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spanischen

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1808-1811

Kircheisen, Ludwig Theodor Dietrich ...

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Memoiren aus dem spanischen Freiheitskampfe 1808-1811

Ausgabe A

Bibliothek wertvoller Memoiren

Lebensdokumente hervorragender Menschen aller Zeiten und Völker

Herausgegeben von

Dr. Ernst Schultze

7. Band

Hamburg

Gutenberg-Verlag

1Q08

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Memoiren aus dem spanischen Freiheitskampfe 1808—1811

Ludwig von Grolmann - Albert Jean Michel Rocca Moyle Sherer- Heinrich von Brandt- Henri Ducor Don Juan Andres Nieto Samaniego

Bearbeitet von

Friedrich M. Kircheisen

1 3. Tausend

Hamburg

Gutenberg-Verlag

1908

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Alle Rechte vom Verlag vorbehalten

Cool

Buchschmuck-Leisten von Paul Helms, Hamburg und Ernst Liebermann, München

I>nic% von C. Grambach Eil Leipzig

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis s

Vorwort zu der »Bibliothek wertvoller Memoiren«

von Dr. Ernst Schultze 9

Memoiren aus dem spanischen Freiheitskampfe 1808

bis 1811 von Friedrich M. 10 rch eisen . ... 15 Gesamteinleitung von Friedrieh M. Kircheisen . . n

1. Ludwig von Orolman: Aus dem Tagebuche

eines deutschen Offiziers über seinen Feldzug

in Spanien 1808 25

Vorwort von Friedrich M. Kircheisen 27

1. Kapitel: Der Marsch über die Pyrenäen 30

2. Kapitel: Ankunft der großen Armee. Treffen bei Vitoria

und Bilbao 42

3. Kapitel: Gefechte bei Valrnaseda, Espinosa und Quintanilla 50

4. Kapitel: Der Escoria!. Truppenschau unter Napoleon. Madrid 73

5. Kapitel: Talavera. Haft der Einwohner. Übergang über

den Tajo 88

6. Kapitel: Rückmarsch über den Tietar. Szenen in dem der Wut des Kriegers überlassen en Arenas. Abberufung aus Spanien 103

2. Albert Jean Michel Rocca: Memoiren über den

Krieg der Franzosen in Spanien 113

Vorwort von Friedrich M. Kircheisen 115

1. Kapitel: Schlacht bei Burgas. Einnahme Madrids. Valla- dolid. Schlacht von Medellin 118

2. Kapitel: Verfolgung des spanischen Parteiführers Marquis von Portiere. Kämpfe in Andalusien. Rückkehr nach Frankreich 149

3. Moyle Sherer: Kriegszüge in Portugal und Spanien 189 Vorwort von Friedrich M. Kircheisen 191

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1. Kapitel : Ankunft der englischen Truppen in Lissabon. Land und Leute in Portugal. Marsch der Engländer nach Spanien 193

2. Kapitel: Rückkehr zum Regiment. Leben im Felde. Krieg- führung der Spanier. Französische Gefangene. Gefecht

bei Buzaco 211

3. Kapitel: General Beresford übernimmt den Befehl Über Hills Korps. Reitergefecht bei Campo Major. Belagerung von Oliyenzi und Badajoz. Oefechte bdAttwera und in

den Felsen von Montamm-i. ALibi/rufiiiii; nai-h F-n.tjlaniJ 2j3

4. Kapitel: Riie'. :i Portugal. Ein Besuch ja Madrid. Ruckzug aus der Gegend von

Madrid. Winterquartiere 256

5. Kapitel: Übergang über den Dnero. Scharmützel bei Hör- masa. Zerstör; i;- rgjg. Schlacht bei Vitoria.

Oefechte auf da mahrne . 266

4. Heinrich von Brandt: Erinnerungen aus dem

spanischen Feldzug 279

Vorwort van Friedrich M. Kircheisen 281

1. Kapitel: Ankunft der Armee in Spanien. Schlacht von Tudela 1803. Zweite Belagerung von Zaragoza 1303— 1809 284

2. Kapitel: Auimarsch aus Zaragoza mit der Brigade Habcrt. Oefechte gegen Perefia. Besetzung von Monzon. Rück- zug auf Barbastro. Rückmarsch nach Zaragoza. Schlacht von Santa Maria (15. Juni 1809). Schlacht von Belehrte

(18. Juni 1809). Verfolgung des Feindes auf Adaniz . . 323

3. Kapitel: 1809. Ausbrechen des allgemeinen Aufstandes in Aragonien. Kämpfe mit den Guerillas. Einnahme von Nuestra Senora del Aguila. Besetzung von Paniza. Be- setzung von Almunia. Oefechte bei El Frasno. Besetzung von Calalayud unter General Chlopicki. Exkursionen in die Sierra de Molina. Ein kurzer Liebestraum. Abmarsch nach der Ribera von Daroca. Einnahme von Nuestra Senora del Tremedad am 25. November 347

4. Kapitel: 1809—1810. Streifeüge in der Ribera von Darocs. Besetzung von Teruel 1809. Marsch nach Almunia. Rück- kehr nach Calatayud. Marsch nach Teruel. Eintreffen des Generals Suchet daselbsL Besetzung von Teruel 1810. Oefecht von Villel. Schwere Verwundung. Verunglückte Expedition Suchets nach Valencia. Belagerung von Teruel durch Villacamua. Heldenmütiger Widerstand der Be- satzung. Entsatz durch die von Valencia zurückkehrenden Truppen 379

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5. Kapitel: 1810. Vereinigung mit der Division LevaL Märsche. Emireifen vor Tortosa. Blutiges Oeiechl an dem Brückenkopf. Teilweise Einschließung von Torlosa. Die Eskortierung des erkrankten Generals LewJ nach dem Hauptquartier. Zug nach Beceyte. Zerstörung der Stadt Gefecht in der Pefla Oolosa. Auienthalt im Lager bis

Mitte Dezember 396

6. Kapitel: 1810—1811. Übergang über den Ebro bei Jerta. Belagerung von Tortosa. Eröffnung des Artilleriefeuers. Beginn der Unterhandlungen. Energisches Benehmen des Generals Suchet Schwache, unentschlossene Hand- lungsweise des Oouvemeurs. Übergabe der Festung.

Transport der Gefangenen nach Bayonne ..... 416

5. Henri Ducor: Gefangenschaft und Flucht auf den

spanischen Pontons 427

Vorwort von Friedrich M. Kircheisen 429

Leben und Leiden auf den spanischen Pontons. Spanischer Fanatismus. Bestürmung des Gefängnisses von Cabrera durch die Bewohner. Flucht 431

6. Don Juan Andres Nieto Samaniego: Belagerung

von Oerona 467

Vorwort von Friedrich M. Kircheisen 469

Belagerung von Oerona 471

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Vorwort des Herausgebers zu der

Bibliothek wertvoller Memoiren

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Seit die Menschen in staatlicher Gemeinschaft leben, haben sie dem bunten Wechsel der Geschehnisse, den wir „Geschichte" nennen, Interesse zugewandt In ältester Zeit waren es die Stamm es -Sagen oder Erzählungen von Heldentaten, was die Seelen fesselte und erregte; so ünden wir bei allen Völkern den Beginn der Dichtkunst durch die Entstehung von National-Epen bezeichnet, von denen viele noch heut unvergänglichen Reiz ausüben. Später entstand die Geschichtsschreibung, noch später die Geschichtswissenschaft, die kühl und unbestechlich auf- zuzeichnen sucht, wie sich die Handlungen der Menschen zu dem wechselnden Spiel und dem blutigen Ernst der Geschehnisse zusammenfügten, und wie sie so die Grund- lage aller späteren Geschichte also auch der unsrigen: wurden.

Aber neben dem ruhigen Strome dieser kühlen, leiden- schaftslosen Geschichtsschreibung läuft ein anderer Lite- raturquell frisch sprudelnd einher, von jener viel be- nutzt, weil sie ihn gar nicht entbehren könnte: die Schilderung eigener Erlebnisse. Im klassischen; Altertum noch selten geübt, im Mittelalter wenig gepflegt, kam diese Kunst erst in den letzten drei Jahrhunderten; zu wirklich voller Entfaltung. Staatsmänner und Feld- herren, Volksführer und -Verführer, Eroberer und Ent- decker, Gelehrte und Künstler, hervorragende Frauen, ein- fache Bürger und Soldaten kurz alle, deren Leben Elemente enthielt, welche für weitere Kreise Interesse bieten, haben einzelne Episoden ihres Lebens oder auch ihren ganzen Lebenslauf beschrieben; oder sie haben ihre Beziehungen zu berühmten Persönlichkeiten, denen sie nahe standen, geschildert und uns Einblicke in deren Leben tun lassen. Viele Tausende solcher Bücher sind der Nachwelt überliefert worden, und reicher als je blüht dieser Literaturzweig in der Gegenwart.

Für die Wissenschaft der Geschichte (insbesondere der Kulturgeschichte) ist er von unschätzbarem Werte, so vorsichtig selbstverständlich bei der Benutzung einzelner 11

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Memoirenwerke verfahren werden muß. Denn natürlich drängen sich off genug Eigenliebe, verletzte Eitelkeit, Un- wille über arge Behandlung, Enttäuschung über uner- füllte Hoffnungen oder der Wunsch, sich weiß zu waschen, vor die klare und gerechte Schilderung der wirklichen Vorgänge und trüben die Zeichnung mehr oder minder stark. Aufgabe der Geschichtswissenschaft ist es, solche gewollten und ungewollten Entstellungen nachzuweisen und unparteiisch das wahre Gesicht der Geschehnisse wiederherzustellen.

Anderseits sind Memoiren zuweilen geradezu die einzige Quelle, aus der sich über die Geschichte be- stimmter Zeiträume überhaupt schöpfen läßt. Und was vielen Memoiren einen so besonderen Reiz verleiht einen Reiz, den nur verhältnismäßig wenige Werke der reinen Geschichtswissenschaft ausüben können das ist die Anschaulichkeit und der Stimmungsgehalt, die von ihnen ausströmen. Wir mögen schon aus den Werken der Geschichtsschreiber ersehen, welche verheerenden Wirkungen ein Krieg über die Lande brachte, wie ein ganzes Volk sich heldenmütig gegen den Untergang wehrte, oder wie in Friede nszeiten Wohlstand und Gesittung sich mehrten. Mit wieviel greifbarerer Deutlichkeit aber er- kennen wir dies alles, wenn wir aus einer guten Selbst- biographie anschaulich erfahren, wie diese Ereignisse dem Einzelnen das Schicksal bitter oder angenehm machten. Das Leben und Treiben in Stadt und Land, gewaltige Un- glück ssch läge, die auf ein Volk herniederfielen, die Ge- danken und Ansichten eines Zeitalters, seine Art, sich zu freuen und Leiden zu tragen, seine Geselligkeit und seine öffentlichen Einrichtungen kurz interessante Begeben- heiten sowohl wie eigenartige Zustände treten uns mit besonderer Klarheit vor Augen, wenn sie uns von Augen- zeugen geschildert werden.

Häufig rühren wertvolle Memoiren von Menschen her, die an ihrem Lebensabend auf ein an Schicksalen und Erlebnissen überreiches Leben zurückblicken, und 12

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denen doch unter der Schneelocke noch ein jugendliches Herz schlägt Und wenn wir auch nicht den geringsten Grund haben, über die Oeschichts Wissenschaft unserer Tage so schroff zu urteilen wie Goethe über die Ge- schichtsschreibung seiner Zeit, für den sie „etwas Leichen- hartes", „den Geruch der Totengruft" an sich hatte so bleibt doch auch jetzt für die Mehrzahl der Gebildeten bestehen, was er von sich über die starke Anziehungskraft berichtete, die „alles wahrhaft Biographische" auf ihn ausübte. In jeder Selbstbiographie sah er eine will- kommene Bereicherung unseres Wissens vom Menschen, und über den Benvenuto Cellini, den er selbst bearbeitete, äußerte er: „Er ist für mich, der ich ohne unmittelbares Anschauen gar nichts begreife, von größtem Nutzen; ich sehe das ganze Jahrhundert viel deutlicher durch die Augen dieses konfusen Individui als im Vortrage des klarsten Geschichtsschreibers."

Auch Schiller hat den Wert guter Memoiren un- gemein hoch veranschlagt. Viele Jahre seines Lebens hat er eine bändereiche „Sammlung historischer Memoires" herausgegeben, und wenn diese heute auch fast ganz vergessen ist, so ist doch das Interesse für wertvolle Memoiren geblieben.

Um so sonderbarer mag es anmuten, daß in keinem Lande der Welt seither der Versuch unternommen wurde, die wertvollsten Memoiren aller Zeiten und Völker in einem Sammelwerke zu vereinigen. Wohl gibt es eine Sammlung von Memoiren zur französischen Geschichte wohl eine solche zur Geschichte der französischen, eine andere zur Oeschichte der englischen Revolution wohl eine Anzahl anderer Memoiren Sammlungen aber eine umfassende Sammlung aus der ganzen Weltliteratur ist nicht wieder unternommen worden. Sie ist nicht leicht herzustellen und je geringeren Umfang sie haben soll, desto schwerer. Aber sie kann von allergrößtem Interesse für jeden sein, für den lebendige Schilderungen aus Ge- schichte und Kulturgeschichte Reiz besitzen.

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Es soll nichts in diese „Bibliothek wertvoller Memoiren" Aufnahme finden, was nicht allgemein menschlich interessant ist; einem Erzähler, der für sich selbst kein Interesse zu erwecken vermag zu welchem Zwecke er doch keineswegs beständig im Vordergründe zu stehen braucht wird sie sich nicht öffnen. Auch, wer mit der Wahrheit leichtfertig umspringt, mag draußen bleiben. Kleine Irrtümer werden die Bearbeiter der ein- zelnen Bände in Anmerkungen richtig zu stellen suchen, von denen auch sonst (zur Aufklärung schwieriger Stellen, zur Erläuterung wenig bekannter Ort- und Zeitumstände) Gebrauch gemacht werden wird. Einleitungen sollen das ihrige zu demselben Zwecke beitragen. Einzelne Sätze oder größere Teile, die wenig Interesse bieten und ohne Schaden für das Ganze entbehrt werden können, werden fortgelassen werden. Denn die „Bibliothek wertvoller Memoiren" ist mehr für den gebildeten Laien bestimmt als für den Historiker von Fach, der doch immer nach den Originalen selbst greifen muß.

Kein Volk hat eine reichere Memoirenliteratur ge- schaffen als die Franzosen. Aber auch die Deutsehen, die Engländer, die Italiener, die Spanier, einzelne orientalische und manche andere Völker besitzen köstliche Lebensdoku- mente einzelner Männer und Frauen. Nur ist eben vieles davon selbst für das eigene Volk so vom Staube der Jahrzehnte oder Jahrhunderte überdeckt, so gänzlich in. Vergessenheit geraten, daß eine Wiederbelebung nötig; ist. Welche Schätze in diesen vergessenen Me- moiren schlummern, das werden schon einige der ersten Bände dieser Sammlung zeigen. Hoffentlich er- regen sie das gewünschte Interesse und erfüllen damit ihren Zweck: die Neigung für die Beschäftigung mit Ge- schichte und Kulturgeschichte zu stärken und Hunderten Wissensdurstiger Stunden interessanter Belehrung zu ver-. schaffen.

Hamburg-Großborstel. Dr Ernst

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Memoiren aus dem spanischen Freiheitskampfe 1808-1811

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Einleitung.

Die Ursachen der Niederlagen Napoleons werden ver- schiedentlich gedeutet. Die einen und ihre Zahl über- wiegt — meinen, der russische Feldzug im Jahre 1812 und der Verlust der großen Armee habe seinen end- gültigen Sturz vorbereitet, die andern - ihre Zahl ist geringer glauben, daß das spanische Abenteuer, in das sich Napoleon nicht zum wenigsten auf Anraten Talley- rands gestürzt hatte, den Wandel in der Gestaltung der Staaten Europas am Anfange des vorigen Jahrhunderts hervorgebracht habe.

Es wäre indes unkritisch und unhistorisch gedacht, wollte man den Untergang einer Weltmonarchie, wie die Napoleons 1., einem einzigen Ereignis wie etwa dem russi- schen Feldzuge oder dem Kriege auf der Pyrenäischen Halbinsel von 1808—14 zuschreiben. Natürlich haben noch ganz andere Faktoren mitgewirkt, um ein Leipzig oder ein Waterloo vorzubereiten, und wenn auch der Kaiser aus beiden Feldzügen siegreich hervorgegangen wäre : das Reich, das er kunstvoll aufgebaut, würde doch einmal, sei es auch erst nach seinem Tode, wieder in sich zu- sammengebrochen sein.

Soviel ist aber gewiß, daß, wenn der französische Kaiser den spanischen Feldzug güu klii hi r geführt hätte und es muß gesagt werden, daß dies in seiner Macht stand das Ende seiner Herrschaft noch lange hinaus- geschoben worden wäre. Hätte er nach Beendigung des österreichischen Feldzugs vom Jahre 1809 die Führung

2 * B»M7: Spi.i. frcil.titskampl. 17

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des Krieges in Spanien selbst übernommen und durch sein großes Staats männisch es Genie die Gemüter des von der fanatischen Geistlichkeit aufgestachelten stolzen spanischen Volkes beruhigt und Karl IV. oder seinen Sohn Ferdi- nand VII., wenn auch unter Einschränkung ihrer Macht- befugnisse, auf dem spanischen Thron gelassen, die Eng- länder würden gewiß niemals auf der Pyrenäischen Halb- insel Fuß gefaßt und der Widerstand auch der unruhigsten Provinzen würde nachgelassen haben.

Spanien war seit den Revolutions kriegen mit Frank- reich verbündet. Plötzlich erschien am 5. Okiober 1806 in Madrid ein Manifest, das die Spanier gegen einen nicht näher bezeichneten Feind in dem aber jedermann Frank- reich erkennen konnte aufreizte und das auf Befehl Godoys, des allmächtigen spanischen Ministers, veröffent- licht worden war. Während sich Napoleon in Preußen befand, hatte der „Friedensfürst" die Gelegenheit ergriffen, sich mit England und Portugal zu verständigen, um ge- gebenenfalls im Süden Frankreichs einzufallen. Indes die Schlacht von Jena machte allen Hoffnungen Godoys ein Ende, und sowohl dieser, als auch der König Karl IV. ließen nichts unversucht, um Napoleon über ihre wahren Gesinnungen zu täuschen und sich bei ihm wieder in Gunst zu setzen. Napoleon nahm die Entschuldigungen scheinbar an; als er jedoch nach der Unterzeichnung des Tüsiter Friedens nach Paris zurückgekehrt war, begann auch er sich mit den Angelegenheiten auf der Pyrenäi- schen Halbinsel eingehender zu beschäftigen.

Da Portugal dem englischen Handel seine Häfen nicht verschlossen hatte und dem Kontinentalsystem Napoleons nicht beigetreten war, schickte der Kaiser eine Armee unter Junot nach Lissabon, das dieser sehr bald be- setzte. Kurze Zeit darauf gingen weitere Truppen aus Frankreich ab, scheinbar unter dem Vorwande, Junot zu unterstützen. Unterwegs besetzte man die spanischen Festungen, es wurden neue Verstärkungen abgesandt, und im Jahre 1808 übernahm Murat selbst das Oberkommando, 18

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nachdem bereits ein großer Teil Spaniens militärisch be- setzt worden war.

Währenddessen bereitete sich am spanischen Hofe eine Thron revolution vor. Oodoy, der seine Stellung er- schüttert sah, veranlaßte durch allerlei Machinationen den schwachen König Karl, seinen Sohn Ferdinand vom Hofe Iii entfernen, was auch geschah. Nun richtete sich der ganze Haß des Volkes mehr denn je gegen den Günst- ling. Es empörte sich offen am 7. Marz 1808, und um es zu beschwichtigen, erklärte der König seinen Premier- minister aller Ämter für verlustig. Als aber auch dies nicht zur Besänftigung der öffentlichen Meinung beitrug, dankte er am 19. März zugunsten seines Sohnes Ferdinand ab.

Karl IV. und seine Gemahlin Marie Luise, die eine große Schwäche für ihren Günstling und Geliebten emp- fand, waren nur auf seine Rettung bedacht und baten Murat, den Schwager des Kaisers, um Rat und Schutz. Diesem kam die Wendung der Dinge sehr gelegen, und er riet dem König, seine Abdankung als aufgezwungen zurückzunehmen und den Kaiser um seine Vermittlung zu bitten. Dieselbe wurde angenommen, eine Zusammen- kunft in Bayonne vorgeschlagen, und Vater und Sohn begaben sich dahin, um das Urteil des mächtigen Nach- barn zu erfahren.

Während sich die Unterhandlungen in die Länge zogen, empörte sich die spanische Hauptstadt am 2. Mai gegen Murat. Napoleon benutzte diese Gelegenheit, um Ferdinand VII. wegen des vergossenen Blutes verantwort- lich zu machen, und sowohl Vater als Sohn verzichteten auf den Thron ihrer Väter. Zum König von Spanien ernannte der Kaiser seinen ältesten Bruder Joseph.

Diese Vorgänge bildeten den Anfang des nun in seinen Schrecknissen hereinbrechenden Kriegs, der sich sechs lange Jahre hinziehen und mit der endgültigen Ver- treibung der Franzosen aus dem Lande enden .sollte.

Spanien begriff jetzt, daß Napoleon nur mit ihm spielte, und der Aufstand brach überall los. Man stellte

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Heere auf, die größtenteils aus ungesckuhen Sold.it.-i be> standen, u:><1 als Joseph uaih .Madrid m.irsi Im rle. stieß er ulnull aul Ft'iiidlii'Iu- lrupne:i. die ihm den Vt'i-g 'u versperren suchten. Duili gelang es ihm, den Gegner uhfr den H.iufm iu nirfcn und seine acut H.iupKtjdt zu erreichen . der Madrider Adel unterwarf si; Ii dem neuen Herrscher, und es schien, als wenn sich auch das Volk den Verhältnissen fügen wollte.

Da traf die Kapitulation der Generale Dupont und Vedel bei Bailen am 23. Juli 1808 ein. Das Volk, das nun nicht mehr an die Unbezwin^lichkeit der Franzosen glaubte, warf die Fesseln ab, um mit unge schwächten! Mut den Kampf mit dem ihm aufgezwungenen Herrscher zu wagen.

Dupont hatte sich mit einem Korps von 3000 Mann von den spanischen Generalen Reding und Castafios bei Andujar in die Enge treiben lassen, so daß er sich schließ- lich zur Kapitulation genötigt sah. Anstatt sich zu dem in der Nähe stehenden General Vede! durchzuschlagen und vereint mit ihm zu kämpfen, gelang es dem schlauen Spanier Castafios, durch geschickte Unterhandlungen Vedel mit in die K.'ipitLil.iiiiin eiiizuhcgreifen, und beide Korps streckten am 23. Juli die Warfen unter der Bedingung, daß die Offiziere und ihre Mannschaften nach Frankreich zu- rückkehren dürften. Die Junta indes erkannte die von ihren Generalen abgeschlossene Konvention nicht an (ein Beweis, wie geringe Begriffe man damals in Spanien von Kriegs- gebräuchen hatte), und man transportierte die Gefangenen auf die Pontons vor Cadiz und später nach der Insel Cabrera. Von den 17000 Soldaten, die in Bailen die Waffen niederlegten, haben kaum 4000 nach den in sechs- jähriger Gefangenschaft ausgestandenen schrecklichsten Leiden und Entbehrungen ihr Vaterland wiedergesehen.

Dieser Sclilaj» war äußerst verhängnisvoll für die fran- zösische Soldatenehre. Seit Napoleon an der Spitze der Regierung stand, war nichts Ähnliches vorgefallen. Die Spanier glaubten nun leichten Kaufes mit ihrem Bedrücker 20

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fertig zu werden, und kaum hatte sich die Nachricht in Madrid verbreitet, als auch Joseph, wenige Tage nachdem er seine neue Hauptstadt betreten, diese wieder verlassen mußte.

Einige Wochen später ereilte auch Junot ein dem der Armee Duponts ähnliches Geschick. Die Engländer hatten ein Heer unter Sir Arthur Wellesley, dem späteren Herzog von Wellington, bei Lissabon ans Land gesetzt und griffen, von der portugiesischen Armee und Bevölkerung auf? tatkräftigste unterstützt, Junot, der Portugal besetzt hielt, an. Er konnte dem Feinde nur eine weit schwächere Heeresmachi entgegenstellen und sah sich daher im August 1308 zur Kapitulation von Cintra gezwungen, wurde aber, dem Vertrage gemäß, mit seinen Truppen nach Frankreich befördert.

Napoleon war außer sich, als er die Mißerfolge seiner Waffen erfuhr. Nachdem er sich in Erfurt der Unter- stützung Alexanders I. versichert hatte, übernahm er es selbst den Feldzug in Spanien zu leiten. Mit einem starken Heere überschritt er die Pyrenäen, und nach einigen sieg- reichen Gefechten zog er am 5. Dezember 1808 in Madrid ein. Binnen kurzem stellte er die Ruhe in der Hauptstadt wieder her; die Großen des Reichs unterwarfen sich und leisteten dem neuen Konig den Eid. Der Kaiser selbst machte sich mit einigen Armeekorps auf, die Engländer aus Portugal zu verjagen, indessen mußte er, durch den drohenden Krieg mit Österreich versiilam nach Frankreich zurückzukehren, das Oberkommando dem Marschall Soult, einem seiner besten Taktiker, übergeben, und nach Paris zurückeilen.

Es ist nicht meine Absicht, hier einen Abriß des ganzen Krieges zu geben. Da Sitge und Niederlagen auf zahl- reichen Kriegsschauplätzen so miteinander abwechseln, so würde der Leser nur ein unklares Bild von den Vor- gängen bekommen, wenn ich versuchen wollte, die haupt- sächlichsten Ereignisse der nächsten fünf Jahre in einigen Zeilen zu skizzieren. Den französischen Marschällen ge- 21

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lang es nach und nach, des Landes Herr zu werden, und im Jahre 1810 konnte man fast ganz Spanien als von Frankreichs Watten erobert betrachten. Aber Napoleon beging einen großen Fehler, daß er nach Beendigung des österreichischen Feldzuges nicht selbst nach Spanien ging, um das Land völlig zu pazifizieren und seine Ver- waltung zu ordnen ; denn ein größerer Feind, als die Spanier und die Engländer, war die Uneinigkeit unter den Marschällen, die weder einander noch dem König Joseph gehorchen wollten. Und da Napoleon von Paris aus die Befehle Josephs an seine Marschälle oft durch andere zu- nichte machte, überhaupt sich unter den obersten Heer- führern eine schnell um sich greifende und auch den untern Chargen sich mitteilende Korruption entwickelte und jeder nur daran dachte, sich zu bereichern, so ging das Eroberte gar bald wieder verloren.

Unter diesen Umständen konnte sich das militärische Genie eines Wellington, der lange Zeit wegen zu geringer Truppen macht in der Defensive zu bleiben gezwungen war, aufs glänzendste entfalten. Endlich, im Frühjahr 1813, sah er sich an der Spitze eines über 100 000 Mann starken Heeres, mit dem er die des Krieges müden und geschwäch- ten Heere der Franzosen über die Pyrenäen zurückwarf.

Der Krieg in Spanien war ein völliger Völkerkrieg; es fochten nicht allein Spanier, Franzosen, Portugiesen und Engländer, sondern auch Deutsche, Schweizer, Ita- liener und Polen in diesem Kampfe, in dem man kein Er- barmen kannte. Nichts ist interessanter, als einen solchen Krieg aus dem Munde von Soldaten oder Subaltern Offi- zieren kennen zu lernen, die die Vorgänge nicht vom theo- retischen Standpunkte aus aufgezeichnet, sondern ihre eigenen Beobachtungen und Erlebnisse im Felde und und Lager in den Vordergrund gestellt haben. Ich habe deshalb aus einer Anzahl der interessantesten Feldzugs- erinnerungen der bei diesem Kriege beteiligten wichtigsten Nationen die besten Stellen herausgenommen und sie in 22

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einem Bande vereinigt. Wir lernen nicht allein die geg- nerischen Ansichten kennen, sondern gewinnen auch einen tiefen Einblick in die Seele eines denkenden Soldaten und Subaltemoffiziers. Der Wert solcher Erinnerungen, zu denen ich auch noch das den Anfang bildende Tagebuch Orolmans hinzufüge, obgleich er damals bereits Major war, besteht zum großen Teil in der Frische der Dar- stellung, dem Selbst erlebten. Der Offizier vom Stabsoffi- zier aufwärts wird fast immer bemüht sein, die großen Operationen zu erfassen, wodurch seine eigenen persön- lichen Erlebnisse in den Hintergrund treten eine Ab- sicht, die sehr wohl verständlich ist, die aber ein solches Werk für den Laien häufig uninteressant macht. Der Soldat, der Unteroffizier, der Subalternoffizier hingegen wird, wenn er einmal Feldzugserinnerungen verfaßt, diese stets von seinem persönlichen Gesichtspunkte, aus seiner Weht heraus, schreiben, und dies verleiht seinem Werke Leben und Reiz.

Ein solches Erinnerungswerk wird zwar niemals ein objektiv geschriebenes Geschichtswerk im wahren Sinne des Wortes sein, aber gerade in der subjektiven Behand- lung des Stoffes, durch das Hervortreten des eigenen Ichs, um das sich alles gruppiert, durch die Schilderung des Selbstgescliauten und -empfundenen, durch die Erzählung der einfachsten menschlichen Vorkommnisse, eben wie sie Soldaten zu erleben pflegen, liegt ein großer Reiz. Aus all diesen Gründen eignen sich diese Feld Zugserinnerungen zu einer für die weitesten Kreise bestimmten Lektüre, die uns nicht allein mit den Unbilden und Ereignissen des Krieges, sondern auch mit den Sitten, Gebräuchen und Charaktereigenschaften fremder Völker bekannt macht.

Alles Nähere über die hier vereinigten Werke und ihre Verfasser findet sich in den besonderen Einleitungen zu den einzelnen Berichten.

^f*^' Kiedrich M. Kirche,.«,.

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I.

Aus dem Tagebuche eines deutschen Offiziers über seinen Feldzug in Spanien 1808 von

Ludwig von Orolman

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Vorwort.

Der vorliegende Auszug aus dem „Tagebuche eines deutschen Offiziers über seinen Feldzug in Spanien" ist einem Werke entnommen, dessen Verfasser sich dem Kriegsdienste aus eigener Wahl widmete, weil ihm der Tod auf dem Schlachtfelde als höchstes Ideal erschien. Sein Wunsch blieb nicht unerfüllt, und die Lücke, die der tapfere Mann im Heere hinterließ, war beträchtlich. Das wenige Geschichtliche, was über diesen badischen Oberstleutnant und Adjutanten der Infanterie bekannt ist, sei im fol- genden wiedergegeben.

Ludwig von Grolman entstammte einer landgräflich hessischen Adelsfamilie, die einige Zeit den Adel abge- legt, ihn aber später wieder angenommen hatte. Sein Vater, der Oberappellationsgerichts rat von Grolman, be- stimmte seinen Sohn zum Gel ehrten beruf und richtete die Ausbildung des Geistes und der Fähigkeiten des Knaben danach. Später, im rohen Leben des Feldlagers, sollte dem jungen Grolman diese Bildung manche genußreiche Stunde verschaffen. In den Schriften der Alten suchte er ästhetische Zerstreuung, und Horaz begleitete ihn bestän- dig auf seinen Feldzügen in Polen, Spanien und Rußland.

Noch ein Kind, trat der vor Verlangen nach dem Soldatenstand Brennende in holländische Militärdienste und gab seinem Leben somit aus eigenem Antriebe eine Wendung, die ihm verhängnisvoll werden sollte. Wie jung er gewesen sein mag, als er zum ersten Male den bunten Rock trug, geht aus einem kleinen Erlebnis hervor, das er selbst gern erzählt Es war schauderhaftes Wetter, als sich sein Regiment eines Tages auf dem Marsche befand und mehrere Dörfer passierte. Da ward eine gutmütige 27

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Holländerin das kleine Bürsehchen gewahr, das da mitten unter den sonnengebräunten soldatischen Gestalten mar- schierte. „Ach," rief sie mitleidig aus, „muß der kleine Kerl auch schon mit!" Unserm Helden aber waren diese Worte wie Dolchstiche, und er fühlte zum erstenmal, daß man nicht nur mit dem Willen und der Tat, sondern auch mit dem äußern Anschein der öffentlichen Meinung ge-

6 Kurze Zeit nachdem Holland mit England und Preußen seine ewige Allianz geschlossen hatten, trat Lud- wig von ürolinati in hm Jgnifiich hessische Dienste, in denen er ungefähr zehn Jahre verblieb. Während dieses Zeitraumes geschah in seinem Leben nichts Besonderes, was der Aufzeichnung wert gewesen wäre. Erst mit seinem Eintritt in kurbadische Dienste, im Jahre 1303, beginnt für ihn ein :in kriegs/ügen reiches Dasein.

Das mit Napoleon verbündete Baden sah sich ge- zwungen, seine Militärmacht zu vergrößern, und so er- öffnete sich dem jungen Krieger eine glänzende Lauf- bahn. Seine Beförderung ging rasch vonstatten ') ; be- sonders ward der Feldzug von 1806 und 1807 für ihn von Wichtigkeit, da er den Erbgroßherzog von Baden als per- sönlicher Adjutant begleitete. !)

Nicht lange sollte er nach diesem Feldzug, in welchem er das Waffen hand werk in seinen erhabensten und rohesten Formen kennen gelernt hatte, der Ruhe pflegen können; schon ertönte von neuem die Kriegsfanfare und rief die Badener wiederum als Verbündete des großen Sehlachtenkaisers nach Spanien. Nie gewohnt, zwischen Neigung und Pflicht zu schwanken, und den Krieg stets

') 1803 wurde er Oberleutnant, 1804 Quartiermeisterleutnant, 1305 Stabshauptmann; Anfang 1308 trat er aus dem Oeneralstab aus und wurde zum Major im Regiment Harrant ernannt.

!) Grolman schrieb auch ein Tagebuch über den Feldzug von 1806 unter dem Titel: Tagebuch über den Feldzug des Erb- groBherzogs Karl von Baden, 1806—1807. Bearbeitet und heraus- gegeben von Friedrich von Wengen. Freihurgim Breisgau, 1987. 8".

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von der Verstandsseite auffassend, konnte es seinem tätigen Geiste nicht unangenehm sein, das Garnisonleben aufs neue mit dem Biwak zu vertauschen und die badischen Truppen über die Pyrenäen zu begleiten.

Die Ereignisse dieses Kriegs, an dem er während der letzten drei Monate des Jahres 1808 und der ersten von 1809 teilnahm, beschreibt Orolman in seinem Tagebuche, aus dem hier ein Teil vorliegt, mit großer Treue. Jedem aufmerksamen Leser muß es auffallen, wie sehr er bemüht ist, sich mit diesem Kriege, den er im Grunde seines Herzens verabscheuen mußte, wenigstens nach außen hin auszusöhnen, und wie schmerzlich ihm oft das Mißlingen dieses Strebens war. Unter all den rauhen Männern, die das Kriegshandwerk empfindungslos gemacht hatte oder die den Militärberuf nur als Mittel zum Zweck, um sich zu bereichern und emporzukommen, betriehen, ist er wirk- lich eine seltene Erscheinung. Dennoch fand er unter seinen Kameraden manch gl eich denken den Geist, manches mitfühlende Herz, und die Übereinstimmung ihrer Grund- sätze half ihnen oft über das Schlechte und Ungerechte hinweg, das sie zu tun gezwungen waren.

Ganz unerwarteterweise wurde Grolman von seinem Fürsten aus Spaniens Bergen wieder an die Ufer des Rheins berufen. Mancherlei Auszeichnungen und Ehren erwarteten ihn, so seine Ernennung zum Oberstleutnant und bald darauf zum Gencraladjutantcn der Infanterie. Alle seine Wünsche schienen erfüllt, und er hätte sich im Schatten seiner Lorbeeren glücklich schätzen können, wenn ihn das Jahr 1812 nicht aufs neue ins Kriegsgetümmel ge- rufen hätte. Diesmal aber sollte er nicht wieder zurück- kehren. Mit Tausenden seiner tapferen Gefährten unterlag er auf den russischen Eisfeldern den unerbittlichen Ele- menten des russischen Nordens, wenn auch nicht direkt, so doch mittelbar. Er starb zu Anfang des Jahres 1813 in Wüna an den Folgen einer allgemeinen Erschöpfung.

F. M. K.

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1. Kapitel Der Marsch über die Pyrenäen

Es war ein Kurier vom König Joseph aus Vittoria an- gekommen, der uns mit Eilmärschen zur Armee beor- derte, deren rechter Flügel in Biscaya sehr bedroht wurde. Ich heilte mich also, mir die notwendigen Lagerbedürf- nisse anzuschaffen und die übrigen Vorbereitungen zu treffen, so daß ich nur wenig Zeit behielt, mich in Bayonne umzusehen. Es geh'el mir sonst recht gut in dieser nur eine Stunde von der See gelegenen Handelsstadt. Sie ist nicht sehr groß, aber volkreich. Eine Menge von Spa- niern, die nicht Augenzeugen der Katastrophe ihres Vater- landes sein wollten, hatte sich beinahe aller noch übrigen Wohnungen bemächtigt. Der Handel lag zwar, wie überall, danieder, und die Gegenwart des Kaisers hatte durch strengere Maßregeln den Druck des Seekrieges erhöht. Dagegen war durch die Bedürfnisse der Armee und das viele Geld, das die durchziehenden Truppen verzehrten, auf anderm Wege Bewegung und Leben hervorgebracht worden . . .

Wir mußten den 13. Oktober bis 9 Uhr morgens ver- weilen, weil wir Brot, Fleisch, Munition und Kochgeschirre zu empfangen hatten. Unsere große Bagage ließen wir in Passourary zurück. Wir gingen einige Stunden zwischen beinahe wirklichen Dünen und fanden dann den malerisch zerstreuten Flecken Bidars. Der Atlantische Ozean bran- dete eben bei voller Flut stolz gegen das Gestade. Seiner 30

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Gewalt spottend, streckten die Pyrenäen ihre hohen, steilen Felsen weit in die murrenden Wogen. Freundlich stand die Sonne hoch über beiden und lächelte die kühnen Felsen, die schimmernden Fluten und die kleinen Würmer an, die schweißtriefend zwischen beiden wandelten, um den Tod vom Rheine nach dem Tajo zu tragen . . .

in Iran hatten wir gleich mit dem spanischen Komman- danten im Dienste des Königs Joseph Verdruß. Unsere armen Leute waren durch ganz Frankreich marschiert, wo man ihnen nichts gegeben hatte, als ihre tägliche Zu- lage von fünf So!s. Vom Eintritt auf den spanischen Boden an hörte diese auf, und wir sollten dagegen die Rationen beziehen. Nun befanden sich die Leute plötzlich, mitten in der Nacht, hungrig und ermattet, auf dem schon durch französische Sagen verhaßten, feindlichen Boden in einem verwünschten Kloster, wo ihnen nur der Schmutz und die Läuse ihrer Vorgänger begegneten und nicht einmal sauberes Stroh zum Lager zu finden war. Vom Schweiß des Pyrenäenmarsches bedeckt, schüttelte sie Fieberfrost in den dicken, kalten Mauern, und es fand sich kein Holz, um den neuen Feind zu vertreiben. Verzweiflungsvoll griffen die Leute nach Zäunen und Bauholz, das sich in der Nachbarschaft befand. Da war der Kommandant der Stadt außer sich. Ich verhalf ihm wieder zu dem geraubten Holz und er mir zu den schuldigen Rationen. So kamen wir endlich mitten in der Nacht auseinander, um den nahen Morgen zu erwarten, der uns tiefer in das fremde Und führen sollte.

Am 14. kamen wir über die Flecken und Städtchen Oyarzun, Hernani und Villabuena, nach einem Marsch von beinahe acht Stunden Wegs, nach Tolosa, der Haupt- stadt von üuipuzcoa.

So oft wir beim weiteren Marsch auch die Stirne trocknen mußten, so sehr erheiterten sich unsere Herzen M dem Anblick des lieblichen, grünen Pyrenäenlandes. In der Tat, man wird wenige Länder in Europa finden, W eine kräftigere Natur von kräftigeren Menschen be- 31

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wohnt und mit regerem Fleiße angebaut wird als in den baskischen Provinzen, vorzüglich in Guipuzcoa und Bis-

Frei und ohne Menschenfurcht im Reden und Handeln geht der Biseayer munter und kraftvoll einher. Nicht leicht sieht man jemanden unbeschäftigt. Wenngleich die Männer durch ihre braune und schwarze Tracht und durch die Mäntel dem Anschein nach etwas von der Gravität und Traurigkeit der übrigen Spanier annehmen, so sieht man doch an ihrer freieren Bewegung und an dem lebhaften, nicht niedergekehrten Blick, daß sie anderen Geistes sind. Die Bauernmädchen sind keineswegs so traurig wie im übrigen Spanien gekleidet. Sic gehen in Hemdärmeln und bunten Miedern, tragen ihre langen schwarzen Haare in sehr gut stehenden Flechten und haben bunte Tücher um den Kopf. Eine Menge solcher Mädchen begegnete uns und bot uns Äpfel feil. Ihre Munterkeit und die auffallende Ähnlichkeit ihrer Tracht mit der Kleidung der hessischen Bauernmädcticn machte uns viel Vergnügen. Am meisten fanden wir uns aber durch die herrliche Straße überrascht, die auf beiden Seiten mit Quadersteinen belegt ist und eine Menge kostbarer Brücken hat. Sie verfolgt bald im Tale die Ufer des Flusses, bald windet sie sich mit kunst- vollen Zickzacks über die höchsten lier^e hin. Sie ist noch kein halbes Jahrhundert alt, aber der tätigste Beweis des Gewerbfleißes der Biseayer.

Die Lage der Dinge war damals für die französische Armee noch schlimm. Der König1) bei Vittoria und der Marschall Moncey») hei Pamplona hatten alle Hände voll

6. Juni 1808 den spanischen Thron bestiegen. (Vergleiche auch die Einleitung zum ganzen Werk.)

=) Baron Adrien Jeannof Moncey, Herzog von Conegliano, 1754—1842, französischer Marschall, rückte im Jahre 1808 mit dem 3. Armeekorps in Spanien ein, schlug später bei allen Treffen die Insurgenten von Valencia und veranlaßte sie, sich in Valencia selbst zu verschanzen, wo er sie sieben Stunden lang bombardierte. Da 32

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zu tun, um den gerade gegen sie andringenden Feind ab- zuhalten; und nun war Blake1) mit einer 20—30000 Mann starken Armee nach Bilbao vorgedrungen, hatte den Gene- ral Verdier vertrieben und drohte gerade gegen Bayonne zu marschieren. Es ist unbegreiflich, was ihn an diesem Marsch verhinderte. Er hätte den König in die größte Verlegen- heit versetzt und ihn zum Rückzug in die Pyrenäen ge- zwungen, noch ehe die große Armee ankommen konnte, die damals erst anfing über die Loire zu gehen. Die ihm gegenüberstehende Division war wenigstens nicht geeig- net, ihm ernstlichen Widerstand zu leisten. Sie war höch- stens noch 4000 Mann stark und bestand aus den Trüm- mern der konskribierten Legionen des vorigen unglück- lichen Feldzuges. Sie war drei kleine Stunden von Du- rango auf dem halben Wege von Bilbao bei Zornoza auf- gestellt, und es stand bei dem Feinde, sie zu vernichten, wenn er nur Mut und Feldherrn talent besaß. Die Spanier ließen indes in Unschlüssigkeit die beste Zeit verstreichen. Am 15. endlich rückten sie näher gegen Zornoza. Das ver- ursachte ein kleines Gefecht, und das gerade ankommende Regiment Nassau mußte sogleich auf die Berge ausrücken und blieb daselbst im Biwak. Hierdurch gedeckt fanden wir es besser, konnten unsere Leute in ein Kloster einquar- tieren und ein paar Tage ausruhen lassen. Dann fingen wir an, mit den übrigen Truppen den Dienst gegen den Feind zu teilen. Am 17. kam nämlich auch das Regiment Hessen nach Durango, und am folgenden Tag übernahm General Leval') das Kommando unserer Division und des ganzen

er sie indes nicht bezwingen konnte, zog er sich auf Almanza zurück und begab sich auf das linke EbrouFcr, um nach Zaragoza zu marschieren.

J) Joaquin Blake, spanischer General irländischer Abkunft, 1759-1827, kommandierte die spanischen Armeen von Oalicien.

*) Jean Francois Graf Leval, französischer Divisionsgeneral, 1761—1834, kämpfte fast während der ganzen Dauer des Krieges, von 1808—1814, auf der spanischen HalbinseL

3 B.MI: Spin. Fielbeilsklmp!. 33

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Das Wetter war mehrere Tage anhaltend schlecht, und Durango bot uns wenig Unterhaltung dar, obgleich es eine ganz angenehme Stadt der Provinz Biscaya ist. Ich be- schäftigte mich bei den wenigen Hilfsmitteln, die ich vor- fand, damit, soweit es ging, unsere Leute wieder in guten Zustand zu setzen. Übrigens lernte ich in meinen Wirts- leuten die Nation ein wenig kennen. Sie haßten mich zwar als einen ihrer Feinde unbeschreiblich und zwar alle zu- sammen, das Stubenmädchen nicht ausgenommen, das alle Morgen mit saurem Gesichte kam, mich auf baskisch aus- zuscheren. Im- ganzen waren es aber doch mit all ihrer Bosheit ganz gutgeartete Menschen, die einiges Interesse an mir fanden, weil sie glaubten, sich auf meine Kosten über uns lustig machen zu können. Sie bestanden aus einem Don mit einem langen Namen, der mir nicht gleich wieder einfällt ein Mann von etlichen Dreißig, nicht groß, bräunlich von Gesicht und schwarz von Haaren ; aus seiner Frau, etwas jünger als er und gut konserviert, von beinahe gleicher Farbe, mit langen schwarzen Haaren und den schönsten weißen Zähnen ; aus seinem Bruder, einem ältlichen, ganz gemeinen Bauersmann, und aus ein paar kleinen Kindern und Mägden. Der Hausherr war viel gereist, hatte sonst Handelsgeschäfte getrieben und lebte nun in einem ererbten Hause für sich. Er trug sich wie ein Mann von Stande mit feinem, vorn mit Samt verbrämtem Mantel und feinem, dreieckigem Hut. Er hatte viele Vor- urteile, war in Spanien ziemlich, aber außerhalb nicht be- kannt, wußte etwas Bescheid in der Geschichte und sprach gebrochen Latein. Diese Sprache findet man als Ausstat- tung der Klostererziehung ziemlich häufig in dem Munde der Männer von einiger Bildung, und sie hilft dem Fran- zosen fort, der noch kein Spanisch versteht und vergebens nach der Analogie mit anderen Ländern auf sein Franzö- sier] gerechnet hat Der Bruder hatte die gemeine braune Jacke, den groben braunen Mantel, die braune Montera und die biscayischen Gamaschen, die aus einem Streifen schief geschnittenen braunen Tuchs bestehen, welchen man 34

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um das Bein windet und der oben und unten zugeschnallt ist; aber das Auffallende des Unterschiedes zwischen bei- den Brüdern verschwand, als ich mich näher unterrichtet hatte . . .

Wir Offiziere hatten in Durango beim Oberst unsere Tafel, die meist von den Magazin lieferungen bestellt wurde. Sonst waren wegen der Nähe des Feindes die Lebensmittel ziemlich teuer bis auf die Baumfrüchte, Äpfel, Kastanien und Nüsse. An Butter fehlte es nicht ; mein Wirt klagte mir aber nach einigen Tagen, es sei nicht mehr auszuhalten: „Durch die Trennung von Bilbao wird das öl so teuer und selten, daß ich beinahe genötigt bin, das Essen mit Butter anrichten zu lassen." Der Biscayer hat nämlich das öl ebensowenig einheimisch als wir, nur etwas näher, er muß es aus dem südlichen Spanien kommen lassen.

Da es anhaltend regnete ein Umstand, der in dieser Stadt den Schmutz nicht vermehrte, weil ihre engen Straßen meistens mit Quadersteinen gepflastert sind so befand mau sich außerhalb und innerhalb der Häuser nicht wohl. Ein spanisches Haus hat nämlich nicht immer einen Kamin, geschweige denn einen Ofen. Die Fenster sind neistens nur mit hölzernen Läden, höchst seilen niil l.ikis geschlossen. Will man nun bei hellem lichtem Tag etwas sehen, so muß man durch öffnen der Fensterläden alle Widerwärtigkeiten des winterlichen Wetters zu sich herein- lassen. Dagegen hat man kein Mittel als den Brasero, das heißt, eine in ein viereckiges hölzernes Gestell eingesetzte kupferne Kufe oder Pfanne, die mit glimmender Asche ge- füllt ist. Sind die Kohlen noch nicht verglimmt, so verbreiten sie häßliche Dünste, die Lungenübel und Stickungen her- vorbringen. Die große Küche in der Mitte des Hauses ist dann der allgemeine Zufluchtsort. Um ihr wohltätiges Feuer versammelt sich jung und alt, besonders abends. Auch ich fand mich oft in den Stunden ein, die mir der Dienst übrig ließ. Die Dofia fiel dann gewöhnlich mit scharfem Zahn über mich her, schalt mich und den Kaiser aus und wollte sich dabei halb krank lachen. Er war 3- 35

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ernsthafter und tieler. Oft versicherte er mich, ich würde in acht Tagen jenseits der Pyrenäen sein, wenn ich leben- dig hinüberkäme. Ich versprach ihm dagegen, ihm in ebenso kurzer Zeit einen Chesterkäse aus Bilbao zu schicken, den er besonders zu lieben schien. Ich würde Wort gehalten haben, wenn ich die Gelegenheit gefunden hätte. Die Leute lebten sehr einfach. Morgens trank jedes Familienglied eine große Tasse trefflicher Schokolade,

einem großen Glas frischen Wassers bekam. Mittags wurde Suppe und ein Ragout gegessen, abends ein ein- faches Gericht, zum Beispiel gebackene Fische. Starke Getränke kamen nicht vor, nur nahm der Hausherr ein Glas Likör beim Essen. Dazwischen wurden den ganzen Tag Äpfel gebraten, auch wohl Kastanien. Übrigens ging es ziemlich ungeniert zu. Wenn ich kam, machte man mir einen Platz beim Feuer zurecht; die Dona setzte sich einige Mal ganz munter mir gegenüber, legte ihr inter- essantes Bronzeköpf che n in den Schoß einer Magd, ließ sich die schönen Haare auseinandernehmen und die Läuse suchen. Gab's was Rechtes zu knacken, so schien ihr dies Spaß zu machen. Dabei unterhielt sie sich durch allerlei Anreden aus der Schürze der Magd mit mir, wovon ich denn gewöhnlich nichts, oder falsch verstand und aus- gelacht wurde. Schimpfte sie nicht, so suchte mir wohl der Mann in seinem gebrochenen Latein ihre Ausdrücke zu erklären. Wenn es dunkel wurde, hing man in der Mitte eine Lampe auf, und einige Sefiores aus der Nach- barschaft setzten sich zu uns, um den Zirkel zu vermehren.

Die Männer waren gewöhnlich sehr niedergeschla- gen, doch funkelte in ihren Augen die Hoffnung auf eine baldige Erlösung. Was ich ihnen von unserer herbeiströ- menden Macht sagte, glaubten sie nicht oder widerlegten es durch hochmütige Herausforderungen. An heimlichen Nachrichten von den Insurgenten fehlte es ihnen nicht. Sonst existierte aber kein Mittel, seine Neugierde zu be- friedigen, als das Blatt, das der König in Vittoria drucken 36

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ließ. Dieses brachten sie zuweiten und kommentierten es bitter. .

Am 21. fing das Wetter an erträglicher zu werden, ich streifte, soweit es die Umstände erlaubten, hinter den Vorposten herum, um auf dem neuen Boden meine mili- tärisch-topographische Neugierde zu befriedigen. Übrigens beging ich manche Unvorsichtigkeit, ehe ich mich daran gewöhnen konnte, mich hinter der Front nirgends für sicher zu halten als in der Mitte von Bewaffneten. Oft verschwanden zwar Leute in Biscaya, und man erfuhr nie, wohin sie gekommen waren, oder sie kamen ver- wundet und nackt zurück und erzählten, wie man aus Fenstern und Büschen auf sie geschossen und sie dann beraubt hätte. Ich glaube aber, es wird jedem braven Mann, dessen Herz nicht von Natur oder durch Erziehung und Unglück eingeschüchtert ist, so gehen wie es mir ging. Ich konnte mitten unter den Verrätern mich nicht daran gewöhnen, Verräterei für meine Person zu fürchten.

Um halb zwei Uhr kamen wir nach einem Aus- flug in die Umgegend bei unserer Tischgesellschaft an. Wir ahnten nicht, daß wir in den ersten Monaten in keinem Hause mehr schlafen sollten. Kaum hatten wir mit einigen Bissen den ersten Hunger gestillt, und schon senkten sich unsere ermatteten Augen zum Schlaf da wurde der Gencralmarsch geschlagen. Ich hatte kaum Zeit, die Wäsche zu wechseln, so schnell ging es zum Tore hinaus. General Merlin1) war mit seinem Haufen auf allen Seiten angegriffen worden und hielt sich nur mit Mühe hei Zornoza. Wir konnten aber auf dem abscheulich elen- den Wege an der Durango nur langsam fortkommen. Es war schon Nacht, als das Regiment Nassau und die badi- schen VoKigeurs bei Zornoza ankamen. Wir nahmen mit

s) Antoine Eugene Merlin, französischer Brigadegeneral, 1765 bis 1845. Die Schlacht von Zornoza fand am 29. Oktober zwischen dem Marschall Lefebvre und der Armee Blakcs statt, die von ersterem Sachlagen wurde.

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dem badischen Regiment eine Aushilfsposition rechts im Gebirge. Hurcti die Pflicht die j/anzc Nacht in der tätigsten Anstrengung erhalten und durch herbslliche Regenschauer abgekühlt, hatte ich Zeit genug, mir über die glückliche Wahl des Augenblicks am vorigen Tage einige derbe Komplimente zu machen! Am 25. bezog ich mit dem ersten Bataillon eine Stellung auf einer Höhe rechts rück- wärts von Zornoza, die Front gegen Lcbano, den rechten Flügel gegen die Kapelle hin. Ich solite verhüten, daß der Feind nicht die rechte Flanke des Generals Merlin um- ging, und schickte daher starke Abteilungen vorwärts, rechts ins Gebirge. Das zweite Bataillon ging nach Du- rango, wo das Regiment Messen in Reserve stand. Unsere braven Voltigeure schössen sich den ganzen Tag jenseits Zonioza mit dem Feind herum und hielten ihn in Respekt. Wir lebten zum ersten Male auf gut soldatisch aus dem Stegreif von geraubten Hämmeln.

Ohne daß ich ahnte, wie es bei Zornoza aussah, visi- tierte ich in der Nacht ruhig meine Posten, als ich Befehl zum Rückzug durch das Durangotal erhielt, ich brauchte anderthalb Stunden, ehe ich meine Leute alle wieder zu- sammen hatte. Dann dauerte es wenigstens ebenso lange, bis ich durch die scheußlichsten Wege in der Dunkelheit in dem berühmten Durangotal herauskam und wieder mit den Meinigen vereinigt war. Dort fiel ich in die Nachhut und kam in ziemlich schlechtem Zustand, über die Maßen ermüdet, bei vollem Tag unweit der Stadt an. Es ist ein Unglück, wenn die Generale die Gegenden nicht kennen. Hätte man mich meinen Rückzug über die Höhen machen lassen, so würde ich von der einen Seite die ganze Armee gedeckt haben; ja seihst, wenn ich angegriffen worden wäre, hätte ich gewiß nichts verloren. So half ich andern das Spiel verderben und wäre, wenn der Feind uns an- gegriffen hätte, leicht verteidigungslos vernichtet worden.

Der Feind hatte seine ganze gegen 30000 Mann starke Armee noch vor dem Abend des 25. dicht vor Zornoza aus- gebreitet und große Massen davon links gegen Lebano vor- 33

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geschoben. Es war hohe Zeit, einen von aller Verteidigung entblößten Kessel, wie das Tal von Zomoza, zu verlassen, wollte man nicht ganz darin aufgerieben oder von Bergara abgeschnitten werden. Der Marschall Lefebvre6), der am 25. mit Kurierpferden von Vittoria angekommen war, sah dieses noch zur rechten Zeit ein, und der träge Feind merkte am Morgen des 26., als er uns verschwunden sah, zu spät, welchen Vorteil er hatte entschlüpfen lassen. Ich war, nachdem ich mich aus dem Kote des Durangotales herausgewunden und meine Leute beim Zählen auf der Wiese vor der Stadt alle wiedergefunden hatte, froh, meinen Freund P anzutreffen, der mit seinen Ka- nonen im Biwak gebliehen war. Er labte mich mit einer Tasse Schokolade, und ich bekam dadurch Mut, mich an einem Baum, an den ich einen kleinen Spiegel einschlug, zu rasieren. Das hätte mir beinahe den Hals gekostet, denn einem bergischen Dragoner kam diese Idee in dem- selben Augenblick. Er schlug sein Spicgclchen auf der anderen Seite des Baumes ein, der nun einmal bestimmt war, ein ober- und ein niederrheinisches Gesicht zugleich zu spiegeln, und ich hätte mir beinahe den Hals abge- schnitten, weil ich, statt in meinen Spiegel, in das schwarze Gesicht vor mir blickte, das die komischsten Grimassen machte.

Nach allerhand vergeblichen Märschen bezogen wir endlich um Mittag ein Lager auf dem rechten Flügel der ersten Linie der kleinen Armee von höchstens EOOO Mann, die sehr buntscheckig zusammengesetzt war. Der Mar- schall ging nach Vittoria zurück, um Hilfe herbeizuführen. Wir waren eben mit Erbauung der Hütten beschäftigt, als der Feind unsere etwas weit vorgeschobenen Schützen und Voltigeure mit Ungestüm und in großer Mehrzahl an- griff und anfangs zum Teil über den Haufen warf. Sie

•) Francois Joseph Lefebvre, Herzog von Danzig, fran- lösischer Marschall, 1755-1B2D, befehligte im Jahre 1808 das 3. Armeekorps.

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betrugen sich aber sehr brav und warfen mit Unterstützung der Brukn ersehen Kompagnie den Feind gänzlich zurück. Dieser begnügte sich mit dem kleinen Versuch, ob man vor ihm ausreißen würde! Wir zogen aber unsere Posten- kette näher vor uns und deckten auch unsere rechte Flanke, die sich an Wald und Sumpf anlehnte, welche sehr hohe Berge begrenzten. Bald sahen wir diese mit einzelnen Trupps Bewaffneter angefüllt Ich nahm gegen Abend 40 Freiwillige, machte eine äulkrät mühsame Rekognoszie- rung über alle Oebirgskuppen in unserer rechten Flanke, schlich mich bis dicht an die feindliche Avantgarde heran, stellte um Mitternacht einen großen Posten auf den Haupt- berg, der alle anderen beherrscht, und kam vor Morgen ohne Verlust, aber sehr ermüdet, in die Hütte zurück.

Am 27. sahen wir in unserem etwas erhöht liegenden Lager einer komischen Balgerei zu, die gefährlich hätte werden können. Die Spanier waren im Begriff, ihre Vor- posten dicht an die unsrigen heranzurücken. Ein leichtes Bataillon breschte auf unserem linken Flügel jenseits des Durango aus einem Eichenwäldchen mit solchem Unge- stüm auf die hessische Voltige urkompagnie, daß diese in wenigen Minuten den Berg hinunter war. Der komman- dierende General Leval, der mit seinem ganzen Gefolge eben mühsam den Berg erklommen hatte, wäre beinahe vor unsern Augen gefangen genommen worden und mußte zu Fuß, sein Pferd an der Hand führend, den steilen Abhang hinabspringen. Mit nicht ungerechtem Unwillen kam der General fluchend zu uns. Der stolz gewordene Feind fing eben an, auch unsere rechte Flanke zu beun- ruhigen und unsere Pikclts anzugreifen. „Zeigen Sie den Hundsföttern," rief der General, „daß gute Truppen da sind ; wir sollen uns nicht mit ihnen einlassen, aber zu hochmütig dürfen wir sie auch nicht werden lassen." Wer war froher als wir, daß wir auch einmal daran durften? Mühsam erklommen unsere geschlossenen Kolonnen den hohen Bergrücken, den uns der Feind längst hätte abge- winnen sollen, auf dem aber erst wenige Vortruppen an- 40

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gekommen waren, die unsere Voltigen rkuge In in einem Augenblick verscheuchten. Bald hatten wir uns längs des prächtigen Abhangs entfaltet. Der Feind hatte eine unter- geordnete Höhe inne, die, aus dieser gegen einen Bach hervortretend, eine Art Plateau bildete. Vier Kompagnien warten ihn auch hier bald herunter, wahrend wir oben Feuer anzündeten und türkische Musik machten. In der Nacht wollte ich den feindlichen starken Vor- posten auf dem gegenüberliegenden hohen Felsen auf- heben was mir in der vorigen Nacht nicht unmöglich ge- Sdiai'en harte. Ich konnte aber mit meinen Wagehälsen teils in der Dunkelheit keinen Übergang über den noch nicht rekognoszierten Bach finden, teils auch fanden wir schon die Höhe mit einigen Regimentern besetzt.

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2. Kapitel

Ankunft der großen Armee. Treffen bei Vittoria und Bilbao

Am 28. wurden wir angenehm durch den Anblick der ersten Truppen der großen Armee überrascht. Die zum 1. Armeekorps gehörige, aus vier schönen Infanterieregi- menten] bestehende Division Vilatte hatte uns der König von Vittoria aus zu Hilfe geschickt. Das 27. leichte und 63. Linienregiment lösten uns auf unserer schönen Berg- feste ab. Wir waren schon im Begriff, wieder auf unseren alten Platz herunterzu rücken, als uns der Marschall'), der von Vittoria gekommen war, Befehl gab, als zweites Treffen stehen zu bleiben. Dieser Umstand war für uns sehr vorteilhaft. Der Marschall war schon durch die Ge- schicklichkeit unseres Obersten und durch den Eifer der beiden Regimenter ganz für uns eingenommen. Da wir nun auf einer Position standen, die wir selbst erobert hatten und die die ganze Gegend beherrschte, so kam der Marschall täglich zu uns und gewann uns immer lieber. Wir ließen es uns auf diese Art ganz gern gefallen, unser vergebens erbautes Lager nur von weitem sehen zu können und auf dem kahlen Felsen den nahe gehofften Angriff zu erwarten, zumal wir recht angenehmes Herbstwetter bekamen. Unsere Hoffnung schien um so begründeter, da wir auch noch das holländische Infanterie- und

') Gemeint ist Lefebvre.

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Husarem eg im ent und das Bataillon Primas ankommen sahen. Die buntscheckige Division Merlin wurde dagegen auigelösi und marschierte größtenteils ab.

Am 30. kam der Divis ionsgeneral Sebastian!8) end- lich mit den vier schönen Infanterieregimentern an, die die 1. Division des 4. Armeekorps ausmachen sollten. Nun ließ sich der Marschall nicht mehr halten. Mit sicht- barer Freude kam er zu uns, traf seine Dispositionen und zeigte den Kommandeuren ihren Weg. Er ließ dop- pelte Portionen Branntwein und viele Patronen herbei- bringen. Jeder Mann bekam 61) in die Tasche, und jedes Bataillon noch ein mit Munition beladen es Maultier. Alles blieb übrigens beim alten. Die Division Sebastian] blieb in der Nacht in Kolonnen im Tal in der Nähe der Straße liegen. Unsere Voltigeure, auf die man außerordentliche Zuversicht hegte, standen vor diesen Kolonnen dicht an dem Feind, um den Neuankömmlingen auf dem wohlbe- kannten Terrain den Weg zu bahnen.

Mit Tagesanbruch standen sämtliche Kolonnen dicht hinter den Vorposten bereit. Ein neues Hindernis war ein- getreten. Die ganze Gegend war in einen Nebe! einge- hüllt, der die Ausführung eines mit Ordnung und Über- steht geleiteten Plans verbot.

Kaum fingen nach ein paar Stunden langen, vergeb- lichen Wartens die Nebel an, durcheinanderzufließen und durchsichtiger zu werden, als auch der Angriff auf dem linken Flügel mit einem heftigen Geplänkel begann. Nie stand wohl ein Häuflein an einem so wichtigen Tag interessanter postiert, als das unsere. Von dem vorsprin- genden, hohen Plateau, wo links und rechts die beiden Ko- lonnen des rechten Flügels standen, konnten wir alle

e) Horace Francis Basti en de la Porta Graf Sebastiani, hervorragender französischer General und Diplomat, 1772—1851, kämpfte 1808— 1811 in Spanien, wo er erst die 1. Division des 4, Armeekorps kommandierte und nach der Einnahme Madrids jum Oberbefehlshaber desselben Korps, das zur Deckung der Stadt be- stimmt war, ernannt wurde.

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Stellungen des feindlichen Vortrupps und jeden Mann unserer Armee übersehen. Vor uns am Abhang lagen die Voltigeure auf Buchsen Schußweite von den feindlichen Vorposten, die jenseits des Wassers standen. Bei uns waren der Marschall, der Divisionsgeneral Leval und der Brigadeserierai Pacthod'), der die Kolonne zur Rechten kommandierte. Alle Generale und Stabsoffiziere waren zu Fuß, mit großen Eiehenknifli.'in ItcwiiiTnet, die unsere Sap- prnrr li,i;n'-i rriuillcn. Sit hatten uriili zur Verfertigung neuer Knicken Materialien herbeigeschleppt, die nachher der Mur di r I ruppen unnc.n;» machie. Ktld standen aKe feindlicher: Lager, durch den Lac« auf dem rechten l lußel aufgeschreckt, unter Waffen. Wir waren den zwei Posi- tronen des linken I lugcl« «u i'.ahe, daß ma:i beinahe die Leute zählen konnte. Unsere I eure ircuten sich im voraus, bemerken /u Lomir:), wir unsere llau^it/eiigi.inaieri, die der Feind nicht ahnte, in seine Reihen fliegen wurden. IJrr Marsihdll seihst war mit seiner gewöhnlichen Lebhaf- tigkeit im Reden und Handeln einer der wichtigsten üegen- stände unserer Beobachtung.

Endlich war unser linker Flügel nach Überwindung vieler Schwierigkeiten bis auf die bestimmte Höhe vorge- drungen. Der Marschall schwang seinen Thyrsus. Die /.uriii'li^elinits.'üi'ii Donner erti'-'iite!! u:id verbreiteten durch ihr Oesehoß vor unseren Augen Verwirrung auf beiden Positionen der überraschten Feinde. Die Voltigeure wa- teten durch den Bach, und das Tiraillieren begann. Alle Kolonnen drangen zugleich im Geschwindschritt mit tür- kischer Musik vor, und lauter, unbefohlener Jubel rauschte, gleich plötzlich aufschwellenden Meereswogen, von einem Flügel zum anderen.

Ich übergehe die weiteren Einzelheiten dieser kleinen, aber für unseren Ruhm und unser militärisches Bewußtsein

s) Graf Michel Marie Paclhod, geboren 1764, focht am 10. November 1808 bei Espinosa. Am 12. Dezember erstürmte er mit dem 27. leichten Iiifnmcrie regime nt und dem 45. Linienregiment das Tor von Akala beim Angriff auf Madrid. 44

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entscheidenden Schlacht. Der Feind wurde ohne großen Widerstand aus zwei sehr festen Stellungen geworfen. Die Kolonnen taten keinen Schuß und hielten nicht länger an, als nötig war, um nach durchwatetem Bach oder nach erklommener Höhe oder halb rutschend verlassenen steilen Bergen nicht auscinanderzukommen und mit den benach- barten auf gleicher Höhe zu bleiben. Außer den Volti- geuren kamen nur diejenigen Kompagnien ins Feuer, die wir abwechselnd absandten, um Gefangene zu machen, oder um erstere, die wie die Hunde auf halb fliehende, halb widerstehende Eber hetzten, zu unterstützen. End- lich stießen wir auf die ganze spanische Armee, die, ziem- lich stark an Zahl, aber ohne Kavallerie und Artillerie, sich auf dem beinahe isolierten, kahlen Berge vor Zornoza aufgestellt hatte. Sie hielt in drei Linien den ganzen vor- deren Abhang des langen Bergrückens besetzt und hatte zwischen diesen Linien viele Regimenter als Kolonnen aufgestellt. General Blake ritt dazwischen herum und gab sich viele Mühe, die Ordnung herzustellen. Wir mußten ein wenig anhalten, da unsere Kolonne so nahe am Feind war, daß die kleinen Kugeln hineinzutreffen anfingen und General Pacthod zur Rechten und Sebastmni zur Linken noch nicht so weit waren. Unsere Voltigeurc, einen Augen- blick allein dem ganzen Feuer der lYiuiiii-.-ben ersten Linie ausgesetzt, mußten ein wenig zurückgehalten werden, leb schickte ihnen die Grenadiere zu Hilfe. Statt sich als Unterstützung hinter sie zu stellen, ließen sie sich von blindem Eifer verleiten, sich wie die Tollen aui den Feind loszustürzen. Dadurch verloren sie unnötig viele Leute, und da der Kapitän und erste Leutnant verwundet waren, geriet der zweite zum Glück noch unter die eben ankom- menden äußersten Voltigeurc des rechten Flügels von Pacthod und kam erst am anderen Tag wieder zu mir. Dadurch verlor ich nutzlos für das zu erwartende Haupt- geiecht meine beste Kompagnie. Eine andere, die ich nun abschicken mußte, machte mir's nicht viel besser, und ich hatte große Mühe, sie wieder an mich zu ziehen.

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Unterdessen kamen auch auf unserem linken Flügel die Kolonnen von Sebasfiani zum Vorschein. Die vier Haubitzen, die sich im Tal durchgearbeitet hatten, fingen an, die feindliche Hauptstellung zu bewerfen. Das 27. leichte Regiment ruckte in der linken Flanke des Feindes langsam vor. Alle Voltigeure des rechten Flügels und des Zentrums waren wieder im Feuer. Der Feind fing an, abzuziehen; die Voltigeure kletterten den Berg hinauf; alle Kolonnen folgten im Sturmschritt Bald wurde Ver- wirrung und Flucht beim Feinde allgemein, doch konnten von den atemlosen Volrigeuren nur wenige noch einge- holt und gefangen werden. Der Marschall überschüttete uns mit Loheserhebungen und ließ zur Auszeichnung mein Bataillon und eins von Nassau für die Nacht als seine Leihwache in Zornoza einrücken. Die übrige Armee biwa- kierte außerhalb des Orts, der von Einwohnern ganz ver- lassen war. Die ermatteten hungrigen Soldaten fielen etwas unsanft über die zurückgelassenen feindlichen Maga- zine her. Ermüdung und ungleich gestillter Hunger mach- ten dem Lärm zuletzt ein Ende.

Am 1. November teilte sich die Armee in drei Ko- lonnen. Das Hauptkorps mit der Artillerie und allem Fuhrwerk verfolgte den Lauf der Durango und des Ybay- chalvals, zwei Regimenter der Division Villatte kletterten über einen nahen Fußpfad, der quer über das steilste Gebirge führt, die Brigade Pacthod und die Division Leval gingen rechts durch bewohnte, aber auch sehr unwegsame Gegenden, nämlich durch die Dörler Larrafaezua, Lezema und Zamudio, aus denen der Schrecken die unglücklichen Einwohner entfernt hatte, die jetzt zum erstenmal den grau- samen Feind sahen. Auch diese abgelegenen Ortschaften hatten das Ansehen von Wohlstand, das der Fleiß der Be- wohner täuschend über die wilden Täler Biscayens ver- breitet. Die Kirchen, deren Heiligkeit selbst der Wut der raubgierigen Soldaten keinen Einhalt tat, waren reich mit Gold und Silber und herrlichen Meßgewändern gefüllt. Von der spanischen Armee sahen wir nichts als Spuren ihres 46

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Rückzugs und ihrer Flucht Sie war noch in der Nacht über Bilbao bis Valmaseda zurückgegangen. Einzelne Leute davon schwärmten noch auf unsern Flanken herum. Ich ließ eine Anzahl durch Seilenpatrouillen zusammen- treiben, arme Teufel, die man uns im Hauptquartier nicht abnehmen wollte und die wir daher, wie das öfters ge- schah, schließlich wieder laufen ließen. Ein fanatischer Mensch unter ihnen hätte beinahe noch am Abend unsern Oberst getötet, wenn das Gewehr nicht versagt hätte.

Gegen Abend war das ganze Armeekorps in der Ge- gend von Bilbao angekommen, wo das Hauptquartier blieb. Wir gingen eine Stunde abwärts mit unserm Regiment auf den Flaggenturmberg (Punta de las banderas), auf dessen windigem Gipfel wir die Nacht biwakierten.

Für uns war es schrecklich zu sehen, wie dieses ganze schöne Land der zügellosen Plünderung und der Wut des betrunkenen Soldaten preisgegeben war, der sich die Hände in Arrak und Champagner wusch und auf Meß- gewändern schlief. Ich verließ aus diesem Grunde die besoffene Bande keinen Augenblick, da niemand bei dem allgemeinen schlimmen Beispiel mehr Herr darüber war. Abends trank ich mit meinen Offizieren einen ehrlich er- kauften Punsch auf dem Flaggenturm, von dem wir die bunten Fahnen wehen ließen, die zum Signalisieren der Schiffe bestimmt sind und in der Stadt gesehen werden können. In der Nacht bekamen wir Marschorder. Am Morgen verließ ich unsern schönen windigen Berg, nach- dem ich allen Raub, der sich im Lager befand, hatte ver- brennen lassen.

Am folgenden Morgen fand der Marschall beim Re- kognoszieren vor Valmaseda keinen Feind. Weiter vorzu- gehen durfte er nicht wagen, weil der Kaiser, der unter- dessen in Vittoria angekommen war und vom Zentrum aus seine großen Manöver einleitete, haben wollte, daß wir den Feind in dem Defilee der Durango durch den An- schein von Furcht noch einige Tage hinhalten sollten, während er vom Ebro her zwei Armeekorps in verschie- 47

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denen Richtungen in dc;i Rücken des spanischen linken Flugeis schickte. In der Tat, hätte der Marschall den Ge- neral Blake nicht zu früh geschlagen, so wäre dieser, wie wir 14 Tage nachher erfuhren, mit seinem ganzen Armee- korps unser gewesen. Daher kam es auch, daB die Trup- pen des Lefcbvreschcn Korps sehr gelobt wurden, während der Marschall eine Nase erhielt. Der alte Mann verlor darüber völlig den Kopf. Statt den ganzen Marsch von Valmaseda in eine Rekognoszierung zu verwandeln, zieht das Hauptkorps nach Bilbao zurück und läßt die Division Villate 9 Stunden Wegs weit ohne Unterstützung bei Val- maseda stehen. Ja, er vergißt sein bestes Regiment, das 75. von der Sebastianischen Division, das er am 3. von Cuccurrea aus nach Castro Urdiales, einem von Bilbao und Valmaseda gleichweit entfernten Seehafen, detachiert hat. Und als er am andern Tag zu spät sein Versehen inne wird, kann er schon keine Nachricht mehr dahin durch- bringen. Er versucht es, eine Abteilung Dragoner hinzu- schicken, denn wir hatten nun ein französisches Dragoner- regiment beim 4. Armeekorps. Dieses gelangt auch fast bis an das Biwak des 75. Regiments, wird von dessen Voltigeuien rekognosziert und entflicht, weil es den Feind zu sehen glaubt Der Feind, von allem, was vorgeht, na- türlich aufs genaueste unterrichtet, fällt am 5. über das 28. Regiment her, das nach geendigter Feld entd eckung sich zum Teil auf Marodierung zerstreut harte. Er schlägt es und nimmt ihm eine Kanone ab. Vilatte bleibt nichts weiter übrig, als hinter der Stadt sein zerstreutes Regiment durch die drei übrigen aufzunehmen und sich bis Ouennes zurückzuziehen.

Ich komme zu unserm Rückmarsch vom 4. Er wurde vor Mittag mit den Divisionen Sebastian! und Leval auf dem alten Wege über Ouennes, Cuccurrea und Quadro nach Bilbao ausgeführt. Wir kamen noch bei Tag durch das schöne Defilee, aber bis wir in die Stadt gelangten, wurde es wieder Nacht. Wir sollten nun noch jenseits ins Biwak; da sich aber kein Mensch fand, der uns an-

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weisen wollte, und für nichts gesorgt war, so quartierten wir uns selbst in ein paar ausgeplünderte, verlassene Häu- ser am östlichen Ende der Stadt ein. So fanden unsere armen, über Gebühr ermüdeten Soldaten doch wenigstens einen Fußboden, auf dem sie trocken schlafen konnten. Mich nahm der Oberst auf, der in dem großen Hause eines vornehmen Spaniers logierte, welcher geflüchtet war. Ein deutscher Kaufmann hatte in diesem Hause ein Ge- schäft mit Nürnberger Waren und machte den Haushof- meister.

4 B*MT: Sjun- FieiUdWampf.

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3. Kapitel

Gefechte bei Valmaseda, Espinosa und Quintanüla

Am Morgen des 7. waren wir eben mit besserer Aus- stellung unserer Vorposten beschäftigt, als wir Befehl be- kamen, uns mit der Armee vorwärts in Bewegung zu setzen. Der Marschall hatte nämlich endlich vom Kaiser den Befehl dazu erhalten. Wir sahen die andern Divi- sionen in das Tal des Salcodons rechts abmarschieren. Nur warteten wir wieder vergebens auf Lebensmittel und mußten doch noch nachmittags ohne Brot abmarschieren. Bald hörten wir ein heftiges Feuer, das mit einbrechender Nacht still ward. Endlich kamen wir wieder im Dunkeln bei der Armee an. Villate stand links auf dem Berge gegen Molinar, Sebastiani rechts gegen Ocharron, und wir blieben wieder in Kolonnen im Tal bei Zalla. Die feindlichen Biwaks zogen sich rechts und links, soweit man sehen konnte, bei La Errera auf den Bergen hin. Mit minderer Zuversicht waren die Kolonnen heute vorgerückt. Es schien beinahe gewiß zu sein, daß das ganze 75. Regiment das Gewehr hatte strecken müssen. Unsere Division schien auszubleiben, und schon sah man die ganze feindliche Avantgarde auf den Höhen von Quennes aufgestellt. Was geschieht? Kaum hat der erste Voltigeur sein Gewehr losgeschossen, so erscheint in unserer rechten Flanke eine schwache Kolonne. Alles stutzt. Sind es Freunde oder ist's der Feind, der vom leichten Siege der Übermacht zurückkehrt? Da glänzen die Adler des 75. Regiments 50

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im herbstlichen Sonnenstrahl ! Alles jauchzt, und das 58., unterstützt vom wiedergefundenen 75., steigt kühn den vom Feinde stark besetzten sltilen Felsen hinan und wirft ihn aus seiner besten Stellung. Die Dunkelheit scheidet die Streitenden; von weitem winkt den Franzosen die Palme des Sieges. Der brave Oberst Buquet hatte sich am 3. ohne große Mühe bei Castro festgesetzt. Er er- wartet vergebens am 4. und 5. Befehle vom Marschall. Von dem unglücklichen Vorfall bei Valmaseda benach- richtigt, verläßt er doch nicht den Platz, der ihm ange- wiesen ist Am Abend des 6. war er von einer großen feindlichen Macht beinahe eingeschlossen. Ruhig versam- melt er abends seine Bataillonschefs, zeigt ihnen die ganze Gefahr ihrer Lage und beruft sich auf die Vorteile, die Mut und Geschicklichkeit verschaffen. Am 7. mit anbre- chendem Tag marschiert er in schönster Ordnung ab. Der erstaunte Feind sieht zu und wagt es nicht, sich auf Hinten Schußweite zu nahen. Der Oberst und sein braves Regiment hatten es verdient, daß ungewöhnliches Glück ihrem Heldensinn lächelte. Die Un entschlossen he it des Marschalls wäre durch den Verlust seines besten Regi- ments kaum zu hart bestraft gewesen.

Am 8. mußten wir wieder bis Mittag harren. End- lich ging es vorwärts, hinfer Scbastiani im Tal durch La Errera, während Villate links, sich meistens schla- gend, von Berg zu Berg kletterte. Vor Valmaseda schien der Feind auf furchtbaren Positionen ernstlich Halt machen zu wollen. Wir kletterten daher eilig über den Berg zur Rechten und befanden uns bald mit den Regimentern Baden und Nassau am Fuße des Berges, auf dem der feindliche linke Flügel stand. Der schickte uns ein unge- heures Kleingewchrfeuer entgegen, wir aber gingen toll- kühn drauf los; und ehe die Kugeln recht einschlagen konnten, liefen die Feinde schon auf und davon. In dem- selben Augenblick war Scbastiani in die Stadt gedrungen. Wären wir rechts zwischen Linares und Valmaseda durch- gegangen, so hätten wir einen großen Teil der feindlichen f 51

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Kolonne vernichtet, die nach dem Saldojaberge flüchten mußte. Der Adjutant aber, der uns führte, wollte nichts davon hören, und wir mußten wieder in das Salcedontal zurück und .so in die unglückliche Stadt, in die sieh mit -einbrecliender Nacht alles drängle, während sie allen Greueln der Plünderung und des Mordes preisgegeben war. Es dauerte bis tief in die Nacht, als man uns end- lich die Weinberge jenseits der Stadt anwies. Man mußte einen steilen Rerg hinaufklettern, der mit hundert Mauern durchschnitten war, über die die Weinranken ein so festes Gespinst gezogen hatten, daß sie außer der Axt jeder Ge- walt widerstanden. Ich legte selbst mit unsern Zimmer- leuten Hand an und brachte es nach einer mehr als stun- denlangen Arbeit kaum dahin, daß ich ein Plätzchen be- kam, um mit dicht aiifEeschlnsscncn Divisionen mich zu stellen. Wir verbrannten und verdarben gewiß für 20000 Reichstaler Weinstöcke und hätten uns gar nicht wehren können, wenn es einer Handvoll Feinden eingefallen wäre, sich an uns für eine gute Anzahl der Ihrigen, die wir beinahe ohne Verlust getötet und gefangen genommen hatten, zu rächen. Wir hatten zwar ein paar gute Ochsen zu verzehren, aher unsere Leute, die früher mit dem Zwie- back nicht hausgehalten, hatten gar kein Brot. Mir fehlte es alle diese Tage nicht daran, weil ich mich, mit den Vorteilen des leichten firotes bekannt, hinlänglich damit versehen hatte. Als es Tag wurde, fand ich ein totes Pferd, einen toten Spanier und die Reste eines toten Ochsen friedlich nebeneinander und mitten unter uns liegend.

Es war kaum Tag, so mußten wir wieder aufbrechen ; aber wir waren nur 500 Schritte marschiert, so mußten wir nach löblicher Sitte mitten in einem schlammigen Hohlweg Halt machen, weil man im Hauptquartier nicht fertig werden konnte. Die Stadt hatte schon die ganze Nacht an zwei Orten gebrannt. Ein Teil meiner Effekten, die ich im Quartier des Obersts hatte, war mit verbrannt, und mein Pferd hatte man mit Not gerettet. Jetzt gab 52

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es eine fürchterliche Explosion. Die besoffenen Barbaren hatten selbst die Pulverfässer in Brand gesteckt, die auf dem Markt standen, und sie waren so mit den benach- barten Häusern in die Luft geflogen. Als ich sah, wie es hier zuging, ließ ich wieder rechts in einem Weinberg ciabrechen und Feuer machen. Wir fanden hier noch tole und verwundete Spanier, Gegen Mittag kamen wir end- lich in Bewegung, doch schien dieser Tag recht zur Prü- fung unserer Geduld bestimmt zu sein. Als wir nach Ber- ran kamen, fanden wir uns plötzlich von französischen Regimentern, die wir noch nicht kannten, durchkreuzt. Es war das 1. Korps unter Marschall Victor, das bei Mi- linda und Puenteiarra den Ebro zweimal überschritten hatte und über Ordunna und Amurrio gegen Valmaseda marschierte, um dem feindlichen General Blake in den Rücken zu fallen. Dies würde vollkommen geglückt sein, wenn wir einen Tag später angegriffen hätten.

Uns half kein Widerstreben j wir mußten die beiden Divisionen durchlassen. Endlich kamen wir wieder in Be- wegung und lagerten uns an dem waldigen Abhang eines Berges, den Cadagua oder Salcedonbach vor uns. Das Hauptquartier war in Nava, zwei Stunden von Valma- seda. Dieses sonst nahrungsreiche Städtchen, in dem wir so üble Spuren zurückließen, liegt ganz an der Grenze von Biscaya, und wir befanden uns nun schon in dem nördlichen, gebirgigen und kalten Teil von Altcasli- lien, der die Montana oder auch Provinz Laredo genannt wird. Ein Mönch mit Silberhaaren sollte erschossen werden. Eine Grcnadierpatrouillc hatte den zitternden □reis aus dem Walde herbeigeschleppt und behauptete, er habe auf sie geschossen. Der Unglückliche war aus der Mord- und Brandstätte von Valmaseda entflohen und kraftlos niedergesunken. Die Unmenschen wollten Geld von ihm und fanden nur ein ledernes Beutelchen mit einigen Realen. Ärgerlich über einen so geringen Fund, steckten sie ihm zwei Patronen hinein und brachten ihn mit diesem vorgeblichen Corpus delicti vor die Front.

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Es kostete uns viele Mülie, die Unmenschen zu entlarven und den armen Pfaffen aus den Henkershänden zu be- freien. Dagegen war man in anderer Hinsicht viel zu nachsichtig. Im Hauptquartier war man ärgerlich, wenn Gefangene gebracht wurden : man ließ sie daher fast alle wieder laufen, und in wenigen Tagen standen sie uns wieder als glückliche Spione und racheschnaubende Krie- ger gegenüber. So bestrafte die Unmenschlichkeit sich selbst. Dali Insubordination und Zügcllosigkeit stets gleiches Schicksal haben, beweist die Geschichte der fol- genden Tage.

Victor10) und Lefebvre verstanden sich nicht ganz. Ersterer schätzte den Feind gering und behauptete, wir hätten leichte Lorbeeren gefunden, letzterer ärgerte sich über den geringschätzigen Ton des ersteren. Nach langem Zank endete die Geschichte damit, daß Victor am 10. seine Division Villate an sich zog und mit 3 Divisionen den Weg einschlug, der über den Monte Cabrio nach Espi- nosa führt. Lefebvre aber, nun sehr geschwächt und bloß mit zwei Divisionen, Sebastiani und Leval, nahm den Weg an dem Cadaguabach, der über Villarcayo nach Burgos führt. Nach 10 Uhr morgens kamen wir endlich in Be- wegung.

So zogen wir denn zum erstenmal wieder durch ein schönes, blühendes, größtenteils weithin offenes, wohl bewohntes, mit allen Arten von Herden- und Federvieh reichlich versehenes Land. Die Menschen, bei denen noch keine Plünderer eingekehrt waren, schienen die Hand- voll Fremdlinge nicht zu fürchten, mit denen sie lange ihren Überfluß teilen konnten. Weit entfernt, diese großen Vorteile zu benutzen, wollten wir uns ihrer selbst be- rauben, nur um zerstören zu können. Der ganze Zug glich einer großen Jagd auf Schweine, Enten, Hühner.

i«) Victor Claude Pcnin, genannt Vi clor, Herzog von Belluno, fränkischer Marschalt, 1764-1841, befehligte 1308 bis 1311 das 1. Armeekorps in Spanien und erfocht besonders die Siege bei Espimisa, L'clis und Medeilin. 54

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Eia Regiment steckte in dem andern. Es fielen wenigstens JOOOO Schüsse, und wir Stabsoffiziere waren nicht weniger in (Mahr als in einer Schlacht. Der eine nahm, der andere warf weg. So wälzte sich der scheußliche Bacchantenzug langsam bis über Vallejo fort

Der Marschall hatte indes einen Adjutanten von Victor mit der Nachricht geschickt bekommen: das 1. Armee- korps sei zwar durch den Paß von Nuestra Senora de Santelices glücklich über das Gebirge gegangen, aber bei Aguera auf eine starke Vorhut des Feindes gestoßen. Es sei zu einem sehr blutigen, lange unentschiedenen Qefecht gekommen. Nun stünde er dicht vor der Armee von La Rumana und Blake, die der seinigen an Zahl überlegen wäre und eine furchtbare Position innehätte. Er bäte sehr, ihm am folgenden Morgen zu Hilfe zu kommen.

Nun war kein Halten mehr. Der Marschall zog aufs Geratewohl fort. Im Dorfe Quinlanilla Sapciia schlug er endlich sein Hauptquartier auf. Wir hatten uns unge- fähr um zwei Uhr morgens an den Bergrücken ange- klammert, von dem der Cernejabach fließt, und sanken, meist nüchtern, um die mit Mühe errungenen Feuer in Schlaf.

Kaum war es Tag, so setzten wir uns wieder in Be- wegung. Es fehlten aber dem Armeekorps wenigstens 1200 Mann, die durch die Unordnungen des vorigen Tages zurückgeblieben waren und bei dem abscheulichen Nacht- marsch über den Magdalenenpaß uns nicht mehr erreichen konnten. Unsere sämtlichen Maulese! befanden sich da- bei, sowie die meisten Handpferde. Sie hatten sich bei Cadagua niedergelassen und wollten mit Tagesanbruch aufbrechen, in der Hoffnung, uns bald wieder zu erreichen. Die Artillerie hatte uns ohnehin schon abends verlassen und vor dem fahrbaren Paß von Santelices Halt gemacht Am 11. morgens marschierte sie eilig vorüber, kam aber auch zur Schlacht zu spät.

Wir waren noch nicht lange in Bewegung, als wir den Donner der Schlacht hörten. In Aguera fanden wir 5E>

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viele Verwundete. Wir wendeten uns nun gerade gegen Espinosa, als wir erfuhren, daß der Feind schon ge- schlagen sei. Nun blieben wir wieder eine Zeitlang un- schlüssig bei Aguera liegen. Unterdessen kamen einzelne Flüchtlinge an, die uns erzählten, wie übel der Feind in unserm Rücken bei Qiiintaniila hauste. Statt nun mit einigen Regimentern eilig nach Quintanilla zurückzukehren was nach der Richtung, die wir doch wieder einschlu- gen, kaum ein Umweg von einer Viertelstunde gewesen wäre marschierten wir alle jenseits des Wassers über Vi II as ante (von dem Quintanilla ein halbes Stündchen links ab liegt) nach El Rivero. Von da ging es über die Trueba und den Bergrücken von Oayangas, der sich majestätisch zwischen der Torme und Trueba erhebt und eine schöne Position südlich gegen die Ebene von Medina und Villar- cayo bildet. Hier sahen wir den Feind auf kaum Kanonen- schußweite neben uns nach Medina marschieren. Nur der Marschall sah es nicht, und andere waren zu faul, es ihm zu sagen, oder fürchteten sich, weil er schlechter Laune war. Er schlug sein Hauptquartier in Villarcayo auf und deckte sich durch die Division Sebastian!. Die deutsche Division kam abends rechts von Villacanes ins Biwak, die Nela vor der Front habend. Medina zu rekognoszieren, oder bis an die Brücke des Ebro bei Manzanedillo vorzuschieben, daran hatte niemand gedacht.

Ich hatte mich gegen Mitternacht sehr ermüdet an ein Feuer gelegt, als ich zum General Leval nach Villa- canes gerufen wurde. Er sagte mir: „Sie haben heute Ihren Esel verloren, morgen dagegen kann Ihnen Rache und Ehre werden. Der Marschall hat von dem Vorfall in unserm Rücken gehört und weiß nicht recht, wie er daran ist. Das Schicksal unserer Artillerie und vieler Nachzügler ist uns unbekannt. Feinde schwärmen in un- serer linken Flanke herum ; in der rechten gegen Bedon ist in der Nacht ein Korps angekommen, das, nach den Feuern zu urteilen, 8000 Mann stark sein kann. Fangen 56

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Sie bei diesem an ; rekognoszieren Sie die ganze Gegend und sehen Sie, was Sic tun können."

Zu dieser hxpvililiun wurden mir zugeteilt; eineVol- C^rurhympagnie von Primas, eine von Hessen, eine Gre- il ac.eikompagni e von Nassau, meint Kompagnie und 50 hi illa n dl sehe Husaren. Letztere fehlten mir, als es lag wurde, und es dauerte bis S Uhr, ehe man mir meldete, sit iden da - - Bei Bedon fand ich wirklich den linken Miigel des 1. Korps, das hier eine Division, eine andere bei Espinosa und die dritte bei Lavega aufgestellt hatte. Der ganze lange Bergrücken von Gayangos bis an die Trueba und gegen Quintanilla hin wurde dann durch- streift. Man fand die höchsten Felsenkuppen noch hier und da mit Pelotons zersprengter Spanier besetzt, die sich schnell genug aus dem Staube machten, weil die Husaren ihnen in diesem Terrain nicht nach konnten. Einer wurde noch in einer kleinen Redoutc getötet. Nach und nach sammelte ich noch über 300, durch die Be- gebenheiten des vorigen Tags irregeleitete Soldaten, die ich zum Armeekorps zurückschickte. Die Artillerie, die die Nacht bei Aguera zugebracht und einen blinden Lärm erduldet hatte, war in Espinosa zum 1. Korps gestoöen.

Die Geschichte von Quintanilla klärte sich so auf. In Medina hatten schon seit 6 Tagen das spanische Infan- terieregiment Immemorial del Rey, 200 Mann Karabiniers von Monteza und 200 Dragoner de la Reina nebst einigen Husaren und Jägern und 5 Oeschützen gestanden. Diese hatten von La Romana den Befehl erhalten, in der Nacht vom 10. zum 11. November gegen den Paö von Nuestra Sefiora von Santclices vorzugchen und so dem 1. Armee- korps, das man zu schlagen dachte, den Rückweg abzu- schneiden. Ihr Wog führte über die Höhe, auf der sie uns eben gelagert fanden. Beim Anblick unserer Feuer mach- ten sie nahe an unserer linken Flanke Halt. Sobald wir die Position verlassen hatten, rückten sie auf dieselbe vor. Kaum war unser Ende verschwunden, so kamen 57

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die Nachzügler von Cadagua herunter nach Quintanilla. Sie fielen darüber her, massakrierten jeden, den sie er- reichten, Menschen und Esel, und nahmen mit, was sie in der Geschwindigkeit bekommen konnten, denn sie zogen sich gleich wieder auf die Höhe zurück, wo wir ihnen die Feuer angezündet hatten.

Auf diese Weise waren nur wenige unserer Leute zu uns nach Aguera entkommen ; die meisten hatten sich nach Cadagua zurückgeflüchtet. Dreizehn Mann fand man in Quintanilla ermordet, worunter mein Bursche mit zehn Wunden. Mein Esel lag getötet neben ihm. Zum Glück hatte der Feind wahrscheinlich wegen des sich immer mehr entfernenden Feuers der Schlacht und der Nähe unserer Kolonne keinen Mut mehr, sonst hätte er mit seinen 400 Pferden, denen wir kaum etwas entgegensetzen konnten, uns ungeheuren Schaden zufügen können. 600 bis 800 Soldaten von allen Korps, die sich gegen Cadagua hin wieder gesammelt, hatten sogar den Mut, unter An- führung eines Offiziers und eines Arztes geschlossen durch Quintanilla zu marschieren. Der Feind ließ es geschehen und schickte ihnen nicht einmal eine Kugel nach. End- lich, als er unsere Kolonne in der Richtung von Villarcayo erblickte, erwachte er aus seiner Ungewißheit und mar- schierte parallel mit uns nach Medina. Hier brach die feindliche Kolonne nachts um 12 Uhr auf, ging bei der Martinsbrücke über die Nela, schlich sich nahe an den Vorposten von Villarcayo vorbei und entkam über Man- zanedillo.

Sobald ich alles im Rücken im reinen hatte, ging ich auf Medina los und fand da keinen Feind mehr. Ich ließ die Vornehmsten des Städtchens zu mir ins Biwak führen und fragte sie aus, während ich Wein und Brot liefern ließ. Sobald ich mit allem im reinen war, folgte ich dem Feind auf dem Wege, den er genommen hatte. Wir fanden seine fünf Geschütze, die er in einem Anfall von panischem Schrecken verlassen zu haben schien, fn- zwischen wurde es ganz dunkel, und es war keine Hoff- 5S

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nung, etwas weiteres auszuführen. Ich ging also nach Villarcayo und erstattete dem Marschall Rapport

Ich erzählte ihm alles, was ich wußte, wenigstens ebenso derb, als ich es hier vorgetragen habe, ungeachtet seine Adjutanten mich einmal um das andere Mal zupften, still zu sein. Der Marschall, der jetzt erst einsah, welche Fehler gemacht worden waren, fluchte wie ein Türke, schalt über unsere ungeheure Disziplinlosigkeit, über die Ungeschicklichkeit seines ücncralstabs usw. und schwor mit den komischsten Kraftausdrücken, es solle anders werden. Ich käme ihm, fuhr er fort, gerade gelegen. Er wolle nicht mehr den Feind um sich herum sehen, ohne zu wissen, woran er sei. Es sollten 12 Voltigeurkom- pagnien im Korps auserlesen werden, um ein eigenes Avantgarde regiment von 2 Bataillonen zu formieren. Eins davon sollte der Bataillon sehet Pigne vom 58. Regiment, das andere sollte ich kommandieren. Diese zwei Ba- taillone nebst etwas Kavallerie sollten als ständige Vor- hut des 4. Korps unter dem Oberbefehl des Oberst Buquet vom 75. Regiment stehen usw.

Ich erhielt eine schriftliche Order für den General Leval, kam um Mittemacht endlich zu ihm nach Villacanes zurück, holte, nachdem ich ihm über alles Auskunft ge- geben hatte, die badischen und nassauischen Voltigeur- tompagnien aus dem Lager und begab mich zu dem Rendezvous außerhalb der Vorposten von Villarcayo.

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4. Kapitel

Ernennung zum Kommandeur des 2. Volti'geur- bataillons. Der Marsch gegen Madrid

Der Marschall erschien am 13. morgens 8 Uhr per- sönlich und bildete das 1. Bataillon aus den Volt igen r- koinpagnien des 28., 32. und 58. Regiments, das 2. aus den Voltigeuren vom 75. Regiment, von Baden und von Nassau. Hierauf hielt er eine Rede, die wegen ihrer Ener- gie und Sonderbarkeit verdiente, aufgezeichnet zu weiden, wenn hier der Platz dazu wäre. Dann las er uns ein fürchterliches Kapitel über die bisherige Zügel losigkeit, Insubordination, Raub- und Freßbegierde, stellte ein wenig schmeichelhaftes Bild der Franzosen der jetzigen Zeit gegen die Franzosen seiner Zeit (d. i. während der Revo- lution) in den ab stech endsten Farben auf, ging dann zu unserer Bestimmung über, die Armee aufzuklären und zu decken, und endlich zu den Männern, die er ausge- sucht habe, die Vorhut wegen der guten Eigenschaften, die er an ihnen entdeckt habe, zu führen. Darauf stellte er uns Kommandeure feierlich vor und ließ uns mit ein paar kräftigen Flüchen abmarschieren.

Wieder eine der sonderbarsten Situationen meines bizarren Lebenlaufs. Nachdem ich alles, was ich besaß, bis auf das letzte Taschentuch und selbst die Sporen ver- loren hatte, mit übermüdeten Pferden, wovon das beste bald krepierte, selbst durch übertriebene Anstrengung bei- nahe abgestumpft, in halb zerrissenen Kleidungsstücken 60

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und faulenden Stiefelsohlen einherging befand ich mich auf einmal an der Spitze eines Bataillons, das zweierlei Sprachen sprach und unter Männern, von denen ich nie- mand kannte, außer meine Landsleute.

Eingedenk der scharfen Lehren des Marschalls hielten Mir die ersten 24 Stunden vortreffliche Mannszucbt. Wir rekognoszierten bis zum Ebro, überschritten ihn bei Man- ianedillo, gingen bei Rampalaiz wieder auf das linke Ufer und blieben hinter den Felsenriffen von Cudillos del Roxo im Biwak, nachdem wir uns der Front der Armee bis auf 3 kleine Stunden wieder genähert hatten. Tags zuvor hatte sich noch das Korps der Studenten von Salamanca in dieser Gegend durchgeschlichen.

Am 14., wo sich auch die Armeekorps endlich in Bewegung setzten, marschierten wir ab, als wir von un- serer I leiht die Spil/en der Kolonnen hinter uns erbüikten. Nach 4 kleinen Stunden Wegs trennten wir uns in Quinta- nilla. Der Oberst ging mit dem 1. Balaillun links und biwa- kierte auf dem Weg von Reinosa bei Viitus, ich marschierte rechts auf der Chaussee von St. Ander anderthalb Stunden vor der Armee und hc/ng mein Biwak in einer felju;en Teilung, wo ich eine weite Ktiene vor mir hatte, die durch das hohe Gebirge bfgrenrt wird, an dessen Kuß die Virga fließt. Die vorgeschobenen l'atrouillen brachten einige Gefangeue ein.

Wir brachen am 10. vor Tag mil der Avantgarde wieder auf und erreichten endlich um 2 Uhr Reinosa. Dieses Städtchen liegt in einer der höchsten Gegenden von Spanien am Ebro, der hier nur ein schöner Gebirgs- bach ist und eine Stunde westlich von Reinosa beim Dorfe Fontiba entspringt. . .

Die Engländer, die in St. Ander erst das aus Dänemark entwischte Korps des Marquis La Romana11) und dann

") Marquis de La Romana, befehligte im Jahre 1807 die spanischen Hillslruppen, die auf N:i]im]c etn Stile mit der dänischen Insel Fönen standen. Als er die Vorgänge von der Erhebung des Öl

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eine Menge Unterstützungen allerart für den spanischen linken Flügel ans Land gesetzt hatten, hatten in Reinosa einen Hauptwaffenplatz und große Magazine angelegt. Auch die Spanier hatten da eine Menge Geschütz und Munition zusammeiigschlcppt und daraus den großen Re- servepark des linken Flügels formiert. In dieser Hinsicht konnten alle spanischen Korps nach der unglücklichen Schlacht von Espiitosa keinen andern Plan haben, als sich nach Reinosa oder St. Ander zurückzuziehen. Ebenso mußten wir unserseits nichts dringenderes tun, als beide Orte erreichen. Hätten wir nur am 12. gleich mit beiden Armeekorps den Weg nach den beiden Städten einge- schlagen, so war die ganze feindliche Armee, die ohnehin sehr unordentlich retirierte, verloren, und alle Magazine und aller Kriegsbedarf waren unser. Wir haben indes ge- sehen, daß man drei kostbare Tage mit Untätigkeit ver- lor. Da hatte denn der Feind freilich Zeit, für seine Sicher- heit zu sorgen. Doch kam er nicht ganz so ungestraft da- von, als wir zu wollen schienen. Der Kaiser hatte das spanische Korps vom Zentrum, das von Castaiios") kom- mandiert wurde, am 10. November bei Burgos geschlagen. Am folgenden Tag mußte der Marschall Soult, Herzog von Dalmatien, mit seinein Korps aufbrechen, um über Ca- strocheriz, Villadiego und Aquilar del Campo der Armee La Romanas und Blakes in den Rücken zu fallen. Der Kaiser selbst machte in Burgos Halt, um die Operationen des rechten und linken Flügels zur Reife kommen zu lassen. Seine Kavallerie breitete sich indessen ungestraft über die Ebene auf dem rechten Ufer des Duero bis Palencia und Valladolid aus.

sjianisdiui Volkes in Madrid erluhr, gelang es ihm in geschickter Weise seinen Oberbefehlshaber Bcrnadotic zu tauschen, und er schiffte sich auf einer englischen Flotte n.n-li Spanien ein, um dort gegen den Unterdrücker seines Vaterlandes zu kämpfen. Er starb schon im Verlaufe dieses Krieges, im Jahre 1811.

,!) Francisco XaverCasi.ifios, 1756—1852, Herzogvon Bailen, Oberbefehlshaber der spanischen Armee von Andalusien.

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Nach der Schlacht von Espinosa versammelte der Feind seine flüchtigen Scharen teils bei Reinosa, teils bei St Ander. Er wollte sich mit dem Hauptkorps und sämt- lichen Reserveparks nach Toro im südlichen Leon wenden, um sich mit den Engländern zu vereinigen und der Haupt- stadt zu Hilfe zu kommen. Vier bis fünf Stunden hinter Reinosa, in der Gegend von Mataparguera, stießen sie aber auf die Soultsche Avantgarde. Da blieb ihnen nichts übrig, als ihren ganzen Munitionspark in die Luft zu spren- gen. Das Geschütz vergruben sie zum Teil in Reinosa, zum Teil blieb es an den Straßen liegen. Alles flüchtete nun in der größten Unordnung nach St. Ander, wo wir 3 Tage früher hätten ankommen können. Am Abend des 14. trafen schon die ersten Truppen des Soultschen Armee- korps in Reinosa ein. Der Marschall schickte uns noch in der Nacht eine Rekognoszierung entgegen, die den Herzog von Danzig (Lefebvre) in Virtus fand. Die Briefe des Herzogs von Dalmaticn (Soult),ä) und der zugleich mit- kommende Kurier des Kaisers machten nun den alten Mann so verlegen, daß er den ganzen Tag zwischen der Wahl der Chaussee von Si. Ander und Reinosa hin und her schwankte und mich so die Galoppade machen ließ, die uns für nichts und wieder nichts ermüdete. Freilich wäre ein schneller Marsch nach St. Ander, wozu wir vor Soult zwei Tagemärsche vorausgehabt hätten, das ein- zige gewesen, was wir tun konnten. Soult jedoch hatte verlangt, wir sollten ihn bei Reinosa ablösen, um seiner- seits diesen Marsch unternehmen zu können. Letzteres ge- wann am Ende bei Lefebvre doch die Oberhand, und so kamen wir nach Reinosa. Hier fanden wir bereits 3 Divi- sionen des Soultschen Korps, die sich nach unserer An-

») Nicolas Jean de Dieu Soult, Herzog von Dalmatien, 1709 bis 1851, einer der bedeutendsten Marschälle Napoleons. Er be- fehligte 1808—1812 die Zentralarmee und dann im Sommer 1813 in Spanien, doch gelang es ihm trotz seines Fcldhcrrntaltnts, das durch groBe Habsucht leider sehr in den Schatten gestellt wurde, nicht, den Krieg zugunsten Frankreichs zu beenden.

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kunft aul dci Straße von St Ander in Bewegung -.et/len. l>ie 4, kam am Abend nach und folgte den Tag darauf.

Wir blieben in der koligrn Straße des Stadtiiiens liefen, das noch immer der Plünderung preisgegeben war. l.*ntentrs hatte dir Marschall sich von Soull überrede» lassen, ihm die zwei besten deutschen Regimenter zur Kxpedition von St. Ander /u leihen. Baden und Nassau hatten sich gleich von Valdarroyo rechts gewendet. Um Mittag bekam irh die Narhrirht dunh einen Unteroifizier, der mir den schriftlichen Befehl vom General Leval brachte, sofort die Avantgarde zu verlassen und mit den deutschen Voltigeurkompagnien in St. Ander wieder zu ihm zu stoßen. Der Marschall wies mich schön ab, als ich ihm diese Order zeigte. Es war also entschieden, daß ich auf lange Zeit gänzlich von den Regimentern getrennt wurde. Das war mir doppelt unangenehm, weil ich nun auch auf keine großen Lorbeeren mehr rechnen konnte.

Nachmittags Malte die Sebasiianische Division uns end- lich abgelöst, aber es war nicht so leicht, mit unserm halbbe- soffenen Voltigeurrejiiment die Stadt zu verlassen. Wir mar- schierten auf der Straße von Burgos und Palencia weiter und waren bald nur noch dreieinhalb Stunden von Fombellida, einem Dörfchen im rauhesten Qebirge, entfernt. Das Soultsche Korps hatte diese Gegend so rein gesäubert, daß weder Menschen noch Lebensmittel mehr zu finden waren.

Zum Glück trieben seine Nachzügler gerade eine große Schafherde an unserm Biwak vorbei. Da fielen unsere Leute darüber her wie die Gergesener über die Schweine, und die Soultschen wurden, trotz alles Protestierens, ein wenig mehr als dezimiert.

Wir blieben in dieser Stellung ganz ruhig und wurden nur einmal durch einen Haufen zersprengter Spanier alar- miert, die sich zwischen unsern Posten durchschlichen.

Wir schickten eine Kompagnie zum Rekognoszieren bis Aquilar del Campo, wo sie auf Kavallerie von der Milhaudsehen Division stieß, die sich, von Burgos kom- mend, hinter der Pisuerga aufgestellt harte. Das Soultsche 64

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Korps, mit unsern zwei Regimentern vereinigt, hatte unter- dessen St Ander ruhig in Besitz genommen und den Feind über Santillana und Sanvicente verfolgt, wo ihm noch einiger Schaden zugefügt wurde. Von hier aus hatte Soult den General Leval mit den beiden deutschen Regimentern südlich nach Potes detachiert und war selbst gegen Asturien vorgedrungen. Der Marschall Lefebvre, der keine weitere Order vom Kaiser hatte, wußte nicht, was er tun sollte. An die Pisuerga oder noch besser den Carrion vor- zurücken und sich durch ein kleines Korps übers nördliche Gebirge Verbindung mit Potes zu verschaffen, schien in der Tat das Natürlichste zu sein. Dann wäre er gleich- zeitig wieder Herr über die Division Leval geworden, die er sich hatte abschwatzen lassen. Es mag wohl auch dem Marschall so etwas vorgeschwebt haben, als wir am 21. Befehl erhielten, Aquilar del Campo zu besetzen, das ungefähr 7 Stunden von Reinosa entfernt ist Die Strafte führte durch die wildesten Gegenden bis Quintanilla, wo die Chaussee südöstlich nach Burgos abgeht. Wir folgten der südwestlichen und fanden in Aquilar del Campo noch die angekündigte Kavallerie, die sogleich aufbrach, um die Pisuerga entlang zu gehen. Dieses mit Mauern umgebene Städtchen war auch beinahe ganzlich von seinen Ein- wohnern verlassen.

Wir lagerten uns vor der Stadt in einem Nonnen- kloster an der Pisuerga und deckten die Brücke, die über dieses hübsche Flüßchen führt. Kaum hatten wir uns mühsam festgesetzt, so erschien das 4. Armeekorps, um die Nacht bei Aquilar del Campo zu bleiben. Wir mußten daher wieder aufbrechen und nördlich an der Pisuerga hin auf marschieren. Gleich vor der Stadt auf dieser Seite fanden wir ein großes Mönchskloster, wo sich der Mar- schall aufhielt. Kaum einige Schritte weiter, wo das Tal enger wird, hatten auch die Verwüstungen des Kriegs ein Ende. Wir bezogen unsre Biwaks dicht vor dem Ort Cenera, fanden Lebensmittel vollauf und behandelten die Einwohner noch gerade so, daß sie nicht zu verzweifeln

5 B«M7: Spin. Frcihcibtamtrf. 65

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brauchten. Wir Stabsoffiziere hielten uns in einem ganz ordentlichen Hause auf, das einem Schulmeister gehörte. Ich fand daselbst die Äneide und unterhielt mich angenehm beim Schein der nächtlichen Lampe.

Am 22. hatten wir einen harten Marsch. Anfangs mußten wir lange warten, bis das Armeekorps in Bewe- gung war. Dann brachen wir auf und kamen in das Städtchen Cervera. Von da an wurden die bergigen Wege immer abscheulicher. Die Sonne brannte bei umwölktem Himmel so heiß wie bei uns mittags im Sommer. Abends kamen wir endlich zu dem Städtchen San Salvador de Cantamuda. Sebastiani wollte hier mit zwei Regimentern übernachten. Wir mußten daher noch in der Nacht bis zum Dorfe Arenas hinaufsteigen, das ganz nahe an den Quellen der Pisuerga liegt. Es wurde uns sehr schwer, uns in dieser gefährlichen, noch von keinem Feinde vor uns betretenen Gegend, die noch von zerstreuten Insur- gentenhaufen wimmelte, bei dunkler Nacht festzusetzen. Dazu kam die große Ermüdung der Leute, von denen wir viele hatten zurücklassen müssen. Die Kälte war dabei so groß in diesen hohen Regionen, daß es Eis fror, wel- ches Lastwagen tragen konnte, wodurch das Biwak nach der Hitze des Tages desto unangenehmer wurde.

Um Mittemacht langte ein Offizier vom General- stab des Fürsten von Neufchätel") bei uns an. Er kam von Burgos und hatte Depeschen für die Marschälle Le- febvre und Soult. Jenen, der eine andere Bestimmung erhielt, hatte er in Cervera angetroffen. Wir mußten ihm 80 Mann mitgeben, um ihn nach Potes zu begleiten, das noch 4 Stunden entfernt war. Von hier sollten diese am 23. nach San Salvador zurückkehren und uns am 24. nach

») Alexandre Berthier, Herzog von Neuchäte! und Fürst von Wagram, 1753—1815, war zwar nicht der begabteste und bedeutendste Marschall Napoleons, aber ilprjenijje, dtr am besten verstand die Befehle seines Obii-kTi /irr /\i;sliihrimg iu bringen. In allen Feldziigcn war er Najuili-nsis 1 ioutrjilslabsclicf, mit Aus- nahme des Feldzugfs von Waterloo.

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Carrion fotgen. Sie kehrten aber nie zurück; General Uual benutzte sie für seine Zwecke. Die zwei Dragoner, die wyt törichterweise in Arenas zurückließen, um sie zu «warten, wurden ermordet

Der Marschall hatte den Befehl bekommen, sich bei Carrion zusammenzuziehen, um der englischen Reserve- armee die Spitze zu bieten, während der Kaiser an den Duero vorging und Madrid bedrohte. Hätten wir nun wenigstens mit den zwei Regimentern in San Salvador und mit der Avantgarde bei Arenas den Marsch bis Potes fortgesetzt, uns mit den daselbst stehenden zwei deutschen Regimentern der Division Leval vereinigt, dann die Straße nach Leon eingeschlagen und links über Saldafia nach Carrion eingebogen, so wäre die große Rekognoszierung vorteilhaft vollendet, das ganze Land zwischen Asturien und dem Duero vom Feinde gesäubert gewesen und dessen Pläne schwankend gemacht worden. Statt dessen erhielt Leval zwar durch den Offizier vom Generalstab des Fürsten von Neufchälel den Befehl, wieder zu uns zu stoßen, aber der Herzog von Dalmatien ließ ihn noch lange nicht los, und so sahen wir auch diese Regimenter nicht früher als in Madrid wieder.

Am 23., sobald es Tag wurde, schüttelten wir das Eis von den Locken und begaben uns auf den Rückweg. In San Salvador und Cervera marschierten wir durch das Armeekorps durch, das uns auf dem Fuße nachfolgte. Wir kreuzten uns mit einer neu gebildeten, dem Herzog von Dalmatien zur Hilfe bestimmten Division. Durch diese erhielt der Marschall vom Kaiser strengste Order zu glimpflicherer Behandlung der unglücklichen Einwohner. Sie wurde wie gewöhnlich mit sehr gewichtigen Worten veröffentlicht und in den ersten Tagen mit ungemeiner Strenge ausgeführt Das verschaffte mir das lang ent- behrte Glück, wieder einmal Menschen zu sehen, die uns nicht wie die wilden Tiere flohen.

Am 24. brachen wir vor Tag wieder auf, gingen nach Buenavista, ruhten ein wenig beim freundlichen 5- 67

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Strahl des jungen Tags aus und marschierten dann frisch vor der Arme« her, tlie uns in einiger Entfernung folgte. Wir kamen sehr bald auf jene sehr breiten, halb mit Gras bewachsenen Wen«, worauf dir Schafherden ihre Sommer- und Winterwanderungen machen. Wir mar- schierten daher fast immer in ganren Zügen, was die Ordnung und Schnelligkeit unglaublich beförderte.

Wir fanden [las I and /war schlecht behaut und ohne Bäume, aber die Dorfer waren schon und hatten ein An- sehen vnn Wohlhabenheit, Was das schönsie war, die Leute hatten noch keine Franzosen gesehen und wurden nicht geplündert Gutmütig nahten sie sich uns und teilten gern mit den Soldaten den Überfluß ihres Weines.

Der Marschall war viel unter uns. wurde von meinen Voltigeuren, unter denen mehrere Pfiffikusse aus Ver- sailles waren, /um Resten gehahl und versprach mir den Orden, Fr ging mit der Kavallerie voraus und rekognos- zierte die Ufer brider Flusse. Lud lieh, als es Nacht wurde, kamen wir nach Zurucklegung von wenigstens "/Stunden Wegs in die leimrsisrhe Stadl Carrion de los Condes, die sich mit den erhahenen Dachern einher Klöster stattlich auf der Hohe ausnimmt, deren westlicher Fuß der Carrion bespült. Hier nahm das Armeekorps Steifung. Ich mußte noch in der Nacht mit dem 2. Avantgardchataillon eine Stunde bis Torre de los Molinos vorrücken. Bei diesem kleinen, aus wenigen Häusern bestehenden Dörfchen kamen wir endlich bei dunkler Nacht sehr ermüdet an. Ich sah das Gefahrliche meiner prekären Position wohl ein, mußte mich aber einstweilen gut als möglich decken. Die Menschen waren bis auf einige Greise geflüchtet, die ich ju schut/en suchte. Im leeren Pfarrhaus, das ich ein- nahm, fand ich ein paar Retten, viele Heiligenbilder, ver- schiedene Andarhlsbiicher, einige Schinken und Würste mit spanischem Pfeffer, große suße /wiebeln und ein paar Lumpen von Kleidern sonst nichts. In einem Bauern- hause entdeckte ich auf zwei Tage Brot für meine Leute. Ein Offizier fand zwei baumwollene schlechte Halstücher, 68

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wovon ich ihm eins abjagte, weil ich schon seit 14 Tagen kein Taschentuch hatte. Die Magd des Herrn Pfarrers hatte auch noch ein Weiberhemd für mich zurückgelassen. In den folgenden Tagen fand ich nicht ohne Mühe Mittel, mir durch einen Soldaten des 75. Regiments die sämtlich barfuß gehenden Pferde beschlagen zu lassen. Ein Spion, der sich unter uns befand und die drei Sprachen sprach, nihte mir unter meine bodenlosen Stiefel ein Paar auf- gefundene Sohlen, und so war ich für den Kommandeur der Avantgarde des linken Flügels ganz brillant ausge- stattet!

Ich brachte den 25. damit zu, mich auf diesem äußerst gefährlichen Punkt erträglich einzurichten und die Oegend m rekognoszieren. Am 29. November setzten wir uns wieder auf der großen Straße von Valladolid in Marsch. Das Land ist meist platt und kahl; die Dörfer sind traurige Denkmäler einer versinkenden Nation . . . Palencia, die Hauptstadt einer Provinz, ist ein altes, enges Nest inner- halb hoher Mauern mit hohen Häusern und vielen Klöstern. Wir kamen hier auf die herrliche Straße, die von Valla- dolid ununterbrochen über Burgos und Vittoria bis an die französische Grenze führt Das Korps blieb bei der Stadt, wir jedoch rasteten eine Stunde weiter in dem Dorfe Villa Munal, das etwas seitwärts zur Rechten der Straße jenseits des Carrion liegt Ich verteilte die Bauernhäuser unter die Leute und blieb mit den Offizieren im Nonnen- kloster. Hier bekamen wir nach langem Protestieren noch ein ordentliches Essen, Wein genug für uns und das ganze Bataillon, Haarmatratzen zum Lager und am folgenden Morgen Schokolade. Das 1. Bataillon kampierte auf der Straße in Caladazanos.

Am 30. vereinigten wir uns mit dem 1. Bataillon und gingen wieder auf der Hauptstraße dem uns immer in einiger Entfernung folgenden Korps voraus . . . Dieses blieb bei dem großen Dorfe Vaidestillas auf dem linken Ufer des Andaja eine gute Stunde vom Duero. Hier war auch das Hauptquartier der Kavalleriedivision. Eine Stunde

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weiter, im schönen Ort Matapozuelos, stand der General Barthelemy14) mit einem Kavallerieregiment Zu diesem stießen wir und wurden, wie das in solchen Fällen gewöhn- lich geschieht, wegen der vermutlichen Nähe des Feindes sehr freundlich empfangen. Wir ließen jedoch nach Aus- stellung der Vorposten nur eine Kompagnie biwakieren und fanden in Häusern, die alle das Ansehen von Wohl- habenheit hatten, recht gute Unterkunft. Am 2. gingen wir mit der Kavallerie mit großer Vorsicht vor und re- kognoszierten die ganze Gegend . . . Wir kamen durch das Städtchen Olmedo, wo das Korps blieb, und setzten uns eine gute halbe Stunde weiter in einem kleinen Dorfe namens Aguasal fest. Die Kavallerie verbreitete sich über die Dörfer gegen den Eresma hin. Auch in diesem kleinen Nachtquartier, wo wir mit dem ganzen Regiment zusam- menblieben und eine geschickte Position fanden, trafen wir im Innern der Häuser auf Wohlstand, Reinlichkeit und Zierlichkeit.

Wäre der am Abend eintreffende Kurier früher ge- kommen, so hätten wir an diesem Tage mehr als vier Stunden Wegs gemacht. Er brachte die Nachricht, daß der Kaiser das hohe Guadarramagebirge in einer sehr glän- zenden Affäre beim Pali Somosierra bezwungen hätte und gerade auf Madrid losgegangen sei. Wir hatten also keine Zeit zu versäumen, da wir unserseits noch drei Tage- märsche von diesem Gebirge entfernt waren. Wir mach- ten daher den folgenden Tag einen für jene sandigen Wege forcierten Marsch von mehr als 9 Stunden. Am Morgen des 4. hatten wir bald das in mancher Hinsicht merkwür- dige Segovia erreicht.

Das erste Balaillon der Avantgarde ging durch die Stadt nach einem jenseitigen Ort auf Vorposten, während ich bestimmt war, von der Zitadelle oder dem Alcazar Be-

i4) Nicolas Martin Baron Barthdcrny, franzosischer Brigade- gcneral, 1765—1835, zeichnete sich besondere in den Jahren 1808 und lSu'j in den spiuiisdien fddzügen aus. 70

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sitz zu nehmen. Das Wort „Alcazar" ist maurischen Ur- sprungs, bedeutet ein festes Schloß und hat sicll in dieser Bedeutung in mehreren alten Städten Spaniens erhalten. Segovia war wirklich sehr fest und ist noch immer einiger Verteidigung fähig, selbst gegen die Stadt hin, von der es durch ein schönes Glacis getrennt ist. Seine Festungs- werke sind zum Teil in den Felsen gehauen, teils mit hohen starken Mauern und zahlreichen, vielgestalteten Türmen künstlich aufgebaut. Ein ungeheurer stumpfer Turm in der Milte macht die Hauptpartie aus.

Ich fand einen uralten Gouverneur mit einigen Inva- liden, die sich nicht wehrten und so freundlieh als mög- lieh behandelt wurden. Doch dauerte es lange, bis ich die Alten dahin brachte, mir alles zu öffnen, aber noch länger, bis ich mich in diesem großen Labyrinth von Wohnungen, Gewölben und Festungswerken zurecht finden und ge- hörig einrichten konnte. Hier war der Sitz der im Jahre 1764 gestifteten und seitdem beträchtlich verbesserten ade- ligen Kadettenschule der Artillerie. Was ich davon sah, war geeignet, mir diese Anstalt als zweckmäßig vorzu- stellen. Die jungen Leute waren zwar samt ihren Lehrern in der Nacht vor Ankunft der Franzosen geflohen, und das so eilig, daß man noch einen großen Teil ihrer Kleider fand. Aber ihre Bibliothek und mathematischen Instru- mente und noch manche Spur von ihrer Einrichtung ent- deckten wir. Ich muß gestehen, ich hätte gern einiges aus der Bibliothek mitgenommen, besonders die spanisch- revolutionären Schriften, die hier in Menge vorhanden waren. Allein, wie durfte wohl ein Mensch an so etwas denken, der Pferde ohne Eisen, Stiefel ohne Sohlen und kaum ein einziges Frauenhemd zum Wechseln hatte! Was aber schlimmer als dieser schon wieder eintretende ent- blößte Zustand war: mein Körper fing an, den übertrie- benen Anstrengungen zu erliegen. Die häufigen Nacht- wachen und der weiße castilianische Wein, der für meine Natur Gift war und doch nicht ganz entbehrt werden konnte, hatten mein empfindliches Nervensystem dermaßen 71

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angegriffen, da8 der Körper bisher nur noch dem mäch- tigeren Impulse des erregten Geistes gefolgt war. Die eben eingetroffene Nachricht, daß die siegreiche kaiserliche Armee am 2. vor Madrid angekommen sei, ließ keinen Zweifel mehr zu, daß sie vor uns die ganze Arbeit been- digen und uns bis zur Hauptstadt keine Feinde mehr zu bekämpfen übriglassen würde. Während alles sich freute, sank ich abends zusammen und blieb in einem Zustand von völliger Entkräftung bis zum 6. morgens 10 Uhr liegen, wo der Befehl zum Abmarsch kam. Ich mußte mich aufs Pferd heben lassen ; kaum aber hatte ich den Degen gezogen, so fühlte ich auch schon, daß ich bebte.

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5. Kapitel

Der Escorial. Truppenschau unter Napoleon. Madrid

Wir bezogen unser Biwak vor Guadarrama nach zu- rückgelegtem Weg von 8 Stunden und erhielten die Nach- richt, daft der Kaiser nach einigen Gefechten am 4. in Madrid eingezogen war, also an demselben Tage, an welchem wir nach Segovia gekommen waren. Da die Engländer sich im Escorial hatten sehen lassen, die Bür- ger dort sich sehr revolutionär zeigten und das Gebirge bewaffneten, so bekamen wir Befehl, uns, sobald wir das Gebirge überstiegen hätten, nach dieser Gegend zu wen- den. Dies lieft sich nun, da wir so spät kamen, am 6. nicht mehr ausführen. Aber am 7. mit Tagesanbruch brachen wir sogleich mit der Avantgarde dahin auf. In großer Erwartung näherte ich mich dem berüchtigten Königskloster, dessen Ruf seit dreieinhalb Jahrhunderten die ganze Welt erfüllt, das der Spanier mit stolzer Zuver- sicht „la octava maravilla del mundo" (das achte Welt- wunder) betitelt und das seinem Stifter, Philipp II., über 125 Millionen Gulden kostete. Wir fanden im Escorial schon alles getan. Eine Kavalleriedivision unter Lahous- saye1*) war abends vorher eingetroffen und hatte samt-

"| Armand Lebrun, Baron von La Houssaye, französischer General, 1760-1816, kämpfe in den Jahren 1808-1812 in Spanien. Im Deiember 1808 nahm er lebhaften Anteil an der Belagerung Madrids und wurde beauftragt, sich des Escorials zu bemächtigen, er auch ausführte.

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liehe aufrührerische Einwohner ins Gebirge verjagt Wir zogen daher ruhig durch die menschenleeren Straßen der Stadt, die ungefähr wie jede Stadt aussieht, die neuerdings durch die Nähe einer ktinijjlielieu Residenz entstanden ist. Wir lagerten uns auf der Terrasse südlich hinler dem Kloster, wo man am Fuße des Berges den Flecken Altes- corial unter sich liegen hat.

Der Marschall war gerade nach Madrid gegangen und hatte das Kommando dem General Sebastiani über- lassen. Dieser löste sogleich die Avantgarde auf und be- fahl jedem, zu seinem Regiment zu stoßen, weil dies bei der bevorstehenden Revue besser wäre. Was sollte ich nun tun? Mit meinen n.issauischen und badischen Volti- geuren fand ich mich plötzlich isoliert; unsere Regimenter fehlten noch, und niemand wußte, was aus ihnen ge- worden war.

Bei Sebastiani und seinem Generalstab fand ich wenig Gehör. Ich mußte also zusehen, wie ich selbst für mich sorgte. Der verlassene Ort wurde für die Nacht unter das Korps verteilt. Ich mußte die fünf Häuser, in denen ich meine Leute unterbrachte, beinahe mit dem Bajonett erobern und behaupten. Den folgenden Morgen, als wir gegen Madrid zogen, folgte ich, der bisher den Weg ge- bahnt hatte, unsicher der' Division Sebastiani.

Der Marschall hatte beim Kaiser in Madrid nicht vorkommen können, war grämlich, stellte sich aus Ärger darüber krank und kam nicht zum Vorschein. Zum Glück stieß ich auf den Artillerietrain, der aus drei Batterien bestand, worunter die badische war. Diese Batterie war anfangs den Regimentern Baden und Nassau zur Expe- dition nach San Ander und San Vicente gefolgt, hatte dort im Gebirge nicht weiter kommen können und war endlich auf der Straße von Reinosa zum 4. Armeekorps zurückgekehrt.

Je näher wir Madrid kamen, desto höher stieg die Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Wir konn- ten höchstens noch eine Stunde von der Hauptstadt ent- 74

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lernt sein, da erschienen Adjutanten. Die Kolonne bog links ein, ging über eine Brücke des Manzanares, kam wieder auf eine Chaussee in schönem Wald und folgte derselben am Flüßchen aufwärts in nördlicher Richtung. Das unbestimmte Gerücht „der Kaiser kommt! der Kaiser kommt!" lief durch die Glieder. Jeder putzte sich, so gut er konnte, im Marsch; die Franzosen ermunterten ihre Leute zum Vivatrufen. Endlich sahen wir ein Schloß vor uns, groß, nicht übel gebaut, doch nicht sehr präch- tig; ein hübsches Städtchen dahinter mit einem Wald um- geben und zwischen Hügeln ein grünes Tal, vom Manza- nares erfrischt.

Es war das königliche Lustschloß El Pardo, wo der Hof gewöhnlich die drei ersten Monate des Jahres zu- brachte. Ich sah das Korps auf dem freien Platze ordnen; nach mir fragte niemand. Vergebens fragte ich Sebastian!; ich erhielt nur ausweichende Worte.

Der brave Buquet trabte schweißtriefend durch die Glieder seines Regiments und rief mir zu: „Helfen Sie sich, so gut Sie können, der Marschall kommt nicht!" Ich marschierte daher auf meine eigene Faust jenseits der Chaussee auf, so daß mich der Kaiser sehen mußte. Kaum war ich vorteilhaft postiert, so kam der naussauische Gene- ra! X., der erst seit einigen Wochen beim Korps einge- troffen war, und bat mich dringend, ihm doch zu erlauben, sich vor meine Voltigeurc zu stellen, weil er sonst kein Mittel wüßte, vom Kaiser gesehen zu werden. Was wollte ich machen? Der Mann nahm mir das bißchen Ehre, das mir von Rechts wegen zufließen mußte, vorm Munde weg. Ich habe aber nie etwas abschlagen können, worunter meine Eitelkeit litt, weil ich die größere Eitelkeit besitze, nicht eitel erscheinen zu wollen. Ich ließ es also ge- schehen, erhielt darüber nachher die Vorwürfe meiner Offiziere und hatte sie verdient, weil ich mir so die Ge- legenheit raubte, ihnen nützen zu können.

Der Kaiser erschien, gefolgt vom König und von seinen Großen. Ein glänzender Zug! Ich konnte kaum

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hoffen, daß er bis zu uns kommen würde, denn wir hatten in der Jahreszeit der kurzen Tage die freilich am Man- zanares weit länger sind, als am Rhein erst vier Leguas gegen Madrid, dann anderthalb zurück gegen El Pardo marschiert. Indes lief doch alles gut ab. Der Kaiser ging durch die ganze Division, ohne sich lange aufzuhalten. Scbastiani war für die Seinigen geschäftig. Andere er- hielten nichts. Mit Vergnügen sah ich, daß der Kaiser unserer Artillerie, die an meiner Seite stand, mehr Auf- merksamkeit und mehr Lob erteilte als andern. Das war mir mit Recht eine gute Vorbedeutung. Er kam mit dem freundlichsten Gesicht. X. präsentierte sich als Komman- dierenden, erhielt freundliche Worte, sollte Auskunft geben und - wußte nichts. Ich blieb stumm. Der Kaiser er- kannte mich aber und sagte: „Ah, sind Sie auch da? Sie sind gelobt worden. Wo sind Ihre Regimenter? wie stark sind sie?" Und zu Pferde schwang sich der Monarch und der König und die Fürsten mit ihren Satel- liten und begruben uns in ihrem Staub.

Wir aber schrien „Vivat!" Auf einmal war alles wie tot. Da standen die Regimenter und sahen sich nachein- ander stumm an. Sdbastiani war mit nach der Stadt, und niemand fragte nach 10000 Menschen, die mitten in einem Wald wie vom Himmel gefallen waren. Endlich suchten sich die Korps, so gut sie konnten, Lagerplätze. Auch ich tat ein gleiches und fand ein hübsches Plätzchen, wo ich mit niemand in Kollision kam. Aber da war kein Holz, kein Brot, keine Fourage. Woher nehmen? Wir wissen't nicht. Frag einer den S<5bastiani! Der war in der Haupt- stadt! — Und in Zeit von einer halben Stunde loderten himmelhoch die Flammen der Lager, und mancher Braten drehte sich am Spieße. Alle Tische, Stühle, ja selbst Dach- sparren von El Pardo, die Ölkufen nicht zu vergessen, nährten die Feuer unserer höllischen Küchen. In keinem Hause blieb ein Nagel fest, die Pferde standen in den Stuben und fraßen das zurückgebliebene Stroh. Kaum wurde das Hauptgebäude des königlichen Schlosses hinter 76

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dreifachen Wachen verschont, obgleich der König darin

Am Q. Dezember war es schon lange Tag, und noch wußte niemand, was aus uns werden sollte. Der Marschall ließ nichts von sich hören. Ich war es meinen Leuten schuldig, mich ihrer anzunehmen. In Gottesnamen ritt ich also nach der Hauptstadt, die zwei gute Leguas davon entfernt liegt. Welch ein neues Leben ! Nach zwei Monaten des Entbehrens mit ungesohlten Stiefeln mitten in einer großen Residenz, wo die traurigen Überreste einer ver- gebens versuchten Verteidigung schon meist verschwunden waren, die Kaufläden sich öffneten und die Einwohner unter dem Schutze der Regierung ihr Eigentum selbst behüteten. Gedankenvoll ritt ich durch die langen, krum- men Straßen, die meist von französischem Militär belebt waren, unter dem, düster und tief in die Mäntel gehüllt, einzelne Spanier herumschlichen. Ich fragte nach Gast- höfen. Man wies mich in mehrere. Überall aber erhielt ich zur Antwort, ich könne wohl da essen, jedoch nicht logieren, weil alles besetzt sei, und für Pferde habe man gar keinen Stall. Um letztere war es mir hauptsächlich zu tun, denn ich wollte ohnehin nicht nachts dableiben, son- dern nur einen Platz haben, wo meine armen Tiere fressen und beschlagen werden konnten. Endlich machte ich eine Posada de Caballos (Pferd chcrbi'r!>e> ausfindig, wo ich sie in einem elenden dumpfen Mauleselstall unterbrachte. Aber noch viel mehr Mühe hatte ich den Marschall an einem andern Ende der Stadt aufzufinden. „Was wollen Sie von mir," schrie er mir mit heiserer Stimme von seinem Berte aus zu. „Wollen Sie mir auch die Ohren Voll- wagen? Sie können sich nicht beschweren: bekommen Sie nicht den Orden?" Und nun ging eine fürchterliche Strafpredigt über die deutschen Regimenter los, daö sie noch nicht eingetroffen wären. Wir hätten strenge Order bekommen. „Wären sie nur bei der Revue gewesen! Jetzt kriegen sie einen Dreck!" Ich ließ ihn ausreden, bis er sanfter wurde. Dann sagte ich ihm, daß die Regimenter 77

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wenigstens nicht seine Ungnade verdienten, höchstens der Divisionsgeneral, dem sie gehorchen mußten. Und warum er uns denn im Stich ließe, die er selbst seine lieben Kinder, seine Besten genannt habe? Er schwor, das solle nicht geschehen, und er wolle schon dafür sorgen, daß meine Leute in Ehren blieben, daß sie eben auch mit der Division Sebastiani einrücken würden.

Ich hatte durch einen mir nachkommenden Offizier die Nachricht erhalten, daß man sie nach Rozas geschickt hatte. Der Marschall ließ auf der Stelle befehlen, daß sie in die Stadl marschieren sollten. Ich schickte den Befehl hinaus und beschäftigte mich indessen, sie unterzubringen. An einem Ende der Stadt wurde ich in ein Kloster ge- wiesen, das ich schon ganz von einem französischen Regi- ment besetzt fand. Ich erhielt endlich die Anweisung in die Wallonenkaserne am andern Ende der Stadt. Die war auch besetzt, aber ich fand daneben eine andere, die ich aufbrechen Heß und wo ich noch die Überreste eines Insurjji.'nU'Nbatiiillou-; b.' kämpft-] luiißtc. Darüber ward es tiefe Nacht.

Die Kompagnien waren unterdessen auf einem andern Weg, als dem, wo mein Kundschafter stand, eingerückt, waren lange herumgeirrt und hatten sich endlich beim Alkalatore auch in einem großen leeren Hause niederge- lassen. Am Ende stand ich mitten in der Nacht in den menschenleeren Straßen allein. In die „Fontana de oro" (goldener Brunnen), wo ich zu Mittag gespeist hatte, konnte ich nicht zurückkehren, weil ich wußte, daß man mich nicht unterbringen konnte. Ich beschloß also wenig- stens meinen Bedienten mit den Pferden aufzusuchen. Nicht ohne Mühe war ich so glücklich, ihn zu finden, und wurde nach langem Klopfen eingelassen. Meine bleiche, schwankende Gestalt und die Hand, die klüglich' im Qelde wühlte, erweichten das Herz des Spaniers mehr noch als meine gebrochene spanische Rede. Er trat mir ein ganz erträgliches Bett ab. Ich hatte Hunger zum Sterben. Er bot mir seine Küche an, die ich mit Tränen 78

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des Dankes annahm. Es war ein einziger, ziemlich schmutziger Topf, der beim Feuer stand. Darin befand sich eine Menge jener ganz dicken Erbsen, die eine Haupt- kost der gemeinen Spanier sind. Sie stellen sie mit ein wenig Wasser und einem Stückchen Speck ans Feuer und lassen sie so ruhig fortschmoren, bis der eine oder der andere aus der Hausgesellschaft Hunger hat und sich etwas davon nimmt Ich entsagte diesem köstlichen Mab] ebenso schnell wieder, als ich es angenommen hatte, und sank bald auf meiner Matratze in die Arme eines vom Fieber geschüttelten Schlafs der Entkräftung.

Eine Tasse gute Schokolade, die man auch beim armen Spanier nie vergebens sucht, erquickte mich am andern Tag. Dann begab ich mich wieder auf die Reise ins Ungewisse, um meine Leute und ganze Stiefel zu suchen. Von ersteren fand ich endlich einen, der mich zu den übrigen führte, wo ich auch meine zwei andern Pferde traf, die 24 Stunden lang nichts gefressen hatten. Ich ließ in dem zerstörten Hause Einrichtungen treffen, so gut sich's tun ließ, und schickte nach Lebensmitteln aus. Ich selbst begab mich ins Quartieramt, wo ich viele Schwierigkeiten fand, um mir ein Quartier auszumachen. Da traf ich endlich auf einen der Leute des Oberst von

P , der mich benachrichtigte, daß sein Herr seit

gestern nacht da sei. Ich flog in das Malthese rkreuz, das geräumigste Gasthaus von Madrid, wo ich zu meinem unbeschreiblichen Entzücken ihn und den General Leval zusammen traf. Ich erfuhr, daß Marschall Soult sie in Poles zurückgehalten und erst dann freigelassen habe, als sie auch mit den stärksten Märschen uns diesseits von Madrid nicht mehr einzuholen vermochten. Sie seien am 9. abends bei El Pardo angekommen und erwarteten das Weitere.

Während ich zu meinen Voltigeuren lief, um ge- schwind einige Besorgungen zu machen, erhielt ich die Nachricht, der Oberst sei mit dem General eiligst zur Stadt hinaus, weil der Kaiser die deutschen Regimenter 79

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mustern wollte. Die Voltigeure, die nach Lebensmitteln ge- schickt und in alle Winde zerstreut waren, konnte ich jetzt nicht mehr zusammenbringen. Mir selbst gelang es schwer, meine Pferde in einer andern Gegend der Stadt aufzusuchen. Kraftlos und ungewiß trabte ich gegen El Pardo hin. Wohl eine Stunde Wegs mochte ich zurück- gelegt haben, als ich auf einen Nachzügler traf, der mich zum Glück unterrichtete: die Regimenter seien bei dem Meierhof Granja über den Manzanares gegangen. Ich folgte und entdeckte sie endlich auf dem Kamm der Höhen aufmarschiert, die gegen Madrid zu in Fluchtfeldern ab- laufen. Die Leute sahen von den anstrengenden Gebirgs- märschen schrecklich aus, waren meist ohne Schuhe und hatten die Hälfte ihrer Kameraden in Spitälern zurück- gelassen. Zu dieser Revue kamen sie beinahe ganz un- vorbereitet Der Marschall, zufrieden mit der Verteidi- gung, die General Leval bei ihm vorbrachte, war zum Kaiser gelaufen, um seine Gnade für die Regimenter Ba- den und Nassau anzurufen. Der Monarch war guter Laune, erinnerte sich des Rufs, den sich beide Regimenter in den früher erwähnten Gefechten erworben hatten, und versprach, in Zeit von einer Stunde zu kommen. Daher diese Übereilung, denn solche Momente muß man nicht versäumen. Ich hatte kaum Zeit, das Kommando des 1. Bataillons wieder zu übernehmen; denn schon sah man den Kaiser mit seinem ganzen glänzenden Gefolge und den Marschall von der andern Seite den Berg hinaufspren- gen. Wir mußten mit ganzen Kompagnien rechts schwen- ken, die Kolonne schließen und ein Glied formieren. Diese bequemste aller Methoden zur genauesten Spczialrevue läßt der Kaiser bei allen Truppen anwenden, die er einer besonderen Aufmerksamkeit würdigt. Er geht dann vor einem Glied nach dem andern vorbei, sieht auf der Stelle, wer an der Prima plana fehlt und fragt danach und nach allen andern Dingen, die selbst zum kleinsten Detail gc-

Er ließ sich die Leute, die sich besonders ausge-

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zeichnet halten, vorführen und teilte viele Orlen aus. Auch r.ahm er, natürlich mit Zustimmung der deutschen Soüveianc, mehrrrt- Uii'irdi-riitinen vor, Die beförderten Ofh/iere wurden vor der Front proklamiert und von ihren Kameraden umarmt. Alle diese für den, der nicht wie ich an den Anblick des Kaisers und an seine Art Und Weise gewöhnt war, gar wunderbar erscheinenden Dinge, brach- ten die übrigen Kommandeure mehr oder weniger um die Besinnung. Eine kleine Dummheit nach der andern kam vor, und als wir nachher manövrieren mußten, wo der Kaiser selbst durch den Marschall kommandierte und oft ganz falsch verstanden wurde, fiel alles so schlecht aus, wie wohl noch nie bei Truppen, die zu den „Guten" gerechnet werden. Der Kaiser korrigierte lächelnd die Fehler und verließ uns nach mehr als zweistündiger Ge- genwart äußerst gnädig. Zur Charakteristik des Ganzen gehört, daß er ein Bataillon P..., das auch zugegen war, aber ohne seine Schuld an den Hauptgefcchten keinen Teil genommen hatte, nicht eines einzigen Blickes wür- digte. Auch' wir hatten für einige Verwundete und Kranke, die unter die Ausgezeichneten gehörten, keine Belohnung erhalten können. So weiß dieser einzige Mensch alles von sich abhängig zu machen ! Vergebens läßt der Himmel seine Sonne scheinen, wo die sein ige sich verdunkelt. Oft sollte man meinen, auch der Himmel gehorche ihm und die Natur kleide sich in das Oewand, das er jedesmal braucht Glücklich, bewundert, beneidet, zogen wir noch vor Abend in Madrid ein. Traurig folgten die Männer von P., versprachen, sich durch Tapferkeit zu rächen und hielten Wort.

Wir kamen bataillonsweise in Klöster. Mir fiel das Th'eatiner Mönchskloster des heiligen Kajetan in der Ge- sandtenstraße zu. Die armen Mönche, die sich den Ver- wüste™ schon entgangen glaubten, waren so überrascht, daß sie völlig den Kopf verloren. Meine guten Worte halfen nichts. Alles, was ich für sie tun konnte, war, meine Leute noch eine Stunde lang unter Gewehr zu lassen, bis

6 B*H7: Span. Freihethtampf. 81

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sie ihre besten Sachen hinten hinaus geflüchtet hatten. Ich nahm Kirche und Bibliothek in Schutz, teilte die Zim- mer aus und führte eine strenge, aber nur langsam ihren Zweck erreichende Polizei unter einer Horde von Men- schen ein, die seit 6 Wochen die Begriffe von Mein und Dein vergessen hatten. Krank und matt sank ich endlich auf dem elenden Lager meiner Zeile in Schlaf.

Am 13. erhielten wir morgens 10 Uhr Befehl, zur abermaligen Revue auszurücken. Ich stieg gegen die ärztliche Vorschrift zu Pferd, kam abends ermüdet zurück, schlief köstlich und war in einigen Tagen wieder völlig hergestellt . . . Der Artillerie widmete der Kaiser eine ganz besondere Aufmerksamkeit, wodurch mancher in große Verlegenheit kam. Am Ende mußte alles im Sturm- schritt mit Divisionskolonnen vorbeimarschieren.

Marschall Lefebvre marschierte mit den Divisionen Sebastian! und Vaicncc17) und der französischen, badischen und holländischen Batterie gegen Talavera ab. Die deut- schen Regimenter der Division Leval wurden einstweilen zur Garnison von Madrid bestimmt. Der Zufall, der den größten Teil der übrigen Truppen unvermutet iin nörd- lichen Spanien lebhaft beschäftigte, hielt uns nachher länger in der Hauptstadt fest, als es erst Absicht zu sein schien. Das aus Portugal vorgerückte englische Armeekorps hatte sich nämlich beim Vorrücken der Franzosen gegen Madrid nach Salamanca gezogen. Sobald das Korps des Herzogs von Danzig über das üuadarramagebirge gegangen war, faßten die Engländer den Plan, nördlich von diesem Ge- birge, auf dem rechten Ufer des Duero zu operieren, wo die Umstände dem Beginn ihrer Operationen sehr günstig zu sein schienen. Marschall Soult balgte sich in den unzugänglichen Gebirgen von Asturien lind Leon mit den Oberresten der spanischen Nordarmee unter La Ro-

") Jean Baptiste Cjrus Marie Adelaide de Thimbrune, Oraf von Valence, 1757-1822, kommandierte 1808 eine Division Kavallerie. 82

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nana herum. Die ganze ungeheure Strecke von Leon bis Segovia war nur durch leichte Kavallerie gedeckt. Während das in Corufia ausgeschickte englische Armee- korps auf der Straße von Leon vorrückte und sich mit den Spaniern in Verbindung setzte, nahm das Armeekorps von Salamanca dieselbe Richtung» passierte den Duero bei Toro, rollte die leichte Kavallerie in den Ebenen von Valladolid usw. auf und bewerkstelligte ohne Anstand seine Vereinigung mit dem nördlichen Korps. Mit dieser furchtbaren Macht wollte der englische Obergeneral Moore") dem Herzog von Dalmatien in die linke Flanke fallen und ihn in den atlantischen Ozean werfen.

Zum Glück hatte der Kaiser, der diese Operation einigermaßen vorausgesehen und gewünscht hatte, das Soultsche Armeekorps bis auf wenigstens 30 000 Mann verstärkt Diese vereinigte der Marschall unweit Saldanas und stand am 23. angesichts der Engländer, die am fol- genden Tage seine linke Flanke umgehen und forcieren wollten, aber, von dem Marsche des Kaisers benachrich- tigt, sich statt dessen zum Rückzüge gegen Corufia an- schickten.

Der Kaiser ließ zur Deckung des Zentrums oder des ganzen Strichs vom untern Tajo bis zur Mitte des Ebro nur die Korps der Herzöge von Beüuno und Danzig und die Kavallcriedivisionen Lasalle1»), Milhaud") und Latour-Maubourg11) zurück und ernannte den König Joseph, der noch immer nicht in Madrid eingezogen war und im Pardo residierte, zu seinem Stellvertreter jenseits desGuadarramagebirges. Er selbst brach am 22. Dezember

le) Sir John Moore, hervorragender englischer General, 1776 bis 1909, kämpfte im Verein mit dem Genera] Baird in Portugal gegen Soutt und fiel schon am 16. Januar 1809 bei Coruna in einem mörderischen Kampfe.

"-*') Antoijie Charles Louis Graf von Lasalle, 1775-1809, Edouard Jean Baptiste Milhaud, 1766—1833, Marie Charles ösar Fay, Graf von Latour-Maubourg, 1756-1831, bedeutende n n, i i.-! [ L. Di v i i i on ige nerale.

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mit sämtlichen Garden, mit dem Armeekorps des Herzogs von Elchingen und mit einer Menge Kavallerie und Ar- tillerie nach Guadarrama auf.

Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß die Eng- länder, wenn sie in die Falle gegangen wären, wenig von ihrer schönen Armee nach ihrer Insel zurückgebracht hät- ten. Dem Kaiser ging aber diesmal alles gegen Wunsch. Die Engländer zogen sich beizeiten langsam und in schön- ster Ordnung zurück, und das Wetter war gerade so schlecht, wie es im ganzen Winter nicht gewesen war . . . Auf dem Guadarramagebirge schneite es so sehr, daß Menschen, Pferde und Wagen stecken blieben. Als die Armee mit unsäglicher Mühe jenseits ankam, trat ein un- aufhörlicher Regen ein. Der Schnee ergoß sich in Strömen in die Täler, überschwemmte sie und riß Brücken weg. Die Infanterie konnte kaum durch den Kot durchkommen und mußte öfters bis über den Gürtel im Wasser waten. Darüber wurde die Ungeduld des Kaisers so groß, daß er am 27. in Medina de Rioseco mit einigen wenigen von seinem Gefolge ankam, ehe noch ein einziger Franzose die Stadt hatte erreichen können. Diese Ungeduld wuchs, als er erfuhr, daß ihm die Engländer entgangen waren. Er konnte indes nichts tun, als ihnen seine behenden Chasseure von der Garde unter den Generalen Durosncl-) und Lefehvre- Desnouettes ") nachzuschicken. Ersterer war vorsichtig und begnügte sich mit einigen eroberten Wagen, letzterer schwamm kühn durch die Esla. Die Engländer verstanden keinen Spaß, schickten ihm von Benavente aus einige Ka- vallerieregimenter auf den Mals und nahmen ihn mit vielen seiner Braven gefangen.

Der Kaiser vereinigte sich jenseits Valderas mit Soult, ging nach Benavente und dann nach Valladolid zurück,

«), «) Anleine Jean Auguste Graf Durosnel, 1771-1849 und Charles Graf Lefebvre-Desnouettes, 1773—1822, beides fran- zösische Oenerale. Letzterer zeichnete sich im Kanipl bei Benavente im Januar 1809 aus, fiel aber in die Gefangenschaft der Engländer, aus der er zu entfliehen wußte. 84

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ohne Madrid wiedersehen zu wollen. Soult und Ney ver- folgten sozusagen atemlos die Engänder, die ohne Ver- lust bei Coruna ankamen und Anstalten zur Einschiffung machten. Nur das spanische Korps von La Romana konnte Soult noch erreichen und mit beträchtlichem Verlust in die Gallicischen Gebirge werfen. Am 16. Januar lieferte er die merkwürdige Schlacht bei Coruna. Ungeachtet die Engländer ihre beiden ersten Generale darin verloren, Moore getötet und Baird schwer verwundet wurden, schifften sie sich doch in der Nacht vom 16. zum 17. ruhig ein. Am Morgen des 17. fanden die Franzosen ihre Ver- wundeten verbunden auf dem Schlachtfeld liegend, jeder mit einem Fläschchen Branntwein und etwas Zwieback beschenkt

Wir waren unterdessen in Madrid auch' nicht in der glänzendsten Lage. Der Dienst war wegen der Entblößung an Truppen in dieser Gegend ziemlieh hart, zumal täglich ein Drittel der Leute auf Arbeit zu den Verschanzungen kommandiert wurde, die man beim Retiro anlegte. Die Lebensmittel waren teuer, wegen der beschwerlichen Zu- fuhr aus einer Nachbarschaft, die teils ruiniert, teils im Aufstande war. Die Einwohner legten ihren Haß gegen uns unverhohlen an den Tag; an Umgang mit ihnen war nicht zu denken. Das schöne Geschlecht verschloß sich im Innern der Familien, nur dann und wann sah man in großen alten Wagen, mit schlechtgekleideten Domestiken umgeben, von zwei großen Mulas (Mauleseln) gezogen, eine schwarzäugige Dofia sich von einem Hause zum andern beg«ben. Nur die niedrigste Klasse suchte unsern Umgang, jene unglücklichen Verworfenen, deren Zahl in Madrid immer groß gewesen sein soll und sich durch das allgemeine Elend täglich mehrte. Trotz aller Vorsicht wurden manche unserer Leute ein Opfer dieser verseuchten Elenden. Mancher wurde, von einer Sirene in ein abge- legenes Haus gelockt, daselbst ermordet und dann auf die Straße geworfen. Es gab Spanier, die beim Anblick eines Franzosen die Wut dermaßen überkam, daß sie ihm auf 85

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der Siraße den Dolch ohne besondere Veranlassung ins Herz stießen. Viele wurden au! der Stelle ergriffen und ließen sieh dann gewöhnlich ruhig hängen, ohne die Miene der stummen Verachtung abzulegen. Viele entsprangen, selbst am hellen Talje ; denn erreichten sie nur eine Neben- straße, so waren sie gerettet. Ein Spanier wurde gehangen, weil er einen Franzosen umgebracht hatte. Ein Chasseur geht ahnungslos vorüber, stutzt und betrachtet die braun- gekleidete Leiche mit verschränkten Armen. Da kommt ein Bürger von Madrid des Wegs, ärgert sich über die Neugierde des Franzosen, sticht ihn sofort tot und wird vergebens verfolgt, weil er gleich in den Häusern ver- schwindet.

Unser Leben in Madrid erreichte am 13. Januar plötz- lich sein Ende. Die militärische Verhältnisse hatten sich gänzlich verändert. Als wir nach Madrid kamen, hatte der Fürst von Isenburg, der bei der französischen Armee als Brigadegen eral stand, das Kommando über das Regi- ment Baden und Nassau oder die 1. Brigade der 2. Divi- sion des 4. Korps erhalten und blieb, wie uns der naive Marschall Lefebvre vorausgesagt hatte, bei unserm Ab- marsch wegen des Podagras zurück.

Der Marschall hatte mit den beiden andern Divisionen, wie schon erwähnt, einen Zug an den Tajo unternommen ; wir blieben also in Madrid bloß den Dispositionen des Gouverneurs, des Generals Belliard») und der beiden Bri- gadegenerale, die in Madrid und im Retiro kommandierten, überlassen . . . Der Marsehall forcierte am 24. den Tajo, hinter dem sich noch einige Insurgetiteiihaufen aufhielten. Er ließ nämlich seine Truppen zugleich über die Brücken von Arzobispo und von Almaraz marschieren. Bei letz- terem fand er einigen Widerstand, wobei sich die badische Artillerie ganz besonders auszeichnete. Dann wandte sich

«) Augusün Daniel Graf von Belliard, bedeutender franzö- sischer rjeneral, 1769-1832. Er war die rechte Hand des Königs

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der Marschall, als sei er geschlagen, mit Zurücklassung der eroberten feindlichen Geschütze eiligst wieder auf das rechte Ufer, durchwatete mit Gefahr und Verlust den reißenden Tietar, ging nach Plasenci.i, von da über das hohe Gebirge Sierra de Gredos nach Avila und end- lich über das Guadarramagebirge nach Escorial, von wo er gegen den 10. Januar wieder in Madrid eintraf. Er hatte seit dem 24. Dezember keinen Feind gesehen, aber viele Leute durch Krankheit und Erschöpfung verloren; auch waren einige seiner Bagage- und Munitions wagen stecken geblieben und die Hälfte des Trains zugrunde gerichtet

Der Kaiser rief ihn jetzt zurück, und wir schieden von einander unter Äußerungen wahrer gegenseitiger Zu- neigung.

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6. Kapitel

Talavera. Haß der Einwohner. Übergang über den Tajo

Unterdessen hatte das 1. Korps (Victor) die Gegend von Madrid und Toledo verlassen und sich gegen Cucnca gewendet, wo der Herzog von lnfantado!i) wieder eine spanische Armee gebildet hatte. Die polnische Division, die am untern Tajo vom Herzog von Danzig zurückge- lassen worden war, war nach Toledo gezogen worden. Lasalle fand sich mit seiner leichten Kavallerie am untern Tajo zu schwach, weil sich unterhalb Cuestas eine feind- liche Armee am Ouadiana zusammengezogen hatte. Gene- ral Leval bekam also vom König Befehl, mit unserer 1. Brigade und der badischen Batterie das rechte Ufer des Tajo unterhalb Toledos zu besetzen. Wir brachen am 13. gegen Mittag auf und gingen drei Stunden weit nach dem großen Dorfe Mostoles.

Wir konnten uns gar nicht an die Vorsicht gewöhnen, die die Bosheit der Einwohner erforderte. In den ersten. Tagen kamen nie Meldungen von den detachierten Kom- pagnien. Und zu spät lernten wir, daß man auch auf der

Sl) N. de Silva, Herzag von Infantado, spanischer Staats- mann und General, 1773—1841. Er begleitete Ferdinand VII. nach Rayonnc und schloß sich darauf Joseph Bonapartc an; im nächsten Juhre, 1809, befehligte er ein spanisches Korps und wurde bei Udfs und Tarragona von den Franzosen geschlagen, worauf er von der Junta seines Oberbefehls entscUt wurde. 88

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Landstraße nie einen einzelnen Bewaffneten abschicken dürfe. Die Ordonnanzen wurden ermordet. In der Stadt selbst ging es uns nicht besser. Die Einwohner befanden sich noch in ziemlichem Wohlstand; sie hatten erst die Englander gehabt, die Geld brachten ; dann waren die wilden Haufen der aus Madrid flüchtenden Insurgenten durchgezogen und hatten einige unbedeutende Ausschrei- tungen begangen. Die bedeutendste war, daß sie ihren General, Don Benito San Juan, in der Stadt ermordeten.

Das Korps des Herzogs von Danzig und die Lasalle- sche Kavallerie waren nicht zahlreich genug, um der Stadt während ihres kurzen Aufenthaltes großen Schaden getan zu haben. Und General Leval, der mit uns kam, war ein guter Mann, der die Einwohner nicht mißhandelte. Unsere Deutschen wurden in strengster Mannszucht gehalten und hielten sich ruhig in ihren Klosterkascriicn, ohne c*w;i> vom Einwohner zu fordern. Die Offiziere wohnten in den Bürgerhäusern und hatten ihre Mahlzeiten. Nur die Häuser des Adels wurden etwas mitgenommen, da ihre Eigentümer geflüchtet waren. Man war uns wirklich Dank schuldig I Denn andere, die nach uns kamen, haben es sicherlich schlimmer gemacht. Trotz dieses guten Beneh- mens geschahen Vorfälle, die man sich, auch bei dem ungünstigsten Urteil über die Rachbegierde der Spanier, nicht erklären kann. Auf unsere Schildwachen die meist nur zur Aufrechterhaltung der Ordnung bestimmt waren wurde oft geschossen. Einige wurden schwer verwun- det Auch auf Offiziere, die abends durch die Straßen gingen, fielen einige Male Schüsse aus den Fenstern.

Ich wohnte in einem großen Hause. Ein geräumiger Hof stand voll Zitronen- und Pomeranzenbäumen, deren zeitige Früchte man von der Altane aus pflücken konnte. Die Sparsamkeit der Möbel, die Entblößung von Küche und Keller und noch mehr die Beschaffenheit der Men- schen, die sich für Eigentümer des Hauses ausgaben, brachten mich auf die Vermutung, die sich auch bestätigte, daß der wahre Eigentümer geflüchtet sei und jene sub- 89

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slituiert habe. Es war nämlich im ganzen Hause nur ein altes Männchen mit einer Frau und einer einzigen Magd. Das Männlein war erstaunlich demütig und höf- lich und wußte sich außerordentlich arm zu stellen, worin er im Grund recht haben konnte. Es brachte nebst dem Weiblein den größten Teil des Tages mit And achts Übungen zu. In meiner Stube war ein Muttergottesbild unter einem Glas. Vor demselben unterhielt das Männlein beständig eine brennende Kerze, einem Gelübde zufolge. War ich abwesend, so benutzten die guten Leute die Zeit, um vor dem Bilde auf den Knien zu liegen. Am sonderbarsten war die Kleidung dieses komischen Pärchens. Beide trugen einen Anzug aus braunein Kapuzinertuch und hatten Stricke um den Leib. Sie gehörten zu einer geistlichen Kongre- gation, die zwischen den Mönchen und den weltlichen Menschen ungefähr in der Mitte steht. Doch es ist Zeit, zu unserer militärischen Lage zurückzukehren. Oeneral Lasalle, der sich in Person in Almaraz aufhielt, beschloß, sich durch eigene Untersuchung zu überzeugen, ob die tröstlichen Versicherungen des Marschalls Jourdan«) in Madrid, daß wir von keinem Feinde mehr etwas zu be- fürchten hätten, oder ob die Nachrichten der Spione, die ihn in großer Anzahl gesehen haben wollten, die rich- tigen seien. Er ging daher mit ein paar Kavallerieregimen- tern über die Brücke von Almaraz und den Engpaß von Miravede, um sich nach Trujillo zu begeben, bis er Ge- wißheit über die Mittel bekommen würde, die der Feind gegen uns in Bewegung setzte. Dieser hatte aber unter- dessen ein Heer von 12—18000 Mann, größtenteils alte Linientruppen, vereinigt und mit guten Pferden aus Anda- lusien und mit Artillerie aus der Festung Badajoz, sowie mit Zelten und andern Feldrequisiten versehen. Ein an-

») Jean Baptiste Graf von Jourdan, Marschall von Frank- reich, 1762— 1S33, wurde 1803 Gencralstabschef des Königs von Spanien, welche Stellung er (mit Ausnahme der Jahre 1809—1812) bis 1814 innehatte. 90

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deres Heer von 20000 bis 30000 Mann hatte sich unter dem Herzog von Infantado im Gebirge der Mancha ge- sammelt.

Da nun durch die Nachricht von der Abreise des Kaisers nach Paris und den mächtigen Kriegsrüstungen der Österreicher die anfängliche Niedergeschlagenheit der Spanier plötzlich verschwunden war und den schwindelnd- sten Hoffnungen Platz gemacht hatte, so beschlossen sie, Infantado über Cuenca und Cuesta über Almaraz allmäh- lich wieder gegen Madrid vorrücken zu lassen. Letzterer sollte sich vor allen Dingen des wichtigen Postens von der Brücke von Almaraz bemächtigen und daselbst die Ii! reichen Vcrstiirkiäiigc-n, dii: seiner harrten, erwarten, wenn ihm das Glück nicht sdmt'Kere Fortschritte gestattete. Der Vortrab dieser Armee kam in der Gegend von Trujillo an, als Lasalle über den Tajo ging. Beide Spitzen stießen noch am nämlichen Tage aufeinander. Die Spanier stutzten; die Franzosen benutzten den Augenblick, griffen an und nahmen etliche 40 Kavalleristen gefangen. Dieser unbedeutende Zufall hatte auf die ganze feindliche Expe- dition nachteiligen Einfluß. Die leichten Truppen wichen schnell nach Trujillo zurück und verbreiteten die Nach- richt vom Anrücken einer französischen Armee. Dadurch wurde der spanische Heerführer wahrscheinlich bewogen, zwei Tage Halt zu machen. Lasalle dagegen ging als Sieger, ohne einen Mann verloren zu haben, über den FluB zurück und gewann Zelt, den General Leval in Talavera von der Gefahr zu benachrichtigen. Dieser schickte die Holländer nach Arzobispo und das andere nassauische Bataillon nebst zwei badischen Kanonen nach Almaraz.

Die Spanier kamen erst am 26. zum Vorschein, ließen sich aber den ganzen Tag durch die: braven nassauischeu Voltigeure im Paß von Miravede aufhalten und wurden erst gegen Abend Meister der Berge des linken Ufers, die den Fluß beherrschen. Am 27. bedeckten sie das ganze Ufer mit Truppen und überschütteten die diesseits hinter

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der Brücke nachteilig postierten Nassauer und die badi- schen Kanoniere mit einem Kugelregen. 1 asallr. der mit seiner Kavallerie rückwärts bei Almarai stand, konnte hier nichts helien. Ei sah vielmehr ein, il.ift die Spanier die lirmke beim enteil beherzten Angriff mit Gewalt iichinen muPile:i. Lr beschloß djher. sieh soweit /ururk/u- liehen, bis er Unteritjtmnj; ar. Infanterie und Artillerie erhalten würde. Am 28. vor Tag war das kleine Korps au! dem vorteilhaften Terra») hinter Almaraz aufgestellt und bewerkstelligte .seinen Ruekz.u;; ohne Verlust, nachdem die Toten begraben und die Verwundeten in Sicherheit gebracht worden waren. Tin Unteroffizier mit drei Mann, den die Nassauer kurz hinter sich gelassen hatten, um einen Wagen mit Brot nachzubringen, wurde von den Einwohnern des Fleckens ermordet. Einen verwundeten nassauischen Offizier, der unterwegs starb und in Naval- moral begraben wurde, gruben die Einwohner auf der Stelle wieder ans und hingen ihn a:i einen tiaum.

Auf die Nachricht von diesen Ereignissen verließen wir am 29. Januar 11 Uhr morgens Talavera, wo bloß eine Kompagnie unseres Regiments zur Deckung der Brücke und des Lazaretts zurückblieb. Es war schon dunkel, als wir bei La Calzada, einem großen Dorf unter- halb Almaraz, ankamen. Hier fanden wir das zurück- gewichene Korps und wurden mit Jubel aufgenommen. Man war nun überzeugt, mit dieser Handvoll Leute den Spaniern, die so wenig Unternehmungsgeist zeigten, die Spitze hieteii m kiiniien. Ui:d wirklich, wenn der gute Geist der Truppen viel zum glücklichen Udingen der Ge- fechte beiträgt, so hatten wir alle Ursache, darauf zu hoffen. Die Kavallerie von Lasalle, alle Badener, die Nassauer, alle waren untereinander wie Brüder, und jedes Korps für sich war von dem größten Vertrauen zu seinen Anführern beseelt. Nie waren Truppen besser miteinander, zumal Franzosen und Deutsehe, Kavallerie und Infanterie! Brüderlich teilten die Franzosen mit uns den Platz und die Lebensmittel. Lasalle litt nicht einmal, daß wir Dienst 92

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gegen den Feind taten oder biwakierten. Unsere Infante- risten waren sämtlich in einem großen Kloster zusammen und hatten nur die nötigsten Sieherheits wachen um den Ort „Wir müssen die braven Deutschen schonen," sagte Lasalle, „wenn's gilt, sind sie am härtesten dran."

Am 31. Heß er einige hundert Kavalleristen über Navaimoral bis gegen Almaraz rekognoszieren. Sie fanden nur etwas feindliche Kavallerie in der Nähe des Orts.

Die Polen waren unterdessen von Toledo nach Tala- vera gerückt. Unsere zurückgebliebene Kompagnie traf am Abend des letzten Januar bei uns ein und sagte uns, daß die Einwohner von Talavera bis zur Ankunft der Polen nur mit Mühe im Zaum zu halten gewesen wären.

Da der Feind keine Miene machte angriffsweise vor- zugehen, und wir nun auch für den Notfall in Talavera einen Rückhalt hatten, so' konnten wir am 1. Februar ausgedehntere Quartiere nehmen ; Navaimoral wurde wieder besetzt. Unser Regiment ging eine halbe Stunde in der Ebene seitwärts nach dem kleinen Dörfchen Calde Ruela. Die unglücklichen Einwohner hatten sämtlich bei unserer Annäherung das Örtchen mit beinahe allen ihren Vorräten im Stich gelassen. Wir teilten uns in die leeren Häuser und gaben strenge Order, nichts zu nehmen und zu verderben, was wir nicht notwendig brauchten. Alle Häuser waren innen sehr reinlich und hingen voll Heiligen- bildchen, meist in goldenen Rahmen. In mehreren Häusern fand man Pferdehaarmatratzen, und alle Böden lagen voll herrlichem Weizen, den der fette Boden bei Calzada her- vorbringt . . . Wir besetzten den Gebirgsrücken mit hin- länglichen Wachen und patrouillierten sie von allen Seiten ab. Da fanden wir denn in einer der entlegensten Falten der Berge die Einwohner des Orts bei einer Schäfer- hütte versammelt Es kostete nicht viel Mühe, die armen Menschen zu veranlassen, mit uns umzukehren und ihre eigene Wohnung mit uns zu teilen. Wir fanden auch hier, daß die Einwohner an der Grenze von Estremadura sich besser kleideten als im Innern Castiliens. Das einförmige 83

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Schwarz wird mitunter durch helle Farben unterbrochen; man sieht viele rote Strümpfe und bei den Frauen rote und grüne Leibchen.

Am 3. fand eint' große Rekognoszierung statt. Mar- schall Virtor, Herzog von Belluno, war im Anmarsch gegen Talavera begrilfen, nachdem er den Herzog von Infantado unweit Uclts geschlafen, seine Armee größten- teils vernichtet und über 10000 Mann gefangen hatte. Dies ließ uns endlich das furchtsame Betragen Cuestas begreifen, der eine Handvoll Menschen nicht anzugreifen wagte, die, überall von Feinden umgeben, auf einer schma- len Erdspitze gegen ihn vorgeschoben war. Unsere Brigade ging 3 Stunden vorwärts nach dem großen Dorfe Pera- leda und detachierte einzelne Kompagnien seitwärts und vorwärts nach Valdehuncar und Belvis de Monroy, um Tajo und Almaraz zu beobachten. Die Nassauer, unter- stützt von einem Kavallerieregiment, gingen bis Almaraz vor, ohne den Feind zu finden. Nassau drang bis gegen die Brücke, indem es die feindlichen Piketts vor sich her trieb, kam aber unter das Kreuzfeuer von 8 Geschützen, die der Feind in seinen jenseitigen Batterien aufgestellt hatte, und verlor dadurch einige Leute. Die 1. Brigade wurde wieder nach Navalmoral zurückgezogen, nachdem man sich überzeugt hatte, daß der Feind in beträchtlicher Stärke hinter der Brücke stand und sich verschanzte. In Erwartung des Herzogs von Belluno blieben wir mehrere Tage in dieser Stellung ganz ruhig; doch waren wir sehr auf unserer Hut. Paraleda hatte noch seine Einwohner, die von uns so wenig als möglich gekränkt wurden. Wir hatten, da kein Kloster vorhanden war, unsere Leute in die Bauernhäuser gelegt, ohne daß von beiden Seiten Klage kam. In einem Hause fanden wir ein Hackbrett (Lieblingsinstrument des spanischen Volks); auch ent- deckten wir einen karikaturmäßigen Alten, der ein Vir- tuose im Bolero- und Fandangospielcn war. Kaum er- klangen die Saiten, begleitet von einem äußerst komischen, eintönigen Oesang des estremadurischen Künstlers, so 94

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konnten einige junge Leute der Begierde nicht widerstehen, einen Augenblick die Feindschaft gegen uns zu vergessen und sich ganz dem entzückenden Tanz hinzugeben.

Unterdessen war das 1. Armeekorps wirklieh in unserm Rücken angekommen. Der Marschall, Herzog von Belluno, hatte sein Hauptquartier erst nach Talavera, dann nach Oropesa verlegt. Wir waren als 4. Division unter sein Kommando getreten und bekamen nun Befehl, die Brücke von Almarai, es koste was es wolle, zu forcieren. Er wollte bei Arzobispo den Tajo passieren und den Feind durch das Oebirge in der rechten Ranke angreifen.

Wir gingen am 10. morgens nach Navalmoral und vereinigten uns daselbst mit der 1. Brigade, der badischen Artillerie und ein paar Kavallerieregimentern der Division Lasalle. Die Avantgarde wurde aus den primatischen, badischen, hessischen und nassauischen Voltigeuren (zu- sammen rj Kompagnien) und aus einem Zug franzö- sischer Jäger zu Pferd gebildet und unter mein Kom- mando gestellt.

Ich sollte den Feind schnell durch den Flecken Al- maraz vor mir hertreiben, dort einige Einwohner zu fangen suchen, um Rache" wegen der Oreueltaten beim ersten Rückzug' der Nassauer zu nehmen; dann, beim Nach- rücken der Division, sollte ich soweit gegen die Brücke vorrücken, als es die Umstände ratsam machen konnten. Zum Unglück hatte es inzwischen so fürchterlich geregnet, daß unsere Leute vor Nässe zitterten und kaum die Ge- wehre zum Losgehen bringen konnten. Dieser Umstand ist für einen Anführer leichter Truppen oft schlimmer, als wenn man ihm die Hälfte seiner Leute nähme. Bei dem bravsten Soldaten, wenn er naß und hungrig ist, meldet sich die natürliche künstlich verscheuchte Feigheit als ungebetener Gast. Ich empfand dieses heute bei meinen Leuten, die durch die schlechten Wege und das Hin- und Herbewegen durch Berg und Tal und Wald unend- lich ermüdet wurden und gar nichts zu essen fanden ; und es Hei mir schwer und ermüdete mich doppelt, sie wieder 95

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in das schon gewohnte Geleis der Bravheit zurückzu- bringen.

Ich fand Almaraz verlassen, doch witterten meine Spürhunde noch drei Männer aus, die sich in einem Keller verborgen hatten. Ich ließ sie an das Divisionskommando abgeben und trieb nun die schwachen feindlichen Piketts vor mir her bis auf die Höhe vor der Brücke, wo die Chaussee sich dreht und ein Kreuz steht Da dieser Punkt wegen des jenseitigen Feuers gar nicht zu behaupten ist, so ließ ich ihn im Besitz des Feindes und bemächtigte mich dagegen der beiden Berge, die ihn und die Brücke von beiden Seifen umklammern. Hier rekognoszierte ich den Feind mit dem Divislonsgcncral sehr genau. Er hatte die Brücke jenseits durch einen Querwall verstellt, durch den nur eine schmale Tür führte, die in einer Höhe von 6 Fuß mit Erde bedeckt war. Die Kavalleriepatrouillen, die man bisher zuweilen von Almaraz gesehen hatte, konn- ten also nur einzeln herübergekommen sein, das Pferd hinter sich herführend. Von der Brücke lief auf beiden Seiten eine lange Brustwehr am Ufer hin. An der Mitte des Abhangs war eine zweite Linie von Batterien mit S Geschützen, deren Feuer sich kreuzte. Oben war das Lager unter Zelten. Es erstreckte sich rechts bis gegen Valdecanas, rückwärts bis Casas de Miravede und endigte links im Tal des Cancelejabachs. Wir hatten den Spaß, sozusagen jeden Mann sehen zu können und recht vornehm nach Standeswürde empfangen zu werden.

Beide Linien waren mit Truppen angefüllt, die ihre Gewehre unaufhörlich abfeuerten, obwohl kaum eint Kugel der Vordersten zu uns gelangen kunnle. Dagegen warfen sie uns eine .Menge Haubitzgranaten unter die Nase, die uns sehr inkimimudierten, aber nichts schadeten, weil wir uns immer zerstreuten. Als der General nach Almaraz /uriiikgekrhrt war, schickten sie einige Kompagnien heruber, die mich von dem vordersten Berg verjagten, wo ich eben nn Begnlf war, verlorene Posten auszu-

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Sobald Ich wieder in Verbindung mit meinen Haupf- fruppen war, ließ ich die Spanier aufs neue auf die Brücke zurückwerfen, darüber wurde es Nacht. Ich traf alle Sicherheitsmaß regeln, ließ den Berg zur Linken durch eine Kompagnie aus dem Lager von Almaraz unterstützen und begab mich, von Nässe, Ermüdung und Hunger erschlafft, zum Hauptposten an der Chaussee. Um Mittemacht wollte ich die diesseitigen spanischen Piketts aufheben. Die Sache mißglückte jedoch, wahrscheinlich nur weil meine Leute zu abgespannt waren. Ich mußte auch langsam gehen, da wir den andern Morgen ein schweres und, wenn die Götter nicht halfen, unmögliches Stück Arbeit vor uns hatten. Doch' entdeckte ich bei dieser nächtlichen Rekognoszie- rung, daß die Spanier tüchtig auf der Brücke arbeiteten, und schloß daraus, daß sie mit der Absicht umgingen, sie ins Wasser zu stürzen. Als es Tag wurde, sahen wir die Herren wieder hübsch unter den Waffen stehen. Ich hielt mich ruhig und erwartete Befehl zum ernstlichen Angriff. Auffallend war es mir, von der spanischen Armee, die gegen uns über 12000 Mann stark war, nichts gegen das im Anmarsch vorgeschobene Victorsche Korps über Valde- canas abmarschieren zu sehen, da wir doch kaum über 4000 Mann stark und durch unüberwindliche Naturhinder- nisse von ihnen getrennt waren. Da die Spanier sahen, daß ich ruhig blieb, schickten sie einige Kompagnien Herüber, die mich herausforderten. Ich gab mich indes wenig mit ihnen ab, hielt meine Leute außerhalb des feind- lichen Geschützt euers und ließ den Feind nur abweisen, wenn er sich weiter wagen wollte.

Um 9 Uhr kam Oeneral Schiffer") zu mir herunter und sagte mir im Vertrauen, daß der Rückzug an- getreten würde. Der Herzog von Belluno hatte den Marsch über die Brücke von Arzobispo aufgegeben,

") Konrad Rudolf Freiherr von Schäffer, groBherzoglich ba- discher Oeneral, 1770— 183B, führte die Rheinbundtruppen auf Na- poleons Wunsch nach der Pyrenaischcn Halbinsel. 7 OwHT. Span. FrdWUfciiiipt- 97

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weil er von gefährlichen Bewegungen hinter dem Tietar gehört hatte.

Der Feind hätte mir auf dem Rückzug Abbruch tun können. Ich Heß daher seine Vorposten ganz zurückwerfen und stellte die meinigen aus, als wollte ich die Nacht da- bleiben. Durch diese Anstalten beruhigt, ließ der Feind seine Truppen, die seit vorigem Mittag im Gewehr standen, größtenteils ins Lager einrücken.

Jetzt erhielt ich Order zum Rückzug. Alles war schon vorbereitet, und ich kam, nur von einer feindlichen Pa- trouille verfolgt, ohne Verlust nach Almaraz zur Division.

Vor der Front des aufmarschierten Korps fand ich die ganze Generalität um einen Birnbaum beschäftigt. Ich wurde sehr gnadig empfangen und eingeladen, an der be- gonnenen Aufhärgefeierlichkeit teilzunehmen. Es war nämlich von nichts mehr und nichts weniger die Rede, als die drei armen Teufel, die ihr Unstern am vorher- gehenden Tag in meine Hände hatte fallen lassen, an den Birnbaum zu hängen. Man hatte die ermordeten Nassauer in verstümmeltem Zustande ausgegraben, auch waren in einem Keller 12 Polen mit ausgestochenen Augen, ab- geschnittenen Nasen, Ohren und Fingern usw. gefunden worden, die sich hier wahr.schiin'ich hei der Lefebvreschcn Expedition besoffen und durch die Bauern den Zustand ihrer Bewußtlosigkeit verewigt erhalten hatlen. Da slanden die drei armen Tröpfe in ihren braunen Jacken, die Hände auf den Rücken gebunden, den Strick schon eng genug um den Hals gezogen, sagten kein Wort und schnitten Gesichter. Die Nassauer sollten den ersten hängen. Aber es wollte gar nicht recht vonstatten gehen, und er fiel mehrere Male herunter. Der Chef des Gcneralstabs, Oberst

A , ein roher Mensch, rief dem General Schäffer

zu: „General, vos gens font mal leur besogne!" „Ce sont de mauvais bourreaux, mais de bons soldats," ent- gegnete Schäffer hastig.

Unterdessen hatten die französischen Chasseure schon Gelegenheit gehabt, zu zeigen, daß sie das Handwerk 98

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hesser verstanden. In wenig Augenblicken hing der zweite Spanier an einem andern Ast. Oberst A. applaudierte und [orderte nun dieBadenser auf, sich mit dem dritten Spanier in den originellen Wertkampf der Nationen einzulassen. „Wer soll mich denn dann durch den verdammten Sumpf nach Belvis führen?" rief mein Oberst dagegen. „HabenSie etwa einen andern Boten? Oder soll ich mit meinen müden Leuten wagen, im Kot stecken zu bleiben? Nicht wahr," rief er dem schon halb erstickten Spanier ins Ohr, „du kennst den Weg gut? Du nickst? Wohlan denn, den Strick vom Hals und an die Hände gebunden, und marsch mit ihm voraus. Der Kerl, meine Herren," wandte er sich zu den Franzosen, „wird heute abend ebensogut in Belvis hängen und vielleicht noch lustiger als hier." DaS er nicht gehängt wurde und wir ihn an Ort und Stelle bringen ließen, bedarf keiner Erwähnung.

Unsere 1. Brigade war mit der Artillerie, einem Ka- vallerieregiment und dem Generalstab in Navalmoral, die 2. hatte Belvis de Monroy, Casas de Belvis, Millanes und Valdehuncar besetzt. Die übrige Kavallerie nahm ihre Quartiere nördlich dergestalt, daß sie den Tietar beob- achtete.

Am 15. zogen wir wieder gen Almaraz mit zwei Ko- lonnen von Navalmoral und Belvis aus. Das erste Korps ging an diesem Tage wirklich bei Arzobispo über den Tajo, schickte uns aber seinen Artillerietrain, um unter unserm Schutze über die Brücke von Almaraz zu gehen. Wir rückten diesmal mit den Regimentern bis auf Kanonen- schußweite an den Feind, der seine diesseitigen Piketts eingezogen hatte, ohne einen Schuß zu tun. Begierig, was daraus werden sollte, ging ich mit den Voltigeuren ver- streut gegen die Brücke vor. Ein Offizier in roter Uniform {wahrscheinlich ein englischer Oenieoffizicr) war jenseits mit lebhaften Anstalten und vielen Menschen und Pferden beschäftigt. Auf seinen Wink zogen die Pferde an, und im Augenblick stürzte die Hälfte der Brücke mit schreck- lichem Geprassel in den Abgrund. T 9Q

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Der Plan zum Angriff für den folgenden Morgen war ungefähr so: in der Nacht sollten unter dem kleinen Ge- wehrfeuer des Feindes am vorderen Abhang der beiden Berge, die die Brücke einfassen, zwei Batterien, jede von 6 Geschützen, aufgestellt werden, unter deren Kreuzfeuer wir am andern Morgen die Brücke bezwingen sollten. Die Batterien kamen ungeachtet der Schwierigkeiten und der Gefahr der Arbeit bis zum Morgen recht gut zustande. Eine Menge von Säcken und Baumwolle, die die Artillerie aus Navalmoral mitgebracht hatte, taten hierbei treff- liche Dienste, indem sich die Arbeiter gleich anfangs da- durch gegen das feindliche Feuer zu decken wußten. Diese Baumwolle gehörte einem Pariser Handelshaus, das wäh- rend der Anwesenheit des Königs Joseph in Madrid und des Herzogs von Abrantes (Junot) in Lissabon auf diesen Artikel im großen spekuliert hatte. Sie kam glücklich von Lissabon nach Badajoz. Als sie aber in vielen Par- tien zwischen hier und Madrid unterwegs war, brach die Revolution in Spanien aus, und die Baumwollen wagen wurden überall aufgehalten.

Am 16., als es Tag wurde, sahen wir den Feind mit vielen Truppen in seiner rechten Flanke gegen Valdacanas abmarschieren. Ein Reservekorps, das stehen blieb, zog sich außerhalb unseres Schicßbercichs auf die Höhen von Miravede zurück. Mit Verdruß sahen wir, daß wir dem Feind in keiner Weise etwas anhaben konnten. Von der Brücke war ein Stück von mehr als 80 Fuß in den Ab- grund hinuntergestürzt. Wie konnten wir daran denken, sie wieder herzustellen in einer Gegend, wo es kein an- deres Holz als kleine krüppelliafte Encina und Korkeichen gibt? Im Arger ritt ich zur Batterie rechts hinüber. Man fuhr einige Geschütze noch weiter rechts auf die Höhe, unterhalb der Brücke, die dem Cancelejatal gegenüber- liegt. Von hier aus sandte man einige Kugeln in das spanische Lager, das dort noch stand. Die Spanier fuhren ihr Geschütz auf und antworteten eine Zeitlang tapfer. Darüber wurde ich gerufen und ritt nun bene relicta par- 100

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mula aus dem unangenehmen Gepfeife, das mir schaden, aber nichts nützen konnte, ganz gern wieder zu unserm Lager zurück, wo wir recht ossianisch das Feuer von tau- send Eichen emporlodern ließen.

Am 17. mittags kam endlich der Befehl vom Herzog von Belluno, die Artillerie, eine Sappeurkompagnic und ein Kavallerieregiment stehen zu lassen, um in Almaraz Mittel zur Wiederherstellung der Brücke vorzubereiten. Wir sollten der Armee des Herzogs eiligst über Arzobispo folgen.

Wir begingen den großen und hier wirklich unverzeih- lichen Fehler, statt des breiten Wegs über Navalmoral die elenden Nebenwege über Bilvis de Monroy, Valdehuncar und Peraleda einzuschlagen. Gleich anfangs liefen wir uns in den Sümpfen fest. Es war schon Nacht, als wir die steilen Felsen von Belvis zu erklimmen anfingen. Da pur- lelte denn einer über den andern. So ging es fort die halbe Nacht hindurch, ohne daß man in den engen schmutzigen Wegen bedeutend vorwärts kam. Es war längst Mitter- nacht vorbei, als wir endlich Peraleda erreichten. Wir hatten nicht mehr als höchstens vier Stunden Wegs zurück- gelegt und waren ermüdet wie von einem zehnstündigen Marsch. Wir waren gezwungen, unsre armen Leute ein paar Stunden in die Häuser treten zu lassen, bis der Tag graute. Dann marschierten wir weiter nach Arzobispo, das noch fünf kleine Stunden von Peraleda entfernt liegt. Das Städtchen liegt an einer freundlichen kleinen Ebene des Tajo, die eine herrliche Vegetation hat. Wir fanden es von allen Einwohnern verlassen, trafen aber mit den Holländern wieder zusammen, die hier bisher gehaust hatten. Die guten Herren hatten sich ordentlich einge- richtet, buken Brot und brannten eine Art Branntwein, der uns bei gänzlichem Mangel an Wein (seit mehreren Tagen) gute Dienste tat.

Am 19. gingen wir über die schmale Brücke auf das linke Tajoufer und schlugen den Weg nach dem Engpaß des Guadalupe sehen Gebirgs von San Vicente ein. Wir 101

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durchwateten den Pedroso und kamen über Valdelaeasa nach einem Marsch von 7 Stunden ins Lager vor Mohe- das. Hier stießen wir wieder zum braven Lasalle, der in der linken Flanke des 1. Armeekorps Posto gefaßt hatte. Er empfing uns mit seiner gewöhnlichen militärischen Herzlichkeit, und seine Leute teilten ihren ganzen Vorrat mit den unsern. Diese hatten mehr Fleisch, als sie ver- zehren konnten, und lobten daher die gebirgige Gegend außerordentlich.

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7. Kapitel

Rückmarsch über den Tietar. Szenen in dem der Wut des Kriegers überiassenen Arenas. Abberufung aus Spanien

Am 20. wollte der Marschall dem Feind auf dem linken Ufer der Qaliia eine Schlacht liefern. Wir sollten das Guadalupesche Gebirge durch den Engpaß von San Vicente übersteigen und jenseits dem fliehenden Feind in den Rücken fallen.

Der Plan schien kühn, aber unser würdig zu sein. Mit Freuden ergriffen wir die Waffen aber verwundert sahen wir uns an, als wir, statt unsern Weg südlich zu folgen, in dem schmalen Tal nördlich geführt wurden. Unweit Torlamoras wurde Halt gemacht, dann gingen wir nach Mohedas zurück und bezogen das alte Lager. General Merle trug mir auf, die Vorpostenkette gegen den Paß hin mit der größten Sorgfalt und Vorsicht auszu- stellen. Kaum war ich hiermit einigermaßen zustande ge- kommen, so wurde ich zum Divisionsgeneral Leval nach Mohedas gerufen. „Wir sind hier nicht mehr sicher," sagte mir der General, indem er mich zur Seite nahm. „Ich habe sämtliche Grenadierkompagnien aus dem Lager herein auf den Kirchhof bestellt. Daraus formieren Sie ein Elitebataillon, auf das ich mich im schlimmsten Fall verlassen kann. Umstellen Sie den Ort so mit Wachen und Piketts, als hätten wir jeden Augenblick vom Feinde einen Oberfall zu befürchten." Ich ging sogleich ans Werk, 103

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organisierte ein prächtiges Bataillon und rannte mich bis tief in die Nacht hinein müde, um alle verlangten Anstalten zu treffen. Mit Schweiß bedeckt kam ich endlich zum General, um ihm Rapport abzustatten. „Sie haben sich sehr angestrengt," sagte er, „hätte ich gewußt so hätte man's freilich sparen können. Aber setzen Sie Sich und essen Sie; es wird noch etwas Braten da sein." Ohne den Sinn dieser abgebrochenen Rede ganz zu fassen, fiel ich hungrig über die Bratenreste her. Darüber kam Lasalle und fluchte auf gut soldatisch auf die schlechten Vorbe- reitungen, auf die Unbestimmtheit und Zweideutigkeit der Befehle, auf den unbefohlenen Rückzug, statt eines be- herzten Angriffs.

Ohne den Feind auch nur zu sehen zu bekommen, blieben wir in unserm Lager ruhig bis zum 24. General Leval hatte vom König Joseph Befehl bekommen, über den Tietar zu gehen und blutige Rache an den Rebellen und Mördern zu nehmen. Sobald die Armee auf das linke Tajoufer gegangen war, hatten die Gebirgsbewohner jen- seits des Tietars den Gehorsam wieder verweigert Ein Detachcment vom 25. westfälischen Dragonerregiment wurde daher nach Arenas geschickt, um die Ordnung wieder herzustellen. Die Einwohner empfangen sie mit großer Höflichkeit und Unterwerfung und bitten sich aus, in guten Quartieren Gastfreundschaft gegen sie ausüben zu dürfen. Und richtig geben die ehrlichen, nuch nicht lange von der Heimat entfernten Hessen in die Falle. Kaum sind sie alle in Quartieren vereinzelt und lassen sich fröhlich den vorgesetzten Wein munden, so stürzen die Ein- wohner über sie her und ermorden sie jämmerlich. Ein einziger, der einen Ordonnanzritt gemacht, eben ange- kommen war und sein Pferd noch gesattelt gelassen hatte, hört den Lärm, schwingt sich wieder aufs Roß, sprengt mitten durch die Mörder, entkommt glücklich und bringt die Nachricht von dieser entsetzlichen Oreueltat . , .

Die Unruhen hinter dem Tietar wurden jetzt um so bedenklicher, da die 10000 Mann der Armee des Infan- 104

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tado, die Belluno nach Madrid gefangen geschickt hatte, bis auf 1500 Mann entkommen waren. Sie gingen meist durch das Gebirge nach Plasencia und von da zur Armee Cuestas.") Nun fingen sie an, sich mit den Insurgenten hinter dem Tietar zu vereinigen, und diese verschanzten sich, wie man hörte, brachen Brücken ab und besaßen sogar schon Geschütz.

Wir marschierten also am 24. über den Tajo zurück. In Arzobispo ließen wir Primas; die Hessen gingen nach Talavera; mit Nassau, Baden und Holland marschierten wir über Oropesa nach Parillos und bezogen zwischen hier und Montesclaros nach einem Marsch von 5 Stunden ein Lager. Einige Voltigeure wurden noch bis Hontanaras vorgeschickt, um in der Stille die Brücke zu beobachten und den Feind, wenn sie noch stünde, vom weiteren Abbrechen abzuhalten.

Am 25. brachen wir wieder auf und hatten nach zwei Stunden den Tietar erreicht. Hier stieß noch ein Dragoner- regiment zu uns, das von Madrid kam. Es konnte uns offenbar im Oebirge nichts nützen, aber man hatte es, der Gutmütigkeit der Deutschen mißtrauend, zur Voll- ziehung des Strafurteils gegen Arenas auserlesen.

Wir fanden die Brücke unbesetzt. Die feindlichen Vorposten hatten sich bis ans Gebirge zurückgezogen, das hier zwischen seinem Fuß und dem rechten Ufer des Flusses ein Tal von der Breite einer Viertelstunde läßt. Mit dem Abgebrochensein der Brücke hatte es auch nicht viel zu bedeuten. Sie ist von Stein, gewölbt und oben hoch mit Erde aufgeschüttet und gepflastert. Das Pflaster und die Erde hatten die Feinde auf der rechten Seite weg- genommen und dadurch ein großes Loch hervorgebracht. Das eigentliche Gewölbe stand aber noch. Es wurde uns also leicht, mit der Infanterie einzeln hinüber zu klettern und mit den noch vorhandenen Materialien das Loch

•») Qregorio Garcia de la Cutsta, spanischer General, 1740 1*1812.

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wieder zuzuwerfen. Unsere Leute griffen, obwohl wir keine Instrumente hatten, doch brav zu, und in einer Stunde konnte auch die Kavallerie hinüber. Um dem un- erfahrenen Feind, der uns von seinen Bergen aus zusah, zu imponieren, füllten wir die ganze Ebene mit Truppen an, indem wir aus jedem Glied ein Bataillon formierten und demnach 18 Bataillone aufmarschieren ließen. Am Fuße des Berges bildeten wir uns dann schnell wieder, gingen durch das verlassene kleine Dörfchen Ramacastanas und fingen an, in zwei Kolonnen den Berg zu erklettern. Auf dem oberen Absatz stand der Feind hinter einem Verhau und Verschanzungen. Er empfing uns, ehe noch eine Kugel uns treffen konnte, mit einem lebhaften Kleinge- wehrfeuer und einer Salve, lief aber, als er uns mit dem Gewehr im Arm ruhig in Kolonne mit gerichteten Zügen vorwärts marschieren sah, eilig rückwärts den Berg hinunter.

Die Voltigeure, die nun in wenigen Augenblicken durch das Verhau gesetzt waren, konnten nur noch einen Tambour töten, der über seine Trommel stürzte. Wir hielten uns in diesen armseligen Verschanzungen nur einen Augenblick auf, um der nachfolgenden Kavallerie Platz in dem unbedeutenden Verhau zu machen. Alles lachte, als wir die zurückgelassene feindliche Artillerie nun betrachteten. Sie bestand aus zwei Geschützen. Das eine war ganz aus Holz geschnitzt, das andere war ein Prozessionsböller, auf umgekehrten Pflügen befestigt, die ihm zur Lafette dienten. Sie hatten diese gewaltige Waffe mit Knöpfen, Nägeln usw. ganz voll geladen ; daher pfiff uns auch der Schuß so sonderbar über den Kopf weg. Natürlich war auch die ganze Maschine durch den Rück- stoß des einzigen Schusses über den Haufen gestürzt.

Ein schrecklicher Anblick bot sich uns dar, als wir nun mit Geschwindschritten auf das hübsche Städtchen Arenas losgingen, das am Flüßchen gleichen Namens liegt Die sogenannten Verteidiger sah man regellos zwischen wehrlosen Greisen, Weibern und Kindern entfliehen. Ihr 106

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Jammergeschrei hallte im Echo der Berge furchtbar wieder. Widerstand gab es nicht. Nur auf viele tausend Schritt sah man die Elenden, die die andern durch ihre Prahle- reien zum Aufruhr verleitet hatten, ihre Gewehre abfeuern und davonlaufen. Einige Traversen und Palisaden, die wir noch auf dem Wege fanden, hielten uns gar nicht auf. Das Korps war bald in der Stadt, wo die wenigen Unglücklichen, die vor Krankheit nicht hatten entfliehen können, alle jämmerlich ermordet wurden. Das Städtchen war der Wut des Kriegers auf jede Art preisgegeben.

Zum Glück brauchte mein Auge an diesem Jammer keinen langen Anteil zu nehmen. Die Regimenter ließen nur ihre Grenadiere zum Schutze der Generale zurück und eilten den Flüchtlingen auf drei verschiedenen Seiten nach. Das Dragonerregiment lagerte sich auf der Wiese beim Ort. Uns traf die Reihe, den Feind in der Haupt- richtung gegen Arenas zu verfolgen. Ich führte mein Ba- taillon schnell aus der Stadt und erkletterte den sehr steilen Traubenberg, während die Voltigeiire von Fels zu Fels, von Kluft zu Kluft mit den Menschen eine Art Hasen- jagd trieben. Überall fanden wir geflüchtete Effekten, die die Leute im Laufen verloren hatten. Diese zeigten uns den Weg zum spanischen Lager, das auf der steilsten Höhe verborgen angebracht und umsonst als ein sicherer Zu- fluchtsort betrachtet worden war. Es bestand aus großen wohlgebauten Erdhütten, in denen unsere Leute viel Beute machten.

Sobald es anging, berief ich die vorgeschickten Abtei- lungen von der schrecklichen Jagd ab. Der Divisionsgene- ral lieö sagen, man solle einige Gefangene lebendig ein- schicken, um Nachrichten von ihnen zu erhalten. Meine Leute hatten eine Mutter mit zwei Töchtern eingefangen. Die Frau war französischen Ursprungs und schien mir schon darum gesichert. Ich schickte sie also hinunter und ließ sie dem ältesten Grenadicrkapitän, einem sehr wohl- denkenden Mann, empfehlen. Dennoch hatte dieser alle Mühe, die unglücklichen Weiber, die durch ihren Anstand 107

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schon Achtung und Mitleid einflößten, zu sichern. Nur mit Gefahr seines Lebens barg er sie beim Divisionsgeneral.

Schlimm genug war es, daß wir, um Lebensmittel zu erhalten, unsere Leute nach und nach in die Stadt hinuntergehen lassen mußten. An den Sachen, die sie he rauf schleppten, sah man, welcher Wohlstand in dem Orte geherrscht haben mußte. Ich brachte die Nacht in- mitten kahler Felsen auf den wollüstigsten neuen Matratzen zu. Die Menge des trefflichsten Weines, der in dem Ort war, ist kaum glaublich. Wir hatten ein ganzes Armee- korps ein Vierteljahr lang damit versehen können. Er floß nicht allein in den Keilern, sondern auf den Straßen. Dadurch wurde denn auch die Unordnung immer größer, denn bald war die ganze Division bis auf die Offiziere betrunken.

Um 8 Uhr abends ließen sich die Dragoner nicht mehr halten. Gleich den Furien Feuerbrände schwingend, stürzten sie in die Stadt. In wenigen Augenblicken war kein Haus, das nicht in hellen Flammen stand. Die Obersten und Generale, die sich in den Häusern eingenistet haften, fanden selbst kaum Zeit, sich mit ihren Pferden und Effekten in dem Schlößchen zu bergen, das bei der Stadt liegt und der Königin gehört hatte. Mehrere Sol- daten, die viehisch besoffen in den Häusern eingeschlafen waren, verbrannten darin. Die Dragoner zogen ein zittern- des Weib aus einem Keller, schändeten sie auf der Straße bis zur Ohnmacht und warfen den zuckenden halbent- seelten Körper in die Flammen ihres eigenen Hauses.

Diese und andere Greuel habe ich aus dem Munde meines Obersten und des Grenadicrkapitiiiis, zweier edler Männer, die Augenzeugen waren und taten, was sie konnten, um das Elend zu mindern, ich selbst sah von dem, was unter dem Schleier der fürchterlichen Nacht verübt wurde, nur das Schöne. Ermüdet kam ich in der Nacht von den Vor- posten zurück, nachdem ich gegen jeden möglichen An- griff Sich erheits maß regeln getroffen hatte. Unordentlich durcheinander, mit verstörten Zügen und gesträubten 108

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Haaren, lagen meine Leute hier und da auf dem Felsen in lethargischem Schlaf. Einzelne taumelten noch herum, den Weinschlauch unterm Arm, oder streckten sich am Feuer und schlürften aus dem göttlichen Bocksfelle. Un- mutig über mich selbst und über das erbärmliche Men- schenvolk stellte ich mich allein auf des Felsens höchsten Gipfel und starrte hinaus in die weile Nacht. Frühlings- lüfte wehten sanft und freundlich. Der herrliche südliche Himmel mit seinem Slernenmeer war über mir ausgebrei- tet. Unter mir rauschte das Arenasfliilidicn. Die drei Berge waren durch die drei Lager mit feurigen Klumpen be- deckt. Um dieselben zog sich ein weiter zusammenhängen- der Zirkel von Vorpostenfeuern. Im Städtchen glänzte vorn das Schloß von vielen Lichtern erhellt und seitwärts das Biwak der Dragoner. Da entwickelte sich vor meinen Augen die fürchterlich schöne Szene des Anzündens der Sfadt In kurzem waren die Umrisse jeden Hauses im Feuer gezeichnet. Gewiß, es würde ein Schauspiel für die Feste der Götter Julians gewesen sein, in die flammen- bedeckte Hölle Konstantins zu sehen, wenn nur Teufel darin brieten und nicht auch arme schwache Menschen, die ihr eigener Oott verführte.

„Feuerbrände!" donnerte ich unter meine taumeln- den Bacchanten. „Feuerbrände herbei! Ich will euch ein Fest geben, wie es Nero vergebens an den sieben Hügeln versuchte! Feuerbrände! In zehn Minuten muß das ganze spanische Lager vor der Front in Flammen stehen!" Bald loderte auch hier das Feuer, vom Harz der Tannen genährt, wetteifernd zum Himmel, und zu gleicher Stunde sanken vor mir die künstliche Stadt und hinter mir die echte in Asche. Ich blickte weit um mich her. Keine Spur des Feindes. Auf einer einzigen hohen Kuppel gegen Arenas hin brannten feindliche Feuer in der Entfernung von drei Viertelstunden Wegs . . .

Von den Beherztesten, die noch auf den Beinen waren denn die wirklich Mutvollen hclrinken sich nicht so leicht schickte ich eine kleine Schar Freiwilliger den 109

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für unersteiglich gehaltenen Felsen hinauf, wohin sie die Hoffnung auf neue Beute zog. Ich befahl, den Feind zu ver- jagen, aber keine Gefangenen zu machen. Das geschah. Man hörte nur wenige Schüsse. Vor Tag kamen meine Leute zurück. Sie hatten die Spanier überfallen und in wilder Flucht den Berg hinuntergcjagt. Einen hatten sie getötet, und mehrere Waffen waren zum Lohn dieses Wagestück? in ihre Hände gefallen.

Am 26. versammelte sich das ganze Korps auf der Wiese vor der Brandstätte. An die Bäume, die an den Zugängen lagen, wurden folgende Zettel angeschlagen : „La villa de Arenas es castigada por aver matado algunos Caballeros franccsesl" (Die Stadt Arenas ist bestraft für die Ermordung einiger französischer Reiter.) 8 Spanier wurden vorgeführt, die unsere Leute noch an den Bäumen aufhängen sollten. Sie waren nach dem Befehl des Divi- sionsgenerals, Gefangene zu machen, von verschiedenen Seiten eingebracht worden. Man hatte sie die ganze Nacht hindurch, einen nach den andern, verhört, ohne zum Ziele zu kommen. Sie wüßten, sagte man ihnen, daß sie alle mit ihren Mitbürgern das Leben verwirkt hätten der- jenige aber, der die wahren Urheber des Aufstandes an- geben wollte, solle auf der Stelle Freiheit und Leben ge- schenkt bekommen. Sie hätten ruhig uns Namen von Leuten nennen können, die wir ja doch nicht in unserer Gewali hatten. Aber auch dazu waren die Starrsinnigen nicht zu bringen. Keine Bitten, keine Drohungen, keine Mißhandlung brachte sie aus ihrem schrecklichen Schwei- gen. So sahen wir sie noch morgens, als man sie uns mit dem Strick um den Hals übergab. Ohne einen Laut von sich zu geben, ohne mit den Wimpern zu zucken, starrten sie stumm zu den Baumstämmen hinüber, an denen sie hängen sollten. Ihr Glück wollte, daß der Divt- sionsgeneral eben Befehl bekommen hatte, den weiteren Streifzug ins Gredosgebirge aufzugeben und auf dem nächsten Wege nach Talavera zurückzukehren. Talavera ist aber von der Brandstätte von Arenas acht gute Stunden 110

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entfernt Da war also, um nicht von der Nacht überrascht zu werden, keine Zeit zu verlieren, zumal unsere Leute bleich und matt, gleich den Schatten derer, die sie er- mordet hatten, zwischen den Schutthaufen herumschwank- ten. Die Dragoner machten sich vor allen Dingen vorn- weg aus dem Staube und brannten bis zur Tietarbrücke noch alle Häuser und das ganze Dörfchen Ramacastafias ab. Wir machten Miene, die 8 Spanier aufzuknüpfen, als der Generalstab vorbeiritt. Da ließen wir sie in Gottes Namen laufen und traten unsern Marsch an . . .

Mit dieser eben nicht sehr ehrenvollen Expedition endete mein Feldzug in Spanien. Mit froher Erwartung sah ich den echteren Taten entgegen, die uns jenseits des Tajo erwarteten, sobald die Mittel zur Schlagung einer Brücke herbeigeschafft sein würden. Heiter teilte ich die Ruhe in Talavera mit meinen Kameraden und half ihnen sich zu schönerer Tätigkeit vorzubereiten. Ich war wie vom Donner gerührt, als der Major von Frank plötzlich unter uns trat und sich meldete, daß er mich abzulösen bestimmt sei. Er brachte mir ein schmeichelhaftes Schrei- ben des Erbgroß he rzogs von Baden mit, das mir meine Ernennung zum Flügeladjutanten des regierenden Herrn und den Wunsch kund tat, mich schleunigst in Karlsruhe zu sehen, da ein Krieg mit Österreich vor der Tür sei. Zu zaudern war hier nicht. Wehe dem, dem das Schick- sal einen bestimmten Weg vorzeichnet und der ihn ein- zuschlagen Bedenken trägt, weil sein Gefühl ihn irgendwo festhält!

Ich gab alle meine Pferde weg, kaufte zu meinem treuen Maultier noch drei andere, machte daraus so gut ich konnte einen Postzug und bespannte so die alte Reise- kalesche, die mein Nachfolger aus Karlsruhe mitgebracht hatte. Am 4. schied ich von den Offizieren des 1. Bataillons beim Mahle, dem trotz aller meiner Versuche die Fröhlich- keit entwich. Wer hätte auch bei so unzweideutigen Freundschaftsbeweisen unerschüttert hleiben sollen! Die Verse, die sie nach der bekannten schönen Weise sangen, 111

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enthielten ein weit übertriebenes Lob, aber sie sagten mir, was ich sein sollte, durch den Mund von Menschen, die es damals gewiß redlich meinten:

Ein Held, wo die Feinde sich türmen, Ein Freund, wo ein Freund sich ihm naht, Ein Vater dem leidenden Krieger, Der treuste der Bürger dem Staat.

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2.

Memoiren über den Krieg der Franzosen in Spanien von

Albert Jean Michel Rocca

8 B-MTi Spin. FitibdttUmpI.

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Vorwort

Albert Jean Miche! Rocca, oder wie man ihn in seiner Vaferstadt nannte, John Roeca, war 1787 oder 1788 als Sohn des späteren Genfer Staatsrats Noble Jean Francis Rocca und Jeanne Pernette Picot in der Stadt Rousseans geboren. Obwohl die Familie Rocca aus dem Piemontesi- schen stammte, genoß sie doch seit ihrer Niederlassung im 16. Jahrhundert das größte Ansehen bei den Genfer Bürgern, wozu woh! auch der Umstand beitragen mochte, daß einer der Ahnen Roccas sich seine Frau aus einer der ältesten Familien der Stadt gewählt hatte.

John Rocca genoß eine sehr sorgfältige Erziehung, fühlte sich jedoch, als er 17jährig die berühmte Knaben- erzi eh ungs anstatt des Professors Vaucher verließ, unwider- stehlich zum W äffen h and werk hingezogen. Wie hätte es auch anders sein können in einer Zeit, wo man Ruhm und Ehren so leicht im Kriege erwerben konnte! Frank- reich und Napoleon waren natürlich sein Ziel. Die damals vom Kaiser neuerrichtete Ecole Polytcchnique in Paris öffnete dem jungen Manne ihre Tore, und kaum 20jäh- rig nahm er als Leutnant an dem unglücklichen Kriege der Franzosen in Spanien teil, wo Napoleon seine größten Fehler als Feldherr und Politiker beging und dessen Nie- derlagen zu der Erschütterung seines Thrones beitrugen.

Wie jeder Offizier, der nur ein wenig über die Ur- sachen und Wirkungen dieses Kriegs nachdachte, miß- billigte auch der junge Rocca die Maßnahmen Napoleons gegen Spanien, und als er, fast ein Krüppel, Ende 1810 B- 115

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nach Frankreich zurückkehrte, war er froh, wenn auch um teuren Preis, einen Ka:ii->fp;at; verlassen zu können, auf- dem sich kern ehrlicher Soldat mit Rfgnsierun,; um) Aufopferung schlug.

Mit einem verschlag e.'en Schenkel, einer Wunde au der Schulter und einer am Arm kehrte Rncca 1811 zu seinen Eltern nach Genf zurück. Hier hatte er durch den Hui seiner Sch'inhe.r - Friederike lirim. die Freundin v: ilei' -l K.pf. den ..ii

]e gesehen und gewisse jugendliche Abenteuer die Aufmerks.inikfit der geistreichsten Frau der dainaligi-n Zeit, der Verfasserin des Romans Corinna, auf sich ge- /oeen. Frau von Stael faßte tmti des grölten Altersunter- schiedes — er war 22 Jahre junger als sie eure große und starke Leidinschdft /u dr:n schonen verwundeten Hu- saren Offizier, mit dem sie sich betmlidi hauen lu ll. K»cc;i selbst verehrte in Frau von Stac'l nicht allein die große Schriftstellerin, sondern vor allem die Frau und die zärt- liche Mutter seines Sohnes. Er folgte ihr überall auf ihren Reisen nach Wien, Moskau, Petersburg, Stockholm und endlich nach England.

Während des Winteraufenthaltes 1812/13 in Schwe- den, der für beide wenig abwechslungsreich war, ent- standen die „Memoiren des Krieges der Franzosen in Spanien", v.u deren Niederschrift Rocca von Frau von Stael veranlaßt wurde. Wie groß der Anteil der geist- reichen Frau selbst an diesem Werke gewesen sein mag, aus dem hier einige Auszüge gegeben werden, ist nicht genau zu bestimmen. Sicher aber war er nicht gering, was sehr nahe liegt. Es erschien zum erstenmal 1814 in England und noch im selben Jahre, nach Napoleons Verbannung nach Elba, in Paris; denn wie bekannt war Frau von Stai.;l die größte Feindin des Franzosenkaisers, und ein Buch, das wenn auch nicht von ihr selbst, so doch von einem ihrer nächsten Angehörigen verfaßt war, hätte ohne Zweifel Ungnade vor den Augen Napoleons gefunden. Übrigens wird dieser in dem Werke Roccas 116

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weder verleumdet noch ungerechtfertigter weise getadelt; die Betrachtungen des Verfassers über den spanischen Feldzug sind in jeder Beziehung gerechtfertigt. In seiner knappen militärischen Erzählungs weise liegt ein gewisser Reiz; er sieht die Dinge, wie sie in Wahrheit lagen, und nicht durch den Schleier einer falsch angebrachten patrio- tischen Begeisterung, wie man das so oft in Kriegserinne- rungen findet.

Jean Rocca war kein langes Leben beschieden. Von der Mutter erblich mit einem Brust übel heiastet, siechte er kurz nach seiner Verbindung mit Frau von Stael während eines langen Krankenlagers dahin. Dazu litt er noch immer an den bei Ronda in Andalusien erhaltenen Wunden, und so überlebte er seine großi Lciivuss.'.i-'Kitirtin nur um einige Monate. Der Tod ereilte ihn im Januar 1818 in Hyeres an der Riviera, wo er Heilung seines Leidens gesucht hatte.

F. M. K.

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1. Kapitel

Schlacht bei Burgos. Einnahme Madrids. Valladolid. Schlacht von Medellm

Das 2. Husarenrcgimcnt, früher Regiment „Cham- boran" genannt, in dem ich zu dienen die Ehre hatte, erhielt im Jahre nach dem Feld/ug, dci mit der Schlacht bei Friedland und dem Frieden von Tilsit endete, den Be- fehl, Preußen zu verlassen und nach Spanien zu gehen.

Wir kamen aus dem sandigen Norden Deutschlands, wo wir meist mit unterdrückten Völkern und mit Regie- rungen zu tun gehabt hatten, deren Formen vollkommen militärisch waren. In Deutschland hatten wir nur Re- gierungen und Heere zu besiegen, auf der spanischen Halbinsel, wo wir jetzt Krieg führen sollten, gab es weder Regierungen noch geregelte Truppen mehr. Der Kaiser Napoleon war in Portugal und Spanien einge- drungen, hatte die Monarchen beider Länder in die Flucht gejagt oder gefangen genommen und ihre militärischen Kräfte verstreut. Wir waren nicht etwa gerufen worden, um gegen Linientruppen zu kämpfen, die fast überall die gleichen sind, sondern gegen ein Volk, das seine Sitten, seine Anschauungen und selbst die Natur des Landes von allen andern Nationen des Kontinents trennt. Die Spanier mußten uns um so mehr einen hartnäckigen Widerstand entgegensetzen, als sie glaubten, die französische Regie- rung wollte aus der spanischen Halbinsel einen einzigen, 118

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der französischen Herrschaft unwiderruflich unterworfe- nen Staat machen.

Als wir jedoch Ende August des Jahres 1808 unsere preußischen Kantonierungen verließen, um uns nach Spa- nien zu begeben, hatten wir sehr wenig über die unvorher- gesehenen Hindernisse nachgedacht, auf die wir in einem für uns so neuen Lande stoßen könnten. Wir glaubten einer leichten, nicht lange währenden Expedition entgegen- zugehen : als Sieger von Deutschland dachten wir, daß uns von nun an überhaupt nichts mehr widerstehen könne.

Nachdem wir die Elbe und die Weser überschritten hatten, erreichten wir das linke Rheinufer und Frankreich. Seit zwei Monaten sprach man von einem nahen Kriege mit Österreich, und als wir Preußen verließen, waren wir alle fest überzeugt, daß man uns an die Donau führte. Mit tiefer Traurigkeit und fast mit Tränen in den Augen verließen unsere Husaren Deutschland, das herrliche Land, das sie erobert hatten, das Land des Kriegs, aus dem sie so viele ruhmvolle Erinnerungen mitbrachten und in dem es ihnen sogar bisweilen gelungen war, sich individuell beliebt zu machen.

Wir durchquerten Frankreich wie ein neu erobertes und unsem Waffen unterworfenes Land. Der Kaiser Napo- leon hatte befohlen, daß seine Soldaten überall gut empfan- gen und gefeiert würden. Deputationen kamen uns an den Toren ihrer guten Städte entgegen, um uns zu beglück- wünschen ; Offiziere und Soldaten wurden sofort nach ihrer Ankunft zu prächtigen, im voraus bereiteten Ban- ketten geführt, und bei unserer Abreise dankten uns noch die Oberhäupter der Städte, daß wir so freundlich gewesen waren und in einem Tage das Einkommen von mehreren Wochen der städtischen Steuern aufgezehrt hatten.

Unsere Truppen bestanden (außer Franzosen) aus Deutschen, Italienern, Polen, Schweizern, Holländern, ja selbst Irländem und Mamelucken. Alle diese Ausländer waren mit ihren nationalen Uniformen bekleidet, behielten ihre Sitten bei und sprachen ihre Sprache. Doch trotz

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ilirsir Verschiedenheit der Sitten und Ot-br.iurrn- gelang es der Disziplin auf leichte Weise, alle unter der Hand eines einigen tu vereinigen. Jene .Männer trugen alle dieselbe Kokarde, hatten einen einzigen Kriege uf, ein einzige«; I cldgeschrei.

Lmige Meilrn jrnseüs von li.ivynne erreichten »ir die Bidassoa, einen kleinen Flui), der die Grenze zu.schen Frankreich und den l'yrenaen rnklet. Sobald man den Fiili auf spanischen Hoden gesetzt hat, merkt man im Lande und in den Sitten der Menschen einen großen Wech- sel. Die engen, schmutzigen Straßen der Städte, die ver- gitterten Fenster, die immer fest verschlossenen Türen der Häuser, das strenge und zurückgehaltene Äußere der Liinwuhner aller Stände, das Militrancn, (las sie uns all- gemein entgegenbrachten, vermehrten die Niedergeschla- genheit, die sich unser beim Einzug in Spanien unwill- kürlich bemächtigte.

Wir sahen den Kaiser Napoleon, ehe er in Vittoria ankam. Er war zu Pferde. Seine einfache grüne Uniform bildete einen scharfen Kontrast zu den reichgekleideten Generalen, die ihn umgaben. Er grüßte jeden Offizier be- sonders mit der Hand, als wollte er sagen: Ich zähle auf Sie! Franzosen und Spanier kamen herbeigeströmt, um ihn zu sehen; jene erblickten in ihm allein das Heil der ganzen Armee, die Spanier suchten in seinen Blicken und seiner Haltung das Schicksal ihres unglücklichen Vater- landes zu lesen.

In den letzten Tagen des Oktober vereinigte sich allmählich die Armee von Deutschland mit der franzö- sischen Armee, die der König Joseph in Spanien be- fehligte. Erst jetzt erfuhren wir mit nicht geringem Er- staunen durch unsere Waffe ngefihrlen einen Teil der Kriegsereignisse auf der Halbinsel und die Einzelheilen der unglücklichen Affären, die die Generale Dupont') und

') Oeneral Oraf Pierre Dupont de l'Etang, 1765-1838, brach kurz nach der Unterzeichnung des Friedens von Tilsit (7. u. 120

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Junot •) zwangen, in Andalusien und Portugal zu kapitu- lieren, ferner den Marschall Moncey11) veranlaßten, sich vor Valencia zurückzuziehen, und infolge deren sich endlich die ganze Armee auf dem linken Ufer des Ebro

ständisch, und er beschloß, sich mit einer Division von 8000 Mann nach Cadii begeben. Zuerst schlug er 30000 Insurgenten bei Cordoba, dessen er sich bemächtigte. Auch hatte er noch ver- miedene andere Siege im v-er/cicllnun, wurde aber bald von dem Marsch der Armee Castaüos' unterrichtet, die aus 40000 Mann Linie ntror;peu bestand. Da ei ihm Lfiiniüjjiidi war, einer so grollen Anzahl Widerstand zu leisten, zog er sich auf Andigna zurück, um sich mit der Division Vedel zu vereinigen. Aber der in spanischen Diensten stehende Schweizer General Reding hatte, indem er sich mit seinen 17000 Mann nach Baden wandte, den Franzosen den Rückzug abgeschnitten. Dupont zojjerti; vidlek-h: zu lange mit dem Antritt, doch entfaltete er während all dieser Kämpfe viel persön- lichen Mul; schließlich unter/cii-ticieti: ii den verhängnisvollen Ver- trag von Baden, 28. Juli 1808, wofür er von Napoleon mit einer fünfjährigen Festungshaft bestraft wurde.

'} General Andoche Junot, 1771—1813, wurde am 1. Februar 1503 wegen seiner schnellen Einnahme Lissabons von Napoleon mit dem Titel „Herzog von Abränlcs" zum Gouverneur von Portugal ernannt. Er mißbrauchte diese Stellung durch die niedrigste Er- pressung und Plünderung und war allgemein verhaßt. Da er nur über wenige Truppen verfügte, um das Land im Zaume zu halten und sich zu verteidigen, mußte er, als ihn Wellington an der Spitze einer überlegenen Armee angriff, bei Virneir'i ai ruck weichen und am 30. August 1808 die Kapitulation von Cinira unterzeichnen.

3) Vergleiche die 2. Anmerkung zum 1. Fcldz.iigsbcrichte.

') Joseph lu' fand sich mil :;t:iiieiic Ckncralsiab und seinen Garden in Vitoria. Marschall Moncey beobachtete in Tafalla die spanische Armee des Generals Palafox, die bei Sanguesa an der Grenze von Navarra und Aragonien stand. Ney hielt Logrono und Quardia besetzt, vor ihnen, in der Gegend von Tudela am Ebro, befanden sich die spanischen Armeen unler Castaäos und Palafox, nie zusammen 40000 Mann stark sein mußten. Besseres war in Miranda; er hatte in dem Fort Pancorvo eine Garnison zurück- gelassen. Seine Stellung war durch die zahlreiche Kavallerie Lasalles 121

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Am Q. November kam das kaiserliche Hauptquartier in Bribiesca an. Unter den Befehlen des Kaisers kanto- nierte die ganze Armee in der Umgegend der Stadt. Die Einwohner des Landes waren bei unserer Ankunft in die Berge geflüchtet.

Arn Ii), mit T.'ijiesiinbruäi ri'koy]ioszii_'rte der Mar- schall Soults) mit einer Division Infanterie die Stellung des Feindes in der Richtung nach Burgos. Beim Dorfe Gamonal angekommen, wurde er durch eine Salve von 30 Kanonen empfangen. Das war für die Franzosen das Signal zum Angriff. Soult erwartete gar nicht erst den Resl ik'r ihm folgen ck-n Armee, sondern eröffnete sofort

gedeckt. Lefebvrc liii.Lt Dina;::;.i heieizt. Die von ihm und Besseres befehligtet! Korps standen der Armee des Zentrums und der Linken der Spanier gegenüber, die von Iii K oli-rc und Blake kommandiert wurden. Das bei Burgos stehende spanische Zentrum war gegen 12—14000 Mann stark. Es solIU- ,i-.:r'li ÜiiliO'l Engländer verstärkt werden, die in Portugal und Coruüa unter Moore und Baird vor- ruckten. Dieses Heer war zur Unterstützung des in Biscaya stehenden linken Flügels des Generals Blake und dazu bestimmt, die Verbin- dungen mit den spanischen Armeen in Aragonien und Navarra auf-

Das Heer des Generals Blake, obwohl 37000 Mann stark, besaß sehr wenig Kavallerie, und es wagte sich daher nicht in die Ebenen bei Mir.md.i un:l Vitoria. Ks halte seine Stellungen zwischen Oiki i"ri;u luld tnu; auljji^eJiiTi. um s:di Hill>:ii)S /u bemächtigen, und war in den Cieiiirijeti /ivistlieii Biscaya und der Provinz Alava bis Zornozo und Archandiano vorgerückt, um das Land aufzuwiegeln und den rechten Kü^d tk-s Königs Joseph anzugreifen. Die spa- nischen Armeen von Navarra und Aragonien sollten dieselben Be- « i:i;iin^i :L yt^vn d;i; /rri-rum und die Unke der Franzosen raachen, um sie zu zwingen, sich auf der Straße von Tolosa zurückzuziehen. Das waren die Absichten der Spanier und die Lage der Dinge, als Napoleon das Kommando der Armeen in Spanien übernahm. Am 31. Oktober 1808 hatte Lefebvre bei Durango die Armee Blakes angegriffen, ihn zurückgeworfen und war am nächsten Tage in Bilbao eingezogen. Victor begab sich mit seinem Korps am 6. November von Vitoria nach Orduna; er sollte mit Leföbvre die Armte dfs rcclitu: Kliii.nl, formieren.

(Anmerkung des Verfassers.)

') Siehe die 13. Anmerkung zum 1. Feld Zugsberichte.

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das Feuer und vernichtete die wallonischen und spanischen Garden, welche die Hauptmacht der feindlichen Armee bildeten. Marschall Bessieres5), der inzwischen mit der Kavallerie angekommen war, überholte den Feind, schlug ihn noch vollends und zog kunterbunt mit den Flücht- lingen in Burgos ein.

Die Stadt war vollkommen von ihren Bewohnern ver- lassen. Sie war nur noch eine ungeheure Einöde und völlig der Plünderung preisgegeben, als unsere Truppen nach der Schlacht dort eintrafen. In dem Viertel, durch das wir einzogen, hörte man allenthalben das Geschwirr der Stimmen der Soldaten, die aus allen Richtungen kamen, um Lebensmittel und Geräte aus den verlassenen Häusern zu schaffen. Dabei trugen sie ungeheure brennende Wachs- kerzen in den Händen, die sie in den benachbarten Klöstern gefunden hatten. Etwas weiter, in einem weniger von unsern Truppen heimgesuchten Teile der Stadt, hörte man das unterdrückte Jammern der Kranken und Oreise, die, da sie nicht die Kraft hatten, zu entfliehen, sich in eine Kirche geflüchtet hatten, wo sie in großer Anzahl einge- pfercht waren.

Am II. setzte sich unsere leichte Kavalleriebrigade bei Sonnenaufgang in Marsch, um die Gegend am Ar- lanzon auszukundschaften. Unweit der Ufer des Flusses entdeckten wir einige Trupps von Bauern und Städtern, die sich hinter den Anhöhen, oder besser zwischen der steilen Böschung des gegenüberliegenden Ufers, verbar- gen. Meist sahen wir nur ihre Köpfe, die von Zeit zu Zeit aus dem Gestrüpp hervorguckten, um zu sehen, ob wir vorüber wären.

Am Tage nach der Schlacht von Burgos wurden zahl- reiche Abteilungen nach allen Richtungen hin zur Ver-

s) Jean Baptiste Bessieres, französischer Marschall und Generaloberst der Kavallerie der Kaisergarde, 1768—1813, wurde im März 1803 zum Herzog von Istrien ernannt und erhielt das Kommando des zweiten Armetkorrw in S|);isiifT], wo er bedeutende Siege erfocht.

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ioljiui'i; des Feindes .ihjirii'tiickt, ii.r die Vernichtung einer

Armee vollständig zu machen. d>e ein lekhter Sieg wohl /eistreut halte, die ahei noch n.dit total aufgerieben sein konnte. 10000 Mann Kavallerie und 21) Geschütze der

leichten Anil'erie sel/trn weh in Hcwi^un^, um sich über l'iasencia, Leun und Zamora auf die Nachhut der engli- schen Aimce zu stutzen, die man in Valladojd glaubte. Sfiult begab sich uher V;i;ar;.i><> und fienios.i i;n Rucken der Armee auf die Unke der Spanier, Eine Division In- fanteiie besetzte auf einem direkteren Weg die Schluchten des Gebirges be; St. Ander. Aoer trotz de.- Geschwindig- keit ihres .Marsches trafen diese Iruppen den I euid tiicht mehr an. Das Heer des Generals Blake1), das seit der Affäre am Durango auf dem Rückzug begriffen war, hatte vergebens versucht, sich in Guenes und Valmaseda zu sammeln. Vom Marschall Victor gegen Espinosa, vom Marschall Lefebvrc gegen Villarcayo hin verfolgt, war es endlich am 10. November bei Espinosa nach einem zwei- tägigen Kampfe vollkommen vernichtet worden.8)

Am 15. November vereinigte siel) unsere Naupthri- g;ide bei Lerroa mit dern Armeekorps des Marschalls Ney1'), dem sie seit dieser Zeit provisorisch beigesellen war. Am 16. begab sich Neys Korps von Lerma nach Aranda. Immer verließen die Einwohner bei unserm Herannahen ihre Be- hausungen und nahmen die kostbarsten Sachen mit sich in die Berge. Verwüstung und Verzweiflung, die gewöhn- lich siegreiche Armeen zurücklassen, schienen uns überall vorangegangen zu sein.

Das Armeekorps des Marschalls Ney brach am 20.

') Siehe die 3. Anmerkung zum 1. Feldzugsberichte.

») Bei Espinosa de los Monteros in der Provinz Burgos siegten am 10. und II. November IS0S Iniü'Ki Fran/uien unter Marschall Victor über 45000 Spanier unter La Rotnana und Blake.

«) Marschall Michel Ney, 1769-1815, Herzog von Elchingen und Fürst von der Moskiva, In Miliare (Ins ü. Armeekorps n:ul nahm an den Operatiuticn dfs fr;iri/iisiichen Heeres zur Eroberung Madrids teil. 124

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morgens von Arauda wieder auf, und wir marschierten /äpi Tage am Due'o flufiaufw.irts, ohne Nachrichten vom r'ernd zu erhalten und ohne einem lehendcn Wesen /.u be- gegnen. Plot/Uch bemerkten wir am 21. kurz vor Sunnen- aulgang einige Unsicherheit in den Bewegungen unserer Aufklarer, Sogleich forniit'rten wir die Schwadionen. und kurze Zeit darauf wurde unsere Vorhut in ein Gefecht mit einem fi-indliilien Korps verwiikt-H, das 11c ohne Muhe zurück warf, Wir machten ein paar Gefangene und drangen in Almazan ein.

Neys Armeekorps verbrachte die Nacht im Biwak vor den Mauern dieser Stadt, die von ihren Einwohnern ver- lassen war. Es war bereits zu spät, eine regelmäßige Lebensmittelverteilung vorzunehmen, und man konnte leidet nicht eine halbstündige Plünderung verhindern. Noch .im selben Abend sandten wir Abteilungen von je 25 Hu- saren zur Rekognoszierung nach verschiedenen Richtungen aus. Das Detachcment, das auf der Straße von Siguenza rekognoszierte, kam während der Nacht zurück und brachte Gepäck und einige Gefangene. Am folgenden Tage, dem 22. November, brach das Korps Neys nach Soria auf, wäh- rend unser Husaren reg iment allein in Almazan gelassen wurde, um die Verbindungen mit Burgos über Aranda auf- rechtzuerhalten und das feindliche Korps, das mau in der Gegend von Siguenza, Medüiaceli und Agreda vermutete, zu beobachten.

Aber am 24. abends erhielten wir den Befehl, Almazan zu verlassen. Wir marschierten eine Nacht und einen Tag, ohne Rast zu machen, und stießen auf Neys Korps gerade in dem Augenblick, wo er in Agreda auf der Straße von Soria ankam. Die Infanterie wurde in der Stadt einquar- tiert, die leichte Kavallerie an einen etwas entfernt lie- genden Ort auf der Straße von Cascante geschickt, um die Position (Ilt Armee zu decken. Wir glaubten uns sehr nahe im Rücken des spanischen linken Flügels.

Agreda war öde und verlassen. Vergebens ließ der General Stabschef unserer Brigade einen Führer suchen, 125

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und wir waren genötigt, uns auf der Suche nach der uns bezeichneten Kantonicrinig einzig und allein nach der Karte zu richten. So verbrachten wir den größten Teil der Nacht in Märschen und Gegenmärschen. In diesem ver- lassenen Lande, dessen ganze Bevölkerung gegen uns war, trafen wir nur selten menschliche Wesen, die, selbst wenn sie uns auch zu täuschen suchten, uns einige vage Infor- mationen Über die Feinde geben konnten.

Wir erfuhren, aber leider zu spät, daß die Armee der Generale Castanos und Palafox am 23. bei Tudela voll- kommen geschlagen worden war.1") Wären wir nur einen Tag früher in Agreda angekommen, so hätten wir dort die zerstreuten Kolonnen der Spanier, die sich auf Madrid zurückgezogen, getroffen und gefangen genommen. Nicht ein Franzose zweifelte damals, dali so rasche Siege das Schicksal der Spanier entscheiden würden. Wir glaubten und ganz Europa mit uns daß wir nun weiter nichts zu tun brauchten, als nach Madrid zu marschieren, um die Unterdrückung Spaniens zu vollenden und das Land auf französische Art zu organisieren, d. h. die Eroberungen mit Hilfe der besiegten Feinde zu vermehren.

Am 26. November begab sich Ney mit seinem Korps über Cascanti nach ßorja. Eine Division des Oenerals Maurice Mathieu") ging uns einen Tag voraus und machte auf ihrem Marsche eine Menge Gefangene. Am 27. kamen wir nach Alagon, einem 4 Meilen von Zaragoza gelegenen Flecken, dessen zahlreiche Türme wir schon von weitem

Josef Palafox y Mel/i, spanischer General und 1803 Generalkommandant von Aragonicn, geboren 1760, nickte am 23. November 1803 mit CastaSos bis Tudela vor und wurde von den Franzosen unter Lannes geschlagen.

") Maurice David Joseph, Graf Mathieu de la Redorte, französischer General, 1768—1333, wurde 1808 nach Spanien ge- sandt, wo er sich besonders in der Schlacht bei Tudela auszeichnete und das Zentrum der spaiiiscb;!] Armee äiiriTigk'. Am nächsten Tage wurde er auf seiner Verfolgung de* Feindes bei ßorja ver- wundet

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erblickten. Die Aragonier hatten sich durch die letzten Niederlagen ihrer Armeen durchaus nicht entmutigen lassen und waren entschlossen, sich in Zaragoza zu verteidigen. Sie hatten sich zwar nicht mit regelrechten Befestigungen umgeben können, aber aus jedem Hause hatten sie eine Festung gemacht Jedes Kloster, jedes Haus erforderte einen besonderen Sturm. Und diese Art von Befestigung ist vielleicht die beste von allen, um eine Belagerung in die Länge zu ziehen.

Palafox hatte sich mit einem Korps von 10 000 Mann, die er aus der Schlacht von Tudelals) noch gerettet hatte, in die Stadt geworfen, und diese selben Soldaten der Armee von Aragonien, die wir fast ohne Anstrengung auf freiem Felde vernichtet hatten, leisteten als Bürger in den Mauern ihrer Hauptstadt einen Widerstand, der fast ein Jahr anhielt.

50 000 Bauern eilten bewaffnet herbei, um Zaragoza zu verteidigen. Von allen Seiten stürzten sie sich in die Stadt, selbst mitten durch unsere siegreichen Kolonnen hindurch, immer befürchtend, zu spät dort anzukommen, wohin der Impuls ihres Herzens und die Liebe zu ihrem Vaterlande sie riefen.

Der Charakter der Spanier dieser Provinzen ähnelt in nichts dem anderer europäischer Nationen. Ihr Patrio- tismus ist ganz religiös, wie bei den Alten, wo kein Volk sich der Verzweiflung hingab und trotz der Niederlagen niemals gestand, daß es besiegt worden war, so lange die Altäre der schützenden Qötter unversehrt blieben. Die Völker Spaniens waren meist nur von diesem religiösen Patriotismus belebt und besaften nicht die geringste prak- tische Kenntnis von Disziplin und Kriegsgesetzen. Leichten Herzens verließen sie ihre Fahnen nach einer erlittenen Niederlage und fühlten sich nicht im geringsten, verpflich- tet, das dem Feinde gegebene Versprechen zu halten. Aber sie hätten nur ein Interesse, einen Wunsch: sich

") Siehe die 10. Anmerkung in diesem Berichte.

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durch alle möglichen Mittel für das Schlechte zu rächen, das die Franzosen ihrem Vatcriande zufügten.

Das Armeekorps des Marschalls Lannes11) blieb in Aragonien, um die Belagerung von Zaragoza zu bewerk- stelligen, während Ney seine eilige Verfolgung der Trüm-

inur d(_T Airü^t Castanns' furtsetzte, iik sich auf (juadala- jara und Madrid zurückzogen. Am 28. schnitt die Division der Vorhut die Nachhut der Spanier, die das Defilee von Buvierca am Jalon verteidigen wollte, in zwei Hälften.

Sobald die Armee wieder aufgebrochen war, kamen die Bewohner wieder von den nahen Bergen herab und aus allen Richtungen herbei, als wären sie aus dem Erd- boden gewachsen. Unsere Soldaten konnten sich nicht einen Augenblick von der Heerstraße entfernen oder hinter ihren Kolonnen zurückbleiben, ohne sich der Qefahr aus- zusetzen, von den Bauern ermordet zu werden. Und wir wagten nicht, wie in Deutschland, allerorts Ambulanzen zu bilden oder gar unsere Kranken einzeln in die Hospi- täler zu schicken.

Am 2. Dezember kantonierten wir in der Gegend von Alcala de Henares, wo wir auf eine Schwadron polnischer Lanciers stießen, die der Marschall Bessieres von St. Augustin geschickt hatte, um bei Guadalajara den Feind auszukundschaften. Von ihnen erfuhren wir, daß die Vor- hut des Zentrums vor Madrid angekommen sei: wir be- fanden uns nur noch drei Meilen von der Hauptstadt ent- fernt.

Napoleon war am 22. November von Burgos nach' Aranda aufgebrochen, um nötigenfalls die Bewegungen zu beobachten und zu unterstützen, die seine Linke am Ebro gegen die Rechte der Spanier machte. Am 30., sieben Tage nach der Schacht bei Tudela, war er mit der Armee des Zentrums direkt nach Madrid marschiert

«) Jean Lannes, Herzog von Montebello, 1760-1809, siegte bei Tudela über Casiriiiuä v.nd P;i[a:o\ und leitete dann die berühmte Belagerung von Zaragoza. 128

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und hatte das Korps des Marschalls Soult in der Nähe von Asturien gelassen, um die Trümmer der spanischen Armee von Qalicien zu beobachten.

Am 1. Dezember wurde das kaiserliche Hauptquartier in St Augustin aufgeschlagen, und am selben Tage ver- einigte sich das Armeekorps Neys, dem unser Regiment beigegeben war, mit dem Heere des Kaisers über Guadala- jara und Alcala. Am 2. Dezember in der Frühe schob der Kaiser das Gros seiner Armee vor und kam, nur von seiner Kavallerie gefolgt, auf den Höhen vor der Hauptstadt Spaniens an.

Madrids Einwohner hatten erst 8 Tage vor der An- kunft der französischen Truppen an ihre Verteidigung ge- dacht, und man merkte allen ihren Mitteln die Über- stürzung und Unerfahrenheit an. Die Häuser an den Ecken der Hauptstraßen waren mit bewaffneten Leuten ange- füllt, die sich hinter Matratzen an den Fenstern aufhielten. Nur der Retiro") war mit etwas größerer Sorgfalt ver- schanzt worden.

Nach Kriegsgebrauch ging noch am selben Morgen ein Adjutant des Marschalls ßessieres nach Madrid, um die Bewohner zur Übergabe aufzufordern. Als er ihnen aber vorschlug, sich den Franzosen zu ergeben, fielen sie wütend über ihn her, und er verdankte sein Leben nur dem Schutze der spanischen Linientruppen.

Napoleon verwandte den Aherid darauf, die Umge- bung der Stadt auszukundschaften und seinen Angriffs- plan zu bestimmen. Die ersten Infanteriekolonnen waren um 7 Uhr abends eingetroffen, eine Brigade des 1. Armee- korps, unterstützt von 4 Kanonen, marschierte gegen die Vorstädte, und die Schützen des 16. Regiments bemäch- tigten sich des großen Friedhofs, nachdem sie die Spanier

'*) Ehemaliges Lustschloss, das den spanischen Königen zum Frühlingsau Enthalt diente. Bei der Bombardierung Madrids durch die Franzosen war der Haupiangriff auf den Retiro gerichtet, und seint Zerstörung [Ohrte die Übergabe Madrids herbei. 9 B.M7: Span. rnflKiufcampl. 129

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aus einige» in der Nähe befindlichen Häusern vertrieben hatten. Die Nacht ward zur Aufstellung der Artillerie und zu allen Vorbereitungen für den Sturm des nächsten Tages benutzt.

Ein bei Sonio Sierra gefangen genommener apani- scher Offizier, den der Fürst von Neuchätel um Mitter- nacht nach Madrid schickte, kam einige Stunden später wieder zurück und meldete, daß die Einwohner darauf be- harrten, sieh zu verteidigen, und am 3. um 9 Uhr morgens begann die Kanonade.

30 Kanonen schössen unter den Befehlen des Generals Cernamont die Bresche der Mauern des Retiro, während 20 Geschütze der Garde und einige leichte Truppen an einer andern Stelle einen fingierten Angriff machten, um die Aufmerksamkeit des Feindes abzulenken und ihn zu zwingen, seine Kräfte zu zersplittern. Die Voltigeure der Division Villate drangen durch die Bresche in den Garten des Retiro ein, bald folgte ihnen auch ihr Bataillon, und in weniger als in einer Stunde waren die 4000 spanischen Linicnsoldaten, die das Schloß an seinen Hauptpunkten verteidigten, über den Haufen geworfen. Um 11 Uhr be- reits hielten unsere Soldaten die bedeutendsten Posten des Observatoriums, der Porzellanfabrik, der großen Ka- sernen und des Hotels Medinaceli besetzt Als Herren des ganzen Retiro konnten die Franzosen in wenigen Stunden Madrid überschauen.

Nun hörte die Kanonade auf; der Fortschritt der Truppen wurde an allen Punkten aufgehalten, und man schickte einen dritten Parlamentär in die Festung. Es war für den Kaiser von Wichtigkeit, die Hauptstadt des Königreichs, das er für seinen Bruder bestimmte, zu schonen, denn man kann auf den Ruinen wohl ein Feld- lager, aber keinen Thron errichten.'1) Die Einäscherung Madrids konnte in allen andern Städten des Landes einen

") Vergleiche die 1. Anmerkung zum 1. Fddzugsberichle und im übrigen die Einleitung zu dem ganzen Werke. 130

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verzweifelten Widerstand hervorrufen, und übrigens wären unsere Armeen durch seine Vernichtung ungeheurer Hilfs- quellen beraubt worden.

Um 5 Uhr nachmittags kamen der General, Chef der Militärjunta, und Don B. Yriarte, Deputierter der Stadt, mit dem französischen Parlamentär zurück. Sie wurden ins Zeit des Fürsten von Neuchätel16) geführt, wo sie ver- langten, daß man ihnen einen Waffenstillstand während des 4. bewillige, damit sie Zeit gewännen, das Volk zur Über- gabe zu bereden. Mit sichtbarer Heftigkeit warf ihnen Napoleon die Nichtbefolgung des Vertrags von Baden11) und die Metzeleien der französischen Gefangenen in Anda- lusien vor. Er wollte durch diesen gemachten Zorn die spanischen Abgesandten erschrecken, damit sie nachher ihre Furcht den Männern, die sie befehligten, mitteilten. Der Kaiser wünschte lebhaft, die Übergabe Madrids möchte den Anschein einer freiwilligen Unterwerfung haben, und man war allgemein überzeugt, ganz Spanien werde dem Beispiel der Hauptstadt folgen.

Indes die Einwohner weigerten sich, die Waffen niederzulegen, und fuhren fort von den Fenstern der Häu- ser am Prado auf die Franzosen zu schießen. Durch die Gefangenen, die von Zeit zu Zeit gemacht wurden, er- fuhr man den Orad der allgemeinen Aufregung und Wut, die in der Stadt herrschten. 50 000 bewaffnete, disziplin- lose Einwohner rasten auf den Straßen herum, stürmisch Befehle verlangend und ihre Anführer des Verrats an- klagend. Endlich am 4. Dezember, um ü Uhr morgens, kamen der spanische Oeneral Moria und Don F. de Vera nochmals ins Zelt des Fürsten von Neuchätel, und um 10 Uhr ergriffen die französischen Truppen von Madrid Besitz.

Der Kaiser blieb mit seiner Garde auf der Höhe von

1B) Marschall Bcrlhier, Napoleons Generalstabsdief. Vergl. die 14. Anmerkung mm 1. Feldzugs berichte.

") Näheres in der Einleitung und den eiuieiienden Bemerkun- gen des 5. Berichtes dieses Buches.

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Chamartin. Seiner gewohnten Taktik gemäß sandle er noch am Tage der Einnahme Madrids zahlreiche Korps nach allen Richtungen, um dem Feind nicht Zeit zur Re- kognoszierung zu lassen und um nach einem großen Er- eignis aus dem Erstaunen und der Bestürzung, die fast immer die Kraft des Siegers verdoppeln und die des Be- skyteu für AuijL-iiliÜckc kihitit-i], Nutzen zu ziehen.

Unser Husarenregiment hatte den 2., 3. und 4. De- zember in der Umgegend von Alcala, 3 Meilen von Ma- drid, verbracht. Am 5. erhielten wir den Befehl, uns zu früher Stunde nach dem Hauptquartier zu begeben, um gemustert zu werden. Kaum waren wir einige Minuten auf einer Wiese, neben dem Schlosse Chamartin, als wir plötzlich den Kaiser Napoleon ankommen sahen. Er war vom Fürsten von Neuchätel und von 5 oder 6 Adjutanten begleitet, die ihm kaum folgen konnten, so schnell ritt er dahin. Alle Trompeten crlclarspcn , der Kaiser stellte sich 100 Schritt vor dem Zentrum unseres Regiments auf und verlangte vom Oberst die Liste der Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten, die militärische Auszeichnungen verdient hätten. Der Oberst des Regiments nannte sie sogleich alle bei Namen, und der Kaiser sprach leutselig mit ein paar einfachen Soldaten, die ihm vorgestellt wurden. Dann sich an den General wendend, der die Brigade kommandierte, zu der wir gehörten, stellte er rasch zwei oder drei sehr kurze Fragen, und da der General ein wenig verwirrt wurde, warf Napoleon, ohne das Ende der angefangenen Rede abzuwarten, sein Pferd herum und verschwand ebenso schnell, wie er gekommen.

Nach der Revue machten wir uns auf den Weg nach Madrid. Dumpfes Schweigen war auf die stürmische und geräuschvolle Bewegung gefolgt, die am Tage vorher inner- halb und außerhalb der Mauern der Stadt geherrscht hatte. Die Straßen, durch die wir zogen, waren verlassen, und auf den Plätzen hatte man noch nicht die zahlreichen Nahrungsmitteljsescliäitc wieder gcüf.'net. Nur die Wasser- träger hatten ihre gewohnte Tätigkeit nicht unterbrochen. 132

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Als wir uns der innern Stadt näherten, bemerkten wir verschiedene Spanier, die, in ihre großen Mäntel gehüllt, an den Ecken der Plätze standen, wo sie gewöhnlich zu- sammenkamen. Sie schauten uns düster und niederge- schlagen an; in ihrem ungeheuren Nationalste.!; hielten sie es kaum für möglich, daß Soldaten, die nicht Spanier waren, Spanier besiegen konnten. Als sie zufällig in unsern Reihen Pferde sahen, die wir der feindlichen Ka- vallerie abgenommen hatten, erkannten sie sie sofort an ihrer Gangart und wurden dadurch aus ihrer Verblen- dung gerissen. Dann flüsterte einer dem andern zu : „Este caballo es espaiio!" (dieses Pferd ist spanisch), als wäre das der einzige Beweis unsereJ Erfolge gewesen.

Unser Regiment blieb fast einen ganzen Monat in der spanischen Hauptstadt. Obwohl scheinbar große Ruhe herrschte, hielten wir uns doch immer bereit, aufs Pferd zu steigen, und unsere Tiere waren stets gesattelt, als befänden wir uns auf Vorposten angesichts des Feindes. Wie man sagte, waren 1100 entschlossene Spanier nach der Kapitulation in der Stadt verborgen geblieben und bereiteten sich vor, die Einwohner aufzuwiegeln, um alle Franzosen bei der ersten günstigen Gek-geiihcit niederzu- machen.

Napoleon hielt in Madrid nicht wie in andern Städten Europas öffentlichen Einzug. Man behauptete, er sei durch die Formen der Etikette, die er gegen seinen Bruder Joseph aufrechterhalten mußte, den er schon als Herr- scher betrachtet, daran gehindert worden. Immer mit seiner Garde auf den Höhen von Chamartin kampierend, gab er täglich für Spanien Dekrete aus und erwartete die baldige Unterwerfung des Königreichs und die Unter- drückung des Schreckens, den unsere raschen Siege hervor- gerufen haben mußten.

Wenige Tage nach der Einnahme Madrids erhielt ich den Befehl, zum Marschall Lefebvre einen offenen Brief des Generals Lasalle zu tragen, der sich vor uns in Tala- vera befand. Der Marschall sollte diesen Brief lesen und 133

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ihn dann direkt an den Fürsten von Neuchätel befördern. Ich trat den Marschall Leffcbvrc gegen Abend in Magueda, gerade als er von Casarubios ankam. Um seine Adjutanten zu schonen, befahl mir der Marsehall, meinen Weg fort- zusetzen und die Briefe selbst ins kaiserliche Hauptquar- tier zu bringen. Ich war genötigt, mein Pferd in Magueda zu lassen, und bestieg ein Maultier, das der Generalstabs- chef mir vom Alcalden18) des Orts geben ließ.

Bald machte ich mich auf meinem großen störrischen Esel, dem man die Mähne abrasiert hatte, durch die stock- finstere Nacht auf den Weg. Ein spanischer Bauer, der mir als Führer diente, ritt vor mir auf einem Maultiere, das dem mehligen glich. Als wir beinahe eine Meile zurückgelegt hatten, fiel mein Führer plötzlich von seinem Tiere, und dieses galoppierte davon, wahrscheinlich um in sein Dorf zurückzukehren. Ich glaubte, der Bauer sei durch seinen Fall ohnmächtig guu orde n, und stieg ab, um ihm Hilfe zu leisten. Aber vergebens suchte ich ihn an der Stelle, wo ich ihn hatte fallen sehen er war in das dichte Gestrüpp geschlüpft und verschwunden. Nun be- stieg ich wieder mein Maultier, wußte indes nicht, wie ich allein meinen Weg finden würde. Da das widerspen- stige Tier nicht mehr scinni Gefähnni vor sich traben hörte, wollte es weder vorwärts noch rückwärts gehen. Je mehr ich ihm die Sporen gab, desto störrischer wurde es; Schlage, Flüche, Drohungen nichts half. Endlich stieg ich ab um meinen Holzsattel etwas enger zu schnal- len. Da machte das verwünschte Tier einen Seifensprung, ich erhielt einen Stoß vor die Brust und ward zu Boden geworfen. Mein Maultier galoppierte ebenso wie sein Gefährte davon und verschwand in einem Seitenweg. Als ich mich von meinem Schlage ein wenig erholt hatte, rannte ich ihm aus Leibeskräften nach, von dem Geklirr geleitet, das ein Steigbügel meines Sattels machte, der

>«) Alkalde bedeutet in Spanien soviel wie Schultheis oder Bürgermeister. 134

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auf dem Boden schleppte. Als ich ungefähr eine halbe Meile gelaufen war, fand ich meinen Sattel, dessen sich das Maultier entledigt hatte. Ich nahm ihn auf den Rücken und kam bald in ein großes Dorf, wo die Vorhut einer der Brigaden des Marschalls Lefebvre eben angelangt war. Sogleich Heß ich mir vom Alcalden ein Pferd und einen Führer geben und machte mich wieder auf den Weg, diesmal sorgsam darauf beJacht, nicht von der Seite meines Führers zu weichen.

So kam ich um 1 Uhr in der Nacht im kaiserlichen Quartier von Chamartin an. Der Fürst von Neuchätel wurde von einem seiner Adjutanten geweckt, ich übergab ihm die Briefe und wurde noch am selben Abend um 11 Uhr mit neuen Depeschen für den Marschall Victor zu meinem Armeekorps zurückgeschickt

Als ich midi einige Meilen jenseits von Aranjuez be- fand, sah ich von weitem zwei spanische Bauern, die eben einen französischen Soldaten geknebelt hatten und ihn ins Gebüsch schleppen wollten, um ihn zu erdrosseln. Ich gab meinem Pferde die Sporen und hatte das Otück, noch zur rechten Zeit anzukommen, um den Unglück- lichen befreien zu können. Es war ein Infanterist, der am Tage vorher aus dem Krankenhaus von Aranjuez ge- kommen war. Von Mattigkeit erschöpft, hatte er sich ein wenig niedergesetzt, während seine Kameraden weiter marschierten. Ich begleitete ihn bis zu seinem Detache- ment, das nicht weit davon Halt gemacht hatte, und setzte dann meinen Weg fort.

Nichts war schrecklicher als der Anblick, der sich jetzt meinen Augen darbot. Bei jedem Schritte stieß ich auf verstümmelte Körper von Tags zuvor ermordeten Fran- zosen und auf blutige Kleiderfetzen, die hier und da herum- lagen. Die noch frischen Spuren im Sand deuteten auf den Kampf, den einige der Unglücklichen bestanden, und auf die langen Qualen, die sie erlitten hatten, ehe sie starben.

Ich hatte in Toledo dem Marschall Victor meine De- 135

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peschen übergeben und war zu meinem Regiment, am Tage bevor es sich in Garnison nach Madrid begab, zurück- gekehrt. Inzwischen war am 21. Dezember im kaiserlichen Quartier in Chamartin gemeldet worden, daß einer der Posten des Generals Franchesr in der Nacht vom 12. zum 13. bei Rueda genommen worden war und daß englische Kavallerieabteilungen bis an die Tore von Valla- dolid das Feld behaupteten19)

Als Napoleon von dieser Bewegung der Engländer hörte, brach er sogleich am nächsten Tage mit seiner Qarde und dem Korps Neys von Madrid auf, um ihnen den Rückzug auf Coruna abzuschneiden. Am 23. war er in Villacastin, am 25. in Tordesillas, am 27. in Medina de Rioseco, und am 27. morgens stellte sich seine aus drei Schwadronen Jäger zu Pferd bestehende Vorhut, die der General Lefcbvre*1) befehligte, vor Benavente auf, wo sich die englische Armee befand.

Da der General die Brücke über die Esla abgebrochen fand, durchwatete er den Fluß und warf die vorgeschobe- nen Posten der Engländer bis an die Tore der Stadt zurück. Aber in der Hitze der Verfolgung vergaß er, seine Jäger wieder zu vereinigen und sieh aufzuklären, und wurde so mit der Kavallerie der feindlichen Nachhut in ein Gefecht verwickelt. Die französischen Jager waren gezwungen, wieder über den Flulf zurückzugehen; 60 verwundete oder kampfunfähig gernachte Soldaten, unter denen sieh auch der General befand, blieben in den Händen der Engländer. Die französischen Jäger stellten sich nun am gegenüber- liegenden Ufer in Schlachtordnung auf und bereileten sieh

») Sie gehörten zur Armee des Generals Moore, der am 13. Dezember Salamanca verlassen hatte, um sich mit den 1300O Lii;;Ij[|Jl.'[-j] zu ie;eiiiij;e:i, die J..:r General flaird von Villafranca herbeiführte. Er gedachte, mit den spanischen Truppen des Generals La Romana einen Angriff gegen Souit zu unternehmen, der mit 15 000 Mann die Flecken Ouardia, Soldafias undSahugun besetzt hielt.

(Anmerkung des Verfassers.)

*>) Gemeint ist Lef ebvre-DeBnouettes.

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auf einen verzweifelten Angriff vor, um ihren gefangenen Befehlshaber zu befreien. Plötzlieh ließen die Engländer in die Nähe der abgebrochenen Brücke zwei Kanonen der leichten Artillerie auffahren und schössen auf die franzö- sischen Schwadronen, die nun gezwungen waren, sich zurückzuziehen.

Die englisch -spanischen Armeen waren von dem Marsche des Kaisers gerade in dem Augenblick unterrich- tet worden, als sie sich anschickten, den Marschall Souit im Dorfe Carion anzugreifen. Sie zogen sich daher schnell auf Astorga und Benavente zurück und zwar auf den Straßen von Mayorga, Valencia und Mancilla. Aller Wahr- scheinlichkeit nach wären die englisch-spanischen Heere von den Dcfilees von Gaücien abgeschnitten worden, wenn die französische Armee in ihrem Marsche durch den frisch- gefallenen Schnee in der Sierra üuadarrama und durch die übergetretenen Gebirgsflüsse nicht bedeutend aufge- halten worden wäre.

Napoleon kam am 30. Dezember in Benavente an. Er rückte nicht weiter jenseits von Astorga vor, kam mit seinen Garden am 7. Januar nach Valladolid und wenige Tage später war er schon wieder in Frankreich, um Kriegs Vorbereitungen gegen Österreich zu treffen.11) Ney blieb in Astorga, um die Defilees von Galicien zu beob- achten, und Soult setzte seine Verfolgung der Armee des Generals Moore gegen Corufia fort.

Am 16. Januar wurden die Englander gezwungen, ehe sie sich einschifften, vor Corufia eine Schlacht zu liefern. Die Affäre war blutig und sehr umstritten. Zuerst

!1) Da die von Naiwlcan im Prcflburgcr Friedens vertrage vom 26. Dezember 1805 auferlegten Bedingungen viel zu hart waren, entschlofl sich Österreich, auls neue die Walten zu ergreiten, und hielt den Augenblic k für jirci^ni t, a!; Ivmolcun seine ganze Heeres- nacht in Spanien stehen hatte. Aber man hatte nicht mit der Schnel- ligkeit Napoleons gerechnet, der mit Riesenschritten herbeieilte und den Erzherzog Karl, der kaum erst Niederbayern erreicht hatte, üben-aschte.

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gewannen die Franzosen Terrain, aber gegen Ende des Tages nahmen die Engländer ihnen die starke Stellung wieder ah, deckten so die Verankerung ihrer Flotte und schifften sich während der Nacht vom 16. zum 17. ein. General Moore wurde während der Schlacht, gerade als er ein zurückgeworfenes Korps wieder zum Angriff führte, von einer Kugel getroffen.

Am 13. Januar verlief! unser Regiment Madrid, um sich mit dem 1. Armeekorps zu vereinigen. Am 14. über- nachteten wir in Ocana. Am 15. trafen wir drei Meilen von letztgenannter Stadt auf spanische Gefangene, die von Ucles") kamen und die man nach Madrid brachte. Viele der Unglücklichen brachen vor Erschöpfung zusam- men, andere starben vor Entkräftung ; wenn sie nicht mehr weiter konnten, wurden sie unbarmherzig erschossen. Diese blutige Order war als Repressalie dafür gegeben worden, daß die Spanier die gefangenen Franzosen aufge- knüpft hatten. Aber so barbarische Maßnahmen gegen wehrlose Feinde, die schon durch ihre Schwäche geschützt sein mußten, konnten in keinem Falle durch die Notwen- digkeil von Repressalien gerechtfertigt werden. Die ebenso grausamen wie unpolitischen Maßnahmen entfernten immer mehr die dauernde Unterwerfung besiegter Völker von dem großen Ziele der Eroberung.

Besonders zog einer der unglücklichen Spanier un- sere Aufmerksamkeit auf sich. Er lag tödlich verwundet auf dem Rücken. Sein langer, schwarzer, mit ein paar grauen Haaren untermischter Schnurrbart und seine Uni- form ließen erkennen, daß er ein alter Soldat war. Er gab nur noch unartikulierte Laute von sich, fortwährend die Namen der Jungfrau und aller Heiligen auf den Lippen. Wir suchten ihn mit Branntwein zum Leben zurückzubrin- gen, aber er starb kurz darauf.

») Bei Udes hatte am 13. Januar I80Q ein Gefecht »t>t%e- funden, in welchem Marschall Victor über den spanischen General Herzog von Infantado siegte. 138

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In Cuenca vereinigten wir uns mit unserm Armee- korps und kantonierten einige Tage in der Gegend von San demente und Belmonte, um unsere Artillerie zu er- warten, die nur mit Mühe ein oder zwei Meilen täglich machen konnte. Der Regen des Winters hatte die Wege so schwierig gemacht, daß man sehr oft die Gespanne vop mehreren Geschützen vereinigen mußte, um nur ein einziges vorwärts zu bringen.

Darauf durchquerten wir das Land Don Quichotes, um uns nach Consucgra und Madridejos zu begeben. Wir blieben länger als einen Monat in der Provinz La Mancha, wo wir teils die Häuser bewohnten, teils auf freiem Felde kampierten ; immer aber war unsere Lebensweise dieselbe, nur daß wir anstatt von einem Haus zum andern zu gehen, unsere Feuer verließen, um die der Kameraden aufzu- suchen. Hier verbrachten wir lange Nächte mit Trinken und Plaudern über die gegenwärtigen Kriegsereignisse, oder wir lauschten den Berichten über die vergangenen Feldzüge.

Unser Armeekorps verließ La Mancha ungefähr um die Mitte des Monats Februar, und die unter den Befehlen des Oenerals S6bastiani") stehenden Truppen rückten an, um in der Gegend von Toledo die Trümmer der Armee des Herzogs von Infantado zu beobachten.") Wir schickten uns an, Talavera, Arzobispo und Almaraz am rechten Ufer des Tajo angesichts des spanischen Heeres von Estre- madura zu besetzen. Diese Armee war am 24. Dezember in Arzobispo gegenüber von Almaraz vom Marschall Le- febvre zerstreut worden, hatte sich jedoch unter den Be- fehlen des Oenerals Cuesta wieder organisiert und ver- stärkt. Sie hatte den Franzosen die Brücke von Almaraz wieder genommen und deren HauptpftÜer gesprengt, was

«) Sebastian! sollte mit dem 4. Armeekorps die Provinz La Mancha bis zum Guadiana besdzen, um das genommene Madrid zu decken. Vergl, die 8. Anmerkung zum 1, Feldzugsberichte.

") Vergl. die 25. Anmerkung zum I. Feldzugabe richte.

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den Marsch unserer Truppen vollkommen aufhielt und uns in die Notwendigkeit versetzte, unter dem Feuer des Feindes eine neue Brücke über den Tajo zu schlagen. Wohl besaßen wir noch zwei andere Brücken, eine bei Arzobispo und die andere bei Talavera, aber sie waren damals für die Artillerie nicht gangbar.

Victor schlug sein Hauptquartier in Almaraz auf, um die Arbeiten besser übersehen und das Konstruieren der Flöße überwachen zu können. Ein Teil unserer leichten Kavallerie ging aufs linke Ufer über, um den Feind zu beobachten und {Rekognoszierungen gegen seine rechte Flanke am ibor vorzunehmen. Wegen der Schwierigkeit, uns Lebensmittel und Fourage zu verschaffen, mußten wir sehr oft unsere Kanton ierungen wechseln. Die Einwohner hatten fast das ganze Land, welches das Heer okkupierte, verlassen. Sie hatten die Gewohnheit, vor ihrer Flucht alles, was sie nicht mitnehmen konnten, an einem ent- legenen Ort ihrer Wohnungen einzumauern; und so be- gannen unsere Soldaten sogleich bei ihrer Ankunft wie Architekten erst die äußeren Wände, dann die inneren Räume zu durchsuchen, um zu sehen, ob man nichts ver- mauert hätte. Manchmal fand man unter der Erde ver- graben gefüllte Weinkrüge. Auf diese Weise gewöhnten wir uns daran, vom Zufall zu leben, und verbrachten ganze Wochen ohne Brot, ja sogar ohne uns Gerste für unsere Pferde verschaffen zu können.

Endlich, am 14. März, waren unsere Flöße fertig, aber wir konnten unter dem Feuer der Feinde sie weder ins Wasser lassen noch eine Brücke bauen. Zuerst mußten die Spanier aus der starken Stellung verdrängt werden, die sie gegenüber von Almaraz einnahmen.

Am 15. März überschritt ein Teil des 1. Armeekorps bei Talavera und Arzobispo den Tajo, um sich auf die Flanke und in den Rücken der spanischen Stellung zu be- geben. Die deutsche Division unter den Befehlen des Generals Leval griff zuerst den Feind am Morgen des 17. beim Dorfe Messa de Ibor an. 3000 Mann dieser Division, 140

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die keine Kavallerie besaß, warfen mit dem Bajonett 8000 hinter einem Berge verschanzte und von 6 Kanonen ver- teidigte Spanier über den Haufen. Der ganze 18. wurde noch dazu verwendet, die Feinde von Valdecaiiar zurück- zudrängen und sie von Stellung zu Stellung, von Felsen zu Felsen bis zum Berge Miravette zu verfolgen. Unser Regiment befand sich mit der Division Viüatc. auf dein linken Flügel der Armee. Wir marschierten den Ibor stromaufwärts, überall mühelos die Spanier zurück- werfend, die nirgends standhielten, sobald sie sich um- gangen sahen.

Am IQ. März machte die ganze Armee Rasttag, wäh- rend man die Flölie ins Wasser ließ. Die fliegende Brücke war schon in der Nacht konstruiert worden, und man begann noch am selben Tag die Artillerie hinüberzube- fördem. Die Truppen blieben auf dem rechten Ufer des Tajo, und am 20. vereinigte sich das ganze Heer bei Tnijffla

Die beiden Armeen verbrachten die Nacht in un- mittelbarer Nähe. Am folgenden Tag setzte sich der Feind eine Stunde vor Sonnenaufgang in Bewegung, und wir tojgtcn ihm hald . . . Zwei Stunden vor Einbruch der Nacht stieß die Schwadron der Avantgarde vom 10. Chas- seurregiment auf die feindliche Nachhut, die sich, als sie sich bedrängt sah, sofort auf das spanische Armeekorps zurückzog. Von zu großem Eifer hingerissen, Meli der Oberst uiivorsichtigerwcise das ganze Regiment angrdfen, das die spanische Kavallerie zwei Stunden lang auf der Chaussee zwischen tannenbewachsenen liüje'n verfolgte.

Nicht weit von Mi;ija(!;>s stellten die Spanier mehrere Schwadronen ihrer besten Kavallerie im Hinterhalt auf, die unversehens über die Chasseure unserer Vorhut her- fielen, die vereinzelt und ohne Ordnung in großen Zwi- schenräumen marschierten. Unsere Reiter wurden von der Überzahl erdrückt; ihre durch den heftigen Angriff erschöpften Pferde konnten sich nicht zum Widerstand sammeln, und die Feinde machten in wenigen Minuten 141

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mehr als 150 der tapfersten Chasseure des 10. Regiments kampfunfähig. General Lasalle, der von dem Vorgefalle- nen unterrichtet wird, lieft uns eilig zu ihrer Unter- stützung vorrücken, aber wir kamen zu spät; wir sahen nur noch von weitem die Staubwolken, welche die sich zurückziehenden Spanier aufwirbelten. Der Oberst des 10. Regiments, der mit der Zusammen-ziehung seiner Chas- seure beschäftigt war, raufte sich vor Verzweiflung die Haare beim Anblick der auf dem Boden umherliegenden Verwundeten. Als die Nacht hereinbrach, kehrten wir zurück, um hinter der Stelle, wo der Kampf stattgefunden hatte, unsere Biwaks aufzuschlagen.

In der Nacht vom 27. zum 28. setzte sich die ganze Armee in Bewegung-, um gegen den Feind zu marschieren. Schon seit mehreren Tagen erwartete uns der General Cuesta in den Ebenen vor Medellin und hatte im voraus die vorteilhafteste Stellung, um seine Armee aufzustellen, von Genieoffizieren rekognoszieren lassen.

Die Spanier, denen das Glück in regelrechten Schlach- ten so oft untreu war, suchten sich durch alle möglichen Mittel die Sicherheit zu verschaffen, die ihnen fehlte. Sie betrachteten das Scharmützel von Miajadas als eine gute Vorbedeutung, auch stützten sie sich auf den alten Aber- glauben, den sie an das Andenken der Siege ihrer Vor- eltern über die Mauren in derselben Ebene knüpften. Die Franzosen hingegen kümmerten sich nicht um ihre Hoff- nungen, sondern vertrauten wie gewöhnlich ganz dem Siege selbst

Um 11 Uhr morgens debouchierten wir aus Medellin, um uns in Schlachtordnung aufzustellen. Die leichte Ka- vallerie Lasalles wurde auf dem linken Flügel aufgestellt, im Zentrum befand sich die deutsche Infanteriedivision, und auf der Rechten stand der General Latour-Maubourg mit seinen Dragonern. Die Divisionen Villate und Ruffin bildeten die Reserve. Die drei Divisionen unserer ersten Linie, waren hinler der Armee, welche aus zahlreichen Detachements bestand, gelassen worden, um die Verbin- 142

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düngen aufrechtzuerhalten, und sie waren nur 7000 Mann stark. Der Feind stellte uns eine Linie von mehr als 34 000 Mann entgegen.

Die deutsche Division begann den Angriff. Darauf griffen das 2. und 4. Dragonerregiment die spanische Infanterie an, wurden indes mit Verlust zurückgeworfen, und die Deutschen blieben allein inmitten des Handge- menges. Sie bildeten ein Karree und leisteten während des Restes des Kampfes gegen die verdoppelten Anstrengungen des Feindes kräftigen Widerstand.

Nur mit Mühe stellte der Marschall Victor die Schlacht wieder her, indem er 2 Regimenter der Division Vilattc vorrücken ließ. Zuerst versuchte die feindliche Kavallerie vergebens, unsern rechten Flügel zu vernichten, dann stürzte sich ein Teil derselben auf unsere Linke. Da diese fürchtete, eingeschlossen zu werden, war sie gezwungen, eine Rückwärtsbewegung zu machen, um sieb an den Guadiana zu lehnen. Zwei Stunden lang zogen wir uns langsam und schweigend zurück, alle 50 Schritte eine Wendung machend, um dem Feinde unsere Front zu zeigen und ihm das Terrain streitig zu machen, bevor wir es verließen. Durch das fortwährende Pfeifen der Kugeln über unsern Köpfen und das Aufprallen der Geschosse hindurch, die den Boden um uns herum aufwühlten, hörte man nichts als die Stimmen der Befehlshaber. Sie erteilten ihre Befehle mit um so größerer Ruhe und Kaltblütigkeit, je mehr uns der Feind bedrängte. Aber je weiter wir uns zurückzogen, desto mehr schrien die Spanier. Ihre Schützen waren so zahlreich, so kühn, daß sie manchmal die unsern zwangen, sich in ihre Reihen zurückzuziehen. Von weitem schrien sie uns zu, daß sie keinen Pardon geben würden und daß die Ebene von Medellin das Grab der Franzosen sein sollte.

Als die feindliche Kavallerie in Flintenschuß weite von uns entfernt war, zogen sich die Schützen beider Teile zurück, und man sah in dem Zwischenräume, der uns von den Spaniern trennte, nichts als die Pferde der Toten 143

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von Freunden wie Feinden die, meist verwundet, nach allen Richtungen liefen.

Die Spanier hatten unserer einzigen Schwadron sechs Eliteschwadronen tuli^ensj^rlikkt, die in gedrängten Ko- lonnen marschierten; an ihrer Spitze befanden sich Lan- ders. Plötzlich setzte sich diese ganze Masse in Trab, um uns anzugreifen, während wir zurückgingen. Da ließ der unsere Schwadron kommandierende Ri.tmeister seine vier aus 1 2(1 Husaren bestehenden Züge eine halbe Rechts- wendung im Schritt raachen. Als diese ausgeführt war, richtete er ebenso ruhig, als befänden wir uns auf dem Exerzierplätze, die Linie. Die spanischen Reiter wurden von einer solchen Kaltblütigkeit in Erstaunen gesetzt, daß sie unwillkürlich ihrem Trab Einhalt taten. Diesen Augen- blick der Zögerum; benutzte der Kommandant und ließ sofort zum Angriff blasen.

Unsere Husaren, die inmitten all der Drohungen und Flüche der Feinde eine feste Schweigsamkeit bewahrt hat- ten, übertönten jetzt mit einem einzigen weithinschallenden KriegsruF die schrillen Trompetenstöße. Von Schrecken erfaßt machten die spanischen Lanciers Ha:t, drehten sporn- streichs um und rannten so die Schwadronen ihrer armen Kavallerie über den Haufen. Der Schrecken hatte sie vollkommen gepackt, und sie wagten sich einander kaum anzuschauen, weil jeder in dem andern einen Feind ver- mutete. Unsere Husaren jagten ihnen nach und säbelten sie ohne Widerstand nieder. So verfolgten wir sie bis zur Nachhut ihrer Armee. Als die Trompeten zum Sam- meln bliesen, verließen wir den Feind, um von neuem unsere Schwadron in Schlachtlinie zu stellen. Kurze Zeit nach unserm Angriff war die [fan;t spanische Kavallerie von der Rechten und Linken versehwunden.

Die Dragoner hatten sich um ihre Elitekompagnien zusammengezogen und benutzten nun die U nen! schlössen- heil, die sie bei der spanischen Infanterie bemerkten, die ihre Kavallerie fliehen sah, zu einem glück'i:hen und glän- zenden Angriff auf das Zentrum der Spanier. 2 Regimenter 144

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der Division Villate griffen gleichzeitig mit Erfolg die Rechte der feindlichen Infanterie bei den Höhen von Min- gabril an. im Handumdrehen war die Armee vor uns wie vom Winde getriebene Wolken verschwunden. Alle Spanier flohen und warfen ihre Waffen weg, und die Kanonade brach ab. Unser ganzes Kavallerickurps machte sich nun an die Verfolgung des Feindes. Die Infanterie folgte uns in einiger Entfernung, alle verwundeten Feinde mit dem Bajonette niederstechend. Die Wut der Soldaten richtete sich besonders gegen diejenigen Spanier, die keine Uniform trugen.

Husaren und Dragoner kamen bald mit ungeheuren Kolonnen von Spaniern zurück, die sie der Infanterie über- gaben, um sie nach Medellin zu bringen. Diese selben Männer, die uns so sicher vor der Schlacht den Tod ver- sprachen, marschierten jetzt mit gesenktem Kopfe, nieder- geschlagen an der Seite unserer Truppen. Bei der gering- sten drohenden Bewegung unserer Soldaten drängten sie sich alle auf einmal nach der Mitte ihrer Kolonnen, wie die Schafe, wenn sie die Stimme eines sie verfolgenden Hundes hören. Jedesmal, wenn sie einem Korps franzö- sischer Truppen begegneten, riefen sie mit Anstrengung: „Vive Napoleon et ses troupes invindbles !"

Ein Oberst, der ein Höfling und Adjutant des Königs Josephs war, sah die Gefangenen vor der Front der Re- gimenter defilieren und befahl ihnen auf spanisch „Vive le roi Joseph!" zu schreien. Zuerst sah es aus, als ver- stünden es die Gefangenen nicht, dann nach kurzem Schweigen, brachen alle in den gewohnten Ruf aus: „Vive Napoleon et ses troupes invincibles!" Da wandte sich der Oberst an einen einzigen und wiederholte ihm drohend den Befehl, den er gegeben. Der Gefangene rief: „Vive le roi Joseph!" Im selben Augenblick trat ein spanischer Offizier hervor, der dem Branche gemäß nicht entwaffnet worden war, näherte sich dem Soldaten und durchbohrte ihn mit seinem Degen. Unsere Feinde wollten wohl die Macht unserer siegreichen Waffen anerkennen, aber nicht,

10 B-MT: Spin. Freihtilstampf. 145

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selbst nicht in ihrer Niederlage, die Autorität eines Ge- bieters, den sie sich nicht erwählt hatten.

Ich kehrte ein wenig vor Mitternacht nach Medellin zurück. Die Franzosen hatten ungefähr 4000 kampfun- fähige Leute, während die Spanier 12000 Tote und IQ Kanonen auf dem Schlachtfelde ließen. Wir machten 7 8000 Gefangene, aber von diesen kamen kaum 2000 in Madrid an, denn in ihrem eigenen Lande ward es ihnen leicht, zu entfliehen.'*) Um die Aufmerksamkeit der französischen Eskorten abzulenken, kamen die Be- wohner der Städte und Dörfer ihnen in großen Mengen entgegen, und trugen Sorge ihre Häuser offen zu lassen. Die Gefangenen mischten sich dann unter die Menge oder warfen sich in die Häuser, deren Türen sich schnell hinter ihnen schlössen.

Vierzehn Tage nach der Schlacht bei Medellin hatte sich die spanische Armee von ihren Verlusten wieder er- holt und hielt, fast 30000 Mann stark, die Pässe der Ge- birge vor uns besetzt. Der Oeneral Sebastiani rückte in La Mancha jenseits von Santa-Cruz de la Mudela nicht vor, und unser Armeekorps blieb zwischen dem Tajo und dem Ouadiana in Kanton ierung. Wir konnten uns nicht zu weit vom Flusse fortwagen, ohne uns der Oefahr auszu- setzen, hinter uns die spanischen Truppen sieh von neuem sammeln zu sehen, die uns die einzige Verbindung, die wir mit Madrid durch die Brücke von Almaraz noch be- saßen, abschneiden konnten. Übrigens hatten wir lange Zeit keine Nachricht von Soults Korps, das nach Portugal zurückgekehrt sein mußte und mit dem wir uns durch unsere Rechte vereinigen sollten.

Seit dem Feldzuge in Österreich und der Abreise des Kaisers Napoleon erhielten die französischen Heere in

«) Rocca ist hier nicht ganz exakt: Victor besaB ein Korps von beinahe 23000 Mann, eine Zahl, die diejenige der Spanier weit überstieg. Das ganz natürliche Resultat blieb nicht aus; 7000 Spanier blieben auf dem Sehlachtfeld und 2000 wurden gc- fanefn genommen. 146

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Spanien keine Verstärkungen mehr, um ihre täglichen Verluste wieder auszumerzen. Anstatt sich zu konzen- trieren, hatten sie sich immer mehr auf der Halbinsel aus- gebreitet Auf allen Punkten schwach, weil sie sich zu sehr verteilt hatten, erschöpften sie sich durch ihre eigenen Siege, im Süden und im Norden Spaniens verloren sie bei den aufständischen Bauern jenen Ruf der Unbesiegbarkeit, der mächtiger war als alle wirkliche Stärke, der sich so viele Völker unterworfen hatten.

König Joseph kommandierte seit der Abreise des Kaisers als Oberbeichtshaber. Er glaubte, er könne in Spanien wie in Neapel die Völker, welche die Gewalt un- serer Waffen unterdrückte, durch die seinem Charakter eigene Sanftmut an seinen Thron fesseln, und hatte die Armeen allerorten vorrücken lassen, einzig und allein in der Absicht, neue Provinzen einzurichten und über ein aus- gedehnteres Land zu regieren. Auf diese Weise stellte er die militärische Sicherheit der Armeen von Galicien und Portugal bloß, von denen man volle 5 Monate keine Nach- richt erhielt

Im April verließ unser Armeekorps (Victor) zeitweise seine Quartiere am Guadiana zwischen Merida und Me- dellin und näherte sich dem Tajo bei Alcantara, um sich mit der Division Lapisse'5) zu vereinigen. Diese hatte un- nützerweise die Festung Ciudad Rodriga zur Obergabe aufgefordert. Eine Division von Viciors Korps begab sich nach Alcantara und überschritt am 14. Mai den Fluß nach einem unbedeutenden Gefecht mit der portugiesischen Mi- liz. Sie machten am folgenden Tage eine Rekognoszierung in der Richtung von Castello Branco. Da sie aber erfuhren, daß 8000 Engländer und Portugiesen Abrantes besetzt hielten, vermuteten sie, daß die Expedition des Marschalls

") Divisionsgenera] Lapisse zeichnete sich besonders bei Madrid und in der Schlacht bei Talavera de la Reina am 27. und 2B, Juli 1809 aus, wo er an der Spitze seiner angreifenden Division tödlich getroffen wurde.

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Soult auf Lissabon nicht geglückt war, und kehrten um. Nun vereinigte Victor sein Korps in der Gegend von Tru- jillo zwischen dem Ouadiana und dem Tajo, um sieh seiner Verbindungen durch die Brücke von Almaraz zu sichern, Madrid zu decken und die Armee Cuestas zu beobachten. Das vierte Armeekorps, das der General Se- bastiani befehligte, blieb seit der Affäre von Ciudad Real in La Mancha.

Am 20. Mai erhielten die Offiziere und Unteroffiziere aller vierten Schwadronen der ganzen Kavallerie vom Kriegst in ister den Befehl, iii die Depots ihrer Regimenter zurückzukehren, um neue Schwadronen zu formieren. Ich verließ infolgedessen Spanien und ward bei meiner An- kunft in Frankreich gegen die Englander an die flandrische Küste geschickt.

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2. Kapitel

Verfolgung des spanischen Parteiführers Marquis von Portiere. Kämpfe in Andalusien. Rückkehr nach Frankreich

Gegen Ende des Jahres 1803 kehrte ich nach Spa- nien zurück, meinem Regiment ein Detachement von 80 Husaren zuführend. Es bildete einen Teil des aus 5000 Mann bestehenden Korps, welches der General Loison befehligte.

Am 16. Dezember setzten sich die Generale Loison und Solignac") von Vitoria und Miranda aus in Marsch und begaben sich gleichzeitig auf das andere Ufer des Ebro nach Logrono, um dort den Marquis Porliere26) zu überraschen. Zahlreiche Quadrillen dieses Parteiführers schnitten uns auf dem Wege von Bayonne nach Madrid die Verbindungen ab, indem sie täglich Streifzüge, Ott bis an die Tore der Städte Burgos, Bribiesca, Pancorvo, Mi- randa und Vitoria, machten.

Die Infanteristen hatten ihre Bagage zurückgelassen, ja sogar ihre Tornister, um in den Bergen gewandter marschieren zu können.

") Louis Henri Graf von Loison, 1771—1816, und Barun Jean Baptiste Solignac, 1773— IBM, nahmen beide als Divisions- gcnerale an mehreren Schlachten in den spanischen Feldzügen teil.

'6) Juan Diaz Porliere, genannt cl Marqucsilo, 1775 bis 1815, war zuerst Anführer der Guerillas und dann Oberbefehls- haber der Asturier, ein Amf, das er bis zur Wiedereinsetzung Ferdinands VII. auf den Thron Spaniens bekleidete.

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Am 17. gegen 4 Uhr nachmittags war Logrono in Sicht Die Truppen des Generals Solignac stellten sich gleichzeitig mit den unsrigen vor der Stadt auf. Sie be- setzten sogleich die Tore und Eingänge, die sich auf dem rechten Uler des Ebro befinden, während wir uns der Brücken bemächtigten. Einen Augenblick schmeichelten wir uns, die Parteigänger in Logrono eingeschlossen zu haben. Aber bald darauf drangen wir in die Stadt ein, ohne, zu unserer großen Verwunderung, einen einzigen Schuß tun zu müssen.

Der Marquis von Portiere war am Morgen von unserm Marsch in Kenntnis gesetzt worden und hatte sich über die geschlängelten Wege in den Hochgebirgen von Castilien gerettet. Die Bewohner der Stadt, Männer wie Frauen, standen an den Fenstern, um uns ankommen zu sehen ; ein Ausdruck allgemeiner Zufriedenheit und Genugtuung war auf ihren Gesichtern zu lesen. Sie freuten sich, daß uns der Marquis von Portiere entwischt war, aber sicher nicht darüber, daß sie französische Truppen wiedersahen ; denn sie wußten aus Erfahrung, daß wir kamen, um die rückständigen Kontributionen einzutreiben.

Wir waren gezwungen, 2 volle Tage in Logrono zu bleiben, um uns über den Feind zu informieren, dessen Spur wir vollkommen verloren hatten. Endlich, am 21., erfuhren wir, daß der Marquis von Portiere den Weg nach Soto eingeschlagen habe. Die in den Bergen gelegene Stadt war der Sitz einer provinzialen Junta und schloß Waffen-, Munitions- und Kleidermagazine in sich. Von neuem machten wir uns auf die Verfolgung der Partei- gänger, indem wir die Najerilla aufwärts marschierten. Die Division des Generals Loison verbrachte einige Stunden der Nacht in einem Dorfe am Fuße des Gebirges, io Meilen südlich von Soto. Ein detachiertes Korps, bestehend aus meiner Husarenabtcilimg, 150 polnischen Landers und 200 Voltigeuren, setzte die Verfolgung des Feindes fort, ich klärte mit einer Vorhut von 25 Husaren diesen Marsch auf.

Wir marschierten durch enge, schwierige, schneebe-

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deckte Wege und stießen mit Sonnenaufgang auf die feind- liche Nachhut, von der wir einige Oefangene machten. Darauf hielten wir mehrere Stunden Rast, um unsere Pferde zu füttern und dem General Loison Zeit zu lassen, uns zu folgen. Zu Mittag machten wir uns wieder auf den Weg am linken Ufer eines kleinen Flusses entlang, der gegen Soto hin fließt

Als wir eine Viertelmeile von der Stadt entfernt waren, empfing uns plötzlich eine Salve von 30—40 Flinten- schüssen, und wir sahen bewaffnete Bauern hinter den Felsen hervortreten, hinter denen sie sich verschanzt hat- ten. Sie rannten mit aller Kraft von den Bergen herab nach Soto. Wir machten Halt, um die Infanterie und den Major zu erwarten, der uns kommandierte. Da wir keinen Platz finden konnten, um uns auf den Höhen in Schlachtord- nung aufzustellen, blieben wir im Gänsemarsch auf dem engen Wege, den wir gekommen waren.

Soto liegt am Ende eines engen Tales, das ein Ge- birgsfluß durchfließt. Auf der andern Seite der Stadt er- hebt sich ein steiler Berg, an dessen Flanke man einen ge- krümmten Weg konstruiert hatte. Auf diesem Wege sahen wir die Parteigänger vor uns ihren Rückzug bewerk- stelligen. Die Beamten der Junta von Soto und eine große Anzahl Geistliche, in schwarze Mäntel gehüllt, schrit- ten voran und erreichten bald den Gipfel des Berges. Ihnen folgten der Schatz und das Gepäck, das auf Maul- tiere geladen war, die im Gänsemarsch hinterein ander- gingen. Darauf kamen Soldaten in Uniform und eine große Menge mit Jagdflinten bewaffneter Bauern, die ohne jeg- liche Ordnung marschierten. Eine Masse Einwohner jeden Geschlechts und Alters beeilte sich, kunterbunt mit den Parteigängern, aus der Stadt zu kommen. Die Bewegung dieser großen Menge Menschen, die sich gegenseitig dräng- ten, um die Höhen zu erklimmen, bot dem Auge ein sehr malerisches Bild.

Sobald die Spanier uns gewahr wurden, kam Unord- nung in ihren Zug, und sie beschleunigten zuerst ihren 151

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Marsch. Da sie aiwr später saiiui, daß wir mir eine wenig zahlreiche Vorhut bildeten, beruhigten sie sich, und das ganze Gebirge hallte von ihren langgezogenen hohlen Schreien wider. Die uns zunächst Befindlichen hielten in ihrem Marsch inne und stellten sieh auf die Felsen, von wo aus sie auf ur.s ziehen und uns. ?unrlen: „Kommt doch, wenn ihr es wagt, die Bnganlen in der Nahe 711 he- sehen!*' Sr> nannten nainhch unsere Soldaten sie, wegvn ihrer regellosen Arl /u kämpfen.

Der Major vom 2ti I icienre)-imcnt, der u:is befehligte, hielt die Steihini! des Feindes in der fvonl für unangrnf- bar und beschloß, sie 7U umgeht-:!. 15(1 unserer Voltigeure stiegen in den Unlilwr^ hinab, durch wateten den Kluß vor unsern Augen, erklimmen mit nmßer .Miihe den Kegen- uherliegendcn Berg und schössen eii'i,;e 7eit auf den f'eind, ohne ji'diiili Hoden zu gewinnen. Da ihre Munition bald zur Neige ging, zogen sie sich hinter eine kleine Kapelle auf dem Gipfel zurück und schickten zwei Leute zu uns, um uns von ihrer I.atrt zu unterrichten. Das Geschrei und die Flintenschüsse der Spanier vermehrten sich, denn sie hatten gesehen, daß unsere Voltigeure uns um Unter- stützung gebeten hatten, wir sie ihnen aber nicht schicken

kiiriitci.

Der Iii Uni eiste r de: feindlichen Kavallerie rückte auf halbe Hnte:isi huHweitc mr <lie Truppe, die er am Ein- gänge der Stadt befehligte und schickte sich an. den kom- mandierenden Offizier der fra-ii .isischen Husarenvorhut durch Beschimpfungen herauszufordern. Er ließ sein Pferd tanzen und hieb uut seiutin Saliel uin sich, wie um >.u /eigen, daß er ihn zu handhaben verstünde. Zuerst be- trachtete der rlusamiotfi/lur ihn zk-nuch kalt, dann aber, durch seine Prahlereien und durch das Geschrei der Spa- nier, deren Kühnheit immer größer wurde, ungeduldig gemacht, ritt er allein den engen, steilen Weg hinab, der nach Soto führt. Der feindliche Rittmeister machte schleu- nigst kehrt, als der Offizier einige Sehritte vor ihm an- kam, und dieser kehrte zu seinen Reitern zurück. 152

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Indes wurde der Major des 26. Regiments von Minute zu Minute unruhiger; der General Loison kam nicht, der Tag neigte sich zu Ende, und wir hörten keine Schüsse mehr vom Gipfel des gegenüberliegenden Berges, erhielten auch keine Nachricht von unsern Volügeuren.

Als die Nacht hereinbrach, hörten wir den Tambour der Spanier zum Sammeln blasen und sahen darauf das Feuer eines sehr lebhaften Gefechts, das sich am Ende des Tales zwischen zwei T nippe nabt eilungen abspielte, die sich den Übergang über den Fluß streitig machten. Darauf folgte tiefe Stille.

Die Nacht und die Entfernung vermehrten noch unsere Besorgnis. Wir glaubten, unsere Voltigeure seien vom Gipfel heruntergestiegen, um sich mitten durch die Feinde hindurch einen Weg zu bahnen, und fürchteten, daß sie, von der liberzahl erdrückt, sich in der grüHlen Gefahr be- fanden. Der Major scbiikte ihnen daher mrin Detaihement zu Hilfe. Als wir in die Stadt eindrangen, stießen wir anstatt auf Heinde auf die Division des Generals Loison, Lr hatte, durch die Fuhrer irregeleitet, einen sehr langen und ganz andern Weg eingeschlagen, als wir. Das Gefecht das uns von weitem si> mörderisch erschienen war, harte /wischen unsern Vultigeurcn, die tatsächlich nach dem Aufbruch des Feindes in die Stadt hinabgegangen waren, und den Grenadieren der Vorhut Loisons staltgefunden; glücklicherweise erkannten sie sich schon nach der zweiten Ladung. Die Nacht verhinderte sie, ihre Schüsse genau zu richten, und so verlor jede Abteilung nur einen einzigen Mann.

Soto war von seinen Einwohnern verlassen. Bald hallte die Luft von dem dumpfen Geschrei der Soldaten wider, welche die engen Straßen durcheilten und die Türen der Häuser einschlugen, um sich Lebensmittel und ein Obdach zu verschaffen. Plötzlich brach auf der Höhe Feuer aus: wir hörten die Mauern mit Getöse zusammen- stürzen. Kurze Zeit darauf fand eine Explosion statt, und man sah die brennenden Trümmer eines Gebäudes 153

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in die Luft fliegen. Das Feuer hafte mehrere Kisten mit Kartuschen erfaßt, welche die Feinde unter Stroh versteckt hatten, da sie sie nicht mitnehmen konnten.

Bei Sonnen au [gang verließen wir Soto und verfolgten noch zwei Tage lang die Spur der Parteigänger über Man- silla und Cervera. Als wir indes keine Hoffnung mehr hatten, sie zu erreichen, nahmen wir im Flecken Arnedo Quartiere und kehrten dann nach Logrono zurück.

Fast einen ganzen Monat blieben wir in der Provinz La Rioca, währenddem der General Loison die rückstän- digen Kontributionen eintrieb. Dann machten wir uns aufs neue auf der Straße von Burgos auf den Weg, um zu unserm Regiment in Andalusien zu stoßen.

Die Andalusitr und Spanier sind im allgemeinen, wie die Orientalen, sehr mäßig inmitten des Überflusses; und zwar sind sie es aus religiösem Prinzip. Sie betrachten die Unmäßigkeit als einen Mißbrauch der von Gott be- willigten Gaben und verachten diejenigen tief, die sich ihr hingeben.

In ihrer Art, Krieg zu führen, findet man noch heute eine so treffende Ähnlichkeit mit den Völkern an den Ufern des Nils, daß, wenn man in einer Geschichte des Feldzugs von Ägypten den arabischen Namen spanische unterschöbe, man den Bericht der in Spanien vorgefalle- nen Ereignisse zu lesen glauben würde.

L>ie nationalen und lokalen Truppen oder die Massen- crhebu:igcn in Spanien kämpfen ohne Regel, indem sie wilde Schreie ausstoßen. Sie besitzen heim Angriff aul freiem Frldi- jrnrs l ngfstum, jene ir.it Ve'/weillung und Fanatismus gemischte Wut, welche die Araber auszeichnet. Sehr oft verzweifeln sie auch wie diese zu früh an ihrem Gelingen und überlassen das Schlachtfeld dem Feind ge- rade in dem Augenblick, wo ihnen der Sieg sicher ist Wenn sie aber hinter Mauern und Verschanzungen kämp- fen, dann ist ihre Entschlossenheit unerschütterlich. In Spanien wie in Ägypten konnten unsere Soldaten keinen Schritt hinter ihren Kolonnen zurückbleiben, ohne ao 154

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gleich ermordet zu werden. Endlich hegten die Spanier des Südens denselben tiefen Haß und besaßen auch die bewegliche Phantasie der Orientalen. Wie sie, waren sie manchmal durch das geringste Gerücht einer Niederlage entmutigt und bei der leisesten Hoffnung auf Erfolg auf- ständisch. Die Spanier wie die Araber ließen sich oft gegen ihre Gefangenen zu den scheußlichsten Greueltaten hin- reißen, manchmal aber übten sie auch die edelste und großmütigste Gastfreundschaft gegen sie.

Nachdem wir Andujar, Cordoba, Ecija und Carmona durchquert hatten, kamen wir in Sevilla an, wo wir vom Marschall Soult den Befehl erhielten, zu unseren Regiment in Ronda zu stoßen, einer 10 Meilen von Gibraltar gele- genen Stadt Wir waren ganz erstaunt über die tiefe Ruhe, die in den Ebenen von Andalusien herrschte; die meisten der großen Städte hatten an den König Joseph Deputa- tionen gesandt Aber diese Ruhe war nur scheinbar und nur in den Gegenden vorhanden, wo die Franzosen zahl- reiche Truppen harten. Die Bewohner der Provinzen Mur- cia, Granada, Ronda sowie der Gebirge, die Andalusien umgeben, durchschneiden oder es von Esfremadura und Portugal trennen, hatten alle gleichzeitig die Waffen er-

Wir verließen Sevilla am 18. März, um in Utrera zu übernachten, und am 19. begaben wir uns nach Morön, einem am Fuße des Gebirges von Ronda gelegenen Flecken. Die Bewohner Moröns waren eben im Begriff, sich am nächsten Tag mit ihren Nachbarn, den Berg- völkern zu vereinigen, die sich seit langem schon in Massen erhoben hatten. Der größte Teil der Bevölkerung ver- sammelte sich bei unserer Ankunft auf dem großen Platze der Stadt Die Männer sahen uns mit einem Ausdruck von verhaltener Wut an und schienen mit ihren Augen unsere kleinsten Bewegungen zu verfolgen, nicht etwa um eine harmlose Neugier zu befriedigen, sondern um sich an den Anblick von Feinden zu gewöhnen, die sie in kurzem zu schlagen hofften, und sich auf diese Weise 155

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von jener Furcht vor dem Unbekannten zu befreien, welche so großen Einfluß auf Völker hat, die eine starke Hin- bildungskraft besitzen. Mehrere Frauen trugen Kleider aus englischem Stoff, auf dem die Bildnisse des Königs Ferdinand VII. und der spanischen Generale gemalt waren, die sich im Kriege gegen die Franzosen hervorgetan hatten. Als wir die Entschlossenheit und den aufrührerischen Oeist sahen, der in dem Flecken herrschte, faßten wir den Ent- schluß, uns alle zusammen in drei benachbarten Gasthöfen einzuquartieren. Denn wenn wir uns zerstreut hätten, um die Nacht in den Häusern der Einwohner zu verbringen, wie wir das in den Ebenen ruhig tun konnten, so wären wir wahrscheinlich alle ermordet worden .

Nachdem wir Morön verlassen hatten, gingen wir ins Gebirge von Ronda, um in Olvera zu übernachten. Wie an den andern Tagen war ich meinem Detachement vorausgeritten, um Quartiere zu machen. Ein Husar und ein junger Brigadier, den ich provisorisch unter den Re- kruk:it ausgewählt hatte, damit er mir als Quartiermacher diene, begleiteten mich. Da uns die Vorhut bald eingeholt hatte, fürchtete ich, nicht genügend Zeit zu haben, um die Quartiere und Lebensmittel noch vor der Ankunft des Detachements vorzubereiten. Wir konnten uns nur langsam vorwärts bewegen, weil der Weg felsig und schwierig war und unsere Pferde schon einen Marsch von mehreren Monaten hinter sich hatten. Ich gab daher mein Pferd dem Husaren und bestieg das eines Führers, den wir aus Morön mitgenommen hatten. Darauf ritt ich meinen Begleitern voraus und gelangte allein in die Nähe von Olvera. Ein tiefes, kahles Tal, in das ein steiler Weg hinabführt, trennte mich von dem Flecken, der zwi- schen Felsen auf dem Gipfel eines das Land beherrschen- den Berges gelegen ist Je näher ich dem Orte kam, desto verwunderter fragten sich die auf den umliegenden Feldern zu 8 oder 10 arbeitenden Bauern, was wohl die Ursache meines Kommens sein möge, und bald darauf verließen sie ihre Arbeit, um mir in dem engen Wege zu 156

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folgen. Die Bewohner Olveras hatten mich längst bemerkt und kamen in Menge auf die Felsen, um mich zu beob-

Ich fing an zu fürchten, daß sich keine Franzosen in dem Orte befänden, wie ich zuerst angenommen hatte, und machte am Ende des Tales Halt, erstaunt über die immer mehr wachsende Bewegung, die ich bemerkte. Einen Augenblick zögerte ich, ob es nicht besser sei, um- zukehren, aber dann glaubte ich, den Entschluß fassen zu müssen, auf gut Glück weiter vorzugehen. Das Pferd, das ich bestiegen hatte, war von dem eben gemachten Ritt erschöpft, und der Weg, den ich hätte zurücklegen müssen, sehr abschüssig. Außerdem kam dicht hinter mir ein Trupp mit Hacken bewaffneter Feldarbeiter. Diese hatten mich bald eingeholt und fragten mich, aus welcher Provinz ich sei, wohin ich ginge und was für Nachrichten ich brächte. Aus ihren Fragen ersah ich sogleich, daß sie mich für einen Soldaten in spanischen Diensten hiel- ten. Meine dunkelbraune Uniform war die Ursache ihres Irrtums. Ich hütete mich wohl, sie aus ihrem Irrtum zu reißen, denn ich wußte nicht, ob ich es, ohne mein Leben zu riskieren, tun könnte. Ich hoffte, bis zur Ankunft meiner Abteilung Zeit zu gewinnen, und ließ die Bauern glauben, daß ich ein im Dienste der Junta stehender schweizerischer Offizier sei und nach Gibraltar ginge. Und um sie in gute Laune zu versetzen, fügte ich hinzu, daß der Marquis von La Romana soeben einen großen Sieg hei Badajos davon- getragen habe. Die Bauern nahmen die Nachricht mit großer Gier auf und wiederholten sie sich gegenseitig. Dabei überhäuften sie die Franzosen mit tausend Ver- wünschungen, was mir eine traurige Idee von dem Schick- sal gab, das mich erwartete, wenn man mich entdeckte.

Nun fragte ich meinerseits die mich Umgebenden, ob diese verfluchten Franzosen nicht auch in ihrem Orte wären, und sie antworteten mir, der König Joseph sei mit all seinen Garden von Gaucin zurückgeworfen worden und habe Ronda seit mehreren Tagen verlassen, das schon 157

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von 1U0O0 Bergbewohnern besetzt sei. In Roiida aber wollten wir zu unserm Regiment stoßen! Wenn diese Stadt wirklieh in die Hände der Feinde gefallen war, würde unser Detachement in diesen Bergen vollkommen vernichtet werden. Die Bauern machten vor einer Quelle Halt, um zu trinken, und ich setzte meinen Weg nach dem Berge allein fort.

Bald gewahrte ich fünf, wie Soldaten bewaffnete und ausgestattete Männer, die sich beeilten, mich auf einem Seitenweg zu überholen. Sie kamen vor mir in Olvera an. Da sich laute, wilde Rufe hören ließen, zweifelte ich nicht, daS die fünf Männer die Nachricht von der nahen Ankunft meiner Abteilung verbreitet und entdeckt hatten, daß ich ein französischer Offizier war. Noch einmal blieb ich unschlüssig stehen. Die Bewohner, die mich vom Felsen aus beobachteten, bemerkten meine Unent- schlossenheit, und ihre Rufe verdoppelten sich. Es waren sehr viele Frauen darunter, deren spitze Stimmen sich unter die der Männer wie das Pfeifen des Windes im Sturm mischten. Ich entschloß mich, vorwärts zu gehen, denn ich wußte, daß ich verloren war, wenn ich versucht haben würde, umzukehren.

Bald sah ich einen Corregidor"), einen Alcalden und zwei Geistliche auf mich zukommen. Ihnen gingen fünf oder sechs Personen voran, an deren Spitze ein junger Mann marschierte, der wie ich später erfuhr, der „Qra- cioso"30) des Dorfes war. Er sagte mit spöttischer Miene auf spanisch zu mir: „Die Frauen von Olvera lieben wie es scheint die Franzosen sehr; sie empfangen sie ausge- zeichnet." Und darauf machte er lachend noch mehrere ähnliche Scherze. Einer seiner Gefährten fragte mich mit lauter Stimme, wie groß die Anzahl der Franzosen sei.

Ein Corregidor war in Spanien eine Art Landrichter, d. h. die vom König eingesetzte erste obrigkeitliche Person in einer Stadt.

M) „Gracioso" bedeutet soviel wie Spaßmacher, besonders die komische Person im spanischen Lustspiel, 158

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die mir folgten. Ich antwortete, es wären wenigstens 200. Aber sofort antwortete er mir grob: „Es ist nicht wahr; kaum hundert sind es, Sie inbegriffen. Die fünf Männer, die eben im Dorfe angekommen sind, haben sie auf dem Wege von Moron gesehen." Nun war es mir klar, daß sie wußten, wer ich war. Da näherten sich mir der Corre- gidor und die Geistlichen, und ich glaubte, auf ihren finstern Gesichtern die Absicht zu meiner letzten Ölung zu lesen. Inmitten des Tumults unterschied ich deutlich die Worte: „Man muß ihn hängen, er ist ein Franzose; es ist der Teufel selbst, es ist der leibhaftige Satan!"

Plötzlich brachen die Rufe zu meiner großen Ver- wunderung ab, und ich sah die Spanier sich zerstreuen. Der Brigadier, der Husar und der Führer, die ich zurück- gelassen hatte, waren auf der gegenüberliegenden Hohe erschienen, und die auf den Felsen stehenden Bewohner des Ortes hielten sie von weitem für die Vorhut meines Detachements. Sofort benachrichtigten sie durch Oesten und Worte die mich umgebende Menge, die furchtsam aus- einanderstob.

Der Corregidor sagte zu mir, wie um sich wegen des Vorgefallenen zu entschuldigen, ich sollte den Rufen einiger Betrunkener, die sich einen Spaß daraus machten, die Bevölkerung aufzureizen, keine Bedeutung beimessen. Und als ich fragte, was die fünf bewaffneten Männer im Dorfe zu suchen hätten, antwortete mir einer der Geistlichen in süßlichem Tone und mit leiser Ironie, daß jene Männer Vogeljäger seien und ihre Tornister Wild enthielten. Ich war gezwungen, mich mit diesen Entschuldigungen, so schlecht sie auch waren, zufrieden zu geben, und stieg von meinem Pferde, um zu Fuß mit den Geistlichen und dem Alkalden nach dem Rathause zu gehen, wo wir Quar- tierscheine ausfertigen wollten.

Der mir folgende Brigadier ließ den Husaren und mein Pferd am Eingange des Dorfes zurück und kam bald im Galopp an die Türe des Hauses, in welchem ich mich befand, angesprengt Kaum war er vom Pferde gestiegen, 159

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als die Spanier sich in die benachbarten Straßen stürzten und wie Wütende schrien. Sie hatten eine zahlreiche Truppe erwartet, als sie aber nur einen einzigen Mann sahen, erkannten sie ihren Irrtum und kamen zornig aus ihren Häusern heraus. Ihre Wut war so groB, daß sie sich gegenseitig über den Haufen rannten. Ich trat sogleich auf den Balkon heraus, rief meinem Brigadier zu, herauf- zukommen, was er auch tat, und dann schlössen wir uns beide in den Ratssaal ein und verbarrikadierten uns. Das Volk hielt sich ein wenig unten auf, um sich des Pferdes, des Mantelsacks und der Pistole des Brigadiers zu be- mächtigen, dann stürmten die Anführer der Meute die Treppen herauf bis zu dem Zimmer, in dem wir uns mit dem Corregidor und den beiden Priestern be- fanden, und schrien uns durch das Schlüsselloch zu, uns zu ergeben.

Vorerst ließ ich ihnen durch den Corregidor, den ich in meiner Hand hatte, befehlen, still zu sein, dann sagte ich ihnen, daß unser Dctach erneut bald da sein würde, ferner daß wir ihnen unser Leben teuer verkaufen würden und daß, wenn sie versuchen sollten, einzudringen, ihr Beichtvater das erste Opfer ihrer Wut sein würde. Da ich fürchtete, sie möchten die Türe eindrücken, trat ich einige Schritte bis zu dem engen Eingang des Nebenzim- mers zurück, immer den Pfarrer am Arme festhaltend, um mich im gegebenen Falle seiner als Schild zu bedienen. Ich zog meinen Säbel, befahl dem Brigadier dasselbe zu tun und im Hintergrunde des Zimmers zu bleiben, um zu verhindern, daß der Vikar und der Corregidor mich nicht erfassen konnten. Bald verdoppelte sich das wilde Ge- schrei und die Einwohner, die mit uns parlamentiert hat- ten, wurden durch andere zurückgedrängt Gegen die Tür dröhnten dumpfe Schläge, und es war vorauszusehen, daß sie nicht mehr lange der Wucht dieser Masse Menschen widerstehen konnte. Ich sagte daher zu meinem Geist- lichen: „Verzeihen Sie mir, mein Vater: Sie sehen, daß es mir unmöglich ist, dem Pobel zu widerstehen; ich bin ge- 160

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zwungen, Sie mein Los teilen zu lassen, und wir werden zusammen sterben !"

Von der Gefahr, welcher der Pfarrer und er selbst ausgesetzt war, erschreckt, trat der Vikar auf den Balkon heraus und schrie den Einwohnern zu, daß ihr Beicht- vater unvermeidlich sein Leben einbüßen werde, wenn sie sich nicht augenblicklich zurückzögen. Als das die Frauen hörten, heulten und schrien sie, und die Menge zog sich sogleich zurück, so groß und echt war die Ver- ehrung des Volkes für die Priester.

Der Brigadier und ich hielten noch eine Zeitlang diese Art von Blockade aus, bis der Platz plötzlich ganz ruhig ward und man nur das Getrampel der Pferde meines Deta- chements vernahm, das sich in Schlachtlinie unterhalb des Dorfes aufstellte. Nun begaben auch wir uns, in Beglei- tung des Corregklors und des Pfarrers, die wir als Deckung mitnahmen, zu unserer Abteilung. Ich erzahlte meinen Kameraden, was mir begegnet war, und riet ihnen, noch am selben Tage nach Ronda zu gehen, nachdem wir unsere Pferde gefüttert hätten. Aber der Bataillonsadju- tant, der uns befehligte, wollte trotz aller meiner Vor- stellungen in Olvera übernachten und sagte mir mit einem gewissen Vorwurf in der Stimme, daß man noch niemals Linientruppen gesehen habe, die sich durch Bauern in Ver- legenheit bringen ließen. Der Offizier kannte eben die Spanier nicht, denn er war erst kürzlich von Frankreich gekommen.

Wir schlugen unser Biwak auf einer mit Mauern um- gebenen Wiese auf, die zu dem Gasthof an der Dorfstraße gehörte. Die Einwohner verhielten sich für den Rest des Tages scheinbar ruhig und lieferten uns Lebensmittel. Aber anstatt eines jungen Rindes, das ich verlangt hatte, brachten sie uns einen in vier Teile gehackten Esel. Die Husaren fanden das Kalb, wie sie es nannten, ein wenig fad im Geschmack, aber erst lange danach erfuhren wir den Betrug durch die Bauern selbst. Sie schrien uns nämlich oft nach: „Ihr habt einen Esel in Olvera ge- ll H.M7: Span. FrEitieiWninpi. 161

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gessen!" Ihrer Meinung nach war dies die gröbste Be- leidigung, die einem Christen menschen zuteil werden konnte.

Gegen Abend des nächsten Tages nahmen sie eine immer drohendere Haltung an und begaben sich in großer Anzahl auf die Felsen. Bald bildeten sie eine enge Hecke um den Eingang unseres Biwaks. Dort blieben sie un- beweglich, die geringste unserer Bewegungen beob- achtend.

Ein wenig vor Einbruch der Nacht näherte sich der Pfarrer unserm Biwak und verlangte, mich zu sprechen. Er teilte mir mit, daß er ausgezeichnete Quartiere für un- sere Befehlshaber habe bereiten lassen, und bestürmte mich sehr, daß ich meine Kameraden veranlassen sollte, sie zu beziehen. Seine Absicht war, wie wir später er- fuhren, uns gefangen zu nehmen, in der Hoffnung, daß unsere Soldaten in Verwirrung gerieten, wenn sie sich" am nächsten Tag ihrer Offiziere beraubt sähen.

Ich wies dies Anerbieten natürlich zurück. Darauf bat er mich, doch wenigstens allein zu ihm zu kommen, er wolle mich gut behandeln. Ich fragte meine Kameraden um Rat, und wir kamen überein, daß ich allein ins Dorf gehen solle, um den Einwohnern zu zeigen, daß wir keine Rachepläne hätten, und ihnen so jeden Gedanken an einen Überfall auf uns zu benehmen. Meine Kameraden wurden zu diesem Vorschlag wohl auch durch die Hoffnung veran- laßt, daß ich ihnen ein gutes Abendessen schicken werde. Ich kehrte zum Pfarrer zurück und forderte sein geheiligtes Ehrenwort, daß er mir keinen Schaden zufügen wolle. Er gab es mir auf der Stelle, und um ihm mein vollkomme- nes Vertrauen zu beweisen, schnallte ich in seiner Gegen- wart meinen Säbel ab, übergab ihn der Schildwache und folgte ihm ohne Waffen.

Wir gingen zusammen durch das Dorf; alle Ein- wohner, an denen wir vorüberkamen, grüßten ehrerbietig meinen Führer und schauten mich darauf mit drohender Miene an. Wenn sie aber zu sehr in meine Nähe kamen, 162

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um mir Angst zu machen, wies sie der Geistliche nur mit einem einzigen Bück zurecht, so groß war die Macht, die ihm das heilige Amt, das er bekleidete, verschärfte.

Wir erreichten bald sein Haus, wo wir von der Wirt- schafterin empfangen wurden. Sie war ein großes Mäd- chen von 35 bis 40 Jahren. Zuerst setzte sie uns Schoko- lade und Biskuit vor, nachher servierte sie die Abendmahl- zeit auf einem Tisch neben dem Kamin in der Küche. Ich ließ meinen Kameraden zu essen schicken und setzte mich zu Tisch. Der Pfarrer setzte sich mir gegenüber, die Wirt- schafterin an seiner rechten Seite, fast unter dem Schorn- stein, der sehr hoch war. Nach kurzem Schweigen fragte mich der Pfarrer, ob ich nicht morgen, ehe ich den Ort verließe, in die Messe ginge, und ich antwortete, ich sei nicht katholisch. Bei diesen Worten verfinsterten sich seine Züge, und seine Wirtschafterin, die noch niemals einen Ketzer gesehen hatte, sprang wie von der Tarantel ge- stochen in die Hohe und stieß unwillkürlich einen langen Seufzer aus. Nachdem sie nachher schnell mehrere Ave Maria gemurmelt hatte, sah sie den Pfarrer fragend an, um zu wissen, welchen Eindruck sie beim Anblick einer solch entsetzlichen Erscheinung, wie die eines Ketzers war, empfangen sollte. (Die Volkse rzählungcn und Bilder eini- ger Kirchen des Landes stellten nämlich die Ketzer als feuerspeiende Wesen dar.) Als die Wirtschafterin indes den Pfarrer ruhig die Unterhaltung wieder aufnehmen sah, erholte auch sie sich von ihrem Schrecken.

Nach dem Abendbrot lud mich der Geistliche ein, bei ihm zu übernachten, indem er mir Sagte, daß ich wohl Sehr müde sein müsse. Er wolle mir schon ein Bett geben, das unser Biwak aufwöge. Als er sah', daß ich mit der Antwort zögerte, fügte er hin/u, es sei gut, man ließe erst die Menge sich verlaufen, und ich müßte wenigstens einige Stunden warten. Ich begann allmählich zu fürchten, daß er mich in seinem Hause zurückhalten und den Einwohnern überliefern wollte. Später sagte man mir, daß dies wirk- lich seine Absicht und er der Chef des ganzen Aufstandes U* 163

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war. Aber lange Zeit danach kam ich zur Überzeugung-, daß er mich wahrscheinlich nur vor dem verhängnisvollen Schicksal, das die Dorfbewohner und er meinem Deta- chement zugedacht hatten, bewahren wollte.

Da es in seiner Macht lag, mich zu verraten, wenn er wollte, hütete ich mich wohl, ihm Mißtrauen entgegen- zubringen. Ich sagte ihm daher, daß ich sein Anerbieten annähme und mich vollkommen sicher fühlte, da ich ja sein heiliges Ehrenwort habe. Doch bäle ich ihn, mich spätestens in zwei Stunden zu wecken, weil meine Kame- raden leicht, wenn sie mich nicht vor Mitternacht zurück- kehren sähen, ihr Biwak verlassen und das Dorf an allen Ecken anzünden könnten. Der Pfarrer führte mich in ein Nebenzimmer, ich legte mich zu Bett, was uns sehr selten in Spanien passierte, und er ging mit der Lampe hinaus, mir eine gute Nacht wünschend.

Die tiefe Finsternis trug nicht gerade dazu bei, meine Lage als eine rosige erscheinen zu lassen. Ich bereute, mich meines Degens entledigt /w haben, den ich wie einen treuen Gefährten, der mir einen guten Rat hätte geben können, vermißte. Unter meinen Fenstern horte ich das Gemurmel der Einwohner, die vorübergingen. Von Zeit zu Zeit öffnete der Pfarrer ein wenig meine Tür, steckte seinen weißen Kopf hindurch und beleuchtete mich mit der Lampe, um zu sehen, ob ich schlafe. Ich tat so, als wenn ich tief in Schlaf versunken wäre, und er zog sich leise zurück.

Da hörte ich, wie vcrschk-ileiR' Miimicr in das Zimmer nebenan eintraten. Sie sprachen zuerst sehr ruhig, aber nachher wurden sie lauter und sprachen alle auf einmal. Darauf trat wieder Stille ein, als fürchteten sie, mich er- weckt zu haben. Nun fingen sie an, sich mit leiser Stimme, aber sehr lebhaft zu unterhalten. In dieser Ungewissen und seltsamen Lage verbrachte ich zwei Stunden, während deren ich überlegte, was ich tun sollte. Endlich entschloß ich mich, den Pfarrer zu rufen, der sofort kam. Ich sagte ihm, daß ich augenblicklich zu meinem Detachement zu- 164

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rückkehren wolle, und ohne mir zu antworten, stellte er seine Lampe auf den Tisch und verließ mich, wahrschein- lich um die in seinem Hause befindlichen Spanier zu be- fragen, was er mit mir machen solle.

Inzwischen sah ich mit großer Freude denjenigen unserer Unteroffiziere in mein Zimmer treten, der Spanisch sprach. Der Corregidor begleitete ihn. Meine Kameraden seien in der größten Besorgnis über mein Schicksal, sagte er, und hatten ihn sescik'kt, um sich über meinen Verbleib zu informieren. Ferner teilte er mir mit, daß mich die Einwohner schon als ihren Gefangenen betrachteten, daß sie uns am nächsten Tag angreifen wollten und schwüren, keiner von uns solle ihnen ent- kommen. Ich zog mich eiligst an und forderte aufs neue den Geistlichen auf, sein Wort zu halten, indem ich hinzu- fügte, daß meine Kameraden drohten, die Waffen zu er- greifen, wenn ich nicht bald zurückkäme. Zu meinem Glück waren die Vorbereitungen zum Aufstande des Dor- fes noch nicht ganz vollendet Der Pfarrer wagte nicht, mich noch langer zurückzuhalten. Er rief den Corregidor, einen Alcalden und einige Männer, die uns in ihre Mitte nahmen und uns durch die Menge hindurch zu unserm Biwak geleiteten.

Der Unteroffizier, den mir meine Kameraden sandten, war ein Normanne und tapfer wie keiner. Er verbarg unter dem Scheine der vollkommensten Gutmütigkeit alle List, die man gewöhnlich seinen Landsleuten zuschreibt. Er hatte sich bei den Bewohnern von Olvcra als Sohn eines in Frankreich mit Karl IV. als Gefangener zurückgehal- tenen Offiziers der wallonischen Garden eingeführt und erzählte ihnen, er sei gezwungen worden, mit uns zu dienen, suche aber schon lange eine Gelegenheit, zu deser- tieren. Die Spanier dieser Gegend waren gleichzeitig listig und leichtgläubig wie Wilde. Sie glaubten alles, was unser Unteroffizier sagte, bedauerten ihn, gaben ihm Geld und vertrauten ihm einen Teil ihrer Pläne an. Durch ihn er- fuhren wir denn, daß die Bewohner der umliegenden 165

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Dörfer sich in großer Anzahl am nächsten Tage versam- meln sollten, um uns in i-iimm g cflüi räicht'n Delikt: auf der Straße von Honda anzugreifen.

Am nächsten Tage, als wir gerade aufbrechen wollten, kamen der Geistliche und der Corregidor in unser Biwak, um uns um ein Zeugnis zu bitten, das den Franzosen be- weisen sollte, wie rücksichtsvoll sie uns behandelt hätten. Sie hofften, daß die drohende Hallung der Bewohner uns veranlaßte, ihrem Wunsehe nachzukommen. Aber wir ant- worteten, daß wir ihnen das Zeugnis nicht früher aus- stellen würden, als bis sie uns die Waffen zurückerstattet hätten, die sie von dem Pferde des Brigadiers genommen, der mit mir im Rathause eingeschlossen gewesen war.

Der Corregidor und der Pfarrer schlugen wieder schweigend Ihren Weg nach dem Dorfe ein, und kaum waren sie fort, so ließen sich Alarmrufe hören. Die Be- wohner hatten 6 Husaren und 2 Hufschmiede, die unvor- sichtigerweise ihre Pferde in der Dorfschmiede beschlagen hatten, niedergemacht. Nun begann das Gefecht. Wir be- stiegen eilig unsere Pferde, und das Oros unseres Deta- chements folgte unserm Hefehlsliaber nach dem Orte, den man auf Flintenschulhveite vom Dorfe entfernt zum Sam- meln gewählt hatte. Ich blieb im Biwak und behielt zehn Husaren bei mir, um den Rückzug zu decken und das Gepäck zu schützen, das man noch nicht auf die Maul- tiere hatte laden können, weil die spanischen Führer wäh- rend der Nacht ausgerissen waren.

Bald kam einer meiner Kameraden zurück, um mir zu sagen, daß unsere Nachhut auf dem Punkte sei, ein- geschlossen zu werden, und daß die Spanier ein sehr lebhaftes Musketenfeuer von den Felsen und Fenstern der am äußersten Ende des Dorfes liegenden Häuser, an denen wir vorbei mußten, gegen das Detachement ent- wickelt hätten. Da wir keine Hoffnung auf Hilfe hatten, entschlossen wir uns, uns einen Weg mitten durch die Feinde zu bahnen. Mein Pferd erhielt eine Kugel, die ihm den Hals durchbohrte, und es stürzte zu Boden, 166

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aber ich riß es mil aller Kraft wieder in die Höhe und erreichte glücklich das Detach erneut. Kurz darauf traf eine Flintenkugel meinen Kameraden in den Arm. Wir sahen fast alle Husaren fallen, die uns folgten. Frauen oder viel- mehr entfesselte Furien stürzten sich mit gräBlichem Ge- heul auf unsere Verwundelen und stritten sich um sie, um sie auf die grausamste Weise zu Tode zu quälen. Sie stachen ihnen Messer und Scheren in die Augen und wei- deten sich mit wilder Freude an dem Anblick ihres Blutes. Die Übertreibung ihrer gerechten Empörung gegen die, welche ihr Land überschwemmten, hatte sie vollkommen entartet.

Unser Detachement war während der ganzen Zeit unbeweglich geblieben. Die Einwohner wagten sich nicht von den Felsen und aus ihren Häusern zu entfernen, und wir konnten mit unsern Pferden nicht zu ihnen ge- langen, um unsere Kameraden zu rächen. Wir nahmen daher unsere Verwundeten in die Mitte unserer Truppe und setzten uns langsam in Bewegung.

Da wir uns keinen Führer hatten verschaffen können, schlugen wir, ohne zu wissen, wohin wir gingen, den ersten Weg ein, der von der Straße abzweigte, auf der die Bergbewohner Verschanzungen angelegt hatten, und irrten so erst einige Zeit auf gut Glück in den Feldern herum. Endlich sahen wir einen Mann auf einem Maul- tier aus einem Bauerngehrift herauskommen. Ich rannte ihm nach, erwischte ihn und stellte ihn zwischen zwei Husaren der Vorhut, ihm befehlend, uns nach Ronda zu führen, wenn er nicht niedergesäbelt werden wollte. Ohne diesen Bauern hätten wir niemals unsern Weg in dem uns unbekannten Lande finden können. Auf diese Weise hatten wir stets zu kämpfen, nicht gegen militärische und vorher- gesehene Schwierigkeiten, wie sie sich in jedem ge- regelten Kriege finden, sondern gegen zahllose Hinder- nisse, die aliein aus dem nationalen Geist entspringen.

Bald sahen wir Ronda vor uns liegen. Unsere Freude, dem Ende unseres Marsches nahe zu sein, wurde durch 167

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den Anblick neuer in den Wäldern verschanzter Feinde getrübt, die auf uns ein sehr lebhaftes Feuer eröffneten. Wir waren in größter Besorgnis und fürchteten, die Stadt möchte von den Franzosen verlassen worden sein. Aber bald sahen wir zu unserer lebhaften Freude Husaren von unscrm Regiment uns entgegenkommen; auch sie harten uns von weitem für Feinde gehalten.

Der König Joseph war nur wenige Tage in Ronda geblieben. Er hatte als Garnison 250 Husaren unseres Regiments und 300 Mann Infanterie seiner Garde in der Stadt gelassen und bei seiner Abreise unserm Oberst mit dem Titel des Gouverneurs die unbegrenztesten Voll- machten über die umliegenden Provinzen erteilt Die ab- solute Macht, die mit diesem glänzenden Titel verbunden war, hätte sich über alle Provinzen im Umkreis von 15 bis 20 Meilen erstrecken können, aber die Schmuggler der Sierra hielten unsere Macht in den engen Grenzen der Mauern von Ronda, wo wir nicht einmal ruhig schlafen konnten wegen des Mißtrauens, das man den Bewohnern der Vorstädte entgegenzubringen gezwungen war.

Als die Nacht eingebrochen war, sahen wir eine Menge Feuer nach und nach auf den benachbarten Bergen auflodern; der Feind hatte um die Stadt herum Stellung- genommen, um uns am nächsten Tage anzugreifen.

Seit einer halben Stunde hörten wir zu wiederholten Malen ein Alphorn blasen, dessen Ton aus dem kleinen. Tal außerhalb der Festung zu kommen sehten. Wir scherz- ten über diese formwidrigen Töne, ohne zu ahnen, was die Ursache dazu war, als ein Husar von einem unserer vorgeschobenen Posten angesprengt kam und dem Oberst meldete, daB ein Parlamentär der Feinde empfangen zu sein wünschte. Der Oberst befahl, ihn hereinzuführen, und bald darauf brachte ihn der Soldat mit verbundenen Augen herbei. Er schlug uns vor, uns zu ergeben, da der General der Insurgenten mit 15 000 Mann alle Ausgänge besetzt halte, durch die wir versuchen könnten zu entkommen. Er habe vor einigen Tagen eine Zufuhr von 50 000 Kar- 168

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tuschen erhalten, die uns zugedacht seien, und er wüßte, daß wir uns nicht lange in der Fesf ung verteidigen könnten, da wir fast gar keine Munition mehr hätten. Das war allerdings wahr: die Soldaten der Infanterie besaßen jeder nur noch drei Kartuschen. Unsere Husaren konnten von ihren Säbeln in den Felsen keinen Gebrauch machen, und ihre Pferde waren ihnen meist im Wege, ohne ihnen nützlich zu sein.

Der Oberst antwortete dem Unterhändler, daß wir uns vor allen Dingen erst mal zu Tisch setzen wollten, und gab mir ein Zeichen, den Ankömmling in das Zimmer zu führen, wo das Mittagsmahl hergerichtet war. Der Parla- mentär war ein junger Mann mit einem ziemlich hübschen Gesicht. Er trug einen runden andalusischen Hut und eine kurze Jacke aus braunem Tuch mit einem hellblauen Vor- stoß. Das einzige, was ihn von dem andern unterschied, war eine Schärpe nach der Mode des Landes, deren Enden mit einigen Silberfäden durchwirkt waren.

Im ersten Augenblick war er sehr erstaunt, sich in seiner bescheidenen Ausstattung inmitten eines Kreises von Offizieren zu sehen, die mit Gold und Stickereien über- laden waren. Und als wir alle auf einmal uns anschickten, unsere Säbel abzuschnallen, ehe wir uns setzten, zeigte er eine gewisse Besorgnis, da er offenbar den Grund dieser Bewegung nicht kannte. Ich glaube, er dachte, wir wollten ihn ermorden, weil einige Tage vorher die Bewohner eines benachbarten Dorfes einen Schöffen der Stadt Ronda massakriert hatten, den wir ihnen als Unterhändler ge- sandt hatten.

Ich beruhigte ihn sogleich darüber und lud ihn ein, «ich ebenfalls seiner Waffen zu entledigen und sich wie wir zu Tisch zu setzen. Der spanische Offizier wich zuerst nicht von der Mäßigkeit ab, die seine Nation charakteri- siert Als wir aber auf seine Gesundheit tranken, tat er uns Bescheid und kam bald so in Eifer, daß er uns die Spitze bieten wollte. In der Mitte der Mahlzeit waren wir nur noch „Kameraden", beim Dessert nannten wir uns 16g

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„Brüder". Wir schworen uns ewige Freundschaft, und unter andern Zeichen der Zuneigimg versprachen wir uns, uns bei unserer ersten Begegnung in einem besonderen Ge- fecht zu schlagen.

Nach der Mahlzeit schickte mein Oberst den spani- schen Parlamentär wieder zurück, ohne ihm eine Ant- wort gegeben zu haben. Ich wurde beauftragt, ihn bis zu den feindlichen Vorposten zu begleiten, und bat ihn, sich die Augen selbst zu verbinden. Ein Husar stellte sich an seine Rechte, um sein Pferd am Zügel zu führen; ich selbst ging links, und wir schlugen zusammen den Weg nach Gibraltar ein, auf dem er gekommen war. Als wir an unserm Hauptposten vom herkamen, wurden wir von dem Trompeter des Parlamentärs und einem alten königlichen Karabinier eingeholt, der ihm als Ordonnanz diente. Es war der einzige Karabinier, den es in der ln- surgentenartnee gab, und mau hatte ihn geschickt, um dem Unterhändler wegen seiner neuen Uniform eine besondere Ehre an zutun. Sehr erstaunt war ich, als ich ihn seinen Offizier herrisch fragen hörte, warum er ihn denn so lange habe warten lassen.

Als wir zu dem ersten spanischen Posten am äußer- sten Ende der Vorstadt gelangten, sagte ich dem Parlamen- tär Lebewohl und kehrte zurück, um meinem Oberst Be- richt zu erstatten.

Man hielt einen Kriegsrat, und es wurde beschlossen, daß wir die Stadt verlassen sollten, um Munition in Cant- pillos zu erwarten, einem 7 Meilen von Ronda am Aus- gange des Gebirges gelegenen Flecken. Hier in der Ebene mußte uns unsere Kavallerie nötigenfalls das Übergewicht über die Bergbewohner gehen, wie zahlreich sie auch sein mochten. Wir hatten nur sehr wenig Vertrauen zu den 300 Mann der Garde des Königs Joseph, die wir mit uns hatten, denn dieses Korps war gröntenteils aus spanischen Deserteuren gebildet.

Bald erreichten wir Cam pillos und sahen an der Art, wie uns die Einwohner empfingen, daß die Nachricht 170

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von unsern Verlusten in Olvera und unsertn Ruchzug von Remda uns vorausgeeilt war. Als ich mich nach meinem Quartier begab, wurde ich sehr schlecht von meinem Wirt empfangen; mein Diener hatte von ihm ein Zimmer für mich verlangt, worauf er ihm ein dunkles, feuchtes Loch zeigte, das nach einem Hinterhof hinausging. Da man bei unserer Ankunft keine Lebensmittel hatte verteilen können, Ließ der Alcaldc einen Befehl veröffentlichen, durch welchen er den Einwohnern einschärfte, den Soldaten Kost und Wohnung zu geben. Der Husar, der mir als Ordonnanz diente, gab dem Herrn des Hauses durch Zeichen zu verstehen, uns etwas zu essen zu geben. Ich sah den Wirt mit spöttischer Miene einen sehr kleinen Tisch hereinbringen, auf dem etwas Brot und Knoblauch lag. Dann hörte ich ihn zu seiner Frau sagen : „Das ist lange gut genug für diese Hunde von Franzosen, wir brauchen sie nicht rücksichtsvoll zu behandeln, denn sie sind geschlagen worden. Jetzt retten sie sich, aber wenn es Gott und der heiligen Jungfrau gefällt, so ist keiner von ihnen noch in zwei Tagen am Leben." Ich tat, als hörte ich diese Ver- wünschungen nicht, um ihn nicht merken zu lassen, daß ich Spanisch verstand.

Ich ging fort und kam nach einer Stunde wieder in mein Quartier, wo ich 5 Individuen des Dorfes um das Feuer herumsitzen und Zigarren rauchen fand. Wie ich erfuhr, versammelten sie sich jeden Abend bei meinem Wirt, der mit Tabak handelte. Mein Husar, der ein wenig von ihnen entfernt sali, erhob sich, als ich eintrat, und bot mir seinen Stuhl an. Ich nahm ihn an und rückte ein wenig näher zum Feuer; sogleich waren die Spanier still. Um sich zu versichern, ob ich Spanisch verstünde oder nicht, fragte mich der eine, ob ich denn nicht recht müde sei. Und obwohl ich ein Oesicht machte, als könnte ich ihn nicht verstehen, fügte er lachend hinzu: „Sie haben in den letzten zwei Tagen tüchtigen Gebrauch von Ihren Sporen gemacht." Ich antwortete nicht; nun glaubten sie, 171

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daß ich nicht ein Wort Spanisch verstände, und setzten ihre Unterhaltung fort.

Sie sprachen mit grenzenloser Begeisterung von den tapferen Bcrghewohiiern, die uns aus Rontla verjagt hätten, und erzählten mit den größten Einzelheiten von einem sein1 mörderischen zivülfstündigeu Gefecht, das am Tage vorher in den Straßen derselben Stadt stattgefunden haben sollte. Wir hätten wenigstens 600 Mann verloren, sagten sie; dabei waren wir im ganzen nur 550. Auch versicher- ten sie, daß der General der Insurgenten uns spätestens in zwei Tagen angreifen werde, daß die Bewohner des Dorfes die Waffen ergreifen und die verdammten Ketzer, die noch schlimmer als die Mauren seien, vernichten woll- ten. Denn die Fs-anzüseii, sagU-ii sie, glaubten weder an Gott, noch an die Mutter Maria, noch an den heiligen Anton, ja nicht einmal an den heiligen Jakob von Ga- licien und scheuten sich nicht, in den Kirchen mit ihren Pferden zu wohnen. Endlich behaupteten sie, daß ein Spanier drei Franzosen aufwöge, und einer fügte hinzu: „Ich töte 6 mit einer Hand."

Nun stand ich auf und rief ihnen zweimal hinter- einander zu: „Poco a poco", was auf deutsch „Sachte, sachte" bedeutet. Sie waren wie versteinert, als sie auf diese Weise erfuhren, daß ich ihre ganze Unterhaltung mit angehört hatte. Ich verließ sie, um meinen Oberst von dem eben Gehörten in Kenntnis zu setzen. Er be- fahl sofort dem Alcalden, die Stadt zu entwaffnen. Die Einwohner gaben ihre schlechten Waffen her und behielten die guten, was meist in solchen Fällen geschieht.

Nach meinem Quartier zurückgekehrt, fand ich keinen einzigen von meinen Politikern mehr vor, sie waren alle davongelaufen. Auch mein Wirt hatte sich versteckt. Seine aufs äußerste erschrockene Frau hatte in meiner Ab- wesenheit versucht, meinen Husaren zu besänftigen, und ihm den besten Wein vorgesetzt, während er vorher nur Wasser bekommen hatte. Dieser, der nicht wußte, daß alle die Fürsorge der Angst entsprang, war über die so unver- 172

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hoffte Gunst sehr erstaunt; er empfand sogar ein wenig Eitelkeit, denn ich traf ihn damit beschäftigt, seinen fürch- terlichen Schnurrbart mit größerer Sorgfalt als sonst zu

Die Frau beeilte sich, meinen Sähel zu nehmen, so- bald ich ihn abgelegt hatte, und trug ihn mit großem Eifer in das schönste Zimmer, als wenn er in meinem Namen davon Besitz ergreifen sollte. Dann kam sie wieder und bat mich mit zitternder Stimme, ich sollte doch um Himmels willen nicht auf ihren Mann böse sein ; er sei ein ehr- licher Mann, ein Mann mit einem guten Herzen, obwohl er mich nicht zum besten empfangen habe. Ich beruhigte sie und sagte, ihr Mann könne aus seinem Versteck wieder hervorkommen, ich würde ihm nichts Böses zufügen, unter der Bedingung, daß er mich von allem unterrichtete, was er über die Pläne der Feinde und über die der Einwohner erführe. Um ihn zu erschrecken, fügte ich hinzu, daß ich ihn hängen lassen würde, wenn er es nicht täte; und legte mich schlafen.

Am nächsten Morgen stand ich sehr früh auf, und als ich die Türe meines Zimmers öffnete, fand ich meinen Wirt davorstehend, der mich erwartete, um mit mir Frieden zu schließen. Noch ehe er ein Wort zu mir gesprochen hatte, präsentierte er mir eine Tasse Schokolade mit Bis- kuit, die ich mit sehr herablassender Miene annahm ; dann sagte ich ihm, daß ich von nun an mein Verhalten ganz nach dem seinen richten werde. Er antwortete mir mit einer tiefen Verbeugung, er und sein ganzes Haus ständen mir zur Verfügung.

An diesem Tage, dem 15. Marz, erfuhren wir, daß die Serranos3') am vorhergehenden Tage, eine Stunde nach unserm Abmarsch, in Ronda eingezogen waren und sich zu einem Angriff auf uns in Campillos vorbereiteten.

Am IG. schickte unser Oberst ein aus 1110 Husaren und 40 Mann Infanterie bestehendes Detachement ab, um

") Scrraiio Bergbewohner.

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den Feind zu rekognoszieren. An dieser Expedition nahm auch ich teil. Zwei Stunden vor Sonnenaufgang setzten wir uns in Bewegung und stießen auf die Bergbewohner 4 Meilen vor Campillos; wir machten zwei Flintenschuß' weiten davon entfernt Halt, um ihre Stellung und ihre Zahl zu prüfen. Diese taxierten wir auf ungefähr 4000. Und als wir dann unsere Rekognoszierung beendet hatten, schlugen wir ruhig den Weg wieder ein, den wir ge- kommen waren.

Als die Serranos uns umkehren sahen, glaubten sie, wir fürchteten uns vor ihnen. Sie stießen daher laute Schreie aus, kamen alle auf einmal und ohne die geringste Ordnung zu beobachten von den Bergen herab und ver- folgten uns eine Stunde lang in einer felsigen und unweg- samen Gegend. Frauen, nach der Mode des Landes in hellblauen und roten Kleidern, waren uns in Massen ge- folgt und hatten sich auf den Felsen niedergelassen, um von einem sichern und nahen Platz aus das Gefecht zu beobachten, das ihrer Vermutung nach in kurzem be- ginnen mußte. Sogleich sammelte unser Peloton seine Schützen und begann die Brücke zu überschreiten. Da erhoben sich die Frauen alle miteinander und sangen eine Hymne an die Jungfrau Maria. Das war das Signal zum Angriff. Die hinter den Felsen verborgenen Spanier über- schütteten uns sogleich mit einem Regen von Kugeln aller Tragweiten, aber wir setzten unsern Marsch über die Brücke unter dem Feuer des Feindes fort, ohne darauf zu antworten. Da sich jedoch unser Peloton der Nach- hut zu sehr bedrängt sah, machte er eine Wendung, und die Husaren der ersten Linie richteten ein gut unterhal- tenes Karabinerfeucr auf die zunächst befindlichen Ser- ranos. Sie töteten zwei, was die Kühnheit der Menge ein wenig abschwächte.

Am andern Tage fand ein Detachement von 50 Hu- saren die Serranos auf der andern Seite der Holzbrücke gelagert, oberhalb des Dorfes Teba. Unsere Absicht war, sie in die Ebene bei Campillos zu locken, um sie nieder- 174

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zusäbeln. Denn da die Insurgenten größtenteils nur mit Jagdflinten bewaffnet waren, hatten sie in den Bergen, wo wir sie mit unsern Pferden nur sehr schwer verfolgen konnten, immer große Vorteile vor uns voraus. In der Ebene hingegen gestattete ihnen ihre ungeregelte Art zu kämpfen nicht, den Stoß unserer Kavallerie auszuhalten, so gering sie auch an Zahl war.

Gegen zehn Uhr morgens sah ich meinen Wirt in großer Eile herbeikommen. Auf seinen Lippen spielte ein glückliches Lächeln, und er rieb sich vergebens die Augen, um eine Träne hervorzubringen. Er sagte mir, alles sei für uns verloren, unsere Posten seien zurückge- worfen worden, 1500 Bergbewohner kämen wutschnau- bend in die Ebene herab, uiti uns cinzii^dilicljcn, während die aufständischen Bewohner uns im Zentrum der Stadt angriffen. Und er schloß inich eng in seine Arme, als hätte er Mitleid mit dem Schicksal, das mir bevorstand.

Und in der Tat, im selben Augenblick ließen sich Flintenschüsse, verworrene Rufe, Trompetentöne und Trommelwirbel hören. Von allen Seiten lief man zu den Waffen. Ich bestieg sofort mein Pferd und sammelte mein Detachement In demselben Augenblick kam der Oberst herangesprengt und befahl mir, die zurückgeworfenen Posten zu unterstützen. Wir machten in der Ebene einen Angriff, der auch glückte; 40 unserer Husaren säbelten einige 100 Insurgenten nieder. Diejenigen, welche die um- liegenden Höhen besetzt hielten, ergriffen in der höchsten Bestürzung die Flucht. Darauf zogen wir uns zurück, und die Ebene, die noch kurz zuvor von dem Geschrei einer Bande Schützen widerhallte, lag schweigend mit den Fein- den übersät da, welche die Todessichel dahingemäht hatte.

Während wir aufgesessen waren, um die Feinde zurück- zuwerfen, hatten die Einwohner, die überzeugt waren, daß wir alle vernichtet seien, unsere verspäteten Soldaten in den Straßen ermordet. Unsere Husaren fielen daher bei der Rückkehr ins Dorf über alle bewaffneten Einwohner her, und man konnte nur mit Mühe die Plünderet aufhalten.

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Am 19. März kam der General Peremont aus Ma- laga, um sich mit drei Bataillonen Infanterie, einem polnischen Regiment Landers und zwei Kanonen mit uns zu vereinigen. Wir erhielten die uns fehlende Munition, und am 20. um sechs Uhr in der Frühe brachen wir alle miteinander auf, um von Ronda Besitz zu ergreifen.

Der Oberst ließ sein Regiment am Fuße des Berges, auf dessen Gipfel Teba gelegen ist, und stieg, gefolgt von nur 50 Husaren, ins Dorf hinauf. Die von unserm Nahen unterrichteten Einwohner hatten sich alle mit ihren kostbarsten Sachen in die Felsen geflüchtet; hier und da verlorene Kleidungsstücke deuteten auf eine plötzliche Flucht.

Fast zwei Stunden brachten wir im Dorfe zu, ohne ein einziges menschliches Wesen zu entdecken, das man zu den Einwohnern hätte schicken können, um sie zu beruhigen und ihnen sagen zu lassen, daß wir nichts Böses mit ihnen bezweckten und ihnen verziehen, wenn sie dem König Joseph eine Kontribution zahlten. Wir wollten uns in ihnen keine unversöhnlichen Feinde schaffen und sie durch eine harte Strafe zur Verzweiflung treiben, durften aber ihre Erhebung nicht ganz ungestraft lassen. Wir schlugen folgenden Ausweg ein, um sie aus ihren Verstecken herbeizulocken. Die Husaren verbrannten feuchtes Stroh in den Öfen einiger Häuser; dadurch ent- stand ein dicker Rauch, der durch den Wind in die Berge getrieben wurde und die Einwohner überzeugte, daß wir ihr Dorf anzündeten. Sie beeilten sich, uns eine Deputation zu schicken, und bald sahen wir den Alcalden kommen, gefolgt von 4 der reichsten Grundbesitzer des Dorfes. Er trug einen roten Mantel und einen betreßten Frack. Ohne Zweifel hatte er sich mit allen Abzeichen seiner Würde herausstaffiert, weil er glaubte, sich auf diesem Gang zu den Franzosen dem Tode zur Rettung seines Dorfes zu weihen. Der Alcalde versprach, die Einwohner würden die ihnen auferlegte Kontribution zahlen. 176

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Am 21. setzten wir uns mit Tagesanbruch in Bewe- gung, um nach Ronda zu marschieren, wo wir ohne Wider- stand einzogen. Die Insurgenten verließen bei unserer Ankunft eiligst die Stadt und warfen ihre Flinten und Mäntel in die Straßen, um das Gebirge auf Seitenwegen zu erreichen. Die Nachzügler wurden von den Husaren unserer Vorhut niedergesäbelt.

Wir wurden in Ronda von einem Teil der Einwohner wie Befreier empfangen. Die Parteigänger hatten nämlich während unserer Abwesenheit auf dem großen Platze einen Oalgen errichtet, um die Bürger der Stadt zu be- strafen, welche die Franzosen begünstigt hatten. Und wenn wir nur einen Tag später angekommen wären, hätten mehrere den Tod erlitten: auf diese Weise befriedigte man persönlichen Haß unter dem Vorwande öffentlicher Be- strafung.

Die Bergbewohner waren an demselben Tage, an dem wir Ronda verließen, in die Stadt mit großem Geschrei eingezogen und hatten vor Freude darüber ihre Flinten in den Straßen abgeschossen. Alle Einwohner aus einem Dorfe kamen zusammen an, marschierten ohne die ge- ringste Ordnung, gefolgt von ihren Frauen, die sich, wie ich schon bemerkt habe, von den Männern nur durch die Kleidung, durch ihre höhere Gestalt und durch etwas mehr Rauheit unterschieden. Sie behaupteten, ihre Männer hätten Ronda von den Franzosen erobert, und alles, was in der Stadt wäre, gehörte ihnen. Alles, was sie in den Häusern fanden, luden sie auf Esel, und die Damen hörten nicht früher auf zu plündern, als bis ihre Tiere unter der Last der Beute fast zusammenbrachen. Mehrere Schmuggler stahlen die Pferde und den Mantelsack eines englischen Leutnants, ohne daß dieser die Schuldigen bestrafen lassen konnte. Die Gefängnisse wurden gesprengt, und die Ge- fangenen rächten sich im selben Moment ihrer Befreiung an ihren Richtern und Anklägern. Schuldner erzwangen mit Gewalt von ihren Gläubigem Quittungen und ver- brannten alle Papiere der Staatskanzlei, um die Akten

12 B.M7: Spin. F.clhtltikampl. 177

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der Hypotheken zu vernichten, welche die Einwohner auf den Besitzungen der Bergbewohner stehen hatten.

Der Oberbefehlshaber der Serrafios hatte Ronda nicht früher erreichen können als 6 Stunden nach unserm Ab- marsch. Er versuchte zuerst mit Hilfe seiner sogenannten geregelten Truppen eine Art Ordnung in die Stadt zu bringen, da ihm das aber nicht gelingen wollte, griff er zu folgender List. Durch den öffentlichen Ausrufer Heß er verkünden, daß die Franzosen kämen, und im Hand- umdrehen waren die Bergbewohner gesammelt, und die Einwohner der Stadt hatten Zeit, sich in ihren Häusern zu verbarrikadieren.

Der General Peremont war mit seiner Brigade nach Ronda gekommen, um eine Expedition bis ins Innere des Hochgebirges zu machen, mußte indes, ohne etwas unter- nommen zu haben, wieder nach Malaga zurückkehren. Er erfuhr nämlich, daß diese Stadt während seiner Ab- wesenheit von andern Ins urgenten banden angegriffen worden war, und unsere Husaren blieben wiederum In Ronda mit 200 braven polnischen Infanteristen, die man uns an Stelle des Gardcbatnillons des Königs Joseph gab.

Die Insurgenten hatten ihr Lager auf den Gipfeln des nahen Gebirges aufgeschlagen und beobachteten Tag und Nacht, was in der Stadt vorging. Sie verbrachten ganze Tage damit, unsere Vorposten zu beunruhigen, aber sobald wir gegen sie marschierten, zogen sie sich zurück, um bald darauf wieder zum Vorschein zu kommen. Wenn die Serrafios sich zum Angriff vorbereiteten, stießen sie laute Schreie aus, um sich zum Kampfe zu ermuntern, und schössen lange Zeit auf uns, bevor nur eine Kugel uns er- reichen konnte . . . Der liebste Zeitvertreib der Arbeiter der Stadt war, sich hinter die Felsen zwischen die Oliven- bäume zu stellen und ganz gelassen auf unsere Schild- wachen zu schießen, indem sie dazu ihre Zigarren rauch- ten. Am Morgen zogen sie mit Handwerkszeug beladen aus der Stadt, als wenn sie an ihre Arbeit gingen ; ihre Flinten Satten sie hinter den Felsen oder In Bauern gehörten 178

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verborgen, und am Abend kamen sie ohne Waffen zurück, um in unserer Mitte zu ruhen. Wir konnten keine zu strengen Untersuchungen vornehmen, aber wenn man den Befehl des Marschalls Soult gegen die Insurgenten hätte ausführen wollen, so hätte man die ganze Bevölkerung des Landes zum Tode verurteilen müssen. Obwohl die aufständischen Spanier schnell dabei waren, die franzö- sischen Gefangenen lebendig zu verbrennen, waren unsere Soldaten nur sehr selten gegen die Spanier unerbittlich, die sie mit den Warfen in der Hand erwischten.

Die Detachements, die Ronda verließen, um irgend- welche Expeditionen oder Rekognoszierungen zu machen, waren von dem Augenblick ihres Abmarsches bis zu ihrer Rückkehr von einer dichten Wolke von Schützen umgeben, und jede Zufuhr von Lebensmitteln, die wir von außerhalb hohen, kostete uns das Leben einiger Männer. Unsere Reiter waren auf diesen Expeditionen nicht immer stark genug, um die Feinde zurückzuwerfen, und wir suchten daher ihre Wachsamkeit zu täuschen, indem wir lange Umwege machten, um die gefährlichen Defilees zu ver- meiden; oft aber mußten wir uns mitten durch die Insur- genten hindurch, die fortwährend die Stadt umgaben, einen Weg bahnen.

Am 1. Mai nahm ich an einem Detachement von vierzig Husaren teil, das von einem Rittmeister befehligt wurde. Wir sollten klares Stroh vier Meilen von Ronda in den Bauernhöfen holen, die sich in der Nähe des Dorfes Setenil befinden. Einige hundert Bauern und Maultiertrei- ber, welche die Esel und Maultiere trieben, waren mit uns. Wir hatten uns morgens um fünf Uhr auf den Weg gemacht, und der Rittmeister und ich marschierten an der Spitze der Truppe. Als wir eine halbe Meile von der Stadt entfernt an einem gefährlichen Defilee vorbeikamen, sag- ten wir uns beide sehr erstaunt, die Feinde müssen sehr schlecht unterrichtet sein, daß sie noch keinen Hinterhalt an diesen Ort gelegt haben; sie könnten uns viel Übles zufügen, ohne selbst das geringste zu riskieren. Da sah 12* 179

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ich in der Entfernung, zuerst in Staub gehüllt, dann aber immer deutlicher, rechts von uns 4 oder 5 bewaffnete Män- ner, die sich im Tale nach dem Dorfe Ariate zu bewegten. Ich teilte dem Rittmeister sofort mit, daß ich Feinde sähe und sie an ihrer ungeordneten Art zu marschieren erkannte.

Ein Unteroffizier behauptete, die Männer, welche man im Tale unterscheide, seien Maultiertreiber, die nach Ossuna zurückkehrten und am vorhergehenden Tag unter Eskorte von 200 Mann Infanterie Biskuit und Kartuschen nach Ronda gebracht hätten. Ich hingegen verharrte auf meiner Ansicht, daß die, welche ich sah, Feinde seien, und fügte hinzu, daß ich, wenn ich der Chef der Abtei- lung wäre, direkt auf sie losmarschieren würde, um sie, während sie sich noch in der Ebene befänden, anzugreifen ; denn wenn wir zurückgeworfen würden, so wäre unser Rückzug gesichert, während wir so unsern Marsch nicht fortsetzen könnten, ohne uns der Gefahr auszusetzen, auf unserm Rückzug in einem Defilee angegriffen zu werden, was für die Kavallerie sehr ungünstig sei. Aber der Ritt- meister war nicht meiner Ansicht; wir setzten unsern Weg fort und gelangten bald in die Nähe des Dorfes Se- tenil.

Als wir mit Fouragicrcn fertig waren, schlugen wir wieder denselben Weg ein, den wir gekommen waren. Wir ließen die Maultiere vor uns zwischen einer Vorhut von zwölf Husaren und dem Gros des Detachements her- gehen, an dessen Spitze der Kapitän und ich marschierten. Auf zwei Fliutcnschußwciten an dem Defilee angekommen, das wir am meisten fürchteten, bemerkte ich einen Bauer, der mit einer großen Axt Zweige von einem Olivenbaume abschlug. Ich ritt meiner Abteilung voraus und näherte mich dem Bauer, um ihn zu fragen, ob er keine Ser- rafios gesehen habe. Wie ich nachher erfuhr, war er selber einer und schnitt die Zweige, um uns den Weg im Defilee zu versperren. Er antwortete mir, daß seine Ar- beit ihm nicht gestattete, sich mit dem zu beschäftigen, was um ihn her vorgehe. Auch der Rittmeister hatte in 180

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demselben Augenblick einen 5 bis 6jährigen Jungen ge- fragt, der ihm mit zitternder und leiser Stimme geantwortet hatte, als fürchte er, gehört zu werden. Bald sahen wir unsere Vorhut und die Spitze des Zugs der Maultiere am andern Ende des Delilees herauskommen und den gegen- überliegenden Berg ersteigen. Wir hatten nur noch einen engen schlüpfrigen Weg zurückzulegen, wo man im Gänse- marsch gehen mußte. Er war -1—500 Schritte lang und von sehr dichten Gartenhecken umgeben. Der Rittmeister, an dessen Seite ich marschierte, sagte mir wie am Morgen, wir könnten uns glücklich schätzen, daß der Feind uns in diesem Defilee nicht aufgelauert hätte. Aber kaum hatte er diese Worte beendet, als vier oder fünf Schüsse hinter den Hecken abgegeben wurden. Sie töteten die drei letzten Maultiere des Zugs und das Pferd des Trompeters, der vor uns ritt Unsere Pferde machten sofort Halt.

Der Rittmeister mußte zuerst vorüber, aber das Pferd, das er ritt, hatte einem Offizier gehört, der einige Tage vorher bei einer ähnlichen Gelegenheit getötet worden war, und das Tier zögerte. Als ich das sah, gab ich dem mehligen die Sporen und überholte den Rittmeister. Mein Pferd sprang über das des Trompeters, sowie über die Maultiere, die mit ihrer Last dalagen, und ich ritt allein durch das Defilee. Die hinter den Hecken verborgenen Ser- raüos glaubten, mein Detachement folge mir in unmittel- barer Nähe und feuerten ihre ganze Ladung auf einmal auf mich ab. Ich wurde indes nur von zwei Kugeln getroffen, wovon ich die eine in den Schenkel, die andere in den Oberkörper erhielt

Einige Augenblicke später folgte mir der Rittmeister, kam heil und ganz auf der andern Seite des Defilees an, und von der ganzen Abteilung wurden nur die letzten vier Husaren getötet, weil die Feinde einiger Minuten bedurf- ten, um ihre Flinten wieder zu laden, um noch ein zweites Mal Feuer zu geben. Dem Unteroffizier, der am Ende des Detachements ritt, ward sein Pferd getötet, er selbst aber stellte sich, als wenn er tot wäre, schlüpfte dann in 181

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das Gebüsch und kehrte um Mitternacht nach Ronda zu- rück, ohne verwundet worden zu sein.

Als wir auf der andern Seite des Defilees unser Deta- chement wieder gesammelt und geordnet hatten, sagte ich meinem Obersten, daß ich verwundet sei, meine Kräfte sich erschöpfen fühle und auf einem sehr abschüssigen, aber äußerst kurzen Wege nach Ronda zurückkehren wolle. Er riet mir jedoch, bei dem Detachement zu bleiben, das einen Umweg vun einer halben Meile im Tale machen sollte, um sich nicht unnütze rweise einem zweiten Angriff auszusetzen. Allein ich fühlte, daß ich einen so langen Marsch nicht aushalten würde, und betrat den abschüssigen Seitenweg in Begleitung eines Husaren, der mein Pferd am Zügel führte. Da ich sehr viel Blut verlor, war ich gezwungen, alle meine Kräfte zusammenzunehmen, um nicht ohnmächtig zu werden. Denn wenn ich vom Pferde gefallen wäre, so hätte man mich gewiß erstochen. Ich hielt mich mit den Händen am Sattelknauf fest und machte vergebliche Versuche, mein Pferd zu einer schnelleren Gangart zu veranlassen, denn ich hatte nur ein Bein, das ich gebrauchen konnte. Das arme Tier konnte nicht schneller und strauchelte bei jedem Schritt: es war eben- falls von einer Kugel getroffen.

Eine Viertelmeile vor der Stadt konnte mein Pferd kaum noch vorwärts. Der Husar ritt im Oalopp davon, um den Posten zu benachrichtigen, der auf dem Berge stand, und ich tat noch ein paar Schritte allein vorwärts. Vor meinen Augen flimmerte es, und kaum hörte ich noch die Schüsse, welche die Bauern in dem nahen Wald von weitem auf mich abgaben. Endlich kamen mir Soldaten zu Hilfe und trugen mich in der Decke meines Pferdes nach meinem Quartier.

Meine Wirtsleute kamen mir entgegen und wollten nicht leiden, daß man mich ins Militärkrankenhaus brächte, wo gerade eine Epidemie herrschte. Dort hätte ich wahr- scheinlich, wie viele andere, den Tod anstatt Heilung ge- funden. Meine Wirte hatten mich bis dahin mit kalter, 182

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zurückhallender Höflichkeit behandelt, da sie in mir einen der Feinde ihres Landes sahen. Aus Rücksicht für dieses patriotische Gefühl war ich gleichfalls gegen sie wenig mitteilsam gewesen. Als ich aber verwundet war, bewiesen sie mir das lebhafteste Interesse und behandelten mich mit jener Großmut und Barmherzigkeit, die den spani- schen Charakter so sehr auszeichnet. Sie sagten mir, daß sie mich, seitdem ich ihrem Lande keinen Schaden mehr zu- fügen könnte, als zur Familie gehörig betrachteten, und ohne sich auch nur einen Augenblick während meiner HMägigen Krankheit gehen zu lassen, verschwendeten sie wirklich an mich alle nur mögliche Sorgfalt

Am 4. Mai kamen die Insurgenten zu früher Stunde, um Ronda mit größeren Kräften als je anzugreifen. Die Kugeln sausten so nahe an dem Fenster vorbei, an dem mein Bett stand, daß man gezwungen war, mein Bett in das Zimmer nebenan zu schieben. Bald kamen der Haus- herr und seine Frau, um mir mit erzwungener Ruhe zu verkünden, daß die Insurgenten schon am Ende unserer Straße seien und immer mehr Terrain auf unserer Seite gewännen. Die alte Stadt werde wohl bald mit Sturm genommen werden. Sie wollten alle Vorsichtsmaßregeln ergreifen, um mich vor der Wut der Serraüos bis zur An- kunft des Generals Lcrrano Valdenebro, ihres Verwandten, zu schützen. Hastig versteckten sie darauf meine Waffen, meine Uniformen und alles, was die Aufmerksamkeit der Feinde auf sich hätte ziehen können. Dann transportierten sie mich mit Hilfe ihrer Dienstboten in ein oberes Stock- werk des Hauses hinter eine kleine der Jungfrau Maria geweihte Kapelle, denn sie betrachteten diesen heiligen Ort als ein unverletzliches Asyl. Meine Wirtsleute holten noch schnell zwei O eist liehe, die sich an die Haustür stell- ten, um den Eingang zu verteidigen und mich, wenn es nötig sein sollte, durch ihre Gegenwart zu schützen.

Eine alte Dame, die Mutter der Hausherrin, blieb mit mir allein und betete. Je nachdem die Rufe der Kämp- fenden und das Geknatter der Feuerwaffen verkündeten, 183

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daß die Gefahr sich vermehrte oder verringerte, drehte sie die Perlen ihres Rosenkranzes schneller oder langsamer herum. Gegen Mittag entfernte sich das Feuern allmäh- lich und bald horte es ganz auf. Der Feind wurde auf allen Punkten zurückgeschlagen, und meine Kameraden kamen, mir das Gefecht zu erzählen.

Einige Tage darauf erhielt das 2. Husarenregiment den Befehl, sich nach Santa Maria m begeben; es wurde durch das 43. Linien regiment ersetzt, und ich blieb als ein- ziger von meinem Korps in Ronda zurück. Ich kannte keinen der Offiziere der neuen Garnison und erhielt seit- dem keine andern französischen Besuche als den eines Oberfeldwebels der Infanterie, der von Zeit zu Zeit zu meinen Wirtsleuten kam, um sich zu erkundigen, ob ich noch nicht gestorben oder abgereist sei; er wartete näm- lich ungeduldig auf mein Quartier.

Nach der Abreise meiner Kameraden verdoppelten meine Wirisleute ihre Fürsorge und Aufmerksamkeit noch für mich. Sie brachten mehrere Stunden des Tages in meinem Zimmer zu, und als ich meiner Genesung ent- gegenging, luden sie jeden Abend einige ihrer Nachbarn ein, die an meinem Bett plauderten oder auch Musik machten, um mich ein wenig zu zerstreuen; sie sangen nationale Lieder und begleiteten sich dazu auf der Gitarre.

Am 18. Juni stand ich zum ersten Male auf und war genötigt, die traurige Kunst, an Krücken zu gehen, zu er- lernen, denn ich konnte das eine Bein nicht mehr ge- gebrauchen. Mein erster Weg war zu dem Pferd, das mit mir verwundet worden war, aber es erkannte mich nicht gleich, und daran merkte ich, wie sehr ich mich verändert haben mußte, ich verlieft Ronda am 22. auf einem Muni- tionswagen, der unter starker Eskorte Kartuschen aus Osuüa holte. Ich trennte mich von meinen Wirtsleuten mit demselben Bedauern, das man empfindet, wenn man «um erstenmal das Elternhaus verläßt.

Von Osuna ging ich nach Ecija und von da nach Cordoba. Zwei bis dreihundert Mann starke Truppen von 184

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spanischen Parteigangern durchzogen das Land in allen Richtungen. Wenn sie verfolgt wurden, zogen sie sich in die Gebirge zurück, die Andalusien von La Mancha und Estremadura trennen, oder auch in die Berge an den Küsten. Diese Parteigänger, Guerillas genannt, dienten dazu, die im Lande herrschende Gärung zu unterhalten, und sie sicherten die Verbindungen zwischen Cadiz und dem Innern Spaniens. Man machte das Volk glauben, der Marquis La Romana habe die Franzosen unterhalb Tru- jillo geschlagen, oder besser, die aus Gibraltar gekomme- nen Engländer hätten sie in der Nähe des Meeres voll- kommen vernichtet. Diese geschickt ausgestreuten Ge- rüchte, so unwahrscheinlich sie auch waren, wurden stets mit großer Begeisterung aufgenommen.

Nachdem ich Andalusien hinter mir hatte, durchreiste ich La Mancha, wo ich genötigt war, mich mehrere Tage auf jeder Station aufzuhalten, um die Rückkehr der Es- korten abzuwarten, die regelmäßig Munifion zur Bela- gerung nach Cadiz brachten. Die Kommandanten des Post- verkehre konnten nur für den notwendigsten Dienst der Armee Eskorten hergeben, denn sie verloren oft, um nur einen einzigen Kurier einige Meilen weit zu begleiten, mehrere Soldaten.

Dem König Joseph war es nicht möglich, regelmäßige Steuern zu erheben; vergebens schickte er im ganzen Lande fliegende Korps umher die Einwohner retteten sich in die Berge oder verteidigten sich wohl auch in ihren Wohnorten. Die Soldaten plünderten die Dörfer, aber die Kontributionen wurden nicht eingezogen. Manch- mal zwar bezahlten die Friedlicheren für alle, doch wurden sie nachher sehr hart von den Anführern bestraft, weil sie bei der Ankunft der Franzosen nicht geflohen waren. Durch derartige Gewalttätigkeiten waren die Bewohner von La Mancha und der umliegenden Provinzen aufge- reizt, und die Zahl unserer Feinde wuchs von Tag zu Tag. Auch Neucastilien, das ich auf meiner Reise berührte, war nicht ruhiger als die Provinz La Mancha. Beinahe wäre 185

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es den Parteigängern gelungen, den König Joseph in einem seiner Landhäuser bei Madrid gefangen zu nehmen, und oft entführten sie an den Toren und in den Straßen Madrids die Franzosen.

Ich selbst blieb in Madrid ungefähr einen Monat, da ich auf Reisegelegcnheit warten mußte. Wenn man von Bayonne kam, war es leicht, in die Hauptstadt zu ge- langen, weil man immer unter Eskorte der zahlreichen Detachements reiste, die zur Verstärkung der Armeen geschickt wurden ; um aber die Erlaubnis zu erhalten, nach Frankreich zurückzukehren, mußte man ein Krüppel sein. Die Gesundheitsräte hatten die strengsten Befehle er- halten, und man gewährte nur den verwundeten Offizieren und Soldaten Urlaub, die keine Hoffnung mehr auf Hei- lung hatten. Zu denen, die nach Frankreich zurückge- schickt wurden, gehörte auch ich, und ich war sehr froh, um welchen Preis es auch sein mochte, einen Krieg ver- lassen zu können, der ungerecht und ruhmlos war und in dem ich im Innern meines Herzens unaufhörlich das Schlechte fühlte, das mein Arm zu tun gezwungen war.

Ich verließ Madrid mit einer ungeheuren Karawane von außer Dienst gestellten Offizieren, die, nur von einer Eskorte von 75 Infantcriesulüalen begleitet, nach Frank- reich gingen. Wir bildeten ein Peloton Offiziere, der von dem ältesten Verwundeten befehligt wurde, um wenig- stens bewaffnet zu sterben, wenn man uns angriff; denn wir waren außerstande uns zu verteidigen. Viele von uns waren gezwungen, sich auf ihren Pferden festzuschnallen, um sich darauf zu halten.

In unserm Zuge befanden sich auch zwei Wahnsinnige. Der eine war ein Husarenoffizier, der den Verstand infolge schwerer Kopfwunden verloren hatte. Er ging zu Fuß, weil man ihm sein Pferd und seine Waffen genommen hatte, da man befürchtete, er werde entfliehen und Scha- den anrichten. Aber trotz seines Irrsinns hatte er die Wurde seines Grades und den Namen seines Regiments noch nicht vergessen. Eines Tages wurde unser Zug 186

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während des Marsches angegriffen. Es gelang dem Irr- sinnigen, seine Wächter zu täuschen, er fand seine alte Kühnheit wieder und stürzte sich, mit einem einfachen Stock bewaffnet, den er das magische Zepter des Königs von Marokko, seines Vorgängers, nannte, auf den Feind.

Der andere unserer Irrsinnigen war ein alter flämi- scher Musiker der leichten Infanterie, in dessen Gehirn der heiße spanische Wein für den Resl seiner Tage eine unverwüstliche Fröhlichkeit zurückgelassen hatte. Er hatte seine Klarinette gegen eine Violine eingetauscht, die er sät seiner Kindheit spielen konnte, und nun marschierte er in der Mitte unseres traurigen Zugs, unaufhörlich spie- lend und tanzend.

Niemals trafen wir auf unserm langen, schweigsamen Marsch einen vereinzelten Wanderer, nur alle zwei bis drei Tage begegneten wir Munition szügen oder einigen Eskorten, die mit uns unter den Trümmern der verlassenen Häuser übernachteten, deren Fenster und Türen heraus- genommen waren, um der französischen Armee als Feuer- holz zu dienen.

Je näher wir Frankreich kamen, desto mehr liefen wir Oefahr, von den Parteigängern gefangen genommen zu werden. Auf jeder Station fanden wir daher Detache- ments, die aus verschiedenen Gegenden der Halbinsel ge- kommen waren, um mit uns zu marschieren. Bataillone, ganze bis auf einige Mann reduzierte Regimenter trugen niedergeschlagen ihre Adler und Fahnen, um sich in Frank- reich, in Italien, in der Schweiz, in Deutschland und in Polen zu rekrutieren. Unser Zug verließ Spanien Ende Juli, 20 Tage nachdem die Festung Cuidad Rodrigo in Salamanca in die Hände der Franzosen gefallen war.

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3.

Kriegszüge in Portugal und Spanien von Moyle Sherer

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Vorwort.

Der Verfasser dieser „Erinnerungen aus Spanien" gehört sowohl dem Soldaten- als dem Schrittst eil erstände an, denn er veröffentlichte außer den verschiedenen Me- moiren seiner Feldzüge und Reisen auch mehrere Ro- mane und eine Biographie Wellingtons.

Moyle Sherer ist 1789 als der jüngste Sohn Joseph Sherers in Southampton in England geboren. Er verließ mit IQ Jahren das Winchester College und trat in das 34. Regiment, jetzt Border-Regiment, ein. Kurz darauf, im Jahre 1E0Q, wurde sein Armeekorps nach Portugal beordert und in den spanisch-französischen Krieg ver- wickelt. Als junger Leutnant nahm Sherer an den Ge- fechten von Albuera, Arroyo los Molinos und Vitoria teil. Im Sommer 1813, als Souit bemüht war, die Eng- länder zu zwingen, die pyrenäische Halbinsel zu ver- lassen, ward Sherer im MayapafS gefangen genommen und nach Frankreich gebracht, wo er zwei Jahre haupt- sächlich in Bayonne lebte. Seit dieser Zeit war seine Gesundheit erschüttert, und er erlangte sie nie vollständig wieder. Trotzdem war er bis 1836 in der englischen Armee aktiver Offizier, um sich dann vollständig vom militärischen Leben zurückzuziehen und als Privatmann und Schriftsteller auf der Ciaverton Farm bei Bath zu leben. Dort ist er denn auch hochbetagt im Winter 1369 gestorben.

Sherer ist sozusagen der Tonangeber für die Militär- memoiren in England gewesen, die vor ihm sehr selten 191

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waren, nach ihm aber stark in Mode kamen. Er ver- fügt über großes Talent, Eindrücke, Volkscharaktere und -gewohnheiten zu schildern, und weif) uns sein bewegtes Leben im Felde anziehend zu erzählen. Als weitgereister Mann er sah später Indien, Ägypten, Italien ver- steht er es, Menschen und Ereignisse mit scharfem Blicke zu erfassen, und keine Szene, mag sie für den gewöhn- lichen Menschen auch noch so unbedeutend sein, entgeht seinem geübten Schriftstellerblick. Seine Beobachtungen über die Eigenheiten der Portugiesen und Spanier, die er gründlich studiert zu haben scheint, sind von großem Interesse, und die von ihm erstrebte Unparteilichkeit be- rührt angenehm, obwohl sie ihm nicht immer vollständig

Ich hoffe mit dem vorliegenden Auszug eine gute Wahl getroffen zu haben, um dem Leser von den Verhält- nissen auf der spanischen Halbinsel durch die Brille eines Engländers, eines Freundes des unterjochten Volkes gesehen ein genügendes Bild zu geben. Das diesem Auszug zugrunde liegende Originalwerk „Recollections of the Peninsula" erschien zum ersten Male in London 1823 und erlebte viele Auflagen. Übersetzt wurde es ins Deutsche zuerst 1832.

F. M. K.

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1. Kapitel

Ankunft der englischen Truppen in Lissabon. Land und Leute in Portugal. Marsch der Engländer nach Spanien

Es war in der ersten Woche des Junis im Jahre 1809, als ich mich in Porthsmouth einschiffte, um mich meinem Regiment, das bereits nach Portugal abgesegelt war, anzuschließen. Am zehnten Morgen nach meiner Abreise aus England fuhr das Schiff, das mich trug, von einem günstigen Winde getrieben, unter dem Felsen von Lissabon hin und ankerte nach wenigen Stunden im Hafen, dem Schlosse Beiern gegenüber, ungefähr eine halbe Stunde von der Küste entfernt.

Bald sammelten sich Boote vom Ufer um unser Schiff, und ich lehnte mich über seinen Rand, um zum ersten Male auf Eingeborene von Portugal zu blicken. Die schwarzbraune Gesichtsfarbe, der nackte, stämmige Hals, das ausdrucksvolle Auge, die weißen Zähne, ver- bunden mit ihrem lebhaffen Wesen, all das überrascht den Engländer sehr; auch ihre Kleidung ist ihm ganz neu, und, wie mir scheint, sehr malerisch. Kurze Pump- hosen von weißer Leinwand, eine rote Schärpe und die nackten Beine und Arme bezeichnen den auffallenden Unterschied zwischen den Bootsleuten des Tajo und den Schiffern an der Temse.

Die britischen Truppen in Lissabon hatten sich zu dieser Zeit alle im Prinzenparke, einer großen, sorgfältig

13 B«M7: Span. Frelhtibkimpf. 193

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gepflegten Anlage oberhalb <let Vorstadl Hdcm, ge-

In einem alten, verfallenen Hause, dem ein/lj-rn Ge- b.iudr in ..der hei dem Lager, hielt die Tischgesellschaft meines Heimen!? r.odi ihre fröhlichen Sit7imj;rn. und hier genossen wir, um einen kunstlos aus Fässern und nreltern rrruhl.lfn I inh. aul ,Ma nielsacken. Sternen und '[»rmtlrrn gel.ifjtrl, den Abc:id weit mehr, als es oft .in einer ht-wr versorgten 1 alel und in dem bequemsten Speisezimmer der Fall gewesen war. Die Unterhaltung drehte sich nicht mehr auf dieselbe trage und einförmige Weise um Schilderungen törichter Verschwendung und ermüdender Vergnügungen die Würde unseres Be- rufes, die natürlich hei suHioil Schildcrutijren verdunkelt wird, stieg wieder im Glänze ihrer schönsten und stolzesten Farben vor uns auf. Neue Aussichten und frische Hoffnungen gaben dem Gespräch, das durch treff- lichen Wein gewürzt wurde, eine Lebhaftigkeit und einen Reiz, hei denen die Zeit schnell verstrich, und es war Mitternacht, als ich mein Zelt betrat. Hier lud mich ein Lager von frisch gesammeltem Heidekraut, worauf mein Tornister als Kopfkissen und ein leinenes Tuch als Decke lag, zum Schlafe ein ; ich war jedoch viel zu glücklich, um schlafen zu können.

Die Nacht war heiß, ich öffnete den Vorhang meines Zeltes, zur alle Wände desselben auf, warf mich auf mein Heidebett und überliefl mich wachenden Träumen . . .

Um vier Uhr früh erfrischte ich mich durch langsames Ankleiden in der freien Luft, und um fünf Uhr stand das Heer unter Waffen, um vom General Catlin Craw- ford gemustert zu werden.

1070 Bajonette, Männer von schöner, kräftiger Ge- stalt, sammelten sich unter unseren Fahnen. Mein Re- giment hat nie sehr im Felde gelitten, obgleich es an rühmlichen Gefahren ehrenvollen Anteil genommen hat Aber ach, wie viele unterlagen Krankheiten, Strapazen und dem Schwerte, wie wenige von diesen Männern sind 194

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jetzt noch am Leben ! Wir bekamen jährlich neue Leute zur Ergänzung; auch sie sind größtenteils ver- schwunden.

Als unsere Musterung vorüber war, machte ich mich mit einigen Begleitern auf, um einen Tag in Lissabon zuzubringen. Von der Brücke von Alcantara führte uns eine ununterbrochene Straße durch die Vorstädte in die Stadt. i

Alle Dinge, die mich umgaben, waren mir so neu, daß es mir unmöglich ist, den eigentümlichen, aber an- genehmen Eindruck zu schildern, den sie auf mich machten. Unter einem Volke umherzugehen, das an Ge- sichtsbildung, an Farbe und Kleidung so sehr von den Einwohnern Englands abstach, immer den Klang einer Sprache zu hören, die ich nicht verstand, und zu sehen, mit welch ehrfurchtsvoller Neugier man mich, als einen britischen Offizier betrachtete, obgleich ich nur ein jugendlicher Fremdling war: all dies war mir zu- gleich neu und ergötzlich. Die malerische Kleidung der gemeinen Landleute, die langen Reihen beladener Maul- tiere, die Kabriolette, die von Ochsen gezogenen Karren, roh und altertümlich in ihrer Bauart, wie man sie auf den Titelkupfern in den ältesten Ausgaben von Vergils Qeorgica sieht, die Wasserträger, die Limonadenver- käufer und vor allem die Mönche und Klosterbrüder in der Kleidung ihrer Orden, die Bauart der Häuser, die schönen Eingänge, die zierlichen Balkone, die seltenen und schönen Gewächse, die in ihnen aufgestellt sind alles bildete um mich her ein Gemälde, das trotz seiner Wirklichkeit eine Theatertäuschung zu sein schien. Auf dem kleinen San-Paulo- Platze machten wir Halt und früh- stückten in einem hellen, freundlichen Zimmer, das auf den Strand hinausging. Hier hatte ich, meinen Kaffee schlürfend, die Aussicht auf den schönen Hafen, der mit Fahrzeugen angefüllt war, während viele Piloten und Fischerbarken mit ihren schönen, dreieckigen Segeln auf und nieder fuhren und in der Nähe des Ufers Hunderte 13- 195

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von schmalen, netten Booten, mit weißen oder gemalten Schirmdächern, Reisende von einer Gasse zur andern zu den entfernteren Vorstädten Alcantara und Beiern brachten. Das ganze Gemälde ward von einer Sonne erhellt, wie man sie nur in einem südlichen Klima sieht; ihr Licht war so glänzend, daß es alles, worauf es fiel, zu beleben schien. Unmittelbar unter dem Fenster unseres Kaffeehauses verrichteten einige Mauren, deren es in Lissabon viele gibt, ihre in Erstaunen setzende Arbeit als Lastträger. Ihre herkulischen Gestalten, ihre kleinen Turbane und auffallenden Züge und ihre wundersame Kraftäußerung im Heben und Tragen un- geheurer Lasten boten uns ein neues, ungewohntes Schau- spiel dar.

Obgleich wir täglich einen Marschbefehl erwarteten, blieb unser Regiment doch fast einen Monat in diesem Lager. Unter Wanderungen nach Lissabon und Beiern und täglichen Streifereien in der Nachbarschaft verlebte ich diesen Zeitraum sehr angenehm.

Indes bedauerte ich mit vielen anderen, daß wir in Lissabon verweilen mußten, während wir vor Ungeduld brannten, vorwärts zu marschieren. Aber die Zeit nutzlos mit Gedanken und Schwatzen über Dinge zuzubringen, denen ich nicht abzuhelfen vermochte, war nie meine Gewohnheit. Alles, was mich umgab, hatte überdies zu viel Mannigfaltigkeit und Neuheit, als daß ein Gefühl von Überdruß und Unzufriedenheit lange in meinem Busen hätte wohnen können.

Ich wünschte sehr, vor unserm Abmarsch Cintra zu besuchen, das alle Reisende so gerühmt haben und das v,;l.'.i';i seiner roniniiiisclKn Schönheit hei den Ein wollncrii von Lissabon zum Sprichwort geworden ist. Wir waren unserer sechs und verließen, nachdem wir auf zwei Tage Urlaub erhalten hatten, in drei anständigen Fuhrwerken um 4 Uhr morgens unser Lager. Unseren Rückweg nach Lissabon nahmen wir durch Oeyras, eine Stadt, die des- halb berühmt ist, weil sie dem großen Marquis von 106

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Pombai1) den Graferititel gegeben hat, und wo das Haus und die Gärten, die er lange bewohnte, noch jetzt gezeigt werden.

Als unsere Wagen ins Lager fuhren, wurden wir von der freudigen Nachricht begrüßt, daß Befehle an- gekommen wären, in zwei Tagen nach Spanien aufzu- brechen. Der nächste Tag verging unter geschäftiger Vorbereitung. Unser schweres Gepäck war in England zurückgelassen worden, und wir bekamen neuen Befehl, uns aller Dinge zu entledigen, die nicht durchaus not- wendig wären. Ich hatte gemeinschaftlich mit einem Kameraden ein kleines, leicht beladenes Maultier, das zwischen uns hertrabte, aber in der Einfalt unseres Eifers trugen wir unsere Tornister selbst. Immer vier von uns bildeten einen kleinen geselligen Tischklub; zum Labsal hatten wir ein Flaschenfutter bei uns, aber weder Offi- ziere noch Gemeine durften Zelte haben. Niemand, außer Stabsoffizieren und Adjutanten, war beritten. Ein mit Feldkesseln beladenes Lasttier für jede Kompagnie, die wenigen Lasttiere der Offiziere und der Zug des Brigade- Pflegeamts bildeten unser ganzes Gepäck.

Am Morgen des 28. Juli brachen wir in früher Stunde unsere Zelte ab. Die Leute erhielten auf drei Tage Vorrat, und gegen 7 Uhr verließ unser Regiment den Platz, um sich nach Santarem, einer gegen 10 Meilen über dem Tajo gelegenen Stadt, einzuschiffen, wohin wir zu Wasser gebracht werden sollten. Nie werde ich die Empfindungen vergessen, die mich ergriffen, als wir durch die Straßen von Lissabon marschierten. Sie waren mit Menschen

') Dom Sebastian Joseph Carvalhoe e Mello, Graf von Oeyras, Marquis von Pombai, logg— 1782, war portugiesischer Staats- mann. Er stammte aus einer armen Adels (am die, gelangte aber liald (Iure]] seine herv^rragem!'.:!! F;i[iigk(:iU:n un-l -"in liebens- würdiges. Wesen zu großem Einfluß heim König Josef II., der ihn mit Amtern und Würden überhäufte. 17S5 wurde er von ihm mm Grafen von Oeyras und später mm Marquis von Pombai ernannt.

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angefüllt, in den Fenstern drängten sich Gesichter mit den freundlichsten und seelenvollsten Blicken. Laute, lange und (ortwährende „Vivas" tönten von allen Seiten, Schals, Tücher und Hände winkten von jedem Balkon, und die Frauen warfen Blumen und Kränze auf unsere Häupter. Es war ein erfreulicher Anblick, die Portu- giesen so öffentlich ihre Freude ausdrücken zu sehen, und ich bin überzeugt, daß das Volk mit wenig Aus- nahmen den Oedanken verabscheute, sich unter Frank- reichs Joch zu beugen. Es ist nicht unwahrscheinlich, sondern sogar gewiß, daß es unter den höheren Klassen einige Menschen gab, die, durch Erziehung verdorben, durch Furcht gehlendet und nicht durch Teilnahme oder Vaterlandsliebe angetrieben, den französischen Waffen Widerstand zu leisten, die Rückkehr der Franzosen so- wohl erwarteten als ihnen auch Erfolg wünschten. Sie bildeten aber einen sehr unbeträchtlichen und wertlosen Teil der Bevölkerung. Ich stütze diese Meinung nicht auf die „Vivas" einer Volksmenge, die unsere schönen und wohlgerüsteten Truppen anstaunte, sondern auf alles, was ich seit meiner Landung beobachtet hatte.

Vom Kai des Handelsplatzes sprangen unsere Leute in die Boote, und unsere kleine Flotte segelte bald unter günstigem Winde den Flull hinauf. Es muß für diejenigen, die auf dem Kai und längs der Ufer standen, ein er- götzlicher Anblick gewesen sein, unsere schönen Krieger- scharen zu sehen. Die blanken Waffen, der glänzende Hutschmuck und die scharlachrote Kleidung der britischen Soldaten, die in offenen Barken zusammengedrängt waren, müssen einen schönen Eindruck gemacht haben. Auch wir staunten ein Schauspiel an, das in der Tat ein ganz anderes, aber höchst friedliches, höchst liebliches war. Das nördliche Ufer des Flusses, von Lissabon bis Villa- franca, bietet eine ununterbrochene Reihe von ländlichen Schönheiten dar. Klöster, Kapellen, Gärten und Wein- berge, Wälder und Wiesen, Herden und Gruppen von Landleuten, alles in bunter und fröhlicher Mischung, 198

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fesseln das Auge und sprechen das Herz an. Hier sah man in ihren kühlen und schattigen Kreuzgängen kleine Gruppen von Mönchen in der schwarzen und malerischen Kleidung ihres Ordens uns beobachten, als wir vorüber- fuhren. Dort eilte eine glückliche Familie, Eltern, Kinder und Diener, auf ihre Gartenterrasse am Rande des Wassers und begrüßte uns mit Lächeln und Vivatrufen, während man ein wenig weiter, im Hintergrunde, eine einsame Nonne bemerkte, die aus dem hohen Gitterfenster ihres Klosters auf das seltsame und glänzende Schauspiel blickte und sich schnell zurückzog.

Als wir am Morgen eine Stunde gearbeitet hatten und fanden, daß wir zu Wasser wenig oder gar nicht vorwärts kamen, stiegen wir ans Land und marschierten nach Santarem. Das Regiment wurde für die Nacht in ein Kloster einquartiert und mir ein Privathaus ange- wiesen. An dessen Tür begegnete mir der Eigentümer, ein anständiger, wohlgekleideter Mann von ungefähr 60 Jahren und von freundlichem Benehmen. Cr führte mich in ein sauberes Zimmer mit einer hübschen Kammer. Ich war mit Staub und Schmutz bedeckt und wollte die Wohnung als zu gut für mich ablehnen ; wie groß aber war meine Überraschung, als mein Wirt mir selbst Wasch- wasser brachte und seine gute Gattin mir Schokolade vorsetzte, die sie selbst auf einem Schenkteller herbei- trug. Ich befürchtete, sie möchten wegen meiner zwei Epauletten meinen Rang verkannt haben, und erklärte ihnen, daß ich nur ein schlichter Leutnant sei. Indes sie kannten meinen Rang sehr wohl, erzeigten mir aber nicht weniger Aufmerksamkeit. Sie durchlüfteten mein Zimmer mit Rosenwasser, nahmen meinen Tornister mit eigenen Händen ab und verließen mich dann, damit ich mich durch Waschen und Ankleiden erfrischen und mich von der Verwirrung erholen konnte, in die mich ihre herzliche und höfliche Aufnahme versetzt hatte. Am Abend speiste meine Gesellschaft hier, und der achtbare Wirt beschenkte uns mit kostbarem altem Wein und den 199

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auserlesensten Früchten. Und als wir Bedenklichkeiten zeigten, besiegte er sie mit wahrer und aufrichtiger Gast- freundlich keit; wir drangen ihm dagegen sechs Flaschen trefflichen Sautemc auf, die der Überrest unseres kleinen Vorrats von französischen Weinen waren.

Dies war meine Aufnahme in dem ersten Quartier, das ich in Portugal gehabt habe, und auf diese Weise empfingen die Portugiesen aller Klassen, je nachdem ihre Mittel waren, im Anfang des Kriegs auf der Halbinsel die britische Armee. Reiche und Arme, Geistliche und Laien, Hidalgos und Landleute, alle zeigten Eifer, uns zu dienen, und Bereitwilligkeit, uns zu ehren. Auf unseren früheren Märschen öffnete man Haus, Kloster und Hütte bei der Annäherung unserer Truppen; die besten Zimmer, die saubersten Kammern, die schlichten, einzigen Betten wurden mit unverstellter Freude den vom Marsche ermüdeten Offizieren und Sol- daten eingeräumt. Mit Bedauern muß ich gestehen, daß die Sitten meiner zurückhaltenden, aber wohlwollenden Landsleute bald eine Veränderung in der gütigen Stim- mung dieses Volkes hervorbrachten. Als sie sahen, daß viele von uns sich benahmen, als hätten sie ein Recht darauf, und daß ihre ehrerbietigen Artigkeiten und freund- lichen Dienstleistungen für Äußerungen der Huldigung angenommen wurden, die dem Mute, dem Reichtum und der Macht der britischen Nation gebührten, als die Ein- fachheit ihrer Sitten, ihre Mäßigkeit, die Sparsamkeit in ihrer Lebensordnung, die Eigentümlichkeit ihrer Kleidung und ihre religiösen Vorurteile zu Gegenständen des Spottes und Gelächters wurden, als sie Auftritte ge- meiner Trunkenheit unter uns sahen und zuweilen der rohen Beschimpfung ungezogener und hochfahrender Eng- länder ausgesetzt waren: als dies sich alles ereignet hatte, fingen sie an, die Ansprüche der einzelnen auf ihre Ach- tung zu prüfen.

Sie wurden sehr bald enttäuscht, und der Geist, den wir in ifnuin iri-weckt. zeigte sich 111 v^rsühietU'iH'n Hand- 200

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lungen der Vernachlässigung-, Unhöflichkeit und selbst der bitteren Empfindlichkeit. Die Engländer werden nicht nur in Portugal, sondern in ganz Europa als ein freies, aufgeklärtes und tapferes Volk bewundert, aber sie können sich nicht beliebt machen ; sie sind nicht damit zufrieden, groß zu sein, sie wollen auch, daß man sie für groB hatte und so nenne. Sie können sich nicht mit guter Laune in die Sitten anderer Völker schicken noch wollen sie sich herablassen, sich mit der harmlosen Selbstliebe freundlicher Fremdlinge zu versöhnen ; schmeicheln können sie nie.

Bei Anbruch der Dämmerung stellte sich unser Regi- ment in der Ebene unter der Stadt Santarem in Ordnung und begann seinen Marsch nach Golegao, einem großen, gegen vier Wegstunden entfernten Dorfe.

Mit einem kleinen Vortrabe traf ich an der Spitze des Regiments in Golegao ein, eben als die Frühglocke die Einwohner zum Gebete rief. Auf den Besuch des öffentlichen Gottesdienstes hält man in ganz Spanien und Portugal mit der größten Ordnung, und keine Be- schäftigung oder Lebensweise darf diese heilige Pflicht stören. Zur Messe gehen die Maultiertreiber, ehe sie ihre Tiere beladen, und aus der Tür der Kapelle ziehen die Landleute zu ihrer täglichen Arbeit. Selbst die Ver- wandlung der Nacht in den Tag, eine Maßregel, die wegen der außerordentlichen Hit/.e nötig ist, trägt den Reiz der Neuheit an sich. Ich erhielt in einer schlichten, aber reinlichen Hütte ein gutes Quartier und gastfreundliche Bewirtung, und wir brachen mit der Nacht wieder auf.

Als der kühle Abendtau auf unser Biwak in der Nähe des Dorfes Gaviao sich herabsenkte, kam ein Stabs- offizier mit einem Kurier angesprengt und stieg vor dem Quartier unseres Generals ab. Es wurde bald unter uns bekannt, daß eine emstliche und blutige Schlacht von unsern Waffengefährten bei Talavera3) geliefert worden

») Lora" Wellington siegte bei Talavera de la Rcina am 27. und 28. Juli 1809 über die Franzosen unter Joseph Bonaparte.

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war. Unzusammenhängen de Gerüchte sprachen von einem teuer erkauften Siege, einem schweren Verluste und einem darauf erfolgten Rückzüge. Ich erinnere mich wohl, wie wir uns alle um das Feuer versammelten, um zu horchen und zu mutmaßen und über den glorreichen, aber blutigen Sieg zu sprechen. Wir bedauerten natür- lich alle, daß wir an der Ehre eines solchen Tages keinen Anteil gehabt hatten, und sprachen lange und mit unend- lichem Vergnügen von dem Blutbade. So seltsam es scheinen mag, Soldaten, und sie nicht allein, sprechen von den Metzeleien eines Schlachtfeldes mit einem Ge- fühle, das, wenn es auch die lebhaften Schläge eines fröhlichen und sorglosen Herzens unterbricht, doch zu den freudigsten Regungen gehört

Zwei Stunden vor Tagesanbruch rief die Trommel zum Abmarsch, und wir erreichten zu früher Stunde Niza; aber schon war die Sonne so brennend heiß, daß ich in wenigen Augenblicken dreimal zu Boden sank. Während eines kurzen Halts warf ich mich auf das ausgedorrte Gras, und der Schlaf überwältigte mich; der Hut fiel mir vom Kopfe, und die brennenden Sonnenstrahlen trafen gerade auf mein entblößtes Haupt. Durch den Ton des Horns geweckt, erhob ich mich schnell, sank aber so- gleich besinnungslos nieder. Meine Kameraden riefen mich durch die gewöhnlichen Mittel wieder ins Leben zurück, auf meinen Versuch zu stehen kehrte der An- fall aber zweimal wieder.

Durch eine dreitägige Ruhe in Niza erholte ich mich völlig und war imstande, alle meine Pflichten wieder zu erfüllen. Während dieses kurzen Zeitraums hatten die Truppen zu meinem Glück Halt gemacht Am vierten Morgen machten wir uns auf den Marsch, setzten bei Villa

Letzterer, mit einem Heer von 35000 Mann, verlor 17 Kanonen und 7200 Tote und Verwundete; die Engländer, die 23000 Mann besaßen, verloren 5300, während die 20000 Spanier, die kaum mit in den Kamp! verwickelt wurden, nur geringe Verluste er- litten. 202

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Velha über den Tajo und verfolgten unseren Weg nach Zarza la Major, der ersten Stadt an der spanischen Grenze, auf der Straße nach Plasencia. Diese Bewegung wurde ohne Sir Arthur Wellesleys') Vorschrift gemacht Sie hatte zum Zweck, Soults Armee abzulenken, von deren Ankunft in der Nachbarschaft von Corio und Plasencia man Nachricht erhalten hatte, und die, wie man glaubte, nach ihrem Rückzüge von Talavera einen Angriff auf die britischen Truppen unternehmen würde, der bei der Anzahl von Verwundeten, womit sie belastet war, nicht sogleich nach der Schlacht folgen und nur mit besonderer Schwierigkeit ausgeführt werden konnte. Das Land, durch das unser Marsch ging, nachdem wir über den Tajo ge- setzt waren, besaß nichts Merkwürdiges, aber der Weg von Niza nach Villa Velha ist wahrhaft romantisch, und der Fluß, der an dieser Stelle schmal und tief ist und sich grollend zwischen hohen und abschüssigen Ufern hindrängt, die zu einem dunkeln, öden Oebirge aufsteigen, bildet ein großartiges, gewaltiges Gemälde.

Täglich biwakierten wir. Es ist ein angenehmer An- blick, eine Heeresabteilung auf ihrem Ruheplatz an- kommen zu sehen. Das Lager wird gewöhnlich, wenn es die Umstände erlauben, am Rande eines Waldes und in der Nähe eines Flusses oder Baches aufgeschlagen. Die Truppen machen in offenen Kolonnen Halt, die Waffen werden zusammengestellt, Feldwachen und Schildwachen geordnet und auf ihre Posten geschickt, und in zwei Minuten scheint alles zu Hause zu sein. Einige holen große Steine, um Feuerplätze herzustellen, andere eilen mit Flaschen und Kesseln nach Wasser, während der Wald von den Schlägen der Axt widerhallt. Unter den entfernteren Bäumen sieht man die Offiziere zerstreut,

») Sir Artur Wellosly, Herzog von Wellington, berühmter englischer Fddherr, 1769— 1652, hatte von 1S09 an den Oberbefehl über die britischen und portugiesischen Truppen. Später, 1813, be- fehligte er auch das spanische Heer.

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einige mit Umkleiden, andere damit beschäftigt, sich von einigen Ästen ein Obdach für die Nacht zu bauen, und andere wiederum ihr Feuer anzündend, während man die Tätigsten, mit Brot beladen, aus dem Dorfe zurück- kehren oder einen Vorrat frischer Milch von einer in der Nähe weidenden Ziegenherde herbeitragen sieht.

Die Unbequemlichkeit eines Lagers lehrte mich, auf das nächste mich zu freuen, und ich lernte eine selt- same Lehre für den Gedankenlosen , daß Wald und Wasser, Schatten und Gras üppige Genüsse darbieten. Ich sah jeden Abend die Sonne untergehen, sah sie jeden Morgen in ihrer Pracht aufgehen, und fühlte, daß selbst mein Dasein ein Segen war. Es ist in der Tat auffallend, wie bald sieh weichlich erzogene Menschen an alle Dinge gewöhnen können. In eine Decke oder einen Mantel gehüllt, das Haupt auf einen Stein oder einen Tornister gelehnt, vom Tau der Nacht bedeckt oder vom Gewitter- regen durchnäßt, schläft mancher Jüngling, :1er von Kind- heit auf an ein Zimmer mit Teppichen und an ein Flaum- bett mit Vorhängen gewöhnt ist.

Als wir über den Fluß Elja setzten, der an der Straße, die wir zogen, Portugal und Spanien scheidet, versprach ich mir viel Vergnügen von einer Stadt, die von Spaniern bewohnt wird, die, wie ich wußte, an Sprache, Sitten, Gebräuchen und Kleidung sich sehr von den Portugiesen unterscheiden ; und auf diesen Unter- schied hielt man aus volkstümlichem Stolze an den Grenzen so strenge wie anderswo. Unsere Heeresab- teilung rückte nahe an die Stadt Zarza vor und nahm ihre Stellung auf einer nackten Felshöhe, die gegen eine halbe Stunde von der Stadt entfernt und ihr gegenüberlag. Keine Seele kam uns entgegen, niemand folgte uns in unser Biwak. Alles war still, wie um Mitternacht, aber die Nachmittagssonne schien brennend heiß herab. Kaum war mein Regiment auseinandergegangen, als ich zur Stadt eilte, und ich war einer der ersten, die sie betraten. Die Straßen waren verlassen und die Häuser verschlossen, 204

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die Kirche allein stand offen, aber den Silberschmuck des Altars hatte man entfernt.

Ich wendete mich sdtwLirts in einen Garten und sah an einem jenseitigen Ende einen Landmann, der, als er mich bemerkte, die Flucht ergriff und sich verbergen wollte. Ich holte ihn ein, und als ich ihn durch Worte und Gesten beruhigt hatte, wurde er gesprächig. Ich horte von ihm, daß die Einwohner von Zarza die Franzosen diesen Morgen erwartet harten, und, ihre Ankunft fürch- tend, alle in der Nacht entflohen waren, einige nach Al- cantara, andere in die Wälder und Gebirge. Ich kaufte ihm einige Bisam- und Wassermelonen ab und gab ihm eine Kleinigkeit mehr, als sie wert waren, was ihn höch- lichst zu überraschen und zu erfreuen schien. ' Die Ereignisse dieses Morgens machten einen tiefen und bleibenden Eindruck auf mich. Zwar erlebte ich seitdem Schrecknisse, die mich wohl hatten lehren können, eine Begebenheit zu vergessen, die, wie ich nachher fand, nicht ungewöhnlich war, aber die ersten Eindrücke sind zu mächtig, um je vergessen zu werden.

Am nächsten Morgen kehrte unser General von einer Zusammenkunft mit General Beresford') zurück, der in der Nahe von Penagarcia und Penamacor mit einer Ab- teilung Portugiesen stand, und an demselben Abend zogen wir wieder über die Elja und betraten aufs neue Por- tugal — eine Bewegung, die, wie ich glaube, wegen der Macht und der Nähe des Feindes für ratsam erachtet wurde, denn wir hatten nur sechs Bataillone und waren durch keine Reiterei und Artillerie unterstützt. Wir nahmen jetzt unseren Weg wieder nach Alentejo. Eines unserer Lager auf diesem kurzen Rückzüge wurde in Einer der wildesten und malerischsten Gegenden auf- geschlagen. Auf dem halben Wege zwischen Villa Velha und Niza windet sich die Straße durch ein tiefes und

*) William Carr, Viscount ot Beresford, 1768—1854, über- nahm später das Kommando über Hills Korps.

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enges Tal, das auf allen Seiten van wild gestalteten Felsenhöhlen eingeschlossen ist; durch dieses fließt ein kleiner Bach, der von den Höhen in das rauhe Bett eines winterlichen Waldstroms fällt und, das reinste Wasser führend, wie ein Silberfaden sanft sich hinschlängelt. Hier machten wir bei Anbruch der Nacht Halt, nachdem wir fast 19 Stunden unter den Waffen gewesen waren. Die Höhen steigen auf allen Seiten des Tales so steil und senkrecht empor, daß es unmöglich ist, ein regelmäßiges Lager hier zu bilden, und die Leute wurden alle in Gruppen auf die Hügel verteilt.

Wir hielten 14 Tage Rasf in Niza und lagerten in einem Walde bei der Stadl. Am 7. September brachen wir auf und marschierten in die Kantonierungen im spanischen Estremadura. Unser Weg ging über Port- alegre, Elvas, Badajoz und Talavera Real.

Die leichte Brigade unter General Crawford wurde zu dieser Zeit in Portalegre einquartiert. Die Regimenter, aus denen sie bestand, waren sehr schön und so gut als möglieh geordnet. Sie hatten die Kränkung erlitten, erst am Tage nach der Schlacht mit Wellingtons Armee auf dem Felde von Talavera vereinigt zu werden. Ich wohnte hier der Musterung des 23. Regiments bei, das so all- gemein und mit Recht bewundert worden ist. Wir setzten unseren Mersch am nächsten Tage fort, hielten bei Arrouches, einer kleinen unbedeutenden Stadt, und rückten von da am nächsten Morgen zu einem Biwak unter den Mauern von Elvas aus. Nahe bei der letzten Stadt starben zu Ende des Marsches zwei Leute von unserem Regiment vor Hitze und Müdigkeit. Das Thermo- meter stieg im Laufe dieses Tages im Freien auf 100° Fahrenheit.s) Elvas ist eine feste Grenzstadt und rühmt sich des Schutzes eines unbezwinglichen Außenwerkes (La Lippe), das man für ein Meisterwerk in der Be-

«) 100 Fahrenheit = 37,33 Celsius.

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festigungskuust ansieht. In dieser Stadt waren die Hospi- täler für unsere Armeen errichtet worden, und als ich durch die Straßen wanderte oder an den Klöstern vor- überging, die man dazu bestimmt hatte, ruhten meine Blicke beständig auf Männern, die in der letzten Schlacht von Talavera verwundet worden waren. Die Grüße dieser tapferen Dulder erwidernd, fühlte idi meine Wenige wie Scharlach erglühen. Was hätte ich nicht damals für das stolze Vorrecht gegeben, den Offizieren beigezählt zu werden, die über diese Männer den Befehl im Felde der Ehre gehabt hatten, und die jetzt, ihre verkrüppelten Beine auf Krücken stützend oder ihre zerschmetterten Arme in schwarzseidenen Tüchern tragend, gemächlich im kühlen Schatten herumwandelten, mit dem zufriedenen Blick, der immer das Gefühl der wiederkehrenden Gesund- heit anzeigt und den hier das Bewußtsein der edeln Sache, die sie auf das Leidensbett gestreckt hatte, doppelt anziehend machte.

Ich folgte einer Oruppe derselben in den Laden eines maurischen Marketenders namens Tarnet, der der ganzen britischen Armee unter der Bezeichnung „der Türke" wohlbekannt war. Dieser Mann handelte mit allem, was Offiziere im Dienste brauchen konnten, und war weit höflicher, als ich je einen Marketender getroffen habe. Während ich hier einige Einkäufe machte, horchte ich auf- merksam auf die Unterhaltung um mich her. Sie hatte viel Anziehendes für mich, denn die Leute sprachen von unseren politischen Verbindungen mit Spanien, von dem militärischen Charakter der Spanier und von dem Er- folge des Krieges ; aber ich gestehe, ich errötete über ihren Mangel an Kenntnissen und Unbefangenheit Die Ver- achtung, womit sie über spanische Tapferkeit sprachen, war nicht nur lieblos, sondern unverdient. Der edle, unerschrockene Eifer, mit dem die Spanier zuerst zu den Waffen griffen und furchtlos dem Manne, dem sich Italien, Österreich, Preußen und Rußland unterwarfen und die Siegespalme reichen mußten, den Fehdehandschuh hin- 207

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warfen; die heldenmütige Ausdauer, mit der sie Be- schwerden, Entbehrungen und Niederlagen erduldeten; die unerschütterliche Entschlossenheit, mit der sie, ob- gleich täglich geschlagen, sich immer wieder den sieg- reichen Scharen eines tapferen und geschickten Feindes ent^L';;\' [ist eilten und von einem Felde flohen, um sich auf einem anderen als bereitwillige Opfer darzubieten; der beispiellose Heldenmut, mit dem Zaragoza und einige andere Städte von ihren Einwohnern, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht, verteidigt wurden: all das sind Tatsachen, die meinen Landsleuten bekannt sein mußten und deren sich der unparteiische Soldat und der gerechte Mann stets mit freudiger Begeisterung erinnern wird. Sicherlich war ich jn der Wahl der Oesellschaft unglücklich gewesen, denn ich glaube, in keinem europäischen Heere gibt es so viele gebildete und unbefangen denkende Männer wie in dem unsrigen. Die britische Armee darf jedoch nicht für die Torheit und Unwissenheit vieler verantwortlich gemacht werden, die durch die Zulassung in die Reihen des Heeres zu sehr geehrt worden sind. Wir dürfen nicht auf alle, die unsere Schlachten gekämpft haben, mit der eiteln Hoffnung blicken, Helden zu be- gegnen; wir werden nur Menschen finden.

fch verließ die Stadt, sehr zufrieden mit allem, was ich gesehen und gehört hatte, aber etwas traurig, daß es mir, trotz all meiner Aufmerksamkeit und meines Herumschlenderns in der Nähe seines Quartiers, nicht gelungen war, Wellington zu erblicken, den ich bis jetzt noch nie gesehen hatte. Meine Waffen gefährten hatten wieder einen Garten neben dem Biwak gefunden, und nach einem sehr vergnügten Abend legte ich mich auf eine Binsendecke nieder, die ein Gärtner für mich aus- gebreitet hatte, und bereitete mich zum Schlafe vor, ohne selbst den Mantel über mich zu decken. So ist das Klima in Spanien.

Wir erreichten Torremajor, das für unsere Brigade bestimmte Dorf, in zwei Tagen, indem wir bei Talavera 208

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die Nacht hindurch biwakierten. Einige Regimenter von Hills Korps'), zu dem unsere Brigade gehörte, lagen bei Montijo, einer auf unserer Straße gegen vier Stunden von Torremajor gelegenen Stadt, unter anderen das 29. Regiment Es war das erste wegen seiner Tapferkeit ausgezeichnete Regiment, das ich unter den Waffen ge- sehen habe. Nichts aber konnte schlechter sein als seine Kleidung: man harte sie ausflicken müssen, und da man kein rotes Tuch erhalten konnte, so hatte man graues, weißes und sogar braunes dazu genommen. Trotz diesem ungünstigen Aussehen aber konnte kein Soldat ohne Be- wunderung auf diese Männer blicken. Die vollkommene Ordnung und Reinlichkeil in ihren Waffen und in ihrer Ausrüstung, ihre gerade Haltung bei der Musterung und ihr fester, ungezwungener Schritt beim Marschieren über- traf alles, was ich von der Art gesehen hatte. Kein Regiment von irgend einem Heere oder einem Volke, das ich seitdem Gelegenheit hatte zu sehen, ist dem Begriffe, den ich mir von einem musterhaften Fußvolke machte, nähergekommen, als das 2Q. Regiment.

Am 4. Oktober wurde unser Korps, das General Hill befehligte, von Lord Wellington in der Ebene von Montijo gemustert. Wir hatten eine Stunde bis zu diesem Ort zu marschieren und mußten lange warten, bisWelling- ton kam. ich war sehr aufgeregt und begierig den Helden zu sehen, und als er langsam die Linie abritt, die Männer mit scharfem, forschendem Blicke musternd, hatte ich die bequemste Gelegenheit, meine Neugierde zu be- friedigen. Sein Gesicht überraschte mich sehr, und in seinen blitzenden Augen, seiner vorstehenden Nase und seinen zusammengepreßten Lippen sah ich die Geistes- gegenwart und unerschütterliche Entschlossenheit ausge-

>) Rowland, Viscount Hill of Hawkstone, Baron Hill von Almarez, 1772—1842, befehligle von 1808—1814 in Spanien; über- nahm 1S0Q den Oberbefehl über Pagets Division, der verwundet worden war. Er war besonders bei Ciudad Rudrigo und bei Sala- manca 181-i von bedeutendem Nutzen für Wellington. 14 B*M7: Spin, frtihtitsfcrapf. 209

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prägt, die zu den wichtigsten Eigen schalten eines Heer- führers gehören und wodurch der Name dieses großen Feldherrn einen so verdienten Ruhm erlangt hat

Ich kehrte nach der Musterung in meine Wohnung zurück, verlebte einen sehr vergnügten Abend, sprach von nichts als von Krieg und Wellington, wurde noch dieselbe Nacht aufs Krankenbett geworfen und war nach Verlauf einiger Tage an der Pforte des Todes. Meine Jugend, ein kräftiger Körperbau und lebendiger, hoff- nungsvoller Mut setzten mich indes in den Stand, die Krankheit zu besiegen, und nach drei Wochen war ich auf dem Wege der Genesung. Meine alte Wirtin, die während meiner Krankheit manche Stunde vor dem kleinen Heiligenschreine in ihrer Kammer zugebracht und täglich für die Gesundheit und Bekehrung des jungen Ketzers gebetet hatte, war äußerst erfreut und betrachtete meine Genesung als einen wunderbaren Beweis der Macht ihres Heiligen und als ein befriedigendes Zeichen ihrer eigenen Würdigkeit

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2. Kapitel

Rückkehr zum Regiment Leben im Felde. Krieg- führung der Spanier. Französische Gefangene. Gefecht bei Buzaco

Gegen Ende des März, als ich meine Gesundheit völlig wiedererlangt hatte, ging ich zu meinem Regiment zurück. Das Heer des Generals Hill, zu welchem ich gehörte, lag zu dieser Zeit in Kantonierungen verfeilt in der Provinz Aiemiejo. Der General hatte sein Haupt- quartier in der Stadt Portalegre, wo zwei Brigaden und die Hälfte der zweiten Infanterieabteilung lagen. Mein Regiment stand in Alegrete, einer kleinen Stadt, die sehr romantisch in einer wilden und malerischen Gegend, drei Stunden von Portalegre und in der Richtung nach Al- buquerque lag. Meine Reise glich einer Lustfahrt. Wir bildeten eine kleine fröhliche Gesellschaft, die aus lauter Genesenen bestand, und durch die Erfahrung etwas ge- witzigt, nahmen wir viele kleine Bedürfnisse und zur Bequemlichkeit dienende Dinge mit, die wir im vorigen Jahre nicht berücksichtigt oder verachtet hatten:

Ich war wieder auf der Promenade, aber ach, wie manches liebe Gesicht suchte da mein Auge vergebens! In dem Zeitraum von vier kurzen Monaten hatte mein Regiment fast 400 Soldaten begraben, alle in der Blüte ihres Lebens und im kräftigsten Mannesalter. Alle waren als Opfer der ungesunden Jahreszeit im spanischen Estre- madura gefallen. Die Offiziere unseres Korps hatten im 14« 211

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Verhältnis zu den Gemeinen keinen so großen Verlust gehabt, da sie imstande waren, besser zu leben, denn zu jener Zeit fanden keine regelmäßigen Verteilungen von Wein und geistigen Getränken an die Soldaten statt, und der Wein, den man zuweilen erhielt, war sehr kraftlos. Überdies war großer Mangel an Chinarinde in den Hospitälern, und viele Kranke starben dieses Mangels wegen. Ein Grund von großer politischer und militäri- scher Bedeutung mußte ohne Zweifel Lord Wellington veranlassen, eine Stellung einzunehmen und zu behaupten, die für die Gesundheit und Kraft seines kleinen Heeres so überaus verderblich war.

Den ganzen April, Mai und Juni hindurch blieben wir in fester Stellung, außer daß wir einmal aufbrachen und, gegen zwei Stunden vordringend, ein paar Nächte biwakierten, weil eine leichte Kolonne von der Armee des Generals Reynier1), der damals im spanischen Estre- madura den Oberbefehl führte, einige unbedeutende Be- wegungen gemacht hatte. Der Feind zog sich aber zu- rück, und wir bezogen wieder unsere ruhigen Quartiere.

Am 30. Juni wurde unser Regiment aus seiner Stellung abberufen und schloß sich seiner Brigade in Portalegre an. Alle Erscheinungen berechtigten zu dem Glauben, daß der Kampf eröffnet werden sollte. Wir blieben hier 14 Tage, und ich war hinsichtlich meines Quartiers sehr glücklich. Mein Wirt, ein ehrwürdiger alter Stiftsherr von freundlichem Benehmen und guter Bildung, gab mir ein treffliches Zimmer und erlaubte mir den Zutritt in ein kleines Kabinett, worin er eine hübsche Sammlung von französischen Schriftstellern und einige schöne Ausgaben von Klassikern hatte. Die Fenster meiner Kammer gewährten die reizendste Aus- sicht, und alle meine Bedürfnisse und Wünsche waren befriedigt, wenn ich die natürliche Sehnsucht ausnehme,

') Jean Louis Ebeneier Graf Reynier, französischer Ar- tilleriegcneral, 1771 18] J, kommandierte 1810 das 2. Armeekorps. 212

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ins Feld zu rücken, um der stolzen Erfahrung eines Kriegers teilhaftig zu werden.

Zu jener Zeit hatten die Heere Junots und Neys, unter dem Befehle Massenas*), ihre Stellung auf oder bei dem Agueda. Neys Truppen setzten indes die Be- lagerung von Ciudad Rodrigo fort. Reynier lag mit dem zweiten Korps des französischen Heeres im spanischen Estremadura in Kantonierung, mit großen Vorbereitungen beschäftigt, die, wie es schien, den Zweck hatten, uns in Alemtejo zu bedrohen und zu bewachen. Am 13. Juli rückten wir in ein Feld, nahe bei Alpalhao, wo wir fünf Tage hielten, in der Erwartung, daß Reynier, der sich damals dem Tajo näherte, über den Fluß setzen würde, worauf wir schnell eine entsprechende Bewegung machen wollten. Wir wurden hier alle gemustert, und ich harte das Vergnügen, zum ersten Male eine große Abteilung Portugiesen unter den Waffen zu sehen. Die Leute waren ausnehmend schön, und, wenn man die kurze Zeit in Betracht zog, die seit Ihrer Einrichtung ver- flossen, in sehr guter Ordnung. 24 Linienregim enter, 6 Regimenter leichter Infanterie, 10 Regimenter Reiterei und eine verhältnismäßige Menge trefflicher Artillerie bildeten damals das vaterländische Heer von Portugal; seine gesamte Macht mochte sich bis auf 35000 Mann belaufen. Von dieser Anzahl waren jedoch viele Regi- menter noch nicht hinlänglich vorbereitet, ins Feld zu ziehen, und blieben daher in Garnison. Die Gesamt- macht der schlagfertigen Briten und Portugiesen mochte 58000 Mann nicht übersteigen; darunter waren 25000 Portugiesen. Gegen 8000 Briten und 6000 Portugiesen befehligte der General Hill. Alle übrigen Heeresab- teilungen standen unter Wellingtons unmittelbarem Be- fehle und hatten die vorteilhafteste Stellung dem von

>) Andre Massena, Herzog von Rivoli, Fürst von Eflling, französischer Marschall, 1753—1817, hatte 1810 den Oberbefehl über die Armee von Portugal.

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Massena befehligten Heere gegenüber. Es ist jedoch nicht meine Absicht, dem Leser eine berufsmäßige Beschreibung der Feldzüge zu geben, sondern ihm nur, so treu ich kann, die mannigfaltigen Freuden eines tätigen Feld- lebens zu schildern, die auf mich einen tiefen Eindruck machten, wiewohl ich mehr ein Reisender und ein Mann von Gefühl, als ein unterrichteter Soldat bin.

Doch hehren wir in unser Feldlager zurück. Am 18. Juli brachen wir abermals auf, marschierten vor Niza vorbei nach dem Tajo, setzten über diesen Fluß bei Villa Velha und verfolgten unsern Weg durch Saniadas und Castello-Branco nach Atalaya, einem ansehnlichen Dorfe am Fuße der prächtigen Bergreihe, die den Namen Sierra da Estrella führt und in deren nördlicher Gegend unsere Hauptmacht unter Wellingtons Befehl lag. Durch die Entbehrungen, die sie im vorigen Jahre erlitten hatten, gewitzigt, zogen unsere Offiziere jetzt sehr gut versorgt ins Feld; viele von uns waren beritten, die meisten führten Zelte mit sich, und da die Erfahrung uns gezeigt hatte, was wirklich nützlich war, so hatten wir uns während unserer freien Zeit viele kleine Dinge verschafft, die den Aufenthalt im Lager angenehmer machen sollten. Mein Waffengefährte und ich besaßen unser Zelt, unsern Feldtisch, Stühle, Strohmatratzen, Flaschen futter usw., und mochten wir auch in den wildesten und einsamsten Gegenden, von allen Städten und Flecken entfernt, bi- wakieren — unsere Mahlzeiten wurden, nachdem sich unsere Diener an das Leben gewöhnt hatten, mit der größten Ordnung, Reinlichkeit und Bequemlichkeit be- reitet und aufgetragen, wenn das Wetter schön war und kein Befehl zum Abmarsch oder zur Rüstung dazwischen kam. Hatte unser Regiment eine Viertelstunde Halt ge- macht, so wurde unser Zelt aufgeschlagen; der Kessel befand sich über dem Feuer, unter einem schattigen Baume wurde das Frühstück mit dem Teezeug ausgebreitet, die Ziege gemolken, und wir saßen zufrieden bei unserem fröhlichen Mahle. Auch das Mittagsmahl ließ einem 214

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mäßigen Manne wenig übrig, was er hätte wünschen oder worüber er hätte murren können, wenn auch keine große Mannigfaltigkeit in den Speisen war; denn im Felde sieht man gewöhnlich nur zwei Gerichte, nämlich Suppe und Fleisch oder ein irländisches Schmorgc rieht, mit Reis, Kürbis, Tomaten und einer Flasche gutem Landwein.

Im Biwak bei Villa Velha lagerten wir uns eine Stunde von einem spanischen Korps entfernt, das unter dem Befehl des Generals Carrera stand und nach Badajoz marschieren wollte. Es war ein überaus schönes Regi- ment, wiewohl durch Niederlagen völlig in Unordnung gebracht und fast verzagt aus Mangel an jener Hoffnung und Aufmunterung, die nur das Kriegsglück dauernd ein- zuflößen vermag. Sie hatten an der unglücklichen Schlacht bei Alba de Tormes teilgenommen und waren kürzlich beugen dts Talk; von Cim.Kul Rodrigo jii'wesi'ii.3) Auf uns sahen sie mit dem Blick der Verachtung, den ihre Unwissenheit als Soldaten und ihr Eifer als Spanier einigermaßen entschuldigen muBten. Sie wußten wenig oder gar nichts von regelmäßiger Kriegsführung, sie wußten nur, daß wir seit der Schlacht bei Talavera keinen Schuß an ihrer Seite getan hatten, daß unsere Waffen- gefährten vor zwei Jahren unter dem General Moore durch Galizicn geflohen waren, ohne zu fechten, und ihre ängstlichen und verächtlichen Blicke sagten uns deut- lich, daß sie befürchteten, wir möchten bei der Annäherung Massenas mit gleicher Eile durch Portugal zurückkehren. Es kränkte mich, dies alles zu beobachten, ich schrieb

») Am 28. November 1800 wurden die Spanier unter Del Parque vom General Marchand bei Alba de Tormes geschlagen und verloren 3000 Mann, teils in Oalicien, teils bei Ciudad Rodrigo. Diese Stadt wurde im Juni 1810 von Ney mit 50000 Mann besetzt, aber die Besatzung, 4000 Spanier unter dem tapferen Andreas Herrasti, ergab sich erst am 9. Juli, da es vergeblich war, gegen eine solche Obcrmacht Widerstund zu leisten. Im Januar 1812 wurde Ciudad Rodrigo von den Engländern unter Wellington den Franzosen wieder abgenommen.

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aber vieles der gereizten Stimmung zu, worin die aus- gestandenen Leiden und Gefahren sie versetzt haben mußten, und ich vergab ihnen von Herzen.

Der General Carrera, der sie befehligte, saß mit mehreren ihrer höheren Offiziere unter einigen Bäumen und rauchte seine Zigarre. Sein Haupt war unbedeckt, und er trug einen leichten gewöhnlichen Leibrock. Er war ein überaus schöner Mann, und als unsere wohl- gerüsteten Truppen an diesem Platze vorüber auf ihre Posten zogen, betrachtete er sie mit schweigendem und empörendem Stolze. Er besaß keine Kenntnisse, war aber ein feuriger junger Krieger und ein wahrer Freund seines Landes. Im Jahre 1811 oder 1812 fiel er in den Straßen von Murcia, mit Säbelwunden bedeckt, nachdem er kurze Zeit mit fünf französischen Dragonern einen höchst ungleichen Kampf geführt hatte.

Ich erwähne das Zusammentreffen mit den spanischen Truppen, um zu zeigen, was für Anführer sie oft hatten und wie wenig Ordnung und Plan in dem Marsche und den Bewegungen der Krieger war, die, wie man wohl sagen kann, zerstreut in ihrem Biwak durcheinander- liefen, ohne regelmäßige Stellung oder eine Spur von Mannszucht und Aufsicht, und den Befehlen von Gene- ralen unterworfen, die vielleicht in den meisten Fällen von Vaterlandsliebe angetrieben, aber selten von Urteils- kraft geleitet wurden.

Am 17. August rückte unser und ein anderes Ba- taillon in ein Lager bei San Domingo, gegen ein und eine halbe Stunde von Sarzedas entfernt, zur Unterstützung einiger Truppen leichter Infanterie und Reiterei, die vor uns lagen und Castello Branco und die umliegenden Dörfer besetzt hielten. Wir hatten ein sehr vergnügtes Biwak ; die Bäume waren groß und schön, ein klarer Bach von süßem Wasser floß an unseren Linien vorbei, und die Leute erhielten bequeme und reinliche Baracken. Unser General hatte eine kleine Kapelle an der Seite der Landstraße, das einzige Gebäude in unserer Nähe, 210

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eingenommen, und Landleute, die gehört hatten, daB unsere Mannszucht streng sei und daß wir alles frei- gebig bezahlten, kamen bald aus einer Entfernung von zwei bis drei Stunden, um Markt in unserem Lager ab- zuhalten. Sie versorgten uns mit Vorräten an Brot, Milch, Eiern, Geflügel, Honig und trefflichem Landwein. Wer einmal zwei bis drei Wochen lang nichts als seinen Teil Rindfleisch und harten Zwieback genossen hat, wird sich nicht wundern, daß ich diese Kleinigkeiten erwähne, und wer nie im Felde gedient hat, mag bei ihrer Erwähnung lächeln, vorausgesetzt, daß er es mit guter Laune tut und mich zuletzt entschuldigt.

Während wir hier lagerten, spielte sich vor unserer Front ein Reitergefecht ab, wobei einige von unserm 13. leichten Dragoner-Regiment einen feindlichen Fou- ragiertrupp gefangen nahmen. Die Gefangenen wurden an unserem Lager vorbei ins Hauptquartier gebracht Ich hatte bis jetzt, obgleich ich schon ein Jahr im Lande war, noch keinen französischen Soldaten gesehen und machte mich allein auf den Weg, um der Eskorte ent- gegenzugehen. Ich wußte nicht, wie es kam, aber ich machte mir seltsame Vorstellungen von dem Aussehen französischer Soldaten. Was ich zu sehen erwartete, kann ich nicht genau sagen, gewiß aber nicht Männer von schöner, frischer Gesichtsfarbe und von schlanker, wohl- gebildeter Gestalt. So waren jedoch die Gefangenen ; es waren Jäger, gegen 60 an der Zahl, in netten, grünen Uniformen und überaus gut stehenden Mützen. Einige von ihnen schienen niedergeschlagen und traurig, andere erbost und ungehalten zu sein, die meisten aber blickten mit furchtloser und unbefangener Neugier um sich her, während ihre lachenden blauen Augen nichts weniger als Grausamkeit verrieten. Es gab zwar unter ihnen nur wenig Franzosen, aber wenn auch Deutsche, waren sie doch Soldaten des französischen Heeres, marschierten und fochten mit ihm und waren Feinde, denen wir oft begegneten. Ein großer Teil von Napoleons Reiterei 217

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bestand aus Deutschen, und selbst die numerierten Regimenter Frankreichs aller Waffen enthielten Italiener, Belgier, Holländer und andere Fremdtruppen. Sie waren daher gleichsam Proben der Feinde, mit denen wir kämpfen sollten.

Unter ihnen war ein Mann, dessen furchtbare und wilde Gesichtszüge ich in der Tat nie vergessen werde. Er war von mittlerer Größe, stark und kräftig, sein Haupt- haar und sein ungeheurer Schnurrbart waren vollkommen weiß, sein Gesicht bleich, seine Augen klein und etwas rot, und der Ausdruck seines Blickes war ebenso na- türlich als mitleidslos. Seine Kameraden schienen ihn zu scheuen, und auf meine Fragen erfuhr ich, daß er aus einer österreichischen Provinz gebürtig sei. Seine Sprache, sagten sie, wäre ihnen kaum verständlich, er sei ein vollkommener Wilder, aber tapfer und ein gutes Futter fürs Pulver. Ich schauderte bei den Gedanken, daß ein solcher Mann Soldat war. Vor einem solchen Bösewichte, dachte ich, wird das weinende Weib ver- geblich knien, diesen einmal erhobenen Arm wird das Lächeln des hilflosen Säuglings, der Seufzer des ver- wundeten Kriegers nie vom Todesstreiche zurückhalten. Er war der einzige Verwundete unter dem ganzen Haufen, denn man hatte wenig oder keinen Widerstand geleistet; aber ein solcher Mann mußte kampfunfähig gemacht werden, ehe er entwaffnet werden konnte.

Am 2. September kehrte unser Bataillon nach Sar- zedas zurück. Am 12. brachen wir auf und marschierten nach Sobreira Formosa, wo wir fünf Tage blieben. Das Land war zwar gebirgig, die Luft aber drückend heiß. Wir fanden jedoch Schutz unter großen Kastanienbäumen, den schönsten, die ich je gesehen habe.

Ganz nahe bei uns hatte sich eine portugiesische Heeresabteilung gelagert. Als sie ihre Abendparade hielt, ging ich an ihrer Linie entlang. Der Augenblick schien sich zu nähern, wo wir wahrscheinlich neben- einander fechten sollten, und von ihrer Kraft hing die 218

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Fortsetzung des rühmlichen Kampfes auf der Halbinsel ab. Die Grenadiere der Brigade von Algarve zogen be- sonders meine Aufmerksainkeii auf sich. Es waren alle schöne Soldaten, und ihre braune Oes iehls färbe, ihre schwarzen Schnurrbarte, ihre großen, dunkeln Augen gaben ihnen ein wahrhaft martialisches Ansehen. Ich hörte sie zum ersten Male ihr Abendlied singen. Die Leute standen, während die Sonne unterging, im Kreise um ihre Offiziere und sangen ihr Abendgebet in einer Melodie, die für mich neu, anziehend und feierlich war.

Am Morgen des 17. setzten wir uns wieder in Be- wegung und marschierten eilig nach dem Mondego, an dessen südlichem Ufer, nahe bei Ponte de Murcella, wir Halt machten. Auf unserem Wege setzten wir bei Villa del Rey über den Zezere. Unser Biwak bei dieser Stadt war im höchsten Grade jämmerlich. Der Regen goß in Strömen herab, und das Zelt gewährte kaum Schutz. Donner und Blitz, die unser Vieh erschreckten, und ein heftiger, an unser Zelttuch schlagender Wind vollendeten unser Elend.

Doch bei einem vergnügten Sinne und aufgeweckten Lebensgeistern leidet man nichts und achtet solche Un- annehmlichkeiten nicht. Ich erinnere mich, daß mein Warf engefährte mir etwas Glühwein machte, und ich kroch dann unter meine Decke, warf ein Wachstuch über mich, und es gelang mir, das Ungewitter und seine Un- annehmlichkeiten in einem tiefen Schlafe zu vergessen.

Mit der Sonne erhob ich mich, aber welche Ver- änderung belohnte unsl Der Morgen war himmlisch, das Wetter mild, alle Bäume und Felder glänzten von Regentropfen, und die Natur zeigte ein heiteres und frisches Antlitz. Unser Marsch ging, nachdem wir den Zezere durchwatet hatten, während der ersten zwei Stun- den durch ein schönes, wohl an gebautes Land, mit vielen reinlichen Hütten und Weinbergen, die rot von Früchten waren. Als wir dahinzogen, brachten die Landleute Wein und Pfirsiche, Pflaumen und Trauben, die sie für einen 21 g

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geringen Preis an die Offiziere verkauften und freigebig an die Gemeinen verschenkten.

Unsere Leute hatten zuletzt nur einen kleinen Teil Brot erhalten, und obgleich sie fröhlich und guter Laune waren, so wurden sie doch durch diesen erzwungenen Marsch etwas ermüdet. Nie werde ich die Worte ver- gessen, die einer von unsern Leuten an seinen Kameraden richtete, während sie stolpernd in der Finsternis vor mir her sich fortarbeiteten; sie schildern auf tiefsinnige Weise den Anteil des Soldaten am Feldzuge. „Wilm," sagte er, „das Parlament und die großen Herren zu Hause wissen alles, was die Armee und der große Feldherr unternimmt, aber sie wissen nichts von dem einzelnen Soldaten; sie wissen z. B. nicht, daß du verdammt müde bist und daß ich kein Brot erhalten habe." Es liegt mehr in diesen Worten, als man anfangs zu hören glaubt, und der nachdenkende Mensch kann mit Nutzen dar- über philosophieren.

Wir schlugen am 23. unser Lager bei einem kleinen Dorfe hinter der Sierra de Murcella auf und blieben drei Tage hier liegen. Unsere Feldwachen erhielten ihre Posten nahe am Kamme dieses ungeheuren Gebirges, von wo sie nordöstlich einen weiten und schönen Land- strich übersahen.

Am 26. brachen wir wieder auf, setzten über den Mondego, erstiegen die hohe Sierra de Buzaco und standen bald in Schlachtordnung rechts von Wellingtons Heere. Unsere Stellung dehnte sich gegen vier Stunden längs dem felsigen Bergrücken hin, und der Boden, den wir besetzten, senkte sich da, wo unsere Nachhut stand, zu einem Abhänge und verbarg auf die trefflichste Weise unsere Stellung sowie die Stärke unserer Heeresmacht. Mein Regiment hatte kaum die Waffen zusammengestellt, als ich zu dem Rande des Berges ging, auf dem wir lagen, in der Hoffnung, etwas vom Feinde zu entdecken; ich hatte indes keine Ahnung von dem prächtigen Schau- spiel, das mich erwartete. Soweit das Auge reichte, 220

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verkündeten der Glanz des Stahles und die von der Reiterei und Artillerie aufgewirbelten Staubwolken das Anrücken eines unermeßlichen Heeres, während un- mittelbar unter mir, am Fuße der steilen Höhe, bereits seine Vorposten autgestellt waren. Tausende lagen be- reits in ihren Biwaks. Im langsamen Zuge folgend nahm Kolonne auf Kolonne den ihr angewiesenen Platz ein, und immer mehr schwoll die ungeheure schwarze Masse an. Die Anzahl der Feinde war nach der niedrigsten Berechnung 75000 Mann, und diese Macht war in drei abgesonderte starke Kolonnen geteilt, während man hinter ihrem Flügel in beträchtlicher Entfernung ein großes von ihrer Reiterei gebildetes Lager sehen konnte. Das ganze Land im Hintergründe schien von ihrem Nach- zuge, ihrem Feldhospital und ihrem Heeres-Verpflegungs- amte bedeckt zu sein. Es war ein französisches Heer. Hier lagen die Männer vor mir, die vor beinahe zwei Jahren die ganze englische Küste in Schrecken gejagt, die Italien erobert, Österreich überwältigt, in den Ebenen von Austerlitz gesiegt und in einem Tage auf dem Schlachtfelde von Jena Preußens Macht, Stolz und Kriegs- ruhm gedemütigt hatten! Morgen, dachte ich, werde ich zum ersten Male das Schlachtgetösc hören, das Nieder- metzeln sehen und die Ehre eines schwer erkämpften Sieges teilen oder zu den Gefallenen gehören. Langsam kehrte ich zu meinem Rcgimcutc zurück, und als der Abend unter anziehender, lebhafter Unterhaltung ver- flossen war, legten wir uns, obgleich wir weder Ge- päck noch Feuer hatten, zur Ruhe. In unsere Mäntel gehüllt, die felsige Oberfläche des Berges zum Kopf- kissen und den Himmel zu unserm Baldachin, durch- schliefen oder verbrachten wir vielmehr die Nacht mit den mannigfaltigsten Oedanken.

Zwei Stunden vor Tagesanbruch stand das Heer unter Waffen, aber die zwei Stunden vergingen schnell und ruhig. Endlich, als der Tag graute, ließen sich ein paar entfernte Schüsse zu unserer Linken hören. Sie 221

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wurden durch Kanonendonner und das rasche, heftige, unaufhörliche Rottenfeuer der Musketen erwidert. Wir erhielten Befehl, aufzubrechen und die angegriffenen Truppen zu unterstützen. Hills ganzes Korps, gegen 14000 Mann stark, bildete sich zu einer offenen Ko- lonne und marschierte in festem doppeltem Geschwind- schritt und in größter Ordnung links ab.

Als wir uns bis auf eine halbe Viertelstunde einem der Angriffspunkte genähert hatten, von dem der Feind eben durch das 74. Regiment vertrieben wurde, sah ich mich nach der Nachhut unserer Truppen um. 11 000 Mann folgten uns, alle vor unsern Augen, alle in offener Ko- lonne, alle mit Qeschwindschritt anrückend. Wir hielten genau im Hintergründe des Platzes, von dem das 74. Re- giment in schönster Ordnung, die Fahnen von Kugeln durchlöchert, zurückkehrte. Hier flogen einige Bomben über unsere Linie, die indes keinen Schaden anrichteten, aber wir hatten nicht die Ehre, in den Kampf verwickelt zu werden. In diesem Augenblick wurde der erste Ver- wundete, den ich im Felde sah, an mir vorübergetragen. Es war ein schöner junger Engländer in portugiesischen Diensten, der hilflos in einem leinenen Tuche dalag, beide Beine von einer Kanonenkugel zerschmettert. Er sah bleich aus, und große Schweißperlen standen auf seiner Stirn, aber er sagte nichts sein Schmerz schien unaus- sprechlich. Ich wünschte ihm heimlich den Tod, ein Wunsch, der, wie ich glaube, nicht lange unerfüllt blieb.

Um diese Zeit kam Wellington mit einem zahlreichen Generalstabe herangesprengt und erteilte unmittelbar vor unserer Linie dem General Hill seine Befehle, so daß ich deutlich hören konnte, was er sagte. „Wenn sie wieder auf diesem Punkte einen Angriff machen, Hill, so geben Sie ihnen eine Ladung und dringen mit dem Ba- jonett auf sie ein; lassen Sie aber Ihre Leute sie nicht zu weit den Hügel hinab verfolgen." Ich war über diese Befehlsweise sehr überrascht, die so entschieden, so männlich und so frei von jedem Zweifel war, daß 222

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der Angriff zurückgewiesen werden könnte, und sie be- stärkte sehr das Zutrauen. Lord Wellington einfaches Benehmen in der Erteilung der Befehle und beim An- führen ist ganz so, wie es einem erfahrenen Manne ge- ziemt. Er hat nichts Barsches, nichts Prahlerisches, nichts Wichtigtuendes oder Auffahrendes an sich; seine Be- fehle im Felde sind kurz, bündig, deutlich und zweck- mäßig.

Die Franzosen machten jedoch den ganzen Tag hin- durch keine Bewegung gegen uns. Ihre beiden ver- zweifelten Angriffe waren glücklieh zurückgeworfen und ihr Verlust, mit dem unsrigen verglichen, sehr bedeutend. Von der Höhe, die vor unserer jetzigen Stellung lag, konnten wir sie besser als den Abend vorher übersehen ; Waffen- Ausrüstung, Uniformen, alles war zu erkennen. Sie waren damit beschäftigt, ihre Verwundeten fortzu- schaffen. Da aber nichts von ihren Truppen aufbrach, glaubte man allgemein, sie würden morgen ihre An- griffe erneuern. Unsere Leute gingen im Laufe des Tages, um Wasser zu holen, an einen kleinen Bach hinab, der zwischen den sich gcgcnüheistelienden Heeren lag, und man konnte sehen, wie französische und eng- lische Soldaten aus demselben Flusse tranken und sich sogar hinüberbeugten, um sich die Hände zu reichen. Ein Gemeiner von meinem Regimente tauschte sogar die Mütze mit einem feindlichen Soldaten, als Zeichen der Achtung und des Wohlwollens. Als die Sonne unter- ging, wurden unsere Feldwachen den Hügel hinunter- geschickt, und ich sah deutlich, daß sie mitten unter den toten Kriegern aufgestellt wurden, die am Morgen gefallen waren. In unserer nächsten Umgebung erinnerte jedoch nichts an die stattgehabte Schlacht, denn der Ver- lust auf unserer Seite traf nur einen kleinen Teil unseres Heeres und war, in Anbetracht des Umfanges unserer Linie, so unbedeutend, daß man wenig oder gar keine Spuren davon sah. Nicht so auf Seiten des Feindes. Da er indes besonders auf seiner Flucht vom Hügel 223

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herab gelitten hatte, so lagen seine Toten an dessen Abhänge, von wo sie, wie gesagt, ihre Verwundeten ab-

Jedermann hegte die volle Überzeugung, daß der Morgen einen allgemeinen und blutigen Kampf herbei- führen würde. Unsere Linie bereitete sich ununterbrochen vor, die Soldaten lagen mit ihrem Riemenzeug um den Leib in einer regelmäßigen Kolonne, Vorder- und Hinterreihen Kopf an Kopf, und jeder hatte seine Flinte neben sich. Früh um drei Uhr erhoben wir uns und standen auf unserm Posten unter den Warfen. In einer Art Schlucht zwischen zwei der rohen, unge- stalteten Felsenrücken, die sich auf dem Gebirge erheben, nahm mein Regiment mit einem andern Bataillon seine Stellung ein. Diese Schlucht wurde als der verwund- barste Punkt der ganzen Linie betrachtet, und man glaubte, der Feind würde seinen Hauptangriff darauf richten. Gegen halb vier Uhr schickten die Feldwachen die Nach- richt, der Feind trete unter die Waffen. Die Feldwachen wurden augenblicklich in aller Stille eingezogen, und ein Stabsoffizier blieb auf der Lauer. Gegen fünf Uhr eilte er den Berg herauf, und als er bei dem Befehlshaber unserer Linie vorbeikam, sagte er: „Machen Sie sich bereit, Sie kommen ganz gewiß dran! Eine starke Ko- lonne ist eben bis zum Fuße der Anhöhe herangerückt, und Sie können sich jeden Augenblick auf einen An- griff gefaßt machen." Mein Herz schlug rasch, sehr rasch; vielleicht waren die wenigen Augenblicke meines Daseins bereits gezählt. Ein solcher Oedanke wird und muß im ersten Augenblick furchtbarer Erwartung in der Seele eines jeden Mannes aufsteigen, der noch nie ge- fochten hat, aber er ist weder gefährlich noch verächt- lich und dient eher dazu, die Entschlossenheit eines männlichen Heizens zu kräftigen als wankend zu machen. Und jetzt, dachle ich, als der erste Klang einer feindlichen Iromiiele mein Ohr traf, jetzt kommen sie! Aber nein, er schwiefl, der schauerliche Klang, und verkündigte nui 224

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einen Bolen mit der Waffenstillstaiidsfahne, der eine un- bedeutende Nachricht brachte.

Die Sonne stieg auf, aber nicht über einem blutigen Schlachtfelde, denn die französischen Soldaten zogen sich in ihre Stellung zurück und schienen den ganzen Tag damit beschäftigt, Baracken zu bauen. Gegen Abend sah man etwas Bewegung unter ihnen, und um Mitternacht wußte man gewiß, daß sie alle aufgebrochen waren, um in unsern rechten Flügel einzudringen. Wir machten uns nun sofort auf. Von unserm gefährlichen Standorte herab- steigend, setzten wir über den Mondego und marschierten nach der Höhe San Miguel. Wir empfanden natürlich alle eine große Enttäuschung, so viele Strapazen erlitten zu haben, ohne die süße Belohnung zu erlangen, nach welcher Jugend und Ehrgeiz sich ewig sehnen. Viele Monate sollten indes noch vergehen, ehe uns das schätz- bare Recht zuteil wurde, den wichtigsten und gefahrvollen Pflichten unseres Berufes Genüge zu leisten.

Keine Lehre in der Kriegskunst aber war vielleicht unterrichtender und anziehender, als dieser merkwürdige Feldzug. Unser Heer, an Zahl und Ausrüstung dem feindlichen nachstehend, konnte seine Hoffnungen nur auf die klugen Maßregeln und die geschickte Führung eines weisen und starken Feldherrn stützen.

Von dem Augenblick an, wo Almeida fiel'), erregten Wellingtons Anordnungen und Bewegungen allgemeine Bewunderung. Trefflich bediente er sich des einzigen Vorteils, den man mit einer Armee, wie die unsrige war, vielleicht erlangen konnte. Er ließ uns durch eine schnelle und geschickte Bewegung eine so feste und gebieterische Stellung bei Buzaco einnehmen, daß wir ebenso ge- schützt vor der Artillerie als unerreichbar für die Reiterei

') Die Grcii/lVshmC! AInu-uLi iii'l im Jahre 1810 den Fran- zosen unter Massena infolge Esplosion eines Pulvermagazins in die Hände, aber am 8. Mai 1811, von Wellington mit 20000 Mann bedroht, sprengten die Franzosen Almeida in die Luft und ver- ließen es.

15 B.M71 Spin. FieihciUkimpf. 225

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des Feindes waren. Hier, vom hohen Rücken eines ihrer vaterländischen Gebirge, zeigte er zuerst den portu- giesischen Truppen die Schlachtordnung ihrer furcht- baren Bedrücker, und dann übertrug er ihnen die leichte Arbeit, an der Seite der britischen Krieger einen der verzweifelten und hoffnungslosen Angriffe zurückzu- weisen, die seine Kenntnis des französischen Charakters ihn erwarten ließ. Durch dieses Meisterstück der Kriegs- kunst und klugen Politik wurden die Portugiesen mit einem Vertrauen zu ihrem Anführer und zu sich selbst erfüllt, das sie in der Folge nicht wieder verließ. Lord Wellington sah aber deutlich, daß das Kriegsgeschick, da man um einen so mächtigen Satz spielte, wie es die politische Existenz eines Volkes war, nie von den rühmlichen Wagnissen eines Kampfes abhängig sein dürfte. Sobald ihm also die Stellung bei Buzaco nicht mehr haltbar schien, beschloß er sich zu den Linien in Lissabons Nähe zurückzuziehen, das längst sorgfältig befestigt worden war, um den Sitz der Regierung und die Hauptstadt des Landes zu verteidigen. Um jedoch diesem Verteidigungs plane Wirksamkeit zu geben, war es nicht nur nötig, das verbündete Heer zu den Linien von Torres Vedras zurückkehren zu lassen, sondern das ganze Land zwischen diesen Linien und der Grenze mußte, weil man voraussah, daß es in Feindes Hände fallen würde, von allen Einwohnern verlassen und sorgfältig von allen Dingen entblößt werden, die zum Unterhalt der Feinde oder zur Förderung ihrer Fortschritte dienen konnten.

Meine Feder versagt mir den Dienst, ich fühle, daß keine Schilderungsgabe dem Leser die schmerzlichen Vor- gänge, die traurige Verwüstung darzustellen vermag, von denen wir auf unserm Marsche vom Mondego zu den Linien täglich Augenzeugen waren. Wohin wir kamen, war der Aufruf uns vorausgegangen, der die Einwohner nötigte, ihre Häuser zu verlassen und ihr kleines Eigen- tum hin wegzuschaffen oder zu zerstören. Die Dörfer waren verlassen, die Kirchen, die so oft als Zufluchts- 226

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statten dienten, standen leer, die Hütten auf den Bergen waren offen und unbewohnt, die Mühlen im Tale, noch gestern so geschäftig, standen still.

Wir biwakierten am 4. bei Tomar. Die Flanken unserer Linie waren, als wir von hier abmarschierten, im wahren Sinne des Wortes mit der fliehenden Be- völkerung des Landes bedeckt. Am Abend des 6. machten wir bei Santarem Halt. Scharen von Einwohnern, die bis zu unserer Ankunft noch nicht glauben wollten, daß man den Feind soweit vordringen lassen würde, bereiteten sich nun mit schweigender und trübsinniger Eile zur Flucht vor.

Am folgenden Morgen zogen unsere Kolonnen durch die Stadt und verfolgten auf der StraBe von Lissabon ihren Weg. Oleich unterhalb der Stadt war das Ufer des Flusses mit Flüchtlingen angefüllt, die auf die Über- fahrt warteten. Nachmittags erreichten wir Alhandra, eine kleine hübsche Stadt am Ufer des Tajo, gegen 4 Stunden von Lissabon. Sie lag unmittelbar vor dem rechten Flügel unserer berühmten Linien und war von einer Brigade unseres Heeres während der ganzen Zeit, wo die Fran- zosen vor ihnen gestanden hatten, als eine Art Vorposten benutzt worden. Auch diese Stadt war verlassen, und wir kamen zu unserm großen Tröste unter Obdach, denn das Wetter fing an, naß, kalt und unangenehm zu werden. Mein Waffengefährte und ich wurden in die Sakristei einer Kirche einquartiert. Das Zimmer war hoch, ge- räumig und düster. Zwölf lebensgroße Bildsäulen, Heilige vorstellend, waren in Nischen rings an den Wänden aufgestellt. Man hatte ihnen die schwarze Kleidung des Klosterordens angelegt und mit ihren glänzenden Augen, ihren wehenden Gewändern und im Schimmer unserer Lampen schienen sie zu leben, sich zu bewegen und auf uns zu zürnen. Aber so lustigen, hungrigen und müden Männern wie wir konnten sie nicht die Laune verderben, den Appetit rauben oder den Schlummer verscheuchen. Unsere Mäntel und Decken waren außerordentlich feucht, 15' 227

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wodurch unsere nächtliche Ruhe etwas gestört werden konnte. Zu unserm Glücke indes hatten die Geistlichen in den Schubfächern der Sakristei viele ihrer Gewänder gelassen, und so schliefen wir, über und unier uns glänzende schwere Priesicrröcke gebreitet, so fest wie ein Domherr in den Versammlungszimmern von York oder Durham.

Am Tage nach unserer Ankunft in diesem Orte wurden einige Gefangene gebracht, die man in einem Rciterscharmiitze! bei Azimbuja aufgegriffen hatte. Sie gehörten zu den schweren Dragonern, und ihr Ansehen schien mir eil sehr martialisches zu sein. Der metallue Heim mit dem hohen Kegel, dem Roßschweife und dem Aufschlage von Tigerfell machte sie sehr schön, und die dicken steifen Schnurrbarte der abgehärteten Männer, die alle verwundet waren, standen gut zu diesen kriegerischen Helmen.

Gegen Q Uhr am Abend des 10., als ich in mein seltsames Bett stieg, erhielten wir Befehl, sogleich gegen anderthalb Stunden rückwärts und links zu marschieren, um einige befestigte Höhen zu besetzen. Der Regen ist in Portugal fast so häufig als in tropischen Ländern, und er goß in dieser Nacht in ununterbrochenen mächtigen Strömen. Auch war es ungewöhnlich finster, und ich glaube, wir tappten 6 Stunden lang auf unserm Wege fort, als wären es viele Meilen. In einem kleinen Bcrg- dorfe, wo wir Halt machten, erhielt ich mit meinen Kame- raden eine kleine Hütte, aber der Raum war so be- schränkt, daß wir weder liegen noch sitzen konnten, und wir blieben zusammengedrängt stehen, bis der Tag an- brach, wo wir uns in die armseligen Hütten verteilten. Die Posten und Batterien in der Nachbarschaft, deren Verteidigung man uns auf drei Tage übertragen hatte, waren keineswegs in vollkommenem, dienstfähigem Zu- stande, da in einigen zu jener Zeit kein Geschütz auf- gefahren und in den andern nicht für den nötigen Kriegs- bedarf gesorgt worden war,

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oft ich mich an dk*se Periode de* f'eM/nge* ermneie, mufi ich mich wundern, daH .Massein nicht ver- suchte, uns aus unsere! Stellung iu verdrängen. Die Iran/osische Infanterie, die uir uns bei llu/aco vereinigt lag, hatte ohne grolle Anstrengung am 10. unsere Linie erreichen und sie an diesem oder dem folgenden Tage angreifen können .Meine Meinung ist. dafi der Femd, wenn er enisi blossen gewesen iure, alles dem grollen Zwecke tu opfern, unsere I mu-n /u durch Ii rechen und gegen Lissabon vor'irrui ken, höchst w.ihrM'heinliih seine Ahn;ht erreicht haben «uide. F* ist nicht nt leugnen, dafl unsere Stellung duich ungeheure Schanzen und Batte- rien gestliuf/t war, drah war s.e sehr ausgedehnt, und ihre Verteidigung wurde weder von Wellingtons Oe- schi.Uichkeit noch von der Tapferkeit de* Heeres ab- gehangen haben.

Am 1't marnhie rte r:irm liignnfr.t « leder nach liucellas. Neben diesem Ort zog sich die- zweite Ver- teidigungslinie hin, und da mm den Ort für einen wich- tigen Punkt ansah, so wurden sechs engliiihe li.n.nllone als Keserve hineingelegt.

In der Nacht des 14 November zog sich der feir.d aus der Slrllung /uru. k, die er s<> lange uns gegenüber behauptet hatte, und am 15. brach unsere Heertsab- teilung gegen Mittag von Bu;ellas aul. U'u marschie.-ten seihs Stunden, kamen durch Alhandr.i, ViUafrauca und Villanova und marinen lifi (.aregada H.lt.

Als wir uns Viilaframa näherten, waten unsere I mir eilng bemüht, Spuren der Fuiuoscn aufzufinden. Hier war ein l'fad von ihren Posten getreten, d.i hatte die Hauptmacht ihrer Feldwache gelegen, dort waren zwei Kanonen aufgepflanzt , stall .ier S.inds.nke mii-i Sihan/- korbe halte man, um eine Batterie zu bilden, große be- malte Cjaiteukubel aufgehäuft, von denen die Pflanzen, die sie einst zierten, abgis./i i:. i. « ■:<.:i Am Eingänge von Villafranca war die StralJe verratumdl ; Kisten, W'eiu- fa-ser und .Matratzen bildeten du- srllsjme Vtrschauzung.

2z'i

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Hier an einem der ersten Häuser zeigte ein Kreidestrich an, dali es das Quartier einer französischen Grenadier- kompagnie gewesen war, dort hatte ein Bataillonchef ge- wohnt, in jenem Hauschen mit den grauen Fensterläden war, wie man aus einem Gekritzel über der Tür ersah, ein Oberst des Getieralstahes einquartiert gewesen. Kurz, wohin man blickte, sah man Stellen, die noch gestern von Feinden bevölkert gewesen waren, von Männern, die eine andere Kleidung trugen, eine andere Sprache sprachen und für eine andere Sache fechten und bluten wollten.

Es war spät am Abend, ais wir in Caregada an- kamen, und die Stadt war bereits mit unsern Truppen, besonders Artillerie und .Reiterei, angefüllt. Alle Häuser und Ställe waren besetzt und in letzteren erhielten nur einige von unsern Offizieren und Gemeinen mit großer Mühe Zutritt. Der weit größere Teil von uns jedoch brachte die finstere, schauerliche Nacht auf den Straßen zu. Wir machten große Feuer, ohne sehr gewissenhaft in der Wahl des Holzes zu sein. Alte Bretter, Pfosten, Türen, Fensterläden wurden ohne Zaudern verbrannt. Viele von uns ließen sich aus den besetzten Häusern Stühle holen, und so saßen wir in müßiger Ruhe bis zum Tagesanbruch um unsere Feuer.

Wir marschierten am folgenden Morgen nach Azim- buja, wo wir erfuhren, daß der Feind seine Stellung bei Santarem genommen und Wellington bei Cartajo Halt gemacht hatte. Unsere Division unter General Hill sollte sogleich auf das südliche Ufer des Tajo übersetzen. Gegen 400 Franzosen, die von unserer Vorhut gefangen ge- nommen worden waren, wurden durch Aziinbuja nach Lissabon gebracht. Es waren alles Infanteristen, aber größtenteils schwache und kränkliche Nachzügler, außer einigen unvorsichtigen Plünderern, die allein das Ansehen von Soldaten hatten.

Am IQ. wurden wir durch die Boote der Flotte, die zu diesem Zweck mit einigen Offizieren und Seeleuten 230

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den Fluß heraufgeschickt worden war, über den Tajo gesetzt. Der Admiral Thomas Williams und Kapitän Berestord hatten die Aufsicht über die Oberfahrt der Truppen, und dieser wichtige Dienst wurde mit der ge- wohnten Ordnung, Pünktlichkeit und Regelmäßigkeit aus- geführt Von dieser Zeit bis zu Ende Februar standen wir in Atmeirin], einer kleinen, eine Stunde vom Unken Tajoufer entfernten Stadt, die Santarem, dem Hauptquar- tiere des französischen Heeres, gerade gegenüberlag. Der Aufenthalt in Almeirim würde unerträglich langweilig ge- wesen sein, aber durch die Stellung der beiden Heere einander gegenüber wurde er überaus anziehend.

Als ich eines Tages mit drei oder vier Kameraden am Rande des Flusses spazieren ging, bemerkten wir am jenseitigen Ufer eine ziemliche Menschenmenge und einige französische Offiziere. Sie grüßten uns mit den Worten: „Bonjour, messieursl", und es knüpfte sich bald eine Unterhaltung an. Sie waren außerordentlich höf- lich, sprachen mit dem größten Lobe von Romana9), der kürzlich gestorben war, und nannten ihn „le seul general espagnol digne de son grade". Sie fragten nach Lord Wellington, äußerten, er hätte Wunder von Tapferkeit getan, und priesen ihn wegen seiner geschickten Leitung des Feldzugs. Es herrschte die heiterste Laune in unserer Unterhaltung, und wir neckten uns unaufhörlich. Sie fragten uns, wie uns der Bacallao und Acete*) statt des englischen Roastbeefs munde, und wir, was sie in San- tarem ohne die Restaurants, Cafes und Theater ihres teuren Paris anfingen. Sie erwiderten lachend, sie hätten ein Theater, und fragten, ob wir nicht heute abend her- überkommen wollten, um das Stück zu sehen, was ge- spielt würde, es hieße: „['Entree des Francais dans Lis- ten." Ein Freund von mir erwiderte schnell, er empfehle ihnen lieber die Wiederholung eines andern Stückes: „La

') Siehe 11. Anmerkung im ersten Bericht (Orolman). «) Bacallao Schellfisch; Acete «= Essig.

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fuite des Francais!" Lautes und allgemeines Gelächter erschallte der Witz war zu gut, als daß er nicht hätte treffen sollen. Ihr General hielt es jedoch nicht für an- gebracht, noch länger zu verweilen. Er zog seinen Hut, grüßte uns in vollkommen guter Laune, stieg die Anhöhe hinauf, und alsbald zerstreute sich die ganze Gruppe.

Am 21. Februar entstand tiniger Lärm, weil ein Teil des Feindes zu einer großen Insel im Tajo übersetzte, die ungefähr eine Stunde oberhalb Santarems und Al- piacas, einer kleinen Stadt am südlichen Ufer, lag. Sie wollten jedoch nur Fourage holen und zogen wieder ab, ohne zu wagen, mit Alemtejo Verkehr anzuknüpfen; wir aber besetzten hierauf die Insel mit einem Posten, um sie gegen fernere Angriffe zu schützen.

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3. Kapitel

General Beresford übernimmt den Befehl über Hills Korps. Reitergefecht bei Campo Major. Belagerung von Oüvenza und Badajoz. Gefechte bei Albuera und in den Felsen von Montanches. Abberufung nach England

Es war jetzt olfenbar, daß ein zweiter Feldzug er- öffnet würde, und daß wir die engen Schranken, die wir seit Oktober innegehabt hatten, verlassen sollten, um neue und anziehendere Schauplätze zu sehen.

Am ö. gegen Mittag marschierten wir in der heitersten Stimmung von Alpiasa ab. Nach einem viertägigen Marsche durch ein schönes Land machte unsere Brigade in einem kleinen, sauberen Dorfe Halt, das zum Bezirk Alemtejo gehörte. Ich habe vergessen zu erwähnen, daß der Befehl über alle am südlichen Ufer des Tajo stehenden Truppen in Abwesenheit des Generals Hill, der zur Wiederherstellung seiner Gesundheit in die Heimat zu- rückgekehrt war, dem General Beresford anvertraut worden war. Dieser war auf Wellingtons Befehl mit einem großen Teil seiner Truppen aufgebrochen, um Wassens zu verfolgen, der sich nach Tomar zurückzog, WO er, wie man aus seinen ersten Bewegungen schloß, eine Heeresmacht zu sammeln beabsichtigte. Der fran- zösische Feldherr nahm jedoch seinen Weg nach dem Mondego und wurde von der Hauptmacht der Ver- 2ü3

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bündeten verfolgt, die Wellington persönlich anführte. Die beabsichtigten Unternehmungen unseres kleinen Heeres im spanischen Estremadura wurden natürlich durch diese Vorkehrungen bis zur Rückkehr des Generals und seiner Truppen aufgeschoben. Während dieses kurzen Zeit- raums blieben wir in unseren ruhigen Kantonie rangen.

Am IS. desselben Monats waren wir wieder in Be- wegung und marschierten über Portalegre nach Arönches, wo wir drei Tage blieben. Als Massena am 5. von San- tarem aufbrach, hatten wir den Plan, auf dem südlichen Ufer der wichtigen [-Vstiuig ISndajoz im spanischen Estre- madura zu Hilfe zu eilen, die damals vom Herzog von Dalmatien belagert wurde. Dieser Plan, den wir gewiß ausgeführt hätten, wurde durch den Befehlshaber der Festung vereitelt1), der sie plötzlich einem schwachen feindlichen Trupp unter den entehrendsten Bedingungen übergab. Gleich nach dem Falle von Badajoz folgte die Belagerung und Einnahme von Campo Major, einer Festung, die keines Widerstandes fähig war und aus der wir selbst den Feind zwei Tage nach seinem Einzüge vertrieben.

Am Nachmittag des 25. machten wir in einem sehr angenehmen Biwak an den Ufern des Caya Halt Wir lagerten uns in einem reizenden, von Hügeln einge- schlossenen Tale, an dessen Seiten das Fußvolk sich ver- teilte, während die Reiterei die grünen Ebenen an den

l.Iftni des Flussts einnahm.

Am Multen des 2b. marsdiierleu wir gegen Campo Major, und als wir ungefähr eine Stunde von seinen

') Marschall Soult, Hering von Dalmatien, belagerte Badajoz im Februar 1811 und zwang den feigen Gouverneur der Festung, Iraas, nachdem er die spanische Armee von Estremadura unter Mendizabal in der Schlacht von (iebora am 19. Fehruar geschlagen, zur Obergabe am 11. März. Erst am 6. April 1812 eroberte Wel- lington die Festung ivitdi-r und ^dringre mit ihr auch in Besitz Portugals. Die Engländer verloren bei dieser hartnäckigen Belage- rung über 3000 Tote und 7000 Verwundete. 234

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Mauern entfernt waren, machten wir Halt, um die Reilerei vorzulassen. Es waren gegen 2000 Mann ; sie zogen in flottem Trabe reihenweise an uns vorüber. Ihre Pferde waren in schönem Zustande und fielen zuweilen mit einem stolzen Bäumen in einen leichten Galopp.

Wir wußten, daß wir aller Wahrscheinlichkeit nach einen tüchtigen Strauß mit den Feinden zu bestehen haben würden, die natürlich die Stadt räumen und sich nach Badajoz zurückziehen mußten. Aber die Beschaffenheit des Bodens war so günstig für ein Reitergefecht, daß es schien, als wenn sich der Kampf gänzlich auf diese Truppen beschränken würde. Unsere Vei mutuiigcn waren begründet; kaum wurden die Franzosen unser gewahr, als sie sich schnell hinter die Stadt zurückzogen. Vier Regimenter von ihrer Reiterei stellten sich unsern Leuten gegenüber, während ihre Infanterie eine Abteilung von ungefähr 1200 Mann mit einigen Geschützen ihren Rückzug begann. Unser 13. leichtes Reiter -Regiment machte, von den Portugiesen unterstützt, einen glänzen- den Angriff auf die feindlichen Dragoner. Unsere Leute zeigten großen Mut, aber der Kampf wurde unserseits mit so wenig Geschicklichkeit geführt, daß die Franzosen den Rückzug ihres Fußvolks und Geschützes sicherten, indem sie zwar einen Verlust erlitten, der indes nicht so schwer als der unsere war. Unsere schöne schwere Reiterbrigade gelangte nie vor den Feind, und unsere Infanterietruppen folgten langsam im Hintergrunde. Alle hundert Schritte sahen w ir Spuren dieses schlechtgeführten Kampfes, der bis zu den Toren von Badajoz fortgesetzt wurde, in deren Nähe einige von unsern Leuten sich gefangen nehmen ließen.

Trotz den an einem solchen Tage erweckten stolzen Gefühlen ist es kränkend für den mutigen und peinlich für den gefühlvollen Soldaten, mit kaltem Blute zu folgen und das traurige Schauspiel mit anzusehen, das die auf dem Wege verstreuten Toten und Sterbenden darbieten. Unter anderm ist mir besonders folgendes noch erinner- 235

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lieh. Einige Schritte von der Straße entfernt sah ich einen schönen, ganz nackten Leichnam liegen, dessen Gesicht zu Boden gekehrt war. Ich wußte nicht, wie es kam, aber der Leichnam sprach gewaltig zu Herzen; er sah so trostlos, so ergeben, so verlassen aus. Ein englischer Dragoner, der ein verwundetes Pferd führte und zwei Gefangene brachte, von denen der eine eine Menge Säbel- hiebe auf der Wange und der Schulter hatte, ging an mir vorüber, als ich den Toten betrachtete. „Erinnerst du dich, mein Freund," fragte ich ihn, „was hier vor- gefallen ist?" „O ja, Herr; die Franzosen standen hier in Front und wir griffen sie an und schlugen sie in die Flucht; dieser Mann aber, der ein Offizier war, suchte sie zum Stehen zu bringen und wurde, denke ich, von unserm Adjutanten niedergehauen." In diesem Augen- blick beugte sich einer der französischen Reiter herab und rief: „C'est le colonel!" „Comment diahle,1' sprach der andere. „C'est bien iui," erwiderte sein Kamerad, „il est mort. Ah! qu'il etait brave soldat; ce vilain champ de bataille n'est pas digne d'une teile victime." Sie gingen vorüber. So geht es im Kriege,

An demselben Tage geriet ein französischer Offi- zier durch den Sturz seines Pferdes in unsere Gefangen- schaft. Er war von der erlesenen Kompagnie des 26. Dragoner-Regiments, ein schöner junger Mann mit einem äußerst zarten Gesicht. Ein Sergeant brachte ihn an unserer Division vorüber, die eben Halt gemacht hatte. Nie werde ich die traurige Niedergeschlagenheit ver- gessen, die in seinen Zügen lau. Der Zügel hing am Halse seines Pferdes herab, und der Offizier saß gedanken- voll im Sattel, ohne auf seine Umgebung zu achten. Als er an uns vorüberkam, nahmen einige unserer Offiziere den Hut ab, und er erwiderte den Gruß mit einem sehr höflichen Schwenken seiner Bärenfellmütze, aber ich merkte, daß seine Augen mit Tränen gefüllt waren. Einige Schritte hinter uns mußte er an einer portugiesischen Heercsabteilung vorbei, deren Offiziere sich hervor- 23ü

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drängten, um ihn mit einer Art triumphierender Neugier zu betrachten. Obwohl er mir den Rucken zukehrte, sah ich doch, daß das seinen ganzen Stolz und Mut wieder- erweckte, denn er setzte sich aufrecht in seinem Sattel, ergriff die Zügel, spornte sein Pferd an und ritt langsam und stolz an Ihnen vorüber.

Aber zurück zu meinem Bericht. Nachdem wir den ganzen Tag in Bewegung gewesen waren und uns bald an dem Anblick gefangener Soldaten und aufgegriffener Pferde, bald an unsern Dragonern ergötzt hatten, die den sonderbaren Inhalt der erbeuteten Felleisen aus- packten, lenkten wir wieder unsern Weg nach Campo Major und lagerten uns unter seinen Mauern.

Am nächsten Tag marschierten wir nach Elvas, wo wir bis zum 1. April blieben. Von da zogen wir nach Borba, einer hübschen, sechs Stunden von Elvas gelegenen Stadt, die ihres Weines wegen berühmt ist. Während wir hier in Kantonierung lagen, waren unsere Ingenieure eifrig beschäftigt, bei Jurumenha eine Brücke über den Quadiana zu bauen. Diese Arbeit ging wegen des großen Mangels an Baumaterial nur langsam vonstatten und wurde durch die starken und plötzlichen Anschwellungen des Flusses, welche das Schmelzen des Schnees verur- sachte, sehr erschwert. Endlich war jedoch die fliegende Brücke geschlagen, und unser Heer gelangte sicher und ohne Hindernisse in der Nacht des 5. April ans spanische Ufer.

Am 6. marschierten wir ein paar Stunden und lagerten uns auf einer mit Cistus bedeckten Ehene. In einem kleinen, nicht weit von uns gelegenen Dorfe wurde das Hauptquartier aufgeschlagen. Hier fiel ein ungewöhnliches Ereignis vor, das schwer zu erklären ist. Ein feindlicher Trupp hatte die Wachsamkeit der portugiesischen Aulien- posten getäuscht und eine englische Dragonerschwadron überrascht, die sämtlich gefangen genommen wurde. Diese Dragoner waren 24 Stunden zuvor auf der Grenzfeld- wache gewesen und hatten gewünscht, vom Dienste be- 237

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freit zu werden, obwohl sie sehr nahe an der Linie der Feldwachen hielten, eine Anordnung, die, verbunden mit dem gänzlichen Mangel an Vorsicht auf seifen der Außen- posten, ihre Gefangennahme herbeiführte. Doch dies war nicht alles : der Feind kam bis ins Quartier des Marschalls Beresford. Sie nahmen einige Pferde aus den Ställen des Oeneralstabs, zogen sich aber unangefochten wieder zurück, als sie den Alarm hörten, den eine Unteroffiziers- wache gab. Wären sie dadurch nicht aufgeschreckt worden, so hätten sie sich wahrscheinlich unseres ganzen General stabs bemächtigt.

Am Morgen des 8. brachen wir wieder auf, um auf Oüvenza zu marschieren, wohin der Feind eine kleine Besatzung gelegt hatte. Diesen Ort brauchten wir sehr nötig als Waffenplatz, denn die Franzosen hatten eine starke Besatzung in Badajoz, die unser Vordringen be- nutzen konnte, um unsere Verbindungen abzuschneiden, und aus derselben Ursache hatten wir auch bei Juni- menha einen Brückenkopf gebaut.

Unsere Marschordnung am Morgen des 8. war sehr schön. Wir rückten in vier parallelen Kolonnen vor, die durch einen wohlabgemessenen Zwischenraum getrennt waren. Die beiden Flügelkolonnen bestanden aus Reiterei, die durch Avantgarden und Flankenreiter geschützt waren, die beiden mittleren Kolonnen aus Fußvolk mit ihren Kanonen. Die Plänkler des 13. Dragoner-Regiments zogen auf einer Anhöhe zu unserer Linken hin und beobachteten die Straße von Badajoz, während die Avantgarde der schweren Reiterei zu unserer Rechten eine der Straßen verfolgte, die unmittelbar nach der Stadt Olivenza führten, welche unsere Annäherung durch ihre Kanonen ver- kündete. Die Beschaffenheit der Gegend, durch die wir zogen, erlaubte allen Kolonnen, sich einander deutlich zu übersehen, und wir bekamen alle die Festung fast in demselben Augenblick zu Gesicht. Auf den Höhen haltend, von denen man sie außerhalb der Schußweite übersah, hatten wir eine unbegrenzte Aussicht auf die 238

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Festung, während die Aufforderung zur Übergabe in die Stadt geschickt wurde.

Da der Gouverneur die Bedingungen verwarf, wurde General Cole1) mit der vierten Division abgeschickt, die Belagerung zu beginnen, und am Nachmittag des 10. rückte das Heer vor.

Ich befand mich beim Nachtrabe, und da die Haupt- macht zwei Stunden vor uns aufgebrochen war, erreichten wir das Biwak erst bei Anbruch der Nacht. Die Nacht war äußerst finster, und schon durch diesen Umstand würden die üblichen Wachtfeuer an sich einen schönen Anblick geboten haben, aber sie waren überdies größten- teils in hohlen Korkbäumen angezündet, und das rote Feuer in den phantastischen Höhlungen mit verzehrenden Flammen lodern zu sehen, welche die Zweige beleuchteten und alles, die Truppen und ihre Pferde, wie mit Purpur Übergossen, war ein so malerisches, ein so bezauberndes Schauspiel, daß man es kaum beschreiben kann.

Olivenza, das nur eine Besatzung von 400 Mann hatte, ergab sich, sobald wir das Geschütz darauf richteten, Und wurde von den Belagerern eingenommen; wir übrigen zogen einige Stunden südwärts. Bei los Santos de Mai- mona fiel ein anderes Gefecht zwischen unserer Kavallerie und einem kleinen feindlichen Reitertrupp vor. Die Unsrigen töteten und verwundeten mehrere Feinde und machten gegen 70 Gefangene, waren aber nicht in dem Grade glücklich, als sie es hätten sein können, wenn sie flinker gewesen wären. Die Gefangenen waren fran- zösische Husaren, schön gekleidet und ausgerüstet, vor- züglich die vom 10. Regiment. Dieses Korps trug hell- blaue oder französischgraue Pelzjacken, die mit weißen

") Sir Oalbraith Lowry Cole, britischer General, 1772-1842, kommandierte die berühmte 4. Division der englischen Armee, die stets mit der 3. und der leichten DMsmn ven-uirgt war, Wellingtons drei besten Divisionen, deren Abwesenheit er es zuschrieb, daß er bei Burgos zurückgeworfen wurde. Cole sollte die kleine Festung Olivenza belagern, die sich ihm am 15. April 18] 1 ergab.

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Schnüren und schwarzem Pelz besetzt waren. Ihre Mützen, Stiefel und Wehrgehänge saßen vortrefflich, ihr Haar war auf eine nicht ungefällige Weise geflochten, und ihr ganzes Ansehen soldatisch.

Wir lagen einige Tage bei Zafra, einer hübschen, sauberen Stadt an der Straße nach Andalusien. Mit froher Hoffnung, daß wir bald triumphierend über die Sierra Morena, jene wild majestätische Oren?scheide des süd- lichen Spaniens, marschieren würden, blickten wir in die nahe Zukunft. Die Turme des schönen Sevilla schienen sich schon vor uns zu erheben, und im Qeiste wandelten ,wir bereits in den romantischen Gegenden an den Ufern des Ouadalquivir. Erst mußte jedoch Badajo/ genommen werden, eine Festung, deren Besitz uns höchst wichtig war, mochten wir nun Kriegs Unternehmungen in Spanien oder die bloße Verteidigung Portugals im Sinne haben.

Wir brachen am 3. Mai aus unserer Kantonierung auf, und am Abend desselben Tages kam unsere Di- vision bei Talavera Real an, einer fünf Stunden von Ba- dajoz entfernten Stadt. Der Tag brach am 4. eben an, als die Avantgarden aller Kolonnen, die zur Belagerung von Badajoz bestimmt waren, jede kleine Höhe um die Stadt besetzten und sie einschlössen. Der Himmel war wolkenlos und heiter, die Morgenluft mild und angenehm. Die feindlichen Feldwachen s ch arm fitz eiten wacker mit unserer Avantgarde, und man schoß Kugeln und Bomben aus der Stadt, jedoch mit wenig oder gar keinem Erfolg. Die Besatzung schickte die wenigen Dragoner aus, die sie besaß, um unsere Heeresmacht auszukundschaften, und dirse I eute ver rieht eleu ihr Ami mit einer unver- Klenhliihen Kaltblütigkeit un.l Kühnheit. Fmitfe von ihnen sah ich nur einen Pistolenschuß »cit von unsern Planklern herum reilen, und einer galoppierte fast ebenso nahe bei einer Kulunnt- vorbei, nicht weit von der Hohe, wo mein Regiment stand. Die Mauern von Hadajoz waren mit Zuschauern angefüllt, und vom üipfel des Sehlosses wehte nihu! die dreifarbige Kalme, die über halb Europa 240

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Schrecken verbreitet hatte. Unser Regiment lag vier Tage in einer kleinen engen Schlucht, zwar vor dem feind- lichen Feuer geschützt, aber innerhalb der Schußweite der Stadt.

In der Nacht des 8. eröffneten wir die Laufgräben, jedoch in so beträchtlicher Entfernung, daß wir keinen Verlust erlitten, sondern die erste Parallele eröffnen und uns vor Tagesanbruch decken konnten. Eine Belagerung hat viel Anziehendes ; die täglich fortschreitenden Arbeiten, die mit Soldaten angefüllten Laufgräben, das Feuer der Batterien, der schöne Anblick der Bomben und Granaten bei Nacht, das Rufen der feindlichen Schildwachen, der Klang ihrer Trommeln und Trompeten, alles verleiht einem solchen Unternehmen einen Reiz und eine Lebendigkeit, die in beständiger Aufregung erhalten. Die Arbeiten eines Belagerungsheeres sind indes sehr hart und ermüdend, und ich weiß nicht, wie es kommt: der Tod in den Laufgräben tragt nie den Stempel des Ruhms, der das Andenken der im tapferen Kampfe Gefallenen verklärt.

Die täglichen Heldentaten der Nordarmee unter Wel- lington und der Sieg Grahams1) bei Barrosa machten uns unruhig und mißmutig, wenn wir unser ungünstiges Schicksal damit verglichen. Denn bis jetzt hatten wir nur mit Entbehrungen, Drangsalen und Krankheiten zu kämpfen gehabt. Als wir indes am 13. nachmittags uns in unserm ungefähr zwei Stunden von den Laufgräben entfernten Lager ausruhten, überraschte uns der Befehl, uns in Bereitschaft zu halten, um gleich auf den ersten Wink aufzubrechen. Bald verbreiteten sich Gerüchte, daß Soult an der Spitze einer bedeutenden Macht in Eil- märschen anrücke, um Badajoz Beistand zu leisten, daß

') Thomas Graham, Lord Lynedodi, 1778—1843, kämpfte als Divis ionsgenera] von 1B08— 1813 in Spanien. In der Schlacht von Barrosa befehligle er eine 4500 Mann starke englische Division gegen 7000 Feinde und schlug die Franzosen mit einem Verlust von 2000 Mann, 6 Geschützen, 1 Adleri seine eigenen Verluste beliefen sich auf 1100 Verwundete und Tote.

16 B-MT: Span. Prriheitlluii.pl. 241

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ein Regiment Spanier unter dem Befehle Blakes von Aya- monte heranmarschiere, um sich mit uns zu vereinigen, daß die Belagerung augenblicklich aufgehoben werden müsse und daß man in kurzem eine Schlacht erwarten

Wir brachen daher am 14. auf und marschierten in der Richtung nach Valverde, übernachteten und setzten am 15. mittags unsern Weg nach Albuera fort, das wir gegen 5 Uhr abends erreichten. Unsere Reiterei hatte sich bereits hierher zurückgezogen, da sie am Morgen von der feindlichen, die ihr an Zahl bedeutend über- legen war, aus Santa Marta vertrieben worden war.

Albuera, der Schauplatz eines mörderischen Kampfes, verdient eine Beschreibung. Es ist ein kleines unbe- deutendes Dorf, unbewohnt und verfallen, und liegt an einem Flusse, von dem es seinen Namen hat Ober den- selben führen zwei Brücken, die eine ungefähr 200 Schritt rechts vom Dorfe, breit, schön und aus Steinen gebaut, die andere an der linken Seite, klein, eng und unbequem. Der Fluß ist nur knietief, seine Ufer sind links von der schmalen Brücke abschüssig und uneben, und auf dieser Seite würde es für die Artillerie und Kavallerie schwierig, wenn nicht unmöglich gewesen sein, überzusetzen; aber zur Rechten der Hauptbrücke ist der Fluß für jede Truppenart zugänglich. Der Feind hatte an der andern Seite des Flusses, nicht ganz eine halbe Stunde entfernt, einen großen Wald inne und stellte seine Feldwachen ganz in unserer Nähe auf. Der Raum zwischen dem Walde und dem Flusse war eine Ebene, aber auf unserer Seite erhob sich der Boden beträchtlich, obwohl es noch keine Anhöhe genannt werden konnte, denn von Albuera nach Valverde ist jeder Zoll des Bodens für die Kavallerie gunstig - kein Raum, keine Schlucht hindern ihre Be- wegungen.

Am Morgen des Id. wurden unsere Truppen auf folgende Weise geordnet. Das spanische Hrer. das sich am Abend des 15. mit uns vereinigle, stand, vom üeneral 242

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Blake angeführt, zur Rechten in zwei Linien; sein linker Flügel lehnte sich an die Straße von Valverde, an der Im Rücken einer Anhöhe, welche von der Hauptbrücke emporstieg, der rechte Flügel unserer zweiten Division autgestellt war, während der linke sich auf der Straße von Badajoz auf einer Anhöhe hinter dem Dorfe hinzog. General Hamiltons portugiesische Abteilung deckte den linken Flügel des Ganzen. General Cole kam mit zwei Brigaden der 4. Division der Füsilierbrigade und einer portugiesischen kurze Zeit vor dem Kampfe an und bildete mit denselben unsere zweite Linie. Der Feind nötigte uns jedoch bald, diese Stellung zu ändern.

Um 8 Uhr morgens begann er sich in Bewegung zu setzen, und indem er, durch zwei Reiterkolonnen ge- deckt, das Dorf und die Brücken bedrohte, ließ er die Hauptmacht seines Fußvolks über unsern rechten Flügel hinaus den Fluß passieren und griff mit großer Übermacht und Heftigkeit diese Flanke an. Der größte Teil der Spanier bildete rasch eine Front, um den Angriff abzu- wehren, wurde aber nach kurzem tapferem Widerstande überwältigt und in die Flucht geschlagen. Der Feind beherrschte und bedrohte jetzt unsere ganze Stellung; das Feuer seiner Artillerie war heftig, aber zum Glück für uns nicht gut gerichtet Es war jetzt durchaus not- wendig, um jeden Preis die wichtige Stellung wieder- zuerlangen, die die Spanier unglücklicher- aber nicht scliimpfuchcrweise verlassen harten. Die drei Brigaden des Regiments, das Stewart befehligte, nickten unier diesem General im Ursrh windschritt vor. Die 1. oder rechte Hrigade, vom Oberst t.olborne') angeführt, wurde dabei unter den ungünstigtlen Umstanden mit in den Kampf verwickelt. Als sie an den Feind herankam, teilte sie sich, feuerte und war eben im Betriff, tapfer mit dem Bajonett in die starken Kolonnen seines FuBvofks ein-

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zudringen, als ein Trupp polnischer Landers, der in diesem unglücklichen Augenblicke in ihren Rücken gesprengt war, sie überfiel und ein entsetzliches Blutbad anrichtete. Das 31. Regiment, welches sieh nicht entwickelt hatte, entging diesem Schicksal, und die dritte Brigade unter Oeneral Houghton, sowie die zweite unter Oberst Aber- croriiby1) rückten nacheinander vor und erneuerten den Kampf. Mit Hilfe der Füsilier-Brigade unter dem Ritter Myers ward das Glück dieses blutigen Tages wieder- hergestellt, und die Franzosen flohen nach allen Rich- tungen vom Sc hl achtfei de.

Ich darf nicht unerwähnt lassen, daß während des ganzen Tages ein heftiges Scharmützel bei dem Dorfe stattfand, das von einem leichten deutschen Infanterie- regiment unter Generalmajor Alten1) besetzt gehalten und behauptet wurde. General Lumley!)i der die Reiterei der Verbündeten befehligte, legte große Geschicklichkeit an den Tag und vereitelte jeden Versuch der feindlichen Reiterei, unsern rechten Flügel anzugreifen, obwohl sie der unsern weit überlegen war und wiederholt alle ihre Kräfte aufbot, ihren Zweck zu erreichen.

Die portugiesischen Truppen hatten mit Ausnahme einer Brigade wenig Anteil an dem Gefecht, und eine große Anzahl der spanischen Truppen kam überhaupt nicht ins Feuer. Den heftigsten Kampf hatten die Eng-

s) Oberst Alexander Abercromby, 1784—1853, wurde mit 24 Jahren schon Ubrrstleulnant vom 28. Regiment und nach Portugal zur Unterstütiung Wellingtons nach der Schlacht von Talavera ge- sandt. Er focht in den Schlachten von Busaco, Torres Vedras und als Oberst bei Albuera; ferner bei Arroya de Molinas und nahm teil an dem Sturm auf die Forte von Almarez.

f) üiaf Karl von Alten, 1764—1840, Generalmajor in eng- lischen Diensten und spur ki,l. I: innoveranischer Oeneral, leistete an der Spitze der berühmten „light division" in Spanien hervor- ragende Dienste. In der Schlacht von Albuera kommandierte er eine englische Brigade.

') Sir William Lumiey, 1760-1850, kommandierte mit Btres- loid die vtibiindete Kavallerie. 244

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länder zu bestehen; sie verloren 4103 Verwundete und Tote, mit Einschluß von 120 Mann der deutsehen Legion.1) Die Portugiesen verloren 400, die Spanier 1800 Mann; die Oesamtsumme betrug also ungefähr 6300 Mann. Die Franzosen büßten wenigstens 0000 Soldaten ein. Soult besaß gegen 240O0 Mann, und wir waren ihm vielleicht im ganzen an Zahl überlegen, doch waren es nur 7000 Engländer. Die zwei britischen Brigaden, die sich an diesem Tage besonders auszeichneten, waren die vom Ritter Myers befehligte Füsilier- Brigade und die 3. Bri- gade der zweiten Division, angeführt vom General Houghton.

□er Sieg war gewiß nicht nutzlos, denn durch ihn wurde die Absicht des Marschalls Soult, Badajoz zu Hilfe zu kommen und unsere Truppen aus Estremadura zu verdrängen, gänzlich vereitelt. Aber er hatte auch noch einen höheren, edleren, unsterblicheren Nutzen: er gab ein glänzendes Beispiel von britischem Heldenmut, er- teilte den stolzen Legionen Frankreichs eine furchtbare, unvergeßliche Lehre, und als Soult an der Seite seines kaiserlichen Herrn auf dem Schlachtfelde von Waterloo dahinritt und der Jubel der englischen Krieger sein Ohr traf, hatte er Aibuera nicht vergessen.

Soviel im allgemeinen über die Schlacht. Jetzt will ich erzählen, was sich vor meinen Augen ereignete, und wenn es möglich ist, die Gefühle schildern, die mich an diesem Tage bewegten.

Eine Stunde vor Tagesanbruch standen wir unter Waffen. Es war ein herrliches Schauspiel, die Gesamt- macht der französischen Reiterei in der Ebene ausge- breitet zu sehen, Sie kehrte jedoch bald in den Wald

a) Inlolge der Elbkonvention wurde im Jahre 1803 ein eng. lisch-deutsches Trappenkorps unter dem Namen „Kings German Legion" aus HaimiHvrauem irruhkl, il.is von 1S<J:> an fast an allen Feldzügen der Engländer mit Auszeichnung (eilnahm, 1816 wurde die Legion aufgelost, und aus ihr entstand die hannoversche

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zurück und stellte wie zuvor ihre Feldwachen aus. Als unser Bataillon auseinandergegangen war, frühstückte ich und machte mich gleich nachher auf den Weg, die spani- schen Truppen aufzusuchen; ich ließ mir an diesem Tage wenig von einem allgemeinen Treffen träumen. Der Knall einiger Schüsse aber hieß mich umkehren, und ich fand, daß unsere Linie hastig nach den Waffen griff und der Feind in Bewegung war. Das Scharmützeln währte gegen anderthalb Stunden, und unsere Division verlor durch einige ins Blaue abgefeuerte Schüsse mehrere Leute. Bald aber verkündete uns das fortwährende Rottenfeuer der Musketen auf unserm rechten Flügel, begleitet von wiederholten Kanonenschüssen, daß der wirkliche An- griff auf jener Seite stattgefunden hatte. Die Brigaden unserer Division wurden nacheinander aufgefordert diesen Flügel zu unterstützen. Wir bildeten eine offene Kom- pagniekolonne in halber Entfernung und rückten in schnellem Doppelschritt nach dem Schau platze des Kampfes. Ich erinnere mich, daß in rascher Folge viele Kugeln und Bomben über unsere Köpfe und durch unsere Reihen flogen, ohne uns indes großen Schaden zuzu- fügen. Nur ein Kapitän vom 29. Regiment war durch eine Kugel schrecklich verstümmelt worden und lag ge- rade auf unserm Wege. Wir gingen nahe an ihm vor- über, und er kannte uns alle. Den herzbrechenden Ton, in dem er uns bat, ihm Wasser zu bringen oder ihn zu töten, werde ich nie vergessen. Aber wir konnten ihm auf dem Marsche keine Hilfe leisten, denn an diesem entscheidenden Tage blieben die Verwundeten, die nicht weiter konnten, unbeachtet auf dem Platze liegen, wo sie gefallen waren. Alles war in Eile und im Kampfe. Jeder Arm wurde auf dem Felde gebraucht. Als wir durch die zerstreuten und weichenden Spanier kamen und in Schlachtordnung mitten durch sie dem Feinde entgegenrückten, sprengte ein junger spanischer Offizier von sehr edlem Aussehen auf mich zu und bat mich mit stolzer Besorgnis, ich möchte meinen Landsleuten sagen, 240

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die Spanier hätten den Befehl zum Rückzug erhalten und nicht die Flucht ergriffen.

Das mörderische Musketenfeuer währte lange. Immer näher kamen wir dem Feinde, und als wir 20 Schritte von ihm entfernt waren, erhielten wir Befehl zum An- griff. Wir hatten aufgehört zu feuern, erhoben das Feld- geschrei und fällten unsere Bajonette, als ein Trupp feind- licher Reiterei hinter einer Anhöhe sichtbar wurde, der unser Ungestüm benutzen zu wollen schien. Allein das französische Fußvolk, durch das Geschrei aufgeschreckt, das immer den Angriff verkündigt, war bereits gewichen und hatte ungefähr 60 Schritte von uns einige Kanonen und Haubitzen im Stich gelassen. Da wir sie wegen der Nähe ihrer Reiterei nicht verfolgen konnten, so machten wir Halt und fingen an, auf sie zu feuern. Das Blutbad war einige Augenblicke hindurch fürchterlich. Jeder Schuß traf, und vergebens suchten die feindlichen Offiziere ihre fliehenden Soldaten aufzuhalten. Kein Re- fehl wirkte mehr. Zwar nahm ein Teil ihrer Artillerie eine entfernte Stellung ein, die unserer Linie sehr schadete, aber wir bewegten uns nicht iriiher, als bis wir unsere ganze Munition verbraucht hatten. Dann zogen wir uns in der vollkommensten Ordnung nach einem vor ihrem Geschütze gedeckten Platze zurück und legten uns in einer Linie nieder, bereit, jeden neuen Angriff mit dem Bajonett abzuwehren. Während wir langsam, aber immer weiter vordrangen, lagen bald unsere Toten und Ver- wundeten hinter uns, und wir kamen unter die feind- lichen und spanischen Toten, die beim ersten Angriff gefallen waren. Wir schritten über sie und die Sterbenden hinweg, ohne auf sie zu achten.

So unglaublich es scheinen mag, General Beresford hielt offenbar eine Erneuerung des Angriffs am 17. für möglich, denn er ließ uns zwei Stunden vor Tagesan- bruch unter die Waffen treten und traf Anordnungen, die auf nichts Geringeres deuteten als auf die Absicht, vorwärts zu rücken. Hätte der General das schreck- 247

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liehe Blutbad geahnt, das wir in den Reihen der Feinde angerichtet haften, und die darauffolgende Verwirrung; und l 'ii/.ufiii'Lk'iihat i:t? i'miziisischeii Heere bemerkt, so würde er vermutlich in den Wald eingedrungen sein, wohin sich der Feind am Abend zurückgezogen hatte, und auf diese Weise den vollkommensten Sieg errungen haben, der je bis dahin auf der Halbinsel erfochten worden war. Man sagt, Blake habe sehr darauf gedrungen. Unser Heer war am Abend des 16. sicher einem Kampfe ge- wachsen, denn wir waren durch eine britische Brigade, die der Oberst Kemmis befehligte, nach dem Kampfe verstärkt worden. Der Verlust unserer leichten deutschen Bataillone war unbedeutend gewesen; unsere portu- giesischen Truppen waren noch ganz frisch, ebenso zwei spanische Regimenter, und die Reiterei, die unter der geschickten Leitung des Generals Lumley stand, hatte wenig oder keinen Verlust gehabt. Hätte Wellington an diesem Tage den Befehl geführt, er würde Soults Armee gänzlich geschlagen und alle seine Geschütze erobert haben, und die Männer, die in den Reihen jener beiden ausgezeichneten Brigaden kämpften, würden vielleicht jetzt nicht die Kränkung erlitten haben, unbemerkt und ohne Auszeichnung neben den glücklichen Helden von Waterloo einherzugehen.

Am 17. wagten wir den ganzen Tag nicht, über den Fluß zu gehen, sondern standen da und sahen auf die feindlichen Feldwachen und Außenposten, die keck auf der kleinen Ebene zwischen uns und ihrem Biwak auf- gestellt waren. Am 18. zogen sie sich zurück. Um die Fortschaffung ihrer Verwundeten zu erleichtern, ver- nichteten sie den Inhalt vieler Karren und Vorratswagen, und unsere Reiterei und leichte Infanterie folgte ihnen in respektvoller Entfernung. Nicht eher als am 19., also drei Tage nach der Schlacht, nahmen wir von dem Walde Besitz, wohin sich der Feind nach seiner blutigen Nieder- lage in der giiilitun Verwirrung geflüchtet hatte.

Unsere Verwundeten wurden so schnell wie möglich

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nach Valverde gebracht, aber die Feldlazarette boten nach dem Treffen Szenen dar, bei deren Erinnerung einen' schaudert. Nie werde ich die kleine Kapelle vergessen, die mit Verwundeten angefüllt war, von denen viele .im- putiert werden mußten und in schmutzigem unbehag- lichem Zustande auf den harten Steinen lagen, selbst des Strohes entbehrend. AU dies war unvermeidlich, denn wir hatten nichts für sie zur Hand, und wegen Mangels an Fuhrwerk mußten sie warten, bis unsere eigenen Leute fortgeschafft waren.

Denselben Tag ging ich noch einmal nach dem mit Toten bedeckten Teile des Schlachtfeldes. Die Ge- bliebenen lagen noch gräßlich verstümmelt und unbeerdigt da, nur hier und da bemerkte mau ein leicht aufgeworfenes Grab, wo einige Offiziere oder Soldaten ihren Freunden die letzte Ehre erwiesen hatten. Sehr überraschte mich ein rührender, wenn auch einfacher Beweis der Nächsten- liebe unserer Verbündeten ; die Hände einer großen An- zahl Leichen waren von den Spaniern ineinandergelegt worden, als wären sie zum Gebet gefaltet, eine Sitte, die sie abergläubischerweise bei der Ausstellung ihrer Toten für wichtig halten.

Am 22. marschierten wir nach Solano und nahmen am 23. unsere alten Quartiere in Alemdralejo wieder in Besitz. Wir fanden hier 300 verwundete französische Soldaten, die man in einem Kloster zurückgelassen und unserm Schutze empfohlen hatte. In den verschiedenen Kantonierungen des Heeres wurden unter gleichen Um- ständen einige hundert Oefangene gemacht; aber General Gazan brachte 4000 Verwundete sicher nach Sevilla. Unser General Stewart widmete den in Alemdralejo zurück- gelassenen Feinden große Aufmerksamkeit. Er besuchte fast täglich ihre Hospitäler und überzeugte sich persön- lich, ob man sie gut pflege. Ich selbst war mehr als einmal bei diesen Besuchen zugegen. Die Dankbarkeit der Unglücklichen drückte sich deutlich auf ihren Zügen und in allem aus, was sie sagten. Wenn sie von ihren 249

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Befehlshabern sprachen, nannten sie Soult blutdürstig und geizig und sagten, es wäre ihm gleichgültig, ob er seine Leute opfere; all sein Trachten ginge nach Würden und Reichtum.

Am 25. Mai hatte General Lumley einen glänzenden Kampf bei Usagre mit der feindlichen Kavallerie. Da er ihn, wie immer, mit Mut und Geschicklichkeit führte, schlug und zerstreute er sie, obgleich sie ihm an Zahl weit überlegen waren, hieb einige Reiter auf der Stelle nieder und machte gegen 100 Gefangene. Sie bestanden aus lauter französischen schweren Dragonern, von denen viele am Kopfe und im Gesicht schwere Wunden hatten. Mit wenig Ausnahmen waren es alles schöne, kriegerisch aussehende Männer, die offenbar eine lange Reihe von Jahren gedient hatten.

Während der ganzen Zeit, wo wir in Almendralejo verweilten, wurde die Belagerung von Badajoz unter der persönlichen Leitung Wellingtons von zwei Abteilungen der Nordarmee fortgesetzt, die zu unserer Verstärkung von Beira gekommen waren. Es wurden zwei tapfere Angriffe auf das Fort San Christoval gemacht, dessen Besitz die Übergabe der Festung sicherte. Unsere Truppen zeigten großen Mut, wurden indes zurückgeworfen, weil sie auf Hindernisse stieften, die keine Tapferkeit be- siegen konnte.

Am 10. Juni ward die Belagerung aufgehoben, denn man erhielt die Nachricht, daß Marschall Marmont im Begriff sei, die Gegend von Ciudad Rodrigo zu verlassen und sich mit Soult zum Entsatz von Badajoz zu ver- einigen. Wir zogen uns daher am 11. von Alemdralejo zurück, biwakierten am 14. und 15. bei Albuera, setzten am 17. drei Stunden südlich von Badajoz über den Gua- diana und marschierten auf Elvas zu. An demselben Tage sah ich auf dem Marsche einen Trupp des estremadu- rischen Korps, das ein gewisser General Downie ein Engländer, der ehemals Kommissar in unsern Diensten gewesen war ausgehoben, gekleidet und seinem Be- 250

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fehle unterstellt hatte. Nie sah ich etwas Seltsameres und Lächerlicheres als die Kleidung dieser Soldaten ; sie sollte eine Nachahmung der alten spanischen Tracht sein. Der aufgekrämpte Hut, das geschlitzte Wams und der kurze Mantel hätten sich wohl auf der Bühne sehr gut ausgenommen, aber für ein rauhes, rasch eingenommenes Biwak schienen sie abgeschmackt und unpassend. Mitten in unserm Mißmut konnten wir uns des Lachens nicht enthalten, wenn wir an die armen Teufel dachten, die in ihrer phantastischen Kleidung demselben heftigen Regenschauer ausgesetzt waren, der unsere Feuer aus- löschte, den Boden erweichte und uns bis auf die Haut durchnäßte.

Am 18. zogen wir in Elvas ein, um uns zu trocknen und eine Nacht unter Obdach zu ruhen. Viele von unsem verwundeten Offizieren und üemtintn lügen im Lazarett oder in Quartieren in der Stadt, und der Tag war natür- lich ein Freudentag für uns. Es war seltsam anzusehen, wie in den gefüllten Räumen der Hospitäler englische und französische Soldaten hilflos nebeneinanderlagen oder hier und da mit freundlicher Miene sich Liebesdienste erwiesen. Ihre Bedürfnisse und Gedanken teilten sie ein- ander, wie ich bemerkt in spanischer Sprache mit, die vielen französischen Soldaten geläufig war und von unsern Leuten gut verstanden wurde, wenn es allgemeine Dinge betraf.

Am 19. marschierten wir nach den Ufern des Caya und nahmen unsere Stellung in einem Orte, der Torre de Moro heißt und ungefähr zwei Stunden von Elvas unmittelbar an der Grenze liegt. Hier blieben wir bis zum 21. Juli und führten ein regelmäßiges, gesundes und angenehmes Lagerleben. Fast alle Truppen des ver- bündeten Heeres lagen in Campo Majo zerstreut oder biwakierten in solchen Stellungen, daß sie schnell zu- sammengerufen werden konnten. Ich glaube, wir würden gewiß an den Ufern des Cayo gefochten haben, hätte der Feind gewagt, über den Fluß zu setzen. Seine über- 251

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legene Stärke aber, besonders an Reiferei, machte es uns unmöglich, in den Ebenen des spanischen Estre- madura etwas zu unternehmen.

Am 22. Juni unternahmen Soult und Marmont eine starke Rekognoszierung. Da jedoch ihr Zweck, Badajoz zu schützen, erreicht wurde, zeigten sie weiter keine An- griffsbewegungen mehr. Gegen Mitte Juli kehrte Mar- mont mit seinen Truppen nach Norden zurück, und Lord Wellington setzte bei Villa Velha über den Tajo. In Alemtejo überließ er seine Truppen dem General Hill und begab sich nach Beira.

Unsere Division lag vom 22. Juli bis zum 3. Sep- tember in Villa Vicosa, einer schönen, wohlgebauten Stadt, gegen fünf Stunden von Elvas gelegen. Von Villa Vicosa zogen wir nach Portalcgre, einem heliebten und oft be- suchten Quartier. Um diese Zeit nötigten uns die Be- wegungen einer französischen Division unter General Gerard'J), der bei Merida über den Guadiana gegangen war und den Norden von Estrcmadura heimsuchte und plünderte, ins Feld zu rücken. Die Truppen wurden daher am 22. Oktober bei dem Dorfe Codiceira in ein Biwak zusammengezogen. Das Wetter war, wie ich mich erinnere, in dieser Nacht so rauh, daß zwei portugiesische Soldaten an der Wirkung des heftig herabströmenden Regens im Lager starben.

Nach einigen Märschen und Waffen Übungen, die gut und ruhig abliefen, kamen wir am 27. in der Dämmerung bei dem Dorfe Alcuescar an, das nur zwei Stunden von der kleinen Stadt Arroyo de Molinos entfernt ist, wo Gerards Truppen in dieser Nacht unbesorgt schliefen. Sechs Stunden lang lagen wir vollkommen bewaffnet und ohne Wachtfeuer im Biwak und marschierten am 28. früh um 2 Uhr in tiefer Stille auf einer engen schlechten Straße nach Arroyo de Molinos. Vi 7 Uhr machten wir

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in der Nähe der Stadt und an einer Stelle Halt, die für uns sehr günstig war. Hier wurden wir in drei Kolonnen geteilt. Die erste Brigade wurde geradeaus nach der Stadt geschickt, die unsrige marschierte mit einer Ab- teilung Portugiesen schnell auf einem Umwege nach der rechten Seite von Arroyo und machte, in Nebel und Regen gehüllt, einige Schritte von der Landstraße entfernt Halt, die dem Feinde allein zum Rückzüge übrigblieb und auf der er sich eben marschfertig machte, ohne unsere Annäherung zu ahnen.

Das Geschrei der ersten Brigade, die in die Stadt eindrang und die feindliche Nachhut mit dem Bajonett vertrieb oder gefangen nahm, verkündete dem Feinde die drohende, unerwartete Gefahr. Er wollte sich schnell zurückziehen, aber vergebens; unsere Reiterei sprengte vorwärts, zerstreute, tötete seine wenigen Reiter oder nahm sie gefangen, die nach einem Versuche, sich zur Linken des Fußvolks zu sammeln, das einen Augenblick eine verteidigende Stellung annahm, in großer Verwirrung flohen. Ungefähr 200 Schritte hinter der Stelle, wo die feindlichen Kolonnen standen, erhob sich die felsige rauhe Sierra de Montanches. Nach dieser eilten sie, als sie unsere Brigade rasch anrücken sahen. Wir folgten ihnen auf dem Fuße nach, wurden mit ihnen in den Felsen handgemein und machten hei jedem Schritt Gefangene, bis wir von der Verfolgung abstanden, da sich unsere Anzahl wegen Erschöpfung verminderte und wir mit den Waffen, Kriegsvorräten und Tornistern belastet waren, während die feindlichen Flüchtlinge das alles von sich warfen. Ein Kavalleriegeneral, der Fürst von Aremberg Oberst des Jägerkorps und ein Verwandter Napo- leons — , ferner ein Generalstabschef, zwei Oberstleut- nants, 30 Offiziere und gegen 1200 Gemeine wurden zu Gefangenen gemacht. Dies und die Eroberung einer halben Geschützbrigade, sowie all ihres Gepäcks war der Lohn für unsere Mühe und Entbehrungen, und wir kehrten frohen Herzens nach Arroyo zurück. Die Franzosen er- 253

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litten einigen Verlust durch das Feuer der ersten Bri- gade und das Geschütz, das diese bei sich hatte. Für uns aber war das Oetecht in dem Gebirge eher be- lustigend, als blutig und gefährlich, denn obwohl einige feindliche Grenadiere, ehe sie sich ergaben, ihre Mus- keten auf uns abfeuerten, sn war doch unser Verlust sehr unbedeutend und die Gefahr zu gering, um davon

Hier lernten wir den französischen Charakter so recht kennen. In der feindlichen Division hieß eins der Regimenter das 34., im britischen Heere war es eben- falls das 34. Regiment, das die Verfolgung unternahm und sich völlig mit dem Feinde vermischte. Als die fran- zösischen Offiziere ihre Säbel abgaben, umarmten einige die Offiziere des englischen Regiments und riefen: „Ah, messieurs, nous sommes des fr&res, nous sommes du 34me regiment Vous etes des braves les Anglais se battent toujours avec loyaute et traltent bien leurs prisonniers. Ah, messieurs, la fortune de la guerre est

Die gefangenen Truppen waren auffallend schöne Männer und zu dem Dienst auserlesen, den sie verrichtet hatten. Gerard selbst entkam mit dem kleinen Reste einer Brigade, und wäre die erste Brigade seiner Division nicht um 5 Uhr morgens unter dem Befehle des Generats Remond abmarschiert, so hätte sie wahrscheinlich das- selbe Schicksal ereilt, welches die unter Gerards un- mittelbarem Befehle stehenden Truppen erlitten. Soult ließ ihn verhaften, als er zur Südarmee stieß, und er- stattete dem Kaiser einen strengen Bericht von seiner Nachlässigkeit und seinem Verhalten. Aber Gerard war ein Liebling Bonapartes und zog sich ohne den Verlust seines Kopfes oder seines Amtes aus der Schlinge. Na- poleon kannte den Charakter seiner Offiziere und wußte, wann und wem er verzeihen sollte und wessen Dank- barkeit und Verdienste ihm nützlich sein würden.

Nach diesen Unternehmungen kehrte unsere Division

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nach Portalegre zurück, und gegen Ende November er- hielt ich Befehl aus England, nach Indien aufzubrechen. Ich mußte also für eine Zeitlang ein Regiment, einen Dienst und ein Land verlassen, an denen ich mit inniger Liebe hing. Trauernden Herzens trat ich mit einem Waffengefährten, der ebenfalls bestimmt war sich dem ersten Bataillone anzuschließen, am Morgen des 27. No- vember meine freudlose Reise nach Lissabon an.

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4. Kapitel

Rückkehr zu den britischen Truppen in Portugal. Ein Besuch in Madrid. Rückzug aus der Gegend von Madrid. Winterquartiere

Am 29. Dezember 1811 war ich vom Tajo aus nach England gesegelt und zu Anfang August 1812 landete ich noch einmal am Kai von Lissabon, nachdem ich der Verbannung nach Indien durch eine glückliche und willkommene Beförderung entgangen war. Die Nachricht von dem glorreichen Siege bei Salamanca') begrüßte mich bei meiner Ankunft. Die Freude der Portugiesen über diesen Sieg, der für ihre Truppen ebenso rühmlich war als für die unsrigen, kannte keine Grenzen. Messen, Auf- züge, Illuminationen und die Theatervorstellungen, die einen Abend nach dem andern vor einem zahlreichen Publikum gegeben wurden, zeugten von ihrem Patrio- tismus. Die außerordentliche Geschicklichkeit, die Wel- lington bei dieser denkwürdigen Schlacht an den Tag gelegt hatte, mußte in dem Herzen eines Soldaten, der im Begriff war, unter seinem Befehle wieder das Feld zu betreten, stolze und schmeichelhafte Ahnungen er-

i) Am 22. Juli 1812 siegten die Engländer und Spanier unter Wellington bei Arapiles in der Nähe von Salamanca über Mamiont Die Kräfte waren ziemlich gleich, jeder hatte ungefähr 42000 Mann. Die Franzosen verloren 8000 Tute und Verwundete, 7000 Ge- lungene, 2 Adler und 12 Kanonen. 256

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wecken, und trotz allen Ohren bläsereien, die ich in Eng- land anhören mußte, blickte ich mit der zuversichtlichen Erwartung in die Zukunft, daß diesen merkwürdigen Krieg ein ehrenvoller und rühmlicher Ausgang krönen würde.

Als eifriger Bewunderer des spanischen Charakters hatte ich auch meinen Olauben an die Tapferkeit und Beharrlichkeit dieses Volkes nicht ganz erschüttern lassen. Zwar wurden die spanischen Heere fast in jedem Treffen geschlagen, und von den spanischen Festungen, obwohl sie oft tapfer verteidigt wurden, fiel eine nach der andern in die Hände des Feindes, aber daran waren meist der Mangel an Klugheit bei einigen ihrer Anführer und Ver- räterei bei den andern schuld, deren gerühmten Talenten sie blindlings die Leitung ihres Mutes anvertrauten. Spanien nämlich, das Land und das Volk, leistete noch Widerstand; die Einwohner der von Franzosen besetzten Städte und Flecken sammelten Geld zu diesem Zwecke und waren immer bereit, ihren bewaffneten Brüdern nütz- liche Nachrichten zukommen zu lassen. Die mutigen Ge- birgsbewohner, verabschiedete Soldaten und begeisterte Freiwillige aus allen Teilen Spaniens versammelten sich um entschlossene Anführer, und ihre unermüdlichen und kühnen Anstrengungen für die Sache wurden teilweise von höchst nützlichen Erfolgen gekrönt.

Die Nachricht von der Schlacht bei Salamanca trieb mich an, so schnell als möglich zu meinem Regimente zu stoßen, das General Hill noch befehligte. Denn dieses Ereignis und Wellingtons Vorrücken ins Innere Spaniens mußten, wie sich denken ließ, entweder Soult nötigen, die Belagerung von Cadiz*) aufzugeben und sich aus An- dalusien zurückzuziehen, oder ein feindliches Unternehmen unsererseits zur Folge haben, um die südlichen Gegen- den von der Gegenwart des Feindes zu befreien. Ich verließ Lissabon und reiste, zum Glück ohne eine Ab-

") Soult belagerte Cadiz vergebens, das von 8000 Engländern unter dem Oencral Graham verteidigt wurde.

IT BwM7: Span. Fttihcititimpf. 257

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teilung anzuführen, nach Estremadura. In der Nähe von Abräntes begegnete ich einem Trupp von 3000 bei Sa- lamanca gemachten Oelangenen. Sie waren durch den langen Marsch, das heiße Wetter und den Mangel an Schuhen und andern Bedürfnissen ersdiöpft und konnten weder sprechen noch Liehen, um ihren Mißmut zu ver- bergen. Nie s;i!i ich ni^LT^eschlagenere Franzosen. Sie wimien, wns ihren Arger nach zu vermehren schien, von 400 tölpischen, schlecht gekleideten portugiesischen Sol- daten geführt, und die stol/e und wichtige Miene, womit diese die Bewegungen der „Vainqueurs d'Austerlitz" an- ordneten, war wirklich lic'iisti^end. Es ist nicht edel, über gefallene Feinde zu frohlocken, aber schwer, sie zu bemitleiden, wenn unsere Blicke auf Szenen der Zer- störung und Verwüstung fallen, die von denen ange- richtet wurden, deren Erscheinen vielleicht sonst eine für sie günstige Teilnahme in uns erwecken würde.

Endlich, in Zafra, konnte ich wieder meine Regi- mentskameraden umarmen. Wohin er auch wandern mag, ein Regiment ist stets für den ledigen Mann die beste Heimat. Ich erfuhr hier, daß Lord Wellington am 12. triumphierend in Madrid eingezogen war und daß Joseph Bonaparte sich nach Valencia zurückgezogen hatte.1) Soult

ir. ,j eilte V.'ir!:.c;-!'i!'iii'vei>, An.hlusien m räumen, und mau vermutete, daß er durch Granada und Murcia marschieren und wahrscheinlich sich mit dem König vereinigen weide.

Am 28. August marschierten wir auf der Straße von Sevilla nach Bienvenida. Am (olgenden Tage zogen wir

») Der Sieg von Salamanca erschütterte die französische Herr- schaft in Spanien. Josephs Armee des Zentrums, 15000 Mann, ülU'ito i:ilr; 7iit-;ll!;;;,1i: rl. s!.k Irs k'fcTiru \v:ir,l, (hl'i WdÜTiJüir] auf Madrid ruckte, und der König und sein Hof mufften fliehen. Er helahl den Rückzug aul Valencia, wo er sich mit der siegreichen Armee Suchcts decken konnte. Am 12. August zog Wellington triumphierend in Madrid ein und zwang am nächsten Tag die in dem Tort Bucn Hc'.\rn 7[Tii:-!;.',".-:::Ksc[icn 12(10 Mann Garnison, die Waffen niederzulegen. 258

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nach llerena und hörten hier, daß Oberst Skerret in Se- villa eingezogen sei und die Franzosen den Weg nach Cordoba genommen hätten. Unser Marsch nach Süden wurde bei der kleinen Stadt Ayllones unterbrochen, und wir zogen uns auf dem Guadiana über Maguilte, el Cam- pillo und Zalamea nach Quintana zurück, wo wir 3 Tage Halt machten. Dann marschierten wir nach einem Dorfe, 5 Stunden von dem Guadiana entfernt, und verweilten hier 7 Tage, um die Befehle Wellingtons zu erwarten.

Am 13. September war das Heer wieder in Bewegung, tiiiil meine Brigade marschierte ;Ki c!i :1er Stadt Medellin. Am 14. ging es nach Escurial und am 15. nach Santa Cruz. Dann ging es weiter nach Naval Moral, wo wir einer reisenden spanischen vornehmen Familie begegneten ein sehr ungewöhnlicher Anblick. Die Frauen und Dienerinnen saßen in einem schweren, altmodischen Wagen, der von Schnitzwerk und Vergoldung bedeckt war. Er wurde von 8 Mauliieren gezogen, die wiederum von 2 schonen Männern geführt wurden. Tn Wahrheit lenkten sie sie nur mit der Stimme, indem sie ihre Namen riefen, worauf die Tiere mit großer Gelehrigkeit durch ihre Bewegungen zu antworten schienen. Die Männer der Gesellschaft ritten mit den Dienern zusammen, alle im freundlichen Gespräch begriffen. Wie ich oft bemerkt habe, sind die Spanier, so hoch auch ihr Rang sein möge, überaus gütig und freundlich gegen ihre Diener und Unter- gebenen. In der Tat haben auch die niederen Klassen viel natürliche Sitten, und es gibt nichts Widriges und Abstoßendes in ihrer Sprache oder ihrem Benehmen. Sie haben nichts Gemeines in ihrer Freiheit und nichts Knech- tisches in ihrer Ehrfurcht. Ich saß oft um das Feuer einer Posada unter Spaniern aller Klassen, die der Zu- fall zusammengeführt hafte, und freute mich stets über die allgemeine gute Laune und das leichte, unbefangene Benehmen der Landleute.

Talavera de la Reina, wo wir am 27. Halt machten, ist oder war vielmehr eine schöne Stadt und berühmt 17* 259

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wegen ihrer Seiden- und Por/.dlanfabriken. Aber die Lage der öffentlichen Angelegenheiten erlaubte uns nicht lange, hier zu verweilen. Im Norden widerstand Burgos mit Erfolg allen Versuchen, es zu erobern, und das von Clause! befehligte Heer*), das hinter dem Ebro eine sichere Stellung eingenommen hatte, fing an, wieder Mut und Vertrauen zu fassen und diejenigen unserer Truppen zu bedrohen, die die Belagerung der Festung unterstützten und leiteten. Auf unserer Seite rückte Soult, der sich in Almanza an der Grenze von Valencia mit Joseph Bo- naparte vereinigt hatte, mit großer Heeresmacht nach Madrid vor, während Ballesteros5), der einen wichtigen Dienst hätte leisten können, wenn er Soult auf seinem Wege bedroht und seine Truppen mit den unsrigen am Tajo vereinigt hätte, hartnäckig in Granada verweilte. Ballesteros war ein Mann, dem es weder an Mut noch an Geschicklichkeit fehlte, aber sein dummer Stolz ließ es nicht zu, von Wellington Befehle zu empfangen. Seine lächerliche Eitelkeit schadete der Sache sehr in einem der entscheidendsten Augenblicke und machte es uns un- möglich, im Herzen Spaniens zu bleiben oder Madrid zu verteidigen. In der Nacht des 22. Oktober marschierte unsere Brigade von Yepes nach Aranjuez. Am 26. setzten wir über den Tajo und manövrierten bis /.um 30. an diesem Flusse und dem Jarama. Der Feind machte am 30. einen Versuch, sich in Besitz der Puente Carga am Jarama zu setzen, wurde indes von einer englischen Bri- gade unter Oberst Skerret mit einem unbedeutenden Ver- luste auf beiden Seiten vertrieben.

<) Gral Bertrand Clause!, 1772—1842, führte als Divisions- gencral im Jahre 1810 ein Heer aus Portugal zunick, übernahm dann, 1812, nachdem Mannont in der Schlacht von Salamanca ver- wundet worden war, den Oberbefehl über dessen Korps und deckte 1813 den Rückzug nach Frankreich.

') Francisco Ballesteros, 1770—1832, kämpfte in den spa- nischen Freiheitskriegen tapfer für die Sache seines Volkes. 1811 wurde er Generalleutnant. 260

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In der Nacht des 30. begannen wir unsern Rückzug, und am 31. früh um 9 Uhr zog unsere Division unter den Mauern Madrids hin. Ich hatte die Stadt noch nie gesehen, und es war daher sehr ärgerlich, daß Befehl erteilt wurde, niemand dürfe die Reihen verlassen und niemand, welchen Grund er auch haben möge, die Stadt betreten. Ich brannte vor Neugier und würde einer Mus- ketensalve getrotzt haben, um Madrid zu sehen. Ich bin zwar ein Freund der Disziplin, aber ich konnte nicht widerstehen. Unbemerkt stahl ich mich von meiner Ko- lonne weg, setzte über eine Brücke und ritt eine halbe Stunde auf den Straßen und Plätzen herum. Nur eine halbe Stunde!

Ich stieg auf dem großen Platze ab und ließ mir in einem weiten Saale, der mit Madrider Herren angefüllt war, Kaffee geben. Einer von ihnen näherte sich mir und sagte mit Tränen in den Augen: „Ich weiß, die Engländer sind brave und treue Untertanen ich weiß, dieser Rückzug ist eine notwendige Maßregel, aber warum, warum kamen sie hierher, wenn sie nicht auf bleibenden Besitz rechnen konnten? Sie wissen wenig von dem Kummer und Elend der Einwohner Madrids. Wenige Stunden noch, und wir können der Rache der Todfeinde Spaniens preisgegeben sein. Die Verräter in diesen Mauern haben uns wohl bewacht, sie werden jede Handlung der Vaterlandsliebe als ein Verbrechen, jedes ,Viva' als ein Geschrei des Aufruhrs gegen die verhaßte Regierung Josephs darstellen." Das Herz blutete mir hei diesen Worten; ich konnte nur erwidern, daß die Politik der Franzosen nicht gestatten würde, alle Beleidi- gungen zu rächen, daß diese ihren eigenen Aufenthalt für unsicher halten und unsere baldige Rückkehr erwarten müßten, wir aber bei unserm Vorrücken nie daran ge- dacht hätten, die Hauptstadt auf eint so kränkende Weise zu verlassen, wozu wir nur durch das törichte Benehmen ihres Landmannes, Ballesteros, gezwungen wären. Er drückte mir die Hand mit einem „Viva mil aiios", und 261

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ich bestieg raein Pferd und war bald seinen Blicken ent- schwunden.

Ära 6. machten wir für einen Tag auf den Höhen von Cantaraciila Halt, erreichten Alba de Tormes am Abend des 7., und am 8. wurde das ganze Heer der Verbündeten in und bei Salamanca und längs dem Ufer des Tormes aufgestellt, so daß einige Briten und eine Abteilung Por- tugiesen auf dem rechten Flügel die Stadt Alba besetzt hielten. Die französischen Truppen aus dem Norden, Süden und der Mitte. Spaniens, die uns auf der einen Seite von Burgos, auf der andern von Madrid aus ver- folgt hatten, kamen nach und nach anmarschiert und stellten sich uns gegenüber. Man glaubte allgemein, daß Wellington es zu einer Schlacht kommen lassen würde. Am 10. machte eine Kolonne Infanterie mit Kanonen einen Angriff auf die Stadt und das Schloß Alba, wurde aber zurückgeworfen. Am 14. Heß Souli, der für Joseph be- fehligte, eine ungeheure Armee oberhalb Albas über den Tormes setzen. Unsere Division zog sich darauf aus dieser Gegend auf ihren rechten Flügel zurück und rückte näher gegen Salamanca heran. Vor einem hohen, felsigen Berg- rücken, hinter dem unsere Division in geschlossenen, dichten Kolonnen aufgestellt war, sahen wir das Fuß- volk des Feindes eine kleine, waldige Anhöhe, ungefähr eine Stunde von uns entfernt, besetzen. Sie zeigten gegen 5000 Reiter in der Ebene vor uns, während hinter uns unsere ganze Reiterei aufgestellt und zum Kampfe bereit war. Es wurde ein wenig gescharmützelt und geschossen, aber sonst fand nichts von Belang statt.

Am 15. bei Tagesanbruch stand unser ganzes Heer in Schlachtordnung; unsere Division hatte ihren Posten hinter den Arripeten, und jeder erwartete einen heißen, und allgemeinen Kampf. Die Franzosen hatten 90000 Mann und fast 200 Geschütze. Unsere Division war bei dem glorreichen Sieg bei Salamanca nicht dabeigewesen und verlangte sehnlichst nach einer Schlacht, denn die Leute glaubten natürlich, daß ein glänzendes und erfolg- 262

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reiches Gefecht, auf weit großartigere Weise und auf demselben Boden geliefert, ihnen ein Recht geben würde, von dem Felde von Salamanca mit Soldatenstolz zu sprechen. Diese Ruh m es eif ersucht, dieser Ehrgeiz ist im Felde gewöhnlich, und ich brauche kaum hinzuzufügen, von nicht zu berechnendem Vorteil für Herrscher und Oberbefehlshaber. Soult hatte jedoch keine Lust zum Kampfe; er lehnte die Herausforderung ab, manövrierte zu unserer Rechten und nötigte uns, indem er unsere Verbindung mit Portugal bedrohte, zum Rückzüge. Es ist klar, daß Wellington, der vom 8. bis zum 15. all seine Macht am Tormes zusammenzog, begierig einen allge- meinen Kampf wünschte und erwartete. Man hat in der Tat gesagt und es ist wahrscheinlich, daß er, wenn er Soults Weigerung geahnt hätte, den Kampf zu beginnen, am Morgen des 15. den Angriff selbst begonnen haben und kühn gegen die Höhen von Mozarbes angerückt sein würde. Nicht früher als um 10 Uhr morgens wurde der Befehl zum Rückzug gegeben, der, hätte er ursprünglich in Wellingtons Absicht gelegen, ohne Zweifel 6 Stunden früher angetreten worden wäre.

Gegen 2 Uhr nachmittags machte unsere Kolonne eine Rechtsschwenkung und gelangte auf die Landstraße von Ciudad Rodrigo und marschierte nach Agueda. Gegen Mittag goß der Regen in Strömen und durchnäßte uns bis auf die Haut, er war aber nicht ohne Nutzen, denn er verbarg auf wunderbare Weise unsere Bewegungen.

Da wir in unserm Biwak unsere Waffen nur eine Viertelstunde von uns entfernt zusammengestellt hatten, waren wir sogleich wieder in Schlachtordnung. Der Feind machte einen Flintenschuß weit von uns Halt. Die Reiter waren gegen 2000 Mann stark, alle mit großen weißen Mänteln bedeckt, was sich sehr schön ausnahm. Es war gewiß ein Anblick, der bei anderer Gelegenheit wert ge- wesen wäre, eine Mahlzeit darum stehen zu lassen. Aber hungrig und erschöpft, wie wir waren, kam uns der Lärm, den sie verursachten, sehr ungelegen. Sie ließen uns 263

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ungestört durch das Dort und über die Ebene unsern Ruckzug nach dem Walde nehmen, wo unsere Division lag, denn da sie keine Kanonen hatten, würde es ein gefährliches Unternehmen gewesen sein, gegen ein rüstiges Bataillon Fußvolk etwas zu wagen. Zur Linken des Dorfes warfen sie jedoch 6 Schwadronen zurück, hatten ein un- bedeutendes Sdia ["iiiitzcl mit einigen unserer Reiter, die hastig aus ihrem Lager sprengten, und zogen sich hierauf zurück, um für die Nacht Mantilla und die Höhen zu besetzen.

Am 17. mußten wir in unserm Biwak wegen einer Kanonade, die sehr entfernt von uns gegen die rechte Kolonne gerichtet war, zwei Stunden lang, vor Kälte zitternd, unter den Waffen stehen, worauf wir unsere Ration kochten und uns in einem Sumpfe, wo uns das Wasser fast bis an die Knöchel ging, zur Ruhe legten. An demselben Tage wurde Sir Edward Paget"), unser zweiter Befehlshaber, gefangen genommen, als er ruhig in einem Zwischenräume zwischen zwei Divisionen ritt, von denen die eine hinter ihm marschierte. Einige pol- nische Lanciers, die, auf Abenteuer ausgehend, durch den Wald an unserer Flanke herumgeschweift und auf die Landstraße herabgekommen waren, hatten ihn unbemerkt durch das Gestrüpp fortgeschleppt.

In der Nacht des 18. hörte der Regen für kurze Zeit auf, aber eben als wir uns zur Ruhe legen wollten, wurde jedem Manne eine Hand voll Mais gereicht, den sie alsbald zwischen zwei großen Steinen zu zerreiben anfingen und dadurch einen solchen Lärm verursachten, daß wahrscheinlich niemand im ganzen Lager schlafen konnte. Der Verlust unseres Heeres auf diesem Rück- züge war sehr bedeutend, gaiin ähnlich einer durch einen

4) Henry William Paget, Earl of Uxbridge, Marquis von Anglesey, englischer General und Staatsmann, 1763—1851. In Spanien war er Befehlshaber der englischen Reservekavallerie und unterstütite die Operaii™en dos (.H'ticnls Moerc mit großem Ge-

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allgemeinen Kampf verursachten Niederlage, und wir ver- dankten es nur der Nachlässigkeit der Franzosen, die uns nie ernstlich zusetzten, daß er nicht noch größer war.

In der Nacht des 20. wurde unsere Division südlich von der Sierra de Francia in die OebirgsdÖrfer verteilt, und wir machten hier auf 8 Tage Halt. Hier wurde uns auch unser Gepäck ausgeliefert und wir waren unter Obdach. Am 23. marschierte Hills ganzes Korps nach der Coria, wo wir bis Mitte Mai in einem kleinen Dorfe in Winterquartieren lagen.

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5. Kapitel

Übergang über den Duero. Scharmützel bei Hor- masa. Zerstörung des Schlosses Burgos. Schlacht bei Vitoria. Gefechte auf den Majahöhen. Meine Gefangennahme

Der 20. Mai fand uns wieder im Felde am Flusse des Puerto de Banos biwakierend. Die Sonne schien heiß auf unsere Zelte im Tale, während unmittelbar über uns in ungeheurer Höhe die schneeige« und schmutzigen Felsen der Sierra de Bejar sich erhoben. Wir zogen durch eine anziehende Gegend nach Salamanca, wo wir am 26. ankamen. Der feindliche Nachtrab, bestehend aus 400 Reitern und 3000 Mann Infanterie mit vier Kanonen, räumte die Stadt, als wir uns ihr näherten. Wir aber marschierten nicht in die Stadt, sondern durchwateten eine halbe Stunde rechts von ihr den Tormes. Die Fran- zosen feuerten einige Schüsse auf unsere, an der Spitze befindliche Kavallerie ab, die, nachdem sie den Fluß über- schritten hatte, sich in Schlachtordnung stellte. Die Fran- zosen zogen sich darauf eiligst längs dem Tormes nach Bahila Fuente zurück. Sie wurden von unserer Reiterei und Artillerie verfolgt, beschossen und stark bedrängt, wohei sie einen Verlust von 200 Toten und Verwundeten und ebensoviel Gefangenen erlitten. Wir waren an diesem Tage mit der Heeresabteilung vereinigt, die unter Wel- lingtons Befehl marschierte, der bei dem Gefechte mit dem feindlichen Nachtrabe persönlich zugegen war. 26G

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Unsere Division lagerte sich an demselben Abend in einem Walde bei Orbada, ungefähr 8 Stunden von Salamanca. Hier und in die Umgegend verteilt machte iler rechte Flügel Halt, während der linke infolge der geschickten Anordnung Wellingtons auf dem Wege von Miranda und Carvajales sich dem rechten Flügel des Feindes näherte. Am 4. Juni waren wir wieder in Be- wegung und am 5. setzten wir bei Toro ohne Hindernis über den Duero, denn der Feind war vertrieben und in Schrecken gesetzt. Er sah sich genötigt, das Ufer des Flusses ohne Schwertstreich zu verlassen und sich schleunigst zurückzuziehen, nachdem er die Brücken zer- stört hatte.

Wir sahen den Feind nicht früher als am 12. Er hatte sich so geschickt zurückgezogen, daß wir keinen Plünderern begegnet waren und seit dem Gefecht von Toro keine Gefangenen gemacht hatten. Unser Marsch und unsere Bewegungen am 12. waren sehr interessant. Das Korps des Generals Hill brach um 5 Uhr morgens von Manzana auf und rückte in zwei Kolonnen vor die rechte nach Celada, die linke, bei der ich mich be- fand, über Juntana nach Homillo. Die Feinde schar- mützelten tüchtig mit unserer Reiterei bei Hormasa, einem kleinen Dorfe am Flusse gleichen Namens, und machten einen kurzen Halt, um den Rückzug der Hauptmacht ihres Nachzugs zu decken. Dann rückten sie langsam auf die Anhöhen oberhalb Hornillos, wohin wir ihnen folgten. Sie bestanden aus vier Schwadronen und drei Bataillonen. Ihre Infanterie bildete eine Linie auf diesen Höhen. Als wir an ihrer Flanke hinaufstiegen, zog sie sich zurück, indem sie ihre Richtung etwas veränderte, aber immer noch Front gegen uns machte. Als sie end- lich merkten, daß wir sehr zahlreich waren und tüchtige Reiterscharen aufzustellen hatten, zogen sie sich in Karrees zusammen, setzten über den Fluß Arlanzon, ver- banden sich mit der übrigen Mannschaft des vom Grafen Reille befehligten Korps, und alle nahmen den Weg nach 267

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Burgos. Die Troppen bewegten sich sehr schnell und sicher und machten ihren Rückmarsch in der schönsten Ordnung angesichts unserer Reiterei und unter dem Feuer unserer Kanonen, das indes wenig Wirkung hatte.

Unsere Fußkolonnen kehrten ebenfalls zurück und lagerten sich, nachdem sie starke Feldposten auf den Höhen zurückgelassen hatten, am Ufer der Hormasa. Eine dieser Feldwachen befehligte ich. Gegen Abend fing es stark zu regnen an und goß einige Stunden lang fort. Wir hatten nichts zu essen, und auf den nackten Höhen gab es kein Brennholz. Der Morgen brachte jedoch ein wenig Trost, denn als ich in der Dämmerung mit meinem Fernrohre das ferne Schloß von Burgos betrachtete, hatte ich die Freude, es plötzlich in dicken weißen Rauch ein- gehüllt zu sehen, und der Knall einer furchtbaren Ex- plosion verkündete mir, daß der Feind es angezündet hatte und es folglich verlassen würde. In 10 Minuten folgte eine zweite Explosion, und in ungefähr einer Viertel- stunde konnte ich deutlich die nackten Trümmer erkennen.

Ein großes französisches Heer sammelte sich jetzt am Ebro, denn Joseph war mit allen Truppen, die in Madrid, Segovia usw. gestanden hatten, schnell durch den Engpaß von Somosierra nach Avanda und Burgos gerückt und im Begriff, sich uns gegenüber in Schlacht- ordnung aufzustellen. Obgleich kein Burgos mehr zu belagern oder zu blockieren war, so war es doch un- möglich gewesen, den Engpaß von Pancorvo zu bezwingen und bei Miranda über den Ebro zu setzen. Wellington rückte ebenso schleunig auf einer unbelebten Straße links vor, ging darauf bei Puente de Arenas über den Ebro und marschierte gerade gegen Vitoria, wohin sich der Feind zurückzog. Unsere Abteilung rückte am Abend des 13. nach Villarejo.

Um </<3 Uhr am Morgen des 21. betraten wir die von Miranda nach Vitoria führende Landstraße, und nach- dem wir durch die kleine Stadt Puebla unter dem Lebe- hoch der Einwohner und mit klingendem Spiel und 268

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fliegenden Fahnen marschiert waren, machten wir nach einer halben Stunde angesichts des französischen Heeres Haft, das, zum Kampfe bereit, eine sehr feste Stellung eingenommen hatte. Sein rechter Flügel stand bei der Stadt Vitoria, das Zentrum hatte das Zadorratal inne, und sein linker Flügel lehnte sich an die Höhen, die sich über Puebla erheben.

Mit Ausnahme der sechsten, die in Medina aufge- halten wurde, waren alle Divisionen des englisch-portu- giesischen Heeres und alle spanischen Truppen unter dem Befehl Qirons, Longas und Murillos im Felde gegen- wärtig. Wir waren nicht weniger als 74000 Mann und die Franzosen ungefähr 60000 mit einer zahlreichen Ar- tillerie.

Das Korps des Generals Hill begann den Kampf und griff den linken Flügel des Feindes an. In dem Augenblick, wo wir durch Puebla kamen, wurde eine spanische Brigade unter Murillo auf die Höhen geschickt, und bald darauf marschierten auch das 71. Regiment, eine leichte Kompagnie und ein Bataillon portugiesischer Jäger zur Unterstützung dahin. Diese Truppen hatten lange, ehe der Kampf allgemein ward, eine harte Arbeit zu bestehen und erlitten großen Verlust, endlich aber gelang es ihnen, von den wichtigen Höhen Besitz zu nehmen, indem sie den Feind vertrieben und zurück- warfen.

Meine Brigade marschierte gegen das Dorf Subijana de Alava in der Front der Linie, mit der Absicht, es mit dem Bajonett anzugreifen. Als wir uns näherten, feuerte der Feind auf uns aus 14 Geschützen, aber nur mit ge- ringem Erfolg. Ich konnte nicht annehmen, dafl er auf einen so wichtigen Posten, wie das Dorf war, ohne Kampf verzichten würde, und als wir ganz nahe waren, glaubte ich jeden Augenblick, mit einem mörderischen Kleinge- wehrfeuer begrüßt zu werden und den Feind hervor- brechen zu sehen. Ich hatte daher meine Leute vorbe- reitet, auf einen solchen Angriff zu achten. Im Dorfe 260

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war jedoch keine Seele, nur ein Wald einige Schritte zu seiner Linken und die Klüfte darüber waren mit leichter französischer Infanterie angefüllt. Bald war ich mit meiner Kompagnie zwischen den Klüften in ein lebhaftes Schar- mützel verwickelt und verlor von 38 Mann etwa 11 Tote und Verwundete. Die Engländer Scharmützeln nicht so gut wie die Deutschen oder Franzosen. Unter mir sah ich zu meinem Schmerze, wie die anderen Regimenter unter dem Feuer der französischen Regimenter litten.

Es war gegen 2 Uhr, als die 4. leichte Division auf einer, Nanclares gegen üb erliegen den Brücke über den Zadorra setzte und kühn gegen das feindliche Zentrum und die Stadt Arinez vorrückte. Um dieselbe Stunde eroberte die 3. und 7. Division die Brücke von Puentes, griff den rechten Flügel des Feindes an und schlug ihn. Die ganze Zeit hindurch unterhielt die Artillerie auf beiden Seiten ein mörderisches Feuer; als jedoch dieses er- schlaffte, schien sich der Feind zum Rückzug vorzube- reiten und verließ bald in großer Verwirrung Dorf, Höhen und Stellung, Wir verfolgten ihn rasch, aber mit wenig Nutzen und machten am Abend in einem Biwak, eine Stunde von Vitoria, Halt. Hier liefen alle Augenblicke Nachrichten von dem allgemeinen Erfolge der Schlacht ein, und wir fanden, daß General Graham mit den unter seinem Befehle stehenden britischen und spanischen Di- visionen die Franzosen nach einem harten Gefechte von Gamarra Mayor und Abejuco vertrieben und von der Straße nach Bayonne abgeschnitten hatte, und daß sie, all ihr Gepäck und Geschütz im Stiche lassend, in der Richtung nach Pamplona geflohen waren. 150 Geschütze, 415 Bombenkisten, ihre Kriegskasse und über 3000 Fuhr- werke, Lastwagen und Karren, mit Lebensmitteln, Schätzen und Beute beladen, waren in unsere Hände gefallen. Wir hatten gegen 5000 Tote und Verwundete verloren, und der Verlust der Franzosen war nicht viel beträchtlicher. Ich gestehe, ich war mit dem Erfolge nicht zufrieden und hatte tüchtigere und weniger hochklingende Vorteile 270

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erwartet. Es ist wahr, die Eroberung all ihres Geschützes und Gepäcks war ein glänzender Triumph und würde in diesen Tagen (1823), wo Generale, um dessen habhaft zu werden, ein Heer geopfert haben würden mit Staunen und Bewunderung angesehen werden. Ich für meinen Teil hätte lieber von großen Verlusten in den feindlichen Reihen gehört und eine tüchtige Kolonne Oefangener ge- sehen. Man lachte mich aus und nannte mich unvernünftig, aber dasselbe Heer, welches seines Geschützes beraubt und von seinem Gepäck entblößt war und 12 Tage nach dem Siege nach Frankreich getrieben wurde, fing 18 Tage darauf die Feindseligkeiten wieder an, überfiel uns in den Pässen der Pyrenäen, drang bis auf eine Stunde von Pamplona vor und kämpfte für die Befreiung dieser Festung. Wenn ich jedoch nach allem überlege, daß unser Heer in 45 Tagen von Portugal nach den Grenzen Frankreichs zog, also eine Entfernung von 400 englischen Meilen zurücklegte, so erkenne ich darin mit Bewunderung Wellingtons Talent und sollte vielleicht über meine ge- täuschte Erwartung hinsichtlich des Sieges bei Vitoria

In dieser Schlacht litt ein Regiment von unserer Di- vision, das 71., sehr stark, indem es 400 Mann und seinen tapferen Befehlshaber, den achtbaren Oberst Cadogan»), verlor. Dieser tapfere Offizier, erzählt man, habe, töt- lich verwundet und seiner Lage sich völlig bewußt, ge- beten, daß man ihn auf einen erhöhteren Standpunkt bringe als der war, wo er fiel; damit er dem Kampfe zuschauen und zum letzten Male sehen könnte, wie unsere

') Der Autor spricht von der Jetztzeit, er meint also das Erscheinungsjahr der englischen Ausgabe, die im Jahre 1823 er-

') Oberst Henry Cadogan, 1780-1813, befehligte bei Vi- toria 1813 die 71. Hochländer. Er hatte Befehl, die Höhen über dem Dorfe Puebla zu stürmen, wo sieh die französische Nachhut befand. Er war ein allgemein beliebter und von Wellington be- sonders bevorzugter Offizier.

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siegreichen Truppen vorrückten. Ein solcher Zug von Patriotismus würde sich in der griechischen oder römi- schen Geschichte gut ausgenommen haben; so wie er ist, bleibt er nur eine Kriegs anekdote, die man mit Ver- gnügen erzählt oder anhört, ohne daß sich Manner, die Augenzeugen gewesen sind, darüber wundern, wie mit Wunden bedeckte gemeine Soldaten mit einem Freuden- rufe verschieden.

Am Morgen des 22. marschierte das Heer vorwärts, nachdem von jedem Regiments eine Kompagnie mit einem Hauptmann in Vitoria zurückgelassen worden war. Auch ich wurde zu diesem unangenehmen Dienste bestimmt. Auf den Straßen der Stadt war, wie sich denken läßt, nichts als Lärm und Verwirrung. Hier brachten Karren, die ohne Unterschied mit französischen, englischen und portugiesischen Verwundeten angefüllt waren , ihre stöhnende Ladung in die zu Hospitälern bestimmten Klöster, dort ritten Offiziere, verwundet und bleich, mit blutbefleckten, schmutzigen Uniformen langsam ihren Quartieren zu, während ihre Burschen die Pferde am Zügel führten und oft ihre zusammensinkenden Herren aufrichteten , denen jede Bewegung unerträgliche Schmerzen zu verursachen schien. Da standen einige Gruppen französischer Gefangener, neugierig aus der Türe der Kirche schauend, worin sie eingeschlossen waren. Dort hielten unsere Kommandos in den Straßen, Befehle erwartend, während lange Züge von den zum Heeresverpflegungsamte gehörenden Maultieren mit Zwie- back beladen an uns vorüberzogen, um dem Heere zu folgen. Zum Tore marschierten spanische Truppen ein, die die Besatzung von Vitoria bilden sollten, und auf den Gesichtern der Einwohner drückte sich Überraschung aus, da ihnen, nachdem sie so lange unter französischer Herrschaft gestanden, ihre gegenwärtige Lage neu und ihre Befreiung fast unglaublich schien.

Zwei oder drei Tage lang mußte ich mit meiner stark vom Kampfe erschöpften Mannschaft die Kanonen 272

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und Bombenkisten sammeln, die auf den Straßen und Feldern nördlich von der Stadt zerstreut lagen. Wir brachten 174 Kanonen zusammen, darunter waren 90 Feld- stücke, deren Mündung vom kürzlichen Gebrauche ver- dorben waren. Der Boden war fast eine Meile weit mit den Trümmern der Wagen, Karren, Kisten und des Ge- päcks bedeckt, und hier und da waren ganze Felder buch- stäblich weif} von den dick umhergestreuten Papieren. Um Oeld oder Kostbarkeiten zu finden, hatten die Sol- daten alles durchwühlt; sie hatten das Futter der Kutschen zertrennt und die Polster aufgeschnitten, alle Briefkästen der verschiedenen militärischen Ämter erbrochen und alle Papiere, Berichte und amtliche Urkunden zerstreut, die vielleicht seil Jahren aufgehoben worden waren.

Am 5. Juli brachen die Truppen unserer Division wieder auf, um sich mit dem Heere zu vereinigen. Mein Regiment und die Brigade lagen jetzt auf einige Zeit hinter den Höhen von Maya im Biwak. Ein steiler, be- schwerlicher Weg von drei Viertelstunden trennte uns von den Höhen, die wir verteidigen sollten und auf die wir täglich eine Feldwache von 80 Mann stellten. Un- gefähr eine halbe Stunde hinter dem Posten lagen die leichten Kompagnien der Brigade, um die Verbindungen zu decken und Unterstützung zu leisten.

Am 25. Juli erstürmte und eroberte der Feind mit großer Übermacht den Paß von Maya, und es herrschte große Verwirrung an diesem heißen Tage. Es war ein Überfall und auch kein Überfall. Insofern war es einer, weil die Truppen, die die rechte Seife dieser Höhen ver- teidigen sollten, drei Viertelstunden entfernt waren und nicht schnell genug ankommen und sich ordnen konnten. Nur ein Regiment kam in der Tat noch beizeiten an, um auf dem wichtigen Platze zu kämpfen, und dieses Korps war atemlos vor Anstrengung und mußte gruppen- weise fechten, als es ankam. Es war aber auch kein Überfall, weil nie ein Kampf von der Feldwache und den leichten Kompagnien regelmäßiger geführt wurde,

IS BwMT: SpU. FrOiKKxampI. 273

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als der vom 25. Juli. Ich selbst werde diesen Tag nicht so leicht vergessen, denn er führte mich in die Hände . der Feinde und machte mich der Ehre verlustig, den britischen Fahnen zu folgen, als sie furchtlos, ja trium- phierend in den schönsten Provinzen des südlichen Frank- reichs vordrangen.

Ich frühstückte an diesem Tage in einer hübschen Laube am Ufer eines Gebirgsflusses. Um 7 Uhr löste ich die Feldwache auf den Mayahöhen ab und hörte von ihrem Kapitän, daß er bei Tagesanbruch einen Reitertrupp und eine Infanterie-Abteilung über eine entfernte Hügel- fläche hätte ziehen und verschwinden sehen. leb bat ihn, davon einen besonderen Bericht zu machen, wenn er ins Lager käme, was er auch tat. Bald darauf kam ein Unter- generalquartiermeister, ritt eine Strecke vorwärts und sagte, daß man allerdings gegen anderthalb Stunden weit im Tale eine Kolonne sehen könnte, daß es indes nur eine Veränderung des Biwaks oder eine unbedeutende Bewegung wäre.

Ich dachte anders, und die Folge lehrte, daß ich mich nicht irrte. Indes wurden die leichten Kompagnien von diesem Offizier heraufgeschickt, eine Maßregel, die, wie man sehen wird, schwach und ungenügend war. In weniger als zwei Stunden waren meine Feldwachen und die leichten Kompagnien im heißen Kampfe mit dem feindlichen Vortrabe begriffen, der ganz aus Vottigeur- kompagnien bestand, die durch keine Tornister belästigt wurden. Ein ausgewählter Offizier führte sie an. Die Leute fochten hitzig, aber wir machten ihnen das Terrain streitig und töteten viele von ihnen. Wir hatten die Stellung selbst dann noch nicht verlassen obwohl wir etwas gewichen waren , als wir uns mit den eilig heran- rückenden Truppen des rechten Flügels unserer Brigade, meines eigenen Regiments, vereinigten.

Die Scharen des Feindes wuchsen jedoch mit jedem Augenblick und bedeckten die unmittelbar vor uns und um uns liegende Oegend. 274.

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Der Kampf, wenn man überhaupt von einem Kampfe sprechen kann, war jetzt sehr ungleich und, wie sich denken läßt, kurz und blutig. Ich sah zwei Drittel meiner Feldwache und viele aus den leichten Kompagnien und meinem Regimente vernichten. Unter andern braven Opfern fiel auch unser Qrenadierhauptmann, der mit Wunden bedeckt war, unser Oberst, ebenfalls schrecklich verwundet, und viele andere. Ich indes, der ich dieses Blutbad überlebte, wurde gefangen genommen. Ich ver- danke die Erhaltung meines Lebens, das mir In diesem heißen Augenblick gleichgültig war, nur der Dazwischen- kunft eines französischen Offiziers, der die Musketen der von ihm angeführten Sektion senken ließ, die bereits zu meiner Vernichtung angelegt waren und mich sicherlich dem Tode geweiht hätten, denn ich war nur sechs oder sieben Schritte von ihnen entfernt. Der wackere Mann umarmte mich und sagte ungefähr folgendes: „Un Fran^ais sait respecter les braves." Darauf befahl er einer Ordonnanz, mich zum Grafen Erlon zu bringen.1)

Die Abteilung, die mich gefangen hatte, bestand aus dem 8. und 75. Regiment der französischen Linientruppen, □roßer Gott, welch plötzliche Veränderung! Noch vor wenigen Minuten hatte ich „vorwärts" gerufen und rufen hören und jetzt schrie alles um mich: „En avant, en avant, vive Napoleon, vive l'empereur!" Ich war mitten unter den Franzosen, die hastig und ungestüm an mir vorübereilten. Niemand beschimpfte mich, niemand ver- suchte, mich zu plündern. In einer Schlucht aber, die voll schurkisch lauernder Plünderer war, die stets die Memmen und Räuber eines Heeres sind, wurde ich von einem Burschen beraubt, der sich mir erbot, freiwillig den Kampfplatz zu verlassen und mich fortzubringen. Das Herannahen einiger leicht verwundeter Soldaten, die von der Front kamen, und eines Sergeanten veranlaßten ihn,

') Jean Baptiste Oral Drouet d'Erlon, franiasischerQenerai, 1765-1844, befehligte 1813 die Armee des Zentrums in Spanien. 18' 275

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mit seiner Beute davonzulaufen. Der Sergeant führte mich zum Grafen Erlon, der auf einem naheliegenden Berge zu Pferde hielt und von einer großen Menge Stabs- offiziere umgeben war. „Un capitaine anglais, general," sagte mein Führer. Der Graf nahm augenblicklich den Hut ab und redete mich auf die höflichste und schmeichel- hafteste Weise an. Er stellte nicht die geringsten Fragen, sondern sprach mit dem größten Lobe von dem tapferen Widerstande, der ihm geleistet worden wäre.

Es war eine seltsame Szene überall um mich französische Gesichter und Uniformen. Zwei Reserve- kolonnen hielten gleich hinter dem Grafen. Die Fran- zosen, die ich hier sah, waren nicht entwaffnet und zer- lumpt, sie zeigten keine mißmutige Miene oder verstellte unpassende Fröhlichkeit. Ihre Kleidung war fast neu, ihre Ausrüstung vortrefflich und ihr ganzes Aussehen rein- lich, rüstig und kriegerisch.

Einer von den Stabsoffizieren des Generals stieg vom Pferde und bot mir aus seiner Flasche zu trinken an, was ich indes ablehnte.

Der Feind erlitt großen Verlust; jeden Augenblick kamen Verwundete vorüber, und auf den Höhen lagen viele Tote und schwer Verwundete. Auch brachte man kleine Trupps gefangener Engländer von der linken Seite der Mayahöhen und vom Nachtrab, wo die unsrigen noch ohne Beistand tapfer und in zerstreuten Haufen kämpften. Der Graf schickte mich bald fort und sagte, er habe kein Pferd für mich, aber die Stadt, wohin er die Gefangenen beordert hätte, sei nicht weit entfernt. Darauf wandte er sich an den Sergeanten und befahl ihm, sich gegen die gefangenen englischen Offiziere denn es wurden noch zwei andere gebracht, während ich bei ihm war so zu betragen, als er es gegen Franzosen gleichen Ranges tun würde.

Hinler der Reservckolonne waren alle gefangenen Engländer versammelt, und ich traf hier einen Waffen- gefährten, einen Leutnant von unserer leichten Kompagnie, 276

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der sich an diesem Tage sehr ausgezeichnet hatte und wenige Minuten nach mir in einer andern Gegend des Kampfplatzes gefangen genommen wurde. Er war ein sehr vertrauter Freund von mir, und es schmerzte mich tief, ihn unter solchen Umständen wiederzusehen.

Unser Trupp brach nun unter einer sehr kleinen Bedeckung auf, denn da an Flucht nicht zu denken war, so wurden wir eher geführt als dirigiert. Wir waren im ganzen 140 Engländer, aber nicht mehr als 40 von einem einzigen Regimente, und nur 4 Offiziere. Auf unserm Marsche begegneten wir noch mehr französischen Truppen, die die enge Gebirgsstraße heraufzogen. Keiner der Soldaten ließ es sich einfallen, uns zu beleidigen ; viele Offiziere grüßten uns, obwohl hier und da ein mit Orden behangener Offizier mit ungeduldiger, strenger Miene seinen Schnurrbart drehte. Amüsant war es, mit welcher Schnelligkeit sich ein lügenhaftes Gerücht in den feindlichen Reihen verbreitete. Einer der übrigen eng- lischen Offiziere und ich, die man als Bataillonsoffiziere gefangen nahm, trugen volle Epauletten. Als nun die ersten Abteilungen der französischen Brigade an uns vor- überzogen, hörten wir sie sagen : „Deux chefs de ba- taillon prisonniers," als jedoch der Nachtrab herankam, riefen sie: „En avant, l'affaire va bien; deux bataillons pris aux ennemis!" Vergeblich sagte ich: „Je ne suis que capitaine." Das Geschrei „Vive Napoleon, deux ba- taillons pris aux ennemis!" dauerte fort.*)

') Der Verlasser bricht merkwürdigerweise seine Feldzugs- erinnerungen so kurz ab, daß man annehmen könnte, er habe das Werk nicht vollendet oder die Absicht gehabt, seine ferneren Lebensschicksale in einem weiteren Bande folgen zu lassen. Er hat aber keine weiteren Aufzeichnungen darüber hinterlassen, und wir müssen uns mit diesem eigentümlichen Schluß begnügen.

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4.

Erinnerungen aus dem spanischen Feldzug von

Heinrich von Brandt

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Vorwort

Der Geschichtschreiber hat zwei Hauptbedingungen zu erfüllen, aber sehr selten geschieht dies: mit ruhiger Gleichmäßigkeit Menschen und Dinge zu beurteilen und ohne Vorurteil, vor allem aber ohne Parteilichkeit die Ereignisse zu schildern. Beides ist bei dem preußischen General und Militärschriftsteller Heinrich von Brandt, dem Verfasser der Kriegserinnerungen, der Fall, aus denen hier ein Auszug, die Erlebnisse auf der Pyrenäischen Halb- insel schildernd, vorliegt.

Diese Memoiren besitzen eine seltene Schärfe der Be- obachtung und haben viel zu dem Urteil beigetragen, das man jetzt über die Napoleonische Armee und die Ur- sachen ihrer Niederlagen, hauptsächlich in Spanien, fällt. Besonders interessant und geistreich ist die Vorführung der einzelnen leitenden Persönlichkeiten, die Brandt mit scharfer Kritik zeichnet, sowie seine Beobachtungen über Sitten und Zustände des spanischen Landes und Volkes, Klares Denken, Belesenheit und reiche Kriegserfahrung, das sind die besonderen Merkmale des für die Geschichte und zur Belehrung so überaus nützlichen deutschen Memoiren werk es, wie es deren leider bei uns, im Verhält- nis zu unsern französischen Nachbarn, nur wenige gibt.

In kurzen Worten sei hier die Biographie des Ver- fassers zusammengefaßt. Heinrich von Brandt kam 1789 in Lakiin In Westpreußen, wo sich seine auf der Reise befindlichen Eltern vorübergehend aufhielten, zur Welt Mit 16 Jahren bezog er die Universität zu Königsberg in 281

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Ostpreußen, um auf Wunsch seines Vaters Rechtsgelehrter zu werden. Aber die großen politischen Ereignisse der damaligen Zeit interessierten ihn mehr als die staubigen, vergilbten Pandekten, und als das Unglück über Preußen hereinbrach und der König im Jahre 1807 eine Bekannt- machung erließ, die jedem jungen Manne von Bildung den Eintritt in die provisorischen Bataillone als Offizier ge- stattete, da war Heinrich von Brandt einer der ersten, die sich meldeten. Er trat als Fähnrich (damals die niedrigste Offizierscharge) in das 2. westpreu Bische provisorische Bataillon; doch sah er den Kriegsschauplatz in Preußen nie, da mittlerweile der Frieden von Tilsit geschlossen worden war. Das Unglück Preußens ging ihm zwar nahe, doch war er auch von der Größe Napoleons ergriffen; es schien ihm, „daß er alle Helden Plutarchs überflügelt und daß selbst Alexander und Cäsar ihm weichen müßten".

Die Schöpfung des Qroßherzogtums Warschau (1807) erfuhr Heinrich von Brandt aus den Zeitungen. Oleich- zeitig horte er durch die Briefe der Seinigen von der Lage der deutschen Bewohner, die nichts weniger als angenehm war. Denn um die Bewohner zu ängstigen, die noch Kinder oder Verwandte in Preußen hatten, ward das Räu- mungsrecht in Anwendung gebracht. Sein Vater riet ihm daher, den Abschied aus dem preußischen Heere zu nehmen, was der Sohn ungern tat. Er mußte indes ge- horchen und reichte sein Abschiedsgesuch mit der Be- gründung ein, er wolle sich „dem Dienst des neuen Landesherrn nicht entziehen".

Nachdem er einige Monate ohne Anstellung gewesen war, erhielt er eines Tages vom Marschall Davout, dem. Gouverneur von Warschau, den Befehl, als Unterleutnant in die ii engt bildete Weichs eil cgi on einzutreten. Mit diesem Regiment machte er von 1808 bis zum Frühjahr 1812 den Feldzug in Spanien mit und begab sich dann, ebenfalls mit der Weichs ellegion, nach Rußland. Auf dem verhängnis- vollen Rückzüge des französischen Heeres würde Brandt schwer verwundet, von den Russen gefangen genommen, 282

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und nach Moskau gebracht. Nach seiner Heilung wurde er als nissischer Untertan <ler polnischen Armee einver- leibt, in der er bis zur Rückgabe seiner Heimat an Preußen, 1815, blieb.

Darauf ward der nunmehrige Hauptmann als Lehrer in das Kadettenkorps und die allgemeine Kriegsschule nach Berlin berufen und 1829 zum Major im Oeneralstab ernannt. Seine Beförderungen gingen nun rasch vorwärts, und 1857 nahm er, nachdem er viele Ehrenämter bekleidet hatte, als General der Infanterie den Abschied, um sich ganz der Militär schrittst ellerei, die er schon in früheren Zeiten gepflegt hatte, zu widmen. Er wirkte auf diesem Gebiete noch ein Jahrzehnt und starb am 23. Januar 1868 in Berlin.

Seine Erinnerungen gab sein Sohn, der Major Hein- rich von Brandt, kurz nach dem Tode des Vaters, 1869 in zwei Bänden heraus; die zweite Auflage erschien 1870; 1882 folgte noch ein dritter Band. Auszüge aus den Feld- zügen in Spanien und Rußland wurden vom Baron Ernouf im Jahre 1877 ins Französische übersetzt.

Die Schreibweise Brandts ist teilweise mit veralteten und französischen Ausdrücken angefüllt, die sehr gut durch bessere, deutsche, ersetzt werden konnten, ohne der Ori- ginalität des Buches zu schaden. Ich habe dies in sehr vorsichtiger und beschränkter Weise getan und hoffe so zur Erleichterung der Lektüre des interessanten Werkes beigetragen zu haben.

F. M. K.

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1. Kapitel

Ankunft der Armee in Spanien. Schlacht vonjTudela 1808. Zweite Belagerung von Zaragoza 1808—1809

Unsere Ankunft in Pamplona fiel gerade in die Pe- riode der großen Operationen, welche Napoleon gegen die spanische Armee vorbereitete. Die Armeen von Estre- madura und Galicien waren bereits vernichtet. Marschall Lannes war von Burgos aus entsandt worden, um einen Schlag gegen die Armeen von Andalusien und Aragonien unter Castaüos und Don Jose Palafox1), die am Ebro standen, zu führen. Die beiden spanischen Generale waren voller Siegeszuversicht vorgerückt. Ihr Plan war, den Feind von allen Seiten zu umgarnen und gänzlich zu ver- nichten. Sie hatten Tudela bereits erreicht, aber in einer gewissen Selbstsucht, welche man oft in ähnlichen Fällen findet, es verschmäht, ihre Armeen zu vereinigen. Lannes, beauftragt, gegen sie zu marschieren, hatte das 3. Korps unter Marschall Mo ncey, die Division Lagrange des6.Korps und einige Brigaden Kavallerie zusammengezogen. Wir waren mit mehreren anderen Truppenteilen über Tafalla, Olite, Peralta auf Milagro dirigiert worden, wo wir unseren Regimentern einverleibt wurden. Nach nur kurzer Rast wurde nach Lodosa marschiert, in dessen Nähe das ganze Korps vereinigt war. Mein Regiment kam zur ersten

J) Siehe Anmerkung 12 des 1. Berichts und Anmerkung 10 des 2. Berichts. 284

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Brigade (Habert) der ersten Division (Grandjean) des 3. Korps.

Unser Marsch war zu eilig, um Betrachtungen zu gestatten. Zwischen Pamplona und Tafalla berührten wir den Schauplatz der Taten der beiden Minas'), den später so berühmt gewordenen Wald von Tafalla, welchen die Franzosen endlich ganz niederhieben, um den Spaniern die Gelegenheit zu Hinterhalten zu entziehen. Der Mar- schall Lannes hatte am 21. November seine Truppen von Lodosa auf Calahorra und Alfaro in Bewegung gesetzt, während Marschall Ney mit seinem, dem 6. Korps, dem Feinde den Rückzug auf Madrid abschneiden sollte, wenn Lannes gesiegt haben würde. Der Letztgenannte, der am 23. November schon lange vor Tagesanbruch die Kolonnen von ihren Biwaks in Bewegung gesetzt, rekognoszierte an der Spitze der von den Spaniern gefürchtefen polnischen Ulanen den Feind. Obwohl leidend, sprengte er rüstig vor dieser unübertrefflichen Truppe einher. Er fand den General O'Neil mit der Armee von Aragonien auf den Höhen von Tudcla, während Castanos mit der Armee von Andalusien über eine Meile davon bei Tarazona und Cas-

') Francisco Espol y Mina und Xavier Mina, Onkel und Neffe. Ersterer, geboren 1784, gestorben 1835, war Oberbefehls- haber der Armee von CatiLontai. Die militärische Kameic tiL-tr;it er eigentlich durch einen Zufall, Sein Neffe, Xavier Mina, geboren 1739, erschossen 1817, der mit 19 Jahren das Studium in Logrono aufgab, um ein Guerillaheer zu organisieren, fühlte bald, daß er dieser Aufgabe nicht gewachsen war und rief seinen Onkel zu sich. Bald darauf wurde Xavier gefangen genommen und Francisco ver- trat ihn als Führer der Guerillas. Von da an datiert sein mili- tärischer Ruhm. Die Art des Krieges, auf den er sich zuerst be- schränkte, bestand darin, die Straße von Bayonne bis Madrid scharf zu beobachten; er ließ in der Tat kein Detachement, keinen Transport vorüber, ohne ihn anzugreifen und führte dabei be- deutende Unternehmungen aus. Ebenso fügte sein kühner Neffe den Franzosen viel Schaden zu, besonders verbreitete er in der Provinz Navarra Schrecken unter den Feinden, weniger durch Waffentaten, als durch Grausamkeiten, die sich seine Leute zu- schulden kommen tieften.

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cantc stand. Der Marschall erkannte alsbald, daß es ihm möglich sein würde, die eine und die andere Armee zu schlagen, ohne daß sie einander zu Hilfe kommen könnten. Er warf sich daher mit der Division Maurice Mathieu und der Brigade Habert auf Palafox, sprengte dessen Zentrum und ließ durch diene Lücke die Kavalleriedivision Lcfebvre- Desnourttrs dringt n, ilrn rechlen Hügel des spanischen Generals attackieren, uml nötigte die heroischen Sieger von Zaragoza, wie die Spanier die Arationier nannlen, zur schleunigsten Flucht. D.inn führte der Marschall eint Frontveräiidcrune .ius. um sich auf Castanos zu werfen. Dieser aber tvarlrtr ilcn Angriff nicht ah, sondern zog sich SLhlfump.1 /urüik, worüber er späler von der Junta des Verrats angeklagt ward. Nur eine spanische Division, die von La Pena, die bei Bailen eine Rolle gespielt, kam zum Kampf, wt'^ei sie stark litt und gänzlich zersprengt ward.

Der Bericht gab an, daß der Feind 4000 Tote und im Ebro Ertränkte, 30 angespannte Geschütze mit den dazu- gehörigen Muiiitionswagen und viele Gefangene verloren habe. Unser Verlust soll nur 40 Tote und ein halbes Tausend Verwundete betrafen haben. Man folgte dem Feinde bis Alagon, von wo man sich aber wegen Mangel an Lebensmitteln wieder zurückziehen mußte. Der Weg bis dahin war mit Leichen bedeckt, welche die Luft noch wochenlang verpesteten, weil niemand daran dachte, die- selben zu begraben. Es waren größtenteils unmontierte Freiwillige, denen die verfolgende Reiterei keinen Pardon gegeben.

Die Schlacht hatte, alle Gefechte mit den verschie- denen Abteilungen eingerechnet, ziemlich vom Morgen bis zum Abend gedauert, ohne daß jedoch die einzelnen Truppenteile länger als ein bis zwei Stunden im Feuer gewesen waren. Die Brigade Habert, bei der mein Re- giment stand, die mit der Division Maurice Mathieu die Höhen von Tudela angriff, halte schon auf eine unglaub- liche Entfernung, als die Kolonnen noch in Marschordnung waren, einige Verwundete. Später jedoch, als man die 286

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vereinigten Voltigeure vorzog und diese durch Angriffs- kolonnen unterstützen ließ, blieb das hintere Treffen, in dem mein Bataillon sieh befand, so außer Berührung mit dem Feinde, dal! nur der Kanonendonner und ab und zu eine Kugel, welche über Jie Köpfe hinsauste, bemerken ließ, daß auch wir uns aui einem Schlachtfelde befänden. Die Spanier machten zwar, vom Terrain unterstützt, ab und zu Versuche, sich wieder zu formieren ; in dem Oliven- walde von Tudela selbst kam es zu einem lebhaften Ti- railleurgefecht, aber im allgemeinen war die Haltung des Feindes so erschüttert, daß die Vortruppen überall hin- reichten, die Entscheidung herbeizuführen. Das 3. Korps (Moncey) verfolgte die flüchtigen Aragonier auf der Strafte von Zaragoza, die Truppen von Andalusien wurden auf die Straße von Borj'a und Calatayud geworfen, doch kein Ney war da, um sie in Empfang zu nehmen, worüber im Lager viel gesprochen wurde. Das Hauptresultat der Schlacht war, daß etwa 28000 Franzosen eine spanische Armee von 40000 Mann, stolz auf die Ereignisse von Zaragoza und Baden, ohne sonderliche Anstrengung in Zeit von einigen Stunden gänzlich aus dem Felde geschlagen und auseinandergesprengt hatten. Die Einleitung der Schlacht und diese selbst waren so schnell und überraschend, daß mir von der ganzen Sache nur eine flüchtige Erinnerung geblieben.

Ich war zur Kompagnie eines Kapitäns Matkowski gekommen, der ein wackerer, braver Mann war und sich meiner freundlichst annahm. Selbst literarisch gebildet und unterrichtet er hatte früher in Krakau studiert , wäre mir sein Umgang gewiß sehr nützlich geworden, aber leider sollte er uns nur zu bald entrissen werden.

Wir hatten durch den weiten Marsch eine gewisse Kriegs brauch barkeit erlangt, und so hatte man sich nicht gescheut, uns den verschiedenen Regimentern, ich möchte sagen noch während des Marsches zur Schlacht, einzuver- leiben. Die Organisation des französischen Nachschub- systems war überhaupt so gut, daß man den Ersatz un- 287

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mittelbar nach seiner Ein rangierung kaum von den alten Soldaten zu unterscheiden wußte. Er hatte von den älteren Mannschaften vielleicht noch den Vorzug, dienstbeflissener als diese zu sein. Der Geist in den Regimentern der Legion war ein echt kriegerischer und ward durch die strenge Mannszucht, welche der Oberst Chlupicki1) aufrecht zu erhalten wußte, noch gehoben.

Die ersten Flüchtlinge vom Schlachtfclde waren schon 1 Stunden nach der Schladil in Zaragoza angekommen und hatten diese IS spanischen Leguas also beflügelten Schrittes zurückgelegt. Der Schrecken über die erlittene Niederlage war um so großer, als sie den Spaniern gegen alle Erwartung gekommen. Viele ßrwcjhner der Um- gegend, die sah den Franzosen feindlich bewiesen, eilten Sicherheit in Zaragoza zu suchen, und es sollen sich in den ersten Tagen nach der Katastrophe über 100000 Menschen, unter denen besonders viele Frauen und Kinder, daselbst befunden haben. Hätte man von Alagon, das wir am 27. erreichten, unsern Marsch auf Zaragoza fortgesetzt, so wäre unter den ersten Eindrücken des Schreckens ein Abkommen mit Palafox möglich gewesen ; indes Mar- schall Lünnes, die Seele des Unternehmens, erkrankte heftig, mußte das Oberkommando abgeben, und Moncey kehrte mit seinen Truppen aus Mangel an Lebens- mitteln, wie es hieß zurück, während Ney, voller Be- sorgnis, auf Castanos zu stoßen, in Borja Halt machte.

Den 30. endlich, nachdem der Kaiser seine Marschälle wiederholt energisch zum Vorgehen aufgefordert, er- schienen diese vor Zaragoza.') Als die Truppen der Stadt ansichtig wurden, brachen sie in ein lautes Freudengeschrei aus. Die Schlacht von Tudela und die eilige Flucht der Spanier hatte ihnen den Mut, welchen die früheren Er-

*) Joseph Chlopicki, polnischer General, 1771—1854, kämpfte von 1808—1811 in Spanien unter Napoleon.

») Dies war die zweite Belagerung von Zaragoza, vom 21. De- zember 1808 bis 21. Februar 1809; die erste hatte vom Juni bis August 1808 stattgefunden. 288

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eignisse sehr niedergeschlagen, wiedergegeben, und das treffliche Betragen der Division Lagrange und der Ka- vallerie, die aus alten, erprobten Soldaten bestanden, hatte sichtlich belebend auf den Geist des 3. Korps eingewirkt. Man war voller Siegeshoffnung. Als daher, statt frisch an die Arbeit zu gehen, bald darauf wieder der Rückzug nach Alagon angetreten wurde, äußerte sich eine allgemeine Unzufriedenheit. Ney hatte nämlich unmittelbar nach seinem Eintreffen von Zaragoza auf der Straße von Madrid den Befehl erhalten, die Zerstreuung des Korps von Ca- stahos zu vollenden, und kehrte demgemäß nach Cala- tayud, von wo er gekommen, zurück. Moncey, der sich schon des Monte Torrero bemächtigt hatte, ging, da er sich nach Neys Abmarsch für zu schwach hielt etwas zu unternehmen, wieder auf Alagon zurück, wo die Truppen biwakierten oder in den benachbarten Ortschaften küm- merlich untergebracht wurden. Mein Bataillon stand in Mallen in einem Kloster, von wo abwechselnd Detache- ments zum Vorpostendienst und anderweitige Kommandos abgegeben wurden. Von den Entbehrungen, denen die Truppen hier ausgesetzt waren, kann man sich kaum einen Begriff machen. Es war empfindlich kalt; entweder wehte ein kalter, scharfer Wind, der Land und Menschen erstarrte und austrocknete, oder es regnete in Strömen.

Die ganze Landschaft von Lodosa bis Zaragoza war mit Ausnahme Tudelas gänzlich ausgeplündert. Fenster- läden, Türen und das Hausgerät waren verbrannt; einzeln stehende Häuser waren niedergerissen, und wo die Truppen länger verweilt, hatte man die Oliven Pflanzungen zur Feuerung verbraucht. Die Einwohner waren meistens entflohen. In diesen ruinenartigen Oebäuden wohnten wir und lagerten auf dem bloßen Fußboden oder auf notdürftig ausgeschlagenem, halb gebrochenem Hanf. Von Stroh war, da die Spanier nach Art der Mauren das Getreide ge- winnen, keine Rede. Wer hier und dort vielleicht eine alte wollene Matratze erwischte, ward als besonders be- günstigt angesehen. Ebenso schlecht war die Verpflegung.

19 BuMT. Spin, Prtihtmkis.pf. 289

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Gewöhnlich waren die Brotportionen nicht ausreichend und wurden unregelmäßig geliefert, zu 1 bis 2, mitunter auch 3 Pfund. Fleisch erhielt man alle Tage, d. h.. etwa 30 Mann einen bereits geschlachteten Hammel, dessen innere Teile ganzlich lehlten ; dafür aber war er innen und außen oft mit einem grünen Schimmel überzogen. Ab und zu wurden weiße Bohnen und Reis geliefert. Wein war anfangs im Überflusse da, ebenso öl, aber bei der Unord- nung in allen Zweigen der Verwaltung gingen auch diese Artikel bald aus, und man war froh, wenn man später für Geld eine Flasche schlechten Wein erhalten konnte. Dabei war der Dienst im höchsten Grade angreifend. Die Truppen, die nicht anderweitig bi^ctiiifiigt waren, standen oft die Nächte hindurch unter den Waffen. Regelmäßig traten gegen Abend einige Kompagnien unters Gewehr, und um 3 und 4 Uhr morgens wurde dies auf die ganze Armee ausgedehnt. Die Waffen wurden dann nicht eher aus der Hand gelegt, bis die immer sehr starken Patrouillen zurückgekehrt waren. Die Zeit zum Abkochen war spär- lich bemessen. Unsere Soldaten ertrugen dies leidlich, die neueren französischen Regimenter aber, aus denen das Korps größtenteils bestand, hatten viele Kranke.

U ahrrnd wir io im Lager und in den Kantonnement* d:r Tage verlebten, wurde der nötige Bclagerungspark zu- sammengebracht. Das 5. Korps unter .Marschall Monier (Ifv'/og v.in Treviso), das in Spanien eingerückt war, hatte din Htlchl erhalten. si-!i auf Zaragoza zu dirigieren. Den l'l Dr/vmtifr br.uli die gar./e Armee gegen Zaragoza auf, iie ging zu hfidcn Seiten des T.bro und des Kaiser- kanals m mehreren Kolonnen vor. und nur einige tausend .Mann blichen auf der StnV von Tudela zurück, uin die lazarettc, Magazine und Verbindungen i\i decken. Den 20. Dezember nachmittags waren uir wieder angesichts der Stadt. Die Soldaten aber, durch die verschollenen vorher- gehenden Uuik/ugi «tut/ig gemacht, heben diesmal keinen Jtihel crsclialli n. man hörte im (irgeiueil hier und dort die Ansieht laut weiden, dali mar. morgen wohl wieder zurück- 290

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kehren werde. Aber man sollte bald sehen, daß es diesmal mit der Sache Ernst war. In der Nacht selbst hatte Mar- schall Moneey den Angriff auf den Monte Torrero vorbe- reitet. Nachdem einige Batterien am 21. früh das dort er- richtete Fori Buena Vista eine Zeitlang beschossen, ging die Division Grandjean zum Sturm vor. Die erste Brigade unter General Habert umging die Stellung, während die zweite einen Scheinangriff auf die Front machen sollte. Die erstere, bei der auch unser Regiment stand, kam hier an einen gewölbten Gang, den Baranco de la Muerte (Schlucht des Todes), über den der Kanal von Tudela fuhrt und den die Spanier verbarrikadiert Lind ;ui seinem Aus- gang stark besetzt hatten. Die französischen Voltigeure des 14. Regiments schössen, um die Besatzung zu verjagen, ohne sich sehen zu lassen, schräg in die Wölbungen, und da die Kugeln ebenso wieder abprallten, so wurde der Feind, der dies Feuer nicht erwidern konnte, vertrieben und verließ den Posten. Herr dieser Passage, drang der Genera! Habert auf dem linken Ufer der Huerba vor und stellte sich zwischen Monte Torrero und Zaragoza selbst auf. Der Feind, hierdurch für seinen Rückzug besorgt gemacht, verließ Buena Vista mit Zurücklassung einiger Geschütze. Auch fiel eine Fahne vom Regimente Murcia in unsere Hände. Im Zentrum nahm die Division Morlot den Brückenkopf der grollen Schleuse. Um II Uhr war man Herr der ganzen Position von Monte Torrero, welche die Besatzung bis aufs äußerste zu verteidigen versprochen hatte. Unser Verlust soll aus etwa 20 Toten und einigen 50 Verwundeten bestanden haben.

Abends verbreitete sich in den Biwaks die Nachricht, daß der Angriff auf die Vorstadt zun'icks-esdilagcn worden sei und die Franzosen dabei viele Leute verloren haben sollten. Diese Kunde machte einen um so schlimmeren Eindruck, als man wußte, daß die Division Gazan aus lauter Kerntruppen bestand. Auch sprach man davon, daß es durch das nicht zeitgemäße Eintreffen der Division Suchet auf dem ihr bestimmten Punkte der Garnison 19* 291

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von Monte Torrero ermöglicht worden sei, sich zurück- zuziehen.

Später abends ward die Division Grandjean auf der Straße von Valencia etabliert und hatte ihre äußersten Wachen am Ebro selbst. Sie stand mit der Division Mus- nier, die Monte Torrero und Umgegend besetzt hielt, in Verbindung. Die Division Morlot hatte ihre Stellung zu beiden Seiten der Straße von Madrid und lehnte sich an die Division von Suchet, deren Posten bis an den Ebro standen, so daß auf diesem Ufer Zaragoza vollkommen eingeschlossen war. Das Hauptquartier des Marschalls kam nach der Karthause la Concepcion, etwa eine Meile von der Stadt, auf der Straße von Valencia. Der Rücken der Belagerer war durch Kavallerie, die man meilenweit vorgeschoben hatte, gedeckt.

Den 22. ward ein Parlamentär nach der Stadt ge- schickt, und man erzählte sich, daß Palafox alle Anträge stolz zurückgewiesen. Während dieser Vorbereitungen schoß man sich tüchtig herum. Die benachbarten Bauern kamen in hellen Haufen zu jeder Tageszeit von allen Seiten heran und unterhielten ein lebhaftes Feuer, be- sonders um San Jose, während die Bewohner der Stadt die Olivenbäume vor der ganzen Front, vom Ebro bis zum genannten Kloster hin, abzuhauen bemüht waren. Auf Monte Torrero richtete der Feind ein starkes Feuer aus

Von diesem Zeitpunkt der Belagerung hörte die Ver- bindung unter den verschiedenen Lagern fast auf, man hörte nur ab und zu voneinander; vom andern Ufer erfuhr man fast nichts mehr. Alle Truppen waren auf einen ganz bestimmten Wirkungskreis, den vor sich, angewiesen. Nur wenn man beim Patrouillieren auf Kameraden der anderen Divisionen stieß, konnte man sich begrüßen und Nach- richten austauschen. Freilich hatten wir auch mit uns über- reich zu tun. Der Anfang der Belagerung hatte nach der 202

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Versicherung alter Offiziere insofern etwas Eigentümliches, als der Oiivenwald, in dem Zaragoza lag und der nur stellenweise bis auf Flintenschuß weite von den Werken gelichtet war, erst von den Feinden gesäubert werden mußte. Diese aber erschienen immer sehr zahlreich, lösten sich häufig ab und ließen unsern Soldaten keinen Augen- blick Ruhe. Unser Regiment verdankte es einem beson- deren Umstände, daß es dem Feinde nicht allein das Gleichgewicht halten, sondern sich ihm auch bald über- legen zeigen konnte. Es gab nämlich eine Menge Leute aus dem ehemaligen Neuostpreußen, aus den Brüchen des Narew, die vortrefflich mit dem Gewehr umzugehen ver- standen. Da mehrere der erschossenen Spanier bedeutende Summen bei sich hatten, so fanden diese Schützen bald so viel Vergnügen an dieser Menschenjagd, daß sie darin eine wahre Meisterschaft erlangten und unsere Front ziem- lich frei von den Insulten der aragonischen Bauern hielten. Übrigens war der Dienst unglaublich anstrengend. Zu den Belage rungs arbeiten allerart waren viel Menschen erforder- lich; das Einrichten der Lagerplätze nahm gleichfalls die Leute in Anspruch; hierzu kam der U/achtdien st, die täglichen Rekognoszierungen man kann sich also denken, wie angespannt wir waren.

Den 24. abends wurde ich zum Oberst beschieden. „Ich habe den Befehl erhalten," sagte er zu mir, „einen Offizier nach Alagon zu schicken, um dort alle zurück- gebliebenen Soldaten der Legion zu sammeln, diese in ein Detachement zu formieren und dies zur Disposition des Kommandanten dort zu stellen. Gelegentlich soll es mit den ersten Transporten von Lebensmitteln wieder zurück- kehren. Sie werden dort zugleich eine Zufuhr von Be- kleidungsstücken aus Pampig na erwarten und diese zur Ablieferung hierbei in Empfang nehmen. Sie nehmen von hier niemanden als Ihre Ordonanz mit und schließen sich einem Detachement des 14. Regiments, das morgen früh nach Alagon geht, an. Ich hoffe, Sie entledigen sich Ihres Auftrages zu meiner Zufriedenheit. Melden Sie sich bei 293

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Ihrem Vorgesetzten und reisen Sie glücklich hoffentlich sehen wir uns bald wieder."

Ich kann wohl sagen, daß mir dieser Auftrag sehr unangenehm war. Der Ad jutanf major, dem ich meine An- sicht hierüber mitteilte, sagte mir aber, dafi dieser Dienst zu den Kommandos de fati^ut- gehöre, welche reglements- mäßig von unten anfingen, und daß ich als jüngster Offizier des Regiments mich daher schon fügen müsse.

Am 19. Januar 1809 langte ich im Lager wieder an und ward freundlich empfangen. Einige Kameraden nahmen mich in ihre Hütte auf und teilten ihre Vorräte, die eine längere, gereiftere Erfahrung sie hatte sammeln lassen, mit mir. Sozusagen unter dem Feuer der Festung gelagert, hatte man sich, so gut es ging, eingerichtet. Die höheren Offiziere waren in den Trümmern niedergeschos- sener Garten- und Winzerh.Huser untergebracht. Offiziere und Soldaten lagerten in Erdhütten, nach Bedürfnis größer und kleiner. Es waren vier Fuß tiefe, längliche Erdlöcher, die man flach überdacht und mit Baumzweigen eingedeckt hatte. Später wurden aus der Stadt Bretter und Bänke herausgeschleppt, so daß es behaglicher bei uns aussah. Regnete es jedoch, so lagen wir wie in einem Pfuhle, und es bedurfte längerer Zeit und Umdeckungen, um einiger- maßen der Feuchtigkeit wieder Herr zu werden. Mit der Verpflegung war es wie früher. Sie ward jedoch dadurch erleichtert, daß eine Menge Menschen aus den franzö- sischen Baskenprovinzen mit Lebensmitteln herbeigeströmt waren, von denen man alles kaufen konnte. Der Dienst war noch immer sehr beschwerlich, mit unwesentlichen Veränderungen so, wie ich ihn früher geschildert habe.

In der Nacht vom 21. zum 22. Januar kam ich in die Tranchec auf Wache. Wir rückten mit der Reveille aus und wurden durch den daselbst kommandierenden Major verteilt. Ordonnanzen von den verschiedenen Regimentern führten die neuen Wachen auf ihre Plätze. Wenngleich ich schon oft bei Tage mit meinen Kameraden in der Tranchee gewesen war, so konnte ich mich dennoch nicht 294

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zurechtfinden. Ich hatte 25 Leute von meinem Bataillon bei mir. Rechts neben mir stand ein französischer Posten von 20 Mann, unter einem allen Sergeanten vom 14. Re- giment. Der gute Mann kam, unmittelbar nachdem wir die Wache bezogen, zu mir, um, wie er sagte, die Ver- bindung zu unterhalten. Er lud mich ein, ihn zu begleiten, um mich zu orientieren, und da er mir wohl ansehen mochte, daß meine Weisheit in diesen Dingen nicht weit her war, so übernahm er bald die Rolle eines, ich darf wohl sagen sehr verständigen Mentors.

Bei Tage war der Dienst in den Laufgräben eigentlich interessant. Es kamen alle Augenblicke Offiziere von hohem Rang: General Dedon6), der die Artillerie kom- mandierte, General Lacoste1) vom Geniekorps, der General der Trancheen, Habert'), und viele andere. Gegen Abend wurde das Feuer stärker. Nachts hatte man links von San Jose, nach der Huerba zu, einen Abstieg gemacht, um über dies Flüßchen einen Übergang zu gewinnen. Das Gehen und Kommen der Arbeiter und ihr Anstellen führte mannig- faches Geräusch herbei und veranlaßte den Feind, zu feuem. Doch die dunkle Nacht und der ziemlich starke Regen begünstigte uns, und wir hatten, trotz der Nähe der Stadtmauern, fast gar keine Verluste.

Gegen Morgen fing das Feuer an, von Santa Engraria, d. h. von unserer Linken her, stärker zu werden, und es

') Franfois Louis Ded on- Duelos, franzosischer Divisions- general,. 1762-1830.

E) Graf Lacoste, Brigadegeneral des Geniekorps undAdjutant Napoleons, war bei Zaragoza mit der Direktion der Bc lagern ngs- arbeiten beauftragt, wollt i er jjrclie Kiiti;:!:iit ai: 'wickelte. Am Tage vor der Obergabe wurde er von einer Kugel in den Laufgräben getötet

') Pierre Joseph, Baron Habert, 1773-1825, französischer Genera), befehligte im 3. Korps der Armee von Catalonien und Aragonien, aber obwohl er nur Brigadcgencral war, führte er fast immer eine Division an. Bei Zaragoza befehligte er verschiedene Stürme mit Erfolg und bemächtigte sich im.li Einschließung der Stadt des Monte Torrero durch tir. ^ujiVronii'iLilich kühnes Manöver, wobei ihm drei Kanonen in die Hände fielen.

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gab mehrere Verwundete unter unseren Arbeitern, wäh- rend meine Wache keinen Mann verlor, wenngleich mehrere Standsäcke von den Kanonenkugeln weggerissen wurden und die Flintenkugeln gar tüchtig über uns weg- pfiffen.

Mein alter Sergeant und Nachbar besuchte mich, noch ehe wir ins Lager zurückgingen, und riet mir, einige Stellen der Laufgräben, welche er mir näher bezeichnete, mit Vorsicht zu passieren, da sie nicht gut defiliert wären. Ich folgte dem Rate meines Mentors und fuhr gut dabei, denn an einer dieser Stellen wurde später ein Offizier, der unvorsichtig gewesen war, erschossen.

Den 23. ward ich zur Reserve kommandiert. Das Ba- taillon, bei dem ich stand, mußte 24 Stunden in Bereit- schaft bleiben und durfte nicht abhängen. Im Lager selbst herrschte Unruhe und Besorgnis. Man sprach davon, daß die Belagerung wohl wieder aufgehoben werden könnte. Die Armeen von Valencia und Catalonien, hieß es, hätten sich vereinigt und seien im Marsch auf Zaragoza, abends verb rettete sich jedoch die Nachricht, Marschall Lannes sei angekommen und werde das Kommando übernehmen. Das gab den Franzosen irischen Mut, und sie versicherten, daß die Dinge bald eine andere Wendung nehmen würden. Bis jetzt, hieß es, lütten das 3. und 5. Korps jedes in seinem eigenen Interesse gehandelt, das 5. hätte sich damit begnügt, den Brückenkopf zu blockieren und sich sonst wenig um die Belagerung gekümmert, deren ganze Last auf dem schwachen 3. Korps gelegen.

Gegen Abend hörte man von allen unseren Batterien ein lebhaftes Feuer, und wir erfuhren, daß dies zu Ehren eines Sieges geschehe, den der Marschall Victor über den Herzog von Infantado bei Ueles davongetragen.8) Diese Nachricht trieb eine Menge von Offizieren in die Tran- cheen, sei es, um zu sehen, was die Spanier tun würden, sei es, um etwas Näheres über das Gefecht zu hören.

*) Vergleiche Anmerkung 22 des 2. Berichts.

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Als ich mich einer Gruppe näherte, gewahrte ich den General Lacoste im Gespräch mit einem mir unbe- kannten Manne in grünem Überrock mit goldenen Knöpfen, ohne Degen. Beide hatten Fernrohre und schienen sich genau die Stadt anzusehen.

Aus der ehrerbietigen Stille, die man beobachtete, folgerte ich, daß der Fremde der Marschall Laiines sei, den ich bei Tudela nur flüchtig, in einen Mantel gehüllt, galoppieren gesehen hatte. Ich hatte mich nicht geirrt. Die ernsten Züge des noch jungen Marschalls machten einen lebhaften Eindruck auf mich ein Haarzopf, wie ihn die Chasseurs de la garde trugen, gab ihm einen eigen- tümlichen Anstrich. Nachdem er längere Zeit einiges mit dem General Lacoste gesprochen, was wir nicht hören konnten, sagte er verständlich, da ein heftiges Kanonen- und Gewehrfeuer von den Spaniern auf der ganzen Front eröffnet worden war, mit lauter Stimme: „Ons'estapercu de nous, allons nous en", worauf er durch die sich ehr- erbietig öffnende Gruppe schritt, ohne jedoch unsere Grüße zu erwidern. Unter stetem, anstrengendem Dienst schleppten sich die Tage dabin.

Am 26. Januar donnerten unsere Batterien den ganzen Tag gegen die Stadt die Spanier erwiderten dies Feuer, was uns aber wenig Schaden tat.

Abends spät verbreitete sich die Nachricht, daß wir an einem anderen Punkte der Belagerung große Vorteile errungen hätten, die auf den Gang der Begebenheiten wohl Einfluß haben würden. Diese Lagerneuigkeiten wurden in der Regel morgens bei der Maketenderin, einer braven, vortrefflichen Frau, ausgetauscht. Wir genossen hier unser Frühstück, das meistens aus einer Suppe von schlechtem Mehl, noch schlechterem Zucker und Wein und nur ausnahmsweise aus einer Tasse Schokolade bestand. Die Frau hatte sich aus Steinplatten, welche man aus der Stadt genommen, einen Herd gebaut, der mit Olivenholz geheizt ward. Eines Tages entdeckte jemand eine Inschrift darauf wir entfernten die Asche und fanden, daß es ein 297

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Leichenstein sein müsse. Er war halb zerbrochen, aber die Schlußworte: percussus morbo decessit qui intus jacet ließen keinen Zweifel. Seit dieser Entdeckung wurde jener Platz weniger besucht. Wir waren von Gefahren umgeben, und doch scheuten wir uns, auf einem Leiehensteine unser Essen bereitet zu sehen. Wunderbarer Kontrast in der menschlichen Natur!

Der 27. sollte in den Annalen der Belagerung als ein blutiger Tag bezeichnet werden. Morgens früh wußte man, daß General Vattier bei Alcaniz bedeutende Erfolge über die Insurgenten errungen hatte. Dann zeigte eine offizielle Bekanntmachung dem Korps an, daß Marschall Mortier an der Spitze der Division Suchet die Spanier bei Licinena geschlagen und die Ruhe in den insurgierten Teilen der Provinz wiederhergestellt habe.

Das Feuer, das vom Morgen ab gegen die Stadt statt- gefunden hatte, erreichte allmählich eine größere Stärke. Nach 9 Uhr traten die Regimenter, wie es hieß, zum Sturm an. 400 Voltigeure des 14. französischen und des 2. polnischen Regiments, unter Oberstleutnant Stahl, ver- sammelten sich hinter der Ölmühle, die unweit der Stadt liegt. Sie waren zum Sturm auf die Bresche, die in der Gartenmauer des Klosters Santa Moniea gelegt war, be- stimmt. Eine zweite, schwächere Kolonne sollte sich der Bresche in der Nähe der Batterie Palafox, dem Kloster San Jose gegenüber, bemächtigen. Eine dritte Kolonne wurde gegen die Casa de Gonzales, ein einzeln stehendes, aber mit der St;idt durch Werke verbundenes Haus, ge- richtet. Hierzu war ein Bataillon des Weichselregiments unter Oberstleutnant Bayer bestimmt. Außerdem sollte im Zentrum auf das Kloster Santa Engracia ein Sturm unter- nommen werden. Von den drei Angriffen auf unserer Front glückte nur der in der Nähe der Batterie Palafox. Man bemächtigte sich der Bresche und einiger Straßen in der Nähe.

Die Voltigeurkolonne unter Oberstleutnant Stahl ge- langte zwar bis zur Bresche, fand sie aber zu hoch, um

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sie mit Leichtigkeit in Masse ersteigen zu können, und erhielt, als ihr dies endlich doch gelang, so heftiges Ar- tillerie- und Flintenfeuer von allen Seiten, daß sie zurück- weichen mußte und nur auf der Bresche selbst eine kleine Verschanzung vorbereiten konnte. Die Voltigeure hatten Wunder getan trotz zweier Minen, die sprangen, voll- führten sie ihren Auftrag, aber sie konnten das Unmög- liche nicht leisten. Oberstleutnant Stahl und ein anderer Offi/ier wurden schwer verwundet

Der Angriff auf die Casa Gonzales, bei dem ich per- sönlich mitwirkte, mißglückte gänzlich. Zwar erreichten wir das Gebäude und drangen in dasselbe ein, aber das Feuer, das wir von der nahen Stadtmauer erhielten, war so heftig, daß die Truppen die Casa wieder verlassen mußten. Der Oberstleutnant Bayer erhielt bei dieser Ge- legenheit einen Schuß durch die Backe. Mein braver Ka- pitän ward schwer verwundet und gefangen genommen; mit einem Zuge rechts detachiert, hatte ihm, ganz nahe dem Oebäude, eine Fiintenkugel ein Bein zerschmettert. Einige Soldaten hatten versucht, ihn zu retten, waren aber ebenfalls verwundet oder getötet worden, und erst als wir, ich kann wohl sagen recht unordentlich in die Laufgräben zurückeilten und uns wieder rangierten, vermißten wir ihn.

Marschall Lannes soll aus einer Batterie der Sache zu- gesehen und geäußert haben : „Qu'on avait trop demande de ces gens." Der Angriff auf Santa Engracia dagegen hatte einen glänzenden Erfolg gehabt, der größtenteils der ausgezeichneten Führung des Obe'rst Chlopicki zu danken war, wofür er vom Korpschef Junot, aus besonderer Anerkennung, zum Kommandanten des Klosters ernannt wurde. Zwar waren auch hier durch den übersprudelnden Mut einiger Offiziere frrtümer vorgefallen, die Menschen- leben genug kosteten ; aber man sah von allem ab, weil der Hauptschlag gelungen war. Die Spanier hatten be- deutende Verluste erlitten, man hatte ihnen viele Kanonen

ich glaube zwischen 15 und 18 genommen, gegen 600 Mann getötet und sich im Festungsgürtel festgesetzt;

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aber auch wir hatten gegen 100 Tote und Verwundete, worunter mehrere Stabsoffiziere. So jung und unerfahren ich auch war, so fiel mir spater doch manches in der An- ordnung des Ganzen auf.

Der Angriff auf den Garten von Santa Monica war von mehreren Seiten her flankiert, und die armen Volti- geure erhielten, als sie vorrückten, von vorne sowohl als auch von der Batterie Palafox und der Casa de Gonzales, also von beiden Seiten, Feuer. Dann war die Bresche sehr unzugänglich, und als die Tapferen dennoch nach großen Verlusten in den Garten gelangten, wurden sie dort von einem solchen Kugelregen empfangen, daß ein Fort- sehreiten zu den Unmöglichkeiten gehörte.

Der Angriff auf die Casa de Gonzales war zum min- desten übereilt. Zwar hatte man eine Art von Bresche geschossen, aber auch sie war fast noch unpassierbar. Sowie wir in das Hans uinilrinKeii, crliifltcn wir von allen Seiten her, von den Mauern der Stadt, aus den Stuben, aus allen Ecken und Winkeln des Hauses, so viele Schüsse, daß selbst die entschlossensten Leute nicht standhalten konnten. Wäre es mit der Wegnahme des Hauses abgetan gewesen, so hätte dies freilich erreicht werden können, aber das Festsetzen darin blieb un- möglich. Hätten alle Stürme zu einer bestimmten Stunde stattgefunden und besser ineinandergegriffen, so wären die Spanier nicht in der Lage gewesen, einander unter- stützen zu können.

Wahrscheinlich traten gegen den Befehl, wie es bei solchen Gelegenheiten immer zu geschehen pflegt, die so unheilvoll wirkenden Verzögerungen ein.

Abends bemächtigten wir uns, wenn auch nur für kurze Zeit, der Casa de Gonzales und fanden elf Leichen der Unseligen abscheulich verstümmelt in einem unteren Geschosse. Man hatte einzelnen die Hände abgehauen, anderen waren glühende Ladestöcke durch die Waden ge- steckt, an manchen schamlose Verstümmelungen verübt. Wenn es wahr ist, was ein Arzt wissen wollte, daß diese 300

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sich auf ihren Posten zu orientieren. Das Regiment, welches die Wache hatte und einen Angriff machte, mußte zugleich immer die Arbeiter geben, das abgelöste blieb als Reserve in der Stadt. So befand sich jeder Truppenteil auf einem bestimmten Terrain, was um so nötiger war, als die engen, winkligen Straßen, in denen die Spanier nur zu gut Bescheid wuBten, viele Irrungen und Verluste herbei- führten.

Am 28. wütete auf der ganzen Linie ein heftiger Kampf. Ich hatte an diesem die Wache in der Ölmühle, von wo man das Augustinerkloster und Santa Monica aus vier Morsern bewarf. Wenngleich aus jedem derselben alle Viertelstunden eine Bombe geworfen ward, so war ich doch am anderen Tage fast taub. Am 20. fand ein neuer Angriff auf letzteres statt aber auch dieser scheiterte.

Man schoPi Brefdii', s[irr:i^k' Mine auf Mine, aber man

kam nicht von der Stelle. Erst am 30. gelang es einer Grenadierkompagnie des 14. Regiments unter Hauptmann Hardy, sich des oberen Gartens und der Kirche selbst zu bemächtigen. Das Debouchicren scheiterte zwar einst- weilen, doch wurde ein Versuch der Spanier, das verlorene Terrain wiederzunehmen, abgewiesen.

Am 1. Februar durchlief die Nachricht, daß der General Lacoste, der das Indern eurkorps beim Angriff be- fehligte, durch einen Schuß tödlich getroffen und unmittel- bar darauf verschieden sei, die Lager wie ein Lauffeuer. Da war niemand, der des vortrefflichen Mannes Dahin- scheiden nicht mit Wehmut und einiger Besorgnis ver- nommen hätte. Kenntnisreich, durch und durch Soldat, 301

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Leutseligkeit mit weiser Strenge verbindend, verstand er, mit dem gemeinen Manne umzugehen und sich seine Liebe zu gewinnen. Wo er erschien, atmete alles Vertrauen und Hingebung, und jeder ging gern mit erneuter Kraft an die Arbeit.

Oberst Rogniat1), der spater durch seine Angriffe auf Napoleon in Frankreich so bciLichiigt geworden und durch seine „Remarques" in Deutschland seinerzeit eine ge- wisse Berühmtheit erlangt hat, war sein Nachfolger im Amt. Er war bei den Soldaten nicht so gern gesehen. Seine strengen Zuge, ein gewisses, ich möchte sagen vor- nehmes Übersehen der handelnden Individualitäten, be- sonders in den niederen Sphären, hatten ihm keine Zu- neigung verschafft.

Je tiefer wir in die Stadt eindrangen, eine desto ernstere Wendung nahm der Kampf. Es ward ein Bar- rikadenkrieg, bei dem nun Feuer von allen Seiten, aus den Kellerluken, den vermauerten und mit Schießscharten ver- sehenen Fenstern, uns allen Ll.igen und von den Dächern bekam. Da es unmöglich war, auf der Straße vorzudringen, sprengte man die I iiiuscr, \ u suchte sieh in den Trümmern festzusetzen und von hier dann vorwärts zu kommen. Als man sah, daß dies zu viel Menschen kostete, lud man die Minen schwach, legte nur die Wände nieder und ver- schaffte sich so den Eingang in ein Haus und drang dann, indem man die Zwischenmauern einsehlug oder mittels l'eurden öffnete, weittr vor. Line H;i Up [Sache, hierbei war es, sich sofort in den gesicherten Besitz des ganzen Hause5 zu setzen und sorgfältig die Umgebung zu untersuchen. Es kam vor, dal! die Spanier absichtlich ein Hans räumten, um es später, von günstig gelegenen Lokalitäten aus, um

») Baron Joseph Rogniat, 1767-1840; er schrieb „Con- sidtotions sur l'art de la guerre", Paris 1810, und widmete dies Werk Napoleon. Dieser versah es mit sehr scharfen widerlegenden Anmerkungen, woraul Rogniat mit der anonymen Schrift: „Response aux notes critiques de Napoleon, sur l'ouvrage inti(ul£: „Consj. ■Jerations, etc.", Paris 1823, antwortete. 302

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so nachdrücklicher beschießen zu können. Oft, wenn man sich in der ersten Etage bereits eingenistet hatte, erhielt man durch den Fußboden des zweiten Stockwerks oder vom Dache her plötzlich Feuer, oder es wurden Granaten von oben herunter geworfen. Die zahllosen Winkel in diesen Baulichkeiten alter Art gaben vortreffliche Gelegen- heiten zu Versteeken. Vorzugsweise waren die Dächer uns gefährlich. Die leichten Aragonier in ihren Bast- schuhen kletterten darauf wie Katzen umher, und oft, wenn man in einer bereits schon seit Tagen in unseren Händen befindlichen Lokalität ruhig an einem schwach glimmenden Feuer saß, erhielt man von irgendeinem Dache her ein paar Kugeln zugeschickt. Die Fensterläden waren gewöhnlich stark zerschossen. Es gab deren viele, die so durchlöchert waren, daß sie wie ein Sieb erschienen. Traf es sich nun so, daß die Spanier die eine, wir die andere Seite der Straße besetzt hatten, so lauerte der Tod, mau körnte sagen, an jedem Fenster. Sowie sich nur etwas rührte, schlugen ein paar Kugeln ein. Es gehörte eine wahre Kunst dazu, durch die labyrinthischen Verbindungen der zerstörten Häuser und durch die zahlreichen Hinter- halte, die sich überall befanden, sieh durchzuwinden.

Hatte man ein Haus eingenommen, so kam es vor allen Dingen darauf an, die Fenster und Türen mit Sand- säcken zu blenden, sich der Treppen zu versichern, Ver- bindungen zu eröffnen, sich mit einem Worte darin fest- zusetzen, bevor man daran denken durfte, weiter vorzu- gehen. Die Vernachlässigung dieser Vorsichtsmaliregeln führte gewöhnlich große Verluste herbei. Nachdem wir dies wiederholt gesehen, verbot der Marschall durch einen Tagesbefehl alle Scharmützel, gebot die größte Vorsicht und befahl besonders: „Qu'ä mesure, qu'on se sera em- par£ d'une maison, on s'y ctablisse avant de passer ä une aulre." Ebenso sollten die Truppen, die sich in den Ge- bäuden festsetzten, durch Reserven abgelöst werden. Die Sappeure und Mlneure waren es besonders, die sich hier in ihrer ganzen Glorie zeigten. Sie waren überall, wo 303

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Gefahr drohte: an den Spitzen der Sturmkolonnen, in den Kellern, wo der spanische Mineur arbeitete, auf den Dächern, wo feindliche Schützen lauerten, in Hausern, wo man die Petarden anhängte, Mauern sprengte, Kom- munikationen schuf usw. Die Soldaten hatten zu ihnen ein blindes Vertrauen, und wenn ich den verfehlten An- griff auf Santa Monica und die Casa de Gonzales aus- nehme, der viel besprochen und getadelt ward, so ist, glaube ich, diesem herrlichen Korps nichts vorzuwerfen. Man konnte die Schnelligkeit, mit der sie die Verhältnisse beurteilten, die Rüstigkeit, mit der sie an die Arbeit gingen, nicht genug bewundern. Sowie sie nur die Anzeige er- hielten, daß man irgendwo Geräusch hörte, waren sie bei der Hand. Hier ward eine Petarde angehängt, dort ward ein Sack Pulver hingelegt, nilig mit Sandsäcken verdämmt, mit Zündung versehen und, ehe man es erwartete, flog ein Stück Mauer in die Luft, stürzte eine Wand ein. Oft, wenn wir in ein Haus gedrungen, hier die Zwischenmauern kreneliert und mit Gewehren wie gespickt fanden und es aufgeben mußten, weiter vorwärts zu kommen, sprengten sie dergleichen Lokalitäten schon in die Luft, ehe man daran dachte, daß sie mit den Vorbereitungen dazu fertig sein konnten ; oder sie fanden .Mittel, die Verteidiger durch Granaten, ilie sie von oben her auf sie tierahrullon lieflen, zu vertreiben. Die größten Schwierigkeiten hatten sie zu überwinden, wenn es damit ankam, in den Fundamenten der Kirchen urd Kloster vorzudringen. Hier sah man sie ott stundenlang arbeiten, ohne daft sie von der Stelle kamen. Am meisten mullte man ihre Fertigkeit in Auf- ti.'idunr; «eeigntter Ansrkl.iTe hik'. Ililismittel bewundern, um den Feind aus vorteilharten Lokalitäten zu vertreiben. Kamen wir zum Beispiel an eine starke Mauer, hinter der man die Spanier wußte, sr> arbeitete man diese bis auf eine geringe Starke ah, stür/te sie dem Feinde urplötzlich auf den Kopf und drang im Oetümmel nach.

Als die Spanier sahen, dalt man ihnen s<> zusetzte, besonders ihnen mittels der Mineure tätlich näher rückte,

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kamen sie auf den Oedanken, die Häuser anzustecken und so unsere Fortschritte zu hemmen. Sie hingen überall kleine, in Harz getauchte Reisigbündel an Fenster, Tür- pfosten und Baikune und zündeten diese an, ehe sie ein Oebäude verließen. Dies war oft sehr nachteilig, ver- hinderte tagelang jeden Fortschritt und raubte uns eine kostbare Zeit, welche die Spanier anwendeten, sich ander- weitig festzusetzen. Glücklicherweise waren die Oebäude meist von Stein, und so konnte dies gefährliche Abwehr- mittel nicht in seiner ganzen Furchtbarkeit in Anwendung gebracht werden.

Bis zu den ersten Tagen des Februar waren auf unserer Angriffsseite attaque de droite trotzdem ziemliche Fortschritte gemacht worden. In der Nähe des Waisenhauses jedoch, das den Coso'°), die Hauptstraße Zaragozas, beherrscht, fanden wir den lebhaftesten Wider- stand, und erst nach' einigen Tagen ward es möglich, uns in einem Oebäude daselbst festzusetzen. Von meinen Leuten wurden dabei 7, von den mir zur Unterstützung gesandten Franzosen 8 getötet.

Der 7. Februar war für mich einer der fürchterlichsten Tage der Belagerung. Die Spanier hatten das Hospital des Waisenhauses verlassen, weil sie durch unsere Mi- neure, welche sie arbeiten hörten, in die Luft gesprengt zu werden fürchteten. Wir drangen auch bald nach aber der Anblick, der sich uns hier darbot, war schreck- lich. Wir fanden die Lagerstätten mit zwei und drei Toten, die an dem stark herrschenden Typhus gestorben waren, belegt, außerdem den Fußboden voller Leichname. Kaum hatten wir uns im Oebäude ausgebreitet, als die Flammen von dem einen Flügel her uns entgegen schlugen, und in einigen Augenblicken stand das Gebäude, da alle Vorbe- reitungen zum Feuer getroffen waren, in voller Olut. Es blieb nichts übrig, als diesen Ort des Schreckens alsbald wieder zu verlassen. Noch lange nachher, als das Hospital

») Die Hauntstrafle, welche die ganze Stadt durchzieht.

20 B.M7: Spin. FreiMIlfempf. 305

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niedergebrannt war, erfüllte ein brenzlichcr Fettgeruch, der um so unangenehmer auffiel, da wir wußten, was ihn bewirkt hatte, die Atmosphäre.

Der S.Februar verging unter dem heftigsten Kampfe, bei dem fast alle Truppenteile der Division mitwirkten. Ein Angriff auf den Coso, der viele Stunden lang hin und her schwankte, endete damit, daß wir, nachdem die Spanier gegen das Hauptgehäude, in welches wir uns eingenistet, Geschütze aufgefahren, ihn mit Verlust von mehreren Offizieren und vielen Leuten aufgeben mußten.

Was die Soldaten bei diesem erbitterten, grauenvollen Kampfe einigermaßen ermutigte, war der Umstand, daß sie auch ihre Kameraden auf den anderen Fronten in vollster Tätigkeit wußten und so die Möglichkeit vor sich sahen, den Feind immer mehr und mehr zu umgarnen.

Ein Versuch jedoch, uns schon jetzt mit der jenseitigen Attacke in Verbindung zu bringen, scheiterte gänzlich; denn der Angriff, den man von der Ölmühle her machte, um sich der Batterien der Vorstadt zu bemächtigen, ward blutig zurückgewiesen. Man hatte jedoch die Genugtuung, dal) unsere Truppen sich eines der Hauptpunkte auf dem jenseitigen Ufer, des Jesuitenklosters, bemächtigten.

Eine detaillierte Beschreibung des Kampfes zu geben, bleibt unmöglich es war ein ewiges Geknatter, durch Kanonenschläge und Minenexplosionen unterbrochen. Hier und dort schlugen helle Flammen auf, an anderen Orten versperrte ein dichter Rauch jede Aussicht Ver- wundete begegneten einander auf allen Kommunikationen. Aber daß der Angriff die Oherhand gewonnen hatte, ging aus allem hervor.

Zur Zeit dieser Ereignisse war ich mit 50 Leuten in der Nähe des Coso auf Arbeit. Wir waren beschäftigt, eine Barrikade zu bauen, um eine Verbindung von einer Reihe der Häuser der Straße zu der anderen herzustellen. Grenadiere des Regiments deckten uns, alle Fenster rechts und links waren besetzt. Plötzlich sahen wir Rauch, hörten ein gewaltiges Zischen und Rauschen, und unmittelbar 30o

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darauf erhielten wir aus nächster Nähe einige Kartätschen- schüsse. Die Spanier hatten uns gegenüber ein Haus ge- sprengt und von einem vorbereiteten Emplacement da- hinter uns beschossen. Alles ergriff die Flucht. Nur der Grenadierkapitan des Regiments, Ball, ein geborener Wol- hynier, ein Mann ohne jegliche literarische Bildung, aber von den gefälligsten Formen und allen als vortrefflicher Mensch und Offizier bekannt, mit dem ich gerade im Ge- spräch begriffen war, blieb stehen. „Sieh da!" rief er aus, „da lauft ja alles fori, auch die Herren Grenadiere!" Und dann schritt er ruhig, als wenn gar nichts vorgefallen wäre, auf die Verschanzung zu, neben der der Durchbruch auf die Straße angebracht war. Als wir uns demselben näherten, schob er mich mit den Worten: „Das ist ein Kommando de fatigue, das fängt von unten an, und da müssen Sie vorangehen," in die Mauerlücke hinein, sah sich dann nochmals um und folgte mir. Darauf ordnete er die Leute und machte ihnen Vorwürfe, ohne Kommando ihren Platz verlassen zu haben. Merkwürdigerweise hatten wir nur drei Tote und keine Verwundete, obwohl die Straße, auf der wir uns befanden, voller Menschen gewesen war. Ich legte auf die Sache keinen Wert, da ich ja nur meiner Pflicht streng nachgekommen war; aber sie sollte mir dennoch bald Früchte tragen, denn Kapitän Ball hatte mit großer Emphase von meinem Benehmen zum Obersten, bei dem er alles galt, gesprochen.

Während wir unserseits Fortschritte machten, war man auch auf unserer Linken rüstig vorgeschritten. Man hatte sich mehrerer wichtiger Punkte im Innern bemächtigt und näherte sich drohend dem Coso. Bei den Angriffen dort sprach man fast nur von Oberst Chlopicki, der bei Polen und Franzosen in gleich hohem Ansehen stand. Einige Offiziere seines Regiments waren von ihm entzückt, andere dagegen wußten nicht genug von seiner Heftigkeit und seinen Forderungen, das Unmögliche zu leisten, zu erzählen. Wir sahen ihn auch öfters bei der „Attaque de droite", wo ihn die Soldaten stets mit einer Art freudiger 20' 307

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Ehrfurcht begrüßten, während ihn die Offiziere, nament- lich die altrnn, ehen nii ht gern sahen.

Mit dem 12, Februar (inj; der Wideistami an weniger heftig zu werden. Der An;;: -if h.itti v.-;ikninmen die Ober- hand gewonnen, itr.ii nur ah und /u, in der Verteidigung einzelner Lokalitäten, zeigte sich noch die alte Hartnäckig- keit. Lin Sturm -iuf die Universität, den das J. Weichsel- rcgimi-nt unternommen, scheiterte, weil drei Minen, mit !5U() l'iunrt Pulver gela<len, keine Dreschen gemacht hatten. Sowie die Explosion erfolgt war, stürzten die zum Sturm bereit stehenden Kolonnen zum Angriff vor, aber die Gänge waren nicht weit genug geführt worden, die Trichter befanden sich vor dem Gebäude und die Soldaten, welche die Breschen suchten, gerieten dabei in ein heftiges Feuer und hatten einige vierzig Tote und Verwundete, darunter zwei Offiziere.

Nachrichten vom Anmarsch einer feindlichen Armee beunruhigten einige Tage lang die Belagernden, und Mar- schall Lannes marschierte selbst mit zwei Divisionen des 3. und einer Brigade des Belagerungskorps ab, um den Feind aufzusuchen. Ein Versuch der Spanier, unterdessen die Offensive zu ergreifen, führte zwar zu keinem irgend entscheidenden Resultate, jedoch verloren wir, besondere in dem blutigen Kampfe in der Calle de las Arcadas, sehr viele Leute. Die geringen Resultate, welche die Mineure gegen das Ende der Belagerung erzielten, ließen uns von den Kanonen einen größeren Gebrauch machen. Die Kom- munikationen wurden erweitert, man machte, um an Ort und Stelle zu kommen, ein Loch durch die Mauern und feuerte das Geschütz ab; unmittelbar darauf schloß man die improvisierte Scharte durch einen Wollsack. War die Kanone wieder geladen, so ward dann aufs neue gefeuert und so fort, bis man die Gegner verjagte. Bei einem Hause kam es vor, daß die Kugeln durch und durch gingen, und dennoch verließen es die Spanier nicht. Sie zogen sich in die zweite Etage zurück, logierten sich außerhalb der Schußrichtung und unterhielten von dort ein lebhaftes

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Feuer, daß es unmöglich blieb, vorzudringen. Jede Stunde brachte neue Schikanen, neue Gefahren.

Bis zum 18. änderte sich hierin nichts. Dieser Tag aber sollte die Entscheidung bringen. Marschall Lannes, von seiner Expedition zurückgekehrt, hatte, nachdem er schon früher den gewiß nicht genug zu lobenden Entschluß gefaßt, den Angriff auf die Vorstadt wieder aufzunehmen, diesen Tag zum Sturm bestimmt. Morgens um 8 Uhr etwa begannen die französischen Batterien auf allen Linien ein heftiges Feuer, das bis über Mittag währte.

Um diese Zeit drangen die Sturmkolonnen zum An- griff vor und bemächtigten sich nach einem lebhaften Kampfe auf den Straßen und im Innern der Klöster und Häuser der Vorstadt. Da eine Kolonne gegen den Aus- gang der Brücke gerichtet war, so war dem Feinde hier- durch der Rückzug abgeschnitten, und 17 Kanonen und gegen 3000 Gefangene gerieten in die Hände der Sieger. Die Anzahl der feindlichen Toten soll bedeutend gewesen sein; wir verloren nur einige 80 Mann.

Während die Division Gazan diesen Sieg jenseits des Flusses erfocht, war auf unserer Front der Kampf nicht minder heftig und entscheidend. Nach längerem, frucht- losem Kampfe am Coso und den anliegenden Straßen und Häusern wurden gegen 3 Uhr etwa zwei Minen unter der Universität, deren jede mit 1500 Pfund Pulver geladen war, gesprengt.

Drei Kompagnien von unserem und zwei vom 14. Re- giment stürzten sich sogleich auf die Bresche und be- mächtigten sich des großen Gebäudes, ohne daß die Spanier bedeutenden Widerstand geleistet hatten. Zu gleicher Zeit griff man, und zwar zum 16. Male, das Haus an, welches die Traverse vom Coso nach der Calle de las Arcades deckte. Der Feind verlieff auch dies fast ohne Schuß, so daß die ganze Unternehmung uns nur 12 Mann kostete.

Den Angriff auf diese Werke leitete Hauptmann Ball, dessen ich schon gedacht habe. Wir hatten auch hier Ge- 300

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legenheit, sein kalte? Blut, seine Ruhe und Umsicht zu be wundern. Er war, so oft er ins Qefecht kam, auf dat sorgfältigste gekleidet. „Die Schlachttage," wie er sief etwas emphatisch ausdrückte, „sind Festtage, und ai diesen muß man auch festlich gekleidet erscheinen."

Ich bekam nach Beendigung des Kampfes, bei den uns acht Kanonen in die Hände fielen, meinen Platz mi 40 Grenadieren in einem Hause, der Pucrta del Sol gegen über, angewiesen. Das Feuer war bis spät abends sehi heftig. Die Soldaten jedoch, durch die längere Erfahrung über das, was sie zu tun und zu lassen hatten, unterrichtet wußten sich bald Schutz zu verschaffen. Ich hatte nui einen Toten, einen alten Sergeanten, der, etwas ange trunken, sich unnütze Gänge machte und trotz aller meinei Warnungen sich ganz zwecklos bloßstellte. Der letzt* Schuß, der in der Dämmerung fiel, tötete ihn.

Die Resultate dieses Tages erfüllten uns mit Hoff- nung, denn wir hatten einen tüchtigen Schritt vorwärts gemacht.

Der Kampf schleppte sich in den nächsten Tagen in derselben Art wie bisher fort. Das Geknalle aber nahm, besonders unserseits, stets zu. Man nahm das Kloster de la Trinidad und drang bis zur Puerta del Sol vor; gleiche Fortschritte machte man im Zentrum, von wo man ebenfalls bis zum Coso gelangte und steh festsetzte. Abends cr/ahlle man, cn- S|iHiiirr hallen auf Kapitulation angetragen. Da man jedoch mit den Arbeiten fortfuhr unc am 2D. längs der Häuserreihe ar:i Lbro vorging, so nahm man dies uro SO mehr für eine* der vielen Gerüchte, die im La«et umliefen, als Mirs.hall Lannes selbit hier er whirii und die Arbeiten lie schleunigen ließ

Vom jenseitigen Ufer her hatte man Bleiche in ein Haus gelegt, das eine Barrikade vnn der Brücke her übei den f-'bro verteidigte, bine Kompagnie des 3. Wrichsel regiments sollte auf Befehl des Marschalls das Gebäude wegnehmen. Sie mußte /u diesem Behuf eine Strecke von fast '.iuri Schritten an der Sladtmauer, die der Feind n:>ch J10

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besetzt hielt, unter einem starken Feuer zurücklegen. Ehe sie ihr Ziel erreichte, war ein Drittel der Mannschaft tot oder verwundet Haus und Barrikade waren jedoch nur von wenig Leuten besetzt, und bald wurde mit Hilfe einiger Sappeure eine Verschanzung geschaffen. Die Lage des Detachements war nichtsdestoweniger ungemein ge- fährlich. Von allen Seiten vom Feinde umschlossen, ohne gesicherte Rückzugslinie, durfte man mit Recht für dasselbe die größte Besorgnis hegen; aber ein Waffenstillstand, der gegen Abend eintrat, überhob uns aller Sorge. Wenngleich das Feuer auf allen Seiten schwieg und nur hin und wieder einige Schüsse fielen, so brachten wir dennoch die Nacht wie gewöhnlich in alter Aufmerksamkeit, und ich möchte sagen, wachsamer denn je zu. Viele glaubten, daß die Spanier nur die Möglichkeit gewinnen wollten, irgendeinen Schlag auszuführen, daß sie wahrscheinlich Nachricht von einem heranrückenden Entsatz hätten ; andere versicherten, sie würden nur eine neue Verteiili.ifini^li:ii« einnehmen, was um so mehr Glauben fand, als man Feuer an mehreren Orten auflodern sah, um unsere Fortschritte zu hindern.

So legte jeder, nach Charakter und Gefühl, sich die Sache aus. Alle aber erwarteten, die Waffen in der Hand, mit Spannung den Anbruch des Morgens. Alle Befürch- tungen, alle Besorgnisse waren umsonst gewesen. Wir waren Herren der Stadt, wenn auch noch aus mancher Schießscharte sich uns ein Gewehr entgegenstreckte und ein trotziges „atras" („zurück") erschallte.

Am 2f. um Mittag traten wir im Paradeanzug unters Gewehr, um an der Puerta del Portülo, einer Gegend der Stadt, welche ganz verschont geblieben war, die Garnison die Waffen strecken zu sehen. Ich darf wohl sagen, daß unsere Truppen noch immer einen imposanten Anblick gewährten. Dem Paradeanzug sah man die Entbehrungen und Leiden, welche wir durchlebt hatten, nicht an. Die halb verbrannten und zerrissenen Mäntel waren auf den Tornister gerollt, die schöne Sonne aber ließ die hellge- putzten Waffen im vollsten Glänze erscheinen.

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Unser Marsch zur Parade war beschwerlich, denn die Stümpfe abgehauener Ölbäume, schlechte Brücken über die Huerba und kleine Wasserrinnen unterbrachen ihn jeden Augenblick. Kaum waren wir angelangt, so erschien auch Marschall Lannes mit seinem Stabe; er ritt langsam die Front entlang, ohne ein anderes Wort zu sagen als „Corrigez l'alignement", die Fahnen aber ehrfurchtsvoll begrüßend. Wir hatten vielleicht schon eine Stunde ge- standen, ehe die Spanier kamen. Einige üutzend Jungen, vielleicht von 16—18 Jahren, mit roten Kokarden an den Hüten, in grauen Mänteln, ohne Montierung, stellten sich uns gegenüber, Zigaretten rauchend, auf. Dann kam ein Haufen erwachsener Leute, allmählich mehrte sich die Menge, Offiziere auf Maultieren und Eseln, in dem wunderbarsten Anzüge, alt und jung, Greise und Kinder in Montierungen und Baucrnkleidern, alles bunt durch- einander. Man sah sämtliche Völkerschaften Spaniens ver- treten : Aragonier, Navaresen, Castilianer, Valencianer, Catalonier, Andalusier usw., wie solche in der Armee bei Tudela gemischt gewesen waren, in Wuchs und Haltung sowohl, als in Tracht unendlich verschieden. Die Offiziere zeichneten sich fast nur durch lange und werte Mäntel, dreieckige Hüte und ab und zu durch dicke Zöpfe vor ihren Leuten aus. Von Ordnung war nicht die Rede. Die Spanier standen in kleinen Gruppen vor dem Kloster der Capuchinos descalzos an der Puerta del Portülo, beim Castillo de la Inquisition, auf der Straße nach Alagon, rauchten, schwätzten miteinander und schienen von allem, was sie umgab, gar keine Notiz zu nehmen. Wo sie die Waffen streckten, konnten wir von unserem Standpunkte nicht sehen. Wir fragten nach Palafox aber es hieß, er sei krank.11) Von den anderen Führern nahm man keine Notiz. Man kannte nur diesen einzigen Namen. Nachdem wir so länger gestanden, brachten französische Soldaten

]1) Just Palafox war Kommandant von Zaragoia während der Belagerung. 312

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noch eine Menge Leute aus den Häusern herbeigeschleppt, und es regnete hierbei Kolbenstöße, weil die Armen nicht den besten Willen, sich fortführen zu lassen, zeigten. End- lich setzte sich General Morlot mit dem 116. und 117. Re- giment, welchen die Eskorte der Gefangenen nach Frank- reich übertragen war, in Bewegung. Die ganze spanische Garnison, vielleicht 8—10000 Mann, wenn es hoch kam, defilierte an uns vorüber. Wir alle waren über den ge- ringen soldatischen Anstand, über das Aussehen und die Bekleidung erstaunt, freilich mochten wir dies mit einem anderen Maßstäbe messen, als die Spanier. Unsere Soldaten äußerten taut, daß man sich solcher Kerls wegen nicht hätte in Paradeanzug zu werfen brauchen. Manche tadelten, daß man mit dem Lumpenpack eine Kapitulation abgeschlossen, es wäre besser gewesen, wenn man sie des Beispiels wegen bis auf den letzten Mann nieder- gemacht hätte, man würde schon sehen, wohin unsere Sanftmut führe.

Nach der Beendigung des Vorbeimarsches kehrten wir ins Lager zurück, von wo aus eine Menge Leute in die Stadt gingen und bald mit Beute allerart beladen zu- rückkamen. Zwar war der Eintritt verboten, die Tore waren besetzt, aber die Soldaten kannten zu genau jeden Weg und Steg, als daß man den Befehl hätte durchführen können. Überdies waren sie zu sehr voller Erbitterung, als daß sie dergleichen „Promenades en ville", wie es die Franzosen nannien, hätten verhindern sollen. Abends fand man im Lager Wein vollauf, in jedem Kessel steckte ein tüchtiges Stück Speck, Reis und Bohnen fand man Säcke voll bei den Kompagnien. Dazu kam eine doppelte Ration an Fleisch die Soldaten schwelgten diesen Abend und die nächsten Tage.

Den 22. ward ich nach der Stadt kommandiert, um Wein zu empfangen. Wir gingen durch eine Kommuni- kation an der Puerta Quemada über den Platz der Santa Magdalena, nach der Calle major, wo in der Nähe des Klosters St. Jago der Empfang stattfinden sollte. Die An- 313

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Ordnungen waren jedoch so schlecht getroffen, daß abzu- sehen war, wir würden noch unter vielen Stunden nicht herankommen. Ich bemerkte hier zum ersten Male selbst, wie wesentlich Ordnung beim Verteilen der Lebensmittel ist, und wie Soldaten sogar bei allgemeinem Überfluß, durch unzweckmäßige Anstalten Mangel leiden und zu Exzessen hingerissen werden können.

Ein Offizier, der schon die erste Belagerung der Stadt mitgemacht und hier verwundet worden war, forderte mich auf, einen Abstecher in die nächsten Straßen zu machen. Da wir uns auf unsere Unteroffiziere verlassen konnten, so ließ ich es mir nicht zweimal sagen. Vor allen Dingen hatte die Kirche Nuestra Seüora del Pilar unsere Aufmerksamkeit aui sich gezogen. Wir beschlossen, uns also direkt nach derselben zu wenden. Wir fanden den Weg dahin sehr leicht, indem wir uns nur nach der Ebro- brücke, die vor uns lag, und von hier durch die Puerta del Angel längs des Flusses selbst nach der Kirche zu wenden brauchten, um dahin zu gelangen. Der Weg war durch Barrikaden gehemmt, sonst durch keine sonderliche Zerstörung bezeichnet. In der Gegend am Ebro aber ge- wahrte man die Verwüstungen, welche das Feuer der letzten Tage angerichtet. Ich werde den F.indruck niemals vergessen, als wir den Pht/ vor der Kirche erreichten. Wir fanden ihn mit Sargen, Leichen, betenden Frauen und Kindern ang.'fuilt. An rinzelnen Strllrn lagen 1f)— 20 Tote beieinander und übereinander merkwürdiger weise ge- wahrte ich keinen einzigen Geistlichen darunter. In einem Sarge lau ein alter, betaglcr Mann, in einer hlauen Mon- tierung mit rntsamtnen, reichte stickten Aufschlägen. Eine junge Dame von großer Schönheit und in ganz aufgelöstem Haar betete an seinem Sarge. Sie schien sich ängstlich nach jemand, vielleicht einem Geistlichen, umzusehen.

Als wir nach der Rückkehr zu unsern Leuten sahen, daß wir noch lange nicht an der Reihe waren, beschlossen wir unsere Wanderung fortzusetzen und begaben uns im Gefolge eines Piketts wieder in die Stadt Wir gingen 314

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durch die Calle de Toledo, nach dem Torre nueva. Ich glaube, daß hier alles zusammengedrängt war, was es Schreckliches gab. Unter den Arkaden lagen Kinder, Greise, Kranke, Sterbende, Leichen, Hausgerät, abge- magerte Haustiere, alles in einem bunten Gewirr durch- einander. Auf dem Platz selbst sah man zahllose Leichen, viele ganz nackt, wie sie Gott erschaffen, übereinander- liegen. Unter den Lebenden gewahrte man Jammerge- stalten aüerart namentlich flößten die abgemagerten Kinder Mitleid ein. Hier und dort loderte ein Feuer empor, um das kochend und bratend einige Leute saßen. Finster blickende, in Mäntel gehüllte Gestalten standen in Gruppen beisammen und brachen, als wir uns nahten, ihre Unter- haltung ab, ohne sonst von uns Notiz zu nehmen. Obwohl wir uns nur ganz kurze Zeit hier aufhielten, so erinnere ich mich doch noch heute des dort Geschehenen mit einer Art von Schrecken. Die Tausende von Toten um die große Schanze bei Moshaisk1») haben keinen solchen Eindruck auf mich gemacht, als das, was ich um Nuestra Sefiora del Pilar und hier gesehen.

Der von uns eroberte Teil der Stadt bot einen schreck- lichen Anblick dar. Von San Jose und Santa Engracia bis zum Coso war die Stadt nur ein Trümmerhaufen. Klöster, Kirchen, öffentliche und Privatgebäude waren durch die Bomben zerschmettert, ein Raub der Flammen geworden, oder in die Luft gesprengt. Alle Straßen bis zum Coso hin waren durch Barrikaden unzugänglich gemacht, die Kom- munikationen nur durch die Gebäude möglich, von denen viele, besonders die Klöster und Paläste, zu Unterstützungs- aufstellungen der Truppen eingerichtet waren. Man hatte in manchen mit ellenlangen Buchstaben die Benennungen angeschrieben, hier und dort waren Wegweiser angebracht, weiche die Richtung nach den verschiedenen Posten be- zeichneten. Die Säle waren von der Hand der Soldaten mit

1!) Während des russischen Fcldzugs in der Schlacht bei Boro- dino, am 7. September 1812.

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grotesken Zeichnungen in Kohle, auch mit Inschriften aller- art versehen. So prangten zum Beispiel im Refektorium des Klosters San Josef, das ganz erhalten war, folgende Worte, die von allen Franzosen, die lesen konnten, beim jedesmaligen Passieren dieser Lokalität laut wiederholt wurden:

„L'amour et la m . . . . sont deux canailles L'une gäre les coeurs et l'autre les murailles." Solches war biichstiiblidi wahr, den» der Nahe war alles so verunreinigt, daß man kaum gehen konnte.

Eine Belagerung hat das Eigentümliche, daß sie Vor- gesetzte und Untergebene in die nächste tägliche Berüh- rung bringt. Unter den Generalen waren es besonders Marschall Lartnes und General Junot, die unsere Auf- merksamkeit fesselten. Laim es besuchte die verschiedenen Posten öfters, hatte Augen für alles, und die Soldaten wußten, daß er gewöhnlich auch irgend etwas fragte. Die Franzosen schwärmten für ihn ; die Polen betrach- teten ihn zwar nicht mit ungünstigen Blicken, aber ohne jede Sympathie diese hatten sie nur für Oberst Chlo- picki, und wenn er, was oft der Fall war, bei uns erschien, obwohl er eigentlich sein Kommando beim Mittelangriff hatte, so strahlten alle Gesichter. Richtete er vollends ein: „Wie geht's euch, Jungens?" an sie, dann war alle Welt entzückt. Doch dehnte sich der Zauber, den er auf die Soldaten ausübte, nicht auf die Offiziere aus. Gegen diese war er streng, unerbittlich im Punkte der Disziplin und ab und zu wohl gewalttätig. Durch den scharfen, schneidenden Ton im Befehl und die Sparsamkeit seines Lobes hielt er alles in einer gewissen Entfernung. Man warf ihm vor, daß er einzelne Lieblinge hätte, gegen die er manchmal schwach wäre, aber dabei gestand man doch ein, daß er brave, tüchtige Leute nach vollstem Verdienste würdigte. Von einer sehr bedeutenden Persönlichkeit, welche durch ihre ganze Haltung und Erscheinung impo- nierte, war er sicher, überall Achtung, wenn auch nicht Hingebung zu erwerben. 316

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Junot kam abends öfters in die Biwaks, setzte sich auf die Trümmer oder auf ein Stück Holz und plauderte hier mit den höheren Offizieren. Seine Unterhaltung war echt soldatischer Natur; frei und offen in seinen Meinungen und Ansichten, äußerte er sich unverhohlen über alles, was ihm gerade einfiel, und „betist", „maraud", „pcquin", mit einigen noch energischeren Ausdrücken verbunden, waren Worte, die nicht lange auf sich warten ließen. Ein Stabsoffizier des Regiments, der mehr seiner Verstandes- kräfte und Kenntnisse als seiner militärischen Tüchtigkeit wegen Ruf hatte, meinte schon damals, daß er verrückt sei. Ich entsinne mich noch deutlich, wie er eines Tages, als der General lange am Fenster gesessen und räsoniert hatte, bei dessen Weggehen äußerte: „Aber wie ist es möglich, daß dieser Mann, der total toll ist, noch ein Armeekorps kommandiert?" Merkwürdigerweise aber hielt man den guten Major, der dies Urteil fällte, für ebenso närrisch, als er Junot selbst.

Eine hervorragende Stellung unter den Generalen nahm auch der General Habert ein; ein stark bebarteter, tätiger und entschiedener Mann, von martialischer Haltung und etwas brüsken Manieren, den aber die Soldaten gerade deswegen gem hatten. Ich erinnere mich in bezug auf ihn einer merkwürdigen Szene. Wir waren durch eine Kommunikation auf eine Straße gelangt, hatten nach der gegenüberstehenden Häuserreihe eine Barrikade gebaut und diese hoch mit Sandsäcken bedeckt, um von ihr aus feuern zu können. Die Passage aber unter dem ganz nahen Feuer der Spanier war gefährlich und man mußte sich sehr bücken, um nicht gesehen zu werden. Der General, ein großer Mann, mußte dies natürlich mehr, als ein anderer. Als nun eines Tages Habert hier die Posten revidierte und sehr gebückt hinter der Barrikade wegschlich, rief einer von den in der Nähe stehenden Soldaten ganz laut: „Tiens! les g£n£raux ont done peur aussi!" Da kehrte sich der General schäumend vor Wut um, packte den Unglücklichen, der dies gesagt, mit beiden 317

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Händen und zog ihn, sich dabei hoch in die Höhe rich- tend, aus seinem Versteck hervor. Im Nu fielen eine Menge Schüsse, der Soldat erhielt deren gewiß 4—5 und sank entseelt nieder, während der General mit einer leichten Kontusion am Arm davon kam. Dann gab er dem blutigen Leichnam mit einem „f . . . . consent" einen Stoß mit dem Fuß und ging ruhig weiter. „Parbleu," sagten die Franzosen, „le general a bien fait, c'etait une infamie de dire cela d'un general comme celui-lä!"

Der Qeneral Leval, ein kleiner, schwächlich aussehen- der Mann, hatte in keiner Weise etwas Auffallendes in seinem Wesen dabei war er sehr freundlich und ohne alle Ostentation, trug immer einen grauen Überrock und ward deswegen von den Soldaten der „Müller" genannt.

Grandjeans16) Persönlichkeit ist mir nicht mehr deut- lich erinnerlich, er gab auch das Kommando ab, ohne recht eigentlich viel in Berührung mit den Truppen ge- kommen zu sein. Was mir bei den Generalen auffiel, war deren öftere persönliche Teilnahme am Gefecht. Man sah Junot, Habert, Oberst Chlopicki, selbst Marschall Lannes Gewehre nehmen, „et changer leurs coups de fusil avec l'ennemi", wie die Franzosen es nannten. Dem Marschall Lannes hätte solch ein Versuch einmal fast das Leben gekostet. Nach der Eroberung des Klosters Jesu nämlich war ein Spanier in den Trümmern versteckt geblieben und hatte von hier aus auf den Marschall geschossen. Er- grimmt hierüber, ließ Lannes sich ein Gewehr auf den Boden des Gebäudes bringen, zugleich mehrere andere in Bereitschaft halten und feuerte auf den Feind herab. Dieser richtete eine Haubitze gegen das Dach und eine Oranate tötete den Ingenieurhauptmann, der neben dem Marschall stand, ohne daß dieser sich jedoch in seinem Beginnen stören ließ. Nachdem er lange gefeuert, verließ er seinen

"> Charles Louis Dieudonnf Oral drandjean, 1768—1828, irai!/(;ai<thi'r ("h-ru-rjil, k: ii!ir;in:lirrtr ln'i ikr üi:!ji;i.Turij; vun 7.:i\j- goia 1800 ein holländisches Korps. 318

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Posten wieder, ebenso ruhig, als wenn gar nichts vorge- fallen wäre.

Ich weiß nicht, ob dergleichen den Funktionen höhe- rer Befehlshaber sehr entspricht, aber ich glaube, daß ab und zu, besonders wenn die Soldaten anfangen, matt zu werden, und deren Oeduld zu sehr auf die Probe gestellt wird, es wohl angebracht ist, ein Beispiel von Entschlossen- heit und persönlichem Mute zu geben.

Am 24. Februar hielt der Marschall seinen feierlichen Einzug in die Stadt Gemischte Kommandos bildeten vom Tore bis zur Nostra Santa del Pilar Spalier. Lannes war wie alle in voller Paradeuniform und hatte den Marschall Mortier neben sich, die anderen Oenerale, mit Ausnahme Junots, kamen hinter ihm. Von Adjutanten und Offizieren zu Pferde dicht umgeben, ritten die Herren bis in die Nähe der Kirche. Hier angekommen, saßen sie ab, wurden von der Geistlichkeit, den Bischof von Huesca an der Spitze, die ihnen aus der Kirche entgegentraten, empfangen und bis vor den Altar geführt. Die beiden Marschälle nahmen in zwei Lehnstühlen vor demselben Platz; ein dritter, an- geblich für Junot bestimmt, blieb leer. Unter dem gewöhn- lichen Spektakel und Getrommel, das einen französischen Gottesdienst begleitet, begann die Messe, welche mir in ihrem Rituale bedeutend von der unsrigen abzuweichen schien. Als beim Emporheben der Hostie das Getrommel wieder begann, fuhren die guten Spanier größtenteils er- schrocken zusammen und sahen einander betroffen an, als sie aber gewahrten, daß die beiden Marschälle und deren Gefolge sich andächtig verneigten, schienen auch sie wieder Mut zu fassen. Nach der Messe leisteten alle Behörden dem König Joseph den Eid der Treue, und der Erzbischof hielt eine Rede über das Unglück, das Zaragoza betroffen. So gut ich auch meinen „Guide de conversation espagnole" innehatte, so verstand ich von dieser Rede ebensowenig, wie wahrscheinlich der größte Teil der Anwesenden. Auf die Spanier schien sie einen tiefen Ein- druck zu machen. Ein Tedeum zu Ehren des französischen 319

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Sieges, das der Bischof hierauf anstimmte und das unsere Kanonen begleiteten, mochte dem Unbefangenen fast als eine Entweihung des Heiligtums erscheinen. Die Soldaten sahen darin aber eine Demütigung für die Anmaßung der Spanier, dem Kaiser und seiner Armee haben widerstehen zu wollen.

An einem der folgenden Tage ward Palafox, der, als die Kapitulation abgeschlossen wurde, in einem Souterrain der Casa de los gigantes krank daniederlag, abgeführt. Er wurde auf einem Teppich, der mit einem weißen Laken bedeckt war, herausgetragen und auf einen mit vier starken Maultieren bespannten, mit Malratzen versehenen Wagen gehoben. Als man ihn herausbrachte, schlugen die Tam- boure ; der Trompeter der 25. Dragoner, die gleichfalls zur Eskorte gehörten, blies, die Truppen präsentierten; ein Adjutant des Marschalls ging mit dem Hut in der Hand neben dem General. Er sah krank und leidend aus, schien auf niemand zu achten, und auch die Spanier nahmen keine besondere Notiz von dem Manne, der die Stadt nicht zu retten vermocht hatte.

Wir hatten 52 Tage vor Zaragoza gelegen und davon 23 mit dem Straßen- und Häuserkampf zugebracht Wir sollten etwa 3000 Menschen verloren haben, ungerechnet die Tausende, die in den Spitälern gestorben waren. Der Verlust der Spanier die mitgezählt, welche der Typhus dahingerafft hatte soll sich auf 53 600 Mann belaufen

Der Ruf, den diese Belagerung erlangt hat, hat sich über die ganze Welt verbreitet. Aber es ist merkwürdig, daß man hierbei nur den Verteidigern den Ruhm zuer- kennt, der doch recht eigentlich den Angreifern gebührt

13000 Mann, denn stärker war das Belagerungskorps nicht, hielten eine große, kriegerische Stadt mit einer 30 000 Mann starken Garnison belagert, drangen unter den größten Beschwerden und den eigentümlichsten Verhält- nissen bis in die Mitte Zaragozas vor und zwangen es zur Kapitulation. 320

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Die Stadt war durch Lage, Bauart und durch die wenn auch nur improvisierte Befestigung ziemlich stark. Etwa 80 Klöster innerhalb derselben, sowie mehrere größere Gebäude bildeten wahre Zitadellen. Unter diesen Um- ständen hat eine ernstliche Verteidigung doch nicht viel Befremdendes. Die Übertreibung, mit der man in jener Zeit von der Tapferkeit der Spanier sprach, hatte ihren Grund in dem allgemeinen Hasse gegen die Franzosen und sah daher in dem Widerstande der Spanier ein nach- ahmungswürdiges Beispiel.

Merkwürdig war der Ingrimm älterer französischer Offiziere gegen die ganze Art und Weise, wie man sich hier schlug. Als ich einst, ich glaube im Augustinerkloster, auf Wache war, brachte man einen Qrenadierhauptmann, einen Monsieur Hardy, der einen sehr guten Ruf hatte, tödlich verwundet getragen. Da wir befreundet miteinander waren, so trat ich an die Bahre heran und sagte ihm, daß ich hoffe, bald wieder mit ihm im Dienst zu sein. „Ah non, mon jeune ami," antwortete er, „den est fait de moi je sens dejä la mort dans mes entrailles mais je suis au de"sespoir de me voir tue par ces gredins de brigands pourquoi ne suis-je pas tombe' ä Eylau ou ä Friedland, en combattant avec des gens dignes de nous?" und flu- chend und wetternd gegen die Naches und Carajos trug man ihn weiter. Die Hand, die er mir beim Abschied reichte, war eiskalt, und am anderen Tage schon ward die Leiche des tüchtigen Mannes der Erde übergeben.

Das Regiment verblieb bis zum 6. März im Lager. Exerzieren, Paraden, Entsendungen füllten die Zeit reich- lich aus. Doch blieb auch Muße genug, die Punkte auf- zusuchen, wo wir beim Angriff am meisten gelitten hatten. Wohl drängte sich manchem unter uns nun die Betrach- tung auf, daß vieles hier und dort wohl anders hätte ange- fangen und vollendet werden können, aber so groß war die Zucht, in der wir erzogen waren, daß wir hierüber kaum laut zu urteilen wagten. Wenn ich jetzt alles recht erwäge, so war es sowohl hier wie an den meisten anderen

21 B*M7: Span. Frahtilskimpl. 321

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Orten der gewaltige Geist Napoleons, welcher alles trieb und belebte. Seine Marschälle, besonders aber seine Gene- rale, Divisions-, Brigade- und Regimentskommandeure waren so eingeschüchtert, daß sie den Tod einer Abberu- fung oder Rüge vorzogen. Freilich harrten ihrer auch große Belohnungen und Auszeichnungen, und somit unter- nahmen und wagten sie auch alles, was im Bereiche der Möglichkeit lag.

Wie sehr aber den Kaiser selbst die Belagerung jener Stadt beschäftigte, geht wohl daraus hervor, daß er am 6. März 1809 an den Kommandanten des Geniekorps der französischen Armee in Spanien, General Lery, den Befehl erließ, alles hierauf Bezügliche zusammenzustellen, um für ähnliche Fälle als Muster zu gelten.

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2. Kapitel

Ausmarsch aus Zaragoza mit der Brigade Habert. Gefechte gegen Perefia. Besetzung von Monzon. Rückzug auf Barbastro. Rückmarsch nach Zaragoza. Schlacht von Santa Maria (15. Juni 1809). Schlacht von Belchite (18. Juni 1809). Verfolgung des Feindes auf Alcaniz.

Am 5. März erhielt ich für meine Person den Be- fehl, mich mit einem kleinen Kommando nach El Burgo zu begeben, einem Flecken eine Meile von Zaragoza auf der Straße nach Fuentes gelegen. Wenngleich ich schon voraussetzen konnte, daß es dort nicht viel zu tun geben würde, so hatte ich doch keine Idee von dem, was ich wirklich fand. Im ganzen Ort war nur eine alte, halb blinde verrückte Frau, die von Almosen der Soldaten lebte sonst kein lebendes Wesen als Katzen, die man überall umherschleichen sah. Die Häuser waren geplündert und entsetzlicher Schmutz, welchen die Kavallerie, die hier während der Belagerung gehaust, zurückgelassen hatte, machte den Aufenthalt noch unangenehmer. Glücklicher- weise aber sollte mein Exil nicht lange dauern. Am 6. nachmittags kam nämlich ganz unvermutet unsere Brigade hier an, um Alcaniz, gegen welches angeblich bedeutende feindliche Kräfte in Anmarsch sein sollten, zu besetzen, und mir ward Befehl, mich dem Regiment wieder anzu- schließen. In der Nähe des nicht unfreundlichen, der Zer- 21*- 323

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Störung entgangenen Fuentes, auf dem einst die Qrafen dieses Namens gehaust, deren einer dem großen Conde bei Roeroy erlegen, bezogen wir das Biwak. Am anderen Tage setzten wir unsern Marsch über San Per fort und langten vor Alcaiiiz am Guadalupe, einem nicht unbedeu- deutenden, durch ein Kastell beherrschten Städtchen an. General Vattier hatte sich während der Belagerung wieder- holt mit den Valcncianern herumgeschlagen, wobei dann der Ort viel gelitten hatte. Zwei Kompagnien unseres Bataillons, darunter die meinige, wurden nach der soge- nannten Zitadelle verlegt, in deren hohen Räumen Äolus sich mit allen Winden ein Rendezvous gegeben zu haben schien. Feuer konnte man nur in einzelnen Winkeln im Schloßhofe machen ; Licht anzuzünden, seihst wenn man es gehabt, wäre unmöglich gewesen. Wir froren wie in Sibirien, denn das Holz, das wir geliefert erhielten, reichte kaum hin, die kärglichen Rationen zu kochen. Wir sehnten uns ins Lager vor Zaragoza zurück und hätten uns lieber mit dem Feinde herumgeschlagen, als hier der Ruhe zu pflegen.

Eines Tages hatte mich die Kälte schon früh heraus- getrieben. Ich stand mit einem Kameraden an der Brüstung einer Mauer, und wir starrten schweigend in das Guadalupetal herunter. Da hörten wir auf einmal Trommelschlag und sahen ein Detachement von einigen zwanzig Mann, durch einen Offizier geführt, erscheinen, das einen Spanier, dem man die Hände auf den Rücken gebunden hatte, eskortierte. Etwa 100 Schritte von dem Fuße des Berges, auf dem das Schloß lag, machte das Detachement Halt der Spanier kniete nieder, neun Sol- daten stellten sich ihm gegenüber auf, und auf ein gegebe- nes Zeichen des Offiziers streckten ihn die Schüsse der Leute nieder, worauf das Detachement unter Trommel- schlag seinen Rückweg wieder antrat und den Leichnam liegen ließ, der erst in der Nacht, weiß Oott von wem, ab- geholt ward. Ich hörte hinterher, daß der Unglückliche erschossen wurde, weil man ihn unmontiert, mit den Waf- 324

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fen in der Hand, gefangen genommen hatte und daß er, wie man ihm die Augen verbunden, noch mit einem Fluch gegen die Franzosen „Viva Fernando VII!" gerufen habe. Leider habe ich gar manche Hinrichtungen dieser Art mit ansehen müssen, bin jedoch so glücklich gewesen, nie eine zu kommandieren.

Nachdem wir über 14 Tage in unserer Äolsburg zu- gebracht halten, erhielt das Regiment Befehl, im Verein mit einigen Kavallerieregimentern gegen Morelia aufzu- brechen. Die Valencianer, die von dorther in Anmarsch waren, wichen jedoch bei dem Herannahen dieser Ko- lonnen wieder zurück, und man begnügte sich, Monroyo und Val de Algorfa, nachdem sie vorher leider geplündert waren, zu besetzen. Mein Bataillon kehrte nach Alcaniz zurück, erhielt jedoch diesmal als Quartier in der Stadt ein finsteres, feuchtes Kloster angewiesen. Wir standen hier ebenso schlecht wie im Biwak. Vieie Soldaten be- kamen das Fieber ich selbst hatte mehrere Anfälle zu überstehen, wurde jedoch durch unseren wackem Doktor Qulicz, der ein wahrer Freund seiner Patienten war, bald wieder hergestellt

Auf die Nachricht, daß sich in den Gebirgen an der Cinca und dem Segre starke feindliche Massen unter dem General Perefia gebildet hätten, erhielten wir in^er zweiten Hälfte des April Befehl, dahin aufzubrechen. Wir traten den Marsch beim besten Wetter an und fanden in Caspe am Ouadalupe das 3. Regiment unserer Legion. Von dort ging es, nachdem wir auf einer hölzernen gebrechlichen Brücke den Ebro passiert hatten, nach Penalva, Fraga, Belver auf Monzon an der Cinca, einem nicht ganz unbe- deutenden Ort, der durch ein Kastell beherrscht wird. Die Brigade setzte am anderen Tage ihren Marsch auf Bar- bastro fort, zwei Kompagnien des Regiments aber unter dem Befehl des Kapitäns Solnicki blieben als Besatzung in Monzon. Ich, obwohl von einer anderen Kompagnie, ward ihm als Adjutant und Platzmajor beigegeben. Mein Chef war ein alter Soldat, einer jener „gens non lettres", 325

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wie sie Napoleon nannte, verstand aber sein Metier vor- trefflich. Er sah wohl ein, daß ohne den Besitz des Kastells seine Stellung sehr gefährdet sein würde, und besetzte also nur dieses, ließ die Stadt während des Tages durch eine stärkere Wache hüten und hielt den nahen Olivenwald durch Patrouillen rein. Zugleich ließ er sich Lebensmittel auf zehn Tage im voraus liefern. Wir fanden im Kastell zehn bronzene Kanonen und zwei Mörser, deren Lafetten aber zertrümmert waren. Das Pulver hatten die Spanier in die Zisterne geworfen, doch enthielt eine Art Zeughaus eine Menge Material. Die Kasernen waren in nicht ganz schlechter Verfassung. Nachdem wir uns vergewissert hat- ten, daß nirgends geladene Minen vorhanden waren, be- zogen wir unsere Burg. Mir wurden die Quartier- und Ver- pflegungsgeschäfte übertragen sowie das Aussetzen der Wache bei Tage und die Patrouillenumgänge bei Nacht. Der Alkalde (Bürgermeister), ein Mann in den besten Jahren, war ein entschiedener Gegner der Franzosen, aber dabei verständig, und trug der Gewalt der Umstände klüg- lich Rechnung. Es war daher auch leicht, mit ihm fertig zu werden. Mir kam hierbei ein kleiner Umstand zu Hilfe, der mich in etwas nähere Beziehungen zu seiner Familie brachte. Bald nach unserem Einrücken nämlich hatte ich gegen Abend noch mit dem Alkalden zu sprechen und begab mich daher ohne jede Begleitung direkt in sein Haus. Ich fand in dessen Vorhalle die ganze Familie. Der Vater spielte die Gitarre und sang einzelne Strophen aus Volksliedern, echt spanisch vielleicht, aber ziemlich schlecht. Auf eine Frage, ob ich auch musikalisch sei, nahm ich die Oitarre, die ich schon auf der Uni- versität gespielt hatte, schlug einige Akkorde an, sang dann ein kleines deutsches Lied und fügte einige Stanzen aus polnischen Krakowiaks hinzu. Beides schien dem Papa und den beiden Töchtern zu gefallen, und Seüor Don Enrique, d. h. raeine Wenigkeit, war hiermit völlig eingeführt, konnte kommen, wann er wollte, und war jedesmal willkommen. 326

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Die Verpflegungsg es chatte gingen hierbei ihren guten Gang. Der alte Kapitän hatte den Dienst in der Stadt und in der nächsten Umgegend organisiert. Bei Tage lugten vom Fort Offiziere mit einigen guten Fernrohren in die Umgegend. Kleine und gröbere Detachements durchstreif- ten den Olivenwald zu verschiedenen Zeiten und unter- hielten die Verbindung mit dem jenseitigen Ufer, wo im Fährhause eine Kompagnie sich militärisch logiert und be- festigt hatte. Nachts durchstreiften bald kleine, bald größere Patrouillen die Stadl, kamen an einem bestimmten Ort zusammen und kehrten dann gesammelt bald auf diesem, bald auf jenem Wege zurück mit einem Wort, mein alter Kommandant bewies, daß er ein tüchtiger Kriegsmann war. Der spanische General Pereha, der die nächste Umgebung besetzt hielt und in Tamarite stand, ward sogar einmal nachts von uns heimgesucht und mußte uns den Ort überlassen. Während eine Kompagnie die Verbindung mit Monzon unterhielt, blieb ich mit einem Detachement in der Stadt selbst. Wir unterhielten durch Zeichen allerart Gemeinschaft untereinander. Einzelne Ge- genstände, Olivenblätter, Streifen Papiers hatten ihre Be- deutung. Bauern und Bewohner der Stadt mußten so unsere Korrespondenz vermitteln, ohne daß sie von der Bedeutimg eine Ahnung hatten.

Doch war die Stellung zu gefährlich, und wir mußten sie bald wieder verlassen. Perena aber wagte nicht ein einziges Mal, uns anzugreifen, obwohl er, wie wir gewiß wußten, mit den Bewohnern in stündlichem Verkehr stand. Auf Anraten des Hauptmanns Wiganowski, der die eine der im Fort stationierten Kompagnien befehligte, machten wir einen Versuch, die im Fort gefundenen Geschützrohre wieder zu benutzen. Balken, Taue, Bretter waren im Ar- senal. Man nahm grobe Klotze, legte sie aufeinander und daraui die Rohre. Nach einigen lagen schauten den Be- wohnern au« den Scharten die Kanon enmundungen ent- gegen. Das Pulver, das man in die Zisterne geworfen, wurde gesonnt. Kugeln und Granaten waren im Fort, und 327

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so sicherten wir uns die Möglichkeit, wenigstens einigi Schreckschüsse tun zu können.

Die Gelegenheit hierzu ließ nicht lange auf sich war ten. Eines Tages gewahrten wir auf der Straße von Tama rite her, wo Perena stand, einen Zusammenlauf von Men sehen. Wir richteten sogleich einen 24-Pfünder gegen jen< Gruppe, feuerten ihn ab und man denke sich unsert Freude, als wir die Kugel in der Nähe aufschlagen sahen Wir waren hierbei mit aller Vorsicht zu Werke gegangen Die Leute hatten sich beim Abfeuern zurückziehen müssen und Hauptmann Wiganowski feuerte selbst mit der ai einer langen Stange befestigten Lunte ab. Zwar brannt< das Pulver vor und zischte, aber der Schuß erreichte docl das Ziel. Die Klötze natürlich und das Geschütz fieler beim Schuß um, aber der gute Erfolg, den wir gehabt ließ uns sogleich wieder an die Herstellung unseres Schieß- gerüstes gehen. Da wir die Schießscharten sofort geblendet hatten, so konnte man natürlich von außen nichts vor. unserm Tun und Treiben beobachten. Die Hilfsartille- risten, die von Zaragoza her verstanden, mit Geschüt; umzugehen, leisteten hierbei gute Dienste. Alle Welt be teiligte sich an der Arbeit, und der alte Kapitänkomman- dant selbst, der die Sache anfangs als Kinderei betrachtet hatte, sah später mit Freuden, wie wir alle Geschütze so „en batterie" brachten. Wir unterließen nicht, bei jeder Gelegenheit von unserem Geschütz Oeb rauch zu machen, und hörten hinterher, daß die Spanier uns deswegen auch mi belästigt gelassen hatten.

Eines Morgens, als ich wie gewöhnlich meine Runde durch die Stadt gemacht und die Wachen, die wir des Nachts immer zurückgezogen, wieder ausgesetzt hatte, ge- wahrte ich eine ungewöhnliche Menschenmenge vor des Alkalden Tür. Da ich in der Stadt bekannt und eine persona grata war, so trat ich ohne weiteres unter die Menge. Aus der Art, wie man mir Platz machte, erkannte ich schon, daß etwas Außergewöhnliches vorgefallen sein müsse. Die Haustür des Alkalden stand offen er selbst 323

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lag ermordet, durch die Brust geschossen an einem kleinen Fenster, dessen Laden er zurückgeschlagen halte. Die Damen klagten und weinten an der Leiche niemand wußte, wer den Schuß getan hatte. Es hatte jemand an das Fenster geklopft und des Alkalden Namen gerufen. Er hatte es geöffnet und war, von der Kugel getroffen, ohne einen Laut von sich zu geben, tot zu Boden gestürzt. Die Leute auf der Straße sahen die Sache im allgemeinen gleichgültig an. „Man hat ihn für einen Afrancesado ge- halten," flüsterten mir einige zu; andere meinten, ein Contraband ista, den er unlängst zur Rechenschaft gezogen, habe den Streich vollführt; mit einem Wort, jeder hatte eine andere Erklärung. Ein Priester, Verwandter des Hau- ses, den ich auch sonst schon dort gesehen hatte, über- nahm die Leiche und die Sorge für die Familie. Als ich gegen Abend wieder vorsprach, war das Haus verschlossen.

Anfangs hielt ich den Mord für persönliche Rache, des andern Tags jedoch blieben unsere Rationen aus. Wir schrieben dies dem Tode des Alkalden zu, und ich er- hielt den Befehl, mich mit dem Sindico und Escribano"), den beiden anderen Mitgliedern der Junta, zu verständigen. Als nun die Meldung kam, sie wären verreist, wußten wir, woran wir waren. Auf dem Wochenmarkt, der an diesem Tage stattfinden sollte, fehlten die Verkäufer, die wohl- habenden Einwohner waren abwesend man sah fast nur Frauen und Kinder geringerer Leute auf den Straßen. Als nun vollends am 6. der Befehl einging, am 7. das Kastell und die Stadt zu verlassen, die Cinca zu überschrei- ten und mit der im Fahrfiause stationierten Kompagnie vereint nach Barbastro zu marschieren, konnten wir mit Sicherheit auf ein ernstliches Zusammentreffen mit dem Gegner rechnen.

Dies sollte auch wirklich stattfinden. Nachdem wir am 7. morgens sehr vorsichtig die Stadt und die Umgegend abpatrouilliert hatten, wurden die Kranken und die Bagage

") Syndikus und Amtsfchreiber.

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unter einer Bedeckung von einem Offizier und 25 Mani abgeschickt Kaum hatten sie die letzten Häuser der Slad hinter sich, als ein starkes feindliches Detachement si angriff, einige Saumtiere niederschoß, sich eines Teile der Bagage, darunter der meinigen, bemächtigte und da Bedeckungskommando nötigte, sich gegen die Cinca zu rückzuziehen, wo es eiligst die dort vorhandenen Fähre: zum Übersetzen benutzte. Nachdem wir von unsen Kastell zu guter Letzt nach allen Seiten hin unsere Ka nonen abgefeuert hatten, rückten wir gleichfalls in di Stadt, um uns von dort gegen den Fluß in Bewegung z setzen. Schon bei den ersten Häusern erhielten wir Feuei das uns bis zum Ausgang der Stadt begleitete, aber wundei barerweise nur sehr geringen Schaden tat. Im Olivenwal war der Kampf heftiger; wir warfen jedoch den Feini kräftig zurück und konnten unsern Marsch fortsetzen, mir ward der Auftrag, den Rückzug gegen die Cinca z decken und die Arrieregarde zu bilden. Als ich mich nac einiger Zeit anschickte, dem Gros zu folgen, ward ich let halt gedrängt und im eigentlichen Sinne des Wortes gege; das Ufer geklemmt.

Hier jedoch gab mir das Terrain Gelegenheit zu eine energischen Verteidigung. So oft der Feind auch gegej mich vordrang, mußte er mit Verlust zurückweichen, un ich konnte zuletzt meine Leute ruhig und ohne Ober eilung einschiffen. Da ich jedoch der letzte sein wollte, de die Fähre bestieg, so ließ ich sie erst abstoßen, versäumt beim Nachspringen den richtigen Moment, fiel hierbei in Wasser und mußte durch meine Leute aus dem reißende Strom gerettet werden. Vom jenseitigen Ufer hatte ma die ganze Geschichte mit angesehen und überhäufte mic mit Lobsprüchen. Als mich aber der Kapitän fragte, warur ich denn nicht mit den anderen Soldaten ordentlich in di Fähre gestiegen sei, antwortete ich etwas hochmütig, ic hätte es wie Julius Cäsar machen wollen. Kaum hart ich dies gesagt, so erhoben die Kameraden ein schallen des Oelächtcr. „Wohlan," sagte endlich einer derselben 330

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„Julius Casar, du wirst heute nacht tüchtig frie.en - unsere Bagage ist voran; du wirst für deinen unnützen Heroismus verdientermaßen hüften." Und er hatte recht - die Nacht war halt und feucht, der Marsch wurde oft unterbrochen, um Berichte der Seitenpatrouillen abzuwar- ten, und so kam ich halb erstarrt in liarbaitro an, wo wir die Garnison unter den Waffen und den ücneral unsert- wegen sehr in Sorge fanden. Wir erhielten unser Quartir-r in einem Kloster angewiesen, deren der Ort sieben neben einer Malteser Komturei hatte. Nachmittags ließ mich der Kapitän, ehemaliger Kommandant des I orts Monzon, rufen. „Ich nahe den Befehl erhalten," sprach er /u mir, „einen Bericht Über unsern Zur zu machen. Sie sind wohl so gütig ihn aufzusetzen und mir vorzulegen, liier sind Feder, linte und Papier." Ich nahm sofort Platz, gab eine kurze Skizze des Freignisses und fügte nur die Zahl der Toten und Verwundeten (ich glaube 14 16) hinzu. Als ich fertig war, mußte ich mein Opus dem Kapitän vor- lesen. „Sehr gut, lieber Brandt," sagte er, „aber Sie haben einige wesentliche Punkte übergangen," und nun fing er an, die Sache in einem sehr blühenden, aber weniger guten Stil zu erzählen, diktierte dies und das und machte aus unserm Zuge ein wahres Heldenstück. „Sehen Sie," fügte er mit einer Art Genugtuung hinzu, „so muß man einen Bericht machen." Für sich hatte der gute Mann darin den Weihrauch nicht gespart; von allen andern, die wahr- haft Anerkennung verdienten, war kaum die Rede. „Nun," sagte er endlich, „redigieren Sie die Sache und schreiben Sie sie dann ins reine." Nachdem ich ihm seine Arbeit vorgelesen hatte, lächelte er beifällig, unterzeichnete mit einiger Mühe und regalierte mich mit einer Tasse „Cafe au lait", den ich seit Pamplona nicht mehr getrunken hatte.

Am andern Tage üe8 General Habert die Offiziere der Garnison von Monzon auf der Parade versammeln, überschüttete den Kommandanten des Forts mit Lobes- erhebungen über seine schöne Führung und gratulierte uns, einen solchen Chef gehabt zu haben.

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Am 12. früh brachen wir über Lastanosa nach Sari Rena auf, das wir am 13. erreichten. Wir biwakiertei wie gewöhnlich. Die Spanier verfolgten uns lebhaft, docl mit großer Vorsicht. Die Menge von Teilgefechten, dii sie uns stets an den günstigsten Orten lieferten, bewiesen daß sie das größere Engagement auf einen geeigneterer Zeitpunkt verschoben.

Wir fanden im Orte ein Marschbataillon, das von Zara- goza hierher dirigiert war, um den französischen Truppen- teilen einverleibt zu werden. Die Leute, obwohl neu be- kleidet und gut bewaffnet, machten dennoch keinen guten Eindruck. Wäre Mina auf sie gestoßen, er hätte sie ge- wiß auseinandergesprengt. Wir erfuhren hier viel über die Vorgänge in Aragonien und Catalonien, und diese Mit- teilungen waren nicht geeignet, den gesunkenen Mut der Leute aufzurichten. Am 14. dirigierten wir uns auf Rijena. Unterwegs überraschte uns ein Wolkenbnich. Pferde, Maul- und Lasttiere, selbst die Menschen wurden umge- rissen — die kleinen Bäche glichen reißender Strömen, und nur auf erhabenen Höhen fand man Schutz die ganze Brigade wirbelte chaotisch durcheinander. Glücklicher- weise dauerte das tollste Unwetter nicht lange, obwohl es stundenlang stark fortregnete. Es bedurfte längerer Zeit, ehe sich alles wieder ordnete. Die Gebirgsartillerie war für den Augenblick ganz gefechtsunfähig, und der fette Lehmboden so aufgeweicht, daß man kaum vorwärts konnte. Ich hatte eine so totale Auflösung einer Truppe noch nie gesehen und sollte Ähnliches erst in Rußland, wenngleich durch andere Verhältnisse bedingt, wieder er- leben.

Nach glücklich überstandenem Marsche fand beinahe die ganze Brigade in dem geräumigen Kloster von Sixena Quartier und gute Verpflegung. Nur Wein war wenig vor- handen, obgleich die Mönche der Abtei bei den Bewohnern im Rufe standen, gute Zecher gewesen zu sein.

Des andern Tages brach die Brigade früh gegen Al- colea an der Cinca auf. Man versuchte hier den Fluß iu 332

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passieren, aber da sich der Feind am andern Ufer in größerer Stärke zeigte und emstlich Miene machte, den Übergang zu verteidigen, so unterließ man es, schoß sich nur eine lange Weile resultatlos herum und biwakierte schließlich im Angesicht des Feindes.

Am 16. Mai setzten wir uns etwas früher wie gewöhn- lich, aber dennoch erst gegen 7 Uhr, auf Pomar an der Cinca in Bewegung, wo sich zwei kleine Fahren, von denen jede etwa eine gute halbe Kompagnie fassen konnte, be- fanden. Wir marschierten am Ufer auf, und unter dem Schutze einiger Kanonen begann man die Voltigeure des 74. und 116. französischen, des 2. Weichselregiments und die Grenadiere des 116. Regiments, zusammen 8 Kom- pagnien und 50 Kürassiere, überzusetzen. Die Sache ging rasch und gut vonstatten. Die Musketierkompagnie des 1. Bataillons war bereits auf der Fähre, als wir einen der Fährleute, der zum General geeilt war, von diesem unter heftigen Worten mit Fußtritten überhäuft sahen. Niemand wußte sich dies zu erklären, und erst später hörten wir, daß der alte, in seinem Geschäft routinierte Fährmann den General gewarnt hatte, nicht mehr Truppen übersetzen zu lassen, weil infolge eines im Gebirge nieder- gegangenen Wolkenbruches binnen kurzem das Wasser sehr steigen würde. Diese Meldung, die den General außer sich gebracht hatte, sollte sich nur zu bald bestätigen. Das Wasser wuchs urplötzlich und stürzte mit solcher Gewalt in das Flußbett, daß man eilen mußte, die bereits eingeschifften Musketiere wieder an Land zu setzen. Die Gewalt des Stromes rollte große Steine, Felsblöcke und Bäume vor sich her, riß die Taue der Fähre wie Bind- faden entzwei und überschwemmte bald die beiden Ufer in dem Maße, daß die Truppen dieselben verlassen mußten, um sich auf den Talrand des Flußbettes zu retten. Dabei war die Atmosphäre über uns noch ziemlich klar, und nur nach dem Gebirge zu war der Himmel geschwärzt und mit leichten kleinen Wolken bezogen.

Der General irrte am Ufer hin und her und suchte sich 333

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mit den bereits übergesetzten Truppen zu verständigen. Aber das Wasser übertoste seine gewaltige Stimme. Dann kam er auf die Idee, Granaten, die man entladen und mit Betehlen gefüllt hatte, hin überzuschießen. Aber auch dies mißglückte. Endlich wurden Freiwillige aufgefordert, über den Fluß zu schwimmen und mündliche Befehle zu über- bringen. Aber mehrere Mutige ertranken, noch' ehe sie die Mitte des Stromes erreicht hatten, und nur einer kämpfte sich bis zum Felsenriff durch die wütenden Gewisser; hier saß er einige Zeit, vergebens bemüht, sich durch Zeichen zu verständigen dann schienen ihn seine Kräfte zu ver- lassen und er stürzte in die Fluten.

Die übergesetzten Truppen entschwanden allmählich unseren Blicken, und wir bezogen, von dem stark herab- strömenden Regen durchnäßt, besorgt und traurig auf den Höben ein Biwak und brachen am andern Tage gegen Monzon zu auf. Dem Ort gegenüber angekommen, empfin- gen uns Flintenschüsse vom andern Ufer her. Ein lebhaftes Feuer führte zu nichts vergebens warf man Granaten, die Spanier blieben in ihrer Stellung, wenn man auch aus ihrem Feuer und ihrer Art des Kampfes deutlich entnehmen konnte, daß sie hier nicht stark waren.

Nachdem wir den ganzen Tag nutzlos vertrödelt hat- ten, ging es am 18. nach Barbastro zurück, wo wir ohne Widerstand einrückten. Am 20. aber, als ich auf Feld- wache war, sah ich von einer Gegend her, aus der wir den Feind erwarten durften, ein Detachement Kavallerie langsam und mit Vorsicht herankommen. Auf meine Mel- dung hiervon saßen unsere übriggebliebenen Kürassiere sogleich auf und gingen dem vermeintlichen Feinde ent- gegen. Groß war die Freude und Überraschung, als sie in ihm den Rest der am 16. übergesetzten Kürassiere fanden, die wir bereits verloren glaubten. Durch sie erfuhren wir das Geschick unserer Elitekompagnien. Tausend derbesfen Soldaten der Division waren eine Beute des Feindes ge- worden, und ich darf wohl hinzufügen : weil weder der kommandierende Offizier, uoch der General Habert selbst 334

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Einsicht genug besaßen, die rechten Mittel zur Rettung zu ergreifen.

Die Nähe Leridas, dessen starke Garnison die Mittel bot, schnell und unvermutet mit überlegenen Kräften auf dem Kampfplatz zu erscheinen und Perena und die un- regelmäßigen Truppen zu unterstützen, ließ es uns wün- schenswert erscheinen, jene beiden Städte in Besitz zu behalten. Trotzdem aber versuchten wir auf das jenseitige Ufer zu gelangen, recht als ob man das Bestreben an den Tag legen wollte, sich in die unangenehmste Lage von der Welt zu versetzen. Es wäre nichts natürlicher gewesen, als direkt nach Monzon zurückzukehren, sich hier der Fähre zu bemächtigen und überzusetzen. Wäre dann wirk- lich jene Wasserflut gekommen, so hätte dies, wenn man im Besitz des Forts und der Stadt gewesen wäre, nichts zu sagen gehabt. Die Garnison von Lerida, selbst im Verein mit Perefia, wäre nicht stark genug gewesen, der ganzen Brigade, von Kavallerie und Artillerie unterstützt, in dieser guten Stellung irgendwie gefährlich zu werden. So- bald sich dann das Wasser verlaufen, hätte man sich auch Barbastros wenigstens durch Öftere Besuche versichert. Jene unglückliche Katastrophe, die man den Elementen zugeschrieben hatte „subites crues, qui causent souvent la fönte des neiges ou les grands orages, et qui ont rendu de tout temps cette riviire dangereuse", sagt Marschali Suchet in seinen Memoiren war nur eine Folge der Unschlüssigkeit des Oenerals und der unzulänglichen Maß- nahmen der Führer. Hätte der Chef jener vereinten Elite- kompagnien sich, sowie er das Kritische seiner Lage er- kannte, schnell nach Monzon dirigiert, sich des Kastells dort bemächtigt, der wohlhabenden Stadt befohlen, ihm auf 6—8 Tage Lebensmittel zu verschaffen, was um so weniger Schwierigkeiten gehabt haben würde, als die Gefahr erst später offenbar ward, hätte sich General Habert gleichfalls schnell stromaufwärts begeben, Monzon gegenüber einige Bataillone und ein paar Geschütze gelassen und sich dann in einem reichen, auf dem halben Wege befindlichen 335

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Kloster mit dem Rest seiner Truppen aufgestellt, so hätten beide Teile die Ereignisse ruhig abwarten können. Die Bewohner jener Städte wurden in Abhängigkeit erhalten, die Umgegend aber verhindert, der Empörung zu offen die Hand zu bieten. So aber verlor General Habert seine Zeit ganz unnütz durch ein langsames Stromaufwärtsgehen. Der Kommandeur jener acht Kompagnien aber kam sofort, als er seine Lage bemerkte, auf die unglückliche Idee, sich nach Frankreich durchzuschlagen. Dem Aufstande und den Truppen Perenas hatte er noch erfolgreichen Wider- stand geleistet; dem Detachcmcnt regelmäßiger Truppen gegenüber, die ihm von Lerida entgegenrückten, war er nicht gewachsen. Erschöpfung und Mangel an Munition lieferten die braven Leute endlich in die Hände des Fein- des. Sie haben einige Jahre auf Cabrera15) und später auf englischen Pontons in Gefangenschaft geschmachtet Und sind erst beim allgemeinen Frieden in Freiheit ge- setzt worden. Die Niedergeschlagenheit über diesen Un- fall war allgemein. Namentlich litt der Oeneral Habert außerordentlich darunter. Als wir Monzon gegenüber la- gerten, sah ich ihn unter einem alten Brückengewölbe, in voller Verzweiflung die Hände ringend, stehen: „Oh! mes pauvres grenadiers! mes braves voltigeurs!" rief er unter Tränen aber was er zu ihrer Rettung hätte tun können, tun sollen, fiel dem sonst so tüchtigen und braven Manne nicht ein, während doch die meisten Offiziere ebenso dachten, wie ich es hier niedergeschrieben habe.

Die Märsche von Barbastro über die Sierra de Aku- bierre auf Villa Franca de Ebro boten uns vielfache Hinder- nisse und waren sehr beschwerlich. Hier, glaube ich, er- fuhren wir die Ernennung des Generals Suchet zum Be- fehlshaber des 3. Korps.1«) Als früherer Chef einer Di-

") Vergleiche den 5. Bericht

'«) Louis Oabriel Suchet, Herzog von Albufera, 1772—1826, französischer Marschall, befehligte zuerst das 5. Korps und über- nahm dann im April 1809 den Oberbefehl über die Armee von Aragonien. 33Ö

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vision im 5. Korps war er wenigstens dem jüngeren Teil der Armee des 3. Korps ziemlich unbekannt Die Sache ging darum auch ruhig an uns vorüber, und ich entsinne mich noch sehr wohl der Teilnahmlosigkeit, mit welcher der Befehl angehört ward. Die Hauptleute und Bataillon- kommandeure unserer Legion meinten zwar, daß der Gene- ral ein tüchtiger Mann sei, der Courage habe aber er bliebe doch immer ein Franzose, womit sie andeuten woll- ten, daß er mehr ein Herz lür jene, als für uns haben werde.

Am 24. brachen wir aus Villa Franca nach Pina am Ebro auf. Unterwegs jedoch erhielten wir Gegenbefehl und dirigierten uns nach Puebla de Alfinden, also den Ebro aufwärts, d. h. in gerade entgegen gesetzter Richtung. Die Eile, mit welcher der Marsch betrieben ward, ließ voraus- sehen, daß man für Zaragoza fürchtete. Die am andern Tage fortgesetzte Bewegung auf Villamayor, das der Hauptstadt in nur geringerer Entfernung entgegenliegt, bestärkte diese Ansicht. Der Dienst ward mit großer Vorsicht gehandhabt. Alles biwakierte, ich möchte sagen, die Waffen in der Hand. Am 25. gingen wir über den Gallego, wo wir die Brücke besetzten und dahinter ein Lager bezogen, indes die Brigade Habert selbst gegen Abend nach Monte-Torrero marschierte. Zwei Kom- pagnien unter Solnicki hielten die Brücke besetzt. Bei Tage begnügte man sich, die Wege zu beobachten ; nachts aber war alles auf den Beinen. Wir sahen auf den Höhen von la Perdiguera die feindlichen Feuer; unsere Patrouillen stießen öfters aufeinander, und allnächtlich wurden Schüsse gewechselt. Dabei hatte die Landschaft ein friedliches Aussehen. Ackerbau und Handel gingen ihren Weg, und alle Tage passierten die Landleutc mit ihren Früchten die Brücke, um solche in Zaragoza zu verkaufen. Die Dis- ziplin ward streng aufrecht erhalten, ein Unteroffizier eines französischen Regiments, der einem Bauer auf der Land- straße einige Eier abgenommen, ward kriegs rechtlich ver- urteilt. Die gelieferte Verpflegung war gui, und man konnte für Geld die meisten Luxusbedürfnisse bekommen.

22 B-M7: Span. FicihclUkampf. 337

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Gegen Abend kehrten wir sehr vergnügt über unsere Expedition zurück. Das Gefecht, so unbedeutend es auch an und für sich gewesen war, hatte den Mut der Soldaten wunderbar gehoben. Wir verblieben in unserer Stellung bis zum 16.

Eines Tages, als wir exerzierten, kam der General Suchet mit einem zahlreichen Stabe angeritten. Er sah sehr aufmerksam zu, stieg dann vom Pferde, besichtigte unsere Waffen ganz genau, ließ Tornister aufschnallen, sah Montierungsbücher durch, einzelne Soldaten mußten sogar die Röcke aufknöpfen und ihre Wäsche zeigen ; er untersuchte die Patronen, das Schuhzeug, erkundigte sich genau nach der Verpflegung, mit einem Worte, er machte es, wie ein guter Kapitän mit seiner Kompagnie. Als er alles in Ordnung fand, lobte er Soldaten und Offi- ziere, allerdings mit etwas Emphase, und drückte zuletzt dem Kapitän Solnicki, als einem „Camarade qui meritait toute son estime" die Hand. Die Szene machte einen sehr guten Eindruck. Weder Moncey, noch Lannes, noch Junot, unter denen wir gestanden, hatten sich so gründlich und dabei so freundlich mit uns beschäftigt Zwar hatte Junot ab und zu unsere Biwaks besucht, aber es hatte ihm nie gelingen wollen, sich in der Gunst der Offiziere und Sol- daten festzusetzen.

Am 10. marschierten wir nach Zaragoza. Wir erhielten ganz in der Nähe der Kirche del Pilar unsere Stellung an- gewiesen, waren am Tage Immer unter dem Gewehr und brachten die Nächte fast stets mit den Waffen in der Hand zu. An einem Morgen wurden wir Offiziere nicht wenig überrascht, als uns eine alte Frau Schokolade brachte. Wir erfuhren, daß wir diese Aufmerksamkeit einem Domherrn, der an dem Platze wohnte, verdankten. Meine Kameraden schickten mich, nachdem wir die Criada Dienerin beschenkt hatten, auch dem Herrn Geist- lichen unsem Dank abzustatten. Der gute Mann empfing mich unglaublich freundlich, versicherte, daß er den Seiior General „en Chef" äußerst lieb habe und daß er wahrhaftig 338

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bedaure, daß er Zaragoza verlassen werde. Da wir voif der Lage der Dinge keine Ahnung hatten, so wußte Ich" natürlich nicht, wie ich jene Äußerung zu nehmen harte. Jedenfalls deuteten sie auf einen schlimmen Stand unserer Angelegenheiten. Meine Kameraden, denen ich alles mit- teilte, waren darüber ebensosehr betreten wie ich", doch kamen wir mit dem frischen Mut der Jugend bald über alle Besorgnisse hinweg.

Da wir jedoch den Befehl erhielten, auf dem Platze abzukochen, so sahen wir wohl, daß irgend etwas Unge- wöhnliches sich vorbereitete, ergingen uns in Kombina- tionen allerart und wurden während derselben durch eine Einladung des Senor Canonigo zur Comida Mahlzeit überrascht.

Dergleichen war uns in Israel noch nicht vorgekom- men. Da wir uns nicht alle entfernen konnten, so gab unser Kommandeur dreien von uns Erlaubnis, die Mahlzeit mit dem Geistlichen teilen zu dürfen, während er selbst mit noch einem anderen Offizier zurückblieb. Es war das erstemal, daß wir mit einem Spanier an einem Tische aßen. Der Herr Canonigo schien sich bereits auf den Feldetat gesetzt zu haben. Der Tisch" war mit einem eben nicht feinen Tischtuch von Linnen bedeckt, das Oeschirr von ordinärem, buntem Ton, Messer, Oabel und Löffel waren von Messing, die Oiäser von gemeinem Olase. Rohrstühle, ein Tisch von Kiefernholz und eine einfache, uralte Pendeluhr bildeten das bescheidene Ameublement. Den Möbeln entsprach das Diner die Puchero, eine einfache Suppe mit vielem Kraut und Speck', eröffnete es, dann folgte die Schüssel unvermeidlicher Bohnen mit ge- dämpftem Fleisch; einige vortreffliche, aber in öl ge- bratene Hühner und Picatostes (in öl geröstetes Brot), Kastanien, Weinbeeren und in Essig eingemachte Tomaten beschlossen das Mahl. Das Gespräch war, soweit es unsere Kenntnis der spanischen Sprache zuließ, sehr lebhaft, denn ein gewisses Gefühl des Wohlseins, unter Dach und Fach zu sein, und der gute Wein hatte uns allen die Zunge 22* 339

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gelöst. Der gute Canonigo ging in seiner Offenherzigkeit sogar soweit, uns sein Bedauern auszudrücken, daß wir dem unmittelbarsten Untergänge entgegengingen, indem der General Blake mit einem unzählbaren Heere anrücke und uns ohne Zweifel gefangen nehmen würde, da wir schon jetzt von allen Seiten umringt seien. Letzteres war auch in der Tat der Fall, wenngleich das Netz nicht schwer zu zerreißen war, wie wir dies schon von La Perdiguera her wußten. Wir konnten darauf natürlich nur antworten, daß jedenfalls eine Schlacht über die Zukunft entscheiden würde, was der Sefior Canonigo jedoch nicht glauben wollte, da der General Suchet ja kaum 10000 Mann habe und nicht wagen dürfe, dem General Blake entgegenzu-

Am andern Tage früh rückten wir nach Monte-Tor- rero, wo wir tüchtig schanzen mußten. Wir hörten hier ungefähr das bestätigt, was unser Canonigo uns gesagt hatte, und daß wahrscheinlich eine Schlacht über das Schicksal Zaragozas entscheiden würde. Nachmittags kam der Adjutant-Major des I. Bataillons, Rechowicz, aus der Stadt zu uns geritten und erzählte uns, daß der komman- dierende General mit der Reorganisation der Voltigeur- kompagnien, die bei Monzon größtenteils gefangen genom- men waren, einverstanden sei, jedoch einstweilen den Etat auf nur 60 Mann festgestellt habe. Ich sei vom Oberst zum Kommandeur einer solchen Abteilung bestimmt wor- den — jedenfalls eine große Auszeichnung für mich, da ich einer der jüngsten Offizicire des Regiments war. Ich wußte wohl, daß ich dies besonders der Fürsprache der Kapitäne Ball, Solnicki und Rechowicz zu danken hatte, mit denen ich wiederholt in dienstlicher Berührung gestan- den hatte und die sich lebhaft für mich interessierten. Ich konnte diesen Biedermännern, von denen ich die beiden ersten leider auch habe in Spanien sterben sehen müssen, nur durch Diensteifer meine Dankbarkeit be- weisen.

Von Monte-Torrero marschierten wir am 14. nach

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Santa Fe, an der Straße nach Daroca. Die Straßen Zara- gozas, durch welches man uns den Weg nehmen ließ, fanden wir öde und still. Die Fenster und Balkontüren fanden wir überall verschlossen, und nur hier und dort lauschte eine neugierige Dona dem Schalle der Musik und der Trommeln.

Den 14. früh entspann sich ein lebhaftes Oefecht mit den Spaniern, in dem sie sich sehr brav benahmen. Nach einem mehrstündigen Geplänkel, in dem wir eine Menge Leute verloren, mußten wir uns etwas zurückziehen. Abends verbreitete sich das Gerücht, daß einige unserer Truppenteile bedeutende Nachteile erlitten hätten und von Zaragoza zurückgedrängt worden wären. Ich kann nicht sagen, daß diese Nachricht besonders niederschlagend ge- wirkt hätte. Sei es, daß man die gefährliche Lage, in der wir uns befanden, nicht kannte oder sie unterschätzte man war im Lager guter Dinge, und nur das kalte, böse Wetter, das urplötzlich eingetreten war, belästigte uns. Die Spanier alarmierten die Vorposten unaufhörlich, und wir ließen fast die ganze Nacht hindurch das Gewehr nicht aus den Händen. Schon früh am 15. begann das Tirailleur- f euer wieder. Die Spanier drängten mit bedeutender Über- legenheit sehr lebhaft, und allmählich wurde das ganze Re- giment ins Oefecht gezogen. Zuletzt blieb nichts übrig, als einige Geschütze unserseits sich am Kampfe betei- ligen zu lassen. Einige Kartätschen lagen verschafften uns Ruhe, und es entspann sich ein stehendes Gefecht, das mehrere Stunden dauerte und in dem viele Leute er- schossen und verwundet wurden. Ab und zu sprengten einige Kavalleriezüge gegen unsere Tirailleurs vor, wurden jedoch jedesmal zurückgewiesen, aber nichtsdestoweniger verloren wir allmählich Terrain. General Suchet erschien mehrmals auf einigen beherrschenden Punkten und sprach freundlich zu den Soldaten, was einen guten Eindruck machte.

Gegen Mittag sprengte eine ganze Schar der Dragoner von Numantia, in ihren gelben Röcken schon von weitem 341

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dritter ward von ihnen schon in größerer Ferne einge- stellt Merkwürdigerweise hatten die beiden ersten An- griffe den Reitern nur einige Mann gekostet; der letzte aber ließ eine Menge Pferde tot auf dem Platze, und wir sahen deutlich, wie beim Rückzüge noch mehrere Leute von ihren Pferden stürzten und liegen blieben. Der General Suchet, der dies aus der Ferne beobachtet hatte, ließ fragen, wer hier kommandiere, und ließ mir durch einen seiner Ordonnanzoffiziere, Kapitän Desaix, seinen Beifall „sur ma resistance heroique" bezeugen. Unter stetem Herüber- und HinübcrgeschidSe, Anprallen und Abwehren der Spanier zog sich der Vormittag hin es ward 12 Uhr. Unsere Patronen fingen an, auf die Neige zu gehen, ob- wohl wir sie durch die der Verwundeten und Toten zu ergänzen suchten. Dabei brannte uns die Sonne heftig auf die Köpfe, und wir wurden von großem Durste ge- peinigt. ■ ' ; . j Während ieli so meine Tirailleurlinie auf und ab wanderte, um meinen Leuten Mut zuzusprechen, traf ich auf den Offizier, der mir zur Linken die Tirailleurlinie be- fehligte, einen Leutnant RatkowskL „Nimmst du vielleicht einen Schluck aus meiner Flasche, Julius Cäsar?" rief mir der stets heitere Freund zu, „sie ist nur halb gefüllt" „Mit Vergnügen," erwiderte ich, „denn mir klebt die Zunge am Gaumen." Indem er sich die Schnur, an der die Flasche hing, von der Schulter abmachte, fuhr eine Kugel durch dieselbe. Ohne ein Wort zu sagen, hob er sie kaltblütig von der Erde auf und sagte: „Trink rasch, denn sonst läuft der edle Saft aus." Der brave, vortreffliche 342

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Mann, der bereits bei der ersten Belagerung von Zaragoza verwundet worden war und auch sonst Beweise von Mut gegeben hatte, wurde später bei Deckung eines Trans- ports von vielfach überlegenen Kräften angegriffen und eines Teils seiner Wagen beraubt Der kommandierende General tadelte Ratkowskis Benehmen in einem Tages- befehl an das Korps. Seit dieser Zeit verlor mein lieber Freund seinen frohen Sinn nur wenn er tüchtig ge- trunken hatte, was er früher nie getan hatte, fand er seine Heiterkeit wieder, aber innerlich blieb er gebrochen. Als er an der Beresina, von einer Kugel getroffen, seinen Geist aushauchte, sollen seine letzten Worte gewesen sein: „Schade, daß der Kerl, der mir meine Ehre geraubt hat, nicht Zeuge unseres Angriffs gewesen." Er war mir ein lieber Freund, und oft hat mich später die Erinnerung an sein unglückliches Schicksal von einem verletzenden Worte an meine Untergebenen zurückgehalten.

Am Mittag sahen wir von unseren Höhen herab das Vorrücken der Angriffskolonnen, wurden aber selbst durch das erste Regiment unserer Legion und das 115. franzö- sische abgelöst, welche gleichfalls sofort in Kolonne vor- gingen, um die Spanier anzugreifen. Wir bildeten die Reserve. Es kam zu einem heftigen Oefecht auf der ganzen Linie, das bald stockte, bald siegreich vorschritt. Die Spa- nier ergriffen ab und zu eine energische Offensive und warfen das 115. Regiment zurück, dem wir eilend zur Hilfe rücken mußten. Während eines gewaltigen Regen- gusses schritt die ganze französische Armee zum Angriffe vor. Ein schöner Kavallerieangriff des Generals Vattier, von der rechtzeitigen Bewegung einer Infanteriekolonne unter Oeneral Habert unterstützt, führte endlich eine Ent- scheidung zu unseren Gunsten herbei, und die Spanier verließen das Schlachtfeld, auf dem sie etwa 1000 Tote, 25 Geschütze und eine Menge Verwundeter zurückließen. Ihr Rückzug geschah in aller Ordnung und militärischer Haltung. Sie lagerten während der Nacht uns gegenüber und hatten am andern Morgen noch die Höhen von Botor- 343

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rita ganz in der Nähe des Schlachtfeldes inne. Sic räum- ten diese erst, als wir uns am 17. morgens in Bewegung setzten. Wir erreichten nach einem anstrengenden Marsche La Puebla de Aiborton. Der Weg war an den niedrigen Stellen ganz durchweicht stellenweise ganz unwegbar. Auf den höheren Punkten bot der nackte Felsboden gleich- falls viele Hindernisse. Das Bergauf- und Bergabsteigen erhöhte noch die Schwerigkeiten, und wir kamen, obwohl wir etwa nur 5 spanische Meilen zurückgelegt, dennoch sehr ermüdet im Biwak an. Der Ort war ganz geplündert, Holz war nur in sehr geringem Maße vorhanden, und so- mit froren und hungerten wir nach dem Siege aufs beste. Hätten wir nicht auf unserem bei La Perdiguera erbeuteten Esel noch einige Reste besserer Tage gehabt, die ein vor- trefflicher Diener sorgsam bewahrt hatte, wir hätten hungrig die Nacht durchwachen müssen. Dabei war es regnerisch und kalt. Ich entsinne mich nicht, später in Rußland im Juni ein schlechteres Biwak gehabt zu haben.

Alle Welt war froh, als am anderen Morgen früh das Signal zum Aufbruch gegeben wurde. Wir langten früh vor Belchife an, das stark besetzt schien. Sowie wir uns der feindlichen Stellung näherten, zogen sich die Trup- pen fächerartig auseinander und bewegten sich dann mit mehreren Hauptkolonnen gegen die Stadt und deren Zu- gänge. Unsere Brigade ward gegen den feindlichen rech- ten Flügel detachiert. Mir ward der Auftrag, zwei Ge- schützen reitender Iranzösischer Artillerie als Bedeckimg zu dienen. Diese gingen im starken Trabe vor, so daß ich kaum zu folgen vermochte. Sie protzten dann ab und bewarfen den Feind, der die Höhen hinter der Stadt besetzt hielt, mit Granaten. Ein günstiges Geschick ließ eins unserer Geschosse in einen Pulverwagen fallen, er flog in die Luft und führte zugleich die Explosion mehrerer anderer herbei. Dieser Zufall verbreitete Schrecken in den spanischen Reihen. Sie glaubten sich im Rücken an- gegriffen — alle Welt schrie „Verrat!" Ganze Bataillone warfen die Waffen fort und wandten sich zur Flucht. Die 344

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Unordnung teilte sich bald allen Truppen mit, und uns blieb eigentlich nur ein Zugreifen und Zusammenraffen der Trophäen übrig. Wären die Tore der Stadt nicht ge- schlossen und die Wiederöfinung derselben mit Schwierig- keiten verbunden gewesen, so wäre wahrscheinlich die ganze spanische Armee gefangen oder niedergemacht wor- den. Aber es verging eine lange Zeit, ehe man das enge Eingangsgittertor öffnen konnte. Ein Bataillon, das den Marktplatz verteidigte, mußte von den polnischen Ulanen niedergeritten werden. Dann bot das Ausgangstor Schwie- rigkeiten dar. Endlich mußte die Brücke über die Aguas geräumt und konnte dann nur in schmaler Front passiert werden. Alles dies schaffte den Spaniern Zeit, sich aus dem Staube zu machen, was ihnen bei ihrer angeborenen Leichtfüßigkeit auch vortrefflich gelang. Gefangene wur- den daher nur wenige gemacht, aber es fielen 9 Geschütze, einige 20 Patronenwagen und sehr bedeutende Magazine in die Hände der Sieger.

Generai Suchet hat in seinen Memoiren von den An- ordnungen, die er getroffen hatte, ein schönes Bild ge- geben.11) Ich glaube jedoch, daß meine Darstellung treuer ist, und halte den von ihm mitgeteilten Schlachtplan für „apres coup" entworfen. Die ganze Sache dauerte nicht lange genug, um alle die Dispositionen, die er angibt, treffen zu können.

Über La Puebla und San Per verfolgten wir den Feind bis Alcaniz, das wir am 19. unter heftigem Regen erreichten. Ich war durch die Detachicrung zur Deckung der erwähnten reitenden Geschütze von meinem Regi- mente abgekommen und stieß hier erst wieder zu ihm. Am 20. wurde mein Bataillon nach Belchife zurückge- schickt, um hier die großen Magazine zu bewachen und

'") Suchet hinferlii-B srhr interessante und, vom ktiügswisscn- schaftlichen Standpunkt aus betrachtet, sehr nützliche Memoiren, die bei ihrer Veröftenllichung, 1828, großes Aufsehen erregten und in mehrere Sprachen übeisetzt wurden.

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den Transport nach Zaragoza zu bewirken. Später stieß auch das erste Bataillon zu uns, und wir blieben hier bis zum 20. Juli stehen. Bereits vor uns waren französische Magazinbeamte angekommen, angeblich um die Bestände aufzunehmen. Der Oberst des Regiments, Kosinowski, ein redlicher und verständiger Mann, hatte sich jedoch vorweg einen Teil der Lebensmittel für die Verpflegung sein« Leute zugeeignet und daraus ein Magazin errichtet, aus dem die Soldaten einen Zuschuß zu ihren Rationen erhielten, eine Maßregel, die sich vortrefflich bewährte. Mit dem Hauptteil der Beute aber machten die franzö- sischen Magaziniers als wahre Raubvögel, wie sie die Soldaten nannten „main basse", denn von den unend- lichen Vorräten ist gewiß nur der kleinste Teil in das Hauptdepot nach Zaragoza gekommen. Ich glaube, daß man kaum ein paar hundert Saumtiere und halb so viele Wagen beladen und dahin befördert hat, während Material zur Befrachtung von Tausenden vorhanden war. Den größeren Teil haben wahrscheinlich die spanischen Lokal- behörden gegen tüchtige Bezahlung wieder in Beschlag genommen, und der Oeneral Suchet hat wohl nie er- fahren, welche Heute hier gemacht und wie sie verschleu- dert wurde.

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3. Kapitel

1809. Ausbrechen des allgemeinen Aufstandes in Aragonien. Kämpfe mit den Guerillas. Einnahme von Nuestra Sefiora del Aguila. Besetzung von Pam'za. Besetzung von Almunia. Gefechte bei El Frasno. Besetzung von Calatayud unter Genera! ChlopickL Exkursionen in die Sierra de Molina. Ein kurzer Liebestraum. Abmarsch nach der Ribera von Daroca. Einnahme von Nuestra Sefiora del Tremedad am 25. November.

Nachdem wir etwa acht Tage hier gestanden, uns vortrefflich erholt und dabei tüchtig exerziert hatten, er- hielten wir Befehl, fleißig die Gegend zu durchstreichen, weil sich Guerillas gezeigt haben sollten. So lange wir uns hierbei in angebautem Lande befanden, ging es herr- lich, aber in den Sierren, in den wasserleeren Gegenden der Provinz, wo wir uns oft wie in Steppen befanden, wo kein Grashalm wuchs, die Sonnenglut den Boden aus- gedörrt hatte, kein Tropfen Wasser zu finden war, da hatten wir viel auszustehen.

Nach der Schlacht von Belchite nämlich begann es in Aragonien auf einmal lebendig zu werden. Überall tauchten Guerillabanden auf; wo wir nicht waren, da waren sie, wo wir hinkamen, da rückten sie aus, wo wir ausrückten, da trafen sie ein. Da ihnen die Be- wohner, wie sich von selbst versteht, günstig waren, so 347

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hatten sie natürlich alle Vorteile für sich, und es bedurfte großer Anstrengung und Aufmerksamkeit nicht allein der Chefs, sondern auch jedes einzelnen Offiziers, um in den Teil kämpfen, die jetzt entbrannten, nicht allein das Leben, sondern auch Ehre und Reputation zu behalten. Nächst den Ländern unter türkischer und griechischer Bot- mäßigkeil und einigen österreichischen Besitzungen ist kein Land der Erde zum Parteigängerkrieg mehr geeignet wie Spanien.

Dieser Krieg war recht eigentlich der Schauplatz der Tätigkeit für die Subalternoffiziere, denen der Natur der Dinge gemäß der Korrespondenz-, Patrouillen- und Sicher- heitsdienst anheimfiel. Nur in einigen Gegenden, wie in Navarra und ab und zu in Katalonien, nahm der Krieg einen anderen Charakter an und beschäftigte Regimenter und Brigaden. Wer die Feldzüge in Spanien nicht mit- gemacht hat, nicht Teilnehmer oder wenigstens Augen- zeuge solcher Unternehmungen gewesen ist, wird sich nie einen rechten Begriff davon machen können und sollte sich nie ein Urteil darüber erlauben.

Historische Rückerinnerungen aus den französischen Kriegen bestärkten das Volk in seinem Entschlüsse, unter jeder Bedingung die fremde Herrschaft abzuwerfen. Die Art und Weise endlich, wie sich die Franzosen in das Land geschlichen hatten und wie sie darin hausten, stei- gerte dies Gefühl zu einer Art Wut, welche die mit Ge- schick geleitete höchste Junta und die Provinzialjuntas zum Besten der Unabhängigkeit des Landes ausbeuteten.

Ich bekam mein Quartier bei einem Senor Don Jose Bemardo, einem betagten Herrn, angewiesen, der die Tor- heit begangen hatte, eine junge, schöne Frau zu nehmen. Er war ein ebenso entschiedener Franzosenfeind, wie seine junge, allerliebste Frau eine leidenschaftliche Afrancesada. Die jungen, munteren blonden Offiziere benagten ihr besser, als ihr finsterer, griesgrämiger Mann, und die Casa del Senor Bemardo war stets ein gesuchtes Offi- zierquartier. 348

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Sehr bald nötigten die Umstände uns jedoch, auf dem Plateau, auf dem der größte Teil der spanischen Armee während der Schlacht gestanden hatte, ein Lager zu be- ziehen, in welchem sich die beiden Bataillone meines Re- giments abwechselten. Aber hiermit war es noch nicht abgetan. Ein mühsamer Patrnuillendiensf in derUmgegend folgte dem Lagerdienste, und bald kam es zwischen den sich begegnenden Parteien zu kleinen Gefechten. Die Ver- bindung nach Zaragoza und Alcafiiz mußte durch die Waf- fen aufrechterhalten werden, und wir sahen uns täglich durch die Ouerillas von der Kapelle Nuestra Seiiora del Puego, die eine weite Übersicht gewährte, beobachtet. So schleppten sich die Dinge bis zum 20. Juli hin. Da er- hielten wir plötzlich Befehl, nach Fuendetodos zu rücken. Der Ort trug noch die Spuren von Unordnungen an sieb, die die französischen Truppen während der Belagerung begangen hatten. Die Bewohner waren jedoch wieder zurückgekehrt und beteiligten sich zahlreich an der Ver- sorgung der Soldaten mit dem Unentbehrlichsten. Es hieß, daß man einen entscheidenden Schlag gegen ein Kloster im Gebirge vorbereitete, welches der Sitz vieler Umtriebe sei und in dessen Nähe sich ein Lager von 3000 Mann be- finden solle. Am 21. vereinigten wir uns mit einer fran- zösischen Kolonne, die von Zaragoza unter Anführung des kommandierenden Generals selbst gekommen war, und traten dann den Marsch gegen Nuestra Senora del Aguila an. Das Kloster lag auf einem hohen Berge, gewährte eine herrliche Aussicht und beherrschte die ganze Umgegend. Als wir anrückten, besetzten die Spanier sehr bald die Höhen, und wir glaubten einem harten Kampfe entgegen- sehen zu dürfen. Am Fuße der Stellung angelangt, kam ein Adjutant des kommandierenden Generals, ein Leut- nant Rigny, derselhe, der später in Afrika aut dem Rück- züge von Constantine eine so traurige Berühmtheit er- langen sollte, und verlangte im Namen des Generals „wie compagnie de bons marcheurs". Ich ward ihm zur Dispo- sition gestellt und bemerkte sehr bald, daß wir eine De- 349

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monst ratio ii gegen des Feindes rechte Flanke machen sollten. Aber tiotz unserer Eile und der Zufriedenheit, die uns Monsieur Rigny über unseren Marsch äußerte, kamen wir dennoch zu spät. Die Spanier nämlich verließen mit einer Art Übereilung ihre Stellung und zogen sich schnell zurück, ihre Vorräte und die Vorkehrungen, die sie zur Verteidigung getroffen hatten, im Stich lassend. Dem Flankendetacliement fielen einige Nachzügler und die Ba- gage in die Hände, wobei ein Gefecht stattfand, das uns, wenn die Spanier gewollt hätten, in die ernsteste Verlegen- heit hätte bringen können.

Nachdem das Kloster geplündert war, ward es ange- steckt, und der Rauch, der sich von dieser hohen Berg- kuppe wirbelnd in die Luft erhob, zeigte der Umgegend an, daß Senor Don Ramon Gayan, der hier kommandierte, gezwungen war, das Sanktuarium, auf dessen Uneinnehm- barkeit man sehr gebaut hatte, zu verlassen. Der kom- mandierende General kehrte an demselben Tage nach Zara- goza zurück. Uns ward der Auftrag, den geschlagenen Feind zu verfolgen und die Gegend zu beruhigen. Wir gingen zu diesem Behufe anfangs nach Paniza, jagten mehrere Tage in der Umgegend dem flüchtigen Feinde nach, der natürlich nirgends standhielt, und gelangten am 27. nach Daroca, den Spaniern durch einen Sieg König Alfons 1. über die Mauren (1121) wert und noch heute durch Reichtum, Handel und Fabriken eine der ersten Städte der Provinz.

Wir kamen hier sehr spät an. Niemand kannte die Gegend. Unmittelbar vor der Stadt, von der wir durch das Dunkel der Nacht einige schwache Konturen zu ent- decken glaubten, machten wir Halt, aber mit dem Gewehr in der Hand. Dann bogen wir nach einem Berge ab und_ gelangten auf einem mit Geröll übersäten Wege in eine Art von Tunnel, in welchem uns bald eine ägyptische Finsternis umgab. Das muntere Plaudern der Soldaten hörte alfmählich auf, je mehr wir uns in diesen Schlund, von dem eigentlich niemand wußte, was er zu bedeuten 350

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hatte, vertieften. Er schien uns unglaublich lang, beson- ders da wir nach einigen hundert Schritten eine Zeitlang Halt machten. Man fing an, ungeduldig zu werden, und wären in diesem Augenblicke einige Schüsse gefallen, so hätten die Spanier sich vielleicht für die Tage von La Perdi- guera und Nucstra Sefiora del Aguila glänzend rächen können. Indes wir durchzogen diese üble Passage ohne Unfall und gelangten an den Jiloca, über den meine Kompagnie geschickt ward, um auf der Straße nach Molina die Vorposten zu bilden. Der nächstfolgende Tag sollte uns die nächtliche Promenade durch den finstern Tunnel erklären. Daroca nämlich liegt am Ende einer Art .Mulde an dem Jiloca. Alle atmosphärischen Niederschläge, na- mentlich die heftigen Regengüsse, hatten ihren Weg durch die Stadt nach dem Flusse nehmen müssen.

Morgens, den 28., ward ich abgelöst und erhielt den Befehl, mit meiner Kompagnie das ebenerwähnte Schloß zu besetzen. Doch ehe ich noch meinen Posten bezogen hatte, kam ein Adjutant und brachte mir den Auftrag, zuvor noch eine Rekognoszierung nach Molina, elwa eine gute Meile weit, zu machen. Kaum hatte ich jene Befehle erhalten und war eine Strecke vom Lager entfernt, als wir plötzlich jene Explosion vernahmen. Wir gewahrten alsbald, daß sich eine Rauchsäule über jenem alten Schlosse, das der Kompagnie angewiesen war, erhob, und hörten bei unserer Rückkehr, daß es durch eine Mine teilweise in die Luft gesprengt worden war. Wer sie an- gelegt hatte, war nicht zu ermitteln, man wußte sogar nicht mit Gewißheit anzugeben, welcher Truppenteil des Feindes hier vor unserm Anlangen gestanden hatte. Ob aber jene Explosion vorbereitet, ob ein dort verborgen gewesener Pulver- und Schießbedarf durch Zufall in die Höhe ge- gangen war, blieb unaulgeklärt. Hätten wir nicht einen so langen Marsch gehabt und wären wir beizeiten ange- langt, so wäre jene günstig gelegene Lokalität unbedingt besetzt worden, und sehr wahrscheinlich hätte die Be- satzung derselben einen unfreiwilligen Aufstieg mitgemacht.

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Am 30. erhielten wir Befehl, nach Paniza aufzubrechen. Der Oberst Don Ramon Gajon, einer der unerschrocken- sten und tätigsten Guerillaführer, hatte in und bei diesem Orte große Besitzungen. Der Oberstleutnant Bayer des Regiments, ein tüchtiger Offizier, der trotz seines deutschen Namens kein Wort Deutsch verstand, erhielt den Befehl, diese Gegend, die den Mittelpunkt der aufständigen Bewe- gung bildete, zu besetzen und vom Feinde zu säubern ein schweres und gewagtes Unternehmen. Wir wurden jedoch vom Tage unserer Ankunft bis zum 3. August nachts vom Feinde in Ruhe gelassen. Der Ort liegt zu einer Verteidigung sehr ungünstig. Zwar bot das Städtchen Gelegenheit genug, ein ganzes Regiment unterzubringen, aber wie hätte man es wagen dürfen sich einem tätigen Feinde gegenüber einzuquartieren? Es blieb daher nichts weiter übrig, als sich so gut wie möglich gegen die kalten Nächte, die viele Krankheiten hervorriefen, zu schützen. Wir lagerten uns bald da, bald dort und hatten unglaublich anstrengenden Dienst Und doch gelang es den Spaniern, uns am 3. August zu überfallen und in eine, wenn auch durch die Tapferkeit der Truppen rasch beseitigte Ver- legenheit zu bringen. Der brave Oberstleutnant Bayer, der bei Zaragoza Beweise eines heroischen Muts abgelegt hatte, schien mir bei der Behauptung des Orts nicht die rechten Mittel zu ergreifen. Statt seinen Anstalten den Charakter der Offensive zu geben, d. h. sich auf der Straße, die der Feind möglich erweise zu einem Angriff be- nutzen konnte, zu dessen Empfang aufzustellen, wechselte Bayer allnächtlich die Stellung. Wir biwakierten mehrere Nächte hintereinander auf öden Bergkuppen ohne Feuer und kamen immer erst bei Tage auf allerhand Umwegen in die Stadt zurück. Hier kochten wir dann ab und ließen es uns im Palaste des Seiiors Don Ramon, wo die Offi- ziere ihre Speiseanstalt eingerichtet hatten, vortrefflich schmecken.

Am 6. verließen wir Paniza, um nach Almunia zu marschieren. DieserOrt auf der Straße von Madrid nach 352

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Zaragoza, im Tale des Jalon reizend gelegen, hat viel- leicht 4—5000 Einwohner. Wir wurden vortrefflich in einem Kloster untergebracht, herrlich verpflegt, und die Soldaten meinten hier im Himmel zu sein. Da Calatayud auf der Madrider Straße noch stark von feindlichen Trup- pen besetzt war, so kam es zu vielfachen Oefechten. Na- mentlich waren die vom 9., 10. und 14. August unweit der Venta von El Frasno wichtig für uns, indem wir ge- zwungen wurden, die günstige Stellung dort aufzugeben und bis zur Brücke über den Orio zurückzuweichen. Oberst Henriot wurde mit einer Kolonne von Zaragoza zu unserer Unterstützung abgesandt. Unter ihm ward am 15. August eine Expedition gegen Calatayud selbst unternommen. Er hatte zu diesem Behufe zwei Bataillone des 14. Regiments, ein Bataillon gemischter Truppen, einige Geschütze und ein Detachement Kürassiere mitgebracht. Nach einem un- bedeutenden Gefecht auf dem Kamm des Gebirges, das sich hinter der Venta von El Frasno erhebt, kam es zu einem ernsteren Gefecht, infolgedessen sich der Feind zurück- zog. Wir folgten ihm eilig, und ein Bataillonschef des 14. Regiments hielt an der Spitze der Orenadiere und Voltigeure seinen Einzug in Calatayud. Wir bezogen viel- leicht eine halbe Meile von der Stadt ein Lager, hatten uns jedoch kaum hier eingerichtet, als ich zu Oberst Hen- riot gerufen ward. Ich fand sechs Kürassiere zu Pferde und ein lediges Pferd an seinem Biwakfeuer. „Monsieur l'officier," redete er mich ohne weiteres an, „Sie werden das Kommando Ihrer Kompagnie sofort an Ihren Leut- nant abgehen, dieses Pferd besteigen und nach Almunia reiten, wo Sie diesen Brief dem Kommandanten einzuhän- digen haben. In der Venta von El Frasno werden Sie andere Bedeckung und ein anderes Pferd bekommen, wozu hier der Befehl. Verlieren Sie keine Zeit, kommen Sie bald zurück, prenez garde de guerillas."

Ich gestehe, daß mir der Auftrag keineswegs ange- nehm war. Ich hatte, seit ich meine Heimat verlassen, auf keinem Pferde gesessen, war des Reitens ungewohnt

23 B»M7: Spu. FreUiriUiumpl. 353

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geworden ; doch ging anfangs die Sache auf meinem großen Kürassiergaul ganz gut. Mit einbrechender Dunkelheit trieb empfindliche Kälte zur Eile. Es war spät abends, als ich an der besagten Venta ankam. Ein Trunk Wein und ein Stückchen Brot, womit mich der Kommandant des Postens, den man hier gelassen hatte, während des Wech- sdns der Pferde und der Eskorte bewirtete, mundeten mir vortrefflich. Aber ich fühlte bereits alle Rippen im Leibe, da mich mein Harttraber unglaublich zusammen- gerüttelt hatte. Indes machte ich mich bald wieder auf den Weg. An einigen verdächtig aussehenden Kerls ging es mit gespanntem Karabiner vorüber, und schon glaubte ich nach einem tüchtigen Ritt am Ende unserer Reise zu sein, als ich zu meinem Schrecken inne ward, daß wir uns verritten und eine gute Legua über Almuni a hinaus, Riola gegenüber, angelangt waren. Der Ort war wegen seiner schlechten Gesinnung verdächtig, und wenn ich auch bis zur I i- !. pv.m,; ermüdet war, so blieb nichts übrig, als schleunigst umzukehren und den rechten Weg aufzusuchen. Das „Halte lal Qui vive?" unserer Posten, das uns nach etwa einer Stunde begrüßte, klang mir wie Sphärenmusik in die Ohren. Aber es war auch die höchste Zeit, daß ich anlangte. Die sieben Leguas, die ich, des Reitens seit langer Zeit ungewohnt, auf dem schweren Pferde zurückgelegt, hatten mich außerordentlich ange- griffen, so daß ich vom Pferde heruntergehoben und zum Kommandanten, den ich gestiefelt und gespornt auf einer Matratze inmitten seiner Leute ruhend fand, geführt werden mußte. Der ganze Auftrag lautete dahin, 6000 Rationen für die nächsten Tage in Bereitschaft zu halten, ein Befehl, der bei den reichen Vorräten des Ortes, wenn er auch einige Stunden später eingetroffen wäre, noch vollständig zur rechten Zeit hätte ausgeführt werden können. Ich mußte mir sogleich einen Arzt kommen lassen und mich einer vollständigen ärztlichen Behandlung unter- werfen, die mich mehrere Tage von meiner Kompagnie entfernt hielt 354

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Ich bekam in der Nähe eines Klosters, in dem unser Bataillon, das am 19. August eintraf, untergebracht wurde, ein Quartier angewiesen. Mein Wirt war ein reicher, vornehmer Mann, ein entschiedener Gegner der Fran- zosen, der mir durch einen Criado (Diener) eine Stube an- weisen ließ und unter dem Verwände, er sei krank, jeg- liche Gemeinschaft mit ihm unmöglich machte. Alle Morgen bekam er von seinen entfernten Besitzungen Mit- teilungen, und ich konnte an dem Kommen und Gehen der Zahl seiner Boten meist erkennen, ob irgend etwas von Belang vorgefallen war. Abends versammelten sich bei ihm regelmäßig eine Menge jener finsteren Gestalten, besonders Priester, die unsere Leute „die zahmen Insur- genten" zu nennen pflegten und worunter man alle ver- stand, die, in ihre Mäntel gehüllt, die Hüte tief in die Augen gedrückt, verächtlich an uns vorübergingen.

Am 24. abends verbreitete sich die Nachricht, daß ein kleines Lager von einer Kompagnie und 15 Kürassieren vom 14. Infanterie- und 13. Kürassierregiment bei derVenta von ElFrasno überlallen und gefangen genom- men worden sei. Zu gleicher Zeit war auch ein Deta- chement, das zur Aufrechterhaltung der Verbindungen mit Carinona abgeschickt war, von der Puerta de St. Martin her angegriffen worden. Ein starkes Schießen bewog den Kommandeur des Bataillons, mich mit einer Kompagnie zur Unterstützung zurückzuschicken. Wenngleich der Kom- mandeur jenes Detachemcnts, Leutnant Krakowski, im vollsten Sinne des Wortes seine Schuldigkeit tat, so beugte doch sehr wahrscheinlich meine Ankunft einer Katastrophe vor. Er war bereits von allen Seiten umgeben, als ich kam und ihm Luft machte. Die Puerta de St. Martin ist ein in Spanien berühmter Ort, wo zahllose Räubereien verübt werden. Da sich bei di'n Oiicrillas rjcu'ülnilich (.-ine Menge

Taugenichtse und Vagabunden befanden, die mit allen Schlichen und Wegen vertraut waren, so war es gerade hier eine schwierige Aufgabe, sich ohne Nachteile eines Auftrages zu entledigen. Mir ward bald nach der Rück-

kehr der Befehl, den Posten bei El Frasno zu beziehen, der unsern Truppen zu wiederholten Malen verderblich geworden war.

Da die Qucrillas sich täglich mehrten und immer kühner wurden, so ward General Chlopicki zu dieser Würde war er seit den Schlachten von Santa Maria und Belchite erhoben worden mit seinem Regiment zur Unterstützung nach Cariifona entsandt. Er ergriff sofort die Offensive, ging am 29. nach Daroca, während ein Teil seiner Kolonne die starken Defilees von Retas- con besetzt hielt und brach am 30. nach Calatayud auf. Die verschiedenen Oberfälle, die General Campa von dieser Stadt her gegen uns eingeleitet hatte und die meist gelungen waren, hatten die Bewohner der Gegend unsere Rache fürchten lassen. Wir fanden daher alles wie aus- gestorben. Nirgends erblickte man einen Menschen, auf den Wiesen sah man kein Tier, geschweige denn eine Herde, die Häuser in den Dörfern waren entweder ge- schlossen, oder Staudt'!! \ iV-.i^ juisgeniiniLt offen.

Als wir von den Bergen zur schön gelegenen Stadt herunterstiegen, gewahrten wir einige dunkle Oestalten, die allmählich näherkamen. Der General befand sich an der Spitze der Voltigeure bei der Avantgarde. Noch ehe deren Spitze jene Menschen erreicht hatten, nahmen sie die Hüte ab und schienen uns gesenkten Hauptes zu er- warten. An ihre; Spitze befanden sich einige Priester und der Alkalde Major, der an seinem silberbeschlagenen Stäbchen kenntlich war. „Excellenza," redete er mich an. „Ich bin keine Exzellenz, bin nur ein Leutnant," antwortete ich ihm barsch und wies ihn durch ein „dort ist der General", das ich mit einer Handbewegung beglei- tete, auf unsern Führer. In ganz kurzer Entfernung von der Stadt selbst machte ich Halt und stellte mich wie zum Angriff auf. Im selben Augenblick aber kam ein Adjutant des Generals und brachte mir den Befehl, mit Vorsicht und Ordnung vorzugehen und mich auf der Straße nach Ateca militärisch aufzustellen. Dies geschah. Ich hatte kaum die 356

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Posten ausgesetzt, als ich angewiesen ward, abzukochen und mich für den iiü'chsfcn Morgen wieder zum Abmarsch bereitzuhalten. Am andern Tag früh ward mir auch wirk- lich der Befehl, mit meiner Kompagnie und 19 Pferden aufzubrechen, um nach Almunia zu gehen, den Befehl jener Stadt und der Umgegend zu übernehmen und für die Auf- rechterhaltung der Ordnung im Bezirk zu sorgen. Ich ge- stehe, daß mir die Sache eigentlich nicht angenehm war. Erstens hatte ich noch kein größeres Kommando selbstän- dig geführt, und dann hatte ich auch einsehen gelernt, daß man beim großen Haufen immer besser daran sei als in jenen kleinen Löchern, wo man aus den Verlegen- heiten eigentlich niemals herauskommt. Indes dem Befehl mußte gehorcht werden.

Kaum in Almunia angelangt, ward mir der Auftrag, eine Rekognoszierung nach Carinona zu machen, dort zu übernachten und am 4. September in Daroca einzutreffen, wo ich unter den Befehl des dort kommandierenden Offi- ziers treten sollte.

Da mir die Gegend und die Stellung von Retascon genau bekannt war, so besann ich mich keinen Augenblick, ging dem Feinde kühn auf den Leib, warf ihn nach einem kurzen, aber lebhaften Gefecht in das Defilee, das von hier nach Daroca führt, zurück und setzte mich in der Kapelle am diesseitigen Ausgange derselben fest. Die zwischen den weißen Stein klippen zerstreut liegenden Häuschen ließ ich fortwährend durch Patrouillen absuchen. Mit der Ka- vallerie ging ich gegen Daroca vor, stellte hier einige Vedetten auf, unterstützte diese durch ein kleines Detache- ment, daß ich einem tüchtigen Sergeanten übergab, und kehrte dann nach meiner Kapelle zurück. Unterdessen hatte ich die Alkaldcn des Orts, den Sefior Curo und Escri- vano, die auch im kleinsten Flecken das Magistratskolle- gium — die Junta bilden, zu mir berufen. Ich erklärte den Herren, daß ich sofort zweier zuverlässiger Boten nach Calatayud bedürfe, die Briefe dahin bringen sollten, und daß sie bis zu deren Rückkehr als Geiseln bei mir 357

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verbleiben müßten. Dies schien ihnen nicht recht zu ge- fallen. Indes stellten sie mir bald zwei Leute, die zwar ver- dächtig aussahen, für deren momentane Treue mir aber ihre Obrigkeit bürgte. Ich gab einem derselben einen Zet- tel, worauf ich frün/iisiscli schrieb: „Bin soeben hier an- gekommen und harre der ferneren Befehle. Daroca ist

noch vom Feinde besetzt. Rctascon Stunde und

Tag ". Dem andern gab ich ebensolchen Zettel, allein in polnischer Sprache, denn ich mußte damit rechnen, daß sie vielleicht Polen oder Franzosen in die Hände fallen konnten. Dabei erhielten die Boten Instruktion, eiligst nach Calatayud zu gehen, dort den Seiior Kommandanten auf- zusuchen und ihm die Zettel zu übergeben.

Nachdem ich alles ins Werk gesetzt hatte, ließ ich abkochen, befahl den Soldaten, es sich bequem zu machen jedoch mit der Weisung, sich nicht fünfzig Sehritte vom Posten zu entfernen. Zugleich ließ ich mehrere große Gefäße mit Wasser nach der Kapelle schaffen und mir meine Rationen auf einige Tage liefern. Mit dem zweiten Offizier der Kompagnie, dem Leutnant Krakowski und den Unteroffizieren besprach ich die Möglichkeit eines etwaigen Angriffs der Spanier und verabredete mit ihnen die Verteidigung. Da die Position sehr stark war und die Mauern um die Kapelle und diese selbst eine gute, nachhaltige Verteidigung möglich machten, so durfte man auf mehrere Tage hin keiner Besorgnis Raum geben. Meine Zeit brachte ich abwechselnd bei meinen Vorposten und in der Kapelle zu. Von ersteren aus gewahrte ich, wie die Spanier anfangs hin und herzogen und sich bald hier, bald dort aufstellten. Eine große Menge Volks umstand die Soldaten nach allen Seiten. Mir wollte es jedoch nach meiner Kenntnis des Ortes vorkommen, als wenn sie sich vorzugsweise auf der Straße nach Teruel gruppierten, was entweder auf einen Zuzug von dorther oder aber auf einen Rückzug dahin schließen ließ. Meine Kürassiere mußten sich unbeweglich halten, die Voltigeure sich aber ab und zu hier und dort zeigen. Gegen Abend ließ ich 358

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einen Teil der Kompagnie bis an den Ausgang1 des Defi- lees rücken, hier Halt machen und sich verdeckt aufstellen. Die Spanier blieben jedoch unbeweglich in ihrer Stellung, und es schien mir, als wenn sie gegen Abend Verstärkung erhielten. Abends ließ ich den Ausgang des Defilees nach Daroca hin durch Infanterie besetzen, versammelte mein ganzes Detachement und ließ durch die Kürassiere die Wege nach Carinona und Nostra Santa del Aquila fleißig abpatrouillieren. Zwischen sieben und acht erschienen meine beiden Boten wieder. Sie hatten die zwölf Leguas in sechs Stunden zurückgelegt und brachten mir einen Zettel, auf dem nur die Worte standen : „Ich habe es er- halten, Mühlberg. 1B) Calatayud." Wir konnten jetzt also jeder Besorgnis bar und überzeugt sein, daß sich das Rätsel in einigen Stunden lösen würde. Um Mitternacht langten auch wirklich die Spitzen der Kolonnen von Cala- tayud an. Mit ihnen kam der General selbst, der sehr un- gehalten nach meiner Order fragte. Als er sich überzeugt hatte, daß ich genau nach derselben gehandelt hatte, äußerte er sich mit Zufriedenheit über die von mir getroffe- nen Anstalten. Ich hörte hinterher, daß ein Adjutant den Fehler begangen hatte, statt des 5. den 4. zu schreiben. Es hatte an diesem Tage eine Expedition gegen die spa- nische Besatzung von Daroca stattfinden sollen, bei der mir die Rolle zugedacht war, sie von einem Rückzüge auf das Gebirge nach Nuestra Senora des Aquila abzuschnei- den. Ohne die günstige Lage des Ortes würde es bei einem entschiedeneren Benehmen der Spanier für mich vielleicht schwieriger gewesen sein, so heiler Haut aus dem Handel zu kommen.

Bis zum 15. September blieben wir in Daroca und wurden durch stete Patrouillen in die Umgegend trotz einer vortrefflichen Verpflegung sehr ermüdet Die ein-

") Moniberg ist der später, 1831, bekannt gewordene Divi- sionsgeneral dieses Namens. Er sprach trotz seines deutschen Namens nur wenig Deutsch. (Anmerkung des Verfassers.)

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zeincn spanischen Parteien, die das Land nach allen Ri hingen durchzogen, unsi-rt- Requisitionen hintertnehen t selhsl gegen die Hewohnn eine Art Tern.rismus übt [Irr bis /ur Grausamkeit ging, hielten uns in stetem Au I rbt-n'imtrtel, Kriegsmaterial allerart, selbst Leute wurc unter steter Androhung des trschietiens von den Oueri) requiriert, und hundertmal wohl habe ich llefehlt die Art in Mauden gehabt- „Die jungen Manner des Dort die sich in dir Zeit vorn bis nicht Mellen, werden schössen!" Es kam fast täglich zu kleinen Gefecht in denen wir viele Menschen verloren. Dadurch wui eine große Erbitterung der Soldaten herbeigeführt, u der Kampf nahm den Charakter einer gewissen Brutali an, die beiden Teilen wenig zur Ehre gereichte.

In Daroca erhielt unser Bataillon ein Kloster als 1 serne angewiesen; zugleich wurde den Grenadier- u Voltigeuroffizieren des Bataillons das Haus eines Con; jero real eines königlichen Rats beim Tribunal zi Aufenthalt und zur Speiseanstalt zugeteilt. Der Mann vi alt und schwach, harte aber den Guardian eines aufgel benen Klosters, der ein naher Verwandter von ihm w und eine junge Nichte, die ebenfalls Nonne in einem a gehobenen Kloster gewesen war und die das Hauswes leitete, bei sich. Beide trugen noch die Kleidung ihi früheren Ordens. Der Mönch war vielleicht einige dreifl die Nonne Monjita einige zwanzig Jahre alt Jen hatte ein gemessenes, aber dabei doch gefälliges Wes und etwas von einem vornehmen Manne. Er betrachtt die Dinge von einem ziemlich richtigen Gesichtspunk Die Nonne, eine echte Spanierin mit brennenden Aug und ziemlich braunem Teint, sah alles, was sie umga mit Neugierde an. Das muntere, lebendige Wesen d Offiziere gefiel ihr, und das ganze bewegte Treiben schi ihr zuzusagen. Eines Morgens, als ich von einer anstre genden Nachtpatrouille zurückkehrte, bat mich der Mön in sein Kabinett. „Ich höre, Seiior Enrique," redete mich an, „daß Sie gut Französisch schreiben, da woll 360

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ich Sie denn bitten, mir einen Brief an den Herrn General Suchet aufzusetzen, dem ich im Namen meines Klosters eine Bitte vortragen will." Da dies Gesuch durchaus nichts enthielt, was meiner Pflicht zuwider gewesen wäre, so ließ ich mich denn natürlich bereitwilligst herbei und zimmerte ihm bald nach seinen Angaben eine Vorstellung zurecht, die er als sehr gelungen betrachtete. Nachdem wir unser Geschäft beendet hatten, sprachen wir noch über dies und das, über den „grand Napoleon", wie er den Kaiser mit etwas Affektiertheit nannte, über Sitten und Gebräuche der Länder; zuletzt über den Einfluß der Inva- sion, besonders auf die Frauen, auf die er den Fremd- lingen einen großen Einfluß zuschrieb, wobei er hinzu- fugte, daß diese sich auch auf die Religiosas") ausdehnte, „wie denn auch die Monjita Ihnen, Serlor Don Enrique, sehr wohlwill."

Sie erwies sich in der Tat als eine kleine leichtsinnige Person, die sich in vielfache Liebeshändel mit den Offi- zieren, die kamen und gingen, einließ.

Am 15. brachen wir zu einer Expedition nach Molina auf. Unser Regiment jedoch blieb bei Gallocanta in Po- sition, während General Chlopicki bis Molina vordrang, eine Menge Waffen wegnahm und sogleich die Waffen- fabriken zerstörte. In einer Entfernung von einer halben Legua von Gallocanta erheben sieh Gebirge von bedeu- tender Höhe. Sie waren seit unserer Ankunft die Zu- fluchtsstätte der Bewohner und der Zersprengten ge- worden, die nicht unterließen, die Vorteile ihrer Stellung geltend zu machen. Schon nachmittags gewahrten wir Bewaffnete in den Gebirgen nach Molina zu, und uns ward alsbald der Befehl, einen Streifzug nach La Yunta, dem angeblichen Hauptschauplatz der Insurrektion, zu machen. Der Weg dahin war sehr beschwerlich, aber wir fanden den Ort verlassen und nur den einen Bürger- meister anwesend, der uns mit der gewöhnlichen Redens-

lä) Nonnen.

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art entgegenkam, daß einige Schlechtgesinnte sich im D> festgesetzt und den Ort kompromittiert hätten. Die an Bewohner wären aus Furcht entflohen, aber man sei bc alles für die braven Truppen des großen Napoleon zu Nachdem wir die Gegend durchstreift und einige Schi mit den Dispersus den isolierten und zerstreuten daten, die absichtlich zurückgelassen worden, oder andern Gründen zurückgeblieben waren gewecr, hatten, kehrten wir zurück.

Während unserer Abwesenheit hatten einige siere, die man im Verein mit einem Inf ante riedetachen zurückgelassen hatten, mehrere Häuser geplündert. Kommandeur des Regiments lieB sofort nach Rückl desselben in Molina ein Verfahren gegen den Hauptsc digen einleiten^ die Kriegsartikel verurteilten ihn o Frage zum Tode. Ich weiß nicht, welche Prozedur Oberst eingeschlagen hat, aher abends erzählte man Biwak, der Soldat sei zum Erschießen verurteilt und den hierzu bestimmten Platz geführt worden. Man h ihm den Spruch des Gerichts vorgelesen, ihm die Au verbunden, ihn niederknien und dann auf ihn feuern las: Die Gewehre aber seien nur mit losem Pulver gela gewesen; nichtsdestoweniger sei der Soldat entseelt gesunken. Der Oberst des Regiments, der zugegen wesen, soll mit großer Ruhe nur geäußert haben : „C ment, le gueux est mort! tant mieux! il a deshor son regiment par son pillage et il le deshonore en< davantage par sa mort n'est-ce pas, cuirassiers ?" 1 ein einstimmiges „Oui, colonel!" soll die Antwort

Am IQ. September rückte ein Teil der Brigade i hohe Berge auf meistens abscheulichen Wegen nach C mocha, einem wohlhabenden Orte im Jilocatal mit : Franziskanerklöstern. Ich entsinne mich nicht, je besch' lichcre Märsche zurückgelegt zu haben. Meist ging Weg auf Fußsteigen bergauf bergab, die es namen der Kavallerie fast unmöglich machten, zu folgen. Zahl 362

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Hufeisen gingen verloren, und obwohl die Reiter die Pferde oft führten, wurden dennoch viele der letzteren gedrückt Große Schwierigkeiten verursachte die Artillerie, und oft mußte die Infanterie die Geschütze eine Zeitlang schleppen. Aber der Marsch ging dennoch ohne sonderlichen Aufent- halt ziemlich rasch vonstatten. Hier und dort fanden mit einigen Spaniern leichte Scharmützel statt, die, obgleich ganz unbedeutend, doch Verwundete gaben. Man rückte abends in Calaraocha ein, und wir wurden hier sehr gut verpflegt Ich sah hier eine große Menge mit Gewalt zu- sammengetriebener Schafe, die nach Zaragoza gebracht werden sollten. Ehe diese Herden jedoch an ihrem Be- stimmungsort angelangt waren, waren sie mehr als dezi- miert Die sie begleitenden Beamten verkauften davon unterwegs; die Soldaten glaubten sich berechtigt, für ihre Mühe gleichfalls das ihrige zu fordern, brieten und koch- ten, soviel sie nur essen konnten, und verhandelten fleißig an die Marketender. Viele Tiere fielen wohl auch unter- wegs, indem man sie ohne alle Rücksicht weiden und tränken ließ. Die große Rubrik „creve en route" (unter- wegs verendet) nivellierte die Spitzbübereien und Zufällig- keiten, während durch die brutale Wegnahme jener Herden gewiß der Wohlstand vieler Familien untergraben wurde.

Am 30. stieß der Rest der Brigade, der noch einen Tag länger im Gebirge verweilt hatte, wieder zu uns, und vereint kehrten wir über Daroea nach Calatayud, wo wir am 23. eintrafen, zurück. Wir waren jedoch kaum an- gekommen, hatten abgekocht und uns einigermaßen ein- gerichtet, als der Befehl eintraf, am anderen Tage zu früher Stunde im erstgenannten Ort zu sein. Der Ab- marsch ward so übereilt betrieben, daß der Regiments- und ein Bataillons arzt, die in ihren Quartieren infolge großer Ermüdung eingeschlafen waren und die Marsch- signale überhört hatten, zurückblieben. Wir waren be- reits eine Legua von der Stadt, als man dessen inneward. Ein Detachement zurückzuschicken, wäre bei der Nähe feindlicher Truppen gefährlich gewesen ; mit der ganzen 363

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Macht mochte man nicht umkehren. Es blieb uns daher nur übrig, der Junta zu schreiben und sie und die Stadt dafür verantwortlich zu machen, daß die beiden Indivi- duen den nächsten Tag nach Daroca gestellt werden sollten. Der Brief ward der Behörde von Paracuelles de Jiloca Überwiesen und diese für dessen richtige Besorgung verantwortlich gemacht

Einstweilen waren jedoch die spanischen Truppen wieder in Calatayud eingerückt und hatten sich alsbald der Herren Medicos bemächtigt. Als nun das Schreiben unserer Behörde anlangte, erhob sich ein Zwiespalt zwi- schen Militär und Zivil, der mehrere Tage lang währte, bis endlich der spanische Befehlshaber sich zum Nachgeben entschloß. Die beiden Herren langten demnach in Daroca „sain et sauf" mit allen Bagagen an, wurden von den Offizieren recht freundlich, desto unfreundlicher aber vom General empfangen, der sie, wenn ich mich recht erinnere, einige Tage einsperrte und, um ähnlichen Umständen künf- tig vorzubeugen, einen sehr pikanten Parolebefehi erlieft.

Am 24. waren wir zur bestimmten Zeit in Daroca. Wir fanden hier alles in Bewegung, und schon am 25. früh marschierten wir nach Calamocha. Die valencianische Armee hatte sich Teruels bemächtigt und von hier aus starke Detachements gegen uns vorgeschoben. Es gab fast täglich kleine Renkontres mit den Guerillas, welche die spanische Armee teils freiwillig begleiteten, teils ihr aus dem cata Ionischen und Valencia nischen Aufgebot bei- gegeben waren. Die Voltigeurs der Brigade, vereint unter Oberstleutnant Bayer, bildeten die Avantgarde. Wir wur- den hier mehr wie je durch Anstrengungen angegriffen. Dabei war das Lager, obwohl in einem Olivenwalde auf- geschlagen, ungemein kalt. Man hatte es, durch die Ver- hältnisse dazu bestimmt, zu nahe an den Jiloca gelegt und war dadurch auf einen Wiesengrund geraten, dessen Aus- dünstungen uns, wenn wir länger hier verweilt hätten, gewiß sehr schädlich geworden sein würden. Den 29. brachen wir wieder nach Daroca auf. Ich weiß nicht, was 364

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die Veranlassungen dazu gewesen sein mögen, aber wir bewegten uns fortan in den unzugänglichsten Gegenden der aragonischen Gebirge.

Die Niederhaltung des Aufstandes und die Abwehr der von Valencia über Teruel und aus Castilien über Molina und Calatayud heranziehenden und ohne Aufhören heranprallenden Truppen beschäftigte unsere Division (Le- val) bald in höherem, bald in geringerem Maße in dem schon angegebenen Terrain. Mehrere Monate hindurch hatten wir unsere Aufstellungen bald auf der einen, bald auf der anderen der angegebenen Straßen. Wir zerspreng- ten einzelne Aufstände, schützten die Einwohner gegen die Gewalttätigkeiten ihrer Landsleute, requirierten und geleiteten Lebensmittel nach Zaragoza, entwaffneten ein- zelne Gegenden und säuberten das Land von allen Un- ruhestiftern. Die strenge Mannszucht, die wir hielten, gab den Bewohnern bald Vertrauen zu uns, und die ange- messene Verwaltung, die der General in den von der Armee besetzten Oegenden einführte, machte die großen Kräfte des Landes allmählich disponibel und führte die Möglichkeit herbei, größere Unternehmungen vorzube-

Calatayud bildete einen der hauptsächlichsten Stütz- punkte unserer Bewegungen und ward nicht ohne mannig- fache Kämpfe behauptet Auch erforderte die Aufrecht- erhaltung der Gemeinschaft mit Daroca, Ajmuna und Cari- Bona vielfache Anstrengungen. Für die Voltigeurkom- pagnien trat hier insofern eine kurze Erholung ein, als sie nicht im Biwak zu stehen brauchten, sondern ein Kloster angewiesen erhielten, um sich dort einigermaßen erholen und ihre Sachen und ihr Schuhwerk ausbessern zu können. Wohlverstanden mußten sie dabei jeden Augen- blick zum Marsch in Bereitschaft sein. Mir ward zum Aufenthalt des Tages (denn nachts mußten wir bei den Truppen sein) ein Haus neben einer Zuckerbäckerei ange- wiesen. Gewöhnlich pflegte ich schon frühmorgens eine Tasse Schokolade, die eine alte Botiguera, eine Art Laden - 365

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mamscll, bereitete, in der Konditorei zu trinken. Eines Tages kam ich etwas früher als sonst und fand eine junge, bildschöne Nonne, die ihr Kloster hatte verlassen müssen und noch im Ordenskleide war, im Laden. Sie entfernte sich sogleich, aber die Erscheinung war zu interessant, um nicht sofort über sie die genauesten Erkundigungen ein- zuziehen. Da erfuhr ich denn, daß sie eine Madrilena aus Madrid und der Hausherr, ein bärtiger, struppiger und unfreundlicher Kerl, ihr Onkel (Tio) sei, eine Be- nennung, unter der man in Spanien auch jeden weitläufigen Verwandten zu verstehen pflegt „Das arme Kind," er- zählte die Botiguera weiter, „ist die Tochter nicht ganz unbemittelter Leute, die sich vor den Herren Franzosen hierher geflüchtet, und nun haben wir diese Herren auch hier. Doch da ist nichts zu machen, Gott will es so. Sie hat gewünscht beim Tio zu leben, dem dies eigentlich nicht angenehm ist; aber so sind die Menschen sie machen sich unglücklich, indem sie das wünschen, was ihnen nicht nötig ist." Nach einigen Fragen kaufte ich einige „Dukes"10) und bat die Alte, diese der rei- zenden Monjita5') zu übergeben, weil sie dergleichen ge- wiß liebe. Daß ich dabei die Überbringerin nicht ver- gaß, versteht sich von selbst. Diese machte zwar anfangs einige Umstände, endlich aber gab sie nach, indem sie mir das Sprichwort zurief: „Sefior dadiva branta prena, y entra sin barrena".") Als ich andern Tags erfuhr, daß meine kleine bekannte Unbekannte meine Dulces nicht ausgeschlagen hatte, wiederholte ich mein Präsent und fügte zugleich hinzu, daß ich mich glücklich schätzen würde, der liebenswürdigen Schönen dergleichen selbst überreichen zu dürfen.

Eine kleine Expedition nach Atcca unterbrach diesen Verkehr auf einige Tage, der aber sofort nach unserer

») Dulces = SüBigkeiten.

") Monjita oder Monja = Nonne.

") Spanisches Sprichwort, soviel als: Mit Geschenken kommt iiKiri Lil^iall durrh.

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I

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Rückkehr wieder angeknüpft ward. Meine Alte sagte mir, daß die Herren Franzosen mit Ungeduld erwartet worden wären, und vertraute mir zugleich, daG die Monjita von einem Gitterfenster her fleißig nach dem Appellplatz, der fast vor dem Hause lag, hin üb ergesehen härte. Somit also war, ohne daß wir uns gesprochen hatten, eine Be- kanntschaft angeknüpft. Ich schickte wieder meine kleine Gabe und bat um die Erlaubnis, sie später einmal per- sönlich überreichen zu dürfen. Nach der Rückkehr von einer weiten, mehrtägigen Expedition erfuhr ich, daß der Tio auf kurze Zeit verreist sei; als ich nui\ die Bitte, meiner unbekannten Schönen einige Dulces persönlich überreichen zu dürfen, wiederholte und diesen Antrag zugleich mit einem kleinen Geschenk an die Ladendienerin, welche die Stelle einer Duena zu vertreten schien, beglei- tete, ward ich tags darauf durch die angenehme Nach- richt überrascht, daß Sefiora Ines eingewilligt habe, diesen Abend der „Attencion del Senor Cabellero" entgegenzu- sehen. Wäre der Tio zu Hause gewesen, so würde ich Anstand genommen haben, zu dem Stelldichein zu kommen, so aber konnte ich den Abend kaum erwarten und hatte nur die Furcht, durch irgend ein Kommando, eine Pa- trouille oder dergleichen davon abgehalten zu werden. Glücklicherweise war dies nicht der Fall; ich veranlaßte meinen Freund Krakowski, mich auf einige Stunden zu vertreten, schlich dann, mit Dolch und Doppelterzerol be- waffnet, bei der Wache vorüber nach der Konditorei, wo ich die Tür nur leicht angeleimt fand, und wurde von meiner Vertrauten empfangen. Unmittelbar nach meinem Eintritt hörte ich den Türriegel vorsichtig vorschieben und wurde dann von der Alten durch einen langen Oang ge- führt, von dessen Ende her mir ein schwaches Licht ent- gegenschimmerte. Es war die Lampe der Duena, die sie hier zurückgelassen. „Folgen Sie nur, Senor," rief sie mir zu, „wir sind bereits am Ziel," und unmittelbar darauf öffnete sie ein kleines dunkles, feuchtes Gemach, in dem ich den Gegenstand meiner Sehnsucht treffen sollte. Arme 367

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Tagelöhner dürften bei uns kaum schlechter wohnen. Die Einrichtung entsprach vollkommen dem elenden Aufent- halte: ein Tisch, zwei Stühle, eine blecherne Lampe, ein Wasserkrug, ein elendes, niedriges Bett, ein kleines Ge- fäß mit Weihwasser unmittelbar an der Tür und zwei Bücher waren alles, was ich in der Stube wahrnahm. „Senor Don Enrique," mit diesen Worten stellte mich die dienstfertige Duefia vor und ließ uns darauf allein. „Senora," redete ich meine liebenswürdige Schöne an, „ich schätze mich glücklich, dem heißesten Wunsche meines Herzens genügen und Ihnen endlich die kleinen Beweise meiner Aufmerksamkeit persönlich überreichen zu können." Ich hatte mir diese Redensart mit Hilfe meines Diktionärs gründlich einstudiert. Meine reizende Monjita erwiderte kein Wort, nahm aber die Dulces und legte sie schweigend auf den Tisch, schlug die Augen nieder und faßte die Schnur ihres Ordenskleides. „Por el amor de Dios"") eine gewöhnliche spanische Redensart, um Verwunderung auszudrücken sagte sie endlich, „wenn das jemand wüßte." „Nun," entgegnete ich, „ist es denn etwas so Böses, eine kleine Aufmerksamkeit anzu- nehmen?" — „Aber die Art und Weise, wie dies ge- schieht," antwortete sie, „erscheint mir nicht sonderlich angemessen." Ich ergritf hierauf die Hand der reizenden Monjita, drückte sie an mein Herz und nun entspann sich eine, durch Unkenntnis der Sprache allerdings vielfach unterbrochene Unterhaltung, die jedoch damit endete, daß die Seiiora versprach, mich am folgenden Tag wieder zu sehen. Ich war offenherzig genug, ihr im Laufe des Ge- sprächs meine Waffen zu zeigen, was ihr ein „Jesu! Jesu! wer mit Eisen tötet, kommt durch Eisen um," aus- preßte, aber dann doch wegen der Gefahr, in die ich mich ihretwegen hatte stürzen wollen, einen nicht Übeln Ein- druck zu machen schien. Wir mochten so vielleicht ein Stündchen geplaudert und geschwiegen haben, als Seiiora

») Soviel als: Um Gottes willen!

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Catalina hereintrat und uns sehr verschlafen daran er- innerte, daß es Mitternacht, mithin Zeit sei, uns zu trennen; was denn auch, aber schon unter wechselseitigem Hände- drücken, geschah. Ich schlich mit Catalina denselben Weg zurück. Die Tür war bereits geöffnet, und nachdem ich einen meiner letzten Duros») in die Hand Catalinas hatte gleiten lassen, schlich ich im Schatten der Häuser zu meiner Kompagnie. An der Seite meines Freundes sah ich, ohne zu schlafen, dem Anbruch des Morgens entgegen. Das Bild der reizenden Ines schwebte mir fortwährend vor Augen, und ich fing schon mit dem ersten Strahl des neuen Tages an, die Stunden bis zur Zusammenkunft mit ihr zu zählen.

Um 11 Uhr war ich wieder auf meinem Posten, und alles trug sich wie am vorgehenden Abend zu. Unsere Unterhaltung war ungezwungener, lebhafter, ich wagte schon einen Scherz und sagte: „Sefiora Ines, wie wäre es, wenn jetzt plötzlich la Sefiora Abadesa und der Senor Guardian hcrcinträtcn ?" „Jesu," sagte das holde, schöne Kind, mir die Hand auf den Mund legend, „wie können Sie an so etwas denken ? Aber schlimmer wäre es," fügte sie hinzu, „wenn der Tio plötzlich vor uns stände. Er ist ein gewalttätiger, heftiger Mann und ein großer Feind der Scnorcs Frariccses. Nehmen Sie sich ja vor ihm in acht, ich traue ihm alles Böses zu." Ines hätte mir dies nicht zu sagen brauchen, ich hatte es dem Kerl längst angesehen. Wir trennten uns etwas später und verabredeten eine Zusammenkunft für den nächsten Abend, zu der ich mich pünktlich einstellte.

Des andern Abends gegen 10 Uhr kam der Adjutant Major Rechowicz ins Kloster, liefl zwei Voltigeurkom- pagnien antreten und fügte nur hinzu, daß wir sofort ab- rücken würden. Ich war anfangs zweifelhaft, ob ich mich nicht krank melden und für diesmal zurikkhleihen solle. „Andere tun es so oft," dachte ich bei mir selbst, „gehen

!') Duro = Piaster (4 Mark). 24 BvM7: Spin. FrclMWampf. 36°

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nach Zaragoza, bleiben Monate fort. Du bist immer bei der Truppe warum sollst du nicht auch einmal dich

Aber mein (k-iuiil lcilulT muh in dieser S.idte ridi- nger, nls in meiner LiebusanirelcifcnlH-it. leii /(.>;; den Degen, marschierte schweren Herzens an dem Hause der teuren Ines vorüber und dachte: „Das Wiedersehen wird

Wir folgten einem Bataillon, das schon nachmittags abgerückt war, und dirigierten uns auf das Clarestal, Schon unterwegs verbreitete sich das Gerücht, daß ein ungün- stiges Gelecht stattgefunden hätte und daß wir zur Unter- stützung nachrückten. V,'ir fanden auch bald unsere Kame- raden ohne Feuer in einer kleinen Ebene biwakierend, während gegenüber zahlreiche Feuer der Spanier desto heller loderten. Unser DetachenientsfiibnT beschloß, etwas zu ruhen und dann den Feind anzugreifen. Nachdem eine kurze Disposition ausgegeben war, gingen wir still vor. Die beiden Voltigeurkompagnien wurden auf die Flügel gestellt das Bataillon bildete vier kleine Kolonnen- mit uiiii:;e>i ilreiili;: Schritten Distanz. Die Kavallerie ward auf (iem Vt't^ aufgestellt vo:n aber da* üeschutz. Dies alirs war fiesclieheri. ohne daß der fe.nd es Bemerkt hatte, und Mir waren ihm au) zirka h()i) Schritte genaht. Nun mußte <:is (irsrhut/ Ii u- rn, und unmittelbar darauf brachen wir imt^rw.ilti^ein Murrayeichrei unter Trommel- und Horner- -. l'e.v"! Vl.r .-.i-. i.l. i ,:■<- ' -I-U1I..I. ^vli.n, wir !„■: dem ersten Schutl alles im Lager an den Biwaksfeuem darehcinanilrrlief. Kine auf nahe Lntlrmunfi angegebene Salve trieb alles in wilde Flucht, und als wir die feind- liche Stellung tirtiehtei), war niemand mehr da, der uns Widerstand grinstet killt. Wir setzten die Verfolgung

mithin nicht hatten mitgenommen wi einige Manttlsatke und l.ehwisrnittfl w

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Toten fanden wir einen auf dem Sehl achtfei de. Für uns war das Haupt res ultat, daß wir die Feinde, nachdem sie am Tage vorher die Unsrigen am Vordringen ver- hindert hatten, schließlich völlig auseinandergetrieben und dadurch den gefährlichen Übertreibungen, welche oft mehr auf die Spanier wirkten als wahre große Siege, gründlich vorgebeugt hatten. Nachdem wir noch eine starke Re- kognoszierung den Cläres aufwärts gemacht hatten, kehr- ten wir nach Calatayud zurück, wo die militärischen Vor- sichtsmaßregeln, die man ergriffen hatte, sowie das Ge- rücht, daß die Voltigeure nachts spat ausmarschiert wären und daß man heftig habe schießen hören, große Unruhe erregt hatte. Besonders war in den öffentlichen Lokalen, also auch in der Konditorei davon gesprochm wurik'r,, und Catalina hatte dies vermutlich Ines mitgeteilt.

Als ich am andern Tage gegen Abend in die Kon- ditorei ging, um für die Zusammenkunft mit Ines das Nötige mit Seiiora Catalina zu besprechen, war ich nicht wenig erstaunt, den gefürchteten Tio an deren Stelle zu erblicken. „Ich habe Sie ja seit einigen Tagen nicht ge- sehen," redete ich ihn so unbefangen wie möglich an.

„Jawohl," entgegnete er, „ich bin verreist gewesen."

„Bringen Sie uns etwas Neues mit?" fragte ich weiter.

„Daß ich nicht wüßte," war die Antwort, „die Senores Franceses haben aus der Gegend, wo ich war, eine Wüste gemacht; sie haben Scheußlichkeiten bedangen, für die unsere Sprache keinen Namen hat." „Genug," dachte ich bei mir selbst und brach die Unterhaltung ab, obwohl ich dem Manne in meinem Herzen nicht gani unrechi j;ab.

Glücklicherweise wurde meine Zeit in den nächsten lagen duich kleine Lxkursionfn /u sein in Anspruch ge- nommen, als daß ich meir.e Gedanken aussihlieffli; Ii dem Ge^enslande meiner Sehnsucht hatte zuwenden und mich daduich vielleicht dem schlauen, argwohnischen Tm ver- raten können.

Iii« strenge Disziplin, welche d:e Generale .lulmlit erhielten, und das Vertrauen, das allmählich wieder Wurzel 24' 371

schlug, beruhigten die Stadt sowohl als die nächste Um- gebung. Ein Kommando führte mich in dieser Zeit nach IWtjca, wo ich Gelegenheit hatte-, Dof-a Mi^utla '.u sehen. Sie war die Freundlichkeit selbst gegen mich, aber Ines hatte mein ganzes Wesen so durch und durch erfüllt, daß ich jeder Versuchung, mit ihr in nähere Berührung zu kommen, siegreich widerstand. Glücklicherweise durfte ich schon in den nächsten Tagen nach Calatayud zurück- kehren, wohin mich mein Herz gewaltig zog. Meine Freude war grenzenlos, als ich bei meiner Rückkehr Catalina wieder an ihrem Platze und den Tio abwesend fand. Der Abend gehörte natürlich uns beiden.

Ich blieb diesmal länger als gewöhnlich bei Ines; es war, als hätten wir geahnt, daß es unsere letzte Zu- sammenkunft sei. Catalina, die zum Aufbruch mahnte, ward zweimal bewogen, uns noch nicht zu trennen. End- lich aber mußten wir doch scheiden. Ines gab mir ein Papier, in das etwas gewickelt war, und sagte mir: „Nimm es und trage es als ein Andenken von mir; es ist eine Arbeit meiner Hände." Sie begleitete mich, was sie bis dahin nie getan hatte, in den langen finsteren Gang und nahm hier Abschied. „Ach," sagte sie, „die Brust weint (ein Ausdruck, der in spanischen Liedern vorkommt), mich drängt und quält, ich weiö nicht was. Komme morgen ja, denn ohne dich stirbt deine Freundin."

Es war fast drei Uhr, als ich in das Kloster zurück- kam. Schon waren viele Soldaten, die die Kälte hinaus- getrieben hatte, auf den Beinen. Selbst mein Kompagnie- kamerad hatte die Hanfschicht, auf der wir zu schlafen pflegten, verlassen. „Hast du gehört," fragte er mich, „daß wir heute eine järoße Exkursion machen werden?" „Wie," entgegnete ich, „wir haben ja durchaus keinen Befehl dazu." „Ich war gestern," fuhr er fort, „bei den Kürassieren, die wollten Nachricht haben, daß wir uns nächstens mit Truppen aus Zaragoza zu einer wichtigen Expedition vereinigen würden." „So," erwiderte ich anscheinend gleichgültig, „es tut mir leid, ich werde euch 372

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wahrscheinlich nicht begleiten können ich habe das Fieber habe die ganze Nacht kein Auge geschlossen und kann mich kaum auf den Füßen halten." Wir waren noch in diesem Gespräche begriffen, als wir den Oberstleutnant Bayer, der die vereinigten Voltigeure der Brigade kommandierte, rufen hörten : „Wo sind die Kom- pagniechefs ?" Ich trat sogleich heran und fragte nach seinen Befehlen. „Wir brechen in einer Stunde auf; ob wir wieder hierher zurückkehren werden, ist unge- wiß — wir nehmen alles mit," war die Antwort. „Und wo bleiben die Kranken?" fragte ich. „Die gehen nach Daroca," entgegnete er, „denn Calatayud bleibt einst- weilen unbesetzt." Mein Plan, hier zurückzubleiben, mußte also aufgegeben werden.

Wie übrigens diese Nachricht auf mich wirkte, ver- mag ich nicht zu beschreiben. In einer Stunde brachen wir auf. Der dicke Nebel, der über dem Tal schwebte, machte es unmiiirlidi, ( k'gfnsiiinüe selbst in der größten Nähe zu entdecken wie in einen dichten Flor gehüllt durchzogen wir die Straßen. Auf der Straße nach Daroca endlich machten wir Halt, schickten uns dann, unter Beob- achtung der gewöhnlichen Vorsichtsmaßregeln, zum Weitermarsch gegen die Stadt an und befanden uns bald in dem verpesteten Hauche der hanf bauenden Dörfer. Wir erreichten zu früher Stunde Daroca selbst und erhielten wie gewöhnlich die Klöster, in denen wir schon so oft ge- haust hatten, und die in der Nähe liegenden Lokalitäten zum Quartier angewiesen. Der Herr Consejero") war wie immer still, aber der Guardian und Senora Miguela empfingen uns wie alte Freunde.

Es kam mir indes vor allem darauf an, das, was mir Ines gegeben, genau zu befrachten, denn die stete Gegen- wart von Leuten und Kameraden auf dem Marsche hatte mich bis jetzt daran gehindert. Ich ging allein die alte maurische Stadtmauer entlang und langte nach einer be-

S1) Consejero = Rat

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schwerlich cn Wanderung in dem Teile des Schlosses an, der durch die früher erwähnte Explosion in Trümmer ge- legt war. Es stand hier ein Posten der Voltigeure. in einiger Entfernung von ihm entfaltete ich das Papier und betrachtete nun das Geschenk mit Muße. Es war ein braunes, mit großer Geschicklichkeit geflochtenes Band, mit den Worten: „Madre purissima guarda mi amigo."^) An dem einen Ende war ein E, an dem andern ein 1 mit zwei verschlungenen Herzen gestickt, ich benutzte das teure Geschenk dazu, meine Uhr daran zu tragen. So fiel es am wenigstens in die Augen ; ich legte es fast nie ab, und da dergleichen Hiinder, wenngleich nicht so sauber gestickt, hier und dort verkauft würden, so konnte ich die Neugier der Kameraden leicht durch irgend eine Er- zählung beschwichtigen. Dann ging ich auf den höchsten Punkt des Berges, sah die Straße nach Calatayud hinunter und schlich dann betrübt zu meinen Genossen zurück.

Vom Guardian horte ich hier, daß die spanischen Truppen in bedeutender Stärke hei Teruel und Albarracin ständen, gegen Daroca vorzudringen schienen und daß General Suchet Truppen gegen sie abgesandt habe. Der kluge Priester wußte wahrscheinlich noch viel mehr, aber er hütete sich wohl, es uns zu sagen. Abends lud er uns zu einer Tertulia, einer Art Soiree ein. Senora Miguela beteiligte sich sehr lebhaft an der Unterhaltung und wollte viel von den Snioritas Oaht.'i vuds wissen.

Am andern Tage früh brachen die vereinten Volti- geure nach Calamocha auf. Ein Detachement, bestehend aus dem 14. Linienregiment, dem 13. Kürassierregiment, einigen Zügen polnischer Ulanen, vier Geschützen und einer Kompagnie spanischer Cazadores«) waren von Zara- goza her zu uns gestoßen. Wir standen unter General Chlopicki, die Franzosen unter Oberst Henriot, dem Kom- mandeur des 14. Regiments.

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Wir fanden den Feind, wenngleich nicht zahlreich, in einer ziemlich starken Stellung vor Ojos Ncgros. Der entschlossene Angriff unserer Völlige urkompagtiie, von einer Umgehung über Villar dei Saz her unterstützt, zwang die Spanier sehr bald sich zurückzuziehen und Zuflucht in den Bergen zu suchen. Unsere Kavallerie sprengte rasch nach und bemächtigte sich einer ziemlich reichen Beute, die aber meistens von den Bewohnern, die der Bergbau hier wohlhabend gemacht und die mit den Truppen die Flucht ergriffen hatten, stammen mochte.

Am andern Morgen ward der Marsch auf Origuela an der Molina, die hier nur sehr unbedeutend Ist, fortgesetzt. Wie man uns sagte, sollte ein Angriff auf das Kloster Nuestra Seiiora de !a Tremedad die Franzosen nennen es Tremedal stattfinden, indem General Villacampa sich hier festgesetzt hatte und die Umgegend beunruhigte. Wir verließen unweit Origuelas die Straße und wandten uns mehr südlich nach dem Wege von Albarracin, wo sieh am Fuße der Berge ein lebhaftes Tirailleurgefecht ent-

Die i. Kompagnie blieb in einer kleinen Vertiefung südlich des Ortes stehen, ich mußte mich im Flecken Ori- guela selbst aufstellen und nördlich patrouillieren. Es konnte -hierüber zwei Uhr geworden sein. Das Gefecht zu unserer Linken ging manchmal lebhaft, dann durch Pausen unterbrochen fort. Gegen drei Uhr kam Oberst Henriot in Begleitung des später so bekannt gewordenen van Halenis), der von den wallonischen Garden überge-

30) Don Juan von Halen, Graf von Peracampos, spanischer Offizier, belgischer Abkunft, 1790 -1S64, nahm an dem Aufstand von Madrid am 2. Mai 1808 teil, floh dann zu der Armee der spanischen Patrioten, trat aher spaur /um iiji)/^-i-Lln:i ümf -aber. SpiiiiT, 18)5, beteiligte er sich an einer Verschwörung gegen Ferdinand VII., und iilli] verhaftete ihn. um iSin indes bald « iedei frei zu lassen und zum Oberstleutnant zu befördern. Nicht lange darauf wurde er indes aufs neue in Line VeLiihwörun;; vcrwickflt '■:>"■! eii];;es;-cnt, i'n'il'ih jedoch aus dem Kerker der Inquisition nach Rußland. 1820 kehrte er in sein aufständisches Vaterland zuiiick und wurde Minas Adjutant.

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treten war, geritten und rekognoszierte die Gegend. Sie sprachen Lateinisch, was der wunderbaren Aussprache des Franzosen wegen große Heiterkeit bei uns erregte. Oerade als die Herren an uns vorüberritten, hörten wir wie Oberst Henriot sagte: „Utique domine", und wir haben den son- derbaren, strengen Mann, dessen Regiment mit uns öfters in einer Brigade war, seit jener Zeit nur „Utique domine" genannt. Er war mit meinen Anstalten zufrieden. Noch war kein SchuS gefallen, auch sahen wir nichts vor uns, als das steile Waldgebirge, das sich erst allmählich, aber dann ziemlich jäh und gezackt wohl an die tausend Fuß über die Ebene erhob. Hoch darüber weg ragten die Dächer des Heiligtums, das man uns Ms stark verschanzt geschildert hatte. Zwischen uns und dem Waldgebirge befand sich eine Ebene von etwa 1200 Schritt Breite, die sich rechts und links am Fuße des Berges hinzog. Links auf derselben und in den Gebüschen währte das lufanteriefeuer fort. Eine Stunde efwa nachdem Oberst Henriot bei uns gewesen, kehrte van Halen allein zurück und brachte den Befehl, aus dem Örtchen wegzurücken und uns in der Ebene auf dem Wege nach dem Sanktua- rium aufzustellen.

Ich rückte scii'"rl nach dein mir an^uwic-eiieii Pulten ab. Allein kaum waren einige 100 Schritt zurückgelegt, als sich der Wald vor uns zu beleben anfing und wir heftiges Feuer erhielten. Trotz der großen Entfernung schlugen viele Kugeln in die Kompagnie, und die Leute riefen mir zu: „Es ist besser, Herr Leutnant, die Carajos anzugreifen, als sich hier untätig totschießen zu lassen." Da ich die Wahrheit dieser Behauptung einsah und nichts Übles darin erblickte, mich zum Herrn der Lisieren zu machen, in schickte ich meine i irailleure sofort in Marsch- Marsch vor. Ich selbst folgte der Bewegung im schnell- sten Tempo, und mit ganz geringem Verlust erreichte ich den Sauen des Waldes, während die Spanier sich in den Hochwald zurückzogen.

Ich hatte kaum von meiner Stellung Besitz ergriffen,

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als der Adjutantmajor des 14. Regiments erschien, an- fragte, wer hier kommandiert hätte, und die Gluckwünsche des Oberst über die „brillante Attacke", die er mit ange- sehen hatte, überbrachte.

Ein schwaches Feuergefecht dauerte noch einige Zeit fort die Spanier wichen allmählich zurück, und ich drang1 mutig nach. Am Fuße des Berges jedoch machte ich Halt; der Abend näherte sich, und da ich von dem Gros des Detachements ziemlich entfernt war, fürchtete ich mit Recht, bei einbrechender Dunkelheit umgarnt, viel- leicht in eine sehr nachteilige Lage gebracht zu werden.

Da erschien wieder ein Adjutant und teilte mir mit, daß ich das Gefecht einstellen und erst auf den dritten Wurf, den man bei einbrechender Dunkelheit aus einer Haubitze auf das Kloster machen werde, im Sturmschritt vordringen solle. Das Gefecht hörte also allmählich auf. Nach einiger Zeit ertönte der erste Kanonenschuß, dem bald die beiden andern folgten. Munter gings von allen Seiten zum Angriff vor. Fast ohne Widerstand, ohne einen Verwundeten zu haben, gelangte ich bis an den Fuß des Klosters aber einige steile Felspartien und eine Mauer machten es unmöglich, weiter vorzudringen. Während einige Leute nach einem Zugange suchten, drängten wir uns so nahe wie möglich an das Hindernis hinan, denn man hätte uns von oben mit Steinen totwerfen können.

Das Schießen hatte aufgehört, eine ängstliche Stille folgte, und erst nach längerem Suchen wurden wir durch die Auffindung einer Rampe, die ins Innere des Klosters führte, aus der prekären Lage erlöst. Nirgends fanden wir auf unserm Wege Widerstand, und statt der Spanier kamen die französischen Grenadiere und Voltigeure des 14. Regiments auf unserer Linken zum Vorschein. Wir verfolgten den flüchtigen Feind noch eine Stunde auf dem Wege von Molina und kehrten dann nach dem Kloster

Die Franzosen hatten hier bereits alle Türen einge- schlagen und waren selbst in die Kirche eingedrungen 377

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aus den Soldaten war eine Rotte plünderungssOchtigen Gesindels geworden, die alles raubte und mit fortschleppte, was nicht niet- und nageltest war.

In einem großen Stalle neben dem Kloster waren, ich weiß nicht wie viele Tausend Patronen in Kisten auf- gehäuft. Ob man den Befehl gegeben, das Gebäude anzu- zünden, oder ob die Spanier dies vorbereitet genug, us Iii);.' plot/lii'h im Gebälk am Giebel zu brennen an, und die Plünderer, die in der Regel auch feiger zu sein pflegen wie andere Leute, räumten im Augenblick das Kloster, die Kirche und den Hof. Wir sammelten uns in einiger Entfernung vom Kloster, und gegen acht Uhr abends waren wir wieder am Fuße des Berges, wo die Artillerie, die Kavallerie und der Rest der Infanterie bereits ein Biwak bezogen hatten. Die Kompagnien kehrten zu ihren Regi- mentern zurück, denen sie zugleich ihre Gefangenen ab- lieferten. Ich für meinen Teil konkurrierte hierbei mit einem Offizier und einem Doktor, die beide jedoch in der Nacht Gelegenheit fanden, sich wieder davon zu machen, worüber Offiziere und Soldaten des Regiments andern Tags eine starke Strafpredigt hören muBten, die gewiß auch redlich verdient war.

Das arme Origuela mußte beim Biwak tüchtig her- halten, denn man trug mehrere Gebäude ganz ab, um Lagerbedürfnisse zu erhalten, und überlieferte Möbel aller- art den Flammen. Am andern Tag kehrten wir nach der Ribera de Daroca zurück.

Aus meiner kurzen Darstellung hat man gesehen, da8 uns eigentlich der Sieg leicht gemacht ward. Hätten die Spanier ihre Schuldigkeit getan, so hätten wir es wohl bleiben lassen sollen, uns der starken Stellung zu bemäch- tigen. Ich darf hier mit gutem Gewissen sagen, daß mein Angriff eine Art Wendepunkt in der Sache herbeiführte.

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4. Kapitel 1809—1810

Streifzüge in der Ribera von Daroca. Besetzung von Teruel 1809. Marsch nach Almunia. Rück- kehr nach Calatayud. Marsch nach Teruel. Ein- treffen des Generals Suchet daselbst. Besetzung von Teruel 1810. Gefecht von Villel. Schwere Ver- wundung. Verunglückte Expedition Suchets nach Valencia. Belagerung von Teruel durch Villacampa. Heldenmütiger Widerstand der Besatzung. Entsatz durch die von Valencia zurückkehrenden Truppen

Unser Aufenthalt in der Ribera von Daroca führte ein sehr bewegtes Leben mit sich. Bald waren es Strcifcrcicn in die Sierra de Menera, die uns in Anspruch nahmen, dann wieder Expeditionen in das Tal des Panerudo; doch waren dies, ich möchte sagen, mehr militärische Prome- naden als kriegerische Unternehmungen. Wir bekamen nur selten einen Feind zu sehen; meistens beobachtete er uns in einer gewissen Entfernung' und nahm nur die Ge- legenheit wahr, über einige Patrouillen herzufallen.

Plötzlich erhielten wir Befehl, nach Calatayud zurück- zukehren. Man kann sich denken, daß mein erster Gang zu Senor Don Manuel war. Es hieß, er sei gar nicht mehr in der Stadt, und nur zu bald sollte ich mich von der Wahrheit dieser Angabe überzeugen. Eine dienstliche An- 379

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gelegenheit gab mir endlich den Vorwand, genauere Er- kundigungen einzuziehen. Es fanden nämlich um diese Zeit mehrere Desertionen statt, was bis dahin nicht der Fall gewesen war. Die Proklamationen der Spanier, die den Leuten goldene Berge versprachen, und der nähere Umgang mit den Bewohnern mochten hierzu beitragen. Auch von meiner Kompagnie verschwanden zwei Mann. Ich ging also zum PI at /.komm and unten und bat ihn, mir einen Polizeibeamten mitzugeben, um in einigen Häusern, wo meine Leute verkehrt hatten, Nachforschungen anzu- stellen. Er kam meinen Wünschen auch sofort nach. Das erste Haus, in welches ich ging, war die Casa Manuel, die, mit Ausnahme der Konditorei, wie eine Festung im Be- lagerungszustand verwahrt war. Nachdem wir hier lange gewartet hatten und der Magistratsbote hin und her ge- laufen war, erschien endlich eine alte Frau, die uns das Haus öffnete. Wir gingen den mir wohlbekannten Gang entlang über einen kleinen Hof, durchsuchten jeden Win- kel, schauten durch das Gitterfenster vom Boden auf den Marktplatz aber ich hatte nicht den Mut, das Zimmer meiner Freundin zu betreten. Endlich, bei der Rückkehr, tat ich, als wenn ich es erst jetzt bemerkte und ließ es aufschließen. „Hat iiier auch jemand gewohnt?" fragte ich unsere Begleiterin. „Jawohl," antwortete sie, „es war das Zimmer der Nonne Ines, der Nichte des Don Manuel, des tugendhaftesten und schönsten Kindes des Tales." „Und wo ist sie geblieben," fragte ich unter Herzklopfen weiter. „Sie ist mit dem Herrn und Cata- lina unter vielen Tränen abgereist, aber niemand weiß wohin." Ich sah mich im Zimmer genau um es war ganz leer von der bescheidenen Einrichtung, den Blumen, die ich von Zeit zu Zeit gebracht, keine Spur! Sogar der Nagel über der Lagerstätte, an dem ein kleines Bild „de !a santissima virgen de los dolores" hing, der kleine zinnere Weihkessei an der Tür alles war ver- schwunden. „Aber," schloß ich meine Nachfrage, „warum hat denn die Religiosa bei ihrer Abreise so geweint?" 380

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„No saher,"") war die Antwort, „aber sie war trostlos; Senor Manuel und Catalina hoben sie ohnmächtig auf den Wagen." Ich verlie6 hiermit das Haus und habe es nie mehr betreten. Aber wenn mich meine Geschäfte daran vorüberführten, habe ich es stets mit Wehmut be- trachtet.

Am 20. Dezember erhielten wir den Befehl zum Auf- bruch nach Calamocha und Teruel, wo wir am 23. ein- trafen, mithin ungefähr 20 spanische Leguas auf teilweise sehr beschwerlichen Wegen in drei Tagen zurückgelegt hatten. Ich weiß indes nicht, was die Eile bedingte; wir trafen auf dem ganzen Wege keinen Feind und taten keinen SchuB.

Am 24. machte ein Bataillon der vereinigten Volti- geure eine Expedition nach Santa Maria de Albarracin, von wo ich in das Gebirge bis zu den Quellen des Guada- laviar und Tajo detachiert wurde, um die hei Frio und Fuenta Garcia angeblich befindlichen Insurgentenhauien auseinanderzusprengen und Tuchvorräte in Beschlag zu nehmen. Aber ich fand weder Feinde noch Beute, wohl aber in der Nähe von Fuente Garcia hei einem kleinen See, den unser Führer Pozo de St Juan nannte, das käl- teste Biwak meines Soldatenlebens. Nach 36stündigem Streifzuge kehrte ich nach Albarracin zurück. Als wir dort am 27. einrückten, war alles öde. Der Bischof, die Behörden, die Bewohner waren entflohen, und erst am andern Tage stellten sich einige Arme ein. Wir bemäch- tigten uns hier reicher Tuchvorräte, und beim Suchen nach denselben nahm man alles, was man gerade brauchen konnte, mit fort. Meinen Bataillonkommandeur fand ich in einein Scholien Hause unweit der Hauptkirche bei einer rcichbesetzten Tafel, zu der alle Offiziere eingeladen waren und wo natürlich auch ich mit meinen Kameraden einen Platz fand. Die Soldaten biwakierten vor der Kirche, kochend, bratend, trinkend. Weiß Gott, wo sie alles her-

w) Ich weiß nicht.

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geschleppt hatten, aber es fehlte nichts. Unsere Leute jedoch hatten praktische Sachen gewählt, während die Franzosen ihre Aufmerksamkeit mehr auf Leckereien ge- wandt hatten. An Tuch hatten beide Teile sich bedeutende Quantitäten angeeignet, so daß der Militärfiskus sich ge- wiß über keine zu reiche Beute zu beschweren gehabt

Die Stadt war längere Zeit der Sitz der Junta gewesen: von hier aus waren eine Menge Erlasse in das Land gegangen, die zu Totschlag und Vergiftung der Franzosen aufgefordert hatten, und dadurch wurde die strenge Be- handlung Albarracins herbeigeführt.

Unser Abmarsch von Albarracin erfolgte ohne Störung. Zwar wurden wir auf dem Wege hier und dort aus günstig gelegenen Hinterhalten beschossen, verloren jedoch auf der ganzen Expedition keinen Mann; nur einige Saum- tiere wurden verwundet und mußten, weil sie sich gar zu unbändig gebärdeten, erschossen werden.

Am 1. Januar abends erreichten wir Daroca, wo wir einige Tage verweilten und dann am 3. Januar nach Cala- tayud aufbrachen. Der Ort war mir seit meiner Kalamität verhaßt geworden und ich war daher froh, daß wir durch starke „Dicouvert es" das war der Name für alle De- tachierungen nach Castilien zu nach Ateca und Alhama in Anspruch genommen wurden.

Ich verließ nach der Rückkehr nach Calatayud meine Kompagnie, um noch einmal Erkundigungen über Don Manuel einzuziehen, und als ich die früheren Angaben be- stätigt hörte, war ich glücklich, als wir am 8. über Daroca nach Camin Real marschierten, wo die ganze Division im Jiiocatale eine Art Winterquartier bezog. Dieses ver- ließ sie am 8. Februar und brach gegen Teruel auf. Die Avantgarde hatte bei Torre la Carcel einige Qefechtc mit den Spaniern, die jedoch ohne Mühe aus ihren verschie- denen Positionen zurückgeworfen wurden. Wir biwa- kierten bei ziemlicher Kälte und unter Schneetreiben die Nacht bei Villarquemado. Am 10. drangen wir bis Teruel 382

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vor, das die Spanier angefangen hatten hier und dort zu verschanzen, dessen Besitz sie uns aber nur wenig be- stritten. Am 11. machten die vereinigten Voltigeure über Villastar eine Dicouverte in den Gebirgen, die den Gua- dalaviar bis gegen Ville! begleiten. Die Stellung des Fein- des war jedoch so stark und so gut besetzt, daß wir nach einem ziemlich ernstlichen Gefecht von weiteren Angreifen abstanden.

Am 12. gingen wir wieder vor und fanden die Feinde diesmal schon bei Villastar, verjagten sie zwar aus ihrer Stellung, doch war der Verlust, mit dem wir unsern Vor- teil erkauften, bedeutend genug. Am 13. Februar rückten wir nach Teruel zurück, wohin man noch andere Truppen beordert hatte, um einen Schlag gegen den bei Nucstra Sefiora de Tremedad geschlagenen General Villacampa zu führen, der angeblich wieder an 6000 Mann beisammen haben sollte. Am 14. machten wir einen neuen Marsch gegen Villastar, schössen uns hier lange mit den Spaniern herum, mußten aber endlich auf einen Befehl von Teruel her vom Angriff abstehen.

Am 15. abends hatte der General Chlopicki die ge- samten Voltigeur- und Gren.idit.'n.iffi/kTe der Brigade bei sich zu einem Souper versammelt und dazu zugleich meh- rere andere Offiziere eingeladen. Unter diesen befand sich auch ein Kapitän liazowski, ci:i srlnui iiltlirher \lau:i viui

stattlichem Äußern, verschlossenem Wesen, der im Rufe stand, Träume zu deuten und sich auch sonst mit aller- hand mystischen Dingen zu beschäftigen. Durch sein bar- sches Wesen hielt er sich uns junge Leute vom Leibe und imponierte allen durch sein Schweigen. Während sich die Gesellschaft schon anschickte, zur Tafel zu gehen, ließ General Leval den General Chlopicki und diegesamten Stabsoffiziere zu sich bitten, um sich mit ihnen über einen wichtigen Gegenstand zu besprechen. Unser Wirt er- suchte hierauf den Kapitän Razowski, die Honneurs zu machen und sich, wenn er um acht Uhr nicht zurück sei, ohne weiteres zu Tisch zu setzen. Kaum hatte sich der 383

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General entfernt, so gruppierte sich alles zum lustigen Durcheinander. Der Kapitän Razowski allein blieb in einem entlegenen Kabinett; den Rücken gegen das Kamin- feuer gekehrt, starrte er finster vor sich hin. Leutnant Zarski von den Grenadieren des 1. Weich selregiments, ein treuer und werter Freund, der liebste, den ich wohl je gehabt, faßte mich alsbald unter den Arm und sagte: „Komm, wir wollen zu dem alten Geisterseher gehen, er soll mir einen Traum deuten." Gesagt, getan und als- bald standen wir vor ihm, der uns gegen seine Gewohnheit nicht anfuhr. Ich entsinne mich des Traumes nicht mehr, dessen Deutung der wackere Zarski von ihm verlangte. Aber der alte Zauberer oder vielmehr Hexenmeister, wie die lustigen Kameraden ihn zu nennen pflegten, hörte ihn ruhig an und sagte darauf zu ihm: „Junger Mann, Sie kommen in der Absicht, sich einen Spaß mit mir zu machen ; aber ehe Jahr und Tag vergehen, werden Sie einsehen lernen, daß es Dinge gibt, über die man nicht scherzen darf; hüten Sie sich vor diesen Bergen." Und sich dann zu mir wendend, fragte er: „Was wünschen Sie, Herr Unterleutnant?" Ich sagte ihm hierauf, daß ich im Biwak von Villastar und dann hier im Kloster bei unseren Leuten geträumt, wie ich in den Gebirgen mich verirrt, von Müdig- keit und Durst getrieben, viel Schnee genossen und mich darauf von einer Todeskälte belangen gefühlt hätte. „Ist es wahr, was Sic mir sagen?" fragte er mich darauf, ich möchte sagen, teilnehmend. Und als ich ihm erwiderte, daß dies wirklich der Traum zweier h inte reinand erfolgen- der Nächte gewesen, antwortete er kurz: „Dringen Sie nicht in mich, ich prophezeie nicht gern Unglück, und dennoch hätte ich Ihnen nichts Gutes zu sagen." Es war acht Uhr, und wir setzten uns zu Tisch. Auf dem Wege dahin aber sagte Zarski zu mir: „Für so verrückt hätte ich ihn doch nicht gehalten. Der alte Mann glaubt am Ende selbst, was er uns vorschwatzt."

Und doch sollte wunderbarerweise das buchstäblich in Erfüllung gehen, was er uns gesagt hatte. Ich ward 384

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am andern Tage fast tödlich verwundet, und meinem Freunde zerschmetterte einige Monate darauf in den Ber- gen eine Kugel beide Beine und machte so dem Leben eines der besten Menschen und tüchtigsten Offiziere ein Ende.

' Ich erfuhr den Tod meines unvergeßlichen Freundes in der Tranchee von Tortosa, gerade als ich mit dem alten Kapitän dort auf Wache war. „Haben Sie von Zarskis Tod gehört?" fragte ich ihn. „Ich wußte davon" war die kurze Antwort. Mir aber ging es eiskalt durdi die Olitrder, und kh habe den alten Mann nie mehr ohne eine geheime Scheu ansehen können.

Ich führe diese Tatsachen hier an, nicht um dadurch zu beweisen, djß der alte Kapitän, der übrigens ein Mann ohne jede höhere Bildung war, mit besonderer Divina- lujnsgabt begabt gewesen sei, sondern nur um dar zutun, wie unerklärlich und wunderbar »ich im bewegten Kriegs- leben oft die Verhältnisse gestalten und wie sich bei Regi- mentern, die lange im Felde liegen, stets solche Geister- seher, die selbst von den hellsten Köpfen mit Scheu be- trachtet werden, allmählich heranbilden. Napoleon selbst erzählt von ähnlichen Todesahnungen, die den General Laharpe nach dem Übergange über den Po befallen hätten»)

Am 15. hatten wir Ruhe gehabt; aber uns ward der Befehl, zum Abmarsch bereit zu sein. Spät abends waren die Voltigeure noch ausgerückt und hatten ohne Feuer am Fuße der Berge, auf denen Villastar liegt, biwakiert. Am 16. früh formierten sich die Truppen der Brigade am Fuße des Berges, auf dem Teruel liegt, und begannen alsbald über den Guadalaviar zu defilieren. Die bereits

M) Amctk'c Emmanuel Laharpe, französischer Divisionsgenc- ral, 1754—1796, war beauftragt, im ersten italienischen Feldzug (1716/97) den Übergang Uber den Po zu erzwingen, was ihm auch glänzend gelang. Er sollte indes nicht die Früchte seiner Tat genieBen, denn kurz darauf wurde er von seinen eigenen Leuten, die ihn und seine Eskorte in der Nacht für Feinde hielten, getötet.

25 B«M7: Span. PielhtiUktmiil. 385

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gegen die Berge als Avatitgarde vorgeschobenen Volti- geure wurden hier sogleich in ein starkes Gefecht ver- wickelt. Wir drängten die Spanier zwar zurück, aber hinter Villastar selbst kam das Gefecht wieder zum Stehen. Die Spanier hatten eine vortreffliche Stellung. Von einer Berg- kuppc aus, die sie unsern Blicken fast entzog, und durch ein Ravin geschützt, bestrichen sie die Passage, durch die wir kommen mußten, mit dem lebhaftesten Gewehrfeuer. Die Tirailleure hatten nicht vermocht vorzudringen. Die Generale Leval und Chlopicki befanden sich bei ihnen und standen hinter einem kleinen Felsabhange. Als die Voltigeure, nachdem sie zum Angriff vorgegangen, die erste Salve erhielten, stockte deren Spitze, bei der zweiten fiel sie in ein heftiges Feuer und fing an, sich hinter den Felsen zu zerstreuen und von dort aus das Schießen fortzusetzen. Hierdurch war ein Aufenthalt entstanden, den Oeneral Chlopicki brauchte, um zu den polnischen Kompagnien der vereinigten Voltigeure ein paar energische Worte zu sprechen. Da sich die vordere Kompagnie rechts und links auseinandergeschoben, befand ich mich mit der meinigen gerade auf der Straße. Vor mir lag die verhäng- nisvolle Kuppe, über die wir mußten, so recht unter dem feindlichen Feuer. Ohne mich zu besinnen, rief ich den Leuten ein lautes „Vorwärts, meine Freunde!" zu und eilte als erster, von meinem Hornisten Jankowski beglei- tet, auf die Kuppe ios. Die Spanier begingen den Fehler, sowie wir uns zeigten, eine Salve zu geben, worauf eine augenblickliche Pause im Feuer entstand, die meine Leute benutzten, um im Trabe vorzudringen und gegen die Stellung der Spanier vorzustürmen, was, nachdem jene Kuppe einmal passiert, leichter war. Da sie nun, um uns zu beschießen, sich jetzt mehr demaskieren mußten, litten sie durch das Feuer der Voltigeure, die über uns weg auf sie feuerten. Das Geschieße ließ bald nach; vergebens trieben einige spanische Offiziere ihre Leute vor und setzten sich den größten Gefahren aus sie räumten die Stellung in wilder Flucht. 386

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Ich glaube, daß icK bei der ganzen Aktion keinen Mann aus der Kompagnie verlor, aber als ich in der feind- lichen Stellung über abschüssige Felsenwege und große Steinblöcke, durch Bäume und Gestrüpp ankam, war die Kompagnie ganz auseinander, und ich befand mich an der Spitze vor! einigen 60 SO Leuten aus dem Bataillon, mit Franzosen untermischt, die ich nach Möglichkeit zu sammeln suchte. Während ich noch unschlüssig war, was weiter zu tun sei, erschien plötzlich General Chlopicki, sprach sich lobend über unser Betragen aus und be- fahl, eiligst zu folgen. Er hatte nur seinen Adjutanten bei sich und ein Stöckchen in der Hand. Erst in großer Entfernung sah man unser Gros folgen. Die Spanier leisteten nirgends mehr Widerstand, selbst die günstigste Stellung räumten sie vor einer Hand voll Leuten. Die Eile, mit der wir vordrangen, die Erschöpfung, die da- durch herbeigeführt wurde, machte unser Häuflein immer kleiner. Ich selbst war sehr angegriffen und nahm ab und zu von dem Schnee, der in den Felsspalten lag, etwas in den Mund. Sowie wir uns Villel näherten, ward der Widerstand heftiger. Wir gewahrten nach Fuenta Santa zu starke Haufen ; die Pajares (kleine Scheunen) vor Villel selbst waren stark besetzt und durch ausgehobene Oräben miteinander verbunden. Aul einem kleinen Plateau da- hinter erhob sich ein noch nicht ganz vollendetes Werk, das voller Leute war. Ein Offizier auf einem schwarzen Pferde ritt von Trupp zu Trupp und schien alles zu ani- mieren.

Wir stiegen langsam in das Flußbett des Ouadalaviar hinunter und waren glücklich genug, uns trotz unserer ge- ringen Anzahl einiger solcher Pajares zu bemächtigen, hinter denen wir uns sammeln konnten und von wo aus wir ein gutes Feuer auf unsere Gegner richteten. Beschäf- tigt, einige Anordnungen zu treffen, um einem etwaigen Angriff begegnen zu können, sah ich mit einem Male den General Chlopicki mitten unter uns. „Wir müssen die Schurken ins Wasser werfen," rief er mir zu, „sonst ent- 25- 337

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wischen sie uns wieder. Sammle alle deine Leute und greife die dort an," und zugleich deutete er mir den Auf- wurf an, den die Spanier besetzt hielten.

Es dauerte eine Weile, ehe ich Leute genug zusammen- gebracht hatte, um den Angriff zu beginnen. Ein kleiner Tambour des 44. Regiments von den Kompagnien des Zentrums, der Gott weiß wie hierhergekommen, trom- melte und der erwähnte Hornist meiner Kompagnie blies zum Angriff, als ich vorrückte. Aber war es die feind- liche Übermacht, welche die Leute schreckte, war es Er- müdung — kurz, die Sache glückte nicht Auf der Hälfte des Weges kehrten alle um und ließen mich und den kleinen Tambour im Stich. Allein konnten wir die Ver- schanzung nicht nehmen, und es blieb uns nichts übrig, als gleichfalls umzukehren.

Ich stellte schnell die Ordnung wieder her, ermu- tigte die Soldaten mit einigen Worten, führte sie wieder vor, und schon waren wir bis an den unbedeutenden Graben gelangt, als ich, von einer feindlichen Kugel am Kopfe getroffen, bewußtlos zu Boden sank. Was mit mir seitdem geschehen, weiß ich nicht. Ich kam erst wieder unter den Händen des Arztes zu mir. Nur dessen bin ich mir bewußt, daß mir nach einer längeren Zeit war, als höre ich wieder schießen, und daß sich mir die Frage aufdrängte: Wie, du bist tot, und doch schießt man? Dann war es mir, als wenn ich Ines sähe. Ich wollte mich erheben, aber alle Anstrengungen, Hand und Fuß zu rühren, waren vergebens. Endlich war es, als wenn mich etwas packte: Jetzt tragen dich die Engel in den Himmel. Aber hiermit war es mit meinem Bewußtsein wieder zu Ende. Da hörte ich' nach einiger Zeit eine Stimme sagen : „Er kommt wieder zu sich," und ich fühlte zugleich, daß man mir eine Flüssigkeit in den Mund flößte. Aber fortan -schwand meine Besinnung vollends, und erst nach einigen Tagen in Teruel kam ich einigermaßen wieder zu mir. Mein Gedächtnis aber war gänzlich hin ich konnte mich lange Zeit nicht einmal auf den Namen meines 388

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Burschen besinnen, und es bedurfte geraumer Zeit, ehe ich die Fähigkeit des Denkens und Erinnerns wieder er- langte.

Hinterher hörte ich folgendes über die Erlebnisse seit meiner Verwundung. Sowie ich gefallen war, waren meine Leute gewichen - und ich war in die Gewalt der Spa- nier geraten. Sie hatten mir meine Stiefel ausgezogen, mich meiner Uhr, die ich an dem Bande von Ines trug, beraubt und mir die Epauletten abgerissen. Den Degen aber hatte man in die Scheide gesteckt und neben mir liegen lassen, da man wahrscheinlich überrascht worden war.

Sowie unsere Truppen sich genähert hatten, waren meine Leute aufs neue zum Angriff vorgccilt und hatten mich nach Verjagung der Feinde aus dem Bereich des I euers nach der Ambulanz gebracht. Eine Abteilung spa- nischer Kavallerie, durch unsere Kavallerie gegen den üuadalaviar gedrängt, hatte sich mutig durch unsere Leute durchgeschlagen und in einzelnen Gruppen in das Ge- birge gefluchtet. Hierauf waren sie auch auf die Ambu- lanz, in der ich mich befand, gestoßen, hatten einen Doktor verwundet und waren dann davongesprengt, Spjter hatte man die Verwundeten auf Esel und Maultiere verladen (anders kann man die Transportart nicht nennen) und nach Teruel befördert. Mich hatte man in eine Art Hänge- korb getan, ein Oegengewicht durch einige Tornister ge- bildet, und so war ich denn nach Mitternacht in einem Hause am Markte untergebracht worden.

Am andern Tage hatte mich der Divisionsarzt Cour- tois besucht und den Ausspruch getan, daß mich nur eine Trepanierung retten könne. Dem aber hatten sich meine Freunde Zarski und Boguchowski widersetzt und erklärt, daß es besser sei, mich ruhig sterben zu lassen, als mich so zu martern. Von der Operation, die mit mir vorge- nommen wurde, erinnere ich mich nur, daß man die Kopf- wunde erweiterte und mit einem Instrumente auf die Hirn- schale klopfte. Dies selbst schmerzte nun zwar nicht, aber 389

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ich soll Furcht an den Tag gelegt haben, daß man mir den Schädel einschlagen könnte, was der Doktor als ein gutes Zeichen betrachtete.

Während ich noch so ohne Besinnung lag, kam der kommandierende General nach Teruel, um von dort aus eine Expedition gegen Valencia einzuleiten. Er verteilte /.uijkidi die Dekorationen an die Regimenter für die Schlachten von Santa Maria und Belehrte, die gerade ein- gegangen waren. Aber ich war gänzlich ohne Besinnung und erfuhr erst später von diesem Vorgange durch die Kameraden, durch den Tagesbefehl und die Zeitung von Zaragoza vom 8. April 1810.

Die Sorgfalt, mit der mich Doktor Courtois be- handelte, und meine an sich feste Konstitution führten sehr bald eine Besserung meines Zustandes herbei; das Ge- dächtnis fand sich allmählich wieder ein, ich konnte mich nach Verlauf von 12—14 Tagen im Bett aufrecht erhalten und allmählich wieder anfangen zu gehen. Leider ward meine Herstellung durch moralische Einflüsse verzögert Ich erwähnte bereits, daß der kommandierende General nach Teruel gekommen war, um von dort ein Unter- nehmen auf Valencia einzuleiten. Lag es jedoch daran, daß seine Kräfte dazu nicht ausreichten, oder daß der Plan dazu auf falschen Benachrichtigungen und Voraus- setzungen beruhte, er schlug gänzlich fehl. Während General Suchet mit dem Expeditionskorps sich gegen Va- lencia bewegte, war der Oberst Plieque vom Stabe beauf- tragt worden, Teruel zu behaupten und die Verbindung sowohl mit Zaragoza als Valencia aufrechtzuerhalten. Zu diesem Behufe hatte man das Seminar des jesuitenklosters, das eine günstige Lage hatte, zur Verteidigung eingerich- tet, hier das Lazarett und die Vorräte untergebracht und es vielleicht mit 150—21X1 Leuten aus allen Regimentern besetzt. Die Rekonvaleszenten sollten die schwache Gar- nison, welche übrigens von Zaragoza her Zuzug erwartete, allmählich verstärken. Aber die Sache kam ganz anders, als man gedacht. Kaum hatte der General die Straße 390

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nach Valencia betreten und die feindliche Avantgarde bei Alventosa auseinandergesprengt, so erschien Villacampa, unser alter Gegner von Nuestra Sehora de Tremedad, Villastar und Villel, mit seinen schnell wieder gesammelten Scharen vor Teruel, schloß es von allen Seiten ein und forderte die Garnison zur Übergabe auf.

Man kann sich denken, welche Antwort ihm ge- geben wurde.

Der spanische General bemächtigte sich hierauf der Stadt, warf unsere Posten in das Kloster zurück und be- schränkte uns, indem er die nahegelegenen Häuser be- setzte, auf den bloßen Besitz des Gebäudes. Lag es daran, daß man nachlässig gewesen, oder daß hierbei Verrat der Geistlichen, denen man die Benutzung der Kirche zum Gottesdienste gestattete, im Spiele war kurz, die Spa- nier bemächtigten sich eines Tages nicht allein der Kirche, sondern auch eines daran stoß enden viereckigen Turmes, was unsere Lage höchst kritisch machte.

Wir waren völlig isoliert auf den Besitz des Kloster- gebäudes beschränkt, das nach dein Guadalaviar zu zwar durch den jähen Abhang, auf dem es lag, geschützt war, aber von zwei Seiten her beherrscht wurde.

Ein lagenicurkapitäii, Lcvistone, hatte sein Möglich- stes getan, diesem Fehler durch Traversen von starkem Zimmerholz und durch Blendung der Fenster abzuhelfen, wie er denn überhaupt die Seele der ganzen Verteidi- gung war.

Nachdem die Spanier uns von allen Seiten einge- schlossen hatten, schickten sie abermals einen Parlamen- tär mit der Benachrichtigung, daß sie uns nun in die Luft sprengen würden. Aus einem benachbarten Hause waren sie in die Klosterkeller gedrungen, aus denen man sie nicht wieder zu vertreiben vermochte, und bald hörten wir sie unter uns arbeiten. Wir konnten auf unserer Lagerstätte im Lazarett jeden Hammerschlag vernehmen und durften stündlich gewärtig sein, unsere Reise nach oben anzutreten. Ein kühner Angriff auf den Turm, den 391

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die Spanier uns abgenommen hatten, machte uns zwar wieder zum Herrn desselben, aber unsere Lage wurde da- durch nicht besonders gebessert. Nach einiger Zeit sandten die Spanier aufs neue einen Parlamentär, forderten zur Übergabe auf und stellten zugleich anheim, einen Ingenieur- offizier zur Rekognoszierung der angelegten Galerien ab- zusenden. Oberst Plicque nahm diesen Vorschlag an und beauftragte Levistone mit dieser Rekognoszierung. Dieser kam auch wirklich nach einiger Zeit zurück und ver- sicherte, die Minen gesehen und nach allen Regeln der Kunst geladen gefunden zu haben; doch fügte er hinzu, er wisse nicht, ob die Fässer wirklich mit Pulver gefüllt seien. Nichtsdestoweniger zog man alle Soldaten aus dem be- drohten Teil des Klosters zurück, krenelierte einige innere Mauern und machte Anstalten, sich in dem eventuell un- versehrt bleibenden Teile des großen Gebäudes zu ver- teidigen. Die Leichtverwundeten ergriffen alle die Waffen, und die Grenadiere und Volt ig eure erbaten es sich als eine ihnen zustehende üunst, für den gefährlichsten Posten verwendet zu werden. Sehr merkwürdig war es, daß unsere Gemeinschaft mit Zaragoza trotz alledem nicht unterbrochen ward. Noch am S. März kam ein Offizier mit der Korrespondenz an. Zwar war er innerhalb der Stadt selbst angegriffen worden, aber da man zu gleicher Zeit einen Ausfall machte, so gelangte er glücklich zu

Dieser Umstand ließ sich aus den nur zu bald ein- laufenden Nachrichten erklären. Villacam pa hatte sich wirklich auf einige Zeit entfernt und die Straße von Zara- goza her freigelassen. Er hatte den Posten in Alventosa auf der Straße nach Valencia angegriffen und die dort stehende Kompagnie Polen gefangen genommen, sich aufs

") Es war ein Offizier unseres Regimen!!., ein Leulnanl Gor- (Ion; ein Drittel seiner Mannschalt war verwundet oder gefallen, er selbst hafte einen gefährlichen Schul! in den linken Arm erhalten, (Anmerkung des Verfassers.)

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neue gesammelt und dann efst gegen die Straße von Zara- goza gewandt. Auf dieser hörten wir am 9. gegen elf Uhr morgens Kanonenschüsse und gewahrten auch bald, daß man sich auf dem Plateau, das sich nördlich von der Vereinigung des Alhambra und des Ouadalaviar in der Entfernung von etwa einer Stunde erhebt, schlüge. Aber das Gefecht dauerte nicht lange ; einige Kanonenschüsse, die rasch hintereinander folgten, ließen voraussetzen, daß die Unsrigen den Feind geschlagen hatten und nun ver- folgten. Aber dem sollte nicht so sein. Villacampa selbst zeigte uns nachmittags an, daß er eine starke Kolonne, die von Daroca (mit Geschützen für die Armee bestimmt) herbeigeeilt war, gänzlich aufgerieben, vier Geschütze ge- nommen, daß er ferner die Garnison von Alventosa über- wältigt und daß unser Oeneral vor Valencia eine gänz- liche Niederlage erlitten hatte. Zugleich stellte er uns nochmals frei, die Galerien unter dem Kloster besichtigen zu lassen und uns zu ergeben, widrigenfalls er vor Abend die Minen würde sprengen lassen. Aber sein Antrag ward zurückgewiesen, wenngleich man die Überzeugung ge- wonnen hatte, daß die beiden ersten Nachrichten ihre Richtigkeit hatten. Der Kapitän des Ingenieurkorps fol- gerte sehr richtig, daß die Spanier kein Pulver haben müßten, sonst meinte er, wäre gar kein Grund vorhanden, warum sie uns die Reise in die andere Welt nicht längst hätten antreten lassen sollen.

Und er hatte nicht falsch geschlossen. Sie hatten in der Tat kein Pulver. Nichtsdestoweniger fuhren die Spa- nier mit ihren Anstalten zu unserer Bezwingung fleißig fort; sie errichteten Barrikaden, krenelierten die Wände der Häuser und arbeiteten mit Geräusch unter uns. Da schlug am 13. in der Nacht plötzlich unerwartet unsere Erlösungsstunde. Die Hauptarmee, allerdings nur ein Korps von etwa 10—12000 Mann, war in ihrer Unter- nehmung nicht glücklich gewesen und hatte ihren Rückzug antreten müssen. So erschien sie denn am 13. unvermutet vor Teruel. Die Avantgarde rückte nachts ein und zwar 393

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sehr schwach. Mein Freund Zarski in Alventosa, von unserer Blockade unterrichtet, hatte um die Führung der Spitze der Avantgarde gebeten und seinen Marsch so eilig zurückgelegt, daß er lange, lange vor der Avantgarde selbst ankam. Als er sich mit seinen Truppen durch die ziem- lich enge Straße heranwand, die der Feind, ohne daß wir es gemerkt harten, verlassen hatte, ward er durch ein „Halte-Iä! qui vive!" angehalten. Als er sich nun als Franzose und vom 1. Weichselregiment ausgab, glaubte man anfangs, daß die Spanier sich einer Kriegslist bedient und die in Alventosa überwältigten und gefangenen Polen durch Gewalt gezwungen hätten, mitzuhelfen. Man ließ die Avantgarde daher nicht näher heran. Da rief Leut- nant Zarski laut, man solle ihn allein hereinlassen und den Leutnant Brandt zur Rekognoszierung seiner Person holen. Dies geschah denn auch, und er sagte mir nun, wie die Sachen ständen, worauf der Oberst Plicque genehmigte, daß seine Leute sich, jedoch nur einzeln, dem Kloster nähern durften. Man kann sich unsere Freude denken. Die Soldaten fielen einander in die Arme. Uns war, als wenn wir aus einem langen Traume erwachten. Die Be- lagerung hatte vom 25. Februar bis 13. März gedauert, und zwölf Tage hatte man gedroht, uns in die Luft spren- gen zu wollen. Mit Wein und Getreide waren wir noch für einige Zeit versehen, aber das frische Fleisch war schon lange ausgegangen, und namentlich fehlte Wasser schon seit mehreren Tagen. Abends spät rückte noch General Paris") ein, und das muntere, lebendige Treiben auf der Straße, das Auflodern der Biwakfeuer auf den öffentlichen Plätzen mußte den Spaniern sagen, daß sie um das Ver- gnügen gekommen waren, uns gefangen fortführen zu

Am andern Tage kam der Oeneral selbst an, besich- tigte die Arbeiten der Feinde, besonders die Minen, be-

") Baron Marie Auguste Paris, 1771-1814, nahm unter Suchet last an allen Belagerungen und Gefechten in Aragonien, Catalonien und im Königreich Valencia teil. 394

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suchte das Lazarett, sprach mit den Schwerverwundeten einige freundliche Worte, sagte mir ein paar Freundlich- keiten und überschüttete den Oberst Plicque mit einer wahren Flut von Lobeserhebungen. Für den armen Levi- stone, der eigentlich die Seele der Verteidigung gewesen und der Tag und Nacht nicht aus den Kleidern gekommen war, hatte der Generalissimus nicht viel Worte übrig. Unser Kommandant war ein närrischer Kauz. Er saß den ganzen Tag am Schreibtisch nahte sich ihm während der Zeit jemand, so bannte er ihn durch ein „silence" oder „chute" an seine Stelle, und oft dauerte es eine gute Weile, ehe man seine Meldung, seinen Auftrag ausrichten konnte. Vor den Truppen war er blöde, befangen, ja er schien selbst ohne Energie zu sein, und wer weiB, was geschehen wäre, wenn er nicht Levistone und sonst lauter tüchtige Offiziere um sich gehabt hätte.

Der Zustand meiner Verwundung veranlaßte Doktor Courtois mich nach Zaragoza ins Lazarett zu schicken. Unter der sorgfältigen Behandlung der Ärzte und bei der gehörigen Ruhe gelangte ich bald wieder zu Kräften die bösen Zufälle verloren sich allmählich, und schon am 1. Mai konnte ich, wenngleich sich die Wunde noch nicht völlig geschlossen hatte, wieder zum Regiment abgehen.

395.

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5. Kapitel 1810

Vereinigung mit der Division Leval. Märsche. Ein- treffen vorTortosa. Blutiges Gefecht an dem Brücken- kopf. Teilweise Einschließung von Tortosa. Die Eskortierung des erkrankten Generals Leval nach dem Hauptquartier. Zug nach Beceyte. Zerstörung der Stadt Gefecht in der Pefia Golosa. Aufent- halt im Lager bis Mitte Dezember

Als ich zu meinem Regiment zurückkehrte, fand ich dasselbe in dem mir wohlbekannten Calamocha. Es hatte während meiner Abwesenheit allerdings manchen Strauß mit den Guerillas bestanden, doch waren keine Gefechte von Bedeutung vorgefallen. Am 17. brachen wir nach Torrecilla und nach mannigfachen Exkursionen von dort nach Montalvan auf, wo wir am 24. Juni eintrafen. Am 25. setzten wir unsern Matsch über Calanda und Monroyo nach Morella fort, welches wir am 28. erreichten.

Bei unserer Ankunft in Morella fanden wir hier die Generale Leval und Montmarie. Die ganze Division des ersteren war somit hier vereinigt, d. h. das 14. französische, 5., 44. und 2. polnische Regiment, zu denen noch das 13. Kürassier- und ein Teil des 4. Husaren regiments mit, glaube ich, 12 Geschützen kommandiert waren.

Wir verweilten in Morella am 2Q. Juni und brachen am 30. nach Chert auf. Wir durchzogen hier die wil- 396

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desten Gegenden der Provinz, und ein stundenlanges De- filee machte unsern Marsch sehr gefährlich. An einzelnen Stellen war der Weg verrammelt; OerÖlle allerart er- schwerte das Marschieren. Wir verweilten sechs volle Stunden in dem Engpaß, ehe wir in der Ebene ankamen.

Den 1. Juli brachten wir indes nach einem wenis; beschwerlichen Marsch in La Jana in einer reizenden Ge- gend zu. Wir schwelgten in einem wahren Überflusse von Wein, der schönsten Gemüse und Früchte.

Am 3. Juni brachen wir früh wieder auf und begaben uns nach Uldecona, wo die ganze Division biwakierte. Nur einige Grenadierkompagnien und die Stäbe waren in dem freundlichen Örtchen geblieben. Während der Nacht wehte ein schneidender Wind, und es war so kalt, daß, obwohl wir einen Marsch von vier Meilen hinter uns hatten, niemand recht Ruhe finden konnte.

Gegen zwei Uhr wurden unsere Vorposten alarmiert es wurde Generalmarsch geschlagen. Als ich meinem Hornisten, der mich gewöhnlich begleitete, befahl, zu blasen, war dieser so betrunken, daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte der andere hatte sein Mund- stück verloren beide waren sonst vortreffliche Men- schen. Gegen dergleichen Kalamitäten hilft nichts als Ruhe, aber ich kann mir leider nicht das Zeugnis geben, sie be- wahrt zu haben. Das Beste aber war, daß wir nicht gleich aufbrachen und beide Leute somit Zeit behielten, nüchtern zu werden und sich nach dem Mundstück umzusehen. Um vier Uhr am andern Tage brachen wir auf.

Eine Meile von Tortosa trafen wir auf ein Bataillon wallonischer Garden. Unsere Ulanen griffen es sofort an, nahmen einen Teil gefangen und zersprengten den Rest. Der Oberst Mesclop vom Stabe, der die Avantgarde, ein Bataillon vereinigte Voltigeure, 50 Ulanen und vier Ge- schütze kommandierte, drang so schnell weiter vor, daß er früher als die Versprengten vor Tortosa anlangte. Es schien, daß man von unserm Marsche, obwohl man uns in Uldecona alarmiert und wir das eben erwähnte Ba- 397

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taillon auseinandergesprengt hatten, hier keine Nachricht erhalten hatte. Wir fanden die Einwohner überall bei ihren Arbeiten und langten in der Nähe des Brückenkopfs ohne Schuß an.

Oberst Mesclop disponierte seine Truppen derart, dali er das Werk auf etwa mehr als Kanonenschuß weite durch drei Kompagnien ciiüdiluli und seine Kanonen, eine Kom- pagnie des 44. Regiments und ehenso seine Kavallerie auf der Siralie, auf der wir gekommen waren, in Reserve hielt.

Ich mit meiner Kompagnie war auf der Slraßr um l.a Knuuett.i vurgrsfliutirn. Da wir nirgends Widerstand fanden und keinen Schuß erhielten, so glaubten w,( das Werk verlassen, und ich kam mit meinen Leuten his an ihe P.iliMdfii des bedeckten Weges. Ich glauhe, wir wären imslande gewesen, uns des Werkes zu bemächtigen, wenn alle Kompagnien auf einmal vorgedrungen wären. Wir hörten, wie man im Werke schrie: „Los Franceses los enemigos a las armes!" Da donnerte von der andern Seite, vom alten Schloß, dem Castillo Viejo her, der erste Schuß. Die Kugel sauste weit über uns weg in die Hucrta. Aber nun fing es plötzlich an lebendig im Brückenkopf zu werden ; in der Stadt läutete man Sturm, und wir konnten über den hier 650 Schritt breiten Strom das Oetobe und Geschrei der Menge, das Schlagen der Tamboure hören. Die Brustwehr war bald wie mit roten Mühen besät, und ein lebhaftes Feuer zwang uns um so mehr zurückzugehen, als man auf Kanonen Schußweite das Terrain eingeebnet und Bäume und Gebäude ra- siert hatte.

Wir setzten uns erst in einem Hause mit einem Gar- ten, 500 Schritt vom Glacis entfernt, fest. Das Gebäude hatte zwei Etagen und war mit seiner langen Seite nach dem Garten gelegen, der mit einer Mauer umgeben war. Da ich keine Befehle erhielt, so beschloß ich, mich hier um so mehr festzusetzen, als ich vermeinte, so gegen jede Übermacht bis zum Herannahen etwaiger Unter- stützung geborgen zu sein. An der Gartenmauer stellte 3Q8

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ich einen Teil meiner Leute auf; ich selbst besetzte das Haus und zwar derart, daß ich ein gutes Drittel der Mann- schaft zur Disposition behielt. Einige Leute der ersten Voltigeurkompagnie des Regiments und einige Voltigeure des 44. Regiments, die sich im Laufe der Bewegungen zu mir gefunden hatten, wurden bei der Reserve behalten. Ich war noch nicht ganz mit meinen Anordnungen für die Eventualitäten, die ich mir selbst gesetzt hatte, fertig, als eine heftige Kanonade gegen mein Haus begann. Es folgte Schuß auf Schuß vom Brückenkopf sowohl, als von den Batterien der andern Seite der Ebene und von dem Castillo Viejo, dem alten Schloß. Das Dach des Hauses war bald zerstört, seine Mauern nach der Stadt zu durchlöchert; vom Brückenkopf her versuchte man die Mauer des Gartens selbst niederzuschmettern.

Da verstummte auf einige Zeit das Feuer, und nun strömten aus dem Brückenkopf einige tausend Mique- letesM) in ihren roten Mutzen aus dem Tore und wandten sich in der Mehrzahl gegen das von mir besetzte Haus ; ein kleinerer Teil folgte dem Lauf des Ebro abwärts und auf- wärts. Alsbald entspann sich ein lebhaftes Feuer, bei dem anfangs aller Vorteil auf meiner Seite blieb. Als aber die Batterie vom Schloß her fortfuhr, Bomben und Gra- naten in mein Haus zu werfen, als das oberste Stockwerk fast in Trümmer geschossen war und Verwundete die innern Räume füllten, ließ unser Feuer nach ; die Spanier rückten näher, drangen durch die Bresche in den Garten und verjagten meine Leute aus demselben. Man konnte die trotzigen wilden Gestalten unserer Feinde so ganz in der Nähe betrachten und jedem seine Absicht an- sehen :

„So fließe stets verfluchter Dringer Blut,

So tilge solchen Feind die grauenvollste Wut."

M) Spanische Soldtruppen, die von den baskischen Städten welche vom Militärdienste befreit wnren zum Garnison dienste gestellt wurden.

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Glücklicherweise hörte bei dem nächsten Angriff das Kail onenf euer einigermaßen auf. Aus dem Garten selbst vertrieben wir nun zwar die Spanier wieder, aber sie unterhielten von seinen Mauern ein so starkes Feuer auf uns, daß sich bald alle Räume im Hause mit Verwundeten und Toten füllten. „Notre Situation se dessine en noir, lieutenant," sagte mir ein französischer Sergeant, der mit einigen seiner Leute von der Voltigeurkompagnie des 44. Regiments zu uns versprengt worden war.

Ich weiß nicht warum, aber es entstand plötzlich eine Pause im Angriff. Die Sonne stand schon hoch am Him- mel, doch ließ sich noch nichts von einer Unterstützung sehen. Ich benutzte die augenblickliche Ruhe, um den Schießbedarf einigermaßen auszugleichen. Was uns ge- waltig quälte, war der Durst. Aber zu dem Brunnen im Garten selbst konnte niemand kommen, da er im wirk- samsten Bereiche des feindlichen Feuers lag. Ich ging mit dem Leutnant Krakowski, dem ersten Kompagnie- offizier, und dem Feldwebel Sewezek zu Rate, welche Maßregeln da wir, von allen Seiten umringt, an ein Durchschlagen nicht denken konnten wohl noch zu ergreifen wären, wenn wir wieder angegriffen würden. Wir beschlossen, von Stube zu Stube zu weichen und uns lieber unter den Trümmern des Hauses zu begraben, als an Ergebung zu denken. Wir waren übrigens der festen Überzeugung, daß die Erlösungsstunde bald schla- gen müsse, und richteten durch unsere Mitteilungen hierüber den Mut der Soldaten auf. Unsere Lage war aber wirklich fürchterlich. Ringsum von blutdürstigen Feinden umgeben, unter dem wirksamsten Feuer einer zahlreichen Artillerie, von den Unscrn gänzlich abgeschnitten, dabei von einem starken Marsche und einem mehrstündigen Kampfe ermüdet, ja fast erschöpft.

Während der Feind sein Feuer nur langsam fort- setzte, bemerkten wir auf der Straße von Roquetta eine lebhafte Bewegung unter den Rotmützen. Sie gingen in dem dichten Gehölz, das den Weg zu beiden Seiten be- 400

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den Fenstern und durch die Löcher, die die Kanonenkugeln in das Haus gerissen hatten, unser Feuer gegen sie rich- teten, zogen sie sich rasch auseinander und eilten dem Brückenkopfe zu. Zugleich verließen die Leute, die uns bis dahin eingeschlossen hatten, ihre Stellung und zogen sich nach dem Ebro zu. Unmittelbar darauf erschienen die Spitzen unserer Kolonnen auf dem Wege von Valencia und besetzten den Rand der Gärten, die sich in Form eines Halbmondes um die Werke zogen.

Wir brachen sogleich zur Verfolgung auf, erhielten aber heftiges Feuer von den Werken. Eine Kanonenkugel bedeckte mich über und über mit Staub und Erde, eine Flintenkugel streifte mir den rechten Unterarm, und meh- rere Stücke Blei drangen in die rechte Hand. In diesem Augenblick erschien General Chlopicki, ließ meine Leute zurückgehen und eine Art Vorpostenkette durch die frischen Truppen bilden. Wir rückten in das paradie- sische Lager, das die Division einstweilen etwa 600 Fuß von der Festung, mithin ganz unter dem wirksamen Feuer derselben, bezogen hatte.

Sowie wir uns eingerichtet hatten, hielt ich Appell ab. Es waren von den Leuten, die mit mir gewesen waren und die drei Kompagnien angehürt hatten, 52 tot und ver- wundet. Der Oberst war über den starken Verlust unge- halten und meinte, daß ich mich unnütz ausgesetzt hätte. Dies aber war keineswegs der Fall ; es lag vielmehr an der fehlerhaften Anordnung zum Anmarsch und in mehreren nachher eingetretenen Zufälligkeiten. Gegen Abend hatten wir unser Lager gemütlich eingerichtet. Überall loderten Feuer empor, und obwohl die Spanier uns stark mit Ar- tilleriefeuer zusetzten, so verhinderte dies niemand, sich der Frholung und dem Wiolh -: n: hm/ugi-hen. Man hatte eine unglaubliche Menge Lebensmittel allerart aus den überall an der Ilueita herumliegenden Gartenhäusern her- beigeschafft. Di« Uifizierc der Kompagnie saßen unter 401

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einem großen Feigenbaum und verzehrten behaglich einen schönen Hammelbraten mit den so lange entbehrten Kar- toffeln, die im Lande verächtlich „Comida para los cho- chinos" (Futter für die Schweine) genannt wurden. Nicht weit davon saß eine Gruppe Voltigeure, von denen einige schon etwas zuviel getrunken hatten.

Da wir trotz der dicken Feigen-, Nuß- und Johannis- brotbäume, hinter und unter denen wir lagerten, dennoch viel von dem feindlichen Kanonenfeuer zu leiden hatten, so wurde schon in den nächsten Tagen ein starkes Epaule- ment, das uns Schutz gegen das direkte Feuer gewährte, gebaut. Man ging dabei nicht eben künstlerisch zu Werke und riß, da man keinen Oberfluß an Arbeits materialien hatte, die benachbarten Häuser ein, um deren Holzwerk zu verwenden. Zugteich wurden Hutten erbaut Dies alles geschah unter steten Ausfällen des Feindes, welche vom 6. bis zum 10. Juli zu heftigen Oefechten führten. Am 9. wurden die Verluste, die ich am ersten Tage er- litten hatte, aus der Kompagnie des Zentrums der Füsilierkompagnie ersetzt. Es kam dabei zu unange- nehmen Erörterungen mit den Hauptleuten, von denen mir vorgeworfen wurde, daß ich die Leute unnütz auf- opfere. Der General Chlopicki jedoch nahm entschieden Partei für mich. Er hatte etwa 50 Schritt von der Kom- pagnie, in einem kleinen, mit Wein umrankten Häuschen, das von blühenden Bäumen allerart umgeben war, sein Hauptquartier aufgeschlagen und ging fast täglich durch unsere Kompagniegassc. Als er am Tage nach dem Ge- fecht an uns vorüberkam und wir gerade zum Appell an- getreten waren, sagte der sonst sehr schweigsame Gene- ral: „Ihr habt euch gestern wie tüchtige Jungen geschla- gen, habe es auch nicht anders vermutet." Dann blieb er vor einem Voltigeur stehen, dem eine Kartätschen- kugel den Pompon weggerissen und ein großes Loch in den Tschako geschlagen hatte, und sagte zu diesem : „Nicht wahr, sie haben euch tüchtig zugesetzt?" „Es war noch nicht so toll wie bei Villastar," entgegnete der Soldat, 402

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worauf der Genera! ihm die Backen klopfte und mir freund- lich die Hand gab.

Ais Merkwürdigkeit erschien uns das heftige Infan- teriefeuer, das die Spanier in den ersten Nächten nach unserer Ankunft in der ganzen Ausdehnung des Brücken- kopfes abgaben. Es dauerte oft Viertelstunden lang, ohne daß die mindeste Veranlassung dazu vorlag, und wieder- holte sich nicht selten zwei- bis dreimal. Wahrscheinlich vermuteten sie einen Sturm unserseits.

Bis zum 12. benutzte man noch die Nächte, um die einzelnen Posten, die man vorgeschoben hatte, zu ver- schanzen, sie durch Gräben in Verbindung zu bringen und die Häuser, die hier und dort stehen geblieben waren, zur Verteidigung einzurichten. Die Spanier suchten dies zu hintertreiben, was dann Gclethtr herbeiführte. Am 12. machten sie geecn das Haus, das die Kompagnie am 4. verteidigt hatte, einen Ausfall. Sie hatten die 'I rancheewaihe bereits verjagt, wurden aber durch die unter Kapitän Rall herbeieilenden Reserven wieder zurück- geworfen. Zwei Versuche derselben Art hatten das gleiche Geschick. Da näherte sich kurz vor Mittag ein Haufe von etwa 20 Mann, der indes, sowie sich unsere Leute zeigten, sofort zurückeilte. Nur ein einziger Spanier feuerte sein Gewehr ab, und dieser Schuß tötete den braven Ka- pitän Ball, der fn so vielen Gefechten, Schlachten und Belagerungen, die er mitgemacht hatte, niemals verwundet worden war. Die Kugel war durch die Stirn eingedrungen, am Hinterkopf wieder herausgegangen, und, ohne einen Laut von sich zu geben, war er zusammengebrochen.

Mit dem 13. trat eine Ruhe ein, die mehrere Tage anhielt. Sei es, daß dies eine Kriegslist war, um uns ein- zuschläfern, oder daß die unglaubliche Hitze auch auf die Spanier einwirkte, kurz, sie verhielten sich durchaus untätig. Selbst das Kau onenf euer schwieg. Wir fuhren unterdes fort, die Oräben, die bereits gemacht waren, noch mehr auszuheben, sie mit Banketts zu versehen und rückwärts mit dem Lager in Verbindung zu bringen. Die 26* 403

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Betagerten taieii am andern Ufer ein gleiches. Zwischen kleinen Reibereien und den Befürchtungen, nächstens vom Feinde einen großen Schlag ausgeführt zu sehen, schlepp- ten sich die Tage langsam hin. Die Lebensmittel fingen an seltener zu werden, die Brunnen versiegten, und das Wasser zum Kochen konnte nur von weither herbeigeholt werden. ,

Am 8. August etwa gegen vier Uhr fielen plötzlich drei Schüsse kurz hintereinander, und wir hörten die Bomben über uns weg nach La Roquetta fliegen. Mehrere Offi- ziere lagen auf Matten unter den Bäumen, die meisten ziemlich entkleidet, denn es war eine Hitze zum Ver- schmachten. „Das ist ein Signal!" rief ich, sprang rasch auf und eilte zur Kompagnie, von den Kameraden wegen meiner Eile verspottet. Aber ehe ich daselbst angekommen war, begann auch schon das Feuer in den Trancheen. Unsere kampfgeübten Soldaten standen in einem Augen- blick unter den Waffen, die meisten zwar in keinem vor- schriftsmäßigen Anzug, aber die Waffen in bester Ordnung.

Während ich noch mit dem Ordnen der Kompagnie beschäftigt war, pfiffen schon die Kugeln über uns weg. In demselben Augenblick erschien General Chlopicki in einem Oberrock, aber in Nankingbeinkleidern und Schuhen und eine Reitgerte in der Hand. „Grenadiere links, Votti- geure rechts um," rief er mit seiner feinen Stimme, „links und rechts marschiert auf!" Dies war kaum geschehen, so kommandierte er „Fällt's Gewehr" und stürzte sich an der Spitze dieser zwei Kompagnien, deren Bewegungen aber die übrigen aus den verschiedenen Brustwehren folg- ten, auf die Spanier. Es kam zu einem förmlichen Hand- gemenge, in dem die Feinde über den Haufen geworfen wurden. Wir waren auf unserer Seite bald wieder im Besitz der Gräben und Verschanzungen, während an andern Orten der Kampf, wenn auch nur schwach, fort- dauerte.

Auf unserm linken Flügel war spanische Kavallerie (etwa 200—300 Pferde) um den Flügel des Regiments 404

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herumgegangen und direkt nach dein Dorfe Jesus geeilt, wo sich das Hauptquartier der Division befand. Hier hatten sie eine der Schildwachen an des Generals Türe erschossen und einzelne Kavalleristen, die sich sammelten, in der Straße niedergehauen. Dann waren sie, von dem Feuer einer Grenadierkompagnie, die den Dienst im Haupt- quartier hatte, empfangen, teilweise umgekehrt, teilweise auf der Straße nach Jerta weggesprengt und ganz aus- ein andergekommen, so daß von dem ganzen Kavallerie- regiment St. Jago, das diesen Angriff machte, nicht viele zurückkamen.

Zu unserer Rechten und Linken verstummte allmählich das Infanteriefeuer unsere Leute, deren linker Flügel besonders angegriffen worden war, hatten eine halbe Stunde nach Beginn des Gefechtes 4'/, Uhr nachmittags alle ihre Posten wieder inne. Der Kampf war sehr kurz, aber heftig gewesen. Viele der Spanier waren be- trunken, namentlich die Miquelets, die das reguläre Mili- tär begleiteten. Einzelne stürzten sich wie Verzweifelte auf unsere Leute und ließen sich niederstoßen, andere ver- suchten, sich auf die Offiziere zu werfen und diese zu töten ; ich ward von einem solchen Wütenden angefallen, und er hatte eben das Gewehr erhoben, um mich damit niederzuschlagen, als ihn der Sergeant Dochowicz nieder- stieß.

Die Gefangenen, die man von allen Seiten herbei- führte, zählten über 200, darunter eine Menge Subalte ro- und einige Stabsoffiziere. Unser Regiment, das den Haupt- stoß des Feindes ausgehalten, hatte eine Menge Tote und Verwundete. Unter ersteren befand sich auch Kapitän Solnicki, ein tüchtiger, aber zu strenger Offizier, der viel zur Erziehung der jüngeren Offiziere beitrug, jedoch bei den Soldaten im höchsten ürade verhaßt war. Man brachte ihn für tot ins Lager eine Kugel hatte ihm den Scheitel gestreift, ohne ins Gehirn einzudringen als man aber einen Splitter aus demselben entfernte, schlug er die Augen auf, sagte „Wie wohl ist mir" und verschied unmittelbar 40a

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darauf. Dem Hauptmann Madrzikowski hatte eine Kugel den Oberarm zerschmettert. Sonst waren an Offizieren die Leutnants Niechdzielcki, Dobrzyki und andere leicht ver- wundet

Zur Charakteristik des Generals Chlopicki mögen einige kleine Züge hier Platz finden. Während man in den Trancheen die weitere Entwicklung abwartete, war der General in eins der Zimmer des weißen Hauses, in dem ich am 4. Juli so heiße Stunden verlebte, getreten. Hier hatte der Leutnant Dobrzyki, der ein vortrefflicher Zeichner war, den General mit Kohle an die Wand ge- malt, wie er in drohender Stellung dem nicht besonders angeschriebenen Leutnant eine Strafpredigt hält. Die bei- den Hauptfiguren waren nicht zu verkennen. „Wer hat das gemacht?" fragte der General, und als man ihm sagte, daß Leutnant Dobrzyki der Künstler gewesen, soll er geäußert haben: „Das ist ja ganz hübsch, aber nicht wahr, so schlecht stehen wir nicht miteinander!" Als die Kompagnien sich bei einbrechender Dämmerung allmäh- lich zurückzogen, redete der General die Grenadier- und Voltigeurkompagiiien, an deren Spitze er sich selbst be- funden hatte, an, rief den Leuten ein „Outen Abend, Kinder" zu und wünschte jedem Offizier, ihn beim Namen nennend, auch einen „Outen Abend".

Die nächsten Tage verliefen ziemlich ruhig. Für mich brachten sie ein interessantes Kommando, indem ich be- stimmt ward als Parlamentär nach Tortosa zu gehen, um hier die Herausgabe der Sachen zu bewirken, die den am 3. August Gefangenen gehörten. Ich zog, wie sich von selbst versteht, meine besten Kleider an, schmückte mich mit den neuesten Epauletten, knüpfte frisches Band an meinen Orden und ließ mir auf meine alten und die neuen Wunden statt der weißen schwarze Pflaster legen. Dann putzte ich meinen Trompeter Jankowski heraus, warnte ihn besonders, ja nicht zu trinken, versah mich mit den notigen Briefen und begab mich, von allen meinen, jüngeren Freunden begleitet, in die Tranchee unter der ■106

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Casa blanca. Hier ließ ich meinen Jankowski sein Instru- ment zwischen zwei Sandsäcke stecken und ein paarmal in dasselbe stoßen, woran! wir uns sofort erhoben und unter stetem Blasen des Hornisten gegen das Kreuz auf dem großen Wege langsam vorschritt^n. Wir sahen als- bald den ganzen bedeckten Weg voller Leute, die ihre Gewehre zwischen die Palisaden gesteckt hatten. Fast am Kreuz selbst angekommen, hörten wir ein „Alto! oder es gibt Feuer!" und sogleich kam ein ältlicher Ufiizier mit einem Trompeter, der mich fragte, was ich wolle, und mir Vorwürfe machte, so weit gegangen zu sein. Er nahm aber meine Entschuldigung, dal! sie mich ja hätten früher anhalten können, als genügend an, verband mir die Augen und forschte nun nach meinem Auftrage. Er hörte mich ruhig an und wollte mir dann meine Briefe abnehmen. Da ich ihm jedoch sagte, daß ich diese nur dem Komman- danten selbst einzuhändigen hätte, äußerte er, daß dies zu erlauben nicht in seiner Macht stehe und daß er hierzu höherer Genehmigung bedürfe. Nachdem er zu diesem Zwecke seinen Begleiter abgesandt hatte, fingen wir eine Unterhaltung an, die bis zur Rückkehr des Eilboten fort- geführt ward. Sie drehte sich meistens um die Gefan- genen, in deren Interesse ich gekommen war, von denen er aber nur wenige zu kennen schien, da sie zu den Trup- pen gehörten, die mit Henri O'Donnell aus Catalonien nach Tortosa gekommen waren.

Nach einer ziemlich langen Frist erschien ein Offizier mit der Erlaubnis, mich nach der Stadt zu bringen. Die beiden Herren faßten mich unter die Arme und führten mich durch den Brückenkopf über die Brücke weg in die Stadt. Ich hatte den Auftrag, die Breite der Brücke, die ich passierte, genau zu zählen. Ich tat dies zwar, aber ich zweifle, daß mein Bericht richtig gewesen, denn ob- wohl ich die Augen verbunden hatte, so war meine Auf- merksamkeit einerseits durch das, was ich hörte, und dann durch das Gespräch mit meinen Begleitern stark in An- spruch genommen. Aus dem Gemurmel um mich her 407

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konnte ich vernehmen, daß ich durch eine dichte Menschen- menge schritt meist ließ sie mich schweigend vorüber

hier und dort hörte ich: „Das ist noch ein junger Bursche" ein paarmal aber wurde in nächster Nähe ein leidenschaftliches „AI viage de sangre con el carajo" (Auf dem Blutweg mit ihm) gerufen.

Endlich bogen wir kurz um eine Ecke, stiegen eine Treppe hinauf, wo man mir die Binde von den Augen nahm und ich mich dem Senor Gobernador, Oeneral Conde de Alacha, in einem Zimmer gegenüber befand, das mehrere Kanonenkugeln durchlöchert hatten. Ich kann nicht sagen, daß die Person des Generals einen besonderen Eindruck auf mich gemacht hätte. „Excellence," redete ich ihn Französisch an, „ich habe die Ehre, Ihnen die Briefe zu überreichen, welche die am 3. gefangenen Offiziere und Oeneral Leval mir zur Besorgung übergeben haben." „Sehr verbunden, Seiior Capitano," erwiderte er und be- gab sich dann, von einigen höheren Offizieren begleitet, in ein Nebenzimmer. Mehrere jüngere und ältere Offi- ziere, die zurückgeblieben, bewirteten mich mit Schokolade und Eiswasser; Wein, den man mir anbot, schlug ich aus.

„Sie führen draußen ein schlechtes Leben," sagte ein junger Offizier zu mir, „hier könnten Sic es besser haben."

„Wir sind das gewöhnt," entgegnete ich, „wir be- trachten dergleichen als zu unserm Stande gehörig und rechnen auf die Zukunft." „Nun, diese dürfte hier nicht verlockend sein," antwortele er. Ich aber meinte, daß darüber Gott allein entscheiden werde.

Nach kurzer Frist kam der Sefior Gobcniador zurück, händigte mir einen Brief an Se. Exzellenz Herrn Grafen Leval ein und fragte mich dann, ob ich erst Kapitän wäre. Als ich ihm hierauf entgegnete, daß ich erst Leutnant sei, rief er plötzlich: „Mein Gott, bei uns würden Sie Oberstleutnant sein, wenn Sie in unsere Reihen träten." Mir verschloß diese Äußerung augenblicklich den Mund, und erst nach einigem Besinnen konnte ich antworten: „Würden denn die spanischen Herren Offiziere mit jemand 403

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dienen wollen, der sich durch eine Desertion beschmutzt hatte?" Ich bat nun, ohne den Gouverneur in die Verlegenheit zu setzen, eine Antwort geben zu müssen, um die Erlaubnis, mich ins Lager zurückbegeben zu dürfen. Aber wer denkt sich mein Erstaunen, als mir beim Heraus- tritt aus dem Zimmer in eine Art Vorhalle mein Trom- peter, im höchsten Grade betrunken, erklärte, er werde nicht mit zurückkehren, er werde in spanische Dienste treten. „Wie," sagte ich ihm, „man hat dich aus dem ganzen Regiments ausgesucht, mich zu begleiten und nun machst du deinem Regiment diese Schande? Gut ich gehe, bleib du hier und sieh deine Landsleute totschlagen und ermorden." Hiermit schritt ich der Türe zu. In dem- selben Augenblick aber schien sich mein guter Jankowski, der mir immer sehr zugetan gewesen war, zu besinnen, nahm einen Beutel mit Geld, in dem etwa 12—15 Taler sein konnten, aus der Tasche und warf ihn auf die Erde, indem er polnisch ausrief: „Hier habt ihr euren Judas- groschen, ich gehe mit meinem Leutnant!" In der größten Stille durchschritten wir die zahlreiche Versamm- lung; an der Treppe wurden uns die Augen wieder ver- bunden, und unter denselben Zurufen, Verwünschungen, unter demselben Geheul gelangten wir über den Brücken- kopf in die Trancheen zurück.

Bald nach dem Ausfall der Spanier ward der General Leval so krank, daß man für sein Leben fürchtete. Es ward daher beschlossen, ihn nach Mora zu senden, wo sich das Hauptquartier des Oenerals Suchet damals befand. Meine Kompagnie, die man durch mehrere Kommandierte auf 160 Köpfe gebracht hatte, sollte als Eskorte dienen, während man noch 30 Mann bestimmte, die Bahre zu tragen. Der Weg nach Mora war jedoch vielen Schwierig- keiten unterworfen. Bis Aldevar und Jerta führte er ab- wechselnd längs des Ebro hin ; stellenweise traten Fels- wände bis dicht an den Fluß und ließen kaum den nö- tigen Raum zur Passage. Die Spanier hatten solchen Orten gegenüber auf der andern Seite des Flusses Lautgräben 40Q

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gezogen und beschossen beim geringsten Geräusch von dorther den Weg, wodurch bei Tage die Passage höchst gefährlich und nachts noch immer sehr schwierig war.

Nichtsdestoweniger hatte man unter Begünstigung der Nacht einige der fi'hwicriyston Stellen längs des Ebro ziem- lich unbemerkt zurückgelegt, nur das Gros des Detache- ments hatte hier und da Feuer bekommen. Mit Tages- anbruch befand sich die Kolonne bereits bei Jerta und betrat die Bergrcgion. Dem Anscheine nach war der Berg links vorn Wege unbesetzt. Aber es hätte mehr als eine Stunde Zeitverlust verursacht, ihn zu rekognoszieren und eventuell zu ersteigen. Ich wählte daher den kürzeren Weg. An einer geeigneten Stelle, die meine Anordnungen den Spähern auf dem bewußten Berge entzog, machte ich Halt und entsandte nur einige Mann gegen den Berg selbst, die jedoch Befehl erhielten, nicht zu weit vorzu- gehen, beim Anblick des Feindes sofort anzufangen zu feuern und später als Arrieregarde dem Detachement zu folgen. Dann schickte ich 12 Mann und einen tüchtigen Unterolftzier mit dem Befehl ab, einzeln, in einer Ent- fernung von 10—12 Schritt voneinander, aber rasch das Defilee zu durcheilen und an dessen Ausgange der An- kunft des ihnen folgenden Oflizierdetachements zu harren.

Sowie die ersten Leute im Defilee vorschritten, ent- deckte man auch schon die roten Mützen der CatalansM) im Gebüsch doch fiel noch kein Schuß. Erst wie die sechs ersten Mann die Hälfte des Defilees erreicht haben konnten, gaben einzelne Spanier Feuer, wobei zugleich eine Menge Guerillas sichtbar wurden. Sie schienen durch- aus nicht zu wissen, was sie aus der Sache zu machen hätten. Doch als der Offizier mit 30 Mann, in Gruppen von 4—5 Mann verteilt, dem Unteroifizierdetachement in einer Entfernung von etwa 50—60 Schritt folgte, begann ein lebhafteres Feuer vom Berge her. Dies hörte auch erst auf, als der letzte Mann vorüber war. Sowie der

") Catalonier.

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Offizier den Ausgang des Defilees erreicht hatte, sollte er sich sofort tiraillierend gegen die Stellung des Feindes selbst wenden, dem, wie bereits bemerkt, von dieser Seite her leicht beizukommen war, die ersten 12 Mann aber als eine Art Unterstützung am Ausgang des Defilees zurück- in dem Augenblicke, wo das Gewehrfeuer am Aus- gange des Defilees anfing, wurde auch das Feuer von den direkt gegen den Be.rg entsandten Tirailleurs be- gonnen; zugleich zeigte sich die Spitze der Hauptkolonne. 30 Mann gingen in Reihen so rasch wie möglich durch das Defilee der Rest blieb mit dem General noch zurück. Die Spanier, von diesen Anstalten überrascht, glaubten wahrscheinlich, von allen Seiten zugleich angegriffen zu werden und zogen sich nach einem kurzen Feucrgefeeht zurück, wodurch es dem Rest des Detachements möglich wurde, den General ohne Verlust durch diese höchst ge- fährliche Passage zu bringen.

Hätte man die Spanier nicht auf diese Art aus ihrer Stellung vertrieben, so ist es sehr wahrscheinlich, daß die mit der Tragbahre des Generals langsam folgenden Trup- pen eine bedeutende Menge Leute durch das feindliche Feuer verloren Mitten. ViuUHdit hätte der General selbst noch hier sein Ende gefunden, was den aufrührerischen Geist der Bewohner dieser wilden Gegenden nicht wenig genährt haben dürfte, besonders wenn man bedenkt, was die feindlichen Bulletins noch sonst für Nachrichten von einem solchen Gefecht in Umlauf gesetzt haben würden.

Als ich nach einem Aufenthalt von einem Tage meinen Rückmarsch antrat, nahm ich die Korrespondenz für die Division mit. Wenn nun schon ji^ier Oiii/.ier, wenn er aus dem Hauptquartier kommt, detachierten Truppen eine willkommene Erscheinung ist, so war ich es doppelt, denn ich hatte dem Regiment, ohne daß ich es wußte, eine Menge Beförderungen und Promotionen, Briefe usw. mit- gebracht Meine Soldaten waren daher, ebenso wie ich der Gegenstand großer Aufmerksamkeit, und ich selbst 411

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ward, da man fabelhafte Gerüchte über das kleine, glück- lich bestandene Gefecht in Umlauf gesetzt hatte, mit herz- licher Teilnahme bewillkommnet

Während uns die Spanier, nachdem alle ihre Ver- suche, die Berennungskorps zu sprengen, fehlgeschlagen waren, ganz in Ruhe ließen und täglich nur einige Bomben nach dem Lager schickten, schlug man sich an der Cenia und bei Uldecona in unserer Rechten und am Ebro auf- wärts tüchtig herum. Wenn auch die größeren Engage- ments stets zu unserm Vorteil ausfielen, so waren doch die Gefechte, die besonders auf die Belagerungsverhält- nisse Bezug hatten, nicht immer ganz glücklich. Zweimal gelang es den Spaniern, die Zuführung von schwerem Geschütz und Pulver ganz oder teilweise zu hintertreiben und somit die Ausführung der endlichen Belagerung des Platzes wieder in Zweifel zu stellen. Was am sichersten zu unserm Verderben hätte mitwirken können, nämlich die Insurgierung des Landes in unserm Rücken und Ver- stärkung des Aufstandes in diesem gebirgigen Terrain- abschnitt (besonders zwischen Alcaiiiz und Tortosa) durch regelmäßige Truppen, versuchten sie nur einmal in nicht ausreichendem Grade. Der große Fehler der Spanier war deren ewiges Scharmützeln, sowie sie eine gewisse An- zahl Leute beisammen hatten, und dabei wurden sie von den tapferen, disziplinierten Franzosen fast in jedem größe- ren Zusammentreffen geschlagen. Mina und Perefia waren die einzigen im nördlichen Spanien, die dies vermieden, sich auf den kleinen Krieg beschränkten und daher auch den besten Erfolg hatten.

Ende September brach in unserm Rücken der er- wähnte Aufstand aus. Unsere Detachements wurden an- gefallen, Gefangene ermordet, alle Requisitionen unbe- achtet gelassen. Die Sache drohte um sich zu greifen. Die Bewegung bemächtigte sich Teruels und Montalvans; bei Daroca und Calatayud zeigten sich starke Banden, und selbst in Zaragoza waren Spuren von Unzufriedenheit und Widersetzlichkeit zu bemerken. 412

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Am 26. September brachen demnach aus Alcafiiz und unserm Lager zugleich Truppen auf, um die Ordnung wieder herzustellen. Das Lager von Tortosa stellte hierzu vier Kompagnien, darunter die meinige. Wir drangen nach einem anstrengenden Marsch, aber ohne einen Schuß zu tun, auf der Höhe, nur von den Mücken unglaublich heim- gesucht, bis Berceyte vor, „die schwane Stadt", wie sie bei den Franzosen hieß. Das frühere Benehmen der Be- wohner, ihre Orausamkeit gegen unsere Oefangenen ließen sie mit Recht die strengste Behandlung fürchten und hatte sie bewogen, mit Hab und Out in die Berge zu flüchten. Es herrschte eine Totenstille im Orte. Er wurde der Plün- derung preisgegeben und dann methodisch angesteckt; die Weinreben in der Nachbarschaft wurden ausgerissen, die Ölbäume angezündet, alles verwüstet.

Am andern Tage gegen neun Uhr früh traten wir den Rückzug an, und ich führte die Avantgarde der Ebro- kolonne. Wir hatten ein äußerst gefährliches Defilee zu passieren, das Hunderte von Schritten in einer von zer- klüfteten Felsen überragten Schlucht fortlief. Schon auf dem Hinmarsch nach Berceyte hatten wir die Gefahr, die es darbot, wenn es nur durch eine Handvoll tüchtiger Männer verteidigt wurde, richtig gewürdigt, und auch jetzt sagte ein alter Sergeant, Wassüenka: „Herr Leutnant, wenn die Spanier uns hier durchlassen, so ist gewiß kein Mensch in der Gegend, der es besetzen könnte." „Mein Freund," antwortete ich', „sie werden es so machen wie bei San Mateo."")

Wir hatten bereits den Eingang der finstern, engen Schlucht erreicht, als die Meldung einlief, ihr Ausgang sei verrammelt; zugleich fielen einige Schüsse. Ich be- schleunigte sofort meinen Marsch, erreichte im Trabe die Barrikade und ließ sie aufräumen. Nur ab und zu fiel

™) Das Defile'e von Morefie bis San Mateo, das die Division Lcva! auf ihrem Marsche nach Tortosa passieren mußte und wobei sie nicht angegriffen wurde. (Anmerkuni; rtis Verfassers.)

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ein Schuß auf uns, aber von oben wurden Steine herunter- gerollt Ich konnte mich glücklich nach unserer Abmarsch- linie zu formieren und das Debauchieren der Kolonne decken. Sowie aber deren Spitze anlangte und ich vor- gehen wollte, erhielt ich von allen Seiten Feuer. Der Vor- trab prallte zurück, da viele verwundet wurden. Meine Leute feuerten ohne Befehl; die Spitze der Kolonne drang rasch vor, weil alles sich beeilte, das Defilee zu verlassen, und bald bildeten die vier Kompagnien aus dem Lager und die zwei aus Jerta gekommenen nur einen Knäuel.

Fast alle Offiziere waren bereits verwundet. Dem Oberst Pascal selbst, dem Kommandeur der Kolonne, war ein Arm zerschmettert Durch Zureden endlich und Drohungen versammelte er seine Leute. Unter heftigem Feuer schrie er sie mit Stentorstimme an und warf ihnen ihre Feigheit vor. „Vilains conscrits", rief er ihnen zu, „ihr habt nichts zu verlieren als das Leben, denn eure Ehre habt ihr schon gegen diese gueux de brigands ver- loren. Aber auch das Leben verdienen Poltrons wie ihr nicht." Hiermit nahm er seine Pistolen, die er nach dem Verlust seines Pferdes immer unter dem Arm gelragen hatte, und erschoß zwei Mönche, die wir den Tag vorher gefangen genommen hatten. „Geht," rief er darauf den Leuten zu, „und laßt euch jetzt würgen und verbrennen. Aber wer ein guter Franzose ist, der folge mir!" Mit einem weithinschallcndcn „En avant" gingen wir darauf den Valencianern zu Leibe und gelangten nach mehreren herzhaften Angriffen wirklich auf günstigeres Terrain, wo wir uns aufs neue ordneten und dann dem Feinde auch glücklich entkamen. Die Polen, die bei der Expedition waren, verstanden von der energischen Anrede des Oberst Pascal kein Wort, aber seine Tat hatte ihnen so imponiert, daß sie braver wie je fochten.

Merkwürdigerweise waren trotz des wilden Getüm- mels unsere Verluste an Toten nicht sehr bedeutend ; meine Kompagnie verlor nur sieben Mann, doch mußten wir unser ganzes Oepäck und die erbeuteten Vorräte im Stich 414

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lassen. Tm Lager vor dem Brückenkopf erfuhren wir, daß während dieser Zeit alles ruhig geblieben sei und man glaubte, daß die Spanier den größeren Teil der Garnison auswärts verwandt hätten. Es wurden daher von den jungen Offizieren allerhand Projekte entworfen, sieh des Werkes durch Überfall zu bemächtigen, allein unsere Pläne wurden von den Vorgesetzten nicht berücksichtigt

Ohne irgendwelche für die Berenn ungsdivision wich- tigen Ereignisse verstrichen die Tage bis zur Mitte des Dezember. Um diese Zeit jedoch waren endlich alle Vor- bereitungen getroffen, um gesichert die eigentliche Bela- gerung Tortosas unternehmen zu können; meinem Regi- ment wurde hierbei eine andere Bestimmung zuteil.

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6. Kapitel

1810—1811

Übergang über den Ebro bei Jerta. Belagerung von Tortosa. Eröffnung des Artilleriefeuers. Beginn der Unterhandlungen. Energisches Benehmen des Gene- rals Suchet. Schwache, unentschlossene Handlungs- weise des Gouverneurs. Übergabe der Festung. Transport der Gefangenen nach Bayonne

Am 15. Dezember nachts ein Uhr brachen wir auf um den Ebro bei Jerta zu überschreiten. Wir langten abends, eben als die Dämmerung begann, in der Ebroebene an, die wir so sehnsüchtig sechs Monate lang aus der Ferne beschaut hatten. Es gelang uns, nach einem kurzen Getechte die Spanier gänzlich zurückzuwerfen und uns des ganzen Tals bis an den Fluß zu bemächtigen. Die Trüm- mer der zerstörten Vorstadt, die Einfassungen von Brun- nen, die man erhalten hatte, eingestürzte Keller usw. erleichterten unser Vordringen, und als es endlich dunkel geworden war, konnten wir uns ziemlich nahe an die Stadt selbst heranwagen. Die Gewandtheit unserer Leute er- leichterte dies ungemein, und es war mit Sicherheit darauf zu rechnen, daß sie, ohne instruiert zu sein, immer das Richtige tun würden.

Am 20. abends wurde meine Kompagnie zur Be- deckimg der Arbeiter, die die Trancheen eröffnen sollten, befehligt. Es war auf dem St eil ungs platze, wo wir uns -116

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versammelten. Zwanzig Kompagnien Grenadiere undVol- tigeure, eine babylonische Verwirrung, ein heftiger Wind und eine ägyptische Finsternis schienen die Herstellung jeder Ordnung unmöglich zu machen. Ich weiß nicht einmal, wer dem Kommandeur der 2. Kompagnie des 2. Weichs elregiments den Befehl gab: „De suivre l'Ebre et d'etendre ia compagnie ä peu pres 80 pas le long du glacis, de proteger les travailleurs et de maintenir la com- munication avec la 1. compagnie des voltigeurs du regi- ment." Ich machte mich sofort auf, gelangte an den Ebro und folgte den Instruktionen, die ich erhalten hatte. Da mir das Terrain genau bekannt war, so hatte dies weiter keine Schwierigkeiten. Aber als ich rechts die Verbindung aufsuchen wollte, erhielt ich Feuer, dem sofort ein paar Kartätschenschüsse aus der Festung folgten, die mir be- wiesen, daß kein Spanier mehr sich außerhalb der Festung befände. Ich verhielt mich ganz ruhig, placierte meine Leute dem Befehle gemäß und blieb selbst aul dem rech- ten Flügel, emsig bemüht, meine Nebenkompagnie zu finden, was mir schließlich auch gelang. Wir regelten unsere Verhältnisse dem Befehle gemäß und brachten liegend, kriechend, stehend, kurz in allen möglichen Stellun- gen die Nacht zu. Es war ungemein kalt, ein eisiger Wind peitschte den Ebro in hohe Wellen, und das Wetter tobte so, daß nicht einmal wir etwas von unsem Arbeitern hörten, geschweige denn die Spanier. Sowie der Tag graute, wurden wir in die Trancheen zurückgezogen, die so weit gediehen waren, daß sie uns vollständigen Schutz gewährten.

Sowie mit dem ersten Grauen des Tages der Feind unsere Arbeit, mit der wir ihm etwa auf 220—230 Schritt nahe gekommen waren und die die ganze Ebene einnahm, gewahrte, eröffnete er aus allen seinen Geschützen auf dieser Front ein heftiges Feuer und versuchte unmittel- bar darauf einen Ausfall, ward aber kräftig zurückge- wiesen, noch ehe er die Arbeiten selbst erreichen konnte. Nichtsdestoweniger hatte man die Grenadierkompagnien

27 B*MT: Spin. Frtüitlttfimpt. 417

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zur Unterstützung geschickt Als die Feinde sich zurück- zogen, sah ich den Leutnant Zorowski von den Grena- dieren, einen werten, lieben Freund, sich mir mit betrübter Miene nähern. „Nun," redete er mich an, „was sagst du?" „Wozu?" fragte ich. „Zu Zarskis Tod," war die Antwort. „Wie!" riet ich erschreckt, „Zarski tot?" „Jawohl, eine Kugel hat ihm am 12. November im Ge- fecht bei Fuente Santa unweit Villel beide Beine zer- schmettert, und er ist unmittelbar darauf gestorben." Sei es Ermattung, Abspannung, der Gedanke an die drohenden Gefahren, die uns umgaben ich war für den ersten Augenhück dem Schmerz um ein so teures Haupt nicht sonderlich zugängig, aber in das Lager heim- gekehrt, ergriff mich eine so trübe Stimmung, daß ich derselben kaum Herr werden konnte.

Die Belagerung ging einstweilen ihren raschen Gang. Die Spanier machten am 22. zwar einen Ausfall, aber obwohl man im Lager zu den Waffen griff, so blieben wir doch ungestört. Am 23. richtete der Feind ein starkes Feuer auf uns und überschüttete einen Teil der Trancheen mit einem Hagel von Geschossen. Ein Ausfall ward von der Bedeckung und im Verein mit den Arbeitern, die ihre Utensilien mit den Waffen vertauschten, zurückgewiesen. Unter den Offizieren, die die Belagerungsanstalten leite- ten, befand sich Oberst Henry vom Geniekorps immer in den ersten Reihen. In der Regel ohne Hut oder ihn als Chapeau claque unter dem Arme tragend, über seiner Montierung einen grauen Rock, und meist mit einem Hand- werkszeug in der Hand, leitete, ordnete, befehligte er mit unermüdlicher Tätigkeit und guter Laune. Ein paar pol- nische Worte, die er unsern Soldaten zuzurufen pflegte, hatten ihn zu deren Liebling gemacht

Am 24. früh rief uns ein sehr lebhaftes Infanteriefeuer unter die Waffen. Die Spanier, in der Besorgnis, den ge- deckten Weg gestürmt zu sehen, knallten seit dem ersten Strahl der Sonne auf der ganzen Front immer frisch ins Blaue hinein. Erst nachdem sich der Morgennebel ver- 418

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zogen und sie sich überzeugt hatten, daß sie niemand an- griff, hörte die Munitionsverschwendung auf.

Einen großen Nutzen gewahrten uns die Sandsäckc, mit denen wir die ganze Tranchee gekrönt hatten. Man hatte überall Schießscharten gebildet und sie mit guten Schützen besetzt. Diese unterhielten von hier aus ein wohlgezieltes Feuer auf den Feind und schüchterten diesen allmählich so ein, daß er nur furchtsam an die Bedienung seiner Geschütze ging. Sowie sich nur etwas in den Batte- rien rührte, fielen sofort eine Menge Schüsse. Die höl- zernen Blenden der Scharten waren fast auf der ganzen Front durch die Gewehrkugeln zerstört Das spanische Artilleriefeuer fing allmählich an schwächer zu werden, denn die Infanterie tat nicht das ihrige, um das Oleich- gewicht in dieser Art des Kampfes herbeizuführen.

Am 26. rief uns ein Ausfall des Feindes in die Tran- cheen, doch wurde er durch das 44. Regiment zurückge- wiesen, so daß wir nicht ins Gefecht kamen. Wir verloren aber mehrere Leute durch das Artilleriefeuer, das uns schon im Lager begrüßte. In dem kleinen Gartenhäuschen, das General Chlopicki in der Nähe des Lagers bezogen hatte, durchschlug eine Kugel das Zimmer in dem er sich eingerichtet hatte. Wäre er nicht in der Tranchee gewesen, möglich", daß ihn, der die Gefahr recht eigentlich suchte, hier im Bett oder beim Essen der Tod überrascht hälfe.

Die Nacht vom 26. bis 27. Dezember war eine der unruhigsten der ganzen Belagerung. Während unsere Sap- peure sich dem bedeckten Wege näherten, warfen die Feinde eine Menge Granaten. Wir waren einander bereits so nahe, daß die Leute durch allerhand Redensarten sich gegenseitig herausforderten. „Ihr habt Kanonen von Holz," riefen die Spanier uns zu. „Wollt ihr nicht ein paar von Don Enrique O'Donnell borgen, um uns anzu- greifen?" riefen andere. Endlich entspann sich zwischen ihnen und den Franzosen eine Art Unterhaltung, die eine Pause im Gefecht und ein gänzliches Aufhören des Schießens herbeiführte. Die Spanier hielten Jedoch diesen 27* 41"

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improvisierten Waffenstillstand nicht lange, feuerten plötz- lich auf einige Offiziere und Leute, die sich unbedachter- weise ihren Schüssen ausgegesetzt hatten, und verwun- deten mehrere. Das Gefecht begann hierauf aufs neue; die Spanier brachen plötzlich vor, verjagten die Arbeiter und fingen an, die Verbindungen und Verschanzungen zu zerstören. Aber die schnell herbeieilende Reserve stellte den Kampf wieder her.

Mit Tagesanbruch indes eröffneten die Spanier ein so heftiges Feuer, daß man die vordersten Arbeiten auf- geben und die dabei beschäftigten Leute zurückziehen mußte. Wir begnügten uns, aus der zweiten Parallele ein so heftiges Infanten eleu er auf den Feind zu richten, daö sein Artilleriefeuer dadurch förmlich zum Schweigen gebracht wurde. Der Verbrauch an Munition war sehr be- deutend, denn soviel die Offiziere auch' steuern mochten, so konnten sie doch' des Schießens nicht Herr werden. Die Soldaten fanden eine Belustigung darin, mft ihren Gewehren die Kanonen zu bekämpfen, und man muß frei- lich gestehen, daß es besonders diesem wohlunterhaltenen und oft gut gezielten Feuer zu danken war, daß man, ohne eine Kanone aufgepflanzt zu haben, es schon vermocht hatte, den bedeckten Weg am siebenten Tage der Bela- gerung zu besetzen.

Am 27. nachmittags ungefähr um vier Uhr machten die Spanier, die schon den ganzen Tag über ein heftiges Feuer unterhalten hatten, wieder einen sehr lebhaften Aus- fall. Sie warfen sich entschlossen auf unsere Arbeiten, töteten einen Offizier und mehrere Soldaten und drangen bis zur zweiten Parallele vor. Während sie das Bauwerk einzureißen bemüht waren, versuchten sie zugleich, 'durch' Pechkränze und in Pech getauchte Reisigbündel, die sie mittels kleiner Haken an den Schanzkörben befestigten, diese in Brand zu stecken. Sie blieben eine ganze Weile im Besitze der Trancheen, aber sei es, daß sie nicht genug Utensilien mit sich führten, um die Arbeiten zu zerstören, oder daß sie es vorzogen, das Feuern aus unsern Gräben 420

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zu unterhalten, statt sie zuzuwerfen der Schaden, der hätte angerichtet werden können, stand in keinem Verhält- nis zu der Länge der Zeit, während welcher der Feind im Besitz unserer Gräben gewesen war.

Die Grenadiere des 44. französischen und des 2. pol- nischen Regiments, welch letztere aus dem Lager herbei- geeilt waren, vertrieben die Spanier aus den Trancheen und verfolgten sie bis an die Palisaden. Die erste Ore- nadierkompagnie des Regiments unter den Leutnants La- socki und Zarowski zeichnete sich bei dieser Gelegenheit besonders aus. Letzterer erhielt einen Kolbenschlag von einem spanischen Grenadier und einen Schuß durch seine Bärenmütze, eben als er einen spanischen Offizier angriff, der in den bedeckten Weg springen wollte. Auf unserer Rechten hatte der Feind ebenfalls einen Ausfall gemacht, aber er war auch hier zurückgeworfen worden, und zwar mit einem größeren Verluste als auf unseren Flügel.

Der 28. verlief nicht minder unruhig. Das Regiment aber rückte nicht weiter vor, wenngleich es 200 Arbeiter gestellt hatte. Am 29. früh begannen unsere Batterien (45 Geschütze) auf allen Punkten ihr Feuer. Es waren viele Offiziere aus dem Lager gekommen, um der Eröff- nung desselben beizuwohnen. Die erste Bombe fiel in eine Kaserne, dicht neben einem Schornstein, aus dem der Rauch sich kräuselnd erhob. Sowie der Schuß gefallen war, sah man überall Köpfe hervorgucken. Die Tranchee- wachen hatten diesen Augenblick erwartet und richteten alsbald ein lebhaftes Feuer auf diese Neugierigen, von, denen gewiß mancher sein Leben einbüßte. Aus den Ka- sernen selbst sah man eine Menge Menschen wegeilen. Die Spanier erwiderten anfangs das Feuer sehr lebhaft, aber nach einigen Stunden schien das unsrige die Ober- hand zu gewinnen. Der kommandierende General war in der Tranchee, beobachtete den Erfolg unserer Arbeiten und schien damit sehr zufrieden.

Am 30. wurde das Feuer fortgesetzt. Eine Kanonen- kugel riß die Fahne des alten Schlosses herunter, was .421

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unserseits mit einem lauten Jubel begrüßt wurde und der Geschützbedienung 20 Napoleons einbrachte. Im Laufe, dieses Vormittags hatte ich wieder Gelegenheit, die unver- gleichliche Ruhe des Generals Chlopicki zu bewundern. Die Voltigeure saßen und lagen in einer der Verbindungen vor der Halbbastion San Pedro. Ich hatte den General in der Tranchee nach dem Fort Orleans zu begleitet, wir waren eine kurze Strecke gegangen, und eben machte der Kommandeur des Postens dem durch die Sandsackschartc schauenden General eine Meldung, als eine Bombe in die Brustwehr vor ihm schlug und darin stecken blieb. Der General setzte während dieser Zeit rullig seine Beob- achtung fort, während sich die Soldaten und Offiziere bückten oder auf die Erde warfen, um das Ungetüm platzen zu lassen. Dies geschah auch bald darauf, ohne daß irgend jemand verwundet worden wäre. „Eh bien," sagte der General zu dem Kommandanten der Wache, der neben ihm stand und sich gleichfalls gebückt hatte, „vous avez interrompu notre entretien," und hörte dann, als sei gar nichts vorgefallen, die Fortsetzung des Berichts des Offiziers an.

Unsere Artillerie hatte indessen das feindliche Feuer fast ganz gedämpft der Brückenkopf war verlassen es war eine Bresche gelegt und der Mineur angesetzt worden. Unsere Infanterie hatte den Feind aus allen seinen Posten vertrieben. Aber wenn wir an Zaragoza dachten, so hätte jetzt erst der Kampf recht beginnen müssen, da der Ort wohl auch hierzu geeignet gewesen wäre. Indes die Verteidigung taugte von Anfang an nichts es [chlte ihr an jeder Energie.

Desto eifriger betrieb General Suchet den Angriff. Wir hatten immer zwei Nächte Dienst und nur eine im Lager frei. Ich hatte in der Nacht vom 31. Dezember zum 1. Januar in den Trancheen die Wache. Der Bau einer zweiten, größeren Breschbatterie und das Vorschrei- ten der Arbeiten der Ingenieure ging, ich möchte sagen, fast ohne Störung vor sich. Aus einigen versteckten, bis 422

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dahin unbemerkten Winkeln fielen ab und zu noch ein- zelne Schüsse; ebenso ward das Artilleriefeuer nur noch schwach vom Castello viejo und einigen Flanken her, denen man nicht gut beiltommen konnte, fortgesetzt.

Da ward auf einmal gegen 11 Uhr eine weiße Fahne aufgehißt, und bald darauf sah man zwei Unterhändler durch die Trancheen führen, um nach dem Hauptquartier gebracht zu werden. Der eine dieser Herren war klein, dick, unansehnlich, hatte einen runden Hut mit einer roten Kokarde, eine braune, kurze Jacke, ebensolche Beinkleider und blaue Strümpfe an, aber Ob erste nützen am Kragen. Der andere sah etwas militärischer aus, aber keineswegs so gut, um uns von der Haltung der Garnison einen son- derlichen Begriff beizubringen. Üas Feuer wurde auf der ganzen Linie eingestellt, aber die Arbeiten wurden fortge- setzt. Da dieselben keine große Ausdehnung hatten, so war ich bald hier bald dort, obwohl mein Posten eigent- lich vor der San Pedro-Halbbastion war. Sei es, daß das Nichtaufhören der Arbeiten unserseits oder sonst ein Um- stand den Spaniern Veranlassung gab kurz, nach einiger Zeit begannen sie das Feuer wieder gegen die Bresch- batterie, in welcher der General Chlopicki zugegen war. Ohne sich zu besinnen, trat er auf die Brustwehr und rief, mit einem Stöckchen, welches er in der Hand hielt, drohend: „Caraccos demonios14), wenn ihr nicht aufhört zu schießen, so lasse ich euch alle hängen," und wie auf ein Kommando hörte das Feuer auf.

Die Unterhandlungen, mit häufigen Anfragen in der Festung verbunden, dauerten bis spät abends; und da man sich über die Bedingungen nicht hatte einigen können, so wurden die Feindseligkeiten wieder begonnen. Die neue Breschbatterie eröffnete ihr Feuer mit dem größten Erfolge, und am andern Tage um Mittag waren beide Breschen ausführbar und die Minen angeblich auch so weit, daß sie gesprengt werden konnten. Die Truppen

») Verfluchte Teufel.

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wurden zum Sturm aufgestellt und alle Anstalten getroffen, diesen auf das erste Signa! zu unternehmen. Da wurden auf einmal drei weiße Fahnen aufgehißt, doch hörte dies- mal das Feuer nicht auf, und erst als man unsem Truppen ein Tor eingeräumt hatte, knüpfte General Suchet neue Unterhandlungen an. Unter dem Vorwande, daß die Parla- mentäre am vorhergehenden Tage die Loyalität des kom- mandierenden Generals gern iE braucht hätten, wurde ver- langt, daß in eins der Forts sogleich französische Garnison einrücken sollte. Als die Abgesandten zögerten und Un- gehorsam ihrer Leute vorschützten, begab sich der kom- mandierende General, von seinem ganzen Stabe begleitet und nur von einer Kompagnie Grenadiere des 116. Regi- ments gedeckt, vor das Schloß, kündigte den Wachen dort das Aufhören der Feindseligkeiten an und ließ sich durch einen Offizier zu dem General Orafen von Alacha führen. Dieser, hierdurch eingeschüchtert, willigte münd- lich in alles. Die Furcht aber vor der Garnison, welche unter den Waffen stand und nicht sonderlich Lust zu haben schien, sich zu ergeben, hielt ihn noch ab, eine Kapitulation ä discretion zu unterzeichnen. Da erschien General Habert an der Spitze seiner Truppen. Dem Gou- verneur schien nun nichts mehr übrig zu bleiben, als nachzugeben. General Suchet nahm jeden Augenblick einen höheren Ton an; er wies auf den angeblichen Treu- bruch in den Unterhandlungen des vorigen Tages, auf die zum Sturm bereitstehenden Kolonnen hin und machte den Gouverneur für alle Folgen, die aus einer längeren Zöge- gerung entstehen würden, verantwortlich. Zu gleicher Zeit räumten die Soldaten die Breschen auf alles drängte zum baldigen Abschluß eines Abkommens, und der General verlor vollends den Kopf. Statt einen Offizier ins Pulver- magazin zu schicken und diesem den Befehl zu geben, es in die Luft zu sprengen, wenn der General nicht augen- blicklich das Fort räumen würde, und dies dem franzö- sischen Oeneral zu sagen, willigte er in eine Übereinkunft Vergessen war unter der energielosen Anführung des Gou- 424

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vemeurs der feierliche Eidschwur, den die Garnison am 3. August, dem Tage des großen Ausfalls, auf den Degen O'Donnells geleistet hatte entweder zu siegen oder zu

Es ward eine kurze Kapitulation formuliert und auf einer Kanonenlafette unterzeichnet. Der Gouverneur über- gab am 2. Januar 181 1 den Platz ohne jede Bedingung, die Offiziere behielten ihre Degen, die Garnison die Bagage und ward kriegsgefangen nach Frankreich abgeführt

So schmachvoll endete für die Spanier dieser Kampf, der am 4. Juli 1310 so rühmlich begonnen hatte. Sechs Monate hatte die Berennung auf dem rechten Ufer ge- dauert, nur 17 Tage die Belagerung, 13 Tage waren seit der Eröffnung der Trancheen und 5 Tage seit dem Be- ginn des Artilleriefeuers verflossen. Über 0000 Gefangene, etwa 180 Oeschütze und ein ungeheures Kriegsmaterial fielen in unsere Hände. Die Spanier hatten in der Zeit vom 15. Dezember 1810 bis zum 2. Januar 1811 20 000 Kanonenschüsse getan, jedes unserer Oeschütze soll 300 Schüsse abgefeuert haben.

Die Einnahme des Ortes riß Suchet aus einer unan- genehmen Lage und gab ihm auf seinem Kriegstheater ein entschiedenes Übergewicht, welches er denn auch mit Einsicht und Verstand benutzte. Fortan waren seine Unter- nehmungen rein methodisch und frei von dem poetischen Anflug, den seine ersten Operationen anfangs getragen hatten. Wieviel hierzu eigene Neigung, wieviel Weisun- gen von Paris oder Madrid beigetragen haben mögen, dürfte kaum anzugeben sein.

Ob der Oeneral imstande gewesen wäre, seine Drohungen gegen den Gouverneur wahrzumachen, will ich dahingestellt sein lassen 9000 entschlossene Männer konnten, von den noch ganz unberührten Forts unter- stützt, noch immer einen Widerstand leisten, der, bei aller Anerkennung der Bravour der 10000 Franzosen, die Ent- scheidung wenn auch nicht zweifelhaft zu machen, so doch sehr in die Länge zu ziehen imstande war.

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Die Garnison rückte sofort nach der Obergabe des Platzes aus, defilierte an dem Oeneral vorüber und ward auf Jerta dirigiert. Wenn die Leute auch nicht besonders aussahen, so boten sie doch einen ganz andern Anblick dar, als einst die Oaraison von Zaragoza und lieferten jedenfalls einen Beweis dafür, daß die leitenden Behörden in der Organisation und Formation von Truppen bedeu- tende Fortschritte gemacht hatten.

Unsere Brigade ward mit dem Transport der Gefan- genen nach Zaragoza beauftragt. Die Eile, mit der man die starke Kolonne in Bewegung gesetzt hatte, trug na- türlich ihre Früchte, und diese waren namentlich für die armen Spanier sehr bitter. Da man ziemlich spät von Tortosa abgerückt und die Marschordnung nicht gehörig geregelt war, so kamen wir auch erst spät in Jerta an.

Am 28. Januar erreichten wir St. Jean de Luz, die erste französische Etappe. Die armen Gefangenen litten auf dem Marsche schrecklich. Die Kälte und die Unmög- lichkeit, sie durch ein gutes Unterkommen vor der Witte- rung zu schützen, die knapp zugemessenen Lebensmittel wirkten in gleichem Maße auf die Gesundheit nachteilig ein. Es war hohe Zeit, daß wir nach Frankreich kamen, wo mehr Freiheit gegeben und Nachsicht geübt werden konnte. Ober das reizend gelegene St Jean de Luz, wo man uns sehr freundlich aufnahm, gelangten wir am 29. nach Bayonne, wo wir unsern Transport abgaben und ein- quartiert wurden. General du Quesne war Gouverneur von Bayonne und sorgte nach Möglichkeit für uns und die Gefangenen. Die meisten der letzteren nahmen freund- lich Abschied von uns. Wir hatten alles für sie getan, was in unsern Kräften gewesen, ihre manchmal herbe Lage erleichtert, mit einem Worte, das Mitgefühl erwiesen, das der Mensch dem Menschen, besonders wenn er unglück- lich ist, schuldet Darin lag der beste Lohn für die mühe- volle Zeit, die wir auf diesem Marsche zugebracht hatten, dessen Ende von uns mit Freude begrüßt wurde.

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Gefangenschaft und Flucht auf den spanischen Pontons von Henri Ducor

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Vorwort.

Das Wort „Pontons" hat für alle die einen er- schreckenden Klang, die jemals als Gefangene den Fuß auf ein solches Schiff setzten, denn das Leben auf der- artigen Fahrzeugen, deren sich hauptsächlich die Spanier bedienten, um ihre gefangenen Feinde darin einzupfer- chen, grenzte an Barbarei. Sie benutzten dazu alte, un- brauchbar gewordene, ihres Takelwerks beraubte Kriegs- schiffe, weil ihnen diese der sicherste Ort schienen, ihre Gefangenen unterzubringen. Denn da das ganze Festland vom Feinde überschwemmt war, blieben ihnen nur die Seestädte, deren Häfen, wenigstens nach dem Meere hinaus, durch die englischen Geschwader gedeckt waren.

Der Verfasser des folgenden Berichts war Zeuge und Teilnehmer der Niederlagen, welche der verhängnis- vollen Lösung des Glücks Napoleons vorausgingen. Er erlitt die entsetzlichste Gefangenschaft auf einem solchen Schiffe. Als Marinesergeant der kaiserlichen Garde be- fand sich Henri Ducor zuerst auf einem Ponton und später auf der Insel Cabrera. Endlich sprengte er die unerträglichen Fesseln und erlangte mit mehreren seiner Leidensgefährten unter übermenschlichen Aufopferungen und Gefahren die Freiheit. Er ist daher wie kein anderer in der Lage, Eindrücke und Tatsachen während seiner Gefangenschaft zu schildern, die wert sind, der Vergessen- heit entrissen zu werden.

Viel Biographisches ist von dem Verfasser nicht zu berichten. Da er keinen hohen Rang in der Armee ein-

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nahm, ist soviel wie nichts aus seinem Leben bekannt, außer was er selbst in seinen Memoiren darüber erzählt.

Man weif) von Ducor nur, daö er 1789 geboren war, schon mit 12 Jahren als Schiffsjunge in die Marine ein- trat und 1802 die Expedition nach St Domingo mitmachte, auch an der Schlacht von Trafalgar, dem unsterblichen Siege Nelsons, auf dem „Heros" teilnahm. Sein Schiff rettete sich in dieser Niederlage der Franzosen nach Cadiz, das Ducor wenige Jahre später unter noch ungünstigeren Verhältnissen wiedersehen sollte. Nach seiner Flucht von Cabrera nahm er an allen späteren Feldzügen Napoleons teil. Außer der spanischen Gefangenschaft indes hat er in seinem Werke „Aventures d'un marin de la garde impe- riale, prisonnier de guerre sur les pontons espagnols, dans nie de Cabrera et en Russie; pour faire suite ä l'histoire de la campagne de 1812", Paris, 1833, nur noch dem rassi- schen Feldzug eine eingehendere Schilderung gewidmet

F. M. K.

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Leben und Leiden auf den spanischen Pontons. Spanischer Fanatismus. Bestürmung des Gefängnisses von Cabrera durch die Bewohner. Flucht

Im Juni des Jahres 1808 befanden wir uns mit fünf französischen Linienschiffen auf der Reede von Cadiz. Bis dahin hatten uns die Kanonen der Spanier beschützt, aber plötzlich waren alle Verbindungen mit dem Lande unterbrochen ; ganz Spanien war gegen uns und hatte sich soeben in Massen gegen uns erhoben. Die oberste Junta von Andalusien ersetzte die abwesende und in Gefangen- schaft befindliche Autorität.1) Von einem Ende der Insel zum andern rief man: „Tod den Franzosen!" Inmitten all dieser Umstände proklamierte man die Erhebung Joseph Bonapartes auf den spanischen Königsthron. Dieser Fürst, der durch den Wunsch seines Bruders und nicht durch den Willen der Castilianer, die man vergessen hatte um Rat zu fragen, zum König gemacht worden war, befand sich noch nicht in Madrid, sondern Murat, der Oroöherzog von Berg, befehligte in der Hauptstadt und hatte sich beeilt, sobald die ersten Symptome einer bewaffneten Opposition gegen die Politik des Kaisers bemerkbar wurden, militärische Dispositionen zu treffen.

Cadiz war ein sehr wichtiger Punkt, den man so schnell wie möglich besetzen mußte, und er hatte deshalb dem General Dupont') befohlen, sich in Eilmärschen nach

») Vergleiche allgemeine Einleitung. *) Siehe Anmerkung 1 des 2. Berichts.

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dieser Stadt zu begeben. Um diese Bewegung zu erleich- tern, die mit einem ziemlich beträchtlichen Truppenkorps ausgeführt wurde, sollte sich der Vizeadmiral Rosily'), der Oberbefehlshaber unserer Flotte, in dieser Gegend, zwischen der Insel Leon und dem Trocadero, vor Anker legen. Er war also in der Lage, die Operationen der fran- zösischen Armee zu unterstützen, sobald sie erschien. Aber die Spanier, die der Anblick unserer Flagge ärgerte, faßten sofort den Entschluß, uns als Feinde zu behandeln. Drei- mal forderten sie uns aijf, uns zu ergeben, und auf unsere Weigerung bombardierten sie uns. Wir hielten vom 9. bis zum 14. Juni ohne Unterlaß ihr Feuer aus. Endlich, als keine Möglichkeit mehr vorhanden war, weder die Verteidigung zu verlängern, noch' aus der Stellung, in der wir uns befanden, herauszugehen, sahen wir uns ge- nötigt, uns bedingungslos zu ergeben. Die Engländer, deren Regierung sich mit Spanien noch nicht verbündet hatte, waren in diesem Kampfe unbewegliche Zuschauer geblieben.

Bei dem Haß, den die Spanier uns geschworen hatten, konnten wir uns auf keine anständige Behandlung ihrer- seits gefaßt machen : alles, was sie tun konnten, war, uns am Leben zu lassen. Bei unserer Landung brachten sie uns erst in den Kerkern von La Caraca unter, um uns dann in den Pontons einzupferchen. Das Wort „Pon- tons" läßt heute noch denen die Haare zu Berge steigen, die das Unglück hatten, in ihrem Leben einmal in die Hände der Engländer oder Spanier gefallen zu sein.

Die spanischen Pontons glichen so ziemlich den Ge- fangenen schiffen der Engländer. Es waren gleichfalls alte, unbrauchbare, mit Stückpforten versehene Schiffe. Jedes derselben konnte etwa 160—180 Fuß Länge und 40—45

') Graf Francis Eticnnc Rosi ly-Mesros, Vizeadmiral der frarßöslschen Flotte, befehligte von 1805— 180S in der Eigenschaft eines Admirals die vereinigten Oeschwader von Frankreich und Spanien. 432

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Fuß Breite Haben. Ein einziges, „Alt-Castilien", diente als Offiziersgefängnis; es war dasselbe Schiff, das seine Kabel zerbrach und durch die Flut nach dem Hafen Santa- Maria geführt wurde, wo sich damals die französische Armee befand.

Auf diesen Pontons sah man keinerlei Art von Takel- werh. Alles, was an den Anblick eines Kriegsschiffes erinnert, war verschwunden. Diese gewaltigen Schiffs- körper waren wahrhaftig wie große Särge, in denen man lebende Menschen dem langsamen Tode entgegenführte. Sowohl der Schiffsraum als auch das Unterdeck lagen unterhalb der Wasserlinie, wo sich auch die schmutzigsten Winkel befanden. In dem stets feuchten Schiffsraum hatte sich ein schwarzer, verpesteter Schlamm gebildet, und es war unmöglich, in den zahllosen Abteilungen oder kleinen Zellen, die das Unterdeck darstellten, zu leben. Eine einzige, mit dem Schiffsraum parallel laufende Luke gestattete den Eintritt der Luft in diesen Teil des Schiffes, der ununterbrochen mit dem entsetzlichsten Oestank an- gefüllt war. Dort fand das Licht nur schwierig Zugang, und nur mit Mühe konnte man, selbst am hellen Tage, die einzelnen Gegenstände unterscheiden.

Die zweite und erste Stückpforte') hatten große Un- annehmlichkeiten, wenn auch anderer Art, zur Folge: man genoß wohl das Tageslicht, aber die Luken waren bestän- dig geöffnet, die Kühle der Nacht und der ungehindert eindringende Luftzug verursachten Augenentzündungen und unerträgliche Gliederschmerzen.

Auf diesen Fahrzeugen, wo man uns bis zu zwölf- oder fünfzehnhundert Mann zusammengepfercht hatte, gab es nur einen einzigen Ort, der keine großen Gefahren für die Gesundheit mit sich brachte: das Hinterdeck, wo sich die Pulverkammer befand. Und gerade diese Stelle wurde uns versagt, weil es die spanischen Kaufleute für geeignet gefunden hatten, dort ihre Waren auszubreiten.

•) Die Srhielisriiaricu auf KrirsssiMfun. 28 B»M7: Spin. FnihciBlurapI. 433

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Man wagte zwar nicht, uns Hungers sterben zu lassen, aber man gab uns vergiftete Nahrungsmittel: schwarzes Koni misb rot mit crci artigen Substanzen, wurmi- ges Biskuit, altes salziges, schon in Verwesung1 überge- gangenes Fleisch, ranziges, gelbes Fett, verdorbenen Kabel- jau, schadhaften Reis, ebensolche Erbsen und Saubohnen. Hingegen erhielten wir weder Wein, noch Essig, über- haupt nichts, um unsere Nahrung zuzubereiten. Und um das Elend voll zu machen, verweigerte man uns bei der schrecklichen Hitze und bei einer Nahrung, die ganz dazu geeignet war, Durst zu erregen, das nötige Wasser; zum mindesten gab man es uns in so kleinen Quantitäten, daß es ebenso schnell verbraucht war wie Wassertropfen, die auf glühendes Eisen fallen. Auf diese Weise gebärdeten wir uns mittags wie Wütende. Oberall, wohin wir auch gehen mochten, in der Hoffnung, irgend eine Erleichterung zu finden, empfanden wir nur, wie unsere Qual immer schlimmer wurde. In den Stückpforten war eine Atmo- sphäre zum Ersticken; man triefte vor Schweiß durch das Atemholen so vieler, und die Atmungstätigkeit wurde auf die schrecklichste Weise erschwert. Auf dem Deck dagegen verbrannten uns die senkrecht herabfallenden Sonnenstrahlen die Haut und brachten das Blut zum Sieden.

Der Anbruch des Tags war für uns dasselbe, was für die Vögel der Anbruch der Dunkelheit bedeutet: nie- mals sahen wir ihn, ohne dabei traurig gestimmt zu wer- den, denn nur die Nacht brachte uns einigermaßen Linde- rung. Oh, wie wünschten wir, sie verlängern zu können; und wenn sie zu Ende ging, wie ungeduldig waren wir, bis sie wiederkehrte!

Da wir gewissermaßen wie geröstet waren, wären wir gern bei zurückkehrender Flut, die die Flanken unseres alten Schiffes sanft umspülte, hinabgestiegen. Aber es war untersagt, uns zu baden, und wer auch nur versucht hätte, diesem Gebot zuwiderzuhandeln, würde es mit dem Leben bezahlt haben. Unsere Wächter, Soldaten der spa- 434

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irischen Flotte, hatten Befehl, auf jeden Gefangenen, von dem sie vermuteten, daß er sich vom Schiffe entfernen wolle und sei es auch nur für einen Augenblick Feuer zu geben. Und sie waren zu grausam, um diesen Befehl nicht buchstäblich auszuführen: sie würden uns erbarmungslos niedergeschossen haben ! Wir zweifelten nicht daran, und um ihnen nicht die Genugtuung zu geben, ihre Pflichten erfüllen zu können, mußten wir es bei bloßen Abwaschungen bewenden lassen.

Es fiel uns schwer, uns an die Lebensweise, der wir unterworfen waren, zu gewöhnen, doch machten wir im ersten Augenblick gute Miene zum bösen Spiel. Bald aber war es uns nicht mehr lächerlich zumute. Die Armee Duponts, von der wir unsere baldige Befreiung erhofften, hatte kapituliert, und die Spanier brachten sie gefangen herbei. Man hatte es uns mitgeteili, und nur zu bald mußten wir an diese verzweiflungs volle Nachricht glauben, da sie durch öffentliche Belustigungen bestätigt wurde. So folgten dem Hohn und dem Obermut sogleich Entmuti- gung und beißender Spott.

Wieviel schreckliche Krankheiten entwickelten sich nicht in so kurzer Zeit unter der Menge zusammengepreß- ter und schlecht ernährter Menschen! Ich sah allerlei Fieber entstehen und sich nach und nach ausbreiten: Durchfall, Ruhr, Typhus, Skorbut wüteten unter meinen unglücklichen Gefährten. Auch ich erwartete, daß ich an die Reihe käme, aber es stellte sich keine Krankheit ein.

Mit der Zeit verschlimmerte sich unsere Lage derart, daß die Spanier endlich fürchteten, die Verantwortlichkeit ihrer brutalen Sorglosigkeit tragen zu müssen und, um sich wenigstens nach dieser Seite hin zu schützen, sandten sie an die Junta einen Rapport, der diese unsere schreckr liehe Lage erkennen Heß. Ich weiß nicht, ob sich die Obrigkeit damals mitleidiger als unsere Wächter zeigte, aber das weiß ich, daß die Soldaten des Korps Dupont ankamen. Und da sie in einem Lande, das sie als Freunde aufgenommen, die Waffen ergriffen hatten, so luden sie 28- 435

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vielmehr die Abneigung der Spanier auf sich, und es wurde entschieden, daß sie unsem Platz an Bord der Pontons einnehmen sollten. Man teilte uns infolgedessen mit, daft wir nach San-Carlos auf der Insel Leon über- fuhrt werden würden, und am nächsten Tag wurden wir an Land gesetzt.

Hier bricht der Verfasser nach einigen sich an die Verän- derung des Orts der Gefangen seil alt anschließenden Betrach- tungen ah, um den Berieht eines Militärarztes der Armee Duponls einzuschalten, und läßt jenen von sich selbst in der ersten Person sprechen.

Unsere Armee war schön und voll guten Muts, als sie die Maßnahmen ihres Oenerals, der sie zu einem Fehl- tritt verleitet, befolgte, aus dem er sie weder mit Ehren zu ziehen wußte noch wollte. Sie befand sich keinem Feind mehr gegenüber, gegen den es nicht erlaubt war, die letzten Hilfsmittel der Tapferkeit zu versuchen; und sie verlor sofort das gesunde Aussehen, das den Franzosen so gut steht und genügt, die bescheidene Uniform zu schmücken. Die Truppen marschierten gesenkten Haup- tes, sie hatten ein gc langweiltes, ja last kränkliches Aus- sehen. Jeden Tag wurden die Gesichter länger, finsterer und verdrießlicher. Die langen Reihen unserer zerlumpten Regimenter glichen Prozessionen von eingeborenen Kran- ken, die eine Feuersbrunst aus ihrem Hospital vertrieben hatte. Sie bewegten sich langsam in vollkommenster Unord- nung vorwärts, ohne eine andere Disziplin als die Flinten- kolben der Soldaten anzuerkennen, die unsere Eskorte bildeten. Jeder Gefangene, der aus irgend einem Bedürfnis zurückblieb oder aus Schwäche der Kolonne nicht folgen konnte, schuf sich somit sein eigenes Grab. Die Bewohner des Landes eilten herbei, um ihn zu ermorden : wir brauch- ten uns nur umzusehen, um uns davon zu überzeugen. Und seihst wenn wir dies nicht getan hätten, würden uns die erbarmungswürdigen Schreie der Opfer und die barba- rischen Gesänge der Wütenden van dem belehrt haben, was sich' hinter uns ereignete. Frauen, Kinder, Greise, alle 43Ö

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mischten sich darein. Man hätte meinen können, daß dieses Andalusien, dessen Name einen so poetischen Klang hat, nur von Kannibalen bevölkert sei. Indes war diese Wut nichts als der Ausfluß der Vaterlandsliebe, des Na- tionalstolzes und der AnhäE glich kcit an die Religion ihrer Väter. Alle Gefühle wurden durch unsere feindliche An- wesenheit und widerrechtlichen Ansprüche bis zum Äußersten getrieben.

Um jene Zeit war Spanien der Schrecken unserer Soldaten geworden; sie, die für gewöhnlich nicht den Augenblick erwarten konnten, ins Feld zu ziehen, um den Krieg zu beginnen, wohin man sie auch führen mochte, überschrilten die Pyrenäen nur mit Bedauern, das Herz von unbestimmten Ahnungen erfüllt.

Ehemals, bevor Italien für uns der Schauplatz der Triumphe und des Ruhmes wurde, war es als das Grab der Franzosen angesehen worden, heute ist es die spanische Halbinsel, die diesen verhängnisvollen Beinamen verdient

Das Beispiel der Generale, die sich nur damit be- schäftigten, ihre Munitions wagen mit den Reichtümern der Kirchen, Klöster und Schlösser anzufüllen, ermutigte die Soldaten in ihren Erpressungen, und je mehr man stahl, desto hartnäckiger wurde der Widerstand der Ein- wohner, je anspruchsvoller die uns er n waren, desto schlim- mer wurde das Gefühl des Hasses, das die Spanier uns entgegenbrachten . . .

Unsere Soldaten hatten noch nichts Ähnliches ge- sehen: sie fürchteten nicht die Spanier, die sich vertei- digten, sondern diejenigen, die sich unterworfen hatten. Weder marschierten sie noch ruhten sie mit Sicherheit auf dem Lande, wo die Gast freundschalt, selbst die allerherz- lichste, sie erzittern machte. Die Schlange, deren Biß tödlich ist, befand sich mitten unter ihnen; vielleicht war es jenes Kind, das ihnen gleichsam spielend Früchte an- bot, jenes junge Mädchen, das sie durch seine feurigen Blicke herausforderte, jener liebenswürdige Ehemann, der seiner Frau erlaubte, mit ihnen zu kosen, oder jene Duena, 437

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die sich als die offizielle Botin einer improvisierten Liebe einstellte.

Ja, die Liebe! Die Franzosen, die nicht ohne galante Abenteuer leben können, waren hier gezwungen, ihre berauschenden Zerstreuungen zurückzuweisen, denn es war unmöglich, den flackernden Irrlichtem dieses afri- kanischen Blutes zu trauen, das in den Adern der verführe- rischen Töchter Spaniens rollt. Bei ihnen kann die hef- tigste aller Leidenschaften, die sonst über alle anderen triumphiert, sich nötigenfalls unter irgend einer Maske verbergen, nur um den Haß zu stillen, der sich an dem ge- heiligten Herde der Religion und des Patriotismus ent- zündet. Und die Vorsicht gebot es, den verführerischsten Lockungen der Maurinnen gegenüber von Eis zu sein. Die Enthaltsamkeit Scipios, die Tugend des Ritters Bayard, die Keuschheit Josephs waren nichts weiter als persön- liches Interesse, wohlverstanden! Man widerstand den stärksten Versuchungen, weil es Liebkosungen gab, die tödlich waren ; man fürchtete die Umarmung Judiths und versagte sich jede Ungezwungenheit, jedes Vergnügen. Eine süße Stimme war der trügerische Sirenengesang, jedes angebotene Getränk der Trank der Medea. Stets war man darauf gefaßt, einigen nationalen Gräfinnen Brin- villiers1) zu begegnen. Es gab keinen Brunnen, an dem man gewagt hätte sich zu laben, keinen Becher, den man nicht fürchtete an die Lippen zu führen. Wie sehr ver- mißte man damals Deutschland mit seinen blonden Locken- köpfen und blauen Augen, mit seinem köstlichen Empfang und den Zärtlichkeiten ohne jeden Hintergedanken! Und Italien, dessen Schönheiten so freimütig verliebt in den fremdländischen Befreier waren! Welch ein Kontrast mit Spanien, wo das naivste Lächeln nur der Köder zu einer Falle war!

Was Furcht und Besorgnis anlangt, welcher Art sie

«) Die Marquise de Brinvilliers war eine berüchtigte und berühmte Oiftaischerin det 17. J>hrhunderts. «!

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auch sei, so sind die Franzosen vielleicht die uner- schrockensten Zweifler, die es auf der Welt gibt; es liegt in ihrem Temperament, der GeJahr zu trotzen, ja sie über- haupt ganz zu ignorieren. Das taten sie zuerst auch mit ihrer gewöhnlichen Tollkühnheit, aber bald mußten sie sich von der Augenscheiiilichkcil der Tatsachen überzeugen und sich zu Vorsichtsmaßregel!] entschließen, die indes immer nachlässiger befolgt wurden, da der Argwohn ihrem Charakter zuwider war.

Aber von allen Seiten stellten sich Warnungen ein, und es wurden nun in die Disziplinarvorschriften definitive Sicherheiten) regeln aufgenommen. Man richtete sich nicht mehr in einem Hause ein, ehe man dasselbe nicht in allen Teilen auf das genaueste durchsucht hatte. Man weder das Brot seiner Wirte noch trank man ihren Wein, ohne daß man sie nicht gezwungen hätte, zuerst davon zu essen oder zu trinken. Ein Pariser Voltigeur sagte darauf bezüglich zu seinen Kameraden, die sich nicht an den Aufenthalt in Spanien gewöhnen konnten: „Ihr seid sonderbar, Kameraden! Ihr eßt nichts, wovon man nicht vorher gekostet hat, ihr haltet euch in keiner Wohnung auf, die man nicht vorher untersucht hat, ihr schlaft nicht ohne bewacht zu sein. Seid ihr nicht glück- lich wie ein Konig, warum beklagt ihr euch? Es fehlen euch nur eine Leibgarde, Kammerherrn und Pagen!"

Derselbe Voltigeur erzählte mir eines Tages, daß, wenn ihm das Glück hold war und er mit einer Spanierin ein galantes Abenteuer hatte, er es niemals vernachlässigte, sich von einem seiner Kameraden begleiten zu lassen, der während des Rendezvous Wache stehen mußte. Bei dieser Gelegenheit lallt mir ein äußerst tragisches Ereignis ein, das ich erzählen will.

Eines Abends waren sieben Husaren in einem Dorfe Andalusiens in der Umgebung von las Cabezas de San Juan angekommen und hatten, der Gewohnheit gemäß, nicht unterlassen, die Wohnung zu wählen, die das reichste Aussehen hatte. Die Hausherrin, eine der schönsten 439

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Frauen der Gegend, bereitete ihnen einen guten Empfang. Sie liebe die Franzosen, versicherte sie und hörte nicht auf, sich in Lobsprüchen über die Eleganz ihrer Kleidung zu ergehen. Nach allerlei Komplimenten und Schmeiche- leien beeilte sie sich, ihnen ein reichliches Mahl reichen und Wein zu einer großen Zecherei zur Verfügung stellen zu lassen. „Sie werden doch mit uns trinken," sagten die Husaren. Sofort ergriff sie ein gefülltes Olas und leerte es mit den Worten „AI rey Don Jose" auf das Wohl des Königs Joseph. Sie trank auch noch ein zweites bis an den Rand gefülltes Glas und leerte es zum Wohle der Franzosen. Die Husaren bezeugten darauf ihre Genug- tuung, so gute Aufnahme gefunden zu haben. Da ihnen jedoch die Eingenommenheit der Spanierin ein wenig außerordentlich erschien, luden sie sie ein, vor ihnen von den Gerichten zu essen, die man ihnen vorgesetzt hatte. Sie viel davon, wobei sie in liebenswürdigster Weise darüber scherzte, daß ihre Gäste sie derart auf die Probe stellten.

Im Zimmer der Andalusierin befanden sich vier Kin- der, drei Knaben und ein hübsches sieben- oder achtjäh- riges Mädchen. Ein Husar fragte, ob die Kinder ihr ge- hörten, und auf die bejahende Antwort, sagte er: „Nun, dann müssen sie auch an dem Mahle teilnehmen."

„Immer Verdachtsgründe," versetzte sie. „O, meine Herren Franzosen, Sie sind böse."

Sogleich aber ließ sie ihre Kinder kommen und be- fahl ihnen, in Gesellschaft der Husaren am Essen teilzu- nehmen. „Fürchtet euch nicht," sagte sie zu ihnen, „ihr seht, sie essen wie ich," und dabei gab sie ihnen von allem so reichlich, daß die Husaren beim Nachtisch vollkommen beruhigt waren und wirklich bereuten, an der Aufrichtig- keit ihrer Gesinnung gezweifelt zu haben. Sie hielten es auch für angebracht, sich zu entschuldigen. Sie nahm diese Entschuldigung teils mit Ziererei, teils mit spötti- scher Würde auf, doch ließ sie nicht nach, ihnen Vorwürfe darüber zu machen, halb im Scherz, halb im Ernst. 440

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„IcH sehe," sagte einer der Anwesenden, „daß die Dona sich ärgert und uns zürnt"

„Nein, ich schwöre bei unserer lieben Frau von Fuen Santa und unserm großen Heiligen Jakob von Compostetla, daß ich euch jetzt verziehen habe!"

„Out, wenn Sie uns nicht mehr zürnen," sagte ein zweiter der Gaste, der sich vom Tische erhoben hatte und mit einer Mandoline, die er an einem Fensterkreuz hängend gefunden hatte, zurückkam, „so werden Sie uns einen Bo- lero singen."

„Ja, ja, ausgezeichnet, einen spanischen Tanz. Also vorwärts, und ohne jeden Qroll!" riefen die andern.

Sie ergriff die Mandoline und, indem sie sich selbst begleitete, begann sie in fast fröhlichem Rhythmus ein Lied des Landes zu singen. Die Husaren sangen in froher Laune mit, aber bei jeder Strophe wurde der Takt lang- samer und der Klang der Stimme immer schwlcher. Plötz- lich wird die Sängerin erdfahl, ihr Gesicht verzerrt sich, ihre Augen treten heraus und das Instrument entgleitet ihren Händen. Mit einer letzten Anstrengung erhebt sie sich vom Stuhl und will das vor ihr stehende Glas er- greifen, das sie schon mit gekrümmten Fingern erfaßt. „AI nuestro rey Fernando!" ruft sie und führt es an die schwarzen Lippen, die sich schon mit Schaum bedecken.

Die Husaren sahen sich unruhig an.

„AI rey Fernando!" wiederholt sie. „Muerte a los Franceses!" Da flogen alle Säbel gleichzeitig aus den Scheiden, aber sie setzt dieser Drohung nur ein geister- haftes Lächeln und eine ironische verneinende Kopfbewe- gung entgegen. Sie lächelt noch immer, sinkt zu Boden, und während sie sich auf den Marmorfließen windet wie eine Schlange unter den Krallen des Adlers, der sie zer- fleischt, stöBt sie mit teuflischer Stimme die düstern Worte aus: „Ich bin vergiftet, meine Kinder sind es auch!" Dann nach einer Pause fügt sie, immer mit diesem schreck- lichen Lächeln auf den Lippen hinzu: „Gott, die Jungfrau und die Heiligen seien gelobt! Ihr seid auch vergiftet!"

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Diese unheilvolle Mitteilung; versetzte die Husaren in die größte Bestürzung. Einen Augenblick blieben sie stumm und unbeweglich, als wenn sie der Blitz getroffen hatte, bald aber machte das Erstaunen einer schrecklichen Wut Platz. „Wir sind, ja wir sind vergiftet?" wieder- holten sie. Und beim Anblick der armen Kinder, die sich auf dem Boden krümmten und zu ihrer Mutter hinkrochen, als sie deren Todesröcheln vernahmen und in ihrem Schöße ihren letzten Seufzer aushauchten, riefen sie: „Seht die Elende, die Metze, die Abscheuliche, die Ruchlose, das Scheusal! Man muß sie in Stücke zerhacken!"

„Ja, ja zerhacken, tüten wir sie!" und schon warfen sich die Aufgeregtesten in blinder Wut auf sie, bereit, ihr die Klingen ihrer Säbel in die Brust zu stoßen. Da rief einer der Kameraden: „Ja, tötet nur die Toten!" Alle fuhren zurück und keiner dieser Männer besaß den Mut, zuzustoßen.

Der, welcher diese vernünftige Beobachtung gemacht hatte, war der einzige, der sein kaltes Blut bewahrt hatte. „Kameraden," fuhr er fort, „es ist keine Zeit zu ver- lieren, man muß schnell Hilfe herbeiholen. Ich bin der Jüngste unter uns, wenn ihr wollt, werfe ich mich aufs Pferd und schicke euch den ersten Arzt, den ich finde. Gehe ich unterwegs zugrunde, nun dann ist nichts zu ändern." Sein Vorschlag wurde angenommen, und er ritt davon.

In diesem Augenblick fingen die andern an, die Schmerzen um so heftiger zu spüren, als sie bis dahin durch ihren Rausch unterdrückt worden waren. Als jener Husar da ankam, wo er Hilfe zu finden hoffte, besaß er gerade noch die Kraft, die Katastrophe zu erzählen, der er und seine Kameraden zum Opfer gefallen waren.

Wir befanden uns nicht weit von jenem Dorfe ent- fernt; zwei Unterregimentsärzte und ich als dritter be- gaben uns mit einer Kavallerieabteilung dahin. Wir ritten, was die Pferde laufen konnten, aber trotz unserer Schnel- ligkeit war es bereits zu spät. Von den sechs Husaren 442

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waren nur noch zwei am Leben. Wir taten alles, um sie zu retten, aber vergebens: sie starben unter den schrecklichsten Krämpfen. Die Kinder waren schon starr und steif und lagen an der Seite ihrer Mutter. Wir verbrannten darauf einige Häuser, und von dem Ort blieb nur ein Haufen Asche und die schreckliche Erinnerung

Sobald wir nach unserm Feldlazarett zurückgekehrt waren, war es unsere erste Sorge, uns nach dem Husaren zu erkundigen, der uns geholt hatte. Er hatte schreckliche Anfälle gehabt, war aber seit einigen Augenblicken ruhiger geworden; die Kraft des Giftes schien durch die Medi- kamente, die wir ihm gaben, merklich geschwächt. Die genaue Angabe über die Natur der giftigen 5ubstanz trug viel dazu bei, sie mit großer Wirksamkeit zu be- kämpfen, denn wir hatten erkannt, daö man ihnen Arsenik gegeben hatte, dessen Vorhandensein geschickt durch den Geschmack von Knoblauch versteckt worden war, den man in großen Mengen verwendet hatte. Nach einigen Tagen war der Kranke in der Lage, seinen Dienst wieder aufzunehmen, aber das Gift, das in großen Dosen ge- nommen worden war, hatte Spuren hinterlassen, und seine stark angegriffene Organisation wurde nach und nach völlig davon zersetzt. Der Husar konnte seinem Regiment nicht folgen und kam ins Hospital, das er nicht wieder verließ.

Ach, es war ein erbärmlicher Krieg, der seine Arse- nale in den Apotheken hatte und wo die versteckt gehand- habten Waffen die gefährlichsten waren! Einen solchen Krieg mit Feiglingen, in welchem der Feind nur hinter- rücks angriff und von vorn nie stand hielt, diese Grün- spantaktik, die dem dummen, ergebenen Volke von den Mönchen eingegeben war, konnten die Franzosen nicht dulden.

So hatten sich zwei bestimmte Ansichten unter den Truppen gebildet: das Gift und der Dolch! Man sprach bo wenig wie möglich davon und scheinbar ohne ihnen 443

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die geringste Bedeutung beizumessen, denn in einer fran- zosischen Armee besteht die Vereinbarung, daß man sich um den Tod, unter welcher Form er sich auch einsteile, so wenig kümmern darf wie um ein Glas Wasser.

Der Verfasser nimmt seinen eigenen Berich! wieder auf, und nachdem er über weniger interessante Gegenstände ge- sprochen, fährt er fort:

Seitdem wir uns die Kunst bei unsern Zerstreuungen dienstbar gemacht hatten, bot das Schauspiel am Abend den Gefangenen eine große Erholung, die sich tagsüber mit irgend einem Handwerk oder dergleichen beschäftigt hatten. Aber es gab auch viele Müßiggänger, bei denen die Leidenschaft für das Spiel erwachte. Jeden Abend wurden die Spieltische in die Säle herbeigeschafft und diejenigen Gefangenen, deren Börse am vollsten gespickt war, machten sich zu Bankhaltern. Die Unglücklichen ge- langten, nachdem sie ihr letztes Stück Brot und alles, was sie auf dem Leibe hatten, verspielt hatten, zu einem sol- chen Grad von Erniedrigung, daß man sie allerseits von sich wies. Sie wurden aus allen Zimmern ausgeschlossen und gezwungen, sieh in einen Saal zurückzuziehen, den man ihnen bezeichnete und den sie nicht mehr verließen. Einige nannten diese Art von Auss ätzigen spital die „Stadt der Armseligen", andere das „irdische Paradies", weil seine Bewohner nackt wie die ersten Menschen ein- h ergingen.

Ein anderer Nachteil dieser Spielhöllen war der da- durch in das Gefängnis gebrachte Unfriede. Der Gewinn der Bankhalter erregte die Begier der Strauchdiebe und Fechtmeister, die sich verbündeten und behaupteten, daß ihnen allein das Recht zustünde, Bank zu halten. Man focht diese Einwände nur mit schwachen Kräften an, und die Bankhalter willigten ein, nur noch die Pächter dieses sonderbaren Monopols zu sein. Auf diese Weise wurden sie jenen Leuten tributpflichtig, und diese lebten nun sehr angenehm von den Einkünften, die ihnen ihre Kühnheit verschafft hatte. Da begann man plötzlich, über ihre Usur- 444

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pation nachzudenken ; man murrte gegen diese Halsab- schneider und erklärte ihnen die Fehde. Sie antworteten sehr anmaßend und hofften, auf diese Weise zu impo- nieren. Der Aufruhr nahm immer mehr zu, man beleidigte sie, ging in Massen auf sie los, und zwei der Maul- helden empfingen sogleich die wohlverdiente Strafe: sie wurden mit Steinen halbtot geschlagen. Die andern ver- dankten ihre Rettung nur der schleunigen Flucht; sie verbargen sich, und es hätte wenig gefehlt, daß man sie, um sie zu bestrafen, aus ihrem Zufluchtsort herausgerissen hätte, um sie ebenfalls zu züchtigen.

Diese Episode eines Aufstandes war glücklicherweise die einzige. Es gab wohl einige Duelle, die indes ohne verhängnisvolle Folgen blieben. Im allgemeinen herrschte die vollkommenste Eintracht unter den Gefangenen, teils weil es überhaupt selten ist, daB es anders unter Fran- zosen wäre, teils weil der Anstoß unserer Zwietracht vorausgesetzt, daß eine solche vorhanden gewesen die Spanier hätte kühn machen können, Oewaltmaßn ahmen gegen uns zu ergreifen. Sie hatten jedoch diese Aufmun- terung gar nicht nötig.

Eines Abends verbreitete sich in den Sälen das Ge- rücht, daß die ganze Bevölkerung von Cadiz und der Insel Leon bewaffnet auf unser Quartier losmarschierte, mit der Absicht, uns zu ermorden. Bei dieser Nachricht ge- rieten alle außer sich. Alle erbleichten, als wenn man uns das Todesurteil überbracht hätte, und die Bestürzung war allgemein. Wie viele wünschten sich damals auf die Pontons zurück, wo, wie sie sagten, wenigstens niemand gewagt haben würde sie anzugreifen.

Die Pontons! man denke daher ihr Entsetzen! Die einen irrten in den Gängen umher, ohne zu wissen, was sie taten; mit starren Blicken, das Gesicht verzerrt, blieben sie plötzlich in Gruppen stehen, sprachen einander an und fragten sich gegenseitig : „Kommen sie? kommen sie? Seid ihr auch gewiß, daß sie kommen?" Andere hingegen blieben an der Stelle, wo sie durch die Ankündigung 445

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des Ereignisses überrascht worden waren, angewurzelt wie die Ölgötzen stehen und rührten sich nicht. Aber bald wurde der allgemeine Ruf laut: „Verteidigen wir uns ! damit wir nicht lebend in ihre Hände fallen!"

Von der Terrasse, die sich über dem Pavillon der Offiziere befand, konnte man sehen, was draußen vor- ging. Man lief herbei und erhielt die Gewißheit, daß die beunruhigenden Berichte nicht übertrieben waren. Ver- schiedene Offiziere kamen und munterten uns auf, unser Leben so teuer wie möglich zu verkaufen, im Fall die Spanier in unser Oefängnis eindringen würden. Dies war auch unser fester Vorsatz, seitdem der Schrecken des ersten Augenblicks der Energie und Kaltblütigkeit ge- wichen war. Wir stellten einen Posten auf die Terrasse und, um die Verbindung zwischen dem Pavillon und der Kaserne aufrecht zu erhalten, in einer gewissen Entfer- nung noch andere Posten, die uns von dem Fortschritt des Auflaufs in Kenntnis setzen sollten. Die Menge kam immer näher und nahm immer mehr zu.

Während wir sie erwarteten, trafen wir unsere Vor- bereitungen, um die Belagerung auszuhalten. Bänke, Tische, die Täfelung des Fußbodens, die Türen der Zim- mer, die nicht besetzt waren, verwendeten wir zum Ver- barrikadieren. Alles, was wir an Öfen, Flaschen, Töpfen und dergleichen hatten, schleppten wir herbei, um es auf die Kopie der 5fürmcnden hinabzuschleudern. Wir trugen Pflastersteine herbei, die wir herauszunehmen begonnen hatten, damit es uns nicht an Munition fehle. Alles war gut genug, um uns als Waffe zu dienen, und jeder nahm, was er gerade fand.

Bald waren wir bereit, und ich gestehe, daß wir uns etwas von unserm Widerstand versprochen hätten, wenn uns nicht die Befürchtung geblieben wäre, die ganze Be- völkerung möchte am Ende auf den Gedanken kommen, die Kaserne anzuzünden, um uns unter ihren Trümmern zu begraben. Doch machten wir uns nicht zu viel daraus, geröstet zu werden, und der Gedanke eines Autodafes 446

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von sechstausend Franzosen wir waren damals noch 6000 konnte den Spaniern nur angenehm sein.

Endlich, es war 6 Uhr abends, kamen sie an. Wir hörten ihr lautes Oeschrei und konnten genau die Stimmen der Rasenden unterscheiden, die riefen : „Muerte a los Franceses!", sowie eine Menge anderer dumpfer Stimmen, deren düsteres Gemurmel dem unterirdischen Rauschen der Meeresfluten glich. „Muerte a los Franceses!" wieder- holte man, und das wütende Gebrüll des Pöbels wurde stärker. Dazu gesellte sich das Stampfen der Füße, das die Erde erzittern machte, und ein unaufhörliches Waffen- geklirr. Schon sagte man, daß man eine Bresche in die Mauern unseres Gefängnisses geschlagen hätte. Plötzlich, . nach einer fast lautlosen Unterbrechung, verdoppelt sich der Lärm und ein schreckliches Wutgeschrei bricht los. Wir wußten nicht, was wir von der vermehrten Aufregung denken sollten; vermutlich' waren sie auf ein Hindernis gestoßen.

In der Tat hatte sich der Gouverneur der Insel Leon, der beizeiten von den Absichten der Bevölkerung benach- richtigt worden war, beeilt, die Wache des Gefängnisses zu verstärken, und war selbst mit zwei Geschützen herbei- geeilt. Was er getan, um die Mörderbande aufzuhalten, konnten wir nicht sehen, doch erfuhren wir es später. Hier der Bericht dessen, was sich zutrug.

Festen Fußes erwartete der Gouverneur die Menge, und als er meinte, daß die Wütenden nahe genug heran- gekommen wären, um sich verständlich zu machen, be- stieg er ein Geschütz und erklärte ihnen, daß er ge- kommen sei, um sie zu verhindern, weiter vorzudringen. Dann fügte er hinzu, daß, wenn sie sich nicht allein zerstreuten, er sie dazu zwingen werde.

Aber die Köpfe waren erhitzt, seine Anrede wurde schlecht aufgenommen, und die Vermehrung ihrer Wut, die unsere Unruhe auf die Spitze trieb, war das Resultat

Einer jedoch, der an der Spitze marschierte, ging ein 447

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paar Schritte vorwärts und machte ein Zeichen, daß er sprechen wollte. Es war einer jener Majos1), jener Oroß- sprecher von Andalusien, dessen Einwohner als die Gas- cogner Spaniens') angesehen werden. Er blieb stehen, stellte sich in Positur, befahl den Männern und Frauen der Menge, die ihm folgte, Ruhe, nahm seine Montera9) ab, die ihm seiner Meinung nach zu sehr in der Stirn saß, und nachdem er durch Mund und Nase zwei oder drei Stöße aus seiner Zigarre geblasen hatte, begann er mit hohler, schnarrender Stimme:

„Herr Gouverneur, glauben Sie uns vielleicht wie Galicier behandeln zu können? Wir sind gekommen," und bei diesen Worten nahm er eine gehobene, drohendere Stimme an, „wir sind gekommen, damit man uns die Tore öffne, oder wir schlagen sie selbst ein, denn es sind ÖO00 Franzosen darin."

„Ja," versetzte der Gouverneur, „6000 waffenlose Ge- fangene; sie befinden sich unter dem Schutze der castilia- nischen Ehre. Wehe dem, der ihnen auch nur ein Haar auf dem Kopfe krümmt! Schämt ihr euch nicht, in so großer Anzahl gekommen zu sein?"

„In diesem Falle," unterbrach ihn der Prahlhans, „lasse man mich allein eintreten; ich werde diesen 6000 Soldaten zeigen, was ein Caballero wie ich wert ist"

„Gut, ich willige ein," erwiderte der Gouverneur, „geht allein hinein!"

Der furchtbare Caballero schien doch ein wenig außer Fassung zu geraten, als ihn der Gouverneur so beim Wort nahm; indes faßte er sich schnell wieder. „Ich habe mir überlegt," sagte er mit einem boshaften Lächeln, „daß in San-Carlos Soldaten von der Garde des verdammten Napoleon sind und daß jeder von uns glücklich sein würde, ein Stück von ihnen zu bekommen. Nicht, Kameraden, ihr wollt ebenfalls euren Anteil daran haben?"

«) Majo = Prahlhans.

') Die Prahlerei der Qascogncr ist sprichwörtlich. «) Montera, eine Art Müt/e.

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„Ja, ja," schallte es von alkn Seiten, „kein Pardon iliesen Soldaten des Satans! Tod den Franzosen! man Hebe sie heraus, wir verlangen es'"'

„Und ich,"' schrie der Oouverneui, „ich fordere euch im Namen Ferdinand VII. und der obersten Junta juf, euch zurückzuziehen !"

Es ließ sich ein Murren und Hohngelächter hören, währenddessen er den Soldaten befahl, ihre Waffen zu

Unter den Fanatikern machten sich besonders die Frauen durch ihre abscheulichen Forderungen bemerkbar; vor allen zwei, eine alte und eine junge, reizten die Menge auf, die Wachmannschaft zu entwaffnen. Der Gouverneur befahl, sie zu arretieren; die Soldaten beeilten sich, zu ge- horchen, und bemächtigten sich beider Frauen. Alsbald kam das ganze Volk in Bewegung, es stürzte herbei, um sie zu befreien, dabei immer die Rufe: „Tod den Fran- zosen! Tod dem Gouverneur!" ausstoßend.

Die Gefahr war nahe. Der Gouverneur, der keine Hoffnung mehr hatte, die Ruhe wiederherzustellen, er- klärte, er werde jetzt, da er im Guten nichts ausrichten könne, hinabsteigen und das Feuer mit seinen Geschützen eröffnen. Sobald die Wütenden die Lunte anzünden sahen, zogen sie sich zurück und ließen einen großen freien Platz vor der Batterie.

„Ah!" rief der Oouverneur, „ihr habt Angst vor den Kartätschen ! Ihr Feiglinge, bleibt doch stehen und ihr werdet sehen, ob ich euch nicht niederschmettern lasse. Ich sehe da einen Haufen Galicier»), die besser täten, ihr Wasser zu tragen, oder lieber am Hafen geblieben wären und ihr Geschäft als Lastträger verrichtet hätten I Glaubt ihr, ich bin ein Mann, der sich einschüchtern läßt? Ihr

') Die Bewohner des ehemaligen spanischen Königsreichs Galicien waren sehr arm und zahlreich und wanderten deshalb häufig nach den andern Provinzen Spaniens aus, um sich ihren Unterhalt als Tagelöhner, Wasserträger, Hausknechte usw. zu ver- dienen, weshalb sie von den übrigen Spaniern Wenig geachtet sind 2g BwHl: Spin. FrtlUelttkirapI. 449

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benehmt euch nicht wie gute brave Spanier, Was haben diese Zigeuner bei euch zu schaffen? Dieses hinterlistige, falsche Volk, das weder Beruf noch Heimat, weder Glau- ben noch Gesetze kennt, der Auswurf der Menschheit, ein Schandfleck der Nation, die unter ihnen leidet? Spa- nier, errötet ihr nicht, euch unter diese Bastarde der Welt zu mischen, die kein Staat anerkennen will, diese Räuber, der Schrecken der Landstraße und der Bewohner!"

In diesem Augenblick lieft sich ein langer Schrei: „Muerte a los Franceses!" nochmals hören. Eine Minute lang unterbrach sich der Gouverneur, um dann mit der ganzen Macht seiner Stimme fortzufahren: „Wenn ihr dermaßen auf französisches Blut begierig seid, warum be- gebt ihr euch dann nicht zu den Armeen? Das Schlachtfeld wird euch vortreffliche Gelegenheit bieten, es rühmlichst zu vergießen. Werdet Soldaten des Königs, um die hei- ligste Sache der Welt zu verteidigen. Ich aber wieder- hole euch, daß, wenn ihr darauf besteht, das Asylrecht, das jedem heilig sein muß, zu verletzen, ich euch mit Kanonenschüssen empfangen werde, dessen könnt ihr ge- wiß sein. Ich werde diesen Posten unter Nichtachtung meines eigenen Lebens zu verteidigen wissen, denn ich opfere es gern der Ehre der Nation! Und wenn ihr ins Gefängnis eindringen wollt, so müßt ihr über meinen Leich- nam hinweg!"

Diese entschlossene Ansprache, vereint mit den be- zeichnendsten militärischen Maßnahmen, bestimmte die Meuterer, auf ihren Plan zu verzichten. Der größte Teil von ihnen zog sich endlich schimpfend und murrend zu- rück. Von dem ganzen Zusammenlauf blieb nur noch ein kleines Häuflein übrig, in dessen Mitte die Aufwiegler sich in hochtrabenden Worten ergingen. Plötzlich kam ein Trupp Esel vorüber, dem sie nachliefen, indem sie die Tiere schlugen und aus vollem Halse mit rohem Gelächter schrien: „Arrai, arrai Napoleon!"«)

") Der Verfasser meint geu „ürre! arrc!" den gewöhnlichen Ruf der spanischen Usttiertreiber. 450

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Nun waren die Zugänge der Kaserne wie ausgestor- ben, nur von Zeit zu Zeit warfen die Vorübergehenden einen Blick auf die Fenster, beschleunigten aber sofort ihre Schritte, wenn die Schildwache sie zum Weitergehen aufforderte.

Wohl harte der Haufe versprochen, wiederzukommen, aber es blieb nur bei der Absicht. Und da es sicher schien, daß wir mit dem Schrecken davon gekommen waren, rissen wir fröhlich unsere Barrikaden wieder ein, und unsere Kriegsmunition wanderte wieder in die Küche. Im Gefängnis wurde alles auf Friedensfuß gebracht, und die Sicherheit kehrte aufs neue ein.

Es wäre uns indes nicht unangenehm gewesen, uns wo anders als unter den Händen einer Bevölkerung zu be- finden, deren Rae hege ist früher oder später wieder er- wachen konnte. Denn wenn der Gouverneur von Cadiz wechselte, wer konnte uns dann die Gewißheit geben, daß sein Nachfolger dieselbe Festigkeit in seinem Handeln ent- falten würde? Diese Betrachtungen trugen viel zu dem Wunsche bei, San Carlos baldigst zu verlassen.

Endlich, am 1, April 1809, gab es eine große Auf- regung in der Kaserne. Es hatte sich das Gerücht verbrei- tet, daß wir eingeschirrt werden sollten, und zwar sollten die Seeleute des Geschwaders Rosilys nach den Kanarischen Inseln und die Soldaten vom Korps Dupont nach den Balearen gebracht werden. Die Soldaten des Dupontscheu Korps besaßen noch dazu die große Einfalt, sich einzu- bilden, daß man sie nach den Artikeln der Kapitulation behandeln werde, auf Grund deren sie die Waffen nieder- gelegt hatten. Sie hofften, daß sie, nachdem man sie in Mallorca in Freiheit gesetzt hatte, bald auch Frankreich wiedersehen würden. Auch ich war ihrer Meinung und beneidete ihr Los ; doch bald befand ich mich in der glück- lichen Lage, es teilen zu können. Und zwar setzte mich ein berittener Jäger dazu in den Stand. Der Mann war krank, und in Anbetracht des schlechten Zustandes seiner Gesundheit glaubte er nicht die Oberfahrt überleben zu 29* 451

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kuniteu, Es war iluti vollkorn m en giekh^iiliig, das F-'utti'r der Haifische auf dem Wege nach den Kanarischen oder Balearischen Inseln zu werden. Kurz, er hatte sich in den Tod ergeben, wenigstens behauptete er es. Vielleicht hatte er auch einen bestimmten Grund, den Ort seiner Ge- fangenschaft einem andern vorzuziehen, da er überzeugt war, daß die Spanier wortbrüchig bis zum Äußersten

Wie dem auch sein mag, wir waren übereingekommen, einen Tausch zu machen: er nahm meinen Matrosenanzug und ich dafür seine Uniform, die ich sogleich anzog. So verkleidet überschritt ich ohne Schwierigkeiten das Tor der Kaserne und wurde als Soldat der Armee Duponts beim Transport Nr. 0 aufgenommen, wo sich der General Dupont, die Matrosen der Garde, eine große Anzahl Unter- offiziere und etwa 30 Frauen, die meisten Marketenderin- nen der Armee, befanden.

Auf dem Schiff waren wir zusammengepfercht wie an Bord der Pontons, vielleicht sogar noch mehr. Aber welcher Unterschied der Lage, welch nahe Zukunft er- öffnete sich unsern Augen! Wir sollten unser Vaterland wiedersehen! Schon drückte ich meine arme Mutter, die ich seit so langer Zeit nicht gesehen harte, im Geiste an mein Herz und trocknete ihre Tränen. O, wie schön war dieser Traum!

Am Tage nach Ostern, am 3. April, gingen wir, von einigen englischen Kriegsschiffen begleitet, unter Segel. Kaum hatten wir Cadiz verlassen, als sich ein heftiger Sturm erhob, der die Schiffe auseinandertrieb und die einen nach Gibraltar, die andern nach Malaga warf. Unsere Soldaten wollten die Gelegenheit benutzen und eine Küste, die durch ihre Weine so berühmt ist, nicht früher verlassen, bis sie das Vergnügen gehabt hätten, sie m kosten! Die meisten, die auf eine baldige Rückkehr auf ihr Vaterland hofften, entäußerten sich fast aller ihrer Kleidungsstücke, 452

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um sich einige Gläser des kostbaren Getränks zu ver- schaffen ; auf diese Weise gingen Riemenzeug, Schuhe, kurz alles als Zahlung weg.

Die Flotte vereinigte sich wieder und segelte auf Mallorca zu. In weniger als einem Monat befanden wir uns vor Palma, der Hauptstadt dieser Insel. Aber unsere Hoffnungen auf Landung wurden bald zunichte. Von neuem erhielten wir Befehl, unter Segel zu gehen, und endlich führte man uns nach Cabrera, einer öden, un- fruchtbaren, entsetzlichen Insel, die uns immer in trüber Erinnerung bleiben wird. Am Fuße dieser Anhäufung von Bergen und steilen Felsen kamen wir am 9. Mai, 5500 Mann stark an.

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Nach eingehender Beschreibung der Insel und der neuen Lage der Gefangenschalt ergeht sich der Verfasser in bitteren Klagen über die Leiden, die er mit seinen Unglücksgefährten hier zu erdulden hatte. Endlich beschließt er, mit noch einigen seiner Kameraden zu entfliehen, doch die meisten Pläne mußten

Ungefähr im Juni 1811 ich befand mich damals schon länger als zwei Jahre auf der Insel machte ich die Bekanntschaft einiger Gefangenen, die man erst kürz- lich aus Catalonien hergebracht hatte. Unter diesen befand sich auch ein Feldwebel, ein unerschrockener Soldat, wie es keinen zweiten gab; er stammte aus Lyon und hieß" Alleigne. Dieser neue Mitgefangene brachte mich mit nicht weniger entschlossenen Männern als er in Beziehung. Ich zweifelte durchaus nicht an ihrer Kühnheit, allein ehe ich mich ihnen offenbarte, wollte ich auf ihre Verschwie- genheit rechnen können. Sobald ich mich davon überzeugt zu haben glaubte, teilte ich ihnen meinen lange vorberei- teten Plan, mich eines Fischerbootes zur Flucht zu be- mächtigen, mit. Ich überzeugte sie von der Möglichkeit der Ausführung, und sie pflichteten mir mit großer Freude bei, obwohl es ihnen gewagt erschien. Die Führung wurde mir anvertraut. Wir machten also einen Ort aus, wo wir uns treffen wollten, und jeder schwor bei seiner Ehre, die größte Verschwiegenheit darüber zu bewahren.

Da die Insel keine Hilfsmittel gegen einen Überfail darbot, mußten sich die Fischer von Mailorca vor einem 454

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Handstreich seitens der französischen Gefangenen sicher fühlen. Um aber in dieser Hinsicht noch ruhiger zu sein, hielten sie ihre Boote in einer gewissen Entfernung und näherten sich der Küste nur mit großer Vorsicht.

Man mußte also einen Ausweg: ersinnen. Ich schlug daher vor, ein Boot mittels eines Enterhakens heranzu- ziehen, und der Vorschlag ward angenommen. Aber woher sich diesen Enterhaken verschaffen? Woher Eisen neh- men? Und wenn wir solches fänden, wie es zu unserm Gebrauch geeignet machen?

Zu dieser Zeit ließ unser Feldprediger, der stets damit beschäftigt war, seine Gartenanlagen zu erweitern, einen Feiseti minieren, der ihm hinderlich war. Während der Nacht stahlen wir nun eine der zu dieser Arbeit dienenden Zangen. Einmal im Besitz dieses äußerst wich- tigen Werkzeuges, diente uns eine auf der Insel ge- fundene Kanonenkugel als Amboß, und bald hatten wir auch aus dem Leder unserer Tornister einen Blasebalg fabriziert Unser Enterhaken wurde geschmiedet, verschie- dene fest an ein andergenietete Kettengelenke wurden in eine Länge von 8 Fuß daran befestigt, und dazu fugten wir noch die nötigen Seile, um das der Küste am nächsten vorbeisegelnde Boot zu kapern.

In meiner Eigenschaft als Seemann gab ich meinen Kameraden zu bedenken, daß für ein ähnliches Unter- nehmen ein gewisser Vorrat Lebensmittel und Wasser unerläßlich sei. Aber dieser Vorschlag hätte beinahe alles verdürben . . . Unsere Rationen waren so dürftig! Da man indes im Falle eines Mißerfolgs jenen Vorrat wieder- finden mußte, hießen wir alles gut, und nach Verlauf von ungefähr vierzehn Tagen glaubten wir uns in der Lage, dem Meere trotzen zu können. Ende Juni hatten wir die hauptsächlichsten Vorkehrungen getroffen.

In der ersten Nacht des Juli 1811 brachten wir in der Stille unsere Lebensmittel und unsern Enterhaken nach der Westküste, wo die Boote am häufigsten vorbeikamen, und versteckten alles in Felslöchern. Unser Handstreich 455

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konnte nur während der Nacht ausgeführt werden, denn es galt nicht allein das wachsame Auge der Fischer, sondern auch die Gefährten unserer Knechtschaft zu täu- schen. Unser Elend war so groß, daß wohl einer der Un- glücklichen, in der Hoffnung, ein paar Saubohnen mehr zu bekommen, uns hätte denunzieren können. Verschiedene derartige Beispiele machten uns mißtrauisch und ängstlich.

In der folgenden Nacht kehrten wir zu unserm Posten zurück, um die Ankunft der Boote zu belauern; aber nicht

Drei Wochen lang setzten wir dies mühevolle Treiben fort. Einmal befanden sich Boote in unserm Bereich ; schon wollten wir es wagen, aber die Nacht war nicht finster genug; ich besann mich schnell eines Besseren und bestand darauf, noch nichts zu unternehmen. Meiner Meinung nach durften wir nur handeln, wenn wir ganz sicher waren. Es glückte mir auch meine Kameraden zu überzeugen, und ich führte sie schnell hinweg, teils aus Furcht, sie möchten Einwand erheben, teils um nicht selbst in Versuchung zu geraten, meinen Entschluß zu

Vor allen Dingen mußten wir uns zu einem solchen Unternehmen gesund und kräftig fühlen. Durch die langen Nachtwachen, den anstrengenden Weg, den wir jeden Abend und Morgen über die hohen Berge zu machen hat- ten, deren kantiges Gestein uns die Füße verwundete, besonders aber durch den Mangel an Nahrung, den wir litten, seitdem wir uns die harte Pflicht auferlegt hatten, nur ein Viertel unserer Ration zu verzehren, aufs äußerste erschöpft, war es zu fürchten, daß wir mit der Zeit den Mut verlören.

Aber am 16. Juli kamen wir wieder auf dem Rendez- vousplatze zusammen. Es mochte ungefähr 9 Uhr sein. Einer unserer Gefährten, der zuerst auf dem Gipfel des Berges angekommen war, rief mit verhaltener Stimme: „Vorwärts! . . . zwei Boote . . . schnell, schnell!" Wer zuerst bei ihm angelangt war, wußten wir nicht; wir 456

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kletterten wie die Gazellen. O Freude! O Glück! Zwei Boote vor unsern Augen- 1 . . . Kaum wagten wir zu atmen und uns zu bewegen. Uns gegenseitig bei den Händen fassend, schienen unsere Augen eine beredte Sprache zu reden und zu sagen : „Werden wir nach all dem Unglück, nach so viel Leiden endlich frei sein ?" „Pst! pst! keinen

Einige schlagen mit leiser Stimme vor, Rat zu halten.

„Wieso denn," entgegnete All eigne, „ihr scherzt wohl? Wissen wir denn nicht schon lange, was ein jeder von uns zu tun hat? Bedarf es noch einer Wiederholung? Gehen wir hinab . . . Eine solche Gelegenheit bietet sich niemals wieder." „Ja, ja," wiederholten wir alle zu- sammen, „Wir dürfen nicht zögern. Schnell, schnell!"

Und wir stiegen mit der größten Vorsicht ans Ufer hinab. Der kleinste rollende Stein konnte die Aufmerk- samkeit der Fischer erwecken und unsere Hoffnung zu- nichte machen.

Das Wetter war herrlich, der Himmel mit Sternen übersät und der Wind frisch und günstig. Unten an der Küste an der Stelle unseres Verstecks angekommen, trafen wir sogleich in der größten Stille unsere Vorkehrungen. Jeder bekam einen Posten angewiesen.

Der Korporal im .121. Orenadierregiment Leroy, der kräftigste von uns, sollte den Enterhaken auswerfen. Ich nahm ihn beiseite und versuchte ihm Vertrauen zu seiner schwierigen Tat einzuflößen, doch er meinte, er sei des glücklichen Gelingens ganz sieher. „Auf alle Fälle," emp- fahl ich ihm, „handeln Sie nur dann, wenn Ihnen der Er- folg unfehlbar erscheint; ist dem nicht so, so bin ich dafür, noch länger zu warten."

Wir waren im ganzen vierzehn. Sechs, an deren Spitze der tapfere Alleigne stand, mußten das Sei! halten, um, sowie der Haken gefaßt hatte, das Boot heranzu- ziehen. Vier andere, unter denen auch ich mich befand, sollten die Bewohner der Insel durch einen Hagel von Steinen in Furcht halten und sofort an Bord springen, 457

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wenn es der Absland erlaubte. Weitere vier endlich soll- ten am Ufer bleiben, um die Spanier aufzuhalten, die Ohne dieSr VnrüChtsinaHrrgel auf die ISerge steigen und Hin dort aus durch Zeichen die im Hafen vor Anker Hebenden Kanonenboote aufmerksam machen konnten.

Aufieiordentlich aufgeteilt warteten wie atemlos, Haid wechselte eins der Schiffe den Kurs und umsegelte den I eisen, so daü u ir es aus den Augen verloren. Schon war die Hälfte unserer Hoffnung entschwunden Ls war uns, als risse man uns nn Stud< von unsenn Herzen aus dem Leibe. Aber noch ist ja das andere da! Es entfernt, nähert, wendet sich bald nach rechts, bald nach links. Wir stehen wie auf Kohlen, wir zittern, sprechen uns gegenseitig1 Mut zu und zittern aufs neue. Bei der geringsten Bewegung des Bootes erstarrt uns das Blut in den Adern, oder es flieBt um so rascher. Das Herz schlägt abwechselnd vor Hoffnung und Angst.

Endlich gegen '/al2 Uhr hielt ich den Augenblick für geeignet. Alle meine Leute waren auf ihren Posten. Besorgt und aufgeregt beobachte ich den, der in seiner Hand unsere ganze Hoffnung halt. Er macht sich bereit, seinen Füßen auf dem schlüpfrigen Steinboden einen festen Halt zu geben. Als schwebe über uns ein schweres Ge- wicht, das uns zermalmen könne, horchen wir vorge- beugt in die Nacht hinaus . . . Eine halbe Minute, die uns wie eine Ewigkeit dünkt, ist vergangen . . . Der Enterhaken ist geworfen ! . . . Uns ist die Brust wie zuge- schnürt. Eine schreckliche Ahnung. .. Aber nein, ein klirrendes Geräusch ward hörbar: die Fischer stoßen Schreie aus der Haken hat gefaßt! . . . Kräftig wird das Seil gezogen ; das Boot kommt näher, und wir stürzen uns auf dasselbe, werfen mit Steinen, springen an Bord, alles vor uns niederwerfend, was sich uns entgegenstellt.

Die Spanier, von Schrecken erfaßt, ducken sich längs des Dahlbords. Sie waren 6 und wir bis dahin nur 4. Als sie das merken, bewaffnen sie sich mit allem, was

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ihnen unter die Hände kommt, und stürzen sich auf uns. Chaze, einer der unsrigen, ist am Bein verwundet, aber Alleigne und ein anderer eilen herbei, und die Wut verdreifacht unsere Kräfte. Im Nu ist das Deck gesäubert; drei der Mallorkaner sind ins Meer geworfen, die andern flüchten sich durch die Luke in den Schiffsraum, wo wir sie gefangen halten. „Jetzt ist es an euch!" rufen wir den an der Küste Zurückgebliebenen zu . . . „Kommt! Drei Mann über Bord!" . . ., Inzwischen waren 4 von denen, die das Seil hielten, zu unserm einige Schritte ent- ferntgelegenen Versteck gelaufen und kamen nun eiligst mit den Lebensmitteln und unserm kleinen Faß Wasser zurück.

Jetzt galt es, sich so schnell als möglich von der Küste zu entfernen. Das Deck des Bootes war mit Angeln, Netzen, Körben und einer Menge Fischergeräte bedeckt, die wir natürlich verschwinden ließen. Sobald dies ge- schehen, beeilte ich mich, das Steuer zu richten, zu be- masten und die Segel aufzuziehen. Das war bald getan. Dann entfernten wir uns schleimigst mit Hilfe einiger Ruder, um Wind zu nehmen.

Da wir keinen Kompaß besaßen, richtete ich mich nach den Sternen und segelte nordwärts. In dieser Rich- tung mußten wir in die Nähe von Barcelona und Tarra- gona gelangen. Es herrschte Südostwind, wie wir es nicht besser wünschen konnten.

Einmal auf hoher See, dachten wir an unsere Ge- fangenen. Diese waren über unsere Tat so erstaunt, daß sie sich kaum von ihrem Schrecken erholen konnten und unserm Treiben verwundert zusahen. Um sie ein wenig zu zerstreuen, nötigten wir sie, sich zu entkleiden und ihre Sachen gegen unsere Lumpen zu vertauschen. Ihre ärmlichen Röcke waren ganz durchnäßt, besonders von den dreien, die ins Wasser gefallen waren und die wir wieder herausgeholt hatten, damit sie nicht schwimmend das Land erreichten und Lärm schlugen. Glücklicherweise aber waren ihre dicken Mäntel und breiten Kapuzen im 459

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Boot geblieben, und wir bedienten uns ihrer, um uns vor der nächtlichen Kühle zu schützen.

Von diesem Augenblick an war alles gemeinschaft- lich unter uns, au-L;u nominal diu Lustigkeit, ilir wir an

den Tag legten und die mit uns zu teilen wir ihnen gern, erließen. Es kostete uns die größte Überwindung, die armen Leute in ihrem Unglück nicht zu verspotten und ihnen unsere Freude durch Luftsprünge zu beweisen. Wir umarmten Leroy, drückten ihm beide Hände, nannten ihn unser« Retter und fragten ihn, ob er denn keine Angst gehabt hätte . . . „Ach was," antwortete er, „ich war meiner Sache sicher; denn ich hatte meine Maßnahmen zu gut getroffen." Und man beglückwünschle ihn von neuem.

Unsere Ausgelassenheit nahm kein Ende, wir konn- ten uns nicht mehr beherrschen. Sollten wir doch das Vaterland, unsere Waffenbrüder wiedersehen, unsere Uni- formen wieder anziehen, eine freie Luft atmen und eine ordentliche Ration Brot und Fleisch mit Genuß ver- zehren! . . . Welch plötzliche, nie erhoffte Verwandlung aller Schrecken, alles Elends in den Zauber der Frei- heit! Und unsere Freuden ausbräche nähme« kein Ende. Mehrere schlugen mit der Hand ein Kreuz gegen die Insel: „Verfluchtes Cabrera! verwünschte Insel! Teufels- felsen I" riefen wir, „du erwischst uns nicht wieder . . . Adieu, adieu für immer, entsetzlicher Aufenthaft! ... Es lebe die Freiheit! Es lebe Frankreich ! Es lebe der Kaiser! . . . Alle unsere Leiden sind nun zu Ende!"

Drei Viertelstunden waren ungefähr vergangen, daß wir die abscheuliche Insel hinter uns hatten. Da tat ein Zwischenfall unserm Freudentaumel ein wenig Einhalt „Patron, Patron!" rief mir einer von den Leuten zu, die sich auf dem Vorderteil befanden; „wir sind im Be- griff, ein Fahrzeug zu übersegeln!" „Weicht aus, weicht aus!" „Wir sind verloren!" rufen die andern ängst- lich. — „Nein, nein, keinen Lärm, laßt nur." Indes, nicht weniger sicher als sie, befehle ich trotzdem meinen 460

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Leuten, sich zu ducken. Wir segeln im Wind und er- kennen die englische Brigg, die sonst vor der Insel kreuzte. In der größten Stille gleiten wir fast unter ihrem Bugspriet vorbei. Dank der Hüte und Mäntel der Fischer mußte man uns für Spanier gehalten haben, und wir kamen mit dem Schrecken davon . . .

Dieser Zwischenfall machte uns vorsichtiger. Ich be- fahl, daß ein jeder einmal auf dem Vorderteil Wache stand, um rechtzeitig von dem, was vorging, benachrichtigt zu werden. Ruhig setzten wir unsere Fahrt bis zum Anbruch des Tages fort.

Am nächsten Morgen befanden wir uns in der Nähe von Palma. Der Wind wurde so schwach, daß man zu den Rudern greifen mußte, was sehr ärgerlich für uns war, da wir nur drei Seeleute besaßen. Eigentlich hätten wir vier sein müssen, aber zu unserm großen Erstaunen merkten wir erst jetzt, daß ein junger Matrose fehlte, der indes am vorhergehenden Tag beim Stelldichein gewesen war und geholfen hatte, das Boot herbeizuziehen . . . Wir vermuteten, daß der junge Mann, der wahrscheinlich das Unternehmen für ungünstig hielt, sich noch im letzten Augenblick entschieden hatte zu bleiben. Jeder von uns wünschte nur, daß er unsern Plan nicht ausplaudere.

Der Wind hatte sich vollkommen gelegt. Ich ließ da- her unsere beiden Matrosen die hinteren Ruder nehmen und setzte hinter sie die Soldaten, was für diese eine große Erleichterung war, weil sie ihre Bewegungen nach ihren Vordermännern richten konnten. Auf diese Weise mit 8 Ruderern ausgestattet, ruderten wir schlecht und recht den ganzen Tag. Gegen Abend aber waren wir so erschöpft, daß wir nicht mehr konnten. Die armen Sol- daten, die an eine so harte Arbeit nicht gewöhnt waren, klagten, ihre Arme und Lenden seien wie zerschlagen. Ich ermutigte sie so gut ich konnte; wenn jedoch die Windstille fortdauerte, wußte ich nicht, was werden sollte. Glücklicherweise ließ der Wind nicht mehr allzu lange auf sich warten. Eine günstige Brise schaffte unseren 461

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Ruderern Erleichte rung und brachte uns ein tüchtiges Stück vorwärts.

Mit Tagesanbruch bemerkten wir hinter uns zwei Fahrzeuge, die mit erschreckender Schnelligkeit dahinzu- fahren schienen. Nach einigen Augenblicken sorgenvoller Aufmerksamkeit erkannten wir sie. Es waren die beiden Kanonenboote, die Wächter der Gefangenen der Insel. Sie befanden sich auf der Jagd nach uns! . . . Jeder von uns sah die Gefahr, die uns bedrohte, und es galt, unsere Anstrengungen zu verdoppeln und aus Leibeskräften zu

Die Erinnerung an die Insel und ihre Schrecken wirkte entscheidend. „Vor allem Übereinstimmung!" rief ich meinen Gefährten zu, „das ist das einzige Mittel, unsere Kräfte zu schonen und vorwärts zu kommen." Die Sol- daten ruderten so gut, daß es Matrosen, welche 10 Jahre dabei waren, nicht besser hätten machen können. Und nach 2 Stunden unglaublicher Anstrengung, währenddem, wie ich glaube, nicht ein Wort gesprochen wurde, hatten wir das Glück, unsere Verfolger ihren Vorsprung voll- kommen verlieren zu sehen.

Bis zum nächsten Tage nachmittags 3 Uhr ereignete sich nichts Neues. Aber um diese Zeit sahen wir ein großes Schiff vor uns, in welchem wir eine englische Fregatte zu erkennen glaubten. Was tun? Einen falschen Kurs steuern? Wir konnten es nicht, denn schon fehlte es uns an Wasser, und wir mußten uns beeilen, unser Ziel zu erreichen. Meine Gefährten waren aufs äußerste be- stürzt, und ich war es nicht minder, denn diesmal waren die Umstände höchst kritisch. Wer konnte mir einen Rat geben ? Niemand ; es war nicht möglich, sich zu verstän- digen. Ich fragte meine Leute, ob sie sich mir anvertrauen wollten und ob jeder bereit sei, meine Befehle auszu- führen. Dann Heß ich uns den Wind in den Rücken kommen ; wir waren schon sehr schlaff. Die Fregatte hatte ihre Halsen am Backbord, und wir segelten stracks auf sie zu; aber ungefähr in Kanonenschußweite stellte 462

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ich die Ruderpinne auf Steuerbord; die Barke fuhr gegen den Wind, und wir lavierten eine Strecke Backbordhalsen. Wenige Augenblicke später zog die Fregatte neue Segel auf und machte einige Manöver, wahrscheinlich in der Absicht, uns zu erreichen. Das war es, was ich wissen wollte. Sofort ließ ich die Segel einziehen und die Masten ausnehmen, um weniger leicht gesehen zu werden. Ich befahl nun, kräftig zu rudern und unser Schiff flog mit Windeseile dahin. Das Gefühl unserer Verfolgung durch die Fregatte und der Gedanke an Cabrera gaben uns Kraft. Wir waren fest entschlossen, lieber unterzugehen als dahin zurückzukehren. Doch die Gefahr war groß: die Fregatte war ein guter Segler, und ganz gegen unsern Wunsch ging die Sonne spat unter. Wir rechneten mit der Dunkelheit. Endlich kam sie, jene Nacht, die wir so heiß ersehnten. Man verlor uns aus den Augen, und wir setzten unsern Weg fort.

Am 20. Juli mit Tagesanbruch sahen wir Land, worüber große Freude herrschte. Gegen Mittag behaup- tete der Feldwebel Alleigne die Gegend von Tarragona wiederzuerkennen, und eine halbe Meile von der Küste entfernt, ließ ich uns den Wind in den Rücken kommen.

Wir hatten vor unserer Abfahrt aus Cabrera wohl sagen hören, daß Tarragona in den Händen der Fran- zosen sei, doch war es wichtig, es genau zu wissen. Mit Hilfe eines weißen Taschentuches, einer schwarzen Kra- vatte und eines Stückes von einem rotwollenen Hemd hatten wir bald eine nationale Fahne zusammengestellt, die wir, als wir uns der Küste näherten, an einer unserer Rahen aufhißten. Fast im selben Augenblick fuhr aus dem Hafen ein kleines Fahrzeug mit einer großen franzö- sischen Fahne heraus. Unsere Freude war unbeschreib- lich. „Man hat uns erkannt," riefen wir, „endlich werden wir unsere Landsleute wiedersehen!"

Das Fahrzeug nähert sich es sind spanische Sol- daten, die uns zurufen: „Wer seid ihr? Woher kommt ihr?" Und wir sehen sie auf uns zielen. Wir waren wie 463

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versteinert vor Bestürzung. Es war kein Zweifel mehr, wir hatten uns in die Lowengrube begeben. „Mut!" sage ich zu meinen Kameraden, „wir müssen siegen oder sterben!" Alle schworen, ihr Leben teuer zu verkaufen. Wir bemächtigten uns eilig aller Gegenstände, die als Waffe dienen konnten, und schlössen die Luke über unse- ren Gefangenen. „Alle Mann auf den Bauch!" kom- mandierte ich, „und rührt euch nicht früher, als bis ich euch das Zeichen dazu gebe. Und nun vorwärts, in zehn Minuten sind sie unser." Unsere Not war groß, aber wir waren entschlossen. Als einziger, der aufrecht stand, steuerte ich mit der größten Vorsicht und schickte mich an, den Feind zu übersegeln. Aber schon zwei Minuten später rief ich: „Kinder, steht auf! . . . Wir sind ge- rettet!" Die Spanier hatten ihre feindliche Haltung be- wahrt, aber auf ihren roten Mützen bemerkte ich die drei- farbige Kokarde. Vollkommen beruhigt rief ich nun dem zu, der mich mehrmals angerufen hatte: „Wir sind Fran- zosen!" — „Franzosen?" wiederholte er. „Ja . . . französische Gefangene, die von der Insel Cabrera ent- kommen sind." Als ich diese Worte sprach, befanden wir uns Bord an Bord. Bald erkannten wir uns, und die Unsrigen brachen in ein wahnsinniges Freudengeschrei aus, während die andern uns Beifall zollten.

Man reichte sich von einem Bord zum andern die Hände, und der Kapitän ließ mir eine blecherne Feld- flasche mit Branntwein reichen, die ich reihum gehen ließ. Nach dieser Aufmerksamkeit kehrte das Boot in den Hafen zurück, um von seiner Sendung Bericht zu erstatten. Wir folgten ihm und hielten unsern Einzug in den Hafen unter dem tausendstimmigen Ruf: „Vive l'empereur!"

Beim Betreten des Hafendammes wurden wir von dem Platzkommandanten, den Generalstabsoffizieren und einer Menge Unteroffiziere und Soldaten empfangen, die uns um den Hals fielen und tausend Fragen an uns richteten. Alle wollten sie uns mit sich nehmen. Aber es gab noch Formalitäten zu erfüllen. 464

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Im Zollbureau wurde sofort auf Befehl des Komman- danten ein Protokoll aufgenommen. Dann ließ er uns mehrere Körbe mit Brot und Fleisch bringen, denn unsere abgemagerten Körper legten genügend Zeugnis ab für das Elend, das wir ausgestanden hatten. Doch anstatt mit Heißhunger zu essen, wie man es erwartete, erzählten wir zuerst alle auf einmal und in fürchterlichster Zusam- men hangslos igkeit von der schlechten Behandlung, die uns die Spanier hatten zuteil werden lassen. Die Freude raubte uns den Appetit; nur einen unerträglichen Durst hatten wir, den der Wein nicht zu stillen vermochte; man beeilte sich daher, uns Limonade zu geben.

Zu dieser Zeit waren noch nicht 20 Tage vergangen, daß Tarragona nach einer zweimonatlichen Belagerung im Sturm genommen worden war, und die Stadt war noch ein blutiger Trümmerhaufen. Der schreckliche Anblick, den sie darbot, gab uns Gelegenheit zu traurigen Betrach- tungen. Fast kein einziger Einwohner war mehr darin. Da der Kommandant es uns frei gestellt hatte, wo wir wohnen wollten, wählten wir ein Haus am Strande, um besser über unser Boot wachen zu können.

Am nächsten Morgen begaben wir uns nach der Zoll- niederlage, um unsere Gefangenen aufzusuchen, die man dort eingesperrt hatte. Wir trafen sie in der größten Niedergeschlagenheit und in Tränen schwimmend. Die Unglücklichen! Fast alle Familienväter, schluchzten sie, als sie von ihren Frauen und Kindern sprachen, und sie taten uns leid. Wir liefen sofort zum Gouverneur, um Fürsprache für sie einzulegen. Er erhörte unsere Bitte und gab uns sein Wort, daß er sie nach Mataro bringen lassen werde, einem zwischen Barcelona und Tarragona gelegenen Flecken. Von da würden sie sich leicht nach' ihrer Heimat einschiffen können. Der General hielt Wort: die Fischer wurden ihren Familien wiedergegeben. Was das Boot anlangt, so wurde es zu unserm Vorteil für die Summe von 1900 Francs verkauft.

30 BwM7: Spin. FttthtHiVunp!.

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6.

Belagerung von Gerona von

Don Juan Andres Nieto Samaniego

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Vorwort.

Unter den heldenmütigen Verteidigungen der spa- nischen Festungen während des Freiheitskrieges verdient besonders Gerona genannt zu werden, das sich im Jahre 1809 mit einem Häuflein tapferer, für die Sache der Frei- heit Begeisterter vier Monate lang gegen die zahlreichen französischen Belagerer verteidigte. Die Anstrengungen, Entbehrungen und Mühseligkeiten der Belagerten, deren Festung zwar mit regelmäßigen Werken umgeben, indes nur ungenügend mit Lebensmitteln versehen war, trotzten lange den furchtbaren Bemühungen der Franzosen, denen alle Mittel einer bedeutenden Kriegskunst zu Qebote standen. Selbst die Frauen dieser fanatischen Bevölkerung stellten sich in den Dienst des Krieges und waren den Verteidigern unter dem Titel der „Gesellschaft der heiligen Barbara" nützlich. Erst als Hungersnot und Krankheiten (besonders der verheerende Typhus) einen großen Teil der Einwohner dahingerafft hatten, ergab sich die Festung unter den ehrendsten Bedingungen. Allerdings kamen den Verteidigern die Verzögerung und die Schwierigkeiten des Transports, unter denen die Belagerungsheere derFran- zosen litten, zu statten, indem sie sich dadurch genügend zu der Belagerung vorbereiten konnten. Dennoch ge- bührt dieser Episode des spanischen Befreiungskrieges ein ehrender Platz in der Geschichte, und ich glaube keinen Fehlgriff getan zu haben, das Tagebuch des Don Juan Andres Nieto Samaniego in gekürzter Form hier 469

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wiederzugeben, um so mehr, da die Auswahl unter spa- nisch geschriebenen Werken über diese Zeit nicht grofl ist. Es ist mit dem ganzen Bombast spanischer Rhetorik geschrieben, der allerdings im Deutschen zugunsten des bessern Stils teilweise wegfallen mußte. Der Verfasser war Oberarzt während der Belagerung, und seine Schilderung geht, besonders was den Gesundheitszustand der Kranken betrifft, sehr ins einzelne. Dies tritt natür- lich in unserm Auszug nicht in die Erscheinung, da nur die Beschreibung der Belagerung selbst, sozusagen der Kern des ganzen Werkdiens heniusgesthrilt ist Nittu Samaniego veröffentlichte dasselbe im Jahre 1813 in Tarragona unter dem Titel „Memorial histfjrico de los sucesos mäs notables de armas, y estado de la salud püblica durante el Ultimo sitio de Oerona."

F. M. K.

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Am 6. Mai zeigten sieh die ersten Vortruppen der Belagerer auf den Höhen von Casaroca und Costaroza auf dem linken Ufer des Ter in der Nähe der Stadt. Früher schon hatte der Feind den Platz zu überrumpeln gesucht, jetzt schritt er zur förmlichen Belagerung, und es wurden dazu in Bascara sowie an andern Orten un- geheure Anstalten getroffen. Nachdem Rosas genommen und die catalonische Armee bei Valls geschlagen worden war, litt es keinen Zweifel, daß der Feind sich nähern und zur Belagerung schreiten würde. Wirklich nahm man auch in den folgenden Tagen Schanzarbeiten auf den höchsten Punkten um Casaroca herum wahr. Sobald der Feind in die Umwallungslinie der Stadt einrückte, nahm er vermöge seiner großen militärischen Einsicht die zweck- mäßigsten Stellungen ohne Widerstand, wählte Lager- plätze, arbeitete an Brustwehren und Wegen und legte den Grund zu der Mörserbatterie auf Casaroca, der unser Feuer, wenn es auch noch so gut gerichtet und unter- halten war, keinen erheblichen Schaden zuzufügen ver- mochte. Der Feind beschleunigte die gegen die Außen- posten von Monjuich gerichteten Werke und fing an, sein furchtbares Geschütz vor unsern Augen aufzufahren und auf die gewählten Stellen zu bringen.

Nun wurden die Gemüter unruhig, und man dachte schon im voraus an das mannigfache Elend, das eine Belagerung mit sich zu führen pflegt. Dennoch war die Geistesgegenwart so groß, daß nicht nur in diesem Augen- blick, sondern auch in der ganzen langwierigen Belagerung 471

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nicht das geringste Merkmal von Furcht vor den Ver- wüstungen wahrzunehmen war, die nach den im Umkreis der Stadt gemachten schrecklichen Zurüstungen zu er- warten waren und auch wirklich erfolgten.

Je nachdem der Feind seine Arbeiten fortsetzte, wurden auch in der Festung die Maßregeln zum Wider- stande und zur Verteidigung getroffen, so gut als es ebt-.n dii; liesdirüiiktai I lilismittel gestatteten. Man besserte die von der letzten Helagerung1) her noch vor- handenen Werke aus, verfertigte Roßmühlen von schlechter Bauart und demnach wenig Nutzen, wählte in den zur Domkirche gehörigen Gebäuden einige Gemächer zur Betreibung der Geschäfte des Gouvernements aus usw.

Hlt Alilitiiniusschuß sdilug die Aufreißung des Straßenpflasters vor, aber der Regie rungsausschuß wider- setzte sich dem. Letzterer trug mir auf, meine Berufs- genossen zu versammeln und mit ihnen zu beraten, ob das Aufreißen des Pflasters der Gesundheit nachteilig wäre oder nicht. Ich erbat mir hierzu die Erlaubnis des Generalkommandanten, und die Beratschlagung fiel dahin aus, daß nur die zur allgemeinen Verbindung und für den Militärdienst erforderlichen öffentlichen Plätze und Gassen zu entpflastern wären. Hierauf wurden einige Straßen entpflastert, und es war nicht mehr die Rede

Die Militär- und Zivilgewalt ward von folgenden Be- hörden ausgeübt:

1. Don Marino Alvarez, damals Generalmajor der königlichen Armee, Generalkommandeur der Avantgarde der catalonischeri Armee, Interimsgouverneur der Festung Gerona, mit seinem Generalstabe, einem Militärausschuß, einem Beisitzer und 3400 Mann Besatzung.

2. Dem vereinigten Regier ungsausschuß von Gerona und Figueras.

i) Am 20-21. Juni und 22. Juli bis 16. August 1808 machte der üencral Duhcsme zwei Angriffe auf Gerona, die beide von den Spaniern zurückgeworfen wurden. 472

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3. Einer Abteilung der königlichen Finanzen mit ihrem Zahlamte.

4. Einem Polizeiausschuß.

5. Einem Ökonomie aus schliß.

6. Für die Gesundheitspflege von mir als Chef und mehreren Ärzten und Wundärzten.

Als dem üeneralkommandantcn die Stimmung der Einwohner bekannt geworden war, erließ er mit der bei dem spanischen Militär üblichen Feierlichkeit folgenden Befehl, der allgemeine Aufmerksamkeit enegte: „Unver- zügliche Todesstrafe einem jeden, ohne Unter- schied der Person oder des Standes, der von Kapitulation oder Übergabe spricht!"

Dieses Dekret ward von der Besatzung und der Bürgerschaft mit Enthusiasmus aufgenommen, weil es gerade zur rechten Zeit erschien; es verschloß denen den Mund, welchen ihr Eigennutz und ihre Ruhe mehr galt als der Verlust einer solchen Stadt, es führte alle Ideen auf eben und denselben Zweck hinaus und war die Ein- leitung zu der folgenden beispiellosen Verteidigung.

Als die verschiedenen Arbeiten des Feindes vollendet und viele Batterien zum Feuer in Bereitschaft waren, erschien am 12. Juni nachmittags der erste Parlamentär und forderte die Festung zur Übergabe auf. Aber der Qouverneur, der sie verteidigte, bedeutete ihm, sich zu entfernen und seinem General zu sagen, er könnte sich künftig die Mühe ersparen, Parlamentäre zu schicken; denn da er nichts mit ihm gemein haben wollte, würde er sie nicht anders als mit Kartatschen empfangen. Dies ward auch bei den vielen Gelegenheiten, wo der Feind zu parlamenti eren verlangte, immer ausgeführt.

In der Nacht vom 13. zum 14. zwischen 1 und 2 Uhr fing der Feind an, die Stadt aus II Mörsern zu bombar- dieren, deren Feuer ohne Unterlaß Häuser zerstörte und in Brand setzte und Menschen und Tiere zerschmetterte. In diesem Augenblick ertönte der schreckliche General- marsch, den man nachher bei dieser Belagerung noch 473

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so oft hörte, zum ersten Male. Alt und jung, vom Schiecken der Verwüstung überrascht, eilte, sich einen Zufluchtsort zu suchen, wo sie sich wenigstens für den ersten Augenblick über die große Gefahr hinwegtäuschen konnten. Währenddessen liefen die rüstigen, in der Oero- nesischen Brüderschaft vereinigten Bürger und die Frauen und Mädchen von der Gesellschaft der heiligen Barbara sowie die Besatzung zu den ihnen angewiesenen Posten. In dieser Nacht Ward auch das chirurgische Hospital in der Kirche des heiligen Pedro von Oalicien eröffnet

Der Morgen des 17. Juni zeichnete sich durch die seltene Tapferkeit und den großen Mut aus, womit ein Teil unserer Besatzung gegen den Feind durch die Vor- stadt Pedret ausfiel, ohne das Gewehrfeuer des viermal stärkeren Feindes in der Front sowie des Feuers der Kanonen, Bomben und Granaten aus den Batterien von Casaroca in der linken Flanke zu achten.

Der Zweck dieses gewagten Ausfalls war die Zer- störung eines großen Werkes, das der Feind zum Schutz der Mühlen der Vorstadt Pedret errichtet hatte, die er gleich anfangs nahm, und das, wie man glaubte, zur Basis einer Batterie gegen das französische Tor dienen sollte. Dieser Zweck ward erreicht, obwohl wir dabei einige unserer Tapferen durch Tod oder Gefangenschaft verloren, da sie sich unerschrocken auf den Feind warfen. Die Zahl der Verwundeten belief sich auf 110.

Einige Bomben äscherten das Militärhospital ein, wobei wir viele Gerätschaften verloren; ein Verlust, der desto wichtiger war, je mehr die Schwierigkeit, sie zu ersetzen, zunahm.

Im Juli ward das Kastell Monjuich, worauf der Feind seine Absichten besonders richtete, mit allen in der Be- lagerungskunst bekannten Mitteln nachdrücklich ange- griffen. Kanonenkugeln, Bomben, Oranaten, Kartätschen, Steinkörbe, Kleingewehrfeucr, Einschließung und An- näherung der Parallelen von seilen der Belagerer, Breschen und Werke zu ihrer Verteidigung, Beunruhigungen, 474

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Stürme, nächtliche Angriffe, erschwerte Verbindung mit der Festung, üble Beschaffenheit des Trinkwassers und Krankheiten, alles vereinigt« sich allmählich im Laufe des Monats, den Aufenthalt im Kastell unerträglich zu machen, und verschaffte den tapferen Leuten die Gelegenheit, sich mit unsterblichem Ruhme zu bedecken; die zur rechten Zeil unternommene weise und kluge Räumung setzte ihren Taten die Krone auf.

Da die drei Posten, die nebst ebenso vielen Redouten und zahlreichen Türmen die Außenwerke des Forts aus- machten, zertrümmert waren und notwendigerweise ver- lassen werden mußten, so legte eine Batterie von zwanzig Vierundzw anzigpf ündern die Hälfte der nördlichen Kur- tine in Bresche. Andere Kanonen beschossen die Süd- seite von dem zwischen den Türmen San Danielo und San Narciß befindlichen Räume aus, die Mörser und Hau- bitzen von der Seite von Casaroca, und so befand sich dieses kleine, nicht geschlossene Fort zwischen drei schrecklichen Feuern, die es auf drei Seiten beschossen.

Da die Besatzung von so vielem Feuer ermattet und die Bresche für 40 Mann in der Front gangbar war, so schwieg das Fort, teils, weil sein Feuer ganz schwach war, andemteils, um nicht Munition und Arbeit in einem Flintenfeuer zu verschwenden, das gegen Feinde unnütz war, die sich hinter ihren Brustwehren vollkommen decken konnten. Der Feind zog wahrscheinlich aus diesem heil- samen, wohlüberlegten Schweigen und aus der geräumigen Bresche günstige Schlüsse für seine Unternehmungen und beschloß, die Bresche in der Nacht vom 4. zum 5. zu stürmen und den Angriff auf andern Punkten mit Sturm- leitern zu unterstützen.

In erwähnter Nacht drangen starke Kolonnen von Franzosen vor. Die Veliten1) stritten um den Vortritt

!) Veliten waren junge, noch nicht das militärpflichtige Alter habende Soldaten im Heere Napoleons, die sich freiwillig zum Kriegsdienste gemeldet hatten. Die ersten beiden solcher Korps, 475

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im Angriff der Bresche. Aber kaum hatten sie sich auf Flintenschußwcilc genähert, so verbreitete ein Hagel von Kugeln aus unsern kleinen Gewehren, verbunden mit einer Menge Bomben und Granaten, die die Festung ohne Unterlaß entsandte, Verwirrung und Schrecken unter ihnen. Dennoch drangen die Kühnsten bis in den Graben, der ihnen zum Grabe bestimmt war, doch alle erfuhren zu ihrem Schaden, daß das Schweigen des Forts nur vor- übergehend gewesen war. Der Feind ward völlig zurück- geschlagen und ließ im Graben und auf den Wällen viele Tote und einige Leitern zurück.

Dieses Gefecht warfürunsere Waffen durchaus rühm- lich, da es gegenüber den großen Vorteilen, die es mit sich brachte, uns nur 2 oder 3 Tote und 28 Verwundete kostete.

Natürlich bemühte sich der zurückgeworfene Feind, sich zu rächen und seine Unternehmungen zu be- schleunigen, und da es unmöglich war, sein Feuer noch mehr als in den vorhergehenden Tagen zu beleben, weil die Geschwindigkeit, womit er durch ununterbrochenes Schießen von der großen Batterie aus das Fort verwüstete und die Schutzwehren zerstörte, nicht in Betracht kam, mußte er sich mit dem verderblichen Geschützkriege be- gnügen und das Feuer bis in die Nacht vom 7. und 8. fortsetzen.

In dieser Zeit gelang es ihm mit seinen mächtigen Hilfsmitteln, die tapfere Besatzung zu schwächen und die ürcsche so beträchtlich zu erweitern und gangbar zu machen, daß man hinaufreiten und mit mehr als 50 Mann in der Front eindringen konnte. Der auf dem Glacis verschanzte Feind zweifelte nun nicht mehr am glück- lichen Erfolge und glaubte vor allem nach zwei wichtigen

von denen ein jedes aus 800 Mann Fußvolk bestand, wurden im Jahre 1803 gegründet und 130! kam noch ein Reiterkorps dazu. Nach dein Sturze des Kaisers wurden diese Regimenter wieder aufgelöst. 476

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Dingen streben zu müssen: nach der Einnahme des Forts, die ihm ausgemacht schien, und dann nach der Wieder- herstellung seines Ruhmes.

Zu diesem Behufe bestimmte der Oeneral der Be- lagerer') in der Nacht vom 7. zum 8. mehr als 9000 seiner tapfersten Krieger, die die Bresche angreifen und andere Punkte des Kastells bedrohen sollten, das von kaum 900 Mann verteidigt wurde.

In der Morgendämmerung nahm die schreckliche Arbeit ihren Anfang und kündigte sich durch ein Bataillon- feuer an, dessen Wirkung fühlbar ward, noch ehe man den furchtbaren Angriff vermutete.

Unser Kleingewehrfeuer antwortete mit der Würde, Festigkeit und Sicherheit, die man von dem Helden, der die Verteidigung leitete sowohl als von dem unbedingten Gehorsam, der Tapferkeit und Rechtlichkeit der besten Soldaten erwarten konnte.

Als der Tag schon weit vorgerückt war, um Vi3Uhr, hatte der mächtige krieggewohnle Belagerer dreimal an- gegriffen und dreimal war er glorreich zurückgeschlagen worden. Bei jedem Angriff ließ er unzählige Tote zurück Zeugen seiner Tapferkeit, Geistesgegenwart und Kriegs- zucht; denn ungeachtet der Dunkelheit der Nacht blieb doch alles beisammen. Unser Ruhm wäre an diesem Tage des Triumphes vollkommen gewesen, hätte nicht ein unglücklicher Zufall, dessen Ursache unbekannt ge- blieben ist, unsere Freude gestört.

Der Zufall wollte, daß bei den letzten Anstrengungen des Feindes, als er vollkommen zurückgeworfen war, im Turme San Juan Feuer ausbrach und das dort liegende Pulver ergriff. Dieser Turm befindet sich zwischen der westlichen Kurtine des Forts, der Stadt und der Vorstadt Pedret. Die Explosion hatte nicht nur den Verlust der

') General Jean Antonie Verdier war von Oouvion Saint-Cyr (siehe 7. Anmerkung-) beauftragt, mit einem Teile seines Heeres Ocrona zu belagern.

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sämtlichen Wachmannschaft, sondern auch des wichtigen Gebäudes und Militärpostens zur Folge.

Der Verlust des Feindes bei diesem Angriff ward auf 1601) Mann berechnet, mit Einschluß von gefangenen Veliten, die schwer verwundet im Graben gefunden wurden und im Hospital starben. Der unsrige betrug 114 Mann an Verwundeten.

Da der Feind durch wiederholte und mit großem Verlust verbundene Erfahrung belehrt war, daß er mit seinen zahlreichen Heerhaufen nicht einmal durch die gangbarste und geräumigste Bresche eindringen konnte, weil die Tapferen von Monjuich sie bewachten, so sah er sich genötigt, sich auf den Gebrauch des Geschützes zu beschränken, um ohne Gefahr das kleine Fort in einen Steinhaufen zu verwandeln.

Schließlich errichtete er neue Batterien und gab der großen, welche die Bresche geschlagen hatte, eine andere Richtung. Er nahm nun den Teil der nördlichen Kurtine, welche an das Außenwerk stößt, und diese selbst zum Zielpunkt seiner Schüsse. Und während er das Fort mit seinem schrecklichen Feuer zu zerstören fortfuhr, umgab er es mit zahllosen wohl verschanzten Schützen, die den unsrigen mit anhaltendem Gewehrfeuer so zusetzten, daß sie uns an manchen Tagen bis zu neun Schild wachen auf demselben Punkte töteten.

Die Stadt litt gleichzeitig unter der Zerstörung der Bomben, obwohl sie in geringerer Anzahl fielen, weil einige Mörser und Haubitzen der Batterien von Casaroca auf Monjuich gerichtet waren, dessen Umfang seiner Be- satzung nicht so viel Raum, als die Umstände erforderten, noch einen vor den Verheerungen des Geschützes ge- sicherten Ort darbot. Diese erschwerenden Umstände und die verderbliche Verachtung der Oefahr seitens unserer Soldaten verursachten viel Unheil.

In diesem Monat begannen auch die endemischen Fieber, die gewöhnlich in Oerona herrschen, sich zu zeigen, wodurch die Spitäler einen beträchtlichen Zu- 478

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wachs erhielten. Die unterste Volksklasse und die Flücht- linge, die sich nach Qerona gerettet hatten, wurden von diesen Fiebern am meisten befallen.

Es gelang jetzt dem Feinde, wiewohl nicht ohne große Anstrengung, seine Parallelen bis an den Rand des Grabens über der Chaussee vorzurücken, und er be- mühte sich, große Werke mit Faschinen, Schanzkorben, Erdsäcken usw. anzulegen. Der Mangel an Erde im Um- kreis des Forts verdoppelte zu unserm Glück seine An- strengungen und erschwerte die Arbeiten, die ihm zum Angriff und zur Verteidigung unentbehrlich waren. Aber seine in der Entfernung eines Pistolenschusses völlig ge- deckten Schützen beunruhigten die unsrigen unaufhörlich mit einem heftigen Gewehrfeuer, das der Besatzung sehr lästig war und großen Schaden anrichtete. Besonders war es unmöglich, sich in den zerstörten Verschanzungen blicken zu lassen, ohne sich einer Menge Schüsse von denen auszusetzen, die beständig auf der Lauer lagen. Da sich zu diesem Feuer noch Kanonenkugeln, Bomben und Granaten gesellten, so war das Außen werk von dem Ende des Monats an bis zur Räumung des Forts wie ein Ort des Untergangs für alle, die es besetzten. Dessen ungeachtet stritten sich die braven Verteidiger von Ge- rona um diesen Posten wie um alle anderen, wo es Gefahr gab.

Die Feinde griffen diesen Teil des Forts zu ver- schiedenen Malen an und jedesmal des Nachts, vermut- lich um zu versuchen, ob die Besatzung sorglos oder wenigstens nicht aufmerksam genug wäre ; stets aber war es vergebens, ausgenommen das letztemal.

Zu dieser Zeit hörten unsere Schnarrposten') im Graben arbeiten, und da sie sich durch wiederholte Beob- achtungen davon überzeugt hatten, besorgte man, daß

') Sicherheitsposten der Ksvallcrieteldwachen, welchen die unmittelbare Sicherheit der Vorposten übertragen ist, auch „Posten vor dem Oewehr" genannt.

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der Feind das Fort unf erminiere. Viele erwarteten von dieser Arbeit großes Unglück, obwohl verständige Mili- tärs nicht zugaben, daß es so bedeutend sein werde wenn auch die Mine, wie einige glaubten, gegen das Tor hin sich befände , weil der Grund des Forts natür- licher Felsen sei und man sonst keine Arbeit am Fuße der Mauer wahrnahm. Und in der Tat, das Werk flog auf und tat meines Wissens nicht den geringsten Schaden, weil es bloß aus Erde bestand. Nun war das Tor für den Feind entblößt, und er fing eine erhöhte Batterie an, in der Absicht, es zusammenzuschießen. Da indes dadurch die Verbindung zwischen dem Fort und dem Außenwerk sehr erschwert ward, erregte der Beginn seiner Zerstörung große Besorgnis, und es ward des- wegen für den 8. August ein Ausfall beschlossen, um die Kanonen der Batterie zu vernageln.

Nachdem sich an diesem Tage die zu einem ebenso gewagten als ihrer Tapferkeit würdigen Unternehmen be- stimmten Männer versammelt hatten, einige mit Nägeln und Hämmern, andere mit Äxten, noch andere mit brenn- baren Stoffen bewaffnet, warfen sie sich am hellen Tage in guter Ordnung blitzschnell auf die feindlichen Brust- wehren und Batterien. Trotz des ziemlich heftigen Oe- schütz- und Gewehrfeuers, das der Feind vergebens dem unwiderstehlichen Angriff entgegensetzte, durchbrachen sie die Brustwehren und erstiegen gleichzeitig die Batterien. Während einige Blut und Leben dem Vaterlande opfern und den mächtigen Anstrengungen Widerstand leisten, die den Angegriffenen von andern benachbarten Punkten zu Hilfe eilen, werfen andere mehrere Kanonen um, zerbrechen die Speichen der Lafetten, suchen sie zu verbrennen und ziehen sich, nachdem sie so den kühnen Plan größtenteils ausgeführt haben, zurück.

Einer der ersten, welche die Batterien erstiegen, war der ehrwürdige und brave Qehilfe des Paters Kapellan von der 1. Legion von Gerona. Er war so unglücklich, einen Schuß durch die Lende zu bekommen, der ihm das Hüft- ASO

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bein zerschmetterte, woran er nach einigen Monaten starb. Er fiel einem feindlichen Kapitän in die Arme; die feind- lichen Soldaten wollten ihn ermorden, aber der Kapitän schützte ihn nicht ohne eigene Gefahr in der Hitze des Gefechts. Mehrere der Unsrigen kamen hinzu und töteten den Offizier gerade in dem Augenblick, da er, un- bekümmert um seine Person, einen seiner Feinde und unserer Brüder zu retten bemüht war.

Dieses heldenmütige und gefährliche Unternehmen hätte uns nicht zwei Drittel der wirklich Verwundeten gekostet, wenn nicht ein Sergeant, dem viele, von miß- verstandenem Eifer getriebene Soldaten folgten, aus eigenem Antriebe sich entschlossen hatte, den Feind auf dem kleinen Fort San Danielo anzugreifen. Dies war ein unverteidigter Posten, in dessen Besitz die Franzosen durch Überrumpelung gekommen waren. Die Unsrigen wurden bei ihrer Annäherung mit unzähligen Kugeln von den Brustwehren und Dächern empfangen und zurück- geworfen. Aber wegen seines Diensteifers und der guten Absicht wurde dem Sergeanten sein Fehler verziehen.

Wir hatten bei dem Ausfall 48 Verwundete. Sein ganzer Gewinn bestand darin, daß die Fortschritte des Feindes um einige Stunden aufgehalten wurden. Denn es erforderte nur wenig Zeit, die vernagelten Geschütze gegen andere auszutauschen und an Stelle einiger un- brauchbar gemachter Lafetten neue anzubringen. Der Feind hatte einige Schritte von dem Fort entfernt Vor- räte von Kanonen und anderen Artillericbcdürfnissen, un- gerechnet den Park auf der großen Batterie, die schon das Fort zerstört hatte und die folglich ihr Feuer gegen das Außenwerk und dessen Tor fortsetzte.

Zu gleicher Zeit legte der Feind einen bedeckten Weg an, der von dem Durchschnitt seiner Brustwehren bis an die Bresche des Außenwerkes führte. Als die Arbeit vollendet war und während ein Hagel von Ge- schützen allerart die Besatzung bedrängte und verminderte, die Stadt ängstigte und die Aufmerksamkeit teilte, schlug

31 BwM7: Span, h'rti]] titstampf. 4SI

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eine Kolonne kühner Männer unter Begünstigung der Finsternis jenen Weg ein und drang in das Außenwerk. Ihre Gegenwart machte sich sehr fühlbar; von den zusammengeschmolzenen Verteidigern des zerstörten Postens, deren Anzahl sich etwa auf 40 belief, kam ein Teil mit seinem Anführer um, obwohl sie ihr Leben teuer verkauften, der andere ward bis auf einen Soldaten ge- fangen genommen.

Nachdem die Feinde diesen Vorteil erlangt hatten, konnten sie sich die peinliche Lage, in der sie sich be- fanden, nicht verbergen, weil sie unserm Gewehrfeuer aus nächster Nähe bloßgestellt waren, das durch das un- geheure feindliche Feuer nicht zum Schweigen gebracht werden konnte. Der Feind fand es daher geraten oder war gezwungen, sich in seine alte Stellung zurückzuziehen, und nun blieb das Aufienwerk verlassen, weil es der Feind nicht behaupten konnte, dies vielleicht auch nicht in seiner Absicht lag. Auch war es bei der endlichen Entscheidung unnütz und dem Fort sogar nachteilig.

Das feindliche Feuer nahm seinen Fortgang. Aber die heldenmütigen Verteidiger, die schon auf bloßes Flintenfeuer und Kasematten beschränkt waren und dabei keine Gelegenheit versäumten dem Feind mit Steinwürfen Abbruch zu tun, schienen jetzt nur noch leidende Werk- zeuge des Kriegs zu sein, denn es war ihnen unmöglich, den Kampf mit Waffen auszuhalten, die nach Beschaffen- heit und Anzahl so außerordentlich ungleich waren; folg- lich wurden sie in ihrer Ungeduld von kriegerischem Feuer und Diensteifer verzehrt. Deswegen wünschten in den letzten Tagen der Behauptung des Forts viele einen Ausfall zu machen, um ihren Mut an den feindlichen Posten zu kühlen, und sie würden einen glorreichen, ob- wohl nutzlosen Tod auf dem Kampfplatze gefunden haben, wenn man sie nicht zurückgehalten hätte. Dennoch hielt man einige Nachgiebigkeit gegen die Tapfern für ratsam, und es wurden einer geringen Anzahl von ihnen zwei kühne Unternehmungen gestaftet, nämlich von dem Oraben 482

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aus die feindlichen Faschinen werke anzustecken, was sie beide Maie zur allgemeinen Bewunderung ohne Unfall bewerkstelligten.

Schon rissen im Fort und in der Stadt die Sommer- fieber stark ein, auch machten sich die unter dem Namen Lagerfieber (typhus castrensis) bekannten bemerkbar. Das Wasser der einzigen Zisterne zum Gebrauch der Besatzung hatte beträchtlich abgenommen und war unrein, stinkend und unerträglich, so daß es die Krankheiten vermehrte. Diese und die täglich hinzukommenden Verwundeten, die abgelöst werden mußten, verminderten die Vertei- diger und vermehrten die Arbeit derer, die im Dienst blieben.

Da endlich alle Vertcidigungsmittel erschöpft, ein großer Teil des Forts in einen Schutthaufen verwandelt, alles Feuer erloschen und Mangel an Wasser vorhanden war, da der wichtigste Teil der Effekten in Sicherheit gebracht, da Krankheiten herrschten und die Unmöglich- keit, sich zu halten, ohne die immer mehr bedrohte Stadt zu entblößen, vorhanden war, so rettete sich nach glorreicher Gegenwehr und nach Abhaltung eines Kriegs- rats und nachdem Zündschnüre an die Pulvervorräte ge- legt waren, die unbesiegte Besatzung am II. August um 4 Uhr nachmittags angesichts des Feindes, der das Fort ringsum eingeschlossen hatte. Der Generalkommandant wußte von dieser glücklichen, obwohl schmerzlichen Ent- schließung nicht früher, als his sie ausgeführt war.

Oberstleutnant Miranda von der Artillerie B), der die Belagerung mit aushielt, sagt in einem Aufsatz in bezug auf Monjuich folgendest „Das Fort, oder richtig gesagt der Steinhaufen, war in jämmerlichem Zustande. 60 Tage lang hielt es das fürchterlichste Feuer, das sich denken

6) Don Jose Miranda focht tapfer für sein Vaterland als General in der Armee Blake's, hatte aber wenig Glück und wurde öfters geschlagen. Endlich, 1811, wurde er bei der Kapitulation von Valencia gefangen genomrnrn und nach Frankreich gebracht, das er, wie alte spani sehen Gefangenen, erst 1814 verließ. 31- 483

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läßt, aus. 20 Batterien mit 66 Kanonen, 7 Haubitzen, 20 Mörsern und 1 St ein mors er beschossen es. Man rechnet 23100 Kanonenkugeln, 3100 Granaten, 26O0 Bomben und unzählige Handgranaten, Kartätschen und brennbare Stoffe, die hineingeworfen wurden. 37 Tage war eine Bresche offen, und zuletzt gab es deren vier."

Der Feind, dem man große Einsicht in die theoretische und praktische Kriegskunst zugeben muß, betrachtete die Räumung des Forts als entscheidend in Hinsicht auf den Hauptplatz. Dies beweist nicht nur die Tätigkeit, womit er seine Bemühungen und Anstalten gegen dasselbe richtete, sondern auch ein von den unsrigen aufgefangener Bericht, den General Verdier für den Kriegs minister in Paris bestimmt hatte, worin die gute Lage des Forts und sein Mangel an Erde in seiner Nähe erwähnt wird, dem man die Verspätung der Angriffsarbeiten beimaß. Dieser General versprach die Einnahme der Festung in E 14 Tagen nach der Räumung des Forts. Wir werden aber in der Folge der Geschichte sehen, daß Tapferkeit und heldenmütige Entschlossenheit, von spanischem Pa- triotismus eingegeben, in dieser denkwürdigen Belage- rung Ausnahmen bewirkten, welche Lehrsätze der Kriegs- kunst umstießen, die vorher stets als wahr angenommen und in Ehren gehalten worden waren.

Während der tätige Belagerer seinen Angriffsplan erweiterte und neue Linien und Batterien gerade gegen den Platz errichtete, war er genötigt, uns die sehr kurze Ruhe zu vergönnen, die die unmittelbare Nähe eines mächtigen, krieggewohnten Feindes den Verteidigern einer belagerten Festung gestatten kann, wenn wir einige Bomben und Granaten nicht in Anschlag bringen, die von Zeit zu Zeit, bald bei Tage, bald des Nachts unsere Wachsamkeit rege erhielten.

Er errichtete auf einer steilen Felsenklippe eine Batterie, deren Zweck war, das fast erloschene Feuer des Bollwerks von San Pedro vollends zum Schweigen zu bringen ; denn dahin konnte er leicht Geschütz schaffen, 484

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weil ihn das Terrain begünstigte. Eine andere ward in dem Graben von Monjuich gegen Westen hin errichtet Bei der Anlage seiner Batterien zeigte der Feind seine Wissenschaft in vollem Glänze, denn sie konnten uns leicht großen Schaden tun, von unserm Feuer aber fast gar nicht gefährdet werden. Diese Batterien nebst vielen andern, die nach und nach auf dem Abhänge des Berges zum Vorschein kamen, bestrichen den weiten Raum zwischen dem Turme Gironella und dem Bollwerk San Pedro und konnten der ganzen Verteidigungslinie und den Werken in der Ebene großes Ungemach zufügen. Andere in den Umgebungen des Turmes San Daniela beschossen das Ka Iva ricn fort, das Fort Connetable und einen von seinen Außenposten.

Da der Feind so nahe gekommen war und eine so ungeheure Menge schweren Geschützes hatte, mußte das Hospital von San Pedro aus verschiedenen Oründen in das Hospiz verlegt werden.

Da kam dem Generalkommandanten der Gedanke, auf das Gewölbe der Kathedrale eine Batterie von drei Kanonen zu bringen. Dieser treffliche Anschlag gelang, obwohl einiger Einwand und Widerstand zu überwinden war, und bewirkte viele wesentliche Vorteile, sowohl ver- möge des dem Feinde dadurch zugefügten Schadens, als auch, weil der Zugang zu den Breschen in der schwachen Stadtmauer erschwert ward. Zu diesem Zwecke mußte das Lazarett der verwundeten Offiziere aus der Kathe- drale in die St. Martinskirche verlegt werden, wo es bis zum Ende der Belagerung blieb.

Die während der Belagerung zur Beobachtung der Bewegungen im ganzen feindlichen Lager und zur Ver- kündung der Angriffe mittels der Sturmglocke auf der Kathedrale aufgestellte Wache trat um diese Zeit ihren Dienst mit Erfolg an, empfing dagegen viele Schüsse, die ihr jedoch weiter keinen Schaden zufügten. Diese Wache verrichteten die Geistlichen der Kirche, und ein Domherr befehligte sie; der Nachteil, den sie dem Feind 485

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brachte, läßt sich am besten nach der Rache beurteilen, die er an ihr zu nehmen suchte.

Die schwierige und unter solchen Verhältnissen ge- fährliche Verlegung der Hospitäler gibt Gelegenheit zu einer flüchtigen Bemerkung. Da es uns an Leuten fehlte und wir den Bomben und anderem Feuer ausgesetzt waren, würde dies nicht so geschwind und nicht mit so gutem Erfolg vollbracht worden sein, wenn nicht die Mönche, besonders die Kapuziner und die Frauen von der Gesellschaft der heiligen Barbara, aus freiem Willen die Kranken auf ihren Armen fortgetragen hätten. Die Mitglieder der chirurgischen Anstalt trugen mit unermüd- lichem Eifer das ihrige dazu bei, den Kranken während des Fortbringens eine gute Lage und die nötige Er- leichterung zu schaffen. Die Ausdünstungen der Wunden verpesteten vermögt ihrer Beschaffenheit und ihrer Menge die Luft, besonders im Hospital San Pedro und in den untern Zimmern des Hospitals San Martino, weil es hier an Lüftung fehlte und von künstlichen Mitteln, die Luft zu reinigen, nur die gewöhnlichsten und unwirksamsten zu Gebote standen.

Die Sommerfieber fanden sich außerordentlich häufig bei der Besatzung und den Einwohnern ein und wurden zu Ende des Monats besonders heftig. Die Zunahme der Kranken verminderte natürlich die Zahl der Ver- teidiger, und die wenigen in der Festung befindlichen waren nur durch 700 Mann verstärkt, die fast ohne Hindernis durch die feindlichen Linien in die Festung gelangten. Der Dienst, welchen die durch den mili- tärischen Geist des damaligen Oberst O'Donnell') an- gefeuerten, gebildeten und unterrichteten geronesischen Kompagnien leisteten, trug nach Verhältnis ihrer Zahl und der Umstände viel zur Erleichterung der Truppen hei. Da in das Fort Monjuich, das mit Ordnung und

') Jose Enrique O'Donnell, Oraf von AbispaJ, 1769-1834, spanischer Oenfral, halte den Oberbefehl über Katalonien. 486

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ohne Nachteil für die Ehre der Besatzung verfassen worden war, von den nahegelegenen erhöhten Punkten aus, welche die Stadt auf dieser Seite beherrschen, einige Breschen gelegt wurden und der Feind unaufhörlich neue Werke und Batterien anlegte, so mußte man von einem Tag zum andern die völlige Öffnung der angefangenen Breschen befürchten, die bti der Schwäche leicht zu be- wirken war. Andererseits hatte die Festung eine schwache und sehr abgemattete Besatzung. Die Toten und Ver- wundeten ungerechnet fanden sich viele Kranke, an deren Siechtum der Waffendienst, die Jahreszeit, die außerordent- liche Anstrengung, die Angst, die Entbehrungen und der Mangel an Nahrungsmitteln schuld waren. Das Volk, besonders die Armen und Ausländer, waren in ihrer Krankheit ganz hilflos, weil das allgemeine Krankenhaus sie nicht fassen konnte. Die Festung wurde seit beinahe vier Monaten belagert und bombardiert, und es war keine Hoffnung auf Entsatz vorhanden. Es war kein Zweifel, daß sie kapitulieren konnte, wie der Feind oft anbot, nachdem sie einen Widerstand geleistet hatte, dessen sich keine Festung dritten Ranges, wie Qerona ist, wird rühmen können. Aber die Besatzung und die tapferen Einwohner schöpften selbst im Unglück und harter Bedrängnis noch neuen Mut, stählten ihre Erbitterung, belebten ihre Tapfer- keit von neuem und schwuren in ihrem Herzen, daß sie entweder siegen oder sich unter dem Schutt der von ihnen verteidigten Stadt begraben wollten.

Dieser Entschluß ward zur Zeit des größten Mangels gefaßt, der sich so weit erstreckte, daß sich in den könig- lichen Magazinen nichts mehr befand als etwas Mehl und Weizen. Während man den traurigsten Ausgang einer so schrecklichen Lage befürchten mußte, kam der 1. Sep- tember heran, einer der heitersten Tage, den die Vor- sehung zur Hilfe und zum Trost der geängstigten Stadt werden ließ.

Dem General Oarcia Conde war der Ruhm, der Festung zu Hilfe zu kommen, vorbehalten! Dies 487

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schwierige Unternehmen setzte allen seinen Verdiensten die Krone auf und erwarb ihm die Dankbarkeit der ganzen Provinz. Der General führte mit der unter seinen Be- fehlen stehenden mutigen Division einen maßigen Trans- port von Lebensmitteln in die Festung. Ein schweres Unternehmen! Aber der General zeigte sich des Ober- befehlshabers der Armee und des ihm gewordenen Auf- trages würdig.

Der Angriff wurde mit großer Klugheit eingeleitet und kräftig ausgeführt, und die Feinde wichen, wobei einige Gefangene gemacht wurden. Andere spanische Ab- teilungen beschäftigten mit ihrem lebhaften Feuer den Feind auf der andern Seite des Ter, damit er den in Salt Geschlagenen nicht zu Hilfe käme, obwohl ihn der schwierige Übergang über den Fluß schon an und für sich daran hinderte.

Nachdem das Feld gereinigt war, gelangten die von den tapfern Spaniern geleiteten Maultiere ohne das ge- ringste Hindernis in die Festung, und zu gleicher Zeit zogen 3000 Mann Infanterie, voll Verlangen, an Geronas Ruhm teilzunehmen, in die Festung als Besatzung ein.

Durch die Ankunft dieser Verstärkung ward die Stadt in ihrer Entschlossenheit befestigt und neu belebt. Doch wurde die Freude durch den Gedanken vermindert, daß die Ankömmlinge nur auf 14 Tage Lebensmittel mit- brachten, wiewohl die Hoffnung auf neue Unterstützung dadurch nicht erstickt ward. Die übrige Infanterie und die gesamte Reiterei, die den Transport begleitet hatten, gingen glücklich durch die feindlichen Linien zurück, da sie an anderer Stelle gebraucht wurden.

An demselben Tage beschloß der Kommandant einen Ausfall von 600 Mann Infanterie unter dem Oberst Don Blas de Furnas. Sie gingen nach Salt, wie wir vermuteten, in der Absicht, die Aufmerksamkeit des Feindes auf diese Seite zu ziehen, während die Eskorte des Transports sich nach einer andern wendete. Man hatte die Absicht, den beiden Mühlen der Stadt das Wasser, das der Feind 488

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ihnen gleich im Anfange der Belagerung abgeschnitten hatte, wieder zu verschaffen, denn der Mangel an Mehl war ungemein beschwerlich und nachteilig.

Die erwähnte Mannschaft ging ohne Hindernis auf ihr Ziel los. Kaum aber hatten die Arbeiter ihr Werk begonnen, so wurden sie von einer beträchtlichen In- fanterie und Kavallerie in der Ebene angegriffen. Der Feind brach aus den umliegenden Gebüschen hervor, und da die Wiederherstellung des Wasserlaufs schwieriger war, als man dachte, weil der Damm einen großen Bruch hatte und der Mühlgraben an vielen Stellen infolge von Regengüssen zusammengestürzt und verschlammt war, so konnte man mit so ungleichen Waffen dem Feind nicht widerstehen. Der kluge Anführer befahl daher den Rück- zug, doch konnte dieser nicht ohne Verlust ausgeführt werden, und der Ausfall kostete uns einige Gefangene, die entweder zu weit vorgegangen waren oder sich zer- streut oilfcr vorsätzlich verspätet hatten.

Nachdem auf Monjuich die Batterien gegen die Festung vermehrt, die Brustwehren vervollkommnet, be- deckte Wege und andere Verteidigungs werke errichtet worden waren, setzten die Feinde einen auf drei Punkte zugleich gerichteten Kugelregen fort, nämlich auf Santa Lucia, San Christoph und die Kaserne der Deutschen, die auf der Stadtmauer selbst stand. Sie bezweckten, durch Zerstörung dieses ungeheuren Gebäudes den Ein- gang durch die Bresche zu erleichtern.

Die Festung antwortete zwar tapfer mit ihrem Feuer von der Kathedrale, der Sarazenenkirche und dem Giro- nella-Turme sowie mit kleinem Gewehrfeuer, um das feind- liche zu schwächen und die Öffnung der Bresche teuer zu verkaufen. Da aber die feindliche Artillerie der unsrigen an Kaliber und Zahl unendlich überlegen war, so konnte die Zerstörung der schwachen Mauern nicht verhindert werden. Man bewirkte indes dadurch wenigstens soviel, daß die Feinde aufgehalten wurden und glaubten, die Breschen würden erst am 18. September gangbar sein.

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Dessen ungeachtet erregte die fortwährende Zerstörung der Mauern große Besorgnis in der Stadt. Um Zeit zu gewinnen, den vom Feinde erlangten Vorteilen Hinder- nisse in den Weg zu legen, sowie die Schwierigkeit und Gefahr bei den großen Verteidigungsarbeiten hinter den Breschen zu vermindern, befahl der General einen Aus- fall, in der Absicht, die Artillerie des Feindes zu ver- nageln und ihm weiteren Schaden zuzufügen.

Aus jedem Korps der Besatzung ward eine Anzahl Beherzter gezogen, die den Mut hatten, nicht allein die Brustwehren, bedeckten Wege, Laufgräben und andere Werke des Feindes zu nehmen, sondern auch den Batteriestücken und Hauhitzen Trotz zu bieten und ge- radewegs darauf loszugehen. Sie versammelten sich auf dem großen Platze der Stadt, stellten sich in Schlacht- ordnung auf, und jede Abteilung erhielt ihre Weisung. Jeder Befehlshaber wurde über den Gegenstand seiner wichtigen und gefahrvollen Bestimmung, besonders aber darüber unterrichtet, wie verderblich jede Verzögerung sei, zumal wenn es darauf ankomme, den Feind vor seinen Augen zu überfallen.

Nachdem Nägel, Hammer, Äxte und brennbare Stoffe in Bereitschaft waren, marschierte die Mannschaft rechts ab und nahm ihre Richtung nach dem Peters-Tore. Dieses war, seitdem man Monjuich verlassen hatte, zugemauert, wurde aber von den Sappeuren geöffnet.

Nun marschierten die Soldaten stillschweigend durch das erwähnte Tor hinaus. Die Schnelligkeit, mit der sich viele auf den Feind stürzten sie wurden von Fumas angeführt war so groß, daß sie ihn, ehe sie bemerkt wurden, mit der blanken Waffe auf seinen Posten über-

Als der Feind die außerordentliche und erfolgreiche Kühnheit der Tapferen wahrnahm, überschüttete er die mutigen Angreifer mit einem ungeheuren Feuerregen aus seinen Batterien. Aber nichts vermochte das furchtbare Ungestüm der Spanier aufzuhalten. Mitten unter dem 400

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Feuer erstiegen sie die Batterien, vernagelten die Kanonen und machten die Lafetten unbrauchbar. Viele ernteten die Früchte ihrer Tapferkeit und großen Anstrengung, andere hingegen hatten sich ganz zurückgezogen, was den englischen Oberst Mars hall, der zugegen war, zu dem Ausruf veranlaßte: „Heute haben wir einen großen Sieg verfehlt!" Einige, die mit brennbaren Stoffen beladen waren, unterließen es man weiß nicht aus welchem Grunde aus dem Fort San Pedro vorzu- rücken, mischten sich aber dennoch auf dem Rückzug in die Reihen der Tapferen.

Eine so kühne und gefahrvolle Tat mußte not- wendigerweise Blut kosten, kam indes, wenn man alle Urjistiiiiiie erwägt, nicht so teuer zu stellen, als man nach aller Wahrscheinlichkeit befürchten mußte: wir hatten nicht mehr als 43 Verwundete.

Der Feind setzte sein schreckliches Feuer gegen die Breschen aus den vielen Stücken, die ihm unversehrt ge- blieben waren, fort und brachte in wenig Stunden andere an die Stelle derer, die die Belagerten unbrauchbar ge- macht hatten. Drei Tage und ebenso viele Nächte be- schäftigte er sich damit, die großen Breschen zu er- weitern und unsere Verteidigungswerke zu zerstören.

Am 19. September rekognoszierten feindliche In- genieure nicht ohne große Gefahr das Terrain und die Wege, durch welche die zu dem Sturm bestimmten Truppen ihre Richtung nehmen sollten. Sie erklärten sämtlich die Breschen für durchaus gangbar, was man nachher aus dem Munde eines feindlichen Bataillonskom- mandanten erfuhr.

Nach dieser von Sachverständigen gefällten Ent- scheidung ward der Angriffspunkt und die Zeit des Sturmes bestimmt Da jedoch der Feind in den auf Mon- juich versuchten Stürmen einige nicht leicht zu ver- gessende politisch- militari sehe Lehren erhalten hatte, so suchte er gegen die Festung etwas klüger und vorsichtiger zu verfahren. Daher erschienen am 18. September, dem 49t

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Vorabend des denkwürdigen Tags von Gerona, einige feindliche Offiziere mit einer weißen Fahne; sie kamen von Monjuich gegen die Batterie, die sieh am Wege vom Fort linker Hand befand. Als sie sahen, daß man sie in der Festung nicht bemerken wollte, machten sie andere Zeichen der Aufforderung und näherten sich etwas mehr. In diesem Augenblick kam ein mündlicher Befehl vom Kommandanten, daß der Parlamentär sich sofort und ohne Verzug zurückziehen sollte. Nichtsdestoweniger ver- langten die Franzosen, gehört zu werden, aber man drohte, zu feuern, wofern sie sich nicht augenblicklich zurückziehen würden. Sie erwiderten, man solle wenigstens ein Papier annehmen, das sie hervorzogen. Aber in demselben Augenblick antworteten das Fort Connetable und der Oironellaturm mit Kanonenkugeln und Granaten, worauf die Parlamentäre nach Monjuich zurückkehrten.

Kaum war der abgewiesene Parlamentär im Graben des Forts angelangt, so erweiterte das feindliche Geschütz die Breschen mehr und mehr und zerstörte zu gleicher Zeit unsere Werke. Die Bomben verwüsteten die zer- trümmerte Stadt, und so befriedigte der Feind nicht allein seinen Verdruß, sondern erleichterte sich auch den be- schlossenen Sturm.

Gegen yt4 Uhr nachmittags am 19. September ließ die Wache auf dem Glockenturm der Kathedrale dem Kommandanten melden, daß einige feindliche Truppen von Monjuich den Berg herunter gegen San Danielo an- rückten; gleich darauf trafen von dem Fort Connetable und dem Kapuziner-Fort ähnliche Meldungen ein; von der Kathedrale ward ferner gemeldet, daß der Feind von Monjuich und San Danielo aus gegen die Breschen im Anzüge sei und viele Sturmgerätschaften mit sich führe.

In demselben Augenblick vernahm man die Sturm- glocke auf der Kathedrale, der Generalmarsch verkündigte in den Straßen die Gefahr und den Angriff, und der Schall der Glocken und Trommeln vermischte sich mit dem Donner eines fürchterlichen Geschütz- und Gewehrfeuers. 492

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Alles dies geschah in einem Augenblick, denn da sich die Feinde schon in der vorhergehenden Nacht in San Danielo und Monjuich versammelt hatten, war kaum ein Zwischen- raum zwischen ihrem Ausrücken und der Ankunft auf den Breschen.

Jeder dieser kühnen und tapferen feindlichen Krieger schien in seinem Herzen geschworen zu haben, daß er zuerst in die Festung eindringen wolle. Während des allgemeinen Angriffs gelang es den Franzosen, mitten durch das furchtbare Feuer der Belagerten hindurch bis an das erste Viereck der zerstörten Kaserne der Deutschen zu gelangen. Die nächsten Verteidiger fielen über sie her, und eben wollten die Tapferci vom Regiment Ul- tonia sie niedermachen, als das feindliche Artilleriefeuer eine große Mauer über sie wegstürzte, die sie mit einem Teil der Unsrigen begrub und ihnen einen Teil der Arbeit

Unsere Verstärkungen langten zur rechten Zeit an, und je tapferer und zweckmäßiger der hartnäckige Feind focht, mit desto größerer Freude sahen wir die Über- reste der angreifenden ersten Division umkehren und die Bresche und den Kampfplatz, die mit Toten und Sterbenden hedeckt waren, verlassen.

Der Angriff wurde indes erneuert. Das Lager, die Breschen und die zerstörte Kaserne der Deutschen blieben einem schrecklichen, hartnäckigen Geschütz- und Gewehr- feuer ausgesetzt. Der grauenvolle Kampf ward immer hitziger, je länger er dauerte. Lange blieb der Ausgang unentschieden, allein der Mut der Besatzung trug end- lich den Sieg davon und die Stürmenden waren genötigt, sich zurückzuziehen.

Das gleiche Glück hatten die Verteidiger der andern Breschen, wenngleich ihr Ruhm nicht so groß war, da sie keine Gelegenheit hatten, so viele Krieger zu über- winden, obwohl die Angriffe besonders auf Santa Lucia sehr nachdrücklich waren.

Unter den vielen Leichen um die Breschen herum 4Q3

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lag noch ein oder der andere Verwundete, und es ging ein kleiner unbewaffneter Trupp hinaus, um sie aufzu- suchen und ihnen die Hilfe, die in solchen Fällen die Menschlichkeit gebietet, zu verschaffen, besonders den Spaniern. Da aber die Feinde, vermutlich durch ein Miß- verständnis der Schildwache, von ihren Brustwehren aus Feuer auf sie gaben, mußten sie sich un verrichteter Sache wieder zurückziehen. Und so verdammten die Belagerer einige ihrer Brüder, von allen verlassen in der größten Trostlosigkeit umzukommen. Aus demselben Grunde blieben auch die Toten unbcgraben. Sonst wird in der- gleichen Fällen ein Waffenstillstand geschlossen, um die Verwundeten wegzuschaffen, da aber alle Verbindung mit dem Feinde während dieser gamen merkwürdigen Be- lagerung abgebrochen war, so mußte die Stimme der Menschlichkeit schweigen.

Dieser schreckliche Sturm kostete uns, ohne die Toten zu rechnen, 113 Verwundete. Die Folgen der Belagerung äußerten ihre Verwüstungen in einem schrecklichen, immer zunehmenden Grade, und während der Hunger die unterste Klasse verzehrte, lastete der Mangel auf den physischen Kräften fast aller Wohlhabenden. Denn wenn schon noch einiger Vorrat an Weizen da war, so fehlte es doch unglücklicherweise an Mitteln, ihn in Mehl zu verwandeln.

Die Angst vor der Einschließung, den Bomben, Gra- naten und Kugeln allerart, die große Abmattung, Mangel, Elend, Entbehrung, Hunger, Krankheit und Tod alles traf in diesem Monat zusammen und förderte das Elend und das Verderben unserer Stadt. Die Hoffnung auf oft versprochene, aber nie erfolgte Hilfe fing endlich an zu erkalten und in einigen Oemütern üble Wirkungen zu erzeugen.

Um diese Zeit sagte man, daß ein reichlicher Trans- port von Lebensmitteln in Bereitschaft und alles so ein- geleitet wäre, daß man an seiner glücklichen Ankunft nicht zweifeln könne. Diese Nachricht ward durch Briefe 4M

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glaubwürdiger Personen bestätigt, und niemand zweifelte an einer Sache, die man für ausgemachte Wahrheit hielt.

So gaben wir uns die größte Mühe, uns zu überreden, daß die Belagerung aufgehoben werden würde. In dieser Absicht stand schon ein furchtbares tieer den feindlichen Waffen gegenüber, das vermöge seiner Übermacht des Sieges gewiß war. Man zählte schon die Oenerale, die Divisionen, man kannte sogar den Angriffsplan und die Signale, die zuvor auf einigen Bergen erscheinen sollten, und andere vorteilhafte Umstände, die stets gute Auf- nahme fanden, weil man sehr geneigt ist, zu glauben, was man wünscht.

So nährte sich unsere gelauschte Hoffnung mit trügerischen Oedanken von Befreiung und Sieg, sogar mitten unter den furchtharsten Leiden. Endlich hörte man eines Morgens Flintenschüsse gegen den Engelsberg, einen militärischen Posten, zu. Eine starke Abteilung machte einen Ausfall, der, wie wir nachher erfuhren, die Ein- bringung des Transports decken sollte.

Jedermann heftete seine Aufmerksamkeit auf das Getümmel und die Bewegungen der Soldaten: man glaubte, ein paar beladene Maultiere sich nähern zu sehen; zwischen ihnen bemerkte man einen feindlichen Ge- fangenen, und diese tröstliche Aussicht verbreitete überall Frohlocken.

Aber die Reihe des Transports wurde unterbrochen, ohne daß man die Ursache wußte, und das verwunderte Volk, das von den hohen Mauem der Stadt herab, den stieren Blick auf den Weg gerichtet, gehofft hatte, dieser Stillstand sei absichtlich, wollte nicht glauben, was es sab, starrte stundenlang und nahm endlich mit Kummer und Verdruß wahr, daß die Hereinbringung des Trans- portes nicht nur aufgehalten, sondern durchaus unmög- lich geworden war. Endlich war er ganz abgeschnitten! Die Beschaffenheit des Terrains begünstigte diese Ope- ration, und ein guter Teil des Tranports diente dem Feinde zur Fortsetzung der Belagerung.

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In allen finsteren oder nebligen Nächten suchte der Feind unsere Außenposten zu überfallen, und es gelang ihm einmal zu unserm großen Schmerz. Bei Tage schickte er Öfters Parlamentäre, aber sie fanden wie gewöhnlich kein Gehör. Man warf unsern Wachen verführerische, einschmeichelnde und mordbrennerische Zettel zu, kurz der Feind versäumte kein Mittel, sich des Platzes zu bemächtigen, der seine kriegsgewohnten und zahlreichen Heerhaufen so sehr ermüdete.

Die verschiedenen Krankheiten und die Waffen brachten eine im Verhältnis zur Volkszahl schreckhafte Menge von Toten zuwege, und die Straße zum Kirchhof war beständig voll von Totengräbern und Totenkarren.

Auch im November leistete Gerona heldenhaften Widerstand. Unter seinen Mauern befand sich ein Heer von 35000 Mann tapferer, disziplinierter und kriegs- tüchtiger Truppen in zwei Divisionen, von denen die eine, 17000 Mann stark, unter dem General Verdier das Belagerungskorps ausmachte und die andere, 18000 Mann stark, unter Oeneral Saint-Cyr die Belagerung deckte. General Saint-Cyr') war indes jetzt nach Paris gerufen worden und hatte das Kommando dem Marschall Auge- reau») übergeben.

Die Ankunft dieses Generals und die Übernahme des Oberbefehls durch ihn ward durch Artilleriesalven verkündigt, und nachdem er einige Tage das Heer ge- mustert hatte, ergriff er mit dem Eifer, der sich gewöhn- lich im Anfang eines neu übernommenen Oberbefehls äußert, feindliche Maßregeln gegen die Festung.

Nächtliche Angriffe folgten schnell aufeinander: einen

') Laurent Graf Gouvion Saint-Cyr, Marschall von Frank- reich, 1764-1830, hatte den Oberbefehl Gber Katalonien, muBtc aber später wegen seines Mißerfolges bei Gerona sein Kommando dem Marschall Augercau abgeben und wurde erst 1812 von Napoleon wieder verwendet

>) Pierre Francois Charles Auge re an, Herzog von Castiglione, französischer Marschall, 1757-lStfi. 496

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vernachlässigten oder schwachen Punkt zu entdecken, das Terrain und die Befestigungswerke zu rekognoszieren, den Widerstand auf die Probe zu stellen, die Besatzung, die nicht abgelöst wurde, mehr und mehr zu ermüden, den Verbrauch der Munition des Platzes, wo kein Ersatz stattfand, zu beschleunigen und die Einwohner zu er- schöpfen — das waren die großen Zwecke jener An- griffe. Doch flößten unsere Krieger, an solche Auftritte gewöhnt, dem Feinde Achtung ein. Sie hielten sich zu allem bereit, waren wachsam und unbeweglich auf ihren Posten, schonten das Pulver und die Munition, woran es zu mangeln begann, und verschwendeten ihre schon geschwächten Kräfte nicht unnützerweise.

Kein Mittel zur Ängstigung der Stadt ward von den Belagerern versäumt oder für überflüssig gehalten. Ver- führerische Schriften, traurige Nachrichten von der po- litischen und militärischen Lage Spaniens, der Macht und den Siegen des Feindes, der Abschaffung der Mißbräuche und Verbesserung der Verfassung, Versprechen voll- kommener Verzeihung, um den Mut der heldenmütigen Verteidiger zu schwächen, andererseits unaufhörliche Be- wegungen des |->irules mit einem gewissen geheimnis- vollen und drohenden Anschein, hielten die Stadt in be- ständiger Spannung und beschäftigten ihre Wachsamkeit ohne Nutzen. Bei der Belagerung selbst zogen die Feinde die Linie der Einschließung so eng, daß es unmöglich war durchzukommen, und wer es wagen wollte, wurde augenblicklich den Schildwachen verraten. Denn an den gangbaren Stellen hatten sie große Leinen mit Glöckchen gezogen, damit die Durchdringenden daran stießen und die Aufmerksamkeit der nächsten Posten erregten. Auch bedienten sie sich mehrerer Hunde. Durch solche Mittel und durch Vervielfältigung der Wachen schlössen sie die Stadt so fest ein, daß man schwerlich ein ähnliches Bei- spiel finden wird.

Die wenigen zum Schlachten bestimmten Esel und Maultiere wurden, da es an Futter fehlte, zwischen der

32 B.M7: Span. PrdWUiMipt. 497

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Mauer von San Francisco de Pucbla und dem Kirchhofe geweidet. Aber auch dieses Hilfsmittels wurden die Be- lagerten durch das Feuer aus der Ebene und aus den Batterien vom Fuße des Montelivi beraubt, und nun litten die zu unserer Nahrung bestimmten Tiere so groflen Hunger, daß sie einander die Mähnen abgefressen hatten, ehe sie zur Schlachtbank geführt wurden. Durch das unaufhörliche Feuern des Feindes ward auch das Be- statten der Toten erschwert, wo nicht verhindert.

Oft suchte der Feind zu unterhandeln, in der Hoff- nung, die Feste werde in so großer Not seine Ratschläge annehmen. Aber er fand nie Gehör, was eine gewisse Unzufriedenheit hervorrief. Dennoch gelang es ihm mehrere Male, zuerst einen kleinen Jungen, dann einen Apotheker aus Selva, der im Fort Connetable an dem herrschenden Fieber starb, und zuletzt einen Mönch mit Papieren herein ziisclunugjrem. Bei einer von diesen Ge- legenheiten verkündete uns der Feind, daß unsere Armee bei Santa Coloma, bei Hostairich und in der Nähe von Labisbal geschlagen worden, daß mit Österreich Frieden geschlossen und unser hoffnungsloser Widerstand ein ruhmloser Untergang sei. Obwohl nun dies alles wahr war, so sah es doch die öffentliche Meinung für Lügen an.

Der Generalkommandant hielt die erwähnten Papiere sehr geheim, dennoch ward ihr Inhalt bekannt und die Wirkung war nicht ganz unmerklich. In einer dieser Schriften bot der Feind einen Waffenstillstand auf einen Monat und baldige Versorgung der Stadt mit Lebens- mitteln an ; käme binnen dieser Frist kein Ersatz, so wollte man über die Kapitulation unterhandeln. Solch einen Vorschlag in so beschränkten Umständen von der Hand zu weisen, dazu gehörte der große Charakter des Generals Alvarcz und der Heldensinn des Volkes und der Soldaten.

Der Feind versprach der Stadt ferner eine vorteil- hafte Kapitulation und fügte schreckliche Drohungen hinzu, wofem sie die Augenblicke des Heils verstreichen 498

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ließe; aber Schmeicheleien überredeten so wenig, als Drohungen schreckten: Gerona war über alles Unglück erhaben.

Der Hunger war jetzt so groß, daß auch die Hilfe- leistungen der vermögenden Einwohner zu Ende gingen. Wer sich mit einem Brote auf der Straße sehen ließ, dem ward es mit Gewalt aus der Hand gerissen ; man mußte Wachen in die Backstuben und Blickerläden stellen und zugleich andere polizeiliche Maßregeln ergreifen. Oft wurden Häuser auf den bloßen Verdacht hin, daß sie Lebensmittel enthielten, durch die Gewalt des Gesetzes geöffnet. Katzen und Ratten wurden für Leckerbissen gehalten und teuer bezahlt. Wenn bisweilen einer oder der andere mit Lebensgefahr oder als Spion durchkam und einige Lebensmittel mitbrachte, so wurden ungeheure Preise dafür bezahlt, und man riß sich darum. Ein Huhn stieg bis auf einige Unzen Gold»), und für ein paar halb- verfaulte Krammetsvögel sah ich einen Duro'u) bezahlen. Ein Krug Branntwein kostete 70 Realen"), ein Krug Wein 40—50.

Bei so großem Elend mußten sich die Gesinnungen ändern. Es gab Zänkereien, und die Meinung, daß der Platz nicht länger widerstehen könne und dürfe, ward schon allgemeiner. Die Verzagten äußerten ihr Verlangen, zu kapitulieren, hüteten sich aber, es öffentlich zu sagen, weil der Befehl, daß jeder ohne Ansehen der Person, der von Kapitulation oder Übergabe spräche, sofort mit dem Tode bestraft werden sollte, erneuert worden war.

Mancher, dessen Geduld durch die furchtbare Wut des Hungers erschöpft war und der ihm nicht länger widerstehen konnte, da es ihm an der zum Dienst nötigen Ausdauer und Standhaftigkeit fehlte, ging zum Feinde über. Und um die Neigung zum Desertieren anzufeuern,

») 1 Onza = Mark nach damaliger Rechnung. ">> Duro-Piaster (4 M.).

■") I Ki-.il imgi-iahr III l'ii-nlliy.

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Brot, Käse, Wein und dergleichen zu. Da diese aber keine Eile hatten, das verführerische Geschenk anzu- nehmen, ließ man es auf dem Felde stehen. Versuchungen dieser Art waren ebenso verführerisch als häufig, und nur der spanische Charakter konnte ihnen widerstehen.

In dieser Zeit erfuhr die Besatzung der Festung eine Verminderung auf eine Art, von der sich vielleicht kein Beispiel in der spanischen Kriegsgeschichte findet. Es gingen nämlich zehn Offiziere am hellen Tage zum Feinde über: zwei davon waren Edelleute und acht aus dem Staube zu der Würde erhoben, die sie jetzt schändeten. Sie wurden von dem Feinde, zu dem sie übergingen, verspottet und verachtet.

Der Feind vermehrte nun und beschleunigte fast ohne Widerstand seine Arbeiten und Anstrengungen gegen den Platz. Die nächtlichen Angritte waren immer gegen den Teil von Merced und San Francisco de Puebla gerichtet und bedrohten die Breschen. Da der Feind durch die desertierten Offiziere erfuhr, daß es uns an Wurf- geschossen, Pulver, Kartätschen und Mannschaft fehlte, so erkühnte er sich in einer Nacht, die Karmeliterstraße zu nehmen, und beschoß von hier aus sehr heftig die Bastion Merced, die Brücke San Francisco, welche die einzige Verbindung zwischen der alten Stadt und dem Marktplatz bildete, sowie die ganze Bastion San Fran- cisco, wodurch er der Besatzung und den Einwohnern großen Schaden tat.

Bald darauf ward die Stadtredoute angegriffen und ohne Verlust genommen. Dies wäre nicht geschehen, hätten wir genug Geschütz und Pulver gehabt.

Da sich die feindliche Linie bis an die Mauern der Stadt erstreckte, so war die Verbindung zwischen ihr und dem Kapuzinerfort und dem Connetablefort gänzlich ab- geschnitten. Abgesehen davon, daß in beiden nicht mehr als 160 Mann, nur zur Hälfte dienstfähige Besatzung, waren, hatten sie nur wenige Kriegs- und gar keine Mund- 500

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bedürfnisse mehr; sogar an Wasser fehlte es ihnen. Uni die Forts auf drei Tage zu versorgen, mußte man der Besatzung der Festung ihre elende Kost schmälern, die in einer Hand voll Weizen, einem Viertelpfund Brot und, einen Tag um den andern, fünf Unzen Esel- oder Maultierfleisch bestand. Zu diesem Behufe beschloß der General einen Ausfall mit der wenigen Mannschaft, die noch imstande war, die Waffen zu führen.

Nachdem alle versammelt waren, rückten sie am hellen Tage durch das Hilfstor aus, in Pistolenschußweite von den feindlichen Redouten entfernt und in diei kleinen Abteilungen. Alle stürzten sich auf den Feind und be- schäftigten ihn so lange, daß die geringe Unterstützung zu den Forts gelangen konnte; doch kostete es uns einige Tote und 28 Verwundete. Aber dieser Verlust kommt nicht in Betracht, weil er kaum den dritten Teil der zu diesem gefährlichen Unternehmen verwendeten Mann- schaft ausmachte. Der Feind verlor wenigstens ebenso- viel, da seine zeitig abgesandte Unterstützung im Freien fechten mußte.

Don Mariano Alvarez, dessen Gesundheit sich schon seit einiger Zeit nicht im besten Zustande befand, ob- wohl er seine schwierigen Pflichten stets ausübte, ver- fiel in ein heftiges Nervenfieber, das ihn schon seit dem 4. des Monats in Gefahr brachte. Es nahm in allen seinen Symptomen dergestalt zu, daß sich am 8. eine leichte und in der folgenden Nacht eine sehr merkbare Geistes- verirrung zeigte, so daß bei dieser Gefahr die ganze Stadt, besonders aber die oberen Behörden in große Bestürzung gerieten. Es wurde daher von der Junta beschlossen, das Kommando einem andern zu übergeben. Dies ge- schah am 9. nachmittags; der General legte sein Kom- mando bei völligem Verstände nieder, ehe die Fieber- hitze wieder zunahm und nachdem ihm vorher bekannt- gemadtt worden war, welche Fürsorge die Junta in bezug auf seine Gesundheit bewiesen hätte. Den Ober- befehl bekam Don Julian de Balibar, Brigadier der könig- 501

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liehen Armeen und Leutnant des Königs in der Festung Gerona.

In der auf diesen Tag (den ').) folgenden Nacht ward Kriegsrat gehalten. Mit diesem trat der Regierungsaus- schuß zusammen, und das Ergebnis war, daß am fol- genden Morgen (den 10.) der Brigadier Don Blas de Furnas, mit den Vollmachten beider Behörden versehen, hinausging, mit dem Feinde zu unterhandeln.

Er ging auf die in der Ebene stehenden Posten zu, ließ Appell schlagen und ward zum Marschall Augcreau geführt. Es waren indes so wichtige Unterhandlungen, Erörterungen und Srhwieri;» kciteii zu erledigen, dail der ganze Tag in der Entwerfung des Kapitulationsplanes zugebracht ward.

Währenddessen kamen viele feindliche Soldaten un- bewaffnet an den Fuß der Mauer; einige brachten Brot, Wein und Käse und boten dies den Unsrigen an, welche Stricke hinabließen und die Lebensmittel heraufzogen. Einige, die zum Feinde übergegangen waren, näherten sich nicht ohne Schamröte und begrößten ihre ehemaligen Kameraden.

In der Nacht vom 10. zum H. entschlossen sich auf das Gerücht hin, daß der Feind am folgenden Morgen die Festung in Besitz nehmen würde viele Landleute und Soldaten, besonders die in der Festung dienenden feindlichen Überläufer, diese auf gut Glück zu verlassen. Einige kamen auch durch, weil sich der Feind auf die Kapitulation verließ, viele aber gerieten in die feindlichen Lager und wurden entweder niedergeschossen oder ge- fangen genommen. Andere wieder, die den Eingebungen ihres Mutes folgten, aber ihre so lange Zeit geschwächten Kräfte nicht erwogen, unterlagen auf dem Wege der un- besonnen erweis: fri-wiifiitn Anstrengung.

Endlich brach der denkwürdige II. Dezember an, und das erste, was man erblickte, war eine große Menge unbrauchbar gemachter Waffen allerart, die in Winkeln, Straßen, Torwegen und auf öffentlichen Plätzen herum- 502

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lagen. Viele wurden in die Ona geworfen, andere ver- brannt.

Am Morgen zwischen 8 und 9 Uhr nahm der Feind der Kapitulation gemäß lä) die Festung in Besitz. Ein Kii\;i]li:ric(iffi/ii.-r LTidiicn mit ciiK'iii starken Knin .i;ando und machte Front gegen das Arenytor, während eine zahlreiche liiiatitcncwache dieses besetzte und sechs Schildwachen dahinstellte, wo die Besatzung nur eine gehabt hatte. Zwei scharf geladene Kanonen mit brennender Lunte wurden auf den Marktplatz gegen das

Tor gestellt und IiIIiIhii d^elbsl tili /um 21. sieben.

Unser Häuflein formierte sich auf einem öffentlichen Platze, marschierte links ab durch das Tor, legte seine Waffen auf dem (.ilaeis nieder, und wir :;i!-L'.en als Kriegs- gefangene vor dem in Schlachtordnung aufgestellten feind- lichen Heere vorüber.

Bei der Überlieferung des Geschützes bemerkte man nicht ohne Erstaunen, daß die meisten Stücke gesprungen waren; an den feindlichen und denen des Forts Monjuich zeigte sich derselbe Umstand.

'S) Kapitulation der Stadt Gerona und zugehörigen Forts, geschlossen am 10. Dezember 1809, abends 7 Uhr. Art. 1, Die Besatzung rückt mit kriegerischen Ehrenzeichen aus und wird als tricgsgeljngen natll i n k rt icli ge- bracht.

Art. 2. Den sämtlichen Einwohnern wird kein Leid zugefügt. Art. 3 Dil- LiibWulmer koüiiLH Uliisestör! die k.iüiulmlie Hi--

ligion ausüben, und diese wird beschützt. Art. 4. Morgen früh "/,9 Uhr werden das Hills- und das

Arenytor sowie die Tore der Forts von den franzö-

Oerona, den 10. Dezember 1309.

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Die erste Verfügung des neuen Gouverneurs war die Entwaffnung der Einwohner und der Befehl, bei Todes- strafe alle Waffen in bestimmter Frist an einen gewissen Ort abzuliefern. Durch einen andern Befehl ward bei derselben Strafe allen sp;misdien Kri es gefangenen be- fohlen, sieh beim Gouverneur zu melden. Die feindlichen Truppen wurden in die Mönchskloster und die Offiziere in die Stadt einquartiert.

Die bürgerlichen Behörden mußten dem König Joseph den Eid der Treue leisten und ein kleines gedrucktes Buch annehmen, das die spanische Konstitution genannt

Bald war die Stadt mit Marketendern und Verkaufern von Lebensmitteln angefüllt. Mehrere Kaffeehäuser wurden errichtet, aber fast alle mit der Aufschrift „Militärisches Cafe". Sie waren alle von schlechten Menschen bedient, und wer nicht Offizier war, wurde geprellt. Die Mönche hatten von ihrer Einquartierung nicht wenig auszustehen. Gleich nach dem Einmarsch bekamen sie in ihren Klöstern Arrest, nachher wurden sie sämtlich in die Kirche des heiligen Franz von Assisi verbannt, vor deren Tür man eine Wache und eine scharf geladene Kanone mit brennen- der Lunte aufstellte.

Der Gouverneur, Don Mariano Alvarez, bekam in den ersten Tagen eine Offiziers wache, die später auf einen Korporal und 4 Mann und 2 Gendarmen herabgesetzt ward; diese befanden sich beständig in seinem Vorzimmer. Obwohl die Bomben sein Zimmer nicht verschont hatten, verlangte doch der General keine andere Wohnung. Wollte der Sekretär des Generals ausgehen, so verwehrte es ihm woh! niemand, aber ein Gendarm folgte ihm auf jedem Schritt. Es durfte niemand zum General kommen, als seine Adjutanten, ein Priester, mein Kollege, ich als Ober- arzt und seine Bedienten. Die Oesundheit des Generals besserte sich, doch blieb ein schleichendes Fieber zu- rück, weshalb wir ihn zu überreden suchten, daß er die Stadt verlassen solle, um sich wegen seiner Gesundheit 504

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von dem Anblick so vieler unangenehmer und trauriger ausstände zu entfernen.

Er bat daher um die Erlaubnis, zur Herstellung seiner Gesundheit in eine Seestadt zu gehen, und erhielt zur Antwort, daß dem französischen General seine Vor- schriften nicht gestatteten, ihm einen andern Aufenthalts- ort zu bewilligen, als auf dem Wege nach Frankreich oder innerhalb dieses Reichs. Der General wünschte, nach Figueras zu gehen, und da er, vermutlich aus po- litischen Gründen, nicht diejenigen um ein Fuhrwerk bitten wollte, die es ihm gern gegeben hätten, forderte er eins von der Regierung und erhielt /ur Antwort, daß man es ihm verschaffen und ihm die Zeit seiner Abreise bestimmen würde. In der Nacht vom 23. zum 24. zwischen 1 und 2 Uhr erhielt er Nachricht, daß dies der zu seiner Abreise bestimmte Zeitpunkt sei. Er ward in der Tat in eine Berline gesetzt und ging zu derselben Stunde mit der Eskorte ab.

Die vielen in den Spitälern befindlichen Kranken wurden mit ßTufk'r Übern Inn;.» in d;is Furt San [Janielo gebracht, und das Fortschaffen und der Mangel an Betten kostete vielen das Leben. Unsere Kranken bekamen zum Lager nichts als eine Handvoll Stroh. Von San Daniclo wurden sie nach und nach nach Frankreich abgeführt.")

I!) Hier ein Auszug des [le!;ri:(<, d:i.; /n^urulcn iter Besatzung und der Einwohner von Gerona erlassen wurde:

Alle Offiziere, welche die Belagerung ausgeholten haben, werden um einen Orad, und alle Gemeine zu Sergeanten be- fördert.

Alle Verteidiger und Einwohner von Gerona und ihre Nachkommen erhalten den persönlichen Adel.

Die Witwen und Waisen derer, die bei der Verteidigung der Stadt umgekommen sind, erhalten vom Staate ein ihren Umständen angemessenes Gnadengchait.

Der bloße Aufenthalt in Gerona während der Belagerung Müll ihr ein Vi-rilimst ^ i- : i l- J 1 1 u r . ii;is /u Ai)-|iii'kliL'ii [it-rfch tiij-t.

Gerona ist, vom Tage des künftigen Friedens an ge- rechnet, zehn Jahre lang frei von allen Abgaben.

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Zu derselben Zeit wird der Anfang ßemacht, die oftent- lichcn Gebäude mit aller l'racht auf Kosten des Staats wieder

Auf dem Marktplatz wird ein Denkmal zur ewigen Er- innerung an die Tapferkeit ihrer Einwohner und die rühmliche VeMciilifiung der Stadt errichtet.

In allen Hauptstädten des Reichs wird sogleich eine In- schrift, welche die heldenmütigsten Taten dieser ruhmreichen Belagerung erzählt, aufgestellt.

Es wird zur Ehre der Verteidiger und als ein Zeugnis der Dankbarkeit der Nation für so ausgezeichnete Dienste eine Denkmünze geschlagen.

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