch unten den Nimbus Christi von den glatten Scheiben der Heiligen unterscheidet Diese „Vera ikon" muss als wolcrhaltene Darstellung des Christus- ideals, das der Maler mit aller Sorgfalt in harmonischer Schönheit, ganz von vorn gesehen, regelmässig und ungetrübt, dem Bilde des Leidenden drunten gegenübergestellt hat, vor allen Dingen Auf* schluss geben, wer der Meister sei.

Die beiden Zeitgenossen, die bei dem Wert der Leistung allein und ganz persönlich in Frage kommen dürfen, Masolino und Masacd^ haben beide Gelegenheit gehabt, ihren Christustypus wiedexliolt in mehr oder minder selbständiger Weise vorzufl&ren, Unter Maso- linos Malereien zu Castiglione, haben wir besonders cUe Krönung Marias an der Decke des Chores, dann die Taufe im Jordan und

') Man vergleiche mit dieser Pieti einerseits Donatellos Grablegunj; am Tal rnakel in S. Peter zu Rom (143-,) und andreneits Luca della KobbiM Relief am Fedenghi* Grabmal in S. Francesco di i'aoU (145$).

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Fresko in Empoli

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auch den Hinweis auf den verheissenen Messias im Baptisterium. Von Masaccio, darf die Scene mit Petrus und dem Torwächter in der Brancaccikapcllc als rcinstor Ausdruck seines Ideales gelten, während die Dreifaltigkeit in S. M. Novella, mit ganzen Figuren in beschränktem Raum, der Architektonik zuliebe die Gros^eit der Idealgestalten geopfert hat

MasoUnos Christus in der Krönung und im Hinweis des Johannes erscheint so statk von der Seite gesehen, dass wir beide- mal nur die durchgreifende Verschiedenheit von dem Gekreuzigten im Grabe hier feststellen können. Ein prinzipieller Unterschied liegt aber in der weit zartem Andeutung oder scfawAchern Durchbildung des festen Knodienbaues, das Masolino auch 1435 noch sehr ver* naclilässigt, wo er nicht bildnissmässig nach der Natur arbeitet Sein Christus hat tiefgerändertc Augen mit schweren Oberlidern ond hochgezogenen, in scharfen Bogea gespannten Brauen, unter denen der Augcnhülcnrand gamicht markiert ist. Di(^s ist auch bezeichnend für die Taufe, wo aus der lAngUchen Eiform des Um« fisses die Augen, die Nase und die Lippen nur klein und spitz her* vortreten, wie die abwärts gerichteten Enden des Bärtchens. Ein filick auf den schwächlichen Brustkorb dieses zahmen Täuflings und die mangelhafte Durchfürung der ganzen Aktfigur beweist dann vollends, dass der Urheber dieser wichtigen Hauptdarstellung im Baptisterium von Castiglione, der bei aller Vorliebe für nackte Körper in der genrehaften Ausschmückung dieser Scene durch fremde Täuflinge so wenig entwickelte Kenntnis des menschlich «^n Leibes zur Schau stellt, unmöglich den Christus in Empoli gemalt haben kann, ein Werk, das nach sonstigen Unvollkommenheiten beträchtlich früher datiert werden mfisste.

I^Agegen stimmt der Christustypus oben auf dem Veronicatuch sehr wol mit dem Christus von Masaccio im Hauptbilde derBran- caccikapelle Qberein. Und die Bemühung um einen regelmässigen Idealtypus, wie sie' hier unverkennbar in sorgfsamer Berechnung der I^oportionen auftritt, scfaliesst sich unmittelbar an die Auffassung des ersten Menschenpaares im Paradiese an, wie wir sie nur dem Freunde Brunelleschis zutrauen, und wie sie durch die Tafel, die Vasari bei Palla Rucellai sah, ausdrficklicfa von diesem Malerbio- graphen {Qt Masacdo bestätigt wird: seine Worte ^un maschio ed una femina igfnudi quanto il vivo" umgehen doch absichtlich die Be- zeichnung als Adam und Eva, weil es mehr die Normaltypen bei- der Geschlechter waren, auf die es dem Künstler ankam, als die biblische Geschichte, die doch wol den Vorwand abgegeben.

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Masolino oder MASACaO

Einzelheiten der Gesichtsbildung, wie in der starken gniden Nase und der vorstehenden scharf abgekanteten Mundpartie selgeo sich in Empoli beim Cliristus oben wie unten, in der nftmÜcheo Weise wie bei Maria und Anna auf der Tafel aus S. Ambrogio und auf Masacdos unbestrittenen Bildern der Brancaodkapelle^ wo audi Maria und Johannes ihre Verwandten finden, die wir in Castiglioiie vergelsens suchen. Ein vollgültiges Beweisstück 2u Gunsten Ma* saccios ist endlich der starkverkttrzte Kopf des greisen Propheten, der durchs Rundfenster droben gesehen wird: ihn hätte Masolino sich niemals auferlegt, besonders nicht als Beiwerk, und vermodite ihn auch niemals fertigzubringen. Wir werden ihm noch wieder begegnen, mflssen hier aber auf den Joseph in der Anbetung der Könige zu Berlin und andrerseits auf den ^nnend vorgeneigten Greis am Lager Tabithas hinweisen, die ebenso vom Scheitel ge- sehen werden.

Damit sind wir in dem Umkreis angekommen, wo ^ne Da- tierung des Werkes versucht werden darf. Es steht in maacher Beziehung noch dem strengen Kirchenbilde aus S. Ambrogio nahe; wie es bei dem Gegenstand der Darstellung m'cht anders sein kana gemant aber in Maria und Johannes doch schon an die Dreifaltig* keit in & M. Novella, die wegen der vollendeten Architektur und Perspektive nicht zu den frühen Arbeiten gerechnet werden kana Die AusfÜrung aber, die allerdings auch ursprünglich oidit in allen Teilen gleich sorgftltig gewesen sein wird, weist wieder an* sdmliche Fortschritte auf, so dass wir neben der Predigt Petri ent die Entstehung dieser gelegentlichen Improvisation sudien können. So ersch^nt es in der Tat wie eine Leistung Masacctos, die auf der Wanderadiafk nach Pisa, in kurzer Frist fertig geworden. DieVer- wandtscfaaft des Johannes, den man für Magdalena gehalten, mit jener vollwangigen hellblonden Hörerin des Petrus, die ihre Augen schliesst, als möchte sie durch nichts umher abgezogen werden, grade diese Beziehung zwischen dem Fresko in Empoli und dem Stück der BrancaccikapeUe ist wol durchschlagend genug. ')

') Crowe und Cavalcaselle wiederholen in der ital. Aasgabe von iSäj noch ihr «nlmtimiiitcs UtteÜ (II p. 264) ffir MmoUboi AnlonAafl, du ndi alt thnr &tfi> adiddaig Aber die Predigt Fetri nod den SttadeafaU dudians nicht vertilgt.

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£rste Reihe der ^RANCACcntAPEixE 6i

Ergebnisse

Keren wir darnach zu der ersten Gruppe der erhaltenen Wandgemälde im Carmine zurück, so hat sich wol nach mehreren Seiten der Unterschied von dem ßilderschmuck Masolinos in Casti- glione deutlicher als sonst herausgestellt So dürfen wir mit Caval- rasclle die Folgerung ziehen, dass Vasari sich in der Zuschreibung dieser Bilder an Masolino geirrt hat, und glauben mit Lübke: „es kann nach Betrachtung der Fresken, von Castiglione kein Zweifel mehr sein, dass Masolino keinen Pinselstrich im Carmine gemalt hat", nämlich soweit die heute noch vorhandenen Ueberrcste des einstigen Gesamtcyklus reichen. „Trotz unläugbarcr Schwächen stehen selbst diese frühesten Bilder im Carmine so lioch über den Gewölb maiereien in Castiglione, dass man sie bei ihrer gleichzeitigen Entstehung keinem Andern als dem Masaccio zuschreiben kann, der schon in der Heilung der Petronilla (d. h. Erweckung der Tabitha) ach allen Zeitgenossen weit überlegen zeigt."')

Doch wenn wir Vasaris Zuschreibung auf den Namen Masolino ftlr das Doppclbild der Seiten wand wie für die Predigt an der Ältarwand oben zurückweisen müssen, so kann diese kunsthistorische Berichtigung erfolgen, ohn« damit sein künstlerisches Urteil sonder- lich herabzusetzen. Nur müssen wir bei einem Künstler um die Mitte des sechzehnten Jarhunderts wie Giorgio Vasari von vornherein darauf gefasst sein, dass seine Unterscheidung der Persönlichkeiten und damit auch der Namen wesentlich durch den geniessbaren Wert bestimmt wird, den die einzelnen Werke auch in seinen Augen noch besitzen. Die Fresken Masaccios in der Braut a cikapelle sind ihm eine hohe Schule der Malerei ; er empfielt sie den jungen Künstlern, für die er vornemlich schreibt, durch die Aufzälung all der eifrigen Zeichner, die in Folge dieser Studien es so herrlich weit gebracht und selber berühmt geworden. Also wird er wörtlich vielleicht nicht anders urteilen als Antonio Manetti: „la cappella e dipinta di tre maestri, ma lui (Masaccio) el meglio che v' e." Nur \\\r(\ eben diese Wertbestimmung bei dem Spätling des Cinquecento sich etwas gegen die des näher stehenden Zeitgenossen, der den Durchbruch der Hochrenaissance nicht mehr erlebt hat, verschieben. Er muss s( hon eklektischer die Vorzüge nur da suchen, wo sie der eigenen I>r,i\ tiur bereits verwandt sind. „Das. was die Künstler vor den Fresken der Cappella Brancacci fesselte, sagt Albert von Zahn,

^) Jahrb. f. Kanstwisseuscbaft III, 284. Vgl. besonders Auch K. Womnann, der mehrüch für diese Ueberzeugung eingetrelen ißt.

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Masolino oder Masacciö

muss doch die ganz eigentümliche Schönheit der Formen, die Vor- ahnung des klassischen Stils der Blfitezeit gewesen sein/*

Nun beobachten wir aber auch heute in der Beurtdlung der grössten Meister, eines Lionardo, Rafael, Michelangelo ebenso wie zeitlich näher stehender Klassiker, in der Kritik Aber Echtheit und Unechtheit der Werke, die ihren Namen tragen, einen leicht ver- zeihlichen weil schwer überwindbaren Irrtum, der auch die scharf- sinnigsten Kopfe verstockt. Man bildet sirh nach den anerkannten Leistungen oder gar nach einer Auswal des Bedeutendsten ein Ge- samturteil über die geistige Eigenart des Künstlers und glaubt da- mit den untrüglichen Mafsstab zu besitzen, der seine persönliche Arbeit zu unterscheiden und aus allem Fremden herauszusondeni berechtigt. Damit aber beschränkt man sich mindestens auf den fertigen Meister, den „Klassiker." Zu solchem kritischen Verfaren bedarf es aber noch eines andern, oft unentberlicheren Faktor» damit man des werdenden oder des verfallenden Meisters nicht ver* lustig gehe: der genauesten Kenntnis des historischen Zusammen» hanges nach rückwärts wie nach vorwärts, der sichersten Vertraut- heit vor allen Dingen mit sämtlichen Nachbarn, mit denen dieser «Einzige'' etwa doch zeitweilig verwechselt werden konnte, oder, wer weiss wie, verwechselt worden ist. Kein Wunder, wenn schon Vasari , der von Geschichtswissenschaft nichts ahnte, den werdenden Masacdo etwas zu kurz hinter dem Beginner der bella maniera moderna« abschnitt und die Stücke, die ihm noch zu altertümlich schienen, zurückwarf auf den nächsten Vorgänger. Dies eklektische Verfaren in Cappella Brancacci, wo die Stilfrage sozusagen aktuell auftrat, kommt ihm garnicht bei, wo er die sonstige Ucbcrli ff rung über vorhandene Arbeiten Masaccios wiedergiebt. Andernfalls würde das Tafelbild aus S. Ambrogio oder die „Heilung des besessenen Knaben", ein perspektivisches Experiment, das er im Hause des Ridolfo Ghirlandajn irosehen, wol der nämlichen Ver- neinung erlegen sein. Forscher, die Rafaels Jiigcndwerke behandeln, ohne die Schul v^enosscn im Att'litT Pcruginos, wie Giannicola Mann!, Giovanni lo Spagna, Eusebio di S. Giorgio, ebenso wie Bernardino Pinturiechio und Timoteo Viti genau so zu kennen, wie sie Ratael /u keimen glauben, haben niemals Aussicht auf haltbaren Frfolg ihres Hcstrobcns. Wer den werdenden Rafael verstehen und unter- scheiden will, muss alle Fäden, die in ihm zusammengehen, zurück- verfolgt haben, sonst feit ihm ja für die Kompetenz seines Urteils die erforderliche Information.

(ranz ebenso düricn wir auch von Vasari nicht erwarten, dass sein Urteil den Gang rückwärts in die Entwicklungsperiode oder

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Problematisches EK<.EiiNi.s

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gar die Lehrzeit eines Künstlers mitzumachen im Stande sei. Wo die Werke Masaccios nicht mehr der Vorstellung entsprechen, die er von ihm als vorbildlichem Meister bei äch befestigt hat, da ge- hören sie einer Vorgeschichte an, die er als „maniera goffa" von den Musterstocken möglichst fern hält Bei seinem Hinweis der jungen Künstler auf die Meisterwerke Masaccios in der Brancaccikapelle kommt es ihm gramicht auf mne genaue Feststellung des beglaubigten Eigentums, sondern eben auf die Auswal der Hauptsachen an, die jene anerkennen und studieren aollen. Das waren: die Zalung des Stater, die Taufe und die Erweckung des Königsohnes drinnen, draussen die «Sagra" und, wenns hoch kam, die Einzelfigur des Paulus nbei den Glockensträngen**. Wie wenig er ' auch darin vollständig 2u sein bemflht ist, sagt wol das Uebergehen der Vertreibung aus dem Paradiese.

Das hindert uns jedoch nicht, bereitwillig anzuerkennen, dass die Aussonderung der Prediget Petri, als vereinzeltes Stück der Altarwand, einen guten Blick für künstlerische Unterschiede be- kundet Hier macht sich in der Tat, im Vergleich zur Taufe da- neben und zur Schattenheilung und Almosenspende darunter, ein Abstand bemerkbar, während andrerseits die Verwandtschaft dieses einen Stückes mit der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas ebenso einleuchten muss. Wir haben eben deshalb die erste Gruppe der erhaltenen Wandgemälde, mit Einbeziehung dee SOndenfells, nach der Predigt des Petrus geschlossen. Vasari er- kannte mit einer Bestimmtheit, die ihm manch heutiger Kunst- historiker beneiden mag, zwisdien der Predigt und den benach- barten Wandbildern ringsum eine Kluft, die willkommen genug der alten Ueberliefmng zweier Namen entgegenkam, das Eigentum des Einen gegen das des Andern, des Altern gar gegen das des Jüngern und Grössem grade hier abzugränzen. So lange die bezeichneten Deckenbilder in Castiglione d'Olona und ihre Entstehungszeit nicht bekannt waren, durfte so weiter geurteilt werden. Nachdem die Gewölbebilder und Lünetten verloren waren, musste die Nach- prüfung der Angabe Vasaris sich vollends bescheiden, so wenig sie sich mit Albertini's Halbi^iing der Kapelle vertrug.

Wir aber, die nun, gegenüber den Leistungen MasoUnos in Castiglione von 1425 und 1435, nimmer mehr glauben können, dass er vorher den Sündeniall, das Doppelbild daneben und die Predigt Petri geschaffen habe, sondern in dieser Reihe schon die Hand Masaccios erkennen, wir stehen vor der nämlichen Kluft mit der Verpflichtung nach einer Brücke zu suchen. Und da muss in vollstem Einvernemen mit Vasari erklärt werden, dass in der Brancacci-

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Probibmatiscbes Ergebkis

kapeile selbst em befriedigender Uebergang oicfat so Iddit za fassen ist Die Pk^digt Petri findet ihre natflrliche Fortsetzung jeden* falls nlchtp wo wir ae zunächst erwarten» an der selben Wand: weder in der Taufe, noch in der Schattenhetlung. Elnigermalseo naher steht die Geschichte mit dem ZollgrosGlien, und voa ihr ans» gehend haben wir eine Anknflpfting an das Pisaner Altarwerk wie an die Heilung des besessenen Knaben (in Brüssel) und den «pDesoo da parto** (in BerlinX versucht Immer jedoch will Cavalcasdles Er- klärung, die uns in der gamen Rmhe den Entwicklungsgang eines und desselben Malers suchen l^rte, an dieser Stelle noch nicht be- firiedigen. Zwischen Predigt und ZoUgroschen glauben wir doch einen Sprung zu sehen, der selbst im kühnsten Fortschritt einer genialen Kraft zu viel auf einmal zu erreichen schiene.')

«) Vgl. Buch II. S. 72—96. ^

•) Auf diesen Einschnitt hinter der Predigt Pctri und vor jedem andern als weitere Fortsetzung der Maierei in Cappella Branrarri sich anbietenden Bilde habe ich in meineo Uebungen über die Streitfrage bereits im Wintersemester 188 i Hz meine Göttinga Sdillter Ch. BeiighöSier, H. Dieiltt, P. Kdpp nud R. Linde Anfincrksam gemacht, uod flmett beicils duMls die UHmag «nget»teo, die im fetgetuten Heft dieser Stadien d»* gelegt wird.

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^ SONSTIGE TAFELBILDER §4

Eine Lösung clor Schwierigkeiton, die /wischen dor Prcdit^t Petri und don Nachbarbildorn ringsum, sei es dor Taufe, oder der SchattcMiheilung, oder der Entrichtung' des Torgekles, einem vor- ständlichen IVbergang entgogontrcten, ist unseres Erachtens nur möglich, wrnn die \olle Durchfürung der historischen Betrachtungs- wpiso \ (>rsucht wird, und zwar durch die möglichst genaue Fest- stt llung der chronologischen Reihenfolge, wie wir es bisher getan haben, utuI ebenso genau vergleichende Einordnung der übrigt-n er- lialtenen Werke des Meisters in die Freskenreihe der Brancacci- kapelle.

Zwei Madonnen

Da mag, um an einem einfacheren I>eispiel zunächst das Pro< blcm, um das es sich handelt, zu verdeutlichen, und die Frage nach dem Hinüberwachsen des Künstlers von einer Stufe zur andern- durch wirkliche Anschauung überzeugend vorzufuren, an dieser Stelle ein Paar von Madonnenbildern besprochen werden, das so- viel ich weiss in der Streitfrage, die uns beschäftigt, keine Ver- wertung gefunden hat. Zwei Madqnnenbilder von Masolino oder Masaccio? Wo wären denn diese zu finden, fragt man.

Die eine Tafel befindet sich in der alten Pinakothek in München, und ist schon seit geraumer Zeit der Gegenstand einer Meinungsverschiedenheit zwischen mir und dem hochverdienten Konservator, Dr. Adolph Bayersdorfer. Die allmählich zurück- weichende Datierung des Bildes in den Auflagen des Kataloges und die Zuteilung an die Florentinische Schule, neuerdings um 1440, g^'ebt Zeugnis von diesen Verhandlungen.') Als ich zum ersten Mal mit meiner Bestimmung des Autornamens hervortrat, wusste ich nicht, dass die alte Bezeichnung im königlich bayrischen Besitz auf „Masaccio" gelautet hatte, noch dass es von andrer Seite für ^Masolino" angesprochen worden.

Auf einem länglichen Polstcrkissen mit zwei Troddeln links, das auf dem Fussboden liegt, sitzt Maria in weitem blauem Mantel, der über das Haupt gelegt und auf der Brust zusammen gesteckt

>) Katalog 11893) Nr. tcig Vgl. unsere Abbildung T«f. V. c. Schtuarsow, MasACcio*Studien III. 6

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twEi Madoknbk

ist, und hält mit beiden Annen das nackte Kind, das auf ihrem Schofse liegt Das linke Bein dient als Statze für die Hauptlast» indem sich das Knie deutlich heraushebt, während das rechte ge- senkt wird und die Falten des weichen Stoffes in tiefem Bogen zwischen den festen Punkten rechts und links hemied^ zMit So dient das Handgelenk des linken Armes nur als Kissen fitar den Kopf des Kindes, während die rechte Hand ein untergebreitetes Tuch über dem einen Beinchen des wolgenftrten Knäbleins bAlt, das den andern Fuss strampelnd erhebt und gegen den Arm der Mutter lehnt, während beide Ärmchen emporstreben, mit den Fingern die entblösste aus dem roten Kleid hervorschauende Brust, die soeben seinen Durst g^estillt hat, zu liebkosen, indess die grossen Augen ebenso befriedigt zu uns herausschauen wie das volle Bäuchlein und das dralle Beinwerk. Milde und freundlich, aber etwas zagend, zwischen mütterlichem Stolz und jungfräulicher Verwunderung Über das Behagen des strammen Buben, neigt Maria das Antlitz zu ihm und hängt mit ihrem Blick an ihm allein, ohne dass ers merkt Ein breiter Heiligenschein mit sechsblättrigen Blumensternen im Rande und dreiperligen Spitzen an der Peripherie auf lern G Id- grunde umgiebt ihr Haupt, wie ein kleinerer das des K indes, üeber ihrem Scheitel schiesst dicht daran die Taube des heiligen Geistes hernieder gegen das Kind zu, gesandt von Gottvater, der in Halb- fig[ur und kleinerm Mafsstab, von einer Cherubgloric umgeben, unter dem Spitzbogen oben sichtbar wird. Es ist ein langbärtiger Greis in fliessendem Gewände, dessen Mantelzipfel nach links ausflattert, während seine beiden Arme sich auf die andre Seite strecken, die Eine mit dem Buch» worin gotische Nachbildungen von Omega und Alpha Uf A mit Abkürzungszeichen darüber geschrieben stehen, die Andre .segnend g^enkt Der kleine Mafsstab dieser Erscheinung in der Höhe, deren WolkenstriMf unmittelbar an den Nimbus Marus riirt, die seitliche Drehung der Figur, die nach Goldschmiedsart in Relief gelegt ist ohne einen Versuch schwieriger Verkürzung, und ihre spä^otische Draperie, müssen im Vergleich zu dem realistischeT\ Motiv aus der Kinderstube besonders auffallen. Aber Jehovah ist nicht der einzige altertümliche Bestandteil auf dem Goldgrund, der uns in Lorenzo Ghibertis Nähe versetzt. Links und rechts knieen auf vier ähnlichen Wolkenstreifen je zwei anbetende Engel, deren zwdter hüben und drüben den vordem um Kopfeslänge überragt, so dass ihre Flügelpare nebeneinander aufragen und mit ihren bunt- farbigen, metallisch ausgeschnittenen Federn die Kurven des Spitz- bogens begleiten, in dem die Tafel schliesst

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t)iE München ER tAFEL

Trotz ihrem viel nebensächlicheren, fast nur dekorativen Auftreten haben grade diese Engel die deutlichst ausgesprochene Verwandtschaft mit denen Masaccios im Unterschied von denen Masolinos, so dass ich auch unmittelbar von Castiglione d'Olona heimkerend, ae nicht mit diesem letzteren vereinbar fand. Sie haben genau so hellblonde Köpfchen, genau so farbig abgestufte Flügel, genau so doppelt ge- gfirtete Gewänder, wie die Masacdos auf dem Kirchenbild aus S. Ambrogio in der Akademie. Aber sie greifen ja nicht wie dort als Teppichträger oder Weihrauchspender lebendig in den Aufbau ein» sondern sind wie Ornamente nur auf die Fläche ausgeteilt, und wollen nicht zur nahen Wirklichkeit g^edeihen, wie die Gruppe vom, sondern als Erinnerungsbilder oder Gedankenspiel der Phantasie, als aetherische Wesen betrachtet sein, deren Gegenwart von Mutter und Kind ebenso wenig gespürt wird, wie der Eingriff des ewigen Vaters im Himmel droben. Solche halb nur zur gldchwertigen Realität berausgebildete Engel finden wir bei Lorenzo Ghiberti als ganz geläufige Bestandteile seiner Reliefbilder; aber auch noch bei Luca della Robbia in seinen sonst so kräftig modellierten Türlünetten neben der Halbfigur Marias mit dem Kinde, mid erstrecht bei Nanni d! Banco, fi:eilich im Giebelfeld seiner Tabernakel an Orsan* michele, also stärker getrennt von den Statuen darinnen.

Damit aber sind wir an der entscheidenden Stelle für die Da- tierung des Münchener Bildes, bei der natürlich die Hauptgpruppe von Mutter und Kind, besonders die Nacktheit und kraftvolle durch- aus plastische Bildung des letztem den Ausschlag geben muss. Grade in dieser Folge haben wir uns zweifellos das Wachstum des Ganzen vorzustellen. Noch der weite Mantel, der als gotisch stili- sierte Draperie sich über den Boden breitet, sein zügiges Falten- gehänge, das die Körperhaltung darunter beinahe zu verschleifen droht, wo wir beim abwärts gestreckten Schenkel dringend darnach fragen» bewaren die herkömmliche Weise ganz im Sinne Ghtbertis, würden wir sagen, wenn auch schon seiner fortgeschrittenen WOTke. d. h. der Schöpfungsgeschichten und der Statue S. Stephans etwa (1426), ja der Area di S. Zanobi im Dome. Die Modellierung des Kindes aber und der entsprechenden nackten Teile an Brust und Kopf Marias sind überraschende Fortschritte, die gewiss bisher veranlasst haben, das Werk erst unter dem Einfluss jener Madonnen eines Luca della Robbia in die Florentinische Malerschule einzu- reihen. Dann aber geraten wir in Widerspruch mit den altertüm- lichen Bestandteilen auf dem goldenen Grunde, gegen den der Fuss- boden auch noch in ilächenhafter, ziemlich unräumlicher Weise ohne

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Zwei Madonnen

perspektivische Musterung, sozusagen neutral hingestricfaen ist^) Obwol grade hier unten starke Restauration stattgefunden hat, darf doch gesagt werden, dass erst mit dem Kissen und dem aufge- stützten Knie die volle Körperlichkeit hervordrängt Von dem malerisch breiten Gehänge über den Schois bis hinauf an die Taube Ober dem Scheitel der Madonna ist die Relie&nsdiauung klar aus- geprägt, also für ihre Halbiigur etwa vorhanden, wie in den zai- reichen Terracottabildwerken jener Tage, die darunter abschneiden, und doch geht der bildnerische Gedanke schon weiter zur ganzen Figur und ist ohne das Knie als Stütze in der Mitte und ohne das andre drunten, als Endpunkt dem Kopf entsprechend, nicht auszu- denken. Und diese Symptome zusammengenommen zwingen schon zu einer frohen Datierung, d. h. in eine Zeit, wo wir ein solches Werk, des Uebergangrs allerdings, aber doch einer bahnbrechenden Kraft, nur einem in die Hefe dringenden Künstler zutrauen dürfen. Und da steht als Vorgänger Fra Angelicos und Fra Filippos nur Masacdo in Frage, der durch das Wagnis dieses Madonnenmo- tives und durch das lebensvolle Kind, wie das liebcmswürdige Ant- litz der Mutter hier zum Vorbild auch Luca*s della Robbia wird Der strampelnde Bambino wird schon in der hl. Anna selbdritt durchaus entsprechend vorbereitet, dort ernst und der Situation ge- mäss sich zusammennemend, hier fast ausgelassen in satter Frisdie und FrOhlidikdt. Die Gewandung aber stimmt, wie ihre roaleiisdie Verwertung durchaus mit der Auferweckung Tabithas^ und die Aus- f&rung des Temperalnldes ist so flott und frei, dass wir es trotz alier frommen Zutaten erst der Predigt des Petrus mit ihrem er- greifenden Ausdruck und ihren schönen Frauenköpfen, mit dem hrtst- Rurigen Karmeliter und dem Bildnis des Feiice Brancaoci an die Seite stellen möchten. Ein wolgebOdeter Knabe in voller Nackt- heit wie dieser findet nur neben der markigen Grestalt des Apostel- ftlrsten seinen richtigen Platz.

Daneben kommt als Kleinigkeit, die für philolocfische Augen wirksamer sein mag, auch die Bildung des Heiligenscheins in Be- tracht, der bei Maria die nämlichen Ornamente trägt, wie bei den Heiligen Paulus und Andreas vom jMiarwerk des Carraine in Pis.i und wie bei den vier Büsten auf zwei Tafeln in französischem Privat- besitz, die einst gar zu den Seiten der Müiichener Madonna gesessen haben könnten. Denn fragen wir, durch den Vergleich mit den Be- standteilen aus Pisa veranlasst, ob unsere Maria mit dem nackten

') Deshalb hat man wul an eine in solchen Dingcu zurückgebliebene Schale vk fiologu gedadit, wie es in Katalog 1884 noch „BolognesiMb tun 1480^ bieiik

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Die MOnchener Tafel

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Kinde nidit das MittelstOck jenes Altars gebildet haben konnte, der 1426 vollendet ward, so erhalten vor in Vasaris Beschrdbang ,^darin eine Madonna mit dem SOhnchen, und zu ihren Ftlssen tinige mu- sicierende Engel; einer von ihnen, der die Laute spielt, horcht mit Aufmerksamkeit seinen eignen Tönen" wo! verneinende Aatwott Die musicierenden Engel feien, und es ist kaum anzunemen, daas ae früher noch zu den FQssen der Maria am Boden gesessen, dann aber durch Absägen der Tafel teils weggeschnitten tdls zuge« deckt wflren.

Sonst kennt Vasari in Florenz nur noch zwei Altarwerke von Masaccio, die hier in Betracht kommen könnten. Eins in S. M. Maggiore in einer Kapelle neben der SeitentOr, die nach S. Giovanni d. h. nach dem Baptisterium fürte. Es enthielt die Madonna nebst S. Caterina und S. Giuliano. Und in der Predella waren in kleinen Figuren Geschichten aus dem Leben der Caterina und des GiuUano, wie er Vater und Mutter tötet, in der Mitte aber die Geburt Christi «con quella sempHcita e vivezza che era sua propria nel lavorare/' Diese Piredella freilich soll nach Francesco Albertini, der in seinem Memoriale 15 10 die Tafel von Masaccio ebenfisdls erwänt, schon von Paolo Uccello hinzugefEigt sein, wie ,4o archo di sopra,*' und dies letztere Stflck besdiretbt wol Vasari selbst im Leben des Uccello: „in una cappella allato alla porta del fianco che va a San Giovanni una Nunziata a fresco**, also jedenßdis als Fortsetzung des Kapellenschmuckes über die Altartalel hinaus. J)ott malte er einige Sftulen, heisst es weiter, in perspektivischer Verkürzung, so dass sie über den Rand der Wölbung, an der die vier Evangelisten dargestellt waren, hinaus zu ragen schienen.*

Richa kennt in seinen Chiese Fiorentine (IIL 281) nur noch eine Malerei des Paolo Uccello am Pfeiler links vom Tor; seitdem aber ist alles verschollen.

Das andre Altarstück Masaccios, das Vasari in S. Niccolö olti^ Arno beschreibt, enthielt als Hauptdarstellung den englischen Gross: la Nostra Donna die vi k dall' Angelo annunziata, die Verkündigung, auf deren weiteren Schauplatz wir an andrer Stelle zurückkommen müssen.

Wäre somit gegen die Möglichkeit, dass wir es in München mit dem Mittelstück des Altars aus S. M. Maggiore in Florenz zu tun haben, vorerst nichts einzuwenden, so belehrt uns über die Datierung, die wir im Anschluss an die Tafel aus & Ambrogio und die Fresken in Cappella Brancacd versucht haben, jedenfalls besser noch die zweite Madonna, die an dieser Stelle be^>rochen werden soll, in der Kunsthalle zu Bremen*).

*) Nr. Altflorentiiuidie Schnk. Vgl wuere Abbildung Xaf. V. ».

Zwei Madonnen

Dies kostbare Stück hat sich in seinem alten Ramen erhalten, und wenn auch der letztere hier und da zerstossen und sein Giebel mit spätgotischem Kriechblattwerk geborsten ist, so ist docli die Tafel darinnen unberürt, und am Sockel nicht nur zwei Stifter« Wappen, sondern neben der Inschrift auch eine Jahreszal angebracht, Alles von unbczweifelbarcr Echtheit:

O QVANTA MISERICORDIA- E- INDIO A I4a3.

Auf den doppelt vorgekröpften Postamenten finden sich die Wappen, rechts ein steigender Löwe auf senkrecht halbiertem links mtom, rechts blauem Felde. Gegenüber ist ein horizontal geteilter Schild, in der obern Hälfte schräge Streifen von Schwarz und Gold, unten eine hreitgedrückte Lilie oder Palmette (verletzt) in Gold auf schwarzem Grunde. Auf diesen Untersätzen fussen je zwei schlanke gedrehte Säulchen, das äussere Paar als Träger von Fialen, deren Risen abgebrochen sind, zur Einfassung des Wimpergs^ das innere, etwas zurücktretende Paar als Träger des Spitzbogens darunter. Dann vertieft sich der Ramen an allen Seiten schräg gegen eine innere Einfassung, die von einem dritten Paar solcher gedrehten Säulen und einem in kleinen Halbkreisen ausgezackten Spitzbogen gebildet wird, an dem die vergoldete Bildfläche anscUiesst Die Stirnfläche des Giebels, der in Form eines Vorhangbogens, wie an einigen Taber- nakeln an Orsanmichele, mdhrfach gebrochen aufsteigt, ist ebenfalls vergoldet und links und rechts mit zierlicher Ranke im aufkeimenden Renaissancestil gefüllt, während ein Rundmedaillon mit der Vera Ikon die Mitte bildet. Durch dieses ganz von vom gesehene Aot* litz des Erlösers geht leider der Sprung mitten hindurch.

Im Hauptbildc sitzt Maria auf einem Goldbrokatkissen, da? ebenso wie in München auf dem Fussboden liegt, aber ohne acharte Ecken und Quasten daran, noch mehr mit der Marmorierung dieses Grundes zusammengeht Ihre Haltung ist fast völlig ebenso wie in München ; nach rechts gewendet, hat sie ihr linkes Rein auf- gestützt, so dass das Knie hoch heraustritt unter dem fliessenden Gewände, das andre Bein aber verschwindet völlig unter den Falten- zügen des blauen Mantels, der sich in ausgesprochen gotischer Draperie über den Boden breitet. Auf dem linken Knie Marias (also rechts vom Beschauer) steht aber das Knäblein in einem kurzen Hemdchen, dessen feines Gefält kaum noch die Hälfte der Hüften bedeckt, und dreht uns so die Rückseite der nackten Beine zu, die drall und wolgenärt zur Schau gestellt werden. Das eine Füsschen steht auf den Zehen nur noch fest, das andere streckt sich aus-

*) Ea ist da fot und goldiger Brokatstoff mit vertiefter Pmimbdt» dvfiber cv Muster in sehwu» aufKenwItt durdiatw cclit.

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Das Tabernakel in Bremen

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schreitend in dir I.Tift und w ird von Marias zarter Hand behutsam gehalten, während ihre Linke schütj^end auf dem Rückon dos Kleinen ruht, der lustig emporstrebt, mit beiden Aermchen iiiren Hals um- fasst, und eben im Begriff seine Wange gegen die der Mutter zu drücken, noch einmal neckisch oder verlegen zu dem fremden Be- obachter dieser stillen Freuden herausschaut. Es ist ein blondes Köpfchen mit krausem (lelock und blauen Augen. So lenkt seine Hand, die den nackten Hals der Mutter berört, unsere Aufmerksam- keit auf diese, die bescheiden, mit dem blauen Manteltuch über dem Kopf, ihr weiches Oval und don Blick der iresenkten Augen nur dem Söhnchen zuwendet. Die K.inder dieser Kopfbedeckung, unter der kein weissi r Schleier sichtbar wird wie in München, sind auch nicht über der Brust zusammengehalten, sondern lassen das sclüichte, nur über dem Leib in dünnen Falten herabfliessende hellrote Gewand sehen, unter dem sich der langgestreckte schlanke Oberkörper mehr erraten lässt als wirklich modelHert

So erweist sich das Ganze als eng zusammengehörig mit der Mönchener Madonna, aber als eine viel zartere noch und schüchterne Red.iktion, in der das bekleidete, doch schon lialb entblösste Kind, in seinem muntern Kletterversuch, wieder die Künheit und Lebens- friscbe des beobachteten Motives aus der Wirklichkeit offenbart, die sich doch frommen Sinnes noch in lieb gewordenen Gewonheiten eines ganz idealen Stiles auszusprechen bemüht. Viel knospenhafter noch als die Uebergangsmadonna mit dem Prachtbuben in München, entspricht dies reizende Bild im 1 abernakel von Bremen doch durch- aus dem zeitlichen Abstand, den wir mit der Jareszal 1423 nun als festen Anhalt gewinnen, und weder nach seinen innem noch nach seinen äussern Qiuiliiatcn kann ein Zweifel erhoben werden, dass beide 1 afulbildcr, das frulicre von 1423 in Bremen und das spätere, wol nahe^'u zw ci Juiire spätere in München, einem und dem selben Meisier geliuren.

Die technischen Eigenschaften des Bremer Bildes, besonders der Schmelz der Fleisclipartieen und die sorgfältige Imitation des Gold- brokats im Kissen, wie des bunt marmorierten Fussbodens und die zier- lichen Goldsäume um den Mantel gemanen an sienesischen Geschmack und erinnern neben der zarten Empfindung, der süssen Innigkeit, mit der das Verhältnis von Mutter und Kind hier erfasst ist, an einen firemdher zugewanderten Meister, der im selben Jare 1423 ein

>) Das hellrote Kleid sowol wie der blase Mutel, der besonders b den Schatten einen Stich ins Grünbraune bekommen hat, sind stumpf geworden. Die Kamation ivt von ausserordentlicher Sorgfalt und Feinheit, hell mit einem rosigen Hauch, der bei der Vom Ikon sogar in eben kräAig blutwarmen Ton übergeht.

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Zwei Madonnen

grosses Meisterstück vor Augen gestellt und damit die Herzen gar manches Kunstfreundes und gewiss auch manches Künstlers in Florenz gewonnen hat Wir meinen Gentlle da Fabiiano, und seine Anbetung der Könige ftXr die Sakristei von Su. Trinita. Aus Umbrien und dem Umkreis der Sieneslschen Nachbarn wie Taddeo Bartoli stammend, war er Jare lang in Venedig und Brescia tätig gewesen, gewiss nicht one Zuwachs seiner miniaturartigen Nach- amung der Naturdinge und des farbigen Glanzes ihrer Wiedergabe inmitten märchenhafter Phantasiegebilde, die er von Hause mitge-

. bracht Nun aber von Papst Eugen gerufen, zur Kurie nach Florenz gekommen, hat er Aufträge auch von Florentinern wie Palla Strozzi und den Quaratesi empfangen, die ihn grade während der ent- scheidenden Jare, die uns beschäftigen, 1421^ 1425 mit dem Kunst-

. leben der Amostadt verbanden. Wir glauben diese Beziehungen zur technischen Behan dl ungs weise wie zur Geftklstimmung des GentUe da Fabriano in der Bremer Madonna von 1423 zu erkennen, und müssen deshalb um so mehr auf die Abweichungen hinweisen, die das Ganze wieder von dem schimmernden Pracluaufwand Gentiles untcrsrhr idcn, auf die zurückhaltende Einfac hheit der Kleidung und die keusche Bescheidenheit d^ Stoffe wie der Tarben.

Nach Gentile erst werden wir auf Masolinos Malereien to Castiglione d'Olona geleitet, die am Gewölbe des Chores 1425 ent- standen, selber schon wie nachgewiesen wurde den Einfluas des Meisters von Fabriano bezeugen, und zwar in noch stärkerem Mafse von dem berauschenden Vorbild abhängig erscheinen. Da ist es dann kein Wunder, wenn diese Madonna in Bremen von 1423 io der zarten Weichheit der Typen, der schlanken Feinheit der Hände, dem leichten Fluss der dünnen GewandstofFe bis hinein in die zal- reichen Parallelrillen in Kleid und Hemdchen, an jene schmiegsamen Gebilde Masolinos erinnert Wenn sie ihnen in mancher Beziehung auch sonst ganz nahe kommt, so erscheint der Zweifel, ob dies Tabernakel nicht vielmehr sein Werk sei, durchaus verständlich. Ich selbst habe, solange meine Vergleichungen von Ort zu Ort vor den Originalen freilich, aber mit Erinnerungsbildern ausgefiirt werden musstcn, eine Weile geschwankt, wie die Entscheidung zu fällen sei. Nachdem aber die Gewölbemalereien der Collcgiata in meinem Auftrag endlich photographiert worden sind, muss diese Zuteilung als Fehlschluss aufgegeben werden. Masolino klebt noch als Vierzigjärigcr an vorncmstor Stelle der Wölbung seine src- streckten Gewandfiguren. Christus und Maria, an dem Tronsitz so haltlos und uncigentlich hin, dass die selbe Drehung der Madonna auf dem Kissen hier die durchgreifende Verschiedenheit des Körper-

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Madonna von Masolino

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geftls vor Augen stellt Und das geschieht in der Krönung ausser- dem in engster Nachbarschaft mit einem architektonischen Gerüst, das Halt gewAren konnte» ja es bleibt im Widerspruch zu der Statik dieser lotrechten und wagrechten Linien. Und hier sollte er den frei aufragenden Körperbau ohne solchen Apparat durchgedacht und ein relativ so gelungenes Ergebnis erzielt haben, das trotz dem Goldgrund hinten und dem Faltengeschlängel vorn unser Auge so- weit befiriedigt, wie der Gegenstand der Darstellung erheischt In Castiglionc steht ausse rdem ja über dem Rundbogen einer Haustür *) mit dem Wappen dos Kardinals Branda in der Mitte, ein verblichenes Fresko mit der Verkündigung, wo die rechts von ihrem ßetpult zurück weiclien de Maria und der links herzuschwebende Engel die ganze Unbestimmtheit der Körperhaltung und der Raumanschauung Masolinos bei einer Aufgabe verraten, dir durch örtliche Bedingungen schon zvt perspectiv isch wirksamer Durchfürung der Untensicht herausforderte. Auch diese Probe gehört in den ersten Aufenthalt von 1425, so dass sie ein vollgültiges Zeugnis ablegt, während wir bei der Verkündigfung am Chorgewölbe gern die sphärische Fläche als Müderungsgrund anerkennen wollen.

Vor einigen Jaren war in Florenz in der Kapelle def ehe- maligen Papstwohnung neben S. M. Novella, jetzt Militärschule in Via della Scala, ein kleines Rundbild in Fresko ausgestellt, das von einer Aussenmauer dieser umfassenden Baulichkeiten des ehemaligen Klosters abgenommen war. Darin war die, kauernd fast, am Boden sitzende Madonna dargestellt, in gekrümmter Haltung über das Kind in ihrem Arm, mit weiter gotischer Draperie des Mantels, und ihr gegenüber eine Vase mit polygoner. scharf geknickter Wandung und einem Tj'lienstengel darin. Die florentinischen Fachmänner wusstf n nicht, was daraus zu machen sei, und so verschwand der Findling sehr bald, wie es heisst im Depot der Ufli/icn, Ich habe vom ersten Augenblick einen Masolino darin erkannt, und j^flaube die lebhafte Erinnerung daran auch mit gutem dcwissen vertreten zu dürfen, bis durch jreeiirnete Publikation der X'ergleich genauer m«>trlif h wird, um meine Bestimmung von damals zu bewahrheiten oder zu berichtigen.

Der Zusammenhang der Madonna von Bremen mit der Münchener und dieser mit der Iii. .Sippi« von S. Ambrogio in der Florentiner Akademie muss allen ernsten r"<»rschern einleuehten. die auf mehr als Ohren und Hände zu achten cfewijnt sind. Der Kern des Kunstwerks ist in allen dreien mit Masolinos Können unvereinbar. Der Schluss, der aus der nahen Verwandtschaft äusserer Züge in

>) Cono No. 13. Abbildung bei Diego Smt 'Ambroc^Ok CastigUone T«v. VI.

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Masolino oder Masaccio

dem Tabernakel von 1423 mit spätem Malereien Masolinos gezogen werden darf, kann also nur die überlieferte Tatsache bestätigen, dass Masaccio und ^fasolino vor der Ausmalung der Brancaccikapcllc schon in künstlerischer Gemeinschaft j^estanden haben. Nach Vasan wäre der Ackere soj^ar der Lehrer des Jüngern gewesen. In den Einzeliiguren des Prtrus und Paulus an den Pfeilern der Serragli- kapellü im Carmine treten sie als selbständige Genossen auf. Seit 1421 ist Masaccio zünftiger ^Talcr in Florenz, in der Arte de' Medici e Speziali eingetragen, sogar früher, als MasoUno diesen Schritt vollzog.

Cappelletta in S. M. Maggiore zu Rom

Die Madonna von Bremen mit dem Datum 1423 darf also als Belegstück für die Kunst Masaccios gelten für die Jare, die seinen orsten Arbeiten in der Brancaccikapelle voraus liegen. Das Kirchen- bild aus S. Ambrogio mit S. Anna selbdritt (und der verlorene Paulus im Carmine vielleicht) würden ihr im Jarc 1424 gefolgt sein. So angeschen fürt das Tabernakel, das isoliert an einem Pfeiler ge- hangen haben mag oder in einer Nische am Palast eingelassen war. schon durch den Aufbau der Gruppe wie durch das originelle Motiv mit dem munteren Christkind als Hemdling, dessen dralle Beinchen schon mit heidnischen Putten und lustigen Amoretten, dh. mit den erklarten Lieblingen der Frührenaissance wetteifern, in das intime Wesen des jungen Meisters ein, der die letzte Hülle der gotischen Draperie gar bald vollends abstreifen sollte. F)as Bild des Erlösers an der Giebolstirn weist uns aber den Weg noch weiter hinter das Datum 1423 zurück, wie es andrerseits zur Vera ikon am Fresko in Fmpoli weiter leitet, mit dem Adam im Sündenfall der Cappella Brancacci als Vermittler. Dies Antlitz Christi, ganz von vorn ge- sehen, mit der absichtlichen .Symmetrie als unverrückbares Ideal kert als Typus des Mariensohnes auf einem Altärchen wieder, das Vasari ausdrücklich als Werk Masaccios beglaubigt, indem er sich zugleich auf Michelangelo Buouarroti bezieht.

In der Kirche St». Maria Maggiore schreibt er, der alten Basilica Liberiana in Rom, sei von Masaccio eine Tafel ^in > inem Kapcilchen nahe bei der Sakristei: darin sind vier Heilige so trcttlirh ausgefürt, dass si{> wie in Relief erscheinen, und in der Mitte S inli Maria della ise\ e ; und das Bildnis des Papstes Martin nach der Natur, wie er mit einer Hacke die Fundamente dieser Kirche zeichnet, und bei ihm der Kaiser Sigismund II. Als Michelangelo und ich

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AltArchen von S. M. Maggiore in Rom

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eines Tages dies Werk betrachteten, rühmte jener es sehr und Agte bin2U, die Beiden hätten zur Zeit Masaccios g^clebt«.

Vasari meint also wie Michelangelo, die beiden Zeitgenossen Masaccios, den Papst Martin V. aus dem Hause Colonna und den Kaiser Sigismund den Luxemburger, als KOmg von Ungarn der zweite dieses Namens, auf der Darstellung zu erkennen. Papst Martin V. hat, in den ersten Jaren nach seinem Einzug in Rom, am 30. September 1420, wol eine Zeit lang bei S. M. Mapfgiore residiert *), unr! auf Kosten des Hauses Colonna waren die vier Altäre errichtet, die sich am Anfang und am Ende der SeitenschiflFe an den Schluss- wänden der Basilica erhoben ^) ; aber er ist keineswegs der Erbauer der Kirche gewesen. Sein Bildnis kann also nur in der Rolle eines andern Papstes gemalt sein, der bei der Gründung vnn S Maria Maggiore beteiligt war. Dies fürt auf die Legende von der Entstehung der Basilica Liberiana, auf die Vasari .uich mit dem ursprünglichen Namen »S. Maria della Neve- Rezu^'- nimmt. Unter Papst Liberius 352 366 bcschloss Johannes l^atritius, Senator Urbis, da er ohne Erben war, seinen Reichtum zu Khrr n der Madonna zu verwenden. In der Nacht des 5. August erschien ihm Maria und gebot ihm auf einem Platze, den sie bezeichnen werde, eine Kirche zu bauen. In der selben Nacht erschien sie auch dem Papste Liberius ; als er dann am folgenden Morgen mit Johannes Patritius zusammentraf, meldeten Boten, dass auf einer Stelle des Esquilin Schnee falle. Dorthin geeilt erkannten sie das Wunder: der Papst umschrieb sofort mit einer Hacke den Grundriss, und Johannes Patritius Hess darauf die Kirche erbauen, die nach diesem Vorgang in heisser Jareszeit den Namen S. Maria ad Nives erhielt "').

Wenn also auf jenem Altarstücke, das Vasari beschreibt, Papst Martin, der Zeitgenosse Masaccios dargestellt war. wie er mit der Hacke die Fundamente der Kirche umriss, so hätte er bei jenem Stiftungswunder die Stelle des Papstes Liberius übernommen, und wenn der Maler, im desclinuick des Quattrocento, auch andern Personen noch Porträtzüge verliehen hatte, so wäre der Patritius Johannes gewiss der Nächste dazu, das Bildnis Sigismunds zu suchen, das Michelangelo darin erkannte. Dass auch dieses unmittelbar nach dem Leben gemacht worden sei, wird von Vasari nicht be-

») Vgl. Annales Eccics. cd. Baruniu«. XXVII. p. 536 ff. Pastor, Päpste I. 1886, p. 177. Vasari tneinl den Altar am Turm im Scitcnscbiti der Basilika.

*) BnnwD Plalner, Bcadkicibung Romi Ilt, * p. 26S. Darin «ndi Malereien ▼OB BenocM Groisoli. Vas«ri III, 48.

*) Etwas anders berichten die Mirabilia Roma« (cd. ParUiey p. 47): »vacata est Maria major qnia in medto Mai cecidit nix«.

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Cappelletta in S. M. Maggiore, Rom

hauptet; es ist also unnötig daran zu erinnern, dass dieser Luxem- burger erst im Jahre 1433 zu seiner Kaiserkrönung durch Eugen IV. in Rom gewesen ist. Martin V. kannte ihn als römischen König vom Koncil zu Konstanz her, ebenso eine grosse Anzal von Kardi- nftlen und besonders Branda Castiglione, der Jahre lang als Legat an seiner Seite gewirkt hatte. Sein Bild wird in den Kreisen der römischen Kurie schon aus Siegeln nicht unbekannt gewesen sein ganz abgesehen von der Frage, ob Michelangelo in diesem Punkte genau und zuverlässig unterrichtet war oder nicht.

In der Kirche S. Maria Maggiore zu Rom ist kein Altargemälde mehr vorhanden, das mit dieser Beschreibung Vasaris iibereinstimmt wol aber geben uns Reliefs eines Marmortabernakels aus den Tagen Hus IL, das Kardinal Guillaume d'Estouteville von Mino da Fiesole fCtr seine Titelkirche hatte arbeiten lassen, noch heute vereinzelt in die Wand der Chortribuna eingefügt, über die Darstellungsweise dieser Legende Aufschluss. Darunter befindet sich als Hauptstürt die Wundergeschichte vom Schnccfiill, die sich an die Gründung der altchristlichen Basilica knüpft, und eine Glorie Marias, die r mandelf<)rmig-er Aiireola von Engeln emporgetragen wird. Die? Reliefs aus dem Ende der fünfziger oder den ersten sechzig« Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts stimmen ihrerseits in Einzel- heiten wieder so aufiFallend mit zwei Tafelbildern im Museo Bor- bonico 7.U Neapel überein. dass der Zusammenhang mit eincrr Heiligtum der Madonna della Neve nicht zweifelhaft sein kann, und ihre Herkunft aus der Kirche S. Maria Maggiore, anl die sich die (iründung durch Liberius allein beziehen lässt, sehr wahrscheinlich wird. Mit d<Mi Reliefs des Mino da Ficsole verglich«!, erscheinen sie als Vorbilder, die dem Marmorarbeiter vor Augen gestanden und zur Xachachtung angewiesen sein müssen, dh sie gehörten ursprünglich zu dem Altarwcrk, das Vasar: mit Michelani^elo in dem Kapcllchen unweit der Sakristei gesehen hai Xach seiner Beschreibung waren dann die vier Heiligen wol als Flügelbilder ru den Seiten zu denken; in der (ünrio der himmelfarenden Maria hätten wir das Mittclstück, das er S. M. della Neve- nennt, und ausserdem die Gründungsgeschichte, bei der genau so, wie auf Min« Relief, die Halbfiguren nicht nur Marias allein sondern auch Christ! voran erscheinen. Dn nun die beiden Täfelchen in der Galerie von Neapel ganz gleiche drösse haben und beide oben gleich abge- rundet sind, so haben wir uns entweder ein doppelseitiges Tn'ptychon zu denken, so dass die Wundergeschichte das Mittelstück der Kuck-

>} Vgl. Rio, De rurt cbrtUea 1874. H. p. 15. Ciowe v. Canlcndle ftal. Am^I» II. p. a86 ff. SchmAnow, Melono da Forli 1886 p. 36,

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Zwei Tafelbilder in Neapel

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adte bildete und das ist bei dem freien Stand des Altars vor der Wand durchaus das Wahrscheinlichste, oder aber wir hatten eine doppelte Bilderreihe von je dreien zu denken, so dass die Assunta aber dem Schneewunder zu stehen käme^ wie je ein Heiliger über einem der beiden andern unten, eine Anordnung, die in Mittel-Italien befremden dürfte und besondere Herleitung als Reminiscenz aus dem Norden erheischen würde Die Anordnung des in anderm MaTsftab gedachten Stiftungsbildes auf der Rückseite und die Portrftt- zttge der Figuren darin vereinigen sich besser mit damaliger Sitte, besonders da wir durch das Bildnis Martins Y. gedrängt werden, an ein Weihgeschenk des Papstes selber in die Familienkapelle der Colonna zu denken. Damit erOfihete sich auch die Möglichkeit, die Entstehungszeit mit Hüfe biographischer Nachrichten über den Stifter zu begrftnzen: es wären die ersten Jahre nach seinem Einzug in Rom, solange er sdnen Wohnsitz bei S. Maria Maggiore aufgeschlagen hatte, dh. vor 1425, wo er sich schon bei SS. Apostoli im hergestellten Familienpalast aufruhalten pflegte, statt im ungesunden und ver- wahrlosten Vatikan*).

Die beiden, gewiss aus dem Besitz der spätem Colonna nach Neapel verschlagenen Tafelbildchen, tragen in der Galerie des Museums den Namen Gentile da Fabriano. Betrachten wir sie mit der sichern Ueberzeugung, es sden die von Vasari besprochenen Stücke aus S. M. Maggiore in Rom, so ist der erste Eindruck der sorgfältigen Ausftlrung in kleinen Figuren auf Goldgrund gewiss befremdlich, sodass wir, bei solcher Verwandtschaft mit einer alter- tQmlichen Miniatuimalerei, geneigt sein würden, einen früheren Mdster darin zu suchen, als Masaccio, dem Vasari und gewiss audi Michelangelo sie zugesprochen haben.

Dabei wirkt vor allen Dingen auch die völlig hieratische Kompo- sition der Himroelfart Marias. In der Mitte des Bildes, ganz von vorn gesehen, sitst Maria mit betend zusammengelegten Händen. Ihr blauer mit Gold gemusterter Mantel ist über den Kopf gezogen, unter dem Hals geschlossen und auf den Knieen über einander geschlagen, so dass nur Antlitz, Hände und ein kleiner Teil des Kleides darunter hervor- sehen. Zwei Reihen von sechsflügligen Engelköpfen, rote und blaue, umgeben sie in der Form einer Mandorla, in der sie wie auf einem

*) CavalcaseUe denkt unnötiger Weise an einen zweiten Altar in den vier Colonna- Ktpelkn. Die SteUunc d«r Reliefs ein Hodbdtartabernelcd war ebenso entaptedieiMl. VgL LetafoniUf, Edifices de Reme moderne III, 309.

*) In denAaiMlet Eodet. SdariftstQcke von 1421. ITT. id. Sept, VIII. id. oct. 1422, VII. Kai. dec, 1423 Id. Aug. Non. Aug. Kai. Sept., VI. id. Sept. 1.124; Sept. 18 ^ehl Martin von S. Paolo fuori nach S. M. Maggiore (Coinmiss. d. Rinaldo depli Albi/i) SehrüUtücke XIV. Kai. Okt. Vill. Kai. Dec. 1425. VI. id. jan. apud S. Apostolos-

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Assunta

Sitze tront, während aussen zu beiden Seiten eine Rdhe von je sieben Engeln mit Ihr daherschweben. Es sind je zwd Vertreter der übrigen EngelchOre. Unten zwei Paare mustcierender mit Orgel und Geige, Ctther und Psalter, dann zwei mit einem Scfariftband, auf dem der Name »Virtutes« steht, darQber zwei in voller Rüstung knieende Jünglinge mit Schild und Schwert, zwei schwebende mit dem Kreuzbanner in den Händen, nodi höher zwei mit Reichsapfd und Scepter, und zuoberst, eine blaue Mandorla vor sich haltend, die Throni. Zu Häupten Marias scfaliesst unmittelbar eine runde Cherubglorie an und umramt die Halbfigur des Gottessohnes, der dch vornüberbeugt und die beiden Arme hemiederstreckt, die ver<- klärte Mutter zu empfangen.

Die Verkürzung dieser Figur, deren gendgtea Haupt voo Scheitel aus beleuchtet ist, entspricht aber dem Engel an ähnlidier Stelle über der heiligen Sippe aus S. Ambrogio^ den wir dem Masolino nicht zuzutrauen vermöchten, der zurückflattemde Mantel ist dagreges ganz nach gotischer Schulregel ausgelegt, wie bei Gottvater auf da Madonna in München. Genau so dekorativ fungieren die Hngd- kleider mit den Wolkenstreifen darunter. Bei genauerer Vergieichuiig der Köpfe stellt sich jedoch grössere Aehnlicfakeit mit denen Masacdoi auf dem Bilde der Akademie und auf der Münchener Madonna heraus, als mit denen Masolinos in der Glorie Gottvaters oder der Himmel&rt Marias über dem Altar der CoUegiata, deren knus- lockiges Haar von dem masagen hier schon bezeichnend genug abweicht Ganz besonders aber ähnelt einer der Kieuzfahnentrager, zur Rechten in Sitzhöhe, dem Christuskind auf der Madonna von Bremen. Der letzteren verwandt ist die Madonna, sowol im Typus des Gesichts wie in der Verhüllung durch die Mantelkappe; aber die volle Vorderansicht giebt ihrem Aussehen noch etwas Puppen- haftes, eine stumpfe Verschlossenheit von befremdender Kälte. Wer aber verfolgen will, was bei dem nämlichen Künstler aus dieser nonnenhaften Maria werden kann, sobald ein starker Ausdruck sich in Haltung und Züge ergiessen darf, der vergleiche damit die schmerzhafte Heilige, die Dolch und Tränenkrüglein vorweist, auf den Fragmenten eines wenig Jare spätem Altarwerks in franzö- sischem Privatbesitz, die wir oben besprochen haben. Ganz beson* dere Anerkennung verdient an sich schon das sichere Dasitzen dieses Körpers auf dem luftigen Thron der Mandorla, das auch Mino, der Bild- hauer fast vierzig Jare sjiäter noch nicht so zu erreichen vermocht hat

Das zweite Bildchen ist durch einen breiten Wolkenstxeif in einen himmlischen und einen irdischen Schauplatz geteilt In der oberen Hälfte erscheinen am Goldfirmament in runder, stralender

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Gründung der ^asilica Liberiana

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R^renbogenglorie und hellem Licht zwei Halbfiguren in grösserem Ma&stab als die menschlichen Personen drunten. Voran Christus mit abwärts gestreckten Armen nach vorn herausschauend und neben ihm Maria, mit der linken ihren Mantel fassend, die Finger der Rediten zu Idchtem Wink erhebend und den gesenkten Blick dem Vorgang drunten zugewandt Denn aus den Wolken fallen Idcht geballte Wölkchen auf die Erde nieder* die wir als duftige Schneemassen annemen sollen, weil unten auf dem Boden schon die weisse Decke ge&llen ist, um den Grundriss der Kirche zu bezeichnen, die Maria zu Ehren gebaut werden soll.

In der untern Hfllfte bezeichnen zwei Gebäude, die etwas allzu schlank antiken Pfeilerhallen nachgrebildet, mehr wie stehen- gfebliebene Reste der alten Kaiserstadt erscheinen, gleich zwei Seiten- koulissen in starker Perspektive den sonst freien Platz auf dem Esquiltn, wo Johannes Patritius die Basilika gründet, während zwischen ihnen, Ober Cestiuspyramide und Monte testaccio nebst einem Zug der Stadtmauern mit dem Tor, der Ausblick auf Garten- hmd und eine Hagelkette hinten hinausgeht Auf dem Boden sehen wir den Plan der Kirche, von einem Arm des Querhauses aus» in der selben allzu schnellen Verkürzung: rechts rundet sich die Apsis, links wird sich der Hacke des Papstes folgend das Langhaus er- strecken. Natürlich in vollem Ornat, mit der dreifachen Krone auf dem Haupt ist dieser soeben im Begriff die Fluchtlinie der Umfassungs- mauer vom einspringenden Winkel des Kreuzarmes weiter zu ziehen; aber die Haltung der Hände verrät wol ungewonte Arbeit Die Züge entsprechen auch in dem kleinen MaTsstab durchaus denen Martins V^ dessen Bildnis wir auch auf der bronzenen Grabplatte von Donatello und Michelozzo in der Lateransbasilika besitzen.*) Sein Archidiakon hält bei der feierlichen Ceremonie die Schleppe des Chormantels, der sich prächtig genug von dem feinen Gefält des weissen Byssos* gewebes der Alba abhebt Neben diesem feisten Prälatenporträt*) folgt noch eine Reihe von Kardinälen in ihren pelzgefütterten Kappen, also vom Maler sicher nicht in heisser Jahreszeit gedacht, sicher ebenso bildnismä&sige KOpfe, doch in eifriger Beobachtung des wunderbaren Vorgangs alle vorgeneigt , so dass sich diese Gruppe trefflich abrundet Der Kreusträger des Papstes begleitet

*) Diesen beiden Meislern mufs der überwiegende Anteil an dem Werke bei* gemessen worilen, das Vasari dem Simone Ghini zuschreibt, dessen eijjne Goldschmieds- Mt höchi>len> in der trapozfürmiycn Tafel mit Wappen und Genien erkennbar gcbiieljcn ist.

•) Archidiakon war Lodovico dei Fieschi von Genua, Diac. Card. S. Hadriani t 3* April 1423, seitdem dum LatUto de' Conti, Diac C«id. S. M. in Connedin. Wegen der Sbiigen Heft I. S. 110 f.

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80 koSTÜMFtGUREN UND SCHAUPLAt2

auf der andern Seite des LangschifFes in der Tiefe das Weiter- schreiten, und hält den Zuschauern Stand, die sich daneben sammeln, neugierig oder erbaut den schneeigen Kirchenplan begucken oder erstaunt hinaufschauen auf das fremdartige Gewölk am HimmeL Modisch gekleidete Herrn wechseln mit langbärtigen Greisen aus apostolisch er Zeit und lieblichen Frauengestalten , in deren erster wir wol die Gemalin des Johannes Patritius erkennen sollen, der ganz rechts dem Papste gegenüber steht. £r trägst den länglicbeo Rock der fürstlichen Herrn von damals, aus blauem Sammt nüt Pelz verbrämt, um die Hüften p;-egürtet, und rote Strumpfhosen darunter. Der feine blonde Backenbart, den Sigismund auf der Krönungsmünze als römischer König trug, wird wol diese Kenn- zeichnung veranlasst haben ; denn bei der Krönung in K.om durdi Eugen IV. trug er, wie das Relief an der Peterskirche lehrt, schon einen langen Vollbart, dass man unwillkürlich an absichtliche Aehnlichkeit mit Barbarossa (vor Papst Alexander III. in Venedig) denkt. Ganz ähnlich wie auch KOnig Wenzel überliefert ist, nimmt sich die Gestalt im Hintergründe aus, drüben an der Schmalseilr des Kreuzflügels gewiss als fremdartige Höflingserscheinung ab- sichthch dem italienischen Herrn an die Seite gestellt. Also das Zeitkostüm aus den zwanziger Jahren des XV. Jahrhunderts und noch starkes Interesse für die nordischen Bekanntschaften aus deo Tagen des Koncils zu Konstanz, an denen es übrigens auch in Rom unter Martin V. nicht felt^ unverkennbar; aber all das der Hauptsache entschieden untergeordnet.

Bei einer Komposition,' die zur Veranschaulichung der Legende so bestimmt auf Darlegung eines Grundrisses angewiesen war, darf von Lockerheit des figürlichen Aufbaues nicht tadelnd die Rede sein. Die perspektivische Darstellung dieses Kirchenplans im Schnee ist nicfat feierhaft, sondern nur zu korrekt, wenigstens gewesen, denn er ist neu gemalt, aber misslich durch die Wal eines zu hohen Augenpunktes und das dadurch entstehende allzu starke Zusammen* fliehen dar Linien. Dieses Centrum der Konstruktion liegt in der Mitte der untern Hälfte des Bildes. Das Gesetz des irdischen Schau- platzes, das BruneUeschi den Malern auferlegt, ist hier als unver- brüchlich angenommen, nur für die himmlische Region darüber er- schien es darum noch nicht anwendbar. Und diese Erwägung fällt je früher wir das Werk datieren müssen, desto schwerer für den intimen Freund Brunelleschis ins Gewicht, der sicher zu den Er^eo gehört, wenn nicht neben Uccello etwa der Erste war, der strenge Linearperspektive so entschlossen von Aufgabe zu Aufgabe exempliiiciert hat

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Verhältnis zu Gentilb da Fabriano

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Der Vorgang ist einfach und naiv, aber verständlich erzält, und darauf kam es vor Allem an ; der Schauplatz ist angedeutet, bestimmt genug charakterisieret, ohne sich aufzudrängen, und die nächst bcteiligrten Personen wie der Chorus von Zuschauern mannich- faltig belebt, wenn auch in einem Sinne zusammengehalten. Die Kinheit und Intensität des Ausdrucks, bei aller Milde der mehr lyrischen Empfindung, verdient um so mehr Beachtung' als hier Bildnisse von Zeitgenossen des Künstlers und des Bestellers die Rollen aus ferner Verj^^mg-enheit übernemen, und als die Wiedergabe des Individuellen sicher die ideale Aufgabe des Malers erschwert. Die Gleichmassigkeit des vornemen Anstandes trat ausserdem be- schränkend hinzu und nötigte zu passiver Feierlichkeit des Vortrags. Aber die Abwechslung in der Tracht der geistlichen und weltlichen Würdenträger, die Mannichfaltigkeit der Typen und Charaktere kam wieder dem malerischen Reiz zu statten.

Unzweifelhaft, die Auffassungsweisc des Gentile da Fabriano, den der Papst zu sich berufen, als noch die Kurie in Florenz ver- weilte, die Tonart dieses oberitalienisch geschulten Umbrers ist die herrschende, als dieses Work für Martin V cfcmalt ward. Aber sein Werk kann es doch nicht sein, trotz der Begreiflichkeit der Taufe auf seinen Namen in der Galerie von Neapel ; es ist bei alledem toskanisch, und zwar in ebenso fülbarem Unterschied von der An- betunjjf der Konige, die Gentile 1423 tür Palla Strozzi vollendet. Nirgends wird die Ceremonie zum Vorwand mir für die Häufung buntester Kostümfiguren, noch das Wunder zur Gelegenheit der phantastischen Erfindung freien Lauf zu lassen.

Dieser Uti'j rschied kommt natürlich schon durch den per- spektivischen .\ufbau der Bühne hinein. Wenn Gentile wie ein echter Abkömmling der Goldschmiede nur den Vordergrund in horizontaler Lage verwertet und hier die übermässige Fülle von Gestalten zusammendrängt, die auf dem schmalen Streifen gar keinen Platz finden, um dann sofort die Tiefendimension mit der Höhen- richtiing- zu verschieifen, wo sich felsige Terrassen auftürmen, wie in i^t iriebencr Metallplatte, die man von rückwärts bearbeitet, oder wenn wir seine historischen und legendarischen Wandmalereien uns am richtigsten gewiss nach Art gewirkter Teppiche vom Fnde des Trccento vorstellen, wie jenen gfiossen Minnefrühling im Ger- manischen Museum zu Nürnberg, wo zwischen Garten und Wiesen- hang vor den Mauern der Stadt zwischen figurenreichen Gruppen sogar noch Schriftbäuder zur Erklärung entrollt werden, so ist

') Abgebildet, Ge^h. d. deutschen Kunst (Grote, Berlio) V. su S. iio. Schmarsow, Masaccio-Studicn. HI. 6

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Verhältnis zu RIasouKo

hier dagegen alles gesetzmässige Konstruktion, und sofort gewinnen die Figuren zum Schauplatz das richtige Verhältnis, drängen sich nicht, die Klarheit der Raum Faktoren wieder zu verdecken, sondern dienen selber als Körperwerte, jede an ihrer Stelle, zum gleichen Zweck. Die Architektur, die nicht einmal im Vordergrund auftritt, zeigt trotz ihrer Schlankheit keine Spur von gotischer Formgebung mehr, sondern beruht auf klassischen Studien; sie verfällt nirgends io schnörkelhafte Erfindung, sondern befleissigt sich einer schlichten Wahrheit, die wiederum auf den Umkreis des Filippo Brunelleschi und den Ertrag seiner römischen Forscherjare zurückweist Wie bestimmt aber ist in der Region über den Wolkensoffiten die Untensicht innegehalten, allerdings in Rehefauffassung, d. h. auf der Fläche, nicht in vollrunder Körperlichkeit des spftteren »sotto in su«. Und hier begegnen uns die grösseren Halbfigruren der Himmlischen mit besonderer Sorgfalt bis ins Einzelnste durchgefart und abge- wogen, und sie grade sind es, die dieses Altärchen fdr S. M. Maggiore in Rom mit dem Tabernakel von 1423 in Bremen verknüpfen. Die Uebereinstimmung zwischen dem Antlitz des Erlösers hier und da kann schon, <dine in schablonenhafte Wiederholung zu verfallen, nicht grösser sein, und die Verwandtschaft der reizenden Madonna muss auch bei grösserer Abweichung in Haltung des Kopfes» Richtung des Blickes und Mafsstab des Ganzen durchaus einleuchten.

Genauere Prüfung der beiden Bildchen in Neapel wird leider durch ihren heutigen Zustand erschwert. Sie haben durch weder- holte Restauration, durch Oelretouchen in die Temperafarben hinein und durch schlechten Firnis viel von ihrem authentischen Charakter eingebüsst. ^Der Himmel z. B. ist ganz neu vergoldet, berichte Cavalcaselle ; einige Köpfe der Kardinäle übergangen, an andern Stellen in Fleischteilen wie Gewandpartieen mit frischer Farbe er- gänzt und mit wannen Tönen herum getupft«. Nichts desto weniger spricht sich ein genauer Kenner der Technik, wie dieser hochver- diente Forscher nach reiflicher Erwägung dahin aus, er glaube in diesen Tafeln bestimmt eine Kunst und eine Manier wiederzu- erkennen, die den Malereien des Masolino in der Lombardei wie den Fresken der Katharinenkapelle in S. demente zu Rom verwandt sei In den wolerhaltenen Teilen, besonders in den Lineamenten der Frauengestalten begegne eine Süssigkeit des Ausdrucks, die grade Masolino eigen war. In der Tat erinnern die beiden zarten Damen neben dem Patritius Johannes und die Madonna über der Schneewolke selbst auffallend an Masolinos Sposalizio an der Decke der CoUegiata zu Castiglione, wie an die sorglichen Frauen mit dem Johannesknaben bei der Namengebung durch Zacharias, wo ausser-

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Masaccio

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dem die fetnunerillte Wiedergabe der GhorfaemdeD durchaus dem Kreuzträger im Hintergrunde hier entspricht Aber diese Aehnlich* keiten mit späteren Arbeiten M asolinos haben bei der frühen Ent- stehungszeit dieses AltSrcbens alle nicht entfernt die Bedeutung^ die zu einer Taufe auf den Namen dieses Mdsten erforderlich wflrde. Viel entscheidender ist der Nachweis des Innern Zusammenhangs mit Brunelleschi und den strengen Grundlagen des Wissens und Könnens, Ober die der Autor verfbgt

Und was können wir denn bei Masaccio neben diesem persön- lichen Verhältnis zu dem grossen Architekten während der Erst- Hngszeit seines Schaffens anders erwarten, als die Uebereinstinmiung in allen Schulgcwonheiten mit Masolino? Diese anerkennen wir ausdrücklich; sie geht noch bis in die Motive der Haltung und Bewegung, besonders die Fingerstellung« und die Einzelheiten der Draperie hinein. Aber trotzdem ist hier ein anderer Kern und etwas Neues im Ganzen. Bei Masolino sind in Castiglione d'Olona noch überall die Räumlichkeit und die Figuren zwei getrennte Dinge; es ist ihm nie gelimgen, sie unter einheitlicher dreidimen- sionaler Anschauung zusammenzufassen und als solche Einheit, als in sich gleichartiges Ganzes der Körperwclt vorzutragen. Hier ist beim Schneewunder diese Einheit zwischen Körpern und um- gebendem Raum vorhanden, und trotz dem sperrend gespreizten Basilikenplan am Boden mitten zwischen den Figuren, in der Bildanschauung aufrecht erhalten. Welch bcwusstc Entscheidung gehört dazu, das irdische Theater unten durch die Wolken» streifen gegen den oberen Teil der selben Goldgrundfläche so ab- zugränzen, dass sogleich die Aufhebung der Raumtiefe fülbar wird. Die Sphäre der Göttlichen, die oben am Himmel steht, ist nur für den Beschauer d^ Bildes, vor dem Altar draussen, und ein Blick auf Rafaels Madonna di Fuligno aus S. M. in Aracoeli zu Rom, belehrt über die Schwierigkeit dieses Problems und das Bemühen des fortgeschrittenen Meisters die mittelalterliche Scheidung der Welten im Bilde wenigstens zu vermitteln. Den untern Teil der Gründung von S. M. Maggiore verbindet aber ein Übersichtlicher Weg mit den Predellenstücken des Altarwerkes von Pisa (in Berlin), deren Figuren noch den nämlichen Zuschnitt aufweisen, besonders die selbe feinknochige Bildiinj;!;- der Beine und Arme, wie hier; nur wurde durch die Gegenstände, die Martyrien des Petrus und Johannes Baptista oder die Anbetunjr der Könige nirgends die gewaltsame Ausweitung der Tiefendimension verlangt, wie durch das Ansinnen, den Grundriss einer altchristlichcn l^asilika an entscheidender Stelle, d. h. an der Kreuzung tfcsehen. auf der Bühne auszubreiten und die Figuren nur aussen herum auizustellen. 6*

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Zusammenhang mit Werken Masaccios

Dort in den Fisaner Predellen ist die Bekanntschaft mit Donatellos Reliefkunst- (z. B. Herodesmal für den Taufbronnen in Siena) hinzugetreten ; hier dagegen spielt ausser Bninelleschi, dessen Nähe wir in Rom noch bei andrer Gelegenhdt genauer beobachten werden, für die Besonderheit der Malerei Masaccios gewiss das Ver- hältnis zu Gentile da Fabriano bestimmender mit Das Nacheifeni erstreckt 'sich sogar auf die rötliche Kamation, die beim Christus- kopf im Giebel des Tabernakels zu Bremen ebenso aufi&llen mussv wie in den Neapeler Bildchen, und auf den Schmelz der Farben» die in wolefhaltenen Teilen eine miniaturartige Feinheit mit flOssig vertriebenem Auftrag verbinden, wie EmaiL Dieser Wettbewerb mit den Vorzügen des Umbrers ist grade bei einem kostbaren Altarchen, das wie anzunemen der Papst Martin V. selber bestellt hatte, doppelt erklärlichp da es den Gönner Gentiles zu be- friedigen g^t Wenn das Nämliche sodann auch von der Wal der Idealtypen und der Weichheit des Ausdrucks gesagt werden darf in dem wir sie mit Gentiles Madonnen-Bildchen in Pisa, oder den Florentiner Arbeiten für Strozzi und Quaratesi, namentlich den vier Heiligen in den Uffizien vergleichen, so sind das lauter Dinge, die auch Masolino noch dem Beispiel des Umbrers erst verdanken mochte. Bis wir Gherardo Starnina genauer zu charakterisiereo vermögen, den Vasari als seinen Lehrer bezeichnet, muss das in der Schwebe bleiben ; denn die sichern und datierbaren Malereien Maso- linos, die wir mit Masaccios Erstlingen zusammen zu bringen ver- mögen, sind ja si>äter, erst 1425 bis 1435 entstanden!

Ist aber der Zusammet^ang der beiden Tafeln des römischen Altarwerks in Neapel mit der Bremer Madonna von 1423 erwiesen, wie wol jeder zugestehen wird, dahn darf der Auftrag für die Colonnaki^Ue in S. M. Maggiore auf dem Esquilin nur vor diesem Datum angesetzt werden. Im Jahre 1421 ist Masacdo als blu^unm^ Mdster in die Zunft der Medici e Speziali aufgenommen, wie auch Gentile da Fabriano nach sdner Ankunft in Florenz; im Jahre 1424 erwirbt er die Gerechtsame aufs Neue bei der Malergilde von S. Ltica. Inzwischen mag er, längere Zeit von Florenz abwesend, sdn Meister- recht nicht ausgeübt und die Beiträge nicht geleistet haben, so dass die Immatrikulation fOr erloschen galt, als er hcimkerte und neue Aufträge in Florenz empüeng. Gentile da Fabriano, der vom Papste herbeigerufene Meister, gieng nicht im Herbst 1420 mit der Kurie nach Rom, sondern zog es vor, in Florenz zu verweilen, um wenigstens einige lohnende Bestellungen noch auszufQren. Er blieb bis 1425. und Hess sich dann weiter in Siena und in Orvieto beschäftigen bis ins folgende Jahr hinein. Wenn der Papst in Rom daran gteng, die

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Fragmente im Vatikan

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verfaUenen Kirchen herzustellen, und an erster Stelle das Heiligtum der Familie in S. M. Maggiore mit einem Weihgeschenk zu schmücken, zumal da er während der Sommer- und Herbstmonate im an- stossenden Palast des Titulars Wonung nam, so lange der Vatikan unwirtlich und das Haus der Colonna bei S. S. Apostoli im Um- bau begriffen war, so wird ein florentinischer Maler, der sich in Rom befand, willkommen genug gewesen sein.

Das Airt zur Frage nach »Masaccio oder Masolino in Rom«, der die folgende Studie nun ausschliesslich gewidmet werden mag.

Dagegen sind an dieser Stelle nodi zwei Bruchstücke zu er- wänen, die ich sdion im Frühjahr 1884 in den Glasschränken des Museo del rinasdmento der Biblioteca Vaticana entdeckt und seit- dem wiederholt nachgeprüft habe, bis es mir neuerdings durch die Güte des Prefetto P. Ehrte gelang sie photogrraphieren zu lassen, und auf dem letzten Blatt der vorigen Lieferung schon mit den beiden Neapeler Bildchen zusammenzustellen.

Das ek» dieser Stücke (Armadio P, Nr. V} enthält die Be- stattung Marias» wobei nicht allein, wie es üblich ist, die Apostel an ihrem Grabe versammelt sind, und Christus in ihrer Mitte hin- zutritt, die Seele der Mutter in Gestalt eines Kindes auf seinen Arm zu nemen, sondern auch links und rechts noch je zwei Engel als Kerzenträger bei der feierlichen Ceremonie zur Seite stehen. Die Komposition des niedrigen Breitbildes, das offenbar das Mittelstück einer Predella gebildet hat, schliesst sich noch deutlich der Kunst- weise eines Spinello Aretino an, dessen Darstellung des selben Gegenstandes in der Akademie von Siena hier herangezogen werden mag. Aber sie «rhält durch die abschliessenden Engelfigurcn in aufrechter Haltung und die Hügelreihe die den Hintergrund bildet, wie durch die schlichte Anspruchslosigkeit der Felsgegend, deren Boden durch keine Vegetation belebt wird, doch «nen strengen reliefartigen Charakter. Und die innere Gliederung des Aufbaues verrät den nämlichen Emst, der auch in kleinen Dimensionen und untergeordneter Bedeutung der Teilarbeit noch den Zusammenhang mit der besten Tradition der Florentinischen Meister nicht verläugrnet. Der Sarkophag zeigt die perspektivische Ansicht von der vordem Ecke des Kopfendes her, während das Fufsende durch die vomOber- gebeugte Gestalt des Apostels, der die Leiche herabsenkt, verdeckt wird. Diesem Träger der Füfse hilft der Andre beim Haupt der Toten nicht an der Schmalseite sellMtt, sondern am ersten Platz an der Langseite hint(?n, so dafs die vomemste Stelle am Scheitel für Petrus frei bleibt, der die Gebete liest, während ihm wiederum kreuz- weis gegenübergeordnet am Endpunkt der Diagonale die Erscheinung

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Bestattung Marias

des Erlösers selbst ent^iricht, der die Leiche mit dem WeOiwedel besprengt Die Typen Christi and seiner Jünger sind^durdiaus die nämlichen, die wir aus den Frag^menten des Pisaner Altarweriees von Masaccio kennen gelernt haben, und stehen in ihrem unent- wickelten Zustand ganz besonders der »Hdlung des besessenen Knaben« nahe (Brüssel» bei M. Leon Somz^e), die Vasari als per- spektivisdies Versuchastfick aus frOher Zeit beschrieben bat Die stehenden Engel aber gehen vortrefflich mit den Weihrauchspendem am Tron der Madonna im Schols der Mutter Anna zusammen, wie mit denen der Madonna von Manchen.

Am grölaten aber ist die Verwandtschaft der Köpfe, wie der Gestaltenbildung und der Gewandbehandlung mit der Assunta im Museum von Neapel, d. h. mit dem einen Hauptbilde des Altärchens aus S. M. Maggiore in Rom, zu dem diese Verbindung von Tod und Bestattung Marias als Ftedella schon inhaltlich sich völlig sadi- gemäls zusammenreiht Nicht diese ikonographiscbe Kombinatiao mit dem einen nach Neapel verschlagenen Stück der Cappelletta Colonna hat mich beim Studium dieses kleinen Ueberrestes im Vatikan bestimmt, sondern vielmehr der unzweifelhafte Charakter Masacäos^ der mir auch unter dem Schleier viel&cher Entstellung und dem bei aller Restauration noch traurigen Zustand der Malert sdhst entgcgenleuchtete. Nachdem ich dann länger als ein Jahrzehnt ge- wartet und nach starken Zwischenpausen den Eindruck immer wieder bewärt gefunden habe, wage ich es mit voller Zuversicfat, dies Mittelstock einer Altarsta£fel als zugehörig zu dem frflheo Meisterwerk von S. M. Maggiore in Rom in Anspruch zu nemeo.

Sehr merkwflrdig sind darauf die Heiligenscheine gemalt: sie sehen aus wie flache irdene Schalen und sitzen auf den Schultern der Figuren senkrecht, ohne Rücksicht auf die Haltung des Kopfes und ohne jeden Versuch zu perspektivischer Verschiebung. Sie haben alle einen schlichten Rand von gleicher Dicke, der wiederum wie bei Tellern scharf beleuchtet ist, aber keinerlei Verzierung» wie sie auf Goldgrund regelmässig vorkommt Auch hier also eine Uebereinstimmung mit dem Brauch des Meisters, wie er an deo Flredellenstücken des Pisaner Altarwerkes im Vergleich zu den oberen Fragmenten auffallen muss. Die sorgsamste Kleinaiheit an den Heiligenscheinen findet sich dagegen genau so wie auf den Neapeler Bildchen auf einem tColmetto« der vatikanischen Bihliodieki auf dessen Goldgrund der Gekreuzigte zwischen Maria und Johannes gemalt ist. (Armadio R, Nr. IL)

Ein gebrochener Spitzbogen schliefst die eigentliche Bildfiacfae gegen die rundbogige Umramung ab; diese letztere ist modern

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CoUiETTO IM VATIKAM

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crnonort. das Innere des spätgotischen Giebelstöcks dagegen ver- h.iltnissinässicr wol erhalten, bis auf das Antlitz Christi, das unter Küssen gelitten haben mag, und auf den nachgestriclicnen Gold- grund, in den die Heiligenscheine mit den ncimlichen Mustern ein- getieft sind, wie bei den Engeln und den Lherubk(>pfen der Himmel- fart Marias in Neapel, und zwar mit Benntzung der gleichen Elemente, wie an den Halbfiguren des Pisaner Altarwerkes in Wien und Hsa oder an den Fragmenten der Sammlung Artaud de Älontor in Paria

Mit foiuem Raumsinn ist das kleinere Spitzbogenteld oben für eine symbolische Zutat benutzt : auf dem Kopfstück des Krcu/es- stammes wächst ein Bäumchen hervor, dessen Krone die gebrochene Bogenform im Kleinen wiederholt und in ihrer Mitte das Nest des Pelikans beherbergt, der seine durstige Brut mit dem eigenen Blute tränkt. Die eigentliche Darstellung des Gekreuzigten mit den trauernden Seinen darunter muls unmittelbar an das vorhin be- sprochene Fresko der Pieve von Empoli und andrerseits an di^ Dreifaltic(keit in S. M. Novella zu Florenz erinnern, während der Zusammenhang mit den gleichen Darstellungen des Treccnto keinen Zweifel darüber läfst. dafs es dem zweiten wie dem ersten der ge- nannten Wandgemälde zeitlich voranliegen mufs, auch wenn man die Bedingungen der Tafelmalerei auf Goldgrund und die Kleinheit des Mafssttabes gebürend in Rechnung setzt. Die feinknochigen schlanken Gestalten, der hagere Körper des Erlösers und die viel- fach geschlängelte Draperie besonders bei Johannes konnten auch Spezialforscher zunächst so befremden, dafs sie versucht wären das Ganze früher zu datieren, als es darf Das unruhige Faltengehänge, das übrigens auch an den Aposteln der (irablegung sehr ähnlich wie hier bei dem Lieblingsjünger wiederkert, iindet seine Erklärung für die I- ruhzeit eines Masaccio und Masolino vollends durch einen Hinweis auf die Liebhaberei des l^arri Spinelli. wie sie noch heute in einer Klosterkapelle v^on S. M. Novella, die jetzt zur Spezeria gehurt, und in Zeichnungen der L tlizien, an deren Echtheit nicht zu zweifeln ist, mitten in Florenz vor Augen steht. Das alte Motiv der aufgestützten Wange gestattet dann, das jugendliche Antlitz dieser Gewandfigur, das fast einer blonden Magdalena gleicht, in ruhigerer Wehmut zu zeigen.

Hochaufgerichtet dagegen, mit den gefalteten Händen unter dem dunkeln Gewände, steht links Maria in vollem Aufblick des matronenhaften Angesidits zum Sohne hingew^endet. Ein letzter Rest der gotischen Kurvatur geht durch die ganze Gestalt als Be- weg^ungslinic, und wirkt als eimlge, allen Gram zusammenfassende

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88 Crucifixus mit Maria und Johannes

Gebärde, in der sich das schmprzerfilllte Haupt emporreckt. Ganz ihr zugewendet erscheint wie im letzten Abschiedswort der armselige Leib des Gekreuzigten, der willenlos und doch nicht ohne mimischen Ausdruck am Holze hängt. Das Haupt ist leise vornüber gesunken und so in Schatten gelegt bis auf die Stirn, auf der ein greller Licht- schein lagert, vom hellblonden Haar umflossen und vom goldigen Nimbus umramt. Nur der ausflatternde Zipfel des Schurzes weht zu Johannes herüber. Sonst galt die ganze Sprache des Tod essen f/ers dem Mutterherzen; das sag^ der Zustand, der hier vom Maler test- gehalten wurde. Und so wirken sie alle drei ergreifend zusammen.

Das Ganze ist die tiefempfundene Leistung eines jung^en werdenden Künstlers, der den idealen Inhalt trotz allem Bemühen um die Wahrheit des Lebens nicht aufgeben will, und das köstlichste Erbteil des Mittelalters hindurchzurcttcn versucht durch die An- wan(]lungen des Neuen, die sich auch bei solcher Aufgabe schon mächtig genug empordrängen. Wer sich die Mühe nimmt, die be- rümte Dreifaltigkeit mit Maria und Johannes unter dem ivreuzos- stamm in S. M. Novella auf der einen Seite und die Heilung des besessenen Knaben in Brüssel auf der andern zu vergleichen, der wird es verstehen, wenn wir Geist und Hand des nämlichen Künstlers hier erkennen und dies Giebelstück eines Altärchens in Rom als organisch wol erklärtes Zwischenglied betrachten. Kurper- bildung und Anordnung des Crucifixus stimmen in wesentlichen Dingen überein und < rinnern an Brunelleschis Meisterwerk. Die iiildung der innern (xesichtstf ile auch beim Gottvater der Trinität, oder bei Maria hier und Anna auf dem Bilde der Flore:niner Akademie beleren des Weitern iihor enge Beziehungen. Endlich das üppige, in der Mitte gescheit« It« % hellblonde Haar, das wir in Empoli und in der Brancaccikapelle (Predigt Petri) wiederholt gotunden, und die kleine Schiefheit in der verkürzten Ansicht des Christuskopfcs, wo Haarscheitel und Nasenrücken gegeneinander verschoben er- scheinen: Alles bezeuget die Urheberschaft Masaccios, die mir für diesen Colmetto der Vaticana noch zweifelloser auch aus der besser erhaltenen Malerei beglaubigt scheint, als für die abgeriebene Be- stattung Marias daneben.

Lieferung III

Verzeichnis der T afein

FlofeiUf Carmiiie, Bmmcd'KjLpeUe: i) Bratbild der oberen Reibe recbts,

Fresko ,

a) Heilung df s lähmen

b) Erwcckung Tabithas

2} HochbiUi am Kingang rechts, Fresko, der SündenCaU.

Floieiis, S. ilJ, Novell«, Eing»iigswaiid:

3») DxeUaltiskeit mit Mari» und Jo- banaei, Fresko.^

Paris? SammlimgArtaud de Mod- |

tor (1S43):

b) Vier Halbtiguren von Heiligen, ans einem Altarwerk zwei Tafelbilder auf GoMgmiid.

Empolt, Cüllegiata:

4) Hochbild der Tauf kapeile, Fn sko in gemalt'-ni Kamen : Chnslus im Grabe mit Maria uud Johaanes.

Bimnen, Kunithalle: 5«) Madonna mit Kind in Tabemaltei

von 1423,

Tafelbild auf Goldgrund.

Florenz, Akademie, aus S. Ämbrogio:

b) S. Ann.i Sclbdi itt mit fünf Engeln,

Tafelbild aul Goldgrund.

MOndiMi. Pinakothek:

c) Madonna mit Kind, Gottvater und

Engeln. Tafelbild auf Goldgrund.

Rom, Biblioteca Vaticaaa: t>) Vier Fredellenstücke mit Legenden des hl. Nicoluis V. Bari;

a) Gebiut

b) Gokispende

c) Anfemdcnnc

Tafelbildchen H : 0.36 X B: 0,35 Vi

d) Rettung in Sturmgefar, breiteres Mittelstück der selben

Predella.

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SCHMARSOW

MASACCIO-STUDIEN

VIERTES BUCH

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MASACCIO

STUDIEN

VON

AUGUST SCHMARSOW

IV

MASACCIO ODER MSOLINO ?

(MIT 20 LICHTDRUCKEN)

1898

T H. G. Fisher 6l Co. KASSEL

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MASACCIO ODER MÄSOLINO?

DIE STREITFRAGE

SAN CLEMENTE ZU ROM

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Inhalt

Seite

I. Cappella della Passione i 17

Die Malereien an der Decke und an der Aussenseite 18 28

Gesamtdisposition des Innern 28 29

II, Die Katharinenlegende 30 50

III. Die Ambrosiuslegende 51 62

IV. Die Kreuzigung 63 75

V. Einordnung des Kapellenschmuckes in M^s Lebenswerk des Meisters , . , 7^ 9^

Geachiditea des Nikolaus im Vatikan 82 90

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bmdi von L. D51I in CuaeL

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I

-^MASACCIO ODER MASOLINOf;^

44 IN S. CXJIMENTE ZU I^OM |4

UartoAckigc Meinungsversdüedenheit scheint sich unter den Kunst- historikern einzubflrgern, wo es gilt, die Malereien in San Demente zu Rom dem geschichtlichen Zusammenhang einzuordnen, ihre Entstehungszeit und ihren Meister zu bestimmen. Das liegt zum Teil gewifs an dem bedauernswerten Zustand, in dem sie nach zalreichen Herstellungen und Erneuerungen sich gegen- wärtig befinden, zum Teil aber gewils auch an der grundsätzlichen Verschiedenheit der Betrachtungsweise, in der die Schulrichtungen der heutigen Forschung auseinandergehen. So droht die Frage, ob in diesen Fresken ein Jugendwerk Masaccios zu erkennen sei, oderob wnr sie Masolino zuweisen dürfen, indem wir Vasari eines starken Irrtums zeihen, unsere Erkenntnis der Anfänge des Quattrocento wesentlich zu verschieben. Und einer solchen Frage kommt doch mindestens ebenso grofse Bedeutung zu wie der Entscheidung über das soge- nannte Venezianische Skizzenbuch, das auf der einen Seite für Raphael in Anspruch genommen, für die Entstehungsgesdiichte der Hochrenaissance nicht minder wichtig wird als f&r die Entwickelung des einzelnen grolsen Meisters» auf der andern Seite dem Bemardino Pfnturicchio zugeschoben oder gar an mehrere Spätlinge der umbrischen Lokalschule verzettelt, nur das Durcheinanderlaufen verschiedener Nachamung ohne ausgesprochenes 2M des eigenen Wollens bekunden würde.

. Wer den Kapellensebmuck in S. Demente dem Masolino fiberantwortet, entzieht damit auch dem romischen Aufenthalt MasacdoB oder doch seiner Wirksamkeit in Rom die greifbare

Seliinariow, MaMedo-Sttidieii IV. X

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Bedeutung der PragiL

Grundlage» und versagt unsern wissenacliaftliclieii Bemühungen ni- gleich die Möglichkeit, aus solcher Berürung des Hauptmalers der Frührenaissance mit der ewigen Stadt noch Aufechlüsse über das Werden und Wachsen der neuen Kunst zu gewinnen. So wenig wir davor zurückschrecken, auch eine solche Folgerung zu ziehen, wenn es im Namen einer gewissenhaften Kritik nicht anders sem kann, so emstlich muTs doch an einer derart entsch^denden Steüe gegen die Leichtfertigkeit gewarnt werden, gerade hier der Sudit nach überraschenden Neuigkeiten die Zügel scbielsen zu lassen oder gar sophistische Taschenspielerkünste tür wissenschaftliche Forschung auszugeben.

Vielleicht fölt es nur an dner methodischen Prüfting der er- haltenen und unverftdschten Bestandt^e dieser Malereien, die den inneren Charakter der künstlerisdien Leistung wesentlich bestimmen, und bei aller Gemeinschaft technischer Gewonhdten, die zwiadien zwei gleichzeitigen Genossen vorhanden sein und zu Verwechslungen AnlaTs geben mochte, doch gestatten, die geistige Organisation des Einen wie des Andern scharf genug zu unterscheiden, oder Besitz- tümer des Wissens und Könnens festzustellen, die dem Einen ge- läufig sind, aber dem Andern fremd geblieben oder in ihrem fruchtbaren Kern verschlossen gewesen. Auf Grund solcher un- Iftugbaren Nachweise müfste doch eine Verständigung unter aHeo wiikficfa eindringenden Forschem erreichbar smn.

Deshalb soll auch hier vomrteilsfrei versucht werden, zur Klärung der Streitfrage zwischen Masaccio und Masolino beizutragen, was sicfa aus langjährigem Verker mit den Freskencylden in Castiglione d'Olooa, in Florenz und Rom ergeben hat.

Wir stellen Masaodos Namen voran, wdl seine Tätigkeit in Rom von unserm zuverlässigsten Gewärsmann Antonio Manetti schon beglaubigt ist: le fece ancho in altri luoghi tn Firenze, in chi^ e a persona private, e a Pisa e a Roma e ältrove«, während die Quellen bis auf Vasari von dner solchen bei Masolino nichts wissen, so dass dieser zweite Name überhaupt erst von der modernen Kritik herangezogen worden ist, wie bei dem Attärchen aus St>i Maria Maggiore in Rom, das sich jetzt in Neapel befindet und das wir als früheste Leistung des jungen Masaccio im Aufbage Martins V. betrachtet, wie einst Michelangelo und mit ihm Giorgio Vasari

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Rom. S. Cl£M£nt£

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Cappella della Passione

Die Kapelle, um deren Freskenschmuck es sich handelt, i>L em Einbau in der alten Basilika S. demente, und zwar am Ende des einen Seitenschiffes, dessen I.angseite an der Strafse nach dem Lateran gelegen, jetzt durch eine Tür unmittelbar betreten wird, wahrend man früher nur durch den Vorhof in die Kirche gelangte. Tritt man durch diesen ins eigentliche Hauptportal, so liegt die Kapelle zur linken Hand und schliefst vom Eckpfeiler dieser Ein- gangswand an bis über die Säule der ersten Arkade hinaus durch ihre eingezogene Mauer das Mittelschiff an dieser Seite. In der Breite des Nebenschiffes ist auf einspringenden Pfeilern ein ziemlich flacher Spitzbogen eingespannt, über dem die Obermauer auch hier glatt ansteigt. So entsteht ein rechteckiger Innenraum, der mit einem Kreuzgewölbe eingedeckt, offenbar zur Sicherung des alten Kirchen- gebäudes an dieser gefärdeten Ecke bestimmt war.

Er bietet drei spitzbogig abschliessende Wände dar, deren eine zur Langseite der Basilika gehörige von einem Fenster durchbrochen wird, dessen Form später verändert worden, ursprüng- lich gewifs noch ebenso gotisch zugeschnitten war. Die Kämpfer- simse des Eingangs, die Eckkonsolen des Gewölbes und was sonst an Kennzeichen des Einbaues » rhalten ist, erweisen als Entstehungs- zt'iL die Uebergangsperiode aus spätgotischer Gewonheit in die schlichte P'reiheit der Frührenaissance, wie sie in Rom noch im ersten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts sich meldet.

In der Altarwand der Kapelk, die dum Kingangsbügen gegen- über, einen Teil der alten Schlufsmaucr der Basihka gegen ihren Vorhof bildet, ist rechts an der Ecke eine Tur eingebrochen gewesen, die mit Benutzung altchristhcher Fragmente hergestellt, ursprunglich wol durch eine anstofsende Sakristei, dem Kardinal-Titular der ICirche von seiner obem Wonung aus den Zutritt in die Kapelle grestattete, jetzt aber zugemauert und mit einer langen Inschrift auf den 1830 hier bestatteten Kardinal Benedetto Naro belegt ist. Zur Linken des Altars atzt ein marmorner Schrein für die Er- fbrdernisie des Messopfers, ein Werk, dessen Mischung spätgotischer und antildsletender Formen ebensowenig wie seine Mosaikverzierung im Cosmatengescbmack ttber die Entstehungszeit täuschen sollte. £s ist ein rOmisdies Machwerk unmittelbar vor dem Eindringen der toskanfschen Quattrocento-Skulptur, wie die Stiftungen des Kardinals von Alen^on in S. M. in Trastevere und die Grabmaier des Fsolo Romano daneben oder in der M alteserldrche auf dem Aventin (c. 1405 14 17).

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4 Cappella della PassionE

Eine ältere Altarstätte mochte hier schon vorhanden sein; filr die Behauptunjr ab(T, diese Statte sei schon vor dem Einbau der Kapelle der heiligen Katharina gmveiht gewesen, feit der Beweis. Das Heiligtum, von dem wir reden, ist ganz und gar im ersten Viertel des XV. Jahrhunderts errichtet, ja nach Ausweis der Einzel- formen wül nicht vor 1420 zu datieren, und steht wahrscheinlich mit der Herstellung der verfallenen Titularkirchen in Zusammenhang, die auf Betrieb Martins V. nach der Rückker der Kurie in das lang verwarloste Rom stattfand.

Lieber dem vScheitel des Eingangsbogens ist das Wappen eines Kardinals gemalt. Der aufsteigende Greif aber, den es jetzt enthält, kann erst unter einem späteren Titular von S. demente hineingekommen sein. Er gehört, wie Crowe und Cavalcaselle schon berichten, dem M. Antonio Franciotti von Lucca, der unter Urban VIII. von 1637 bis 1641 dieser Kirche vorstand und dvis Mosaik des Fufsbodens, vielleicht auch Andres in der Kapelle herstellen liefs. Der scheinbare Anspruch dieses Wappens auf den Freskenschmuck ist also viel zu spät eingeschmuggelt worden, um Glauben zu finden, und sollte schon durch die seltsame Verschiebung des Wappentiers in seinem Felde den Verdacht des Heraldikers erregt haben.

Zu den Seiten dieses Wappens ist oben die Verkündigung gemalt. An der Stirnseite des Pfeilers links, der breiter ist als der Ansatz an die Aufsenmauer zur Rechten, sieht man den heiligen Qiristophorus, wie er das Christkind anf den Schultern durch das Wasser trägt. An der Laibung des Eingangsbogens sind zwölf Rainen nach Art der Vierpässe an den Erztflren des Florentiner Baptisteriums mit den Halbfiguren der Apostel darin, am Kreuz- gewölbe drinnen die vier Evangelisten und die vier lateinischen Kirchen- väter paarweis gesellt; S. Lucas mit S. Gregor Ober dem Eingang, Su Marcus mit S. Hieronymus aber der Fensterwand, S. MatÜiäus mit S. Ambrosius gegentlber, und S. Johannes mit S. Augnstin Ober dem Altar. An dieser Schlusswand der Kapelle befindet steh die Kreuzigung Christi, welche die ganze verfligbare Fläche filHt, schon durch das abtrennende Gitter den Besuchern der flbrigen Heiligtümer der alten Basilika ins Auge fUlt und den Namen ^Cappella della Passione« bestimmt hat Die Seitenwände dagegen sind in zwei Reihen geteilt, und zwar so, dass das Bogenfeld zwei Abteilungen, das untere rechteckige Wandfeld deren drd enthält Zur Rechten des Altars fhllt die Legende der heiligen Katharina von Alexandrien die geschlossene Hauptwand (links vom Besucher). Gegenüber in der Fensterwand, zur RcNiditen des Besuchers, entfeUen eigentlich nur vier schmälere Bildflächen filr die Geschichte des heOigen

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ÜBERUEFERUMG UND KRITIK

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Ambrosius. Den Nachweis, daas hier nicht die Jugend der hl. Katharina oder die Wun ^ler des hl. Clemens erzält werden, wie man gemeint hat, verdanken wir Franz Wickhoff lieber den Zustand der Malereien, die neueste Restauration der Katharinenbilder und die Ablösung der beiden oberen an der Fensterwand, haben Crowe und Cavalcaselle neuerdings in der italienischen Ausgabe berichtet'), so dass wir diesen Sachverhalt als bekannt voraussetzen dürfen und nur ge- I^^tlich im Einzelnen noch Bemerkungen einstreuen.

D as älteste Zeugnis, das wir über den Urheber dieser Malereien besitzen, ist das Vasaris, der in seinem Leben Masaccios erzält: Dieser habe . . ., von eifriger Liebe für seine Kunst getrit n, nach Rom zu gehen beschlossen, um dort zu lernen, damit er die Andern überträfe, und habe dort dann . . . für den Kardinal von S. demente, in der Kirche von S. demente t-ine Kapelle gemalt, wo er in Fresko die Passion Christi mit den Scliächern am Kreuz darstellte und die Geschichten der hl. Martyrin Katharina,

In unserm Jahrhundert hat sich mancherlei Zweifel gegen die Nachricht erhoben. Die TTcrauspebor des Vasari erklären: Queste pitture, ne per II coiiceUo. nc per la esecuzione offrono soiniglian- za veruna colle opere autentichc di Masarrio; 1' invenzione e il discgno le annunzia invece lavoro di tempo antecedente ^).« Vom Text des Giovanni dall' Armi zu der vorzüglichen Publikation*) in Umrissftichen 1809 nemen sie merkwürdiger Weise keine Notiz, als ob sie dessen sorgfältige Bemerkungen über Masaccios Leistungen in dieser Kapelle gar nicht gekannt hätten. Crowe und Cavalcaselle dagegen sind zu Vasaris Zeugnis zurückgekert und sehen darin Jugendwerke Masaccios, dessen Aufenthalt in Rom sie 1417 beginnen und bis 14^0 dauern lassen: ^Der Gesamtemdruck des ganzen Gemäldecykluä der Kapelle bekundet einen jugendlichen Geist am Beginn seiner künstlerischen Entwicklung, der noch mit den Wider- sprüchen und Un Vollkommenheiten zu kämpfen hat, wie sie einem Erstlingswerke naturgemäss anhaften ^).^ Albert von Zahn hinwieder

>) Zeitschrift für bildende Kunst XXIV. 1889. 308. ff. ') Storia dell« piüura in Italia II (1883) p. 279.

•j Vasari, Le vitc Vd. r.emonnicr'; III. 158, I. (jpcic i'Sansoni) II, 293.

*) Le pitture di Masacciu esistenti in Roma nella Basiiica di S. demente colle teste locklate Sig. Carlo Labnuii e pubblkkte da. GiovMuü dall' Ami, Roma 1809. nj. M, Nadi dieser gewinenliaflen FttUilulioD» die bei dem jetsigen Ruin der Wand- bilder besonders wertfoU geworden, geben wir einen groläen Teil unserer TaiUn in ent<

qwediend verkleinertem Mafsstab.

Deutsche Ausgabe II (1869) S. 100.

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Meinungsverschiedenheit

erhebt in seioen Jahrbüchern fiOr Kunstwissenschaft (1869) Bedenken gegen die Annamc, dass Masaccio die »durchaus nicht schfllerhaften Fresken von S. demente« im Alter von 16—18 Jahren ausgefilrt habe, und denkt an eine Verwechslung mit Masolino, die um so leichter gewesen, als diese Arbeiten in Rom »in diejenige Periode fielen, in welcher von der grossen stilistischen Eigentümlichkeit Masaccios noch nicht die Rede ist und die Künstler-Tradition feite.« Daraufbin giebt auch Anton Springer') das Urteil ab: »Die neuere Kritik . . . schreibt die Fresken in S. demente in Rom, aus dem Anfang der zwanziger Jahre des 15. Jahrhunderts, bald dem einen bald dem andern Maler zu. Die Meinung, dass der Meiste in S. demente auch die Fresken im Baptisterium zu Castiglione gemalt hat, verdient unbedingt den Vorzug.« Leider sind diese Aussprflcbe oHne weitere Begründung hingestellt worden, und ebensowenig motiviert, warum die Autor-Frage zwischen Castiglione und Rom eigentlich umgekert wird, wie es dem zeitlichen Verhältnis zuliebe doch nicht ohne Weiteres geschehen darf. Dagc^^en ist Burckhard» Cicerone, mit alleiniger Ausname der von Zahn bearbeiteten dritten Auflagr 1874, bei Masaccio geblieben und seit der vierten Auflage von Bode ganz entschieden für Cavalcaselles Urteil eingetreten, in der letzten Bearbeitung von 1893 sogar ohne Rücksicht auf den neuesten Versuch, die Malereien in S. demente erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts zu datieren. Dies untemam Franz Wickhoff, dem wir die Bestimmung der Darstellungen an der Fensterwand als Legende des hl. Ambrosius verdanken, in der Zeitschrift ^ bildende Kunst 1889.

Er erkennt in den Presken den Einfluss des Vittore Pisanello. und fürt diese Wirkung der oberitalienischen, specieller veronesischen Kunstweise in Rom auf ein bestimmtes Werk des genannten Meisters zurück, nämlich seine Geschichten »Johannes des Täufers« in der Lateransbasilika, welche als Fortsetzung der Anfänge von Gentile da Fabriano zwischen 1428 und 1432, nach den bisher aufgeAindenen Zalungsvermerken vom April bis Juli 143 1, ausgefürt sein müssen. Unter den Kardinälen aber, die nach 1431 den Titel von S. demente innegehabt haben, scheint ihm der Bruder des Königs von C\ycTn Hugo von Lusignan, durch sein allzuschnelles Aufirücken zu einer höhem Stufe der Hierarchie, der Venezianer Francesco Condulmer, durch den Mangel jeder Beziehung zu den dar- gestellten Heiligenlegenden» ausgeschlossen, so dass nur Henricus

*) Wie im Textbuch cn den KovstUttoriichMi BUderbogcii,' lO mäk i> ^ »Grandsflgen der KnasIgeichiGlkte« 1889. S. 304. VgL K. Woltttanii. Gcedi. d. M«ki«ilt (1889) p. 139, dagegen K. Woervtim fttr Mnatda. Kunst und KQntllcr nt 48 «. «m**-

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ÜBER Zeit und Urheber

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de AUosio, der Erzbiscliof von Maüand übrig bliebe, der von 1446 bis 1450 der Kirche S. Qemente vorstand und allen Grund gdbabt hätte, den Schutzpatron seiner Diöcese, S. Ambrosius, auch in seiner Titelkirche zu Rom zu verherrlichen.

Obwol nun Masolino, nach der gewönlichen Identificterung mit dem Maso dt Cristo&no Fmi, der am 18. Oktober t»H7 im Dom zu Florenz beerdigt ward % bereits zehn Monate nach der Ernennung des AUosio zum Kardinal-Presbyter von Sw Qemente ausserhalb Roms gestorben wAre^ so setzt Wickhoff, doch auch cBeses Bedenken bei Seite, verlängert das Leben des Malers Masoüno, der 1584 geboren, damals jeden&Ua ober sechzig Jahre zSlte, nach Belieben Ins Un* gewisse und lä&t ihn zwischen 1446 und 1450 zu Rom den Kapellen- schmuck In S. demente ausillren; denn »bei KOnstlem die ein hohes Alter erreichen ist eine solche Stilwandlung möglich; da er- sehenen zttweÜen am Schlüsse der Laufbahn solche zarte Gebilde, wenn sich die Meister auch in ihrer Jugend dem gewaltigen und ernsten Stile zugewandt hatten.«

Damit wdren wir aUerdmgs beim entgegengesetzten Extrem der Meinung Cavalcaselles angelangt : statt eines Jugendwerkes von Masacdo eine letzte Leistung des greisen Masolino. Und In der Tat kurz vor den 1435 entstandenen Malerden im Baptlsterium von Castig- lione, wie es als unmittelbare Wirkung der 1432 fertigen Fresken Fisa- nellos im Lateran erlaubt wäre, könnten die Arbdten in S. Qemente unmöglich angesetzt werden. Denn, wie WickhofF selber zugesteht, scheint es schwer denkbar, »daß ein Maler, der mdi ganz der Kom- positionsweise, der Bdiandlung u, s. w. der veronesischen Schule gefangen gab, später wieder Werke ausftlren sollte^ wie die Fresken In Casdglione d*Olona, an denen von solcher Einwirkung nichts zu sehen ist« Und da diese Malereien MasoUnos im Baptisterium gerade das nftmliche Heiligenleben, die Grescfaichten des Täufers behandeln, die Pisanello soeben für S. Giovanni in Laterano geschaffen hatte, und zwar wenn auch nicht in einem »gewaltigen und ernsten Stile«, doch in durchaus anders geartetem Sinne^ so Ist die Bekanntschaft mit nellos römischem Cyklus damals noch völlig ausgeschlossen. Die Entwicklung ferner, die sich an den beiden Bildercyklen in Castiglio^e bemerken läfst, Ist wie Wickhoff urteilt, »eine Entwicklung innerer Art; sie beruht auf der Vervollkommnung des Künstlers in seiner Rlditung und Ist nicht durch äussere Umstände bewirkt« Das wollen wir, indem wir an Ungarn 1426 und an die Heimker nach

>) MiUnesi zu Vasari, Opere II p. 266 (wo die Jahnual Ait) dasu p, 263 u. IX (lodid) p. II, wo es heüst »viveva «ncora i4iS<.

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Beziehung zu Fresken Pisanellos

Florenz um 1427 erinnern, dahingestellt sein laaseoi da Wickholb Chronologie in CastigHone statt mit 1423 erst mit 1428 beginnt >In San Clemente tritt aber ein äufserer G^rund für den Fortschritt, die Kenntnis der Malereien des Fisanello hinzu: wir werden die Fresken in S. Clemente daher später als jene In Castiglione setzen mOsBeii.« Nur schade» dals diese Fresken Pisanellos in Rom, die in 'Widdidb Argumentation eine so grosse Rolle spielen, gamicht mehr eiüstieren, und, da wir nicht einmal eine Beschreibung besitzen, sich auch beim besten Willen dem VorstellungsvermOgen vollständig entziehen. Was von ihnen vorausgesetzt wird, ist lediglich eine Fiktion auf Gnind andrer Arbeiten Pisanellos, von denen keine recht ausreicht, audi in der Phantasie nur einen Freskeneyklus zu ergänzen, dem nun grade so einzige, von allen kleinem Leistungen des selben Meisten nicht erreichte Wirkung beimessen soll, wie Wickhoff fordert, indem er seine ganze chronologische Deduktion an Pisanellos römisdie Tätigkeit von 1431 anknflpft

Diese willkOrliche Konstruktion eines untergegangenen Freskeo- cyklus, als s^ er eine bekannte Grrölse, mit der man wissenscbaftiidi rechnen könne, hängt ebenso wie die willkOrliche Verlängerung der Lebenszeit Masolinos nach Bedarf einer H3rpothesenreihe, nur mit dem Bestreben zusammen, die Malereien in S. Clemente möglidist spät zu datieren. Da bietet sich als Besteller mit einiger Wabr- sdieinlichkeit unter den Kardinälen von S. Clemente auch nur Enrico Allosio, der Erzbischof von Mailand an. Aber die Wahrschetnlicb- keitsg^rflndej die aus dem Inhalt der Darstellungen für diesen sprecheo, £illen 'ebenso stark für den weit früheren Kardinal Branda tos Gewicht, den selben, der Masolino in Castiglione d*01ona unweit Mailand beschäftigt hat

Schon am Eingang der Kapelle deutet, wie Wickhoff selbst hervorhebt, die Gestalt des hl. Christophonis auf oberitalienischc Liebhaberei! Ja, das ist noch zu allgemein ausgedrückt Wir können die Beziehungen ganz persönlich bissen, sobald wir an Branda denken, der in Castiglione an seinem Kirchlein Corpus Christi, das 1437 ausgestattet ward, die Kolossalfigur des heiligen Christoph getun so am Eingangfe anbringen Hess wie hier, nur in Stein gehauen, va Rechten der TQr, dem vorübergehenden Wanderer zuhächst an der Strasse. Und ein Mann wie Kardinal Branda, der als Legat so viel g^urvolle Rdsen in fremde Länder durcfag«nacht, der in Kriegs- läuften und Ketzerverfblgung so viel Nachstellungen ausgesetzt war, hatte alle Ursache, dem Schutzheilgen, dessen Anblick vor ge- waltsamem Tode bewaren soll, seine intime Verehrung zuzuwenden, oder för die ErhOrung gar manches Stolsgebets in Angst und

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Bestimmung des Stifters

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Färlichkeit ihm seinen Dank zu zollen. N< < Ii mehr: die Schilderung der Wunder des grossen niailändischen Heiligen Ambrosius wären ein dem mailändischen Edelmann angemessener Gegenstand« wird anerkannt: aber >es steht dem entgegen, dass Branda . . . eine gar geringe Achtung und Liebe für die Heiligen seiner Heimat hatte.« Wickhoff erzält als Beweis für diese viel zu sehr verallgemeinerte An- klage die Anekdote, die Corio berichtet, und stellt sie als »Streich gegen die unschuldige ambrosianische Liturgie« hin. Dieser Miss- erfolg des Neunzigjährigen, der die ünicnsbestrebungen Eugens IV. auch in seiner Heimat dur( hzusetzen dachte, beweist doch keine Nichtachtung und Lieblosigkeit gegen den Schutzpatron der Erz- diöcese, der Branda als »Episcopus Placentinus zugehörte, wie er als Kardinal noch immer sich zu bezeichnen liebt Wickhoff scheint völlig zu vergessen, dass alle Stiftungen Brandas auf Schritt und Tritt das Gegenteil seines Vorwurfs dartun. Von Christophorus nicht mehr zu reden, ist am Portalrelief der Kollegiatkirche neben den Titelheiligen der Kirchenvater Ambrosius ausgewftlt, wenn auch der Papst Gregor den Stifter am Tron der Madonna vorstellt. In dem selben Gotteshaus war der Altar des einen der beiden Neben- chöre dem heiligen Clemens, Ambrosius, Konrad a. A. geweiht, und 1428 erhielten die vier Doktoren der lateinischen Kirche zusammen im Kirchlein Corpus Christi drunten noch höhere Ehren. Als Halb- figuren erscheinen sie am Portal, als Statuen im Innern des Tempels, und in der Urkunde, die der Kardinal bei der Kurie in Bologna ausfertigen Uess, wird auffallend genug gegen die gewonte Reihen- folge der Bischof Ambrosius an erster Stelle, vor dem Papst Gregor und dem Kardinal Hieronymus genannt.

Und diese quattuor doctore^j Ecclesiae, denen er das Gottes- haus in CastiglioTio widmet, das seiner eigenen Wonung unmittelbar gegenüber steht, erscheinen nun ebenso bemerkbar hervorgehoben an der Decke der Kapelle in S. Clements, s^nner l itclkirche in Rom, den \ ier EvangelistfMi geseilt, doch sicher auf die ausdrückliche Weisung- df^s Bestellers.

Endlich die Legende der llauptheihgen, die dp?^ (ieschichten des Ambrosius an der Fenster wand gegenüber die gunstigste Stelle für einen Bildercyklus einnemen durfte: S. Katharina von Alexandrien ? Wickhoff weiss nur zu sagen, diese Legende sei auch unter AUosio »ganz natürlich hinzugetreten, da dieser Heiligen die Kapelle ge- weiht war, die schon länger existiert haben muss.« Auch da also muss ein Widerspruch, der im Bau selber vor Augen steht, erst beseitigt werden zu Gunsten einer Hypothese. Es geschieht mit einer wiUkürUch hingewurfeneu Behauptung, und ausserdem ohne

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Bestimmung des Stifters

Erklärung für die Wal der vornemsten Stelle zur Rechten des Altars und der bestbeleuchtcten ausserdem. Auch die heilige Katharina weist ganz pensönlich auf Branda Castiglione als Stifter hin. Denn er hat schon in der Collegiata seiner Heimat den Altar der Krypta unterm Chor an erster Stelle eben dieser Heiligen geweiht und erscheint droben auf dem Deckenbild von Masollno bei der Geburt Christi knieend von einer weiblichen Heiligen cmpfolen, deren Kopf durch die grösste Aehnlichkeit mit ihrer Darstellung in S. Clemente auffällt. Und wenn endlich für die Wal der Kreuzigung als Haupt- bild die kirchliche Gesinnung Allosios im Allgemeinen herhalten niuss, so wäre hier vielleicht der Gedanke an die früher vorhandene Altarstätte eher angebracht gewesen. Wir aber besitzen wieder das Beweismaterial, das Branda Castiglione als I3egründer dieser »Cappella della l^assione kennzeichnet. Das intimste Heiligtum des Kardinals in seiner Heimat, die Hauskapelle seiner Wonung selbst enthalt noch heute den nämlichen Gegenstand der Verehrung, wie ihn die Verse Plantanidas zum Kuhm dieses Palastes kuiz erwänen, den Dulder am Kreuz:

Vestibulum ingens portas aperit, mox pCMticus aurea

A dextra Christi aediculum offert Damach wären für alle Teile des Bilderkreises, die einer Er- klärung aus persönlicher Wal des Auftraggebers bedürfen, die Be> Ziehung zu Branda Castiglione erwiesen. Ja sogar die Verkündigung über dem Eingangsbogen kert über der Tür des Baptisteriums wie über dem Portal eines Hauses der Familie in Castiglione d'Olona (Corso Nr. 13) wieder. Und so stünden wir abermals vor dem Wappen am Scheitel des Spitzbogens^ das nachweishch im siebzehnten Jahr- hundert verändert worden, mit der Frage, ob sich aus Ihm nicht noch ein Anhalt, eine Bestätigung gewinnen Besse.

Die heraldischen Abzeichen keines der sp&teren Kardinäle von S. Clemente, die als Besteller der Malereien in Anspruch genommen sind, hat die geringste Aehnlidikeit mit dem vorhandenen, dem au&teigenden Greifen des Franciotti von Lucca, so dass eine Modi- fication leicht gewesen wäre. Henricus de AUosio tSaet in drei Streifen : oben einen schwarzen Adler auf goldnem Grunde, darunter zwei goldene Lilien auf rotem Grrunde und im untersten umgekert rote Lilien auf Gold. Die venezianische Familie der Condolmer, der nicht allein Eugen IV, bis zu seiner Papstwal der unmittelbare Rivale Brandas in diesem Titel (1408— 1431), sondern auch dessen Nepot Francesco ang^ehOrt, der 1431 1445 der Kirche S. Gemeote

Vgl. Buch I dieier Studko S. 14, uod Diego Saat' Ambro^ a. a. O.

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Das Wappen der Castiglione h

vorstand, fürt als Wappen ein blaues Schild mit schrägem Goldbande, und so hat ein Schimmer blauer Farbe un campo turchino wie Giovanni dall Armi angiebt, auch Knudtzon g-enügt, auf Gabriel Condulmcr (Fii^'-en IV) zu weisen, ohne sich um den Greifen und die Farben der Franciotti zu kümmern. Sieht man aber das Wappen- tier, wie es im Felde sitzt, genauer an, so muss autTallen, wie wenig die heraldische Zeichnung das Gleichgewicht bewart und in dekorativer Abwägung die Formen in die Fläche verteilt. Besonders zwischen den Vordcrkrallen und dem Schnabel ist ein leerer Raum. Wt'ihrend die Flügel schmal und spitz sich nur zaghaft zu entfalten vermögen wegen der Nähe des Randes rechts. Ein Blick auf das Wappen der Castiglione giebt für Alles die erwünschte Erklärung. Es zeigt, dass die Grundzeichnung des Wappentieres nur leise verändert worden, um die Fälschung zu erreichen ; denn Branda allein fürt auch ein steigendes Tier im Schilde: den Lüwen, der als redfMides Wappen ferner ein Kastell in der erhobenen Pranke hält. Dies Kastell ist links oben zugedeckt, an dem Rücken des Tieres aber das Flügel- paar angefügt, so knapp es auch gehen mochte, der Kopf in den eines Vogels verwandelt, sodass ein ziemlich unglückliches Phantasie- gosrhöpf entstanden ist, dem nicht einmal ornamentaler Zug die er- forderliclie Einheit und Berechtigung verleiht ').

Und dass wir bei dieser durchsichtigen, sehr bequemen Fälschung des vorhandenen Wappens nicht allzu hell.seheriseh verfaren sind, hat sich ferner durch ein litterarisches Zeugnis bestätigt, das wir als Warnung vor Wickhoffs Hypotliesenbnu schon im Voraus mit- geteilt haben. Es beantwortet die vieluiiiölrittene Frage nach dem Stifter der Kapelle in S. demente rund und nett, und zwar ebenso aus unmittelbarer Nähe Michelangelos wie die Nachrichten Vasaris seil er Diese Stelle, die bis dahin den Forschern selbst historischer Schulung entgangen war, findet sich bei Antonio Beffa Negrini, der 1532 in Asola bei Brescia geboren und lange Zeit im Mantuanisch«>n als Richter tätig gewesen, 1603 gestorben, in die Zal der vielseitig geijiklctcn, künstlerisch und litterarisch angeregten Männer jener Zeit gehört hatte, und in Rom aurh mit Michelangelo in persönlichem Verker gestanden war. Er hat st hon 1566 einen Band ^Rime« in Venedig drucken lassen, dann aber handschriftlich aus altern Quellen eine umfangreiche Kompilation zur Verherrlichung des Hauses Casti- glione hergestellt, die nach seinem Tode in der etwas ungeordneten Form wie sie vorlag durch Cesarc Campana zum Druck befördert

') Vgl. Braunb Pbot. Nr. 3 und die erste Talel Labruzzis, die wir in uiu>erD Ab* bilduügeo reproduciercD.

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Beffa Negrini und Michelangelo

ward. In diesen »Elogi Historici di aicuni personaggi della famigba Castigliona, Gia raccolti da Antonio Befia Negrini et hora dati in luce da Francesco Osanna stampatore ducale. Mantova MDCVl« (kl. 4**) ist das einundvierzigste Elogium dem Kardinal Branda Casti- glione gewidmet, und hier findet sich S. 239 die entscheidende Stdle: *Er Hess zu Rom in S. Clemente. seiner ersten Titelkirche, eine Kapelle machen, gemalt und geschmückt mit sehr schönen Bildern, wohin häufig, um sie zu beschauen, der göttliche Michel Angelo Buonarroti zu gehen pflegte; an der Stirnseite der Kapelle sieht man bis auf den heutigen Tag noch das Wappen Brandas« *).

Dieser durchaus glaubwürdige Ver&sser berichtet also mit da Genauigkeit eines Augenzeugen, der glddisam das beglaubigende Siegel des Stifters nach Juristengewonheit bestätigt, sonst aber die Schönheit der Gemälde virol mehr auf die Autorität Michelangelos hin hervorhebt. Er verschweigt den Namen des Malers, und das erlaubt wol den Schluss^ dass er, ba Niedersdirift seiner Notb wenigstens, von Vasaris Kflnstlerbiographieen keine Kenntnis gehabt, jedenfalls keinen Gebrauch macht, sondern dass er die gldchwerüge Zuverlässigkeit eines zeitgenössischen Gewärsmannes beanspruchen darf, dessen Zeugnis wol geeignet wäre, die Angaben Vasaris zo bekräftigen oder zu ergänzen. Dabei darf es nicht unbemerkt bleiben, dass er ebenso von Midielangelos Bewunderung für die MalereieD in S. Clemente zu berichten weiss, wie Vasari bei dem Altärchen Masacdos in S. Maria Maggiore, wo uns aus den Bemerkungen des Biographen ein persönliches Erlebnis mit dem verehrten MeiKter wie ein Gesprädi heraus klingt. Michelangelo auf seinen einsamen Gängen steh freuend an den Anfängen der Kunst, die er seihst so weit darüber hinausgeftlrt, oder tn Gresellschaft der wenigen AoSp erwälten, die glücklich waren ihn gelegentlich begleiten zu dürfen, mitteilend, belehrend, in stetem Verker mit den Leistungen floren- tinischer Landsleute in der ewigen Stadt Bezögen sich beide An- gaben, Negrrinis und Vasaris auf ein und dasselbe Werk oder auf einen Künstlernamen, so würden wir Beffa Negrinis Hinweis auf den Unfelbaren, nur als Echo Vasaris vielleicht, geringer bewerten müssen. Hier dagegen stehen die beiden Aussagen unabhängig neben einander, und die Kenntnis des Stifterwappens bei Negrini, dem Juristen, stellt vor allen Dingen unzweifelha^ fest, dass der Besteller, Vasaris »Kardinal von San Qemente« kein Anderer gewesen ist ah Branda Casttglione. /

>) Veigl, den iul. WorUaot im £r8teii Buch (1895), & 108,

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BkANDA CASTIGLtOKß

Damit ist die ganze Hypothese Wickhoffs von einer Ent- stehung der Malereien nach 1431 beseitigt, da Branda im März dieses Jahres zum Kardtnalbischof von Porto aufstieg, wahrend der Titel als Presbyter von S. Clemente auf Hugo von Lusignan, Diakon von S. Adriano, Qbergieng und schon im November des> selben Jahres, als dieser Bischof von Fraeneste werden konnte, an Francesco Condulmer weiter gegeben ward, den Eugen IV. gewiss von vornherein am liebsten zum Erben seines einstigen so lange angefochtenen Titels ausersehen hatte. Seit März 1431 hatte Branda Castiglione nichts mehr mit Sw Clemente zu schatten, zu einer Zeit also« da Vittore Pisanello die Fortsetzung der Malereien Gentiles da Pabriano im Lateran kaum noch begonnen haben dürfte.

Dagegen bestätigt ein äusserer Umstand, dass Kardinal Branda sobald wie möglich audi sonst seine Macht als Inhaber dieser Titel- kircfae ausgeübt hat, die Tatsache nämlich, dass er sich fQr den Neubau der CoUegiata in Castiglione d'Olona auch eine Reliquie des hL Clemens verschafft haben muas, da der Nebenchor neben S. Am- brosius diesem römischen Patron der Titelkirche geweiht ward. Gabriel Condulmer dagegen^ der Bischof von Siena, für den sich Giovanni dall'Armi wie auch Crowe und Cavalcaselle erklärt haben, war allerdings einige Jahre früher als Branda (9 Kai. 1408) zum Titular von S. Clemente ernannt worden, aber beim Aufenthalt Papst Gregors XII. zu Lucca, und unter lebhaftem Einspruch der Kardinäle und Diplomaten gegen diese Kardinalskreation, welche den Ab&n von dem wortbrflchigen Papste, den Zusammentritt des Koncils zu Pisa und die Wal Alexanders V. herbeiftkren half. Mit seinem Oheim Gregor XIL flüchtig geworden, ist Gabriel Condulmer nicht in den Besitz des Titels gelangt, auch als das Kostnitzer KQncil sein Kardinalat anerkannt hatte; denn die Ver- leihung von S. Demente wurde als ungiltig betrachtet und durch Johann XXIIL am 6. Juni 141 1 dem Branda Castiglione zugewendet, der wegen seiner freimütigen Vorstellungen von Gregor XII. seines Bistums Piacenza enthoben war. Bei der Wal Martins V, zu Kostnitz erhielt Gabriel Condulmer den Vortritt vor Branda, wurde aber von dem neuen Papst gleichsam als Erbe seines Oheims Gregor, der als Ijegat von Picenum gestorben war, sogleich in die Mark Ancona geschickt, dann später (16. August 1423) mit der BewciltiLrung des aufständischen Bologna betraut. Seit 30. August 1424 finden wir ihn freilich in Rom, und noch am 24. Juli 1425, im November desselben Jahres und im Januar 1426 wird seine Anwesenheit an der Kurie durch Urkunden bestätigt.

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14 CONDULMER UND C ASTIG LIONEI

(jrade deshalb musste dem später ernannten Kardinal Branda daran liegen, von seiner Titelkirche auch durch äussere Zeichen gleichsam Besitz zu ergreifen. Und sollte dies nicht schon unter dem Pontifikat Johanns XXIIL gfeschehen sein, als dessen Legat er wiederholt nach Polen und Ungarn geschickt war, bis wir am 2. Mal 14 15 auch ihn auf dem Koncil zu Konstanz finden, so brachte die Rflckker der Kurie nach Rom im Herbst 1420, wo jeder Kardinal bei seiner Titelktrche Wonung nam, schon die Notwendig- keit mit nch, dass Branda bei S. Qemente einzog, während Gabriel Condulmer in der Mark Ancona verweilte. I>er Zustand der römischen Kirchen verlangte, nach langer Verwarlosung in den Zeiten des Exils von Avignon und des Schismas darnach, der neapolitanischen Eroberungszflge und des römischen Bürgerzwistes, dringend die Fürsorge aller Berufenen. Musste doch der Papst Martin selber, während des Winters im verfallenen Vatikan hausen, im Sommer und Herbst bei S. Maria Maggiore auf dem Esquilia eine Zuflucht suchen, bis er im Mai 1424 seine Familienwonung bei Apostolif die er inzwischen neu ausgebaut hatte *), zu be* ziehen vermochte. Er befal auch seinen Kardinälen ausdrücklich ihre Titelkirchen zu erneuern, in einem Rundschreiben von 1425 das der Sachlage nach mehr für die Säumigen und ausserhalb Roms labenden bestimmt war als lilr die Anwesenden, die der Verfall ohnehin zu werktätigem Eifer zwang*). Dero Kardinal Branda, dessen unermüdliche Freigebigkeit für seine Pfründen und sonstigen Stiftungen wir genugsam kennen, stellt auch Vespastano da Bisticci in der kurzen Skizze seines Charakters das Zeugnis aus: »Fe riparare piü chiese, e massime de' beneficil che aveva tenuti, e fomile di paramenti; e fece fare e compr6 per esse libri di cantare; e buona parte di quello n^aveva tratto ve lo rimise per questa via . . . Fece fare in Lombardia una libraria, oomune a tutti quegli cbe desideravano avere notizie delle lettere«

Ist aber Branda Castiglione nach dem Zeugnis des BeSa. Negrini auch der Stifter der Kapelle in S. demente, mit deren Malereieo wir es hier zu tun haben, so ergeben sich auch für seine Person, durch längere Abwesenheit von Rom, bis zum Jahre 1431 mehrere

I) V«i|^. Gi^roviui, Gestik. Romt, VU* s (tS73), p. 13 «. Futor, Fi^Ir 177 j BOWie oben Buch III, p. 77.

•) Ad eins imitalionem omnes fere Sanctae Romanae Eccicsiae cardinalcs eorum titulos ruinae paene proximo-s rcpararunt et ad tnagnum ornatum usque pcrduxerunt (Muratori, Saiptores III, 2 p. 867).

*) Fnadatio Collesii Castilioiici zu Fftvia, UHnrnde vom 4, De& 1437 au Waff^ Y«n^. Mfttteo Castiglioiie, S. 76.

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^RANDAS LbGATIOKEK 15

Einscbränkttngen, die zur näheren Datierung dieses Freskenschmuckes filren können*). Im September 1420 mit Martin V. nach Rom ge- kommen» wird Branda bereits am 13. April 1421 zum apostolischen Legaten in Ungarn ernannt, da Giovanni Dominici g^estorben war, und befindet sich zum Kreuzzug gegen die Hussiten ermanend bereits am 3 t, Mai in Wesel auf einem Tage der Fürsten und Städte, Anfang Juni in Köln, und zieht am 21. Juni in Lttttich ein* um von dort am i. August nach Böhmen aufzubrechen. Ende Oktober desselben Jahres Hs zum Frühjahr 1422 ist dagegen seine Anwesenheit in Rom beurkundet; seit April 1422 wissen wir ihn wieder in Deutschland (25. April am Rhein). Und diesmal kert er erst nach längerem Aufenthalt auch in Ungarn zum 25. März 1425 nach Castiglione d'Olona zurück, wo die Kollegiatkirche geweiht ward, und reist von da über Mailand^) und wahrscheinlich auch Florenz nach Rom, wo seine Gegenwart sicher am 24. Juli 1425 beim Empfong der florentinischen Gesandtschaft im Konsistorium bezeugt ist. Seitdem ist er dauernd an der Kurie geblieben bis zum Ende Martins V. und der Wal Eugens IV. Nur im Jahre 1429 war er seiner leidenden Gesundheit wegen während der Sommcr- Iritze nach Montecassino*) gegangen, und scheint sich im Gedanken an sein Ende vorwiegend der Gründung des Collcgium Castilioneum an der Universität Pavia zugewendet zu haben» das zunächst durch eine Bulle Martins V. vom 19. M&rz 1429 bestätigt wurde.

Ziehen wir nun die Krbauung der Kapelle selbst in Betracht, so ergeben sich zur Beauftragung eines florentinischen Malers drei Möglichkeiten für diesen Besteller: die erste vor seiner Abreise zum Betrieb des Kreuzzugrs gegen die Hussiten, also bis April 142 1; die andre beim Aufenthalt in Rom Oktober 142t bis März 1422; die dritte vom Mai oder Juni 1425 bis zum Jahre 1429, wo er sich andern Stiftungen zuwendet, oder spätestens bis zum Konlüave von 143 1, aiis dem Eugen IV. als Papst hervorgieng, der Branda zum Bischof von Porto erhob.

Befragen wir darnach die Lebensnachrichten der beiden Maler, die bis jetzt in der Forschung allein in Frage gekommen sind, so

*) Yeig). die Iles«tten KüdiiMÜ BiandM in Aolwiic des I. Bocbet.

RJuldo d^lt AlbUi erwint bd seiner Aoweseshcit in Florenz am $. Mai 1425 einen Brief des Kardinals von Piacenra aus der Umgebung des Visconti von Maihr.c! und <;rheint die persönliche Gegenwart des KorrespondeoteD beim He»og vorauszusetzen. Commisiiioni II, 325.

Anbr. TmmmA an Bnada. IM» Efkt. s P. Ctnneto editae. Flocaat. 1759. Pnateio XLVm. n. IL. V«^ G. Voict, Die WiederbeMwiic da« ciaü. Altertont I'( 18S0, p. 261: >Iro Juli kam Poggio selbst nach Montecassino und swar in GchwIb- •daft Hit KanUnal Bcanda«. üuifiodong der Handschrift des Frontan»,

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i6 CHRONOLncriE Masoukos und Masaccios

erhalten wir filr Masolino, der am i8. Januar 1423 in Floretu immatrikuliert wird, freie Verfügung bis zum Beginn seiner Mskiti I in der Brancaccikapelle, den wahrscheinlich eben dieser Eintritt in die Zunft der Vaterstadt bezeichnet, und dann erst wieder nadi seiner Rückker aus Ungarn, wo er noch 1427 verweilt, und nnr (bis 143 1, solange Branda den Titel von S. Demente fürt, jeden&Hs] vor der Ausmalung des Baptisteriums in Castiglione, dessen WflUning die Jahreszal 1435 enthält FOr Masacdo dagegen haben wir die Eintragung bei den Medici e Speziali am 7. Januar 142 1 und die bei der Lukasgilde im Jahre 1424 zu berflcksichtigen, zwischen deseo der erste Spiehraum läge (grösstenteils während der AbweaenlKit des Kardinals); dann (nach dessen Rfickker aus Deutschland im Frfihjahr 1425, wo er Masolino veranlasst haben muss, die Brancacd kapelle aufzugeben und Aber Castiglione d'Olona zu I^ppo Spam : nach Ungarn zu gehen) nur die nämlichen Jahre, wo Masacdo ab Fortsetzer Masolinos in der Brancaccikapelle beschäftigt war, d h. spätestens vom Juli 1425 ab, wo Masolino noch in Florenz weflL und in etwaigen Unterbrechungen, wo auch Altarwerke für Flonoz und Pisa entstanden sind. Endlich bliebe nur das Todesjahr, das ihn nachweislich wieder nach Rom gefÜrt hat, also um 1428 Qbng. Aber für diesen letzten Termin wäre allein die Notiz Vasaris ver- wertbar, dass ihm dn Teil der Wandfelder von S. (Hovanni Laterano aufgetragen sei, die sonst von Gentile da Fabriano imd Vittore Pisano gemalt woiden; denn diese Meister haben nidit gleichzeitig mit einander in Rom gearbeitet, sondern Pisancllo bat, wie Fazio erzält^, die von Gentile begonnenen Fresken aus den I^ben des Täufers fortgesetzt Zalungsvermerke, die Gentile be- treffen, sichern seine Arbeit vom Januar 1427 bis Juli dieses JahreSt wenig später muss er gestorben sein, da 1428 die Erbschaft nach Fabriano ausgeliefert werden soll. Pisanello jedoch erscheint in den Zalungen der päpstlichen Kammer erst seit dem t8. April i43't nach der Wal Eugens IV., der ihn von Venedig und Verona htf. oder aus seiner langen Tätigkeit als Legat in den Marken bis Feivan hinauf kennen mochte. Nach dem Tode Gentiles, der »Einiges nur angedeutet und unvollendet zurackliess«, wie Fazio berichtet^

') (Pisanas) piiixit et Romae in Joannit L«tei»ai templo, qnae Gcntilb «L Ji**^ Bai»ti«tae historia incliMto rdlqaenO, qnod tantn opna pottea, quantimi es co a*^ parietis humectatiooe pene oMitteiatum est.

•) Eiusdcm est opus Roroae in Joannis Latcrani templo Johannis ip«ia< b;?tfr< ac ?>upra eam historiam Prophctae quinquc ita cxpressi, ut non picti "icd e roMmt*«' facti esse videantur; . . . Quaedam eliam in eo opere adumbrata modo atqoe impcrfell morte praeventat leliquit. De vifia IDutr. 1455 / 56 «d, Mehus, Florenz 1745). Vgl. MM Lei ArU h la Coor dei Papca L 1878 p. 47 n. Milanee* d*Aicbtelei)e et d'BnflaiR pablite per ll^te franfaiae de Rome 1884.

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ÜMKEHRUNG DER ABHÄNGIGKEIT

wäre also ein Zwischenraum für Masaccio offen, der ebenfalls in

Rom dahinstarb.

Auf jeden Fall sind die Malereien in S. Cleni«^nte vor der Be- rufung Pisanollos nach Rom entstanden; denn schon im März 14 wird der Kardinalpresbyter Branda Castiglione von dieser Titelkirche zum Kardinalbisrhof von Porto befördert, und damit ist ein späteres Datum für seinen Auftrag zu Gunsten der Kapelle in S. demente so gut wie ausgeschlossen.

Wenn also wirklich Elemente der veronesischen Kunstweise in diesen Malereien zu erkennen sind, wie Wickhoff meint, so muss dafür eine andre Erklärung gesucht werden, als der Einfluss der spätem römischen Arbeit gewärt.

Oder aber, mit der Umkerung des chronologischen Verhält- nisses, muss auch die Schlussfolgerung dahin gezogen werden, dass die Anreguntr vielmehr von diesen Malereien in S. de- mente a n s ^^ c a n g e n und in Pisanelios ganzer Kunstweise seither sich geltend gemacht habe.

So wenigstens begriffen wir die Wertschätzung Michelangelos erstrecht, der »oft in die Kapelle von S. demente gieng, um die Gemälde zu betrachten*^, d. h. eine Bewunderung hegte, die er den Nachamungen nach Fresken Pisanelios im n^hen Lateran gewiss nicht gewidmet hätte.

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Die Malerelen an der Decke und an der Aussienaelte

Am Gewölbo des Innenraumes sind in jeder Kappe zwei auf Wolken sitzende Gestalten zusammen geordnet, ein Evangelist mit seinem symbolischen Attribut neben sich und ein Kirchenvater; aber die schlechte Krhaltung grade dieser durch Feuchtigkeit vielfach zerstörten, durch Restauration fast noch starker entstellten Malereien gewärt keinen authentischen Gesamteindruck mehr Soviel aber ist auch heut«^ noch ersichtlich, dass dio strenge Symmetrie der gotischen Tradition aufgegeben war, und dass an die Stelle der silhfuiettenhaften Kaumlosigkeit ihres lediglich dekorativen Prinzips die volle Körperlichkeit und der Anschluss an die Bedingungen des wirklichen Ortes zu setzen versucht wurde. Die Gestalten sind in ihren Proportionen noch lang gestreckt; aber sie sollen den statischen und mechanischen Bedingungen unseres Leibes entsprechend auf ihren Wolkenbänken dasitzen und ihre Füsse auf einen untern Streifen von gleicher Konsistenz stützen, wie auf den sichern Boden, wo auch ihre tierischen Begleiter in voller Breite lagern können. Sie werden also im Knochenbau gewissenhaft, auch unter der Ge- wandung deutlich durchgefürt, soweit die Anforderungen an die Konntnis damals irgend gehen können, und leidlich erhaltene Stellen zeigen sogar kräftige Modellierung, und zwar mit Hille scharfer Beleuchtung von einer Seite, die durch gegebene Verhältnisse des Kapellenraumes selbst bestimmt wird. Das ist schon ein entscheidender Schritt, der die Ausmalung dieses Kreuzgewölbes wesentlich von der Deko ration einer gleichen Decke im Baptisterium zu Castiglione unterscheidet, und uns sofort in einen Anachronismus verwickelt, wenn wir annemen sollten, diese Arbeit in S. Clemente sei das Werk eines und des selb(»n Meisters, der dort in Castiglione 1435 die vier Evangelisten gemalt hat.

Aehnliche Unterschiede bemerken wir in der Gewandung, die dort kleinlich und manierirt erscheint, während hier bei aller Be- fangenheit in den ererbten Gewcniheiten einer allgemeinen Draperie und ihren hergebrachten Bogenfalten, doch zwei bedeutsame Zwecke damit verfolgt werden: die Betonung der festen Formen, besonders ihrer hervorstehenden Höhepunkte oder Geienkkopfe, die zum Ver-

') Vergl. die Pbotographicen der eiozelneo Kappen von Braun mit der neam Gesamtaufnabme von Aliiutfi, daxu den Einblick in den InnentMun bei Labniul Uosete Abbildung l'af. I u. II.

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kiRCMENVÄTER UND EVANGELISTEN

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stAQdnis der Haltung dienen, und die malerische Breite, die zwischen der plastischen Sonderungr der Gltedmafsen wieder vermittelt und die Körper mit den ührigen Bedingungen ihres umgebenden Raumes ausgldcht.

Die Motive bleiben die plausibeln, schon im Lauf des Trecento veräusserlichten des Schreiberhandwerks, neben denen die Inspiration nur durch das Symbol zur Seite noch angedeutet wird; aber sie sind doch irisch beobachtet und mit dem Alter der Evangelisten in charakteristische Verbindung gebracht. Die Kirchenväter daneben, deren Mangel an solchem Hausgenossen zur Seite eine Störung der Symmetrie, oder doch ein einseitiges Uebergewicht, nach der Rechten vom Mittelpunkt des Bildes aus, also nach der linken des Beschauers ringsum veranlasst, haben doch ihrersdts die Reihenfolge der Evan- gdisten mit bestimmt, oder wenigstens da die Verbindung der Paare nicht die fibliche ist zuerst die Plätze eingenommen und je einen Verfasser der Evangelien nach sich gezogen. So wQrde es überraschen, grade Lucss mit seinem geflügelten Stier an erster Stelle aber dem Eingang zu sehen: aber neben ihm sitzt der Papst Gregor, und dieser ist es, der den Rang bestimmt hat, wie er den Stifter am Thron Mariens empfielt auf jenem Tympenonrelief der Kirche von Castiglicae. Der Evangelist in voller Mannesfirische, mit kurzem Vollbart dargestellt, beguckt die Spitze seiner Gänsefeder, die er in Schulterhöhe erhebt, während die Linke mit dem Tinten* fiiss in der Faust zugleich den Pergamentstreifen auf dem Knie fest- hält, wo der Anfang seiner Schrift »IN DIEBVS . . zu lesen ist Gregor achreibt in ein Buch, wie alle vier Kirchenväter, scheint aber der Taube an seinem Ohr g^elauscht zu haben, die jetzt verschwunden ist (Eine Halskrause ist spätere Zutat, unter der die Deutlichkeit der Kopfhaltung gelitten hat) Gegenfiber diesem ersten Paar erscheint oberhalb der Altarwand mit der »Kreuzespassion« (^nbar in sinnvoller Beziehung zu diesem Hauptgegenstand der Kapelle S. Johannes der Evangelist mit S. Augustin. Der Lieblingsjünger des Herrn, der unter dem Kreuzesftamm noch jugendlich als Ersatz des Sohnes bei Maria auftritt, ist hier oben als der greise Seher auf Patmos, der Ver&sser der Apokalypse mehr als des Evangeliums gegeben, wie es damals in Florenz üblich war. Sein langbärtiges Haupt sitzt vorwärts gebückt zwischen hohen Schultern, und die gekrümmte Haltung kennzeidinet die Mühe bdm Schreiben seiner Anfangaworte: »]K PRIN« . « . Aber die verblassten Züge, die Er- gänzungen, besonders am Gewand von den Knieen ab, die Auf- frischung des Adlers, der mit offenen Flügeln auf einem beaondem Wolkenstreifen unten daherscfareitet, gestatten kein weiteres Eingehen.

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klRCH£NVATER UND £vANGEU5TE!^

Ebenso verletzt ist die Seite Augustins beim Elbogen aussen, so dass wir nur die schwarze Kappe über dem Chorinantel als Kennzekheo der Person und die Beugung zur Schrift des Nachbarn hinflber als Versuch zu näherer Beziehung hervorheben können.

Rechts, vom Altar aus, erkennen wir an der Greissei in der Hand, die zugleich das Tintenfass hält, den hl. Ambrosius, wie er auch in Castiglione gezeigt wird, so dass er sich der Fensterwand mit den Geschichten seines Lebens gegj^enaber befindet Der Kopf mit dem kurzen Graubart und der Chormantel sind entstellt, wie der Kopf des Matthäus daneben, so dass nur die Haltung des Letzteren, durch die Äbhätigigkeit vom Engel unten, Interesse erregt Er schreibt dem Horchen zuliebe unbequem auf dem rechten Knie allein, und nur der Uebelstand, dass die Malerei den Wortlaut der Botschaft doch auch nur auf einem Schriftband geschrieben ver- mitteln kann, hat diese Beziehung wiccL r gelockert, indem der knieende Engel seine Legende »LIBER GENERATIONIS« in Mund- hOhe vor sich erhebt Soviel von ihm noch UrsprQngliches erhalten ist, gehört durchaus zu den Engeln bei S. Anna selbdritt in der Akademie zu Florenz und bereitet hier vor auf die Plimmelsboten im Leben der hl. Katharina auf den Bildern der Wand zu Füssen clies^ Paares. Verhältnismässig wolerhalten und besonders im obem Teil unverfälscht ist das letzte Paar über der Fensterwand, öbwd der Löwe des Marcus, der dem Kardinalshut des Hieronymus gegen- überlag, jetzt vollends verschwunden ist Wie im Gewände des Matthäus drüben werden wir bei diesen etwas dürftigen Draperieea noch am ehesten an die Figuren Masolinos in Castiglione erinnert: aber während die letztem von 1435 noch die volle Gleichgültig^ gegen Raumwahrheit zeigen, kann hier nicht verkannt wexdeo, wie sorgsam diese beiden mit einem Knie fysi aneinanderstossendea Körper zusammen konstruiert sind, als sässen sie innerhalb einer Mandorla, deren Bogenlinien links und rechts a]s Gränze fllbar werden, und auf zwei Radien eines vor der Kur\*atur der WOlbni^ befindlichen Mittelpunktes, so dass sich durch diese Faktoren die Beugung, ja die Formation aller T^e bestimmt. Das ist streng perspektivische Rechnung, die gewiss von der Beleuchtung durch den Spitzbogen des alten Fensters mit veranlasst wurde. Die Ge- wandungf, die biblische des Apostels sowol wie die mönchische des Kardinals, wird uns aber noch wichtiger, und ebenso die beiden T^-^n die wir in enger Gemeinschaft beisammen finden : Marcus ist der Petrus auf dem ersten erhaltenen Breitbilde der BrancacdkapeU^ und Hieronymus niemand anders als der Greis mit gespaHmem Vollbart am Lager der Tabitha. Ja, die Uebrigen, soweit ae cp>

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Perspektive, Typen, Beleuchtung

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halten sind, vergleichen sich fast näher der Apostehreihe gegenflber in der Geschichte vom Zinsgroschen, und der Lucas über dem Ein- gang kommt dem knieenden zweiten König in der Anbetung des Pisaner Altarwerkes (zu Berlin) so nahe wie nur möglich in der andersartigen Drehung seines Kopfes, Nehmen wir dann endlich die sehr beschädigten Büsten der zwölf Apostel in den Vierpass» Funen an der Laibung des Bogens hinzu, so spinnen sich die Be- ziehungen zum S. Paulus in Pisa und S. Andreas in Wien so vielfach und überzeugend wie zu den beiden oberen Breitbildern der P.rancacci- kapdle an, dass wir sie eben so eng mit diesem Kreis von Werken zusammen denken müssen, wie wir sie weiter und weiter von den Vergleichsstücken in Castiglione zu scheiden genötigt sind. Die nämlichen Vorzüge des Strebens nach plastischer Deutlichkeit der Haltung, nach Hervordrängung der entscheidenden GliedmaFsen, aber auch nach Grossflächigkeit und Breite, d. h. nach malerischem Eindruck des Bildes im Ganzen, neben den nämlichen Fehlern oder Nachlässigkeiten in etwas schiefer Ansicht, die zu Hochschultrigkeit oder gar Buckligkeit füren kann, die sich bei genauerer PrOfiing aber ebenso wie beim S. Andreas in Wien als Konsequenzen per- spektivischer Konstruktion des Körpers in seinem Räume, d. h. als ungünstig starke Verjüngung der Formen nach der Tiefe zu heraus- stellen. Diese Aufgabe richtiger Verkürzung der Gestalten nach Mafsgabe der Raumverhältnisse, unter denen sie im Bilde erscheinen, hat nun aber Masolino niemals recht erfasst oder nur in Angriff genommen, und, wie an allen Arbeiten in Castiglione nachgewiesen wurde, selbst da nicht versucht, wo die umramenden Linien der Ardiitekturkoulisse, die an sich in Perspektive gesetzt war, dazu zwingen sollten auch die Figuren nicht mehr als flache Silhouetten darauf zu kleben.

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Wenn wir zwischen den authentischen Ueberrestcn der J )c( kcn- bilder, besonders am Lucas vorn, L,'^rnaiicrcs Modellstudium und be- stimmte örtliche Beleuchtung erki iinen, und zwar von oben und genau von der Seite her, wie das Licht aus (iem Scitenfenster ein- fällt und am Gewölbe sich verteilt; wenn die Wirkung der nämlichen Lichtquelle aufs Genaueste bei ^farcus und Hieronymus wieder- gegeben wird, deren einander zugewandte Köpfe von der Mitte her beleuchtet sind, während die Aussenhälften in Schatten bleiben: so sind diese exakten Beobachtungen schon an sich so schlagende Be-

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VekkOndigung

weise für die Autorschaft Masacdos, bei dem allein die Kenntnisie für solch realistisches Wollen nachgewiesen werden können» das wir das geduldige Eingehen auf die neuesten Kontroversen für ein- sichtige I.e$er wol ersparen dürften. Für die Durchbildung einer eigenen, auf die Grundlagen künstlerischen Schaffens zurückgreifenden Methode der kunstgeschichtlichen For- schung dürfte indess die völlig objektive Abwägung des Für und Wider an allen Teilen dieses einheitlichen Kapellenschmuckcs ein för alle Mal von Nutzen sein ; deshalb soll sie auch im Folgenden hier, zu- nächst unabhängig- von den bisherigen Ergebnissen der vorigen Studie über die strittigen Gemälde der Brancaccikapelle, durchgefürt werden.

Für dies Verfaren mögen uns die Darstellungen an der Stirnseite der »Cappella della Passione« den Weg weisen. Sie schliessen sdä äusserlich unmittelbar an die soeben besprochene Bogenlaibung mit den Brustbildern der zwölf Apostel an; wenn es aber erlaubt ist, vorauszusetzen, dass die Malerei am Kreuzgewölbe zuerst erledigt worden, ehe mit dem Schmuck der Wände begonnen ward, so dürfte hier an der Aussen wand die Vermutung natürlich sein, dass an dieser Stelle der Abschluss der ganzen Arbeit zu suchen wäre. Die Entscheidung über das zeitliche Verhältnis zu dem Bildercyklus im Innern mag aber der stilistischen Vergleichung vorbehalten bleiben ; die Analyse der beiden Darstellungen, der Verkündigung oben über dem Bogen, und des hl. Christophorus unten am Pfeiler zur Linken, darf hier vorausgenommen werden, da kein weiterer Zusammenhang diese Bestandteile mit dem Uebrigen verbindet. Je mehr sie etwa einem vorgerückten Standpunkt des Meisters an- gehören, desto besser können sie als Leitstern und MaTsstab zugleich für seine Bestrebungen gelten.

Weder das poetische Interesse an dem Inhalt eines Geschehens, noch das malerische an mannichfaltigem Kostüm und täuschender Nachamung verschiedenartiger Stoffe spielt hier eine Rolle. Des- halb sind diese Stücke bei WickhofF sozusagen vollständig unberück- sichtigt geblieben. Grade sio aber füren uns ebendeshalb desto unmittelbarer zu dem Kern der künstlerischen Probleme, die skh der Maler selber gestellt hat. unabhängig von der Wal des G^eo- standes durch den Auftraggeber.

Ucberraschend genug ist schon der Schauplatz, der über dem Bogen für die Verkündigung aufgebaut worden, um die beiden Figuren des Engels und der Jungfrau auf festen Boden zu bringen, und dem Standpunkt des Beschauers entsproclicnd diese Bühne per- spektivisch wirksam zu gestalten. Bis zu halber Höhe der beiden Segmente steigt hnks und rechts, vom Kämpfergesims der Pfeiler aus.

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Perspektive» Beejeuchtung» Plastik 23

eine Reihe sclilicfater schmaler Arkaden empor, wie sie an den Back* Steinmauern Roms vorkommen und selbst in ihrer luftigen Schlank* beit noch an den Eindruck der Äquaedukte durch die Campagna hin erinnern. Diese Substruktion. die wir uns ebenso wie an der Vorderseite ringsum auch an den Qbrigen drei Seiten eines recht- eckigen Grundrisses vorstellen mögen, trägt den hochgelegenen SöUer, dessen Fussboden unmittelbar hinter der obem HaHte der Rogenramung, mit dem Wappen auf ihrem Scheitel, beginnt, bis auf einen schmalen Vorderstreifen at>er dem Auge des untenstehenden Betrachters entzogen bleibt. Um so mehr dagegen zeigt sich von der obern Auadenung in die Tiefe an den Säulenarkaden und der getäfelten Decke der allseits offenen Halle. IMcht am vordem Rande stehen die Basen der ersten Reihe von kurzen Säulen, deren Voluten-Kapitelle durch eine aufgenagelte Goldleiste verdeckt werden, während wir von den hintersten Arkaden wol die verbindenden Rundbogen und das gerade Gesims darüber, nicht aber den untern Teil der Sdiäfte und die Basen ihrer Säulen zu sehen bekommen. In dieser etwas niedrigen aber weit genug entwickelten Pergola kniet rechts ganz vom an ihrem Lesepult Maria mit gefialteten Händen in Dreiviertelsicht, so dass ihr Körper von den Knieen bis zum Sch^tel die ganze verfügbare Höhe der Bildfläche einnimmt Eben deshalb, d. h. zu Gunsten der Grösse und Bedeutung der Gestalten, kniet auch der Engel gegenüber ganz vom, und streckt die rechte Hand, mit der segnenden Gebärde seine Botschaft be* gleitend, vor dem Säulenschaft hin, wahrend die Linke den Lilien* Stengel hält; nur die rückwärts gestreckten Flügel, ebenso plastisch wie der Körper in seinem doppelt gegürteten Gewände durchgfefürt, und cUe flatternden Enden der Bänder verraten noch etwas von dem Fluge, der seiner Ankunft vorangegangen. Sein Kopf mit hellblondem Haar und klassisch geschnittenem Profil steht ganz in Sdtenansicht vor der punktierten (xoldscheibe des Heiligenscheines, der ebenso wenig wie bei Maria in perspektivisdier Ansicht gegeben wird, während andrerseits noch die Drehung des Lesepultes» übereck gegen seinen Kasten darunter, das Ansuchen sdcher Au%aben bekundet^ deren Schwierigkeit allerdings auch in den Bogenstellungen, Säulen- ftkssen und -Köpfen nidit ganz bewältigt worden bt.

Man sieht, neben dem Reiz des Durchblickes durch die Loggia in Untensicht ist es vor allen Dingen die volle Körpermndung in echt plastischem Sinnen die den Maler beschäftigt hat, und auch hier schliesst sich seine Verteilung von Licht und Schatten bei aller Idealität der erdichteten Räumlichkeit an die Bedingungen des wirklidien Standortes im Sdtenschiff der Kirche an, indem sie die

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M ASACXXO vm Masouno

Beleuchtung von dem Fenster der Aussenmauer gegen die Strasse her in aller Schärfe auch hier oben durdif&rt Es smd volle Geaditer und wolgebaute Leiber, deren sicherer Halt in engstem Zusammen* hang mit dem statischen Geaets der Bogenwdlbung darunter ge- wonnen ist, wie es nur ein Kttnstler vermag, der fite* die gdieimeii Mächte der Baukunst ebensoviel Gefttf und Verständnis hat, wie ftr den statuarischen Wert der Korperfbrmen in ihrer Einordnung zwiflcfaen Säulenstämmen und tektoniscfaen Bestandteilen der Raum- bildung sonst Man beachte nur, wie zielbewusst die lotrechte Haltung des Engels dem Pultchen gegenflber und der l«se ans- wachenden Gestalt der Jungfrau die Wage hält So wirkt das Wappen in der Mitte, wie der Souffleurkasten an der Bohne, ah Absdiieber vor der Tiefenerweiterung dahinter, und die kflnsUerische Oekonomie dieser Verkündigung erweist sidi als originale £rfindiiiig aus den besondem Gegebenheiten an Ort und StdUe heraus» ah ein schOpferisdier Gredanke des räumlich*körperiidi anschauendes Malers, der uns weit intimer in das innerste Wesen setner Geistes- tätigkett einfilrt als der Ausgleich zwischen antiken EinzeUormes mit gotischen Bauteilen, der hier im Sinne der fVOhrenaissance; ja ihres BegrQnders Filippo Brunelleschi selber erfolgt als schauten wir hinein in den Verker des Malers und des Architekten mitten unter den Ruinen der alten Kaiserstadt und den Klosterhöfen def Cosmatenzeit

Deshalb giebt es kaum einen Idirreidieren Vergleidi als dem Verhalten Masölinos unter ganz ähnlichen Bedingungen und bei demselben Gegenstand, lieber dem Toifoogen eines Hauses (Nr. tj am Corso) in Castiglione d'Olona begegnet uns eine VeikOndig^ng Von Masölinos Hand, aus der Zeit seiner Deckenmalereien im Chor der Collegiata, d. h. 1425. Es ist ein Rundbogen; aber der angetiefte Ramen mit spätgotischem Blattwerk bemalt das auf beiden Seiten von der innem Peripherie aufinagt mit Sternblumen auf dunklea Grunde dazwischen und einem Spruchband oben in der Mitte, das an den Enden gerollt in gotischen Minuskeln die Auficfarift M ^iüt homiti enthält Darüber erhebt steh das ebenfells etngetieAe Wappenschild in flachem Steinrelief. Dnks und redits die beiden Hälften der oben rechtedng einge&asten Bildfläche, deren Kalk- grund Ar die Freskomalerei aufgetragen worden, bevor noch der Rohbau der Obrigen Fassade mit Bewurf verkleidet war und so gegen die unverfaflllte Schiditung aus Flusskieseln stehen geblieben ist Die Farben sind unter dem Emfluss der Witterung sdir ver- blasst aber die entscheidende Disposition doch deutUcfa erkennbar: links schwellt ein Engel mit stark geknickten Knieen, um so den

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VERKÜNDI(tUKG5BIU>ER

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Zwickel in ganzer Länge zu fbUen, aber ohne Halt und ohne Gleich» gewicht mit dem Geroach Märiens gegenftber, wo ein BetpuU in missglflckter Veijfingung der schrägen Platte nach oben und ein senkrechtes ArchitekturstOck neben der zurückfliehenden Jungfrau angereiht sind. Wir haben die nämliche Dtremtion der beiden Gestalten, aber ohne alles Gefbl fbr die Architektonik an solcher Stelle Aber dem Eingang vor uns» d. h. einen Mangel, der im Ver* kflndigungsbllde des Chores in sdimaler Gewölbkappe und im Konflikt nut der hineingemalten Säule ohne sichtbaren Fusspunkt vom erstredit empfindlich wird

Ganz anders Blasacdo in S. demente. Aber auch für ihn bietet dch Crelegenheit zu einem Vergleich dieser, durch den ein* springenden Bogen bedingten, LOsung in der Art eines Doppelbildes^ wie auf jenem Wandfelde der Brancaocikapelle mit der Heilung des Lahmen auf der einen und der Erweckung Tabitfaas auf der andern Seite neben der Tiefenflucht in der Mitte. Vasari beschreibt eine Ahartafel hi S. Niccolö oltr* Arno zu Florenz als besonders berühmtes Werk Masacdos iblgendermalaen: darinnen sei (in Tempera) ausser unarer lieben Frauen, der vom Engel die Botschaft verkündet wird, ein Gebäude voller Säulen in Perspektive aufgerissen, und zwar sehr schön, denn ausser der Linearkonstruktioa, die vollkommen gezeichnet war, liess er durch Abtönung der Farben auch den Ein* druck (körperlicher Nähe) so abnemen, dass es ganz allmählidi und umnerklicb dem Blick zu entsdiwinden schien. Zdgte Masacdo sich dadurch im Vollbesitz der malerischen Perspektive, so hat seine Leistung in Florenz offenbar bald eine Reihe von Nachbildungen anger^, aus denen wir die Anordung des verlorenen Originals zu erschliessen berechtigt sind. Verkündigungsbüder von Fra Angdico*) und Ffa Filippo*) schon belehren uns^ dass dieser Durchblick durch den Säulengang im Hause Marias wesentlich dazu diente, die Mitte des Bildes zu vertiefen, wenn auch, den (jesetzen der Verjüngung entsprechend, zugleich wol zu verengen, ganz ähnlich wie es noch auf dem Rundteller mit der Geburtsfeier im Berliner Museum geschieht Die Gesamtheit des Bildes klingt wol, zugleich mit der besondem Abweichung von der SöUeransicht in S. demente,

^ Dm kkine TafelbiU der VerkandigtiDg in der SAristei der CoUeciaU darf d»- gtguk nicht Br MiiftHiio in iknsprucb genoinam wetdu» wie et bei Cnnre und Cavalc»- seile geschieht, sondern gehört dem Maler der Diakonsweihe Stephans und der zugehörigen

Freskenrest*' im Chor der Kirche V^l. Buch I p. lOf. UngenOgeade AbbUduBg der Sakristei schätze bei Diego Sani Ambrogio, Castiglione d'Olona a. E.

') Vgl. die Predellen in Cortona, die wir damit absichtlich später datieren.

*) Vgl dai dem Fra Fflippo socndiriabene Bild, das Iiafe Maaolino Ineai, in der Pinikodidi an MSndien No. IG07. Fhot. Bradtmaan.

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26 Nachwirkung der ANNxmziATA in S. Clemekte

den Bedingungen der rechteckigen, Altartafel gemäss^ am deatHdntMi in jener Verkündigung des Piero dei Franceachi nach, die sich jetzt als seltsamer Au&atz eines Triptychons zurechtgeachnstten in der Galerie zu Perugia befindet*). Unverkennbar wirkt auch der berr- liehe Gabriel aus Rom trotz konsequenterer Einihgung des Kflrpen in die dargestellte Räumlichkeit bei dem grossen Meister der Per- spektive fortp und nicht minder beweist noch Melozzo da Fori! die * naclihaltige Kraft dieses Eindrucks in einer Tafel, die er bejait noch lange nach seiner romischen Glanzzeit mit Hül&kräften in der Heimat gfeschaffen*). Ueberall die selbe Hochaditung der hervor- ragendsten Nachfolger des Quattrocento fflr dieses Meisterstfick Masaccios in S. Demente! und doch jedesmal in besondrer Ab> Wandlung des Vorbildes.

Wie diese Tatsadien der Kunstgeschichte ftr die Autocadiaft Masaccios in S. demente zeugen, so sind die Typen dieser Marii und dieses Engfels Gabriel die allerQberzeugendste Bestätigung Ar die Herkunft der Mflnchener Madonna mit dem nackten Kinde aus Hand und Sinnesart desselben KOnstlers, so dass hier angeskhls der Stirnwand an Brandas Kapelle zu Rom nur bdiauptet werden kann, dass der nämliche Maler, der diese jugendlichen Ideale ge> schafien, auch die MOnchener Madonna gemalt haben muss, und zwar in kurzer Frist das Tafelbild dort wie das BVesko hier!

Neben der Verkündigung und ihrem »Casamento pleno di colonne tirato in prospettiva di sotto in su« ist auch die Umiamong des Bogens nicht belanglos. Die breite Kante aus perspeküvladi abgestuftem Würfelfnes zeigt uns gemalt ein bei Luca della RobbU in glasierte Terracottafliesen Übertragenes Muster, das genau so z. E an der Decke der Kapelle des Kardinals von Portugal oben an S. Miniato al Monte vorkommt Dazwischen sind Rundöfihungea mit Fensterrosen darin, die ihre Entstehung gewiss romamsdieD Kirchen'eher als antik römischen Vorbildern verdanken.

Am breitern Pfeiler links ist dann nodi die Darstellung des hi Christophorus eben als Träger des Christkindes hinzugekommeo, wie er auf einen starken Stab gestützt durch das Wasser watet Zur Andeutung des angestrengten Tragens der mit Jedem Schritte wachsenden Last des Kleinen, der so freundlich mit der Weltkugel in der Hand auf setner Schulter hockt, ist die Gestalt des Riesen breitbeinig hingestellt Hochaufgeschossen und etwas steif diudi die Verlängerung des Beinwerks, erscheint er an Brdte des Bases

Phot. Alinari No. 5682. *) FSnMote« di Forli No. f 13 ab U. VaL MofofioL Vgl Schnvsov, Mdon» da ForU 1886, p. 28^ Fbot. Aliaaii.

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S. Christophorus

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und der Muskulatur der Gliedmafsen um so weniger reckenhaft, als der Oberkörper sich vorbeugt, die tragende Schulter sich senkt, und unwillkfirlich als Widerhalt eine Drehung in den Hüften hervor- ruft, wftlirend das Antlitz juch fragend oder horchend dem Knäbldn zuwendet, das ihn zu einem andern Atlas werden lässt

Mit Masolinos Einzelfiguren in Castiglione d'Olona bietet eine solche komplicierte Haltung wenig Aehnlichkeit dar, selbst wenn wir an die späteren Zutaten des Baptisteriums, den TOrschliesser am Kerker oder den Schwertfeger, der den Täufer enthauptet hat, heranzutreten gestatten. Die Besonderheit der Aufgabe hat eine so vollständige Durcharbeit des ganzen Körpers veranlasst, wie wir es bei Masolino Oberhaupt nirgends antreffen. Ipdess dieser Charakter als Ausname macht es, neben dem Zustand der Erhaltung mit entstellenden Pinseleien darüber, auch nach solcher Entscheidung vcrhältnissmässig schwer, die Abwandlung der Normalfigur zu ent- ziffern und den T3rpus herauszuschälen, der dieser Vergrösserung doch zu Grunde liegen muss. Dennoch bleibt wol die gestreckte Proportion des hochbeinigen Gresellen als spezifisch floreAtinisch erkennbar genug, und reiht ihn dem Adam in der Brancacdkapelle nicht minder notwendig an als das Format der Eingangsbilder dort und hier, d. h. der grosse Christopher in S. demente stellt sich in momentaner Haltung wol grade in die Mitte, zwischen dem Xormalmenschen Adam im Sündenfall und dem gefallenen Sünder in der Vertreibung aus dem Paradiese.

Auch da bemerken wir das Bestreben des Malers auf der Bahn der monumentalen Kunst. Die Gelegenheit zu übermenschlichem Mals* Stab auf der einen Seite, und zu koncentrierter Darstellung physischer wie psychischer Peripetie in einer Einzelgestalt auf der andern wird ihm sofort fruchtbar, die plastische Grundlage seiner Figurenbildung zu stärken, und die AusdruciLsmittel durch Verschiebung des Normal- zustandes der Gelenke sowol wie der Gesichtszüge zu steigern. Antlitz und Gliedmafsen müssen sich dabei noch etwas allzuviel ge- fallen lassen, wie es im Vollbesitz der bildnerischen Kenntnis des Kürperbaues nicht mehr begegnen kann. Aber die Wiedergabe der nackten Teile, der Beine bis an die Hüften, der Arme bis an die Schulter, des Halses bis an das Kinn empor, beurkundet doch, soweit der Normalzustand in Ruhe vorherrscht, einen sichtbaren Zuwachs an statuarisch verwertbarer Vertrautheit mit dem menschlichen Organis- mus, der gewiss zum grossen Teil dem Anblick römischer Antiken mehr als römischer Modelle verdankt wird. Unwillkürlich gedenken wir der nämlichen Beobachtung, die wir vor Meisterwerken Masaccios, wie beim Torwächter vor Christus und seinen Jüngern und bei den

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Beziehung zu MASAcaos Werken

Täuflingen vor Petrus an der Altarwand, ausgesprochen haben. Und wie von selbst reiht sich in diesen Zusammenhang nun auch die Zeichnung im British-Museum, nach einem der Dioskuren auf Monte-

cavrdio hier ein, jene charakteristische Studie nach einem berOmten Marninrwerk, an dem auch Pisanello sich versucht hatte, zugleich ein der Technik Luca della Robbias in Bhiu und Woiss so nah ver- wandtes Probestück, das wir für Masaccio in Anspruch genommen '). M:in \rrsuche nur einmal, sich eine Umkerung- des Dioskuren vor- zustellen, und vergleiche sie dann mit dem ausgeförten Christoph, dessen Beinstellung so in allen HauptzOgen übereinstimmt. Dazu kommt die Bildung der Füsse mit der Phalanx ihrer Zehen, die Faust am Stecken und das Metacarpium der Hand mit der starken Ausladung des Muskel pol sters an der Seite, selbst die Nase mit den geblähten Nüstern, hier in Untensicht, und die Behandlung der Augen, soweit die Malerei noch authentisch erscheint. UeberaU lässt sich das Studium des Vorbildes und der Fortschritt von Befangenheit zur Gr<)sse hin verfolgen, der Ertrag emsiger Vertiefung in die Meister- werke der antiken Plastik für den Maler zur selben Zeit, wie wir auf dem gleichen Wege den Erneuerer statuarischer Kunst Donatello selbst gedeihen sehen.

Die Gesamtdisposition des Innern

Im Innern der Kapelle bemerken wir, wie an der Stirnseite, das Bestreben, den vorhandenen gotisdien Zuschnitt des Einbaues mit dem antikisierenden oder eher nocli romanisierenden Geschmack der Frübrenaissance auszugleichen, und wenn auch der Gegensatz der Stile noch nicht bewusst und klar empfunden wird, doch für den Bilderkreis ein eigenes Raumgeful vorzubereiten. In den Ecken sind schmale Pfeiler mit kräftigem Kapitellschmuck unter die wirklichen Konsolen der Wölbung eingenialt, und zwar als Träger des Ramen- werks, das von hier emporsteigend die Bogenfeldcr der Wände um- giebt Diese gemalten Pilaster sind kanneliiert, wie in der Brancacci- kapelle und am Dreifaltigkeitsbilde in S Maria No\ cIl i zu Florenz, und reichen bis auf den Fussboden der Kapelle, während unter dem

^) Vjjl. Liderung I, No. 2fi u. Lielening II, Tafel I mit unsrer ^VUbildung TafeJ Iii Text Budi II, ä. 3c. Die /^cichnuug risanello^ in der AtnbrobiAiut in Mailaad.

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MASACCtOS llAUMkimst

fiaderscfamuck noch bis 2U halber Höhe dieser Ecktrftger eine scfalidite Wandverkleidung mit aufgemaltem TeppichgehAnge herumläuft Der Maler übernimmt also nicht die Einteilung der Mauern durch das tief herabgreifende Kreuzgewölbe mit ihren grossen Bogenfeldem und breiten, nach Abzug auch eines niedrigeren Parapets» immer sehr gedrückten Rechtecken darunter; sondern er giebt seiner ganzen IKspositton die Verhältnisse der klassisdien Arcfaitekturteile, die er als Träger hineingestdlt und betont durch breite Simsstreifen die Horizontalgliedemng in der Höhe^ wo die ideale Bühne sdner Dar- stellungen beginnen soll. Die beiden Seitenwände gliedern sich in der so entstandenen Proportion in zwei Stockwerke, um die Mehr- zal von Scenen unterzubringen, die durch die Aufgaben aus der Heiligenlegende gefördert ward. Nur die Altarwand bleibt, der Lage gegenüber dem Eingangsbogen entsprechend, ein Ganzes, in dem die selbstgegebenen Raumgesetze nichts desto weniger bestimmend weiter ^drken.

Die Raumdisposition des Malers Dir sdnen Bilden^klus ist eine selbständige Leistung und setzt baumdsterliches Denken voraus, auch wenn das Ergebnis zwischen gotischem Bau und unfertigem StUgeibl der neu erwachsenden Renaissance auf der einen Seite, wie zwischen Evangelium und Legenda aurea auf der andern, nur als Kompromiss erscheinen kann, wie so manche Leistung des Quattro- cento auch femeifain. In der Brancacdkapelle zu Florenz lag das Verhältnis der Höhe zur Breite bedeutend gOnstiger, besonders da ein gotischer Neubau aus entwickelter Zelt vorhanden war, nicht ein Einschiebsel in die untersetzten Dimen^onen eines Seitenschiffes alt- christlicher Basiliken wie hier. Dennoch hat die architek- tonische Umdichtung durch den Maler die selbe Be- deutung wie Im Carmlne auch hier in S. Ciementei und ich bestreite der modernen Kritik jede Be- rechtigung, dieses geistige Unterfangen dem Maso- lino beizumessen, von dem zwei vollgültige Beweise vom Gegenteil vorliegen, wie die Deckenmalerei im Chor der Collegiata von 1425 und das ganze Baptisterium von 1435, dessen Verkündigung an der Äussenseite das unerreichte Vorbild von S. Qemente erst recht in seinem Werte schätzen lehrt

KE5ft

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^^1 DIE KATHARINENLEGENDE |^

Die AnordnunjQr der Bilder aus dem Leben Katharinas von Alexandrien folgt nicht genau dem Gang der Legende, zumal da der Künstler nur fünf einigermafsen gleichwertige Felder zur Verfügung hatte, während die Vorschrift jedenfalls sechs oder gar sieben Haupt- momente von ihm forderte. Dies Programm ist noch erkennbar und sollte in der Weise ausgefürt werden, dass je einer Scene der obem Reihe die darunter befindliche der zweiten Reihe folgte; di nun aber das Bogenfeld oben schwerlich drei gleichwertige Abschnitte gewären konnte, so musste in einer Hälfte desselben eineZusammen- schiebung versucht werden. Auch da vielieicbt haben wir das Ringen des Malers geg^en die Anforderungen des Auftrags im Sinne seiner monumentalen Kunst zu erkennen.

In der Legenda Aurea lesen wir vom Auftreten Katharinas vor dem Kaiser bei der Verehrung des Götterbildes im Tempel, von ihrer Disputation mit den Philosophen, die der Kaiser nach Alexandrien berufen hatte, von deren Bekerung zu Christus und ihrer Verbrennung; dann folgt der Besuch der Königin bei Katharina im Kerker und ihre Bekerung mitsamt dem Hauptmann Por- phyrius und seinen zweihundert Kriegern der I,eibwache, darauf die wunderbare Zersplitterung der Räder, mit denen die Heilige zer- rissen werden soll, und die Enthauptung der Königin, die fär Katharina und deren Glauben eingetreten war, ihr Schicksal teiler auch Porphyrius und seine Soldaten. Nach abermaliger Zurück- weisung auch der Hand des Kaisers geschieht die Hinrichtung der Heiligen selbst, deren Leichnam von Engeln zum Berge Sinai ge- tragen wird^).

Der Maler hat seine Disposition der bildlichen Dastcllung nach der Zal der Figuren, dem Gleichgewicht der Kompositionen be- stimmt, und bei der Entfaltung der Sccnentolge inn erkennbar au: den Standpunkt des Besuchers Rücksicht genommen, der für ge- wönlich, durch das Gitter vom Innern der Kapelle getrennt, unter dem Eing-angsbogen stehend hineinschaut. Aus diesem Grr.ndf ^^ffnet sich auf der linken Hälfte des Spitzbogenfeldes oben zunächs: als Schauplatz des ersten Auftritts der heidnische Tempel, wo da^

I) Vgl. zur Legenda mm des Jacobnt a Voraghie ferner H. Kmat, Geick d. Legende der hl. Kaduuriiia von A]es«ndrien nnd der hl. Maria Acgjrptiaca nebet medirlcB Texten. 189a.

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Der Austritt im Götzemt£:iiPel

Götterbild verehrt wird, in Untensicht, als blickten wir in den an*

stossenden Raum, den die Bogenramung von dem unsrigen ab- schneidet, hinauf. Zwei Säulen, links und rechts am vordem Rand des Bildes aufgerichtet, begränzen die Bühne, um so überraschender,

als die Eine zur Linken hinter dem Bogensegment stehend nur bis an die Mitte des g^latten Schaftes sichtbar wird. Mit attischer Basis ood Kompositkapitell bekunden sie schon die Absicht, uns ein antikes Heiligtum zu schildern, das der Künstler den Ruinen Roms nachgebildet hat, die er viel£ich noch in vollständigerer Erhaltung vorfand als sie heute dastehen. Er zeigt uns zwischen diesen Säulen eine Tribuna, deren im Halbrund aufsteigende Mauer durch eine Arkadenreihe gegliedert ist, die er sich trotz ihrer Schlankheit offen, and nicht wie wir als Nischenreihe gedacht haben wird, mit doppel- tem Sims darüber und einem Halbkuppelgewölbe, das wieder nach römischem Vorbild mit Kassettenreihen geteilt ist, die bezeichnend g^nug für den Zustand des Verfalls, den er vor sich hatte, ihres architektonischen R amenschmuckes und innern y^ierrats entberen. Der Einblick in diese römische Tempelnische charakterisiert sofort den Stand der Antikenstudien und damit den Zeitpunkt der Früh- renaissance, wo dieses Fresko entstanden sein muss, und zeugt ebenso für das Verhältnis dieses Malers zu dem Architekten seiner Tage, dessen Bemühungen er in perspektivischer Darstellung solcher antiken Raumbilder treulich zur Seite steht: Filippo di ScrBrunellesco, Die schlanke luftige Arkadenreihe, die fast nur den malerischen Reiz römisrher Aquaedukte verwertet, ohne die Wucht und Haltbarkeit römischen Mauerwerks zu fassen, als wäre es eine Wrmdg-liedcrung mit Lisenen oder Nischenramen, beweist wie die Nacktheit der Kassettenwölbung, die er darauf setzt, dass sein Verständnis für die Einzelformen des antiken Massonhaues noch in den Anfängen be- griffen ist, zunächst etwa auf einer Stufe steht wie bei Lorenzo Gh b. rti, der seinerseits darauf zeitlebens beharrt und geschickte Prospekt- zeichner wie J ic nozzo Gozzoli noch In den vierziger Jaliren zur Hülfe nimmt*). Dieser Maler in S. nf'n]rnlc, dem der konstruktive Halt selbst in Ruinen, wie so manchem Baumeister auch, der an gotische Herauskerung des derüstes gewönt war, noch unverständlich blieb, hat doch mit seinem Auge sofort die Grossartigkeit der antiken Rauniformen, die Macht und Einfachheit solcher Einblicke begriffen. Wie lang-er Studien und wie allmählicher Gewönung der Architekten hat es bedurft, um aus der Kleinheit der Abmessungen oder der

') Benoszo bat diese Fertigkeit bei Paolo Uocelto erworben, vielieicbt aach ebenso «ie Fra Filippo mit llidielmao in Befielmiiff g^tanden, beror «r sa Fr» AogeUco jiadL Rom gieng.

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Inmemraum und Figuren bariH

Schlankheit der Proportionen herauszuwachsen zur Weiträumigk^ und Hoheit der römischen Kaiserbauten in einstiger T Herrlichkeit!

Das Bemühen um die perspektivische Bewältigung der römischen innenräume geht bei dem Maler in S. demente, wie sogleich das erste Bild der Katharinenlegende ^) beweist, Hand in Hand mit der Herstellung eines richtii^cii Verhältnisses zwischen dem architek- tonischen Schauplatz und den darin auftretenden Personen. Er wagt es, auf einen Altar von der Form eines länglichen Sechsecks, dessen breitere Rückwand schräg gegen die Seitenkoulisse ge- schoben ist, eine kurze Sänie mit der nackten Statnc des Gotte? auf dem Kapitell, also einen Aufbau von ziemlicher Hohe, in den Tempel zu stellen, und diesen Mittelpunkt der heidnischen Ver- ehrung von der höchsten Stelle inmitten des Kuppelraiimes ganz nach rechts zu schieben, um so, für den Beschauer am Eingang der Kapelle, die Hauptsache des Vorgfan^-s möglichst übersichtlich vorzuftiren und die Personen in ihrer Beziehung auf dieses Stand- bild klar und firei zu entfalten.

Schräg hinein blicken wir in den Tempel und sehen an der vordem Breitseite des Altars grade vor dem Götterbild, von dem sie redet, Katharina selber stehen. In sprechender Gebärde weist sie mit der Linken hinauf zu dem Idol, indem sich ihr Blick zu dem Fürsten wendet, der zu ihrer Reihten mit gefalteten Händen anbetend emporschaut. Wahrend die lioiUge, nur durch ihren Nimbus um das Haupt und das reine Ebenmafs ihrer Züge als Trägerin höherer Erleuchtung kenntlicK in schlichtem Kleide jungfräuliche Bescheidenheit bewart, erscheint der Götzen- diener mit spitzem Vollbart im schweren pelzverbrämten FOrstenr» ck. der nach der Mode des fünh'chnten Jarhunderts bis auf die 1 üs>' reicht, mit prächtigem Gürtel um die Hüften, wol erkennbar als Gebieter, aber keineswegs pomphaft ausstaffiert wie die Könige auf den Märchenbildern eines Gentile da Fabriano f>der Benozzo Gozzoli. Ein Page hinter ihm hält übrigens die Kopfbedeckui^ mit dem goldnen Reifen darum während der Andacht des Herrschers in der Hand, und Höflinge in bunterem Schmuck bilden sein Gefolge, indess im weiteren Kreise Verehrer verschiedenen Alters herum- stehen, in Anbetung oder Verwunderung zum Götterbild aufblicken, zu dessen Ruhm ein Tuba blase r hinter dem Fürsten soeben eine Fanfare gegen die Wölbung schmettert, als gälte es die Manung der Heiligen gewahsam zu übertönen.

Der zierlich gekleidete, junge Mann mit geringelten Locken, mit bunt gestickten vStrumpfhosen und weit abstehendem Rockscho£i|

" ») VgJ. nnwre Tafel IV »).

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koSTÜMFIGUR PiSANELLOS?

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ist neuerdiags besondere Veranlassung geworden, auf den Zusammen- hang dieser Fresken in S. demente mit Vittore Fisano hinzuweisen. Wickhoff meint es sei dies »dne Tracht, die von Pfsanelk) erfunden oder doch umgebildet ist, da sie sich nur bei ihm oder seinen direkten Nachfolgern findet, und zumeist, wie auch hier fta vom Rücken gesehene Figruren verwendet wird. Er muss direkt nach einem Werke des Pisanello kopiert sein«. Die chronologische Vor« aussetzung dieses Exempels aus der KostOmgeschichte beruht auf einem Irrtum. Der Versuch, eine solche Kostümiigur überhaupt als zwingendes Beweisstack auf die Person eines Meisters zurackzidtlren, kann in dieser Aussdiliesslicfakeit ausserdem nur zu verhängnisvollen Fehlschlüssen verleiten. Pisanello hat in seinem emsigen Eifer die Ersch^nung der Wirklichkeit wiederzugeben sicher gar kein Kostüm erfunden, wenn es sich um Darstellung wirklicher Menschen, nicht biblischer Personen oder himmlischer Wesen handelte. Es wflre möglich, dass er ein Kostüm, das in der abenteuerlichen Mode seiner Z^t vorkam, nach künstlerischer Laune »umgebildet« hat, wie Wickhoff, sich selbst einschränkend, hinzufUgft Haben wir aber an diesem Jüngling in Rom nur die Wiedergabe einer Zeittracht, wenn auch einer gesucht koketten, eben höfischen Geckentracht, so kann es sidi nur um die Frage handeln, ob die Wiedergabe hier auf dem Fresko in S. Qemente die Behandlungsweise PisaneUos zeigt ? Und diese Frage muss ebenso entschieden verneint werden, ide im Kostüm des Kaisers der Wetteifer mit Crentile da Fabriano oder seinen Geschmacksgenossen. Das Seltsame an dieser Tradit ist nur der Schnitt mit dem, nach Art von Weiberrödcen, &ltenrek:h und wulstig abstehenden Ansatz unten. Pisanello giebt uns, wo er zeichnet oder malt, nicht auf Medaillen, wo er den Bedingungen des Relie& gemäss vereinfacht, eine Bereicherung des Besatzes nach der minutiösen Vorliebe seiner Heimat und der befireundeten, von vene^nischem Luxus oder firanzötisch-burgundiscfaer Zier mit angesteckten Höfe Oberitaliens, unter denen die Este von Ferrara nachweislich hervorragen. Dort, wo die Ricamatori und andre Kleiderkflnstler den Löwenanteil an dem Aufwand der Fürsten und Herrn davontrugen, erklärt sich dies Uebermals kostbarer Stickerei und abenteuerlicher Bordflren von Pfauenfedern, (xoldfransen und ausgeschlagenen Tuchzaddeln. Vergleicht man aber z. B. in einem Hauptstück, wie der Anbetung der Könige, dem Rundbild in Berlin, das auch Wickhoff sicher im Auge hat, diese Auswal üppiger Mode* kostflme mit der Gewandung der biblischen Personen, die so völlig in gotischer Befiingenheit beharrt, so kommt man zu der Meinung, Pisandlo könne diese Kostüme auch nur durch sorgfältigstes Nach-

Scbnarftow, Ifastodo^Stndien. IV. 8

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Masaccio und Pisanello

amen wirklicher Exemplare steh angeeigpiet haben, wie alle seine Eroberungfen aus der Wirklichkeit sonst, und habe sicher nicht phantasiert, sondern die IJebHngsscb&tze aus der Guardaroba seiner Besteller darin konterfeit. Von dieser kleinlichen Wiedergabe, dieser strotzenden Ueberladung mit Einzelheiten ist an jenem Corpus delicti in S. Gemente gamtchts zu spüren; eher ist das Vorbild ver- einfacht , besonders in dieser plastisch wichtigen Nonnalfigur des Vordergrundes» und von einer NachftfiPung Pisanellos konnte schon deshalb nicht die Rede sein. Dieser junge Mann zur Seite des Kaisers steht hier so viel freier und sichrer da, und es kam dem Maler auf dies feste, selbständige, allseits runde Behaupten seines Platzes als Körper im Raum so viel an, dass der Einfall, sie könne nach einem Werke Pisanellos direkt kopiert sein, nur wenig Ver- ständnis für die Schwierigkeit der Haujitsache, des tektontsclien Aufbaues dieser Komposition, und damit für das übrige Wollen und Können dieses Malers bekundet Das Bild Pisanellos in Berlin wird mit Recht auf dessen letzte Lebenszeit, kurz vor der Mitte des fünfzehnten Jarhunderts datiert, in die auch die Mefarzal seiner Medaillen gehört, oder von Andern schon einem Nachfolger zugeteilt Es ist also nicht nötig, auf den Anadironismus in jener Vermutung weiter einzugehen und einen Vergleich mit früheren Malereien, wie am Brenzoni-Grab in S. Fermozu Verona zur Berichtigung derartiger Willkür zu empfelen, oder auf den Freskeneyklus des Lorenzo und Jacopo da San Severino in der Kapelle Johannes des Täufers zu Urbino von 141 6 zurückzuweisen, oder auf die Deckenbilder des Ottaviaso Neil! im Palazzo Pubblico (Trinci) zu Fuligno, wo 1424 im Tempeln gang Marias schon genau solche Kostüme aus freiem Antrieb hin« gestellt worden. Wenn Pisanello seit 1431 solche Gestalten zo malen Hebt, so wären wir eher zu der Anname berechtigt^ er habe die Anregung dazu auf sdnem Wege nach Rom oder gar aus diesem Beispiel in S. demente empfangen, während die Mode inzwischen sidi selber gesteigert hatte und solange überbot, bis sie unmöglich wurde *)•

Im Ucbrigen sehen wir diese Trachten auch auf einem Werke^ das für die Frage nach Masaccios oder Masolinos Autorschaft sieber in Betracht kommt, bevor an Pisanellos Wirksamkeit in Rom zu denken wäre, nämlich auf dem Altärchen, das Papst Martin V. für seine Familienkapelle in S. Maria Maggiore gestiftet, mit der Grründung der alten Basilika darauf. Und es ist beachtenswert dass

Hier liegt also cbrooologjick «u^ereOit du Material ta eiftcn Sapilel der KoitfliDgeKhIdit« ItatieiM, deren giemmmt Bcaditiiiig wadi Koiuidiistoiikcni m Galt klnMi

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ALTAkiVERK VON S. M. MAGGIORE

der Kaiser und sein nächster Begleiter, denen Katharina die Eitel- keit des Gützendionstes vorwirft, genau mit den Zügen zweier Personen unter den Zuschrmern dieses Wunders der Madonna della Nevp übereinstimmen : mit Johannes l^atritius, in dem man den Kiinig Sigismund sah, und einem andern Vornemon des Tiinter- gTiindes. Sie tragen, wie Ober den Lippen, auch am Kinn den spitz gezogenen Bart, der unten sich spaltet und etwas struppiges, schräg aus der Stirn gekämmtes Haar Aul dem selben Bildchen in Neapel finden wir im Hintergrund neben jenem fürstlichen Herrn den Kopf eines Aufblickenden in starker Verkürznnt»- vom Kinn aus gesehen, w'ip er s hr ähnlich bei der \ etehrung des (lötterbildes ganz rechts im I Cmjx'l vorkommt. Ueberhaupt ist die Verwandtschaft der Typen zwischen den Bildern aus S. M. Maggiorc und dem ersten Stück der Katharinenlegende von S. Clemente so ausserordentlich nah, wie es bei der Verschiedenheit des Mafsslabes und der Technik nur irgend sein kann, und ebenso zeigt sich in beiden das Streben nach Abwechslung in Alter, Ausdruck und C harakter dieser Köpfe, die als Zuschauer eines kritischen Vorganges auftreten. So viel sich aus den weniger übermalten Teilen des Freskobildes entnemen lässt, bietet selbst die Malweise, die Farbenwal und Behandlung die nämlichen Analogieen, wie die Darstellung der römischen Architektur, so dass der sorgfältige Anfang der Katharinengeschichte nur wie ein weiterer Schritt auf dem dort bereits eingeschlagenen Wege angesehen werden darf. Beide Werke gehören einem und dem selben Maler, und grade die persjH kiivische Methode im Schnee- wunder hat uns bestimmt, diese Leistung nur dem Masaccio zuzu- trauen.

In dem Freskowerk von S. Clemente bestätigt aber sogleich die nächste Scene, das erste Bild der untern Reihe, die Konsequenz der perspektivischen Berechnung, die wir im oberen hervorgehoben. Wir blicken auch hier, dem Standpunkt des Beschauers unter dem Eini^^ingsbogen gemäss, seitlich in ein schmales Gemach, in dem die Dibputation K atharinas') mit den Philosophen stattfindet, hinein und zwar in der nämlichen Verschiebung wie oben, nur nicht in so starker Untensicht, so dass wir den anstossenden Iva um oberhalb des Parapets so sehen, als wäre nur die trennende S liniahvand ge- fallen. Die linke Seitenwand erscheint deshalb in stärkerer Ver- kürzung als die gegenüberhegende rechte, und der Kaiser, der auf dem Podium genau in der Mitte der Schlusswand hinten tronend den Vorsitz fürt, verschiebt sich auf der Bildfläche etwas nach

') Vgl. unsere Talel V, a)

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DisPUTAtioN Katharinas

links. So kcmnte In der Mittellinie des Wandfeldes selbst die Gestalt der idealen Hauptperson aufgestellt werden, ohne die des Madit- habers zu verdecke». Aber noch ein Vorteil wurde erreidit: diese Bfafsregel gestattete dem Maler audi die Folge der Disputation, von der die Legende erzält, mit anzudeuten, d. h. ein kle^es BQd in das gfrOssere au&unemen. Die breitere Wand rechts wäre n kahl ersdiienen. Dedialb trdbt der Meister die perspektivisclie Täuschung noch weiter zu einer neuen Leistung in dem eröfineteo Innenraum des Konklave: er lässt uns durch dn breites» niedriges Fenster in dieser Wand hinausscfaauen ins Freie, wo die b^erteo Philosophen, von Katharina ermutigt, den Flammentod erleiden. So wird ein notwendiger Moment der Legende miterxfilt, den man seltsamer WefeiB für ein Gemälde mit den »Seden Im Fegefeuer« angesehen und für eine spätere Zutat erklärt hat'). Schon die Wiedergabe der Mauerdicke und die perspektivische Zeichnung der Wanddfihung hätte aber die Aechtheit und UrsprüngUdikdt dieses Bestandteiles aufklären sdlen, der bei der ganzen Veradildinng der Ansicht gamicht entbert werden kann, vielleicht gar als Entstellungs- ursache mitgespielt hat

Und wie wenig in dieser Absiebt ein Versehen oder eine Nadi- lässigkeit zugegeben werden darf, beweist die lineare Konstrukdoo des Gemaches» dessen Deckenhöhe etwas über den obem Rand des Ramens oder Wandausschnittes, durch den wir schauen, hinaus- ragt. Diese bewusste Bewältigung einer Schwierigkeit zu Gunsten der Figurenkomposition und ihrer innmn Bedeutung fiült für die Kunst des Malers um sq schwerer ins Gewicht, je emfiuiher, an- spruchsloser die Handlung selber vorgeftirt wird. Links und rechts eine Bank, auf denen je vier Philosophen zuhörend still sitzen. Auf dem Xron vor einem Wandteppich der Kaiser in seinem peli' gefütterten Rock, auf dem Kopf einen mOrserartlgen FÜzhut mk niedergeklapptem Rande, nur mit Idditer Bewegung der finken Hand die innere Abwer verratend; in der Mitte, ganz im Profil nach finks gewandt, Katharina stehend, wie sie schlicht und be- scheiden ihre Grflnde an den Fingern herzält Nur die lichte sywr patfaisdie Erscheinung selber kann för den Inhalt wirken, den sit ve^ tritt; ihr Ausdruck ist sanft und milde, eher gefillvoll als streitbar die Gebärde, nur die konventiimelle Andeutung des logischen Disputiereoiit kein Zug an ihr rhetorisch aufgeregt Es ist der Augenblick, wo ihre Rede tiberzeugend die Gegner und deren Einwände zum Schwdgeo

*) So noch Cavalcasellc in der iUlienischcii Ausgabe 1883, S. 275, i., ot>gIcicb die sinnlose Erklärung des Gegeiutaiides bereits ia der deutschen Aus^ibe v<» Jordaa richtiggestellt war.

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Disputation Katharinas

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bringt; sie ergeben sich ruhig, legen die Hände in den Schofs, horchen andächtig, begleiten den Eindruck ihrer Worte kaum durch ein staunendes oder beipflichtendes vSpicl der Finger; nur die Mienen drücken tiefere Ergriffenheit, widerwilligen Umstur/ aller Gedanken aus. Der räumliche Eindruck wirkt fast mehr als die Aktion der Versammlung zu dem Ziel, als handle es sich hier um eine Ver- schiebung der bisherigen Weltansicht, als wanke bereits die Axe unter dem herrschenden Mittelpunkt. Von den Mitteln des Aus- drucks, sprechenden GrsLen und dergleichen besitzt der Maler noch wenig, um die Welt der i jcdatiken und Gefüle nach aussen siclitbar 2u machen. Stärkere Bewegung verbot der Anstand geistlicher Herren vielleicht durchaus. Aber in den Köpfen ist schon durch Haltung imd Miene viel erreicht. Aufwärts gezogene Brauen nd^r finster bedeckte, einwärts blickende Augen, abwärts sinkende Mund- winkel geben Grundzüge der Stiminutig, die er beobachtet hat. Die Rrihe der nächsten Hörer, zu denen sich Katharina wendet, sind in ihrer besseren Erhaltung ebensoviel Zeugnisse für die Fähigkeit des Malers, auch Charaktere, ganze Individuen in ruhiger Gegenwart lebendig um] w irksam zu fassen. Der alte, kahle Röraerschädel ist schon machtvoll genug und der vorderste im Käppchcn scheint ebenso das Abbild eines Kirchenfürsten, in dem man die Züge des Stifters Kardinal Branda vermuten muss. Die Uebercinstimmung mit der ßildnisreihe Martins V. und seiner Kardinäle auf dem Täfelrhon aus S. M, Maggiore ist auch hi( r noch unverkennbar, wenn die Gewandung der Sitzenden auch schon breiter und malerischer drapiert, die Körperlichkeit durch den Malsstab schon stärker ist als dort.

In dem kleinen Ausbhck zur Seite erkennt man nur noch Katharina, in ähnlicher Haltuntr wie im Hauptbilde, nach rechts hm die Reihe der Verbrennenden abschreitend, und denkt ihre zuversichtlich vcrheissenden Worte hinzu.

Ganz anders als hier sind im zweiten P)ilde des Bogenfeldes, rechts neben der Tempelscene, zwei Momente in einem Kamen vereinigt, die zeitlich auseinanderliegen oder durch Einschaltung des Mittelbildcs unten erst den Kausalnexus erhalten, den die Legende er- zält : die B e k e r u n g d e r K Ti n i g i n ') bei ihrem Besuch am Kerker Katharinas und die Enüiauptung der gläubig gewordenen Fürstin, die erst durch ihr Auftreten nach dem Rad wunder veranlasst wird. Hier sind \>r\dc Ereignisse in gleich grossen Figuren dicht nel)en- einander vorgefürt, weil der Maler die Dreiteilung des Bogenleldes

'j Vgl unsere X«fel IV, b).

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Bekerung der Königin

aus architektonischen Rücksichten gewiss ebenso unzulässig, wie die entsprechende Schmälening der Bildflächen, die dann entstanden wären, mit den verschiedenen Aufgaben seiner Kompositionen unver- einbar fand. Die Tempelscene verlangte für eine Fcstversatnisluilg schon grössere Breite, und die folgenden Momente konnten nur im schlichtesten Ton, in dem dieser Meister zu erzälen weiss, auf wenige Hauptpersonen beschränkt, daneben noch zur Darstellung kommen. Während dort bewusste Wal der perspektivischen Schwierigkeit vorlag, miiss hier ebenso bewusste Vereinfachung des legendarischen Vonvurfs erkannt werden, durch die er Klarheit im Verständnis des wertvollsten Inhaltes ebenso wie Sorg&lt in der Durchbildung des Einzelnen zu sichern weiss.

Ein Blick auf die Darstellung der nämlichen Geschichte, die Spinello Aretino in der Kapelle der Villa Alberti zu Antella bei Florenz um 1386 gemalt hatte'), belert darüber und zwar um so entscheidender, als die Kenntnis dieses Freskeneyklus sich durch Einzelheiten der Inscenierung deutlich genug in S. Clemente verrat

War dort schon das Auftreten Katharinas g^gen den Götzen- dienst als öffentlicher Zwischenfiill in der Opferfestlichkeit auf freiem Platz geschildert, wo linlcs der Kaiser tront, rechts die Aedicola mit dem bronzenen GrOtterbild auf gewundener Säule sich dfibet, mit Priestern, Posaunenbläsem und knieenden Betern davor, in der Mitte dicht vor der Leibwache Katharina redend dazwischen tritt, so namen die Disputation und die Verbrennung der Philosophen zwei ganze Bilder ein. Die erstere findet nach giottesker Art in niedriger Loggia statt, wo der Kaiser rechts zu Häupten unter der Kuppel tront, Katharina links am wolbewachten Eingang stdit, dazwischen auf querstefaenden Bänken die Philosophen sitzen, deren vordere Reihe uns den Rücken kert. In der anderen fürt der Kaiser ebenso den Vorsitz, und Katharina darf, von der Leibwache gehütet, an der Schwelle des Flammenpfuls den Sterbenden predigen. Darunter folgen wieder zwei Darstellungen: auf der Einen sehen wir die Erscheinung Giristi bei Katharina im Kerker und die Bekerung der Kaiserin mit Porphyrius und seinen Mannen, die vor dem Gitter des Käfigs knieen; auf der Andern muss Katharina vom Söller herab mit dem Kaiser der Hinrichtung zuschauen, die drunten

*) Am It. Juli 1387 fehlte nach dem TesUment de« veibaanten Bestellen Btm- detto degli Alberti nur noch das Bogenfeld über dem Altarbaus mit der Hinrkfatiuis ond Bestattung Katbarinas. Vgl, Passe rini, GH Alberti di Fircnze l8;o. II, i?^ u. Schmarsow, S. Catcrina in Anteil», Nationalzeitung, 25. Dec. 1888 a. Fcstscbrifi IM Ehren des kunsthist. Inst, zu Florenz, 1S97, p. 29 fi. mit Abbildungen.

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Masaccio und Spinello Aretino

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im Palasthof an der Kaiserin, dem Hauptmann und seinen Leuten

vollzogen wird.

Micr in Rom bleibt also die ganze Söldnersdiar mit J^orphyrius an der Spitze, ebenso wie die Vision der Heiligen im Kerker bei Seite. Und kommt der Verzicht auf diesen überirdischen Verker mit dem himmlischen Bräutigam, wie auf die Verlobung mit dem Christkind, die Spinello aiisfiirüch schildert, auch vielleicht auf Rechnung des geistliclien ilrrrn, der den Cyklus in S. Clcmcnte bestellt hat, so ist doch die Abwer der Leibwache und ihres Be- felshabers für den Maler jedenfalls zugleich ein Opfer wie ein Vor- teil. — jedenfalls ein Entschluss, der seine Kunst^veise sehr be- zeichnend von der seines Vorgängers Spinello unterscheidet. Der Meister bekundet sich als echten Florentiner, der die Bestrebungen der Letztlinge des Trecento, zu denen der Arctiner Spinello gehört, sehr wol gekannt hat ; aber sein persönliches Urteil fürt ihn über diese Ausläufer der Giottoschule zu den grossen Hauptmeistern zurück ; er zieht die Einfachheit der Kompositionen mit wenigen Figuren überall da vor, wo es auf Vermittlung eines geistigen Ge- haltes oder aul anmittelbar verständliche Darlegxmg ursächlichen Zusammenhangs ankommt, er verzichtet auf den malerischen Reich- tum, den er .sonst wol zu schätzen weiss, zu ( unsten der Hauptsache, des Kernes, den er mit einschneidender Scharfe bloszulegen weiss, während Spinello leicht die Nebendinge ihn überwuchern lässt Dieser florentmische Charakter df.s ^Vutors ist ein Erbteil, von dem weder Pisanello noch Gentile etwas aulzuweisen haben!

Aui der zweiten Hälfte des ßogenfcides in S. demente sehen wir in der Mitte einen turmartigen Bau als vordem Abschluss einer Häuserreihe, die sich links in perspektivischer Ansicht der Strassen- fiucht hinanzieht. Im Erdgeschoss des Turmverliesses ist Katharina eingesperrt, schaut aber aus niedrigem Fenster ungehindert von Gitterwerk oder sonstigem Verschluss, mit dem halben Körper vor- geneigt, zur Königin heraus, die sich in der Stille der Nadit ihren Polstersessel auf die Strasse gestellt hat, und in traulicher Zwie- sprach den Lehren der Heiligen ihr Herz Offitet Die Scene gleicht in der Anordnung aufiallend dem Fresko Spinellos mit dem Besuch der jungen Katharina beim Eremiten: dort schaut der Lehrer aus dem Fenster seiner Zelle und spricht zu der jungen Disputantin, die draussen sitzend allerdings auch gestikuliert. Aber wie ganze Familie und Gefolgschaft, die bei Spinello zuschaut, hier be- seitigt worden« so hat, der Florentiner in Rom das innige Verhältnis der beiden weiblichen Personen überraschend fein empfunden, so dass man mit Recht dabei an Fra Angelicos sinnige Schöpfungen dieser

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Enthauptung der Königin

Art erinnert hat, ohne doch eine Abhängigkeit des Künstlers hier von dem frominen Klosterbruder voraussetzen zu dürfen« zumal da die nachweislichen Beispiele bei dem Letztern schwerlich so früh zu datieren sind. Grade im Gegensatz zu dem lebhaften Temperament der dialektisch begabten Königstochter bei Spinello ist hier in der ganzen Gestalt und Haltung der Kaiserin die Sammlung und Be- schaulichkeit des tiefergriffenen Gemüts zum Ausdruck gebracht Die hohe Frau, nicht ohne Schleiertuch und Krone, sitzt ganz an Katharinas Lippen hangend da, und legt die Hände fest zusaminen- gefasst auf die Knie, als wäre es dem Maler darauf angekommen, die völlig andre Natur ihres Wesens und ihres Seelenzustandes herauszuarbeiten. Ganz im Profil, wie der Kopf der Hörerin, ist auch die Gefangene ihr zugewendet; sie stützt sich mit der Linken auf die Fensterbank und erhebt die Rechte wie eindringlich maneod oder unterrichtend, vielleicht gar weist sie gen Himmel, indem sie der Neubekerten das Martyrium vorraussagt, das sie erleiden soll.

Daneben sogleich die Erfüllung. Rechts vor der Aussenseite des Gefängnisses hegt der entseelte Körper der Kaiserin, auf die Einbogen gestützt, wie sie in betender Haltung vom Streich des Henkers getroffen dahinsank, und der Kopf daneben, vom Rumpfe getrennt, mit langgezogenem Schleiertuche am Boden hingerollt, während ein Engel die Seele der Gläubigen in Kindergestalt zum Himmel trägt. Vor der Kerkermauer steht der Scharfrichter nach vollbrachter Arbeit, im Begriff, das lange Schwert wieder in die Scheide zu stossen. Es ist eine hohe Gestalt in eng anliegender Jacke und Strumpfhosen; weit ausholend mit dem Arm und in voller Aufmerksamkeit herabblickend auf die sorgffkltige Bergung der scharfen Klinge, deren vSpitze er soeben in die Oeffnung fürt, steht er fest auf dem rechten Bein, während das linke sich streckt und die Fussfole vom Boden hebt, so dass nur noch die Zehen ihm Halt gewären. Das Motiv findet sich wieder bei Spinello Aretino. der den Tod Katherinas in diesem Moment unmittelbar nach der Enthauptung selber darstellt. Leider ist auf diesem i^ilde zur Rechten des Triumphbogens j^rade die Fiq-nr des Henkers in ihrem obern Teil bis zur Hälfte des linken Oberarms verloren ; aber die Spitze des Schwertes, die in die Scheide geht, deutlich sichtbar, das Ausschreiten der Beine heftiger gegeben, aber die ganze Bewegung nach Spinellos Art nur flüchtig beobachtet und oberflächlich ange- deutet. Genug, wenn er die dichtende Phantasie des Beschauers anregt, das Ihrige hinzu zu tun. Ganz anders dieser Künstler des Ouattrr>- cento in S. demente. Die Bewegung der ganzen Gestalt auf dem Wendepunkte wiederzugeben^ wie die schwebende Haltung des

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Masaccio und Masoijno

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nachgezogenen Beines nodi das vorangegangene Ausholen des rechten Armes begleitend malt, und zugleich die volle Tätigkeit des Willens auf die zweckmässige Leitung seiner Werkzeuge ge- richtet, bei der Schwierigkeit des Zielens und der Vorsicht ftir die Schärfe des Stals eine Weile braucht, ehe der Stoss abwärts folgen kann, diese kritische Spannung auf der Höhe, wo der Atem stockt und die Glieder elastisch in der Schwebe bleiben, das ist es, was ihn fesselt und was er geben will. Leider verbietet audi hier die Uebermalung, weiter auf die Einzelheiten der Durchfürung ein- zugehen ; aber schon die Umrisszeichnung sagt genug für den Emst der Absicht Sie fordert jeden&lls zum Vergleich mit der ganz venvandten Scene, der Enthau ptu ng Johannes des Täufers im Baptisteriiim von Castiglione d'Olona heraus, die Masollno um 1435 gemalt hat. Iiier liegt, wie wir{I, 6>Tiif. 19.) sahen, der Körper über dem Rand der Schwelle, sehr ungeschickt und ungenügend in der Ver- kürzung; dn J^utstral bildet eine Lache daneben, aber das Haupt scheint noch am Rumpfe zu hängen. Der Henker dagegen streicht schon das Blut von dem langen Schwert ab, das unmittelbar nach dem Hiebe zurückgeschlagen nach rückwärts sinkt. Demgemäss ist die Haltung des Oberkörpers mit dem einen erhobenen und nach hinten zurückgebogenen, dem andern nach vorn gekrümmten Arm viel schwieriger, aber in der starren Eisenrtlstung auch keineswegs plastisch erfipeulich. noch in der Verkürzung so Oberzeugend gelungen. Die Stellung der Beine ist fast die nämlich r wie in Rom, nur das Spielbein nicht so elastisch bewegt, die Fussfole nicht vom Boden gelöst, also nur ein seitliches Ausschreiten gewollt, wie es der A[ani- pulation an der abwärts hängenden Schwertspitze entsprach. Damit verliert diese untere Hälfte des Körpers allerdings sehr an Reiz, zumal da die Beine kürzer und stämmiger gebildet, wie man sieht, durch die Eisenhülle sogar nachträglich noch verstärkt sind. Sehr bezeichnend ist der Unterschied des Modells oder der gewältcn F*roportionen : dort in Castiglione ein junger, robuster Kerl, unter- setzt in den Verhältnissen des Körperbaues, voll und weich im Fleisch, etwas mühsam sich bewegend bei seiner Gedrungenheit im starren Panzer; hier in Rom ein älterer aber schlanker Fechter, lang gestreckt, aber gestält in den Muskeln aller Glieder, sichtlich von schnellster Bereitschaft für jede Kraftlcistung, eher ein etwas ausgemergelter, sonnenverbrannter Torero. Dort in Castiglione haben wir sicher einen Lombarden, hier in Rom keinen Römer, sondern einen Florentiner vor uns, oder wenigstens die Normalfigur der florentinischen Maler am Anfang des neuen Jahrhunderts, die über- höhten Proportionen der gotischen Bauhütten am Uebergang aus

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Römische Modellstudien

dem Troconto. Solch ein Unterschied ist ganz erklärlich, weno jerirr ;ini i nde einer langern Arbeit auf mailändischem Gebiete, im Verkcr mit den Fantini der Casa Castiglione oder den Reitknechten des Kardinals Branda zu Stande kam. dieser dat^^ecren am Anfange eines Auftrages in Rom, wo die Gewonheit der Üoreiitinischen Heimat noch überwog, bis antike Statuen und i»Romani di Roma» bestimmenden Einfluss auf die Anschauung des Malers gewonnen. Und diese Erklärung muss man beim Verfolpr der Katharinenlegende um so mehr vorraussetzen, als in ähnlichen Gestalten sehr bald ein Wechsel des Maisstabes oder des Modells bemerkbar wird. An Stelle des hochaufgeschossenen schlanken Toskaners tritt der kürzere Römertypus, nachdem sich in Kostümfiguren, den ] -ndürfnissen der Raumdarstellung entsprechend, schon vorher diese bequemem Pro- portionen emgestellt hatten.

Solche römische Modelistudien machen sich schon in dem zunächst dazugehörigen untern Bilde, in der wunderbaren Zerstörung des Marterwerkzeugs bemerkbar, wo die Schwierigkeit der Aufg^abe sorgftiltigc Vorbereitung des Ganzen erheischte. Diese beliebte Hauptscene aus der Legende der hl. Katharina, die im Cyklus Spinellos in Antella leider übertüncht worden ist nimmt hier in S. demente die Mitte der untern ßÜderreihe grade unter dem Höhenlot des Bogenfeldes ein, steht also an der Hauptstelle der ganzen Wand, besonders für den eingetretenen Besucher im Innern der Kapelle.

Zur Rechten und im Hintergrunde ist der Palasthof durch hohe Mauern geschlossen, die ursprünglich aus lauter hohen schmalen Arkaden gebildet, wie die Tribuna des Tempels oben, uns abermals an die allzu luftige Wiedergabe römischer Aquaedukte auf dem Bildchen aus S. M. Maggiore erinnern, und perspektivisch gezeichnet einst den Durchblick in die Landschaft gewärten, jetzt aber nach der Uebermalung nur als Blcndarkatur massiver Wände erscheinen. *), Die schwanken Bogenreihen tragen auf ihrer verbindenden Ober- mauer einen breiteren Pries und ein weit vorspringendes Gesims, das den modernen Restauratoren mit Recht zu schwer vorkam. Es schliesst sich jedoch an die gleiche Simsbildung der Brustwehr eines Vorbaues an, der an der hintern Ecke h'nks in den Hof hinein- tritt. LTnten wird er von einer Säule getragen, die so mit zwei festen Wänden eine quadratische Loggia bildet, während auf dem

*) Erkennbar ist alleidingi, dais die Riderune ei>enso im Pdudiot gndüdit wie die Hinrichtang des Porphynns, also die Verwandtschaft des Schauplatzes auch in Rom.

*) Vgl. den Stich Labruzzis, nach dem unsere Abbildung V, b)b mit dco fiml»- gjraphieen Ton Brano und Alinari nach der Uel)erschmieningl

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Das Radwunder

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Dach dieses Untergeschosses durch eine massive Brustwehr und zwei kleinere Säulen mit einem Holzdach darüber, das an die Palast- mauer lehnt, eine obere Pergola gebildet wird. Dieser ganze Vor- bau ist offenbar ein beliebtes Stück damaliger Palastbauten; denn wir finden eine schmuckvoUere Version der nämlichen Grundform in Castiglione als Festhalle, wo Herodes tafelt, statt der hohen Um- iassuogsmauern des Hofes, die in S. Clemente nur inisverständlich nach römischen Ruinen gezeichnet wurden, die offene Wandelbabn mit Halbkreisbogen auf niedrigen Säulen im Geschmack der Floren- tiner Renaissance. Im Ganzen steht aber der Palasthof in Rom seinen Vorbildern im Trecento, sei es von Spinello Aretino in An- tella oder von den Lorenzetti in S. M. dei Servi zu Siena viel näher, als das entwickeltere Beispiel im Baptisterium zu Castiglione, und schon aus diesem Grunde wäre die Anname einer spätem Ent- stehung der Fresken von S. Clemente wol abzulehnen, besonders aber wenn sie von einem und demselben Meister etwa zehn Jahre nach jenen gemalt sein sollen !

Auf dem vorspringenden Söller steht als Zuschauer der Kaiser und eine zweite Person, in der wir der Legende zufolge die Kaiserin erkennen müssten. In seiner hohen Pelzmütze mit aufgeklapptem Rande schaut Maxentius herab, und erhebt die Hände staunend über das Wunder, das sich drunten so unerwartet und blitzschnell vollzieht. Dort sind die beiden nach dem Rat eines Höflings ge- bauten Räder mit eisernen Haken anf rlom Rande so dicht ))ei ein- ander aufgestellt, dass zwischen ihnen nur für das Opfer der (jrau- samkeit Platz bleibt. Das Eine vor ihr, das Andere hinter ihr, in entgegengesetzter Richtung- gedreht, sollen die Heilige zerfleischen. Katliarina steht gefasst zwischen den furchtbaren Werkzeugen, mit betend erhobenen Händen den Blick gen Himmel richtend, ganz in Profil nach rechts. Ihre schUchte Gestalt ist ganz die selbe geblieben, wie auf den vorigen Bildern; denn durch den Schutz des Höchsten haben ihr Hnnirer und Kerkersnot nichts anzuhaben vermocht. Die beiden Knechte, dio die Räder drehen sollen, haben in voller Tätigkeit alle Kraft angestrengt. Um dies recht anschaulich zu zeigen, sind die Maschinen gegen die vordere Ecke des Bildes zu in schräger Linie aufgestellt. So sehen wir den am Vorderrade nach innen drehenden Mann zur Hälfte nur durch die Speichen hindurch; aus- schreitend und vornübergebeugt setzt er die ganze Wucht des Körpers pegen die Kurbel, während das rückwärts bleibende Bein sich hebt und die Zchoti L'cgen den Boden stemmt. So ist im Vordergrund hnks für den Arbeiter am Hinterrade Raum, ebenso nachdrücklich seine Stärke zu entfalten, indem wir ihn von vorn sehen. Kr trägt

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Der RETTEm>E Engel

nur einen hemdartigen Kittel, die Beine sin(] nackt; ausschreitend vornüber gebeugt umspannt er mit b^den Fäusten die Handhabe und setzt das schwere Rad in Umschwung, ohne hinzusehen, wie

die Eisenhaken fassen. Aber die stalbewerten Radreifen zersplittern wie Glas, ehe sie Katharina berüren, die zerhackten Klötze fliegen den Zuschauern an den Kopf, dass sie entsetzt davoneilen oder ge- troffen zu Boden stürzen, und der grausame Anstifter des Ganzen ist selber gerichtet Dies Wunder ist das Werk eines Engels, der in hastigem Flug aus der Höhe hemiederschoss und mit himmlischem Schwerte das menschliche Machwerk zerschlug. Wie der Blitz Üxt sein Stalj herum; denn am Hinterrad ists geschehen, während er schon das Vorderrad streift, und fast senkrecht stOsst er aus der Luftregion auf sein Ziel.

Diese Durchbrechung der Naturgesetze zeigt auch den Wider- spruch, in dem sich der Maler zwischen seinem Gegenstand, der Wunderlegende, und seinem künstlerischen Wollen, der wirklichkeits- treuen Veranschaulichung befindet. Der Engel ist, soweit er menschlich gestaltet werden konnte, vorzüglich in der Augenblicksbew^g^ng erfasst: beide Arme strecken sich, das Schwert haltend, vor, das Antlitz blickt auf den Zielpunkt, während die rückwärts wehenden Haare die Schnelligkeit und Richtung der Bewegung eikennen lassen; aber an den Acbsoin spannen sich Flagel in horizontaler Haltung, zur Hemmung des Fluges immerhin, und der Kldder- rock vom Gürtel ab nimmt niederfallend die Gestalt eines Blumen« kelches an, dessen Randzipfel auf die Seite überklappt Erst wenn man sich klar macht, was in Engelserscheinungen solcher Art in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts oder im ersten Viertel vollends geleistet worden, leuchtet die Kühnheit des realistischen Strebens ein, und stellt sich dieser Versuch in Rom in die Reihe von Masaccios Engel der Vertreibung aus dem Paradiese und dann des Piero dei Franceschi in Arezzo beim Zelt des Kaisers Konstantin : d. h. er erscheint als Abkömmling noch der Engel, die S. M. della Neve gen Himmel tragen auf dem Altärchen Martins V. und als Abwandlung der Teppichhalter am Tron S. Anna's selbdritt, noch ohne den Versuch, auch die untere Hälfte dieser Luftbewoner mit menschlichen Gliedern auszustatten, also auch wol zeitlich denen der Münchener Madonna näher stehend, als dem Racheengel der Bran- caccikapelle. Die beiden Henkersknechte vollends sind in ihrer am- gestrengten Bewegung so entschlossen und aufrichtig der Wirklichkeit nachpfebildet, dass sie auf Grund vorhandener Beispiele bis 1428 nur dem Masaccio zugetraut werden können. Masolino hätte sich in un- mittelbarem Wetteifer mit Masaccio selbst übertreffen müssen, wenn

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t)iE Henkersknechte

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er sie nach der Rflckker aus Ungarn gemacht haben sollte, und bat noch 1435 im Baptiateriam zu Castiglione, selbst In den Genre- figuren der Taufe oder dem Sdüielser des Gefängnisses keine ähn- liche Kenntnis der Natur zur Verfögfung. Er vermeidet derartige Körperhaltung Oberhaupt in verkürzter Ansicht zu zeigen, oder be- weist mit einem Versuch, wie die Täuflinge, wie weit er in solcher Kunst zurückgeblieben war. Dagegen mflfste man nach der Wal und Wiedergabe des Modells^ besonders bei dem vordern Gesellen mit nackten Beinen schon auf Masaccio schliefsen, weil dessen, Tor- wächter in der Cappella ^ancacci so auffallende Aehnlichkeit besitzt, dafe man nur an Benutzung einer und derselben Studienreihe denken kann, weil der Wunsch, den feierlich gewandeten Aposteln und ihrem hehren Meister dnen derberen Gesellen als Kontrast auch schon im Anzug g^fenüber zusteUen, wol kaum zur Genüge erklärt, weshalb der ZoUeinnemer grade dieser barfllfsige Bauemjunge sein muis statt eines mehr oder minder soldatisch uniformierten Dogantere» dessen amtliche Abzeichen jeder Verwechslung mit einem Bettler oder Facchino vorgebeugt hätten.

Nach der selben Seite sinkt die Wage der Entscheidung zwischen ICasolinos und Masacdos Amqpnich auch bei der Abwägung des letzten Bildes der Katharinenlegende, wo das Ende der Heiligen dargestellt wird. ') Die Komposition rechnet wieder genau mit dem Ort der gegebenen Fläche, an dritter Stelle der untern Reihe, indem sidi die Handlung möglichst aus der Ecke neben der Altarwand nach links zur Mitte der Wand hervordrängt, und die rechte Seite i&r die Andeutung eines Schauplatzes verwendet, der fast nur dazu ausgebeutet wird, um Raumtiefe zu gewinnen und Luft zu schaffen fQr das freie Ausklingen, so dals eine neutrale Fermate auch dem Inhalt der anstofsenden Altarwand keine Konkurrenz macht. Aus einer 6den unbebauten Ebene steigt plötzlich die steile Wand eines oben abgeplatteten Felskegels auf und schliefst hinten die Ecke: es ist das letzte Ziel, der Berg Sinai. In diagonaler Richtung zu diesem Felsen entfaltet sich links vorn, in strenger Sachlichkeit die Katastrophe des Heiligenlebens. Eine Reihe römischer Soldaten sind aufmarschiert und halten ihre langen Schilde, von der Form eines halbrund gebogenen Rechtecks, vor den Leib, dals nur unten die Füfsc, oben die KOpfe hervorsefaen. Die Vorderen markieren das Haiti Stillstehen; nur der Flügelmann rechts mufs den Ein- dringling aus der zweiten Reihe, der die Front durchbrechend seine Neugier oder Teilname nicht zu halten vermag, zurückweisen,

•) Vgk «ini» Tafel V, c).

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Enthauptung Katharinas

während er selbst mit vorgestreckter Faust wie der FOrer Ms schon den Daumen hält: pollice verso. Denn der Scharfrichter Art soeben den Streich, der das Haupt der Heiligen vom Rumpie trenoeo soU. Diese Soldatenaugen sind auf das Gelingen mit einem Schlag gerichtet; al^er auch Erschütterung macht sich bemerkbar, als tiete diese geharnischte Mauer, nicht vom Andringen der Masse aUek Schräg aus der linken Ecke in das Bild hinein kniet mit betend zusammengelegten Händen vomübergeneigt die Heilige, geduld^ den Todesstreich erwartend, während der Henker, der ihr aoebci den Kopf niedergedrückt hat wie er ihn haben will, die Linke nk offener Hand noch abwärts streckend, nun aus der Tiefe heni» schreitend mit der Rechten das Schwert vom Rücken herüberscfawiogL Im Zusammenwirken der Glieder sehen wir die Wucht des Hielm als mülsten wir das Sausen der Klinge vememen. Droben in dot Lüften wird auch die Folge dargestellt Ueber der Hügelretbe schwebt ein Engel mit der Seele der Märtyrin gen Himmel; auf der Höhe des Berges Sinai senken drei Engel den Kdrper der Toten in einen Steinsarg, wo Tyrannenwut ihn nicht entweihen vnrd.

Doch diese beiden Momente der Erzälung bleiben auf den Bilde ganz in weiter Feme, nur als Andeutungen ftlr die Pbantasct Die EnÜiauptung vom ist dem Maler die Hauptsache. Und vir kennen diese unumwundene Art Bei Spinello Aretino^ der den Tod der Kaiserin bei der Massenhinrichtung des Porphyriua und eeincr Krieger abgetan hatte, st^t der Auslieferung Katharinas an des Scharfrichter der Moment nach der Vollstreckung gegenüber. Du Haupt ist gefallen, das Schwert wird in die Scheide zurQckgestolsea Hier in S. demente war diese Darstellung für das Ende der Kaiserie gewält, gerade oberhalb dieser letzten Soene, der sie zeitlich un- mittelbar vorangeht Für die Haup^rson mulste zum AbscM das stärkere Mittel, der Vollzug selber versucht werden, hinter derdtf Schicksal der Königin nur sekundäre Bedeutung erlangen dnritft also in so naher Parallele sich wolweislich unterordnet Wer aber die physische Anstrengung der Raddreher so sachgemäß und anges* ftllig vorgefQrt hatte, konnte auch hier vor der Schwierigkeit, die andere Kunstgenossen umgiengen, nicht mehr zurückschrecken. Und er mochte sie wagen eben auf Grand jener ModellBtudien, aus deecB auch sein Scharfrichter hier, der selbe gedrangene Geselle wol vor mittelbar erwachsen ist Etwas seltsam ist nur der wehende Zipfel des leichten, hemdartigen Kittels, dessen Saum sich straff über die nackten Schenkel zieht, wie es plastische Darstellung nur wflnaches kann. Wir finden aber die selbe Beobachtung genau so, nur paseesd verkürzt vom Rücken gesehen, in der Enthauptung Johannes des

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t'lSANER t'REDELLA IN lip:RLtJ^

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Täufers wieder, die Masaccio urkundlich 1426 Ar & M. del Carmine in Pisa geliefert hat. Die Predella in Berlin enthält audi bei dieser Scene wie bd der Kreuzigung des Petrus die nämlichen römischen Soldaten, die ' mit ihren Schilden Front machen zar Absperrung der Richtstfttte und zur Wehr gegen das fallende Opfer selbst IMe markige Kl&rze des Processes, die männliche Geradheit, die dem Kern der Handlung unumwunden zu Leibe geht, ist durdiaus charakteristisch filr Masaccio, bei dem die nämliche Sinnesart hervorbricht wie bei seinem Freund und Lehrer Fllippo di Ser Brunellesco In Abrahams Opferung des Sohnes oder bei Donatello zu jeder Gelegenheit £s ist darnach wol wenig zutreffend, nur so schlechthin von »besonders zierlichen Kompositionen und sentimentalen Figuren der Katfaarinen- bilderc zu sprechen, wie es Wickhoff beliebt, der mit kurzen Worten Aber diese ganze Freskenreihe wegeilt, um sie zu den Hauptstücken der Brancaccikapelle »mit Ihren majestätischen Figuren und den groisartigen aber wuchtigen Gruppen« in möglichst unverdnbaren Gegensatz zu stellen.

Unsere Analyse ihrer unveränderten Bestandteile, besonders ihrer perspektivischen Raumdarstellnng im Sinne BruneUeschis und ihrer plastischen Grestaltenbildung im Sinne Donatellos, hat unläug« baren Zusammenhang mit den Leistungen dieser Art in der Brancaodkapelle ergeben, die als Masacdos Eigentum v(^ig un- bestritten dastehen. Sie hat von den Kostflmfiguren bei der An- betung im Tempel bis zu den Soldaten bei der Enthauptung Katharinas auf das bestbeglaubigte Altarwerk von Pisa hingefbrt Daneben ward auf der andern Seite die Aehnlichkdt mit MasoUno keineswegs ausser Acht gelassen. Nur waren es fest immer seine cnt 1435 entstandenen Malerelen im Baptisterium von Castiglione, die zur Yergleichung herangezogen werden konnten, und hierbei musste dodi immer die MögHdikeit ofien bleiben, dass Masolino vor dieser späten Arbeit nodi bei seiner Rackker aus Ungarn aowol die Kapelle in S. demente zu Rom als auch die Fresken Masacdos in der Brancaccikapelle in Flmnz kennen gelernt und verwertet hatte, soviel irgend in seinen Kräften stand. Nidit an die zarten gliederlosen Gewandfiguren der Deckenbilder des Chores, sondern an die Herodias und Salome oder an die Engel bei der Taufe erinnert hier in Rom die Katharina. Besonders die zflchtlg bittende Tochter hat dort Adinlichkeit mit der Königstochter von

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Alexandrien hier, aber die kleinbrflstigen und kurzarmigen Hcf- fräulein daneben oder die Idealfiguren der oberen Bilder bleiboi doch hinter ihr zurück. Nur das grosse Schlussbild im Baptisterium kann als Ganzes der Legende Katharinas in S. Qemente zur Seite gestellt werden, und grade die Entwickelung des Malers^ die adi im Baptisterium nach der Art der Scenen vor unsem Augen gleidi' sam vollzieht, widerstrebt einer andern chronologischen Ordnung, die uns etwa ermöglichte, demselben Maler Masolino auch die Fresken in Rom beizumessen.

Dies letzte Wandbild mit der Bestattung des enthauptetet Täufers im Hintergrunde steht ungefkr auf der nAmllcfaen Kunst* stufe wie die Katharinenbilder, wenn man sie im Allgemeinen Aber- blickt, den schlichten und sanften Ton der Erzälung herauabOrt und den naiven Sinn, mit dem die Zutaten der frommen Legenden- Phantasie weitergefilrt werden, selbst wo der WirklichkeitadFang daneben schon auf drastische Wiedergabe ganz anderer Dinge ausgeht Mit den jugendlichen Erscheinungen des Johanneslebeos haben diese Geschichten Katharinas auch den sogenannten mentalen« Zug gemein, den man neuerdings in ihnen gefunden bat, der aber wol kein anderer Ist als bei Fra Giovanni Angelioo da Fiesole, sonst jedoch wenig Verwandtschaft mit dem Anschauimg»- kreis des weltfremden Mönches aufweist. Jedenfalls aber kann voo diesem Teil des Freskenschmuckes in S. Qemente nicht behauptet werden, dass sein Urheber »sich ganz der Kompositiouswelse^ der Behandlung u. s. w. der veronesischen Schule gefimgen« gegeben habe. Denn der einzige vermeintliche Beleg ftlr einen Zusanunes- hang mit PisaneUo, den man in einer einzelnen, grade als solche neben- sächlichen Kostflmfigur des ersten Bildes gesucht hat, erscheint ah anachronistisches Qui pro quo und whd durch die Behandlungsweise dieses ZeitkostOms selbst widerlegt Dagegen ist die Kenntnis der Dar- stellung der Katharinenlegende von Spinello Aretino auf dem Land- sitz der Alberti in Antella bei Florenz durch gelegentliche Reminiir cenzen ebenso erwiesen, wie die vollständige Umwandlung des kamt- lerischen Strebens im Einzelnen und im Ganzen, d. h. die floren* tinische Herkunft des Meisters» aber auch seine St^hing unter den Zeitgenossen im Verhältnis zur wertvollsten Tradition der Giottosdiute klar bestimmt Der Gegensatz gegen einen Letstbog des Trecento kann um so weniger verwundem, als der Maler vm S. demente der ersten Generation des Quattrocento und zwar dem engsten Kreise der bahnbrechenden Neuerer wie Brunellescbi und Don'atello angehört. Für die persönliche Beziehung zu dem EfStsreo und den Anteil an dem Fortschritt in der eigenen Kunst zeugt

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IllASACaO ODER MaSOLINO

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nicht aliein das Studium der antiken Bauwerke in Rom, und zwar in sdnen Anfängen noch mit mangelhaftem Verständnis fiir die Konstruktion oder unzurdchender Uebimg im Er&ssen und Wieder* geben der Einzelformen« sondern dafür zeugt auch die perspektivische Zeichnung des Raumes» die konsequente Rechnung mit dem Stand- punkt des Beschauers und die damit zusammenhängende Disposition der BüdeireOien. Aus diesen Grundsätzen ergiebt sich Oberall die Komposition und Oekonomie der einzelnen Darstellungen. Mög- lichste Vereinfachung der Fabel, Beschränkung auf die entscheiden- den Hauptzüge der Handlung und auf bescheidene Personenzal begründet auch den sonstigen Charakter des figürlichen Aufbaues. Dieser ist übenüditlich und locker, in zunemendem MaTse vom plastischen Interesse fOr die Selbständigkeit beherrscht In der aorgfiUtigen Durchbildung der kühn bewegten, voll ausgerundeten, in mancherld Verkürzung gezeigten KOiper, die in der zweiten Hälfte der Bilderreihe hervortreten, erkennen wir den Einfluas des Donatello und sehier Gesinnungsgenossen. Diese Energie des künstierischen WoUens, der Sinn tOt dramatische Handlung und wirksame Kontraste, die Wal des entscheidenden Momentes^ die nur mit Hülfe entschlossener Bewältigung schwieriger Aufgaben die realistische Wahrheit erreichen konnte, Alles das widerstrebt dem Naturell Masolinos ebenso starlc, wie es mit dem Charakter MaaaccLos überzeugend und unveräusserlich zusammengehört, soweit wir ihn beglaubigten Leistungen oder überlieferten Urteilen bei Zeit- genossen und Nachfolgern entnemen können. Endlidi besteht zwisdien dem ganzen Freskenschmuck der Kapelle des Kardinal Branda in S. demente und ^ines Baptisteriums in Castiglione d*OIona noch ein wesentlicher Unterschied, der uns über die Un- möglichkeit der versuchten Personalunion zwischen beiden Malern belehren sollte. Die Fresken im Baptisterium zu Castiglione sind ohne Rücksicht auf die architektonisdien Gränzen der Wände beliebig um die Ecken in die Fensterschrägen u. dergl. herum- gemalt, mehrere Scenen auf einer Wandfläche gamicht durch Ein- ramung von einander gesondert, sondern die Momente der Erzälung geben in einander über, grade wie bei Lorenzo Ghiberti an der Porta del Paradiso oder bei Fra Filippö im Chor des Domes von Prato oder in Tod und Himmelfart Marias zu Spoleto. In S. demente herrscht überall klare Gliederung in vorbedachter Verteilung des Stoffes, innerlichste Selbständigkeit der Bilder bei bescheidenster Abtrennung, selbst ohne lineare Bezeichnung der Gränze,. 'wie zwischen Bekerung und Tod der Königin. Wenn auch hier zwei

Momente der Erzälung in einem Kamen vereinigt werden, wie Schmarvow, MaaaodooSliidieii IV. 4

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Ergebnis

man es bisher gewont war, so treten hinter einem Hauptvorgang <Ke Nebenmomentc entschieden zurück als Andeutungen der Folge, wie beim Martyrium Katharinas ihre Bestattungr, oder es ist der zweiten Scene in kleinerem Mafsstab sogar ein eigener Ramen eröffnet, wie beim Flammentod der Philosophen, so dass sie wie em Bild im Bilde wirkt und daför angeschen worden. Immerhin mögen diese verschiedenen Versuche, die strengere Disciplin auf- recht zu erhalten, auch wo die verlangte Erzälung und die ererbte Gewonheit sich widerspänstig erweisen, als ebensoviel Kennzeicheo eines noch ringenden, innerlich noch nicht ganz mit sich einiges Künstlers gelten, der seine Prinzipien mit dem Zeitgeschmack aus- einander zu setzen trachtet. Von der saloppen Nachlässigkeit, von dem unüberlegten Sichgchenlassen Masolinos sind me weit entfernt. Wie wenig Gefül für gegebene Kaumgliederung jener besas% erkennt man auch im Widerstreit seiner Deckenbilder gegen das feste Rippensystem der Chorwölbung, das er im lombardischen Kirchlein von Castiglione vorfand, einen Widerstreit, den er durch seine per- spektivische Ärchitekturmalerei lediglich selbst verschuldet hat. Bei ihm zeigt sich noch am Ende seiner Tätigkeit, soweit wir sie bis 1435 verfolgen können, eine Unsicherheit des Verfarens, eine Ver- mengung unverträglicher Bestandteile, wie flüchtig andeutender Idealfiguren imd sorglich konterfeiter Kostüme mit Bildnisköpfeo, ein Mangel an gleichmässiger Verarbeitung und harmonischer Klar- heit des Stiles, ohne dass man absieht, wohinaus sein eigenes Streben eigentlich will, und dass man zweifelt, ob überhaupt bewusstes künst- lerisches Wollen zu Grunde liegt. Ungleichmässigkeiten und Un- voUkommenheiten, »die Zweifel der noch unerreichten Selbstbe- meisterungc sind auch in S. Clemente fülbar ; aber daneben offenbart sich überall ein energischer Geist, der in schnellstem Fortschritt wol zu schwanken scheint, aber genau weiss, wo sein Ziel liegt und welche Forderungen sich aus der strengen, man möchte sagen wissenschaftlichen Grundlage seiner Arbeit ergeben. Die Worte Vasaris über Masaccios Bemühen ^seguitando sempre quanto e' poteva le vestigie di Filippo c dl Donato ancorache l'arte fasse di versa« sind so zutreffend für die Katharinenbilder in S. Clemente, dass sie fast wie Bemerkungen Michelangelos an dieser Stelle klingen.

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DIE|AMBROSIUSLE££NDE ^

Wohinaus dieser Maler will und wie er den Fortsctiritt zum monumentalen Stile im Sinne des Realismus sudit, das bewasen die fibrigen Wände dieser Kapelle, in denen z. B. die Nebenmomente sdion vollständig beseitigt ^d, während dodi der Stoff für die gegenüberliegende Seite noch eine durchaus verwandte Erzälung aus der HeUigenleg^nde darbot.

IMe Aussenmauer, zur Linken vom Altar, ist durch ein Fenster, das später noch vergrössert wurde, in der Mitte durchbrochen. Es war also nicht möglich, die Wand mit dem Bilderschmuck der andern zur Rechten völlig Ins Gleichgewicht zu setzen. Dennoch sind auch hier im Bogenfelde zwei« im untern Wandstreifen drei Abschnitte vorhanden, nur dass unter dem Fenster das MtttelstOck nicht für eine gleichwertige Figurenkomposition brauchbar wurde und, schon des ung^ünstigen Lichtes wegen, von der Erzälung aus- gesclüossen blieb. Dennoch verwertet es der Maler nicht zu dekorativer Füllung, sondern, wie wir sehen werden, zu möglichster Betonung räumlich-körperlicher Gesetze, die das Gef&l des Gleich- gewichts und sichern Bestandes an Ort und Stelle verstärken, und so die Wirkung des Fensters darüber, die der Tiefenanschauung in den Bildern widerstreiten könnte, durch Giegenmittel wieder auf- heben.

Die beiden Darstellungen neben dem ufsprdnglicfa schmäleren und gotisch zugespitzten Fenster benutzen aber ebenso die Licht- zufuhr und den Eindruck der Luftigkeit in der Höhe. Beide Bilder des Bogenfeldes sind aus einem Centnim konstruiert, das in der MitteUinie dieses Fensters liegt, bilden also die Hälften eines Ganzen, das durch die Raumbildung der Kapelle selbst gegeben war, und bezeichnen so im Anschluss der Wandmalerei an die Architektur einen bewussten Fortschritt über die Gliederung des gegenüber* liegenden Bogenfeldes der Katharinenlegende Ebenso kann im Aufbau der Massen innerhalb dieser perspektivischen Konstruktion des Raumes nicht unbemerkt bleiben, dass die Höhepunkte der Figufengruppen beiderseits nach derselben Mittelaxe gravitieren

') Sie sind von Ad. Braua & Co. leider io verschiedenem MalissUib pbotographiert woffdttt ttnd die nnteni Bilder der Fenaterwaiid w<A wegen ihret Erhalttm^mitMides flbcikenpt nfggdiaeea, Attnaii bat von den Letstezn andi mir eint «n^enoamen. «man AMdw^en nedi den StiiAen Lebranii. TeC VI n. Vn.

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t)AS BlENENWUKDEK

und sich symmetrisch zum Höhenlot des Fensters als ihrer gemein- samen Dominante emporgipfeln. Damit sind abermals Gesetze der Raumkunst im Sinne monumentaler Beharrung" für die Wandmalerei grwonnrn, die wir an der Altarwartd der Brancaccikapelle im untem Bilderpaar von Masaccio wieder befolgt linden.

Die erste Hälfte des Bogenfeldes links vom Fenster :st der Namenserklärung des kleinen Ambrosius t^cwidmet, wie die Legenda aurea sie gern voranschickt: Sicut dii iiur in Glossario: ambrosia = esca angelorum ; ambrosium = coelcste niellis favumi,— so kam, als das Knäblein in der Wiege lag, ins Atrium der väter- lichen Praetorwonung ein Bienenschwarm hereingefloi^pn, setzte sich auf das Antlitz und in den Mund des Kindes und tiogen aus und ein wie bei der Honigarbeit, /um Kntsotzrn und Staunen der Wärterin, aber nur um friedlich himmelwärts zu verschwinden. Wenn das Kind am Leben bleibt, sagte der Vater, muss etwas Grosses aus ihm werden. Diesen Auftritt zeigt das Gemälde, nur sind die Bienen von unverständiger Restauratorenhand verlöscht und achtlos übermalt, so da.ss der Sinn rätselhaft \^ nrde, und die Bewundrung der Leute ebensogut auf die Kmdheit der heiligen Katharina oder des heiligen Clemens gedeutet werden konnte. Wie der Göttertempel beim ersten Auftreten der Kunigstochter von Alexandrien, ist hier eine selbständige Architektur hinter dem Bogen- rande aufgestellt, so dass die Kurve des Ramens uns einen Teil des symmetrisrliou (ranzen verbirgt. Wir blicken durch zwei Arkaden der offenen Loggia eines Palastes. Die völlig ausgebildeten Formen der Frührenaissance: kurze glatte Säulen auf attischen Basen, Haib- kreisbögen auf Blätterkapitellen. Rundmedaillons in den Zwickeln, mit quergt s]>aTmten Scheidbügen dahinter, die auf vortretenden Pfeilerchen oder leichtem Wandstück ruhend an der Rückmauer lehnen, kassettierte Holzdecke u. s. w. bestätigen den Fortschritt des Malers auf dem Wege Brunellesc his imd die Kenntnis dos inzwischen erdachten florentinisclien Baustiles, der in Masaccios Gemäkle n tast eher fertig vor Augen gestellt wird, als wir ihn in wirklicher Aus- furung an Bauwerken nachzuweisen \ er mögen. Der Geburtstags- teller im Berliner Museum mit seinem Einblick in den Palasthot mag als schlagendes Beispiel neben diesem Fresko in S. demente genannt werden.

Die perspektivische Ansicht des oberen Stockwerkes bis hinauf zum luftigen Söller hat noch weniger Bedeutung als drunten die Richtigkeit des Verhätnisses zwischen der Halle und den darin steheiul( n Figuren. Die hohen Frauen, dir zur Rechten eingetreten, in frommer Verwundrung zu Häupten der Wiege auf das Kind

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Wal zum Bischof von Mailand

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faerabscliauen, reichen allerdings mit ihren Köpfen bis ans Kapitell der Säulen ; aber die Bescheidenheit der HOhendimensionen ist charakteristisch filr die Architektur der FrQhrenaissance in ihren Anftngen» besonders in der Privatwonung. Besser schon stdien die Männer zu Fflssen der Wiege, wol der Vater, als Praetor in reicherem Gewände, und der Arzt, den er herbeigerufen, beide mit dem Capucdo auf dem Haupt. Besonders der bartlose Mann in seinem schlichten aber stoffi^eichen Gewsnde, mit dem offenen Mantel, der auf der Schulter befestigt die Rechte frei lässt, ist in sdner ruhig zuhörenden Haltung so dnfech und gross erfasst, so sicher hingestellt, dass er wieder vollauf f&r Masaccio zeuget Was der weise Mann dazu sage, möchte nicht nur der verbindlich erzälende Praetor aus sdnen Mienen erraten, sondern auch die Frau erlauschen, die an der Wiege sitzt, mit dem Fächerfiüinchen wedelt, aber mit offenen Augen und lippen am Munde des Doktors hängt. Der kleine Heilige, den sie schaukelt, lässt ^ch durch den Besuch seines Honigmundes und dessen Vorbedeutung nicht stören in seinem gesunden Schlaf. Desto selbstbewusster soll er später, wie sogar die Legende ihm nachsagt, von der Schwester, die von seiner hohen Bestimmung nichts ahnte, schon als Knabe den Handkuss verlangt haben, mit dem sie den Priester verehrte.

Die Wal des Laien zum Bischof von Mailand wird uns in der andern Hälfte des Bogenfeldes rechts gezeigt Der Laufbahn des Vaters folgend wird Ambrosius vom Kaiser als Praetor in die Provinzen Ligurien und Emilia gesdiickt und kommt, da in Mailand Zwistigkeiten zwischen Katholiken und Arianem wegen der Bischöfe- wal entstehen, zur Beruhigung des Aufstandes dorthin. Sofort be- grOsst ihn ein Kind mit lauter Stimme als Bischof und die streitenden Parteien vereinigen sich auf seine Person.

Wie sich im ersten Bild der Einblick in die Halle eröffnet und die Architektur des Palastes von der Seite g^esehen nach der Mitte emporsteigt, so schauen wir auf dieser Seite schräg in das Mittelschiff einer altchristlichen Basilika hineiui und zwar dem Standpunkt des Besuchers entsprechend von rechts hinauf bis an die Ecke des Triumphbogens und der Apsiswölbung. Auf hohen Säulen mit gradem Gebälk erhebt sich der Lichtgaden mit seiner Fensterreibe, und durch die Zwischenräume der Marmorschäfte wird das Nebenschiff mit dem Bogen des Querhauses^ mit sdimalen Fenstern über kräftigem Gurtgesims der Umfassungsmauer und mit einer Seitentflr sichtbar, bei der sich die Breite des Langhauses zu verdoppeln scheint. Aus der sorgfältigen Nachzeichnung Labruzzis am An&ng unsers Jahrhunderts ist noch deutlicher, als aus den

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54 Raumkunst Masaccios

vielfach entstellten Ueberresten der Malerei selbst, zu erkennen, wie kühn dieser Innenraum aufgerissen und perspektivisch durchgefhrt war bis in die lidttfhmng hinein, ~ ohne dass wir Ängstliche Nach- amung aller Einzelformen eines römischen Originals erwarten dorfen. Ohne Zweifel war dieser Prcspekt aber nach dem Vorbild einer der Basiliken mit gradem GebSik entworfen, sei es S. HC Magg^ons, mit dem die Aehnlichkeit heute noch einleuchtet, sei es <fie xeistftrte Peterskirche oder die verbaute, von Borromini ganz veränderte Form von S. Giovanni in Laterano. Am Triumphbogen drinnen, wo ein Engel in Mosaik erscheint, wie an der Aussensdte links, wo der Maler sichtlich phantasiert, wird die Studie nadi BedOrfois des Bildes freier abgewandelt

In diesem Kircheninnem schreitet vom Chore kommend, der junge Praetor Ambrosius durch die Menge daher, mit erstaunter Gebärde über das Ansinnen, das in dem Ruf des Knaben an ibD gestellt wird Nicht nur der Kleine weist mit dem Gruss »Ambrosias El^opus« auf ihn hin, sondern vomeme Bflrger treten auf ihn zu, GdstUche drängen sich, ihm ins Antlitz zu schauen, oder bestOnnen sdn Ohr mit inständiger Bitte, wahrend seitwärts eine Kriegerschar, die Vertreter der arianischen Herrn des l^des, in voller Rüstimj^ eingedrungen sind, aber ruhig dastehend in cfiesem Augenblick bereit scheinen, das Schwert in die Schede zu stecken, sobald Ambrosius zustimmt, ihr Bischof zu werden. Die reckenhaften Longobarden sind Gestalten wie Donatellos S. GHorgiov und haben durchaus nicht Ihresgleichen in Castiglione d'Olona, sondern nur unter den Täuflingen der Cappella Brancacci, während Ambrosins im Auftreten wie im Gresichtstypus auffidlend an den Christas Maaacdos inmitten der Apostel erinnert, und an die Vera Ikon In Empoli oder auf dem Tabernakel in Bremen ebenso eng anscliliesst, wie an die Erscheinung des Gottessohnes auf dem AltSrchen Martins V. aus S. M. Mag^ore.

Leider haben grade diese oberen Bilder, die der Feuchtigkeit besonders ausgesetzt sind, um so mehr gelitten, als man sie neuer- dings abgelöst und auf Leinwand gezogen hat, um sie nicht gani dem Schicksal preiszugeben, das die unteren schon früher ereOt hat Soviel aber ist auch heute noch (schon aus den Photographteen von Braun) erkennbar, dass die Lichtf&rung sich in beiden Büdern ebenso nach dem Fenster in der Mitte richtete, wie ihre Kompositioa und ihre Böhne sonst, d. h. dass im ersten die Beleuchtung von rechts, im zweiten von links ein&Ut, ein Verfaren, das wir ebenso bei Masaccio an der Altarwand der Cappella Brancacci, wie überall in seinen Wandgemälden daselbst beobachtet haben.

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Untergang des Übermütigen

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Die untere Reihe ist allerdings von Ucbermalung niemals so heimgesucht worden, wir die oboro oder ^»-ar die Katharinenlcgende; desto stärker jedoch haben teindhche Kiemen ic zu ihrer Zerstörung zusammengewirkt und kaum mehr als Schatten zurückgelassen. Ausser der Komposition und den Hauptzügen der Zeirhnnn[r, die man mit Hülfe der Stiche Labruzzis noch entziffert, können nur vvenii^e I arbenreste noch eine x\hnung von ilirtm ursprünglichen Aussehen gewären. Die Aufname des einen Bildes, die neuerdings Alinari erreicht bat, erweckt wenigstens die Hoffnung, dass es möglich wäre, durch die Photographie die wissenschaftlich verwert- baren Resultate zu erzielen, wie es auch mit deu WandbUdem im Chor zu Castiglione gelungen.

Zur Linken ist nicht, wie man gemeint hatte, eine Ueber- schwcmmung in Alexandrien dargestellt, derentwegen ein junges Mädchen von Labruzzi als hl. Katharina angesehen und durch einen Nimbus ausgezeichnet worden, den das Bild nicht aufweist. Wir haben auch keine Scene aus dem Leben des hl. Clemens vor uns, sondern vielmehr, wie Wickhoff nachgewiesen hat, ein Erlebnis des hl, Ambrosius, Auf einer Reise nach Rom war er in Tuscicn irgendwo im Hause eines reichen Mannes eingekert und glänzend bewirtet worden. Auf die Nachfrage des Gastes hatte der Llausherr seinen Ueberfluss gepriesen und sein nie getrübtes Glück so blind- lings gerümt, dass der Heilige entsetzt die Seinen zu schnellstem Aufbruch mante. Und siehe da, kaum hatten sie den Hof hinter sich, in dem keine Gottesfurcht mehr zu iinden war, da erfüllte sieh schon die Ahnung des Strafgerichts. Die Erde tat sich auf und verschlang den Hochmütigen mitsamt seinen Gütern und all seinem Gesinde. Nur eine tiefe Grube bezeichnete noch die Stelle, wo sein prächtiges Anwesen gestanden war.

Auf dem Bilde sehen wir vorn das Haus mit seiner offenen Pfeilerhalle im Boden versinken, aus dem die Wasserflut hervor- bricht und die doppelt überwältigten Bewoner in die Tiefe hinab- reisst, während andre im obern Stockwerk befindliche Personen vergebens um Hülfe schreien. Keine Menschenhand vermag sie zu erretten, und so sehen wir auch den Heiligen mit seinem Gefolge zu Ross nur davoneilen, voll Grausen über das Verhängnis, dem sie selber entronnen. »Ein solches Elementarereignis darzustellen, war ein Wagnis«, wie Wickhoff mit Recht hervorhebt. Und wenn es mit den damaligen Mitteln der Kunst nicht vollauf gelingen konnte, so bleibt doch der Versuch beachtenswert, mit der Natur allein aus- zukommen. »Ein Maler der vorausgehenden Generation würde die Scene durch ein direktes Eingreifen Gottes oder seiner Diener, die

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Konstitutives und Transitorisches

das Gebäude stOrzen, versinnlicbt haben«» meint derselbe Kritiker. Wir können wenigstens daran erinnern, wie auch dieser KQnstler bei der Räderung Katharinas zur Einibrung eines Engels greift, den überirdischen Ursprung der Hilfe, den Bruch der Rader übet- baupt als Wunder zu kennzeichnen. Die unheimliche Ueberrascfausg eines Erdbebens, der Ausbruch unterirdischer Gewässer erscheint auch im Mittelalter als etwas Anderes; es ist das dumpfe Walten der dira necessitas. Und dies Erlebnis des Ambrosius auf der Rjeise ist hier statt eines Wunders gewiss im Anklang an dgne Erlebnisse des vielgereisten BesteUers Branda Castiglione gewält worden, die als Walten der rächenden Nemesis gedeutet, wol kaum die Hand Grottes oder seiner Engel vertrugen. Unternimmt es der Maler, »die Gewalt des entfesselten Elementes selbst darzustellen«, so stOsst er dabei ganz sichtlich auf dnen Widerspruch mit seinem eifrigsten Bestreben, die dreidimensionale Räumlichkeit und Körperlichkeit anschaulich auch im Bilde vor Augen zu stellen. Das vomemste Anliegen dieses Realismus war, wie der Architekt Brunellescfai den zeitgenOssisclien KonsHem demonstriert hatte, die Herstellung der konstitutiven Gesetzmässigkeit in strenger Konstruktion, die Aufiiditung des Koordinatens^tems und die Einordnung aller Körper in diesen Be- stand des umgebenden Raumea Diese selbstverständliche Grund- lage aller Verhältnisse auf unsrer Erdoberfläche macht sich grade dann am ftlbarsten geltend, wenn die rechtwinkligen Durchscfaneidungcn der Richtungsaxen uns sofort orientieren, wenn lotrechte und wage- rechte Linien sicher dastehen, wie im Bauwerk. Der Umsturz dieses festen Bestandes, wie er im Zusammenbruch eines Hauses, im Schwall des Wassers aus der Tiefe, im alles verschlingenden Abgrund des Erdbodens selber verlangt ward, musste grade dem elfrigstea Nachfolger Brunelleschis im architektonischen Denken des Schau- platzes am meisten zu schaffen machen. Grade ihm ward sein Koncept verrückt. Dennoch muss auch der kritisdie Betrachter des Geldsteten anerkennen, der entsddossene Realismus im Erfinsen dieser Aufgabe sei »vorerst bedeutend genug«.

Warum aber legt er sich dann, angesichts solcher kunst- geschichtlichen Tatsache nicht die Frage vor, ob im bekannten Werk des Masolino, den er für den Urheber hält, auch nur die ge- ringste Bereditigung vorliege, dies Wagnis auf seine Rechnung zn setzen, nachdem er in seinen vollendetsten Arbeiten im Baptisterium zu Castiglione den Fortschritt seiner Kunst auf völlig andern Weges gesucht hat, und nach Allem, was wir sonst im Keim etwa ent- decken können, fbr solchen entschlossenen Schritt viel zu zahm geartet war.

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Die Reitergruppe

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Statt solcher Erwägung w«st uns Wickhoff auf die Gruppe von Reitern hin, deren Pferde in starker Verkürzung von hinten gesehen werden, »eine Art der Darstellung, die uns aus den Werken des Pisanello und in einem besonders schönen Beispiele aus dem Revers seiner Medaille auf den griechischen Kaiser bekannt ist«. Sie soll also den Einfluss des Pisanello beweisen. Statt dieses Hinweises auf eine Medaille, deren Porträt des griechischen Kaisers erst nach dessen Ankunft in Italien 2um Koncil von Fenrara (März 1438) ent- standen sein kann, hätte es wol näher gelten, an die Anbetung der Könige von Gentile da Fabriano zu erinnern, die solche vom Rocken gesehene Rdtergruppen, eine Bergstrasse hinansprengend, schon 1423 den Florentinern zur Schau gestellt hatte, und dabei auch Masaccios Darstellung des gleichen Gegenstandes auf dem Altarwerk fflr Pisa von 1426 nicht zu vergessen, deren Pferdegruppe in mannichfeltiger Ansicht schon Vasari bewundert Damit wttrden die Rosse in S. demente ihre natürlichste Beziehung erhalten, wenn die Erzälung nicht schon an sich verlangte, das »voltar le spalle« zu veranschaulichen, das bei dem Hochformat des Bildes nur so erreichbar war. Von den Schlachtenbildem des Paolo Uocello, die Wickhoff bei seiner späten Datierung der Kapelle hätte berück- sichtigen müssen, wollen wir absehen, sobald man uns nicht zumutet, die Fresken Pisanellos in S. Giovanni in Laterano oder Medaillen vom Schluss der dreissiger Jahre als notwendige Anregungen filr einen Maler zu betrachten, der im selben Bilde die Neuerung ver- sucht hat, ein elementares Naturereignis so unmittelbar wie möglich vofzufllren und ohne Umschweif als brutale Tatsache wirken zu lassen, wie es hier ganz im vielbewärten Charakter Masaccios geschieht. Eine Anzal Reiter in verkürzter Ansicht zu zeichnen, ist daneben jedenfells eine erklecklichere Leistung als die ver- einzelten Beispiele eines ruhig für sich dastehenden Gaules, den wir bei Pisanello auch im Drachentöter & Georg in S^ Anastasia zu Verona mit aller Sorgfeit iür das Einzelne durchgeftirt sehen. Der Gruppe entfliehender Reiter hier in S. Demente, die nur der Haupt- person, S. Ambrosius unter ihnen zuliebe, etwas nah erscheinen, reihen sich die mannicfafaltig verkürzten Köpfe der versinkenden und schreienden Opfer des Wasserschwalls durchaus im selben Sinne an. Wir halten demnach den Versuch zur malerischen Wiedergabe eines unentrinnbaren Untergangs durch Naturgewalten fQr eine Vorstufe zur Sintflut des Paolo Uccello im Chiostro verde von S»» Maria Novella, deren Entstehungszeit vor dem Bilde iIuiuiUl! mit dem Porträt des Dello, also vor 1446, gesichert ist. Damit ist die Leistung

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S. Ambrosius auf dem Sterbebett

Masaccios in S. Clemente auch ihrer hisfeorisdien Stellung nach im Gang der toskaniscben Kunst rein sachlich bezeichnet

Nicht besser steht es mit der Begründung der Hypothesen Wickhoffs, wenn er im letzten Bilde der Ambrosiuslegende die Kachamung eines oberitalienischen Vorbildes erkennen wilL Wir wollen seiner sorgfältigen Beschreibung gern gerecht werden, indem wir sie vollständig, mit einigen Korrekturen in Klammem» hier aufhemen:

^In einem Gemach mit roten Wänden und einer Balkendecke [getäfelten Holzverschalung] steht das Krankenbett, mit dem Kopf- ende an die rechte Seitenwand angestossen, von der Rttckwand des Zimmers aber etwas abstehend, so dass zwischen ihr und der Lang« Seite des Bettes eine kleine Gasse bleibt. Von einer Eisenstange hängen die zurückgeschlagenen weissen Bettvorhänge herab. Der greise Heilige, der eine rote, hermelinbesetzte Kappe trägt, ist mit weissem Laken und grünem WoUenzeuge bedeckt. Rechts am Kopfende auf dem Antritt vor dem Bette [oder auf einem Kissen vor den Stufen der Bettstatt] sitzt ein junger, blonder Kleriker. Er trägt die Tonsur und ist mit einem rot und grün schillernden Ge- wände bekleidet. Wie er sich von Müdigkeit übermannt, schlaf- trunken doch noch aufrecht erhält, ist meisterhaft wiedergegeben. Durch das Fussende [die Fusswandung] des Bettes dem Heiligen verborgen und durch einen Vorhang von ihm abgetrennt (?) be- sprechen sich eifrig vier Männer, durch ihre Tonsuren ebenfalls als Geistliche bezeichnet, drei von noch sehr jugendlichem Alter. Ueber ihnen an der linken Seitenwand des Zimmers ist ein Schränkchen angebracht, mit Gläsern besetzt, die so gfut wiedergegeben sind, dass man ein zierlich geblasenes aus Murano, mit flügelartigen Henkela und einem bunten im Bauche eingelassenen Medaillon noch wol er* kennen kann; daneben häng^ der strohumflochtene Fiasco«. In der Hinterwand zur Seite der Bettstatt ist eine andre Mauernische ebenso durch ein Brett geteilt. »In der obern Abteilung liegra Bücher, in der untern aber steht das Christuskind, das Haupt mit einem Straten nimbus umgeben (auf dem Stiche Labruzzis über- sehen). Das kleine Figürchen neigt sich zu dem Heiligen hinunter. Der aber scheint mit weit geöffnetem Munde laut zu rufen ^. Ich habe allerdings auf den Borten dieser Nische auch nur zu entdecken vermocht, wasLabruzzi gesehen, nämlich oben eine A |X)thekerschachtcl und unten ein Stück Zeug, wie ein Taschentuch hingelegt während

') Auch A 1 i n a r i s neueste Photographie cewlrl keinen weitem Anhnlti ens Fkdwn 4es Resünaratorpinseb noch mehr zu entsiffem.

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EiNFi.uss Veronesischer Kunst?

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mir der Fiasco stets als aufgehängftes Tönnchen erschien. Aber die Legende erzält freilich: als Ambrosius in seiner letzten Krankheit lag, hatten sich vier seiner Diakonen über den Nachfolger auf dem bischöflichen Stul beraten. Leise, so dass sie sich kaum selbst gegenseitig verstanden, sprachen sie den Namen des Simplicianus aos. Obwol nun der kranke Heilige entfernt ruhte, rief er doch sogleich laut aus: »ein Greis zwar, aber passend«, und nun sah der Sterbende Jesum auf sich zukommen und ihn freundlich anlächeln.

Ob der Kardinal Branda oder sein Maler diese Vision mit hineingezogen und sie in einem Wandschränkchen zu winzigen Dimensionen verurteilt haben, ist doch ebenso fraglich wie die Existenz des Christkindes, das Wickhoff an Stelle des Schnupftuches erblickt hat. Mir scheint der einzige Zeuge dieser Vision ausser dem Sterbenden, der wachende Kleriker auf dem Kissen vorn fordert schon eine andre Richtung fßr das Heraimahen der Er- scheinung, wie etwa durch die geöffnete Tür des Nebenzimmer links, wo ein oberer Abschnitt durch die Erweiterung des Fensters ver- loren gegangen ist. Doch hören wir den Kritiker fortfaren:

>Das Schema der Komposition ist keineswegs vom Maler der Katharineukapelle erfunden. Aber nicht in Florenz treffen wir die Vorbilder. Diesen sorgfältig durchgefürten Innenraum einer Kranken- stube mit dem grossen Bette kennen wir aus einem der Bilder der linken Wand der Kapelle S. Feiice im Santo zu Padua mit Wundem des Heiligen Jacobu^ von Compostella, und trefien ihn wieder im ' Tunngemache von S. Mana della Scala in Verona auf einem noch nicht gedeuteten Cyklus. Wie allgemein anerkannt, rflrt die erste Kldmeihe von dem grossen Altichiero, die zweite, über 50 Jahre jüngere, von einem Schüler des Vittore Pisano her. Auf veroneslsche Kunst also werden wir gewiesen«.

Wickhoff denkt hier offenbar sehr lebhaft an Masolino als »Maler der Katharinenkapelle in Rom«, der seiner JECecbnung nach 1428 bis 1435 Oberitalien geweilt hat, also die genannten Werke gesehen haben könnte. Wir wollen nicht untersuchen, ob Masolinos Weg nach Ungarn und zurück über Padua und Verona füren musste oder nicht; da die Reisen aber vor 1428 liegen, so dürfte das Vorhandensein der Malerei von einem Schüler des Pisarello, wie Stefano da Zevio, in S. M. della Scala zu Verona, über fünfzig Jahre nach* Altichieros 1375 begonnener Kapelle S. Feiice im Santo, kaum in Betracht kommen. Altichieros Schlafkammer im Santo zu Padua bietet aber so wenig Vergleichungspunkte dar, ausser der Darstellung eines im Bette liegenden Mannes, und enthält ausser einem Madonnenbildchen und einem Kleiderriegel so gar keine Aus-

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6o Florentinische Vorstufen

stattungsgcgensülnde, dass der Hinweis darauf sachlich durdiaiis feigreift. Aber, selbst angenommen, dies Büd im Santo böte einen Einblick in das Gemach von flberraschender Intimität, so würde doch die Schmalheit dieses Ausschnittes mit der Ansicht von völlig anderm Standpunlct aus, gar keine Verwendung als »Schema der Komposition« fllr dies Fresko gestatten, das so sicher wie irgend eins in dieser Kapelle von S. demente für seine Stelle im Raum erdacht und berechnet ist

Indessen, wosu überliaupt soweit in die Feme schwdfen, wena das andre Mal so bestimmt an Rom gebunden, der Freskencykle im Lateran vorausgesetzt wird. Schon Crowe und CavalcaseUe hatten ja darauf aufmerksam gemacht, wie nah da^Gute lag. Sie erinnent an Giottofi Frandscusbilder, an den Traum des Bischofs von Assisi, wie er in S<>* Croce zu Florenz dargestellt war, und an die Vision des Franciscus selbst oder des Papstes in der Olserkirche von Assisi Fflr das Wandschrankchen mit Hausrat dnes Kirchenvaters giebt Masolino schon in Castiglione zwei Beispiele, die Wickho£r Ober- sehen zu haben scheint, da er sie sonst gewiss zu Gunsten dieses Meistm verwertet hätte: es findet sich soldie Wandnische im Baptisterium hinter dem Schreibpult des Hieronymus, aber auch in den Deckenbildem der Collegiata, also nach unserer Rechnung' zehn Jahre früher bereits, in der Verkündigung Marias.

Beim Maler in S. Qemente hat das Wandschränkchen einen ganz andern Sinn und Wert ftlr die perspektivische Darstellung des Innenraumes, in dem wir wol nichts Anderes als das Schla%emacb des Kardinaltitulars, seiner Wonung bei der Basilika zu erkennen brauchen. Fflr den Standpunkt des Beschauers unter dem Etn- gangsbogen der Kapelle wird das anstossende Innere eröffnet. Die sonst glatte Wandfläche neben der offenen Seitentflr im Bild links liinter den vier Diakonen bedurfte einer perspektivisdi wirksames Gliederung, um ihr Verhältnis zur Bettstatt und den Personen dem Auge des Betrachters schnell verständlich zu machen. Im Halb- schatten unter dem Fenster waren sogar die auffallenden Geisse, die glänzenden Dinge willkommen. Es sind lauter Mittel Raum* werte zu schaffen, deren Wirkung der Maler nicht entberen konnte, um nur den Vorgang zwischen dem Sterbenden und den Finsteren am Fussende des Krankenlagers klar zu erzälen.

Doch es ist ja noch mehr vorhanden. Das neutrale, schlecht beleuchtete Stück der Wandfläche unter dem Fenster ist, wie WickhofF hervorhebt: »für die Fortsetzung unseres Bildes benutzt worden. Ein kleiner Bibliotheksraum wird sichtbar, der sich ^egeo das Schlafgremach mit seiner Türe Öffnet Ein Schreibtisch wSt

Masaccios RAUMKtmSt

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Böchern besetzt, ein Pult, rulicn die nun leere Arbeitsstube des Heiligen . Wir sehen darin eine wolmotivierte Andeutung der litterarischen Bedeutsamkeit dieses Heiligen, des Kirchenschriftstellers, des Doctor Ecclesiae, den man sonst in der Auswal der Scenen aus seinem Leb«^n hier vergebens gesucht hätte. Wir sehen in dieser »feinen Durchbildung der Schreibstube« den Eindruck des Studio Kardinal Brandas, der einem malerisch begabten Künstler gewiss willkommenen Anreiz bot. Derartige iJarstellungen wonlicher Tnnen- räume lagen beim Beginn des Quattrocento wol im allgemeinen Geschmack, oder die Ausfürlichkelt und Sorgialt in diesen Dingen ist wenigstens ein nahehegendes Bedürfnis der Wirküchkeitstreue, das in erster Linie Befriedigung heischt. Wo anders als am Arno war die Heimat jener intarsiatoren, die Im eingelegten 1 lulzgctäfel ihrer Schrankwerke, ihrer Chorstüle die pcr^jx kti vischen Kunststücke ver- wendeten, geöffnete Schränke mit Büchern und Gefässen anbrachten, seit Paolo Uccello grade zu diesem Zweck die strengste Konstruktion nach Brunelleschis Vorf^rhrift erlernt und seine gL'duliligen Autrisse in den Dienst dieses Zimmer- und Kirchenschmucks gestellt hatte Wenn Wirkhnff Recht hat, diese Wonung des Kirchenvaters Ambrosius in S. demente sei ^vielleicht die erste Darstellung eines Innonraumes als solchen in der italif^nischen Malerei«, so hat sicher Masaccios GcburtstagstcUrr in ]')*-rlin den nächsten Anspruch daneben in Betracht zu kommen, mit dem Einblick in den Korridor und die Wochenstube daneben. Tti der Kapelle des Kardinals Branda geht aber der Einblick in den Kuppelraum des Götzentempels, in das Konsistorium drüben auf der Katharinenlegende, die Prätor- wonung mit Ambrosius In der Wiege und die altchristliche Basilika mit seiner Wal zu Mailand an dieser selben Wand voraus, und, wie angedeutet, steht dies Studierstübchen unter dem Fenster in ebenso engem Zusammenhang mit der Rechnung des architektonisch fülenden und denkenden Malers: neben dem Bilde des Umsturzes, wo ein Haus aus dem Lote weicht und in den Wogen untergehen soll, bedarf es grade hier, wo die Wand schon durch die Lichtziifuhr darf hbrocheii wird, einer Stärkung des klaren Bestandes, einer Wiederautrichtung des Raumgefüls, damit der Beschauer nicht irre werde. Die ganze Leistung perspektivischer Konstruktiven, die hier vorliegt, ist durch und durch motiviert und von dem Bestreben des Künstlers, die Gesetze monumentaler W and maierei auf den Voraussetzungen des Realismus aufzubauen, untrenn- bar. Wir bedürfen keiner Eaune des Nachäffens zu ihrer Erklärung.

Und endlich der küluie, koloristische Versuch, die breiten, weissea Vorhänge und Bettlaken zu dem Grün der Decke, dem

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Koloristische Versuche

Rot der Wände zu stimmen, um dann diese beiden Farben nodi einmal am schillernden Gewände des Wärters zu verbinden«, «r findet nach Wtckhoff in der früheren florentiniachen Kunst keine Analogie. Nun gut! Stessen wir wirlclich auf Spuren, dass die toslcanische Malerei beim Beginn der Renaissance »von dem groasten Kunstereignis nach Giottos Auftreten, der unglaublichen Entwiddong der veronesischen Kunst von 1370 an etwa, . . . berflrt worden t ist, was zwingt uns oder veranlasst uns dann mit der Erkenntnii dieses Einflusses zu warten, »bis sie in Pisanello ihren Höhepunkt erreicht«, und einen persönlichen Spezialfiül zu konstniieten, der Pisanellos Fresken im Lateran voraussetzt, also erat nach 1431 mOg> lieh wftre? Steht nicht der Name Gentiie da Fabriano Im sdfaeo Jahr in dem Zuuftregister von Florenz wie der Masaccios? Und and hier am Arno nicht Antonio Veneziano und Gherardo Stamlna sdua als Träger eines neuen Dranges, bei Vasari und seinen Gewärs- männern noch, bekannt, so dass wir, wenn nichts Greifbares sonst, wenigstens die Empfänglichkeit der Florentiner berauserkennen, die dem Einfluss Gentiles bei seinem Auftreten bis 1425 von aDea Sdten entgegen kam? Stehen wir da nicht vielmehr einen Ungern weiter verzweigten historischen Entwicklungsprocess gegen- über, wo Wickhoff nur die sporadische Abhängigkeit eines einzdneo Toskanera vermutet, den die Fresken der Lateransbasilika um 1446 bis 1450 erst ergriffen haben sollen, nachdem sie schon bei ihrem Entstehen die Bewunderung der Kunstveratändigen erregten.

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i»f DIE KREUZIGUNG i4

Das grosse Hauptbild, nach dem die Kapelle dclla Passione<^ genannt wird, nimmt die ganze Altarwand ein ')• In ihm muss sich alle Kraft des Künstlers entscheidend zusammenfassen, sein Wett- eifer mit den monumentalen Darstellungen dieses Gegenstandes seither oder sein neues Wollen den Höhepunkt erreichen; denn hierhin sind nller Augen gerichtet.

Es überragt an Brdeiitung alle übrigen Bilder dieses Raumes«; aber ein Blick soll uns, wie Wickhoff meint, die vollständige Ab- liängigkcit von Pisanello deutlich machen. -Ks ist zwar noch alles steif, schüchtern, nachgeamt ; aber durch alle diese Naivetät leuchtet ein grosses Vorbild vnl1 feiner, naturalistischer Auffassung durch«. Seltsam, welche Widerspruche ein Vorurteil zu verweben weiss! »Es ist ein l.andschaftsbild ersten R.anges« ; »aber in treier Be- wegung der Komposition, in koloristischer Wirkung, im Verständnis der Luftperspektive (und dann wieder in genauer Durchbildung der einzelnen Details der belebten und unbelebten Natur) war der Veronese weit voraus , wird behauptet, aber wo denn Wo ist der Beleg für diese Bewertung seiner Leistungen? War es unnötig oder überflüssig die Beispiele namhaft zu machen, an denen wir dies Urteil kontrolieren können? Und diese ganze Rechnung mit einem unfassbaren Spuk, den verlorenen Fresken der Lateransbasilika nur hervorgegangen oder ermöglicht aus der falschen Datierung der Malereien in S. Clemente, die als Stiftung des Kardinals Branda, wie wir nachgewiesen, nur vor 1431 entstanden sein können, d. h. vor Pisanellos Eintreffen in Rom schon fertig dastanden.

Wir können das Verhältnis umkerend nur sagen: nichts natürlicher, als dass dies Werk in S. Clemente einen fein organisierten Künstler, der damals nach Rom kam, ergriff, dass diese Leistung eines Tos- kaners von erstem Range den Veronesen wie eine Offenbarung ge- fangen nam, dass sie ihm zur fruchtbarsten Anregung wurde in allen Stücken, wo seine Begabung ausreichte, auf dieser Bahn zu folgen. Tn genauer Durchbildung der einzelnen Details der belebten und unbelebten Natur war der Vcronose freilich weit voraus; denn er i.st ein Meister der Kleinkunst, w^enigstens soweit wir urteilen können, nachdem uns grössere Fresken in Venedig und Rom oder

>) Vgl unsere AbbiUiing «af TaC VDI aadi Fhot und dm Btoblkk io Kapelle

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64 , PiSANELtOS UND GEMTttES BiLDWEISß

in Mantua und sonst vielleicht verloren gegangen. In freier Be- wegung der Komposition« aber vermögen wir ihn mit solchem Cyklus wie die Kapelle Brandas in S. demente oder die Kapelle Brancacci im Carmine garnicht in entsprechendem Mafse zu vergleichen. Das Einzige was uns übrig bleibt, ist die Verkündigfung über dem Grab- mal Brenzoni in S. Fermo Maggiore zu Verona und S. Georgs Ausritt zum Dracbenkampf in S. Anastasia daselbst Nur das letztere Fresko über dem Eingangsbogen einer Kapelle kann als Histoneo* bild und als freie Komposition auf breiterem Wandfelde hier ir Betracht kommen. Dies Beispiel aber orientiert uns voUkorama über das Ver£aren des Malers üm die mittlere Zeit seiner Tätig- keit, auf die es ankommt. Er folgt, bis aut die plastisch stärker } durchgebildeten Pferde, deren eines, för S. Georg gesattelt, vom Hinterteil gesehen wird, während das andre, mit seinem kleinen Waffenträjj^er darauf fast ebenso von vom erscheint, nur jenes breit- spurig auf den Druck des Reiters wartend, dessen Fuss schon den , Steigbügel berürt, dieses schon in Bewegung, bereit heranzutraben, und bis auf den demgemäss verbreiterten Vordergrund durchaus den Prinzipien des Gentile da Fabriano, die wir aus der Anbetung der Könige von 1423 kennen lernen, d. h. den Goldschmiedsgewon- heiten in getriebenem Silberrelief oder dünnem Goldblech. Schon die Verkürzung des frommen Ritters, der seinen schwmn Gaul besteigt, ist nicht eben glücklich gelungen, sein Körper von vorr gesehen doch in die Fläche seitlich ausgelegt wie der Kopf^ dessen Augen linkshin nach dem Ziel seines Ausritts (offenbar dem Drachen auf der zerstörten Hälfte an der andern Seite des Bogens) hinüber- schielen. Die Prinzessin dicht daneben in ihrem kostbäwn Kostüm mit der langen, bei den Pferdehufen gewiss gefärdeten Schleppe, ist eine Silhouette, nur in flachem Profil, ebenso wie die Pferde- k<>pfe und -beine rechts, der unpassende Widder am Boden und der grosse Jagdbund gegeben. Ueberall ist dieser Vordergrund durch niedriges Straudiwerk und ansteigendes Terrain dahinter oder darüber, wie vom obern Teil des Reliefgrundes abgegrioit Links am Wasser, wo ein Kahn sehr unwahrscheinlich gegen das felsige I^fer ansegelt, drängt sich eine Reiterschaar mit Typen fremder Länder zwischen heimischen Fürsten so unglücklich zwischen solcher Felskoulisse und der Bergeshöh dahinter zusammen, dass wir an Gentiles unräumliches Geschiebe im Zug der Magier denken müssen. Didit hinter ihnen erhebt sich der Galgen mit zwei G^ hängten vor dem Tor der Stadt, deren Türme hinter dem Hügel hervorgucken,' Unter diesen erkennen wir gotische Zierbauten wi« die Scaligergrflber und auf der Höhe rechts ein vieltarroiges Kasteil

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PisANELLOs Landschaft

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als Anklänge an das Stadtbild von Verona; aber die Häien- dimension fungiert überall an Stelle der Tiefe und das Interesse des Künstlers ist nicht das Landschaftliche, das Fembild des echten Malers, sondern das Dekorative, die FlAchenftUung des Goldschmieds. Zu dem System der Komposition, das von Gentile da Fabrlano abemommen ist, hat sich also nur die plastische Gewonheit des Medailleurs för ein massiges Relief hinzugesellt, und diese in ver- schiedener Stärke körperhaften Bestandteile sind in keiner einheit- lichen Raumanschauung mit einander ausgeglichen.

tin koloristischer Wirkung« können wir Pisanello auf den b&den Fresken in Verona und auf den beiden Tafelbildem, S. Hubert auf der Jagd und S. Georg mit S. Antonius Abbas unter der Madonna am Himmel, in England, auf verschiedenen Stadien seines Fortschritts kennen lernen, und erhalten in dieser Reihe jedenfiills den Beweis, dass sein «Verständnis der Luftperspektive« nur im engsten Gesichtskreis ausgebildet, durchaus nicht hingereicht hätte, »ein Landschaftsbild ersten Ranges« auch nur annlAemd su be- wältigen oder durch sein Beispiel zu inspirieren, wie es hier in S. Clemente geschehen sein soll Seine froheren Versuche, die freie Natur wenn auch nur im Ausschnitt zu geben, wie der Wald für die Jagdvision Huberts bleiben beim Zusammensdrieben ver* einzelter Stflcke, sei es auch in fdner, naturalistischer Ausf&rung der Einzelstudien stehen, und die Wiedergabe des Schaufdatzes als Ganzes bt nicht anders, als wie wir es aus NieUen dieser Zdt und dieser Schulweise kennen lernen >). Seine spätem Werke oder viel- mehr das einzige Rundbild mit der Anbetung der Könige in Berlin, das Wickhoff inelleicht schon einem Nachfolger zuteilt, darf zeiüich auch als Pisanellos Eigentum kaum mehr in Rechnung gesetzt werden, hält aber ebenso an Grossartigkeit der Auffassung den Vergleich mit der Kreuzigung von S. Clemente nicht aus. Dem Maler dieser kreis- runden Tafel, in dem ich, als es unter dem Namen PeseUino in Berlin aufgestellt wurde zuerst, und im Widersprach zur Galerie- direktion und andern Kennern (wie Herrn A, v. Beckerath z. B.), die Art des Veronesen Pisanello und die Gegend bei S. Martino erkannt habe, feit doch die Einfachheit und Weite des Sinnes, der Blick für die umfassenden Wirkungen des Lichtes und der Luft in ausge- dehnterer Ueberschau, Er schliesst den Horizont ab, um uns in absehbarer Nähe tausend Kleinigkeiten von entzückender Feinheit aufinitisdien, sei es auch ein ganzes Tal mit frommen Hirten und Königen aus Morgenland.

') Vgl. z. B. die Anbetung der Könige, Duchesne No. 32, al^eb. bei DclaborUc, La gfiTwe cn Itelie p, si.

Sehmarso«, Mfuacdo-Slndieii. IV. 6

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Die Landschafi Masaccios

Das Hauptbild von S.Clemente dagegen eröffnet die weite Ferne, wo Himmel und Erde verschwimmen, und lockt die Seele hinaus 2um Traum der Unendlichkeit. Und dies einheitliche Stimmungsbild sollte im Vordergrund aus lauter Stückwerk zusammengestoppelt sein, das der Maler von Pisanellos Medaillen und wer weiss wo »von diesem Künstler abgeschrieben« (wie Wickhoff drucken lässilt. und das steif, schüchtern, naiv kindischer Trödelkrara bleiben musste, »hinter dem nur ein grosses Vorbild heraus leuchtet«, da* sich doch nirj^ends fassen, nirgends wirklich nachweisen lässt. Solei: ein aus lauter Fetzen zusammengeflicktes Narrenkleid wird über den wolgewachsenen, gesunden Leib gezogen, weil der scharfsichtige Kenner, der dem Gaukler hinter die Koulissen guckt, die Wasser- fläche drunten in der Landschaft -lieber für einen Landsee in der Art der lombardischen als für eine Meeresbucht halten möchte . d.h. lieber den kleinen Masolino statt des grossen Masaccio als Urheber erkennen will, -— car tel est notre bon plaisir, und statt des Werkes, aus dem uns, auch als Schatten noch, die AhnuiiLj einer grossen KünsLlerseele anweht, zu gern wieder seine verblüffende Entdeckuii^, zu Worte kommen lässt, die alle bisherige Chronologie über den Haufen wirft und das richtige (iefül nur verdrehen kann. Sind es doch gar seltsame Spruiige einer innerlich haltlosen Beweisfüruag die sich selber widerlegt, indem sie hier die Xachaiium^ eines be- stinmiien Werkes in Rom behauptet, das Keiner von uns mehr ge- sehen hat, und die ganze Geschichte an dieses Hirngespinst hciügt. um im nächiicn Augenblick das Vorbild einer Landscluüt am Fusse der Alpen zu suchen und aus originellster Xalurauffassung dies Erstliin^swerk der Landschaftsmalerei vom höchsten Range erklaren.

Nichts von den lachenden Ufern der lombardisclien Alpenseen, nicht die villenbesetzten Höhen um Como oder Liigani), nicht die schneebedeckten Berge im Hmu rgrund des Lagu Maggiore, noch die üppige Vegetatif)n der Brianza oder die reiche Kultur uro Varese, sondern öde unbebaute Mächen, die sich wellig heben i;nd senken, Weidetriften höchstens, die sich weithin nbereinandcrschieben, nur aut ternern Hügeln die Baumgruppen inul W'onungen der Herren. die römische Campagna und die Castelli Romani dahinter, breiten sich auf diesem Bilde der Kreuzigung aus. Ks ist ihr einsam melancholischer und doch so grossartiger Charakter, die ungestörte Weite, aller emsigen Betriebsamkeit und Menschenhast fn md, in ihrem endhjsen Verdämmern, mag die Wasserfläche das naht Meer bedeuten oder den Albaner See, (»der eine überschwemmte Sumpfrtache; auf Wiedergabc einer ganz bestimmten Oerthchkeit,

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blE G-EKREUZtGTfitl

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mit ihren kenntlichen Details kommt es dem Maler gewiss viel weniger an als auf die Erfassung der Gesamtheit, auf die malerischen Sindrücke, die sich seiner Seele bei Wanderungen oder Ausblicken von Rom eingeprägt haben. Und ihre Stimmung ist so genau ge- troffen, dass Niemand, der in Rom gelebt hat, an das Araotal oder die Umgebung von Castiglione d'Olona denken wird. Beide worden sich mit einem Ausschnitt der Castelli Romani, aus nächster Nähe grenommen, vielleicht verwechseln lassen, nicht aber die Campagna im Vordergrund, die hier als Hauptsache sich geltend macht und den Grundton dieser römischen Kreuzigung bestimmt So denkt sich der Maler, der aus dem Garten Toskanas stammt, den Ort des Hochgerichts: die vorderste Erdschwelle, deren breiten Rucken wir vor uns sich wölben und zu tieferer Senkung ab&Uen sehen, ist ihm Golgatha. Hier sind am Rande des Abfalls die drei Kreuze auf- gerichtet, die hüben und drüben weithin sichtbar emporragen wie unheimliche Wahrzeichen dncr sonst gemiedenen Stätte draussen vor den Mauern.

In der Mitte steht der höhere Stamm mit dem gekreuzigten Jesus von Nazareth, dem König der Juden, zu beiden Seiten schräg darauf gerichtet die (tauformigen) niedrigeren Kreuze der Schächer, zur Rechten Christi der reuige Sünder, dessen Seele ein Engel er- rettet'), zur Linken der verstockte Uebeltäter, der dem Bösen ver- fallen bldbt, beide mit übereinandergeschlagenen Beinen herab- hängend, während die Füsse des Erlösers mit einem Nagel auf schrägem Untersatz befestigt sind. Erschöpft und ergeben hängt der Kopf des Reuigen auf die Brust hernieder, während der Andere sich im Widerstreben windet Von Uebermalung freier geblieben ist nur der Messias selber, dessen Körper schlank und schmächtig doch edel gebildet, schon mit Sorgfalt modelliert, auf klare, plastische Wirkung vor Allem berechnet war. So stehen die drei Kreuze, ^mmetrisch das Bogenfeld füllend, soweit auf den beiden Nachbar- wänden die Teilung reicht, in ihrer verschiedenen Ansicht und Be- leuchtung, räumlich und körperhaft gegeneinander verschoben, vor dem weiten Himmel, der nur unten von der Flucht der Hügelkette und des Uferrandes am Wasser begränzt wird.

Unten am Kreuzesstamm des Erlösers kniet Magdalena, das Holz umarmend und emporschauend zu dem geliebten Herrn Der Vordergrund unterhalb der Kreuze ist durch das gotische Wand- tabemakel links vom freistehenden Altar und durch die Tfireinfassung

niuere Abbildung iwcb l^bra»c{ auf Tdf. IX »). «) Vgl. unMie Tat X. a).

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1>IE Angehörigen Christi

rechts an der Ecke zerschnitten, ausserdem zwischen diesen beiden einspringenden Störungen durch Uebermalung so entstellt, dass über die ursprüngliche Komposition nur unter Vorbehalt noch berichtet werden kann. Nur so viel ist sicher, dass zu beiden Seiten des Tabernakels feste Figurengruppen von gleicher Höhe sich anscUiesseo, deren reliefartige Masse als Ganzes auf der linken Seite auch anf der Rechten, bei der Tflr, einen ähnlichen Zusammenhalt voraus- setzen (wie denn Labruzzi hier die Soldaten, um das Gewand wOrfelnd, angiebt mit welchem Schatten von Berechtigung im damaligeo Zustand, sei dahin gestellt).

Grade in der Mitte erkennen wir, leidlich erhalten, den Lieblings» jünger Johannes, der schmerzvoll die Rechte an die Wange legt und wie gelahmt vom eigenen Weh nur untätig auf Maria schaut, die neben ihm ohnmächtig in die Arme der Frauen sinkt, die sie stützen und hülfreich umgeben. Auch diese Gruppe hat durch Uebermalung gelitten, doch die Hauptzüge der Gestaltung bewart, und muss in ihrer ergreifenden Wahrheit schon früh die Bewunderung der Künstler erregt haben. Pietro Perugino z. B, hat sie, wie Crowe und Cavalcaselle bemerken. In der Kreuzabname, die er nach Filippino Lippis Tode 1505 zu vollenden bekam, ohne Bedenken wiederholt, und Michelangelos Tadel seiner Bequemlichkeit gründete sich eben auf dieses Beispiel. Der Anflug von Fra Bartolommeo, den die Originale durch Restauratorenhand erhalten, befremdet deshalb das Auge nicht so s^ Die Gestalt dnes zum Kreuz aufblickenden Jünglings, stark übermalt scheint die Ueber* leitung zu Johannes zu bilden, während auf der andern meist zer- störten Seite eine Leere klafft Hier waren vor dem Kreuz des verstockten Sünders Henkersknechte beschäftigt, ihre Werkzeuge. Hammer und Nagel zusammen zu packen ; jetzt sind akademiadie Genrefiguren eines ländlichen Males draus geworden.

Verhaltnismäsdg wolerhalten sind nur die Männer in der Edce links'). Sie zeugen in ihrem sichern Auftreten und ihrer gesdUosseneo Haltung für die ursprüngliche Absicht des Meisters wie für den Grad seiner Fähigkeit in monumentaler Gestaltung der vorderstes Figurenreihe. Sie reden untereinander über den Gekreuzigten: der Vorderste, seitwärts von hinten gesehen, weist hinauf; der Nachbar im hohen Hut folgt erstaunt den Blicken des Erzälers, während der Dritte, mit grimmigem Ausdruck, eine Schrifbrolle in der Hand, dem Kreuze den Rücken wendet. £s sind offenbar die Vertreter

1) Die Kopfe zweier Frtaen lici Labrutti, auf utmrer Ta£. X, b). *) Die drei KApfe bei Labniui, oaf xmtnt TmT. IX, b).

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Die Juden und die Reiter

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der Judenschaft, und der aufblidcende Jüngling granz links liinter dieser Gruppe soll« nach dem Beutel in der Hand, Judas Iscbariotb sein, der hastig, im Begriff zu verschwinden, dodi nicht lassen kann, einen Blick hinauf zu werfen, dessen Eindruck ihn dann zur Ver- zweiflung treibt

Sehr deutlich ist dagegen Aber diesem reliefartigen Streifen die Bewegung auf der Hohe des Erdwalls. Von allen Seiten wenden sich Reiter, stillhaltend oder herankommend dem Kreuze zu. Voll- ständig in der Breite gesehen, hält rechts der Befelshaber, der die Schergen bei der Hinrichtung kommandierte während neben dem Kreuze des Schächers ein Ritter in voller Rüstung auf prächtig geschirrtem Gaul mit erhobener Rechten gestikulierend die Höhe heransprengt, so dass wir Ross und Reiter in lebendiger Bewegung und kühner Verkürzung von vom sehen. Links vor dem Kreuze des Reuigen hält schräg zu Christus gewendet der ^äubige Haupt- mann JLonginus und betet, hoch zu Ross^ zum Grottessohn zu dem er emporblickt"). Ebenso meisterhaft erfunden wie der Herauf- sprengende hinter dem Kreuze rechts, steht diese Gestalt in Ruhe auf dem Kamme des Hügels links vom Kreuze, raumschaffend und stimmungsdiaffend zugleich, so dass die beiden Reiter in ange- messener Entfernung Magdalena, einsam am Kreuzesstamm, in die Mitte nemen. Nicht minder wirksam als diese Diagonale, über- zeugt von der Raumtiefe der letzte Retter links, der neben Longinus hält: mit der langen Lanze, von deren Spitze ein Doppelwimpel niederflattert, steht er, ganz vom Rücken gesehen, in schimmernder Rüstung eine überraschende Leistung plastisch wirkender Malerei. Weiter hinten ein Standartenträger, ein junger Knappe in hohem, spitzem Filzhut, ganz von vom gesehen, und ein zum Kreuz auf- blickender Ritter, der mit erhobener Hand die Augen beschattet, zwischen Longinus und seinem Fähnrich; sie tauchen aus der Senkung jenseits der Höbe auf, während zwischen Longinus und Magdalena eine Reihe von andern Berittenen in verschiedener Richtung einander begegnen. Besonders eifrig scheint ein Jüngerer von der Seite her, dem langsam heraufkommenden Fürsten zu berichten, der lang- bärtig in seinem Mörserhut wol Herodes vorstellen soll, aber dnem griechischen Patriarchen gleicht Die sorgfältigen Durchzetchnungen l^bnizzis haben nach den damaligen Resten noch dne Auswal mannichfaltiger Köpfe gerettet, die in verschiedenster Haltung, meist in schwieriger Verkürzung, den erfinderischen Reichtum des Meisters

*) Vgl. unsere Taf. IX, c \^iiiiksj. ■) uiiatre Tftf. IX, c (rechts). *} Vgl nnsen Taf. X, »).

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Komposition des Ganzen

bezeugen, in dem gegenwärtigen Zustand des Bildes aber nur als Schatten noch fassbar sind. Sie tragen entweder kugelige oder konische Helme mit engem Ausschnitt für das Gesicht, oder jene abenteuerlichen Kopfbedeckungen, weiche Filzhauben und hoch* getürmte Hüte, ineinander geschachtelte »berettoni*, die uns aus Gentiles Anbetung der Könige und gleichzeitigen toskanischen Bildern ebenso bekannt sein sollten wie aus Ma.solinos Johannea- ^:|"nschichten in Castiglione d'Olona oder aus Medaillen Vittore PisanoSk Das Einzige was bei einem Vergleich mit diesen andern Beispielen des Zeitkostüms auffallen dürfte, wäre die mafsvoUere Form in S. demente, während in Oberitalien, nach Masolinos und Pisanellos Darstellungen zu schliessen, die phantastische Willkür der Mode am übertriebensten gehaust zu haben scheint, d. h. aber wol erst in spätem Jahren, kurz vor ihrem Ende.

Wenn uns die biblischen Figuren im Vordergrund und auf der Höhe, die Reitergruppen zu beiden Seiten der Kreuze, die mannich- fallig verkürzten Köpfe in Stalhelm oder Filzhut die wolverdiente Bewunderung für den neu erfindenden Eifer des Malers abgenötigt haben, der den alt überlieferten Gegenstand der ^Passion Christi am Kreuz zwischen den beiden Schachern« so völlig anders zu ge- stalten sucht, als die gotische Kunst seit Giotto vor ihm getan hatte, so kommt man von dem Einfall, einen Nachamer in ihm zu sehen, wol endgiltig zurück. Wir können uns wol denken und dürfen es, wie bei Ambrosius im Krankenzimmer für die Franciscusbilder, gewiss annemen, dass der Maler auf dem Wege nach Rom, wo Giotto in S^* Peter gemalt hatte, auch die grossen Kreuzigungen in Assisi gesehen hat; vielleicht war er von der ältesten in der Ober- kirche und von der letzten des Pietro Lorenzetti in mancher Hinsicht mehr ergriffen als von der Giottos oder Giottinos. Aber sein eigenes Wollen gieng mit keinem dieser grossartigen Vorbilder völlig zu- sammen. Er weiss die Vorzüge jener byzantinischen Tradition und dieser Giottos ebenso zu schätzen wie die gewaltige Erregung Lorcn- zettis, der aus dem Kreuzestod des Gottessohnes das erschütternde, die ganze Schöpfung mit durchbebende Weltereignis gemacht hat Des- halb hält er einerseits an der strengem Komposition fest, bringt sie aber zugleich in Zusammenhang mit der umgebenden Architektur der Kapelle selber und vollzieht damit den bedeutsamsten Scliritt zum monumentalen Stil im Sinne des neuen Realismus» Höchst energisch wird die Dominante des Ganzen herausgehoben und doch nach allen Seiten hin in Beziehung gesetzt. Straffe Symmetrie herrscht in dem obem Teil, wo die Kreuze gegen den Himmel ragen ; aber die Ab- wandlung der Ansicht, Christus höher, ganz von vorn, die Sch<icher

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Auffassung als Historisches Ereignis

seitlich darunter zurücktretend, nur in perspektivischer Vorschiebung, ist wieder bezeichnend fiir das X'crhältnis dieses HauptbiUles zu den Seitenwänden. Jn den Gestalten sr'lbor wird dies innerlich motiviert: der (rottessohii ist ungebroc hen, ciic Sunder daneben hier ergeben zusammengesunken, dort vergewaltigt vom furchtbaren Tode. Nach dieser architektonischen Klarheit, die nur mitteis fler Beleuchtung durch das Fenster von rechts her in der Art gemildert wird, dass die schreckliche Verzerrung des ünbufsfertigen sich im Schatten zurückzieht, die Demut des Reuigen in volles Licht gesetzt wird, war es erstrecht schwer, die untere Hälfte des Wandbildes mit dieser obern, weithinausgehobenen Region zu vermitteln. Meisterhaft ist auch hier das \'erfaren, soweit die Bedingungen am Orte nicht störend dazwischentreten. Nur bei dieser Behandlung des Bogen- feldes erscheint die Horizontal teilung der Nachbarwände links und rechts nicht als ein Widerspruch, und zum Dank überträgt sich die Dreiteilung der untern Wandstreifen auf dieses ^littelstück , das breite Rechteckfcld der Altarwand in sich zu gliedern, und durch kraftigen Zusammenhalt der beiden äussern Figurengruppen auch den Anschluss an die Flügel /u beiden Seiten mit ihren Legenden« bildern fülbar aufrecht zu erhalten.

Wenn wir den Reichtum der mannichfaltigcn, hier unten ver- einigten Motive, die Gegenwart all der verschiedenartigen Zeugen des letzten Augenblicks Christi zurückvcrfolgcn wollen, so bedarf es schon einer länorern historischen Betrachtung, von Pietro Lorcnzetti jedenfalls zu i.orenzo und Jacoix) da .San Severino, die im Jahre ui6 noch eine solche stark bewegte, mit Motiven überhäufte, aber sonst über die oberflächliche Art eines Spinello Aretino nur wenig hinaus- gehende Kreuzigung im Kirchiein S. Johannes des Täufers von Urbino gemalt hatten. Hier in S. Clemente wird aber zum ersten Mal der Kreuzestod des Erlösers als historisches Faktum aus den Tagen des Künstlers vollauf in der zeitlichen und örtlichrn T"^m- gebung vorgefürt, in der sein Auftraggeber und seine demeinde das gewaltige Drama als eigenes Erlebnis vor den Toren Roms erschauen mochten Und in all dieser bewegten Abwechslung malerischer Typen des damaligen halb kriegerischen Zustandes über- nemen die Reiter vom Befelshuber zum Fahnenjunker und zum Trossknecht die Hauptstützen der Komposition, die als Gipfelpunkte in die Griip])en hineingestellt, sowol nach oben überleiten als die untere Gliederung übersichtlich markieren. In echt nialcrischcm Sinne kommt in diese feste Aufstellung nach Bedarf wirksamer Kaunnvertc noch die Wellenbewegung der Bodenfläche hinein, sei es im Vollzug der Breite nach beiden Scitcni sei es gegen die Tiefe

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Bewegung und Beleuchtung

mit der ganz originellen Verwertung eincV abfallenden Halde, die uns den untern Teil der herankommenden Figuren entzieht, so dass hier und da nur Büsten auftauchen, die überraschend genu^ nicht wenig zum natürlichen Gewoge des Lebens beitragen, das die wol- durchdachtc Anlag-e des Ganzen wie ein wechselnder Strom vorüber- gchen lcn Gesch' hons durchzieht. Der Eindruck des TransitorischcTi inmitten der bleibenden Bedeutung^ des Augenblicks, der im Bilde für die Andacht des wiederkerenden Beschauers fortdauert, dazu auch in dieser unteren Versammlung noch erhöht durch die momentane Belf uchtung, die im Anschluss an die gegebenen Be- dingungen der Kapelle, von einer Seite her durch das Ganze geht, während der Grundton nach dem Wortlaut der biblischen Erzäiung die heraufziehende Verfinsterung festhält.

Die abendliche Sonne ist schon im Westen versunken, nur ihr letzter Schimmer berürt noch die Bergkämme und sammelt sicii zu glänzenden Reflexen am Uferrande des Wassers links. Auch das ist dem Kritiker nicht entgangen, dem wir bisher widersprechen mussten ^) : »wir treffen hier auf eine Absicht nach grosser, einheit- licher Wirkung. Alles Licht ist auf die Wasserfläche versamnic4t; über (his umgebende Land zieht sich eine angenehm verbindende Dämmerung^. Es ist eine landschaftliche Stimmung, ein Beleuchtungv. eindruck ganz ausserordentlicher Art, der in der ganzen italienischen Malerei dieser Jahrzehnte nicht seines Gleichen findet, und nur an- nähernd aucli in der Taufe Petri an der Altarwand der Brancacci- kapeile, wie im Hintergrund der Geschichte vom Zollgroschen Ix* obachtet wird, während das Wunder der Schattenheilung wenigstens zu anderm Zwecke das Rechnen mit solchen Faktoren bei ^fas^ircir beweist. Hier in S. demente beherrscht die Lichtquelle die Mitie des Bildes, verbindet Oben und Unten und gleicht alle Gegensatze der Tragödie aus. Es verlischt das Licht der Welt, doch nur für eine kurze Nacht, das lehrt allein das Auge ; durch den Einklang zwischen Natur und Menschenschicksal ahmt es die Seele nach.

Darnach wäre die Landschaft als integrierender Bestandteil und die Heltdunkelwirkung des Ganzen eine malerische Leistung, die selbst für den genialsten Maler, der grade in diesem Punkt alle Nachfolger bis auf Piero dei Francesclii und Lionardo da Vind weit überragt, fast zu modern anmuten dürfte. Wenn man auch anerkennt, dass* schon der Versuch, durch die Verteilung der Figureo

1) Ich kADQ mich, bei wiederholter Beschäßigung mit Widtholb AutMli in ^ Zeitidiiift Ar bildende Ktins^ nie recht der Vcraintitog erweien, als habe der Aitar die Verfediter Masolinos ei^entlidi dnrdi die «benleuerlichen WidersptOdie nur ad abrnriaB ffiien wollen. >IMe ISiaült tob ich mir, der Gott bat Witx gegeben«.

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Malerische Wirkung

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vor und hinter einem Hügelrand auch die Luftperspektive zu heben, eine beachtenswerte, ja geniale MaTsname sei, die doch ebensoviel Orginalität des Gedankens als Verständnis der natürlichen Er- schemungen in solchem Fall voraussetzt, so darf andrerseits nicht verschwiegen werden, dass zu dem vorhandenen Dfimmerscbein und adner dnheitlichen Wirkung nach Art vorgeschrittener Koloristen allerdings der gegenwärtige Zustand des Wandgemäldes etwas bei- trftgt, d. h. die Zerstörung des Freskobildes, das ursprünglich nicht ganz so gedämpft und gestimmt gewesen sein kann, wie es heute dem modernen Auge so »angenehm verbindend« erscheint. Dagegen darf auf die dämpfende Wirkung der Butzenscheiben oder iarbigen Gläser des ehemaligen gotischen Fensters hingewiesen werden, die iirsprünglich gewiss in Rechnung kamen, während jetzt entweder bei voller Durchsichtigkeit der heutigen Glasscheiben das Tageslicht in voller Stärke einftült oder durch einen roten Vorhang noangenem geffirbt wird. Bei alledem aber bleibt die Uchtfilrung und die Luftperspektive ganz erstaunlich, und kann übeihaupt nur aus Masaccios sonstigen Bestrebungen, unter denen auch die Fisaner Fredella mit der Anbetung der Könige nicht vergessen sei, eine annembare Erklärung finden.

Wäre es darnach noch notwendig, die Anwartschaft Maso- linos auf eine solche künstlerische Tat zurückzuweisen? Was macht er denn aus einer ganz ähnlich verwendbaren Altarwand im Sanktuarium der Taufkapelle zu Castiglione d'Olona (1435)? Hier begegnet auch eins der landschaftlichen Beispiele, die wir von ihm besitzen: das Jordantal in der Taufe Christi mit seinen Hügeln aus Pappe, mit seinem gänzlichen Mangel an Luft und Licht und Abstufung in der Weite überhaupt. Nicht minder muss der Ausblick auf benachbarte Höhen vom Palasthof des Herodes aus, mit der Bestattung des ent- haupteten Täufers durch seine Jünger darinnen, jeden Versuch, das Kreuzigungsbild von S. demente mit ihm zusammenzudenken, als iächeriiche Torheit brandmarken, selbst wenn man den unerwarteten Aufschwung in hohem Alter oder glücklichste Inspiration in bessern Jahren voraussetzen wollte. Bei Masaccio dagegen haben wir in d^ Brancaccikapelle keineswegs nur »steile Felsen, die wie eine graue Wand den Vorgängen als Hintergrund dienen«, so gern uns Wickhoff zu solcher Kurzsichtigkeit verfürte, um desto weitsichtiger an den T,anclschaftsmal( r Pisanello und seine wunderbare Wirkung auf abschreibende Nachamer glauben zu können. In der Anbetung der Könige von 1426, in der wir gern einen Anreiz von Gentiles Flucht nach Aegypten her erkennen, d. h. in einem Predellenstück von so bescheidenem Mafstab, liegt jedenfalls ein Beleuchtungseftekt

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Verhäliniswerte. Abendschein

ganz verwandter Art vor: Tiefstand der Sonne, lange Schatten am Boden, der Reflexe von unten herauf wirft und so einen Wider- schein der Helligkeit in die dunkle Hütte sendet, und ein eigen- tümlicher dämmernder Lichtglanz über den Hügelreihen bis in die Ferne hin.

Hier beim Kreuzestod auf dol^'^atha war der Abendschein beim Sonnenuntergang", oder das unheimliche Hf^roinbrechen plötzlicher Verfinsterung noch mehr im Thema selber gegeben, da die Erzäluni,^ des Evangeliums davon redet. Und in diesem Falle kam dorr, Maler allerlei zu Hülfe, das nicht in seiner Macht lag : die Weit« des Wandfeldes, das für eine grosse Darstellung verwandt werden sollte, während die Scitenwände der Kapelle, in zwei Reihen geteill. schmale Bilder enthalten ; die hoehr iv^i nden Kreuze, die durch diese Bedingung gefördert, in einem grossen Stück gemalten Himmels allein stehen ; der Mafstab der Figuren darunter, der sich natürlich nach dem der Legendenbilder bemessen musste, hier auf dem ein- heitlichen Felde jedoch in ganz anderm Verhältnis zum Bildraume wirk- sam ward, lauter befreiondo. erweiternde, auflockernde Momente, die sowol den Eindruck des ik'schauers als auch die Oekonomie des Künstlers bestimmen. Endlich, und nicht zum geringsten ist der Grad landschaftlicher Naturdarstellung bedeutsam, der einem damaligen Florentiner auch bei grösster Begabung zu Gebote stehen konntt^ : es feit an dem Reichtum der Einzelbeobachtung, über den eine länger geübte Laiuischaftsmalerei verfügt, es feit an Bestimmt- heit der Formen, für deren Auffassung und Wiedergabe Auge und Pinsel geübt sein wuUen, und sorgfältige Einzelstudien. Stückwerk, wie es Pisanello sich angeeignet und mit unglaublichem Feinsinn zu kleinen Ausschnitten verbindet, das hätte hier auch beim besten Willen nicht ausgereicht, die vorhandene Wandfläche zu füllen, über- haupt wol kaum wirken k<mnen. Dies Feien schärfer bestimmter Einzelheiten, charakterisiisi her Bergformen, Bäume, Eingriffe mcnscli- licher Kultur, giebt dem Landschaftsbilde die Allgemeinheit, die seinen Gesarntcharaktcr rein bevvart, ihn desto grossartiger wirken lässt und eine einheitliche Stimmung hervorbringt. Ein Blick von den Hügeln Rums auf die Campagna hinaus, im Dämmerschein des Abends, wo alle kleinen Detailbildungen verschwimmen, und der weite, melancholische Hintergrund für den Tod des Gottessohnes war gefunden, l'cber dem verzweifelnden Schmerz der .Seinen und der unklaren Aufregung der h'remdon, der dumpfen Beklommenheit der Feinde breitet sich der Ausblick über Land und Wasser, Hügel- reihen und Himmel. Greller Lichtglanz auf dem Spiegel der See, schimmernde Helligkeit über dem Gebirge, zerstreuter Widerschein

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Allgemeinheit des Landschaftlichen 75

auf Fahnen, Rüstungen Reitergruppen bis in den Vordergrund und überall dazwischen die Vorboten der Dunkelheit» wie beim Anbruch der Nacht, wo die Unendlichkeit Alles umfängt.

Das ist der malerische Gedanke, der diese Kreuzigung von allen früheren ebenso unterscheidet, wie von dem berümten Fresko des Fra Angelico in S. Marco: es ist kein symbolisches Andachts- bild, Wie bei den Giottisten. kein tumultuarischer Schlussakt einer Greschichte mit Volksauflauf und Gedränge, wie bei den Veronesen, sondern eine Wiedergabe der biblischen Erzälung im höchsten Sinne, doch mit fireier oder naiver Uebertragung in die Gegenwart des Quattrocento, in die Welt des Abendlandes im fünfzehnten Jahr- hundert und in das Bewusstsein, dass ein solches Ereignis zu Rom wieder die ganze Christenheit zum Zeugen neme.

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1^ EINORDNUNG DES KAPELLENSCHMUCKES IN DAS I-EBENSWERK DES MEISTERS

Wird nach dieser Betrachtung des Freskenscfamucfces der Kapdk Branda Castigltones in S. demente nun ein abschliessendes Urteil erwartet, so kann wol kaum zweifelhaft sein, dass wir unsaUein iiir Masaecto entscheiden können und damit auf die Sdte der KfiDstler- tradition bis Michelangelo bei Vasari und der kritischen Verglochuug bei Cavalcaselle treten, wenn wir damit auch weder die biograpfaisdie Einkleidung des Einen noch die Datierung des Andern auf die Jugendjahre zwischen 141 7 und 1420 gutbeissen wollen.

Der Eindruck eines vielversprechenden, aber noch in sidi unsichem Strebens, den Crowe und Cavalcaselle aus den Legenden* bildem empfiengen, wich im Fortschritt unserer Betrachtung immer mehr dem Eindruck Albert v. Zahns von einer durchaus nicht schülerhaften Leistung. Sie können beide zu Recht bestdien m relativer Bedeutung ; denn die historische Stellung, die diese Arbeit im Entwicklungsgang der toskanischen Malerei und im Lebenswerk Masacdos einnimmt, wenn anders unsere Erwägungen über ihren Zusammenhang mit seinem sonstigen Eigentum sidi wdter be- wflren, bestimmt sich grade durch diese Beziehung nach beiden Seiten.

Den Vertretern der entgegengesetzten Ansicht: »dass der Meister in S. demente auch die Fresken im Baptisterium zn Castiglione gemalt hat«, wie Springer wolttberlegt seine Ueber- zeugung formuliert, oder »dass Masolino als Urheber beider Cyldeo, in welcher Reihenfolge immer, gelten müsse« widersetzt sidi schon eine Reihe von unübersteigbaren Hindernissen, besonders im Hinblick auf die exakten Grrundlagen des Wissens und Könnens» die wir im Obigen nachgewiesen, aber auch schon in Rückacht auf die Chronologie, die für Masolinos Leben und Werke festgestellt worden. An die letztere sei hier zuerst noch einmal kurz erinnert:

Wir besitzen fOff Masolino den Nachweis, dass er im Januar 1423 und zu Anfang Juli 1425 in Florenz anwesend war, habeo darin aller Wahrscheinlichkeit nach ungeßür die Gränzen einer zu- sammenhängenden Tätigkeit, und zwar vornemlich an Deckenbildem und Lünetten der Brancaccikapelle. Dann folgt die Gewölbemalerei des Chores in der neugeweihten Kirche zu Castiglione d*01ona noch im Sommer 1425, bereits auf dem Wege zu Pippo Spano nach Ungarn, wo er zu Stulwdssenburg eine Kapelle ausmalt und aoch

Masolino^

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nach dem Tode dieses grossen Florentiners (Ende Dezember 1426) noch verweilt, als sein Vater Christoforo Fini seine Denunzia für 1427 schrieb, worin er den Sohn Maso als dreiundvierzigjährig und ab- wesend in Ungarn aulAirt. Das folgende Datum ist dann die Jabreszal 1435* am Bogen des Altarhauses im Baptisterium zu Castiglione, aus dessen Malereien wir die Ueberzeugung gewonnen hatten, dass Masolioo inzwischen wieder in Florenz gewesen und neue Elemente der kfln stierischen Entwicklung seiner Vaterstadt aufgenommen haben müsse. Lag es doch grade ihm am nächsten, wenigstens nach Masaccios Tode 1428/29 die Vollendung der Bran- cacdkapelle wieder A&r sich zu erstreben, oder in Rom durch Kardinal Branda Bestellungen zu erhalten» der nach der Wal Eugens IV. Bischof von Porto geworden, zum Koncil nach Basel reiste, woher er erst zurftckkerte, als Eugen mit der Kurie wieder in Florenz eine Zufluchtstatte gefunden, d. h. wahrscheinlich im Herbst 1434.

Nun ist wol von allen Forschem, die Masolino fflr S. Clemente in Vorschlag bringen, anerkannt, dass eine engere Verwandtschaft dieser römischen Fresken nur zu den Malereien des Baptisteriums in Castiglione von 1435 f. besteht, nicht aber zu den Deckenbildem im Chor der Collegiata, die doch zu weit hinter dem Entwicklungs- stadium zurückbleiben, das in S. Clemente erreicht ist, mag man sie um 1423, oder 1425, oder gar erst 1428 datieren. Diese Historiker könnten also die Cappella della Passione in Rom nur möglichst lange nach der Gewölbemalerei der CoUegiata und möglichst kurz vor dem Baptisterium in Castiglione, also zwischen 1428 und 143 1 an- setzen. Sie hätten darnach im Gange ihres Masolino ein Zwischen- glied gefunden, das den Abstand erklären müsste, fOr den auch A. V. Zahn einen Zwischenraum von mehreren Jahren fordert, »um die Entwicklung des Künstlers von den Chorbildem zu denen des Baptisteriums zu begreifen«. Nur schade: die Legenden in S. Clemente zeigen eine viel grössere Sicheriieit in der Kenntnis der Perspektive als die Johannesgfeschichten in Castiglione an ihrem Anfang, sie sind viel konsequenter für den Raum erdacht und disponiert als diese, sie gehen auch in der Gestaltenbüdung der Idealfiguren an plastischer Bestimmtheit und voller Leiblichkeit weit hinaus über alle Mittel Masolinos, die er 1435 in der Taufe Christi zur Schau stellt und noch im Triumph Salomes nicht überbietet Nirgends in Castiglione versteigt er sich zu so dramatischer Handlung, zu so schwierigen Verkürzungen der mitwirkenden Personen wie im Martyrium Katharinas. Und endlich noch Eins] In den Fresken des Bap- tisteriums sehen wir bei zunemender Bildnistreue auch die Ein* drücke seines Aufenthalts in der Fremde lebendig werden, germanisch-

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78 Masolino^

magyarische Erinnerungsbilder mit einer Frische empordringen) daas man meint, der Maler müsse soeben erst aus Ungarn zurflckgeikert sein. Dieser Schluss ist aber nicht durchaus notwendig; denn der unläugbare Tatbestand lässt sich auch durch mitgebrachte Studien und gezeichnete Porträtaufnamen erklären: die persönliche Be* rQrung mit Branda, der so lange als Legat in jenen Gegenden ge- lebt hatte, die Gespräche zwischen Maler und Auftraggeber konnten dies Andenken wieder auffrischen, die Skizzen von der Reise und sonstiges Material, besonders aber die Bildnisse Spanos und andrv Personen hervorlocken oder geradezu zur Verwertung bestiromea

Aber weshalb feit jede Spur des Ungarischen in S. demente, so kurz nach der Heimker aus jenen Gegenden, in deren halb- orientalische Physiognomie sich die Erlebnisse Katharinas so natdrÜdi gekleidet hätten, wenn der Maler seine Wirklichkeitsfreude nach der Richtung zu befriedigen anfieng, die wir in Köpfen und KostHmeo des Herodeshofes so stark Oberwiegen sehen. Oberitalieniscfae Zflge. veronesische Komposition und Behandlungsweise, sogar einen Land- see in der Art der lombardischen haben die eifrigsten Augen wol darin entdeckt, aber keine Reminiscenzen aus Ungarn, die Masolioo zwischen 1428 und 1431 so viel näher lagen. Dagegen sehen wir im Kaiser und seinem Gefolge die Nachklänge deutscher Forsten- trachk und höfischer Moden vom Koncil zu Konstanz in der Katha* rinenlegende, wie auf dem Altärchen Martins V. für S. M. Maggiore; in dem noch Michelangelo ausser dem Bildnis dieses Papstes die Züge Sigismunds zu erkennen wusste, d. h. KostOmfiguren in BfldaiS' Charakter» wie solche in den Händen des neugewälten Papstes nod seiner Kardinäle oder im Gefolge der Kurie ebenso wol wie durdi die Gesandtschaften nach Italien kommen mussten').

Diese negativen Instanzen gegen MasoUnos Autorschaft haben aber lauge nicht die einschneidende und radikal widerstrebende Be- deutung wie die kOnstlerisdien Qualitäten, diepo^v fdr Masaccio entscheiden. Wenn es nun aber gelänge, fOr die Zwischenzeit 1428— 1431, für die Masolino allein tn Betracht kommen kann, audi ein Beispiel seiner Kunstweise in Vergleich zu stellen, wie wir filr die Florentiner Zeit vor dem Weggang 1425 in eanem RundbOd der Madonna, jenem abgenommenen Fresko von der Pap5ti»'onung bei S. M. Novella nachgewiesen haben, dann wäre wol das Beweis- verfaren auch fQr die äussersten AnsprOche geschlossen?

') Es ist wol nicht ohne Bedeutung, dass Piero dei Fnncescbi noch 145 1 <fc> beiligen KOnig Sigismund von Bnrgond auf dem Fresco su Riniai in dem If Ancite des Kaisers bei der Disputation Katliarincns in S. demente darstellt.

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Anbetung dek Könige in Münc hkn

Ich glaube ein solches Belegstück wenigstens för die Tafel- malerei Masolinos vor dem Freskeneyklus des Baptisteriums zu kennen, das zugleich unser Postiilat eines abermaligen Aufenthaltes in Florenz und eines erneuten Einflusses heimischer Fortschritte auf sein eigenes Vermögen bestätigt, deshalb also notwendig in die Jahre nach 1428 gehören mus& Es ist eine Anbetung der Könige in der alten I^nakothek in München (Katalog Nr. 1001), das dort der Florentinischen Schule um 1430—50 zugeschrieben wird*). Um Masolino selbst als Urheber dieses Temperabildes zu erkennen, genüget seine Herleitbarkeit aus dem Deckenfresko desselben Gegen- standes, das wir vom Jahre ' 1425 in der Collegiata zu Castiglione besitzen. Die Gestalten vor allen Dingen sind sehr verwandt geblieben, besonders die Uebereinstimmung zwischen dem Joseph hier wie da in allen Grundzügen des altertümlichen Charakters durchaus schlagend. Zunächst käme dann Maria, in deren Ver- breiterung das Streben nach grösserem Stil schon deutlicher vrird. Die ganze Komposition aber ist umgedreht und auf die Haupt- personen beschränkt Während wir in dem früheren Fresko das Vorbild Gentiles wirksam &nden, ist es hier ebenso unläugbar das des Fra Angellco da Fiesole, in dessen Nähe jedermann, der die Arbeiten Masolinos in Castiglione nicht genau kennt, das Münchener Stück verlegen wird. Die wolweisliche Zurückhaltung der Münchener Galeriedirektion in solcher Verbindung des Bildes mit Fra Angelioo zeugt gewiss nur von der Erkenntnis eines abweichenden, auf Atelier- arbeit oder Schulgut in unmittelbarer Abhängigkeit von dem Domini- kanermönche nicht zurückfürbaren Charakters. Die Reihe der an- betenden Könige schliesst links in Bogenlinie an und rundet so die ganze Scene ab, in der die Architekturkoulisse lange nicht die wichtige Rolle spielt, die wir bei Fra Angelico bemerken, sobald er mit dem Baumeister des Klosters von S. Marco, Michelozzo in kflostlerische Berürung gekommen war, aber auch schon früher in allen seinen (oft bisher nur zu früh datierten) Leistungen vorbereitet finden. Diese Typen wie die Kostüme dieser Könige and abge- wandelt und kommen in dieser Form auch auf den Erstlingswerken Fra Angelicos noch nicht vor, wol aber einigermalsen ähnlich in den Arbeiten seiner mittleren Zeit, wo die Tätigkeit ftlr das Kloster S. Marco beginnt. Die Röcke der Könige mit ihren rund sich bauschenden Falten wie aus Doppelstoif oder schwerem Goldbrokat sind kürzer geworden, so dass die Füsse vom Enkel ab frei hervor-

•) Cab. XVIT. „Das Bild /rißt den Einlluss Gentüp d.i Fabriano's auf die dem Fiesolc nacbfolg<;ndeQ Künstler* heisst tr^ wul etwas anachronistisch, da Geattle 1428, FiB Angelico, bis 1445 in Florenz, ent 1455 gestorben ist.

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8o Masolixo in Rom nach AIasacciö

treten und das sichere Dastehen bewären, das Vasari als wesent- lichen Fortschritt der Maler durch Masaccios Vorgang bezeichnet Die Färbung- ist ausserordentlich hell und klar, in gletchmä&siger Schwächung aller Tinten im Sinne der Freskogewonhett ohne Stofüroitation, die wir als gemeinsame Basis bd Masolino (vor den untern Teilen des Baptisteriums) und bei Fra Angelico kennen. Das Ganze entspricht also, obschon in beschddenen Dlmensicmen und in Temperatechnik, doch durchaus dem mittleren Stande dar Kunstübung, den man nach den Deckenbild^n in CastigUone einerseäi und neben den oberen Teilen des Baptisteriums andreneits, voraus- setzen darf. Und dieses Beispiel wdcht in seiner Harmlosigkeit und Einfadiheit des Wollens und Könnens ebenso entschieden ab von den Fresken der Päissionskapelle in S. Clemente zu Rom. so dass wir uns sagen müssen, seine Entstehung sei nur denkbar, bevor Masolino in Florenz die Augen aufgegangen waren fOr Masaccios Fortschritt in der Brancaccikapelle und bevor das emsige MOheo um die Perspektive, das er bei Paolo Uccello vc^finden mochte, auch ihn an die Anfänge dieses architektonischen Trachtens erinnert, die er selbst in den Deckenbildem von CastigEone zum Besten gegeben.

Erklären wir uns in Rom aber mit aller Entschiedenheit, auf Grund dieses Gegenbeweises gegen Masolinos Autorschaft vor 1431. ftkr Masaccio, so bleibt dabei die Schulgemeinsdiaft zwischen beiden ja gleichwol die Voraussetzung, von der auch wir auszugdien haben, wie beim Altarwerk aus S. M. Maggiore und dem Tabernakel nut der Madonna von 1423 in der Kunstfaalle zu Bremen. Sie bedingt die Uebereinstimmung des technischen Verfarens, die grade CavaJ- caselle her\'orgchoben hat, und manches Gemeinsame sonst in Zeichnung und Typen wal, in Auffassung und Gebärdensprache. Was aber die Aehnlichkeiten im Baptisterium zu Castiglione betrifft, so muss aus chronologischen Gründen das Ergebnis der dahin zielenden Beobachtungen bisheriger Forscher ja i^eradezu umjifekert lauten. Nicht S. demente ist von Castiglione abhangig, sondern eher umgekert, die Johannesgeschichten Mas(>hnos von der Katharinen- legende beeinflusst. Von seinem Aufenthalt in Rom findet sidi aocb bei Vasari eine, wenn auch doppelzüngige Nachricht: Masolino habe in Rom »la sala di casa Orsina vecchia in monte Giordanoc ausgemalt und zwar bezeichnet der Biograph deren Gegenstand genauer in der ändern Version, wo er im Leben des Tommaso detto Giottino ^- zült, dieser habe »una sala piena di uomini famosi« an selbige: Stelle gemalt Solche Darstellungen berüniter Männer, die auch

') Opere cd Milanesi, I, p. O26.

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Masaccio m Rom

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Branda Castiglione in der Pergola seines Landhauses io der Heimat vom selben Meister Masolino hatte malen lassen, lag im Hause Orsini Niemand näher als dem eifrigen Bücherfreund Kardinal Giordano Orsini (f 1438), dessen eigene Wonung allerdings an der £cko von Via Papale und Via Monterone gelegen war.

Dagegen ergiebt sich ßlr uns die Pflicht, die Fresken Masacdos in S. demente nun im Lebensgang ihres Urhebers bestimmter ein- zuordnen , wo sie im natürlichen Zusammenhang mit seinen an- erkannten Werken sich selbst als notwendiges Glied seiner Ent- wicklung oder doch als begreifliches Stück seines Schaffens erweisen würden. Betrachten wir die Jahre vor 1420 schon der grossen Jugend des Malers wegen als ebenso ausgeschlossen, wie sie es, der Abwesenheit der Kurio \ on Rom und des Bestellers Kardinal Branda wegen, schon jeder historischen Erwägung erscheinen müssen, so bleiben wie oben auseinandergesetzt, drei Möglichkeiten übrig: die Jahre 1 421— 1424, nach vorwärts und rückwärts durch die Im- matrikuladonstermine in Florenz begrdnzt, für einen zusammen- hängenden Aufenthalt in Rom ; oder zeitweilige Zwischenpausen zwischen der Beschäftigung an der Brancaccikapelle 1425 27; oder endlich das Jahr 1428, wo ihn der Tod in Rom hinwegraffte» wir wissen nicht wie.

Se)»marsow, MaMccjo*Studi«n. IV. 6

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§^ GESCHICHTEN DES HL. NIKOLAUS IM VATIKAN

In 'mehr als einer Beziehung wird der Zusammenhang- zwisdien dem Freskeneyklus in S. Clemente zu Rom und den allgemein an* erkannten Arbeiten des Masaccio vermittelt durch eine Reihe von vier kleinen Bildchen, die ich schon im Frühjahr 1884 in den Glas- scfarftnken des Museo del rinascimento der Biblioteca Vaticana ent* deckt, seither wiederholt selber nachgeprOft und durch einen Schüler ganz selbständig habe untersuchen lassen, um sie jetzt endlich nach photogxaphiscfaen Aufhamen zu veröffentlichen. (Lieferung III, Taf. 6l)

Es sind vier Stücke einer Predella, zu denen mindestens noch ein fünftes gehört haben muss, das sich an dieser Stdle nicht findet, und zwar so, dass es an Grösse mit dreien von ihnen Oberrio- sdmmend, ursprünglich am äussersten Ende rechts gesessen hätte, während das eine der hier vorhandenen, beträchtlich brdter, das Mittelstück der Staffel unter dem Hauptwerk bildete. Sie alle nämlich erzälen die Legende des hl. Nikolaus von Myra, und ordnen sich gegenständlich in der angegebenen Folge, der auch die räum- liehe Disposition auf den Bildflächen, wie sich sogleich erkennen lässt, entspricht Die drei gleichgrossen, je 0,36 hoch und 0,35^/1 breit, befinden sich im Armadio P. als No. XII, Xm und XIV. Diese hat auch Dr. Ulmann, dem ich im Januar 1894 die Aufgabe stellte, in jenen Schränken der Vaticana eine Reihe von Bildchen zu suchen, die filr Masaccio in Betracht kämen, als Eigentum dieses Meiste» erkannt, dagegen nicht herausgefunden, dass auch im Armadio O. noch ein zugehöriges Stück der Nikolauslegende steckt, das dort als No. X bezeichnet, in der Höhe ganz den andern entspridit und auch mit seiner grösseren Breite notwendig zur selben Predella wie zum Eigentum desselben Meisters gehört. * Das erste der kleinen Bilddien schildert das Wunder des neugeborenen Heiligen im ersten Bade, das zweite die Spende der Goldkugeln an den armen Vater mit seinen drei heiratsfähigen Töchtern; dann folgt die Rettung m Sturmgefar auf dem Meere, für die das breitere Mittelstück gewilt ist, und auf der andern Seite schliesst die Auferweckung der drei gepökelten Scholaren sich an.

Sehr eigentümlich Ist sogleich beim Ersten die räumliche Di»> podtion, die der Maler auf der kleinen, fast quadratischen Fläcbe versucht Zwei Drittel ihrer Breite rechts werden benutzt, durdi eine grosse Bagenöffnung den Einblick in das Innere des Hauses zu gewären, dessen Aussenseite wir links im ersten Drittel erscfaaucs. Schon lüer begegnet also ein Problem, das Vasari ausdrflcklidi

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Das Knablein im Bade

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unter den besonderen Bestrebungen Masaccios hervorhebt: nämlich Gebäude so fibereck gesehen in Perspektive zu zeigen, dass man sie zugleich von aussen und von innen sah, wie es bei jener i Heilung des mondsüchtigen Knaben« » im Hause des Ridolfo Ghirlandajo der Fall war*). So blicken wir in besdieidenerm Urn- ing b'nks durch ein Bogenpfbrtchen in den anstossenden Garten mit Orangenbaum und Blumenbeet, das sich an der Aussenmauer des Hauses hinzieht, wie oben auf die Reihe von drei Fenstern mit kleinen Kleeblattbögen darin und auf den schlichten Simsstreifen darüber. Drinnen dagegen erschliesst sich vom die Stube mit ge- täfelter Holzdecke und einem Kamin in der Wand rechts» und durch eine schmale Tflr in der glatten Querwand noch der weitere Einblick in die Sdilafkammer, wo die Mutter im Bette liegt und so den wunderbaren Vorgang miterlebt, dass ihr neugeborenes Sflbnchen ach aufrecht in der Waschwanne hinstellt und die Hände faltet zum Gebet. Staunend erhebt die Gevatterin, die dahinter kniet, bdde Hände, während die Wärterin, links auf dem Boden sitzend, die Windeln auf dem Schemel vergisst und auf den dnen Arm gestützt, mit der Rechten auf den Wunderknaben weist, den sie als hilflosen Kleinen zu versorgen dachte. Diese Pflegerin mit weisser Netz- haube und dunkelgrünem Kleid auf dem hellrosa Fussboden kontrastiert kräftig mit dem lila Kleide der Frau, deren weisses Kopftuch sich von der hellgrauen Wand abhebt, während drinnen eine scharlachrote Bettdecke uns entgegenstralt und die Wöchnerin in blauem Gewände und feinem Schleier zwischen dem schneeigen Linnen hervotlugt.

Kein Zweifel, wir haben den nämlichen Maler vor uns> der auf dem Geburtstagsteller in Berlin so koloristisch reizvoll den Einblick in die Wochenstube der vomemen Florentinerin eröffnet, und grade Iiier so deutlich den Zusammenhang mit den ältem Meistern des Trecento^ mit Pietro Lorenzetti mehr noch als mit Giotto und den Seinen festhält Die Wärterin besonders möchten wir eher bei der Geburt Marias vom Sienesen Lorenzetti und bei einem Virtuosen emailartiger Farbe, wie Gentile da Fabriano suchen, als bei den reinen Florentinern. Eben deshalb aber stimmt die Gesamtheit aller Eigenschaften, soweit der schlechte Zustand dieses Fredellenstückes, <fie Uebermalung am Kinde, an der Frau dahinter und an der Mutter, sie noch erkennen lässt mit dem Desco da parto in Berlin und der Anbetung der Könige aus Pisa überein.

') Opere II, 290: casomenü in pro.spctliva lirati in uoa maiücra che e' dimostrano in nn tempo mcdesimo il dideDtro e il di fuori^ per avere egli prcM la loio vednta mm in bttÖM, in m le «aatonat« p«r nuggior difficnltä. Vgl Liefcning II, No. 14.

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Goldspende an die TOchter des Armen

Die unirerletzten Teile, wie die scharlachrote Bettdecke, das dunkelgrüne Kleid mit hellen Lichtern auf Nacken, Schultern und Knie, der rosa Fussboden und das Grau der Mauern, finden ihres- gleichen auch in dem zweiten Bilde dieser Reihe, das bei weitem besser erhalten ist. Hier ist die nämliche Raumdisposition, d. h. ein Drittel links für die Aussenseite, zwei Drittel für das Innere des Hauses, durch den Gegenstand der Darstellung selber vollauf motiviert; denn wir müssen draussen auf der Strasse den jungen Heilige erkennen, der nächtlicher Weile am Hause des armen Mannes emporklettert, um seine goldenen Bälle jsur Ausstattung der Tochter durch ein Gitterfenster über der verschlossenen Haustür hinein zu werfen. Deshalb stehen auch links und rechts v on diesem verriegelten Eingang die Steinbänke, die das Aufsteigen erleichtern, und der junge Mann stützt nur den einen Fuss auf das Ramenwerk der kassettierten Eichenholztür, indem er sich bereits mit der linken Hand am Eisengitter der Fensteröffnung festhält So hängt die Gestalt in lebendigster Bewegung droben in der Schwebe, und erregt durch den kühnen Versuch, die Erzälung der Legende nacb dem Sinn einer realistisch denkenden Generation plausibel auszu- malen, die Au&aerksamkeit des Beschauers für das seltsame Wurf- geschoss, das er mit geschickter Hand hineinzusenden im Begriff ist. Der keusche Woltäter trägt einen karminroten Mantel (mit weisslichen Lichtern, wie Masaccio zu malen pflegt, ) und einen dunkelgrünen Rock mit aufgestreiften Aermeln über scharlachrotem Tricot an Armen und Füssen, hebt sich also wirksam gegen die hellgraue Mauer des Hauses ab, dessen rotes Ziegeldach vorn und hinten vorspringt. Rechts wird uns durch schlichte l*fosten mit gradem Sturz über skulpierten Eckkonsolen der Einblick in die Schlafstube der Familie gewärt. Vorn in der Ecke sitzt auf schlichtem Hokstul mit Strohgeflecht der alte Vater in lila Haus- rock und Kapuze, im Profil nach links; vor ihm kniet die jüngste Tochter in rosa Kleid, soeben bemüht, ihm einen Beinling der scharlachroten Strumpfhosen auszuziehen, die auch ihm nicht feien. Die rürende Fürsorge motiviert vortrefflich den hilfreichen Eingriff, dessen nur die beiden andern Töchter beim Schlafengehen ansichtig werden. Die Eine will soeben ihr Kopftuch abnemen, und wendet sich, in kecker Verkürzung vom Rücken gesehen, mühsam hinauf- blickend zum offen gebliebenen Luftloch empor, durch das bereits zwei Goldkugeln auf das Bett gefallen sind. Sie trägt ein dunkel- violettes Kleid mit roten Tupfen, wahrend die Docke des Lagers wieder scharlachrot, der Vorhang der Bettstatt (lariil)er griin und die braungelbe Holzfarbe der Truhe davor mit dem Weiss der

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Beziehung zu Brunelleschi und Gentilr 85

Lianen und dem Gold der Bälle wirksam kontrastieren. Jenseits des Lagers wird vor der dunkeln Wand mit einem Rundbogen- fenster, das sorglich mit Holzläden verschlossen ist, noch die dritte Schwester sichtbar; sie ist gra(l(' dabei, sich ihr Kleid über den Kopf zu zidien, und lugt so, halb sdion im Ilomd, verschämt zu dem Eindringling empor. So mischt sich in das Mitleid mit den armen Töchtern, das den Heiligen statt der Neugier beseelt, die man sonst bei dem jungen Kletterer vermuten könnte, f&r den ein- geweihten Betrachter ein Zug glücklichen I Tumors und verleiht der frommen Legende in dieser malerischen Schilderung einen Anflug fiorentinischcr Novellen, der uns als Erbteil des Quattrocento aus den Tagen des Boccaccio und bei dem Freund Brunelleschis mit seiner grausamen Fopperei am »Grrasso Legnajuolo« wol nicht über- raschen dar£

Nemen wir diese beiden ersten Bildchen aus dem Leben des heiligen Nikolaus mit dem genial hingepinselten Geburtstagsteller in Berlin zusammen, auf denen allen die schwierige Linearkonstruktion scharf vorgerissen ist, so haben wir drei Beispiele intimer Darstellung von Innengemächern vor uns, neben denen das Sterbezimmer des heiligen Ambrosius und das Studio des Kardinals Branda daneben in S. demente zu Rom keinen Augenblick mehr befremden können. Und gerade in der Goldspende an die drei Jungfrauen ist auch die Malwcisc durchaus die charktcristische des Masaccio selber, die wir an den Predellen aus Pisa ebenso finden: die grünlichen Schatten im rosa Fleisch und die zarten, roten Bäckchen bei den jugendlichen Wesen; niu: der Heilige, dessen Kopf sonst so sehr mit den Ge- schenktrftgern auf dem Desco da parto übereinstimmt, hat durch Erneuerung diese technischen Kennzeichen eingebüfsst.

Bei diesen beiden Predellenstücken sei aber noch einmal aus- drücklich auf das Studium des Altarwerks von Gentile da Fabriano für Sia Trinita vom Jahre 1423 hingewiesen, besonders auf die Geburt Christi, die Darstellung im Tempel (jetzt im Louvre) und die Flucht nach Aegypten an der Staffel, denen sich das ganze Altarwerk mit der Verkündigung in S. Alessandro zu Brescia so sehr verwandt zeigt

Ganz anderer Art sind die malerischen Vorzüge, die uns auf dem mittlem l^reitbilde d( r Nikolauspredella überraschen. Zwei Drittel der BUdfläche sind in horizontaler Ausdenung dem stürmisch bewegten Meere, nur der letzte Streifen oben dem Himmel ein- geräumt. Darinnen treibt der Wind ein Schiff, mit vollgeblähtem, aber schon zerrissenem Segel, rechtshin in die Dunkelheit des Un- wetters hinaus. Hinten am Steuer schwanken die Strickleitern über dem Rettungskahn, der wie eine Nussichale auf den Fluten tanzt,

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Rettung aus Sturmgefar

gleich andern kleinen Farzeugen, deren Segel hier und da in der Ferne auftaucht. Uebcr dem hellen Spiegel dea* Bark, der mit zwei Kronen bemalt ist, ragt die Gestalt eines Insassen hervor, der bade Arme schutzfldiond zur Höhe streckt, während die Genossen schon angstvoll ihr Hab iiiid Gut über Bord werfen. Und hier erscheint ihm in eiförmigem Nimbus der Bischof Nikolaus, den er angerufen hat, in schräger RichtunL^ abwärts schwebend, indem er die rettende Hand über dem Haupt des Beters ausstreckt. Aufatmend aus ihrer Angst grewaren ihn auch andre Männer im Schiffe und weisen auf die Hülfe von oben hin, während drunten im Wasser die Note» von der Lichterscheinung des Hriligon verscheucht, nur noch einmal 2u ihm aufblickend davon schwimmt.

Das kleine Breitbild ist in aller Bescheidenheit der Mittel eine ganz ausserordentliche Leistung, besonders in dem einheitlichen Zug der Bewegung, der das wunderbare Ereignis inmitten stünnisclicr Fart so lebendig zu Gefül bringt, und in dem übersichtlichen Zu- sammenhalt aUer Bestandteile vom richtungweisenden Bugspriet und Segclriss bis zum überirdischen Begleiter, der wie ein Mövenschwann hinterdreinsclnvebt, und zum Gefolge im Wasser, wo die Mecrm^d statt der Haifische sichtbar wird. Alles FigOrliche ist in die Um- gebung der drohenden Elemente hineingfenommen, und so in der Abhängigkeit des ganzen Vorgangs von der endlosen Weite ein echt malerischer Eindruck erzielt Fast müssig wäre es, daneben an Giottos Navicella vor S. Peter in Rom, oder an das Deckenbild der Cappella Spagnuoli bei S. Maria Novella in Florenz zu erinnern; denn es ist ein drittes, völlig neues Meisterstück in diesem Bildchen gegeben, das auch vom Schilf S. Rayners im Sturm auf Antonio Venezianos Fresko im Camposanto zu I^isa nur wenig entlenen konnte. Dagegen verbindet es sich aufs Engste mit verwandten Problemen in S. demente. Als Versuch, den drohenden Unter- gang des Schiffes durch überlegene Gewalten zu veranschau- lichen, d. h die Aufgabe in vollem realistischen Sinne zu fassen, verdient es als Fortschritt nach dem Fresko der Ambrosiuslegendc genannt zu werden, wo das Haus des übermütigen Reichen mit allen seinen Insassen von der Erde verschlungen wird. Auch da spitzt sich der Zug der Bewegung in den fliehenden Reitern gegen die Tiefe zu; aber während sie sich im Sattel umwenden, vollzieht sich nach vorn zu die Katastrophe in immer breiterem Umfang, so dass der unaufhaltsame Zusammenbruch dem Beschauer entgegen- stürzt. I lier dagegen entweicht das heimtückisch dämonische Wesen uTit( r der Oberfläche des Wassers nach vorn, und die herabfarende Gestalt des Beschüuers treibt das Segelschiff in gesichertem Lauf seinem Ziel

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MaLKRISCHE £xNH£tT

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6nt|regeii in die Tiefe. Die Gestalt des niederfarenden Bischöfe selbst io lichtem Oval entfaltet sich nach oben wie ein langer Blumenkelch, so dass wir zwischen den gekräuselten Rändern des Chormantols und der Alba die beschuhten Fthase mit den Solen aufwärts hervorgucken sehen. Diese Darstellungsweise des Schwebens entspricht ganz dem adlermäsdg herniederstofsenden Rettungsengel bei der Räderung Katharinas, wird hier im kleinen Breitbüde der Predella jedoch schon durch die Umkerung der Malsverhältnisse zu einer glflck- Scheren Lösung, indem sich der Flug zwischen Himmel und Meeres- fläche mehr dem Schwimmen durch die Luftregion in horizontaler Richtung nähert, während dort im Hochformat des Wandbildes dttrdk die einschliessende Architektur des Hofiraumes grade die mildernde Entfaltung in die Breite behindert war.

Im Vergleich zu den Seitenstficken der nämlichen Altarstaifel selbst endlich, wo in quadratischen Ramen sonst die Architektur- koulisse so stark vorherrscht und die Figuren in räumlicher Enge gezeigt werden, bedeutet dieses Breitbild mit seinem aus weiterem Abstand gesehenen Seestück einen absichtlichen Kontrast, und kann als Ganzes In seiner malerischen Gesarotauf)ß»sung nur mit dem grossen Landschaftsbilde des Kreuzestodes in S. demente verglichen werden, wo die Weite des Himmels und der römischen Campagna sowol die Gekreuzigten droben als auch die Versammelten unten in sich hineinnimmt, wie in einen unabsehbaren, Ober alles Gegen- wärtige hinausreichenden Zusammenhang, der mächtiger ist als alles einzelne Geschehnis*

Das letzte dieser Predellenstacke im Vatikan steUt die Auf- erweckung der drei Scholaren dar, die müde vom Wandern bei einem Fleischer Ankeren und wol bewirtet, 'nachts aber geschlachtet, zerstückelt und eingesalzen werden. S. Nikolaus kommt des Weges, bringt den schlimmen Gastwirt und sein Weib zum Geständnis und nift die drei jungen Burschen aus ihren Fässern zum Leben zurück. Die Scene spielt im Hof der Herberge, deren Front mit Aushänge- sdiüd und seltsamen Hausmarken links und rechts von der Tür, durch die wir das Innere mit der Stiege zum Obergeschoss erblicken, mit Fensterrdhe darüber und rotem Ziegeldach den Hintergrund bildet Rechts schiebt sich die Ecke eines andern Gebäudes mit Gitterfenster an den Rand des Bildes vor und versteckt so zur Hälfte den Küfer, der beschäftigt ist, Wein aus einem irdenen Kruge auszttschänken. Vor der Tür sind Wirt und Wirtin auf die Knie gesunken, während der heilige Bischof in vollem Ornat die Schwelle einer schoberartigen Halle überschreitet, die sich nach vom und nach dem Hofe zu in je einem schlichten, hohen Bogen öffnet, nach

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d8 AUFERWECKUNG DER EINGESALZENEN SCHÜLER

den beiden andern Sdten aber geschlossen ist. Hier stehen unten die drei Fässer, aus denen auf seinen Wink die drei nackten Jüng- linge, bis an den Gürtel sichtbar, mit staunender Verehrung hervor- kommen, während daneben eine Leiter auf den Vorratsboden fttrt, wo Speckseiten und Zwiebelbündcl neben Topf und Kessel hängen. Auch hier ist also der Schauplatz mit Baulichkeiten so gegliedert, dass ei Drittel für die Haupthandlung verwertet werden, das letzte Drittel als einleitendes Anhäiiyfsel Hiir Nebendinge entfallt; nur liegt das letztere hier auf der rechten Seite, so dass der Schwerpunkt der Erzälung wie der Gebäude nach links rückt. Vergleichen wir diese Umkemng des Verfarens mit den beiden Anfangsbildern der T oq-ende, so kann kein Zweifel bleiben, dass dies spätere Wunder jenseits dtf Meerfart, d. h, auf der rechten Seite des ganzen Gradino gesessen hat, und dass mindestens ein Nachbarstück noch ebenso nach der Mitte zu Unkshin gravitierte, d. h. wol das Ende der Erzälung mit dem Tode des Heiligen, der hier £^t, oder dem Oelwunder seiner Grabstätte enthielt

Wie dem aber auch sei, die Zugehörigkeit dieses Stückes kann auch bei dem heutigen Zustande nicht zweifelhaft erscheinen. Die drei nackten Jünglinge sind freilich stark erneuert, wie das Antlitz und der Krummstab des Bischofs; aber sein roter Mantel und der grauliche Ueberwurf der Frau, wie die Architektur des Hinter- grundes mit dem Einblick ins Haus sind besser erhalten und stimmen in der Mal weise durchaus zum üebrigen. Die knieende Frau ö> innert wie die Seitenloggia sehr deutlich an die Auferweckung Tabithas, an die Katharinenlegende in S. Clemento und an deo Desco da parto in Berlin. Der Einblick in den Hausflur kommt ganz ähnlich in dem arg zerstörten J eil links auf der Schattenboilung der Cappella Brancacci vor, und der hl. Bischof selbst entspricht einiger* mafsen dem Kirchenvater neben S. Hieronymus, zwei Fragmenten vom Altarwerk in Pisa, die sich jetzt im Priviitbcsit/ bei Mr. Charles Butler in England befinden und 1894 in New-Gallery Exhibition ausgestellt waren (vgl. unsere Tafeln der Lieferung H, No. g u. 1 1).

Wenn man trotzdem, durch eine gewisse Oberflächlichkeit in der Durchförung dieses Stückes veranlasst, an die Mitwirkung eines Gehilfen in der Werkstatt Masaccios, wie z. B. an die Hand seines Bruders Griovanni denken sollte, die wir schon auf der Rückseite des Geburtstagsstellers selbst vermutet haben, so darf doch das Eigentumsrecht des Meisters an Komposition und Gestaltung damit keineswegs angetastet werden. Offenbaren doch grade die nackten Jünglinge, \intor der Uebermalung noch, ihre nahe Verwandtschaft mit den Täuflingen einerseits und den hinteren Hörern der Predigt

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WlEDERlIÜLUNCi IN HkEMKURMAI

andrerseits an der Altarwand der BrancaccikapcUe. Ausserdem aber muss grade diese Predella mit der Nikolauslegcnde sich einer liesondem Beliebtheit erfreut haben, und eben das eine Beispiel, das uns zur Hand ist dies aufzuzeigen, beweist zugleich die Wichtig- keit der obigen Analyse, besonders was die Raumökonomie der quadratischen Bildchen im Unterschied vom breiteren Mittelstflck betrifit In der erwänten »Winter-Exhibition of Early Italian Art from 1300 to 1550 in the New-Gallcry, London 1^93 94 war unter No. 37 das nämliche Wunder des hl. Nikolaus mit den eingcschlachteten Schülern »Florentine School, lent by Charles Butler, Esq. Darin haben wir von etwas späterer, aber weit geringerer Hand genau dieselbe Komposition wie auf dem vatikanischen Stücke, nur in die Breite ausgezogen, und zwar durch Zusatz einer ganz mfissigen Gartenpforte links hinter dem Schuppen, durch Wegschiebung des turroartigen Gebäudes rechts, neben dem auch noch ein Bäumchen und Stacket Platz gefunden hat, während der Küfer an seinem Tisch nun deutlicher sichtbar wird, die Tafeln mit seltsamen Zeichen am Hause dagegen sich verlängert und die Zal der Fenster sich auf sechs verdoppelt haben. Die Verzettelung der Bestandteile hier überzeugt von dem Wert der ursprünglichen Koncentration erstrecht, die zu notwendig mit der Gosamtdisposition der vatikanischen Predella im Ganzen zusammenhängt, um die Originalität der Erfindung durch Masacdo, wenn auch immefhln auf Grund älterer Darstellungen, wie in den Fresken der Nikolauskapelle in S^ Croce % zu bezweifeln.

Weist uns aber die schwache Nachamung eines Florentiners (tiei Ch. Butler, Esq. in London) wie die Freskenreihe in S«^ Croce ab Vorbild nach der Arnostadt, so bleibt die Frage nach der Her- kunft der Fragmente in der Bibliotcca Vaticana zu Rom doch schwer zu beantworten. Nachrichten über den ursprünglichen Stand- ort der Bildchen in den Glasschränken des Museo del Rinascimento sind kaum irgend erreichbar. Und lesen wir die spärlichen Angaben glaubwürdiger Berichterstatter über Masaccios W erke nach, so sagt uns freilich Antonio Manctti : E fece anco in altri luoghi, in Firenze in chiese e a persone private, e a Pisa e a Roma e altrove^ ; aber bei der nähern AusfÜrung in Va.saris Biographie könnten whr zunächst nur auf das Altarwerk in S. Niccol6 oltr^ Arno verfallen, dessen Hauptstück allein uns beschrieben wird und die oben erwänte Ver- kündigung enthielt. Wenn es nicht grade unmöglich wäre, mit dieser Darstellung an vornemster Stelle nebenher die Legendenbildchen zu Ehren des Titcllieiligen der Kirche verbunden /u denken, so bietet

') Katalüi; S. (Mjot>)>^raphietl von Henry Dixon & Soit. Pbot. Brogi 098^ 83.

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90 Reihenfolge der Werke in Rom und Florenz

sich wol die Handelsstadt Pisa ftlr den Schutzpatron der See&rer nodi williger an ; aber auch eine Entstehung in Rom selbst wäre nidit abzuweisen, wo der heilige Bischof von Mjrra in dem KircUeia S. Niccolo in Carcere am Kapitol besonders verehrt wird.

Wichtiger aber als örtliche und geschichtliche Bezi^ungen solcher Art sind die künstlerischen, die wir mit einer Reihe von andern Werken Masaccios aufgewiesen haben. Sie erlauben uns. die Entstehungszeit dieser PredellenstQcke der Vaticana mit der Legende des hl. Nikolaus ums Jahr 142 5-^1426 anzusetzen, also mitten in die Bilderreihe der Altarwand in Cappella Brancacd, wo wir io der Predigt noch den engen Zusammenhang mit den oberen Bildern der rechten Wand, namentlich mit der Erweckung Tabithas festgesteUt wahrend die Taufe gegenüber schon ebenso notwendig zu den vollendeten Meisterwerken der linken Wand gehört

Um so bedeutsamer wird die AusflÜlung der Lücke zwischen Predigt und Taufe durch diese Nikolausgeschichten und durch die Fresken in S. Clemente zu Rom, die unter einander so nah verwandt erschienen. Von den Anfängen der Kathaxinenlegende bis zur Höhe der Kreuzigung bieten sich Analogieen genug zwischen dieser monumentalen Arbeit im Dienst Kardinal Brandas und den ver* schiedenen gleichzeitig entstandenen TafelUldem dar, die wir in Neapel und Bremen, in München und Rom, wie in Berlin und England nachzuweisen vermochten.

Wir denken uns nach alledem den Beginn dieses Fresken- schmuckes in 8. Clemente zu Rom auf der nämlichen Stufe der Ent- wicklung, auf der Masacdo in den ersten enthaltenen Wandgemälden der Brancaccikapelle erscheint. Mit den Deckenbildem, den Kirchen* Vätern und Evangelisten, in Rom stimmen die Heilung des Lahmes, die Erweckung der Tabitha, noch am nächsten fiberein. Die Ge- schichten der hl. Katharina reihen sich daran natürlich an und erreichen die Predigt des Petrus, während die Geschichten des hL Ambronus wieder einen deutlichen Fortschritt aufweisen. IMe Verkündigung an der Aussenseite geht ebenso über die Madonna in München hinaiis» wie S. Christophorus darunter als Vorstufe zu den Täuflingen in Florenz oder zur Vertreibung aus dem Paradiese «ch darstelh. Genug überall hin laufen die Beziehungen zu anderen Weiken Masaccios und drängen wie das grosse Hauptbild der Altarwand, die Kreuzigung, die das Fresko der Drei&ltigkdt m S. M. NoveOa voraussetzt, zu der Aufgabe, das Werden und Wachsen des Künstlefs nun in einheitlichem Zuge durchzuverfolgen, wie es in nnsrer letHen Studie zusammenhängend versucht werden soll.

Lieferung IV Verzeichnis der Tafeln

Rom« S. Clemeotc, Cappella della Passione :

1) GnawitMniicht des Freskenschmuckes dnidk den Sifioi^mceB (luch den

Umrissstich Ton Liri>nmt)

2) Breitbild über dem Eiagui{sbogfii : die Verkündigung,

a) Gabriel

b) Harb.

3») DeckengewOlbe mit den vier Evu-

gelistcn und vier Kirchenvätern, b) S. Cbristophorus. Fresko snr Linken vom Eingang ausskcn. 4) Wandgemälde des Bogenieldes zm Uakea vom Eingang innen: «) KntlisriiiM Avfkreten den

Götzendieiist b) Bckcning und Enüttuptnng der

Königin (nach Labnuzis SUcheo). $) Wandgemälde mr Linken vom Ein- gtng, unteie Reibe

a) Disputation Katbarinas und Ver- brennung der Philosoplien

b) Das Radwunder

c) Enthauptung Katharinas und Bettatlung anf Sinai

(nadi Labmuts Südien).

6) Wandgemälde des liogenfcldes zur Rechten vom Eingang:

aj Das Bienen wunder b) Die Wal des bl. Ambrosius sum Bisdiof von Maibnd (nacb lAbnmis SticbeR).

7} WandgonSlde cur Reckten vom Ein» gang) untere Reihe

a) Der Untergang des Reichen

b) S. Ambrosius auf dem Sterbebett (nach Labru22iä Stichen).

8) Hochbild der AUarwand :

Der Kreuzestod Christi.

9) Ein/elhciten der Kreuzigung (nach

Labruzzis Stichen)

a) Der Kopf des reuigen Sünders

b) Drei Juden, links unten

c) Der Kopf des Judas tscbatiotb (links) und des Befdsbabers (rechts).

10) Einzelheiten der Kreuzigung

a) Kopf des Longinus, der Äfaj^d.ikiia am Kreuzes&tamm und dreier Krieger

b) K(Spfe aweier Frauen bei Maria und vier von Reiten in der Tiefe,

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ScHMARSOVV

MASACCIO-STUDIEN

FÜNFTES BÜCH

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MASACCIO

STUDIEN

VON

AUGUST SCHMARSOW

DER

FORTSCHRin DES MEISTERS

(MIT 53 UCHTDRUCKEN)

31-

IÖ99

Th. G. Fisher St Co.

KASSEL

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DER

FORTSCHRITT DES MEISTERS

I42I 1428

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Inhalt

Seite

I. Die Fruhzeit des Meisters I— jl8

Das TriptycboD Martioü V. für S. M. Maggiore zu Rom

IMe Madonn* von 1423 tu Bremen

Die Katbarinenlcgende in S. demente su Rgmoi

(Fragment aus S. M. Maggiore in Florenz vgl. S. 130 f.) IL Dieerste Gruppe der Wandgemälde im Cnrmine zu Florenz und ihre Verwandten 9^^^^

Die Hcilun^j des Lahmen und Erweckung Tabithas Die Heilung iles be<>esi>enen Knaben ^Brüssel)

Der SttDdenfiül nad die bdden Tafelbilder in Florens und Mflnchen IXe Fredigt Petii und du Fresko in EmpoH m. Die Vollendung des Freskensdimnckes tu Rom 45 57

Die Ambrosiuslegende

Die Verkündigung

S. Christoph und der Dioskur

Die Kremdgung

tV. Die tweit« Gnppe der WendsenUUde im Cumlne zu Fknens tind die ver-

wendten Meisterwerke $^~75

Das Altarwerk (lir Pisa und Fragmente der SanUg Montor

Die Geschiebte vom Zollgroschen Die Vertreibung mit dem Fuidiet Die Tufe der Dreitausend

Die Dreifaltigkeit in S. M. Novella

Die Nikolauslei;endc in Rom - Die Tafelbilder in Berlin Die Almosenspende und die Schattenheilung

V. Der letzte Stil 76—88

La Sagra del Cumine

PoctriU in der Pinakothek lu München Du letzte unvollendete Wandgonilde

Petnis in Cathedra

Auferwcckuii^; des Fürstensones Scbiussbelrachtungen

Rflckblidt: Fortsdiritte der Wandmalerei in Teakana von Giotto bia Masaodo 89—136 Fragmente von Werken Maaaodos

in Montauban (S. 130 f.) und AUenburg (S. 154)

Dnick von L. Döll in Cassel.

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I.

DIE FRÜHZEIT DES MEISTERS

Auf Grund der kritischen Studien, die wir vorausgeschickt, darf die zusammenhängende Betrachtung, die nun dem Werden und Wachsen Masaccios in einheitlichem Zuge gewidmet wird, hei einem neuen Ausgangspunkt einsetzen. Wir beginnen nicht, wie Vasari, mit dem Brobestfick seiner perspektivischen Probleme, der Heilung des besessenen Knaben, die sich damals im Hause des Ridolfo del Ghirlandajo erhalten hatte, oder mit dem Kirchenbild aus S. Ambrogio, S. Anna selbdritt, in der Akademie zu Florenz. Wir stellen ebenso wenig, wie Crowe und Cavalcaselle^ die Male- reien in S. demente zu Rom voran, in denen nicht allein die wieder- holten Anläufe fortschreitender Meisterschaft sichtbar hervortreten, sondern schwerlich auch der Erstlingsversuch eines Anfängers ge- sudit werden kann. Ein allseitiges Hervorwachsen des Eigenen aus dem emsig erworbenen Erbteil der Vorgänger würde sich gewiss nur in einem Skizzenbuch, wie das venezianische Ra&els, oder in Folgen von Zeichnungen, Studien und Entwürfen, wie wir sie in London und Paris fOr Jacopo Bellini besitzen, und bei grenauester Kenntnis der voranlicgenden, wie der gleichzeitigen Bestrebungen italienischer Maler beobachten lassen. So günstig sind wir bei Masaodo nicht gestellt. Wol aber gewären auch seine fertigen Leistungen, da sie bei so kurzer Lebenszeit (1401^1428} fast alle noch den jungen Jarcn regsamster Entwicklung angehören, überall den Einblick in die mannichfachen Ansätze des Wachstums ange- borener Gaben oder in die rastlos vorwärts drängenden Errungen- schaften seines bewussten Künstlerwillens. Der Zusammenhang mit dem Trecento verquickt sich zunächst sogar mit den Eroberungen des Neuen, die das Kapital für das ganze Quattrocento ausmachen

Schmarsow, Jtfasacdo^tudien V. 1

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Das Erste Meisterstück

sollten, wie mit den aniingsvollen Offenbarung'cn eines künftigcrt grossen und abgeklärten Stiles, die den Bringern der Hoehrcn.üssance wie Li<'nard() erst verständlieh werden, so erstaunlieh, und diese Verbindung vollzieht sirh sn schnell, dass sie dem kritischen Sinn des Historikers last unbegreiflich vorkomtnen wur'li , wenn dem Genius nicht doch der glückliche Wurf gelänge, der sie tatsächlich als Schöpfung vor unser Auge stellt

Das erste Meisterstflck, von dem wir ausgehen dürfen, um die Grundlage für den weitem Aufbau zu gewinnen, ist das Altärchen, das Papst Martin V., aus dem Hause Colonna, für die kleine Familienkapelle unweit der Sakristei in S. M. Maggiore zu "Rom ge- stiftet hri' Das Weihgeschenk kam jeden^üJs in die alte erwürdige Basilika, als dieser Papst in den ersten Jaren nach seiner Rückker in die ewige Stadt die anstossende Kardinalswon ung beziehen musste, d. h. zwischen Spätherbst 1420 und 1424* Wenn der junge Meister, dem das Werk gehört, selbst erst am 7. Januar 142 1 in die Matrikel der Aerzte und Spezeristen zu Florenz eingetragen worden ist, so dass er die Ausübung seiner Kunst sei Inständig zu betreiben berechtiget war, dann schränkt sich die Entstehungszeit noch etwas ein, Wärend andrerseits der Auftraggeber gewiss nicht bis zum Ende seines Aufenthalts auf dem Esquilin mit der Bestellung für die Kirche gewartet hat. Auf das Jar 1422 kämen wir, wenn das Porträt des darin dargestellten Archidiakon sich als das des Lodo- vico dei Fieschi von Genua bestimmen Hesse, der am 3. iVpril 1423 gestorben ist, indem wir damit einen letzten Termin der Auf- name wenigstens dieses Bestandteils erhielten. Die Jarcszal 1423 trägt ein andres Werk von Masaccios Hand, das bereits fortge- schrittener erscheint, die Madonna in Bremen Im Jare 1424 er- wirbt der Maler die Zünftigkeit bei der Lukasgilde zu Florenz, ist also wol nach längerer Abwesenheit hcimgekert, um dort einen Auf- trag zu übernemen, wenn damit auch die Beziehungen zu Rom nicht abgebrochen zu sein brauchen.

Das Triptychon Martins V.

Wärend Gentile da Fabriano, den Martin V. zu sich nach Florenz hatte kommen lassen, ruhig am Arno blieb, als die Kurie von dannen zog, und Altarwerkc für Palla S'rozzi und die Ouara^ tesi vollendete, finden wir Masaccio noch nicht zwanzigjährig in Rom. Sein Altärcben für S. M. Maggiore *), dessen Mittelstflcke im

>) Vgl. Buch m p. 74 fl. AbbUduDgen Lieferung II, Taf. 15—18.

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Altärchen Martins V.

M«seum von Neapel erhalten sind, bezeugt in der Darsteliung des Schneewunders, dem diese Kirche ihren Ursprung verdankt, sogleich seinen Verker mit den Ruinen aus der Kaiserzeit wie mit den mittelalterlichen Mauern, die in keinem Stadtbild feien. Die Grün- dung der Basilika durch Papst Liberius, die er schQdem soll, er- heischt als Schauplatz allerdings die Höhe des Esquilin. Dagegen erscheint als Hintergrund eine Ansicht vor Porta S. Paolo mit dem Monte Tcstaccio und der Cestiuspyramide, und zwar umgekert auf die Bildfläche übertragen mit diesen Warzeichen rechts; aber die Mauern erblicken wir von der Innenseite, das Tor wird nicht kennt- lich wie „fuori le mura". Nicht ernstlicher wollen auch die Bauten auf beiden Seiten, ein Palast zur Linken, eine Arkadenreihe zur Rechten, beim Wort genommen sein, wenn ein Topograph aus ihrer La;:" 'u einander die dargestellte Oertlichkeit bestimmen wollte. Was Warheit sei, \\ ird auch im Lauf des Quattrocento erst allmäh- lich entdeckt, und den Künstlern, als Vertretern der schöpferischen Phantasie, nur langsam anerzogen. Aber die Anschauung des Malers haben die Bauwerke Roms ergriffen und klärend durchsetzt, darüber ist kein Zweifel, sobald wir diese ersten Beispiele, die er verwertet, mit den Vorstellungen andrer Romfarer vergleichen.

Vor allen Dingen aber erfüllen sie diesen Zweck, den wir zu- nächst aufzudecken haben, one fremdartige Anforderungen an das Bild zu stellen. Er schaiSt sich mit ihnen die feste Begränzung des Schauplatzes, nach Art unsrer heutigen Büne, und grade diese Monumente: das Mal neben dem Scherbenhügel, die Arkadenreihe mit kräftigem Kranzgesims auf der Obermauer, die übereck ge- sehenen Bestandteile eines Palastes mit seiner geschlossenen Um- &s8ung von stereometrischer Klarheit und Wucht, sie orien- tieren den Beschauer sofort über das Verhältnis der Dimensionen mit ein paar entscheidenden Senkrechten und Wagrechten. Das innere Raumvolumen steht da, bereit die Körper der Figuren in ^ch aufzunemen. Dies Gerüst seiner lUinc setzt geläufige Kennt- nisse voraus t die perspektivische Konstruktion ist bereits folgerichtig durchgefürt. Aber auch dafür sind schon zwei Mafsnamen vorwog getroffen, die von bewusster Rechnung mit den besondern Anfor- derungen des Gegenstandes zeugen*

Die schmale, oben abgerundete, aber gewiss ursprünglich mit gotischen, gebrochenen und ausgezackten Bogenformen eingeramte Tafel wird nämlich nicht als Ganzes in die Konsiruktion einbezogen, sondern das obere Drittel, etwa bis an die Ka] u Uc der gedrehten Säulchen des einstigen Gehäuses, ist als himmlische Region ausge- sondert, wo auf goldenem Grunde in kreisrundem Regenbogenrand

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Das Erste Meisterstück

die TTalbfiguren des (iottessonos und seiner Mutter erscheinen. Diese (alorie steht auf einem br< itrt) Wolkenstreifen, der die untern zwei Drittel als rechtwinklige Bildtiäche nach oben begränzt Es ist die Schneewolke, aus der die Flocken herniedcrfallcn auf den erwälten Hügel Roms, um die Stätte für das künftiire TTeib\num zu bezeichnen. Nur auf d t sf m irdischen Schaujilatz luTrschen die Ciesct/e der Linearperspektive, deren Erfüllung sein l-reund, der Arcliitekt Filippo Brunelleschi, eben damals von den Malern geft»r- (Icrt hatte. Auf dem klassischen Roden sollte iedoch ferner der Grundriss der altchristlichcn Basilika an ihrer cnlscheidenden Stelle, d. h. das Tau-förmige Kreuz mit halbrunder Apsis sichtbar gemacht werden. Als Hauptsache erscheint eben dem Maler, der in so per- sönlicher Beziehung zu dem Baumeister der Frührenaissance steht und von ihm gelernt hat, sich über das K iumschema der römischen Bauten Rechenschaft zu geben, eben diese Urundfurm, die der Papst an Ort und Stelle mit der Hacke umgränzt. Fr giebt also den Ueberblick von der einen Schmalseite des Querhauses bis zur an- dern, mit der Apsis in der Mitte rechts und zeig^t den Papst schon im Verfolg des Langhauses begriffen, das hüben wie drüben breiter als die Tribuna an das yuerhaus anslösst, mithin das Verhältnis der Seitenschiffe zum mittleren ebenso erkennen lässt. So werden die charakteristischen Kennzeichen von S. M. Maggiore gegeben. Zu- gleich aber sind damit an die Ausdenung des Schauplatzes in der Ticfenaxe ganz aussergewönliche Zumutungen gestellt. Das fürt zur zweiten Mafsname für den besondern Fall.

Die Regel für die perspektivische Konstruktion, die dem ^laler bekannt ist, giebt den Schnittpunkt der Diagonalen seiner Bild- fläche auch als Augenpunkt. So entsteht bei der schmalen Grund- linie des Rechtecks ein ausserordentlich schnelles Zusammen fliehen aller Geraden nach diesem Centrum. Zur Abschwächung dieses, immer noch strtrenden Eindrucks, wird das weitere Auskunftsmittel ergriffen: die Zurückschiebung der architektonischen Seitenkoulissen aus dem Vordergrund, in dem jetzt die Hauptpersonen one die Kon- kurrenz tektonischer Körper auftreten können. Freilich rücken die römischen Bauwerke auch in /weiter Reihe noch immer den Figuren zu nah aiil di n Leib und drängen sich .Js ALusliab auf ; aber auch die ringsum vcr.sainmelten Zeugen der feierlichen liandlung ver- jüngen sich, der Weite des Abstandes entsprechend , und gewinnen zu dem Stadttor, den Mauern und tkr l'yramide im Hintergrund das richtige Verhältnis, das uns gerade durch die Konsequenz be- Ircnidet. Wie absichtsvoll ist der Hügel drinnen niedrig gehalten gegen die Höhcuzugc der CasLclu Rumaui drausi»eu tuu HorizooL

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Altärchen Martins V.

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Wir sehen also den juogen Maler nicht allein im Vollbesitz der perspektivischen Konstniktionsregel, die Brunelleachi lerte» son- dern auch bemüht» das richtige Verhältnis zwischen Architektur und Figuren herzustellen. Er fasst £e beiden Bestandteile, Raum und Körper nicht als Ganzes in einheitlicher Anschauung zusammen, die noch Masolino nicht gelang, sondern setzt sich durch die Freilegung des Vordergrundes links und rechts schon mit dem Gesetz des Architekten zu Gunsten seiner menschlichen Wesen und ihrer Hand- lung auseinander. Er ringt mit der unerbittlichen Folgerichtigkeit und hebt ne vollends auf fOr die Vision am Himmel, die er in schlichter Relie&ufiassung vorftkrt, d. h. räumlidi frei Ober der irdisch befangenen Bfine, doch körperlich wieder vollauf bestimmt und sogar in dem Kreisrund der Glorie wieder fest umgränzt Auch das ist bezeichnend für die Zdt und die Gesinnung, dass nach der Aussonderung der Himmelsregion aus dem Kamen des Historien- bildes unten, doch die malerische Freiheit nicht voll ergriffen und ausgebeutet wird, sondern wieder eingeschränkt nach plastischen Gesetzen, ja durch einen ersten Anlauf, auch dem Aether mit geo- metrischen Formen beizukommen.

Wo Wolkengebilde in Luft und Licht verschwimmen könnten, da modellieren sich hier Gestalten im Rundmedaillon, greifbarer, bildnerischer durchgedacht, als die Kunstgenossen sonst es ver> suchten. Was wir bei den Malern dieser Tage nicht findeui das erklart uns ein Blick auf die Marmortabemakel an Omnmichele^ besonders die damals soeben entstandenen Giebelfelder Über den Standbildern von Nanni d' Antonio di Banco, dem 1422 schon ver- storbenen Gefärten Donatellos. Dort erscheint die Halbfigur des Erlösers mit dem feingezdchneten Antlitz und der weich drapierten Gewandung ganz änlich wie hier Christus und Maria; wir be- greifen sofort den Anschluss des Malers an plastische Bestrebungen seiner Nachbarn und deren gOnstige Wirkung auf seine gemalten Körper. Die göttlichen Personen sind dadurch an Leibhaftigkeit so- gar im Vorteil gegen die Menschen drunten, die in den Grftnzen der dargestellten Räumlichkeit sich nicht vollauf entßdten können. Der Papst mit seinen Kardinalen, der Patritius Johannes mit seiner Frau und andern Zeugen sind trotz allem Bemühen sie fr^ zu machen, schmächtige, feinknochige Geschöpfe geblieben. Die Zu- schauer in der Tiefe wirken nur puppenhaft. Und nicht wenig trägt eine gewisse weichliche Ghrazie des Benemens, die Geziertheit der höfischen Sitte, aber auch die Kraftlosigkeit der Bewegfungen sonst dazu bei, diesen Eindruck hervorzubringen. Darin macht sich der Zusammenhang mit dem Zeitgeschmack, den er vorfindet, und mit

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Das Erste MeisterstCck

dem Vorbild des Gentile da Fabriano oder des Masolino da Pani- cale noch am meisten fülbar. Und die Einkleidung der altchrisi- lichen Lc^-ende in die Tracht der Gegenwart und den Anstand am Hofe Martins V. dt*ssen Züge der Papst Liberius angenommen hat, der Versuch, auch in den Köpfen seiner Begleiter die Individuen von damals zu konterfeien, wie l.odovico Fiesco, den Archidiakon, oder Branda CasliL;lI<>ne, den Legaten, und wen der Maler sonst einmal nach dem Lei)en gezeichnet hatte, oder zu dem fürstlichen Kostüm gegenüber auch die Züge König Sigismunds wiederzugeben, all dieser Zuwachs an wirklichem Dasein lässt die Unwarscheinlich- keit des durchgehends unfertigen Körperbaues erst recht bemerk- bar werden, indem es den Anspruch an Wirklichkeitstreue steij^ert Zwischen die geistlichen Würdenträger, in denen historische Per- sönlichkeiten vor uns auftauchen, und die modischen Herrn, die an P'ürstlichkeiten beim Konstanzer Koncil erinnern, sind zarte Jung- frauen und fromme Greise in langen Gewändern eingestreut, wie sie auf Kirchenbildern, etwa beim Sposalizio aufzutreten pflegten. Die Verwirklichung des Vorgangs ist also nicht vollständig durchge- fürt, soridern bleibt auf der nämlichen Stufe, wie der römisch*: Schauplatz, auf dem einzelne Warzeichen, wie Monte Testaccio und Cestiuspyramide, mit Durchschnittsproben, wie die Stadtmauern, zu- sammengestellt sind, ono mit der Absicht, den damaligen Anbhck des Esquilin bei S. M. Maggiore wiederzusehen, soweit Ernst zu machen, wie mit dem Kirchenplan. Es bleibt bei einer Durch- dringung der mittelalterlichen Legende mit dem Leben der Gegen- wart, soweit die Erfurcht vor der Erstem sich damit vertragen will. Und diese Verquickung der gotischen Tradition mit dem modernen Verlangen nach glaubhafter Realität bestimmt auch die Tonart des Vortrages, der wol mehr elegische Frömmigkeit und weiche Gefüligkeit als feierliche Getragenheit des selbstbewussten Auftretens eignet Es klingt wie eine Erzälung für die Pilger au> den Mirabilien Roms. Dass dabei die Person des lebenden Papstes und seiner Umgebung an die Stelle der überlieferten Namen Irin bleibt ein ebenso starkes und vollwertiges Bekenntnis der neuen Zeit, wie die entschlossene Eroberung des dreidimensionalen Raumes für den Aufbau der wirklichen Welt vor unsern Augen, den der Maler auf seiner Goldgrundfläche vollzieht. Aber eben daraus leuchtet ein: die Konstruktion für das Ganze ist früher zur Handals die Aneignung der Dinge selbst in ihrem natürlichen Zusammen- hang; diese werden einzeln aufgelesen, ja herausgerissene Züge gan; individueller Art auf das grundlog^nde Schema aufgetragen, sodass sie wie Töne aus verschiedenen Kegistem nebeneinander stehen.

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FOr S. M. Maggiore in Rom

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Die Vermittlung und Ausgleichung zwischen so verschiedenen Graden der Warhaftigkcit, nac h der wir weiter fragen, kann nur im Bcrcicli der Farbe und des Lichtes noch gesucht werden, soweit nicht durch einen Vorrat geläufiger Formeln und Wendungen dafür gesorgt ist. In der Tat verschmelzen Angelerntes und Beobachtetes durch das Mittelglied des Konstruierten, das mit der besondern Auf- gabe rechnet, bis zu einem gewissen Grad unmerklich. Die Haltung der Köpfe, leise vornüber oder zur Seite geneigt, überwiegt gleich- mässig in der Mebrzal, der andächtigen Teilname an der Ceremonie entsprechend. Nur entferntere Zuschauer blicken zur Schneewolke hinauf und zeigen künere Verkürzung, oder geraten in Beziehung zum Nachbar, so dass wir ein Greflüster vermuten. Die Haltung der Hände schliesst sich dem an : die meisten sind gefaltet oder in ein- ander gelegt, nur vereinzelt wagt sich eine staunende Gebärde oder ein Hinweis fiir den Nebenmann hervor; aber auch diese bewaren die getragene, gedämpfte Tonart, die das Hervorbrechen des Un- mittelbaren und Unerwarteten ausschliesst. Diese Wirkung bleibt allein dem Wunder selbst vorbehalten. Und die Urheber, droben in der Glorie, vollziehen ihre Willensäusserung, so bestimmt sie auf Erden sich gestaltet, doch selbst in majestätischer Ruhe und Hoheit, wie Christus, der die geöffneten Hände abwärts streckt, oder in demütigrer Bescheidenheit, wie die zarte Maria, die den Gottesfon nur mit leisem Wink begleitet. Das Gleit hmafs der rituellen Mimik, wie die kirch- liche Feier und das Andachtsbild auf dem Altar sie teilen, lagert noch über diesem Historienbild, das doch schon die Trennung der Wege deutlich erkennen lässt, und bildet so eine Ausgleichung zwischen den kräftigeren Momenten, die zur Lebendigkeit des Tat- sächlichen empordrängen.

Zu dieser vermittelnden Phraseologie der Formensprache kommt als wirksamer Faktor im Sinne der Einheit dann die Farbe. Die ürundlage nähert sich bei der Kleinheit des Mafsflabes den Be- dingungen der Miniaturmalerei, die vom Absehen auf volle Natürlich- keit entfernt ist. Die Gesamtfärbung ist noch hell, aber ebendeshalb wol abgetönt, nach den harmonischen Gesetzen der einmal ange- nommenen Scala. Die Fleischteile sind durchsichtig bis in die Schatten hinein, diese aber nicht grün untermalt wie bei Masolino, sondern rotbraun, und deshalb warm. Wie von innen dringt die Lebensglut, dem unwillkürlichen und schiu htcmen Erröten vergleichbar, in die ^angen, und erreicht in einzelnen Männerköpfen eine Kraft und Krische, die eine volle Erneuerung verheisst und das dürftige Gebilde des Körpers selbst ergreifen muss. Und merkwürdig wie der neue Adam, den die aetherischen Menschenkinder anziehen möchten,

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Das Erste Meisterstück

steht drohxr-n der Gottesfon selber da mit der jugendlkhen Geär> tin seiner Macht, als wären sie das erste Menschenpaar einer voD- kommneren Schöpfung oder die Urbilder der bevorstehenden Wieder- geburt des plastischen Gestaltens.

Ausser der gemeinsamen Kamation dient noch die farbige Gewandung dem selben vermittelnden Verfaren des Malers. Aber grade hier geht er über den bunten Glanz der dekorativen Polv- chromie one Unterschied der Stoffe, wie er bis dahin noch bei Don Lorenzo Monaco und sdnen Gesinnungsgenossen gettbt wird, hinaus Er vertieft sich schon aus Interesse fdr die verschiedenen Zeitkostüme der geistlichen und weltlichen Herrn, in die mannicfa&ltige Natur der Gewebe, der Chorhemden und Pelzkappen, der Sammetröcke und Seidenkleider, bis in die Goldstickerei des Pluviale oder die Edelsteine des Triregno Martins V, die er als wirksamen Gegensatz gegen die einfache Schönheit der Himmlischen in ihrer gotischen Idealität verwertet. Das Vorbild der stofflichen Kleinmalerei und der liebevollen Sorgfalt des Gentile da Fabriano ist unverkennbar: aber im Vergleich grade mit dem emailartigen Schmelz und dm funkelnden Geschmeide, die der oberitalienisch gewordene Umbrer in Farben über seine Altartafeln ausbreitet, bewärt sich !Vfasacdo schon hier, wo er den Gönner jener Goldschmiedsseele befriedigen soll, seine eigene Gesinnung, die sich niemals an ganz raateneUe Wirkungsmittel verlieren kann.

Himmel und Erde zu einem Gemälde zu vereinii^f^n, hat er aber noch dn Mittel, das wieder mit der einheitlichen Kaumauffasstiog zusammenhängt und selbst die Scheidung in der Konstruktion des irdischen Schauplatzes und der Götterwelt wieder ausgleicht: das ist die Fürung des Lichtes. Von links oben fällt die Helligkeit ein und beleuchtet im nämlichen Sinne das Antlitz Oiristi und der Madonna, wie des Papstes und der Kardinäle, nebst allen Zuschauern ihnen gegenüber. Die nämliclic Richtung ist auch in der Schattierung der Gebäude und der Berge durchgefürt, so dass wir noch heute für den ursprünglichen Bestimmungsort des Täfelchcns die Forderung stellen dürfen, dass er diesen Bedingfungen der IJchtzufur entsprach. Die kleine Kapelle in S. M. Maggiore befand sich, wie Vasari an- giebt, in der Nähe der Sakristei, die wieder durch den Zusimmen- hang mit dem anstossendcn Palast bestimmt wird. Der Altar stand vom Eintritt durch die Vorhalle rechts im Seitenschiff zu Füssen des Turms, d. h. an einer Stelle wo das Licht aus dem Obergaden des MittelscliifTs der Basilika von links oben einfällt. Auf dem be- zeichneten Altar, der gegen die Turmmauer gerückt, seine Vorder- seite in die Längsaxe des Seitenschiffs kert, erfüllt die obige Bt-

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Für S. M. Maggiore in Rom

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diogung desDchteinfalls also nur die ROckseite, die wir dem Historien* bilde vom Schneewunder eingeräumt haben, wärend an der Vorder- seite das hochheilige Andachtsbild zu sehen war, d. h. die Assunta",

der die Kirche geweiht ist.

Diese Himmelfart Marias bleibt selbstverständlich in der hiera- tischen Vorschrift befangen, die gewiss auch die Vertretung der neun EngelchOre dem Maler an die Hand gab. Dennoch wird auch hier überzeugende Wirkung des Vorgangs angestrebt. Die völlig körperhaft dasitzende Gestalt der Maria beweist allein schon, wie Masaccio die Aufgabe von innen heraus neu durchgearbeitet hat Und ergänzen wir auch hier die spitzbogige Umramung oben mit einspringenden Nasen, wie der Gesamtumriss des Figürlichen sie heute noch fordert, so füllt die vornüber gebengte Halbfigur des Gottesfones, der die Mutter zu empfangen mit ausgestreckten Armen aus der Höhe niederschaut, mit seinem Cheriibkranz die oberste Oeffhung des gebrochenen Bogens, wärend die mandolA >rtnige Glorie Marias aus roten und blauen sechsÜügeligen Köpfchen sich ringsum klar gegen die schwebenden Engel abhebt, die sie, paarweis gleich, links und rechts begleiten, allmählich fester und fester auf den Wolken knieend, bis zu den untersten vier, die auf verschiedenen Instrumenten musicierend, der Erde näher, auch am grossesten erscheinen, und zu denFüIsen der Auserwälten sich zusammenschliessen, indess ihre Kniee auf Wolken ruhen und ihre schleppenden Gewänder sich seitwärts aus- breiten, wie auf sicherem Grunde. So gewinnen sie den Anschein, als wären sie die Deckblätter einer Knospe, die sich am Boden auf- legen, Wärend der geschlossene Kelch in der Mitte sich gerade zum Licht emporreckt, und das Ganze formt sich wie ein Gewächs gleich dem Mittelstück der Florentinischen Lilie, der nur ihre Seitenblätter feien. Auf den Flügeln des Triptychons waren aber, wie Vasaris Worte „darin sind vier Heilige so trefflich ausgefürt, dass sie wie in Relief erscheinen, und in der Mitte Santa Maria della Neve" er- kennen lassen, Einzelfigurcn, paarweis gesellt oder jede in besonderem Ramen für sich bestehend, one unmittelbaren Anteil an der wunder- baren Aufifart der Madonna dargestellt.

Die „Assunta" im Hauptbilde fand datr^^gcn eine Ergänzung in dem Untersatz mit der Bestattung durch die Apostel, die sich als weiteres Fragment in der Bibliothek des Vatikans erhalten hat. Der traurige Zustand dieses stark übermalten Ucbcrrestes erlaubt allerdings fast nur noch die Komposition als solche zu bewerten. Auch sie aber unterscheidet sich von dem späten Schulgut der Trccen- tisten durch den Ernst, mit dem sie neu durchgearbeitet ist. Die beiden Apostel, die den I^ichnam in den Sarkophag legen, dann

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Das Erste Meisterstock

Petrus, der d'w rTobctc liosl, und Christus, der die Seele in Gestalt eines Kindes wiederbringt, sind übers Kreuz einander entsprechend aiifcfestelit, die iräger d^s Ausdrucks zuausserst und ui der Mitte eingeordnet, das (Tanze dann aber im Sinne malerischer Freiheit und räumlicher Weite seitlich etwas verschoben, so dass selbst die hiigel- paarc mit brenr.enden Kerzen hüben und drüben nicht in starrer Symmetrie auf gleicher Höhe stehen. Hoch aufgerichtet in ihren schlichteu hellen üewändern, .sehllesseii sie jedoeh den feierlichen Vorg ing wirksam nac h beiden Seiten ab, wie als Hintergrund eine Hügelkette im Diinnnerschein die ganze Gcstaltenreihe begleitet.

Damit erst haben wir den Sockel für das Figurengebilde in der T.uftregion darüber, wie es die Tafel mit der Assunta ^eit^t, den dunklen Untergrund mit kräftigen Horizontalen, ans dem dieEngel- glorie emporsteigt. Und wieder hat Masaccio durch einheitliche Be- leuchtung für das Zusammenwirken der Teile zum Ganzen gesorgt. Das 1 lauptiicht kommt hier, dem Vorgang entsprechend aus der Höhe, über den S( heitel und die Stirn des herabschauenden Er- lösers, über das TTui])t Marias, das vom Manteltuch umhüllt ist, und ihre betend erhobenen Hände, über di(^ Knie der Sitzenden und die blondharigen Kngel zu ihren Füssen. Drunten aber bei der Be- stattung fallt es wie Mondschein über die Kopfe der Apostel, ihres Meisters und seiner lüigel, ganz besonders hell über das Seelchen der Abgeschiedenen in den Armen ihres Sones. Die beiden Sceneu müssen auch zu.sannnengenonmien werden, wenn man die Uekono- mie der (TestaltenbiUhuig, von den Cherubköpfen bis zu Maria und Christus empor, nachzurechnen versucht. Die musicicrendcn Engel, die zu unterst sch\vei)en, kommen im Mafsftab den Leuchter- trägern auf dem Krdboden und den .\ postein beim Grabe am nächsten. Das Selbe gilt von der Verteilung schlichter Gewandung und faltenreicher Draperie. Christus oben und Maria sind einfach und plastisch klar; nur das auiwarts llatternde Mantelende, das die Herabkunft aus der Höhe nachklingen lässt, und die Breite des Mantelsaums der feierlich 'fronenden dienen andrer Absicht, die wir in Kngelkleidern durchverfolgen können, bis zu den ruhig stehenden Nürmalfigurcii dieser Himmelsboten bei den nächtlichen Exequien. Die Charakteristik der Ciewandbehandlung des Meisters: „rein one Zierwerk', die unsre besten yuellen über Masaccit) wiederholen, passt durchaus für die.se Proilella im Vatikan, die so ilen aestheti- schen Gegensatz zu der Glorie auf Goldgrund bildet, ihr sozusagen als Folie dieni. Wie die Engel one Flügel, one Abzeichen kirch- lichen Ornates und one Diadem auf dem Haupte dastehen, so ist auch Petrus nicht als l*resbyter oder gar al^ Bischof gekleidet, son-

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Fragmente im Vatikan

II

dern in der gleichen apostolischen Tracht wie die UelHrigen und Jesus in ihrer Mitte. Und wie der Christuskopf hier wie oben und auf dem Schneewunder an der Rflckseite schon deutlich die weitere

Vollendunjij in der Brancaccikapelle als zugehörig erkennen lässt, so sei hier besonders auf die Uebereinstimmung mit der Kreuzigung io S. demente hingewiesen. Der Zusammenklang im Kreise der Jünger, mit ihrer energisch zusammengerafften Draperic. \>\(\h[ aber die Hauptsache, sobald wir dies Staffelbildchen aus S. M. Maggiorc in Rom als willkommene Vorstufe für den Bilderkreis Masaccios in Florenz erfassen lernen.

Zu diesem Fragment des Untersatzes tritt noch ein anderes im Vatikan hinzu, das um so eher die oberste Bekrünung des ganzen Altärchens gebildet haben kann. a!s dieses sich gewiss der damals üblichen Form entsprechend in dreigiebligem Aufbau darstellte, so dass über dem Mittelsiück noch oin eigner kleinerer Giebelaufsatz hervorragte, wärend über den Flügeln spätgotische Wimperge auf- stiegen. Enthielten diese vielleicht in Rundmedaili<>ns die Halb- figuren der Verkündigun;^. so bietet der „colraetto del trittico tri- cuspidale" im Vatikan die herkömmliche Darstellung des Gekreu- zigten zwischen Maria und Johannes Tni oberen Abschnitt des gebrochenen Spitzbogens, der das (iiebelfeld ebenso umramt. wie wir uns die unteren Hauptbilder zu denken haben, wiederholt ein Bäum- chen mit dem Pelikan, der seine Jungen mit dem eignen Blute närt, als Symbol aufopfernder Liebe darauf, noch einmal die gebrochene Hogenform des Ganzen, und bezeugt so, aus dem Kreuzesstamm auf- wachsend den architektonischen Raumsinn des Künstlers, der auch in der Form des niedrigen Kreuzes selbst ur ! in der Verteilung der zugeordneten Körper im unteren Abschnitt sich ebenso vorteilhaft erkennen lässt.

Das sichere Dastehen der beiden Leidtragenden ist höchst charakteristisch und als Kenn/eichen für die Entstehungszeit wie für den Meister von entscheid( nder Bedeutung. Dieser feste Aufbau der Figuren am Fuss«» des Kreuzes giebt auch den Schlüssel zum Verständnis des Crucifixus selbst, der auf das Fussbrett gestellt ist und so, gegen den Stamm Icnend, auch für die Schwere des Leibes den Rückhalt gewinnt, n der Künstler im Interesse der plasti- schen Entfaltung statt des Hängens am HdIzc gesucht hat. Am schwächsten erscheint trotz der statuarischen Haltung der Lieblings-

') Vgl. die Beschreibung des Pisaner Altarwerks von Masaccio bei Vaaati, daan dai Tabernakel von 1425 in Bremen und den Altar des Genlile da Fabriano in der Aka» (kmie zu Florenz aus demselben Jare; aber anch noch spKte Provinzialwerke, wie die des Niooolo da Fnligno.

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Das Erste Meisterstock

jünger, sowol wegen seiner weichen, vielgeteilten Draperie, als weg«a seines weiblichen Wesens in Antlitz und Gebärde. Aber diese Süssigkeit gefülsseliger Trauer entspricht dem frommen elegisdiea Ton des Schneewunders durchaus, den sanften Jünglingen ine den holden Frauen, die auch dort, wie mitten aus der Gegenwart her* ausgegriffene Modepuppen gezeigt werden. £s ist die Zeitstimmung, die fast vom Norden her, aus den Tagen deutscher Mystiker, her- über zu klingen scheint, und uns begreiflich macht, weshalb eis Gentile da Fabriano durch die Vorliebe der KirchentÜrsten bei ihrer Rückker vom Kostnitzer Koncil auch in Florenz soviel Erfolg hatte. Es ist die nämliche Stimmung, die im Lebenswerk eines Fra AngeKco noch eine so reine und vollwertige Verewigfung finden sollte. Dass man noch später einmal den klagenden Johannes des Masaccio mit einer Magdalena verwechseln kann (wie in £mp6Ü), darf uns nicht Wunder nemen. Sein Motiv der aufgestützten Wange finden wir auch in Rom auf der grossen Kreuzigung in S. Clemenle wieder und dttrfen eben deshalb sicher sein, grade in diesem Jo* hannes noch den alten Bestandteil der Gruppe in ursprüngücher Fassung zu besitzen. Das schmiegsame, wenn auch nicht kleinlidie, doch altertümlich anmutende Faltengehänge ist dodi nicht allein aus dem gleichzeitigen Vorbild eines Farri Spinelli vollkommen erklär- bar, sondern ist auch in absichtlichem Kontrast zur Maria und da- mit zur Charakteristik des Seelischen gewält, d. h. der Maler sdbst ist nicht mehr in dieser Manier beengen, sondern besitzt neben diesem Mittel des Ausdrucks schon andre zu fireier WerfUgang. Das entspricht durchaus der Entwicklungsstufe, die wir vor uns haben. Den Uebergang bildet das Lendentuch des Gekreuzigten, das nach Johannes zu noch fein gerillt ausflattert, sonst aber im Sinne des Plastischen, auf das es hier ankommt, vereinfocht wird. Dem seiden- weichen Mantel des Apostels stellt sich vollends der dicke Wollen- stoff der Matrone grosszügig und schwer gegenüber. Wie eine dunkle Masse umhüllt Kleid und Ueberwurf, bis auf das feine Linnes über Stirn und Hals, die ganze Gestalt, selbst die gefalteten Hände, und hält so die durchgehende Gebärde, die sich aufireckt im Schmerz, wirkungsvoll und einheitlich zusammen. Wärend aber der Christus- körper und der rotblonde Kopf, dessen Gesichtszüge verletzt sind, wie der hellblonde Johannes mit den Figuren der Hauptbilder dieses Altärchens übereinstimmt, geht Antlitz und Blick der Mater dolorosi schon über die Leistungen hinaus und verkündet eine Sinnesart, <fie dem jungen Meister nicht als Zeitgeschmack überliefert oder vom Lerer anerzogen ward, sondern aus eigner Walverwandtsdiaft selber angehört. Wir würden auch sie wol in S. Demente, nur grCescr

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Tabernakel in Bremen

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in dem breiten Wandgemälde, wieder zu finden erwarten, und mögen ausserdem mit Fug und Recht schon hier an die Maria am Cirabe in Empoli oder an die Frauen am Lager Tabithas, wie an diese selbst und S, Anna selbdritt oder das Fresko in S. M. Novella er- innern, um den verfolgbaren Zug des Werdenden aufzuweisen.

Nach allen Seiten, die eine verstandesmassige Analyse des kleinen MeisteistOcks ftr Martin V. bioszulegen vermag, verknüpft sich also das Geleistete und das Gewollte mit den umfassenderen Schöpfungen der folgenden Jare, so dass der Zusammenhang dieser Bruchstücke in Neapel und Rom mit dem übrigen Lebenswerk gewiss durch skeptische Einwände gegen Einzelheiten darin nicht wieder zerreissbar erscheint. In den nämlichen Zusammenbang gehört, für die Erkenntnis der gleichen Entwicklungsstufe, noch ein zweites Andachtsbild, das Tabernakel in Bremen').

Die Madonna von 1423

Ks ist oin plastisches Problem, wie die sitzende Assunta in Neapel, das der Maler zu lösen unternimmt. Auf dem Fussboden, hinter dessen bunt gemusterter Fläche^ sogleich der Cioldgrund ansteigt, one weiter über die Räumlichkeit zu orientieren, liegt ein grosses Kissen, dessen goldbrokatene Hülle fast eine niedrige Truhe oder einen Schemel mit dünnem Polster vermuten lässt. Auf diesem beliebig hingeschobenen Gegenteil eines Tronstuls hockt eine be- scheidene jun<L];^e Mutter mit ihrem Knäblein, das schon so selbständig seine Glieder braucht, dass es als zweiter organischer Körper hinzu* tritt. Statt der ruhig tronenden Einzelgestalt in der Himmelfart Mariashaben wir jetzt eine lebendig bewegte Gruppe. Zwei menschliche Gestalten, ein schlankes Weib und ein zweijAriges Bübchen, sollen mit Hülfe des stützenden Unterschiebsels so aufgebaut werden, dass sie die schmale spitzbogig abschliessende lüldtafel füllen, deren rechteckiger Hauptteil unten mit gedrehten Säulchen und Kämpfer- simsen, deren Bogenfeld oben mit einspringenden Nasen zwischen Halbkreisen eingefasst wird, so dass die horizontale Gränze über den Trägern eingelegt, das Mittellot in einem Verhältnis von 11:7 durchschneiden würde.

Die Frauengestalt sitzt, für den Beschauer rechtshin gewendet, &st nur auf dem Rande des niedrigen Polsters und stützt ihr linkes Bein auf den Boden, so dass sich das Knie hoch heraushebt, wftrend das rechte Bein unter den Faltenzügen des blauen Mantels völlig

1) Vgl. Bach m p. 70 t T«f. 5».

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Die Madonna von Mccccxxiii

verschwindet, also nur lässig herunterhängen oder schräg gelag-ert sein kann. Wol möglich, dass diese Haltung beliebt und solchem Kissen am I*>odcMi gerecht war, wie der Künstler sie nach dorn I^ben wieder- gab. Für die plastische Klarheit des Körpers ist sie doch ungffinsdg und verrät uns, wie allmählich damals erst das GrefQl für die wesent* liebsten Bedingungen des Aufbaues wuchs, auch da, wo wir es am ehesten erwarten. Je glücklicher die obere Hälfte durchmotiviert und je sorgsamer die Draperie der untern im Zusammenhang des Ganzen abgewogen ist, desto deutlicher bezeichnet die schwache Stelle das Stadium, wo bei einem so viel behandelten Gegenstand die plastische Durchdringung Ober die Halbfigur hinauszugehen beginnt und soeben Miene macht, den ganzen Körper als Gesamtorganismus zu erfassen. Mit dem herausgehobenen Knie als Kopf des langen Unterschenkels ist der Stützpunkt für den Knaben gewonnen, der nur mit Zehen des rechten Fusses noch darauf tritt, um an den Hals der Mutter emporzustreben. Sein linkes Bein streckt er ausschreitend in die Luft, so dass die Hand Marias es freundlich fasst, indem ihre Linke zugleich sich schützend auf den Rücken des Kleinen legt Seine beiden Arme sind zum Hals der Mutter emporgehoben, aber nur den linken bekommen wir zu sehen, wärend das blonde Kraus* köpfchen, das mit blauen Augen noch einmal umschaut^ schon im BegfrilF ist, die weiche Wange liebkosend zu berüren. Es ist ein dralles, wolgenärtes Bürschlein, das in seinem kurzen feinfaltigen Hemdchen gar lustig schon die nackten Beine braucht Auf dem Schofse geborgen, unternimmt es den künen Aufstieg wie aus über- schäumendem Behagen und erstaunt erst oben bei dem Seitenblick vom unversehens erreichten Standpunkt Die Mutter hat nur Augeo ffkr den Ltebting; sie neigt ihr feines Antlitz z&rtlich ihm entgegen und senkt die Lider in jungfräulicher Schüchternheit Das dunkle Manteltuch ist über das Haupt geschlagen und fliesst auf beide Schultern und Arme nieder, um über das Knie gelegt in abwJirts hängenden Bogenlinien den ovalen Umriss zu vollenden, in dessen Mitte nur das schlichte hellrote Kleid sichtbar wird, das an der Brust anschliessend auch one Gürtel, in enggerillten Falten den Leib bedeckt. Wie eine keusche HüUe birgt sie ihr Kleinod, das in kindlicher Unbefangenheit sich hervorwagt und in den mndlicfaeo Formen des stämmigen kleinen Körpers auf einmal die naive Freude zur Schau trägt, der so wol bt in der eignen gesunden Fülle und Kraft Wie die Entdeckung der Bildnerlust mitten im angebeteten Ideal der kirchlichen Frömmigkeit mutet es uns an, wie dn Erst- ling des Kindeljubels» der durch das ganze Quattrocento seinen Reigen schlingt Der muntere Hemdling ist der Träger des plastisdien

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Vera Ikon

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Problem» geworden, dessen voller Lösung die verschleierte Frauen- gestalt, wie ein unbcrürtcs Geheimnis, tu Ii unüberstcigliche Schwierig- keiteo bereitete. Ihre langgestreckten Gliedmafsen bezeugen nur, dass hier noch mit der ererbten Gliederpuppe von gotischen Propor- tionen gearbeitet wird, nicht mit dem ungescheuten Anblick der Natur oder gar geläufiger Kenntnis des weiblichen Körpers in jeder Haltung. Fast will es scheinen, als erröte die zarte junge Frau noch selbst vor dem Ansinnen des Malers, den entzückenden Anblick des halbnackten Kindes auf sein Andachtsbild zu bringen Und war es keine Verwegenheit mehr, diese ausgesprochene Freude an der wolgebildeten Kreatur vor die Augen der frommen Gemeinde zu stellen ? Dann war die Wiedergeburt des ganzen Menschen in leiblicher Vollkommenheit ein für alle Mal inauguriert.

Mit sichtlichem ßehagen sind auch die nackten Teile der Madonna, die Hände und der Kopf, sorgfältig durchgearbeitet nach bestem "Wissen des Malers von damals; aber sie bleiben aiirh sn in den Gränzen des geläufigen liesit/e.s, dem wir auf dem Altärchen Martins V. begegnet smd. Nur der Malsltab ist vergTÖSSert» sonst erkennen wir alle Kinzelhciicn getreulich wieder.

In dem nämlichen Sinne, wie das frische Knäblein und seine verschämte Mutter in ihrem Glück, wird droben am Giebelfeld des Tabernakels das Antlitz des ErliVsers als Idealbild des ebenmässig schönen Mannes gegeben, niclit bleich und leidend im furchtbaren Weh auf dem Todesgang, wie der Abdruck auf dem Tuch der Veronika, sondern als wahres Ebenbild Gottes, wie Adam vor dem Sünden fall, in stralender Lebenswärmc und voller Farbenglut, zum Ausweis des ewigen Wertes, der jedem Menschenion mit dem leib- haftigen Dasein verliehen wird. Auch das ist ein unverholenes, wenn auch absichtsloses Bekeimtnis der Renaissance. I-ornial gehört dieser vöUig symmetrisch in X'orderansichl gezeichnete Kopf natürlich als sorgsame Redaktion des Normalmenschen, die Masnccio damals, frei von allen abwandelnden Beziehungen und einschränkenden Be- dingungen, zu geben weiss, in die oben betrachtete Reihe der Christus- hilder, die auf die grossartigste Leistung in der Brnncaccikapelle vor- bereiten. Er schliesst sich am nächsten einersc-its dt^m Gotteslon auf (lern Schneewunder für S. M. M ejv-iore, andrerseits dem Vero- nikatuch auf dem Fresko in Enipoli an.

Bis auf den Sprimg, der das Rundbild im Giebel leider mitten durchgespalten hat, sind die gemalten Teile des Tabernakels so wol- erhalten wie sie nur sein können. Zumal das Hauptbild darf des- halb für die ursprüngliche Be schaffenheit auch des Altarchens aus S. M. Maggiore in Rom als Zeugnis entscheidender Art betrachtet

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Die Madonna von Mccccxxiit

werden. Nur das hellrote Kleid und der blaue Mantel, der besonden in den Schatten einen Stich ins GrQnbraune bekommen hat, aod stumpf geworden. Die Temperafarben sind nicht wieder gefimisst Die Kamation ist von ausserordentlicher Frische und Feinheit, hell mit rosigem Hauch» der im grossen Christuskopf z\i kräftiger ßlot* wärme gesteigert wird. Auf Goldschmuck ist an den Gestalten selbst, bis auf leichte Gewandsäume, ganz verzichtet; nur das rot- goldene Tirokatgewebe mit schwarzem Muster darüber zeigt, dass der florentinische Meister die Kttnste Gentiles wol auch versteht, aber ab- sichtlich in den Hintergrund schiebt Ihm ist die reine Idealität der jungfräulichen Mutter an sich zu wertvoll, um sie mit köstlicher Klein- arbeit materiellen Wertes zu beladen. Deshalb wält er auch in den Farben nur die einfachen Mittel, die das Auge nicht zerstreuen und ftr sich ergötzen, wendet aber auf die Ausfilrung durchweg die hin- gehendste Sauberkeit und Sorgfalt.

In der Grundstimmung freilich berürt er sich mit Gentfle, so meint man, ganz nah. Da jedoch das Tabernakel in Bremen die Jareszal 1423 trägt, wie Gentiles berttmte Anbetung der Könige zu Florenz, die kaum selbst in Betracht kommen kann, so ergiebi sich gradezu die Aufforderung, die verwandten Madonnenbilder des fremden Malers zu vergleichen. Und zwar in erster Linie das frühe Täfelchen im Museo Civico zu Pisa, aus dem Spital, dann das Mittel- Stück des Quaratesi-Altares, das nach Amerika verschlagen ist, und das wichtigpe, durch spätem Zusatz beeinträchtigte Fresko im Don von Orvieto. In Pisa begegnet uns Gentile noch ganz so, wie er aus Oberitalien gekommen sein muss. Durchaus venezianisch sind die kostbaren Stoffe, die er ausbreitet, der Teppich an der Wand hinter Maria, das Kissen auf dem sie sitzt, am Boden, und das perlenge- stickte Tuch, auf ihrem SchoTs, als Unterlage filr das nackte Kind, deren orientalische Buchstaben im Rande sogar am Heiligenschein d( r Mutter verwertet sind. Diese Mutter aber, in reich besettteoi Mantel, der über den Kopf gezogen und über der Brust geschlossen, den geschlängelten Lauf aller Ränder mit lateintschen Sprüchen io gotischer Minuskel begleitet, sie neigt ihr Haupt in Andacht und kreuzt die Arme über die Brust in tie&ter Devotion vor ihrem Knabea Die Altartafel für die Quaratesi von 1425 zeigte zwischen den stdienden Heiligeniigruren, die jetzt in den Uffizien sind, ursprünglich in & Niccolo oltr' Arno die tronende Madonna mit dem stehenden Kinde. Das Fresko im Dom von Orvieto, das darauf folgt, nachdem das grosse Prachtstück in Siena für uns verloren ist bringt wieder die Himmelskönigin auf hohem Tron und ganz von vom gesehea Das Manteltuch über dem Kopf ist zurückgeschlagen, nur ein dünner

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Vergleich mit Gentile da Fabriako

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Schleier Über den Scheitel gebreitet Der Knabe in prächtigem Kittel, ein Mäntelchen um die nackten Beine, von der Mutter ge- halten, steigt auf ihr rechtes Knie und erteilt den Segen, indem er mit breitem Lächeln, wie Maria in emster Milde, zur betenden Ge- meinde hinaus schaut. Nur das spielerische Motiv, dass der derbe Bub beim Hinaufsteigen noch nach dem kleinen Finger der Linken Marias greift, um einen Halt zu gewinnen, und so die Hand, die sein Mäntelchen £isst, herumdreht, giebt dem Auftreten des Kleinen in altkluger Machtvollkommenheit einen genrehaften Zug, der den lachenden Ausdruck und die eifrige Bewegung fast ans Burleske drängt

Die beiden tronenden Madonnen GentUes für Florenz und Orvieto zeigen also ein merkwürdiges Eindringen weltlicher Auf- fassung bei d<'ni Umbrer, der Mutter und Kind noch in Pisa, wo sie ganz allein miteinander sind, durch die Betonung des Unterschiedes zwischen Gottesfon und Gottesmagd so widernatürlich von einander scheidet. Zwei Jare früher entstanden, als der Altar der Quaretesi in S. Niccol(') oltr* Arno, stellt sich Masaccios Madonna von 1423 mitten dazwischen und bedeutet somit durch die rein menschliche Auffassung des eigentlichen Motives» wie durch die natürliche Iimig- keit des Verhältnisses zwischen Mutter und Kind, eine künstlerische Tat im Sinne der ganzen grossen Bewegung. Gentiles Gemisch von hieratischem und genrehaftem Wesen erscheint im Vergleich da- mit nur als vorbereitende Plänkelei. Hier bei Masaccio geschieht ein entscheidender Griff an den Kern der Aufgabe selbst. Der fremde Meister trägt nur Einzelheiten aus der bunten lachenden Welt umher zusammen, Kostbarkeiten von Menschenhand aus der Ferne oder Hlumen und Getier aus der Xatur daheim, und häuft sie als Hul- digungen um die göttlichen Wesen. Er behängt damit die Auser- wälte des Himmels wie ein funkelndes Gehäuse, das unantastbare Gefäfs für das höchste Gut; er weckt in dem kleinen Gottesfon die Kinderfreude an Spiel/cug und Gaben aller Art. sf) d.iss „die Weis- heit des Vaters auf dem Schols der Mutter** sich der Tändelei hin- giebt und gar lustig segnet, wo man Herrgöttle spielt. Masaccio wagt, ob schüchtern und befangen, nder errötend, den Schritt ins Allerheiligste der Natur und schaut in ihrem seligsten Geheimnis das Göttliche, das keiner Goldkäferpracht und keiner Zauberformel, keiner Opfergaben und im Grunde auch keines Heiligenscheines bedarf, um Vererung zu finden durch sich selbst allein. In aller Unschuld

1) Als frühere Vorstafe dieser beiden tronenden Madonnen Genäles erscheint ein

F'reskofragment in der Pinakothek von Arczzo mit twe'i opfernden Magiern in kleinem Mafsrtab vor den Knien, - Jocopo da Casentino genannt (Phot Alinari 9963.). Schtnarsow, Masaccio-Sludien V. 2

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Rom, S, Clements

lind Einfalt rrschlicsst sich ihm noch knospenhaft wie im ersten Frühling hier in dem jungen Weibe mit dem Sprössling auf den Knicen der owi^c Wert des Daseins, den die Kunst als höchste üabe uns erneuen kann.

Die Katharinenlegende In S. Clemente

Durch die Vergrössrruncf des FiLTurenmalses im Tabernakel 7.U Rrcnien gewinnen wir rintni bogrciHif hon Uebergang ;!wisrhen dem Altärrhoti Martins V auf der einen und den Wandgenuildeii in S. Clenii ntc auf der andern Seite, Die Gestalt Marias und der Kopf des Erlösers ycbcn uns erst eine Vorstellung, wie weit dor Maler seinen Stil schon im Tafelbild zu verbreitern im Stande war, one mit der Zeichnung seiner l ornieii in unzulänghche Terheit zu ver- fallen, oder mit seiner Draperi*' die schwachen Stellen der Kerj)er- darstellung nicht befriedigend mehr /.udecken zu können. Als Be- lebung einer grösseren Fläche für das Auge mit Hülfe nur einer ausgowachsonen (iestalt. verdient die Leistung schon volle Aufmerksam- keit, wenn wir von Malern etwa Masolino und Fra Angelico bis zu diesen Taren, von lÜldnern etwa Ghiberti und den Meister der i-'ellegrinikapelle vergleichen. Mit den unfertigen Mitteln seiner plastischen Formensprache und seiner malerischen Draperie erreicht Masaccio doch schon eine geschlossene Gesamtwirkung in wolab- gewogenem Umriss, der sich mit architektonischer Strenge in (la.< Schema der gotischen Fiale einordnet und zugleich mit dem Spitz- bogen über den seitlichen Stützen, d. h mit dem Aufbau des ganzen Tabernakels auseinandersetzt. Das sind Eigenschaften, die dem Fresko- maler vorzüglich zu Statten kommen. Xemen wir dazu die ver- schiedene Behandlung der nämlichen Uiidtläche auf beiden Seiten des TripLycliuns für S. M. Maggiore in Rom, der einheitlich empor- wachsenden Himmelfart hier und der scharfgeteilten Wundersccne auf dem Esquilin dort, so haben wir bereits verschiedene W< seines Verfarens beisammen, die ihn von andern Zeitgenossen auch in der Bewältigung ganzer Wände und in der Gesamtdisposition des Bilderschniuckt-s für einen ganzen Tnn^^nraum unterscheiden müssen.

So trifft ihn der Auftrag des Kardinals Branda Castiglione. die Kapelle auszumalen, die er in seiner Titelkirche S. Clemente, am Ende des einen Seitenschiffes hatte einbauen lassen, als er bei der Rückker der Kurie nach Rom die alte Basihka in baufälligem, d-^n Einsturz drohendem Zustand w iedersah und die anstoisende \\ onung

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Cappella della Passione

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des Titulars fär ddi in Bezitz nam. Auf den vier Kappen des Kreuz- gewölbes sollten die vier Kirchenväter und die vier Evangelisten paar- weis einander gegenüber «tzen. Von den drei Wänden waren nur zwei vollwertig, die dritte rechts vom Besucher war mit einem gotischen Fenster durchbrochen, das an der Langseite der Kirche, von der Strasse zwischcti Colosseum und Lateran her, direktes I.icht einfallen liess, Wärend der Eingangsbogen, quer in das Seitenschiff eingespannt, nur durch ein Eisengitter geschlossen, der HelHgkeit des Langhauses mehr oder minder gedämpft ins Innere der Kapelle zu dringen er- laubte. Die Schlusswand hinter dem Altar sr llt. der Passion Christi am Kreuz eingeräumt \v< rd< n, nach der die Kapells benannt ward, wie die Hauskapelle des Kardinals Iiranda in Castiglione d' Olona. Dif ' Fensterwand fiel dem Leben des hl, .Ambrosius zu, des Patrons der Mailänder Diöcese. zu der nicht allein der Geburtsort des Stifters, sondern auch sein einstiges liistum Piacenza gehörte, nach dem & noch immer Cardinalis Placentinus bezeichnet ward. Die Vollmauer geg^enübcr, durch das I.icht besonders begünstigt, sollte mit den Geschichten der hl. Katharina von Alexandrien, der Braut Christi gefüllt werden, deren Kultus auch die Krypta der Kollegiatkirche in Castiglione q-eweiht ward, one Zweifel aus keinem andern Grunde, als weil der Kardinal Branda persönlich zu ihr besondere Vererung tru^ und sie vielleicht von früh an zu seiner Schutzheiligen erkoren hatte. An der Stirnseite des Eingangs haben Maria und Gabriel bei der Verkündigung TMat/ gefunden, wie in Castiglione, in den Vierpässen der Laibung des Bogens darunter die Brustbilder der zwOlf Apostel, und links am Pfeiler war noch ein hohes Wandstück breit genug, die Riesengestalt des hl. Christopborus aufzuncmcn, wärend der Pfeiler rechts für ( in figürliches Gegenstück zu schmal erschien, so dass nur die gemalte Wandvertäfelung mit farbigen Marmorplatten herumgefürt werden konnte.

Dies umfassende Programm des bildlichen Schmuckes hat der Auftragjreber dem Maler gewiss vorgeschrieben, und die Disposition von Reihen erzälender Darstellungen in mehreren Streifen zu beiden Seiten dos Hauptbildes über dem iXltar im iVnschluss an Reisj)icle g-edacht, die ihm aus seiner ohcritalirnischen Heimat bekannt waren r)er junge Meister fand si( Ii s* Ibst im Widerspruch zu der „gotischen" Architektur oder hat doch im Anschluss daran sein Möglichstes getan, den Eindruck des Innenraames nach Mafsgabe seiner klassischen Studien umzugestalten. Die Hauptsache, die er als Eigenstes mit*

*) Wir werden beute von erhaltenen Kapellen zunSdtst an die des Apostels Jakobns

(S. Fdicc) im .Santo zu PacliKt oder des bl. Georg daneben erinnert; aber audk dat Johannes^ luicblein in Urbino bat die Kreusigung an der Scbroalseite.

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Umdichtung des Innern

bringt und hervorgerufen hat für jeden Besucher, bleibt aber das Neue, das über Beides hinausgeht: die konsequente v&umliche Auf* fessung und realistisch im Sinne der perspektivischen Kunst durch- gefUrte Umdichtung des Innorn, mit der hier zum ersten Mal. im Gegensatz zur mittelalterlichen Gewonheit, Emst gemacht wird. Die annähernd quadratische Grundform der Kapelle, die nicht zwei Langwände für ausfürlich und gleichmässig fortlaufende Bilderrethen darbot, hat y:o\viss schon dazu beii^etragen, die strengere Koncen« tration der Erzälung zu versuchen. Was die Breite der Mauer nicht hcrg^chpn konnte, das mochte die perspektivisch ertäuschte Tiefen- dimension ersetzen. Damit ist die erste Arbeit bezeichnet, auf die es vor allen Dingen ankam. So erklärt es sich rein praktisch, wenn mit der Katharinenlegende an der normalen Vollmauer be> gönnen wurde. Hier ist auch der primitivste Charakter seines Schaffens unverkennbar und der engste Zusammenhang mit den vorher besprochenen Werken vorhanden').

Gegenüber der behaglichen Schilderung, mit der sein unmittel- barer Vorgängfer Spinello Aretino in Antella bei Florenz eine ganze Kapelle gefüllt hatte, werden hier nur die Hauptmomente heraus- gegriffen. Ihre Zal beläuft sich auch so noch auf sechs oder sieben, die ursprünglich gleichberechtigt neben einander gestellt sein mochten, im Bogenfeld und Wandstreifen darunter jedoch keinen Platz fanden. So wurde die Verbrennung der bekerten Philosophen, als Bild im Bilde, durch eine Wandöffnung in der Disputation gezeigt, gleichsam als Perspektive in die Folgen dieses Aufhritts der Hauptscene selber einverleibt. Oben dagegen sind Bekerung und Enthauptung der Königin gleichwertig neben einander in einen Kamen gebracht Wärend die Erzälung der Legende zwischen diese beiden Momente das Radwunder einschaltet, bei dem die Königin gegenwärtig war. Hier ist also ein Kompromiss mit der frflhem Weise, die Masolino ruhig beibehält, flbrig geblieben; dafür aber, wie es scheint, die Königin auf dem Balkon neben dem Herrscher selbst durch eine gleichgiltige Person ersetzt worden. So können die Bilder nun von links nach rechts, erst oben dann unten „gelesen* werden one AnstoCs» Wärend die Folge ursprünglich von oben nach unten alternierend vom Eintritt gegen den Altar durch die ganze Wand fortschreiten sollte. Daran musste hier wieder erinnert werden, um die bewusste Klarheit in der Bewältigung der Aufgabe, die wolberechnete Ab- wechslung in der Darstellung des Schauplatzes aufzuzeigen. Oben eröffnet sich der Einblick In das kassettierte Kuppelgewölbe eines

*) Vgl biena Bndi IV, ii. u. Taf. 4. $. D«UUi in diaier Udcfug.

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Katharinenlegende

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römischen Tempels, unten in das flachgedeckte Sitzungszimmer des Kaiserpalastes mit seiner farbigen Marmortäfelung nach antikem Vorbild. Oben blicken wir in die Strassenflucht, an deren Ecke der Kerker Katharinens sich befindet, vor dem die Königin draussen unter dem Fenster stUt, gewiss nur, weil der schmale Streifen in Hochformat keine andre Entfaltung der Scene gestattete, one die Grösse und Ausdrucksföhigkeit der Figuren zu gei^Uden, aber auch ebenso gewiss^ weil neben dem Innenraum des ersten Bildes hier Aussenarchitektur gezeigt werden sollte. Unten folgt auf diesen engen Prospekt an der Häuserreihe hin als Schauplatz d^ Rad- wunders dagegen der grade Einblick in den Palasthof, als ruhiges Mtttelstück der ganzen Reihe, mit seinen Senkrechten und Wage- rechten in normaler Lage» zugleich als konstitutiver Faktor der räumlichen Orientierung fEkr die Bilderreihe der ganzen Wand. Endlich steht der Hinrichtung der Königin vor der KcrkertOr, an einer möglichst unbezeichneten Ecke, fast wie ein Mord im ver- borgenen Winkel droben, d. h. einer Episode, die n\ir durch ihre ursächliche Verbindung mit Katharinens Ueberzeugungskraft Be- deutung erhält, die Enthauptung der Heiligen selber gegcnüb», die drunten im Freien, draussen in der Weite des offenen Feldes, mit militärischem Aufgebot vor den Augen des Volkes, als Voll- streckung des kaiserlichen Richterspruches in Scene gesetzt ist, and in die Bergung des heiligen Leichnams durch Engel auf dem Berge Sinai ausläuft, d h wieder einen folgenden Moment hinzugreift, wie das erste Bild derselben Reihe, hier aber, mit dem Ausblick in die Ferne, den versönenden Schlufs des Ganzen, in räumlicher Weite ausklingt bis über die Fermate. Bei aller Sparsamkeit und Gedrängt- heit der schmalen Bilder, die der Wunsch des Stifters aufgenötigt hat, offenbart diese Wand schon eine Folgerichtigkeit und Freiheit der Raumkunst, die bei grösseren Abmessungen sich gewiss noch meisterlicher entfaltet hätten. Ein ßünenraum steht hier, in seiner konsequenten Schärfe für den bestimmten Standpunkt aufgerissen, zu nah neben dem andern, der denselben Anspruch erhebt. Das Feien neutraler Intervalle oder architektonischer Zwischenglieder wird störend fülbar; aber die Ansätze dazu in den Ecken unter den Gewölbkonsolen verraten auch, dass der Maler nur in der Zwangs- lage darauf verzichtet, sich auf dünne Omamentstreifen beschränkt hat, weil zu viel Momente der Erzälung vnn ihm verlangt wurden.

Fassen wir darnach seine Kunst als Erzäler selbst ins Auge, so überrascht vielleicht grade neben der Strenp^o der Konstruktion und der Bestimmtheit der Architekturprospekte die schlichte an- spruchslose Art des Vortrags, die Reinheit und Einfalt der Sinnes»

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weise» die durch dte ganze Reihe geht Wärend Spinello Aietino in Antella das Aufh'eten Katharinas gegen den Götzendienst zu «nem o£Pentfichen Aergernifs erweitert, wo der pomphafte Opferzug zum Tempel unterbrochen wird und ein Volksauflauf den iMnn ihrer reinen Absicht verwirrt, verlegt Masaccio den Vorgang in das Innere des Heiligtum selbst und beschränkt ihn auf wenige Personen« um ihn psychologisch tiefer zu fassen. Eigentlich hat die Heilige es nur mit dem Kaiser selbst zu tun. Auf ihn allein tritt sie zu in dem Augenblick, wo er sich in Andacht dem Altar des Götzenbildes nähert. AUeUebrigen sind nur Begleiter: die beiden Pagen, dieFOrsten» but und Handschuhe des Gebieters tragen, der Tubabläser und ein Flötenspieler, die ihm folgen, aber schon hinter der Säule oder dem Bildrand verschwinden, dann die Räte oder Hofbeamten, die dem Manwort der Heiligen lauschen. Auf der andern Seite hinter dem Altar noch einige Beter, die zur Statue des Gottes empor oder zu dem Zwischenfall hinüber blicken. Das ist Alles; d. fa. die Gebärde Katharinas und die des Kaisers mfissten uns die Hauptsache ver- mitteln, um die es sich zwischen ihnen handelt. Katharina erhebt die Linke zum Idol empor und blickt dem Herrscher ins Gesicht, indem sie die Rechte senkt, kaum schon deutend gegen den Bodea Der Kaiser verharrt in der andächtigen Haltung, als sei er noch taub fär ihre Worte. Und was sagt sie? können wir es erraten aus diesem Mienenspiel? Schwerlich, wir könnten sogar meineo, sie weise ihn zu dieser Frömmigkeit der Heiden an ; denn die Statue steht aufrecht auf ihrer Säule, kein Anzeichen verkündet ihren Fall, mit dem sich andre Kflnstler geholfen haben. Nur der Heiligen- schein widerstreitet dieser Auffassung der Scene, die sonst an Salomos Götzendienst erinnert. Es ist Alles vorbereitet; nur die milde Ton* art, der weiche Fluss der Gebärden, die er überkommen hat, lässt den entscheidenden Accent an der rechten Stelle noch nicht trefien. Es ist genau das Entwtcklungsstadium, das wir nach dem Schnee- wunder erwarten müssen, und auf dem Sfindenfall der Brancaco- kapelle wiederfinden. Ueber die Schilderung Martins V. und seiner Kardinäle bei der feierlichen Ceremonie der Grundrisszeichnung auf beschneitem Boden geht indess das hier Geleistete nach andern Seiten schon hinaus: eben durch die geistige Koncentration der Gesamt- anlage zu einem intimen Aufhitt zwischen wenigen Personen, der sich fülbar genug auf einen Moment zuspitzt, fCar den nur der sprechende Ausdruck noch versagt; andrerseits durch die rftnmlicb- körperliche Koncentration unter annähernd gleiche Bedingungen für alle Figuren, die sich in einem Hauptzuge für die Reliefao- schauung ordnen und so die Mitte für die Begegnung der beiden

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Katharinenlegende

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Träger der Handlung hergeben. In dieser plastischen Behandlung der Körper, deren jeder sich an seinem Platz behauptet und als Raumwert zum Aufbau des Ganzen mitwirkt, liegt in Verbindung mit der perspektivischen Raumdarstellung selber der wichtigste Teil der Arbeit, durch die diesem Bilde seine bestimmte Stelle im künst« lerischen Fortschritt des Malers angewiesen wird. Rechts schiebt der polygone Untersatz, der nach Art eines Lesepults im Chore ge> dacht, aber mit einem antiken Säulchen für die nackte Götterfigur darauf besetzt ist, die Personen dahinter in die Tiefe zurück, so dass nur Katharina an der Ecke dieses Altars in ganzer Gestalt hervor- tritt Links übernimmt die nämliche Rolle der schräg vom Rücken gesehene, in verlorenem Profil nach innen gekerte junge Mann in elegantem Zeitkostüm, dessen rundabstehender Rockschois und weite Sackärmel nicht wenig dazu beitragen sein Volumen zu verstärken, ein au jTfen fälliger Zweck, dem sogar die aufj^creihten Harlocken am Hinterkopf, die dienstfertig vorgestreckte Rechte mit den Hand- schuhen des Kaisers ebenso entsprechen, wie die Haltung des zweiten, von vorn gesehenen Pagen mit dem Fürstenhut in beiden Händen, ihm geiff-iniber, und der liinzutrctende Tubabläser, dessen Instrument über die Köpfe beider hinweg, sich schräg emporstreckt, so dass es fiir den ganzen Zug des Herrschers mit seinem Gefolge die Richtung anzeigt. Nicht allein A ittorc Pisanello hat von diesen raumschafifendcn Kostümfiguren begreiflicher Weise Kenntnis genommen, als er einige Jare später nach Rom kam, sondern auch Grentile da Fabriano dürfte schon bemerkt haben, dass mit ihnen etwas geleistet war, das er zur selben Zeit in der Anbetung der Könige fttr Palla Strozzi noch nicht erreicht hatte. Der Florentiner Benozzo Gozzoli erst besafs die mathematische Vorbildung, um sie, seitdem ihn Fra Giovanni da Fiesole als ( lohilfen bei seinen Malereien für Eugen IV. mitgenommen, dann woidlif h auszubeuten, sf^i es noch bei seinem Anteil an der Kapelle Nikolaus V., .sei es als Meister in der Kapelle der Medici zu Florenz oder im Camposanto zu Pisa.

Alit dem Altärchen für Martin V. und dem Tabernakel von 1423 verbinden sich sonst die Figuren dieses ersten Wandgemäldes auch als Weiterbildungen der nämlichen Idealtypen oder Bildnis- kopfc, der nämlichen Haltungen und Drehungen bis in die verkürzte Ansicht der Aufblickenden, der nämlichen Handbewegungen und Heinstcllungen, nur üb( r.dl in vollerer Rundung und plastischer Be« stimmtheit. Das Antlitz Katharinas besonders erscheint in durch- aus schwesterlichem Verhältnis zur Madonna von Bremen und zum Chriütuskopf am Giebel. Und dieser Vergleich giebt auch den An- lass, einen andern Fortschritt des Meisters zu verfolgen: nämlich in

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Rom, S. Clements

der Behandlung der Augen und des Blickes. In den Krstlings» worken begegnen wir fast überall gesenkten Lidern, unter denen die Pupille nur in seitlicher Drehung hervorlugt; sowie die Aug- äpfel grade nach vorn blicken, wird die Schwere des Oberlides fül- bar, die OeiOfnungen scheinen zu eng geschlitzt, um freies Auf- schauen zu gestatten, wie z. B. bei der Assunta oder beim Christus über der Schncewolke. Am Tabernakel in Bremen sind die Augen- sterne des Erlösers schon gross, auf dem Wandbild in S. demente beherrsclit der stralendc Blick der Katharina schon mit voller Ueber- legenheit den verblendeten Götzendiener im Fürstenrock, dem sie als zarte schlichte Jungfrau^ nicht einmal als Königstochter angetan, entgegen zu treten wagt.

Diese Errungenschaft wird dann weiter verwertet auf dem fol- genden Bilde, bei der Zwiesprarh /wischen Katharina und der Kaiserin. Mehr empfangend nur, still aufhorchend verhalt sich die Fürstin mit Srhloiortuch und Krone, die in kostbarem Kleide, auf gepolstertem StuI, doch so bescheiden drausson auf der Strasse sitzt, als würde sie im Dunkel der \acht von niemand gesohen. Ihr Kopf gleicht, soweit rs im scharfen Profil nur möglich ist. dem Marias im (ilorienschein über dem Schneewunder und in der Himmcl- fart. Die U rende Katharina dagegen ist voller und grösser ge- bildet, die eniporweisend erhobene Rechte gewinnt bereits sprechende T^ebcndigkeit , trotz der herkömmlichen kleinen und /arttingrigen Bildung, und wird darin vom Aufstützen der Linken auf die Fenster- bank mit beachtenswerter Sicherheit unterstützt. Die Hauptsache leistet aber atich hier das weit geofl'nete Auge des Protilkopfes, von dem eine geistige Kraft ausgeht, wie sie noch Fra Angelico nicht intensiver zu gelx n geh rnt hat, nachdem ihm diese Gemeinschaft der beiden weiblichr-n Wesen von Ma.saccios Hand einen nachweis- baren und bleihendi n Kindruck L; e]i acht. T7nglücklich bleibt noch der enthauptete Frauenkörper, der auf bi ide Klbogen vorn über ge- sunken ist, wie der Streich des Schwertes die Kni(H>nde getroffen, mit gefalteten Händen im Gebet. Aber resoluten .Sinn, den selben Moment auch im ersten Aufstofscn des abgeschlagenen Kopfes auf den Boden wieiler/ugcben. bekundet auch dieses .Stück. Die Haupt- sache freilich bleibt die Figur des Henkers, der das Schwert soeben wieder in die .Scheide fürt. V.r ist durchaus etwas fiir sich, und bietet gewiss das Ergebnis eifriger .Studien nach einem Söldner in solcher Tätigkeit dar. Gerade deshalb alu r erschien es bemerkens- wert, dass die langgestreckten Proj)ortioncn dieser hi^ur noch der Tradition der 1 recentisten in Moriii/ angehören, imd dass der Volksstamm, dem das Modell angehört, viel eher am Arno al» am

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Katmarinenlegende

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Tiber gesucht werden dürfe. Als Vorstufe mag hier noch auf eine Zeichnung der Uffizien verwiesen werden : sie stellt einen jungen Mann von ganz der nämlichen schlanken Statur und fast der gleiciien» nur etwas nachlässiger gehaltenen Tracht vor, mit einem langen Si.il) im einen Arm, wärend der andre abwärts gestreckt mit einer Handbewegrung den eben dahin gerichteten l>Hck begleitet; zu seinen Fassen liegt ein schlafender Hund. Die Zeichnung ist flüchtig, aber eben deshalb wol nach der Natur gemacht, nicht c no Schwächen und Schiefheiten. Die überlieferte Benennuiiß^ als .,Masolinü" wäre nicht unglaubhaft, eben wegen dieses weichen Wesens und erinnert wol an Hirtenfiguren auf dem Hintergrund seiner Geburt und An-- betung am Chorgewölbe dor C!ollegiata zu CastigHone. Dennoch ist ihre Uebereinstimmung mit dem Scharfrichter der Königin in S. demente zu Rom so stark, dass der Name Masaccio für die letztere Arbeit auch wol die crstcre (Uffizien, Cornice 95 Nr. 393) nach sich zieht Zu diesem Standpunkte der künstlerischen Entwicklung, wie wir ihn soeben charakterisieren, passt auch diese Studie nach dem Leben; wenn die Kenntnis des menschlichen Körpers noch nicht geläufig genug ist, um scharf und bestimmt, die entscheidenden Stellen zu treffen, so überrascht doch die Natürlichkeit des schlafen- den ITiiiules, der alle Viere von sich streckt, gewiss neben den kind- lichen Zeichnungen der Schafe, des Oechsleins und des Esels, die wir sonst auf Bildern dieser Uebergangszeit zu sehen bekommen.

Ganz auf den geistigen Ausdruck stt 11t sich dagegen wieder das erste Bild der unteren Reihe, wo Katharina unter dem Vorsitz des Kaisers mit den Philosophen disputiert. Nicht auf die Schwelle nur der hocbgelarten Versammlung darf sie treten, wie bei Spinello Arctino, sondern mitten hinein, zwischen die Reihen rechts und hnks der lauschenden Männer und Greise, wie Franciscus, der vor dem Papste predigt in Assisi. Einem Konsistorium der Kardinäle gleicht auch die Gesellschaft dieser heidnischen Schriftgelerten, deren erster in Pelzkragen und Käppchen uns bildnismässig anmutet, als wäre es Niemand anders als der Stifter der Kapelle, der Kardinal Branda Castiglione selber. Wenn Masolinos Porträt an der Decke zu Castiglione auch nicht ausreicht, die Identität der Person zu er- weisen, und ein zweites im Baptisterium zu zerstört ist, ein drittes im letzten Bilde, an der Tafel des Merodes nur den I lochbetagten wie- dergiebt, so genügt doch der Hinweis auf die Gründung von S, M. Maggiore mit dem Bildnis Martins V, und seiner Kardinäle, um den Sachverhalt völlig glaubhaft zu machen. Die künstlerische Aufgabe freilich lag nicht sowol in der Anbringung dieses sprechenden Bild- niskopfes» sondern, wie gesagt, im Ausdruck gespannter Aufmerk-

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Rom, S. Clemente

samkett und mannichfacfaer Wirkung der gehörten Worte bei allen Anwesenden. Und hier versucht der Maler in der Tat sein Möglidh stes zu tun, um Abwechslung in den Charakter und die Haltung der Köpfe zu bringen, die ihrerseits wieder ganz zweifellos die Her- kunft von den Zuschauern des Schneewunders ebenso bezeugen nie den Fortschritt des Meisters in der Durchbildung des Einzelnen. Das Gleiche darf von dem Spiel der Hände gesagt werden, um so mehr als es auch hier nicht möglich war, über den Ausdruck noch schwebender Stimmungen hinaus zu gehen und den letzten Erfolg der Kede Katharinas, die schlagende Beweiskraft der Grfinde, die sie betbringt, durch die liekerung sämtlicher Weisen zum Christen- tum vor Augen zu stellen. Es bleibt ein Situationsbild, und das Er- eignis erfaren wir nur sozusagen zwischen Tür und Angel, zwischen der Hauptscene und dem folgenden Situationsbild, dem Flammentod der bekerten Philosophen, der uns durchs Fenster gezeigt wird. Das liegt am Gegenstande selber, den man dem Maler aufgetragen. Für den Wert seiner Leistung aber innerhalb ihrer Zeit zeugt nichts so stark wie die Wiederholung seiner Komposition mit leisem Wan- del für alle verwandten Scenen \\ärcnd des >ianzen Quattrocento bis zu SignorelHs iVusgiessung des hl. Geistes in Urbino und Pin- turicchios Wandgemälde aus dem Leben Pius II. in Siena.

Dem Künstler selbst dagegen scheint solches Thema one Hand- lung wie eine Geduldsprobe erschienen zu sein ; denn er atmet sichtli<^ auf, als der misglückte Versuch, Katharina durch Räder zu zerreissen. für das folgende Bild an die Reihe kam. Da gilt es pbysisdie Tätigkeit der Henkersknechte im Kontrast zu der seelenreinen Er- gebenheit der Heiligen zu zeigen, dann die Bestürzung und Be- strafung der Anstiftrr, denen die zerbrochenen Stücke an den Kopf fliegen, da das blitzschnelle Herabfaren des Engels, der die Räder zersplittert, wärend droben vom Söller des Palastes der enttäuschte Tyrann den Erfolg seiner Höllenmaschine ins Gegenteil umschlagen sieht. „S^ Caterina delle ruote" ist denn auch hier zum Haupt- stück der ganzen Reihe gediehen. Die beiden wuchtigen Kerle, die mit nackten oder engbekleideten Beinen, der Eine von vom. *?er Andre von hinten gesehen, die schräg gestellten Räder in I n - schwung setzen, sind dit? bedeutendsten Fortschritte in der plasti- schen Darstellung menschlicher Gestalten und gewagter Verkürzuog, die damals in Rom erreicht werden. Sie bereiten den berümteo Zolleinnemer in der ßrancaccikapelle so deutlich vor, dass man meinen könnte, sie müssten zeitlich unmittelbar vorangegangen sein Nur die sonstigen Bestandteile des Bildes, die Ideale Einfalt der Jungfrau in der Mitte, die altertümliche Bildung des Engels» der

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KATHARINENLECfENDE

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nur bis an den Gttrtel noch Körper besitzt, wärend das lange Ge- wand wie ein lilumenkelch onc jede Andeutung fester Form darüber steht, und die Wiederholung wolbekannter Handbowcgungren beim Kaiser oder den Zuschauern, verbieten eine so nahe Verbindung mit dem Meisterwerk in Florenz» dessen Zeit als Ganzes doch noch nicht gekommen war. Dagegen wAre es aus den selben Gründen gamicht unmöglich, dass zwischen der Disputation Katharinas und der Vollendung des Radwunders ein Zwischenraum mit andern Ar- beiten angefüllt war, die mannichfattige Uebung und neuen An- sporn brachten. Die. Hauptzüge der Komposition konnten deshalb doch die nämlichen bleiben, wie sie ursprünglich entworfen und vom Auftraggeber gebilligt waren. Das Gelingen des Einzelnen aber be- ruht auf Errungenschaften, die auch für gewollte Kontraste fast zu weit über das ruhig wachsende Besitztum hinausgehen. Dieses Neue jedoch bestimmt fast vollständig schon den Charakter des folgenden Bildes, des letzten in der Reihe, mit der Enthauptung der Heiligen. Der Scharfrichter der im vollen Zuge des Ausholcns mit dem Schwert zum entscheidenden Hieb dargestellt ist, zeigt uns das nämliche Modell wie die Raddreher, eine untersetzte, gedrungene Römerfigur, recht im Gegensatz zu dem langen Gesellen droben. Gross und klein steht in der Reihe der Soldaten beisammen, die das Publikum von der Richtstätte absperren. Mit den langen Sctz- schilden auf dem linken Arm „halten sie den Daumen" in der Faust und folgen mit den IMicken bald dem wuchtigen Schlag des Hen- kers oder dem frommen Gebaren der Jungfrau, die demütig ihren Nacken darbietet, wärend sie betend die Hände zusammenlegt. Starres Entsetzen, stiere Neugier, gerürte Teilname an ihrem Schick- sal blickt zwischen den behelmten Köpfen herüber, bis zu einem Versuch, die Mauer von Kriegsknechten zu durchbrechen, der indcss die straffe Spannung nicht stört Droben auf der Höhe des lierges stehen Engel bei der 1 »estattung^, wie wir sie bei den Exequien Marias auf der Predella des Vatikans gesehen haben, mit doppelt geschürzten Gewändern selbst beschäftigt, den Leichnam in einen gleichen Sarkophag zu senken.

Der vielfach restaurierte, zum Teil sogar sinnlos übermalte Zu- stand dieser Wandgemälde verbirgt uns heute jeden weitern An- halt, in die Entstehungsgeschichte einzudringen und etwaige Ab- sätze in der Vollendung der Reihe n.iher nachzuweisen. Die lange, gewiss unerwartet sich hinziehende Abwesenheit des Kardinals Branda würde die Unterbrechung der Arbeit durch andre Aufträge mehr als ausreichend motivieren, zumal wenn mit ihm selbst auch die Zalung ausblieb. Bei seiner Rflckker vom Norden über Castig-

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Rom, S. Clemente

lione d' Olona, Mailand und Florenz im FrQMing' 1425 ward er per* sönlich die Veranlassung, dass in Florenz ein lockender Auftrag frei ward, die Vollendung der Brancaccikapelle, die Masolino auf- gab, um im Juli über Castiglione d* Olona nach Ungarn zu gelieii. Eins aber bt sicher: die Kirchenväter und Evangelisten an der Decke der Kapelle in S. Clemente haben in ihrer maleriscfaeo Breite, soweit wir die erhaltenen Teile als mafsgebend betrachten dQrfen, die nächste Verwandtschaft mit der Erweckung Tabitbas und der Predigt des Petrus, d. h mit der ersten Gruppe der jetzt noch vorhandenen Wandgemälde der Cappella Brancacci in Floreoi.

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n.

DIE ERSTE GRUPPE DEI\ WANDGEMÄLDE IM CARMINE UND IHRE VERWANDTEN |4

Zwei untergegangene Freskomalereien, c|ie Vasari bt schreibt, dürfen an dieser Stelle genannt werden, wo es gilt Masarcios Ar- beiten in Florenz mit den soeben besprochenen Wandbildern aus der Katharinenlegende in S. demente zu Rom für unser Erklärungs^ bedürfnis zu vermitteln. Es sind zwei Kinzelfiguren in verschiedenen Kirchen ; sie gehören aber durch eine gemeinsame Eigenschaft, die Vasari besonders nachdrücklich und wiederholend hervorhebt, nahe zusammen, auch wenn der Berichterstatter sie, vielleicht eben des- halb, getrennt in einigem Abstand von einander in seine Aufzälung der Werke einschaltet. Die nämliche g^emeinsame Eigenschaft macht es warscheinlich, dass sie auch chronologisch so aufeinander folgten, wie Vasari sie einreiht, gleichgut ob unmittelbar oder durch an- dersartige Aufgaben dazwischen noch mannichfaltiger vermittelt. Für uns gehören sie künstlerisch in eine zusammenhängende Reihe, der wiederum in gewissem Abstand und unter andern Bedingungen die Einzelgestalt des hl. Christophorus in Rom sich anschliessen mochte, wie andrerseits zwei Tafelbilder, die im Palazzo Medici in- ventarisiert worden.

„In der Badia zu Florenz, erzält Vasari, malte er in Fresko an einem Pfeiler, grade gegenüber einem der Triumphbogen träj:f er, den heiligen Jvo von Bretagne, indem er ihn in einer Nische darstellte, damit die Fasse sich für die Untersicht verkürzten, eine Leistung, die ihm, da Andre sie damals nicht so gut zu geben pflegten, kein geringes Lob eintrug. Und unter dem genannten Heiligen, ober- halb eines andern Simses, versammelte er um ihn Witwen, Waisen und Arme, die bei diesem Schutzpatron in ihren Anliegen Hülfe finden.*'

Zu einer Zeit aber, wo Masaccio und Masolino als gleichbe- rechtigte Genossen in Florenz arbeiteten, muss das Paar von Einzel- pfestalten der Apostelfürsten entstanden sein, das einst im Carmine die Eingangspfeiler links und rechts der Cappella de'Serragli schmückte, (leren Wandgemälde und Altarbild drinnen von Gherardo Starnina gemalt waren. An der einen Seite hatte Masolino den heiligen

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S. JVO IN DER BaDIA

S. Paulus im Carmine

Petrus dargestellt, der in unsern besten Quellen als sein Eigentum aufgeförtt aber auch von Vasari nicht näher beschrieben w ird. An dem andern Pfeiler „bei den Glockensträngen" befand sich bis 1675 der heilige Paulus von Masaccio, der nach Vasaris Ausdrücken seiner lebhaftesten Bewunderung entschiedene Vorzüge besessen haben muss. Der Kopf sei das Bildnis des Bartolo di AnginHtio Angiolini, nach dem Leben n ifLonommen, und zeige „una terribilita tanto grande% dass es scheine, ihm feie nur noch die Sprache, um alle Eigenschaftpr der Wirklichkeit zu besitzen. Und wer den .\postel Paulus nicht kannte, der werde beim Anblick dieses Bildes jenen \'or2ug' rOmischer Civilisation im Verein mit der unbesiegten Tapferkeit dieses fr&mmsten Geistes sehn, der ganz im Glaubenseifer aufgegangen. Der Makf aber habe in diesem Werke ausserdem noch in warhaft staunen»' wertem Grrade sein Verständnis für die veriLürzte Ansicht von unten noch oben gezeigt Das trete ganz bnsnnders an den Füssen der Gestalt hervor, so dass er diese Schwierigkeit ganz allein (durch sein Beispiel für alle Nachfolger) leicht gemacht habe, im Vergleich zu jrner ungeschickten alten Art, die alle Figuren nur auf ihre Fussfpitzen zu stellen wusste, ein Verfaren, das bis auf seine Tag« dauerte, one dass ein Andrer ausser ihm es verbessert hätte, und das er allein in Richtigkeit gebracht zu dem guten Gebrauch von heute.

Die Richtigkeit dics(>r Angaben Vasaris zu bezweifeln, liegt auch für die strengste Kritik kein Grund vor. Ein vSeitenblick auf die Petrusfigur des Masolino wird eben diese Bemerkung, die im Leben Masaccios schon an früherer Stelle ausüQrlich erörtert und bei Gelegenheit S. Jvos in der Badia wieder gestreift war, bei ihoi. dem Künstler, abermals hervorgedrängt haben.

Und selbst die Angabe, Masaccio habe dies Gegenstück lu der Petrusiigur Masolinos als Probestück gemalt, „come per saggio^> wie sehr er wärend des Aufenthalts in Rom seinen Stil vergrösseit, klingt als überlieferte Erzälung garnicht unwarscheinlich, wesa wir sie im Sinne unsrer Chronologie verwerten. Eine besonderr Veranlassung muss doch der Konkurrenzarbeit beider Maler zu Grunde liegen, und da es die Ge stalten des Petrus und Paulus sind, die ao der f fieronymuskapelle der Serragli nicht eben gefordert waren, so wird man dabei an (He gegenüberliegende Branraccikapelle denken, wo Petrus un 1 l'aulus aufzutreten hatten. Die Möglichkeit, dass Masolino seinen Petrus zuerst, an einen freien Pfeiler gemalt, ooe dabei an ein Gegenstück zu denken, nur als Beweis seiner T.cistung» fthigkeit für Felice Brancacci, der damit umgieng, ihm die Petrus- legende in seiner Kapelle aufentragen, mag gern offen bleiben. Dann

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S. Paulus im Carmine

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aber setzte Masaccio seinen Paulus daneben, als er von Rom kam, um die freigewordene Fortsetzung der von Masolino angefangenen und aufgegebenen Malerei zu erlangen.

Jeden&Us war dieses Gegenstück am Kirchenpfeiler nur ge- eignet, seine Bravour in der Freskotecfanik zu bewären. Die inner- liche Ungleichheit der b^den, in Florenz offenbar vielfach besprochenen Einzelfiguren scheint dann für Masaccio selbst der Anlass geworden zu sein, die ApostelflArsten noch ein Mal, und zwar in einem Par von Tafelbildern darzustellen, bei denen die plastische Rundung der Körper und die farbige WirkUchkeitstreue noch sorgfältiger heraus- gearbdtet werden konnte. Diese Meisterwerke seiner statuarischen Darstellung auf der Fläche befanden sich dereinst in besten Händen, im Besitz der Medici. In dem Inventar der Kunstschätze, die Lorenzo de' Medici hinterliess*), stehen sie aufgefürt: „dua quadri di legname al Camino, dtpintovi uno san Pietro e uno sancto Pagholo di mano di Masaccio, stimati fiorini 12'*. Seitdem smd sie für uns verschollen.

Dagegen reicht diese eine lebhafte Beschreibung bei Vasarl, so wenig sie unsern Ansprüchen auf vergleichende Einordnung in das Lebenswerk Masaccios entspridit, doch dazu hin, den Umkreis ver- wandter Schöpfungen im damaligen Kunstleben von Florenz herauf zu beschwören. £5 genügt, an Donatellos Marcus und Ghibertis Matthaeua unter den Statuen von Orsanmichele zu erinnern, zwischen denen die Arbeiten des Nanni d' Antonio di Banco vermitteln. An die Togafigur des attischen Rhetors, den Ghiberti und Michelozzo 1422 als Apostel Matthäus aufgestellt, klingt wol Vasaris Ausdruck »quel dabbene della civiltä Romana'* bei Masaccios Paulus an; aber wenn von einer Verbindung römischer Urbanität, von Vomemheit des römischen Bürgers gegenüber den handwerklichen Jüngern sonst, mit christlichem Glaubenseifer auf der andern Seite geredet wird, so dass das Wesen der Person ganz auf die Sache der Religion gerichtet schien, so denken wir gewaltigeres Auftreten, feurigere Bereitschaft zum Handeln hinzu, als jener Matthäus sie darbietet, und kommen andrerseits mit dem Blick auf den Marcus Donatellos vielleicht in Gefar, zu viel, auch der körperlichen Eigenschaften des Standbildes hinein zu rechnen, mehr wenigstens, als der Maler damals schon angeeignet haben mochte. EHe Verwertung eines Porträtkopfes in packender Lebenswarheit, eines Bürgers von Florenz aus jenen Tagen, an Stelle des Apostels, steht doch auf einer Stufe mit Donatellos Verfaren bei den Propheten am Cam- panile, genug wir kommen mitten hinein in die Probleme

1) Mfintz, Lft coUcction de* Medid.

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Florenz, S. M. dbl C arm ine

statuarischer Kunst, die damals den Bildner beschäftigten, und finden den Maler als (icnossen auf seiner Ban. Dadurch eben unterscheidet sich Masaccio von den Zunftgenossen seiner eignen Kunst, und die wesentliche Eigenschaft des Standbildes schwebt auch Vasari vor bei dem selbständigen Dastehen und sicheren Auf- treten auf dem horizontalen Bodenstreifen, das er ^ein damals bei gemalten Einzeli;ostalten erreicht haben soll.

An diese Leistungen mit Gewandfiguren von plastischrr Festijj- keit und Geschlossenheit des Wesons srhlicsson sich aber mit künst- lerischer Notwendigkeit andre Bestrebungen an, die dem Kruprh geläufiger Grundlagen für die Gestaltung menschlicher Körper im Bilde gewidmet sind: das Studium und die Darstellung des narktrn Leibrs. An die getrennten fafelbild- r mit Petrus und Paulus im Palazzo Modiri reiht sich ein andres .Stück, wo in einem Kamen neben einander ein Mann und ein Weib nackt in Leheiisgrösse gemalt waren. Die Tafel befand sich zu X'asaris Zeit im Hauso des Palla Rurellai zu Florenz. Für uns ist auch sie verloren. Waren es nur Aktstudien, Bemühungen um das Normalmals der beiden Gesrlile( hter und die weitere ( hand^teristik in Farben, deshalb 7\\- saninn n gestellt. - oder war dies nur das Hauptinteresse, und der Vurw and für die V ereinigung aut einer Tafel doch der Name Adam und Kva?

l^amit sind wir wieder an der Schwelle der Brancaccikajiell.-. an (leren Eingang Süiulenf.dl und Vertreibufig aus dem Paradiese S't s' ltsam über drn (leschichten des Petrus dastehen, dass man glauben mochte, auch dort seien zwei garnicht iiingrlif «rige, „come per saggio" gemalte GpL;< n,stücke schonend erhalten geblieben, weil sie für ihre Zeit, jedes für sich, ganz hervorragende Leistungen bedeuteten.

In der B r a n r a c c i k a p e U e waren damals die Kaj^pen des Kreuzgew«>lbes von Masolinr, mit den (Gestalten der vier Evangelisten gesehmückt. Auf den anstolscndcn Bogenfeldern der drei Wände darunter warm die ersten Ereignisse aus dem Eeben des Petrus gemalt, und /war links vom Eintretenden die Berufung des Petrus und Andreas (Matthäus Kap. IV.). gegenüber der Gang übers Wasser bei der stürnnsehrn Scolari (^Matth. XIV^ und die Ver- läu^nuiig mit der Reue darüber in der Mitte, wo der Scheiul <les Spitzbogenfensters in die Lünette emporstieg (Matth. XXVl.j

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Disposition in der Brancaccikafelle

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heisst, die Rcnhenfoljre der IMlder sollte zunächst altorniorend zwischen beiden Seiton der Kapelle verlaufen, so dass die Altarwand mit dem Fenster darin erst in dritter Linie /u Hülle genommen wurde, be- sonders für Vorgänge, die sich auf schmäleren heldern darstellen Hessen. Damit hatte Masolino jedoch seine Arbeit für Fclicc Brancacci vorläufig" abgeschlossen und war im Juli 1425 warscheinlich schon im Begriff, nach Oberitalien und weiter dann nach Ungarn zu wandern.

An den Wänden der Kapelle und den sdimalen Streifen der Eingangspfeiler musste nun die Geschichte des Petrus weiter erz&lt werden, wie sie teils im Evangelium» teils in der Apostelgeschichte und endlich in der Legende überliefert war. Da folgte im Evan- gelium auf die Kleingläubigkeit, wie Petrus im Wasser versinken will (Matth. XIV) die Einsetzung des SchlOsselamts (Matth. XVI), die Verklärung Christi auf Tabor, bei der Petrus gegenwärtig war, die Auffindung des Stater (Matth. XVII) die wir somit auf die obere Reihe links an Eingangspfeiler und Wandstreifen zu verteilen hätten, so dass die Verklärung den Anfang bildet. Die Verläugniing ist dann das letzte Ereignis bei Lebzeiten des Meisters. Darauf setzt die Erzälung der iVpostelgeschichte ein mit der Predigt des Petrus zu Pfingsten und der Taufe der bekerten Dreitausend- (Acta II), die wir noch heute links und rechts vom Fenster erblicken, und zwar in der oberen Reihe, wärend darunter rechts die Be- strafung des Ananias (Acta Vj und die Heilung der Kranken durch den Schatten des vorübergehenden Petrus links zu sehen sind.

Daran schllesst sich die Gesundung des paralytischen Aeneas (Acta IX, 33) die hier durch die Heilung des Lahmen an der Pforte des Tempels (Acta III) ersetzt ward, und die Erweckung der Tabitha (Acta IX, 36). Gewiss durfte die »Befreiung des Petrus durch den Engel« aus dem Kerker des Herodes (Acta XII.) nicht feien und hätte sich hier in der oberen Reihe, am schmalen Eingangspfeiler anftlgen müssen (nicht darunter wo sie jetzt zu sehen ist).

Mit der Rückbringung des vierzen Jare toten Fürstensones in

Antiochien kommen wir dann zur Lcj^^ende von Petri Stulfeier.

Beide Darstellungen, mit dem Besuc h d( s Paulus am Kerker des

Petrus, der dem Wunder unmittellbar xoningeht, am sehmalen Ein-

j^angsfeldc, lullen noch jetzt die untere Reihe Hnks vom Beschauer.

Gegenüber zur Rechten sollte, statt der Befreiung aus dem

Kerker des Herodes, warscheinlich eine andere Scene aus der

Leidende am Pfeiler Platz finden, wo sie dem Todesurteil des

Agrippa und der i"wreuzigung zu Rom ebenso unmittelbar voran- Schmartow, Masaccio-Studien V. 3

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Reihenfolge der AusfDrung

geht, wie die Ermutigung' durch Paulus driibrn, d h. also mit höchster Warscheinlichkeit : die man('nd(^ Erscheinung Christi bei der Flucht des Apostels aus Rom »Domine quo vadis?«

Damit wären im Anschluss an die ausfiirliche Erzälung der Schrift und den kurzen antithetisch zusammengestellten Festhymnus der Legenda aurea samtliche verfügbaren Wandfelder der Kapelle besetzt gewesen und zwar so, dass die vier breiten Wandstretfen links und rechts je zwei Einzelscenen aufhemen mussten. Die Her* einname des Sündenfalls und der Vertreibung aus dem Paradiese, die zur Greschichte des Apostels Petrus gar keine Beziehung haben, hat diese gewiss ursprünglich in Gemeinschaft mit dem Prior der Karmeliter vereinbarte Disposition, wenn nicht ganz zerrissen, dodi empfindlich durchbrochen.

Masaccios Fortsetzung des von Masolino begonnenen Cyklos setzt nun ausserdem nicht in chronologischer Folge der Greschiditea auf der linken Seite vom Beschauer ein, sondern an der rechten, wo die Hellung des Lahmen, die Erweckung Tabithas und der Sündenfall sich befinden. Das kann einfach daran gelegen haben, dass Masolino das Bogenfeld dieser Wand zuletzt fertig gestdk hatte und das Gerüst aus praktischen Gründen zunächst weiter be- nutzt wurde, wo es eben befestigt war. Es ist sogar nicht aus- geschlossen, dass Masolinö im BegrifiF war, auch dies Wandfeld selber auszufüren, als der Besuch des Cardinais Branda und der Auftrag fCat Pippo Spano ihn erreichte. Der Charakter dieser Malereien ist jedenfalls der altertümlichste von allen erhaltenen der Kapelle, er beweist ganz zweifellos diesen Gang der Arbeit und zwar von links nach rechts» von der ein^ Fensterwand her nach dem Eingang zu.

Kin entscheidondfr Schritt aber, den Masaccin sogleich bei T"'^ehername der drei Kapellenwfinde getan hat, war die EinfQrung einer streng architcktoiiischon Gliederung durch korinthische Pilasier und grades Gebälk, die sich in zwei Geschossen übereinandrr auf- bauen und dem gotisch gebauten Innenraum den Anschein klassisrher Verhältnisse geben s- llten. Ursprünglich scheint diese konsequente Umdichtnng durch gemalte Architektur, die eine weitere Stufe de> in vS. Chmiente zu Rom begonnenen Verfarens bezeichnet, sogar an den Langseiten der Kapelle, der Anzal darzustellender Scenen e nt- sprechend, einen trennenden Mittelpf'Mlcr links und rr-chts in beiden Geschossen \ drgeschen zu haben Ihn beiden ersten Scenen, die im oberen Streifen der Wand rechts nebenein. mder Platz finden sollten, sind nämlich in sehr augenfälliger Weise zunächst als getrennte

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Vorbilder des Stiles

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Bilder gedacht und unabhängig von einander komponiert Ihre perspektivische Konstruktion aber ist» ihrer Stellung zu einander gemäss» von einem gemeinsamen Centraipunkt aus geschehen» der dann vom trennenden Zwischenpfeiler der Ramenarchitektur verdeckt werden sollte.

Die Heilung des Lahmen und Erweckung Tabithas

Die Heilung des Lahmen und die Erweckung Tabithas müssen durchaus in erster Linie als Einzelbilder betrachtet werden, wenn es gilt ihren Zusammenhang mit der voraufgrehenden Florentinischen Wandmalerei und der persönlichen Praxis Masacdos in Rom zu erklären. Denn der junge Meister hat jedenfalls, als ihm der Auf«- trag zuge&llen war, im Bewusstsein das Beste leisten zu mflssen, um mitten im kritischen Florenz sein Ansehen ab Freskomaler zu begründen, seine lernbegierigen Augen abermals auf die monumen- talen Schöpfungen der grossen Trecentisten gerichtet, die überall in Kirchen und Kapellen zu sehen waren. Der Strenge Giottos fireilich war man längst entfremdet; aber der Emst und die Innerlichkeit, mit der Masaccio seine Aufgaben zu fassen und zu ihrem psycho- logischen Kern vorzudringen wusste, erschlossen ihm auch hinter unzureichender Gestaltung und abstrakter Unwirklichkeit noch die hohen Vorzüge in Komposition und Ausdrude, die schlagende Kürze und kraftvolle Tiefe seines Wesens. Für die Gestaltung und Wirk- lichkeitstreue dagegen kam für den Geschmack der neuen Grene- ration vor allen Andern Antonio Veneziano in Betracht, und der Anschluss an diesen ist unverkennbar, nachdem sich Gherardo Stamina noch immer unserer sichern Kenntnis so völlig entzieht An die Fresken der Cappela Castellani in Sf^ Crocc mit Geschichten des hl. Nikolaus und Antonius Abbas schliessen sich diese ersten Leistungen Masacdos in der Brancacd Kapelle am nächsten an und unterscheiden sich eben dadurch von den gleichzeitig entstandenen und bezeichneten Arbeiten des Masolino an der Decke des Kirchen- cbores in Castiglione d*01ona. Es sind vor allen Dingen stark- knochige breitschultrige Grestalten, die hier auftreten; die aufrecht stehenden haben untersetzte Proportionen , wärend die sitzenden, die knieenden und liegenden beträchtlich länger sind. Darin zeigt sich ein Uebergangsftadium, das unmittelbar an die Gegensätze der Gestaltung in der Katharinenlegende zu Rom anschliesst. Wie dort der hochaufgeschossene Henker der Königfin den gedrungenen Schergen beim Radwunder und dem Henker der Heiligen gegen - übersteht, erkannten wir einerseits fiorentinische Trecentistcn-

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Cappella Brancacci

gewonhdt, andrerseits rdmisches ModeUstudium. Aber auch eta andrer Faktor kam hinzu oder war bereits früher da: die Kon- sequenz der perspektivischen Raumdarstellung. Und eben diese musste zunächst dem kleinern Mafsftab der Figuren den Vorrang einräumen, um zu einem richtigen Verhältnis der Menschen zur umgebenden Architektur zu gelangen. Grade der erneute Verker mit den monumentalen Wandgemälden der Vorgänger in Florenz brachte jedoch die Wage wieder ins Schwanken. Grade die echt flofen- tinisch geschulten Meister legten das Uebergewicht bewusst auf die Gestalten und drängten die Architektur, die Landschaft, das Beiweck dagegen zurück, wärend Spinello Aretino und Don Lorenzo Monaco mit ihrem gesamten Anbang viel eher aufgelegt waren, alle diese Bestandteile gleichwertig zu behandeln und oft in unklarem Gedränge durch einander zu mischen, wie alle sienesisch und umbrisch gebildeten Maler es liebten. I^e ornste tiefe Auffassung der Aufgaben, die Betonung des seelischen Gehaltes und die Zuspitzung des Ge- schehens auf einen praegnanten Moment, die wir bei Masaccio sidi entwickeln sehen, sie füren notwendig auf eine Oekonomie aller Darstellungsmittel zu Gunsten der menschlichen Personen zurück. So erklärt es sich, wenn in den beiden ersten Scenen, die Masaccio für die Brancaccikapelle gearbeitet hat, in der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas, die Rolle der Architektur, über- raschend im Vergleich zu den perspektivischen Probestücken der Ka- tharinenlegende, zurücktritt und, sofern wir von dem gemeinsames Scfaaujdatz mit den Strassenprospekten vorerst absehen, beinahe einen Rückschritt in die Behandlung der Trecentisten aufweist, nur freilich keinen Rückfall in die Unrichtigkeit des Verhältnisses zwischen Raum und Körpern, der für den Schüler und Freund Brunelleschis ein für alle Mal unmöglich geworden war. Es ist ein Wiederaufnemen des wertvollsten Erbteils der idealen Kunstwesse des Mittelalters, was wir gewaren, die angespannteste, alle Neben- sachen ausscheidende Koncentration auf das innerste Wesen der Handlung und der Charaktere. Was im Leben dner weiblidieo Heiligen voll frommer Ergebenheit und keuscher Jungfräulichkeit mit dem natürlichen Verzicht auf energisch um sich greifende Tätig- keit gefördet war und verloren geben konnte, (wie bei Fra Angelioo und Masolino), das wurde hier im Aufbeten eines männlichen Charakters, des alten Feuerkopfes Petrus, wieder vollauf hervor- getrieben: die dramatische Kraft des Handelns, die blitzartige Aus* Strömung des Willens im Ereignis^ das vor unsern Augen geschieht, und nicht durch unabsehbare Einflüsse des Himmels sondern doick die Persönlichkeit mitten unter den Menschen vollzogen wird. Der

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Das Erste Dopfei^ild

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Aufwand geistiger Durchdringung des Stoffes, der in diesen Scenen steckt, ist oben nachgewiesen worden %

Dann al>er bedeutet die Konstruktion beider, zunächst getrennt neben einander stehender Bilder aus einem gemeinsamen Central - punkt, der auch dem Beschauer in der Kapelle seinen festen Standort anweist, einen weiteren Fortschritt in der Durchbildung des Monu- mentalstiles nach den Prindpien des Realismus. Und zwar schliesst sich dieser beachtenswerte Schritt wieder so notwendig an die Er- farungen mit der Katharinenlegende in Rom an, dass er nur nach diesen erklärlich wird. Dort sind die beiden Bilder zuvorderst links am Eingangsbogen, das Auftreten im Tempel oben und die Disputation im Konsistorium unten, genau ftir den Standort des Betrachters an der Schwelle des Heiligtums^ etwa am Gitter der Kapelle berechnet Die Bekerung und Hinrichtung der Königin dagegen, oben rechts, und die Enthauptung der Katharina darunter entfalten sich perspektivisch am natürlichsten für den Blick vom Altar her, also etwa ftlr den Geistlichen drinnen, obgleich durch die breitere Bevorzugung des Vordergrundes auch fflr den i«mer stehenden Besucher am Eingang bewusster Weise mit gesorgt ist Das obere Bild mit der Strassenflucht hinter den Frauen zeigt in sich sowol die ursprüngliche Absicht, wie die verbessernde Einsicht im Herausholen der Figuren. Nur das Mittelstück der untern Reihe, das Radwunder im Palasthof giebt die Konstruktion des Schau- platzes für den Standpunkt in der Mitte ' der Kapelle, grade unter dem Scheitel des Kreuzgewölbes. Das entspricht nun freilich der Ortsbewegung der Gläubigen, die zum AUerheiligsten des Altar- bezirks nicht vordringen. Es entspricht auch der stereometrischen Form des nahezu quadratisch angelegten Raumes dieser Kapelle für sich betrachtet sehr wol und deshalb der höchsten Forderung der monumentalen Wandmalerei. Aber es stellt sich ein Wider- spruch der Anschauung mit allen Nacbbarbildern ein, die an der selben Wand aufgereiht, sich one stärkere Sonderung durch Kamen aneinander drängen. Im Bogenfeld oben bildet die Mittelaxe die Scheidung zwischen den Prospekten von links und von rechts gegen dieses Höhenlot der Wandfläche. Im unteren Wandstreifen breitet sich die Büne des Mittelbildes mit dem Radwunder grade unter dieser Scheidungslinie der oberen Hälften aus und eröffnet seine Tiefe grade von vorn gesehen, wärend links die breitere Wand des Di^tationsfales dem Bedürfnis des eingetretenen, vor dem Mittelbilde stehenden Beschauers zuwiderläuft, und ebenso rechts

>) Biidk lU, S. 17—3$.

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Cappella BRANCAca

die Flucht der Palasthofmauer in entgegengesetztor Richtung oach innen zieht, wo wir nebenan ins Freie auf die Richtstätte hinaus- blicken sollen. Die Anordnung dieses letzten liildes lässt wieder erkennen, dass dem IM.ilcr selbst die £insicht aufgegangren, welche Unzuträglichkeiten die Rechnung mit einem doppelten und drei- fachen Standpunkt des Betrachters ergeben hatte. Die Auffassung des Raumes als beharrender Gröfse und des Betrachters als vorüber- gehenden Korrelats, d. h. die simultane und die successive An- schauung widerstreiten einander noch one befriedigenden Ausgleicli.

Hier in der Brancaccikapelle haben wir ein länglicheres Rechteck mit deutlichem Uebergewicht der Richtungsaxe vom Eingang bis zum Altar vor uns. D^ r Bewegung des Besuchers gemäss wurden die I^ngseiten zunächst in zwei Bildiiächen zerlegt, so dass sie zwd getrennte Scenen im oberen wie im untern Streifen Platz ge warten In der Mitte ^romalte Pfeiler als Träger des graden Gebälks be- tonten diese Teilung in zwei Hälften. Einer so entschiedenen Halbienmq: d( r Wände widersprach jedoch die Einheit des Bogen- feldes darüber, das von Masolino bereits mit einem einheitlichen Bilde gefüllt war, und widersprach ferner das zusammenfassende Kreuzgewölbe, dass wol ein Mittellot im Kapellenraum, von seinem Schlufsftein hinunter auf den Fussboden gefällt, anerkannte, eine EHremtion der schlichten Mauern dagegen nicht dulden wollte. Die eingemalte klassische Ordnung geriet hier in nnlr "dlichen Zwiespak mit dem gotischen Bau der Kapelle, und Alasaccio war, wie eben sein Verfaren in San demente bezeugt, ein zu architektonisch fehlender Künstler, um diese Abläugnung der oberen, von iMasolino gemalten Hälfte bestehen 7:u lassen, so sehr sein antik gebildeter Geschmack sich gegen die Beibehaltung der gotischen Formensprache auch in seiner eignen Gliederung sträuben mochte.

Deshalb wurde die Einstellung eines korinthischen Pilasters in die Mitte zwischen der Heilung des Lahmen und der Erweckuog Tabithas wieder aufgegeben, wenn schon sie bei diesem ersten Paar deutlich fülbar geblieben ist. Üie andre Mafsregel aber, die Ein- heit der Wand dadurch aufrecht zu erhalten, dass beide Scenen auf einen gemeinsamen Augenpunkt konstruiert wurden, blieb bestehen. Bei der Breite des firiesartigen Streifens, den sie füllen sollen, machte sich nun, sowie der Trennunq^spfi iler verschwand, ein Auseinander- weichen bemerkbar. Dieser Gravitation der Figurenmassen nach bei> den Seiten hinaus musste auf andre Weise entgegengewirkt werden. Da liegt einmal die Veranlassung für den gemeinsamen Schauplatz mit stärkerer Ausbreitung der Tiefendimension, und zweitens die Erklärung für die Lückenbüsser, die beiden müssigen Spaziergänger,

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Die Erste Bilderreihe

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die an Stelle des Pfeilers vor den Augenpunkt treten, als kämen sie grade des Weges. Sie vermitteln für die Relie&nschauung zwischen dem Wunder in Jerusalem und dem Wunder zu Joppe ebenso wie die Häuserfront dahinter zwischen den einmündenden Gassen, grade da, wo die Tiefenflucht uns mit allzuschneller VerjQngung eher be- engt ab befreit haben würde. Die Einfügung dieses gemeinsamen Schauplatzes zur Einigung des Gesamteindruckes im Sinne der vor- handenen, im Bau der Kapelle selbst gegebenen Wandbreite ist ein neuer Fortschritt auf dem eingeschlagenen Wege des Monumental- stiles, und wieder nur mit Hülfe der römischen Vorstufen erklärbar; es ist zweifellos eine spätere Zutat, für deren Entstehung auch der dritte Faktor dieser Rdhe, das Bild am Eingangspfeiler, mitgewirkt haben muss. War der Gegenstand der Darstellung hier, wo wir jetzt den Sündenfall sehen, ein Moment aus dem Leben des Petrus, also den beiden andern völlig homogen, wie etwa die Befreiung durch den Engel aus dem Kerker des Herodes, die hierher gehörte, so war die Notwendigkeit des einheitlichen Verlaufes und der Aus- gleichung für das Auge wie der Verknüpfung für die Phantaae noch stärker als jetzt, wo wir einen heterogenen Gegenstand da finden, der schon durch den Kontrast der nackten Gestalten gegen die durchgehende Bekleidung die erste Bildfläche als Eingangsftück von den anschliessenden des Innenraumes absondert. Statt Petrus, Engel und Wächter, die mit der Zal und Stellung der ersten Scene: Petrus, Johannes und Bettler, so viel besser übereinstimmte, haben wir zwei aufrechtstebende Figuren mit der Sdilange am Baum in der Mitte. Das Mittelbild Überwiegt an Breite und Figurenzal be- träch^icK Dennoch ist auch hier ein abwägendes und ausgleichen- des Verfaren, feine Rücksicht auf die optische Verschiebung der Reihe ffXr den Eintretenden zu beobachten.

Ja, wenn wir einmal die obige Entstehungsgeschichte als er- wiesen ansehen, dann ergiebt sich aus der Einsicht, die tektonischen Faktoren des vorhandenen Kapellenbaues, d. h. die Einheit der Wandbreite unter der Einheit des Gewölbes, mfissten durch die Malerei respektiert werden, auch eine Erklärung für Wal eines ganz anders gearteten Gegenstandes am Eingangspfeiler, d. h. für die Einfürung des Sttndenfalles und der Vertreibung aus dem Para- diese. Masaccio wert sich mit seinem Gefül für die architektonische Einheit des Innenraums und für die architektonische Selbständig- keit des eigens überwölbten Eingangs, der als Mittelglied zwischen Kirche und Kapelle fungiert, gegen die Einbeziehung dieser schmalen Mauerstreifen in den Bilderkreis des Innern, und zwar um so mehr, als ein trennendes Gitter jenseits dieses Eingangsbogens den Ka-

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Cappella Brancacci

pellenraum deutlich gegen das Querhaus abschloss. Maaaccio wert sich gegen das Hinausmalen, mag die FflUe der Erz&lung auch Oberquellend ihn ebenso bedrängen wie der Wunsch des Auftrag- gebers oder des Karmeliterpriors, dem es an der Verherrlichung des Heiligen gelegen war. Masaccio wält, der Klarheit des monu- mentalen Stiles, dem Zusammenhang mit der Architektur zuliebe, den völlig anders gearteten, weiter her einleitenden Anfang der Er- lOsungsgeschichte. Er will den Eingang als selbständig absetzen gegen das Innere. War doch ausserdem die gemalte Architektur, die er da drinnen aufgestellt hatte, so etwas völlig Anderes als die gotische Kirche sonst. Das Gitter schied den klassischen Stil, den Brunelleschi wieder bringen wollte, von der mittelalterlichen Ver- gangenheit Nach solchen Erwägungen ist es nichts, als ein Zeug- nis für das mangelnde Verständnis oder die wiUfärigere Nach- giebigkeit des Filippino Ltppi, wenn er unter den SOndenfall die herausgeworfene Befreiung aus dem Kerker und unter der Vertrei- bung aus dem Paradiese den Besuch des Paulus am Tunnverliess des Petrus, eben die Stftcke der drinnen erzälten H^ligenlegende hinausgemalt hat vor das Gitter, das vielleicht eben damals beseitigt und durch eine Balustrade ersetzt ward.

Damit haben wir einen neuen durchschlagenden Beweis ftlr Ma- saccio als Urheber des Sflndenfalls und der anschliessenden Reibe drinnen gewonnen ; denn Masolino wäre zu solchen Erwägungen gar nicht im Stande gewesen, hat vielmehr das Gegenteil dieser Sinnes- art bewiesen. Und die Tat Masaccios zu Gunsten der Sondeniag architektonischer Raumteile auch mit Hülfe der Malerei ist ja nichts Geringeres als ein positiver Beitrag zum monumentalen Sdl der Hochrenaissance, die Entdeckung eines Gesetzes, die von Lion- ardo und Rafael wol verstanden ward, wenn auch Filippino sie gt- filgig wieder entstellte. Das Gefül för den hohen Wert des Haus- gesetzes der Architektur lag aber den Künstlern am Anfang des Quattrocento, wie Masaccio und Brunelleschi, die soeben erst aus der Gotik herauswuchsen, noch viel näher als der spätem Genera- tion, die nur die Befreiung vom Zwange one eigenes Ringen über- kam und der gesetzlosen Natumachamung vollends verfallen wäre, wenn die perspektivische Regel Brunelleschis sie nicht eingeschränkt hätte. Auch hier liegt also ein Erbteil der Gotik, das wir ak un^ veräusserliche Grundlage für den Stil der Hochrenaissance veran- schlagen müssen.

Was Masaccio unter Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies anzubringen gedachte, um den selbständigen Charakter des Kapelleneingangs durcbzufüren, das vermögen wir nicbt zu sagen.

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Heilung des Besessenen Knaben 41

um so wenlgeft als das Gitter wesrgenomtnen und das zugrehörigre Kircheninnere durch den Brand des Carmine zerstört ist, von dessen Verhaltnissen, wie von dessen Beleuchtung ein Urteil durchaus ab- hienge. Vielleicht sollten gar keine naturfarbigen Gemälde, sondern Chiaroscuro-Malereien an die Stelle treten, ReUefbilder von Einzel- gestalten (Petrus und Paulus?) im Mafsfkab der drinnen anschliessenden Reihen enthaltend ; doch muss die Frage offen bleiben.

Zur Entstehung der letzten Zutat, zum gemeinsamen Schau- platz des Doppelbildes mit den einmündenden Strassen, aus denen noch andre Kirchengänger hervorkommen, wärend schwatzende Männer auf der Steinbank eines Palastes sitzen, mitten hinein in diese befreiende Leistung im Ringen mit dem Perspektivgfesetz Brunelleschis fürt uns ein merkwürdiges Yersuchsstück, auf das schon Vasari aufmerksam gemacht hat, one zu bemerken, wie nah der Gegenstand der Darstellung mit dem Gedankenkreis und der Bilderfolge der Brancaccikapelle zusammenhänget. Ich meine das übermalte Temperastück mit der Heilung des besessenen Knaben (in Brüssel*), einer Scene also, die mitten zwischen der Verklärung auf Tabor und der Geschichte mit dem Zollgroschen zu Kapernaum (Matth. XVII, 14) erzält wird, mit denen sich Masaccio unmittelbar darauf oder vielmehr daneben für die gegenüberstehende Reihe der Wandbilder in Cappella Brancacci zu beschäftigen hatte. Nicht die figürliche Darstellung aber ist hier zunächst die Hauptsache, son* die perspektivische Entfaltung des Schauplatzes: eine übereckge- stellte, von aussen und innen achtbare Basilica, die ringsum offen durch ihre Rückseiten den Ausblick auf benachbarte Häuser und Strassenprospekte mit Leuten, Rossen und dgl. gewärt. Das Innere mit stämmigen Säulen und breitgegliedertem Lichtgaden mag an römische Vorbilder wie S. Giovanni in Laterano sich anlenen, das Aeussere mit den überschlanken Arkaden der Seitenschiffe und der Ansicht des »Cupolone del Brunelleschi« wirkt dagegen noch ganz trecentistisch wie Tempel und Haus auf dem ersten Fresko. Die Wiedergabe der weiten Bodenfläche des Innenraumes, die um einige Stufen über den Erdboden ringsum erhöht ist, die Auseinander- setzung der verschiedenen Pläne, der Abstände zwischen hier und da verstreuten Figfurengfruppen, »in sul piano di quella piazza«, sind lauter Probleme, die sich mit dem Platz und den Strassenprospekten zwischen der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas aufs Engste berüren. Das Verhältnis der Figuren zur Architektur ist aber nicht das der Hauptscenen dieses frühesten Doppelbildes

*) Vgl. Bnch n, & 89 f.

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Cappella BKANCAca

der Brancaccikapelle, sondern eben das des später hinzugefügten Hintergrundes, mit der Frau, die ein Knäblein an der Hand furt, und der alten Matrone zur Seite, die soeben noch von den vordersten Häusern der einmündenden Strasse umramt, vom Palast zur Linken in Halbschatten gestellt werden.

Wärend die Heilung des besessenen Knaben (in BrOssel) in den Figuren *) eine Mischung schlanker Zierlichkeit und wuchtiger Br^, hier und da schon Anwandlungen völlig malerischer Freiheit zeigt, die nur die Hauptmassen andeutend hinsetzt, und durch ihres skizzenhaften Charakter uns einen Einblick in das Gären und Durch- einanderwogen der Gregensätze, mit denen der rastlos fortschreitende junge Meister sich abzufinden trachtet, in einen unfertig gebliebenen Zustand des Werdens eröfihet, weil es eben als Fk'obestück nur ftr Studtenzwecke zum eigenen Gebrauch bestimmt war, so verrät dodi bei gf n auerer Prüfung auch das Doppelbild der BrancaccikapeUe grade durch die Ungleichmäs»gketten der Gestaltung, wie schnell dem Maler seine Kräfte gewachsen sind. Ein Vergleich zwischen dem Helden beider Auftritte, Petrus am Tempel und am Hause Tabtthas, zwingt schon zu dieser Beobachtung des Wandels, von den Haupt- personen zu den Trägern des Ausdrucks und weiter zu ruhigeren, die Komposition abschliessenden Gewandfiguren, bis zu den Kirch- gängern im Zeitkostüm, den modischen Gecken vom und den Frauen im Hintergrund, die am meisten an S. Gemente in Rom erinnern.

Nemcn wir dazu tiie beiden nackten (restalten von Adaiii und Kva im Sündentall als Xormalleistungen, dann das Altarbild mit der iMadonna im Schols der hciligon Anna aus S. Ambrogio (jetzt in der Akademie) zu Florenz und endlich die Madonna mit dem nackten ijlrampelnden Kinde, das die Mutlerl)riist liebkost, in München, ein Temperastück <iuf Goldgrund wie jenes, das wie eine künere. freif-re, breitere Redakti'ni der Madonna \ oii 1423 in ßremen erscheinL, und in dem Motiv, wie in der Bildung des Knaben die deutliche Weiter- entwicklung der beiden Vorstufen, in Bremen und in Florenz vor Augen stellt, dann gewinnen wir eine vollständige Reihe von Be- legstücken für diese erste Tätigkeit in Florenz, die kaum über 1425 hinausgehen darf und bis zu den älteren, auf Goldgrinul gemalten liestaiidteilen des Pisaner Altarwerkes (wie S. Andreas in Wien und S. Paulus in Pisa) heranreicht.

Dürfen wir uns doch auf der euien Seite nicht wundem, wenn neben der gewagten Darstellung der Madonna in München, mit

Vgl. unsere phot. Al>bildu»£ b^nders «udi mit der BesUittttiig Mafia« in Hob. wo der frUheste Aoschluss gesucht werden darf.

Verwandte Arbeiten Predigt Petri 43

ihrem üppigen ausgelassenen Buben, gleichsam als Gegengewicht so weltlicher Daseinslust noch hieratische Bestandteile wiederholt wer- den, wie die kleinen, doch immer schon knieenden Engel auf Wolkenstreifen, und der gotisch drapierte Gottvater im Cherubkreis, der mit den Halbfiguren des Nanni di Banco an Orsanmichele und des Lorenzo Ghiberti an der ersten Tür des Baptisteriunis oder dem Schöpfungsbilde Paolo Uccellos im Chiostroverde von S. M. Novella noch auf einer Stufe steht

Die Predigt Pctri

Auf der andern Seite bekundet kein Werk so stark den über- quellend :>ich drängenden Zuwachs, wie das letzte Fresko dieser Reihe, die Predigt des Petrus an der Altarwand. In der an- dächtig lauschenden Gemeinde noch breit wie über den Gltedermann drapierte Träger des Ausdrucks, wie der Greis mit gesenktem Haupt und gespaltenem Bart, gleich dem Altersgenossen am Lager Tabi- thas» körperlich nidit vollgültiger als die Evangelisten in S. Gie- rn onte und als die Madonna in München. Daneben aber schon völlige weiche Frauenbilder, die sich an Katharinas letzte Er- scheinungen in Rom anschliessen und über den strengen florentini- schen Zuschnitt der Matronen von Joppe hinausgehen. Dann sum- marisch behandelte Kt)i>fe, unter denen wieder Reminiscenzen aus den Anfängen der Kapelle Branda Castigliones begegnen, und die mächtigste Heldengestalt S. Petrus selbst, schon wuchtig und derb wie Donatello. Endlich die Porträts; wie ganz anders als der Kar- dinal unter den l^hilosophen in Rom, hier die Stifter neben dem Apostel und dort die Karmeliter ihm p^ei^t tu'ibcr ! Die überzeugende Realität, mit der sie dicht herantreten an die Schar der ersten Zuhörer des Petrus, bedrangt geradezu die Kopf an Kopf sich reihende Ge- meinde und es bedarf der handgreiflichen Gebärde des Hirten nicht für die fromme Lämmerherde, sondern gegenüber der strotzenden Fülle des Lebens, die aus der Wirklichkeit des Tages heraufge- stiegen, es nun mit ihm aufnimmt.

Wieder auf den Weg nach Pisa oder über die Berge Sienas weist zu gleicher Zeit das flüchtig hingeworfene, aber durchaus ver- wandte und genauestens hierher gehörige Fresko in Empoli'}» mit Qiristus im Grabe unter dem Kreuzesstamm, von Maria und Jo- hannes gehalten, und mit der Vera Ikon auf dem Schweisstuch oben zwischen zwei Prophetenköpfen in Medaillons am Giebelfeld. Der

<) Vgl. Abbildong Lieferoog III, Tafel 4.

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PlETA IN EmPOLI

Gegenstand der Hauptdarstellung leitet zurück zu dem Colmetto der Vaticana mit dem Gekreuzigten zwischen den Seinen. Maria und Johannes erscheinen wie Vergrösserungen der damals für Martin V. gearbeiteten Vorlage, ebenso der Christus oben wie die entsprechende Weiterbildung aus der Glorie des Schneewunders, und zwar im Sinne der neuen, plastisch vervollkommneten Errungenschaft im Adam und der ganzen Arbeit im SündenfalL Das verkündet der breitschultrige I5au des Schmerzensmannes, das die weitgeöfFneten Augen des Salvators oben mit der energischen Betonung des festen Knochengerüstes überall Die Stellung der Gesichter in Dreiviertel' sieht findet wieder ihre Analogieen in dem Doppelbildc der Bran- caccikapelle und den zugehörigen Verwandten. Der Prophet mit mit geneigtem Sc hriti 1 ist gar der Alte grade über Tabitha. Ziehen wir dann noch die vier Halbhguren von Heiligen, Fragmente eines Altarwerkes in der ehemaligen Sammlung Artaud de Montor ') her* an» so leuchtet auf der einen Seite die Herkunft von weiblichen Köpfen wie die Madonna von Bremen, auf der andern die Umge' staltung des Christus in Empoli zu Johannes dem Täufer hier, zur heil. Katharina dort neben ihm ein, und durch diese Scala hinüber zu dem Christusideal in der Brancaccikapelle bei dem Auftritt mit dem Zollgroschen.

Beide jedoch, das Freskr -n Empoli, wie schon angedeutet, aber auch die Predigt Petri in i- lorenz, finden vorher noch unmittel- baren Anschluss zu Rom, bei der Fortsetzung des Kapellenschmuckes in S. demente. Die nächste Verknüpfung giebt sogar nocli das Doppelbild mit seinem Stadtplatz hinter den bcithm koketten Stutzern. Jene Frau mit dem Knäblein an der Hand ist natürlich ein geläu- figes "Motiv für Statisten. Wir finden es ebenso bei Masolino, im gleichzeitigen Sposalizio zu Castiglione Aber wenn die Mutter bei Masaccio noch an seine Katharina in S. Qementc streift, hat der muntere Knabe schon die festeren Formen und die lebhaftere Be- wegung bekommen, wie das Christuskind auf Mariens Schofs in der Akademie und in der MOnchener Pinakothek. Dasselbe kecke, vor- dringliche Bürschlcin spielt nun aber eine Hauptrolle im Leben des heiligen Ambrosius: es ruft Uin, als Werkzeug eines höheren Willens, stracks zum Erzbischof von Mailand aus.

«) Vgl. Abbildung III, 3b lext III, 54 f.

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^ DIE VOLLENDUNG DES FRESKEN- SCHMUCKES IN S. CLEMENTS ZU ROM ^

Die Ambrosiuslegende in S. demente

Die beiden Haltten des Bogenfeldes, lin die das j^'-cj^'-onwcirti^ vorhandene, in später Zeit erweiterte und rechtwincklig cingeraintc Fenster der Kapelle jedenfalls empfindlicher einschneidet als in seiner ursprünglichen Form\ sind wie drüben, nur noch meister- licher und einheitlicher als (ie^<:'n stücke konstruiert, so dass wir durch den Zwang der Perspektive bei dem Einen von links, heim An- dern von rechts her Sf^liraL,»' in die TietV' der dargestellten Räumlich- keiten hinein blicken, deren Ansicht ebenso dem Standpunkt des Beschauers unten auf dem Fussboden gerecht wird.

Im ersten Bilde mit dem Bienenwunder wird die Loggia eines Renaissancepalastcs, mit Säulen, Rundbogenarkaden und Medaillons in deren Zwickeln, so vollkommen im Stil der neuen Architektur Brunelleschis gezeigt, dass wir beim Maler nur die selbe Stufe ver- trauter Bekanntschaft mit den Arbeiten des Baumeisters und sicherer Wiedergabe des Raumes mit den zugehöricren Menschen darin an- zuerkennen vermögen, wie auf dem Cxeburtstagsteller aus Casa Cap- poni zu Berlin Ein ebenso korrektes Beispiel ist die Pergola auf dem Turm des anstoisenden Palastes, der oben jenseits des offenen, im Hofe drunten gedachten Vorbaues sichtbar wird. Die schlanken Frauen, die sich der Wiege des kleinen Heiligen nahen, erinnern noch ganz an die Kirchgängerin bei der Heilung des Lahmen und an die Heilige mit dem Tränenkrüglein (oder Salbgcfäss, also Mag- dalena) auf dem Fragment der Sammlung Artaud de Montor; aber die Magd mit dem Fächer hat schon die Fülle und Weichheit der Hörerinnen in der Predigt des Petrus, und der Arzt im Capuccio vollends die GedriniLfenheit und Breite der Florcntinischen Haupt- werke. Der Adam im Sündenfall oder der Christiiskopf des Veroni- katuches in Empoli l)ey(\<4n''t uns als heihger Ambrosius in welt- lichem Ricbterstande wieder auf dem Bilde daneben. Ein vornemer

Vgl. unsere phot. Abbilduog und Lieferung II, Taf. 9.

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Rom, S. Clemente

Bürger Maflands neben ihm erscheint wie eine Verquickung- des predigenden Petrus und der Bildnisfigur hinter diesem. Die oeugfierig herzutretenden Karmeliter dort werden hier durch Longobarden er- setzt, die in voller Rüstung, mit dem Schwert in der Hand bei der strittigen Bischo&wal in die Kirche gedrungen sind. Und von dem Oberhirten, den sie anerkennen sollen, trennt sie nur der seherische Knabe, der mit lauter Stimme dazwischen ruft. Die wuchtigen Krieger in Rom geben den Kuttenträgern in Florenz nichts nach; denn ein Meisterstück der statuarischen Kunst, Donatellos San Giorgrio hat für sie Modell gestanden. Und der letzte von ihnen, one Stalpanzer, in leichtem ausgezaddeltem Ueberwurf lässt so frei die wolgebUdeten Schenkd sehen, dass wir die fortgeschrittene Kenntnis der Formen und Freude an ihrer plastischen Rundung nicht übersehen können. Wie prächtig kontrastieren cÜese ritter- lichen Gestalten der Barbaren mit den Geistlichen und dem Würden- träger des Kaisers, der versOnend auf sie wiricen will. Auch die hochaufgeschossenen Gesellen aber mussten sich mit ihrem Höhen« mafs der Gesamtrechnung des Bildes fügen, die es unternimmt, uns mitten hinein schauen zu lassen in die Säulenreihen einer altdirist- liehen Basilika bis an den Triumphbogen und die Halbkuppel der Apsis. Der Einblick eröffnet sich genau so übereck in Mittelschiff und Seitenschiff rechts, wärend links die Aussenseite des Ucbt- gadens gegeben wird, wie auf der Heilung des besessenen Knaben, teilt mit diesem Versuchsftück noch einige Schwächen, erscheint je- doch als Ganzes bereits so fortgeschritten, dass er nur nach jener Problemlösung entstanden sein kann, die gegenständlich mit den Arbeiten für Brancacci so eng zusammenhängt, dass ae nic^t vor 5k>mmer 1425 angesetzt werden darf.

Die nämUdie Verwandtschaft mit dem Ueberblick über das ganze Gebäude, den das Bild der Sammlung Somzte in Brüssel zu geben versucht, ist auch am versinkenden Hause des reichen Mannes nicht zu verkennen, von dem der Heilige mit seinen GefUten zu Ross soeben entflieht. Die Schwierigkeit der Aufgabe, ein elemen- tares Naturereignis unmittelbar, wie es vor den Augen sich voll- zieht, zu schildern und keine Mitwirkung Überirdischer Sendlinge oder unterirdischer Dämonen zu Hülfe zu nemen, hat den Meister veranlasst, das Gebäude selbst möglichst einfach zu halten. Eben dadurch reiht es sich dem Tempel zu Jerusalem und dem Hause Tabithas zu Joppe auf dem Doppelbilde der Brancaccikapelle noch näher an. IHe hereinbrechenden Fluten und die verzweifelte Angst der Veränkenden, die soeben noch in der offenen Halle geufeh hatten, bldben die Hauptsache. Auch die Reiter, mit dem eigent-

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Ambrosiuslegende

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liehen Helden der Erzälung in ihrer Mitte, sind nicht nur in den Hintergrund gerückt, wdl sie schon gehörigen Abstand erreicht haben mussten um selbst nicht mehr in Gefar zu kommen, sondern auch besdieid^ diurchgelürt, da nur die Wirkung des furchtbaren Geschehens selber dargestellt werden konnte. Die Rflckanstcht der Rosse und die Bewegung der Reisigen im Sattel, als sie das Getöse hören und des Sturzes ansichtig werden, ist durchaus Ma- saccios wfirdig, dessen Predella mit dem Gefolge der Könige für den Pisaner Altar (Jetzt in Berlin) das nächste Belegstfick liefert Die starken Verkürzungen der Köpfe drunten im Strudel des Unter- gangs waren schon gegenüber beim Radwunder vorbereitet; mit den Flüchtlingen und Schuldigen, die von den Splittern getroffen werden, gehören diese Opfer der Nemesis selbstverständlich zusammen. Die Schlichtheit des unentrinnbaren Vollzuges charak- terisiert den Meister, d^ auf mannichfaltigcre Motive und unver- ständlichere Episoden verzichtet, ganz anders als Paolo Uocello bei der Schilderang der Sintflut im Kloster von Maria Novells, die wir doch zwanzig Jare später zu datieren haben.

Wie wf'it die besondern Mittel der Farbe und der Beleuchtung hier mit in Anspruch genommen worden, ist bei dem heutigen, durch Feuchtigkeit völlig verblassten Zustand der Ueberreste nicht mehr zu sagen. Die dunkle Stelle unten an der Fensterwand ver- bot an sich schon Manches. Und filr vorwiegend zeichnerische Mittel bUeb der Gegenstand immer ein recht wiglücklichor Auftrag.

So gestattet auch die letzte iVeusscrung des sterbenskranken Ambrosius für das noch übrige Feld kaum eine andre Wirkung als die eines Sittenbildes; denn das Thema war nur der laute Zuruf des Abscheidenden auf d;<> le ise L-^ennsterte Frage nach seinem Nach- folger am andern tndc des Zimmers. Bemerkenswert ist indess die perspf^ktivische Konstruktion des Hinblicks in das Schl.irgemacii und das anstoisende StudiersLübchen des IbMÜ^cii, die hier jedenfalls aus der Kardinalswonung^ von S. Clemente genommen wurdrii. Nicht mehr, wie j2fegenüber bei der Disputation an der ent:iprechend» n Wandstelle links, ist diei>er Einbiu k für den Standpunkt auf der Schwelle berechnet, sondern für den Standpunkt drinnen vor der Fensierwand, und zwar grade, wie beim Radwunder Katharinas, auch wieder ein Schritt zur Korrektur der übertriebenen Konse- quenzen, der erst nach jenen niissliclien Erfarungen drüljen vor- stiindlich wird, also ein Beweisgrund mehr für unsere Datierung dieser Arbeit, und um so beachtenswerter neben der perspektivischen Konstruktion des Hauses auf dem Nachbarbilde, wo uns die Breit- seite ganz von vom, die Scimialseite rechts aber in stärkster Vcr* '

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Rom, S. Clemente

kflrzung gezeigt wird^ so dass der Augenpunkt noch im Bildraod selbst zu liegen kommt» in Simshöhe des Hauses, zu Fassen der Reiter, d. h. auf halber Höhe des Wandfeldes wie hier im letzten. Für die dargestellten Personen konnte die Hauptaufgabe nur im ge> spanntesten Ausdruck der Beziehungen liegen: eine Gruppe von Geistlichen, die möglichst unbemerkbar mit einander ratsdila^en, ein Kranker, der sie dennoch hört und darauf antwortet, ein ruhiger Wärter im Vordergrund, das ist Alles. Und wie aiisdrudcsvoU shid diese Köpfe der Geheimniskrämer,' wie angestrengt das letzte Zu- sammenraffen des müden Greises auf seinem Lager, wie jugendlich arglos das Antlitz des unbeteiligten Dieners, der gewiss dem Ein* nicken nahe war, als die Stimme seines Herrn erschallt. Und wie anders sitzt diese Gestalt in den weichen Gewändern des Klerikers auf dem iestgepolsterten Kissen am Boden, als die Madonna in München und vollends die in Hremen von 1425. Aucb er hat m Knie erhoben, um seinen Einbogen darauf zu stützen, wärend die Handfläche dem Kopf als Lene dienen soll; aber das andre Bein ist vorgestreckt und der Arm herunter gelassen, so dass die Hand auf dem Knie ruht. Diese linke Seite der Gestalt kert sich nacli aussen gegen den Beschauer, die aufgestützte gegen die Bettstatt des Bischofs, so dass wvr klaren Ueberbiick über Haltung und Lage aller Körperteile gewinnen, auf die es ankommt: eine plastisch durch- gearbeitete Genrefipfiir von überraschendem Reiz ist gelungen und wirkt als Gegensatz /u dem ausgestreckten Greis, der nur durch drei aiifgctürnite Kissen emporgerichtet wird, um das Zimmer übff- srhauon zu kontion. l'nd diose Krankenstube ist mit aller Liebt im Jiin/elnen geschildert, in der Wal der l"arben unverkennbar hamiunische Wirkung erstrebt, in der Durchfürung der Wand- schränke mit ihrem Hausrat selbst die Kleinmalerei des Stillebons nicht \ erschmäht. Das müssen auch anspruchsvolle Augen noch heute anerkennen in dem traurigen, verwarlosten, wenn auch von fremder Zutat freieren Znstand des Wandgemäldes, dessen untere Teile die Feuchtigkeit schon lange zerstört hat.

Die Verwandtschaft dieser vier Wandbilder aus der Ambrosius- legende mit der ersten (irupjie der Florentiner Fresken wird durch die Wiederker der Typen vollends best»itigt. Der ju[igen Magd an da* Wiege vergleichen wir den volhvangigen Putrizierson, der hinter Petrus und Johannes zum Tempel geht ; sein Gefärte in Profil ist älter geworden und umgedr^t der Arzt beim Bienenwunder» und beiden Gecken auch der Wächter am Lager des Ambrosius nicht fem.

Wenn es aber darauf ankommt, die Datierung dieser Arbeiten im Lebenswerk des Meisters so bestimmt wie nur möglich xu be>

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Verkündigung

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gründen, dann mag als Gegenprobe hier ein Blick auf die Aussen- scite der Kapelle von Nutzen sein, wo die Bestandteile des Wissens und Könnens in einfacheren Gegenständen fast für sich zur Geltung kommen und die freie Wal der künstlerischen Behandlung noch deutlicher hervortritt, als in vorgeschriebenen Scenen einer Heiligen- legende.

Die Verkündigung

Droben über dem Eingangsbogen, dessen Scheitelspitze mit dem gemalten Wappen der Castiglione unter dem Kardinalshut bekrönt ward, sollten die Zwickel links und rechts den Verkündigungs- engel und die Annunziata aufhemen. Die Art, wie dies geschehen ist, charakterisiert den Meister, nicht nur persönlich in seiner Eigen- art, sondern auch an einer bestimmten Stelle seines Ganges. £r errichtet mit Hülfe seines Pinsels zu den Seiten der beiden Bogen- hälften, auf dem Grunde des Kämpfersimses, wo sie aus der horizon- talen Mauermasse aufsteigen, eine Substruktion aus rundbogigen Arkaden für ein allseits offenes Obergeschoss, vor dessen Fussboden die obere Hälfte des Spitzbogens mit dem Wappen darauf empor- ragt. So erscheint darüber der Söller, wo Maria zu beten pflegt und der Verkündigung teilhaftig wird, wie eine luftige Pergola, und zwar im heiteren Stil der Renaissancepaläste, wie Brunelleschi ihn erdacht, mit schlanken Säulen auf steilen Ringbasen und runden Bögen über den Volutenkapitellen, mit einer flachen Decke von bunter Holztäfelung, an die wir von unten hinaufblicken. (Eine später vorgelegte breite Goldleiste hat leider den obersten Streifen der Frontansicht verdeckt bis unter die Kapitelle der vordem Säulenreihe, so dass sie gedrückter erscheint, als ursprünglich bei voller Bogenhöhe und darüberliegendem Sims der Fall war.)

Die ganze Scheinarchitektur, der Pfeilerarkaden über den wirk- lichen Wandpfeilem des Einganges und der Säulcnarkaden über diesem Unterbau, dient also mit seiner starken Vertikal- und Hori- zontalgliederung einmal dazu, gegen den spätgotischen Spitzbogen aufzukommen imd andre Verhältnisse im Sinne klassischer Vor- bilder einzufüren, sodann aber befriedigt sie den Wunsch des Malers, besonders in der hochgelegenen Pergola seine perspektivische Dar- stellung in Untensicht sogleich für den ankommenden Besucher zu zeigen. In ihrem ursprünglichen Anblick musste die Säulenhalle droben auf den schlanken, enggestellten Bogenrcihen gradezu be- freiend, über die Deckenhohe der Basilika selbst hinaustäuschend wirken. Das ist eine Aeusserung der Freude über die neuerrungene Schiuarsow, Masaodo^tadien V. 4i

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Rom, S. Clemente

Bravour der perspektivischen Konstruktion, deren unmittelbare Vor- stufen in den oberen Bildern der Ambrosiusiegende soeben erreicht waren. Wir finden sie zu gleicher Zeit, aber so gamicht vereinbar mit dem schmalkappigen Rippengewölbe der CoUegiata zu Castig- lione bei Masolino in seiner Verkündigung und seinem Sposalizick, doron Vergleich mit dieser klaren und wirksamen Leistung- r. S. demente grade die Ueberlegenheit des künstlerischen Urteils bei Masaccio ad oculos demonstriert. Wir finden sie später auch b^: T'aolo TJccello wieder, der über einem Altarwcrk von Masaccio in S. Maria Maggiore zu Florenz auch eine Verkündigung in Fresko auf Wand und Wölbung der Kapelle malte, so dass die Architektur des Sch?/> platzcs die wirkliche Decke zu durchbrechen schien, wie Vasah erzält, oder weit überragte, um den Eindruck luftiger Weite zu er- täuschen. Hier liegen also in Rom die Anregungen, die Piero ddb Francesca und Melozzo da Forli weiter verfolgt haben bis m direkten Untensicht eines ganzen Kuppelgewölbes.

Grade innerhalb dieser perspektivischen Verkürzung des Raumes, die unsern Augen den Fussboden der Säulenhalle bis auf seinen vordem Rand vollständig entzieht, um uns die Decke zu zeigen, verdient die Behandlung der beiden Figuren alle Beachtung. Sie sind nicht möglichst hineingestellt, als Körper innerhalb dieser Pergola, die den selben örtlidien Bedingungen unterstehen. Dann würden wir die beiden Personen auch nur in ihrem oberea Teil sehen, zumal wenn sie knieen sollten wie hier. Zu Gunsten ihrer volleren Wirkung hat Masaccio sie ganz hervorgeholt und auf dem vordersten Streifen knieen lassen, kaum durch die Basis der ersten Säulenreihe vom Simsrande zurückgeschoben. So kommen sie vollauf zur Geltung, und kamen es ursprünglich noch freier, als die Gold- leiste über ihrem Scheitel noch nicht ein Stück ihrer HeiligenscfaesDe wegschnitt wie jetzt. Dem entspricht auch die plastisch wirksaine Behandlung der Körper, die in voller Rundung ihr Volumen cir- nemen und erfüllen, besonders unterstützt von der seitUchen Beleudi- tung durch das Fenster der Basilika selbst, dessen Lichtzufur von rechts oben her im Bilde wiedergegeben und durchverfolgt ist, lo dass die Rückseite des Engels und die untere Hälfte des vofge* streckten Armes in Schatten liegen. Die Bildung der Gestalten sdlirt und ihrer Köpfe zumal schliesst sich den soeben betrachteten Per sonen der Ambrosiuslegende an, aber auch der Predigt Petri, air nächsten natürlich den verwandten Darstenung^en der Madonna in München und S. Anna Selbdritt mit ihren Engeln herum, deren Zu- sammengehOrigheit mit dem künen perspektivischen Bravourstück am Eingang der Kapelle in S. Demente uns gans besonders be-

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S. Christoph Dioskur

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achtenswert erschien T'nverkennbar ist jedoch die fortschreitende Umbildung' dieser Tvpcn im -Sinne der antiken Plastik, drron Gf>ttr>r- ideale um so gUicklichern Kinfluss auf den Maler gewonnen haben, je mehr er das Verständnis für die plastischen Vorzüge dieser Kopf- und Gesichtsbildung erlangt und demgemäss die wirksamen Haupt- formen, die Stirn und die Aiigenh^slenj die grade Xase, die ge- schwellten Lippen und das kräftige Kinn betonen lernt.

S. Christophoras und der Dioskur

Was wir am Verkündigungsengel in S. demente besonders an dem mächtigen Profilkopf und der breiteren Modelliening der Arme, bis in die Finger und ihre Stellung hinein, oder der lauste und der Höften beobachten können, das zeigt sich auch an der ganzen Figur des Riesen Christophorus am Pfeiler unten links, obgleich die Be- sonderheit der Aufgabe, den wachsenden Druck der kleinen Last auf seiner rechten Schulter darzustellen, auf der d^LS Christkindlein mit der spielend leicht gehaltenen Weltkugel sitzt, keine vollauf erfreuliche Verwertung der erworbenen Fähigkeiten gedeihen Hess ^). Unwillkürlich greift der Maler, da er den langren Kriegaknecht geben soll, zu den gestreckten Proportionen zurück, die ihm früher als gotisches Erbteil geläufig waren, wie der Scharfrichter der Königin in der Kapelle hier und der Adam im Sündenfalle zu Florenz, aber auch die Longobarden vor Ambrosius sie zeigen. Auf dies Gerüst oder die dort erreichte Grundlage ist hier jedoch überall mehr Muskdfillle angetragen und an den Gelenken die Wiedergabe der festen Formen bestimmter geworden. Die farige Uebermalung der Restauratoren hat, wie sich am Original noch erkennen läset, nur allzu summarisch geglättet und beim Herstellen der Gewandung deutlich hervortretende Teile verschleift. Die Hüftdrehung freilich und die anschliessenden Partieen um den Gürtel, wie das Vorbeugen der Schulter waren wol ursprünglich schon die schwächsten, wärend der Gesamteindruck und Aufbau der Gestalt bis hinauf zu dem emporblickenden Kopf durchaus wirksam genannt werden darf Das Wichtigste für uns heute ist die Ausgleichung der Antikenstudien des Meisters mit der überlieferten Proportion dieser vergrösserten Normalfigur. Dem Wunder zuliebe ist das Knäblein auf sdner Schulter kleiner und zarter g^alten, als Masaccio den gesunden Jungen auf dem Schofis Mariens sonst schon gebildet hatte; aber er

V^l. III, S 49 u. IV. 23 ff. AbbUduog IV, T»f. I «. 2a, k «) Abbüdung IV, Taf. 3 b.

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Rom, S. Clemente

gleicht doch dem SOnchen der Kirdigängerin bei der Heilung des Lahmen in Florenz und dem vornem gekleideten Patrizierkind, das vom Geiste getrieben die Bischo&wal in Mailand bestimmt, drinnen an der Fensterwand der Kapelle.

Hier ist denn auch dringende Veranlassung genug, das er- haltene Beweisitück Ar die römischen Antikenstudien Masaodos heran zu ziehen, das wir in einer weissgehöhten Zeichnung auf blauem Grunde im British Museum besitzen*); ein eigentümliches Zeugnis für die Unbefangenheit auf der einen und die Unzul&nglidi» keit auf der andern Seite eben dieser Studien vor einem antiken Bildwerk. Das Blatt ist offenbar beim Anblick eines der beiden Diofikuren auf Montecavallo g^ezeichnet, wenn auch daheim noch im gewonten Verferen der Durchschatticrung überarbeitet worden. Es beurkundet nur eine sehr bedingte Empfänglichkeit fi&r die Formensprache der beiden selbständig neben einander gesteütea Marmorkörper des aufspringenden Rosses und des nackten jungen Helden, der es am Zügel hält. Aber auch dieser Grad von Hin- gebung hat schon seine Früchte getragen, und es ist lerreicb mit diesem gezeichneten Blatt jener römischen Tage in der Hand die nackten Gestalten des Malers zu vergleichen, vom Adam im Sünden- feil und Christus im Grabe zu Empoli bis zu den Gekreuzigten in San Clemente und wdter zu den Täuflingen im Carmine, zwischen denen sogar die eingepökelten Scholaren, die S. Nikolaus aus ihren Fässern frisch und ganz hervorstetgen Iflsst (im Vatikan) eine Steik verdienen.

Die Kreuzigung

In dem grossen Hauptbilde der Kapelle Brandas da Castig- Hone werden nicht allein fiir Christus am Kreuz zwischen den beiden Schächem die Errungenschaften der Aktstudien und Antiken- zeichnung verwertet, mit denen gewiss 7:alreiche Blätter des eifrigen Malers einst erfüllt waren sondern auch für die untere Darstellung mit Rossen und Reitern. Neben den Kolossen von Montecavallo meldet sich als Vorbild unverkennbar der Marc-Aurel, der damals als Denkmal eines Bauern, der Rom errettet, in der nächsten Xach- barschaft von S. Clemente, beim Lateran zu sehen war. Er ist in verschiedenen Ansichten wiedergegeben oder doch als Unterlage

•) Abbildung in LiefcruDg I, Nr. 28; vgl. Text II, 30 ff.

*) Iii der Smiinlttiis der UfBsien darf wentgsteDS eine OnMineiitieidiDTUif, auf vO^ Iteh gpundierlein Pmpier in SiI1>eiichriA( neck einem Ifainor-RelieC Reakcowcifc mk dnem mdcten Genius duwiMhen, Air MMtrio in Fnfe kownieB,

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Kreuziguno

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der Studien für die Autstcllung der zalrcichen Reiter, die diese Kreu- zigung .lu.szeichncn, nachweisbar geblieben. In Nachamung befang-en freilich wird man diesen Maler nicht mehr vorstellen dürfen, s 1 alJ man sich einmal klar gemacht, wie er mit diesem Skizzenmaterial verfärt und bei der andersartigen Gesamtdisposition dieses Bildes verfaren musste.

Am greifbarsten bewart sich der Zusammenhang mit dem an- tiken Vorbild, ausser den Einzelheiten, vielleicht an einer Stelle, wo die gegebene Wandtläche durch das eingelassene Marmuriaber- nakelcliea links vom Altar empfindiicii unterbrochen ward, d. h. w^o dieser feste tektonische Bestandteil, der hell ins Auge fällt, einen besondern Ausgleich mit den Figuren des Vordergrundes um ihn her, zumal bis an den Eckpilaster der Einramung hin, verlangte. Hier ist die Anordnung der drei Juden, die unter einander rat- schlagend zum Kreuz empor schauen oder gestikulieren, mit dem Verräter links, durcliaus der Relief kompositton entqirechend, die wir später, und zwar beträchtlich spater auch von Bonatello befolgt when, wo es sich um friesartige Darstellungen in den Verhältnissen der Vorderseite eines Sarkophags, eines Altartiscfaes oder Altarau&atzes handelte. Jenseits des Tabernakels schliesst die Grruppe der Frauen, die durch Uebermalung entstellt ist, in gleicher Festi£^eit des Auf- bau€is an, so dass die Gestaltenreibe mit dem Liebltng^flnger Jo- hannes, als GegenstQck zu Judas Ischarioth endet. Diese Gewand* figur entbert noch etwas der selbständigen Kraft und Breite, die ihre Stellung fordert, entspricht jedoch der Auffiissung dieses Apo- stels, die wir bei Masacdo bisher beibehalten finden. Sie befremdet nur neben der plastischen Entfaltung des Körpers der zurücksinken- den Maria, deren ausgestredctes Bein zunächst die schräge Gesamt- haltung aufrecht erhält, in der die Frauen sie unterstützen. Das Hinüber- und Herübergreifen der helfenden Arme, das Hängen und Auflagern der hilflosen GUeder der Onmächtigen, diese Betonung der physischen Seite des dargestellten Momentes, der eben dadurch zum wirksamsten Träger des psychischen Ausdrucks wird, sind Eigenschaften, die den jungen Maler auf einer neuen Ban zeigen und aus dem wachsenden Verständnis für die Grosse antiker Bild- nerei hervorgehen.

Um so schmerzlicher vermissen wir die rechte Seite des Vor- dergrundes, wo die zugemauerte Tür noch h<::)her hineinreicht, und wo die beiden ai^schliessenden Genrefiguren, vor denen ein Stück der ersten Reihe leer bleibt, durchaus verdächtig in ihrt^m heutigen Zu- stande, wenn nicht ganz, doch grösstenteils der Hand eines manie- rierten Restaurators aus dem siebzenten Jarhundert angehören.

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Rom, S. Clemente

Der erhaltene, v<»i Kniehöhe ab sichtbare Befelshaber, der mit er- hobenem Kommandostab auf seinem Rosse in voller Profilhaltung von rechts herangekommen ist, an der Spitze eines Gefolges, v(.r. dem wenigstens noch zwei Pferdeköpfe deutlich in das Bild herein- schauen, beweist als Eckgruppe schon in der Höhe eines zweiten Streifens, dass auch auf dieser Seite die festaufgebaute Geschlossen- heit des \'<>rd(Tgrundes beabsichtigt war wie drüben. Die dunklere, vom Fenster in der Seitenwand nur oljenlier beleuchtete Stelle der Bildlläclie gebot onehin massigeren Zusammenhalt und gestattete höchstens einer nebf [isachlichen Episod*^, wie den Soldaten, die um das Gewand des (Tekreuzigten würiehi, die damals allerding"s üb- hche Aufname {die auch Labruzzi in seiner Gesamtübersicht an- deutet).

Eins aber ist zweifellos und klar vorhanden : der Vordergrund enthält die bestimmtesten Anläufe zu der grossen, reliefmäs&igcn Kompositionsweise, die wir auf den leisterwerken der Brancacci- kapelle, in der Geschichte mit dem Zollgroschen und der W'ieder- bringung des Fürstensones ausgebildet finden. Es sind Vorl^erei- tungen dazu, die an dieser Stelle in die fortschreitende Tätigkeit des IVIeisters hineingehören. Und diese Dati( rung wird durch ein äusserliches Merkmal noch bestätigt: der Kopf des sogenannten Judas Ischarioth, d. h. der erste Kopf der vordersten Reihe links an der Ecke, ist genau der selbe, der in der Predigt des Petrus, unmittelbar vor den Karmehtermönchen, nur in umgekerter Rich- tung zum Redner emporsdhaut. Dort auf dem letzten Fresko der früheren Gruppe in der Brancaccikapelle ist er offenbar inn Porträt, schon jenseits der vorderen Reihe von AnsdruckstrAgem intensivster Kraft als Ueberleitung zu den gleichgiltigeren Hörem aus dem Kloster des Carmine hineingesetzt, hier auf der Kreuzigung zn Rom in umgedrehter Richtung wieder verwertet, wie mit Hfille einer Bause des Studienblattes.

Einer so grossen Wandfläche, wie die Altarseite der Kapelle in S. demente sie darbot, war jedoch mit solchen Mittdn der Re- liefanschauung, die sich auf den Gestaltenstreifen des Vordergrun- des beschrftnken muss, nie völlig beizukommen. Nicht minder in- dess versagte die perspektivische Konstruktion im Anschluss an die gegebenen Verhältnisse des Raumes« die der Maler bisher auf den Seitenbildern angewendet hatte. Das Bogenfeld mit den drei Kreuzen ist auch hier so behandelt: das Kreuz Christi wird ganz von vorn gesehen und ist hoher, die niedrigeren beiden der Schächer linlcs und rechts sind in schräger Richtung dazu gestellt und als Leitbanen der Tiefenbewegung üElr das Auge verwertet So entsteht das Ge-

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Kreuzigung

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fühl des gleichartigen räumliciien Zus:inunenhangs mit dem Bilder- kreis rinirsum; aber es ward auch zunächst der Unterschied zwischen der zweigeschossigen Teilung der Seitenwände und der eiuh* itlichen Altar^'and bemerkbar, zwischen deren einigermafsen gleichwertigen Bestandteilen, dem Bogenfeld mit den drei Kreuzen oben und dem reliefartigen Figurenstreifen unten im Vordergrund, nun eben die Vermittlung gefunden werden musste.

vSo verfällt der Maler auf die Erhebung des Terrains bis zur Hohe des Hügels, auf dem die Kreuze stehen, so dass diese Hori- zontale zugleich die Pfeilerhöhe der gemalten Umramung erreicht, die von der watrrerhten b ranze der seitlichen Bilderreihen beträcht- lich, fast noch einmal so hoch, überstiegen wird. Deshalb muss ein zweites Mittel hinzukommen, auch diese Differenz noch auszugleichen : CS sind die Reiter hoch zu Ross, mit erhobenen Armen, aufwärts gestikulierend, anbetend, hinweisend« emporrafend gar, und mit langen Lanzen, Fanen, Bannern, die in die Lttfte ragen. Sie werden von aUen Seiten, wie es sonst nicht üblich, gegen die Kreuze heran- gefürt, und bezeichnen so, selbst in versdiiedener Hohe zu ein- ander, die ringsum ansteigende Erhebung der Stätte GolgaÜia. Die Vermittlung für das Auge geschieht nicht allein linear in der Fläche, wie etwa von der KonsolhOhe Unics und rechts zu den Füssen der niedriger gekreuzigten Schächer hin ; sondern auch radial im Raum* Volumen auf das Kreuz des Erlösers in der Mitte zu. So gewinnt diese centrale Komposition erst auf der jenseits ab&Uenden Senkung des Hügels durch eine halb sichtbare Grestaltenreihe ihren Abschlüsse und zwar in einem gleichen räumlichen Abstand, wie vom der erste Relie&treifen, natürlich bei diesem Maler in der wolberedhneten Verkleinerung des Mafsftabes. Bei ihrer Erwänung muss aber darauf auftnerksam gemacht werden, dass grade diese Köpfe in mandierlet Stellung und Verkürzung aufs Eifrigste von Michel- angelo studiert und nachgebildet sind, so dass die ül n instimmende Erzälung des Vasari und des Beffa Negrini von der Vererung des grossen Meisters für die römischen Werke Masaccios durch seine eigenen Zcichnungeri bekräftigt wird. (Vgl. z. B. Lieferung IV, Taf. lo^ den Kopf des Reiters neben den klagenden Frauen.)

Mit den aufgewiesenen Intentionen einer grossartigen, echt monunu ntal schiiffenden Raumkunst, steht endlich in engem, ebenso unauflöslichem Zusammenhang der Ausblick in die landschaftliche l erne, der den mittleren Streifen der Hildfläche zwischen der heran- strOmenden Schar auf dem Hügel unten und den droi Gekreuzigten droben einninmi* Die gewollte Bildanschauung ist also die, dass nur die oberste Kuppe des Richthügels ganz nah sichtbar wird, als

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Rom, S. Clemente

stiego «ie unmittelbar hinter der Wandvertäfelung" und dem ab- schliessenden Simsstreifen auf, der so etwa als Fensterbank cMi-r breiten, spitzbo^ng umramten Oeffnung fungiert. Von den vurdersten Gestalten hüben und den hintersten drüben reicht die plastisch körper- hafte Region und umfasst in ihrer Mitte unter das gleiche Geset2 der Ausgestaltun jif zu vollrundem Schein auch die Gruppe rler Ge- kreuzigten droben. Jenseits dieser Gränze der Kompositi«>n, die zugleich räumlich konsequent, d. h. dreidimensional im Sinne der realistischen Alonumentalkunst aufgebaut ist, jenseits der Zone des vollen Körpergefüles, liegt d ^'; Fernbild. Es ist ein Ueberblick über die weite F,benc jenseits in die liefe, mit dem Spieg-el eines Sees oder einer Meeresbucht zur Linken, und einer Hugelkotto rechts, die sich am andern Ufer des Wassers entlang zieht und eben- falls nach links in die Ferne verliert. Die Fürung der Linien, die Verteilung der körperlichen Massen und der räumlichen Leere, die Abwägung des Näheren und Femeren verrät uns noch im heutiger Zustand eine fiilbare Redmung, die sich dem Zug der Gesamt- kompottttion anschliesst» aber eben dadurch Ober alle herausgehobeneo Ehizelfaktaren des Aufbaues hinausgeht und, von deren Gesetz be> frdend, die Oesamteinheit des Bildes vollzieht. Den Massen des Vordergrundes folgend steigt unser Auge von links her in schräger Richtung bis zur Gestalt des Befelshabers auf. der ganz redits» dunfa seine befeiende Gebärde eben, die Wendung nach links zurQck, aber nach aufwärts, Aber den nächsten Reiter zu Christus empor ver> mittelt Wie hinter ihm noch Gefolge zu Ross von rechts herein- schaut, so ragen dort auch die Türme der nächsten Stadt auf zurOck- liegender Bergkuppe herein und schliesst die Kette dieses Höhen^ zuges zunächst auf, ~ wenn nicht mehr als Körper vollauf Stereo* metrisch erkennbar, doch als Masse noch dunkel fillbar genug. Die Flucht dieser Hflgelreihe geht, im Anschluss an die vorhin duidi die Figruren bezeichnete Richtung zu Christus empor, in gleidier Richtung diagonal diirch die Btldbreite nach rechts hinauf, wiikt aber zugleich, femer und ferner zurOckweichend, dem noch imnier tastend nacheifernden Auge in nicht mehr greifbare Form ent- schwindend, im Sinne der Raumweite. Und die schimmende Oberfläche des Wassers zu ihren Füssen wirkt erstrecht für die Feme, die unabsehbare, wo die Gesetze der KOrperwelt ^di unserer Kontrole entziehen und zu weichen scheinen, um andern Mächten den Spielraum frei zu lassen, nämlich dem Licht und den Farbefl im Bereich des körperlosen Helldunkels, das nur noch für das Ange allein, one Beirat des Getastes, da ist und jene Faktoren unmittelbar aiif die Seele wirken lässt ^Is Stimmungswerte. Hier liegt die offene,

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Kreuzigung

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ins Unbestimmte ausgehende Seite des Winkels, dessen Spitze wir im römischen Refelshaber, dem Vollstrecker der Perip» tie gewarten. Und so wird klar, dass diese einheitrchaffende (Tcsanitrechnung-, die Licht und Luft als wesentliche Mittel der Raumschr)pfung- einbezieht, wieder im engsten Aiiscliluss an die räumliehen Gegebenheiten der Bildfläche, an Ort und Stelle, gedacht und durchgefürt worden ist: sie benutzt den wirklichen Hin fall des Lichtes durch das Kapellen- feiister von rechts her und antwortet mit dem Reflex auf der Wasser- tiäche links im Hintergründe als letzter Sammlung des Wertes, dem die Kunst des Malers auf diesem Wege vom Vordergrund in die Tiefe für die Alodellierung aller dazwischen befindlichen Körper so viel verdankt. Die Wal dieser Richtung, als der weiterleitenden, befreienden oder doch zum befriedigenden Ausklang der Katastrophe förenden, geschieht durchaus natürlich im Sinne der Lichtfürung und Kaumwirkung im ganzen Seitenschiff der Basilika von S. de- mente, grade so für die Tiefendimension, wie bei der Verkündigung an der Stirnseite der Kapelle für die Höhenschätzung. Es ist das letzte, grösste Meisterwerk der Raumkunst gewesen, das Masaccio in Rom geleistet hat. Und wenn wir nach den nächsten Arbeiten in Tiormtz sudien, so dürfen wir vor allen langen nidit vergessen, dass die gegebenen Wände der Brancacdkapelle ihm k^ne solche für malerische Weite verwertbare BildflScbe darboten, dass dort die Altarwand in der Tiefe grade durch das Fenster zerschnitten, f&r einheitliche Wirkung verloren war, und dass die Sdten, nah sidi aufdrängend, ihn vielmer in die Enge trieben ; zur Reliefouffiissung einer vorderen Gestaltenreihe zwangen und auf das Nahe, körperlich Greifbare zu beschränken drohten.

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IV.

^ DIE ZWEITE GRUPPE DEi\ WANDGEMÄLDE IM CARMINE UND IHRE VERWANDTEN ^

Oas ist in der Tat die Sachlage, die uns erkennbar genug aus der Reihe der allgemein anerkannten und gleicfaenna&en ge- rfimten Meisterwerke Masaccios in Florenz entgegentritt Der ver- gleichende Blick» den wir allnifihlich ausgebildet haben, unteracbddet immer deutliche die beiden Hauptprobleme, die sich gegenseidg auszuschliessen scheinen, je mehr der Maler ihren Wert zu begreifen und ihre besondem Vorzüge auszubeuten lernt, wärend die Monu- mentalkunst, in deren Dienst er fast allein noch arbeitet, auf einen Ausgleich hindrängt, oder vielmehr eine klare Auseinandersetzung der Ansprüche und Berechtigung beider fordern muss. Ich meine die centrale Komposition, die auf volle Verwertung des Tiefen- scheines bedacht ist, und die Relief komposition, die sich zn Gunsten ihrer Figuren mit einem verhältnismässig nahen Vorder- grund begnügt. Man konnte sie unter Betonung ihrer letzten Tendenz als ^das perspektivische Problem« und »das plastische Problem« unterscheiden, würde damit aber die zaireichen Ueber* gänge und Vermittelungen übersehen, die tatsächlich zwischen beiden vorhanden sind und in dem dritten Problem, der monumentalen Raumkunst des Malers grade zu einer neuen Einheit zusammen- treten.

Das perspektivische Problem fürt unstreitig, durch die Er- oberung der Raumweite des Fcrnbildes, zur Entdeckung des spe- cifisch »Malerischen«, d. h. zur höchsten Ausbildung der besondem Aufgabe, die nur die Malerei als Kunst sich stellen kann. I^ ge- schieht besonders durch die Tafelmalerei und auf Grund der Oel* technik, gehört also erst der ferneren Zukunft an. In der Gegen- wart aber, wo wir mit Masaccio stehen, haben wir es vielmehr mit der Forderung Brunelleschis der konsequenten Konstruktion des Raumes für die Körper darin zu tun, also zunächst mit einem Ge> setz, durch dessen Bewältigung erst ein malerischer Genius^ wie Masaccio allein unter allen Zeitgenossen, zu Offenbarungen einer höheren Freiheit durchdringt, die ihm selbst vielleicht unerwartet in

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Künstlerische Probleme

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Verfolg der ernsten Arbeit aufgegangen. - Im l'nikreis dieser Hauptaufgabe jedoch, . der nionu mentalen Wandmalerei, bereitete dies perspektivische Gesetz unläugbar eine Schwierigkeit, die Hcrab- drückung des Wertes der Figuren im Verhältnis zum Schauplatz ihrer Handlung, die Unterordnung unter den umgebenden Raum, die dem vorwaltenden Interesse an den menschlichen l-'iguren durch- aus widersprach. An die Stelle dieses poetischen Uebcrgewichts, . das im Trecento seine volle Geltung behauptet hatte, tritt nun aber immer mehr das plastische Vollgewicht der Körper, dessen Dar- stellung durch die Mittel der Malerei ein neues künstlerisches Pro- blem bedeutet. Und hier fanden wir Masaccio eher auf der selben Ikin, die der liildhauer Donatello eingeschlagen, ur.d sahen ihn schon hier und da ganz deutlich die Ricliefanschauung wiedergeben, die dem Bildner selbst erst später gelungen scheint.

Nun in Florenz, im täglichen Verker mit den beiden ausge« zeichneten Freunden, Brunellesclii dort und Donatello hier, kommt es zum Austrag zwischen den Frindpien des Architekten und des Plastikers, die auf dem dritten Gebiet, des Malers, aufeinander stolsen. Masaccios Hauptwerke der letzten Zeit sondern sich in zwei Klassen, jenachdem das eine oder das andre Problem die Oberhand behalt, oder den besondem Bedingungen der Oertlichkeit gemSes behalten muss. Da tritt der weiten Kreuzigfungr in S. Qe- mente sofort die Dreifaltigkeit in S. M. Novella gegenüber, in denen beiden doch die Eroberung der Tiefe das Gremeinaame bildet, und die beiden unteren Bilder der Altarwand in Cappella Brancacd mit Almosenspende und Schattenheilung schliessen sich an. Demgegen» aber stehen die Geschichte vom Zinsgroschen und die Auferw^^ung des KOnigsfones mit ihrer reliefmässtgen Anordnung, in denen das Interesse an der plastischen Selbständigkeit der Gestalt so entschie- den das Ganze bestimmt

Doppelt empfindlich wird gerade durch diesen Gegensatz die I-ücke, in die das Chiaroscuro der »Sagra del Carmine« im Kloster- hof, die geniale Improvisation, hineingehörte, die in der ersten An- lage des Platzes das perspektivische Problem verfolgte, in der Aus- fikrung des Gestaltenzuges aber ebenso glücklich zur relicfmässigen Aufreihung der Körper übergegangen scheint Grade das Wie der Lösung zwischen beiden Ansprüchen zu sehen, wäre das ein/ige Mittel, das Uebergewicht der einen oder der ard? rn Richtung /u entscheiden oder wieder einen genialen Wurf über beide Regeln hinaus, wie bei der Kreuzigung- anzuerkennen. Die besondern Be- dingungen der gegebenen BildÜäche an der Mauer des Klosii-r- gangs sprechen mehr für die Anname. dass die friesartige Entwick-

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Florenz, Cappella Brancacci

lung des Reliefs den Charakter wesentlich bestimmte, so dass wir es der zweiten Klasse \ < ti Werken zwischen Zinsgroschen und Petrus in Cathedra einzureüien hätten,

Suchen wir dagegen, von solchen Fragen der (t esain tdisposi- tion einmal absehend, nach der Venvandtschaft der Formensprache zu bestimmen, welche Arbeiten sich dem römischen Kapellenschmuck zunächst anfügen machten, so kommen wir jedenfalls auf den obern Wandstreifen mit der Vertreibung aus dem Paradiese und der Ge- schichte vom Zinsgroschen , andrerseits auf die Vollcmlung dos Altarwerkes für Pisa und den ( reburtstagsteller in Berlin. Darauf folgt die Taufe an der Fensterwand der Brancaccikapelle, die sich den Predcllenstücken mit der Legende des hl. Nikolaus im Vatikan nodi ebenso verwandt zeigt, wie das Fresko der Dreifaltigkeit in S. M.Novella. Dies aber hängt aa6 Engste mit den beiden untern Bildern der selben Altarwand zusammen, die sich ihm notwendig anreihen.

Man sieht also, die verfolgbaren Fäden der beiden Hauptprobleme schlingen sich durdi einander, je nadi den Aufgaben, die dem Künstler zufallen, und nach den Bedingungen, unter denen er zu schaffen hat. Es liesse sich wol eine systematische Einteilung ver- suchen ; aber sie würde dem chronologischen Gang der Entwicklung nicht entsprechen, dem wir möglichst genau nachzugehen trachten, weQ er allein das Leben des Künstlers selber in seinem vidsettigen Wachs- tum zu vermitteln im Stande ist. Ueberdies schiebt sich ja die Ar* beit an einem Werke mit der an einem andern auf engsten Zeit- raum zusammen ; der Entwurf für das eine liegt schon weit voraus» Wärend die Ausfürung wieder durch andre Erfarungen dazwischen abgewandelt wird in neuem Sinn; daneben zieht sich die Vollen- dung eines vielteiligen Altarwerkes für auswärtige Besteller, immer nur als Nebenarbeit , behandelt, vielleicht durch Jare hin und zeigt so zwischen Anfang und Ende den merklichsten Unterschied, de» der reifsende Fortschritt in allen Teilen des Wollens und Könnens beim Meister selbst allein erklärlich macht

Die Geschichte vom ZoUgroschen

Wärend das Altarwerk von Pisa in den kleinen Predellenstücken mit dem Martyrium des Petrus und Johannes des Täufers noch die näm- liche Kompositionsweise zeigt, deren Fortschritt wir von der Heilung

>) Um tergleidie den Joseph io der Anbetuqg der KOmge so Berlin mit don Hieronymni nnter den vier Heiligenfiguren bei Cb. Butler io London, die beide von

Altar aus Pi^a 5!tamm»'n, und dann beide Köpfe mtl dem Petnis bei der Scbetteobeilailg in der BraocacdkapeUe, dam aucii unsere Abbüdung aus Alteoburg.

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Geschichte vom Zollgroschek

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des Lahmen und der Erweckung Tabithas bis zu den letzten Le- genden in S. demente beobachtet haben, überrascht uns bpim aber- malii:;e[i Eintritt in die Brancaccikapclle der jenem Doppelbild neben dem Sundenfall gegenüberliegende Wandstreifen mit der Geschichte vom /msi^roschen neben der Vertreibung aus dem Paradiese durch ein n/ «ntge gen gesetztes Vcrfaren, das unbekümmert um das früher entstandene Gegenstück die Bildeinheit vor allen Dingen zu sichern sucht und selbst das ursprüngliche Programm des Kapellenschnnickcs, das auch hier zwei getrennte Scenen Einsetzung des Schlussel- amtes und Findung des Stater vorgesehen hatte, preiszu- geben wagt. Und mit welchem Mittel ist die Bildeinheit hergestellt? Nicht gewaltsam und nachträglich wie drüben, wo die perspektivi- sche Konstruktion des Stadtplatzes mit einmündenden Strassen die beiden Momente, zu Jerusalem und zu Joppe, auf eine Büne zu- sammenzwingt, mcht mit Hülfe der Tiefenentfaltung in der Mitte, die nachher durch ein vorgeschobenes Koulissenstück und eingestellte Statisten verdeckt ward, sondern durch das Gegenteil, die fnes- artige Reliefkomposition, durch die vollwertige Ausgestaltung des Nahen vuru und die Verschiebuug der Tiefenflucht auf die eine Seite.

Das ist die eigentliche Grundlage der Grofstat, die all den Fort- schritt im Einzelnen erst ermöglicht, dessentwegen man so lange dies Meisterstück fQr unvereinbar mit allem Früheren erklärt und das Doppelbild gegenüber als Werk Masolinos angesehen hatte. Wir glauben erwiesen zu haben, da& das Neue hier In der Grescfaicfate vom Zollgroflchen nur aus der Entstehungsgeschichte des Doppel- bildes drüben erklärt werden kann und eben jene Kompromilaleistung als Voraussetzung im eigenen Gang des selben Meisters fordert, eine Vorstufe, die bereits den Schlüssel zur nun errungenen Freiheit in sich trägt, den Masolino nie gefunden, auch nicht als ihm vor Augen stand, wie Masaccio es gemadit hatte.

Ausserdem giebt es noch ein Bindeglied, das für Masaccio sicher beglaubigt ist, eben das Mittelstück jener Ptedella vom Altar im Carmine zu Pisa, der 1426 b^zalt ward, das friesartige Breitbitd mit der Anbetung der Könige. Die Gruppe der Pferde rechts hat gewüs noch mehr Verwandtschaft mit Ambrosius und seinen Reise- gefärten, die dem Untergang des Hochmütigen entfliehen, an der Fensterwand in S. Demente, als mit den selbständig gewordenen, vereinzelt zwischen die Fufsgänger eingestellten und in mannich- fidtiger Freiheit bewegten Reitern auf der Kreuzigung. Nun aber beachte man die Könige selbst mit ihrem Gefolge bis zu den Por- trätfiguren der Stifter und die Bewegung des ganzes Zuges gegen

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62 Cappella BRANCAca

die Hütte links, wo ^^aria mit dem Kinde als Ziel der Ankömm- linge ihnen g^cgcnüber sit/t. Und dann versuche man. sich diesen Bildstreifen umzukeren, so dass die Richtung des Frieses von link? nach rechts verläuft, um das Gan/e so mit dem ebenso verlaufenden Wandstreifen der Brancaccikapelle zu vergleichen. Dann haben wir dio Hütte rechts in der Xähe vorn, als Ausgangspunkt der Entfal- tung, wie auf dem I-rt sko das Tor von Kapernaum, das Reiseziel des Meisters mit seinen Jungern. Die festaufgebautc Architektur giobt auch hier das leibhaftig Nahe, von dem unser -Vuge zunick- schweift, auch wenn wir mit den Gestalten den selben Weg, vom Eingang der Kapelle bis an den Altar, zurückgelegt haben und bei dem entscheidenden Moment, wo Petrus triumphierend den Zoll ent- richtet, angekommen sind. Der Blick folgt dann dem Zuir der Berge, über die Häupter der Jüngerschar hinweg, nach link.s; er trifft, wo sich das Tal erweitert, am Ufer des Sees die erklärende Ncbenscenc, wo Petrus die Münze aus dem Maul des Fisches zieht, und findet dort Luft und Licht zum Ausflug in ferne Bergeshöh. DieFürung des Linienzuges, wie die Beleuchtung zeigt also die nämliche Oekono- mie wie das letzte grolse Fresko in S. demente, du ivreuziguni,v nur in die Verhaltnisse des niedrigeren Brcitbildes übertragen. Da- von ist in der Anbetung der Könige von Pisa noch nicht die Rcct. so sehr auch hier schon die Wirkung der tiefstehenden Sonne, di-; hinter der dunkeln Hütte hervor den ankommenden Vererem eni- gcgenleuchtet und zugleich ihren lichten Schdn über die Hügel- kette breitet, zur malerischen Stimmung des Auftrittes wesent- lich beiträgt Der weitere Vergleich des PredellenatQckes in Berlin mit dem Fresko in Florenz fiirt dann tiefer in die Ent- stehungsgeschichte des letzteren ein. Man denke sidi eiamai das kausal Zusammengehörige auch örtlich zusammengeschoben; d h. hinter Petrus, der den Stater entrichtet, zunächst die zugehörige Voraussetzung, die Findung der Münze am See, weiter zurückliegend im Hintergrund, aber gleich jenseits der Torhalle. Dann schiebt sich von selbst die Jfüngerschar mit dem Meister in der Mitte und den abschliessenden Figuren des Andreas und Thomas als Gränz- pfeiler auf die linke Hälfte des Wandfeldes. Verwandeln wir dann noch den lebendig nach innen wie nach aussen bewegten Torwäditer in eine ebenso vom Rücken gesehene Gewandfigur, so schlielst sich der Kreis der Apostel auch von vom auf dieser Seite der Haupt- person, und verwandeln wir die Stellung und lunauswdaende Ge- bärde des Petrus, an den sich der Meister wendet, in eine gehorsame, wenn auch überrascht seinen Eifer beteuernde Haltung, wie es ein Niederknieen vor dem Herrn vielletcht am verständlichsten zu geben

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Geschichte vom Zollgroschen

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pflegt, so haben wir die E i n se t z u n g des Schlüsselamtes, die jetzt in der Kapelle feit, als Bild für sich vor Augen! Aber die Teilbarkeit des Dcjppelbildes durch einen Miitelpilaster reifst uns auch zurück in die Vorgeschichte des Malers, in die Zeit der liuuvürfe, aus der noch die Heilung des besessenen Knaben (in Brüssel) eben- so wie die Heilung des lähmen und die Erweckung der Tabitha stammen Diese Retrofpektive jedoch klärt mit aller Bestimmtlielt darüber auf, welchen durchgreifenden kflnsüerischen Erwägungen die Metamorphose des Doppelbildes in eine so grossartige Einheit ihren Ursprung dankt Nun wurde die Einsetzung des Schlüssel- amts geopfert, vielleicht als soeben vorausgegangen angenommen, wie die Stellung der Apostelschaar zu den Hauptpersonen noch nahelegt. Um so plötzlicher spricht sich die dazwischen£u«nde Störung durch den ZoUeinnemer aus. Aber der horchende Apostel, der sich in diesen Rüpel verwandelt, und der Petrus, der wider- wDlig gehorchen wird, ihm gegenüber, mussten nun zu Angeln der Komposition werden, die beide Nebenscenen, links und rechts, mit dem Hauptauftritt in der Mitte verbinden. Der poetische Kausal- nexQS aber, der durch Mimik gegeben werden kann, ist dem Maler nicht mehr die Hauptaadie, sondern die plastische Ent&ltung seiner Gestalten in klarer Auseinandersetzung der einzelnen Körper, dann die durchgehende Reliefanschauung des Gesamtstreifens und endlich die ebenso durchgehende Raumentfaltung, die sich jedoch dem plastischen Bedürfnis entsprechend in umgekerter Richtung vollzieht, so dass wir das Nahe, den festen Halt rechts, das Ferne, die lebendige Bewegung links haben, bis in unabsehbare Möglichkeit hinaus. Was hier erreicht wird, ist ein intimerer Anschluss an die fülbaren Funk- tionen der tektonischen Faktoren des Kapellenbaues und die künstlerische Oekonomie des bestehenden Innenraumes. Es ist die Anerkennung der Wand als einheitliche Fläche, die durch willkürliche Einmalung eines Pfeilers in f'rr Mitte zerteilt wäre, wie drüben. Es ist aber auch die Anerkennung des gleichmässigen X'erlaufs der WandHächc, deren fester Halt vornemlich an der Altarseite, dem Fi;i^:ing gegenüber betont wird; diesem Zuge der Orts- und Autren- bf wr^Mitig des Betrachters trägt auch die wachsende Nähe des Gcstaltenzuges und ihre vollere Verkörperung, ihre festere Beharrung auf sich selbst Rechnung. Erst wenn der Zielpunkt der Raum- bildung, die Altarschwelle erreicht ist, tritt das optische Gesetz des

*) Natflrlicb aral« die Frag? , wie ireit die ente Redaktioii gediehen wer «md wie

sich beide Bilder etwa nebeneinander ausgenommen hätten, unbeantwortet bleiben ; ge- nuv, wenn die MevglichkHt, Retidaeo d»von in der löslichen Umgestaltuns noch nach- suweisea, tiberhaupt einleachtet.

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Cappella Brancacci

zum Eingang zurückschallenden Jilickcs ein, dessen Erweiterung nach aulscn die Raumentfaltung im J>ilde ihrerseits entspricht. Es ist ein weiterer Schritt in der Ausbildung des realistischen Monu- mentalstiles der Wandmalerei, den Alasaccio geschaffen.

"Wie sehr der ursprüngliche Gedanke an die Kinsetzung des Schlüsselamtes auch die Darstellung der Personen selbst zum Vorteil hoheitvoller Charakteristik beeinfiu&t habe, ist früher hervorgehoben worden. Es liegt über diesen Christus und seinm Jüngern eine Weihe, die das erstaunliche Geheifs, ein Geldstück, das keiner von ihnen in der Tasche hat, aus dem Maul des ersten besten Fiadies zu holen, der an die Angel beifsen soll, gewifs nicht erklaren kann, sondern nur die weit höhere Bedeutung, den die Uebertragung der Macht zu binden und zu lösen auf die Person des einen Apostds, der hier verherrlicht wird, im 5>inne der römischen Kirche bean- spruchen darf. Wenn vollends die Verklärung auf Tabor voraus- gehen sollte, so begreift sich d^ Allianz der Oberlegenen Geistes- natur, der den Meister im Kreise der Seinigen wie dem Andringen der fremden Welt gegenflber auszeichnet Aber auch die Chaiak- tere ringsum, soweit sie in besonderem Wesen hervortreten können, haben soeben, das merkt man, einen gehobenen Moment erlebt, wo jeder auf dem Gipfel seiner Leistungsiähigkeit vor dem Auge des prüfenden Herrn gestanden, der die bange Frage bei sich erwog: wer wird euer Haupt sein, wenn ich von euch genommen werde? Die schlichte, schmucklose Groisartigkeit dieser Männergcstalten, mit den herrlichen Köpfen und dem einfachen Wurf der Gewandung hat von jeher das Urteil über Masaccios Stil bestimmt Die heilige Einfalt des Genius, nach der die Nachfolger vergebens ringen, ist das Lob, das bei Vasari nachhallt Es klingt im Munde des routinierten Spätlings wie Sensucht nach den goldenen Tagen der Jugendzeit seiner eignen Kunst.

In der Tat war hier (lern Künsth^, durch den entschlossenen Bruch mit dem viel zu viel Einzehuomente fordernden Programm, Gelegenheit geboten und zwar zum ersten Mal im grofsen Mafs- stab sich mit seinen Gestalten nach Beheben auszubreiten. Das Zuviel, das die Kirche vom Künstler, vom Maler wie vom Bildner cr- zält haben will, war ja die Erbsünde, die seit Byzanz das ganze Mittelalter nicht zur reinen Auffindung der eigenen (jesetze jeder Kunst zu gelangen erlaubte. Wie selten lälst sie eine breite Predella für kleine Figuren unzerstuckt. in Rom war selbst auf der an- sehnhchsten W.iiultla( he der Kreu/igung doch ein Hindernis vor- handen, das eingemauerte Marmortabernakel, das den MafsPtab der Figuren bestimmen mulste, wenn nicht die eng gedrängten lieiügen-

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Geschichte vom Zollgroschen

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legenden auf beiden Seiten schon keinen Wechsel der I*roportionen mehr gestatteten. So sind sie denn auch mitten auf dem langfen Wandstreifen zu einer Wuclit und Breite gediehen, die in engcrm Ramfn notgedrungen wieder ;^usammen /u schrumpfen droht. Um so wichtiger w ird die Geschlossciihcil der Konipi .sitinn. die eine centrale Atiordnung mit der Aiifreihunj^'- des Reliefs zu verbiuJen weifs, und so, dank ihrer ursprünglichen Selbstänrli^krit, die Neben- momente sich klar abhelfen läfst. Diese wiffl^r sind verschieden an Wert, für die Verherrhchung des Helden cht nso wie für die Oeko- nomie des Malers. Vollkräftig steigert sich die plastische Festigkeit fast in statuarischem Sinne bei den beiden Einzelfiguren am Tor, wo Petrus der Herr ist und der Zöllner der Knecht, obgleich der erste geben niuTs, der zweite nomen darf. Keine geringere Leistung bietet der Künstler in der zusammengckauerten (Tcstalt des Fischers am See: die Künheit der schwierigen Verkürzung, die Anstrengung der altgewordencn Glieder ; selbst die aufsteigende Röte im Kopf rümt Vasari. Dennoch wird sie zurückgeschoben und verkleinert, schon weil es nicht angieng, den heiligen Apostelfiirsten in dieser Situation nab vor Augen zu steUen, so dais man ihn weidlich be- trachten mufste in einer Reihe mit den hehrsten Gestalten und dem bedeutsamsten Auftreten der nämlichen Person. Masaccio beweist mehr Geschmack als Vasari, indem er seine mühevolle Leistung wieder auf das Mafs ihres Wertes im Ganzen herabdrückt Aber nicht diese Erwägung war es, die zu der schräg verlaufenden Raumentfaltung gefQrt hat, sondern erst das letzte freie Umspringfen mit der Reihenfolge der Momente, deren zeitliche Ordnung preis- gegeben wird, um ein höheres Gesetz, das der Bildwirkung, zu er- füllen. Es ist ein entscheidender Schritt aus der Tradition des Mittelalters heraus: es wird nicht mehr fOr die poetische Vorstellung allein erzält, als deren höchstes Gesetz die zeitliche Abfolge der Momente und der richtige Kausalnexus bestehen bleiben, sondern es wild ein Bild geschaffen für die sinnliche Anschauung des Auges zunächst, und die Gesetze des Schauens werden als erste und wiedt rum als letzte Tnstanz anerkannt, soviel auch dazwischen an geistigem Inhalt zu vermitteln gelingt. Die Darstellung mehrerer Momente in einem Ramen ist freilich ein Rest der alten Gewonheit ; sie zu tadeln kann uns aber bei diesem engen Zusammenhang mit dem durchwandelnden Beschauer kaum beikommen.

Und die letzte einigende Wirkung übernimmt auch hier, wie bei der Kreuzigung in Rom, die rcchtsher durchs Kapellenfenster einfallende Beleuchtung, die wieder links auf dorn Wasserspiegel und an hohen l'.erg wäntlen gesammelt zurückstralt, wie aus dem helleren

Schmarsow, Masaccio-Studien V. 5

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Vertreibung aus dem Paradies

Hauptranm der Kirche für den lebendigen Beschauer der Reflex vom Eingang der KapHle hereinwirkt.

Eben dies Verhultnis. für (los.s( ii ri{ htige Erfassung wir uns in den ehemaligen Zustand der Karmeliterkirche zurückdenken müssen, wie er zur Zeit Masaccios beschaffen war, eben diese besondern Be- dingungen der Lichtzufur erklären auch die iichandlung des schnialf n Eingangsbildes in dieser selben Reihe, nämlich der Ver- treibung aus dem Paradiese, über der sich ursprünglich der Spitz- bogen des Eingangs erhob, wärend unten ein Gitter den Zutritt ver- sperren konnte.

Die Vertreibung aus dem Paradies

bezeichnet ebenso die Weiterbildung auf der drQben im Sanden- fall gewonnenen Grundlage, wie die Greschichte vom Z<^lgro6cben gegenober dem Doppelbilde mit der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas. Aber wärend die Versuchung durch die Schlange ganz Situationsbild geblieben ist, wird hier die Vertreibung durch den Engel ganz Bewegungsbild, so sehr, dass die Darstellung der beiden nackten Körper, obwol aus viel geläufigerer Kenntnis heraus, dodi flOchtig hingeworfen ersdieint im Vergleich mit «dem mühsam abgezirkelten Aufbau und dem sichtlich angespannten Studium dort Wärend drOben jedoch eben deshalb der Ausdruck des Augenblicks nicht völlig zu seinem Rechte gekommen ist» durchbebt der Affekt hier die ganzen Krrpor, und als einzige der bildenden Kunst zur Verfügung stehende Träger des Seelenlebens sind sie ein Meisterwerk allerersten Ranges, eben wieder durch die unumwundene Einfachheit, der nichts fremder ist als theatralische Gestikulation und gemachte Pcffie. Als Ausdrucksfiguren im höchsten Sinne wollen sie jedoch nicht wie Aktfiguren auf Genauigkeit und Ausfürlichkeit im Einzelnen untersucht sein, die nur ein kalter Ana- tom oder ein geduldiger ATndellmalcr von ihnen verlangen wird. Es sind Menschenkinder gleich uns, Lebewesen in furchtbarster Erschütterung, und so erfafst der eiinreicnde IVschauer, der in die Kai)elle will, nur die Gebärde unsagbarer Seelenangst und die un- widerstfiilich dreinfarende Bewegung des Engels, die nicht eirunal des Schwertes mehr bedarf, als einen ( resaniteindruck, der den Rück- schlag der Tat, die sich drüben vorbereitet, nicht gewaltiger im Bild«' /('igen kann. Dort sind es die glücklichen, noch sündlosen Lieblingskinder der Schöpfung, die fast anungslos mit dem eignen PVuer spielen. \iu ungetrübten Stande der Vollkommenheit, an deren letzter Schwciie nur die Warnung der innern Stimme einen Augen-

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Taufe Petri

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blick noch hemmend wirkt ; hier sind es die Urbilder menschlicher X^idenschaft nach der Explosion, der Vergänglichkeit anheimgefallen und vom Schrecken vor sich selbst entstellt Ein und derselbe Künstler hat beide Bilder als Gegenstücke gedacht und durchge- fürt; der gebildete Betrachter wird stets als sein o Pflicht ansehen, sie vor allen Dingen so auf/uni nion. wie sie geboten werden.

Dabei können wir uns immer cinpostelirn, dnfs der Künstler auf seinem Stadium zur Rechten nicht die Leistuni» /u schalTen ver- mocht h.itte, wie auf dem Stadium zur IJnkf^n. Ks sind in erster Linie die drcM ( iekreu?:i£jt( 11 in Koni, die vorausgehen mulsten, um diese l>eideii scluiieriibevveglen nacklen Leiber s<> w irksam zu geben. Besonders der reuige Schacher und die Kurperbildung des Erlösers sind die unentV)erlichen Vorstufen, wärend die kün und elastisch im Sattel sich hebenden, biegenden, dreliendea Reitcrfiguren, ja der zu- samnien^ekauerte I'etrus bei der Findung des Stater no(~h wichtiger für den Racheengel sind, als die ruhig knieende Gestalt des ( iai)riol in der Verkiindigung, dem sonst der lypus des Kopfes wie die Gewandung am meisten entspricht. Die durchaus plastische Auf- fassung der Aufgabe selbst bleibt für den gegenwärtigen Stand- punkt des Malers die Hauptsache und zeigt den weiten Abstand, den sein eigner Gang zurückgelegt bat seit jenem Erretter Katha- rinas, der die Räder zersplittert.

Den unmittelbaren Anschlufs an die Vertreibung aus dem Paradiese wie an die römischen Studien nach klassischem Vorbild gewinnen wir vollständig auf dem Fresko droben rechts an der Fenster- wand, das eben nuVi, nach langem Zwischenraum seinem Gegenstflck, der Predigt des Petrus links, an die Seite gestellt ward.

Die Taufe der Dreitausend

Es ist wie eine Zusammenfassung der ersten und der letzten Gestalten des soeben entstandenen Wandstreifens links, des nackten Sünders Adam und der Togafigur des Petrus vor dem Zöllner, wenn wir den Apostel in Proiii auf der einen und den frierenden Täufling auf der andern Seite als tonangebende Vortreter des Vor- gangs gewaren. Zwischen beiden übers Kreuz wieder eine Ciewand- figur in bufsfertiger Haltung und der knieende Täufling im Wasser, der vornübergebeugt den Gufs übers Haupt empfängt, und so deut- lich wie nur möglich die Erträgnisse des Antikenstudiums zur Schau stellt, sogar in unmittelbarer Herkunft von den Dioskuren des Monteca\alln die athletische Muskrlstärke eines 1 Teroenlrihes ent- hüllL Den besondem Bedingungen, zumal der ungünstigen ßeleuch-

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CAPPELIA ßRANCACCI

tur\^ dieser Hildflärhc roclUs ohon beim Fenster entsprechend, bleibt auch sonst die Linke n Kostümfiguren, die Reelite den selbst schon hellen nackten T,f iiiern tiberlassen; nur als Folie für die Sil- houette des Frierenden und eines halb entkleideten Gcfarten sind einige Mantelträger eingestellt. Dem Masscnbilde rechts gegenüber stehen links .ds ZeiiiTfen der persönlichen Bedeutung des Apostels, der in jihNsischcr Tätigkeit funktiunieren nuifs, zwei mäclnii^^e Porträtküpfe, die durch ihre Breite und Wucht die Leistungen Uccellos in der Geschichte von Noah vorausnemeu. Den Findruck der andrängenden Masse einer noch unabsehbaren Schar von Gläu- bigen unterstützen die aufsteigenden Bergkegel, deren einzelne Kuppen pyramidal in sichtbarem Abstand von einander gen Himmel ragen und durch Reflexe des Lichtes dem Auge den Ausweg in die freie Luitregion ercyffnen.

Fassen wir diesen landschaftlichen Hintergrund, der hier oben nichts als Folie zu sein brauchte, mit den gedrängten Figuren im Tai' zusammen, wie eine Wand von leise halbkreisförmiger Ver- tiefung, wie sie dem Auge erscheinen, so gewinnen die central an- geordneten vier Hauptgestalten mit dem Symbol des Sakraments, der erhobenen Schale im Mittelpunkt, ihre volle plastische Rundung und ihre an so beengter Stelle erstaunlich gewagte räumliche Aus- einandersetzung die ursprüngliche Kraft, die uns noch im heutigen Zustand des Bildes erkennen läfst« wie der Meister, ganz ebenso wie in der breiteren JOngerschar mit Christus in der Mitte, über die Reliefanschauung hinausftrebt und durch die AufHtellung seiner Körper in radialen Axen um eine Dominante 'sowol deren Selb- ständigkeit zu sichern als den Findruck des Luftraumes dazwischen zu fördern sucht, so dafs die Ströme des Lichtes doppelt wirksam durch die Intervalle hindurch gehen. Der Stellung des Bildes rechts von der Hauptaxe des Kapellenraumes gemäfs, erblicken wir diesen architektonischen Aufbau der Komposition nicht allein von unten, sodafs Petrus und sein Täufling ganz vorn am Rande erscheinen, wie Gabriel und Maria droben an der Stirnseite der Kapelle in San demente, sondern auch in seitlicher Verschiebung, so dafs die ent- scheidende Hauptaxe des Bildraumes. \on rechts nach links vr^gen das Fenster hinaus. wirdtT radial zur Hauptaxe des wirklichen Kapellenraumes verlaiitl. So g^ewinnt die wolberechnete Ansicht zugleieh die malerische I-Veiheit. die der gewönliche, nicht \'ersland(.'S- malsig die ganze (.)ifkonuniie nachrechnende, Beschauer zunächst und ungestört treniefsen wird. Eben dieser an hitektoni^ehe (xruppenbau mufste jedeieh bloßgelegt werden, um den Zusammenhang dieses so ganz andersartig erscheinenden und vorwiegend durch malerische

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Fresko in S. M. Novklla

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Reize wie den Kontrast der Nackten und Bekleideten, der

warmen Flpischfarlio und dor dunkeln ßergc, des durchsichtigen Wassers und der schimmernden I.uftregion wirkenden Bildes, wie die Taute es ist, mit einem Werke darzutnn, das für solchen architektonischen Aufbau ^a-radezu para<h;4niatische Bedeutung im Schaffen M.isaccios l)eansprucht, mit der Dreifakij^'^keit in S. M. No- vella, die als Mittelglied zwisehen m oberen und den beiden unteren Bildern nebst Petrus in Cathedra hierhergehört

Die Dreifaltigkeit in S. M. Novella

Ks kann nicht genug betont werden, welch ein durchgreifender Unterschied dies Fresko in S. M. Novella seiner Gosamtanlagc nach von allen florentinischcn Waiidgcniäldcn Masaccios entfernt. Seit den ersten Anfängen seiner Arbeit in der Brancaccikapelle scheint er die Darstellung eines die Personen völlig in sich aufnemenden Innenraumes hier zu vermeiden, selbst wo die Aufforderung dazu gegeben war, wie bei der Erhöhung des Petrus auf den Bischof- stul von Antiochien oder der Almosenspende mit der Bestrafung des Ananias» Nur in Rom begegnen uns solche Beispiele nodb, bei der Btschofswal des Ambrosius und dem Tode des Heiligen^ wie vorher bei dem Auftreten Katharinas gegen den Götzendienst und der Disputation gegen die Philosophen. Auf Grund eben dieser Versuche mag dem Maler die £rfarung aufgegangen sein, zu welchen Folgerungen die perspektivische Regel Brunelleschis in solchen Fällen für die Dar- stellung der Figuren fürte. Oder waren diese halbgeöffneten Innen- räume mit der immer noch freien Bevorzugung der handelnden Personen darin grade die Ursache, nun einmal die Forderung des Architekten ganz zu erfüllen. Drängte dieser Freund selbst den Maler bei seiner Rückker aus Rom zu VorfÜrung eines gemalten Musterstücks seiner neuersonnenen Kirchenarchitektur, wie er beim Bienenwunder des kleinen Ambrosius und auf dem Geburtstagstdler der Casa Capponi schon Beispiele der Renaissancepaläste gegeben hatte? Grade den jungen Meistor, der von der Vollendung der Kapelle für Kardinal Branda Castiglione in S. demente herkam, mit dem Schaustück perspektivischer Darstellung in Untensicht an der Aufsenseite über dem Eingang, mochte das Problem reizen, mitten an der Langhauswand in einer gotischen Kirche wie S. M. Xovclla den täuschenden Einblick in eine anstofsende Kapelle her- vorzus^aubcrn, die das neu«- d<-in Mafsltab menschlicher Grösse viel entsprechendere Ideal V()r .Xu-^nn stelU*\ Vielleiclit L'"h<>rt auch noch ein Mittelglied hierher, das an jene Verkündigung in b. demente

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S. Niccoi-6 Oltr'arno S. M. Novella

sich dem (reLrfnst.üulo nach anschhcfst. um\ vielleicht oIh iism <lrr kiinst.leri;»clien Behandlung n;u Ii tlic Slflluiig einer weitertu Ant^.ili< bedeutet, die sich aus der soeben gewälten l.usunsr „sctt.» in su ' wir von sell).st ertfab. Ich meine die Verkündigung als 1 1 auptliild ciiui. Altares tur S. Niccolo ultr' Arno, dessen i »<\sebrcibung bei Vasari ebenso wie mehr oder minder freie Wiederhol uiii^ bei den näclisten N.LebtMlgcrn bezeugt, dafs es sich darin um dm l'.inljlick in eine Saulenh.iUo oder einen langen Saulcngani^ handelu-, und zwar in centraler Ansicht der Tit fenaxe folgend und in gewonter Bünen- höhe, wie es ein AUarsUu k mit nit driger Staffel forderte.

Dafs die Knlstehung dieses \ erschollenen Tafelbildes hier zeitlich eine passende Stelle fände, geht auch daraus hervor, dafs der Stil des Wandgemäldes in S. M. Novella bis auf die zuletzt hinzukommenen SHfterbildiiisse drausseti an der Sdiwelle des Heiligtums, mehr den Tafelbildern, wie den Predellen fiQr Pisa, dem Geburt&tagsteller in Berlin und der legende des hl. Nikolaus im Vatikan verwandt Ist, als den Wandgemälden^ Der Entwurf wenigstens mag soweit zurOckreichen; denn es wäre sonst schwer zu verstehen, wie der Maler nach der Geschichte vom Zollgroschen sich nun one Weiteres wieder in die Enge zu schicken gewufst hätte. Dazwischen liegende Tafelmalerei wOrde aber auch die beiden unteren Fresken der Altar- wand mit Almosenspende und Schattenheilung begreiflicher erklären, als das Dreifaltigkeitsiresko in S. M. Novella allein.

Die Hauptsache bleibt allerdings bei dem letzterem, und dies ist auch die Ursache des grolsen Unterschiedes von den sonstigen Wandgemälden Masaccios aus dieser Zeit, die Wiedergabe des Innenraumes und die vollständige Abhängigkeit der darin aufge- stellten Körper: Gottvaters, des Gekreuzigten, nebst Maria und Johannes, von der perspektivischen Konstruktion dieses sie alle um- fassenden Kapellenraumes. Nun kotmen die Gestalten keine andere Gröfse und IVciie lieanspruclien als die Gesamtökonomic auch den tcktonischen Gliedern des (iebäudes gestattet. Sie sind aufserdem vf^llig mit den tektonischen Korpern auf gleiche Stufe gestellt durch den pyramidalen Aufbau, der mit Hülfe eines eingestellten Altartisches und des Kreuzesstammes erreicht wird. Vasari preist die täuschende Verkürzung des Tonnengewölbes mit seinen Kassetten, das dies ?leiligtum befleckt; jedoch er sagt kein W«)rt über das C)i)fer, mit dmi dif'ser m< isi« rliafte Architekt nrprespekt erkauft ist. Aber ttian vcr- ^Iricho den ( liristus hier mit dem ( "hristus in Rom, Gottvater, Maria, Johannes mit den heroisi In n A]i'>slt'lii bei der Finchmg des Stritf^r

I^nd dl < h ist ebt-n der efnlr.ili>i( rt iide Autbau der Komposition in dem täuschend dargestellten Räume nicht eher möglich. Die

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Nikolaus- Legende, Rom, Vatikan

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Vorstuten lieg^en eben in der Kreuzii^unyf in Rom, in der linUiauptung dfs Johannes und der Kreuziguiii^ Pctri für Pisa, in der Taufe der Dr« -itausend an der ]• Cnstenvand ih r Brancaccikapi llo, und di(* gc- reilic Frucht dieser Krrungenschalt steht ebondort als „Petrus in Cathedra" mit seinen knieenden Vcrerern da. Ks ist wieder eine gei>chlossene Keilie, in die das Werk als Komposition mitten hinein gehört.

Und die Nachwirkuui,'^ der allseitig bedingten Enge auf die GestaUeu ist ja noch an den beiden unteren Fresken der Altarwand wo! zu spüren, wurtMid die Porträtrtguren um den ironenden Petrus sich in der Breite ihre^ Wurfes und der Leibhaft! vi; keit ihres Daseins nur an die Stifterbildnisse in S, Maria Novella befriedigend anreihen lassen, zumal wetui hier noch die ^Sagra del Carmine« als befreiender Genieftreich eingeschaltet wird, der den flotten Zug des Freskopinseis zurückgewinnen half.

Bei aller Bedingtheit bleibt das Dreifaltigkeitsbild in S. M. Novella eine wichtige Etappc nicht nur für den Meister selbst und seine Ausbildung des Monumentalstiles der Wandmalerei, sondern auch für die geschichtliche Entwicklung seiner Kunst Oberhaupt. Besonders sind es die Umbrer» als geborene Raumkflnstler gewesen, die diese Erbschaft angetreten: Piero dello Francesca und seine Schüler, Melozzo und Perugino, und auf den Schultern <^eser ganzen Reihe Rafael selber.

Die Nikolauslegende

Welchen Wert diese konsequente Einordnung der KOrper in den umgebenden Raum aber in echt malerischem Sinn erhalten kann, wenn dieser Raum nicht die feste Architektur selber ist, die plastisch greifbar auch ihren liewonem allzu nah auf den Leib rttdct, das zeigt ein andres beinahe gleichzeitiges Bildchen Masacdos zu Rom in ganz überraschender Weise. Es ist die stfirmische Meerfar^ bei der S. Nikolaus als Retter erscheinti auf jenem breiteren Mittelstück der Predella im Vatikan. Da ist das Verhältnis des Schiffes und seiner Insassen zu dem Ausfchnitt aus dem unbegrftnzten Ocean und Sturm- gewölk nur gefunden durch die hier angestellte Berechnung. Und so erscheinen diese Menschen allesamt in vollster, unbezweifelbarer Abhängigkeit von dem Walten der empörten Elemente um sie her. Die Weite nimmt sie auf in ihren Schofs, und die Naturgesetze gehen unerbittlich über sie hin: selbst der Heilige, der sie hindurchrettet, schwebt nur als Lichterscheinung, wie selber schwimmend hinter dem Segel drein, und zersprengt nicht fremdartig hereinbrechend

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Cappella Brancacci

den durchwaltenden Zusammenhang der Diiiyc, den uns der Maler in einheitlicher Ansrhauung .siclitbar macht. So ist aus dem starren Gebet/ des Architekten hier eine Eiitdrckuni^ des Malerischen ent- spr Uligen, die mitten in dea geläutigen Heiligcngeschichten nicht glücklicher sein kann.

Dafs aber tatsächlich die Legenden des hl. Nikolaus in di« S' n Zeitraum hinein zu stellen sind, das zeigt ausserdem die Uebereu»- stimmung des jugendlichen iieiligcn, d* r die ^^)lllonen Kugeln ins Haus des armen Maimcs wirft, mit dem Johannes unter dem Kreuz in S. AI. Xovella, und andrerseits der auferweckten SclKjlaren in ihren l'ässern mit den 1 äulhngen der Brancaccikapelle. W'eini wir nur wüfsten, dafs die Fragmente im Museo del rinascimento des X'atikan aus Florenz naca Rum gekommen seien, so würden wir daraufhin die Behauptung wagen, sie hätten zu der Verkündigung in S. Niccolo oltr'Arno gehört. Solange über ihre Herkunft nichts zu ermitteln ist, mufs der Nachweis der doppelten Beziehungen zu bestimnUen römischen und florentinischen Werken genügen.

Almosenspende und Schattenheilung

Die Fensterwand mit der Ambrosiuslegende in Rom und das Dreifaltigkeitsbild in S. M. Novella brauchen wir zur Erklärung, wenn wir nun vor die beiden unteren Fresken der Altarwand in der Brancaccikappelle treten. Diese ward eben, an der Schmalseite des oblongen Raumes dem Eingang gegenüber gelegen» vom schlanken gotischen Fenster durdischnitten, dessen lichtspendende Oeffhuog dem Besucher gegenober natürlich die Halbierung in der Mittelaxc für den ganzen Bilderkreis (ulbar machte. Die Disposition der vier schmalen Felder ist aus diesem Eindruck hervorgegangen und eine durchaus einheitlich gedachte. Sie umfasst die früher dem Masolino beigemessene Predigt des Petrus von vornherein ebenso notwendig mit, wie dies letzte Paar. Der Trennung durch das Fenster wirkt die Mafsname entgegen« dafis in dem oberen Paar von Gegenstücken. Predigt und Taufe, die Hauptperson der Handlung gleichmäfiug links aufgestellt ist, wärend sie dann im unteren Paar rechts angebracht wird. Die Hauptaxe der Raumentfaltung geht aber in beiden Paaren schräg auf die Mittelaxe des Fensters zu, d. h. in der Predigt und der Schattenheilung darunter auf der linken Hälfte der Wand von links nach rechts, in der Taufe und der Almosen spende darunter auf der rechten Hälfte der Wand von rechts nach links, d. h. von aufsen nach innen zu. Da nun aber die Richtung des Gesdiebens oder der Tätigkeit jedesmal von der Hauptperson ausgeht, so bat

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Almosenspende und Schatteniieilung

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die hervorgehobene Wal des Standortes für diesen Ikkkn, IVlrus, wieder eine Abwechslung- in der Symmetrio zur FoIkc, und zwar so, dafs sicli die Raumaxo und die Lrl)ensaxi' auf der rechten Seite, in der Taufe und der Alniosenspende durchkreuzen, wärend sie auf der linken Seite, in Fredigt und Schattenheihing- froilidi in dit^selbe Dias^njnaie fallen, aber in entgegeiigebct/t( r Richtung bei der Predigt, im gleichen Sinne bei der Schattenheilung verlaufen. IU I dem untern Paar, das dem Beschauer beim EintriU in die Kapelle neben dem Altar als Ziel hauptsächlich vor Augen steht, strömt Raumentfakuiig und Leben aus der Tiefe ihm entgegen. In der passiven Scene, wo Petrus nur vorübergeht, ist die Richtung identisch ; aber man kunnte sagen, die Ortsbewegung des Helden voll/.ieht sich vom Innern des Bildes nach aussen, die Blickban des Betrachters folgt dagegen der Häuserflucht, mit den aufgereihten Krüppeln davor, umgekert von aufsen nach innen. In der »dra- matischen« Scene dagegen, wo mitten im Vollzug der Geldverteilung der Zusammenstofs mit Ananias erfolgt und die innere Kausalität in dem Zusammenbrach des Schuldigen vor dem Apostel veranschaulicht werden soll, durchkreuzen sich die Axen in dem Mittellot, die das fibereckgestellte Haus so schneidend verkörpert.

So ist die ganze Wand einheitlich durchgearbeilcl in Rücksicht auf ihre besondere Stellung im ganzen Räume, und erinnert uns so durchaus an das Verfaren wolabgewogener Gegenüberstellung und gleichmäfsiger Entsprechung aHer Glieder, das wir sogar in der harmonischen Farbenverteilung beim Fresko in S M. Novella nach- gewiesen haben *), Dazu gehört aber auch die perspektivische Be- handlung der beiden unteren Bilder als Hälften einer Büne, die zu beiden Seiten des Altartisches dem Auge des eintretenden Betrachters möglichste Tiefenerweiterung vermitteln sollen. Er blickt hinein in die Stralsen der toskanischen Stadt, wo das Auftreten des Apostels gedacht wird. Und diese Häuserreihe links, diese Kreuzung von Gassen rechts treten eben deshalb als wichtiger Bestandteil in das Ganze der Bilder; sie nemen die Figuren entschiedener als sonst in die Verhältnisse der Räumlichkeit auf, und geben grade so den starken Eindruck von Ereignissen aus dem öffentlichen Leben der eigenen Zeit. Der perspektivischen Wirksamkeit zuliebe sind die Gestalten in ihren Mafsen zusammengeschrumpft, und zwar beson- ders die Hauptpersonen, die in der Tiefe stehend noch absichtlich stark verjüngt sind im Verhältnis zu den vordersten, um auch so den Schein der Entfernung zu unterstützen, one doch aus dem ge-

') Vgl. Buch II, S. 65.

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74 Cappella Brancacci

meinsaiiieii Mafsfstab des Cyklus ringsum hcraus/utallon. Das isi ein Experiment, das nicht tranz einwandfrei als gelungen bezeichnet werden darf, ein Bravour-^tück des Malers, das genau die Erfarung verwertet, die im b ri sko von S. M. Xovclla systematisch gewonnen wurde; nämlich die Abstufung der (ir()rsen Verhältnisse der Körper im Raum, vom Centrum im Innern bis zu den Knicenden vor der Schwelle des Heiligtums, die doch auch wieder gegen gemalte Architekturteile sich als Bestandteile des Bildes selbst abheben. Nach jenem berechneten tektonischen Aufbau der feierlichen Grruppc als Gegenstand der Andacht für die Beter, versucht er Mer jedoch die Freiheit aneinander vorbei gehender Reihen oder gar sich begegnen« der Ströme, die durch einen Zwischenfall ins Stocken geraten. Von Arbeit zu Arbeit vollzieht er den künen unaufhaltsamen Fortschritt, und bei der Kürze der Frist, mit der diese Werke aufeinander folgen Mt darf es nicht Wunder nemen, wenn die immer neuen und genialen Leistungen auch an einzelnen Stellen nidht völlig ausge» glichene Schwächen enthalten. Für den Gesamtmndnidc können sie kaum in Betracht kommen ; nur der Versuch, den Gang des Schaffens aufzudecken, darf auch diese Symptome nicht unbeachtet lassen. Bleibt doch die erreichte Weite des Schauplatzes und die lebendige Bewegung der Personen auf dem engen, für sie brauchbaren Aus- schnitt des schmalen Hochformates erstaunlidi genug.

Bei solcher Geschmeidigkeit des Künstlers, sich in die ört- lichen Möglichkeiten seiner jedesmaligen Bildfläche hineinzufinden und selbst ihre Mängel dem höheren Zweck der Gesamtwirkung dienstbar zu machen, ja in Vorzüge zu verwandeln, die seinem kflnst* lerischen Walten wie selbstverständlich entsprechen, bei solcher Wandelbarkeit der eignen Kräfte wird es begreiflich, wenn mit dem Schauplatz und dem Gegenstand, den er schildert, auch seine Geschöpfe selber, die Idealgestalten wie die Bildnisse, wechseln, fest jedesmal von andern Seiten ihres Wesens erfasst werden. Welche Metamorphose durchlebt hier allein sein Hauptheld, der Apostd Petrus neben seinem Begleiter Johannes, der auch ausserhalb dieser Kapelle mehrfach vorkommt. Wo er Almosen spendet ist er felsen*

' i Wrtiii di' l'( liL rlicferuHj» richtig ist. nach der Vasari den einen Kopf in der Schatte nheilunij als> liil'lnis des Masfiluio hc/.oichne t urni in seinem Hr)!z<chnitt lur Vila desselben abbildet; dann küaute das Hild erst nach der Kückkcr dieses Maiers am U»|:ani, also nach dem Kataslerbericht des Vaters f&r 1427 entatanden sein. NatArM wird der Namensvetter, der die Kapelle begannen, zu dea eifrigsleii Zuschaueni Im ihrer rüstig fortschreitenden Vollendun^^ <^' !iuit hoben. Die Aufnaine des P. rtiäts wiff der Pisif Wilik niniengruf^ !■ i 1?' i ^In. li< ri H<>imktinft ans der Fremde. Eben» wird sein Name bei den Künsiierbiidnissen der Sayra dcl Carmine aufgefüiU

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Almosenspende und Schattenheilung

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hart, so dafs die Kraft t]or Lüge an ihm /erscbcllt : wie er die Kechte ausltrec kt /um (ic ben und den Säckel in der l,inkc n luiIt, rurL sein FuTh au den wuchtijjf geformten Ananias, der wie ein gelallter Banm- btumpf /u Hoden gestürzt ist. Wo er durch seinen Schatten heilen soll im Vorheischreitcn, da g-eht sein Körper fast völlig auf in die Umgebung, \vei< Ii uml farbig in dem hellen Sonnenschein, der allerdings ein energisches Srhattendunkcl fordert und hervorruft. Nur die aufgereihten Kranken treten in starkem Relief hervur, warcnd gegenüber die her/ustrümcnden Bettler, von hinten oder von der Seite beleuchtet, alb massige Körper ihm entgegendrängen, aber auch er, an der Spitze seines (iefolges widerstandsfähig genug, wie ein Keil sich vorschiebt, den Andrang zu durchschneiden.

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V.

4*1 DER LETZTE STIL |4

Sowie die Rücksicht auf scheinbare Erweiterung des Kapellen- raumes hinter dem Altar auf diesen Bildern der Schlufswand alles erklärt, mit Ausname nur der Uchtförung, die durch das Fenster bedingt, so wirksam zur Veranschaulichung grade ^es^ Wunder- scenen mithelfen mufste, so wirft der Maler auch den Zwang aus> fUrlich dargestellter Architekturumgebung ab, um an der Seiten- wand, wo solche Absicht nicht vorlag» zur vollen Verkörperung der Gestalten um ihrer selbst willen und zur malerischen Breite und Freiheit des Pinsels zurflckzukeren.

Nur unser Erklärungsbedürfnis sucht nach einem Uebergang von dem untern Bilderpaar der Sdimalseite zu dem Längsftretfen links daneben, mit Petri Stulfeier und der Auferweckung des Knaben vor Theophilus in Antiochien. Uns will es immer wie ein allzu unglaublicher Sprung erscheinen, von der freiwillig gewälten Be- fangenheit der Gestaltung zu der gewaltigen Gröfse dieses letzten Meisterwerkes, das Masacdo unvollendet zurückgelassen und erst Filippino, grade hierin so ganz ins Gedränge geraten, vollendet hat.

Aber es dient nicht allein dazu, den Uebergang begreiflich«* zu machen, sondern auch den eigentümlichen Charakter der letzten Phase in der Entwicklung Masaccios zu verstehen, wenn wir her- vorheben, dafs eine letzte (jiruppe von Werken sich durch zwei Haupteigenschaften unterscheidet. Einmal ist es die voll plastische Rundung aller Dinge für einen nahen Standpunkt des Betrachters, d. h. die fast greifbare Verkörperung für die unmittelbare Nachbar- schaft der Tastregion, wie ein starkes Hochrelief, das keine selb- ständige Raumtiefe hinter sich duldet, sondern durch eine Gränz- tläche abschneidet, soweit es diesen Vordergrund vollauf für die Gc- staltun'4 Sf llier ausbeuten will. Dies grundsätzlich von allem l-rülieren verschiedene Vcrfaren können wir nur an diesem untern Streifen der iVrancaccikapelle aufw< isrn. Zweitens aber ist es, der (tc- situnini,'^ nach damit en<jf /usannnenhängend, die Kinfürung einor gn")lsL'ron Zal von Hildnisligureii, die Steigerung des Individuellen durch unmittelbares 1 lereinnemen der P< rsoiien aus seiner Gegen- wart, aus den Strassen von Morenz und dem Kloster del Carmine.

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Fresko im Chiostro del Carmine

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Diese EigcMisrhaft bereiti^t sich allmählich vor, untl die b<'id(Mi letzten Momente in der Brancaccikapelle teilen sie in höchstem (iradc nur mit einem andern Werke, das ebenso umfassend, aus Nichts be- stand als aus einem Konterfei der Wirklichkeit, lauter lAildnis- fitiureii im y.wge der Kirchweih auf dem Platz draussen vor drr Kirche del Carmine selber, aber nicht in nalürliclit ii Farben, son- dern als i Iii iroscuro Grün in Grüngrau gemalt , das verloren«? Fresko im Klosterhof.

La Sagra del Carmine

Die Tatsache, dafs in dieser Darstellung der Fostproccssion Bildnisreihen im Sinne des Tagesinteresses selber, bekannte Persdn- Ucfakeiten der Kflnsderwelt und der vomemen Gesellsdiaft von Florenz in ganz individueller Charakteristik gegeben waren, ist durch die Beschreibung von Vasari jedenfalls gesichert Der Griff ins volle Menschenleben, one Einkleidung in biblische Tracht oder unter dem Vorwand einer Heiligenlegende, ist die eine unbezweifelbare Seite dieser selbstgewälten Aufgabe, die zur Erholung zwischen an- gestrengten Arbeiten so bei Weg lang geleistet wurde, und zwar gewife auch der Billigkeit halber one reicheren Farbenaufwand nur monochrom. Und diese ausfcbUefsliche Bildnismalerei bedeutet damals doch einen so gewagten Versuch und ist fär Masaccio selbst im Grofsen etwas so Neues, da& es im florentinischen Kunstleben jener Jare volle Beachtung fordert. Die Tendenz zur Wiedergabe der Individuen aus eigner Nachbarschaft begegnete uns ja schon in dem frühesten Meisterwerk für Papst Martin V., aber eben verschleiert, bei der Uebertragung einer alten Wundergeschichte aus frühchrist- licher Zeit in die lebendige Gegenwart. Bei der Disputation Katha- rinas erschien der Stifter der Kapelle unter den Philosophen, die sich von ihr überzeugen lassen. Im Carmine hatte Masaccio am Pfeiler der Serragli- Kapelle einen florentinischen I3ürger als heiligen Paulus dargestellt, wie DonateUo den Poggio Bracciolini als Propheten am Dom. In der Brancaccikapelle treten jedoch wirkliche Bildnisfiguren im eigenen Zeitkostüm, nicht als Statisten wie schon in Rom, zuerst bei der Predigt des Petrus auf. Man wird in ihnen die Mitglieder der Familie Brancacei, an erster Stelle liititiT seinem Patron den Stifter der Malereien l'elice di i\li( in'le Ncrmuten, hesonilers weim der Maler mit ^^ »lliMKlung die??es Stückes TVlaul) nam, um seitu-ii römischen \'erj)flichtungen für K.inlinal Branda nachzukommen. Di»? Karmeliter, die diesen Stiflcrbildnisscn j^eijf< nührr stehen, sind eben- so sicher Porträts der Oberen des Klosters von damals. Beiderseits

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Darstellung von Individuen

schon h<jchst ansehnliche Leistunvion. (h'(^ den biblisch gcwandeten Hörorn des Aj>ostel.s Ijci aller I'.iiergie der Ausdrucksköpfe schon gefär- licheK(*!ikiirren/' mac hen und last gegen den Redner selber aiifbegeren.

Tn der herrlichen Jüngerschaar um Christus vermuten wir das nämliche Vertaren, das Masaccio bei der Einzelgestalt des Paulus und Donatcllo am Campanilc einschlug oder schon an Orsanmicliele geübt, das heifst bildnismäfsige Grundlagen für mehr als einen dieser Charakterköpfe. Vasari giebt den einen, in dem er den Apostel Thomas sieht, zugleich als Bildnis Masaccios selber. Das Bedenken, das gegen die Richtigkeit dieser Tradition vselleidit wegen des Alters erhoben werden könnte in dem neb der Künstler damals befand, hat bei dem nachgewiesenen Platz des Werkes im Leben seines Urhebers wol nicht die Zugkraft, deren es bedflrfite, um die positive Angabe Vasaris zu beseitigen; vor allen Dingen haben wir es aber gar nicht notwendig mit einem photographisch genauen Bildnis, sondern mit einer Selbstdarstellung als Apostd und Schutzpatron zu tun, bei der uns die Betonung der Reife und Geschlossenheit nicht befremden dOrfen« je weniger wir in diesem Fall das beliebte Idealisieren Andrer anzunemen vermögen.

Wirkliche Porträts dagegen, in der modischen Tracht, mit dem iN'eiten Capuccio unmittelbar neben dem barhäuptigen Petrus, er- scheinen dann wieder an der Altarwand oben bei der Taufe. Das sind gewife die beiden fibrigen Vettern des .Feiice Brancacd, die der Kinderlose schon 1422 zu Erben der Kapelle eingesetzt hatte ; denn den gleichen l'latz wie drüben bei der Predigt mochten wol diese Nächsten allein beanspruchen dürfen. Unten dagegen, in unmittel- barer Nähe des Altars selber wird man sich noch gescheut haben, die Einstellung zeitgenössischer Personen in die heiligen Geschichten zu wagen, wo sie jedem Andächtigen ins Auge fallen mufsten. Etwas ganz Anderes war ja die Darstellung der Stifter in solcher Andacht selbst, wie sie uns in den beiden herrlichen Bildnissen vor dem Dreifaltigkeitsbild«^ in S. M. Novella begei^nen Gewisse indivi- duelle Eipentiunlirlikeiten, die selbst die Maria im Bilde und den Jdhannes ihr s^egenübcr von den bisherigen Darstelluni^en dieser beiden lieiliijfen bei Masaccio unterscheiden, veranlassen auch hier, an die Verwertung bestimmter Modelle aus des Künstlers I ni- gebung zu denken, wie an seine eigne Mutter und seinen Bruder Giovanni, die damals mit ihm in blorenz zusammen wonen.

Als eine Genugtuung seiner besten Kraft aber erscheinen, nach

') Jakob Burckhardt, Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien, Basel 1898. S. l^^ wo ühri'j'-ns die erste Gn)|ipe der erbalienen Wandgemftide in der BraocMctkapene «iedcf dem MasoUno beigemessen wird.

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Bildnis in Mönchen

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der EinzwänsTfung' der Gestalten im Innonraum der darpff^stfllton Kapelle, nun vollends die beiden knicenden Stiftor draussen. In scharfem IVotil heben sich beide, der Mann hnks In Rut, die Frau rechts in Schwarz g^ckkidet, in freier malerischer Breite von der lu'llrosa und grau getonten Arcliitektur ab, auf schmalem Sims- streifcn knieend , unmittelbar vor dem Relief des tektnnischcn Grundes, in voller [)lastisrher Rundung. Es ist ein Par meister- licher Porträtfiücke in monumentalem Stil, das an Schärfe der Indivi- dualisienmg, wenn auch l icht an Ausfüriichkoit der Kleinkunst, sich durchaus dem Bildnis Jodocus Vydt und sinner Gattin Isa- bella Boerlut am Genter Altarvverk vergleichen darf Schon hier ist die volle \\ irkiichkeit in unmittelbarer Nähe, dicht an der Gränze unsrcr Tastre^ion, von der Malerei erobert.

Bei seiner Beschreihunpc der Sagra del Carmine hebt Vasari nicht allein hervor, dafs Masaccio die liürger von Florenz, die Künstler und die vornemen Herrn allesamt nach der XaLur kunterfeit habe, sondern erwäni auch zwei für sic h besiehende Porträtbiider, die er noch im Hause des Simone Corsi gesehen hatte. Es war das Bild- nis des Giovanni di Bicci de' Medici und des Bartolom meo Valori. Sie gelten seitdem für verschollen. Und doch darf diese Angabe des Biographen, die wie ein Beleg zur Identificierung der im Fresko dargestellten Personen eingestreut wird, wol nicht unverwertet bleiben gegenüber einem Porträt der Münchener Pinakothek, an dem die ererbte Benennung als Masacdo haftet, wärend die neueste Kritik verschiedene Namen späterer Maler vorgeschlagen hat, sei es Andrea del Castagno, sei es Alesso Baldovinetti Es ist ein bart- loser Mann, im Capuccio, dessen glattbezogener Ring, vorn firei sichtbar, auf der einen Seite durch das überfallende Tuchende in kurzen, abstehenden Falten bedeckt wird, dessen Ränder in der über beide Oren hängenden Länge des Hares im Kacken, mit ihren runden Windungen scharf gezeichnet sind, wärend auf der andern Seite der längere Tuchstreifen bis in das Elbogengelenk des rechten Armes hinunterläuft. Diese Kopfbedeckung verbirgt Scheitel und Stirn, Ober die auch die hereingekämmten Hare bis auf die Augen- brauen fallen und nur über der Nase einen Zwischenraum frei lassen. Der Blick der grofsen dunkeln Augen ist seitlich nach aussen ge- richtet, die Nase grad herabsteigend, kräftig entwickelt, beim Seiten- Itcht von links her durch starken Schatten hervorgehoben, wie die Backenknochen und die Kinnlade mit der leise eingefallenen Wange dazwischen ; der Mund ist scharf geschnitten, das Lippenpar ein wenig vorgeschoben und ebenso das Kinn lang und fest hervortretend.

*) Vgl. «uwre AMildvng »u diesem Helte.

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8o München» Pinakothek

Unter der ärmellosen mit grauem Pelz gefütterten Schaube. deren jedenfalls tiefsitzenden Gürte! wir nicht mehr sehen, kommen die silbergrau und violett mit oineni rcidirn Grrinatapfclmi:stcr ge- zeichneten Atlasärmel des Untertrcwandes hervor. De-r linke .\rni iles Mainies häni^t herunlt r, die rechte Hand ist erhcjbcn und les^t sicli h-icht g(>L;cn (1( II I.cih, am Armansatz und zwischen Daumen und Fin^rerrt ihr mit einem feinen w cilsen J uch umschlungen, das in einer Qiia5^to end:^ Di r ai)j,M'riel3enc und wieder restaurierte Zustand des (ienialfies läfst kaum noch ein TT^rteil über die Farbenwirkung dieser Halbligur auf dem neutralen grauen (Trundc zu, wenigstens nicht nne Vor- behalt im Einzelnen. Zwei ganz auffallende Eigenschaften bleiben :ndf*s auch bei Abzug der naturfarbigen Wiedergabe ganz unbehelligt be- stehen: die Modellierung durch Schatten und Licht und die Zeichnung in dem selben durchaus plastischen Sinne. Aus diesen beiden mit grofsartiger Einfac hheit gehandluibten Faktoren ergiebt sich .schon, dafs an Alesso Baldovinotti in'cht gedacht werden darf Er ist in der Zeichnung von spit/igf^r Schärfe, die neben dieser auf dio Haupt- sache gerichteten Behandlung kleinlich genannt werden darf £r ist dafür in den innern Gesichtsteilen viel ausfürlich<'r, will auf die Details nicht verzichten. Dies Bildnis nach dem Leben bat aber ein Maler geschaffen, der in der Freskotechnik den monumentalen Sinn ausgebildet hat und auch in kleineren Formen grofsflächig arbeitet. Darnach würde Andrea del Castagno gewifs eher in Frage kommen; aber die Forraensprache hat nicht ganz seine Derbheit und und etwas schwerfällige Wucht, und seine Karnation fallt mehr ins Grauliche, nicht selten mit einem Stich ins Olivenfarbene. Die Untensidit der runden FaltenrAnder» wie sie das abstehende Tudi- stOck des Capuccio rechts zeigt, hat auch er, wie seine Zeitgenossen, besonders Domenico Veneziano und auch wol Baldovinetti nodi Die Hand dieses Mannes aber zeigt eine Bildung, die weder «fie klobige Grösse bei Castagno, noch die scharfe Gliederung und krumme Fingerhaltung Baldovinettis erkennen läfst Ich behaupte, diese Hand ist, mit all ihren Schwächen, aber auch Vorzügen von Masaccio, und weise auf die gestreckten Beispiele an den Betern sowie die gebogenen bei Maria im Dreifattigkeitsbilde von S. Novella hin, denen sich übrigens in den letzten Fresken der Branc3cd> kapelle noch eine kleine Auswal anreihen Hesse, wie bei dem Täufling im Wafser, dem geheilten Krüppel neben Masolino in der Schattenheilung u. s w. Ausserdem stimmt die Behandlung der innern Gesichtsteile, der Augen, Nase, der Oberlippe mit der starken Betonung der Furche darüber, und die plastische Verwertung des festen Knochenbaues ganz mit der Art überein, die sich Masacdo

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Florenz, Ufkizien, PortrAtkopf

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in Rom erworben hatte. An einige KoptV- aus den Ict/it ii Arbeiten in San demente erinnert dies l>ildiiis '^nn/ auffallend. Die Hallung des Ganzen aber geht sehr we.l mit den iuiti-eriMhten Bildnistiguren zusammen, wie sie auf Cjiiirl.iudajoü Ski//.«- nach der Saijfra del Carmine ers(heinen, nur in umi^fekerter Richtung. Doch daraut kommt es nicht mehr an, da wir nicht wissen, wen das Porträt in München darstellt und ob dieselbe Persönlichkeit bei der Procession goLTonwärtig war. Genug, was an dem verdurbenen Gemälde der l ui.ikothek noch als zuverlässige Grundlage unseres l'rteils in An- spruch genommen werden darl, spricht für Masaccio, und was von der Malerei selbst nach Abzug alles Verdächtigen übrig bliebe, das widerspricht unserer Ansicht nicht, dals es ursprünglich eine diarakteristische I^stung dieses Meist^s, und zwar aus den letzten Jaren zwischen der untern Hälfte der Altarwand und dem grofsen Breitbilde daneben gewesen sein könne« und daPs der Name Maaacdo immer noch den meisten Anspruch habe dabei genannt zu werden.

Dagegen ist der Kopf des alten Mannes in den Ufiizien, den neuerdings Jakob Burckhardt als Vorstudie zu dem Pförtner auf der Sagra del Carmine zu erklären versucht hat» von mir schon frQher wegen der allzu sehr ins Einzelne gehenden Kleinarbeit im Gesicht und wegen des eigentümlichen hellen Freskotones, die der starken Kontraste entberen, mit denen Masaccio damals wirkte, vielmehr für Domenico Veneziano in Anspruch genommen worden, und ich vermag auch heute dem Vorschlag Burckhardts nicht zu folgen*}.

Ueber dieser einen Haupteigensdiaft des untergegangenen Wandgemäldes im Klosterliof des Carmine, die erste umfassende Darstellung zeitgenössischer Porträts gewesen zu sein, darf doch die andre nicht vergessen werden, die sich als erste Lösung eines schwierigen Problems der höchsten Anerkennung von eingeweihten Fachmännern der nächsten Jarhunderte, von Antonio Manetti bis Giorgio Vasari, zu erfreu«l gehabt hat. Das ist die Darstellung dieser Bildnisreihen in Procession auf dem Platz vor der Kirche del Car- mine. Dies perspektivische Problem verbindet die Sagra mit den beiden untern Bildern der Altarwand in der Kapelle und mit dem Frr-sko in S. M. Novella, die allesamt vorausgegangen sein inulsten, bevor das geschilderte Wagnis in Angriti geni>mmen werden konnte. Damit ist die Entstehung dieses IVavourstOckes realistischer Raum- kunst ganz sicher eingeordnet in die Kcihe der verwandten Arbeiten,

Vgl. Jak. Bttrdtbardt, a. ». O. 75- Ob nach Vasaris Bcschreiboag d«r Fra Gttavdiano mit dem Schliirscl der Pforte in der Hand nidit viel i v iir dem Gcßiri};nis- wftrter des Johannes von Maxnlino in Castigliooe verwandt, d. b. aJs dessen Vorbild zu denken sei, mag dahingestellt bleiben.

Scbmartow, Hasaccio-Studien V. 6

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SaGRA DEL CaRMINE

die uns erhalten sind, und an eine frühere Entstehung, kurz nach der 1422 geschehenen Weihe selbst, garnicht mehr zu denken.

Wol aber orhebt sich nun eine andre Fracje : haben wir uns die perspekti\ ische Darstellung des Platzes in centraler Konstruktion zu denken, wie der Einblick in die Renaissancekapelle in S. M. Novella gcgel)en ist, also /ui^teich eine verbesserte Auflage desPlat?'^« etwa, der das r)op|>elbild mit der Heilung des Lahmen und der F.r- weckung Tabilhas verbinden soll zu einem Gesamtbilde Dann hätten wir fliese Sagra noch zu der Klasse der Bünenprospcktc mit überwiegender Tiefejientfaltung zu rechnen und der Darstellung des Innenraumes in S. M. Novella anzureihen. Oder aber, war die Darstellung des Platzes doch nur ein Ausfchnitt, eine Seite desscil c n. wie die Hauserducht in der SclKittcnheilung, ja noch mehr als gkich- mälsiger Hintergrund in nicht allzu weitem Abstand hinter dem Gestaltenzug gegeben, wir- die Arcliilt kturteile auf dem letzten Breitbilde mit der Stuheier Petri und der Wiederbringung des Fürstensones vor dem IMounal des Theophilus Dann gehörte diese Sagra doch vorwiegend zu der Klasse friesartiger Reliefbilder, in denen das plastische Interesse für volhrunde Verkörperung der Gestalten immer die Hauptsache blieb.

Die Entscheidung dieser Frage hängt gewifs wesentlich von dem Orte des Wandgemäldes ab. Die centrale Konstruktion würde nach den bisherigen Erfarungen und Entscheidungen des Meisters selbst nur dann zulässig gewesen sein, wenn fflr den stillstehendeo Betrachter ein fester Standort dem Bilde gegenüber angenommen werden konnte. Mufete dagegen mit dem durchwandelnden Be- tracliter gerechnet werden, der den Klostergang absdiritt, so da& sich das Wandgemälde neben ihm an der Mauer und zwar wie Richa angiebt, der Kirchenmauer befand, dann war nur «oe firiesartlge Reliefenschauung möglich, deren Gruppen oder Abschnitte successiv erfasst werden. Alle Nachrichten scheinen vielfech fSUr das Letztere zu sprechen. Der Pförtner am Tor selbst war also eine perspektivische Ueberraschung, fast ein Vexierbild, wie noch spSt ein Paolo Veronese sie gemalt (um von geringem Virtuosen la schweigen), das dem Eintretenden an dem Eingang des Konventes drinnen begegfnete, wie er die ganze Procession die sich in die Kirche, d. h. durch das Seitentor gegen den Klosterhof zu in das Innere des Gotteshauses begab, eingelafsen und hinter ihr abscUofe Dann gieng man, von der Strafse ins Kloster tretend, im Kreuzgan^ neben dem Zuge dieser Porträtgestalten her, oder kam ihnen, ans der Kirche in den Hof tretend, entgegen, beides doppelt wirksam durch die eigene Ortsbewegung. Für diese Anname würde aodi

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Cappella Brancacci

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die Skizze von Domenico ( ihirlandajo zeugen, wenn die links oben angedeutete Ralustorreihe /u r I lauserarchiieklur dos Hintergrundes gehörte, was nicht klar erkennbar wird').

Gegen diese Anname spricht jedoch auch Manches in der Be- schreibung Vasaris, besonders dafs er von der richtigen Ilinstcllung der Figuren auf der Platzebene so viel Aufhebens madit. Diese Leistung würde doch nur bei einer gewissen Weite der Ueberschau von solchem Belang sein; bei der Beschränkung auf einen geringem Abstand von der Häuserreihe wOrde dagegen die plastische Aus^ einandersetzung der Körper -den wichtigsten Erfolg bedeutet und das Hauptlob gefordert haben.

leider ist das Skizzenblatt Ghirlandajos in den Uffizten, das allein als Urkunde angerufen werden könnte» besonders unten zu stark beschnitten, so dafe es über die Br^te des Bodenstreifens vor den Füfsen der Personen nichts mehr auszusagen vermag.

Den entscheidenden Schritt zu dem mächtigen Hochreliefttil bezeugt unter den erhaltenen Werken Masaccios jedenfalls nur der untere Wandstreifen in der Brancaccikapelle mit der Erweckung des Knaben und der Stulfeier Petri, die übrigens in umgekerter Reihenfolge, d. h. von der Altarseite ausgehend und dann vom andern Ende entgegenkommend gemalt und grade in der Mitte un^ verbunden stehen geblieben sind.

Das letzte unvollendete Wandgemälde

Die perspektivische Raumdarstcllung in centraler Konstruktion für die j^Mn/e Wandbreitc ist auch hier die (irundkige des einheit- lichen Aufbaues als Gesamtbild geblieben ; aber die Tiefenentfaltung in der Mitte wird 'von vorn herein ausgeschlossen, der Schauplatz der Handlung in solcher Nähe des Betrachters durch eine querge- zogene Gartenmauer nach hinten zu beschränkt, wenigstens in der ganzen Höhe, die die Figuren selbst für sich beanspruchen. Darüber eröffnet sich der freie Ausblick flb^ die Bäumchen des Gartens hin in die Luft des Himmels draufsen. Das Auge des Besuchers aber wird auf die beiden Enden des Bildstreifens hingedrängt, deren eines ihm beim Eintritt in die Kapelle zunächst entgegentritt, Wärend das andre beim Vordringen gegen den Altar zum Sammel- punkt wird. Links entzog sich gar für den Standort des Andäch- tigen am Gittertor, durch den einspringenden Pfeiler des Eingangs- bogens verdeckt, ein StOck der Bildfläche, wie droben die Scene des Fischfangs; hier wird also ein Gebäude als Abschlufs aufgeftlrt, das

1) Vg). Buch II p. 52. Abbildung II, 8.

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Petrus in Cathedra

nur auf dem sclinialon Vordergrund noch zur Aufstellung" minder boleiligter Zuschauer Platz g^owärte, die i^leich dem liesuchcr selbst neugi^ricf an diis Kreiguis im Palaslhoi" herantreten, das vor dem Tribunal des Fürsten an der Schmalseite dieses (lebäudes geschieht, hinter dem sich, erst jenseits der langen Gartenmaurr. die fürstliche Wonung in nit hreren Stockwerken forLsetzt. Am andern Knde da- gegen erl)li( ken wir ebenso die Sehmalseite einer Kirelu\ nach dem Innern des P-ildrs L:* kert, und einen Teil der anstofsenden Lang- seite vorn, parallel zur Grundlinie verlautend, mit dem J'ron für Petrus unter einem Pultdach. Die Einheit des Schauplatzes, dessen Augenpunkt in die Kopfreihe der stehenden Tigurcn fallt, ist ge- wart, wie die Einheit und Selbständigkeit der Kapellenwand in dem wirklich vorhandenen Räume sich behauptet, mag auch das mensi:faliche Subjekt darinnen sich selbst bewegen oder seine Augen hierhin und dorthin wandern lassen nach Belieben. Der endgiltigc Standpunkt im Innern der Kapelle ist aber in der Nähe des Altars; das wird auch hier fülbar, wie im obem Streifen. Wie dort Petrus und der Zöllner am Tor von Kapernaum fest und körperlich nah h^vortreten, so hier die Vererung des Petras als Bischof von Antiochien ganz von vorn gesehen, in pyramidalem Aufbau, wie ein feierliches Altarbild in ruhiger Beharrung und bleibender Be- deutung. Gegen den Eingang zu aber erweitert «ch die Scene und gewinnt vor dem Fürstentribunal, das in sdiräger VerkOrzung, also viel bedingter als die Cathedra gezeigt wird, die Geräumigkeit eines Hofes als Stätte des Gerichts.

Als reife Frucht der strengen Koncentration im Dreifaltigkeits* bilde von S. M. Novella und der wiedergewonnenen malerischen Freiheit nach der Sagra del Carmine erscheint die Verherrlichung des Apostels; denn sie vereinigt den architektonischen Aufbau der symbolischen Ceremonic von bleibender Bedeutung und den weichen, doch kraftvollen Vortrag in vollen Farben und wirksamer Beleuch- tung, den die Almosenspende und Schattenheilung wie die Stifter- porträts in S. M. Novella schon erreicht hatten, mit einer Breite und Klarheit des Vortrages, wie sie seit dem früheren Stadium in der Geschichte des Zinsgroschens noch nicht wieder geglückt war. Die Vorzüge der Komposition in radialer Anordnung der Verercr um den tronenden Apostel, der durch seine eigne Haltung die An- daeht Aller auf das Ziel droben am IVon des liöehsten riehtet. s;iu1 an ihrer Stelle herv »r:;' h< »i)(»n '). Graiie hier haben die nachfolgenden Künstler für die Auffassung sub specie aeterni, von i^iero della iTaii-

<J Buch II S. 46. Abbildung II, 7.

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Erweckung des Fürstensones

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cesca bis Rafael zumal, ausserordentlich viel g^clernt. Wer aber heute vnn später entstandenen Schäden im Zustande des Ganzen ab/us( hon weifs. der wird in diesom "Wandt^emälde eine Vollkommen- heit der farbitjcn HchamlliniL;. eine harmonische Auscfeglichenheit der Mtidellicruiig des Meisches und der Stoffmassen, einen Reiz der iklldunkel-Konlrasio zurückfinden, an die wir erst Rafaels iMesf?e von Bolsena oder Andrea del Sartos Madonna del Sacco ann ilit n möchten. Die Scone und die Stelle waren ja auch die wichtigsten mit im ^aii/,en Kapellensc hmuck und hätten nur in der Kreuzig"unj^ des Apostels gegenüber ein eberiliurliires Soitenstück erhalten können. So begreift sich, dafs der Meister alle Kraft zusammeanam, den Schutzpatron des Heiligtums im Kreise lauter zeitgenössischer Ver- erer, der Stittcrfamilie Brancacci und der GoistUchen des Carniinc zu verherrlichen, wie er es irgend vermf^chtt .

Die andre Scene vorn am Eingang hat dagegen nur vorbe- reitende Bedeutung und einen mehr transitorischen Charakter, last wie die Predella zum Altarstück. Es ist» neben dem Andachtsbild am Ende, ein echtes Historienbild, das sogar ein dramatisches Proces- sieren zweier Mächte vorfürt Der geordnete Ablauf des Gerichtes, an den die Schranken des Palasthofes vor dem Tribunal des Fürsten sonst gewönt sind, wird hier durch ein Wunder gestört, und durch die Uebermacht eines Gegenpols vollends umgedreht. Sonst nämlich ist an dieser Stätte der Fürst, mit seinen Räten zur Seite, der selbst- verständliche Höbepunkt, und die Mittelaxe durch den Hofraum vor ihm hin auch die Richtungsaxe für die Macht seines Willens. Nun aber wird Petrus, mit dem sich Paulus knieend im Gebet vereinigt, als Träger einer hohem Kraft, auf einmal zum Herrn der Situation und der tronende Herrsdier auf ein untätiges Ueber-sich-ergehen- lassen eingeschränkt. Eben diese gespannte Sadilage ist meisterlich durch die Mittel der . Raumkunst veranschaulicht. Durch den mi- mischen Ausdruck der Gestalten in ihrer vom Richter abgekertcn Gruppierung steigert sich dann diese Krisis zu einer so peinlich scharfen Spitze, dafs wir in ihr das schon Gescliehcne noch als Ge- schehendes zu erleben glauben. Schon erhebt sich der lebendig ge- wordene (von FiJippino Lippi gemalte) Knabe neben dem Häuflein Knochen, das man dem Apostel gebracht, damit er nach vierzen Jaren den Toten wieder erwecke. Aber der Kürst ist so sehr von der Unmöglichkeit seines Ansinnens durchdrungen, dass er allein nicht gcwar w ird, was l 'ctrus durch sein persönliches iVuftreten vom Allmächtigen droben erwirkt

An dieser Stelle tritt wieder die renlral< Kompositionsweise in ihr Recht. Um die (jcbeine des Knaben auf dem 1-innentuch

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Cappella Brancacci

baut sich koncentrisrh die (Iruppe des Gegenpols aut : l'i trus stehend und Paulus knieend im innersten Krrisp; die Richt<T am Iribuiial und vollends Throphilus scllier i:^rrat('n in die aiis>st?rste Peripln-rie. Ks ist finr überirdische ( u-walt, der unsiclitl)an' l iött, den diese A})i'.siel verkütuien. die Ursa<~h<' des unerwarteten UmschwuiT^s, dessen sieht- barer Verhiul den tronenden I lerrseher in diesem Augenblick matt set/.l.

So giebt der echte Künstler die poetische Fabol seinor Dar- stellungen, mit und unter der räumlich-körperlichen Anschauung selbst. Im menunienlalen Schaffen der Wandmalerei kommt es gradi^ darauf an, dals er die Geheimniss«' der Architektur, kraft deren sie als ic^unilich körperliche Kunst die kosmischen Gesetze der Krdcn- welt handhabt, in innigstem liinAerständnis selber besitzt und ihre unfelbare, wenn auch häufig nicht zum klaren Bcwufstsein dringende Wirkung weiter füre in der gemalten Welt, die für das Auge allein be- stehen mag, aber im Verein mit dem wirklichen Raum doch unversehens Macht gewinnt Über den ganzen Menschen darin und sein leibhaft ig^es Körpergefüi. das die nämlichen Gesetze als die eigenen anerkennt.

Den dargestellten Körpern zuliebe umzieht der Meister diese lebendig bewegte Gruppe und ihre eng gedrängte Corona von Zu- schauern mit dem Ntschenaufbau des Tribunals und dem marmornen farbig getäfelten Gewände des Crerichtshofes so nah, dafs es der ganzen siegreichen Kraft seiner plastisch modellierenden Malerei und seiner IJcht und Luft zwischen die Körper hinleitenden Ver- wertung der wirklichen Ltditzuiur bedarf, um in dem schmalen Büncnstreifen noch Raum fiir Alle zu ertäuscfaen. Eben deshalb fängt er mit diesen gemalten Wänden, wie an der Palastfiront jen- seits, das rechtsher einfallende Tageslicht auf und läfst es im kräftigen Reflex, wie wenn die Sonne im Westen steht, zurückstralen über die erregften, gespannten Gesichter all dieser vollkräftigen Indh iduen, deren mannichfach in küner Verkürzung entwickelten Köpfe durch ihre starre unerbittliche Nähe dem Auge des Betrachters selbst eine unablässige Anspannung zumuten. Unzweifelhaft ist es grade diese Wirkung, das plastische Problem, das der Maler absichtlich bis zum Aeufserften verfolgt. Bis zu welchem Grade der Ueberlegenheit er hierin, sogar einer folgenden Generation voran, durchgedrungen war, das lert uns am immittclbarsten ein Blick auf die benachbarten Köpfe des Filippino l.ippi, die dach, lieht. irm und trül)e erscheinen, neben seinen vollrunden, zuweilen etwas vierkantig kubischen Ge- bilden, deren jedes s. ju n Platz behauptet und mit blutwarmem Leben wie mit fester Masse tüUt

') T^M-ott^ Detailabbildiing des Thcuphilus mi( srirn -n Bci'^itzcrn lässt in l- r oHern Reibe be!K>ndcr!> deutlich die Nähte der Fre»koarbeit um den mitüero Kopf erkeooeo.

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Letztes Wandgemälde

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Da^» i4('ii soll nicht verschwiegen werden, dals eben mit ilicsor plastischen iilusion auch eine Gcfar für die malerische Wirkuni»' des ( i( samtbildes erwuchs. Die leidenschaftliche, fast uncrsSttlit h i^radc damals sich steii^criule Lust am schroffsten Individualismus, eias unmiuelbaro Hcreinneiiifn der jt^anzen Personen aus dem eigenen Kreise /u Floren/ mit seinem Reichtum rücksichtsloser Charaktere, die unduldsam um sich griffen und nicht selten das allgeaicine Wol gefärdetcn, geschweige denn unter sich auf Leben und Tod in Ledo lagen, das Eindringen dieses vollen Stromes der Wirklichkeit vermochte auch die besten Errungenschaften der soeben vollendeten Arbeit wieder in Frage zu stellen. Solch ein Drang ist es unver- kennbar, der im unvollendeten StQck noch keinen Ausgleich ge- funden hat, dodi dürfen wir eben des unfertigen Bestandes wegen nicht mit voller Sicherheit urteilen. ' Dennoch trägt dies Fragment den Stempel relativer Bedeutung, kennzeichnet sich als den An&ng eines Neuen, das die Frage, ja den Zweifel hervorruft, was aus dem weitern Verfolge dieses Weges sich für Masaccio selbst ergfeben hätte.

Ein Blick auf »Petrus in Cathedra« läfst über die malerischen Vorzflge dieses zuerst vollendeten Teiles keinen Zweifel; aber ein Blick auf die lange Reihe fortschreitender Leistungen, die der sechsundzwan/igjärige Meister damals bereits aufzuweisen hatte, berechtigt auch zu der Ueberzeugung, dass diese willensftarke, ziel- bewußte Künstlernatur auch die gröfsten Schwierigkeiten überwältigt hätte, one die idealen Aufgaben, die er stets hoch gehalten, zu ver- gessen oder nur zu kurz kommen zu lassen. In so knapper Frist, wie sie ftür die Entstdiung dieser Hauptwerke fest steht, konnten ja unmöglich alle Seiten der Kunst des Malers gleichmäßig aus- gebildet werden und gleichen Schrittes mit einander fortschreiten.

Die rückhaltlose Hingebung an das Individuelle hat zunächst natürlich das Zurücktreten und Verschwinden aller tjrpischen Wieder- holung zur Folge. Wenn schon vorher bei so auffallendem Bdspiel, wie seinem Haupthelden Petrus und dessen nächstem Gefärten eine Wandelbarkeit der persönlichen Erscheinung beobachtet wurde, bei der von einem festen Idealtjrpus ftir die Apostel nicht mehr geredet werden kann, so ist das nun erst recht der Fall. Sowie das plastische Problem als solches die Oberhand gewinnt, bemerken wir als Grund- lage des Verfarens für die Wiedergabe der Köpfe die Errungen- schaften seiner römischen Studien nach antiker Skulptur, die Betonung der plastisch wirksamen Formen und des fixten Schädelbaues, die

dessen ascbgratiP Färbung mit denen Filipptno-: tihpn iiisiiiuii.t Am Ratnca des WADd« geläfels wt beim Hinterkopf des Nachbars ein Feier stehen geblieben.

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Letztes Bkuchstücic

entscheidende Rollo des Kinnes nicht nur sondern auch der ge- schwellten oder etwas geöffnetti n J^ippen, Wo es gilt, e ine Reihe von Ausdrucksstadien neben einander zu cfebon, da verw crtei er wol ungescheut das nämlirhp Urbild in verschieden! r Haltung und wandelt es nur in .Mler, liartracht, Bartwuchs und Farbe, Sf- \\<ni um. (lals es wie ein neues Tndividium erscheint. Denn eine gefarliche Klippe der modernen M< 'dellmalerei liegt ihm ganz fern, schon wegen der praktischen Bediiigungi'U der hreskutechnik, geschweige denn bei seiner durchdachten Kom|)osiiion : das Kojtiereii ieil' S einzelnen Stückes in der besonderen Stellung und Beleuchtung nach einem wirklichen Substrat. Und wieder ist die Kürze der Frist, die für vorbereitende Studien in Anschlag gebracht werden kann, das unbezweifelbare Zeugnis für die geniale Treffsicherheit, die der Maler wärend dieser letzten Jare seines I.ebeus besessefi haben muls.

Aus diesem Eindruck zumeist erklart sich jenes Urteil der Zeitgenossen; »Masaccio war ein vor/ügli(her Xachamer der Natur, voll plastischer Durclibildinig , ein Meister der Komf» 'siti< m, universell und rein one Ziurwerk ; denn er ergab sich ;^aiiz der Darstellung des Waren und der plastischen Erscheinung der (ie- stalten. Er beherrschte die Perspektive wie irgend Einer seiner Zeit und besafs eine grofse Leichtigkeit des Schaffens, da er doch noch sehr jung war, indem er mit sechsundzwanzig Jarcn starb. c

Mitten in der Ausförung des letzten erhaltenen Wandgemäldes mu(s ihn eine besondere Veranlassung zum Aufbruch nach Rom verlockt haben. Vielleicht war es der Auftrag, im Dienste des Papstes die Fresken in S. Giovanni in Laterano weiter zu füren, über denen Gentlle da Fabriano soeben weggestorben war. Möglich, dafs auch die Beschäftigung mit den Entwürfen flQr den gegenüber- liegenden Wandstreifen mit dem Abschlufs der Petnislegendc, Verhör und Kreuzigung, die ja in Rom pichen, die Lust gesteigert ooch einmal an den Stätten zu verweilen, die er schildern wollte, oder die Darstellungen im Vorhof der alten Petersbasilika zu befragen, nachdem er seinen ersten Entwurf für das Martyrium auf der Predella des Altars in Pisa verausgabt hatte. Grenug, Masaccio ist nach Rom gegangen und dort vom unerwartet firühen Tod ereilt. »Abbtamo fatto una gran pcrdita!« seufzte Brunellesco als ihn die Nachricht traf, und wiederholte vor allen Florentinern, die er sah, in tiefem Schmerze nur das eine Wort: wir haben viel mit ihm verloren!

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FORTSCHRITTE DER WANDMALEREI IN TOSKANA VON GIOTTO BIS MASACCIO |^

Eine (icschichtc der italienischen Malerei im Trecento gcliört noch /.u den ungeschriebenen liüchern, Obwol die Litteratur über diesen degenstand schon reit hlieh angewachsen und Manches unter solchem Titel gedruckt worden ist, dals die Erwartung das Ziel er- reicht zu sehen berechtigt schien, so bedürfen wir doch einer durch- greifenden, im heutigen Sinn der Wifsenschaft belHedigenden Ld- stung noch immer. Die alte Auffassung von einer Giotto-Schule, die das ganze Jarhundert hindurch bis an den Anfiuig der Renais- sance gedauert haben soll, hält sich ungebOrlich lange im Vorder- grund. Die systematische Darstellung dieser Kunst in Jakob Burck- hardts Cicerone, an sich so dankenswert wie nur möghch, behindert das Aufkommen der Frage nach der genetischen Erklärung und befestigt die Vorstellung, als hätte ein Stillstand durch Menschen- alter hin stattgefunden. Die Aenderungen seiner Bearbeiter, die sonst den Charakter des herrlichen Buches one Bedenken durch- brochen haben, beschränken sich hier darauf, die Ergebnisse unserer Forschung in einem Verzeichnis der Werke zusammenzutragen, das mittlerweile zu FQfsen des Textes ein Antipodenreich historischer Daten vorltellt, deren chronologische Folge die systematische Zu- sammenfassung wieder aufhebt So wäre es längst an der Zeit, jener Charakteristik der durchgehenden Hauptzüge, die ftlr sich zu voUem Rechte bestehen kann, die mindestens gleichberechtigte Frage nach dem Fortschritt der Malerei wärend des Trecento gegenüber zu stellen, und, statt nach der Schultradition, nach einer Entwick- lungsgeschichte im eigentiich kunsthistorischen Sinne zu verlangen, die das Neue hervorhebt, wo es sich regen mag.

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Kritische Erwägungen

Dem Bejj;riflF einer Giottoschulc mit fest überlieferter Kunsi- lere wirkt jii seiir bald die Ausbreitung über Florenz hinaus oni- ^egen und fürt zur Anname verschiedener Filialen von provinziell sehr abweichender Hosondrrheit. Schon die Nachbarinnen in I\)s- kana haben anssordmi cim^ selbständige, vnn (liotto unabhan'j'ge Herkunft iut/iu\ < is« tj, die von df'r Uebertragung der di «tto-lvunst. wefin ilicse uljerliaupt statti^ffnndfn, jrdenfalls unterschieden werden nius>. Die Srluih' von Sicna ist langst, die von Pisa vielleii ht auch tu ui t(linij;s. als besonderer Charakter von eigener l^edeuluiiLf v.rit?r- kannt ; \ ( uedig und Mailand mit Padua und X t roud dazwischen, die Marken und Unibrien. ja selbst Neai>el, dürften bei genauer Be- trachtung einen änlichen Anspruch crlit heii. Schon damit wird die lokalpatri« ^isrliu Tendenz Vasaris. dass .illcs Heil aus der Amostadt stammen nuUs, vor der histunsclien Erkenntnis in die Bruche g<-hen. Und es Ware überliaupl kein Wort darüljer zu verlieren, wenn die Ans( liauungen, zu (Imt-n tlie (Jnattr<>( entol'orschung jjefürt hat nach dieser Seite wenigsLcns k<:insccjuent auf die Pehandluns^ des Trecento angewandt würden. Dann wäre die Durcheinantlerwüriclung von Künstlern aus ganz verschiedener Gegend, wie sie bei Crowe und C'avalcaselle noch lassig genug vorkommt, bis auf besondere Ausnamen unstatthaft und drängte überall zur Klärung nach geo- graphischen und damit kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten. In- desSt damit erwächst wieder eine andre Grefar, dass nämlich der Zusammenhang der durchgehenden Entwicklung, der im Mittelalter unstreitig gröfser ist, verloren gehe, und dass andrerseits durch Zu- rückfürung auf allgemeine geschichtliche Faktoren die Betraditung der eigentlich kQnstlerischen Dinge, d. h. die Geschichte der Kunst als solche verzettelt werde. Bei einer katalog- artigen Aufreihuog von Werken mit einigen Lebensdaten dazwischen wie bei Crowe- Cavalcaselle kann das Hauptanliegen des Kunsthistorikers nicht zu seinem Rechte kommen, zumal wenn in der Aufdnanderfolge der Künstler und Schulen die Disposition des Ganzen verfeit wird wie hier. Wo z. B. Spinello Aretino nach Masolino und Masaccio folgt statt ihnen voranzugehen, wie es auch Lorenzo Monaco sollte; wo zwischen der echt ilorentinischen und den fremden, in Florenz sich später durchkreuzenden Strömungen nicht unterschieden wird, da dürfte auch eine Geschichte der künstlerischen Probleme nicbt gedeihen.

Solche Unzulänglicheiten in dem grundlegenden Hauptwerk die bei der Fülle des Materiales, das erst zusammengetragen tuid kritisch gesichtet werden mufste, nur allzu erklärbar sind, und sdcbe Halbheiten der Organisation des Stoffes, die erst bei öfterem An-

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Kritische Erwägungen

lauf zusammenfassender Darstellung klar zu werden pflegen, ver- schwinden allmählich von selbst vor dem energisch wachsenden historischen liewufstsein in unserer wissenschaftlichen Schulung, (icfilrlicher jedoch ist die unkritische ITebortrnjTfung von iki^riifen der yuattrocentn-Forschunpf auf die vorangehende Periode und die Auffassung des Trecento lediv;lii h als Vorbereitunj^»^ der Renaissance, womöglich g-ar als IVotorenaiss.uK e. wie sie sich .lus selcht r Unklarheit gefülsfehweli^rorischer Schrittsteller crgiebt. Der Versuch, die Kunst seit Giutto nur als wesensg-leiche Vorstufe der R( uailsance darzu- stellen, veruntreut den Kern der künstlerischen Diui^e und damit die intimste Urkunde des l'uterschied( s niittelaltt rru hen Geistes- lebens von dem der Foltrezeit, die nicht auv^x tastet werden sollte. M.Mi vcr\v(Hhiselt dabei den starken Natursinn der Ouattrocentisten niiL (.1er alimählich sich verschiebenden Neii^un^ dazu, die sieh im Verlauf des .vierzeiiten Jarhunderts beubachten läfst, und verwechselt dies sogenannte Naturgefül der Trecentisten wieder mit einer schein- bar änliclien Anwandlung des Poeten S. Franciscus von Afsisi. Ja noch mehr» es Ut eigentlich darauf abgesehen» von den poetisdien Beziehungen, die der heilige Franz in seinen lyrischen Ergüssen zwischen sich und seiner Naturumgebung kraft der Phantasie an- spinnt, eine Brücke zu schlagen zu der vollen Natumachamung der RenaissancekOnstier, die auf wirklichkeitsgetreue Wiedergabe der sinnlichen Erscheinung erpicht waren. Das ist denn dodh nichts Anderes als eine sehr verschwimmende Analogie, eine in allen Farben schillernde Regenbogenbrücke, auf die dch kein fester Bund begründen läTst. Ueber solchem romantischen Zauber, der vielleicht unbewuist, aber desto verf&rerischer einer weitem Geschichtsfälschung in die Hände arbeitet, wird jedenfalls eine wertvolle Erkenntnis preisgegeben, dals wir in den Tagen Giottos wie in denen des Franciscus das volle Mittelalter vor uns haben, und damit wird auch die Grundlage fhr unsere Erklärung verscherzt, wenn es nachher gilt, das Einsetzen einer neuen Entwicklungsreihe zu verstehen und die Keime einer anders gearteten Sinnesweise aufzudecken, wie es die Renaissance, als Wiedergeburt des natürlichen Menschen in alle seine Rechte, denn doch war und bleiben mufs. Damit wird endlich auch eine klare Auseinandersetzung zwischen dem Erbteil des Mittelalters und dem neuen, dem klassischen Altertum walverwandten, Geist unmög- lich gemacht, die wir beide grade auch das Mittelalter!'} als notwendige Faktoren des Quattrocento betrachten.

*) Vgl. Schmarsüw, Baruck und Rokoko (B«itrt^ «tr A«stbetik der bildenden KttBste II) Leipsifi 1897, S. 37 if.

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Rumänischer Stil

D('(h genutf der V'orbonicrkungon all^omeiticr Art für eine „Gt'stlii<:hte des Tretcnto", die hier bei delegenheit einzelner Ma- sac:ci(j-Studicn zu geben doch weder Raum noch recht der Ort wäre. Bei dem heutigen Stand der Forschung können mir cini^'c Winke hingeworfen w orden, die auf Grund persönlicher h rtarungeii von Belang srheiiicii und vor allen Dingen auf die Knlwirklungs- gescliichte der kunsllerisclien Fnihleme im Siime eines tatsäc hlif hen Ffjrtschritts der Wandmalerei abzielen, <1<t neb» ti der Wif ch rholung des Alu n luid dem Zusammenhang mittelalterlicher bchultraditioo einher gieng.

Ich glaube .sogar, die Geschic lilc snwol wie die Syst* matik dii'ser mittf'lalterlicheu Kunst auf ilalii riisehmi Buden wurden ge- wiiüiuu, wenn man sich entschlösse, ilio «gewaltigen Wandmalereien nmianischen Stiles, mit denen die Ausrehnuickung tl<T ( »berkirchc in ^\ssisi einsetzt, die schw.trz gewordenen Scenen des Marienlebens im Chor, die beiden grofsen Krcuzigungt n im Querhaus, nicht aui die Richnung von Floren/, zu s< t/eii, suudern von Pisa, wenn nicht gar von Sicna. Für l'isa spricht incht allein der überlieferte Name (iiunta Pisiino, der als Bezeichnung einer Person viel weniger Wen hat, denn als Hinweis auf eine Schule, auf die HeimatTtdtte dieser Kunst. Für diese Pisaner Kunstgenossenschait, die Giunta Pisana, spricht ja schon Manches in der sonstigen Entwicklung, wo die mächtige Uandelstadt mit ihren Beziehungen zum Orient und zu ßyzanz als Sammclstätte griechischer Reste, sei es von Denkmälern sei es von Kunstübung erscheint. Die nämliche Bedeutung för die Geschichte der Bildnerei, wie für die Geschichte der Ardiitektor, ßlllt dabei doch sehr ins Gewicht, je mehr uns die Beweisftücke für die Geschichte der Malerei verloren sind. Kommt es aber auf diese an, so würden wir mit zwingender Folgerichtigkeit auf Siena ge- wiesen ; denn hier allein ist die Denkmälerreihe vorhanden, die solche Leistungen voraussetzen läfst; nur widerspräche audi das nicht dem Anrecht der Nachbarin Pisa.

Die Sicnesen haben ein groTses Erbteil aus der Vergangen- heit ihrer eigenen Kunst vor den Florentinern voraus Die romani- sche Periode bewart das Kapital der byzantinischen Tradition, nicht allein in der ikonographischen Anordnung der Scenen, wo man es gcwönlich sucht, sondern auch in der Gebärdensprache, in dem grofszügigen Gehaben der lang gestreckten Glicdmalsen und der mächtigen Köpfe auf beweglichem Leibe, dessen Verwertung zu

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einem einheitlich durchgfehenden Motiv wieder auf der iilasiischcn Schulung der Antike beruht und in Byzanz offenbar durch fort- gesetztes Studium der Hünen])r.ixis unterstützt ward.

Unter den ältesten Tafelbildern in Siena sind dann neben den Zeugen byzantinischer Ueberlieferuny auf italienischem Boden in lateinischer Uebersetzung noch einige ganz anders geartete Altar- stOcke vorhanden, die man als Zeugen einer longobardisch ge- sonnenen, mit Stammesbeziehungen mitten in Toskana zu den Hauptsitzen tn der Lombardei zusammenhängenden Kunstpilege be- trachten mufs. Verwandtes findet sich auch in Lucca, so dals die Analogie zu der Bildnerschule der Comasken sich aufdrängt. Die Darstellungen des Gekreuzigten im langen Kock als Longobarden* könig, wie der Volto Santo, bestätigen die Verwandtschaft mit ger- manischen Anschauungen der einstigen Arianen

Durch solche Vorgeschichte erscheint ein Maler wie Cimabue in Florenz, das damals gegen dieses Leben ringsum isoliert, selbst gegen Arezzo zu wie abgeschlossen bleibt, vollends vereinzelt, und die Konstruktion einer grofsen Schule um seine Person wfirde zu- gleich das erste Hinaustreten der Florentiner auf den Schauplatz des kflnstlerischen Schaffens bedeuten.

l^rst rriotto ist jedenfalls, daran darf fest gehalten werden, der erste grofse Maler dos gotischen Kunststiles in Italien, wie Giovanni Pisano, der Rihhu r auch das bezeichnender WfMse, der Son des letzten \'erir( t( rs sj.atri luiaiiischer Plastik, Nit colö Pisano, nach deren Heimat auch Andrea, der Einwanderer aus Pontedera, der diese Kunst nach Florenz tfetragen, sich als ^Pisano« bezeichnet'). Wie dieser, ist (jioLto lAu ausgemachter (miiker; d. h. er vertritt in stnneni Wollen und Können zunächst durchaus die niiitclaltfrliclit' We ltanschauung, die den Einzelmenschen nur als dienendes dlicd des grofsen (lottcsreichcs anerkennt und seine äussere Ersch( inung lediglich als Ciefäls seiner Seele, als l räger des Ausdrucks einer geistigen Innenwelt bewertet. Man irrt deshalb, wenn man vor- zeitig den Mafsstab der Nachamung des Wirklichen an seine Kunst anlegt und von ihr fordert, was sie gar nicht will: die sinnlich ächtbare Natur wiederzugeben um ihrer selbst wegen, etwa gar nach den Ansprüchen an Realitätsgefttl weit Sf^terer Generationen.

') Vgl. meine Aufsätze in der l«csl$chrilt zu Ehren de?; Icnnsthi^loi isc hcn InstituU zu Fiorenz, Leipzig, A. G, Licbe&kind 1897 u. S. Martin v. Lucca, Bie^lau 1889.

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Nur was Vehikel seelischen Ausdrucks ist oder werden kann, ist auch das Mittel, nach dorn seine Darstelking greift ; denn er arbeitel in erster Linie immer für die poetische Phantasie. Nicht das plastische Interesse an dem Körper, vor allen Dingen der Menschen- gestalt als solcher, ist ihm die Hauptsache, sondern das mimische Interesse an der K or perbeweg^u n g als Warzeichen des Innen- lebens, an dem Mienenspiel des Gesichts und dem (Gebaren der Glieder. Ja, die (icNialtung wird überhaupt nur bis zu einem gewissen Grade ausgebildet, soucii die (lebänle das Knochengerüst und die Körper- masse, d. h. last immer die Gewandniasse, in Bewegung setrL Wo der charakteristische Zug seelischer Bedeutsamkeit aufhört, da tai;: der Grundstock der Gliederpuppe oder ihres Zeugbehancfs gaü^ andern Gesetzen anheim, nämlich dtm ILiusgeseiz r A r«.hitektur und der von ihr entw ickcltcn Regeln der Symmetrie, der Proportionalität und besonders des Rhythmus. Da wir Giotto einen Gotiker genannt haben, würde die Architektur, die er vorausfetzt und der er sozur sagen in die Hände arbeitet, zunächst die Gotik sein mülsen. Und das ist sie tatsächlich; nur müssen wir die Unterschiede zwischen der französischen Gotik und der italienischen nicht vergessen. Da liegt die Erklärung für dnen wichtigen Bestandteil setner Besonderheit nämlich das Ergebnis einer allmählichen Auseinandersetzung mit den tcktonischeii Bedingungen, unter denen er, eben in Italien schafft In Assisi sind es trotz Rtppengewölben und Spitzbogen verhältnismärsig grofse, breite Wandflächen, mit denen er sidi abzu- finden hat In der Arena zu Padua bat er sogar einen salartigeo Bau fast völüg romanischen Charakters mit glatten, hier geschlossenen, dort nur von Fenstern unterbrochenen Mauern und Tonnenwölbung darüber ganz allein zu gliedern. In Fl<»«nz sind es die hdiien schmalen Nebenkapellen des Chores von S. Croce, deren beide Seitenwände unter dem Spitzbogenfeld eine rechteckige Vollmauer von beträchtlidier Höhe darboten, die sein Wille erst in zwei Horizontalstreifen zerlegt Im Gegensatz zu den gestreckten Proportionen der Bildflächen in der französischen Gotik, die immer von aufeteigenden Diensten oder Fensteröffnungen eingeengt werden, ja die Glasflächen dieser Fenste' mit der Stabwerkteilung darin für die figürliche Darstellung zu Hülfe zu nemen gewont sind, verfügt die Baukunst Italiens, in deren Räumen Giotto gemalt hat, stets über ansehnliche Breiten. Und grade dieses, mit der gotischen Figurengestaltung und Konipnshioa so schwer vereinbare Uebermafs der Breitendimension galt rs m bewältigen mit seinem Mafsltab, der nicht mehr der schlanke willkürlich verlängerte, sondern der kürzere, eher schon gedrungene und unter- setzte ist, wie hei Giovanni und Andrea Fisano auch. Was geschieht?

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Tn Assisi wc^rtlen (Wo WandstrtMfen jedes dewolbjoches horizontal in je drei schmale Koldor i^cttMlt. Iti der Arena kommt die l^roite durch die Mehr/al der ßilderreihen uiitt reinander fast noch blärker zum ßewufstsein ; da muls die Ausgleichung mit den Figuren darin erfolgen, und sie ist anerkanntermafsen geschehen. Aber diese Ver- breiterung seiner ( iewandiiguren, wo sie irgend angehl, ist nicht otwa der Ausfluls nialerischen Sinnes, sondern eine Forderung der auszufüllenden Fläche im Sinne der einheitliehen Monumentalkunst unter der Hegemonie der Architektur. So eben erklärt sich der auffallende Umfang einer mehr tektonisch oder planimetrisch iinigränzten als organisch belebton Fläche, die seine F'igurcn uns darlneten. Die höchste Leistung freilich war für den gotischen Stil die Durchdringung der ganzen Gestalt mit einer einzigen Gebärde; aber sie findet sich unter diesen Umständen nicht leicht, und bei Giotto noch seltener als bei den Bildnern, wie Giovanni Pisano und besonders Andrea da Pontedera, der dafQr sehr glücklich begabt war. So steht bei Giotto neben dem mimischen Faktor» der als Au»* druck des Innenlebens auf die poetische Phantade und die Bo- wegungs Vorstellungen des Betrachters unmittelbar, als menschlich verständlich sozusagen mit zwingender Suggestion einwirkt, ein mindestens ebenso starker tektonisch er Faktor, der all jene Wirkungen der Symmetrie und Proportionalität ins Feld fört, üb^ die der gotische Baumeister verfolgt, vor allen Dingen aber durch die Rhythmik des Ablaufs in Linienzug und Massenverteilung wieder beim Schauen und Vorttberwandeln des Betrachters die motorischen Reize auslöst, die sich jener Dynamik des mimischen Elements gesellen. Hier liegt geradezu die innere Einheit beider Faktoren beschlossen, durch die sich die künstlerische Gemeinschaft der Architektur und Malerei erst ermöglicht: die rhythmisierte Mi- mik oder der mimische Rhythmus') sind die Beiträge von beiden Seiten, die ineinandergreifen zur Erzeugung eines Dritten, auf das es der mittelalterlichen Bildkunst eigentlich ankommt: der poe- tischen Illusion, durch die erst die Erzälung der Fabel zum Er- lebnis des Lesers wird, ich sage abachtlich I^er; denn die Ana- logie des Betrachters mit dem Leser der Btlderhandschriften ist damals bekanntlich grundlegend für die Oekonomie auch der Wandmalerei.

''i Tcb nenne mimischen Rlivthnai- den Rriti.i^ «ler AiLhitcklur und ihrer rima- nicntik, in «icm <1as Bf u ei;ui)^'-nu)meiit nach Analojjie nienM:hiicher Ansf^mcksbcwcgung gegcl>en, d. h. mimisch bedeiil->atn geworden i»t. Dagegen bezeichne ich aiü „rhythmi- siciie Mimik" den Beitrag des meiMdieiid«rstenenden Maler«» der die Aosdrodcitbe- w^nogen ieiner Figuren xogldch nach den rhjthmisclien Anfoidemngen des Architekten Ar die bemalte Flldte nodificievt

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GlOTTO

Frst wenn diese Analyse spiner Kunstmittel, die sowol seinen moiuinicntalen Stil wie seine psycljischc Kner^nr zu erklären htlft, zur ( irundlait^e der Betrachtung geworden ist, ^^ewinnrn auch weitere Beobaclitungen über die Entwicklung des MonumentaLstiles von den Erstlingsarbeiten bis zu den letzten Meisterwerken, wie über die Abklärung und Einschränkung der poetischen Aljsicht zu Gunsten der sinnlichen Anschau uult, von der ausfürlichen Erzälung in vielen Einzelnioiuentcn zur ruhigeren Versenkung in wenige Haupibilder, ihren richtigen Sinn. In der Franc iscuslegende zu Afsisi wird der Uebergang von der dekorativen Flächen füllung zu monumental«, d. h. den Raum des Bildes wenn auch nur als Vordergrund selber konstituierender, Komposition noch deutlich bemerkbar. In d<^r Arena zu Padua ist uui die alle kunsthandwerkliche Ruiksichi. die ganze Fläche von unten bis oben zu beleben, kaum irgendwo mehr Bedacht genommen, wo der Gegenstand es nicht etwa an die Hand gab, sondern der blaue Grund des Himmels hilft durch seinen gröfseren oder kleineren Umfang mit zur Raum - Illusion, wenn diese auch, für die Schwingen der Phantasie, nicht für die FüJse des Betrachters, mit ein paar Noten zur Genüge erreicht wird, gradeso wie beim Epiker, dessen Erzälung darauf ausg^t, Bewegungsvor- Stellungen zu erzeugen, nicht räumlich-körperliche Konsistenz zd malen. In den Kapellen von S*; Croce zu Florenz beschränkt sich die Erzälung vollends auf sechs Bilder atis der Frandscus- legende oder gar auf je drei Hauptmomente aus dem Leben der beiden Johannes. Damit wird die ganze Oekonomie dieser Erzälung selbstverständlich geändert. Es handelt sich nicht mehr um den vorQberwandelnden Betrachter, der den Bilderkreis der Arena so- gar nur in mehrmaliger Wiederker, den Reihen von oben nach unten folgend, ablesen kann, sondern um ein viel ruhigeres Schauen hüben und drüben, in je drei Zonen Über einander, deren jede nnr ein einziges Bild enthält. Die Rechnung mit der Ortsverändening des Subjektes, die nach Analogie der Baukunst, besonders des mittel' alterlichen Kirchenbaues vom gotischen Maler aufgenommen ward, tritt unter diesen veränderten Bedingungen immer mehr zurück und macht dem Anschlufs an die beharrenden Faktoren der RaumbS- dung Platz. Die GewOlbebilder mit der Verherrlichung des Fian- ciscus in der Unterkirche von Assisi sind daf&r ein lehrreiches Zwischenglied mit dem natürlich die Decken der Arena u. s. w. verglichen werden müssen. Der erzälende Ton verlangsamt ge*

*) Man beachte s. B. wie die beiden Faktoren, der behanende Anf baa oben oad der Zag einer Tortidiftitenden Bew^ng im Vordersrond, mit einander «eibnndcn sind.

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Gioi-ro

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wissermafsen, weniß^storis in den vorgefürten Scenen selbst, indem er auf die vielen Einzclniomontc \ er/ichtet, die nun hinter die Kou- lissen fallen, aber hinzugedacht werden müssen. Der Maler muls mit dem ausgewälten Haupt moment zugleich das Vor und Nach, Ursache und Wirkung zu geben suchen, also implicite zu erzälen lernen, und kommt wol gar dazu, statt der Handlung, statt des Ge- schehens, die ruhige stimmungsvolle Situation zu bevorzugen, wie die Beweinung des hi Franz, oder den transitorischen Moment eines wirksamen Kontrastes in Permanenz zu zeigen, wie beim Gastmal des Herodes, sicher zum Nachtdl d^ epischen Poeae, die ihm einst diktierte, ab^ ebenso sicher zum Vorteil der monumentalen Wandmalerei, die eben Giotto durch solche Krisis hindurch zu dieser Höhe gefÜrt hat. In der Parallele zwischen dem Täufer und dem Evangelisten Johannes, deren Leben unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt am gemeinsamen Gewölbe zusammengefasst werden, langt die historische Kunst Giottos ja schon bei einer höheren Ein* heit, der systematischen Disposition an und damit bei der Centralis sation der cyklischen Reihen unter einer Dominante.

Mit diesem Uebergang von fortschreitender Bewegung zu ge- sammelter Beharrung verändert sich natürlich die gesamte Ver- wendbarkeit der Darstellungsmittel. Was im schnellen vorwärts- drängenden Tempo summarisch hingeworfen werden konnte, ver- trägt die ruhige Beschaulichkeit des prüfenden Auges nidlt; was als derbes Reizmittel für die transitorische Auffassung brauchbar war, das beleidigt vielleicht als burlesker Widerspruch den feier- lichen Ernst des festi^ehaltenen Augenblicks (wo kommen z. B. Giottos Gassenbuben vor?); zalreiche Momente physischer 1 ätigkoit und extremer Gestikulation verschwinden aus dem Repertoir, je- mehr sich der Künstler in die Autgabe vertieft, Alles was er vor ' Aujü^en stellt, /u dauernder und oit erneuter 1 jetrachtimg, auch unter dem Gesichtspunkt bleibender Bedeutung zu fassen Hei so geringer Zal und solcher Gröfse der Bilder, deren unterste wenigstens auf die Nähe deutlichsten Sehens heranrücken, eröffnet sich überhaupt erst als neuer Gesichtspunkt: die volle Leibhaftigkeit der Hinge, die Wirklichkeitstreue, deren Möglichkeit sich \'on jetzt al) dem Auge aufnötigt, besonders da, wo die feurige Phantasie des Gläu- bigen zu vei sagen beginnt. Bis dahin mufs dieser Mafsftab für das Urteil als durchaus verfrüht erscheinen, und es wärtc tatsächlich noch gute Weile, bis die Möglichkeit als Forderung empfanden ward. .

Schmarsow» M«s«ccio-Stiidicn V.

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SiENA Simone Martini

ri,s ist aufserordeiulich lerreich, mit diesem Gang (le.> oinen Florentiners den entsprechenden Wandel in Sic na zu \ eri^lcit hen Dort müssen wir jedenfalls Simone Martini als ersten ti<>t!k':r anerkennen, haotri aber /us^diMch mit den beiden Lorenzetti min- destens noch Eine andere Variation der glciclien Riehl ung zu ver- folgen. Simone Martinis Beitrag für die Entwicklung der Wand- malerei in Italien steht ja schon abgeschlossen da vor Giottos Tod. Seine Maesta im Palazzo Pubblico zu Siena hat schon als grofses feierliches Monumentalwerk von so beträchtlichem Vmf&ng eine ganz eigene Bedeutung. Sie eröffnet die Reihe jener die Weltan- schauung eines Meusdienaiters zusammenfiwsenden Daistellungen. die eigentlich keinen weiteren Bilderschmuck im selben Innenranm neben sich dulden: In der Cappella degli Spagnuoli zu zweit einander gegenüber; in der Camera della 5>egnatura kaum zu dritt, da der Pamass so wesentlich anders wirkt als Disputa und Sdiule von Athen ; in der Cappella Sistina wieder das Eine, das alle übrigen neben sich, selbst die eigenen Michelangelos herunterdonnerte, bis es erblindet war. Simones leeres Mauergcmälde mit dem vereinzelten Feld> herm zeigt dagegen nur, wie die selbe Zeit, die sich bei ihrem höchsten Anliegen am Tron Marias durdi lauter Schutzheilige ver- treten liefs. anungslos einer eigentlich hbtorischen Aufgabe gegen- über stand, den Helden inmitten seiner Taten vorzuforcn. Dies ist nur ein plastischer Gedanke, wie ein Reiterdenkmal mit Reliefe am Sockel, oder vielleicht sogar richtiger nur eine poetische Vorstellnng zu nennen, die Person mit Geschehnissen, Dingen, die auf sie Be- ziehung haben, ringsum. Als Bildversuch auf die Wand gemalt mufste das Ganze eine Mifsgeburt werden. Aber die zeitgenOsnsdie Figur ist doch dabei herausgekommen, wenn auch noch kein rechtes Bildnis, sondern eher eine willenlose Kostümfigur. In dem Haupt* werk, dem Freskenschmuck der Martinskapelle zu Assisi, wird dann das Neue geleistet, das daraus zusammenschliefsen konnte: SchÜ- deningen zeitgenössischen Lebens, in das die Heiligenlegende über- tragen wird. Ein Epiker wie Giotto ist Simone Martini nicht, hödi- stens ein Novellist. Was Giotto für die Franciscuslegende getan, dafs der Betrachter sie miterleben mufs, war ihm nicht gegeben: kein Fortgang, keine Steigerung, keine dramatifchen Konflikte, son- dern lautt r Episoden, aufgereihte Situationsbilder. Aber im eigent- lich malerischen Sinne war entschieden mehr geleistet : die UTE^MTüttg- lieh otfenbar sehr bedeutenden farbigen Reize seiner Malerei sichern ihm einen bevorzugten Platz in der Geschichte seiner Kunst: die AusfUrlichkeit des Zeitkostttms in seiner RittemoveUe vom heiligen

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Simone Marxini I^etro I^renzetti

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Krieger . der ein Bischof ward ; die Wiedergabe der selbstbe- ob.ichUHen Sitten und Gebräuche der ei^renon, von dem ritter- lichen und geistlichen Stand fast allein bestimmten Welt : die vor- neme Anmut seiner Frauengestalten, die garnichts zu tun brauchen, als leise, im \\ ILuit ihres Schreitens an uns vorüberziehen; der tief aus dem Innern hervorquellende Ausdruck, der oft nur im Blicke liegt, aber die ganze Person durchdrinj^i, one doch irgendwo aktions- fähig hervorzubrechen, das sind Leistungen, die der sinnlich sicht- baren Darstellung zu Gute kommen und die hingebende Wirklich- keitsfreude in die Herzen der nachfolgenden Künstler säen mu&ten. Daneben feit es nicht an Ansätzen zu räumlicher Entwicklung des Schauplatzes ; sogar schon beachtensw^e Versudie zu Durchblicken in mehrere indnandcrgehende Gemächer kommen vor; aber grade an solchen Beispielen wird man inne, welche Eroberung für die Zu- kunft der Malerei bevorstand, wenn die Entfettung der Raumtiefe zugleich auch die Figuren darin ergriff. Aber die Hauptleistung Simones wird man stets in den besonders glQcklichen Einzelgestalten suchen, die ihm hier und da so überraschend gelingen, als nämen sie die Fähigkeit späterer Generationen voraus, und die gelegent- lich auch einmal zu schöner GHruppe sich verbinden : so der Kaiser bei der Soldzalung und der entrückte Bischof Martin, den seine Geistlichen wecken. Sind diese Fresken von As^si doch schon Kenneraugen so vorgeschritten erschienen, dafs man geneigt war, sie bc^reits dem Quattrocento und mindestens in die Tage eines Gen- tile da Fabriano oder Vittore Pisanello zu setzen. Welchen Rang dürfen sie dann in der chronologischen Reihe der Denkmäler bean- spruchen, wenn sie an so früher Stelle in die Geschichte eingeordnet werden, wohin sie gehf'iren !

Diese Eindrücke hochentwickelter Kunst sind es auch gewesen, die neben Flüchtigkeit und T'^nreife vorkommend, bei dem Passions- cyklus im Querhaus der Unterkirche lange vi-rhiudort haben, an einen so frühen Meister wie Pietro l.oren/etti /u L,dauben. Und dneb gehören diese Malereien mitsamt der grofsen Kreuzigung, mit dem altertümlichtMi Altarbild der Madonna zwischen Johannes dem Täufer und I'"ran( iseus am Fenster des Querhauses und dem fortgeschrittensten Stück mit drei solchen auf die Wand g(>malten Halbhguren : der Madonna, des hl. Franz und des Evangelisten Jo- hannes, one Zweifel ihm, und /.war in eine frühe Periode seines SehafTens. Er wächst hier soeben erst heraus aus der romanischen Kunst von Siena. und grade die Vorzüge alter, auf bester Ueber- lieferung beruhender Kompositionen oder Einzehnoiive sind es, die jenes Urteil veranlassen. Freilich ein gut Teil kommt auf die

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SiENA PlETRO LORENZETTI

Rechnung der ( igenen, grade hier sich srhndl entwickelnden Genia- lität, die tlurrhaus Neues zu bieten hat. Welch cniien Kampf der e])is( hm J )icliii;nt!f, die das Viele will und durch immer neue \fi >tivc die tortgesci/ii Anregung der Phantasie zu erreichen gewont ist, erleben wir sogleich gegen die feste Anordnuni^ der Architektur, die in dem kapellenartigen Raum, unter einem tief herunterreichen- den Krcu/y ewölbe, seiner Rechnung mit dem entlangfchreilendon Betrachter und damit auch der fortlaufenden Erzälung in richtiger Folge widcr.s]>richi. und vielmehr eine systematische Disposition for- dert, die das gegebene Thema, die Passionsgeschichtc, nicht duldet.

Unbequeme Bildflächen mit einspringenden Ecken oder lang ausgezogenen Winkeln bereiten ihm Schwierigkeiten, selbst für die notwendige Orientierung Über die Raumaxen. Aber mit wachsender Sicherheit falt er sich in die Bedingungen hinein und lernt die Hin* demisse sogar wirksam in Vorteile seiner Raumdarstellung verwan- deln. Beim Einzug in Jerusalem und der Gefangenname schieben sich Gestaltenmassen und Stadtprospelct oder Landschaft noch etwas unklar durcheinander; aber der Fortschritt bei der Kreuztragung ist entschieden. Innenräume Iiaben durch konsequentere Perspektive dazu verholfen, wie die polygone Loggia mit dem Abendmal, an die sich die schmale Küche mit einer Genrescene anschliesst, die Fufs- Waschung in einem Refektorium, die Geifselung in der Gerichtslaube mit sdilanken Säulen, gradem Gebälk und phantastischem Skulp- turensdimuck zwischen den krabl>enbesetzten Rundbogen der Vor- derarkaden, — Beispiele, die als gewagte Versuche, Figuren in und mit dem umgebenden Raum zu fassen, schon alle Beachtung ver- dienen. Und wie wuchtig tritt sein Erl »ser auf die erhöhte Burg- terrasse, die /um Höllentor fürt, um den Urvater Adam zu befreien^ wie feierlich steigt er über den Wächtern aus dem Grabe, in seiner herkulischen Bildung beidemal noch dem körperlii^en Ideal der romanischen Kunst, dem Sinn eines Niccolo Pisano näher als dem gotischen des Giovanni, Daneben aber das tiefinnerlicbe Situations- bild, pathetisch immer und derb, aber gewaltig und ergreifend, wie die Abname vom Kreuz und die (irablegung, als kleinere Gegen- stücke zu der leidenschaftlich bewegten Kreu/'igung, die das ganze Wandfeld über dem Altar füllt und als solche Einheit die allcrauf- merks;unste historische Bewertung verlangt.

Wif ungegorener Most sprudelt es in seinen neuen Erfindungen ; die Fülle der Kin/ehnotive scheint über/uquellen. wo er sich dein ungestümen Hraiig srines heftigen Tein})t»riiments überlassen darf, und die Gebardensiiraehe würde in defar kommen theatralisch zu werden, wäre sie nicht zu eckig und derb. Auch Pietro l-orenzetti

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PlETRO UND AMBROGIO LORENZETTI

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kennt das alte siencsische Kapital, die grofsen mit dem ganzen Körper agierenden ficstaltcn und ihren machtvollen Schwung. Aber er handhabt dit\s Erbiuil kaum noch im Sinne der plastischen Ruhe und ht lircn Majestät wie (Tuidn da Siena und Duccio di Buonin- segna, sondern im Sinne dt r niimischt n Reweiifiinpf und leidenschaft- lichen Errei^hchkeit di s Innern. Warend al)rr Simone Martini don harmonischen Fluls der Linien zu finden vvoils. als hätte er in eilriLicin Studium antiker Bildwerki'. besonders Katneen und Malereien t^ar, das Gefül für klassische S( honheit ausgebildet, ist Pietro T.oren/t-tti für solche Reize viel zu husti-^ und gewaltsam. Die häufig vvieder- kereiule Geste mit dem pl i/lieh zu spitzem Winkel erhobenen Vorderarm und der beinahe zur J aust geschlossenen Hand mit dem weit abstehenden enormen Daumen cntbert auch des letzten Restes antiker Grazie : aber sie kennzeichnet die dreinfarende Energie seines Charakters, selbst in dem ernsten Madonnenbild, der letzten Zutat in dieser Kapelle.

Aus gleicher Zeit, wie diese Fresken in Assist, stammte aber ein anderer Cykius des selben Meisters in Margfaerita ober- halb Corton a, dessen Verlust als widitiges Bewdsftück für unsere geschichtliche Darstellung nur schwer verschmerzt wird. Denn spät erst begegnen ausser der fragmentarisch erhaltenen Kreuzigung in S. Francesco andre Beispiele seiner Kunst in Siena, neuerdings wie- der aufgedeckte Reste eines Kapellenschmucks, wie er sich Giottos Arbeiten in Croce an die Seite stellen darf. Zugleich aber zeigt sich die Bekanntsdiaft mit diesen letzten Leistungen des Florentiners in dem Gastmal des Herodes^ das hier durch Gegenaberstellung der Auferstehung Johannes des Evangelisten den Zusammenhang mit jenem Cykius in der Franziskanerkirche zu Florenz auch im ge- gebenen Programm beweist Diese beiden grofsen Wandgemälde in einer der Nebenkapellen des Chores von S. M. de* Servi die vom alten Bau stehen geblieben, bezeugen, wie das dreigieblige Tafelbild mit der Wochenstube der hl. Anna in der Domopera ^, einen ausser- ordentlich entwickelten Raumsinn und eine Ausbeutung perspek- tivischer Durchblicke, wie sie kein Florentiner damals aufzu- weisen hatte.

In der selben Kirche der Serviten ist in einer andern dieser Kapellen auch ein Fresko von Ambro gio Lorenzetti zum Vor- schein gekommen, dessen Mitwirkung bei spiitern Arbeiten des Pietro ja schon litterarisch bezeugt wird Es giebt für die vielen unterge-

>) Phot. LombanU Nr. tt$^ «od 1259.

•j Kun>thistoriscbe Gesellschaft fftr phot. Publilfationcn I8<)7.

*) Pbot. Lombardi Nr. 2311. Es kommt OAiarlich «uf eine kriUscbe Bcwei&-

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Ambrogio IX»RENZErn

gan^enen Leistungen solclier Art wenigstens oi'n Beispiel aus der biblischen Geschichte, die lebendig bewegte Schilderung des Kinder- mords. Vorn dio zusammengetriol)cnc Mcng"e der Mütter mit den unbarmherzigen KnPi»'sknochtPn (l;iz\visch*Mi, hinten eine Reihe von Rerittrncn, die koinc l'Iucht gestatten, links auf dem Balkon des Palastes Merodes selbst, mit der Krone auf dem Haupt herunter- srhauend. Das Verhältnis dieser hgürlicheii Bcftandtoile zu einander, wie die Front eines sienesischen Hauses als Hintergrund und eio Ausblick jenseits des Schwibbogens in der Ecke, verraten freilich, dass vorerst noch die Sicherheit der Raumanschauung versagt, ob- wol ein änliches Wollen wie bei Pietro hervortritt. An diesem Mangel klarer Architektonik und sicherer Beobachtung der Ab- stände leiden ja auch die v.jrorsen allegorisch - kulturgeschichtlichen Darstellungen i\mbrügios ini Palazzo Publ)lic(j. Bei ihnen kommt noch eine Schwierigkeit hinzu, da die gottlichen Wesen in grüUerm Mafsftab gegeben wtnlen als die lebenden Menschenkinder. Be- denkt man aber, dafs es damals an einer sichern Methode perspek- tivischer Konstruktion gebrach, .so ist die Pulle der Ausblicke und der Kinblicke in Gassen und Piauser, in die Berge und die Felder, die hier geboten wird, schon ausserordentlich bedeutsam für das Wollen dieses Malers. Auf Ambrogio hat der Schönheitssinn und die weiche Anmut Simone Martinis schon Einfluss gewonnen; wir finden Um auf seiner Ban in den tanzenden Mägdlein und den tronenden Frauen, vermuten sogar die nämlichen Studien nach der Antike. Vor allen Dingen entwickelt aber Ambrogio einen plastiadien Sinn far die Rundung der Körper, der ihn von hier aus das Raum- Volumen für seine Gestellten erobern lert. Aber auch den perspekdvi" sehen Darstellungen der Innenr&ume und komplicierterer Ansichten von Gebäuden hat er sich eifrig ergeben, wie es nach dem Vorgang des Pietro und des Simone gamicht anders sein kann. Seine Dar- bringung Christi im Tempel und die Legenden des hl. Nikolaus auf dem Tafelwerk in Florenz ') bezeugen dies ebenso, wie seine aUegori- sehe Verherrlichung Marias als. Siegerin über die SOnde in Alteabuiig'^

Wieder mag ein Paar monumentaler Wandbilder grossem Mafsftabes in einer Nebenkapelle des Chores von S. Francesco zu Siena die Reihe beschliessen : die Obedienzleistung S. Ludwigs vor dem Papst im Konsistorium zu Rom und das Martyrium der Ordens-

ffiraog fOr den Anspruch des Pietro oder Ambrt^o an diesen Freskrn für uosctd Zw«di oidlt an. Die beiden Lorcn/etti bedOrren dringend einer mottogimphidcheo BebMdhng.

'l Akademie, Phol. Alinari 1592 94.

*) Kunsthistor. Gesellicb. i. phot. Publ. i^^q; Vgl. Festacbrift tvt Ehrend. K»tkht Inst, xtt Florens. Leipzig 1897,

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SiENA Florenz

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brüder vor dem Sultan gegenüber. Das letztere mit der luftigen Loggia, die sich in drei Arkaden nach vom öffnet, die etstere mit dem tronenden Papst ganz links und den beiden Sitzreiben der Kar- dinäle, die vordere von der Rflckseite der Bank, die innere mit dem König von Neapel dazwischen von vom gesehen, quer durch das Bild, mit dem Einblick in ein Seitenschiff jenseits, wo die weltlichen 2^ugen des Vorgangs im Zeitkostüm versammelt and, welch' eine Grolsartigkeit und KQnheit der Raumdarstellung in frappanter Realität! und doch welche bewufste Unterordnung dieses Faktors unter die ausdmcicsvollen Personen, von denen wir im Konsistorium £Eist nur Halbfiguren und Köpfe zu sehen bekommen. Hier liegt die reife Fmcht der Bestrebungen vor, die wir wärend des ganzen Trecento nur den beiden Lorenzetti nachzurümen vermögen. Es ist an monumentaler Selbständ^keit des Bildraumes erreicht, was unter den Vorausfetzungen der Zeit zu erreichen war.

Wenden wir von hi«r aus unsern Blick wieder rückwärts nach Florenz zu dem Punkt, wo wir bei Giottos letzten Schöpfungen den Gang der dortigen Malerei verlassen haben, so wird jedenfalls das Vorurteil, als seien die Anfänge des Monumentalstiles in der Arno- stadt allein zu finden, uns nicht mehr beirren. I-'reilich ebenso wenig vermüs^en wir zu glauben, die luichsten Naehfol^-er Giottos hatten nicht auch an ihrem Teil beigetragen zu dem Fortschritt, d*>n der nistttriker zu verfolgen Micht. Mag sein, dafs das Gefül der Leere zunächst überwietft, wie es ]>eim Verschwinden einer persönlichen Kraft, die Alles m ihren Bannkreis zog, sich ein/ualellen piiegt. Selbst die getreuesten Nachamcr wie T ad den Gaddi, lassen das Erbe nicht unverändert, auch wenn sie es kaum einmal in vollem Umfang anzutreten vermögen. Ein Hinweis auf Taddeos Sposalizio in S». Croce genügt, den Wandel darzuUü Wer den 1' urlschritt in gTolseu Zügen nur ski/./ieren will, der mufs sich allerdings an die wenigen Auserlesenen halten. Dann gebürt unstreitig dem An- drea Orcagna der Vorrang, dessen einziges erhaltenes Werk grofser Freskomalerei in der Cappella Strozzi von S. M. Novella schon das küne Unterfangen vor Augen stellt, die ganze grofse Wand- fläche nicht mehr zu zerteilen, sondern von oben bis unten mit einer einzigen Darstellung zu füllen. Das Problem kam zwar an einer Wand allein zum vollen Austrag, weil gegenüber die Sichilderung des

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Andrea Orcagna

Inferno schon Unterabteilungen nach ganz andern als künstlerischen Principien vorschrieb, die dritte Seite aber durch das Fenster zer- schnitten wird. Aber gerade der Anlauf, dem weiten Reich der Seligen lu izukommen, ist ausserordentlich bczi ichm iid ans-: * Ucn. Dem Plastiker, der in dem Reliefschmuck seines Marmortabemakels in Orsanmichele fast vollrunde Körper in kastenänlic he Rainen setzt, versagt hier im Bilde, wo es darauf ankommt den Raum zu malen, fast völlig die dritte Dimension, sowie es gilt, sie über das Volumen der Körper im Vordergrund hinauszufüren. Unwillkürlich schiebt sich an Stelle der Tiefe nun die Höhe als Ersatz unter, und selbst der Versuch, eine Raumleere in der Mitte (vor oder unter dem Tron der Gottlichen) zu erzeugen, mit dessen Hülfe P>ewcg-iinir in in die Reihen kommen sollte, um das Rinherwallen. den Autstieg oder den Ein^antr zur Anschauung der Höchsten zu ^^eben, er hat nur den Erfolg goliabt, dafs sich die drei Bilderzonen wit der ein- stellen, auch one begränzende Querstreifen dazwischen. Das Bogen- feld zuoberst sondert sich um so deutlicher ab. als der I ron für Christus und Maria ganz körperlich gedacht und schwer gemalt ist: dann folgt die Zone mit dem leeren Kaum darunter, durch den Kontrast des trkti »nischen Aufbaues droben schon befremdend, und zuunterst die ganz geiüllte Region, die unserm Tastraum am nächsten, auch am ehesten die plastische Ausgestaltung vertrug, aber im heu- tigen Zustande i< denfalls nicht den Anforderungen des Kur[>ergt> füls entspricht, sondern den obern gegenüber zu flache Figuren » rit- hält. Merkwürdig, wie selbst in solchem Waiulijilde schon /u läge tritt, dals sein Urheber, obgleich Bildner und Baumeister, doch kein arehitcklonischcr Kopf ist wie (Hotto, sondern immer imr in deiii Stückwerk-Mafsftab der Kleinkunst denkt, auch wo er sich an um- fassende Aufgaben wagen darf. Soviel er auch beigetragen hat, das Gefül fOac die Rundung und Fülle des Leibes zu stärken, das an sich schon dem Gedeihen der Plastik, auch wenn sie nocdi lange auf öe rechte Zeit zu warten hatte» doch den Boden bereiten half: die Bewal- tigung einer solchen Wandflädie, wie die damalige Architektur sie darbot» mit den Mitteln der Gestaltung allein, ist ihm nicht gelungen. Der malerische Gedanke, der allein dazu helfen konnte, die Raum* tiefe in der Mitte, ist als unbezeichneter Fleck auf der Oberfläche haften geblieben.

Das Unterfangen jedoch wirkt weiter. Um das Zugehörige sogleich liier anzuschliessen : die Cappella degli Spagnuoli drunten bei der selben Dominikanerkirche zeigt die Fortsetzung des nämlichen Bemühens! Aber wieder ist es nur eine von den beiden Voltmauern, wo das Problem mit der malerischen Anschauung eines

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CAPFELUV bl'AGNUOU

Gesamtbildes zu lösen \ ersuclu isL Die Wand links wird ja durch ein tcktonisdies (lerüst niehriacli horizontal und vertikal geleilt, und durch gemaltes Chorgestül zu einem pyramidal sich gipfelnden Auf- bau flkr den heiligen Triumphator benuut, nichts als eineVeran- schautichung des syst^atisdien Kastengeistes der Dominikaner mit HOlfe des Pinsels. Und merkwürdig, wo die ganze herrliche Bild- fische so durd) Zimmermannsarbeit in Fachwerk aufgelöst wird, da bestraft sich diese Sünde wider die Kunst durch einen andern Mifs- griff an der Decke. In die Kappen des Kreuzgewölbes» wohin die systematisch hohem Instanzen gehörten, die sdion von der Baukunst praedestiniert waren, den Inhalt jeder der vier WAnde zur centralen Einheit des ganzen Cyklus überzuleiten, da läfst man historische Scenen malen, wie die stürmische Seefart, wo Christus auf dem Wasser wandelt, die Auferstehung, die Himmelfart und die Aus- giefsung des heiligen Geistes. Was über unserm Kopfe gemalt ist, das erleben wir nicht als ein Geschehen in der Zeit; denn es ist den Bedingungen des Tatsächlichen um uns her entrückt, es feit ihm etwas, das die Ueberzeugung, den Glauben an das Ereignis ver- mittelt; es liegt nicht im Horizont unsrer Erfarung und hat keinen Boden unter den Füfsen, den unser KörpergefÜl anerkennt So wird das historische Faktum selbst in die Sphäre ort- und zeitloser Ab- straktion erhoben, vielleicht in seiner dogmatischen Bedeutsamkeit er&sst, und das entsprach gewifs der lerhaften Absicht der Dominikaner; denn jedes Ereignis hat Bezug auf das Wandbild darunter '). Aber der Maler hat sie gemalt, wie seine gewonten Hi- storien, und so widerstreben sie den Wandbildern, fallen dagegen al), statt sie zu beherrschen. Das wufste schon Orcagna besser, der in der Cappella Sirozzi, wo allerdings die höchsten Dinge oder gar Himmel und Jiolle auf die Wand geworfen waren, an den Gewölb- kappen viermal die ilalbfigur de.s lieiligen Dominikus wiederholt, mit allcgonsclieii Wesen zur Seite und fülbar genug unter Aufhebung der Gesetze unsrer Körperwelt.

An einem änlichen Widerstreit unseres Raumgefills kranken auch die Darstellungen aus dt-r Passiv )nsgescliichte über dem I riumph- bogen des Altarhauses, obgleich hier sch'Hi (hidurcli eine Besserung zu Gunsten liori/« lutaler Unterlage eintritt, dals zwei kleinere Dar- stellungen links und rechte zu den Seilen des ßogens Platz findt n und SU iur die grosse Kreuzigung über dem Scheitel dieses Bogens

') Die Ausgiefsung des heiligen Geistes auf i1< n Triumph dieses Geistes im Tho*

m.n^ von Aijuiiio; die NAvicclIa, als Syinl-nl dfr Kinli'-. .luf ilir Etcloi.i Iriuriiiiliani; ti w. Aber die Auleti-ilebiing über «lern Kreuz». sind erschcuil bereit«» at». lialten hiii historischen ZusammcobaDg. Auch hier geht also uuklar das eine Princip ius andre über.

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I06 GlOTTINO

einen annähernd wagrechten Unt^bau schaffen. Nur die Wand mit «k r grolsen Verherrlichung des Gottesreiches, bis zur Rolle der >D<Knuu canes« darin, folgt dem Beispiel des Andrea ürcagna, eine vm- fassende Bildeinheit herzustellen. Doppelt begreiflich also, weno Künstler, denen diese Hauptsache als Wagnis vor allem Andern in die Augen stacli, sehr leicht dazu kamen, den Namen des Malere Andrea da Firenze mit Andrea di Cione. genannt Orcagna, von Plorenz zu verwechseln. Indem wir mit dem Xanicn des spätem Künstlers, der auch im Caniposanto zu Pisa gomalt hat, unserer Uoborzeutjinig Ausdruck geben, kommt es auch uns nicht auf die Person sondern auf das künstlerische Problem an. Schon die Lö- sung, die hier versucht wird, verlangt übrigens die spätere Datierunjj, weil sie bestimmte Vorstuten voraussetzt, die wir bei Orcagna nicht nachzuweisen vermögen.

Die künstlerischen Mittel, die hier aufgeboten werden, um eine an Höhe aber auch an Breite sehr ausgcdente Wandfläche als

fianzes zu organisieren, nötigen uns nachzuholen, was inzwisch« n für die ( )ckonomie der Wandmalerei geschehen war. ( liotto selbst hatte, je nach der Räumlichkeil, zwei verschiedene Wege einge- schlagen ; die fortlaufende Reibung der Bilder für den v«>rüb<T- wandelnden iU'trachter, wo die successive Auffassung zum \'er- folg einer F.rzälung oder eines sonstigen Verlaufes gleichwertiger Crlieder überwog ; oder aber die systematische Disposition nach den Gesetzen der Svnunetrir, der Abstufung oder Gru{)pierung fiir lien im Mittelpunkt siehenden, nur nach allen Seiten sich drcheiidcn Beschauer, wo trotz aller durch die Einzelbetrachtung bedingten Successiun doch zu Anfang und am Schluss die simultane Auf- fassung vorhorrschen soll, wo die Einheit des tJanzen, wie im Raum- ge])ildt> se]l)st, jetienfills auch in der geistigen Vorstellung zu Stande kuniriit. l'.eide Wege waren versucht, wenn auch der letztere noch in keinem Beispiel von voller Tr«jgweitc und Konsequenz zur An- wendung gekommen.

Der Nachfolger, von dem man sagte, der Geist Giuttos sei auf ihn übL'rgog,ing(«Ti. Giotto di Stefano, genannt Giottiao. ist uns seiner Wirksamkeit nach nur unzureichend bekannt. Wir be- trachten als sichere 1* reskoarbeilen von ihm nur die Geschichten von Kaiser Konstantin und Papst Sylvester in S». Croce zu Florenz und die Geschi( Ilten des Iii. Stanislaus nebst der Kr<>nung Marias in der Unterkirche zu Assisi 'j. Das Krönungsbild lullt das Spitzbogen feld

*) Völlig MisgescblMsen endwint mir die klctne Stroszikiypto unten in B«gttbm des Klosters unweit der Cap. dcgii Spagnuolt, obwol Ciowe und Cnralettdle die edbe

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GlOTTINO

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einer Wandnische und hat selir gelitten. £s ist kaum noch Giottos Komposition nach dem Altar in S"- Croce, nur mit Weglassung der verteilenden Kamen, sondern vielmehr im Sinne der plastischeren ! >i!rchgestaltiing des Andrea ( )rcagna gedacht. Die beiden schnuden Stücke aus der Leg(Mide des polnischen Heilii^pti sit/.en daneben an der Nischenleibung einander gegenüber, kommen also für unsere Hauptfrage nicht in Betracht; wnl aber zeigen sie einen entschiedenen Fortschritt in dem richtigen \ erhaltnis der (ziemlich untersetzten) Figuren zu dem umgebenden Raum, der einmal das Altarhaus einer Kirche, das andre mal der Kreu/gang daneben ist. Ganz grofs- artig wird diese Raumdarstellung in der Sylvesterkapelle zu Florenz, namentlich in dem untern ßrcitbikl mit den Wundertaten des Papstes. Unverkennbar wirken hier auch Fortschritte in der Be- leuchtung der Ruinen mit, um für das Auge die Weite des Schau- platzes hervorzubringen. Sowie wir aber von dem Gesamteindruck auf die figürliche Darstellung übergehen, steht freilich die Gestalt des Papstes noch beherrschend im Mittelpunkt, aber das Ganze zer- legt sich dodi in 2wei einzelne Scenen: die Bewältigung des Dradien und die Auferweckung der Magier in Gegenwart des Kaisers und seiner Grofsen. Wir haben also die Succeasion von links nach rechts noch vor uns, aber doch den Versuch die voraufgehende Scene als Nebenmoment, als erklärende Exposition zurQckzudrängen und die Totenerweckung als Hauptsache vorherrschen zu lassen, und zwar der Einheit des Gesamtbildes zuliebe. Es ist das Bewusstsein der Monumentalkunst aufgegangen, dafs solche im Raumgebilde als ein Ganzes funktionierende Mauer wenigstens nicht in vertikaler Rieh- tung zerteilt werden darf, wenn die darzustellende Erzälung es auch fordere. Die früheren, nur den MaTsgaben der Poesie folgenden Maler h&tten sicher zwei selbständige Bilder daraus gemacht, als gleichberechtigte Wundertaten. Giottino ist auf dem Wege zum durchgreifenden Fortschritt. Er leitet auch das Auge durch die vorgestellten Architekturteile: Pfeiler und Bogenansatz links, dann die Säule, dazu an, die markanten Stellen der rechten Seite zu suchen. Das l'ebergewicht der Figuren liegt auf dieser rechten Seite, gegen den Eingang der Kapelle, so dafs der Besucher mit dem Kaiser und seinem Gefolge auch in die Scene eintritt, deren Gegen- stand allerdings nicht anders als in zwei hingestreckten Leichen und zwei knieenden Lebendigen gegeben werden mochte d. h. das selbe

Hmml darin «rkcnnen wollen. (Ital. Ausg. II p. iio.) Alt TaJclbilder sdieinen mir da^ gegen die Meinen Stfldie eines Altan in München, Abendnal und KreusignflK (Phot. Bntckmann) Katalog No. 9H1 983 zunächst für Giottino in Frag(r tu kommen» dann HDcb der Croctfistti in Ognissanti zu Fk>renz (Phot. AUnari 41 19.)

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Angelo Gaddi

Paar von Mugit rn doppelt, vor und nach dem Machtsproch des

Heilij^nn zugleich

I)ic^s(^ Wendung /.u Gunsten des künstlerischen Rechtes auf P>il(itMnht ii l)ci Giottino stoht als wertvoller Ueitrag um so h6her, als der \ iclhcsehaftigte Angcio Gaddi ff 139O) in der rhorkapello vot) Si. ( rocc die Geschiehte des Kreuzes viel befange ner im Nacheinander des Erzälers \ orlragt. Auch er giebt nur n<»ch h' ri- ^oniale I eihmg, aber auf seinen ßildern schieben sich die Kreignisse neben einander in dichtem (redrän^e d.dicr, bald etwas schräjf ubtirciuander gepfropft, bald in breitem /-uge, aber unübcrsicliilich. so dafs der Betrachter Aiüiu hat, dem Faden der Legende richtig 7u folgen, d.d)ei .ibor für das Auge nichts gewinnt, das als An- schauung eines dan/en, mag der Kausalnexus der 1-abel aiu^h da- bei /.u kurz kommen, sonst so reichlich zu entschädigen vermöchte Episoden und llauptnunnente gleiten one Unterschied und Wal vor unscrm Blick entlang, und wir wissen nicht, warum der Str<>m ab- setzt, um eine andre Reihe zu beginnen, üb hüben oder drüben. Mehr dekoratives Geschick bewärt er in der Cappella della cintola des Domes zu Prato, aber auch den selben Mangel an eigentlich architektonischem Sinn, indem er ganz gleichgültig das Bogenfck) in zwei Scenen sondert und den Wandstreifen darunter einheitlich durchfthrt, wenn nur auch zwei Momente Platz finden, vom Ver- hältnis zur Wand gegenüber garnicht zu reden. Sein Betsptel ist verderblich; denn es verleitest alle geringeren Kräfte bis über das Ende des Jarhunderts hinaus, von dem inneren Zusammenhang mit dem Raumgebilde der Baukunst fast völlig abzusehen, wenn nur die Fläche förs Weiterfabuliercn nicht zertrennt wird.

Neben solchen kleinen und grofsen Kapellen, deren oberste Region bei starker Höhe kaum noch absehbar blieb, muls das Ver- &ren in weiten Räumen mit fortlaufenden Umfassungsmauern, wo der Besucher beliebigen Abstand gewinnen kann, ganz besonders beachtet werden. Es ist bezeichnend, was man mit der Fläche an- fieng, wo die Oertlichkeit seitist keinen Zwang ausübte! f^rrdch jedenfalls ist ein Blick in den Camposanto zu Pisa, der mit seinen Bilderwänden fast einzig in seiner Art dasteht Soweit das Trccento diese Mauern ausgeschmückt hat, sind sc:hon die ver- schiedensten Methoden versucht Wieder knüpft sich der Name

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Camposanto DI Pisa

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des Orcagna, fälschlich allcrding-s, aber nicht onc allen Sinn, an die Knlnssalt^'-t'mälde, die fne aulserlichc Zerlegung in StrcMfen und Ab- .-^chnitte auszukommen suchen. r)ie Ansdenung ents|)richi etwa der Wand eines Riesensales. deren Breite zu umspannen dem Be- trachter auf Ii vom entferntesten Standpunkt dicht an den inncrn Arkaden ebenso schwer fallt wie deren HAho, so dafs reine .Simul- tananschauung des Ganzen sich von selljst ausrchlielst und eine Auf- losunuf in succf ssive pM-wc^unj^r ert'olj^en mufs. Es ist ein förmlicher Kampf mit der Fläche, den wir unter Aufwand aller d.unals ver- fügbaren Mittel sich vollziehen sehen Wie unleidlich stehen „Jüngstes Gericht" und „Inferno" neben cin.mder, one Intervall oder Kanienstreif dazwilchen. r)ie Kcjlossalfi^ur des Satcii.ab in dem halbcylindrischcn Turmverliels, dessen Innenweite in vier llon.j i.tj!- geschossen, wie Parterre und Ränge einer grausigen Strafanstalt, ua. den Betriebsdirektor in der Mitte sich aufbaut, ist plastisch wirk- sanier zur Einheit als die paarige Mandorla mit Maria neben Christus und der Engelgruppe daronter in der Luftregion, samt den voll- streckenden Kriegern des Himmels auf dem Erdboden, der seine Toten herausgiebt. Orcagnasche Massen äbcr einander aufgereihter Figuren links und rechts als Erwälte und Verdammte, darüber auf Wolkenstreifen, durch die Mittelgruppe der Gottheiten in zwei Hälften geteilt, die tronenden Apostel und über diesen wieder schwebende Engel mit den Marterwerkzeugen, lauter tektonisch- plastiscfae Gliederung, die doch wieder auseinanderfällt, und das Ganze durchaus hinfälliges Stückwerk neben der festen Höhenarchi- tektur der Holle. Nur die helle unwirkliche Färbung des Ganzen rettet die Möglichkeit des Bestehens neben einander. Trotz aller Energie des Charakters waltet die Idealität der poetischen Vorstellung, wenigstens in dem F!rogramm, das dem Maler gegeben ward. Aber fällt seine Ausfllrung nicht dodi schon dabei aus der Rolle?

Weitere Anläufe mit schräg in die Höhe geschobenem Felsgestein als Wonstätte der Einsiedler, mit kämpfenden Engeln und Dämonen in der Luft, begegnen uns neben einander auf dem berümten „Trionfo della Morte"*, dessen untere Hälfte mch wieder deutlich in drei Ab- schnitte auseinander legt: die Begegnung des Reiterzuges der lebenden Könige mit den toten in ihrem Sarkophag, die Ernte der Todesgöttin mit der Sichel unter den Reichen und Glücklichen, Wärend die Armen und Elenden sie vergebens herbeirufen, und endlich den Liebesgarten ganz rechts.

Von einer I^ewältigung der gewaltigen Bildflächc kann also keine Rede sein, weder im plastischen noch im linearen Sinne, sondern nur von Anläufen dazu, die als weitere Fortschritte im Einzelnen

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Camposanto DI Pisa

ihren Wert behaupten. Es ist im Grunde ein Widerstreit zwischen der Bewegung in die Höhe und der in die Breite, als ob das sdiweifende Auge und der entlang ftlrende Sduitt des Betrachters einander die Oberleitung- streitig machten ; aber die räumliche Tiefe will sich nirgends ergeben, um beide mit einander auszugleichen, wie nur Me es vermag*

Erst wenn man daneben die Schilderung des Ereroitenlebens heranzieht, wo ganz tektonisch ein Felsterrassenwerk aufgebaut ist, als wäre die senkrecht aufeteigende Mauer eine schräg ansteigende Gebirgswand mit zalreichen Graten und Klüften, die das Auge nur mit wachsender Unruhe samt und sonders in gleicher Deutlichkeit überschaut, erkennt man auch die Vorstufe, die dem Triumph des Todes vorangegangen, auch die wachsende Kraft räumlicher An- schauung Im Gro&en, die sich in letzterem Wandbild verkündet.

Ein ganz anderes Verfaren wird jedoch eingeschlagen, wo die Legenden der frisanischen Lokalheiligen gemalt werden sollten: zu- nächst die Zerteilung der Höhe In zwei Parallelstreifen. Sie nimmt sich im Vergleich zu jenen titanischen Versuchen, Himmel und Hölle auf diese Mauorn lu werfen, doch wo! wie Resignation aus. Frei- lich, schon im Triumph des Todes neigt sich das l^Iohotilot als Do> minante und wird allmählich zur Diagonale, gleichwie die Betrach- tung von den letzten Dingen, den entgegenstehenden Polen des Oben und Unten, sich nun den Dingen dieser Welt, d. h. dem irdischen Getriebe zwischen Weltfreude und Weltflucht zuwendet, und damit dem Lauf der eignen Zeit, dem Leben des Tages umher. Die Legenden der Schutzhcilig-cn von Pisa crzfilen wieder für den leben- den Pietrachter, damit er sich in (Vio I\>rson dieses Vorbildes ver- setze o(l(T (1< clt unversehens sich unter die Zeus^en mische, die diese Krci^nisse mit erheben. Da braucht es der festen (irundlage des Bodens, auf ciem wir wandehi. So erliält dann die Fünmcf sofort der vorüberschreitende Besucher, wie es in solcher Wandell>an. wie diese Ums4^änge des Camposanto, sich fast von selber verstehen sollte. Die succcssive Autiassung regiert.

Da malt Francesco da Volterra die Geschichten von .S. Giobbe (137 1) nicht one fülbaren Anschluss an die räumliche Vor- stellung der soeben betrachteten Hauptstückc, besonders in der oberen Reihe, so dass man das Recht bezweifeln darf, ihn einfach zur florentinischen Schule zu rechnen. Er hat eine abweichende Art, die Uebcrschau über ein weites schräg ansteigendes Terrain zu eröffnen, um so die ganze Höhe des Wandstreifens fiir seine Dar- stellung auszubeuten, dass schon aus diesem Grunde seine Schulung anders erklärt werden mufs. Sein Vortrag ist nirgends auf knappe

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Andrea da Firenze

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Handlung^, sondern auf breite Siiu.iLion angelegt und schildert die Umgebung su ausgcdont, als blickten wir von hohem ] unn aus über die ganze Gegend hin. Erst in der untern Reihe modificiert sich diese Oekonomie, der Nähe des Betrachters gemäfs; aber schon die Stadtansicht mit den Warzeichen Roms erregt neue Bedenken, ob Siena oder Pisa die Heimat seiner Kunst, auf die hier doch nidit eingegangen werden soll.

Wie anders aber beginnt Andrea da Firenze mit der Ge- schichte Rayners vom Eingang her (1377) unter deutlicher Bevor- zugung des Zeitkostüms, von dem sich nur der wunderliche Heilige selbst und seine himmlischen Helfer unterscheiden. Hier ist das enggedrängte Geschiebe einzelner Momente in fortlaufender Rei- hung ganz änltch wie bei Angelo Gaddi in den Geschichten des Kreuzes^ nur M der geringem Höhe des Friesftreifens one die Quetschungen nach aufwärts, in regelmäCsigem Parallelismus. Nach einem ersten Anlauf kommt auf jeden Schritt des Betrachters eine Scene Dir sich, und zwar hat jeder neue Moment seine neue Archi- tekturkoulisse, man möchte sagen, sein Gehäuse bei sidi. I>ie ver- einzelten P'älle, wo zwei Momente in dem selben Gebäude, aber an zwei verschiedenen Stellen desselben spielen, sind auch die einzigfen, mehr durch den technischen \^olIzug der Freskoarbeit veranlalsten, Versuche zur Einigung im Bilde.

Wie mag sich ein solcher Erzäler mit einer symbolischen Dar- stellung auf einer Wand der Spngnuoli-Kapelle zurechtfinden, fragt man sich angesichts dieses kleinlichen Beispiels im Camposanta Die Zerteilung in zwei Stockwerke und des unteren wieder in lauter schmale Vertikalstreifon, wie für flie (iloHe des Thomas von Aquino, erscheint durchaus hegreiflich. .\her die X'rrherrlichung des Gottes- roirhes auf Erden gegenüber offenliart doch einen überrasrhenden Fortschritt. Das Ijild ikr christlichen Kirche selbst, nach dem da- maligen Rauideal eines Francesco Talenti für den Florentiner Dom vorgefürt, ruhig und starr als Architekturitück aufgerissen, lie- deckt schon eine beträchtliche Fläche zur Linken, nicht eben mit malerischem Leben, aber doch mit der Abweclislung, die auch die Schwesterkunst in italienischer (Tf>tik zu bieten weifs, natürlich mit der pol_vgoncti Kuppel über der Vierung in die Höhe ragend, wie man sie damals zu volleiuleu träumte, also mit hohem i'h.mtasiereiz dazu. Unten vor ihrer Langseitc beginnt die Figurenreihe, die Ver- treter des geistlichen und weltlichen Regiments bis zu ihrem dop- pelten Haupte Papst und Kaiser neben einander. Die schwarz- und weifsgeflekten Hunde» die Dominikaner, sorgen in der Menge des Volkes, wo sich Widerspruch regt, fQr die Aufrechterhaltung dieser

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Antonio Veneziano

gottfjfewoUten Ordnung; Ihre Ordensheüigen predigen gegen die Irr- lere und bringen die Ketzer zur Bekerung. Das ent&ltet sich im Vordergrund in etwa fänf Gruppen nah aneinander. Bis dahin ver- läuft also unsere Blickban von links nach rechts weiter« dann aber wird sie durch den terrassenfbrmig aufgebauten Garten zur Rediten aufwärts gelenkt» um von hier aus die Wendung nach links zurück zu nemen, Ober den Aufstieg der Gläubigen zur Schwelle des Hiin> mdis, wie der Weg über dem Bau der Kirdie entlang hinanftlrt Droben in der Höhe des breitgedrOckten Spitzbogens erscheint Christus in der Mandorla tronend als Beschützer seiner Kirche, von Engeln umgeben. Wärend also der Körper des idealen Bauwerks links den Bildraum in Länge und Höhe ruhig erflallt. wird das Auge des Betrachters, den Figuren folgend von links unten nach rechts zur mittleren Höhe und von da wieder zurück nach links empor geleitet» durch das ganze Bild hin, über dem als höchste Instanz die Person des Erlösers mit seinen Engelscharen wacht. Uniäugbar sind hier Studien verwertet, die bei unserm Denkmälervorrat neben den allegorischen Dcckenbildern Giottos in Assisi nur auf die gro&en Wandgemälde des Camposanto, besonders auf den Triumph des Todes ziirückgefürt werden können. Damit wäre alsdann auch ein Mittel zur Datierung der Malereien an den Wänden des Cappcl- lone gewonnen, das bisher unbeachtet geblieben ist, und dies er- klarte ;^iiJ2flGich, weshalb Andrea da I'irenze die Leidende Rayners mit dem oberen Streifen abbrach, vielleicht gar, weshalb die Vol- lendung erst 1386/87 durch Antonio Veneziano ^-eschah.

Nach Vasari hätte -\iigelo Gaddi diesen jungen \ eneziancr als Lerling aus der Lagunenstadt mit nach Floren/ gebracht. Schon 1370 ist er selbständig neben Andrea V'aniii in Siena bei der Aus- malung des LicwOlbes im Dom beschäftigt, erwirbt aber erst im September 1374. die Zünftigkeit in Florenz. Wenn also Crowe und Cavalcaselle seine Hand an den 1 Jeckenbüdern der Capp. Sj>agnuuli erkennen, so würde sich sowol der Zusammenhang mit den Kom- positionen des alten Taddeo Gaddi, auf dessen Kunstkapital man sie zurückgeleitet hat, sehr wol erklären, wie andrerseits die Einmischusti; sienesischer Elemente in Gewandbehandlung und Farbe, die übrigens auch bd Andrea da Flrenze unveikennbar ist und Vasari sogar ver- anlaTst hat an Simone Martini zu denken. Damit rüren wir jeden- falls an einen wichtigen Punkt der florentinischen Kunstgeschichte: den Austausch zwisdien der heimisdien, im engem Sinn giotteskra Schule und den viel&ch besonders beliebten Vorzügen der siene- sischen Meister. Dieser Austausch darf als wichtiges Moment der Entwicklungsgeschidite nidit gering angeschlagen werden. Er bat,

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Antonio Veneziano

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wenn auch die \^orzüge h.iupts.ichlic h in clor Tafolmalcrei gesucht worden sind, nichts desto weniger auc h auf dem Gebiet der Wand- malerei !ä;tattgefunden. Davon zeugen nicht allein die iiilder im Ouerhaus der Unterkirrhe von Assisi, jenem Passinnscyklus des Pietr«) I.orenzeili gi>^>t iudMT, di(^ andrerseits noch dem (liottn selber so nahe kommen, sondern auch th^r ganze Kunstrharakter seines nächsten deistesverwandten (nottim) nicht minder. Davon zeugen obenso I'ernardo Daddi neben Orcagna und weiter Andrea da Fi- ren/.c neben Antonio Veneziano, wenn er um 1374 die Deckenbilder des Capellone gemalt hat.

Ein weiter Abstand, \ <ill reicher l-ortsehritle iu destakung und Farbe, trennt jedenfalls die Fresken im Camposanto (1386/87) von jenen ihm zugeschriebenen Stücken in l lurenz Als Fremdling aus Venedig erscheint er auf toskanischcm Hoden dun Ii die Beleuch- tung und die helle fast selbstleuchtende Durchsichtigkeit seiner Kar- nation wie durch die Modellierung in 1 lelldunkelkuntrastcn von grulser Kraft Seine Raumgestaltung aber, seine Weise mit den gegebenen Streifen als Bildfläche zu verfaren, auf die es uns zunächst ankommt, unterscheidet ihn grnindsätzHch von Andrea da Firenze wie von Angelo Gaddi. Das Beispiel Giottinos in Florenz und das Erbteil der Lorenzetti in Siena haben unverkennbar zusammengewirkt, um das zu erzeugen, was er bietet : die breite Entfaltung in geräumigen Abschnitten, die mit der zerhackten Koulissenreihung des Vorgängers im oberen Streifen gar seltsam kontrastiert. Aber seine Seestücke im Sturm mit wirksamer Wiedergabe des Schiffes neben seinen städtischen Schauplätzen von Pisa, mit Strafsenscenen drunten und Einblicken in Loggiengemächer droben auf dem Söller, sie zeigen allesamt, dafs er eigentlich kein architektonischer Kopf ist und auf konstruktiven Aufbau eines Raumgebtldes in der Fläche nicdit aus- geht, sondern dafs die malerische Anschauung bei ihm vorherrscht, die Raumgebilde und Körpergebilde im Zusammenhang neben ein- ander auffasst, beide gleich bedingt und abhängig von einem Dritten, das über alle hinausgeht. Ueberall ergiebt sich ihm der Aus- blick in die Tiefe, oft schon in beträchtlicher Stärke ; aber es kommt ihm nicht bei, sie als gemeinsamen Faktor mit Hülfe einer konse- quenteren Perspektive für das Gesamtbild bewältigen und verwerten zu wollen. Er g^t ihr immer nur soweit nach, wie der malerische Reiz ihn lockt, und gleitet dann ebenso leicht in die unbestimmte Fläche über, deren Länge der Leitfaden bleibt auch bei ihm. Seine Auffassung und Verwertung des Schauplatzes hat uniäugbarc Ver- wandtschaft mit der Weise des Alüchiero und Avanzo in den Fresken zu Padua. Dann aber, in den letzten Momenten, dem Tode

Schin«rsow, ]liluaocio«ätuclieii V. 8

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Giovanni da Milano

dfs ITeilißfen und der Procession mit seiner Leiche, gewinnt die pla- sü&ciie Gost.iliung entschieden die Oberhand. Das iKkuiiden die Genrefiguren der Fischer am Strande, die last zu greifbar \v. rd« n. schon als feste Korper neben dem wogenden Meere und dor hjit- losen Weite um das Schiff; es tritt aber dann mit Harte hervor um den aufgebarten Toten unil besiimmt die ganze Rechnung im feier- Hchcn Zuge, der sic h (Irmgemäls durchaus reHefartig entfaltet, dafs die Körper der l iguren mit den gerade hierfür wirksamen Kindern den Raum um sich erschaffen. Damit stofsen wir un- mittelbar auf die nächste Vorgeschichte des Masolino und Masaccio; denn zwischen ihnen und Antonio Veneziano scheint nur noch ein Zwischenglied zu feien, das der Name Gherardo Stamina zu bilden pflegt.

Doch sei vorerst nodi an einen zweiten Oberitaliener erinnert, der schon vor Antonio Veneziano und neben Giottino seinen Wirkungs> kreis in Florenz und Rom gefunden hat: Giovanni di Jacopo Guidi aus Caversajo bei Como, gewOnlich kurzweg Giovanni daMilano genannt. Er ist freilich als Gehülfe des Taddeo Gaddi in die florentinische Kunst hineingekommen, hat aber auch seinerseits heimatliche Eigentümlichkeiten mitgebracht und beibehalten, die meines Erachtens nicht übersehen werden dürften, und zwar in der Tafelmalerei wie im Fresko. Ganz besonders unterscheidet sich sein Marienleben und seine Magdalenenlegende in der Sakristei von Croce durch Schwächen der Raumauffassung, die allerdings mehr psychologisch interessant als kunstgeschtchtlich bedeutsam sind.') Jedenfalls war das Auftreten des Antonio Veneziano viel wichtiger, und lälst die Frage offen, was seine heimatliche Gabe am Amostiand zu wirken vermocht hat.

Im Camposanto zu Rsa folgt aber auf Antonio Veneziano nodi ein andrer Künstler» der keineswegs one Weiteres der florentinisdien Entwicklung eingereiht werden darf, obgleich auch er in Florenz beschäftigt und fast heimisch geworden, wie hernach in Siena. eine Anzal wichtiger Werke hinterlassen und Schule gebildet hat. Es ist Spinello Aretino (t 1410). Die Malerei des Trecertto ver- dankt diesem fruchtbaren Talent aus Arezzo jedenfalls die gr&6te Bereicherung nach der Seite der Phantasiewirkung: er hat alle Gegenstande, die er unter Händen nam, darunter ganze Legenden, wie die S. Benedikts in S. Miniato und S. Caterinas in Antella

*) Eben dcsbalb imifs ich gogcu die Zuweisung der Madonnm mit HdiigeD im Rlosterhof des Carraine, die Crowe und C«va1c«selle (Itel. Ausg. II, p, 100) vertietea. Einspruch erhebeo und denke dabei vielmehr an Lorenzo di Biod, der in der Salnrärtci de« Carmiae gemalt bat.

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Sfinello Aretino

(i^S'S f^ des Ephesiiis und Potitus im Camposanto /u Pisa (1391) utul im bist' Tischen ( '\ kliis. wie die si chzen Bilder .uis der (icschichtc Barlxtrc >ssas und .Vlcxandi rs III im Pal. Pubhlico /.u Sicn.i (1407 f.) selbst abstruse und trod.inkcnhaflc Iheniata, wie den Fall Luciters in Arezzo, mit eiiu r l ulle lebendiger Motive und poetischer Be- ziehungen ausgestattet, die seine Erfindungsp.iVie als allen Andern überlegen erscheinen lalst. Neben dem Sinn für reizvolle Bewegungen und Stellungen der menschlichen Gestalt, die er doch nirgends bis zu plastischer Vollendung durchfürt, besitzt er auch eine ebenso bewegliche, auf alle erdenklichen Kombinationen verfallende Raum- vorstcllung, aber auch diese steigert sich nirgends zu der vollen Konsequenz dreidimensionaler Entfaltung, die ihn zum Eroberer der perspektivischen Konstruktionsregeln hätte machen mOrsen, noch zu der monumentalen Grofsartigkeit, die im Anschluss an gegebene Räumlichkeiten die architektonische Schöpfung weiter färt oder zu Gunsten eines BUdeindruckes umztiscbaffen vermag. So kommt es ihm auch nicht auf strenges Erfassen seiner Aufgabe, auf die ernste Durchdringung ihres Kernes und die geistige Tiefe der Auslegung an, sondern mehr auf ein unterhaltendes Spiel der Phantasie, und die tragische Kraft ist ihm fast völlig versagt Den strengen Stil eines Giotto hat keiner in solchem Umfang aufgelockert und dem sichern Zerfall entgegen getrieben wie er, wärend man ihm andrer- seits nachsagen muTs, dass er sich niemals dem Wert dieser Ueber- lieferung verschlossen, sondern vielmehr überall zu lernen gewufet, bei den Sienesen ebenso wie bei den Florentinern, und sich alle diese Vorzüge soweit möglich zu eigen gemacht hat Er selbst be- sitzt entschieden mehr Verwandtschaft mit den Sienesen und knüpft viel unmittelbarer an die frühen Arbeiten der Lorenzetti an als an die irgend eines Florentiners, es sei denn Angelo Gaddi, dem er an genialer Begabung weit Oberlegen war. Die crwänten Cyklen in S. Miniato al Monte zu Florenz und in S. Caterina delle ruote zu Antella, im Camposanto zu Pisa und im Pal. Pubblico zu Siena beanspruchen ihren ganz bestimmten Platz in der Entwicklungs- geschichte der Wandmalerei. Die Legende Katharinas wurde ein- gehend mit der Auswal daraus von Masaccio in S. CltMuente zu Rom verglichen. Die Geschichten Barbarossas zu Ehren des Papstes Alexander fordern mehr zu Vergleichen mit den Leistungen der T^renzetti heraus. Die Fresken im Camposanto zeigen fast immer eine zweiteilige Gliederung des Wandstreifens, in dessen Mitte bald eine feste Dominante hingesetzt ist, wie der feurige Ofen, oder ein Intervall zwischen Bewegungen in entgegengeset/tor Richtung. Immer sind es Gestaltenströme, die schnell an uns vorüberziehen sollen. Des-

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Gherardo Starnika

halb geht auch die Anschauung nirgends in die Tirfo. sondern wird wol irar durch einen parallHon Mnhrnznj:f hinter den Figuren ab- geschnilton : aber selbst dieser 1 lititeri^'^rutKl bcLrleitot 7. die W'ellon- bewegiiiiy der Keiu-rmas^scii. Ks ist im (iriinde nur eine tbif/hlige Dekoration, die er mit geläuliger IWavonr spal iiMch improvisiert, aber noch immer reich an jugendlicher Anmut und ritterlicher Eleganz.

Wir Würden gern auf ein gut Teil der oberflächlichen Erzeug- nisse seiner Mitgenossen und Nachfolger, wie Niccolö di Pietro Gerini und I.orenzo di Niccolo oder Lorenzo di Bicci und Bicci di Lorenio verzichten, wäre uns dafür ein einziger sie h( r betrlaubigt^r Cykius von Gherardo Starnina erhalten. Soweit die kritische Forschung heute gediehen ist, besitzen wir gar kein zuverlässiges Werk, um mit srinem Namen eine festumschriebene Vorstellung zu verbinden, zumal da die eingehendere I •esehrcibung Vasaris von den Wandgemälden und dem Altarstück der Cappella Serragli im Carmine, mit Geschichten des hl. Hieronymus, mehr zur Phantasie spricht als konkrete Anschauung übermittelt. Nach dem Untergang dieses Hauptwerkes sind wir an der Hand der Nachrichten auf zwei Wege angewiesen, auf die Ableitung aus dem Vorgänger Antonio Veneziano oder auf den Rückschluss aus dem Nachfolger, wie An- tonio Vite da l'istoja ') orler Masolino da Panicale. Die Ergelinis^e beider Prozesse könnten sicli ergänzen und w urden sich so gcgenseiiiir bestätigen. In der J I an jjtsaclie jedoch türcn beide zu einem ganz entgegengesetzten Resultat, das für den Stil des Meisters fast Un- vereinbares aussagt, zumal da keine längere Periode der Tätigkeit vorliegt, zwischen deren Anfang und Knde . in ^o starker Wandel gesucht werden dürtt»*, und da ausserdem die ijelcge iür einen turt- gescliritienen Stil früher anzusetzen wären, als die für eine sehr schwache ( i estalt u ngskraft.

Starnina ist 1387 bei der Alalergenossenschalt 7\x Florenz imm.i- trikuliert wurden imd soll 1408 gestorben sein. Ware inui die Xacli- richt Vasaris, dals Masolino da Panicale sein Seh u 1er gewesen, über allen Zweifel erhaben, daini Heise sich aus den bezeichneten Fresken in Castiglione d' ülona, und zwar aus den Deckenbildem

*) Ueber Antonio Vite und Gherardo Starnio« vgl. meine Abbandliuig ftber fie CftppelU deir AssnntB im Dom <u Pnto, Repertoriiim für Kanstwitentdiaft \%^y

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Gherardo Starnina

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von 1425 allein, ein ROckschluss auf den Lerer mit ziemlicher War- scheinlichkcit gewinnen. Denn Masolino war 1583 geboren, kann

also Starninas Schüler nur in dessen letzter Zeit gewesen sein, wo der Meister sicli bereits im Vollbesitz seiner künstlerischen Errungen- Schäften befand. Wir hätten aus jenen Arbeiten Masolinos natürlich die sichtlich neuerworbenen Bestandteile zu eliminieren, wie 2. B. die nach Brunclleschis Vorschrift perspektivisch aufgerissene Architektur und dergleichen Versuche im Sinne des Realismus, die sich mit den Figuren onehin noch nicht zu oinrr Einheit \ erschmolzen haben. Eben diese (^'•staltiinij der heiligen I'or.soncn erscheint für 1425 merkwünlitf /uruckgeblie])eii. und eben sie wäre das ererbte I5esit/.- tum. Die ( lestrecktheit de r Proportionen und die Gebrechlichkeit der ( nieder betremdet auch beim Rückblick auf die Vorgänger in Floren/., Es sind überschlanke silphidenhafte (xescliopfe, die weder fest auf ihren Eiifsen slehen, no» h auf ihren Bänken sitzen können. Nur bei Joseph und seinen Genossen meldet sich ein gedrungener Wuchs mit kraltiuerem Kopfe; sonst u])er\viegt überall eine weib- liche Zartheit, Hielsende siofflöse dewander, matte energielose Be- wegung, die si( h vielleicht am ehesten in Rankenornamentik spät- gotischer Dekoration einordnen möchte oder sie als Folie verlangt. Genug, eine derartige Bildung findet sich nirgend in Florenz bei den bekannteren Freskomalern der Zeit. Es sei denn, dass wir Parri Spincllis überladene Gewandfiguren ihrer abgetreppten Draperie nach der ersten Manier des Niccold d' Arezzo entkleideten und in einfacher fliefsender Hülle vorstellten. Sonst dürfte am ehesten auf den Genossen des Paolo Uccello im Klosterhof von S. M. Novella hingewiesen werden, der neben der ersten Lünette dieses Meisters die Vertreibung aus den Paradiese und die Familie Adam hei der Arbeit gemalt hat, aber auch in diesem ProbestQck in Chiaroscuro von Dello D e Iii ist mehr plastisches Gefül im Sinne Ghibertis ent« halten und verrät sich unverkennbar die Schulung im Relief nach Art der Terracottabildner vor Luca della Robbia. Sollte man da- gegen aus den Deckenbildern im Chor der Collegiata zu Castiglione d' Olona allein auf die ursprüngliche Schulung Masolinos zurück- sd)lie(sen, so käme man wie an seiner Stelle schon ausgesprochen wurde viel eher auf einen Miniaturisten oder Dekorateur von Üüchtigster Grrazie.

Indefs diese Eigenschaften verbinden sich doch mit andern, hauptsächlich technisch, r Art, mit dem rosigen Hauch der Karna- tion, dereti Schatten allerdings grünlich angelegt sind, mit der lichten Klarheit eint r flotten und in ihrem leichten Bestände halt- baren Freskomalerei, die auf Starnina zurückgeiürt werden durfte,

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Gherardo Starnina

weil sie schon bei Antonio Veneziano vorkommt, der als sein Lerer gilt.

Damit mündet dieser erste Weg an der Stelle gemeinsamen Bodens in den zweiten, der versucht werden kann, nämlich die Ab- leitung Starninas aus seinem >rL;än;^n'r Antonio V e n e z i a n o. Sie rTirjoht f inen ganz andern C harakter: kräftige, robuste Gestal- tung vi»r al'K 11 Dingen, die auf pinstisrbe Modellierung durch starke Kontfiistc (It'f Srliatten und Lirhl»T ausgeht; flabei Neii^uiig /u rea- Hstischeii ln-ur''!!:^ ur. n, die sich g(.'rn im \'< »rdtTgruiulo hrcit machen, ja zw häfsliihcTi (nscllpn n^ben würdevollen grolszüi^igon iiaupl- perse>nen. Uas \\ur<l(^ /u der Schilderung Vasaris stimnicn, die vf)n Starninas Bildern iiusdini l.tl)t;n tles hl llieronNnnis nobin der Intcusi- tat des A ustirucks, der gespannten Auinierksamkeit seiner Schreiber beim Diktat d< s Testamentes, auch die burleske Scene hervorhebt, wie als Kontr.ist /u dem Mufterknaben Girolamo ein andres Bül^ lein Tunichlgul vom Schulmeifter coram publice a posteriori ge- züchtigt wird, d. h. ein derbes Motiv, das noch Benozzo Crozzoli ü£fenbar von hier übernommen und ins Leben Augustins nach S. Gimignano übertragen hat

Von dem Wege, den wir einschlagen Starnina wiederzufinden, hängt auch die Zuweisung zweier Werke ab, eines arg beschädigten Freskeneyklus und eines gegenwärtig verschollenen, nur in gewissen- hafter Abbildung vorliegenden Tafelbildes, vielleicht noch eines zweiten, dessen wir soeben wieder habhaft werden. Geht die For- schung von Antonio Veneziano aus, so kommt sie mit Crowe und Cavalcaselle auf Grund des Zeugnisses bei Vasari dazu, die wieder- aufgedeckten Fresken der Cappella Castellani in Sf^; Croce mit Ge- schickten des hl. Nikolaus und Antonius Abbas dem Gherardo Star- nina zuzuweisen. Als Mittelglied dazu bietet sich neuerdings noch der rechte Flügel einer Himmelfart Christi an, der allein von dem dreiteiligen Altar augenblicklidi noch nachweisbar ist, und zwar in der Galerie zu Altenburg, wo ich das Werk wegen der engen Ver- wandtschaft des einen Apostelkopfes mit dem hl. Rayner auf den Fresken im Camposanto zu Pisa auf Antonio Veneziano getauft habe one darüber unklar zu sein, dafs es unter gewissen Be- dint;ungcn auch schon für Starnina in h'rage käme, und mit dem ausdrücklichen Hinweis, dafs die Geschichten des hl. Nikolaus in S?- Croce die nächste Uebereinstimmungmit den beglaubigten Werken des Antonio Veneziano besitzen, so dais sie vorerst mit seinem Namen

>) Vgl. Festücbrift zu Ehren des kuoslhistorischen Instituts in Floren«, Lripcid A. G. Licbeskind 1897. Die altitalicniscbon Gemälde iti Altenbur^ mit Abbildung de» Stockes, und den neuvo Katalog der Sammlung 1898.

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Antonio Vite

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in Verbindung zu bringen wären, snlant^e wir über Starnina nicht urteilen können. Geht dagegen die Forschimp^ von Masolino aus rückwärts, so erhält eine andre traditionelle Zuschreibung War- scheinlichkoii. die ein Tafelbild in der ehemaligen Sammlung Ar- taud de Montor in Paris mit Starninas Namen belegte. Es ist die Darstellung des Sposalizio in einem niedrigen Breitformat, nicht un- änlich denen der Hochzeitstruhen.

Hier sind solche schlanken, fast sentimental sich n< ig( nch n Figuren vorhanden und zwar durchweg, wie bei Masolino noch in dem Sposalizio von 1425, mit dem die Komposition auch soweit

übereinstimmt, wie die andersartigen Bedingungen des schin iUn Hochformats der Gewölbekappe gestatten. Mit Sicherheit darf ausgesprochen werden: wenn der traditionelle Namen Starnina für dies (augenblicklich nur aus den wertvollen Tafeln des Katalogs von 1843 in Steindruck bekannte) Bild nicht richtig wäre, so könnte nur Masolino selbst an die Stelle gesetzt werden^).

Damit stehen wir vor einem Dilemma, das nur dann noch einer befriedigenden Lösung näher gebracht werden könnte, wenn uns beglaubigte Leistungen des älteren Schülers, Antonio Vite da Pistoja erhalten wären, den .Starnina als seitirn Ersatzmann 1403 nach Pisa schickte, um den Kapitolsal von S. Niccolo mit der Pas- sion Christi zu schmücken. Diese Malereien waren mit vollem Namen »Antonius Vite de Pistorio j)iiixit« bezeiciinet, wie noch Manni gelesen und (Xoten zu Baldinucci IV. 537) berichtet hat. Sie hclbst aber sind iinu r-^ei^rani^en, also ist das zuverlässige Zeugnis zu verwerten unmöglich. Sonst werden, auch von Crowe und Ca- valcaselle, die unteren Fresken einer Nebenkapelle des Chores im Dom zu Prato mit diesem Schüler Starninas in Zusammenhang ge- bracht. Drei von diesen Waiidltildern sollen ihm gehören, die .Steinigung des Stephanus und die Pjcsiallung des Märtyrers mit der Leiche eines neben ihm gctundenen Leidensgefärtcn, an der linken Wand, wo der oberste Abschnitt mit der Disputation des Stephanus von einer späteren Hand neu gemalt worden, die auch die andern, und zwar noch in der ersten Hälfte des Quattrocento, restauriert hat. Auf der rediten Wand zuunterst das Sposalizio, das ebenfalls über- gangen und von dem selben Maler, Domenico Vcneziano, mit seinem architektonischen Schauplatz geschmückt ward, der die bei' den obem Bilder Geburt und Tempelgai^g Marias ganz neu mit samt der Deckenmalerei hinzufügen mufste.

Diese drei Fresken der Cappella dell* Assunta der Pieve zu

*) Vf*l. meinen Aufsatz in der Gazette des Beattz-Arts 1898,

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Antonio Vite

Prato gehören jedenfalls einem späten Abkömmling der Trecenio- malerei, der durch zalreichc Züj^e im Einzelnen bereits verrat, dafs er zu den Zeitgenossen des Masolino und Paolo Ui et llo gehört, so sehr auch der (rrundstock seines Kunst Vermögens mit der altgewor» denen Tradition zusammen zu hängen scheint '). v\m altertümlich- sten erscheint dir Bestattung im Langhaus einer Säulenbasilika, deren Stützen unter dem graden Gebälk nicht vollzälig gegeben werden, weil sich Figuren herandrängen. Aber das aufgeregte farige Wesni des Malers füll sieh offenbar überhaupt urilx haglich btn einer so feierlielicn Cerrinonie. Kr versetzt sie in seine fiv^ene Zeit, sebnukkt die (ieisiliehen mit Knrdinalshüten und Mitren von damals, und die weltlichen 1 irrrn sonst mit Capuceio und Reisehut, bis 7u n Porlrätfiguren der Stifter am Rande, deren einer einen Falken <>.ui der Hand trägt. Die Grundlagen seiner Körperkenntnis sind sehr unsicher, die Haltung schon der Hände oft ganz verdreht ; aber er liebt die Bewegung und Hast, und stellt sie auch mit völlig unzu- länglichen Mitt(^ln dar. Dem knieenden Diakoix ii vorn am S.irk >- phage, dem gebeugten Bischof zu Fülsen entsprechen oben die w i!J durcheinanderfarcnden Gestalten der Steiniger. Nur hinter doui knieenden Opfer des Fanatismus stehen drei ruhige Figuren, scll- bani vercinigl; der Paulus», schmächtig und schwank in Ijiblischer Tracht, und ein Bürger von Prato in Kapuze, breitspurig und voll Behagen; dazwischen der Kopf eines langbärtigen Bramarbas, der schon an Uccello erinnert, wie die seltsam gequetschte Kopf bildung mit breiter Schädelbasis und spitz zusammenfliehendem Kinnbacken auch sonst. Das Sposalizio, wo der Priester und Joseph wie manche Frauenkopfe wieder an Uccello streifen, artet links in einen Tumult aus, wo nicht nur ji beph geschlagen wird, sondern ein herzulaufen^ der Knabe sogar den Leib der Braut mit der Faust bedroht, wärend sie den Ring empfängt. Das sind allerdings Motive nach jener Art Starninas, wie sie auch bd der Taufe Christi von Masolino noch 1435 in Castigltone vorkommen. Aber das Wissen und Können, das hier vorliegt, würde dem Lerer nicht viel Ehre machen. Ist dies Antonio Vite von Pistoja, der Schüler Staminas, und zwar in einem vorgerückten Stadium seiner Meisterschaft, so hat sein Lerer, den er bereits 1403 in Pisa vertreten durfte, schwerlich selbst in frühem Jaren die Cappella Castellani in S^ Croce gemalt

Auf jeden Fall glaube ich dem seilten Meister, der die Steini« gungdes Stephanus, seine Bestattung und das Sposalizio in Prato ar- sprQnglich gemalt hat, auch noch zwei andre Werke zuteilen zu

Vgl. unsere AbbilduiigeA zu diesem Heft.

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dürfen, die seine Charakteristik auch als Tafelnialer vervollständigen. Dabei mufs zunächst ein starker Mi fsgrifF bei Crowe und Ca vulcaselle verbessert werden. Diese schreiben nämlich fünf predellenartige Fafeln in der Galerie der Uffizien mit der Befreiung Petri aus dem Kerker und der Kreuzigung des Apostels nebst je vier Kinz( Iti^uron von Aposteln ;iuf den Seiten, der Ausübung' des Schlüssehinitcs durch Petrus in cathedra als Hauptstück in der Mitte, dem Jacopo da Casentino zu, den sie als Meister des Spinello Aretino an- sehen und neben liernardo I )addi vorfüren Diese Zuschreibung ist schon aus chmnoloirischen Gründen ganz unmöglich, da Jacopo da Casenüno, ein Zöglinir des Taddeo Gaddi, im Jare 1350 hrl der Begründung der Malergenoss(Mischaft in Florenz sich neben Liernurdo Daddi bemüht, und als Zeitgenosse dieses Meisters dasteht. Unsere Bilderreihe zur Verherrlichung des Petrus gehurt aber in die Tage Masaccios, ja frühestens in dessen Todesjar 1428; denn sie setzt die Anschauung seiner Kompositionen voraus und beslrobt sich ebenso unverkennbar wie unzulänglich um die malerische I »reute und cha- raktervolle Wucht seiner Gestalten. Die Erscheinung des Engels im Kerker und die Befreiung auf einem lüldi' erinnern durch die Anordnung der Baulichkeiten mit der Gartenmauer rechts, über die eine Palme herüberschaut, an die iiohandlung aul .Ma;>.iccios letztem unvollendetem Fresko. Und noch Luca della Robbia schliefst sich in seinem Relief für den Dom (im BargcUu) der nämlichen Dispo- sition an, dafs man fast ein gemeinsames Erbteil vermuten möchte. Die Kreuzigung ist in schräger Ansicht genommen, überbietet noch die Arbeit der Henkersknechte durch ein zweites oben an den Füfsen beschäftigtes Paar und einen dritten, der den Leib des Apo- stels hAlt: oben schweben Engel mit der Palme, und die Soldaten mit ihrem Hauptmann sind nach links geschoben, hinter die Meta, die deutlich von der P3rramide abweicht. Dennoch scheint dies Stück wieder nicht one Reminiscenz an Masaccios Predella in Pisa entstanden zu sein, oder es walten sonst gemeinsame Beziehungen, die durch die Aenlichkeit der Petrusfigur zu stark werden, um sich allein durch den Hinweis auf eine gemeinsame Quelle erklären zu lassen. Das entscheidende Beweisftück ist jedoch vor Allem die Darstellung in der Mitte, wie Petrus in Cathedra kirchliche Würden verteilt. Ganz wie in Prato sind hier der Papst und die übrigen Kirchenftirsten geschildert Zwei Kardinäle halten das Pluviale des Petrus, der selbst die dreifache Krone trägt, über beiden Armen zu- rück, Wärend ihre Diener dabei von rückwärts die Hüte empor-

1) ttal. Ausg. II, 418 {, Uffisien Nr. 1292. Vgl. unsere Abbildungen.

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Antonio Vite

heben, zwei andre sitzen bedeckten Hauptes auf den Ecken des Podiums. Links steht der Klerus mit dein ^'ortrag•sk^euz an der Spitze, rechts Vertreter des weltlichen Standes, deren vorderster einen Knaben bei sich hat, ganz änlich wie in Prato und wol eben- falls Stifterporträts. So schliefst sich die Komposition schon halb- kreistdrmig zusamm^^n oder nähert sich vollends der Ellipse durch die beiden vorn kni-cnden Gestalten eines I'iiseliofs uiul eines Dia- kons, die durch il' ili^enscheine ausge/i i( hnet sind wie der Aj^ostel selbst. Nimmt man dazu die pyramidale Gipfelung und den hinter den Stul Petri befestigten Teppich an der Wand, s. > ist die Benut- zung des Vorbilds in der Branrarrikajx lle so deutlich, dafs kein Zweifel mehr bestehen kann. Die [)ers])ektivisch dargestellten Ar- chitekturkuultssen verraten sngar änlich(^ Anleihen. Und endlich die zweimal vier Apostel, die durch Untersehritten in römischen Ma- ju.skeln erst recht bestätigen, dafs das T>ild ins (JuattrocLiito gehört, zuglcieh aber durch \xTdrehung und l^eler erkennen lassen, d.tls der Maler sich die neue Schrill erst angeeignet hat und noch niclit geläufig handhabt. S THOMAS S lACOB LVHAS S lAHOBV M; S ANDREAS S lOHES S MATHE " S PHILIPPS, sie hahen mancherlei Verwandtschaft mit den Apostel- köpfen, die Masaccio in der Cappella Brancacd und auf dem Pisaner Altarwerke gegeben hatte. Grade in solchen stehenden Figuren fiÜIt aber die Schwäche dieses Nacfaamers ins Auge, das Aufstofsen der Gewänder nach Trecentistenart; und die Unsicherheit des Auftretens, wo die Fülse gezeigt werden. Die untern Extremitäten geraten ihm immer zu klein und schwinden zusammen, wie die Vorderarme, die regelmäfsig zu kurz sind, wärend die Finger länglich, bald eckig geknickt bald rundlich gebogen, freilich die Bewegungsfucht des Malers ausllralen, aber seiner Kenntnis der Gliedmafsen ein schlechtes Zeugnis ausstellen.

Dem selben unsichern Quattroccntisten wie diese, von Crowe und Cavalcaselle so viel zu frtth datierten und dem Jacopo da Ca- sentino beigemessenen Stücke in den Uilizien zu Florenz, g^ören auch drei Predellcnteile von niedrigem Breitformat in der Galerie alter Meister des Museums zu r*)rüssel (Nr. 148 150), Die Stig- matisation des heiligen Franciscus beweist, dafs dieser flotte Tem- peramaler, mit seinen düiui hint^estrichenen Farben auf Goldgrund, als Abkömmling des Spinello Aretino anzusehen ist, nicht aber als dessen Lerer. Die Gestalt des Franciscus stammt noch völlig aus diesem Vorrat, wärend der vom Rücken gesehene Klosterbruder schon malerische linüte, aber auch burlesken Beigeschmack gewinnt, indem wir ihm auf die Glatze schauen. Die Anbetung der Könige

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giebt uns Joseph links, in Gelb und Blau, mit Zügen, als wäre der Apostel Petrus gemeint, ganz änlich wie bei der Befreiung aus dem Kerker in Florenz, und Maria zeigt in ihrem Profil den Typus des Engels daselbst. Der älteste König verrichtet seine Andacht mit der leidenschaftlichen Hast und fast schnaubenden Inbrunst, die dem Meister eigen ist. Der jüngste erscheint dagegen als Geck, mit weitem rundem Ueberfall über dem Aermel, dessen pelzbesetzte Innenseite wir sehen, wie bei dem Angreifer des Joseph im Sposa- lizio zu Prato; nur ist der Rock hier kurz geschnitten. Der Reit- knecht, in gelbrotem Kittel mit blauem Kragen und schwarzen, oben weit und schlaff hängenden Stiefelschüften hat nackte Beine und erinnert an den Torwächter in Masaccios Geschichte vom Zoll- groschen Ueborall kcren die tp-ofsen abstehenden Oren wieder, wie beim Schlürselanit des J Virus und sth(»n in Prato. Das letzte Stück wird auf Antonius Kremil.i i^cdeutc t. (.Irr sich zum Ausdruck des Entsetzens vor einem Goldklumpen, der hinter seiner Zelle aus dem I*"elsen wächst, fa.st in tanzendem Sprunge bewegt, als sei er von der Tarantel gestochen.

Diese zusammengehörige Gruppe von Werken eines Ueber- gangsmeistcrs, der zwischen Spinello Aretino und Masarcio den stärksten Einfluss von Starnina empfaniren zu haben scheint, wird selbstverständlich noch weitere Tafelwerke mit der selben Sicher- heil bestimmen lassen. Der Abschnitt bei Crowe und Cavalcaselh- über Jacopo da Casenlino weist schon den Weg, wo sie zu suchen sind. Uns aber genügt dieser Einblick in das Schaffen und die Sinnesart eines enerj.j'ischen aber oberflächlichen Zeitgenossen des Masolino, dem die Krtiiulungsg-abe Spinellos den festen Untergrund entzogen und den Drang nach U ljhafu r l'.ewegung eingeiuiptl h<ille, warend Starnina's Beispiel vielleicht die Vorliebe für gewagte Kontraste zwischen aufgeregter Ergriffenheit und frivoler Laune bestärkte ').

.So erst erselieint auch die sii.itcrc Entwicklung des Masohno, die wir im Ba])tisteriuui von Castiglione d' Ulona beobachten, so auch die Arbeit ch s Paulo Ueeellu in den Wandbildern der Kirche da- selbst im richligeti Lichte. Um aber bei Masolino den ix rsoiiHchen Zusammenhang /wischt n den sentimentalen Deckenbiklern und 11 Anläufen zu bewegten Genrehgurcn wie zu nachamungslvu htiger Wirklichkeitsfreude in den Geschichten des Täufers ganz zu be-

*) Es läge cbroDologiKA ako kefai Hindernis tot, mit P. delU VaUe den Antomo Vite da Pistoj« mit einem Antonio di Filippo da Pisloja za identifizieren, der noch 1438 in der Malergilde zu Siena vorkommt. Vite wire dann Beiname,

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LoRENzo Monaco

greifen, f it mos noch ein Bindeglied, (Iiis einen wichtigen Faktor der tlorenlinischen Malerei ausmacht unil deshalb nicht verg^cssco werden darf: die fromme Kunst der Monche.

In die Tage des Ati^t lo Gaddi und dos Spinello Aretino zu- rück lürt uns die Wirksamkeit des I)nn Lorenzo Monaco (c. •370—1424) der die nüchst«' Wrvvandtsi haft mit diesen beiden auf- weist und doch ein Drittes und iifanz anders gearLeLes Neues hinzu- bringt. Er ist Sienese von Herkunft und Charakter; er ist von Miniaturmalerei des Kli isters ausgegangen und Mönch gebliebt n in der reinsten Hedcutun^ dos Wortes, weltfremd und fromm. Er ist der letzte j^anz ideale Wrireter des gotischen Stiles in der Malerei und vergleicht sich als solcher am ehesten mit Lorenzo Gliiberti als Bildner an der ersten Tür des Baptisteriums '). Unzweifelhaft hat er dies Erbteil schon aus seiner Heimat Siena mitgebracht. Wcno Spinello Aretino wie ein Fortsetzer der Lorenzetti erscheint, so ist Lorenzo Monaco der Fortsetzer Simone Martini. Seine Ge- stalten von schlankem, lang gestrecktem Wuchs sind in noch längere weite Gewänder gehüllt, deren Falten, bald weich und geschmeidig, bald scharfkantig und abgestuft, auf den Boden wallen, so da& vom Scheitel des Kopfes bis an den Zipfel der Schleppe ^ch eine durch- gehende Kurve beschreibt. Es ist der rhythmische Schwung der Dewcgimg wie bei Simones reinsten und zugleich lebensvoOsten Ge- bilden, die schwebenden Ganges dahinziehen. Aber als Möoch streift Lorenzo ihnen die buntfarbigen Stoffe der weltlichen Zeit- tracht ab und kleidet sie stattdelsen in gleichartige, stofflose aber faltenreichere Draperie, die den Hauptzug, statt mit Reizen mate- rieller Art, nur mit formalen Variationen begleitet. So sind diese Wesen von aller Verlockung des Irdischen geläutert und wirken neben dem Antlitz mit seinem ganz abstrakten Ausdruck fast nur durch die reine, emailartig saubere Farbe dieser Gewänder auf gol- denem Grunde, die nach dem Verfaren dekorativer Polychromie gewifs mehr als durch irgend welche Rücksicht auf Wirkliches be- stimmt wird.

Unläugbar aber gewinnen diese Figuren, nach haltloseren Ge- wonheiten der Miniaturmalerei, \de sie in der kleinen Anbetung der

>) \'gl. audi die SUtoe Johaiwes des Tftufen an OrMOinidide.

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LoRENzo Monaco

Könige in den Uftizieii noch vorwalten 't allmahli( h festere, pirtstisehe Körperlichkeit; freilich nicht in stereomcirischeni Sinne, i»oiidi.rn f.ist durchaus nach Art der ^etriebeti« n Goldsrhmiedsarbeit in feinem Metallblech, d. h. als Relitt im sli-tigt ii Zuhammcnhantf mit der Flache. So kräftigt sich fortschreitend seine Anschauung in den Tafelbildern gröfsorn Malsltabs Das ist der Charakter seines de- bets aui dem Oelberg in den Uffizien, das man für Giotto nieht /u gering geachtet, wärend doch die SockelbihU hon darunlrr die en^^sto Verwandtschaft mit den Kompositionen Ghiberüs bezeugen. AU- indhlich aber schraeidigt sich diese metallische Härte wieder zu malerischem Flufs^ und als herrlichste Frucht gedeiht die grofse Krönung Marias von 14 13, wo der Einheit des Gänsen zuliebe auch die Zwischenpfosten des Ramengehäuses gefallen sind. Da gelingt ihm, mit dem Reliefzuge seiner Gestalten auch eine Raumweite zu erzeugen, die sich den feierlichen Majestätsbildern der Lorenzetti an die Seite stellt. Das ist schon so völlig im Zuschnitt der Wand- malerei gedacht, dafs wir nicht mehr erstaunen, wenn er auch da tatsachlich Bedeutendes leistet. In der Kapelle von Sta. Trinita, wo wir sonst allein seine Altartafel mit der Verkündigung bewunderten, sind neuerdings aber Wandgemälde von seiner Hand zum Vorschein gekommen, die durch den grofsartigen Zug räumlicher Entfaltung doch überraschen. Der Schwerpunkt ist in beiden einander gegen- überstehenden Hauptbildern nach aufsen verlegt, für den ankommenden Beschauer. Bei der Begegnung Joachims mit Anna am Tor der Stadt liegt er rechts, wärend zur Linken die Ferne sich öffnet mit steilen Burgen am Felsgestade eines Sees. Beim Sposalizio liegt er g^an/ links vor der Brautpforte, deren Vorhalle sich gegen einen Arkadenhof öffnet, und in langem Zuge bewegen sich die Gäste von rechts durch diese Gänge schreitend mit Saitenspiel für den Brautlauf heran, bis auf den betrübten Freier, der seinen Stab zer- bricht» ganz hinten in der Ecke. liei aller keuschen Idealität, die sich von jeder Anwandlung bin!, sker Motive frei hält, haben diese Wandgemälde eine Sicherheit dci. Wurfes, eine Kraft durch Bau- lichkeiten Rückhalt und Weite zuLilrich zu schaffen, und vor allen Dingen einen feierlich wogenden Rhythmus des V^ortr.itis, dafs wir die künstlfHsrhe Macyu Ix greifen, die die ser Mönch im Kloster deijH Anv^eli auf alle tn*mmoti St elen aurh der Arnostadt ausgeübt hat. An formaler Ucsciilüsscnhcit des btilcs ist er allen unruhigen

1) Ab fiüh«9 Werk di«ses Meisten erscheint mir auch ein namenlosee kleine« Triptychon in der Galerie von Siena, mit tiet Madonna auf WolkensiicitVn sitzend in der MiUe, S. Job Bapt. und S Niknirms auf den Flügeln. In d«m Girbf! fin Ri^diof (AngusUar) links und recbu die VerkUndiguug in Haibiiguren, Phot. Loinbardi Nr. 891.

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LoRENzo Monaco

Zerstörern der strengen Tradition mit ihrer unzulänglichen Eroberung der \^ irklichen Welt weitaus überlegen. Und wenn es sich um den gotischen Stil handelt, ist Don Lorenzo Monaco der letzte grofse Vertreter seiner mimisch-rhythmischen Kunst, nicht FraAngeHco da Fiesole, der freilich mehr vom Geiste mittelalterliche Fröm- migkeit erföllt, eine noch seelisdiere Innigkeit des Gefills zum Aus- druck bringt, aber ebenso wie Ghiberti auch den Umschwung des ganzen Kunstlebens mit erlebt und den Wandel der Darstellungs- weise, so weit es irgend in seinen Kräften stand, mit vollzogen hat

Es giebt eine kleine Tafel von Lorenzo Monaco, ein Stück der Predella eines gröikeren Altarwerkra, das sich so vereinzelt in Privatbedtz nach England verirrt bat % die Ehikleidting eines jungen Mönches im Kloster. Ein vorgeschobener Fe Lsg rat schlielst die Scene schräg gegen ein Nachbarbild unter freiem Himmel ab, das zur Rechten folgte. Alle diese geistlichen BrQder, in ihren weifsen Gewändern, sind erflkllt von der Bedeutung des Augenblicks fQr das Schicksal des glaubenseifrigen Jünglings, der ein Heiliger unter ihnen werden soll. Das niedrige Gemach quillt über von dem Seelenhauch, der aus Haltung und Miene dieser gleichartigen Ge- wandfiguren uns entgegen strömt. Da begegnet sich Spinello Are- tino und Masaccio, Lorenzo Monaco und Fra Angelico, als hätte es sich um ein Zeugnis fQr das gemeinsame Anliegen gehandelt, und als hätte es keinen Unterschied ihrer Naturen gegeben, der ihre Wege weit von einander entfernte. Es ist auf der Schwelle zweier Zeitalter entstanden.

Bedenken wir nun aber, dafs die Werke eines Don Lorenzo Monaco in den ersten Jarzenten des Quattrocento neben den Lei- stungen eines Gherardo Stamina ihre Stelle behaupteten, so er- scheint zwischen ihm als Vertreter des Mittelalters und den echten Abkömmlingen des florentinischen Monumentalstils alldln schon in der Gestaltung ein entscheidender Gegensatz. Vergleichen wir nur seine Kapelle in S*» Trinita mit der Cappella Castellani in S»- Croce, so mufs schon die durchgreifende Verschiedenheit des Wollens und der weite Abstand zwischen dem Endziel hier und da in die Augen springen. Auf der einen Seite noch das mittelalterliche Prinzip, das die menschliche Figur nur um ihrer mimischen Bedeutung willen ansieht, im Zuge der Körperbewegung allein die Hauptsache zu er- fassen denkt, nämlich den Ausdruck des Innenlebens, auf den es

') Es- wnr in ii< i N^'w-Gallciy Exbibition zu London i8<)4 als Mü^atcio aii«i5;»"stelU und ist dort photograpbieit. Crowc und CavalcoBalle erwäncn es [bei SUrlinj; in GlcutyMi, Schottloiid) iUl. Ausg. II. p. 346.

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LORENZO Monaco Fra Angelico

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ihm ankoimiit. Auf der andern Seite srhon jede (icsiult als tck- tonischc Masse in breiter Leiblichkeit, die (iruiidlage der Existenz vor allen Dinf,n'n <^ci>idnri. und auf flifsor erst diT vVusdruck sozu- sagen aiifgctrai^cn. Einer ivi ksu^^ Marias von Don Lorenzo gegen- über liegt in einer latel, wie das Fragment der Himmelfart Christi in Altcnburg. oder in der Geschichte des hl. Nikolaus in S»- Croce, mögen sie von Gherardo Starnina oder Antonio \' eneziano herrüren, schon das Bekenntnis der Renaissan^ ausgesprochen.

Dem Princip des Gotikers aber huldigt noch Masolino in seinen Deckenbildem von 1425, wenn auch lange lUcbt mit dem Ernst des Camatduleser Mönches« sondern nur gefülsmftfsig, und daneben fldr die Regungen des Neuen um so leichter empfänglich, als sich kein ausgeprägter Charakter bei ihm selbst entgegenstellt! Aber audi bei Masaccio erkennen wir den Uebergang ganz deutlich. Nicht nur in seinen jugendlichen Meisterwerken, dem Altärchen für Papst Martin und dem Tabernakel in Bremen von 1423, sondern auch in den Anfängen seiner Tätigkeit für die Brancaccikapelle. Wie fill- bar geht die Gestaltung noch am Lager Tabithas von der mimi- schen Ausdrucksbewegung des körperlichen Apparates aus; nur die Haltung, die Gebärde ist es, worauf es ankommt: über diesem Ge- rüst des Mannequin nur ein Gehänge zur Flächenfüllung zwischen den hervorragenden Gränzpunkten dieser Konfigruration. Aber da- neben in der Ausfürung wird es schon anders; wir mulsten direkt auf diese Nikolausfresken verweisen. Dann der Umschwung ins ])lastische Gegenteil, zunächst auf Kosten des Seelenlebens im Sün- denfall, also 1425. Dann noch Schwankungen, wie in der ergreifen- den Vertreibung aus dem Paradiese, wo Leibliches und Seelisches im innigen Zusammenhang erfasst sind, aber die Mimik doch noch die? FMastik überwältigt. Immer klarer jedoch wird die anschauliche Ruhe, die Hingebung an die sinnlich - sichtbare Erscheinung der K<'>rper\velt, immer bewuf'ster das eigenste Anlieg^en des bildenden Künstlers zum Prinzip der Gestaltnng^.

Eben damit aber weisen wir aut den Unterschied f!t s innersten Wesens, der dorh 7wisrh*'n 1 )nn Lorenz* > Monaco und l'ra Anj^rlico besteht. Der Lrslcre i^- horl doch cngi r zu SftinclUn d(^r ],et/t(To zu ^Lisacfio und Masolino. Die frühesten I>eck«?nmalereieji von Masfilino, die wir besitzen, haben in iliren schlanken Gestalten viel Aenlichkeit mit denen Lorenzos, aber die weiche Sentimentalität ihres Gefülsausdruckes, die Empfindsamkeit ihrer ro.sigen Jugend näiiert sie noch viel mehr den Krstlingsgebilden des (liovanni da Fiesole. Lst das eine Walverwaiidischaft ihrer personliehr n Sinnes- art ? Die späteren Leistungen des Masolino machen durch ihren

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128 Gentile da Fabriano

ganz vrrs( hirdenon Charakter das kanni sehr glaubhaft. Und eine Anwandlunii- dieser Zartheit des Gcniütslehen fandon wir so^nr ir; den rrslt-n Meisler^tückt n des juni^en Masaccio in Rom, in r Assunta und dem Schnofwunder. wie in der Madonna /u Bremen. Ks mufs also wol eine (i( schmacksrichtung gewesen sein, die eine Zeit lang in Florenz zur tonangebenden geworden war.

rt,s ist die Einmündung des umbrischen Wesens in Florenz, das steh, durch den Verker mit Sienesen schon vorbereitet und durch verwandte Kräfte aus dem Nachbargebiet von Arezxo nicht mehr ganz fremd, doch in neuer Bestimmtheit erst durch die Person des Gentile da Fabriano vollzogen hat, den Martin V. nach Florenz berief und damit in kirchlichen Kreisen als mustergiltig empfal

Gentile da Fabriano kam aber aus Oberitalien und dürfte, nach längerer Tätigkeit zwischen Venedig und Brescia, nicht allein als Träger seiner heimatlichen Begabung aus Umbrien her, sondern auch als Träger des oberitalienischen Fortschritts betrachtet werden, der sich seit den Tagen des Altichiero besonders in P^ua und Verona entwickelt hatte, wenn Florenz ihm nur ein einziges Mal Grelegenheit geboten hätte, sich auch als Freskomaler zu zeigen, wie in Venedig. Da diese VorausTetzung jedoch nicht zutrifft, so kommt sein Einfluss zunächst nur durch die kostbaren Altarwerke, die er för Palla Stnozzi und Quaratcsi gearbeitet bat, in Rechnung, bleibt also fär die Wandmalerei mitten in Florenz, wo ringsum doe so gewaltige Denkmälerreihe als Zeugnisse des eigensten Wesens vor Augen standen, wenigstens unmittelbar one Belang. In den Jaren 1421 25 feite es jedoch nicht mehr an aufkeimenden Kräften, die sich ange- legen sein licfsen, mit offenen Augen die Vorzüge zu erspähen, die der Fremdling etwa mitbringen mochte, und in die Auffassung ein* zugehen, die ihm den Beifall des neuen Hauptes der Christenheit und damit gewifs auch andrer Gönner gewonnen. Masolino und Masaccio wären dazu angetan gewesen und vielleicht auch Gio- vanni da Fiesole, soweit sie damals in Florenz gegenwärtig bliebea Grade die Auffassung Gentiles wird man eher umbrisch als ober- italienisch zu nennen haben. Das zeigt sich, sowie er seine Ma- donna mit dem Kinde malt, wie das früheste Beispiel seiner Hand in Toskana» jetzt im Museo civico von Pisa beweist. Die Verwandt-

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Gentile da Fabriano

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Schaft mit Sicna ist nicht zu verkennen, und ncmcn wir sogleich das Uebrigo hinzu, was heute noch von seinen Arbeiten in Florenz steht, so dürfen wir hinzufügen : auch er ist nicht unempfäng-lirh in Assisi an den Schöpfungen dt « Simone Martini vorübcrp"OL,ran^en, sondern hat sie in sich aufgenommen wie nur irgend Einer, wärcnd die Kirnst Ciiottos ihm ihr wertvollstes Grhrimnis versa pfte Er hat die (irazie der l.owri^iMiL^- in (lor M.iriinskajx'lle gewifs laiij^f Zeit zum Ideal seines eigenen Dichiens und I rachtens gemacht, bevor der Uebergang nach Venedig^ auch die andre Seite dieser An- reirung, die I nst an k' sihar* n Stoffen und prunkvollem Zeitk(tsuini, /.u Vollem .Vusirag und rnwufstsein brachte. Aber Eins war ihm fremd als er aus engerer Heimat vor dieses iiüd in Assisi kam : der M.iLsltab der (lestalten und ihr Verhiliiiis zur Räumlichkeit. So erliii k die Wirkung des Ideals doch einen andern Charakter, indem sie bei der \'orliebe für das Kleine, die Gentile mit seinen umbri- schen Zeitgenossen, wie Jacopo und Lorenzo da Sanseverino oder Ottaviano Neili von Gubbio ') teilt, auch die Anmut der Bewegungen ins Niedliche und den Schmuck der Kleidung ins Preziöse zog. Die Intensität des Ausdrucks aber« die er im Blick der grofsen Augen wol aufleuchten, aber auch unter schweren Lidern sich züchtig verbergen sah» sie ward gar bald nach seinem eigenen Sinn zu minniglicher SOfsigkeit und weicher Empfindsamkeit, die alle diese XJmbrer mit ihm gemein haben. Das brachte er nach Florenz und niemand anders zu einer Zeit, wo die Stimmung frommer Seelen ihm offenbar entgeg'enkam.

In dem ersten i.nitabbcnderen Bilde, das er 1423 dort vollciulet, der Anbetung der Könige für Palla Stro/zi, hat Tn luile da P d^ricino auch den P.owcis geliefert, dass er eine si( liet t Kaumanschauung für die Erfurdeniisse niorima iital» r Wandmalerei nicht besass. Welch ein AI »stand zwisrh» n der zehn Jare früher vollendeten Krönung Marias \ on Üun l-ureii/.o Monaeo und <lii som. unter gleichen Bedingungen des Ramens die Hohe statt der 1 iete ausbeutenden. Bilde Gentiles mit all seinem Earbenreiz und seiner kostbaren Klein- arbeit. Die l*redellen darunter zeigen es deutlich, dafs sein Rdch- tum an Architckturkoulissen aus der Schule Altichieros stammt und

Dm Dktnin der berümtcn Madonna vnr. 1 Mtaviano Nclli in Gubbio kton aller-

«lings nicht 1403 sein, wie ein alter Lesefelcr es crjjcbcn hat. -di. Ii tn min lcstcns 10 vielleicht 2n jarr später, d. h. 1423. Die überlielertc Jareszal 1410 lur die Fresken aus der Jt>- hanneslcgende m S. üio. Battista ru Urbino vou Loitiuo und Jac. da Sanseverino er- scheint ebenfalls nicht durchaus gesichert.

Scbraarsow, Masaccio-Sludieo V, 9

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«30

Gentile Masaccio

nicht darüber hinauswuchs, wrirpnrl scinr Si ont ii untor freiem Himmel, wie flie Flucht nach Ati:\|'t(n. am eht-siun ein Aufg^obon dos Mal<Tis' lion im Sinne eines ( laii/t n vcrhcifsen, nach<lt'ni er sich si .nst fast inuni r mit engen Üetaila.u.slchnitten voll bunter Dinge be- gnügt. Seine persönliche Stärke ist doch vor AHoni die weitge- triebenc Nachamung des Stuliiichcn und die lii lx Auh»amc der Eiii/xllieiten aus der Natur, der Gräser und lUumen am Boden, der Vögel in der Luft laui gar nuiacherlei Getiers in der Narhbar.s( Ii lii des Menschen, lauter Einzelheiten für sich, die er nur nocli /um StilUebcn zu häufen weifs, one sich um den Zusammenhang des Ganzen im Bilde zu bekümmern.

Da seine I'reskcn in CJl)»'ritalien rloren sind, so können wir durch den \'i r^l< i( h des Ah.irwrrks für die Onaratesi und das ver- einzelte W'.indgemaldc in < )r\ icto nur zu dem Srhhil's kommen, dafs er eben damals ui 1 1 renz zu der ent.scheidenden Wendung vom Mimischen /um Plastischen gelangt sei. Immerhin beginnt sichtlich auch bei ihm die Darslelbing der ruhigen leibhaftigen Existenz um ihrer selbst willen, im Sinne der Reuaissaiice.

So stand es in Florenz, als im selben Jarc mit Gentile da Fab- riano auch Masaccio in die Malerzunft zu Florenz eintrat und den Wettstreit mit dem Fremden aufnaro.

Erst an dieser Stelle kann das Bruchstück eines seiner firülieo Altarwerke Erwftnung finden, das soeben im sQdlidien Frankreich wieder entdeckt worden. Es ist ein Predellenbild, das durch den

Maler J. A. D. Ingres in Florenz erworben und in das Museum

seiner VatrrstaiU Montanban gekommen, dort als (Nr. 1161 Floren- tinische Schule des 14. Jahrhunderts bezeichnet wird. In Tempera auf Holz gemalt (37X10 cm.), stellt es die Legende des heiligen Julian dar, wie er. vom b<)sen Dämon verfürt, .seinen V'ater im Schlaf ermordet. Ein Drittel der Bildbreite ist rechts für die erste Seen e unter freiem Himmel ausgesondert, wärend das Uebrige links das Innere des Schlafgemaches eröffnet Vor dem Hause stehen, gegen eine flüchtig angedeutete graue Hügelreihe unter dem blauen Himmel sich abhebend, der Heilige (rechts) und der \'<^rsucher (links) in leise nitr angedeuteter 7wi*^spr:irh einander gi'genüber. Der P>riSo ist ein bartloser lüii:^lin<4. bl^ndli irig und rosenwangig, in hellroifin Wams, hellgriin v;'i>t"üttt rtem Mantel, der leicht nber die Srlniltrrn gehangt, die schone Gestalt in enganhcgi-nder i rai hl völlig frei lalst ; nur «Ji«' schwarzcMi Beine gehen unten in Krallenfülse über und verr.iien s*» das dämonische Wesen, dem der junge Ritter vertraut Julian trägt den mit grauem Pelz gefütterten roten Fürstenmantcl über dem

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Masaccio in Montaüban

13»

laiigoii violctlgraucn Rock mit purpur- und iroklgest hiiiucklem Schwerty-chango und lirllr.'rminroto Fufsbeklcidung. um das kurz- biirligo Haupt 6cn goidL-nen Meili l;i tischfMn Kr hat sich dt s Man- tels entledigt, wie er flrinnen in der Stuiie mit gezogenem Schwert an das Khebett di s X'. lcrs tritt und den grauharigcn Alten neben seiner Mutii r am Schojiic packt, nm ihm den Kopf abzuschlagen. Sonst ist das Elternpaar auf stuli rni Linnen sorgOdtig bis an die Schultern mit der feucrroien lUltdccke zugedeckt, wie es friedlich schlunim« TU'. Die Hettstatt selbst ist aus braunem Holz und steht allein in der neutral grauen Stube, mit dcUi Kopfende gegen die linke Scitcnuand gestellt, die schräg gegen die Ilinterwand ver- laufend sich breiter entfaltet als ihr Gegenüber, das zugleich von Aufscn sichtbar in stärkster Verkürzung erscheint. Die perspektivi- sche Darstellung des Innenraumes entspricht also, obgleich breiter und niedriger in den Verhältnissen doch der Oekonomie des Dis- putationsfales in der Katharinenlegcnde zu Rom; aber sie erscheint fast nodi primitiver, da die Decke feit, fast nur die drei kalen Wände gegeben sind, und, wärend links noch ein leerer Streifen jenseits der Mauerdicke in Dunkel übrig bleibt, die scharf einge- ritzten Konstruktionslinien der Perspektive über die Architektur hin- aus auf den Fluchtpunkt weisen. Die Puppenstube, von aufsen und von innen gesehen, ist noch eine Leistung fOr sich. Dazu kommt die Energrie der Handlung, beim Zuhauen selber; aber sie kontra- stiert ebenso mit den zarten Gestalten, ihren lieblichen Gesichtern und mit der heiteren jfreundlichen Färbung des Ganzen. So schliefst sich dies koloristisch hübsche und ziemlich wolerhaltene PTedeilen- stück auf der einen Seite ganz eng an die Gründung von S. M. ilella N'eve (vom Altar Martins V. für S M. Maggiore) und an die Madonna in Bremen von 1423, wie an die K aih iHncnlegende in S. Clemente zu Rom an ; auf der andern Seite wird die Verwandtschaft mit der Nikolauspredella im Vatikan wie mit den Sockelbildern des Pisaner Altars in Herlin, besonders auch der Stellung der Füfse auf dem Boden und dem künverkürzten Kopf der Mutter im Bett schon ganz deutlich. Wir mülsen das Fragment also in die Früli- zoit des Meisters rechnen ; es wird zum zwingenden Bindeglied zwischen diesen Erstlingen, die noch Masolino änlicli sehen, und den anerkannten Hauptw^-rken Masaccios, Darin liegt der besondre Wert dieser neuen Entdeckung

^) Vgl. iiDsre Abbildung. Ich verdanke den Hinweis aaf dies versprengte Bild- eben Masatiios in Montau! >an meinem früheren Assistenten Di. Felix Willing Al-> ich «lie -r^t" N.uljtiJ.t tlavdi» ethit-lt, v'\>U- ich s(.ll>-t ^'rmle in ilcm (iohicle Süiifianl teichs, konutc also Uen FinUiiQj; selber prüfen und die schöne Entdeckung vollnuf beäUitiyeu,

9*

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Masaccio in Montauban

Die üispnsitirm der Hrzalung aus dem 1 rbeii S. Julians, liie von rechts nach hiiks abjjfolosen sein will. > rijjii l)t nun, dals ilies Stück Hnks von der INIitlr ciiw s ^rolscrii (lan/t i! st .ssen hat, in dem auf der rechten Seite ein umi^i k( rt disponiertes Stück aus dem Leben eines andern Heiligen entsprechend von links nach re« Ir> erzältp, nnd der mittlere Teil dieser pruizen Predella ^ii h > lifn-> .t .; das Miiu lstiu k des Altarwerks be^ug, wie diese seilliclieu Ab- * schnitte aui dessen Flügel. Wir fordern demnach für den linken Flüifel des zuk;rh( »ritren xMtarw erkrs die Einzclgcstalt des heiligen Julian und zwar na( Ii n-chls tjcwendel gt u;<^n das Mittclbild. Mit ilultf dieser Bemerkungt-ii lälst sich ein ( lan/t s rekonstruieren, d.is bei Vasari als Werk Masaccios bcschrii hi n, s( ither \ i rs< hollen war.

Vasari crw ant, wie übrigens auch I ram esc o Albertini unter den Tafelbildern Masaccios in Florenz ein Altarwerk in S. Maria Map- giore „accanto alla porta del fianco per andare a San Giovanni", in:i der Madonna nebst S.Julian und S. Caterina. In der Predella. ,.e<>n figurine piccole, istorie di Santa Caterina c di San Giuliuno", wären<i in der Mitte die Geburt Chrisd mit jener Einfalt dargestellt war, die Masaccio eignete.

Das heifst, das wiedergefundene Stück in Montauban gehörte zu diesem beglaubigten Sockelstreifen in S. M.Maggiore zu Florenz und ermöglicht so vielleicht, die weiteren Bestandteile des Ganzen zu ^kennen. Jedenfalls ist damit auch die Zeit der Entstehung dieses Tafelwerks fest bestimmbar geworden, und an ein unfertig hinter- lassenes Bebptel aus der letzten Periode des Meisters, das wir wegen der Weiterftlrung des Kapellenschmuckes durch Paolo Uccello vcr- muten mochten, ist nicht mehr zu denken.

Kein Wunder« dafs er sich neben solchen frühen Tafclbildem bald genug der ernsten Tradition der florentinischen Wandmalerei wieder zuwandte, und dafs bei der nächsten Gelegenheit die Fresken der Cappella S. Niccol6 in S*- Croce und die Werke eines Antonio Veneziano, eines Giottino, ja des alten Giotto selbst im Kern ihres Wesens mehr Macht über seine Denkart gewannen als die Jagd nach dem Kleinen. Mufste er sich doch berufen fülen, die Ent- wicklung weiterzufüren bis zum Vollbesitz der Darstellung des dret> dimensionalen Raumes, und auf diese Grundlage des Realismus feinen Stil der monumentalen Raumkunst zu gründen, die kaum eines der ererbten Ideale preiszugeben gesonnen war, soweit sie irgend im Bereich des allgemein Menschlichen berechtigt und verständlich schienen. Auch er hat si( h schnell von der Darstellung ausdrucksvoller Körper« bewegung zur icdergabe der vollen Leibhaftigkeit als wertvollstem Kern des Daseins durchgerungen.

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Masolino

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Nachdem F^cin kurzer Lebenslauf voll reichgcscgnetcr Arbeit schon 1428 vollendet war, beginnt sogleich, wie wir gesehen haben, die eifrige Nacliamung des Krreiditen; aber nur langsam will das Verständnis der Hauptsache gedeihen, auch bei den Malern, die ihm auf dem Fulse zu folgen wagten: Masolino, Fra Angelico, Paolo Uccello und Fra Filippo.

Masolino') ist, noch bei Leb/f rt* 1 des gröfseren Genossen, 1427 scheint es. aus Ungarn heim gekürt und hat onc Zweifel bei seinem Gönner Kardinal Hranda Castiglione in Rom die nächste Anknüpfung versucht. Dort hat er sich aufs Kmsigste dem Studium der Kapelle Masaccios in San Clemtmte erg^eben und daraus ange- eignet was er zu fassen vermochte. Seine spätem Malereien in Castiglione d' Olona. deren Anfangsdatum 1435 am Gewölbe des Baptisteriunis zu lesen steht, beu t iscn dies ganz überzeugend. Die Verwandtschaft mit Masaccios l Ycsken ir^ San Clomcnte ist gröfser als mit denen der Brancaccikapello, dt n ii [XTspcktivische Gruad- lagxii Masolino nicht recht zu bewältigen wulste. \^or diesem zweiten Auftrag des Kardinals Üranda scheint aber auch erneute Be- rürung mit Fra Angelico da Fie.sole zu liegen, dessen genauer nach- geprüfte Entwicklung darüber Autschluss geben sollte, wie weit er bereits der gebende und nicht vielmelir der empfimgende Teil sein konnte.

Eine Anbetung der Kr^nige in der Pinakothek zu München, die dort nicht dem I ra Angelico selber, sondern nur seiner Schule beigemessen wird, gab uns wenigstens Veranlassung^) eine sjiäte Datierung zu beanstanden und die nahe Verwandtschalt niit Maso- lino zu betonen, die nach der einen Seite mit den Deckenbildcrn von 14J5, nach der andern mit dem Cyklus im 1^ iptisterium von 1435, ihm seine Stelle zwischen beiden an/uweisen \ ermöchte. Die Figuren der heiligen Familie, die von Fra Angelico am meisten ab- weichen, stimmen sehr wol mit den Typen des Masolino überein, wie wir sie z. B, an dem Gewölbe und in den ersten Geschichten des Baptisteriums sich wiederholen sehen. Die Pagen mit dem ab- stehenden kurzen Haar entsprechen den Engeln um Gottvater, wärend der jugendliche König sich sowol dem Gabriel draulsen wie den Rittern und Hofdamen beim Mal des Merodes nähert. Der nächste Begleiter dieses Königs mag auf Anregung Gentiles be- ruhen, giebt aber den Typus slavischcr Völker in einer Weise wie-

') Das Buch III j). 72 erwänti-. 1" i S ^f \n\. II.: von der Mauer abgenommene Fresko mit <lcr kaueriuien Madonna stjlhcr in rior<.nz verschollen, wir haben alsp keine Abbildung bci/.ubriugcn vcrniochu

*) Vgl. Buch IV. S. 76 und uiisre Abbildung Mcfl V.

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134

Masaccio in Altenburg

der. wie wir sie dem \veil)jfereistO!i l'.eobachter Masolino viel eher zutr.inpji durien als dem Klosterbruder in S, Pri'nojiiro T'nd da- hin t^eliiTt dnrh niH-h \v<>] die Tracht des ältesten Konii^s. der hier so aulic-ll« luii r Weise nicht dor Knieende ist, sontk rn rechts noch /uwartr 11(1 steht und seine Krone in der Hand hält: es ist die Trachl «li-r ungarischen Fürsten, in der uns Masolino seinen Gou- vater und stinen Oast am Tische des i U rodes /eii^en könnte; sie kcrt bei dem langbärtigen I.iogleiter im (jcfo)g^, der diesoni Typus ganz entspricht, n()ch einmal wieder, neben einem ll">fling, der uns auch nicht toskanis(^h anmuten will. Nicht unbedeulsam i^t audi die Komposition, die sich den ersten Geschichten des Täufers in Castiglione wol anschliefst. wie den DcckenbildtTn und vor allen Oin^^en der Taufe, besonders durch die unsichere Behandlung des schrägen Bodens und die lockere Verteilung der Figuren. Zu einer Zeit, wo Fra Angclico Schule bildete, dürfen wir solche Schwächen der Raumdarstellung kaum mehr vorausfetzen.

Doch genug, ein vollständiger Beweis lätst sich für unsre aus* gesprochene &fcinung nicht mehr füren, da uns aller Anhalt an son- stigen Tafelbildern Masolinos feit. Es kann also nur ein Vorschlag bleiben, die Lücke zwischen den beiden Freskencyklen von (1425 und von 1435) in Castiglione auszufällen.

Der Unterschied der Raumdarstellung kann nidit eindringlicher dargetan werden als durch einen Vergleich dieses Bildes in der Mflnchener Pinakothek mit zwei kleinen Tafeln der Sammlung v. IJndcnau in Altcnburg % die wir f^r Masaccio in Ansprudi nemen. Es sind offenbar versprengte Reste eines grofsem Altarwerkes, wie das für Pisa, oder eines gleichzeitigen, wie die Fragmente der Collcction Artaud de Montor. Die Kasteiung des hl. Hieronymus unten, bei der ihm ein Engel die Martyrpalme bringt, wie das Gebet Jesu in Gethsemane oben, wo der Engel den Kelch darreicht, sind genau för dieses Format, das untere rechtwinklig, das obere zum Giebel zugespitzt, kompom'ert. Mit voller Entschiedenheit wird unten, besonders durch den schräg 141 st* Uten Altar, die Perspektive in den kapellenartigen Ausfc hnitt im l elsgc.stein unter freiem Him- mel entwickelt, wärend oben die K<)rj>er mit gleicher Sicherheit zwischen die tektonischen IMocke der Felsen vertoilt sttid, und zwar rechts die (jru])pe der schlaf«nKlen Jünger in breiter Pyramidal gnippe unten vor dem weiter hinauh'eichenden Gestein, links Christus soweit

*) Vgl. Abbildung Heft V, genaue Angaben im Katalog der Gemtldesammluiig des

Her^ogl. Mus^ms in Altcnburg ti*)S. In dem untern UMv ist der Kontrast zwischen dem R<tt uixl W'nls Im >oti<!< >tatk wirksam, ebenso die Schatten und Lichter schroff gegen einander gesetzt; liaü obere mililer.

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Vittork Pisano

135

vnn nicdriircn Felswänden umj^cbon, dafs nur sein Hauj^t in Profil und die gefallctcn üfindr sirh darüber vom goldenen firiindo ab- heben, ijleich wie der iMii^rl in r< itoni (Towando. dnr in slürnn'srhcr Hast hi'r.d)farend mit verlmlUrn 1 landen hfruiilcr reielil, als tjäko es die Kl iinniiininn eines Sterbenden. Tr< it/ ni.inrlirrlci Schwächen, besonders in den untern Kxtremit.aen. l.issen di-di hi idc liilder den Zusamnitnhang mit deji si< Ihth \\'« rken Masacci« >s deutlich erkenncMi, und /.war in der Gestaliv nbilduti^. den Typen, wie in der Malerei, die schon ursprünglich flüchtig und heute in traurivj' ni Zustand doch .die eigenhändige Bravour noch fülbar werden lalsi. Wie die Kom- position selbst mit ihrer räumlichen und körperlichen Ausrin andor- setzung. so .s{)richt vor allen Dingen di( koloristische Wirkung beider Stücke, die mit den Fresken in S. CK mmte. wie noch dem Sterbe- zimmer des Ambrosius, und andrerseits mit den Predellen in Berlin schlagend übereinstimmt. Müfsten wir uns um dieses Charakters willen nicht für Masaccio erklären, so käme der farbigen (icsamt- erschetnung und der strengen Gesinnung nach nur Fra Angelico in Frage, wärcnd der Vergleich mit Masolinos Geschichten Johannes des Täufers in Castigltone sogar den Abstand noch ebenso beweist wie die Anbetung der Könige in München.

asaccios Fresken in Rom, deren Studium jedenfalls fbr Ma- solino dazwischen liegt, haben zur selben Zeit auch einem andern Künstler gar fördersame Anregung gegeben: das ist Vittore Pisanello. In unläugbarcm Zusammenhang mit der Lokalkunst von Verona, also auch als Erbe der reichen Entwicklung unter Altichicro und Avanzo sollte man meinen aufgewachsen, hat Vettor Pisano seine letzte Schulung onc Zweifel dem Gentile da Fabriano zu verdanken. So ward auch ihm eine Weile der rhythmische Schwung der Figuren übermittelt, der uns in seiner oberitalienischen UniL;el>ung so seltsam anniutot. bis wir ihn als vorübergehende FIrscheinung und als letzten Nachklang des umbro- stenesischcn Schönheitsidealen erkennen, das Gentile von den Fresken Simone Martinis mit hin.iufgenommen haben mufs an den Fufs der Alpen und in die Lagunenstadt der Adria Die X^erkündigung am Grabmal Brenzoni in S. Fermo Maggiore ist das stärkste Beispiel solches mimischen Schwunges bei V'ittore Pisano, eines '^mtifrhen Zuges, der sich son&t mit der Art dieses ruhigen Beobachters wenig verträgt

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136

Vittore Pisano

Sein Wog abor fürt ihn am Ende dos Pontifikats Martins V. 1431 nach Rom, /u dem Auftrag-, als Fortsctzcr Gcntilcs und viel- leicht auch MaRar( i-'s \n S. Giovanni a Lateraiio /u malen; und an der Struliie vom Kolusseum zum l-atcr.ui lit'^"t ja die Basilika S. Clomente. Da sind ihm bei aller VcrschicdeuheiL seinor Anlage und seines bislierigeu P.(>nniht iis «Joch die Augen aufgegangen vor den Rossen und Reitern Alusaccios in der Kreuzigung, und diese Schöp- fungen des Florentiners haben ihm keine Ruhe gelassen, wenn auch nur als Einzelheiten sie seinerseits, zumal als P>ildner, der Natur ab- zugewinnen, die einheitliche Erscheinung des Menschen auf seinem Tier. Sollte es Zufall sein, wenn auf seinem Bilde filr Lionello d' Este (in London) die Vidon der Madonna, die den Heiligen Georg und Antonius Abbas zu Teil wird, in einer runden Glorie am Himmel steht, wie die Masaccios im Schneewunder für S. Maria Maggiore zu Rom? In dem abgesperrten Hintergrund, im Aufkleben der Gestalten auf das Buschwerk, das ihnen als Folie dient, beweist derselbe Maler ja nur, wie völlig fremd ihm die florentinische Behandlung der Raum- tiefe geblieben war, so dafs er wie im Jagdabenteuer des hl. Huber- tus auch im Auszug zum Drachenkampf des hl. Georg nicht weiter darin gedeiht als sein Lerer gekommen war. Seine Gestalten frei- lich haben den Zug mimischer Bewegung bereits aufgegeben und stehen ruhig um ihrer selbst willen da, als berechtigte Zeugen wert- vollen Daseins, in lebensfähiger Körperlichkeit und widerstands- fähiger Frische, wie schon die statuarischen Erzengel am Grabe BrenzonI zu Verona.

Doch war es kein Zeichen t inos überlegenen Verständnisses, wenn Martin V. den (lentile und Eugen IV, den Vittor Pisano mit Wandgemälden in der Basilika des Laterans betrauten. Der Kar- dinal Branda Castiglione hatte Recht gehabt, wenn er Masaccio da- für empfolen, als Gentile gestorben war. Erst nach Masaccios Tode entsrhloss er selbst sich, zu Masolino zurückzugreifen. Aber auch in Florenz feiten ja die Kräfte, die das unvollendete Werk Masaccios fortzusetzen befähigt schienen. Die F'lorentinrr haben weder Masolino noch Paolo I^ccello, weder Fra Angelico noch i'ra Filippo damit betraut. Fs war das Bewnfstscin lebendig gewnrdoii, weit lies Kapital einer grofseti macht- vollen Kunst an den Wänden der Brancaccikapelle vor Augen stand.

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Lieferung V

Verzeichnis der Abbildungen

m

Tafet

Bremen, Kuostballe: Madonna^'on

1423, Halbfijjur / I »

Montauban» Mus6c, Coli. Ingres : >

Pfcdell« mit Gewb.l b S. Julians ^

Rom, S. Clcniente. Katbarinenlegende

1) Auftritt im Götzentempel

a) die Heilige, Halbiigur .... V a

b) der Kaiser und sein Begleiter 1

c) drei HSflioee ' n

d) Anbetende rechts

2) Belfntng der Kaiserin

a) Kopf der Heiligen und der Kaiserin

b) Kopf des Henken v. Engel mit der Seele

c) Kopf der enthmipteten Kai* serin

3) Disputation

a) Der Kdscr» S. Katharina, ein Philosoph J

b) vier Philosophen links, der vorderste Kardinal Brandl Castiglione

c) drei Philosophen rechts

4) Radwunder

a) Die Heilige, Halbfignr .... V b

b) der Knpc! ,

c) vier Kopfe: der Kaiser, ein I Knecht und zwei Betrogene / VI ttnics i

d) Betroflene rechts J

5) Enthauptmig

a) Die Heilige V c

b) Kneger und Zuschauer l

c) Fünf Krieger rechts | VII

d) Bestattung anf Sinai '

Tafel

PlOfOOf, Carminc:

die beulen Gecken aus

der Heilung des Lahmen VHI b

Rom, S. demente: Ambrosiuslegende t) Bienenwunder und 9) Bischobwal

I nach Phot l) a) das Kind uncl die Magd bj der Vater und der Aizt c) die beiden Frauen t) a) Ambrorins und 3 Nach- barn links

b) vier Nachbarn rechts

c) drei Langobarden

d) der leute Longobarde und der Knabe (HoMdken aus der Basilika)

3) Untergang des Hauses 1 Kojit des Anil)rosiiis, der '

IX

XI

Klla

Magd im Fenster und vier i

Opfer der Katastrophe * 4) Tod des Ambrostns <nadi 1

Phot.) (

a) der Heilige und sein W&rter i

b) die Geistliihen ' Die Kreuzigung

a) Gesamtavfname des obcm

Teils XVIb

b) Gruppe der Jodeu und der

>tn 1 links Xllb

Altenburg, Herzogt. Museum: Gie- belstflck (vom Pisanerj Altar?) I a) Christus auf dem Oelberg [ , h) Hieronymus als Bülser / i Brüssel, Coli. Somz6e: I Heilung des besessenen > Knaben (Phot.)

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Tafel

Flomu» Cunnnc > Geadi. v. ZoUgroscben j

a) Christus > XVI

b) Apostel Th TU a-^ {MasaGcio)k u, Bartholomäus |

ErweckuDg des Fürstensons Tbeopbiliu und «eine

Räte XVlIb

MUocben, Pinakothek:

Masacc5o"> Porträt

eines Mannes in Ca-

pucdo ....... XVUm

Miktolino? Anbe«

tung der Könige . . XVIII b Paris, chcinal«! Cr»!!. Montnr

Starniua loder Maso-

Uw>?) Sposalütio .... XVIII»

Tafel

Masolino? Porträtkopf

eines Jünglings Villa

PtatOk Pieve: Antonio Vite da Pistoja? (c. t4t5) Fieskenf

a) Steinigung des Stephanus - XIX

b) Bestattung der K^^rper \

c) Sposalizio della Madonna ) FtomiSf UiRiim: Antonio Vite

da Pistoja? (c. 1450), Predella

a) Fetri Sdilüfsflamt

b) Befreiung aus dem/ Kerker. Vier Apostel , XX

c) Petri Ktetudcaog. Vi« Apoatel

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Druckfeier und Verbesserungen

Bndl I, & 95 Z. 10 u. auch das. lies; kaum da<;

S. Z. 7 V. u. nurdasf, lies; cbf-n^owLiii^j wie von Paolo Uccello, auch \\'enn

S. Z. 6 V. u. den Namen PaoludiStetano lies: den überlieferten Namen eines Malen Fnihu one iilhere BeaiidiBiiiig

& 95 Anmcrkiiiie Des Tabernakel in Lipp! m Rilredi ist wie da« Ficako von Paolo di Stelano mit dem Datum 1426 in S. Miniato al Monte bei Floren/ von der Kunsthistoriscben Gesellschaft für photo- grapbischc FubUkationen (1S95), allerdings in nicht völlig ge- Inng^nen Anfiiamen, beransgegeben.

5. 107. Freuten ans der Legende 5. Stepbans n. S. Lorens:

Pesellin.), Francesco, die cr\v;\nte Predella mit Ge« schitlue:! Iii. Nikolaus in Casa liuonarroti ru Floren?

halte ich seit einigen Jarcn schon nicht mehr für Arbeiten die&es Meisters, soadero eines späteren umbroSoreotioisch ge- bildeten Unbekannten, dem audi ein Truhenbild mit der Gebnrt Christi und AnViotung der Könige in Montpellier ge- hört. Vj^l hior,^u die lesenswerte Monographie von F Witting, Picro dei Franccschi 1898. S. 158 ff. und nru.-r- dings auch Mackowski, Zlschr. f. bild. Kst. 1899 Januarheft. Bvch IL S. 43 Z, 13 V. u. dieser lies: diesen Heroenkultns

S. 45 Z. 8 «. knieenden Petrus Ues: Paulos und der Hand des Pelm*.

S. S7 Z. 19 V. o. August 1424 lic«; : 14;;.

S. 77 Z. 10 V. u. in der Mitt'^, lies; in du- Milte

S. 81 Z. 9 V. u. icll eiu Fragezeichen bei dem Namen Jacopo da Casentino, den Crowe und Cavalcaseile intOmlidi für den Autor halten. Vgl. Buch V. p. 121.

& 85 Anmerk. I Das Mittelstück des Quaratesi-AItars von Gcntilc da Fabri- ano i=t von Ad. Venttiri in der neu begonnenen illustrierten Vasari - Ausgabe mit Kommentar ab in Amerika befindlich nachgewiesen und abgebildet.

S. 89 Z. 5 V. u. gleichwie der, Hes: das

S. 91 Z. 5 V. o. zeigt sich, lies: zeigen sich BttChlll. S. 53 Z. 3 V. o. Den Paulus im Museo Civico zu Pisa pliotograplücren ZU

lassen, habcu wir uns leider vergebens bemüht.

S. 54 Z. IS V. u. Die Sammlung desArtaud de Montor, Membre de l'Institut, deren Katalog 1843 herausgegeben wurde, ist nadk einer Mitteilung von Eugen Müntz seither zerstreut, der Ver1>Icil) der bespr. Fragmente also nicht mehr naclnvei?bar. VVl. über diesen Katalog, dessen gute Abbildungen einige Ver> bessnuttg der darin erteilten Namen gestatten, meinen Auf- sats in der Gasette des Beaux>Arts 1898.

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Buch IV. S. 90 Z. 16 V. u. entbahenen, lies: erhaltenen Wandgemälden Buch V. S. 5 Z. 5 V. o. nicht als, lies: nicht nur als

S. 6 Z. u V. o, indem et, lie«: er

S. 17 2. 17 V. o. Quarelcsi, lies: QuaratetI

S. 22 Z. 6 V. o. Heiligtum, lies: Heiligtums

S. 27 Z. 35 V. o. oder, lies: bald

S. 62 Z, ö V. u. Gränzpfeiler, lies: -pfeilern

S. 64 Z. 6 V. «. Mhtetatter, lies: Mittelalter hindttrcb

S. 78 Z. 18 V. o. dflrfen, lies: darf

S. 87 Z, 6 V. u. die Apostel, lies: den

S. Z. 6 V. o, Individium, üp«: Imiividuum

S. 98 Z. II V. u. zusammen«cbiief!>en, lies : •schieben

S. 98 Vgl. A. Gosche, Simone Martini, I^ipzig 1899

S. 100 Z. 5 V. u. ungegorener, lies: angegorener

S. 113 Vgl. H. Schubring, Allicbiero und seine Sdinlc, Leipzig l8q8

S, 119 Die Abbildung lics Sposalizio von Starnina aus der Coli. Artaud de Muntor in Lieferung V, sowie auch ein jugendlicher Portrit- kopf Ton MasoUno (?).

S. itS Z. 7 o. das, lies: die

S. 134 Z. 30 V. o. von (14*5» lies: (von 1415

MASACCIO

■*

DER BEGRÜNDER DES

KLASSISCHEN STILS

DER

ITALIENISCHEN MALEREI

FÜNF BÜCHER iOUTISCHER STUDIEN AUGUST H. SCHMAESOW

KASSEL TH. G. FISHER & CO.

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