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Harvard College Library

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FROM THE BEQUEST OF

FRANCIS BROWN HAYES Class of 1839

OF LEXINGTON, MASSACHUSETTS

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Geichichte Stadt Mannheim.

von Profellor Max Oeier

Bibliothekar der Oeffentlicen Bibliothek in Mannheim. · -

„Und das freundlicıe Mannheim, das gleich und heiter gebaut lt,“ Goethe, Bermann und Dorothea.

Neue, bis zur Gegenwart ergänzte Ausgabe.

Mit 92 Kunitbeilagen, Plänen und Textilluitrationen.

in

Mannheim 1908. CR Em Fa Drud und Verlag von 3. Bensheimer. ht Lat cn

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MAY 7 1929 UiBRan\

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ie landfchaftlihen und figuralen Vignetten lind nadı Originalzeicnungen von Wilhelm Oertel (Mitglied des Karlsruher Künitlerbundes) ausgeführt.

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Vorwort zur erfien Ausgabe.

Die Gejhichte der Stadt Mannheim fängt gerade da an, wo bie erite Blüthe der meilten älteren Städte Deutichlands aufhört. Sie ift eine durchaus moderne Gejchichte. Auf modernen Prinzipien wurde die Stadt Mannheim gegründet, und ihre vielverheißenden Privilegien gaben ihr eine Sonbderitellung in- mitten der deutſchen Städtewelt. Mannheim war eine ber erjten Städte in Deutjchland, die eine neuere Entwidelung anbahnten, und auch in der Folge ift Mannheim bei wichtigen Kultur» und Beitereigniffen in den Vordergrund getreten.

Die Kunſt des 18. Jahrhunderts hat hier eine heute wieder neu zu beachtende Blüthe erlebt, und die Wurzeln der Kunſt— jtadt Münden find hier zu juchen. Im 19. Jahrhundert ge: jtaltete fich die Stadt zu der bedeutenditen Handelsſtadt Süd— beutjchlands mit einem der größten Binnenhafen Europas.

Sm gleichen Berlage, wie das vorliegende Buch, ift vor mehr als 25 Jahren das bisher einzig ernſtlich in Betracht gefommene Werk über die Stadtgeihichte Mannheims von dem Landtagsabgeordneten Heinrich von Feder (geboren 1823, ge- jtorben 1887) erjchienen. Durch eine jtarfe Perjönlichkeit wurbe bier jchon viel von bem Charakter der Stadt Manıheim erfaßt.

In neuer, verjüngter Wetje verfucht num das vorliegende Buch die Gejchichte Mannheims unter Zugrundelegung jenes Werkes zu behandeln. Es foll hier weniger eine auf erjchöpfende De— tails aufgebaute Lofalgeichichte geboten werden, al3 eine Dar- jtelung der Entwidelung der Kultur und der geiftigen Werthe, die Mannheim in der Städtegeichichte Deutichlands auszeichnen.

Den verjchiedenen Parteien gegenüber verjucht das Buch, eine völlig objektive Stellung einzunehmen. Es will nur das jeweils Geleiftete ins Auge faſſen und ein Charafterbild der Stadt in den wejentlichjten Zügen geben.

Der illujtrative Teil des Buches konnte nur durch Die

freundliche Unterjtügung von Seiten der Stadtgemeinde jo reich geitaltet werden, obwohl auch von privater Seite werthvoller Bilderſchmuck beigefteuert wurde und der Verlag feine Opfer heute. Es jei deshalb dem verehrlichen Stadtrath und Denen, . die des Weiteren zu der Augjtattung des Buches beitrugen, der verbindlichjte Dank ausgejprochen.

Mannheim, Weihnachten 1903. Max Oeier.

Vorwort zur neuen Musgabe,

Der Verfaffer jpricht für die hier wie auswärts günftige Aufnahme feiner „Geichichte der Stadt Mannheim” den wärnften Dank aus und hofft, das Verjtändniß für die geijtige umd materielle Bedeutung unferer Stadt in weiteren Kreiſen nad) Kräften gefördert zu haben.

Der Verfaffer bemerkt noch, daß er nunmehr nahezu 20 Jahre auf ſtadtgeſchichtlichem und Funftwiffenichaftlichem Gebiete in Mannheim thätig ift, die reiche Quellen zur Stadtgejchichte erichließenden Mannheimer Drude in der Deffentlichen Bibliothef zu einer jelbjtjtändigen Sammlung vereinigen fonnte, und daß fein Werk auch auf eingehender Forſchung und Kenntnißnahme von wichtigen, im Großh. Generallandesarhiv zu Karlsruhe und im Kol. Hausarchiv zu München befindlichen Archivalien beruht, für deren Leberlaffung zu Studien er den genannten Inftituten großen Dank jchuldet.

Bei ber kurz angelegten neuen Ausgabe fonnte der Ver— faffer nur die wichtigjten Verbefferungen ausführen, doch wendete er jeine Arbeit bejonders der Ergänzung der Stadtgefchichte bis zur Gegenwart zu.

Möge da? Buch, das eine lebensvolle Gejtaltung der Stadtgeihichtsichreibung im modernen Sinne verfucht, dem Geijte einer neuen Zeit entgegen kommen.

Weihnachten 1907. Prof, Max Oeler.

Auhalisüberſicht.

Seite

Vorwort und Inhaltsüberſicht i i i . m-xX I. Abtheilung:

Mannheims Entwickelung unter der Troben Botschaft seiner Privilegien bis zur Zerstörung der Stadt durch die Franzosen.

I. Einleitung und Vorgeſchichte . 12

IV. Der = . Eintradt und Die geit n religiöjer Verföhnung unter Kar arl Ludwig ; 24— 40

Karl Lubwig und But e von Degenfeib = beit !a fl J

VI Inhaltsüberſicht.

Seite VI. Mannheim vor der Zerſtörung (1689) und der Wohlſtand der Stadt ſeit Karl Ludwig 49-68

Kurfürft Philipp Wilhelm aus dem Daufe Neuburg Jean Gardel Beitere

Neligionsfreiheit Der Fall Langhans Grunditeinlegung zur National:

firhe Die verfchiedenen Religiondgemeinden Bohlitand Handel, Ge: werbe und Verkehr.

VII Die Zerjtörung Mannheims durch die Franzofen . #4 86

Beginn des Strieges Vorkehrungen zur Abwehr des Feindes Ankunft der Franzofen vor Mannheim Beftechungsverfuche und Berratb Kapitu— lation Das Verbrechen Frranfreihs an einem freien Sulturleben.

I. Abtheilung:

Die Blüthe der Kunst in Mannheim. VIII. Der Wiederaufbau der Stadt . ; ; .. 89-118

Die proviforiihe Berwaltung Mannheims von Heidelberg aus Maßregeln um Schutze und zur Wiederfammlung der Geflüüchteten Erneuerung ber

rivilegien Tod Philipp Wilhelms Kurfürſt Iobann Wilhelm Seine Beitimmungen aum Wiederaufbau der Stadt Der Plan Coehorns Kirch— lihe Streitigfeiten Des Kurfürſten freibeitlihe Religionsdellaration Natbhausbau Hirhenbauten Feier des 100jöhrigen Beitchens der Privi—⸗ legien Kriegsunruhen Beſitznaähme der Rheinfchanze durch die Franzoſen 1718 Der Yicent Waſſersgefahr Zumehmender Wohlftand der Stadt laut a dr Vereinigung der Stadt und Feſtung Kurfürſt

Johann Wilhelm als Förderer der unit.

IX. Mannheim wird Refidenz _.. h 114—121

Kturfürſt Karl Philipp als Statthalter in Tirol Huldiqungsfeier in Mannes

beim Rücktehr Stunitiinn des Fürften Mangel an Gelegenheit, ibn zu

betbätigen Eriter Beiuch des Fürſten in Mannheim und erite Werthſchätzung

der Stabt Der Streit um die HeiligesWeiftsftirche in Heidelberg Das Ers

fennen eines großen Schaffensgebietes in der neu erftehenden Stadt Mann:

beim Entichluß des Fürften, bier zu wirken Erhebung Mannheims zur Surfürftlien Reſidenz.

X. Karl Philipp ' i n . : . . 122-197

Karl Philipps Jugend Glängende Familienbeziehungen Seine Ber:

mählung mit der Prinzeſſin von Radziwill Seine Tapferkeit in den Feld:

zügen gegen die Türfen Seine Tochter Eliſabeth Auguita Die Gräfin von Thurn und Taris Echidjalsichläge Ungebrodenes Wirken.

XI. Die Baufunft unter Karl Philipp . £ . 128—138

Befeftigungswerfe und Stadbtthore Farbige Architettur Stilarten Gebäude Älterer Art Erſtehen der wichigften Bierbauten Vorbereitung der Blütbe der Kunft.

XII. Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handel3 139150

Der neue Herr in Mannheim Anderes Verhältniß des Fürften zum Volke Beeinträchtigung des Sondercdharafters der Stadt durch die Staatöverhält- niſſe Berſuchte Förderung des Handels Gründung der Handelszunft Wechjelgeriht Das Tabatämonopol Don Boncorbo jein Sturz Karl Philipp erflärt Mannheim als freie Handelsftadt Erbauung bes

Kaufhauſes. XIII. Die auswärtige Politik Karl Philipps und das Hof— leben in Mannheim . i N ; i . 151—168

Glängende Defpaltung Vertrag mit Bayern wegen ber —— Fried⸗ rich der Große als Kronprinz in Mannheim Bergen Johann Ghriftian Verlobung des Prinzen Karl Theodor mit der Prinzeſſin Eliſabeth Augufta Karl Philipps Zerwürfniß mit dem Staifer Karl VI. und jein Eintreten für

Inhaltsüberſicht.

Kurfürſt Karl von Bayern Feier der Doppelhochzeit Karl Theodors mit

vIl

Seite

Glifabeth Hugufta ſowie des Herzoge Clemens franz von Bayern mit ber '

Pen ger Maria Anna von Sulzbach Gintreffen der Nachricht von der Wabl bes Kurfürften von Banern zum Sailer Tod bes Kurfürften Karl bilipp und Beifegung feiner Leiche in der Schlohtapelle zu Mannheim.

XIV. Neue Würdigung Karl Theodors

Karl Theodor und Mannheim Strenge —— der Mannheimer von der

Münchener Re —— des Fürſten Mißhelligkeiten in Bayern Vor—

übergehende Rückkehr Karl Theodors nah Mannheim Rückblick auf Kind⸗

beit und Jugend bes Fürſten Erziehung in Mannheim Beſuch ber

Univerſitäten Leyden und Löwen Verhalten zum Militärweſen Karl Theodor als Fürſt des Friedens und der Kunft.

XV. Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim . ;

Ausdehnung des Sclohbaues Aeußere Frfcheinungen Das frühere

Opernhaus Bergleih besfelben mit dem Theaterbau Schwegingen

Werth der Annendeforationen des Schloſſes Die Sclohfapelle Das Veftibul Froimonts Die Gobelins Der Bibliothefbau.

XVI. Die Baufunjt Alefjandro Galli Bibiena’3 und Die Theater-Malerei . : s ; : a ;

Aleſſandro Galli Bibiena Die Erbauung der Jeſultenkirche und des Kauf—

haufes Hoditand der Deforationsmalerei Yorenz u Abel

Schlicht Bau und Ausſtattung des Nationaltheaters

Joſeph und Julius Quaglio Rıdard Wagners Urtheil über den Manns heimer Iheaterbau.

XVII. Malerei und Kupferſtich ; k ;

Einfluß fremder Ktünftler Pellegrini Gebrüder Alam Johann von

Schlichten Guibal Fratrel Yangenböffel Brandt Die Begrün—

dung einer felbitändigen heimiſchen und deutichen Stunft Ferdinand Kobell

Heinrih Sintzenich Die Bolbestbümlichkeit des Kupferſtichs Maler

Müller Seine pfälzer rn feine Verfiindigung bes modernen caliäınus,

XVII. Beter von Berjchaffelt und die Bildhauerei .

Beitrebungen der Bildhauerei in Mannheim Gewinn der Selbitändigfeit

zen der Wrchiteftur Grupellos Denkmal auf dem Baradeplag

eter und Johann Matthäus van den Branden Baui gell Konrad

Lint Beter von Berichaffelt Sein Yeben Seine Bildhauerwerfe

Scin Wirken ald Direktor der furfürftlichen Zeichnungsafadenie Seine

Baumerfe in Mannheim: das ZJeugbaus, das Bregenheim’ihe Haus Peter Lamine.

XIX, Die jocialen Verhältniſſe zu den Zeiten Karl Phi— (ipps und Karl Theodor . j ; 5 R

Beihränkung der Stadtverwaltung Zünfte Bevölferungsverhältniffe Karl Theodors Reformen Socialiftiihe Negungen Urganiiation der Stadtverwaltung Begründung der Bürgervertretung (des Bürgerausſchuſſes) Steuern Gonfellionelle Verhältniſſe Die Iefuiten und die Aufhebung ihres Ordens Slarl Philipp Spielberger Katholiken, Deutjchreformirte,

allonen, Yutheraner, Mennoniten und Juden Faliche Anichuldigung wegen Ritualmordes Die Mliligfactoren Yemle Moijes und die Glausftifrtung Das Hofgeriht in Mannheim Hier abgeurtbeilte Verbrecher Berkehrs—

verhältniffe Feuerlöichweien Verdienite Karl Theodors.

XX, Die furfürjtliche Akademie der Wiſſenſchaften und die Pflege der Meteorologie und Ajtronomıe j

Begründung der Akademie der Wiffenihaften Daniel Schöpflin Andreas

Kamen und die heimatbliche Geſchichte Voltaire und Aleſſandro Gollini

Zacob Hemmer Das Wirken der Meteorologiichen Geſellſchaft Chriſtian

Mayer Die Erbauung der Sternwarte Koger Barry Berbienfte der Pflege der Wiflenichaften in Mannheim.

169— 180

181—206

207 —224

endensborff, .

235—255

256—272

273—327

328. 352

VIII

Inhaltsüberſicht.

XXI, Kasse rl und Heilkunde r i

Berwerthung ber —— für das praktiſche Leben Botanil und Landwi ——n edrich Caſimir Medicus Die „phyſitaliſch⸗vblonomiſche —— Dies Begrünung, der Staatswirthſchaftlichen Oochſchule in beiberg Der botaniihe Garten in Dann 2 * Wallrad edicus Heilkunde und Geſundheitspflege n May Die Hebammen⸗ unb Krantenwärterichulen May's Buch, * 3 ze. in Mannheim Die mediciniſche Praxis Schillers Brief d Dichters hierüber Das Theater“ und das 7——— ollegium“,

XXII. Die furfürftliche deutihe Gejellihaft . ; ;

Der Kampf für die beutfhe Sprache Anton von Slein und feine Schil- derung der beutichen Gejellihaft Werthichägung der Mutterfpradie Einführung ber beutichen a ae; ya Ag das furfürftliche Gpmnafium

Mannheim durch ſtlein von Beaumardais’ „Eugenie“ - beutiher Sprade uber Ban, Streitichrift Meins vrofeſſur ber "Biftenfcaften Klopſtock in Mannheim Grünbung ber beutichen Geſellſchaft Ihr Wirfen ——— Hemmer und ſtlein Herausgabe der Werke der ausländiſchen ſchönen Geiſter Heinſe Geſchichtswerle Perlodiſche Werte Mannheim als Sig deutſcher Wiſſenſchaft und Kunft Schillers Deziehungen ; zur beutichen Geſellſchaft

Anton von Ktleins Arbeiten und Sammlungen.

XXIL Kunſtgewerbe und Kunſtſammlungen . ; ö

Aufihwung des beutigen Kunſtgewerbes und neue Beziehungen besielben zum

18. Jahrhundert Belonders ausgebildete Bethätigungen in Mannheim

Schmiedefunft Wahsbildnerei Die Sammlungen * Mannheim Der

Antiken⸗Saal Die Gemaͤlde⸗Galerie Die Bibliothet Arbeiten auf ver⸗ ichiedenen Gebieten Frankenthaler Porzellan.

XXIV, Die Abreije Karl Theodors und die poli⸗

tiſchen Ereigniſſe

Abreiſe bes ſturfürſten Regierungsjubiläum ER bed Revolutions:

frieges Einnahme der Rheinſchanze buch bie Franz eg Einzug ber

—— in Mannheim Belagerung ber Stadt durch bie Oeſterreicher

ombardement der Stadt Stapitulation Bedrückung der Stadt durch

General von Wurmſer Der angebliche —— Karl Theodors Tod Rüdblid auf das Leben Karl Theodors.

XXV. Eoncert-, Opern- und Kirchenmufif ; ; B

Blüthe der Mufit Das Mannheimer Orcdeiter Die Mannheimer Gomponiftenihule Johann Stamig Franz Zaver Richter Anton ka Ba Ghriftian Gannabih Karl und Anton Stamig Joſeph Toeschi

alletmufit Opernaufführungen Opera seria Opera buffa Jana —— Das deutſche Singſpiel In Mannheim geborene Mufi Dpernfänger und Sängerinnen Italienifhe Kaftraten Deutihe Sänger Anton Raaff Dorothea Wendling Mozart in Mannheim Die Kirhenmufit Abbé« Vogler ald Vorgänger Liſzto

Beziehungen zu Karl Maria von Weber Wielands Roſamunde“.

Seite 353 —870

371—406

407—433

434 —465

466 486

XXVL Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater 486 -525

Teutihe Gomödianten” Die Theaterbireftoren Brunnian, Brenner, Porich, Tiny, Kurz, Sebaftiani Bretterhaus und Theaterbau Berhandlungen mit Leffing Mardand und Senler Liebhabertheater Eröffnung des turfürftlihen Hof⸗ und Nationaltheaterse Wolfgang Heribert von Dalberg Die Ausihüffe Die Aufführung der „Räuber“ am 13. Januar 1782 Schillers erite Anweſenheit in Mannheim und fein Bericht über die Räuber: Aufführung Wirkung der e Aufführung —2—— Beſuch in Manns beim Seine Flucht aus Stuttgart Ankunft annbeim Mißgeichid Scillere Aufenthalt in Oggersheim Vbreife nah Bauerbach Be —— Schillers nah Mannheim 1788 Jffland Schwan Charlotte von Kalb Geldſorgen Schillers Vorleſung bes „Don Carlose“ in Darmſtadt Ernennung zum herzoglichen Rath Ifflande Intriguen „Fiesco“ und „Ktabale und Liebe“ Bedeutung der Schillerzeit in Mannheim.

Inhaltsüberſicht.

III. Abtheilung:

Die revolutionäre Bewegung in Mannheim von der Ermordung Kotzebues bis zu den Jahren 1848 u. 1849

XXVI. Karl Ludwig Sand und Augujt von Koßebue .

Baterlandsliche und FFreiheitsbrang der Jugend Karl Ludwig Sand als

—— in den a gig Eein —— feine ibeale

Gefinnung Seine Schrift zum Wartburgfeft Seine Bitte an Goethe

Auguft von Kopebue als Feind ber beu Burſchenſchaft Kotzebue ala

Zuftipielbichter Als politiiher Schri Sopebues Leben Seine

Ueberfiedelung nad Mannheim Die Ermordung Kotzebues durch Sand Sands Hinrichtung.

XXVIII. Vor Adhtundvierzig .

Reaktion Kaſpar Haufer Die Großberzogin Stephanie Louis

Napoleon in Mannheim Karl Gutzkow 2* A. v. Itzſtein Karl

Mathy und ber Zollverein Die politiiche Bewegung Der Rongeſturm

Gervinus' Abreife an die Schleswig-Holſteiner Wahlen Hoffmann von Fallersleben in Mannheim,

XXIX, Die Jahre 1848 und 1849 ; ; ;

Der Anfang des Jahres 1848 Eindrücke und Folgen ber Februarereigniſſe Die Prehfreiheit Die Volläbewaffnung Die Freicorps und General Sigel Märzerrungenihaften und politifhe Vereine Gapitulation ber Staatsgewalt Nprilereigniffe Der Kriegäzuftand Das Jahr 1849 Mannheim während der Revolution Die Gegenrevolution.

* [

IV. Abtheilung:

Mannheim unter Badens Fürsten und die moderne Entwicklung der Stadt.

XXX. Die Badischen Fürjten vom Uebergange Mannheims an Baden bis zur Gegenwart . .

Napoleon L, und bie Junge Aurfürft Karl Friedrih in Mannheim Die —— wechſelvollen Kriegsereigniffe Der Streit um die Samms lungen Großherzog Karl Prinz Wilhelm (nachmals Kalſer Wilhelm 1.) in Mannheim und ber Rheinübergang 1814 Großherzog ——— Erb⸗ folge in Baden Großherzog Leopold Prinz Friedrich wird Regent Bermählung des Großherzogs Griedrie mit ber Prinzeffin Luife von Sreußen 1856 Einzug in Mannke m Auguft Zamey * Mannheims Der ſerieg 1970/71 Krankenpflege in Mannheim Dr. Billroth Gefallene Delden Einzug ber au Staiferbenftmal und Kriegerbentmal Das Jubiläum der 5Ojährigen Regierung des Großherzogs prieirig, Tod bes Fürften. Großherzog Friedrich II.

XXXI. Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induftrie

Neue Inftitutionen Eröffnung ber Dampficifffahrt 1827, ber ——

1840 Einweihung des Rheinhafens 1840 Die Hafenanlagen Aufſchwung

des Handels und ber Induſtrie Die Behörden Hanbelsinftitute Bereine und öffentliches Leben,

XXXI. Wiffenihaft und Kunft im 19. Jahrhundert s

Neue Sammlungen Karl Schimper Rarl v. Drais, ber Erfinder ber „Draifine” Ingenieur William Farbe Profeffor Heinrich Bürmann und bie Hanbelsafademie Neue Kunftpflege Die Muftt Karl Maria von Weber Hektor Berliog Albert Xorking Wincenz Lachner Muſik⸗Vereine Kammermufit Jean Beder Richard Wagner Die Kapellmeifter Leby, Fiſcher, Weingartner Intendanten Geheufcsaftliche Girfel Litteratur Malerei Runftvereine Kunfthandlungen.

IX

Seite

529 —546

547 557

558—602

605—623

624—642

643 667

X: Anhaltsüberficht.

Seite XXxxul. Die Entftehung der modernen Stadt (Bildhauerei und Baufunft) . ; . 668-- 877

en bes Scillerbenfmald Dalberg- und MlondeStatuen Hönlg

Ludwig & Neue Synagoge. Rheiubräde und Nedarbride Mener

Bahnhof Waſſerthurm un ag eu Se Schulen und Kirchen Bas

rabeplagbrunnen Poſt, Börfe, Planfenumbau Kaufhang Amtéhaué

und sale Der Kr iedrihsplag Bruno Schmig Die Feſt— balle Verbindung ber alten und neuen ſtunſt.

XXXIV. Das Stadtjubiläum . ; j . 6718-93

u bes Jahres ber Berleibung ber —* bi Der 4. Januar

Öffnung der rohen Sartenbaus und internationalen Kunft-Ausitellung

Das fünfzigiäbrige Jubiläumäfer Die Großberzogliden Herrſchaften in

Mannbeint Ueberblid iiber bie Ausftellung Die Gärten Die Kunſt-—

aysftellung und die Hunftballe Litteratur und Theater im Aubiläumsjabr Gedenken Schillers Lichtfefte Schlußwort.

Tegrtbeilagen:

Privilegien vom Jahre 1607 (Faclimile) . j . 14-15 Stadtrechnungen 1683—1688 . . 60- 61

Statiſtiſche Aufzeichnungen über den Bevbikerungsſtand der Stadt Mannheim im Jahre 1792 . 319 - 320

Rejeript des Staatsminifters Graf von Bieregg zur Begrün. dung der Meteorologijchen. Klaſſe der ——— Akademie in Mannheim . 339 —340

Brief von Franz Anton May über bie Rranfenpflege . 363— 366 Abdruck des Theaterzettels der erſten „Räuber-Aufführung“ 509-510

u

Einige Berichfigungen.

Seite 176 Zeile 10 von unten lies VI ftatt IV.

32 7 fehlen hinter dem Worte „Todrter” die Worte „Des Sohnes“, » %0 10 vom ımten lies 16. Februar ftatt 16. Diärz. „AM 5 1 von unten lies Kaſtor ftatt Kaſter.

48 12 von oben lies 1719- ftatt 1819.

„AA 414 von unten lies Darmitadt ftatt Wien. 50 9 von unten lied Schatten ftatt Gatten. „548 16 von oben lies November ftatt October,

Verzeichniß der Kunſtbeilagen

und

beſonderen hiſtoriſchen Blätter.

Das Schillerdenkmal in Mannheim von Karl Ludwig Cauer Bee Kurfürſt Friedrich der IV., Portrait —— * 8/9 Belagerung von Mannheim durd Tilly 1622 2021 Raugräfin Luiſe von Degenfeld. Portrait 24/25 Die fliegende Nheinbrüde und Anficht von Mannheim 1669 32/33 Der „Tenipel der Eintracht* vor feiner Zerſtörung 1689 40/41 Plan der Stadt Vlannheim nach van Deyl 1663 . 48/49 Plan Mannheims aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts . 56/57 Kurfürjt Karl Philipp. Nach dem Gemälde von van

Schlichten. 128/129 Plan und Anfiht von Mannheim um 1780 . i i 136/137 Flucht des Kronprinzen Friedrich von Preußen auf der Reife

nach Mannheim. Nach der Zeichnung von Adolph Menzel 152/153 Das ehemalig. kurpfälzitche und jet Großhetzogliche Schloß

zu Dannheim j 206/207 Die Jeſuitenkirche in Mannheim, von Aleſſ. G. Bibiena 208/209 Drei Kupferſtiche von Sintzenich. Nach den Original⸗

blättern 240/241 Kurfürft Karl Theodor einer von Peter

von Verichaffelt . i i 256/257 Die Einnahme Mannheims durd bie Deſterreicher 1799 306/307 Anſicht von Mannheim mit der NRheinihanze Mitte des 18.

Sahrhunderts 320/321 Die Sternwarte in Mannheim, Nach einer von

Ernft Sirchner . ; . 344/345 Der große Bücherfaal der „Deffentlichen Bibliothek“ im

Schloſſe zu Mannheim 424/425 Das Scillerdentmal auf dem Schillerpiatz dem Nationals

theater in Mannheim R . 520/521

Sand wird dad Todesurtheil verfündigt

544/545

Xu

Königin Carola von Sachſen. Nah dem Gemälde von

Louis Coblig . } 652,553 Mannheim Mitte des 19. Jahrhunderts 568/569 Die Concordienkirche in Mannheim 576/577 Das Mühlau-Schlößhen . 588/589 Der Brand von Ludwigshafen 1849 592/593 Großherzog Karl Friedrich von Baden 604/605 Großherzog Leopold von Baden . 608/609 Die Rheinbrüde und die Nedarbrüde i 612/618 Vermwundete deutihe und franzöfiiche Soidaten 1870 in

Mannheim 5 i } ; ; 616/617 Großherzogin Luife von Baden. 620/621 Großherzog Friedrih von Baden. Nah dem Gemälde von

Dtto Propheter . j 5 ; . 622/623 Hauptbahnhof und Ningitraße 624/645 Anfiht der Stadt Mannheim aus der Bogelbereie 628/629 Der Rheinhaien : ; 632/633 Heidelberger Etraße mit Waſſerthurm 634/635 Oberbürgermeiſter Beck. Nach dem Gemälde von Ernſi Noeiher 640/641 Paradeplag mit Kaufhaus und Planken ; 3 642/643 Richard Wayner. Nach der Marmorbüfte von Johannes Hoffart 656/657 Nheinlandichaft bei Manuheim. einem Gemälde von

Wilhelm Frey 660/661 Straße nadı der Zefuitenticche in Mannheim. Nach einem

Gemälde von PBnilıpp Stlein 664/665 Anfelm Feuerbachs Gemälde „Medea mit bem Dolce” in der

Städtiihen Gemälderammiung zu Manuheim 666/667 Die Börje und großer Börſenſaal, erbaut von Köhler &

Kaich 670/671 Der Bernhardushof, erbaut ı von Nubdolf Tilleſſen 672,673 Die Feithalle und der Friedrihsplag, erbaut und entworjen

von Bruno Schwnig . i j nad Seite 676

wie 29 Tertilluitrationen und 7 fünftterifche Vignetten.

Bu -

I. Abtheilung:

Mannheims Entwicklung unter derfrohen Botschaft seiner Privilegien bis zur Zer- störung der Stadt durch die Franzosen.

—e ——

Freyheiten und Begnadigungen

1 e Velche der Durchleuchtigſt HochgeborneFuͤrſt vnd Herr / Herꝛ Friderich Pfaltzgraff ben Rhein/ deß H. Roͤmiſchen

Reichs Ertztruchſeß vnd Churfuͤrſt / Hertzog in Bayın/ıc. Den jenigen / welche ſich in Ihrer Churf. Gnaden newen Stadt vnd —— Manheim Haͤuß⸗ lech niderzulaſſen gemegmtrareordirs und iget.

2 Sngugun Pfaltz deroſelbigen Dorff

I

? zu einer Stadt zuerbawen / diefelbige mit Wähllen und Waſſergraͤben zubevefligen / auch mit Privile- gien vnd Freyheiten alfo zubegnadigen in willens/ wie bey an⸗ dern dergleichen Städten herkommen / vnd dann alibereit/fo viel die Beveſtigung der Stadt belanget / ein ſolcher Anfang ge⸗ macht / das verhoffentlich cher als inn Jahrsfriſt dieſelbe allerdings mit dem Wahll ſoll vmbgeben vnd verfertigt werden: So find diſes vngefehrlich Die Pun⸗ cten / in welchen Ihre Churfuͤr ſtliche Gn. den Inwohnern zu bemeivtem MA N⸗

HEAMʒn willfahren geneigt.

I. Sollen alle Vnterthanen diß Orts / allerFrohn gegen Churfuͤrſtli 4 erlaſſen vnd befreyet ſeyn. * ..

IL.

Diejenige/fozubemeldtem MAN.HEIM bawen/ vnd ſich haͤußlich niderſetzen wollen / ſollen zu jhrem ein⸗ vnd zuzug / ſampt allen dem jenigen fo jhnen zuſtendig / an Churfürftlicher Pfaltz Zoͤllen / beydes in der Obern vnd Vn⸗ dern Pfaltz / zu Waſſer vnd Landt / frey vnd vnbeſchwert gelaſſen werden. Auch da ſie ſich wider von dannen zu begeben vorhabens / ſolches jnen vngewehrt / vnnd fie Churfuͤrſtlicher Pfalg innerhalb OREISSIG Jahren nichts vor

eym 11

Abzug zugeben ſchuldig fi

Wein diefe Stade MANHEIM wegen der daſelbſt zuſammenflieſſen⸗ den vornemen Schiffreichen Waſſerſtroͤme / IR def nn

zum Kauff handel fehe wol gelegen / als wollen jhre Thurfücftt. Gn. ſich m den

Kauffleuten / fo ſich dahin begeben werden / der Marckſchiff halben / fonacher Wornmbs / Oppenheim / Meintz / Speyer / Heydelberg / andere Ort den Rhein vnd Necker vff⸗ vnd ab gehen werden / wie es die Notturfft vnd gemeiner Nutzen erfordern wirdt / alſo vergleichen / auch Hilff vnd Befoͤrderung darzu erweiſen / daß jhre Kauffmanſchafft dardurch * ein Anſehenlichs befördert werden.

Soll ein jeder Außländifcher/fo diß Orts bawen wil ZWANTZIS

a8 aller Schagungfrepfeyn. Daaber Ingeſeſſene / welche allbereit Ihrer hurfürfttichen On. Vnterthanen / vnd derwegenjrer Güter halben Schagbar feynd/fihgn MANHIEFM begeben/ond allda bawen follen derfelben Hau: fer und Baͤw / ſo fiedafelbften vffrichten werdenauhZWANTZ FG Fahıs (ang der Schagung befreyer ſeyn: Aber mit ihren andern Gütern / fo fiefonften n der Pfalgligen haben/ ſoll es in dem Standt gelaflen werden / wie fie jetzundet

eyndt.

V. Der Annemmung vnd Beſtellung dep Raths / Jahr vnd Wochenmarckt wegen / wollen Ihre Gn. ſich mit jhnen alſo vergleichen / daß ſie dar⸗ mit auch wol ſollen zu frieden ſeyn.

Die ledige Plaͤtz / ſo zuverbawen ſeyndt / ſeyndt allbereit allerding abge⸗ zeichnet vnd abgeſteckt / vnd ſollen denen / ſo zu bawen luſt haben / vergebens eyn⸗ geraumbt / Auch den jenigen / ſo ſich am erſten angeben vnnd eynlaſſen moͤchten / die Wahl gegeben werden. Allein ſollen ſie von einer jeden Ruthen Landts in recognitionem vier pfenning Jäbrlichs zu Dodenzinserlegen,

I.

Damisdjejenige/fodiß Orts bawen werden/defto mehr Vortheil und Ber: legenheie darzu haben/als wollen Ihre Churfürftlichen Gn.jhnen fo viel Stein- grubenim Neckerthal / welche diefem Ort am nechften gelegsn/ vergebens eyn⸗ reumen / das ſie ſo viel Maur⸗vnd Quaterſtein / wie auch Werckſtuͤck / zu Thuͤren / Fenſtern / Bronnen vnd anderer Notturfft / als fie bedoͤrffen werden / daſelbſten

vergebens vberkommen / doch vff jhren Koſten brechen / hawen / vnnd zu Waſſer hinab führen laſſen.

VIII. Was dann Gebackenſtein vnd Ziegelſtein anlanget / weil Ihre n die⸗

Gn. dieſelbe allbereit in loco brennen Laffen/ond mit denen ein folcher anflaft ge macht daß diefelben in grofler Anzahl / vnnd Jaͤhrlichs auff zehenmal hundert taufendt Stein wolfönnen zu wegen bracht werden / als folleu einem jedern der bawen wird/diefelbe auch in einem billichen ondfeidlichen Tas fäufflich gegeben werden. Solten ſie aber lieberwollen/Stein’ Ziegel und Kalck auff jhren eig. nen Vnkoſten brennen laſſen / darzu fie dann diß Orts gute Gelegenheit haben / als ſoll jhnen eine beſondere Ziegelſchewer / Brenndfen vnd was mehr darzu von Neches umie ——— verſtattet werden.

Mit dem Wein vnd Bier Vngeldt / ſo biß dahero Ihrer Churfuͤrſtl. Gn. diß Oris allein zuſtaͤndig geweſt / ſollen fie vil geringer als in den Benachtbarten Reichoſtaͤdten / vnd alſo der Stadt —— gehalten werden.

Was aber ein jeder zu ſeinem Haußgebrauch an Wein, Bier’ Korn / oder Meel von ſich zu Keller vnd Speicher legenwirdt / darvon ſoll er nichts geben / ſondern deßwegen ſeyn.

Dieweiln auch biß anhero von Frembden vnnd Außlaͤndiſchen / die Wol vnnd Leder / inn groſſer Anzahl auß der Pfaltz gefuͤhrt worden / Als wollen Ihre Churfuͤrſtl. Gn ſolches Außfuͤhren hinfuͤro vnd auff den Fall nicht meh: geſtat⸗ ten / ſondern Fuͤrſehung thun / daß denjenigen ſo ſiezu MAN bereiten vnnd verarbeiten wollen / gleich andern deroſelben Vnterthanen der Vorkauff geſtattet vnd vorbehalten werden

Damit auch jhr Gewerb mit dem Tuchhandel deſto mehr befuͤrdert werde / Als wollen Ihre Churfuͤrſtl. Gn. Walckmuͤhlen diß Orts / oder aber in der nehe / zur Notturfft zu richten vnd auffbawen laſſen / auff daß ſie jhre Tuch walckhen vnd zubereiten laſſen moͤgen. er

Die Religion belangendt / wollen Ihre Churfürftt. Gn. ſie bey der Chriſt lichen/ond inn Gottes Wort gegründten Religion/ darzu fich Diefelbe/wic bes wuſt / durch Gottes Genad / beſtaͤndiglich befennet / [chügen onnd handthaben: weniger auch nicht / daß ſie von dero Erben vnnd Nachkommen / dabey gelaſſen werden ſollen / alle muͤglich Fuͤrſehung thun: Auch ſie nicht allein mit tauglichen vud geſchickten Pfarrvnd Schul Dienern nach

ten

en / ſondern jhnen hiemit / daß fie jederzeit zween oder drey / vermog Ihrer

urfuͤrſtlichen Gn. Ordnung qualificirte Knaben / auß De DBurgerfchafft erwehlen vnnd darſtellen moͤgen / bewilligen / welche Ihre Churfürftl. En off dero Koſten zum ſtudiren folang zu Heydelberg beneben andern Alumnis vn⸗ serhalten wollen / biß fie zu dem Minifterio oder Schuldienſt tauglich ſeyn. Sm fall aber fie darnach diefelben auch inn frembde Landt ſchicken und feriner et⸗ was in Spraachen oder fonften erfahren laſſen wolten / ſoll jhnen folchesanch zu ihn bevor ſtehen und vnverwehrt ſeyn.

Sonſten iſt meht bemeldier DH MANHEFDI wegen der allda zuſam⸗ menflieſſenden vornemmen Schiffreichen Waſſern deß Rheins vnd Neckers / wie obgemeldt ſehr wol gelegen / Vnd hat man von dannen biß zur Churfuͤrſt⸗ lichen Hauptſtadt Heydelberg den Necker hinauff zwo kleine Meil.

Den Ryein hinab biß gen Franckenthal ein Meil. Biß gen Wormbs drey Meil.

Biß gen Oppenheim ſieben Meil.

Biß gen Meinszehen Meil.

Biß gen Franckfurt ein gute Tagreiß zu Lande.

Den Rhein hinauff aber / Biß gen Speyerdrey Meil.

DBißgen Straßburg viertzehen Meil.

Alſo daß man mit Wein / Getraydt / Wollen und dergleichen Handthierun⸗ gen zu treiben / ſehr gute Gelegenheit hat. So iſt an Bawholtz vnd Steinen / wie obgemeldt / auch andern Materialien/fo zum Bawen vonnoͤthen / fein Mangel/ Vnd kan ſolches alles gantz fuͤglich / vnd leichtlich herbey geſchafft / vnd einem je⸗ den zu Waſſer gleichſam fuͤr die Thuͤr gefuͤhrt werden / Wie dann auch die a Landtſtraſſen nicht ober ein Meilwegs darvonge- egen

Vff den Fallfichdanndie Anzahlder Burger und Inwohner diß Orts mehren onnd zunemmen wuͤrdt /wollen Ihre Churfürftliche Gnaden / was hierinnen nicht geſetzt / und noch weiter zu tractiren ſeyn möchte/fich gegen Ddenfelbigen auch in Gnaden erweifen. Signatum Heydelberg unter Ihrer Churfuͤrſtlichen Gnaden Secrei, den 24. Tag Januaxii. ı 6 0 7.

Getreues Facsimile des 1608 in Mannheim hergeſtellten Nachdrucks.

[7 Ve

Das Schiller-Denkmal in Mannheim von Karl £udwiga Cauer.

L

Einleitung und Vorgeſchichte.

Mannheim als Rheinſtadt Sagen über ihr Alter Das Dorf Mann— heim Beſitzwechſel Zollerhebung Schiedsgericht Die Burgen Rheinhauſen und Eichelsheim.)

Mo konnten ſich von altersher Männer beſſer heimiſch fühlen als da, wo große elementare Gewalten ihre Kraft und Schönheit entfalten, wo ſich mit der Stärke der Natur, ſie zwingend, menſchliche Macht zu verbinden vermag.

Und als Stätte einer ſolchen miteinander verbundenen Machtentfaltung erſcheint uns heute die Stadt Mannheim.

Der Riejenjtrom des Nheines durchraufcht hier wie ein ftolzer Beherrſcher eines großen, fruchtbaren Gebietes die breite, nur in blauer Ferne von Bergen umjäumte Ebene und nimmt hier den Nedar mit jeinen aus dem Herzen lieblicher, deutjcher Lande quellenden Fluthen auf.

Eine großartige Wafjerwelt entwidelt ſich hier um das zwiichen Rhein und Nedar wie ein Delta gelegene Land, auf dem die Stadt Mannheim erjtanden: ift.

Defer, Geſchichte der Stadt Mannheim. 1

2 Einleitung und Vorgeſchichte.

Dieje Waflerwelt ſich zu eigen zu machen, bier ihren Schub zu genießen, ihre Kraft ftärkend zu empfinden umd fie in den Dienſt der Menjchen zu ftellen, hatte denn auch immer etwas Neizvolles, Berlodendes, ſodaß ſchon in ben früheften Zeiten Anfiedelungen an diejer Stelle unternommen wurben.

Einer fragwürdigen Annahme nah ſoll Mannheim bereits 2042 vor Ehrifti Geburt von Mannus, dem Sohne des „Stamm- vater aller Deutſchen“ Zuifto, als eine große Stadt erbaut worden fein und von ihm den Namen tragen. Ihre gänzliche Zerftörung jollen hiernach ſpäter die Hunnen bewirkt haben.

Dat die Römer an diejer Stätte nicht achtlos vor— übergingen, daß fie ſich Hier niederließen und hier zur Zeit Balentinians im Jahre 364 n. Chr. ein Kaftell errichteten, ſcheint dagegen weniger fraglich zu jein.

Durd das Schloß Eichelsheim (auch Eicholzheim oder Eichelberg genannt), das wahricheinlih an der Stelle des Römerkaſtells errichtet worden tft, und durch die Burg Rhein- hauſen blieben hier auch im Mittelalter befejtigte Orte, in deren unmittelbarer Nähe das Dorf Mannheim mit dem Dorfe Dorn» heim lag.

Bon dem blühenden Wohljtande diejes Dorfes Mannheim legen eine Reihe von Urkunden (aus Pipins Zeiten) Zeugnif ab, deren erfte vom Jahre 765 n. Chr. ſtammt. Hiernach war das Dorf Mannheim reich an Wein: und Objtgärten, Wiejen, Feldern, Wäldern und Weiden, und es entfalteten Freie, Frei— gelafjene und Knechte ein reges Leben und fruchtbringende Arbeit.

Diefer Befigitand fiel laut diejer Urkunden als Opfer: ipende für die Erlöjung armer Seelen an das 764 vom Grafen Cancor im Oberrheingau gegründete Kloſter Lorſch. Als erfter diejer Opferjpender wird ein gewiljer Trudbert genannt. Das Dorf Mannheim wird in diejen Urkunden als „Billa Mann: heim“ bezeichnet.

In innige Beziehung zu den Grafen der Pfalz gelangte das Dorf Mannheim unter Conrad von Hobenftaufen, dem Stiefbruder Kaifer Friedrichs L, im 12. Jahrhundert. Mit ihm

Einleitung und Vorgeſchichte. 3

begannen die Pfalzgrafen eine neue Herrſchaft über das Kloſter auszuüben, ſeinen Reichthum nutzend und ihm manche Domäne entreißend zum größten Leidweſen der Mönche und Aebte, die ihre erbitterten Klagen über die „ihnen aufgebundenen Geiſeln“ in ihre Chroniken ausſtrömten.

Nur die Nachgiebigkeit der Biſchöſe von Worms verhinderte es, daß die Pfalzgrafen nicht gelegentlich den Beſitzſtand ganz an ſich riſſen.

Das Jahr 1287 bringt eine weitere, allerdings nur vorüber— gehende Beligveränderung mit ſich. Vom Pfalzgrafen Ludwig dem Strengen wird die Burg Rheinhaufen nebjt den Dörfern Mannheim und Dornheim der Braut feines Sohnes, Elijabeth von Lothringen, als Morgengabe geichenft. Doch da der junge Pfalzgraf in einem Turnier zu Nürnberg im Jahre 1290 den Tod fand, fiel die Gabe wieder an den Pfalzgrafen Ludwig zurüd.

Das Dorf Mannheim gewann immer mehr das Gepräge eines anjehnlichen Ortes, was aud) aus einem Vertrage des Pfalzgrafen Ruprecht d. Yeltern und der Stadt Worms vom Jahre 1356 hervorgeht, in dem u. U. beſtimmt wird, daß alle ihre Zwilte und Berhandlungen durch vier jtändige Schied3- richter entjchieden werden jollen, die jedesmal acht Tage nad) Aufforderung in Mannheim „einzureiten“ haben, um da zu richten „mit Minne und Necht ohne Gefährde“.

Mannheim bildete bereits nach Urkunden des 14. Jahr- hunderts einen wichtigen Play für Einziehung von Zöllen auf alle Hauptjächlic durch Schifffahrt hier verfehrenden Waaren. So wurden „Tornoſſe“ an Rhein» und Nedarzoll vergeben. Kaijer Karl IV. verlieh 3. B. dem Pfalzgrafen Rudolf II. nach einer Urkunde vom Jahre 1349 „zwey große Tornofje“ auf den Zoll zu Mannheim über die „drey Tornoffe, die er ignot dajelbes hat von unjern und des Reichs wegen haben joll von jeglihem Fuder Wein und von aller Kaufmannſchaft nad) Markzal”,

4 Einleitung und Vorgeichichte.

Eine jolche Stätte wejentlicher Einnahmen umd Ausgaben mußte ganz von jelbjt die Aufmerkfjamfeit der damaligen Füriten auf fich lenken und konnte aud dem Volke nicht gleichgültig bleiben.

Im Jahre 1367 wird ein pfalzgräfliher Zollichreiber Namens Friderich von Neujtadt erwähnt, und im 15. Jahr: hundert war in Mannheim bereits ein größeres Zollamt ein- gerichtet.

Diejer „liebe und getreve“ BZollichreiber erhielt auch im genannten Jahre vom BPfalzgrafen Ruprecht I. eine mit 22. Januar datirte „Quitantia“ (Uuittung) über abgelegte Rech— nungen der Einnahmen von den Nedarzöllen und Umgeldern (einer Art indirecten Steuern) aus Mannheim, Nedarau, dem Dofe Aheinhaujen und der Mühle zu Feudenheim, jowie itber einbezogene Strafgelder für „Frefelen“ (Vergehen), jo zu Nedaran vorgefallen.

Früher (noch im 13. Jahrhundert) wurde der Zoll nur in der Burg Eichelsheim, dann aber aud im Dorfe Mann» heim erhoben. Dies richtete ſich nach dem Laufe des Nedars, der früher jedenfalls bei der Burg Eichelsheim mündete, während der Rhein jeinen jegigen Lauf ſchon zur Römerzeit eingejchlagen hatte und nur noc das Flußbett jeiner Nebenarme änderte,*)

Der genannte Zollichreiber war auch einer der jog. Rhein— mänmer, der 12 Nichter des Fiſchereigerichts, einer für das da— malige Mannheim höchit characteriftischen Einrichtung. Diejes Sondergericht beweiit das Vorherrichen der Fiſcherei im Orte

*) Menn an Stelle der Burg Eichelsheim thatfächlich ein römiſches Kaſtell geitanden hat, jo iſt auch anzunehmen, daß bier der Haupt» arm des Mheines vorüberfloß und bier der Nedar mündete. Valen— tinians Lobredner Aurelius Symmachus ſpricht von einer neuen Feſtung am Zufammenfluß zweier Ströme (des Nheins und Nedars) und jchildert jie ihrer Anlage nad) ähnlich der Burg Eichelsheim. Hier dürfte ſich auch die von Symmachus erwähnte, nächtlicher Weile bewirkte Ueberſetzung einer dem Hauptheer vorausgeiendeten Römer-Abtheilung über den Rhein voll» zogen haben, die den Nedar aufwärts nad dem Odenwald vorzudringen ſuchte

Einleitung und Vorgeſchichte. 5

Mannheim, der ja auch als Fiſcherdorf das Angelzeichen jeiner Gemeindemarfe einverleibte. Der Dberfte der Gemeinde, der Schultheiß, erhielt jein Amt vom Pfalzgrafen verliehen und mußte nah einem Zinsbuch von 1369 feinem hohen Herrn dafür „15 phunt Heller“ jährlich bezahlen.

Doch dem Dorfe Mannheim gaben vor allem auch die Burgen und Schlöffer Rheinhauſen und Eichelsheim einen be- jonderen Charafter.

Die in ringförmiger Gejtalt gebaute Burg Rheinhaujen, an der Straße nad) Nedarau zu gelegen, wurde in dem Thei- lungsvertrag von Pavia 1329 aufgeführt und mit Mannheim den Brudersjöhnen des Kaiſers Ludwig IV. zugeiprochen; doch jo diefe Burg Schon Ende des 14. Jahrhunderts in verfallenem Buftande gewejen jein, obwohl fie noch auf weit jpäter gezeich- neten Karten zu finden ift.

Zu Anderem, gejchichtlih Wejentlicherem, war dagegen noh Burg und Schloß Eichelsheim auserjehen. Hier wurde der vom Concil zu Konſtanz abgejette Papſt Johann XXILL (Balthajar Roſſa) vom Kurfürjten Ludwig III. drei Jahre ge- fangen gehalten (1415—18) und dann gegen ein Löjegeld von 30000 Goldgulden freigegeben.

Im Jahre 1616 hatte der Erzbiichof Johann von Mainz den Schloßhauptmann dafür gewonnen, den Papſt entfliehen zu lajien, allein der Pfalzgraf erfuhr von der geplanten Flucht und ließ den bejtochenen Schloßhauptmann im Rhein ertränfen. Der Papſt konnte fi, da er der deutſchen Sprade nicht mächtig war, jeinen Wächtern gegenüber nur durch Zeichen ver: jtändlih machen. In jjeiner Einjamfeit verwandelte er jeine Klagen über das Leid der Welt in Berje, die er in lateinischer Sprache niederjchrieb und von denen nod) einige befannt jind,*)

*) Eines Diejer Gedichte ſei bier in freier Ueberſetzung wiederge- geben. Es findet ſich in Finiterwald, „Vom g. pfälziihen Hauſe“ (1746) und heißt etwa zu deutich:

„Der ic einmal der Höchſte war, glücklich und hohen Titels, traurig und niedergebeugt beflage ich jegt mein Loos. Sturz vorher mod

6 Einleitung und Vorgeſchichte.

In denjelben Schloßraum, in dem Wartthurm Gäuchelingen, in dem jener Papſt die Zeit jeiner Gefangenjchaft verbrachte, jebte 47 Jahre jpäter der Kurfürjt Friedrid der Siegreiche nad) der Schlacht bei Sedenheim im Jahre 1462 den Bilchof Georg von Meb gefangen.

Nah dem befeftigten Schloß Eichelsheim wurde Mann: heim „die Veſte uf dem Rhyne“ ſchon im 14. Jahrhundert genannt. In diefem Scloffe hielten die Pfalzgrafen und Kur— fürjten, vor allem Friedrich der Siegreiche, zuweilen Hof, von bier aus auch Jagd und Schifffahrt unternehmend.

In einer 1368 in Heidelberg von ben Pfalzgrafen Ruprecht dem Velteren und Ruprecht dem Jüngeren ausgejtellten Urkunde find auch das Schloß Eichelsheim und Mannheim als dauernd der Pfalz verbleibend aufgeführt.

1369 wurde vom Bfalzgrafen Rupredt I. zum Vicar der

St. Jacob3fapelle der Burg Eichelsheim unter Errichtung einer

neuen Pfründe der Priefter Heinrich Dudewilre vorgeichlagen.

. Als Inhaber von Kaplaneipfründen werden 1462 Werner Lebfuch und 1506 Johann Meier bezeichnet.

Unter den hier niedergelegten Urkunden befanden fich 3. B. aud) jolche über das Bündniß Friedrichs des Siegreichen, betreffend die Lichtenberger Fehde vom Jahre 1451 und über den Frieden desjelben mit Herzog Ludwig dem Schwarzen von Zweibrüden vom Jahre 1460.

Später im Jahre 1684 jollte hier gelegentlich einer jo- genannten Quftbelagerung des zu dieſer Zeit ſchon Halb ver- fallenen und zerjtörten Schloffes der Kurfürft Karl von einem verhängnißvollen Schidjal betroffen werden.

war ich in hoher Würde und alles Volk küßte dehmüthig meine Füße, jegt aber bin id in der Strafen tiefiten Abgrund Hinabgeichleubert, und jeder: mann jcheut davor zurüd, mein vergrämtes Antlig zu ſehen. Aus allen Landen fpendete man mir freiwillig Gold, aber mir Hilft jegt weder Ver: mögen, noch befiße ich irgend welchen Freund. So wandelnd Glüd in Unglüd, gibt mid) das Schickſal preis und treibt grauſam jein Spiel mit einem Titel, der leicht feinen Träger wechſelte.“

Einleitung und Vorgeſchichte. 7

Die Burg Eichel3heim, ein quadratiih angelegter, ge— drungener, jtarfer Bau mit vier runden Edthürmen und ftern- förmig errichteten Feſtungsmauern lag wie auf einer Inſel (an Stelle des jpäteren Rennershofes) und bildete von den Wellen des Rheines umrauſcht eine jeltene, eigenartige Stätte der Romantif in der weiten Ebene bed großen bdeutjchen Stromes.

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Il.

Die Gründung der Stadt und Seftung Mannheim-Sriedrichsburg.

Mannheim als Feſtung KHurfürft Friedrich IV. Widerjtand der Dorfbewohner Vertrag Gründungsfeier Art der Erbauung Die Privilegien und ihre frohe Botichaft.

ID. die Burg Eichelsheim und jedenfalls auch ein römtjches Kajtell hier am diejer Stelle erjtehen lieg: Die Er- fenntniß der Bortrefflichkeit des Plates zum Zweck der Ver— theidigung in Kriegszeiten das mußte jchlieglich auch zu einer jtrategifchen Ausnußung diejes Gebiets in größerem Stile Anlaß geben.

Kurfürjt Friedrich IV. war es, der den Gedanken fahte, hier eine größere Feſtung zu erbauen. Seine Rejidenz Heidelberg ihien ihm bei der ausgebildeten Kriegsfunjt jener Zeit feinen genügenden Schuß mehr zu gewähren.

Die Lage einer Feſtung zwijchen zwei Flüſſen in weiter Ebene ohne jeden Hügel gewährte ganz andere Sicherheit und verhieß ganz andere Erfolge, ald das von Bergen umjtandene Heidelberg.

Er entſchloß ſich daher, hier am Rheine eine größere Stätte der Vertheidigung zu errichten in der klaren Voraus— fiht der bald anbrechenden Striegszeiten,

Gründung der Stadt und Feſtung Mannheims FFriedrihsburg. 9

Gleich bei ſeinem Regierungsantritt zeigte der jugendliche Kurfürſt Friedrich feſtes, energiſches Handeln. Er war da noch nicht ganz 18 Jahre alt und es ſollte zunächſt ſein Großoheim, Pfalzgraf Richard von Simmern proviſoriſcher Regent der Pfalz werden. Aber Friedrich ergriff trotzdem mit feſter Hand die Zügel der Regierung und wußte dieſe Vormundſchaft abzu— wehren.

Friedrich IV. (aus dem Fürſtenſtamm Pfalz-Simmern) kam im Januar 1592 zur Regierung. In demſelben Jahr ver— mählte fich Friedrich mit Luife Juliane, der Tochter bes Prinzen Wilhelm von Dranien, des großen niederländijchen Treiheitshelden.

Der Character des Kurfürften zeigte die merkwürdigſten Gegenfäge. Mit 9 Jahren war Friedrich zur veformirten Kirche übergetreten, und jeine Gedanken blieben ſtets darauf gerichtet, die VBertheidigung dieſer feiner Religion, zu deren Schub er jpäter auch die Union gründete, auf’3 Energiichite zu betreiben.

Doch zugleich erfüllte ihn eine überjchäumende Lebensluſt, die ihn gar manche Schranken im guten und jchlimmen Sinne überichreiten fie. Wohl lebte er trog der Mahnungen jeines Seeljorgers, des Hofpredigers Pitisfus weit über jeine Kräfte hinaus, doc) bewahrte er ſich vor aller Verfnöcherung geijtiger Anſchauungen und jein außergewöhnlicher Kunftfinn ließ werth- volle Schöpfungen erftehen, jo auch den prächtigen Friedrichs— bau des Heidelberger Schloffes. Des Fürſten allzufrüher Tod erfolgte bereits im Jahre 1610. Einem jo jugendlichen, leb- haften und wie die fpäter gejchilderten Privilegien be» weifen entichieden freien Geijte entiprang die Gründung der Feſtung und Stadt Mannheim. Ein jäher Schreden erfaßte die friedlichen Berwohner des Dorfes Mannheim, als die erſte Kunde von der für fie folgenjchweren Idee des Fürften, hier eine Feltung zu bauen, zu ihnen drang.

Diejer Schreden verwandelte ſich in Empörung, als der furfürjtlihe Obermarſchall mit einigen Begleitern die erjten

10 Gründung der Stadt und Feſtung Mannheim: Friedrichsburg.

Meſſungen des Gebietes vornehmen wollte. Die Bevölkerung erging fich in heftigſten Drohungen, ja auch in thätlichen Ans griffen.

Durch dieje heftige Gegenwehr der Bevölkerung, die ihre Meingärten, Aeder, Felder und Wohnjtätte nicht ohne weiteres verlaffen wollte, jah jich der Kurfürjt genöthigt, den Streit auf friedlichem Wege durch Zuficherung von Erjaß für die bean Ipruchten Gebiete zu jchlichten.

Die furfürftliche Regierung ließ deshalb durch abgejendete Räthe mit dem Schultheiß und Bürgermeilter der Gemeinde Mannheim verhandeln.

Sie ficherte der Gemeinde für die einzubeziehenden Be— jigungen andere Pläße auf dem Jungen Bush (Jungbuſch), in Nedarau, Sedenheim, Feudenheim und Käferthal zu. Die zum Abbrechen und Wiederaufbauen nöthigen Werfleute und Materialien jollen unentgeltlich geitellt werden. Ebenſo jollen die jog. Erbbeitandsgiiter in gleicher Weile wie Die Beligungen vom Hofe Rheinhaujen u. j. w. erjegt werden. Die Abſchätzung jollen vier unparteiijche‘ Männer der oben ge- nannten Ortichaften vornehmen, Bis der Häujer- und Güter— bau in Ordnung, jollen die Gemeindemitglieder frohnfrei jein, aber dann Dienjte beim Feſtungsbau wie Fremde gegen Zah: lung leiften.

Der Vertrag gelangte am 11. November 1605 zum Ab— ichluß, und bereit? am 17. März des folgenden Jahres 1606 wurde der Grundjtein der neuen Stadt gelegt.

Dieje Grundjteinlegung jpielte sich unter folgenden Um— jtänden und Feierlichkeiten ab.

Am Abend zuvor begab fi; der Kurfürit mit feiner Gemahlin, dem aus Frankreich zurücgerufenen Kurprinzen (den jpäteren „Winterfönig“) und dem gejanmten Hofjtaat von Heidelberg nach Mannheim, um am Tage der Feier bei Zeiten zur Stelle zu jein. Ein Unfall, der ſich unterwegs, durch Umftürzen des Wagens des Kurfürſten zutrug, ging ohne ſchlimme Folgen ab.

Gründung der Stadt und Feſtung Mannheim-Friedrichsburg. 11

Die Feier wurde in der Nähe der jogenannten Neckarſpitze, der Einmündung des Nedars in den Rhein, abgehalten. Das jurchtbare Unwetter, da3 die Feier umtofte, war wie ein Vor— zeichen ber entjeglichen Kriegsſtürme, denen die neugegründete Stadt ausgejegt werden jollte. Doch wie die damalige Feier den Wettern der Natur, jo hat auch die Stadt Mannheim all den Stürmen des Krieges Troß geboten, um heute als eine Stätte des Friedens zu blühen.

Feſt und ruhig trat der Fürſt, nachdem der Geiftliche eine Bredigt gehalten, troß des jtrömenden Regens aus dem Zelte, das der Sturm fat umzureißen drohte, unter die Verjammelten, Er glaubte in klarer Vorausſicht die Nothwendigfeit diejer Gründung erfannt zu haben und michts hätte ihn veranlafien fünnen, in dem einmal dazu bejtimmten Moment damit zu jögern. In feinen Mantel gehüllt grub der Fürſt mit einem Spaten eine fleine vieredige Grube, in die er einen oben aus» gehöhlten Duader-Stein ſenkte. Dann trat der 10jährige Kurs prinz; vor und legte in die Höhlung des Steines eine goldene Platte mit dem Bildniß des Fürften und einer lateiniſchen In— jchrift,*) worauf er den Stein mit einem Dedel ſchloß. Nun ergriffen die Hofleute jchleunigjt die jchon zum Bau bereit liegenden Werkzeuge, Haden, Spaten, Schubfarren und ichichteten mit wahren Feuereifer Erde auf Erde, ſodaß bald ein fieiner Hügel entjtand. Die Fortſetzung des Baues wurde jodann der großen Zahl von Arbeitern überlaffen, die mit nicht weniger Feuereifer an's MWerf gingen. Der Kurfürſt aber begab jich

*, Diele Inſchrift überſetzt Liſſignolo folgendermahen:

„Glück und Segen voraus! Auf jenem jehr befannten Boden des ftreitbaren alten Franlem Schwabens, am Jufammtenfluß bes Rheins und Nedars, wo einit ber erhabene Haifer Balentinian zum Angriff gegen die Germanen ein hohes und fiheres Bollwerk für deren erften Angriff gegründet hatte, das jeboch nicht für immer in römifcher Gewalt blieb, jonbern wicht lange baranf ber Franken gerechten Waffen weichen mußte, befannt unter dem Namen Mannheim, und endlich unter pfälztiche Herrichaft kam: ba begann ‚Friedrich IV. von der Pfalz am Rhein des heiligen römischen Reichs Frjtruchfäh und Kurfürſt, Dersog von Bayern ⁊c., zu feinem umd feines Boltes und Vaterlandes Schug eine ſehr feite Burg mit Volle werfen und einer Stadt von neuem unb bon Grund aus zu erbauen, auf beim er ſelbſt mit eigener Hand dieſe Tafel zugleich mit dem eriten und wuteriten Stein und Rajen legte, ben 17. März 1606,”

12 Gründung ber Stabt ımb Feitung Mannheims Friedrichäburg.

mit jeiner Familie und dem Hofjtaat in die Burg Eicheläheim, wo ein fejtliches Mahl abgehalten und dem bei diejer Gelegen- heit bejonders gerühmten Mannheimer Wein lebhaft zugejprochen wurde. Am Abend ging es dann unter den Güſſen des nicht zu bejänftigenden Himmels nach Heidelberg zurüd.

Dem Tage der Grundjteinlegung am 17. März 1606 folgte aber mit dem 24. Januar 1607 der Tag der Verleihung der Privilegien, welche der Stadt ihren bejonderen Charakter jchufen und Die geiftige Grundlage ihrer Entwidelung bildeten, ſodaß diefer letztere Tag als die eigentliche Begründung Mannheims in der Folge gefeiert wurde,

Der Eifer, der am Tage der Grumdfteinlegung mit der eriten Baubethätigung entfaltet wurde, hielt auch vor. Die Feſtung und Stadt wuchs ungewöhnlich rajch empor. Der Kur- fürft ließ fie in regelmäßiger niederländischer Bauart anlegen. Die Feitung, nah dem Rhein zu gelegen, bildete ein ge« ichlofjenes, fjternförmiges Siebened. Nordwärts reichten ihre Mauern bis zu den jetigen Planken. Das Stadtgebiet, das jth von den Planken bis zu dem Nedar erjtredte, war gleich: falls durch fternförmig gezadte Mauern befejtigt, doch von der Feſtung durch einen freien Pla (die jetzigen Planfen) getrennt. Die Feitung war gegen die Stadt zu außer durch befondere Mauern auch durch bejondere Wallgräben mit Pallijaden ab» geichloffen. An der Nedarjpige jowohl, wie über dem Rhein befanden fich befejtigte Schanzen. Ein bejonders befejtigter Plab blieb auch das Schloß Eichelöheim.. In der Feſtung wurde eine Kajerne, ein Schulhaus und eine Münzſtätte erbaut. Die Stadt erhielt 1610 zunächſt gegen den Nedar zu ein Ihmucdreiches Thor. Auch gegen den Rhein und in der Rich— tung nad Heidelberg zu finden ſich bereits auf den älteiten Plänen Thore angegeben.

Am 30. Mai 1608 wird Jacob Römer als Schultheiß und „raißiger Amptknecht” für Mannheim vorbehaltlich vierteljähriger Kündigung verpflichtet. Er soll ſich bei den kurfürſtlichen Directoren und Näthen, die zur Beauffichtigung der Feitungs- arbeiten beorbdert jind, bei Otto Graf zu Solms, Dr. oh,

Gründung der Stadt und Feſtung Mannheim-Friedrichsburg. 13

Gernandt, Albreht von Gadau und David Wurmbier „fleißig einstellen“. Als Gehalt befommt er jährlih 39 Gulden (da- von 10 für 2 Hoffleider und 6 für „Pferdtſchaden“), 8 Malter Korn, 25 Malter Hafer und 2 Wagen Heu. Das neue Amt eines Aumannes auf der Mühlau zur Ueberwachung der Fiſcherei, der Wälder und Weiden hatte der Kurfürjt 1596 eingeführt und mit Wendel Regensperger bejett.

In der bereits erwähnten Münze wurden jchon 1608 kur— pfälziſche Silbergulden geichlagen. Auch Hatte der Kurfürit der Stadt wahrjcheinlih ein Wappen verliehen, in dein bereits Die Wolfsangel jedenfalls als alte Gemeindemarfe und zugleich auch als Mauerzeichen des Aufbaus der Stadt angebracht war.

Was aber die aufblühende Stadt*) weithin befannt und berühmt machte, das waren die Privilegien, die ihr der Kur— fürft ertheilte. Bejonders in Holland, Frankreich, England und Bortugal erregten dieje Privilegien**), die man vielfach ab— drudte, ungewöhnliches Aufjehen.

Die herrliche Verheißung der Freiheit, Aufhebung der Leibeigenichaft, Toleranz in Bezug auf Nationalität und Religion winfte allen Freigelinnten, allen Bedrängten und Berfolgten tröftend daraus entgegen.

*) Bon den Straßennamen find aus damaliger Zeit uw. A. noch befannt: Friedrichsgaß (ietzige Necdaritraße), Speirer, Wormier, Franken— thaler, Bensheimer, Yadenburger, Neuitädter Gaß, Geigergab, Klein und groß Kappengaß, Sclojjer und Hafner Gab, Adergak, Vorgengaß. Yon den Namen der Einwohner feier bier genannt: Groe, Neiz, Treber, Mesel, Köple,, Schmidt, Möglich, Klein, Schumacher, Schramm, Schad, Nuß, Welter, och, Werg, Raauet, Bethune, Bierot.

+*), Die Privilegien erichienen zuerit mit dem Datum: 24. Januar 1607 in vier Sprachen au Heidelberg im Drud und wurden ein Jahr fpäter 1608 ın Mannheim gleichtall3 in derjelben Weiſe gedrudt. Somit kann auch das Jahr 1608 al3 das Jahr der Begründung der eriten Druckerei in Mannheim gelten. Wir geben bier den deutichen Theil dieſer für die Entwickelung der Stadt grundlegenden, heute nur nod in einem Gremplar vorhandenen Bublitation, auf die der Statalog der „Deffentlichen Bibliothek” 1896 Seite 173 deutlich hinweiſt, genau in der uriprünglichen Form der Mannheimer Ausgabe wieder. (Siehe die Beilage).

14 Gründung der Stadt und Feitung Mannheim-Friedrichsburg.

Und gar Viele eilten aus aller Herren Ränder herbei, hier Schutz und ein freies Leben zu fuchen, ſodaß die Einwohner: ichaft der damals jüngſten deutjchen Stadt bald 180 Familien, bejtehend aus circa 1200 Köpfen, zählte, und in Kurzem circa 200 Häufer bewohnt wurden.

Dieje Privilegien erwiejen fich jomit al3 ein wirkſames Lockmittel, allein jie waren weit mehr als dies. Sie ſprachen das Wort der Freiheit aus, ein Wort, da8 wo und wann e3 auch gejagt wird jtet3 die Zauberfraft bejigt, fortzu- wirken durch Jahrhunderte zum Segen der Menden.

Und daß damals von Mannheim eine jo frohe Botichaft ausging, Hat diejer Stadt eine geiftige Grundlage gegeben, auf der fich, troß Kriegsnoth und Zerftörung, bis zum heutigen Tage eine fich immer bedeutender gejtaltende Entwidelung voll ziehen konnte.

11.

Die Einnahme Mannheims im dreißigjährigen Kriege durch Tilly.

Friedrich V., der „Winterlönig* General Tilly vor Mannheim die

Einnahme der Stadt und Uebergabe der Feitung die Wiedereroberung

Mannheims durch Bernhard von Sachſen-Weimar Wechſelnde Schickſale der Stadt und ihre Nüdgabe an das pfälziihe Fürſtenhaus (1649).

Der urſprüngliche Gedanke, mit Mannheim eine feſte Burg der Freiheit und Toleranz zu ſchaffen, konnte nicht ſo ſchnell verwirklicht werden, als es der Begründer der Stadt im Auge gehabt hatte. Furchtbare Bluttaufen mußte ſeine Schöpfung noch durchmachen, ehe eine ſolche Stätte des Friedens und freien bürgerlichen Lebens daraus hervorgehen konnte, wie ſie das heutige Mannheim vorſtellt.

Was die Waffen, was die Feſtungswerke nicht erzwangen, das erſchuf ſchließlich der Fleiß und das geiſtige Leben der Bürger ſelbſt.

Friedrich V. war wie bereits erwähnt als Knabe bei den Feierlichkeiten zugegen geweſen, die ſich bei der Be— gründung Mannheims abſpielten, und hatte die Ideen ſeines Vaters vollſtändig in ſich aufgenommen. Er trat erſt 4 Jahre nach dem Tode jeines Vaters und zwar am 16. Augujt 1614 die Regierung an. Friedrich der IV. hatte dafür Sorge ge- tragen, daß zum Vormund jeines Sohnes ein ftrenger Cal— vinijt gewählt wurde und jelbjt dazu den nachbarlichen Herzog Sohann von Pfalz. Zweibrüden auserjehen troß des heftigen,

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Kurfürſt Friedrich V., der „Winterk

Die Einnahme Mannheims im 30jährigen Kriege durch Tily. 17

fih auf nächſte VBerwandtichaft ſtützenden Wideripruchs des Iutheriichen Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg. So war SFriedrich V. von Jugend auf in jenen jpeziellen religiöjen Ideen erzogen worden, die bald enticheidend für einen fein: ganzes Leben beitimmenden Entichluß werden jollten.

Unter dem Einfluß des Hofpredigers Abraham Scultetus (Schulz), eines fanatischen Calviniſten *), veritand fich der junge Fürſt dazu, die ihm zulegt angetragene, von andern Fürſten vorfichtig abgelehnte Krone Böhmend anzunehmen. Große Dinge bereiteten fich vor, und Friedrich, als Haupt der Union, fonnte fich zum Führer einer großen Bewegung berufen glauben, der er nicht feige jeine Kraft verjagen dürfe. Außerdem meinte er, der jtarfen Mithilfe Englands ficher zu jein, da ja jeine junge Gemahlin Elifabeth Stuart (Enkelin der Königin Maria Stuart) die Tochter des regierenden Königs Jakob I. war.

Aber das Wagniß war zu groß, er hatte damit mehr, Gott verjucht, als vertraut, umd das furchtbare Unglüd, das damit für die Pfalz, für Deutichland, ja für Europa begann, lajtete auch jchwer auf dem allzu wagemuthigen Fürjten, der von allen vermeintlichen Freunden und Bundesgenofien jchnöde im Stiche gelaffen wurde. Friedrich hatte jih denn im Dftober 1619 zum König von Böhmen krönen laſſen und den Kampf gegen den Kaifer aufgenommen, aber jeine Heere wurden Ihon im November des folgenden Jahres am weißen Berge bei Brag von den Kaijerlichen Truppen völlig geichlagen. Der neue König, der nur ein Jahr, einen Winter regierte, und des— bald den Spottnamen „Winterfönig* erhielt, wurde vom Kaiſer geächtet und mußte von Ort zu Ort flüchten, bis er endlich bei jeinem Better Mori von Oranien in den Niederlanden Aufnahme fand. Im Frühjahr 1632 hoffte der unglüdliche Fürſt endlich jeine Länder wieder zu erhalten, da Guſtav

*) Der Fanatis mus dieies Geiftlichen zeigte fich ſpäter nach der Ueber— fiedelung Friedrichs V. nad Prag ın grelliter Weiſe. Als dieier Fürſt Die dortige Domkirche den Galviniiten übergab, ließ Scultetus die berrlichen Kunſtwerke des Domes (darumter ein Altarblatt von Lucas Granadı) ihonungslos in Stüde ichlagen!

Oeſer, Geichichte der Stadt Mannheim. 2

18 Die Einnahme Mannheims im 30jährigen Kriege durch Tilly.

Adolf fich feiner Sache annahm und ihn in Frankfurt als „König von Böhmen“ empfing. Allein der am 16. November desjelben Jahres erfolgte Tod des ſchwediſchen Herrichers zerftörte auch dieje legte Hoffnung. Durch diefen Schidjalsichlag jchwer erkrankt, ftarb Friedrih 13 Tage darnach, am 29. November 1632,

Das Schickſal diejes Fürften gehört zu ben tragiichiten der Weltgeichichte, umfomehr als er doch aus einer nicht zu feugnenden jtrengen Conjequenz handelte und alle Folgen auf ſich nahm.

Ueber jeine bejonderen Beziehungen zu Mannheim wird nur wenig gemeldet. Gleich nach jeinem Wegierungsantritt förderte er die weitere Befejtigung und den weiteren Ausbau der Stadt nad den urfprünglihen Plänen des holländischen Feitungsbaumeifters Freitag. Bei dem außerordentlichen Kunſt— jinn, den diejer Fürſt bejonders durch die unter ihm bewirften Bauten und Gartenanlagen des Heidelberger Schlofjes be— fundete, ijt anzunehmen, daß unter ihm auch eine Reihe hervor— ragender Bauten in Mannheim entjtanden find. Sp wurde die Citadelle Friedrihsburg zu dieſer Zeit weiter ausgebaut. Als Schultheiß der jungen aufblühenden Stadt zu jener Zeit wird Dr. Gernandt genannt,

Im Herbite 1614 Hatte Friedrich im fürftlichen Ornate mit Kurhut und Schwert in Mannheim die Huldigung der Stadt entgegengenommen.

Der Feitung Friedrichsburg zum Trog unternahm e3 der Biſchof Philipp Chriftoph von Speyer, das Städtchen und Schloß UÜdenheim am Rhein gleichfalls in eine Eitadelle zu verwandeln, die den Namen Bhilippsburg führen ſollte. Der jpaniiche General Spinola hatte zu diefem Bau perjünliche Anz: feitungen gegeben uud die Abjicht verrathen, hier eine jtarfe Beſatzung Hineinzulegen. Die Fürſten der Union bejchlofien daher, den Weiterbau diefer Feſte nicht zu dulden. Friedrich V., dejjen Plänen man durch diejen Bau ganz bejonders entgegen- handeln wollte, und der Markgraf von Baden machten fich des» Halb am 15. Juni 1618 in der Morgenfrühe mit 4000 Reitern

Die Einnahme Mannheims im 30jährigen Kriege durh Tiy, 19

und Fußjoldaten, jowie 1200 Scanzengräbern nad der im Bau begriffenen Feſtung auf und ließen, ohne auf wejentlichen Widerſtand zu ftoßen, die bereit3 hergeftellten Wälle und Boll: werfe zerjtören. Den dadurch entftandenen Schaden jchlug der Biihof auf 100000 Gulden an, und heftige Streitichriften wurden wegen diejer Sache gewechſelt. Der 30jährige Krieg warf jeine eriten Schatten.

Kur zu bald brachte diejer Krieg, wie jchon geichildert, größtes Unheil über den Fürften und jein Haus. Auf jeiner Flucht aus Böhmen weilte Friedrich im Juni des Jahres 1622 auf etwa 10 Tage (11.—21.) in Mannheim, hier jedenfalls Anordnungen für die Vertheidigung der Feſtung treffend. An jeine Gemahlin jendete er von hier aus ein Schreiben, mit dem er jeiner Hoffnung auf Gott und jein gutes Recht ergreifenden Ausdrud verlieh.

Wenige Monate darauf rüdten jchon die bayrischen und faijerlihen Truppen vor die Mauern Mannheims.

In die Pfalz waren gleih nach der Beſiegung der Truppen Friedrichs in Böhmen die faiferlihen Heere, Bayern und Spanier eingefallen. Anfangs September 1622 wurde Heidelberg von dem bayriichen General Johann Tzerklas Graf von Tilly mit Sturm erobert, und am 10, und 11. September trafen die mit der faiferlichen Armee vereinigten Truppen diejes gefürchteten Feldheren vor Mannheim ein.

Tilly hatte jchon, ehe er jelbjt mit jeinem Heere ankam, das Terrain um Mannheim von einigen unter Bedeckung von Gavallerie und Infanterie vorausgejendeten Ingenieuren jorg- fültig ausfundichaften laſſen. Die Truppen verichanzten ſich zunächſt in der ganzen Linie zwijchen Rhein und Nedar, die bayrijche Neiterei dem Rhein, das faijerliche Fußvolk und die Geſchütze dem Nedar zu. Die bayrifche Reiterei wurde jedod) durch Heftiges Gejchüßfeuer der Mannheimer Beſatzung zurüd- getrieben.

In Mannheim Hatte man in fieberhafter Aufregung größte Anftrengungen gemacht, dem Feinde Troß zu bieten. Als ein mächtiger Flanımenichein am Himmel, der von der

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20 Die Einnahme Mannheims im 3Ojährigen Kriege durch Tilly.

Einnahme Heidelbergs herrührte, das Herannahen des Feindes anzeigte, täujchte man fich über die Größe der Gefahr nicht, zumal die Befejtigung der Stadt noch nicht ganz vollendet war und die Bejagung nur aus 5500 Mann beitand, die ſich aus 2400 Engländern (angeworbenen Soldaten), aus einer geringen Anzahl pfälzer Fußvolk, und im Uebrigen aus Bürgern und Flüchtlingen zufammenjegte. Auch die vorhandenen 25 Geſchütze fonnten nicht al3 ausreichend betrachtet werden.

Das Oberkommando hatte der englische General Horaz de Beer; das pfälziische Fußvolk ftand unter dem Befehl des Dbrift von Waldmannshaujen. Da feinerlei Entſatz zu er- warten war, mußte die Yevölferung Mannheims mit größter Sorge erfüllt jein. Genährt wurde dieje Sorge durch weitere ortichritte, welche die Belagerer troß eines heldenmüthigen Ausfall der Mannheimer Truppen am 13. September in rajcher Folge machten. So mußte ſich bald die Bejabung der Rheinfchanze in die Stadt Mannheim zurüdziehen, ebenfo die Beſatzung des Schloffes Eicheläheim, dag um nicht den Feinden in die Hände zu fallen von Mannheim jelbjt aus in Brand geichofjen wurde. Vom linken Rheinufer festen die Feinde, nachdem jie von dort aus die Stadt vergeblid; be- ihoffen hatten, nad) der Mühlau über, aud) hier die pfälzischen Borpojten vertreibend. Dazu fam der Verrath eines Ueber- läufers, der dem ‘Feinde mittheilte, daß die Feſtung von der nordeöftlichen Seite, öjtlich des Nedarthores, da jie dort noch unvollendet, am leichteften genommen werden könnte. Die Be— fagerer bemächtigten ſich des öjtlic) gelegenen Baumgartens und gelangten von bier aus mittels Laufgraben bis Dicht an das Nedarthor. Inzwiſchen war auch über dem Nedar ihon eine Batterie aufgeitellt. Die Lage der Bejakung der Feſtung verichlimmerte jich ganz bejonders noch dadurch, daß infolge der großen Trodenheit des Wetters die Flüſſe janfen und jchließlich auch das Waſſer der Feſtungsgräben austrodnete. So geitalteten ji denn die Gefahren für die Stadt Mannheim immer drohender. Am 23. Oftober begann die Beichiegung der Stadt von all den genannten Schangen aus unter be=

Die Einnahme Mamıheims im 3Ojährigen Kriege durh Tily, 21

jonderer Berjtärfung durch die weſtlich der Stadt aufgejtellten Batterien.

Der Kommandant de Beer jah, dad die Erjtürmung der Stadt unmittelbar bevorjtand, und jo entichloß er ſich, die Einwohner der Stadt in die Feſtung zurüdzuziehen und Die Stadt in Brand zu fteden. Unter einem lebhaften Süd— wind brannten die zumeijt aus Holz gebauten Häujer bis auf den Grund nieder und nur die wenigen aus Gteinen her: geitellten Gebäude blieben jtehen, den eindringenden Feinden Schu und Ausblide zur Beobachtung der Feltung gewährend. Leicht wurde es dem Feinde, bier von der Stadt aus den legten Reit jpärlichen Wailers aus den höher gelegenen Gräben der Feſtung abzuleiten.

Die Bejagung der Feſtung machte noch einen verzweifelten Ausfall, nahm auch 16 Bayern gefangen, doch ein wirklicher Erfolg konnte damit nicht verbunden fein.

Der Feind jchiete jich an, die Gräben mit Sand auszu— füllen und bereitete den Sturm der Feſtung vor.

In diejer wütheten Hunger und Krankheit; die Bejabung, die meiſt aus Söldnern bejtand, war unmuthig und matt nad) bwöchentlichenm unaufhörlihem Kämpfen geworden und konnte feine Löhnung mehr erhalten. Das Elend der Bürger und Flüchtlinge in den engen Mauern der Feſtung erichten nicht mehr Länger erträglid. Da beichlojjen der Kommandant de Beer und der Obriſt Waldmannshaujen die Kapitulation der Feſtung, weil auch an einen Entjag überhaupt nicht zu denfen war.

Die weiße Fahne wurde aufgeitekt und ein Hauptmann mit einem Tambour in die Stadt zu General Tilly zur Ver: mittelung der angebotenen Uebergabe geichidt.

Wie hoc) General Tilly den Heldenmuth und die Tapfer: feit der Bejagungstruppen, die ſich nach dem Urtheil eines Augenzeugen „wie die Löwen“ gewehrt haben, anjchlug, geht aus dem Kapitulationsvertrag hervor, nad) welchem den pfälzischen und englijchen Truppen freier Abzug „mit Sad und Bad“ be- willigt wurde. Der englische General de Veer durfte zwei

22 Die Einnahme Mannheims im 3Ojährigen Kriege durch Tilly.

Faltonet3 mit zugehöriger Munition mitnehmen, und ihm und jeinen Truppen wurde freies Geleit und Schuß bis Frankfurt gewährt, während die pfälziichen Soldaten ſich, wohin fie wollten, wenden konnten. Die „Theologen“ follten unbehelligt in der Stadt bleiben fünnen bis fie auf „weiter unterfommten von dannen verreyſen möchten“, und die in der Feſtung unter: gebrachten Güter wurden den Beſitzern zum Fortſchaffen über- laſſen.

Dieſer überaus günſtige und humane Vertrag entlaſtet auch General Tilly, der damit bewies, daß es ihm hier nicht um Raub und Plünderung zu thun war. Der dreißigjährige Krieg zeigte ich hier noch in jeinen milden Anfängen.

Am 23. Oftober wurde diejer Vertrag abgejichloifen und om 24. Oktober zogen die Bejagungstruppen unter fliegenden Fahnen aus der Feitung Friedrichsburg ab.

Mannheim blieb in den Händen des jedenfalls jchon da— mals vom Kaiſer zum Kurfürſten der Pfalz auserjehenen Marimilian von Bayern, dem man den friegeriichen Einfall bayrijcher Truppen bejonders zum Vorwurf machte, weil er bei den Tractaten zu Ulm 1620 feterlichit gelobet habe, die Pfalz niemals mit Krieg zu überziehen. Um gerecht zu jein, muß jedoch bemerkt werden, dat ohne Waffengewalt Ddiejer bayrische Fürſt die Pfalz iiberhaupt nicht hätte in Bejig nehmen fünnen, denn freiwillig hätten die Pfälzer ihrem angejtammten

*) Ein ſehr weientliches Urtheil Schiller8 über Marimilian von Bayern, das ſchon Lipowski anführt, ſei auch bier wiedergegeben. Es findet ſich in der „Seichichte des 30jährigen Krieges" und lautet: „Oeſter— reich und das katholiſche Deutichland hatten an dem Herzog Marimilian von Bayern einen ebenio mächtigen, als jtaatsflugen und tapferen Bes ſchützer. Im ganzen Laufe dieſes Krieges einem einzigen überlegten Plane getreu, nie ungewiß zwiſchen jeinem Staatsvortheil und feiner Religion, ie Sclave Deiterreich®, das für jeine Größe arbeitete und vor jeinem rettenden Arme zitterte, hätte Marimilian es verdient, die Würden und Länder, welche ihn belohnten, von einer beijeren Hand, als der Willkür, zu empfangen.” Marimilian von Bayern war ed aud, der Friedrich V. am nachdrüdlichiten vor der Annahme der Krone Böhmens gewarnt hatte,

Die Einnahme Mannheims im 3Ojährigen Kriege durh Tilly. 23

Mannheim behielt auch unter der neuen Herrichaft feinen seitungscharafter. Die Meiften der Bürger wichen dem Sieger und wanderten aus. Die Bevölkerung Mannheims bejtand in nächſtfolgender Zeit hauptjächlich aus den Soldaten der Bes Tagung.

Erit 1631 gelang es dem Herzog Bernhard von Sachſen— Weimar durch eine verwegene That die Stadt in den Be— jit des von Guſtav Adolf inzwiſchen fiegreich vertretenen Proteftantismus zu bringen. Wie in wilder Flucht jprengte der Herzog mit 300 Streitern am Morgen des 29. Dezember 1631 an das Heidelberger Thor der Stadt Mannheim, von der Wache dringend Einlaß begehrend unter dem Borwand, daß er von den Kaijerlichen verfolgt werde. Die Wache lieh fih durch dieſe Lift täufchen und öffnete das Thor. Der Herzog jtiirmte mit jeinen Soldaten in die Stadt und lieh die ichlaftrunfene jpanische Beſatzung, beitebend aus 250 Mann, niederhauen. Der jpanifche Commandant Maraval und jein Fähnrich wurden gegen Xöjegeld freigegeben, doch in Heidel- berg wegen ihrer Nachläſſigkeit von der faiferlichen Regierung zum Tode verurtheilt.

Mannheim war auch weiterhin der Spielball der wechieln- den Ereigniffe. Zunächſt blieb es im ſchwediſchem Beſitz (bis 1635 unter Oberſt von Schmidtberg), dann gelangte e3 wieder in die Hände der Bayern. Dieje wurden 1644 von den mit den Schweden verbündeten Franzoſen verdrängt. Allein die Bayern erjtürmten in demjelben Jahre wieder die Feſtung, einen großen Theil der Mauern zerjtörend und jchleifend. Erft 1649, ein Jahr nad) dem wejtphäliichen Frieden, war mit dem definitiven Abzug der bayrischen Truppen Mannheim dem pfälzischen Herricherhauje wiedergegeben. Wenn auch jchwer, jo hatte die Stadt Mannheim doch jene jchredensvolle Kriegs- zeit überjtanden, die ihr gar leicht völligen Untergang bringen

fonnte.

Der Tempel der Eintracht und die Heit religiöjer Derjöhnung unter Karl Ludwig.

Karl Ludwig und Luiſe von Degenteld Einweihung der Eintrachtskirche

Freiheitlie Beitrebungen Bauten (Die fliegende Nheinbrüde)

Der Streit um das „Wildfangredt* Die Peit in Mannheim Die

„ſtolze Pfälzerin“ Liielotte Durchzug der Franzojen Plünderungen Tod des Kurfürſten.

Die Regierungszeit des folgenden, wieder in die alten Rechte eingeſetzten pfälziſchen Kurfürſten Karl Ludwig, eines am 22. Dezember 1617 geborenen Sohnes Friedrichs V., brachte ein kulturell interejjantes, merfwürdiges und jeinem Sinne nad) dauernd fortwirkendes Ereigniß mit fih: Die Erbauung eines Tempels der Eintracht in Mannheim, der zur Verſöhnung der jich bejehdenden firchlichen Parteien dienen jollte.

Eine jolhe Schöpfung fonnte nur unter einem Fürſten möglich werden, der jich zu einer weitgehenden humanen Bil- dung emporgerungen bat, wenn derjelben auch eine gewiije Enge und Frühreife noch anhaftete.

In der That hatte Karl Ludwig auf der Univerfität Leyden jtudirt, einer Stätte des Geijtes, die mit den freiheit lichen Ideen jener Zeit in jtarfer Berührung jtand.

Die furchtbaren Folgen religiöjer Streitigfeiten, wie jie der 30jährige Krieg zeitigte, umdrohten die Jugend des Fürſten und ftanden ihm warnend vor Augen.

Der Tempel der Eintradt und die Zeit religiöſer Verſöhnung. 25

Das lebhafte Temperament Karl Ludwigs, das ſich ſchon in feiner Jugend über jo manche Schranfe hinwegſetzte, durch— brach jpäter auch mit einer gewiſſen Gewaltthätigfeit Die Schranken familiärer Verhältniſſe. Seine Liebe zu der zart— finnigen Raugräfin Marie Sujanna Luiſe von Degenfeld, für welche er jeine Ehe mit der Prinzejjin Charlotte von Heſſen— Kafjel opferte, iſt längft jchon zu eimem bejonderen Kapitel der Gejchichte, der Wahrheit und Dichtung*) geworden.

Bas aller Wiſſenſchaft, aller Bildung noch nicht gan; gelingen fonnte, das vermochte hier ein großes, tieffühlendes Frauenherz. Dem Füriten wurde jeine Liebe zu dieſer außer— ordentlichen rau, die lichtvoll mit der Gejchichte Mannheims verbunden iſt, zu einer neuen Quelle der Duldſamkeit und Freiheit.

Luiſe wußte vor Allem den calviniſchen Groll des Fürſten gegen das Lutherthum zu bejiegen und aud) in diejer Beziehung die Duldjamfeit zu fördern. In ſeiner Liebe zu diejer Frau ging dem Fürſten eine ganz neue Geiſtes- und Empfindungswelt auf. Und den hier neu gewonnenen Ideen entjprang jene Schöpfung, die nach dem jahrzehntelangen wilden

*) Der zu jener Zeit gefeierte Dichter Chriitian Hofmann von Hof: mannswaldau, der nahezu im gleichen Alter mit dem Kurfürsten ftand und mit Diejem in Leyden ftudirte, läßt in einer jpäteren bilderreihen Dichtung „Liebes \ntriguen zwiichen Churfürit Karl Ludwig in der Pfalz und Maria Loyſa von Degenfeld“ dieie legtere an den von ihr geliebten Fürften jchreiben:

„Urtheile, grojier Fürst! wie weit ich mich vergangen,

Ob mir die Liebe nicht bezaubert Geiſt und Sinn?

Die Furdt dringt in mein Herz, die Schanmröth in die Waugen, Weil ic) verliebt und meiner nicht mehr mädtig bin... . Jedoch dies Bündniß kann fein anders Siegel Ichliejien,

Als ımverichränftes Recht und eines Vrieſters Band,

Die Einfalt iſt bey mir, Er wird, obs recht jen willen,

Daß er die andere rau vermählt zur linfen Hand.

Sc ſelbſt bin lüfternd nun nad) der Vermählungs Kette

Und folge, wenn Er winkt, Ihm zu dem Prieiter nad,

Denn vom Altare gehn die Staffeln in mein Bette

Und durch die Kirche fommt man in mein Schlafgemad.“

26 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verſöhnung.

Toben der Religionsfämpfe wie eine lichte Verheigung bejjerer Zeiten auf dem düſteren Hintergrunde der Vergangenheit er= glänzte.

Kurz vor dem Tode der ihm inzwiſchen angetrauten Rau— gräfin, anfangs des Jahres 1677, faßte Karl Ludwig den Gedanken, ein Wahrzeichen religiöſer Eintracht zu errichten und eine Kirche zu bauen, die den Bekennern der verſchiedenen Re— ligionen gemeinſam zum Gottesdienſt dienen ſollte. Dieſe Kirche ließ er in der Nähe des Platzes der jetzigen Schloßkapelle er— richten. Am 29. März desſelben Jahres legte Karl Ludwig gleichſam im Gedächtniß ſeiner am 18. März dahingeſchiedenen, von ihm jo heißgeliebten zweiten Gemahlin (Luiſe von Degen— feld) den Grundſtein zu dem Werfe religiöjer Eintracht.

Als im Jahre 1680 die Kirche vollendet war, bereitete der Kurfürſt jelbit die Eimmweihungsfeterlichkeiten vor, die jich am 27. Juni d. 3. vollzogen.

Gleich bei diejer Einweihung wollte man dem neuen Tempel eine Art internationalen Charakter geben. - Die eigenthümliche Weiſe, wie dies geichah, wird heute allerdings etwas Fünftlicd) arrangirt erjcheinen. Man lie dabei an einem Juden, an einem Mohren aus Guinea (einem Muhamedaner), und einem Knaben aus DOjtindien (einem Buddhiſten) die Taufe vollziehen.

Drei Geiftlihe vertraten die verichiedenen chrijtlichen Glaubensgemeinden: der Hofprediger Langhans die Reformirten, der Prediger Betri aus Worms die Qutherijchen und ein römijch- fatholtiicher Geiftliher aus Handſchuchsheim die Katholiken.

Zur Kirchenmuſik hatten die Bilchöfe von Straßburg und Osnabrüd auf bejonderen Wunjch des Kurfüriten ihre italieni= hen Mufifer und Sänger (Cajtraten) nad) Mannheim gejendet.

Der Kurfürft traf mit der Kurprinzejlin gegen 8 Uhr morgens auf dem Plage vor der Kirche ein, empfangen „von dem Schalle der Pauken und Trompeten“. 800 Milizjoldaten waren auf dem Plate aufmarjchirt. Mit der Austheilung von Münzen und Gejchenken jchloß die gewiß merkwürdige Feier, die am Abend noch durch ein Feuerwerk ein fejtliches Nach— ſpiel erhielt.

Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verföhnung. 27

„Zürden, Juden, Schwarge Mohren .... Vnd waß joniten wahr verlohren, Trifft zur Eintracht bier herein... . Wir erleben heut in Freuden Nad) io vielem Kreutz und Leyden Den erwünſchten Sonnenicein. Gott laß doch zu deinen ehren Diejen Tempel ewig währen Und in Fried bejtändig fein“ heißt es in einer merkwürdigen Feſtdichtung jenes Tages.

In 9. von Finſterwalds Buch „Vom ganzen Prälziichen Haufe“ (Frankfurt und Leipzig 1746), das dem pfälziichen Theil der „Germania princeps“ von Peter von Ludewig in erweiterter Bearbeitung bietet, wird die Eintrachtsfircche im folgender Weije bejchrieben: „Selbige war an ſich eben nicht jo gar groß; gleichwohl aber jehr jchön, ſonderlich von innen prächtig gemalt und ausgeziert. Unter andern jahe man oben an der Dede das Furpfälziiche Wappen, wie e3 Die Engel hielten und gleichjam in den Himmel Hineintrugen. Ob auch ichon diefe Dede aus lauter gleichen Tafeln beftund und zujammen gejchlagen war, jo hatte jie doch der Künſtler der— maßen optijch gemalt, daß es jchien, als ob es viele gewölbte Bogen wären. Außen biergegen auf dem Thurme jtund ein Krenz, welches eigentlih aus drei Kreuzen bejtund, die in Form eines einzigen an das Viereck, in welchem auch ein Kreuz zu jehen, angeheftet war, um dadurch die intendirte Einigkeit der drei Religionen, welche den gefreuzigten Chriſtum verehren, anzuzeigen.“

In dieje Kirche wurde die Leiche ihrer geiftigen Stifterin, der Raugräfin Luiſe von Degenfeld von Heidelberg überführt. Die feierliche Beiſetzung fand bereits am 4. April 1677 kurz nah der Grundjteinlegung unter Anmwejenheit des Kurfürſten und Kurprinzen um Mitternacht bei Fackelſchein jtatt.

Der Tempel der Eintraht war das für den Geiſt der Zeit charakterijtiichite Unternehmen während der Regierungszeit Karl Ludwigs; er war mehr als ein gejchichtliches Curiojum. Wenn auch die erjehnte Eintracht nicht gedieh, die Brutalität

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Kurfürft Karl Ludwig.

Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Werföhmmg. 29

der Kriegsereigniffe den Bau bis auf den legten Stein ver: nichtete, jo bleibt der Geiit der Verjöhnung, der Weisheit und Milde da, wo er eine wirkliche, wenn auch noch beichränfte Stätte gefunden, fortwaltend für alle Zeiten.

Bezeichnend für die freiheitlichen Beitrebungen des Kur— fürjten it e8 auch, daß er den großen Philojophen Spinoza an die Univerfität Heidelberg berufen wollte. Ihm ließ der Kurfürjt volle Lehrfreiheit zuiichern unter der Bedingung, daß die Störung der herrichenden Weligionen vermieden werde; allein Spinoza traute doc den jedem unberechenbaren Wechfel unterworfenen Eleinjtaatlichen Verhältniſſen nicht und jagte ab. Sich, irgend welchen Bedingungen zu unterwerfen, war ohne: died nicht Sache diejes Philoſophen.

Su der That wollte die Univerſität jpäter (1678) den erit 1Ojährigen Sohn des Kurfürſten, den Raugrafen Starl Eduard zum Rector magnificentissimus ernennen eine Liebedienerei, die der Kurfürſt jelbit brüsf zurückwies.

Bejondere Berdienite um die Pflege der Wiſſenſchaft er- warb fich der Kurfürjt durch entichiedene Förderung des Schul- wejens. Unter ihm wurde in Mannheim 1664 die erjte Latein— ihule, das erite Gymnaſium gegründet, das jich raſch ent— widelte und 1677 jchon 50 Schuler zählte. (1685 ließ Rector Bünger von Primanern der Anjtalt im Saale auf dem „neuen Wegbaum“ eine „Comoedia“ aufführen.)

Bon den durchaus ehrlichen Abjichten Karl Ludwigs gibt auch jein am 8. Mai 1677 furz nad) der Grundjteinfegung zur neuen Kirche der Eintraht in Mannheim erlafjenes Decret Zeugniß, worin der Fürſt die durch Firchliche Streitig- feiten entjtandenen öffentlichen und häuslichen Mißhelligkeiten beflagt und in der Duldung der Eigenart der verfchiedenen Religionen, doch nicht in der Vermijchung derjelben, das Heil des Staates erblidt.

Bald nach feinem Kegierungsantritt, im Jahre 1652 wur- den die Privilegien erneuert und damit die einjt gewährten Freiheiten noch erweitert. Tieje Privilegien, wieder in den verſchiedenſten Ländern befannt gegeben, lodten von Neuem

30 TDer Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verſöhnung.

eine ſich raſch jteigernde Zahl von Angehörigen der vericic- denften Nationen und Religionen nah Mannheim.

Durh ein Edikt vom 7. Mai 1650 war die Bauluit wieder gewedt worden, indem der Kurfürſt allen denen, die jolhe Häuferbauten unternahmen, die Entlaftung von Abgaben und Beichwernifjen auf eine je nad) dem Geldaufwand be— rechnete Zeitdauer zujagte.

Der Kurfürjt ging mit jeiner Förderung der Bauthätig- feit allen voran. Er ließ in Friedrichsburg unter verhältnif- mäßig großen Kojten ein Schloß errichten, bewirkte den Bau eines Schütt» und Zeughaujes (an der Stelle des jebigen Hof- theaters) und jeßte die Feſtungswerke wieder in den Stand. Auch erhielt das Rathhaus der Stadt einen großen Gloden- thurm. Das Schloß war ein in regelmäßigen Formen ge— haltene® Gebäude mit drei gleichmäßigen großen Pavillons, von denen der eine in der Mitte und die beiden andern an den Eden des Gebäudes ftanden.

Als eine Baulichkeit anderer Art iſt die 1669 von Michael Tautphöus von Bacharach im Auftrage des Kurfürjten einge- richtete jogenannte fliegende Rhein-Brücke zu erwähnen. Sie bejtand aus einem auf zwei großen Kähnen ruhenden Verded mit einer zierreichen Balujtrade und wurde in der Art der noch heute vielfach verwendeten fliegenden Fähren fortbewegt. Am 27. Auguft ließ der Kurfürit hiermit 100 Pferde auf einmal über den Rhein jegen, woraus die Größe und Trag- fähigkeit diejer damaligen jogenannten Brüde zu entnehmen it. Da diefer Brücdenbau erit nad) mancden Streitigkeiten und Schwierigfeiten ins Leben gerufen werden konnte, feierte der Baumeiiter das glüdliche Gelingen des Unternehmens in bejon- derer Weije, indem er jeiner Freude darüber u. A. in folgen: den Verſen Luft machte:

Die Arbeit iſt geicheben, Obſchon der Neidhard tobt, Die Brüde läßt ſich jchen, Tas Merk den Meiſter lobt. Es mag hier mander lacheı, Wer es nicht lafien kann,

Der Tempel ber Eintracht und die Zeit religiöfer Verſöhnung. 31

Sollt er es beiler machen, Es würde nicht gethan.

Trompeten fröhlih Hungen, Heerpaufen ftimmten ein,

Die Bürger jelbit fi drungen Auß Mannheim an den Rhein, Die Ueberfahrt zu jehen, Dergleichen vor der Zeit

Bey ihnen nicht geichehen

Mit der Bequemlichkeit.

Das in der Nähe von Mannheim gelegene Schloß Schwesingen ließ Karl Ludwig wieder Herjtellen. Es wurde zunächft der langjährige MWohnfiz der Raugräfin Luiſe von Degenfeld, und man jagte dem Fürſten nad), er habe die Straße dahin von Mannheim aus nur deßhalb jo jchnurgerade anlegen laffen, um rajcher zu jeiner Geliebten gelangen zu können.

Karl Ludwig förderte in Mannheim auch die Wiſſenſchaft dur Stiftung einer Bibliothef. ‘Ferner legte er ein Münz— cabinett au. Bon den künſtleriſch geſchmückten Münzen, die er jelbjt prägen ließ, dürfte die zum Gedächtniß des Todes jeiner zweiten Gemahlin (Luije von Degenfeld) hergeitellte jo- wie die der Einweihung der Eintrachtskirche gewidmete von bejonderem Werth jein,

Neben diejer friedlichen Entwidelung wollten leider die politiichen Streitigfeiten nicht jchweigen, die aber zumächit nur mit Tinte und Feder ausgefochten wurden mit Tinte auch in einem anderen al3 üblichen Sinne, denn bei der Kaiſer— wahl in Frankfurt a. M. geriet Karl Ludwig, im kurfürſt— fihen Collegium (17. Mai 1658) über eine jeinen Pater Friedrich V. beleidigende Rede des bayriichen Gejandten Johann Georg Dechsle derartig in Zorn, daß er dem Redner das Tintenfaß an den Kopf warf, Die daraus entipringenden Feind— jeligfeiten wurden gütlich beigelegt. *)

*) Unter diejer Heftigfeit des Kurfürften, die leicht in Gewaltthätig- feiten überging, hatte auch feine erite Gemahlin Charlotte von Heſſen— Staffel zu leiden. Ihre herbe Natur konnte den Kurfürſten nicht auf die

32 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verſöhnung.

Eine merkwürdige Hartnädigfeit bewies der Kurfürſt in einer anderen Sade, in der das wahre Recht nicht auf feiner Seite ftand. Es handelte jih um das fogenannte Wildfangs- recht, das in der Pfalz jeine bejondere Ausbildung gefunden hatte und ein Ueberrejt jchlimmer mittelalterlicher Zuſtände war. Karl Ludwig wollte um jeden Preis feinem Lande Leute gewinnen. Die Privilegien bewirkten dies auf bejtem, ehren: vollitem Wege. Der „Wildfang“ aber bildete die Anwendung der brutalen Gewalt; der Fürſt glaubte ein altes Necht dazu zu haben, jeden in oder nur vorübergehend durch das Land fommenden Mann, der fich nicht über jeine Angehörigfeit zu einem Landesherrn auszuweiſen vermochte, als „Wildling“ zwangsweije zu feinem Unterthan machen zu fünnen. Von diefem vermeintlichen Rechte, das allerdings von SKatjer Marimilian I. 1518 der Kurpfalz bejtätigt worden war, machte Karl Ludwig ausgiebigen Gebrauch, ſodaß fich die benachbarten Reichsjtände davon betroffen fühlten und Klage beim SKaiferlichen Reichs-Kammergericht erhoben. Diejer Klage ichloffen fich in der Folge u. A. die Biichöfe von Würzburg und Straßburg, Speyer und Worms, die Kurfürjten von Trier und Mainz, jowie der Herzog von Xothringen Karl IV. an.

Da jedoch eine Enticheidung bei dem jchleppenden Gang jenes Gerichts verzögert wurde, begannen die offenen Feind— jeligkeiten jchon vor irgend welchem Urtheil. Der Streit jpielte fich in den Jahren 1664—66 ab.

Der Kurfürit von Mainz erobert die Etadt Ladenburg und der Herzog von Lothringen rüdte in die Rheinpfalz ein. eindlihe Truppen umjchwirrten die Stadt Mannheim, Die durch die bejtändigen SKriegsgefahren nicht wenig beunruhigt wurde. Man richtete fih hier zur DBertheidigung und ließ täglich 100 Mann auf die Wache ziehen. Eine Compagnie

Dauer feſſeln und ihre fpöttiichen Neben brachten ihn in maßloſe Auf: regung, ja einmal bei einer feitlichen Tafel in Heidelberg, zu der aud der Markgraf Friedrih von Baden und deſſen Gemahlin geladen waren, verfegte der Kurfürit feiner Frau vor alien Gäften einen Schlag in’s Geſicht.

Kurfürst Friedrich IV. der Begründer der Stadt Mannheim.

Der Tempel der Eintracht und die Zeit religidjer Verlöhnung. 33

Reiter wird gebildet, die Capitains müljen ihre Compagnien „werkitellig“ machen. Die jüngeren Leute werden einberufen und veranftalteten Schieübungen. Eine Junggejellen-Gompagnie, die ſich darauf verfteift, Feine verheiratheten Offiziere zu haben, übernimmt die Vertheidigung. Das Berlangen bes Oberjt- leutnant von Speer, einen Stabtmajor als Oberfommandanten zu ernennen, wird vom Rathe abgelehnt, da Streitigkeiten mit dem Milizcommandanten befürdjtet werden und fein Geld zur Bezahlung eines jolhen Poſtens vorhanden fei. Dagegen wer: den auf Antrag des Ingenieurs van Deyl die Deiche um die Stadt wieder hergeftellt, auch die Befejtigungswerfe am Nedar- thor und über dem Nedar verbefjert. Außerdem werden Maß— regeln getroffen, um genügend Munition und Proviant vor: räthig zu haben. Das war im Jahre 1665.

Kurfürit Karl Ludwig belagerte Landituhl und Falken— jtein und lieferte den herbeieilenden Lothringiichen Herren ein Gefecht, das aber umentichieden blieb. Er Hatte ſchließlich ein Compromiß angeboten und den Kaijer al3 Obmann, die Könige von Frankreich und Schweden als Schiedsrichter vorgeichlagen. Dieſes Compromiß Fam auf dem Kongreſſe zu Heilbronn 1667 zuftande. Dem Kurfürjten Karl Ludwig wurde Sein Wild- fangsredht von Neuem bejtätigt, aber er mußte fich verpflichten, dabei jede Benachtheiligung der NReichsjtände zu unterlaflen.

Allein dieje Kriegswirren hatten noch andere jchwere Folgen für die Stadt Mannheim, der damit vom Scidjal weitere neue Leiden zugedacht wurden. Eine furchtbare Seuche eroberte die Stadt, die Peſt wiüthete in ihren Mauern jchlimmer, als andere Eroberer. Bon Feder giebt in jeiner Gejchichte unjerer Stadt eine Schilderung über das Peſtjahr 1666 nach einem Rathhausprotofoll wieder, wonach fich die Vorgänge in folgen: der Weije abipielten: „In der Rathsſitzung vom 26. Februar 1666 brachte Dr. la Roje vor, dab bei dem Bollwerfe an der Bogelitang viel Stroh liege, worauf im Sommer 1665 die Franfen Soldaten (Xothringer) gelegen und an einer an— jtedenden Krankheit gejtorben jeien. Die Leute holten von dem vermoderten Stroh ab, und brauchten jolches zu „Tabak—

Deier, Seihichte der Stadt Mannheim. 8

34 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöfer Verföhnung.

Kutichen“; „dadurch könne die Seuche entjtehen.“ Der Rath beichloß, das Stroh bei ruhigem Wetter verbrennen zu lafjen.. Über jei es, daß der Grumd zu einer anjtedenden Krankheit bereits gelegt war, oder jene Anordnung des Rathes, wie jich jpäter herausstellte, nicht rajch genug vollzogen wurde: am 19. Mai wird gemeldet, daß eine Dienjtmagd des Jean Garulle an einer gefährlichen Contagion plötzlich geftorben fei und daß Niemand fie anrühren wolle. Das Schredenswort „Peſt“ iſt in Aller Mund. Sofort werden die nöthigen Mafregeln an: geordnet. Die Häujer, in welchen die Krankheit auftritt, jollen abgejperrt werden; die an derjelben Geftorbenen jollen im Sungbujhe in der äußerjten Ede rechter Hand gegen dem kleinen Rhein und Nedar appart begraben werden (Beitbudel) und zwar gegen Abend 4 Uhr. Beſondere Leichentücher und Todtenbahren jollen angejchafft werden. Die Peſt nimmt aber raſch zu. Schreden und Niedergeichlagenheit lagert ſich über die Stadt. Die Kirchengemeinden fürchten für ihre Pfarrer und wollten fie nicht ferner zu dem freilich gefährlichen Ge— ihäfte von „Kranfentröjter“ hergeben, jo daß der Rath ſich gendthigt fieht, nach einem Studiojus ans der Sapienz oder nach einem andern bequemen Subjectum nad) Heidelberg zu ichreiben. Die Maßregeln gegen die Pet häufen jich. Gräber müffen im Vorrath gehalten werden, Todtenregiiter werden eingeführt, Wachholderbeerholz muß beigejchafft werden. Den Apothefern wird verboten, die Leute, welche Medicamente ab- holen, in die Apotheke hineinzulaffen; inficirte Häuſer werden geichlofien, die Bewohner derjelben jollen ji Hütten auf dem Sungbujh bauen; das Schlachtvieh wird der Belichtigung unterworfen. Ein äußeriter Mangel au ärztlichem und Ver— pflegungsperjonal macht fi) bemerkbar. Darum wird Bader Hans Jakob Zehrer zu dieſem Zwede angeftellt; auch wird ein Peſtmeiſter und Bejtichreiber ernannt. Die Sterblichkeit it eine übergroße, die Sterblichkeit eine allgemeine; nebenbei macht ſich das wüſte Treiben frivoler Menjchen bemerkbar. Eine Menge Eimvohner verlafien die Stadt und viele Häujer itehen leer. Man gibt dem Rathe oder dem Eonjiftorium Boll»

Der Tempel der Eintracht umd die Zeit religiöfer Verföhnung. 35

maht zur Verwaltung des zurüdgelaffenen Vermögens und wendet der Stadt den Rüden. Der öffentliche Geift erlahmt. Die Quartiermeifter lagen, daß niemand mehr auf die Wache ziehen wolle; der Bürgermeijter Kalimantel konjtatirt das fait volljtändige Fehlen der Rathsmitglieder in den Sibungen. Auch einige Pfarrer jterben an der Peſt und Niemand will fich melden. Nur Bfarrer Thilmann Ghim von Frankenthal erklärt, daß er ohne Scheu nad Mannheim fommen werde, und er wird zum Pfarrer beitellt. Endlih im März 1667 läßt die Peſt dauernd nah. Auf Betreiben des Dr. la Roſe, der nunmehr zum Bürgermeijter gewählt war, und der an feinen in der Situng vom 16. Februar 1666 geitellten Antrag er- innert, werden die gejundheit3spolizeilichen Maßnahmen unaus- gejegt im Auge behalten. Eine Quarantaine wird eingeführt; die inficirten Häufer müfjen mit Icbendem Kalk geweifelt wer- den; die Fremdenpolizei wird jtrenge gehandhabt. Im Jahre 1668 verjchwindet die Belt aus dem ganzen Lande. Damit ift jener abjcheuliche Würgengel überwunden, allein die Stadt hat furchtbar gelitten. Auch unter den jungen Leuten bat die Reit entjeglich aufgeräumt. Ganze Straßen jind entoölfert, Alles ift desorganifirt. Der Rath, die ftädtiichen Aemter, die Compagnien müfjen reconjtruirt werden. Mit einer über: rajchenden Schnelligkeit vollzieht fi) die Ausgleichung der Schäden und Ausfüllung der Lücken.“

Nahdem die Hartnädigkeit Carl Ludwigs in der Be— hauptung des Wildfangrechtes jo lange fortwirfende üble Folgen mit fi gebracht hatte, unterlag der Fürſt noch einem großen politiihen Srrthum, dem er das Herz einer deutichen Frau zum Opfer brachte.

Mit großer Sorge jah Karl Ludwig die Macht Lud- wigs XIV. immer mehr ſich ausbreiten und ganz beſonders jein and bedrohen.: Ta bot fich ihm die Gelegenheit, jein Haus mit dem Herricherhaus Frankreichs zu verbinden.

Mit einer jolchen Verbindung glaubte Karl Ludwig all’ die drohenden Gefahren von jeinem Lande abzuhalten; er hielt e3 geradezu für eine politiiche Pflicht, diefe Vereinigung mög—

3*

36 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verſöhnung.

fih zu machen. Und er jeste ſich über all die natürlichen Hemmnilfe hinweg und brachte diefe Verbindung wirklich zu jtande.

Seine eigene Tochter war das „Opferlamm“ diejer real- politifchen Erwägung: die 19jährige Elifabeth Charlotte, die er gegen ihren Willen mit dem Herzog Philipp von Orleans, dem Bruder Ludwigs XIV., verheirathete. Es ift wohl nichts Gegen- jäglicheres zu denken, als dieje einfach jchlichte Frau an dem glanzvollen Hofe des Sonnenfönigs. Unbeftehlihd war das Herz und der Sinn Liſelottens troß all’ der fie umgebenden Tracht geblieben. Ihr Wunſch ging nicht nach franzöfifcher Prunfentfaltung, fie fam ſich dort mit ihrem tief inneren Ge- müthsleben einjan und verlaffen vor.

Sie muß in ihrer burichifojen, halb emancipirten Art und pfälzer Derbheit eine merfwürdige Figur an dem franzöfijchen Hofe abgegeben Haben. Dem freudigen Kunftleben des Romanen, das hier einen Culminationspunft erreichte, da8 Streben, dem Staate und der Kirche durch die Kunſt weithinleuchtend Licht und Glanz zu verleihen, war ihr wenig begreiflih. Ihre ernite, ftrenge Moral empörte fich über die loderen Sitten romanischen Lebens, und ala dieje durch die Verlobung ihres Sohnes in ihr Haus zu dringen drohten, bejtrafte jie ihren Sohn mit der befannten, „schallenden“ Ohrfeige. Nicht jo ablehnend, wie fie ſich dem franzöfifchen Hofe gegenüber verhielt, verhielt fich diejer ihr gegenüber. Bei dem lebensvollen und jcharfen Geifte jener Zeit Frankreichs wußte man eine ausgejprochene, fraftvolle Berjönlichkeit, wie fie die „stolze Pfälzerin“ vorjtellte, ſchon zu jchägen und im ihrer Weije gelten zu laſſen. Ludwig XIV. ſelbſt fühlte fich durch ihre wahre und echte Art zuweilen er- frifcht und Hatte gar wohl Verſtänduiß für das Geijtige und Werthvolle diejes Frauencharakters. Wie ein der Heimath getreues Volkskind weilte Liſelotte mit ihrem Denken und Fühlen immer in ihrem Baterlande, und als jpäter Unglüd und Noth über dasjelbe fam, äußerte ſich ihre Heimathliebe in folgenden ergreifenden Worten: „Sch jollte Falten Blutes mein arme Mannheim und Alles, was mein verjtorbener

Der Tempel der Eintraht und die Zeit refigiöfer Verjöhnung. 37

Bater mit joviel Sorge gejchaffen, zerftört jehen! Ia, wenn ich denke, was alles man verwüjtet hat, bebe ich vor Er— regung und Schmerz und allnädhtlih im Traume glaub’ ich mich in Heidelberg und Mannheim und jehe Berwüjtung. Ich ipringe dann auf und kann jtundenlang nicht jchlafen. Ich ſehe alles, wie e3 zu meiner Zeit war und jehe es, wie es heute jein muß und weine heiße Thränen!“

Aus diejen viel jpäter gejchriebenen Worten geht der ganze, furchtbare Irrthum hervor, dem Karl Ludwig mit jener Ver— ehelihung feiner aufopferungsvollen Tochter unterlag.

Die politiichen Ereigniffe, die Gegenſätze der Nationen und ihrer Intereſſen traten alle verwandtichaftlichen Bande mit Füßen und ließen die Klagen einer edlen deutjchen Frau wie an harten, falten Felſen nußlos verhallen.

Schon wenige Jahre nad) der 1671 erfolgten Verehelichung Sijelottens jollte Karl Ludwig ſelbſt die Nutzloſigkeit diejes Opfers erfennen.

Ludwig XIV. legte zunächjt die Verbindung mit dem pfälzischen Tyürjtenhauje zu feinen eigenen Gunjten aus und muthete Karl Ludwig zu, mit ihm gegen Holland vorzugehen. Aber der deutihe Sinn Karl Ludwigs ließ diefen doc) eine ſolche Gemeinjchaft mit Frankreich ablehnen und zunächſt neutral bleiben. Die VBerwüjtungen und Erprejjungen der durchziehen- den und- jih im Winter 1673 in der Pfalz einguartirenden franzöfiihen Truppen veranlaßten den Fürften zu dem Verſuch, durch ein Bündniß mit Kaifer und Reich, feinem Lande einen jtarfen Schuß zu bringen. Allein dieje Abjicht, die nad) Frank— reich verrathen wurde, verjchlimmerte nur die Lage der Pfalz.

Bon Neuem rüdten die Franzoſen im Sommer 1674 in die Pfalz ein, die jie wie feindliches Land behandelten. Wein- heim fiel der Zerſtörungswuth der feindlichen Soldaten zum Opfer und in der Umgebung von Mannheim gingen nicht weniger wie 17 Dörfer in Flammen auf. Karl Ludwig, der diefer Verwüſtung jeines Landes machtlos von jeinem Schlofje in der Friedrichsburg zujehen mußte, wollte empört ſelbſt fir jein Bolf in die Schranfen treten und von dem NRädelsführer

38 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöier Verſöhnung.

jelbjt mit der Waffe in der Hand Rechenſchaft erzwingen. Er forderte den Befehlshaber der hier wüthenden franzöfiichen Truppen, ben General Turenne mit folgenden Worten zum Zweifampf heraus: „Herr Marihall! Was Sie an meinem Lande verüben, kann unmöglich auf Befehl bes allerchriftlichiten Königs geichehen, ich muß es als Wirkung eines perjünlichen Srolles gegen mich betrachten. Es iſt aber unbillig, daß meine armen Unterthanen büßen, was Sie vielleicht gegen nich auf dem Herzen haben fünnen, darum mögen Sie Zeit, Ort und Waffen bejtimmen, unjern Zwijt abzuthun.*

Diejes muthige Vorgehen half. Ein Schreiben Turenne’s traf ein, worin Diejer ſich und jein Heer entichuldigte und verficherte, daß weitere Zerjtörungen nicht vorfommen würden. Die franzöſiſchen Soldaten jeien durch Ermordungen von Kameraden erbittert worden und wären deshalb bejonders gegen Weinheim vorgegangen. Er, Turenne ſelbſt, könne der Aufforderung zum Duell mit Rüdjiht auf jeine Poſition dem König gegenüber nicht nachkommen.

Die großen Vorbereitungen, die man in Mannheim für den Fall einer neuen Belagerung machte, erwieſen ſich als überflüffig. Noch zu jehr zitterten die Ereignifje der Einnahme Mannheims unter Tilly in der Stadtgemeinde nad, jo dab man feinerlei Vorſicht außer Acht laſſen wollte.

Schon am 15. Auguſt 1673 war Karl Ludwig nad Friedrichsburg zu längerem Aufenthalt gekommen. In der Feſtung lagen 500 Soldaten, was auf die Dauer von der Bürgerjchaft als jchwere Bürde empfunden wurde Die für den Belagerungsfall getroffenen Maßregeln waren: Injpection und Vermehrung der Bürgerwehr, Unterjuchung der Gewehre, Vorſorge für Lebensmittel, Anjchaffung von 1000 Pech— fränzen, Arbeiten an der Befejtigung der Stadt, an welch) feßteren fi) auch die Juden und Wiedertäufer betheiligen mußten. Im März nahmen drei Compagnien fränkiſcher Sol- daten Quartier in der Stadt. Ein Vierteljahr darauf rüdten noch faiferliche Truppen ein, die jedoch im September desjelben Jahres mit den fränfiichen Soldaten wieder abzogen. Durch

Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöfer Veriöhnung. 39

die Bürgermeilter la Roje und Kaltmantel übermittelt General Due de Bournonville 1674 jeinen Dank der Stadtgemeinde, die ihm Naturalien gewährte. Erceffe der Soldaten, fortwährender Wachtdienſt der Bürgerwehr, die Gefahr einer wieder aus- brechenden Seuche durd) die unbegrabenen Leichen von Sol- daten machten die Lebensverhältnijie der Stadt in dieſer un- ruhigen Zeit recht unbehaglih. Noch einmal im Jahre 1677 wurde die Stadt von einem feindlichen Heere umzingelt, ohne daß jedoch irgend welche Eroberungsverjuche unternommen werden. Erjt zwei Jahre darnach, am 31. Januar 1679, fonnte der Friede zwiſchen dem Kaiſer einerjeit3 und dem König von Frankreich) amdererjeit3 gejchloffen werben. Auch Brandenburg, Dänemark und Schweden wurden in diejen Frie— den mit einbegriffen,

Marichall Turenne war bald nach der vorhin geichilderten Aufforderung zum Duell und zwar am 27. Juli 1675 in der Schladt bei Saßbach gefallen.

Als der Stadtdireftor Clignet im Auftrag des Kurfürjten den Friedensſchluß der Stadt verkündete, da fühlte man ſich von langem, jchwerem Drud befreit und neue Arbeitsluit durchzog die Bruft der Bürger, die jogleich den weiteren Aus: bau der Stadt fortjegten.

Der Kurfürft Karl Ludwig aber Hatte durch all die Vor— kommniſſe einen zu tiefen Einblid in die politiichen Verhält— niffe gewonnen, zu jehr jeine Täufchung Frankreich gegenüber erkannt, als daß er frohen Geijtes werden konnte. In dem Zande jeiner unverjöhnlihen Gegner wußte er fein Kind in Sehnjuht nach der Heimath, das machtlos war, etwas für diefe zu thun oder auch nur Schonung zu erflehen. Ein auf's Strengite geheim gehaltenes Berhältnig des Kurfürjten mit einem ‘Fräulein von Berau blieb für ihn ohne geijtige An— regungen. Daß die Ehe ſeines Sohnes, de3 Kurprinzen Karl kinderlos blieb, ftimmte den Fürſten gar oft traurig. Und als wieder neue Streitigkeiten mit Frankreich durch die von Ludwig XIV. eingejesten Reunionskammern begannen, erfaßten ihn die trübjten Ahnungen einer jchlimmen Zukunft jeines

40 Der Tempel der Eintracht und die Zeit religiöfer Verſöhnung.

Landes. Der Kurfürjt erkrankte jchwer. Auf Anordnung des jüdijchen Arztes Heyen in Mannheim jollte Karl Ludwig von ber Friedrichsburg aus nad) Heidelberg überfiedeln. Als man am 28. Auguft 1680 den Fürſten in einer Sänfte zum Thore der Feſtung Friedrichsburg Hinaustrug, joll er zu jeinem Be— gleiter, dem Regierungsrath Schreiber in der Borahnung feines Todes geäußert haben: „Nun ift es auch an mich gekommen!” Schon auf dem Wege nad) Heidelberg verjchlimmerte fich der Zuſtand des Fürften derartig, daß man in Edingen die Reife nicht fortjegen Ffonnte und rajch im Freien ein Zager bereiten mußte. In diejer idyllischen Landichaft, unter einem Nußbaum litt Karl Ludwig den legten Schmerz, Es war etwa 4 Uhr des Nachmittags, als der Tod des Kurfürften eintrat.

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V.

Die kurze Regierungszeit des Hur: fürften Karl und Rückblick auf die Stadtverhältniije.

Kurfürit Karl „Luitbelagerung” bei Mannheim Ordnung der Erb— folge „Batronanzbrüder* Grundfteinlegung der neuen Stadtmauer Stadtdireftor Glignet PBürgermeifter la Roſe Humane Nectöpflege.

Mar das Leben und Streben Karl Ludwigs von dem Ernſt eines leidenſchaftlichen, kräftig ausgeſprochenen Charakters erfüllt, ſo iſt ſein Nachfolger, ſein Sohn Karl, auch als Kur— fürſt niemals ganz zum Ernſt des Lebens herangereift. Eine gewiſſe Verzärtelung, Schwächlichkeit und Kränklichkeit ließen dieſen Fürſten, der bei ſeinem Regierungsantritt 29 Jahre alt war, nicht zu weſentlichen, in die Geſchicke ſeines Landes ein— greifenden, ſelbſtſtändigen Handlungen kommen. Er ſetzte auch während ſeiner Regierung die Lieblingsſpiele ſeiner Jugend— zeit fort.

Was ihn zu einer beſonderen Beſchäftigung mit dem Soldatenweſen und zum Arrangement von „Schlachten“ und „Erſtürmungen“ veranlaßte, war mehr ein jugendlich roman— tiſcher Zeitvertreib als eine leidenſchaftliche Paſſion für ernſte militäriſche Unternehmungen. Dieſe ſoldatiſchen Spiele waren zugleich mit Maskeraden verbunden und hatten mehr den Anſchein von VBergnügungsfeiten. Ein jolches „Kriegsfeſt“

42 Die kurze Negierumgszeit des Kurfürſten Karl und Rückblick.

wurde auch im Juli 1684 bei Mannheim abgehalten. Der Kurfürit hatte eine „Auftbelagerung“ des ruinenhaften Schlofjes Eichelsheim angeordnet. Das Schloß wurde verichanzt und eine Bejagung in türkischen Coftümen hineingelegt. Diejes im Grunde harmloje Vergnügen jollte dem Fürſten den Tod bringen.

Bei der herrichenden Julihige ſprach der Fürſt allzu— jehr falten Getränken zu. Er erfranfte dadurch ſchwer; bei jeiner ſchwachen Gejundheit jtellte jich die Zehrung ein, die ihn am 27, Mai 1685 bdahinraffte. Wie jchon bemerkt, erwies Karl als Fürjt wenig Selbitjtändigfeit. Er iſt zweifellos ein liebenswürdiger und freundlicher Menſch geweſen. Seine Schwäche aber wurde von verjchiedenen Seiten ausgenußt. So war er ganz in den Händen des Kirchenrathes Langhans, der jeinen Einfluß zu ftärferer Begünftigung der reformirten Kirche aufwandte. Auch ein am 2. Januar 1682 neu eingeführtes Geſetz, wonach Ehebrud; mit dem Tode durd; das Schwert beitraft werden joll, mag auf ſolche Einflüſſe zurüdzuführen jein, denn von dem Surfürjten, der jelbit in ehelichem Zwiſt lag und ein geheimes Verhältnig mit einem Hoffräulein unterhielt, fonnte eine derartig drafonische Beitimmung uns möglich herrühren.

Bor jeinem Tode trug Karl Sorge für Ordnung der Erbfolge auf das mit ihm erlöjchende Haus Simmern, da ver: ichiedene Anjprüche erhoben wurden. So meinte der Pfalzgraf Leopold Ludwig zu Veldenz Rechte auf die Nachfolge zu haben. Allein e3 konnte mur das Haus Neuburg rechtmäßig in Be: tracht fommen. Der Kirchenrath Langhans mußte aber, da diefes Haus Fatholiih war, ernjte Sorge um die reformirte Kirche getragen haben, denn Kurfürjt Karl bejtimmte das Haus Neuburg erit nad) Abjchluß eines Vertrages zu der Erbfolge, nad) welchem den Reformirten und Qutherijchen weiter der volle Schuß des Staates gefichert wird, Der Vertrag wurde am 22. Mai 1685 zu Schwäbilch-Hall von Bevollmädtigten des Kurfürjten Karl und des Herzogs Philipp Wilhelm von Neuburg feitgeftelt und von Karl wenige Tage vor feinem

Die kurze Regierungszeit des Kurfürſten Karl und Rüdblid. 43

Tode unterzeichnet. Dieje Bejtimmung der Erbfolge betrachtete Frankreich al3 einen neuen Grund zu Feindſeligkeiten. Erſt hatte Ludwig XIV. den Pialzgrafen zu Veldenz unterſtützt, war dann aber mit jelbititändigen Anjprüchen hervorgetreten, jih darauf berufend, daß Karl Ludwig in jeinem Tejtamente vom 4. April 1670 feine Tochter Elijabeth Charlotte, die Ge— mahlin des Herzogs Philipp von Orleans bei dem Ausjterben männlicher Erben zur alleinigen Erbin aller Beſitzthümer be— jtimmt habe. Sp war jhon vor dem eigentlichen Beginn der Regierung Philipp Wilhelms der politiihe Himmel gefahr- drohend verdüſtert.

Für Mannheim brachte die Regierungszeit Karls feine wejentlichen Ereigniffe. Bei der Umjelbftjtändigfeit des Fürſten hatte ſich die Stadtverwaltung mehr mit den tonangebenden Beamten augeinanderzujeßen, was damals mancherlet Schwierig- feiten und Verjchleppungen mit ſich brachte. Einige diejer Be— amten legten fich jelbjt ganz dreijt den Namen „Batronan;- brüder“ zu. Welche wunderbare Bewandtniß es mit Diejer Bezeichnung Hatte, geht aus folgender Stelle der jchon er- wähnten „Germania princeps“ hervor:

„Dabei entjchlugen fich die Hofbedienten der Aufwartung meijtentheild, außer wenn man zur Zafel gehen wollte. Dafür jchliefen fie lieber die jedesmal mit heimgebrachten jtarfen Räuſche aus. Alſo Hatte der regierende Herr zum Ausreiten gar wenige, bei Tijche aber eine große Menge Be- diente . . . Inder an Perjonen gar jehr vermehrten Kanzlei that auch ein jeder was er gerne wollte Sie famen des Morgens jpät in diejelbe und liefen vor der gejegten Stunde wieder davon, nachdem jie eine gewiſſe Abrede gepflogen, wo fie nachmittags anjtatt der Stanzleiarbeit zum Spazieren, Spielen und dem überhand genommenen Schwelgen zujammenfommen wollten. Darunter befanden jich jonderlich 8 Perſonen, Die ihr Vergnügen an diejer Lebensart fanden, und fich deswegen ſelbſt „Patronanzbrüder* nannten.“

Die für Mannheim wichtigfte Handlung Karls war die Be- jtätigung und Ergänzung der Privilegien. Vorher hatte er die

44 Die kurze Regierungszeit des Kurfüriten Karl und Nüdblid.

befonderen Wünjche der Mannheimer Rathsherren fich mit: theilen laſſen. Es äußerten ſich u. A. die Räthe Stribing, Koppert, Schadinger, Fuchs. Ihre verjchiedenen Wünſche find z. B.: Umlagefreiheit für Diejenigen, die ein Capital von 1000— 2000 Gulden verbauen, Erbauung eines Bürgerhojpi- tals, Ausdehnung des Wochenmarkts, Brüden für Rhein und Nedar, Verbot der Ausfuhr von Rohproduften, BZollfreiheit, Sarküchen für das Volk, ein Garten für die Bürger und die Leitung des Schweßinger Baches durch Mannheim.

Die Privilegien jollten auch fernerhin den Zuzug von Fremden bewirken und enthielten deshalb noch weitere Ver— günftigungen für Ausführung von Bauten. Wenn auch mit den erneuerten Privilegien nicht alle Wünjche befriedigt werden fonnten, jo wurden doch die meiſten berjelben berüdiichtigt. Häuſer, Grundftüde und Gewerbe bleiben darnach weiterhin 10 Jahre von aller Schagung frei; ebenjo alle eingeführten Waaren von jedem Zoll. Für Fleiſch, Mehl und Malz iſt fein Ucci3 zu erheben. Die Wohnungen jollen möglichit billig vermiethet werden. Auch für den beſſeren Häujerbau wird Sorge getragen. Die Häuſer jollen gute gewölbte Seller haben und mindejtens zwei Stodwerfe, nicht weniger wie je 11 und 10 Schub Hoch, beiigen, jteinerne Giebel tragen und nicht unter 30 Schuh im Quadrat einnehmen.

Unter Kurfürſt Karl wird in Mannheim eine neue Stadtmauer angelegt. Die feierliche Grunditeinlegung wejtlid) vom Nedarthor, bei welcher der Kurfürjt mit jeiner Gemahlin Wilhelmine Chrijtine (Tochter des Königs Friedrichs III. von Dänemark) anmwejend war, fand am 9. Mai 1681 ftattl. Die ‚seitrede hielt Pfarrer Ghim. Zum Andenken an die Feier wurden jilberne und goldene Medaillen geichlagen. In den Srundjtein wurde die filberne Medaille eingeichloffen, während der Kurfürft die goldene Medaille dem Nathe zur Verwahrung übergab. Den Bau leitete Ingenieurhauptnann Taverne. Ein weiterer Bau wird .von Nurfürjt Karl begonnen: Der Bau einer neuen reformirten Kirche, zu welcher der Grundjtein im Jahre 1684 gelegt wurde, nachdem der Rath einen Beitrag

Die kurze Regierungszeit des Kurfürſten Karl und Nüdblidl. 45

zur Zahlung der Kojten des Baues zugejichert hatte. Dagegen widerjeßt fich der Rath der Einführung jtrengeren Kirchen— dienſtes. Es bleibt daher bei der alten Kirchenordnung.

Während der Regierungszeit des Kurfürjten Karl begrün- dete fich in Mannheim auch die lutheriſche Gemeinde. Dies geihah im Jahre 1682. Zum Seeljorger erwählte man den Pfarrer Appelius.

Daß damals zahlreiche Hinrihtungen in Mannheim jtatt- fanden, hat nicht? mit der eigentlichen Rechtspflege der Stadt zu thun; e8 wird damit erflärt, daß in Mannheim die Richt: jtätte für die Verbrecher aus ber ganzen Pfalz; war. Ein Spezialbefehl des Kurfüriten Karl vom 4. Oftober 1683 ver: bot den Rathsherren die nad) diejen Erekutionen üblichen Im— biffe und Mahlzeiten.

Bu den in damaliger Zeit hervorragenden Perjönlichkeiten der Stadt Mannheim gehörte der vom Kurfürjten Karl Ludwig eingejette Stabtdireftor und Regierungsrath Llignet. Er vertrat von Seiten der Regierung die Stadt, während der Schultheiß, zwei Bürgermeijter und die Räthe die Vertreter der Stadtgemeinde ſelbſt waren. Der Schultheiß und die Räthe wurden auf Borjchlag der Stadt vom Kurfürjten ernannt, die Bürgermeifter auf ein Jahr vom Rathe gewählt.

Direktor Clignet wußte feine jchwierige Stellung zwiſchen den verjchiedenen Intereſſenkreiſen mit großer Sicherheit zu behaupten und den Wünjchen der Stadtgemeinde derartig ent- gegenzufommen, daß er bald eine beliebte und populäre Ber: lönlichfeit wurde. Der Verſuch, ihn durch einen etwas dejpeftir- lichen Ausſpruch jeiner Tochter über den Kurfürjten bei diefem in Ungnade zu bringen, jcheiterte völlig, Dafür rechnet man ihm jein energifches Handeln gegen Uebergriffe des Militärs hoch an. Einmal wies er einen Kapitän der Garniion, der einen Leutnant der Bürgerwehr beihimpfte und den Vorwürfen des Stadtdireftors mit gezogenem Degen begegnen wollte, handgreiflich durch eine Ohrfeige zurecht. Die allgemeine Be- liebtheit Clignet3 geht auch daraus hervor, daß man eine Straße der Stadt nad ihm lignet-Straße nannte. Clignet

46 Die kurze Regierungszeit des Kurfürſten Karl und Nüdblid,

hat etwa jeit 1650 jein jchwierige8 Amt verwaltet, doc bewahrte ihn jein gutes Schidjal davor, die Zerjtörung Manns heims im Jahre 1689 noch zu erleben.

In den jechziger Jahren Ddiejes Jahrhunderts trat in Mannheim auf furze Zeit die Perjönlichfeit des Schultheiß Philipp Stolfius (Stold) hervor. Diejer war zwar 1664 auf Lebenszeit gewählt worden, allein man wußte ihn gar bald wieder und zwar ſchon nad) 2 Jahren jeine3 Amtes zu ent- heben. Er geräth mit dem Stadtdireftor, den Näthen und Bürgermeijtern in Conflikt, wirft diejen Ignoriren feiner Ber: jon vor, während ihm jelbjt von jeinen Gegnern allzuperjön- liches Regiment, Benugung der Stadtbüttel zur Erledigung von Brivatgeichäften, jowie Betheiligung an Joch- und Spiel- gelagen und jogar an dabei vorfommenden Prügeleien zum Vorwurf gemacht wurde. Seine Bibliothef läßt der Rath pfänden und aufs Rathhaus bringen, doch wurde die ganze Sammlung in dem bald folgenden Kriege vernichtet. ALS Nachfolger werden Dr. Hieronymus Glödner (f 1679), Dr. Johann Chriſtoph Roth und Dr. Straßburg genannt. Scult- heiß Straßburg verwaltete jein Amt noch bis zur Zeit der Einnahme Mannheims durd die Franzoſen.

Der Bürgermeifter Dr. Nikolaus la Roſe gehört zu den hervorragenden Berjönlichfeiten des damaligen Manı- heim. Dr. la Roſe war Arzt und bat jich bejonders auf dem Gebiete der Gejumdheitspflege und Gejundheitspolizei verdient gemacht. Er war der erite, der wie jchon oben erwähnt auf die furchtbare Gefahr der Peſt aufmerkjam machte und gleihb Schritte zu ihrer Befämpfung thun wollte. Er war es auch, der durch ununterbrochene Maßnahme jchlieh- lich doch die Seuche verdrängte und ihre Wiederfehr unmög- lich machte. Dies allein ſchon ſichert ihm einen Ehrenpla in der Gejchichte Mannheims. Doc joll fa Roje auch auf dem Gebiete des Bauweſens Tüchtiges geleiitet haben, wenn er ſich auch hier in Unammehmlichkeiten verwidelte und jeine Rech— nungen nicht recht ftimmen wollten, weshalb er jchließlich jeine Hemter niederlegte.

Die kurze Negierungszeit des Kurfüriten Karl und Rüdblil. 47

Bon den Bauten, die auf Anregung oder unter berathen- der Mitwirkung von la Roje entitanden, kommt zunächſt die „zum Gebrauch für das Volk und ſonderlich der franzöfiichen Gemeinde“ bejtimmte provifionirliche Kirche in Betracht, die aus Holz hergeſtellt auf die Karlsſtraße, etwa in die Nähe der jetzigen Concorbdienkirche zu ftehen fam. Außerdem wird eine „Nothkirche“ in das Rathhaus eingebaut.

La Rote entwarf für ein neues Rathhaus den Plan, den Karl Ludwig guthieß, und beaufjichtigte den 1673 begonnenen Bau. Nach Reparirung einer widerjpenjtigen Mauer wird das neue Rathhaus 1675 bezogen. Des Weiteren unternahm man die Bauten eines Schladhthaujes, eines Armenhaujes, eines Büchſenſchießhauſes, eines Krahnens am Nedar und bewirkte die Anfchaffung einer Schlaguhr. Und jo viel gab man auf die Bauthätigfeit auch von privater Seite, da man jogar Arrejtanten aus der Haft entließ, wenn fie veriprachen, bauen zu wollen. Ein widerjtrebender Bürger Namens Lantilier, der dem Frieden in Mannheim nicht recht traute und wegen den Lothringiichen Unruhen mit dem von ihm verjprochenen Bau eines Haujes am Marktplatz zögerte, wird (1670) vom Sur: fürjten Karl Ludwig ftreng gemahnt.

Die ftädtiichen Baumeifter, von denen u. WU. noch le Eoeur, de Poel genannt werden, erhielten einen Gehalt von 50 Thalern von der Stadt und der Fürſt jteuerte ein Fuder Wein dazu bei-

Zur Sicherung der Gebäude wurde 1673 eine Feuerlöſch— ordnung eingeführt. Zwei Feuerjprigen ließ man für 60 Thaler bei „Peter Rulant* anfertigen.

Die gejundheitspolizeilihen Maßnahmen, die zumeift la Roje in’s Leben rief, waren u. A.: Einführung der Fleiſch— ihau (Unterfuchung des Schweinefleiiches), Neinhalten der Höfe, Abbruch des Verkehrs mit Seucheverdächtigen Gegenden, Quarantäne für Fremde, die aus folchen Gegenden kamen. La Roje jhlug auch die Anjtellung eines „Stattmedicus“ vor und wurde beauftragt, die Inſtruktionen für einen jolchen Beamten zu entwerfen.

Aber nicht nur einzelne Perjönlichkeiten, jondern auch der

48 Die kurze Regierungszeit des Kurfüriten Karl und Rüdblid,

aus 9 Mitgliedern bejtehende Rath in jeiner Gejammtheit hatte in jener Zeit manches Schwierige zu leiften. So war dem Rath die NRechtöpflege, die bürgerliche, ftrafrechtliche und freiwillige, anheimgegeben. Im Ganzen jpielte ſich die Hechts- pflege in liberaler Weije ab.

Nichts von den anderwärt3 damals üblichen Folterungen fam bier zur Anwendung. Auch auf dem jo wichtigen Gebiete der Rechtspflege ging Mannheim durch freiheitliche Inftitutionen in jenen Zeiten entjchieden voran.

Die Lüfte der Freiheit lajjen eine Stadt raſch aufblühen und gedeihen. Und jo war es auch hier. Die Einwohnerjchaft Mannheims Hatte fi auf etwa 12000 Köpfe erhöht. Schon der Stadtplan von 1663, nad) dem die Bevölkerungszahl nur 3000 betrug, zeigt eine reiche Entwidelung. Angehörige der verjchiedenjten Religionsgemeinden und Nationen wohnten hier friedlich nebeneinander.

Den Bedrüdten und Berfolgten gewährte Mannheim eine Stätte des Schutzes, den nad freiem Leben ſich Sehnenden ein Feld friedlicher, gemeinjamer Arbeit. Mannheim wurde dadurch ein Vorbild freier Städteentfaltung, und den Kur— fürjten der Pfalz bleibt der Ruhm, ein folches Vorbild in deutichen Landen geichaffen zu haben.

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Mannheim vor der Serftörung (1689) und der Wohlftand der Stadt feit Karl £udwig.

Kurfürft Philipp Wilhelm aus dem Haufe Neuburg Jean Gardel

Weitere Religionsfreiheit Der Fall Langhans Grundfteinlegung

zur Nationalfirhe Die verjchiedenen Religionsgemeinden Wohlſtand Handel, Gewerbe und Verkehr.

Men e3 für das Lenau'ſche Wort: Ob jeder Freude ſeh ich ſchweben Den Geier bald, der fie bebroht eines betrüblichiten Beweiſes bedürfte, jo braucht man nur die damalige Zeit Mannheims in ihrem fi) Schon jo fröhlich ent- widelnden und reich aufblühenden Leben zu betrachten, über dem jchon der räuberijche Feind beutegierig feine Kreiſe zog.

AM das ſich reich entfaltende Leben, die behaglichen und freundlichen Stadtverhältniffe wurden fort und fort beunruhigt durch jchlimme Nachrichten von auswärts, die Krieg androhten und neue, furchtbare Gefahren anfündigten. Die verhängniß- vollen Folgen des großen politiichen Fehlers, den Karl Ludwig durch die Vermählung jeiner Tochter mit dem franzöſiſchen Prinzen begangen, jollten jih nun erjt ganz im ihrer kraſſen Wirklichkeit zeigen.

Das große Opfer, das die edle Charlotte ihrer geliebten Pfalz, ihrem Vaterlande gebracht hatte, es jollte ſich nicht nur al3 völlig vergeblich erweilen, jondern gerade noch dazu bei-

Deier, Geichichte der Stadt Mannheim. 4

Mannheim vor der Zeritörung (1689) x. 51

tragen, das Unheil drohender zu machen und dem Einfall der Feinde in das pfälzer Land einen Schein des Rechts zu geben. Ein furchtbares, ein tragiiches Geſchick, das nur ein ganz ftarfes Herz nicht zu brechen vermochte!

Ludwig XIV. behauptete feine vermeintlichen oder con— jtruirten Anjprüche auf den Beſitz der Pfalz und begann jie mit Gewalt geltend zu machen.

Dieje Feindſeligkeiten richteten ſich zunächſt gegen den neuen Regenten der Pfalz, den Kurfürften Philipp Wilhelm, der 1685 mit 70 Jahren die Regierung der Pfalz antrat und der in feinem Alter noch viel des Unheils erleben jollte.

Im Juli 1685 Hatte Bhilipp Wilhelm die Huldigung der Stadt Mannheim empfangen. Mit ihm fam wie ſchon gejagt das Haus Neuburg (verbunden mit Jülich und Berg) zur Regierung der Pfalz. Philipp Wilhelm hatte ſich zwei Jahre nach dem 1651 erfolgten Tode feiner erſten Gemahlin Anna Catharina Conjtantia, Tochter Königs Siegismund III. von Polen, mit der Tochter des Landgrafen Georg von Heſſen— Darmſtadt, Eliſabeth Amalia, vermählt, die zur Fatholiichen Kirche übergetreten war.

Das eigenmächtige Vorgehen Ludwigs XIV. präfudirte Ichon mit der Gefangennahme des angejehenen Manuheimer Bürgers Jean Cardel am 25. November 1685. Jean Cardel (geb. 1635 zu Tours), jeit 1674 in Mannheim und hier Be— figer einer großen Seidenmanufaftur, war von franzöfiichen Soldaten auf einer Reije nad) Speyer auf Befehl Ludwigs XIV. gefangen genommen worden. Er wurde einer Verſchwörung gegen den König bezichtet, doch war dieſe Anklage nur ein Vorwand, den Angehörigen einer in Frankreich wegen ihres Muthes gefürchteten Hugenottenfamilie zu bejeitigen. Er wurde in ber Baftille zu Paris eingeferfert, furhtbaren Folterqualen ausgejegt und an jchiwere Fetten gefeffelt. Er jtarb erft 1715 nad) 30 jähriger Gefangenjchaft, bis zuletzt noch an jeinen Ketten ſchmachtend.

Für dieſen unglücklichen Bürger Mannheims trat der katholiſche Kurfürſt Philipp Wilhelm mit dem König von Eng—

4

52 Mannheim vor der Zeritörung (1689) x.

(and, den Generaljtaaten von Holland und dem beutichen Kaifer ein. Der Kurfürſt that energiiche Schritte, die Be- freiung des Öefangenen zu erwirfen, doch blieben alle Berjuche bei der ihm ohnedies feindjeelig gelinnten, viel Schlimmeres noch planenden franzöfiichen Regierung vergeblid).

Der katholiſche Glaube des Fürften brachte für Mannheim feine nachtheilige Beränderung der religiöien Freiheiten mit fih. Die Katholifen Mannheims fuchten nur ihre etwas hinten- an gejtellten Rechte zur Geltung zu bringen, was nicht mehr als recht und billig war. Der Fürſt jelbjt hatte gleich am Tage nad jeinem feitlihh begangenen Einzug in Heidelberg (16. Auguft 1685) ein Mandat veröffentlicht, mit dem er bie Freiheit der Religionen von Neuem fihern und allen Streitig« feiten confejlioneller Art entgegenwirken wollte.

„Damit denen gemeinen Privatleuten jo heißt es in diejem Mandat deito weniger Gelegenheit und Anlaß zu dergleichen Religiong = Gezänfen und Mißhelligfeiten gegeben werde, jo wollen Wir hiemit gnädig und ernitlih, daß auch jedbweder Theil obbemeldter Religions-Verwandten auff den Cantzeln im Predigen und jonften jich feiner Religiong-Dispute anmaſſen, und da es die Materie erforderte, dab ein Glaubens: Artikul berühret und aufgelegt würde, ſolches mit Glimpff, und Ehrijten anftändiger Bejcheidenheit, ohne die andern Res ligions-Verwandten mit Schimpfen, oder jpöttlichem, oder wohl gar ehrenrührigen und anzügigen Hißigfeiten und verbitterten Läſt- und Berläumbdungen, auch Berdammungen anzugreiffen, vorgetragen (werde)“.

Daß es jedoch zu Zerwürfniffen zwiichen dem Kurfürjten und dem nunmehr feines Einfluffes und feiner Herrſchaft be— raubten Kirchenraths und Hofpredigers Johann Ludwig Lang: hans fommen würde, war vorauszujehen. Langhang wollte gewifjermaßen auch in die Gejchide des neuen Kurfürjten ein- greifen und überreichte dieſem perjönlich ein Teſtament des ver- jtorbenen Fürſten Karl, das durch jeine merkwürdige Beſtim— mungen allerdings als durch Langhans bewirkt oder einge: geben erjcheinen konnte.

Mannheim vor der Zerftörung (1689) ꝛc. 53

Der Kurfürft ließ in feinem Zorn über diejes Schriftitüd, da3 ihn wichtiger Erbgüter berauben wollte, den Hofprediger Langhans unter der Anklage der Teitamentsfälihung mit dem Kammerjunfer von Dollne und dem Leibarzt Dr. Winkler ver: haften und progeiliren. Das iſt dem Kurfürjten jchlimm aus- gelegt worden, allein die herausfordernden Vorkommniſſe recht- fertigen doch von jeinem Standpunkte aus den Sturz des durch die veränderten Verhältniſſe erbitterten Prieſters. Lang» hans wurde jpäter aus jeinem Gefängniß in Zwingenberg bei dem Einfall der Franzoſen befreit und flüchtete von da aus nad) Straßburg und Bajel.

Nicht unerwähnt darf hier bleiben, daß nad dem von Lipowski veröffentlichten Wortlaut diejes zum Gegenjtand der Anklage gemachten, fraglichen Tejtaments des verjtorbenen Kur: fürjten Karl anderen Staaten, jo der reformirten ‚Schweiz, Waffen ausgeliefert und den Angeklagten, Hofprediger Lang: hans und Leibarzt Dr. Winkler jelbjt beträchtliche Geldjummen übermittelt werden jollten.*)

*) In dem für die Beurtheilung biefes Prozeffes und ber Berbältniffe des Landes bei dem Regierungsantritt Philipp Wilhelms toichtigen, faum glaublih merkwürdigen Teſtamente“ heikt es: 1. Ihre Hoheit (die Hurfürktin Karl) hätten außer dem Heiraths Paetis unb andere barüber gemachte Verordnungen, auch der Aubeln und anbere Prä— tiofen, fo berfelben von Zeit au Zeit von ihrem Gemahl verehret worben, nicht® mehr gu erhalten. 2. Der alten vermittibten Churfürftlihen Durchlaucht fol zur Beſſerung ihres Wittums die Stabtsftellerey Weinsheim, und das Ampt Dirmftein, ober wo biefes dem Borhaben nad, an das Biſchoffthum Worms vertaufcht, alddann dasjenige, was man da— gegen befommt, zu dero Wittum gelaffen werben jolle, weilen obgemeldetes aber in bie Ehurfürftl, Gammer und Renteren gehörig, alfo ift hieran nichts. 3. Den Rhaugräflichen findern, fo beftänbig ben ber reformirten Religion beharren, das verordnete Jährliche Deputat, au dem Oberamt Bretten und Kellerey Weingarten, ber frau Louysen aber, abfonberlih ein Ring von 2000 Reichäthalern, 4. GhurBrandenburg dren halbe Car: thaunen, zwei 18pfündige, vier 12pfündige, vier Ipfündige und zwei Apfünbige Metallene Stüce, auch den Ehurapfel und das Moscomitifche Praesent nebit allem Gold und filbernen Aniiquitaeten, Mebaillen, Item bie Neichdtapeten von Julio Caesare. 5. Herrn Marg- grafen zu Ansbach drey halbe Garthaunen, vier 12pfündige und zwey Ipfündige Dietallene Stüde, beiigleihen die gange Rüftfanımer; Noch die alte Gron von Ruperto dem Röm. Htönig; Item dıe Tiara, fo unter der Erben gefunden worden ſeyn fol, begleichen bie Tapeten von Mufon und Belagerung Sandftubl; noch 1000 Mukquetten, 600 Garabiner und 1900 Piftolen. 6. Seren Herzogen zu Hannover zwey halbe Garthaumen, und was von 6pfündigen Metallenen Stüden noch vorhanden, befgleichen die Tapeten vom König Pharao, und ben Kindern Iſrael, auch bie von Salamone und Melcager. 7. Kern Sand- grafen zu Gaffel Hochfrftl. Durchl. drey halbe Garthaumen, vier 12pfündige und ein Gin- pfündiges Metallenes Stüd; bie ganze Bibliothee bey Hof; Alle güldene und filberne Diedaillen, fo nicht antin. ſeyn, deßgleichen bie Tapeten von Pauli Belehrung und bom

54 Mannheim vor der Zerſtörung (1689) x.

Durch Philipp Wilhelm wurde die Vorherrichaft der Re— formirten gebrochen und den SKatholifen und den Qutheranern neue3 Recht gewährt.

Die Lutheraner erhielten die Erlaubniß, ein. Pfarrhaus, eine Schule, eine Almojenkaffe, ein Spital und einen Kirch— hof zu erjtellen. Den Katholiten wurde gleichfalls ein eigener Begräbnißplag angemwiejen. Ihnen gilt and) die neue Beſtim— mung, daß für Kinder Ffatholiicher Eltern nur Vormünder fatholiihen Glaubens zu ernennen find. Im Februar 1686 wird der Gregorianifche Kalender eingeführt. Die Katholiken traten am 30. November 1686 in die freie Religionsübung ein.

Die Reformirten wurden bei alledem nicht wejentlich in ihrem firchlichen Leben beeinträchtigt. Der Kurfürft genehmigte die Erbauung der jchon von Karl Ludwig und Karl geplanten jogenannten Nationalfirche, einer Doppelfirche für die deutſche und franzöfiiche reformirte Gemeinde.

Mit der Grundjteinlegung zu diejer aus ſtädtiſchen Mit—

Bacho. 8, Die nicht legirte Mußquetten und Piquen in den Zeughäufern Heydelberg. Franfenthal und Friedrichbburg den Beformirten Cantoos in ber Schweitz. 9, Herrn Grafen von Gaftell das Schlob und Dorf Jlbesheim, banebenit alles erfauffte Silber: geichirr, jo ſich bei Hof befindet. 10. Herrn Grafen von Mitgenftein aber die Sutichen- Pierde, Sattel und Zeug, und was jonften im Marftall befinblih. 11. Seren Grafen von Caſtell, Seren Grafen von MWitgenftein ferner, dann Hofprebiger Langhans alle vor- handene und nicht legirte Tapeten; biefelben unter fich zu vertbeilen. 12, Dem von Adelsheim 1500 Reichsthaler. 13, Herm Jägermeiftern 1400 Rthl. 14. Dem Bebeimen Rath und HofsrPrediger Langbanfen 2000 Ducatian Gold. 15. Geheimen Rath Schmettau und Leib Mebico Dr, Winflern, jedem 600 Ducati. 16, Dem Über Gammerer von Galenberg ein paar Dörffer, fo vor biefem feiner Familie zugehbört, aber nicht gemeldet, im Ampt Moßbach. 17. Deflelben Schiweiter, der HofsJungfer bey Ihrer Hoheit aber, was noch von Ducaten in specie vorhanden, banebenft noch 2000 Rthl. an vorräthigem Gold in speeie, und dann alle vorhandenen Jubeln, barüber nicht disponirt, 18, Einigen Officirgi, als Obrift Cachena, Obriftlieutenant Stepp, Obrift Bartels, Capitain Dahn und Capitain Puiglerie 300 Ducaten, 19. Kriege-Gommiffariats-Berwaltern Dürr: telden, Seeretario Eulern, Baumeifter Wachten, Gammerrath Gensweiler, und Stüds Lieutenant Wagnern 1500 Ducaten, 2%. Gämmerer Dollue 1000 Rthl. 21. Obrift Inarn 800 Rtbl, 22. Obrift Aundher 1200 Rthl. 283. StüdsLieutenant Menb 600 Rthl. 24. Der gangen Milig, ſowol Officiren ala Gemeinen doppelte Belohnung, darzu das Dragoner und BeibsRegiment zu Fuß fampt ber LZeibsGarde abzudanfen und an GChur-Brandenburg zu recommendiren. 25. Denen Räthen und Canzley-Be— dienten zwey Quartal doppelte Beiolbung und bie übrigen HofsBebienten Churpfälziichen Gebrauch nach zu beneficiren. 26. Die noch übrige eigenthümliche Mobilien und Baar ichaft, ber Verwaltung zur befferen Verpflegung der Kelormirten Stirchens und Schuldiener zuzuftelfen. Ueber das noch 1000 Ducaten bem biefigen (Deidelberger) Hoipital.

Mannheim vor der Zeritörung (1689) x. 55

teln zu erbauenden Kirhe war eine öffentliche Feier ver- bunden, die am Dienitag, den 13. Oftober 1685 jtattfand und etwa folgenden Verlauf nahm:

Auf dem Plage der abgebrochenen und (am NRheinthor) wieder erbauten hölzernen Brovifionaffirche, auf dem das neue Gotteshaus errichtet werden jollte, waren drei Zelte aufge- jtellt. Der Rath und Amtmann Ludwig Jvahim Strauß er- ichien mit dem gejammten Stadtrath und dem Gerichtsjchreiber Johann Heinrich Reich und den jog. vier VBiertelmeijtern (Quar— tiermeiftern) auf dem Rathhauje. Die Deputirten des Kirchen— raths waren Profejjor Dr. Ludwig Fabricius, Hofgerichtsrath Philipp Burkhard und SKirchenrath Sekretär Ludwig Kreuz. Unter dem Geläut der Gloden begab man ſich früh '/,9 Uhr in feierlihem Zuge vom Rathhaus aus zu den Zelten. Dem Zuge voran wurden von den Biertelmeiftern zwei in Sammet gebundene und mit dem furfürftlichen Wappen gezierte Bibeln getragen, die eine in deuticher Sprache zu Herborn 1666 ge- drudt, die andere in franzöfiichem Tert 1565 zu Genf heraus: gegeben.

Dieje Bibeln legte man mit einer Medaille, auf welcher eine Anficht der Kirche und eine Injchrift geprägt worden war, und mit je zwei Flaſchen rothen und weißen Weines in den Grundſtein.

Von den deutſchen und lateiniſchen Schülern und dem ver— ſammelten Volke wurde ſodann ein Geſang (11. und 12. Vers des 118. Pſalms) angeſtimmt. Mit deutſchen und franzöſiſchen Predigten der Pfarrer Thilemann Ghim und Keßler fand die Feier ihren Abſchluß, die mehr einen internen ſtädtiſchen Cha— rakter hatte, da ſich der Hof an ihr nicht betheiligte.

Die Nationalkirche ſollte aus zwei gleichförmigen, mit je einem Dachreiter verſehenen Kirchengebäuden beſtehen, die ein großer Thurm verbindet, ähnlich dem ſpäteren Kirchen- und Rathhausbau am Marktplatz.

Zum Bau dieſer Kirche hat die Stadt vom Jahre 1684 bis 1688 im Ganzen circa 30,800 fl. beigetragen. Die Be— vorzugung der reformirten Kirche von ſtädtiſcher Seite läßt

56 Mannheim vor der Zerftörung (1689) ꝛc.

ſich auch hieraus erjehen. Die reformirte Neligion hatte hier drei Gemeinden, eine hochdeutiche, eine niederdeutiche und eine franzöfiiche, jede mit bejonderen Pfarrern und Conſiſtorien. Pfarrer der an Mitgliedern reichſten franzöfiichen Gemeinde waren u. U. Erispin und du Vivier.

Etienne Crispin aus der berühmten hugenottijchen Familie und der blinde Jacques Couet du Vivier, der gefeierte Redner und berühmt durch jein Eintreten für eine anzubahnende Ber- einigung der Reformirten und Qutheraner (auf der National: jyuode am 5. Januar 1660 zu Loudun), zeichneten ich hier im Jahre der Peſt durch Heldenmüthiges Wirken aus und fielen

jelbjt der furchtbaren Krankheit zum Opfer.

Als Vertreter der hochdeutichen Gemeinde ragte der jchon genannte Pfarrer Ghim durch energijche Bethätigung hervor; Seeljorger der niederdeutichen Gemeinde war Pfarrer Wilhelmus Mollerus (Molarus), ein aucd in weltlichen Angelegenheiten jehr erfahrener Berather der Familien, der u. A. Käufe abſchloß und Gelder auslieh.

An Streitigkeiten fehlte es in firchlichen Ungelegenheiten nit. Die Reformirten juchten ihre Macht zur Geltung zu bringen. Sie verflagten u. U. einen lutherischen Pfarrer von Rheingönnheim, weil er hier das Abendmahl geipendet habe, und bewirften 1680 (unter Karl Ludwig) einen furfürtlichen Befehl, wonach katholiſche Prieſter wenn jie fein exercitium religionis haben Kranke nicht verjeheu dürfen. Der Rath aber juchte in vielen Fällen dieje Streitigkeiten zu jchlichten.

Etwa 200 Familien umfagte die jüdiiche Gemeinde. Sie hatte fich Hier rajch zu regem Leben entfaltet, obzwar jie nur Handel und Geldgeichäfte betreiben durfte. Die wejentlichjte Bedingung der Niederlaffung war, innerhalb von 4 Jahren ein Haus zu bauen, ſodaß auch die Juden an der Erbauung Mannheims ſtark betheiligt waren. Die Juden bildeten ein jehr regiames Element in der Bevölkerung Mannheims, daß ichließlich der Rath befürchtete, fie könnten ihm über den Kopf wacien und im Jahre 1681 Mafregeln ergriff, weitere Ein—

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wanderung zu verhindern. Seit 1661 hatte die jüdiſche Ge: meinde einen eigenen Begräbnißplab.

Die Juden waren im Rath dur Vorjteher ihrer ziwei- gliedrigen Gemeinde vertreten, die aus Deutjchen nnd Por— tugiejen bejtand. Ein jolcher Vertreter der portugiefiichen Juden im Rath war u. U. Emanuel Carcajfone, während in der deutjichen israelitiichen Gemeinde fih u 4. die Namen Bens- heim, Hertz, Marcus vorfinden. Eine gewiſſe Eiferfucht zwiſchen den Deutichen und Portugiefen dieſer Gemeinde läßt auch hier mancherlei Streitigkeiten entjtehen, doch in ihrem ftrengen Glau— ben juchen fie gemeinjam die Einwanderung eine® in Amijter- dam „ercommunicirten“ Juden („Abraham Herzens Sohn“) zu hintertreiben und beim Uebertritt von Jiraeliten zum chrift- fihen Glauben herricht bei ihnen große Erregung, jodaß auch bier der Rath bejchwichtigend eingreifen muß.

Die Juden werden von der Stadt als jogenannte Schub» verwandte betrachtet, jie genießen den Schuß der Stadt, ohne volle Rechte zu bejigen. Sie find mancherlei Beichränfungen in eben und Verkehr ausgeſetzt, doch dafür vom Wachdienit befreit. Im Allgemeinen hatte die jüdiiche Gemeinde hier in Mannheim eine für jene Zeit ſchon beträchtliche Freiheit und blieb von all den jchweren Bedrüdungen verjchont, die in anderen Städten vorlamen.*)

*) Nur eine Heine Zahl von Mitgliedern hatten die Selten ber hutten'ſchen oder hutteriihen Brüder und der Socinianer, der polniichen Brüder gehabt. Die polniihen Brüder, von denen der von Karl Ludwig geihägte und ſpäter von Leifing erwähnte Schrifiteller Wiffovatius (Andreas Wiszovaty von Sumdli, polnischer Magnat) und ber gleichfalls durch ſocinianiſche Schriften bekannte Joahim Stegmanı befonders genannt jeien, verließen bereits im Peſtjahre 1666, nachdem ihnen der reformirte Stirchens rath jede Agitation für ihre Sache verboten hatte, die Stadt. Wiszovath (deffen Sohn hier übrigens bei einem Knopfmacher in die Lehre ging) wandte fich nad) Amfterbam, Stegmann nadı Siebenbürgen. Beide ftarben im Sabre 1678. Die Zahl der hutterifchen Brüder bejchränfte fi im Jahre 1684 anf drei Familien (Mofed Wirg, Joſeph Grittmann und Abraham Zahn), die fih jedoch zur reformirten Religion befehrten. In ihrem Gebäudehof joll es trog des von ihnen zur Schau getragenen Muder: thums unfittlich zugegangen fein, in Folge deilen der Rath eine Vermahnung an bie dort wohnenden fremden „Weibsleut” ergehen ließ.

58 Mannheim vor der Zeritörung (1689) x.

Der Kurfürſt Philipp Wilhelm zeigte ſich ber fo ver- ichiedene Religionsgemeinden bergenden Stadt Mannheim durch⸗ aus gewogen. Er bejtätigte vor Allem die bisherigen Privi- fegien ohne jede Einjchränfung und befreite außerdem noch im Jahre 1686 eine Reihe jtädtiicher Gebäude, wie das Rath— haus, die Stadtichreiberei, die Wohnungen der Stadtbeamten und des Scharfrichters, die jog. Chriften- und Juden-Schrannen von jedem Grundzins.

Die Stadt Mannheim verjtand fich dagegen bei dem Re— gterungsantritt Philipp Wilhelms zur Zahlung bes ihr zuge- ichriebenen Theiles eines für den Fürſten geforderten Donativ- geldes und jpendete 3000 fl. Eine jolche Forderung war aller- dings unvereinbar mit den Privilegien, aber die Stadt mochte doch die Begründung diejer Forderung für richtig halten, daß einem Fürſten, der in ein jo „leer gefundenes Land“ kommt, etwas aufzuhelfen jei, und betrachtete diefe Ausgabe mehr als eine zu gewährende Schenkung.

Die finanziellen Verhältniſſe der Stadt Mannheim bes zeugten einen gewiſſen Wohlitand, fommen uns auch heute die noch erhaltenen Jahresrechnungen aus jener Zeit höchſt unbe- deutend vor. Ein Rentmeiſter (ſeit 1668) und die Bürger: meilter verwalteten die Rechnungen und dieje werden „abge- hört“ von furfürjtlihen Hofkammerräthen.

Die größten Einfünfte verjchaffte der Stadt das Umgelt auf Bier und Wein. So erhob man im Jahre 1687 für einen Fuder Wein 15 fl. und für einen Sad Malz 15 fr. Der Zentner Tabak wurde mit 10 fr. beftenert. Außerdem wurden an ben Thoren Weggelder, auf dem Markte Standgeld, am Rhein und Nedar Fahrgeld, ferner Waaggelder beſonders für die zum Verkauf gebrachten Tabafpflanzen u. ſ. w. u. ſ. w. erhoben,

An Wirthichaften mit Wein- und Bierverichant fehlte es ihon zu damaliger Zeit in Mannheim nicht. Ihre Zahl be= trug im Jahre 1687 über hundert. Schon früher trugen hier Wirthichaften die Namen „Eihbaum*, „Wilder Mann“, „Gerſte“, „Walfiih“, „Zum halben Mond“, „Ritter St. Georg“, von denen die legten drei jeit 1673/75 ſich noch heute

Mannheim vor der Zeritörung (1689) x. 59

an denjelben Stellen befinden. Gegen den Verkauf jchlechter Getränke wird aufs Strengjte vorgegangen, zur Strafe dafür das Schild der Wirthichaft heruntergeworfen und der Zapf zu= geichlagen.*)

Ueber dad Zehen und Spielen in ben Wirthichaften zur Zeit des Gottesdienftes an Sonntagen wurde öfter von der Geiftlichkeit geklagt. Der Rath juchte dagegen einzujchreiten und verbot vor allem auch den Wirthen, Soldaten zu „ver- führen“. Händel zwiichen Bürgersleuten und Soldaten waren damals an der Tages= oder beſſer Nachtordnung. Die Polizei- jtunde wurde eingeführt. Das Jahr 1675 iſt das Geburtsjahr der Bolizeijtunde in Mannheim.

Die Sittlichfeit meinte man durch Ausweiſung „Liederlicher Dirnen” zn fördern. Die Ausweiſung wurde den Stattknechten überlafjen, die dafür 15—30 kr erhielten.

Dieje Stattknechte waren die „Vollzugsorgane“ des Stadt- raths. Sie hatten den oft jchwierigen Verkehr mit einer Be— völferung verfchiedener Nationalität in allen ſtädtiſchen Ange— legenheiten zu vermitteln. Es wurde daher darauf gejehen, daß fie neben der deutichen auch die franzöfiihe Sprache iprechen konnten. Sie trugen eine Art Uniform aus rothem Tuh und blauem Futter mit Knöpfen in blausweißsrothen Farben, die jedenfalls jchon damals die Stadtfarben waren.

*) Laut Regierungsbeihluß vom 8. Febrnuar 1669 find Die Preiſe für Speiſe und Trant in Wirtſchaften folgendermaßen feitgeiegt:

1. daß der Würth vor eine trufene Mahlzeit von dem Herrn 80 fr. erhalten und hiergegen 6 gute Gerichte anſchaffen ſolle, als

a eine Supp

b ein Gemüs und die übrigen vier Schüffeln an Fleiih, Fiſch, Paiteten, Wildpret, Ge: badenes nad; Welegenheit der Zeit

2. vor einen Diener joll bezahlt werthen 12 kr.

3. für einen Sejter Haber 7 fr.

4, für den Wein pur und unverfälicht bleibt es dabei, daß Die 1666er vor 4 Batzen, 1667er vor 10 fr., 1668er die Maas um 8 fr. aus: gegeben werben.

5. indisſtincte joll ein Herr vor jein Nachtlager oder Bett 4 kr., der Diener 2 fr. zahlen.

60 Mannheim vor der Zerftörung (1689) x.

Stadtrechnungen

1683—1688

nach der erften von Feder bewirften und erläuterten Deröffentlichung.

Die älteite Stabtrehnung, weldhe erhalten geblieben it, datirt vom Sabre 1683. Darin ift eine Einnahme von . i 18,932 fl. 48 fr. und eine Ausgabe von . ; ; A . ; 8,940 fl. kr.

conitatirt, jomit war ein Heberihuß vorhanden von 8,492 fl. 48 fr. Die Haupteinnahmäpoften bilden:

a. das Nedarfahr mit : ; \ 2 1,646 fl. 22 ir, b. das Waidgeld mit i E \ . 543 fl. kr. e. dad Waggeld mit . - . ; 1,976 fl. fr. d. dad Umgeld mit . ; . ; B 6,624 fl 15 fr. e. dad Weggeld mit : ; ; 373 fl. Fr. Unter den Ausgabspoften figurisen:

a. an Dienftbeioldungen . 5 5 n 2,006 fl. 59 Er. b. Baufoften . r i } : R 2,554. kr. ce. das Pflafter mit . : i 2 } 168 fl. kr. d. für Zehrung ; \ i 377 fl. ke.

Bei Einnahmen und Ausgaben Figurist regelmäßig ein unbeftimmter Poſten „in’8 Gemein“, unter dem alle Einnahmen und Ausgaben zu: fammengefaßt werden, die unter die gewöhnlichen Rechnungsrubrifen nicht paffen. Das „Insgemein“ erreidt aber mandmal einen Betrag von mehreren taufend Gulden.

Die Rechnung pro 1684 weilt Einnahmen nad im Betrage von

25 791 fl. fr.

Ausgaben : } ; i 17,668 fl. 46 Er. Im Jahre 1685 fielen ſich die Einnahmen auf . . 21,672 fil kr. die Ausgaben auf . N f . ; 17,913 fl. 30 Er. Sm Jahre 1686 die Einnahmen auf y ; 3 j 19,824 fl. fr. die Ausgaben auf . . F ; ß 16,455 fl. 5t fı. Im Sahre 1687 betragen die Einnahmen j } j ; f 22,120 fl. 26 fr.

die Ausgaben ; e : 5 ; 18,799 fl. 30 fr.

Mannheim vor der Zeritörung (1689) x. 61

Die Stadtrehnung vom Jahre 1688 iſt die legte des alten Manns» heim. Sie geftattet einen eingehenden Blid in die damaligen finanziellen Berhältniffe. Sie ift geftellt von den damaligen Bürgermeiftern Bonen- fant und Philipp Fuchs und wurde abgehört im März 1699 von den Hoflammerräthen Zwenger und Sigmund Gabriel Böhm, melde ſich damals in Weinheim aufhielten. Sie conftatirt eine Einnahnte von

81,437 fl, 54 fr.

Die Ausgabe belief fi dagegen auf . 26,848 fl. 40°, kr. fo daß ein Ueberihuß vorhanden war von 4,584 fl. 19 Er.

Die einzelnen Ausgab3poften find:

1) an bie gnädigſte Herricdaft (Sriegägelber) 4.558 fl, 1 kr.

2) an Dienitbeioldbung . i n 3 2,058 fl. 84 Er. 3) Bıüdenkoiten . P R Ri a 1,083 fl. 26 fr, 4) an Marktverwandte . . ; 187 fl. 82 fr. 5) für Lichter und Brennößl . ; . 294 fl. 26 fr. 6) für Weidgelt . 81 fl. 12 Er. 7) zu Kriegskoſten an bie Brangfe z 9,368 fl. 82 fr. 8) zur Behrung . i } ; 284 fl. 45 fr 9) den Mauren . r i . ; 89 fl. 50 fr 10) den Zimmerlentben . . 48 fl. Ak 11) den Schreinern . : ä r i 17 fl. 22 fr. 12) den Glafern . . a Fee" 9f. 20 kr. 13) den Schlofiern . ; : A B 129 fl. 20 kr. 14) den Hafnem . j j . P 10 fl. 80 fr. 15) den Seien . .: 2... ; 8 fl. 41 kr 16) den Steämern . ; . i 102 fl, 42 fr 17) für Kalkziegel, Steine u i ; 8 fl. 83 kr. 18) für Bauho . . : : : 219 fl. kr. 19) zum neuen Kirchenbau i ; e 6,920 fl. 18 Er. 20) zu den Brunnenkojten ; ö i 108 fl. 48 fr. 21) zum Bilafter . . i : i 8 fl. fr 23) Insgemein i - 1,376 fl. 40 Er,

Zu den Sriegäfoften pos. ; iſt bemerkt:

Ahn aller Handt dergleichen Kriegskoſten bei Attaquir und Eins nehmung der Statt Mannheim auch gewehrten feindlichen Franzofen Winterquartier jeind nah und nach bezahlt worden nad Juhalt der abionderlich von Herrn Stattihreiber Reihen darüber geführten bier vornen bei Innehmgelt „ins Gemein“ allegirten Rechnung.

(Dieje legle Rechnung vom Jahre 1688 erflärt fich des Näheren aus den im folgenden Kapitel geichilderten Ereigniſſen.)

62 Mannheim vor der Zeritörung (1689) x.

Als ein Zeichen des Wohlitandes der Stadt erjcheint es, daß die Bürgerjchaft im Jahre 1675 der Stadt Philippsburg eine ftarfe Beihilfe zur Aufbringung der „franzöfiichen Con— tribution“ leitete und nicht weniger wie 1947 ji. 8 fr. jpendete.

Auch der rege Verkehr der Stadt mit anderen Ländern und die weiten Reifen vieler Bürger deuteten auf Reichtum und Wohlſtand. Man unternahm bejonders Reijen nad) Hol- land, der Schweiz, Franfreih, Italien und Portugal. Die Rathsmitglieder erhielten bei Reifen im Auftrage der Stadt bejondere Deputate.

Handel, Landwirthihaft und Gewerbe gediehen immer mehr. Tabak: und Weinbau, Viehzucht, Tuchmacherei, Gerberei, andere Handwerfe verjchiedener Art, im bejonderen das Bau handwerf, nahmen hier einen raſchen Aufichwung.

Marktihiffe verkehren ftändig mit Mainz (das erjte da— hin 1675 von Dfivier de la Motte eingeführt), Worms, Speyer. Ordinari-Fuhren find von Thomas Rieß nah Franf- furt eingerichtet. Die erjte „Ordinari-Fuhr“ ging von 1668 alle Freitage oder Samftage nad Heidelberg. Botendienjt wurde u. A. nah Sedan und Meb bejorgt. Später werden Poſtkaleſchen über Worms nad) Frankfurt (1673) und nad Speyer, Met von Johannes Hümpeljtein, Jean Brian und Sohannes Schadinger eingeführt, welch lebtere das Recht er- halten, an ihren Kutſchen das Stadtwappen anzubringen.

Als Poſtbote zur Berbindung mit der ftaatlichen Poſt— ftation Nedarhaufen ernannte der Rath 1663 den Lehrer Lammerts, (Im Jahre 1664 werden auf furfürftlichen Befehl die erjten Bojtpferde eingejtellt).

Das Zeitungswejen wurde anfangs gleichfalls durch einen Lehrer gefördert und zwar durch den Holländer Anton Sigier. Diefer verfchaffte dem Rathe etwa vom Jahre 1662 an nieder: deutjche und franzöfiiche Zeitungen. 1680 bezieht der Rath von dem Buchdruder Wilhelm Walther in der Friedrichsburg eine jedenfalls von diejem gedrudte Zeitung.

Ein erjter Anfang zur Anlegung einer Stadtbibliothef wurde mit der Anjchaffung des Repertorium Carpzovianum

Mannheim vor der Zeritörung (1689) ꝛc. 63

von Wigandus Mollerus 1676 gemacht. Das Buch ijt jeden- falls von einem Verwandten de3 Mannheimer Pfarrers Wil- helmus Mollerus verfaßt und wahrjcheinlich durch Vermittelung bes Lebteren angejchafft worden. Die Confiscirung eines hier von Heilbronn aus colportirten „Zajterjchaftsfalender“ fällt in das Jahr 1683.

Auch die Zahl der Beanıten und ihre Gehälter jagen etwas über den Wohlitand der Stadt. Der Rath wird aller: dings Hauptjächlich durch Allmende, Steuererläffe und andere Bergünftigungen „honorirt“. Allein die Gehälter der Stadt: beamten jind für damalige Zeiten jchon beträchtlich. So war dem Stadtjchreiber ein Gehalt von 150 fl. und dem Rent— meijter ein jolcher von 245 fl. ausgejegt. Die Biirgermeifter waren mit auf die Erträgniffe der Sportelbüchſe angewiejen. Vom Rathe angejtellt waren außer den jchon hier vorher ge- nannten Beamten u. U. noch ein Umgelter, ein Viehjchreiber, vier und jpäter acht Quartier» oder Biertelmeiiter, Brunnen: meijter, yleiichbejeher, Brodwieger, Weinjchröter, Rhein und Nedarfergen, die das Fahrgeld einzunehmen hatten, ein Kuhhirt, Geishirt und Schweinehirt und ein jogenannter Cin- quenift, der vom Thurme aus die Wache hielt und die Stunden „anzublajen“ hatte. Die Bejegung diejer Stellen erfolgt zu Martini jeden Jahres.

VII.

Die Zerſtörung Mannheims durch die Franzoſen.

Beginn des Krieges Vorkehrungen zur Abwehr des Feindes An— kunft der Franzoſen vor Mannheim Beſtechungsverſuche und Verrath Kapitulation Das Verbrechen Frankreichs an einem freien Kulturleben.

MH · ber all dem ſich ſo geſund und fröhlich entwickelnden Leben einer deutſchen Stadt ſchwebte aber, wie geſagt, ſchon das Unheil, das jeden Hauch der Freiheit zu erſticken ſuchte. Der alte Erbfeind ſtand auf der Lauer, aufquellende deutſche Freiheit zu vernichten. Frankreich mochte ſchon längſt ſein Augenmerk gerade auf dieſe aufblühende Stadt gerichtet haben, in welcher ſchon die Lüfte einer neuen, freien Zeit wehten.

Und jo konnte es kommen, daß der trotz ſeines „Sonnen— glanzes“ von reaktionären Mächten umſtrickte König Lud— wig XIV. ſich gerade auch Mannheim zum Opfer in dem von ihm dreiſt vom Zaune gebrochenen Kriege auserſah. Es war nicht gut, daß man am franzöſiſchen Hofe vielleicht gerade durch die Anweſenheit Eliſe Charlottens ſo viel der Pfalz gedachte. Wer weiß, ob man nicht durch dieſen Zerſtörungskrieg auch die ſtolze Pfälzerin abſichtlich demüthigen wollte. Ludwig XIV. verfolgte die angeblichen Erbanſprüche ſeines Bruders, des Herzogs von Orleans, auf das Allodialvermögen des dahin— geichiedenen Kurfürjten Karl weiter.

Die Sache fam auf dem Reichstag zu Regensburg zur Verhandlung, ohne zur Entiheidung zu gelangen. Darauf

Die Zerftörung Mannheims durch die Franzoſen. 65

rücten die Franzoſen am 4. September 1688 in die Pfalz ein und die Zeit, die damit für diefe Land begann, brachte die ihredlichiten Ereigniffe jeit feinem Beſtehen mit fich. Ein herr- liches deutjches Land zu verwüſten, die großartigen Dome, die prächtigen Sclöffer, das blühende Leben überhaupt zu zer- ftören, war den Feinden deutjcher Freiheit und Schönheit eine wahre Wolluft.

Aber die größte Schandthat diejes ganzen Raubfrieges, das größte Verbrechen an einer aufblühenden neuen Kultur war die Zeritörung einer Stadt, in welcher dieje Kultur eine erite, freie Stätte gefunden Hatte, war die Zerſtörung der Stadt Mannheim.

Hier war jchon ein Stück deutjcher Freiheit Wirklichkeit geworden, ein Vorbild gejchaffen für die freie Entwidelung der Städte und damit eine neue Zeit in Deutjchland eingeleitet.

Die Zertrümmerung einer jolchen, aus dem ſchweren Ringen und Kämpfen der Zeit mühjam hervorgegangenen Kulturarbeit verdient in der Gejchichte noch ganz bejondere Kennzeichnung.

Als die Nachrichten von den furchtbaren Verwültungen, die die Franzoſen nach ihrem Einfall in der Pfalz fich zu ichulden fommen ließen, nad) Mannheim drangen, da erichauerte die an ein friedliches, arbeitiames Leben gewöhnte Bevölferung. Das Vertrauen auf ihre gute Sache allein ftärfte fie. Aber die legte, jchwerfte Prüfung jtand ihr bevor.

Die allzubehagliche Kleinftaaterei in der Pfalz hatte feine genügende VBorjorge getroffen gegen Einfälle von feindlicher Seite,

Der Kurfürſt Philipp Wilhelm, alt und franf, war in, feiner Weiſe vorbereitet, jolchen Angriffen zu begegnen. Er hatte jelbit noch mit der Befeſtigung feiner neuen Herrichaft im eigenen Lande zu thun, in einem Lande, dag er wie ichon oben bemerft wırrde leer vorgefunden. Als das Wüthen der Franzoſen in der Pfalz beganı, hieß es, der Kurfürſt ſei vor Schreden darüber geftorben. Allein er war am 10, Oftober (1688) nad Neuburg geflüchtet und hatte jein neues pfälzer Reich wieder verlaffen.

Deier, Gelchichte ber Stadt Mannheim, 9

66 Die Zerftörung Mannheims durch die Franzoſen.

Zur Befoldung der Soldaten fehlten die nöthigen Mittel, ſodaß überall in den pfälzer Städten Meutereien ausbradhen und auch die wenigen Truppen in den Augenbliden der höchſten Noth noch verjagten. Wie verhältnigmäßig wenige, doc zu: verläjlige Truppen dazu gehört hätten, die Franzoſen auch aus der Pfalz zu verjagen, das hat die raiche Verdrängung des Feindes aus Schwaben dur zwei Negimenter Kavallerie bewiejen. Allein die ganze Pfalz war ohne jeden organifirten militäriichen Schuß und jo ftanden dem franzöfijchen Heer nur vereinzelt vorhandene Truppen gegenüber.

Leiht war es daher für Frankreich, ein jo jchußlojes Land zu überfallen und zu zeritören. Daß man aber ein ganzes Land mit ſyſtematiſcher Planmäßigkeit und voller Kalt- blütigfeit in eine Wüſte zu verwandeln verjuchte, das wird für alle Zeiten ein arger Schandfled in der „Sonne“ des franzöfijchen Neiches bleiben. Eine ſolche Handlungswetje ijt in der ge- jammten Weltgejchichte jelbit in barbarijchen Zeiten nur jelten wiederzufinden.

Die Vorkehrungen, die in Mannheim zur Abwehr des Feindes getroffen wurden, jtanden von Anfang an unter der Ausfichtslofigkeit auf irgend welchen Entjag. Die von dem Gouverneur der Stadt, dem unjeligen reiherrn von Seeligen: fron und dem in taujend Aengſten jich befindenden Schultheißen und Stadtrath verkündete Verordnung läßt den Vertheidigungs: zuftand Mannheims nicht jehr verheigungsvoll ericheinen. Es lautet dieielbe:

1. daß zuvörderit aller Bürger und Einwohner Gewehr und Proviant vilitiret, dabei auch einem jeden anbe— fohlen werde:

2, einen Kleinen Schanzforb auf dem Wall zu machen

. vor jeder Hausthüre einen Kübel voll Waſſer, und nachts im Haus ein brennend Lıcht zu halten;

4. zur Zeit des Lärmens, welcher durch drei Schuß vom Windmühl-Bollwerk aus der Feſtung angezeiget werden wird, joll ein Jedweder mit dem Gewehr auf jeinem angewiejenen Orte ericheinen, und jollen die Bürger und

e3

Die Zerftörung Mannheims durch die Franzoſen. 67

fedige Mannichaften nachfolgende Vojten bejegen: a) das Nheinthor- und Garten-Bollwerk Herrn Lantellier und Logets Compagnien, als von jeder Compagnie Die Hälfte, ein Bollwerk, b) das Krahnen- und Biegel- bollwerf, Herr Bouchet als jedes Bollwerf mit einer halben Compagnie; c) das Stein» und Bronnenboll- werf Herr Milkhauſen und Auerfams halbe Compagnie ; d) das Juden» und Knochen= Bollwerk, diejer zwei Hauptleute übrige halbe Compagnien.

5. Nun aber, und bis der Feind approcdiret, jollen alle Naht von drei Bürger - Cumpagnien die Quart aus» ziehen, und bei dem Heidelberger Thor von dem Herrn Commandanten Schenk die Ordres erwarten, die übrigen aber jich in ihren Häujern parat halten;

6. die alldier jich befindlihen Piemontejer jollen in Re—

jerve auf dem Sand vor der Feſtung jtehen ;

. die Maurer und Zimmerleute, Wiedertäufer und Juden jollen in die vier Quartiere der Stadt verlegt und von den Viertelmeiftern commandirt werden, um in ber Zeit der Noth mit gebührlichem Löjch:- Werkzeug dem Brand zu wehren.

8. Die Nedarbrüde joll, bis der Feind herannaht, jtehen bleiben, alsdaun aber in guter Ordnung abgeführet und diesjeits bei dem Krahnen gejtellt werden.

. Die Compagnien beitehen in:

2

Rantelier . ..200 Mann Loget Bouchet.250, Wilckhauſen ei ae ED: Aurlom® . ...125 Biemontejer . . . . 150

Summa 1050 Mann ohne Maurer, Wiedertäufer und Juden.

Solange die Waſſer- und Landſtraßen nod offen waren, wurde aus Mannheim Hab und Gut jo jchnell wie möglich geflüchtet. Am 22. Oktober jehnitt der Feind zunädit Die

5*

68 Die Zeritörung Mannheims durd die Franzoſen.

Waſſerſtraße des Nedars für Ausfuhr und Zufuhr ab und bald waren auch die übrigen Straßen zu Waſſer und zu Land in der Hand des Feindes.

Der Raubzug der franzöfiihen Truppen durch die Pfalz hatte ſich in leichter Weije vollzogen. Eine friedliche, meiſt ländliche Bevölkerung wurde von raffinirten Beutefuchern raſch bewältigt. Charafteriftiich für Ddiefen „Krieg“ war es, daß zwiichen den feindlichen Parteien gar oft ruhig die Heerden meideten jo recht bezeichnend für die Jdylle, die hier herz» (oien Zerſtörern zum Opfer fiel.

Gleich nad) der am 25. September erfolgten Einnahme Kaiſerslauterns durch Bouffler® und 2a Breteche hatte ſich der Kurfürit Philipp Wilhelm von der Friedrichsburg aus durch ein Schreiben an den zuleßtgenannten General über das Borgehen der franzöfiichen Truppen heftig bejchwert, allein ohne jeden Erfolg. Alzey, Neuftadt, Oppenheim, Worms, Speyer fielen rajch in die Hände der Franzoſen. Heidelberg fapitu- lirte am 24, Oftober und die Franzoſen jpotteten, daß ſie hier Stadt und Schloß für einen Reiſepaß eingetaujcht hätten, da eine Hauptbedingung der Uebergabe war, den Deutjchmeifter Anton Ludwig, einen Sohn de3 Kurfürften, in Frieden ziehen zu laſſen. Zahlreiche Orte des Odenwaldes erlagen Melac’s Zerjtörungsmwuth.

Philippshurg erklärte am 30. Oftober feine Kapitulation. Hier befand fich der von Philipp Wilhelm 1685 als Oberbe- fehlshaber der pfälztichen Truppen eingejegte Geheimrath und faijerliche Gouverneur Graf Marimilian Lorenz von Star: hemberg, der jomit durch die Belagerung der Feſtung gleich bei Beginn des Krieges von jeder Aktion zur Organijatton ber Vertheidigung der Pfalz überhaupt ausgejchlojfen wurde.

Sp wenig hatte diejer hohe Herr den Einfall der Frans zojen in die Pfalz vermuthet, daß er ji; gerade dem Vergnügen der Jagd bingab, als die Feinde vor Philippsburg ankamen, und fi nur mit Mühe vor jofortiger Gefangennahme in die Feſtung retten Fonnte.

Non Ladenburg aus verjuchte General Montclar am

Die Zeritörung Mannheims dur die Franzoſen. 69

1. November dem Gouverneur von Mannheim, Freiherrn Bernhard Seeliger von Seeligenfron, eine Aufforderung zur Uebergabe der Stadt zu überjenden, welches Schreiben folgender- maßen lautete:

„Monsieur! Nachdem euer Plab brennt, und ihr feinen Succur3 weder zu hoffen noch zu erwarten habt, al3 überjende euch gegenwärtigen Trompeter, welcher von euch einen guten Bahport für den Obriiten-Lieutenant de Bellerour begehren ſoll. Er Hat des Teutichmeiiters und bochfürftliche Durchlaucht nad) Mergenthal begleitet, und wird euch berichten, aus was für Bewegungsgründen diejer Prinz die Stadt und das Schloß Heidelberg an Monfieur le Dauphin übergeben Hat; werdet ihr als» dann nicht lange verweilen, jeinem Erempel nachzufolgen, damit ihr hierdurch gleichjalld einen ehrlihen und reputirlihen Accord von Monjeigneur erhalten möget.“

Allein Freiherr von Seeligenfron machte in diejer Sache kurzen Prozeh. Er verbot dem von Montelar abgejendeten Trompeter überhaupt erſt über den Nedar zu fommen. Er lief ihn dort durch einen Hauptmann abfertigen und ihm nur jagen,

„dab er zwar gegen Se. Durchlaucht des Teutjch- meiſters höchſte Perſon die tiefite Verehrung hege, und über den von höchitdemielben getroffenen Accord feine Be— merfung ſich zu erlauben wage, aber in jeiner Lage

Niemand anderem, als des Kurfürjten von der Pfalz

und deijen Kurprinz unmittelbaren Befehlen zur Ueber-

gabe der Stadt und Feſtung Folge geben werde, er jonad) den Herrn General Montelar nach Kriegsgebrauch erwarte.“

Wie ſchon oben erwähnt, war dem Könige von Frankreich an der Einnahme und Zeritörung Mannheims viel gelegen. Man Hatte vorerjt Pläne, die Stadt durch ein Bombardement zu zeritören oder jie nach der Einnahme zu entfejtigen. Die ruchloje Idee, die Stadt nach der Eroberung völlig Nieder-

70 Die Zeritörung Mannheims durch Die Franzoien.

brennen und dem Erdboden gleich machen zu wollen, wagte man troß aller Gewijjenlofigfeit noch nicht zu faſſen.

Der Uuartiermeilter Chamlay jchlägt dem franzöjiichen Miniiter Louvois zunächit die völlige und jchleunige Schleifung Mannheims vor, damit man dadurch irgendwelchen Friedens— bedingungen, die die unverjehrte Rüdgabe Mannheims fordern fünnten, zuvorfonme.

Mit welchen niederträchtlihen Mitteln in diejem joge- nannten Feldzuge gewirthichaftet wurde, dafür giebt die gleich nad) Ankunft des Heeres vor Mannheim durd) VBerräther in der Stadt vertheilte, auf über 60 Zettel gedrudte Aufforderung ein nicht zu verfennendes Beiipiel. Dieje auf gemeine Be— jtehung binauslaufende Aufforderung lautete:

„Es wird hiermit dem jämmtlichen Rath und ber Bürgerjchaft der Stadt und Feſtung Mannheim im Namen Monjeigneur le Dauphin ganz ernitlich zu wiſſen gethan, daß, wofern jie die Stadt heute Dato (3. Novem- ber) innerhalb zwei Tagen Ihrer Köriglichen Hoheit nicht ‚übergeben werden, nicht mur allein die Stadt gänzlich geplimdert und abgebrannt, jondern auch gegen die Ein- wohner mit aller Schärfe ohne einige Gnade verfahren werden joll; im all aber fie die Stadt innerhalb ob- beitimmter Zeit übergeben werden, jo veripricht Ihro Königliche Hoheit denjelben alle Gnade, und fie bei ihrem alten Herfommen, ohne einige Aenderung zu laſſen; denen Soldaten aber, jo ſich wider ihre Dffi- ziers aufrührerijch zeigen, und eines Bollwerks jich alsdann, oder eines Theiles bemädhtigen, und diejes ihres Vorhabens ein Zeichen geben werden, verjprehen Ihro Königliche Hoheit nicht nur allein einem Jeden injonderheit 10 Louis— d’or, jondern auch einen guten Paß oder Dienft unter Ihro Königlihen Majejtät Truppen, und ihre Dffiziers zu völliger Bezahlung ihres rück— jtändigen Solds anzuhalten.“

Die Zeritörung Mannheims durch die Franzoſen. 71

Hier mit der Eroberung Mannheims jollte jich der Dauphin, der jchon wegen der Einnahme Philippsburgs in contumaciam zu Verjailles gefeiert worden war, noch jeinen höchſten Kriegs— ruhm erwerben. Der mit Maria Anna Bictoria (Tochter des Kurfüriten Ferdinand Maria von Bayern) verheirathete Dau— phin Louis von Frankreich war zu diejer Zeit, in der man es für nöthig hielt, ihn durch irgend eine „Heldenthat“ hervor- treten zu laſſen, bereit3 27 Jahre. Er jollte aber den eigent- lihen Lohn für einen jolden Ruhm nicht ernten, denn er fam überhaupt nicht an die Regierung. Er jtarb noch vor dem Tode Ludwigs XIV. im Jahre 1711. Ihn, den Dauphin Louis, Hatte man dazu auserjehen, die Pfalz zu erobern, nicht den Herzog von Orleans, der doch wahrhaftig für jeine Intereſſen hätte jelbjt kämpfen können. Wenn irgend etwas die unehrlichen Abjichten diejer Kriegsunternehmung zeigt, To ift es died. Die Herzogin von Orleans, die muthige Pfälzerin, jagte dies auch dem Dauphin in's Geficht, als er ihr beim Abſchied vor jeiner Abreife in die Pfalz verfichern wollte, daß er den Krieg nur in ihrem Intereffe führe.

Nachdem das franzöfiihe Heer von Bhilippsburg nad) Mannheim gerückt war, fam der Dauphin mit dem gejammten Seneraljtab am 4. November Morgens unter den heftigiten NRegengüffen vor Mannheim an. Das Hauptquartier errichtete man in Nedarau. Der Uebergang über den Nhein war bei Rheingönnheim genommen worden und der Uebergang über den Nedar fand bei Feudenheim, von den Franzoſen Widenheim genannt, jtatt. Zur Erbauung von Schiffbrüden führten die Franzoſen jehr tragfähige Kupfernachen mit, die nach Angabe des berühmten Feſtungsbaumeiſters und Ingenieurs Vauban gebaut waren. Bauban jollte auch vor Mannheim die Be- (agerungsarbeiten leiten. Er war überhaupt der eigentliche Leiter diejer Belagerung. Der Dauphin und jeine Generale waren nur ammwejend, um jchließlich den Ruhm einzuheimfen.

Während nun Vauban jeine Arbeiten vor der Feitung begann, Herrjchte in der Stadt und Feſtung Mannheim leider Unfrieden und Streit.

72 Die Zeritörung Mannheims dur die Frauzoſen.

Vergeblich hatte der Gouverneur von Seeligenfron jchon vor Herannahen des Feindes einen Bericht an den Striegs- Commilfionsrath gerichtet und den Mangel an genügenden Truppen, an Lebensmitteln und Geld in lebhaften Farben ge— ſchildert. Weſentliche Hilfe erhielt er nicht.

Ein Betrag von 3500 fl., der dem Gouverneur vom Deutjchmeijter noch vor deſſen Abreije von Heidelberg aus gejendet wurde, reichte gerade, um den Offizieren eine halbe Monatsgage und den Gemeinen 10tägige Löhnung auszuzahlen. E3 mußten Gewaltmaßregeln ergriffen werden, um mur Die nöthige Nahrung für die Mannichaften zu erhalten. Unter Anz drohung der Anwendung von Gewalt wurde von den Bürgern die Lieferung von Fleiih und Wein gefordert und die im kur— fürjtlichen Befige befindlichen Zehntfrüchte mußten beichlag- nahmt werden, um Brod zu erhalten.

Großen Schreden verurjachte auch die Entdeckung ſchmäh— lihen Berrathes in der eigenen Stadt jedenfalls eine Folge des colportirten, oben mitgetheilten Bejtechungsichreibens. Man fand an der Thür und dem Fenſter des Stellers der Kanzlei, in welchem 300 Gentner Pulver lagen, eine brennende Lunte angelegt. Glücklicher Weile fam durch die rechtzeitige Entdeckung die ruchloje Abficht nicht zum Austrag. Bürger wurden be— ordert, den Seller jcharf zu bewachen. Inzwiſchen hatte General— leutnant Marquis de Joyeuje die linksrheiniſchen Feſtungswerke mit 3 Bataillonen Fußſoldaten und 2 NReiterregimentern raſch in Beliß genommen. Vauban ließ über dem Rhein 8 Gejchüte, jogenannte Ricochetfanonen, aufitellen. Sein Plan war, zus erit die Stadt, dann die Citadelle zu erobern. Auch über dem Nedar kamen Geſchütze zur Aufftelung, die das Nedarthor und Krahnenbollwerk beſchießen jollten. In der Nacht vom Montag den 8. bis Dienjtag den 9. November wurde ein Laufgraben am Baumgarten troß jtarfen Feuers der VBürgerwehr von den Franzoſen bis 60 Schritt an die Stadt herangeführt. Der Dauphin war jelbjt bei der Eröffnung dieſes Laufgrabens zu« gegen.

In der folgenden Nacht gelang es Bauban au, einen

Die Zerftörung Mannheims durd die Franzoſen. 13

Laufgraben von der Eichelsheimer Schloßruine aus bis nahe der dem Rheine zu gelegenen Fronte ber Feſtung jelbit zu führen. Während die jchon durch das Ausbleiben der Löhnung läjjig gewordenen Soldaten in der Feſtung jangen und jpielten, fonnte hier der Feind jo nahe an die Mauern beranrüden. Dagegen Hatte ſich die Bürgerwehr an der anderen Seite der Stadt jo wachſam und muthig erwiejen, daß die Fran— zoſen dort jehr weientliche Berlufte erlitten.

Mannheim war volljtändig von den Feinden umzingelt, auf allen Seiten waren Batterien zur Beſchießung der Stadt aufgejtellt und die Laufgräben machten das Vorrüden der fran- zöftihen Truppen an Stadt und Fejtung bis zu unmittelbarer Nähe möglih. So konnte das raffiniert vorbereitete Zer— ftörungswerf erfolgreich beginnen.

Am 3. November wurde die Beichießung der Stadt an- gefangen und bis zum Morgen des 10. November fortgejebt. Das furchtbare Flammenmeer, das durch die brennenden Häujer entjtand, jegte die Bürger in großen Schreden. Viele eilten von ihren Posten zu ihren Familien, um ihre Angehörigen und ihr Hab und Gut zu retten.

Die Frauen legten fih in’s Mittel und wollten auf eigene Verantwortung dem Unheil ein Ende machen Sie liefen in ihrer Verzweiflung auf die Wälle und winften mit weißen Tüchern, um damit die Uebergabe der Stadt anzus fündigen. Die Bevölferung wollte den Rath zwingen, Die Uebergabe der Stadt bei dem fich dagegen wehrenden Gouver— neur durchzujegen. Der Rath mußte jchließlich dem Drängen der Bürgerichaft nachgeben. Er jucdhte dem Gonverneur durch einen Bericht die verzweifelte Lage der Bevülferung und die Noth- wendigfeit der Uebergabe vorzujtellen. Auf diejen Bericht hin berief der Öouverneur Freiherr von Seeligenfron jogleich einen Kriegsrath, in dem bejtimmt wurde, daß dem Rathe die Ein- leitung von Verhandlungen mit dem Dauphin zu geitatten jei unter jtrengiter Einhaltung der VBerjicherung, eine Kapitulation nur unter Genehmigung des Gouverneurs abzujchliegen.

Am Abend des 10. November begaben jich zwei Raths—

74 Die Zerftörung Mannheims durch die Franzoſen.

herren und der Stadtichreiber in das Hauptquartier des fran- zöfiichen Generaljtabs nach Neckarau. Die Führung der Depu— tirten durch das Lager übernahm Marſchall Duras. Der General malte ihnen unterwegs die Situation in ſchwärzeſten Farben ab und eröffnete den angfterfüllten Räthen, daß es die höchſte Zeit jei zur Uebergabe, denn in folgender Nacht würde jonit die Stadt von den Grenadiren erjtürmt und ge- plündert werden.

Im Hauptquartier wollten die abgejandten Räthe dem Dauphin ihre Kapitulationsbedingungen unterbreiten, allein Monjeigneur ignorirte dieſe vollftändig. Er übergab den Räthen einfach einen Zettel, den er jelbjt mit Unterjchrift und Siegel verjah und der folgendes enthielt:

„Nachdem der Mannheimer Stadtrath und die Bürger- ihaft fich meiner Discretion ergeben als bin ich ge— meint, jie ſämmtlich beiihren Privilegien Redten und Geredhtigfeiten zu erhalten, und im Falle der Gouverneur von der Feſtung oder die pfälziiche Gar— nifon durch Einwerfung deren Bomben, oder mit ihren Kanonenjchüffen denen Kirch’ oder Häufern in der Stadt einigen Schaden zufügen werden: jo follen ſie von mir weder Quartier, nod Kapitulation befommen. Ich be= gehre Hingegen vermöge daß, jo ich durch gegenwär= tiges Schreiben dem Rath und der Bürgerjchaft accor- dire, daß fie morgen frühe, al dem 11. November, meinen Truppen jo ich dahin commandiren werde, der Stadt Nedarthor einräumen jollen und jolches durch meine Völker bejegen laſſen.“

Gegeben im Lager vor Mannheim den 10. November 1688. Louis. Der Gouverneur Freiherr von Geeligenfrun war über

diejes Nefultat der Verhandlungen empört und verweigerte auf das Beſtimmteſte jeine Einwilligung zu diejer Kapitulation. Er mochte vielleicht mit hellem Blick das jpätere Schidjal der Stadt vorausjehen und dachte jih wohl, um was es ich hier handelte.

Die Zeritörung Mannheims durch die Franzoſen. 75

Als am folgenden Morgen den 11. November die fran- zöftichen Truppen durch das Nedarthor in die Stadt einziehen wollten, verweigerte der Gouverneur die Schlüffel. Es fam zu einem Aufitand der Bevölkerung gegen die Soldaten und den Gouverneur. General Duras lich das Thor einjchlagen und das Volk half dabe. Der Gouverneur mußte der Gewalt nachgeben und befahl den 300 in der Stadt liegenden pfälziichen Soldaten, ſich mit den Fahnen, den Kanonen und der Munition in die Feſtung zurüdzuziehen. Allein nur 40 Mann unter dem Commando des Obriſt-Leutnants Perden und Majors Wagner folgten diejem Befehl des Gouverneurs. Die übrigen diejer Soldaten traten zu dem Feind über mit der Erklärung, „ne hätten ihre Sache ſchon ausgejtanden und jeien nicht ichuldig, in der Feſtung zu kämpfen.“

Drei franzöftiche Infanterieregimenter zogen in Die Stadt ein und Vaubans Arbeiter begannen jogleih vom Heidelberger und vom Rhein-Thor aus Yaufgräben gegen die Feſtung ber: zujtellen.

Das heftige Bombardement, das nunmehr auch von der Stadt aus zugleih mit der Beichiegung von der Rheinſeite aus gegen die Feſtung eröffnet wurde, riß große Breichen in die Feſtungswerke, bewirkte eine Bulvererplofion, die eine ganze Batterie in die Luft jchleuderte, und tüdtete und vermundete viele Soldaten. Bejonder8 wurden der rothe Thurm und fein Yußenwerf vor der Eichelsheimer Schlofruine jtarf beichädigt.

Von hier aus war dem Feinde aufs Wirkſamſte zu: gejeßt und jein Herannahen verhindert worden. Die Poſition hätte dem Feinde auch noch weiter große Schwierigkeit ge— macht, wenn bier nicht die offene Meuterei der Soldaten ausgebrochen wäre.

Aufgeftachelt durch einen feigen Verräther Namens Hart: mann Schüß hatten die Soldaten ein Complott gejchmiedet und geichworen, alle Offiziere zu ermorden, wenn nicht capitulirt würde.

Auch die Offiziere jchlugen angeſichts dieſer Rebellion der Soldaten die Kapitulation vor; allein der tapfere Gou—

76 Die Zerftörung Mannheims durch die Yranzoien.

verneur eilte jelbjt an den von den Soldaten bis auf einen Mann verlaffenen wichtigen VBertheidigungsplag des rothen Thurmes .und wußte die Soldaten wirklich zu bewegen, ihre Poſten wieder einzunehmen.

Sie forderten nur in Anbetracht ihrer Erichöpfung durch den langen Kampf baldige Ablöjung.

Der Gouverneur befahl deihalb einer anderen Abthei— lung die Beſatzung des Thurmes abzulöjen. Allein hierbei jtieß er auf den beftigiten Widerjtand und jener Verräther Hartmann Schüß jchrie dem Gouverneur zu: „Welcher Teufel will da hinüber auf die Mebelbant gehen. Es tit nicht mehr um die Zeit, daß die Offizierd Meifter find; man zahle uns in’3 Teufelsnamen unjeren rücjtändigen Sold!* Und mit den Worten: „Wird nochmal die Communicationsbrüde und das Schiff zujammengeichoffen, wo joll man fich nachgehends hin retiriren?“ juchte er jogar dem Gouverneur die erfolgreiche Vertheidigung des Platzes zum Vorwurf zu machen.

Der Gouverneur war jprachlos vor Zorn und wollte ohne Metiteres den Verräther mit einem Gewehre, das er einem Soldaten entriß, niederjchießen, allein ein Stabsoffizier jchlug das Gewehr beiieite, um das Aeußerſte zu verhindern. Aber der Näbdelsführer Schüb benußte den Borfall raih, um die Nebellion zu ſchüren und rief den Soldaten zu: „Ihr Burſche, haltet euch an mich; ich will euer Obrift jein; wir wollen die Bluthunde, die Offiziers, über den Haufen ſchießen, ftedt einen doppelt brennenden Lunten an!" Und die Soldaten ließen Sich durch diefe Aufforderung dazu Hinreißen, dem Gouverneur die Gewehre auf die Bruft zu jehen mit dem Gejchrei: „EI tt nicht mehr um die Zeit, gieb uns unjeren rüdjtändigen Lohn, oder Du bijt des Todes!”

Damit war das Zeichen zur allgemeinen Meuterei ge: geben. Die Dragoner und Infanteriften verließen den Wall, und das Zeughaus jollte erbrochen werden.

Da erkannte auch der Gouverneur die Unmöglichkeit, die Feſtung länger zu halten. Die große Geſinuung, der Muth

Die Zeritörung Mannheims durch die Franzoſen. 17T

dieſes ausgezeichneten Mannes war nicht im Stande, Trägheit und Verrath gegenüber den Sieg davonzutragen.

Freiherr von Seeligenfron verjammelte alle Offiziere um jih und legte ihnen die Frage vor, was in einer folchen Lage weiter zu beginnen jei. Die einſtimmige Antivort war, daß eine Kapitulation nicht länger zu vermeiden. ber bie Beweggründe zu diejem Entſchluß wurden mit Folgendem durch— aus flar geitellt:

„Die Feſtung wird nur darum dem Feinde übergeben, weil wegen der ausgebrochenen Meuterei in der Garnifon unter welcher der Haupträdelsführer Hartmann Schütz den Franzoſen von dem rothen Thurm ein Zeichen zu geben verjprochen, und nur deshalb daran verhindert worden, weil die Stiege auf diefjem Thurme abgebrochen war, johin jein Vorhaben zwar nicht ausführen konnte, aber deßhalb an eine getreue Verthei- digung nicht mehr zu denfen jet.“

Die Kapitulationsbedingungen enthalten 17 Abjchnitte und wurden nocd am 11. November in Friedrichsburg aufgezeichnet. Der Dauphin „accordirte* jie und zwar ohne Veränderung.

Dadurch geitaltete fih die Kapitulation durchaus ehren— voll für den Gouverneur, den jelbjt die Feinde ala energiichen und opfermuthigen Soldaten rejpectirten.

E3 wurde gewährt, daß die Garniſon aus der Feſtung mit Fingendem Spiel, mit fliegenden Fahnen, Musfeten auf der Schulter, Kugeln im Mund, brennenden unten und zwei Kanonen abzieht. Die Offiziere dürfen ihre Kutſchen und Wagen mit Gepäd und Mobilien mitnehmen. Die Garnijon fann ihren Weg unter ficherem Geleit nah Frankfurt und Düſſeldorf einichlagen.

Den zurücdbleibenden Bürgern der Stadt und Feitung wird die volle Einhaltung der Privilegien, jo auch in Reli— gionsjachen, zugelichert.

Freitag den 12. November früh Morgens erfolgte Die Uebergabe der Feitung durch Deffnung des Thores an der Stadtjeite, durch welches zunächit ein Bataillon franzöſiſcher In— fanterie in die Friedrichsburg einzog.

78 Die Zeritörung Mannheims durch Die Franzoſen.

Bon pfälziihen Soldaten jammelten ſich am folgenden Tage, Samjtag den 13. November, etwa 400 um den Gou— verneur. Nachmittags 2 Uhr marjchirte die pfälziiche Garnijon unter Elingendem Spiel und wehenden Fahnen durch das Rhein— thor aus der Feſtung. Am Rheinthor hatte ſich der Dauphin mit dem Generaljtab aufgejtellt, um die Garnijon vorbeidefiliren zu lafjen.

Der Gouverneur Freiherr von Seeligenfron war von jeinem Pferde abgeitiegen, um dem Dauphin die üblichen Ehrenbe- zengungen zu erweijen und jich mit der nochmaligen Berfiche- rung zu verabichieden, daß er die Feſtung nur im Folge der Meuterei übergeben habe. Der Dauphin ließ dies durchaus gelten und erwiderte: „Daß er dieſes Unglück wohl erkenne, ihn zwar bedauere, aber ihm das Zeugniß ertheile, als Mann von Ehre und Pflicht jich tapfer vertheidigt zu haben.“

Unterwegs jollte der Gouverneur noch in neue Bedräng- niß fommen und zwar Durch die eigenen Soldaten. Kaum hatte in Eberjtadt die aus 50 franzöſiſchen Reitern bejtehende Escorte am 16. November den Gouverneur und jeine Soldaten verlafjen, jo brady unter diejen neue Meuterei aus und eine Anzahl Dragoner bedrohten den Gouverneur mit dem Tode, wenn er ihrer Fahnenflucht irgend etwas in den Weg legen wolle.

Freiherr von Seeltgenfron fand zunächjt bei einem Darm— jtädtifchen Gardemajor Schuß und Hilfe, und als er mit einer kleinen Schaar von Getreuen über Frankfurt nad Heſſen-Kaſſel gelangte, konnten er und jeine Leute vorläufig wie andere Hülfs- truppen in die Dienjte des Landgrafen treten bis vom Kurfürft der Balz weitere Befehle eintreffen.

Der Abzug der Truppen aus Mannheim hatte auch noch ein militärgerichtliches Nachipiel, Gegen den Freiherrn von Seeligenfron wurde eine Unterjuchung eingeleitet wegen der Uebergabe der Stadt. Allein dem tapferen Gouverneur, der jich jogar während der Belagerung erboten hatte, aus jeiner eigenen Taſche den Sold der Bejagung zu bezahlen, war auch nicht die geringſte Pflichtwidrigfeit vorzumwerfen. Man bejchul-

Die Zeritörung Mannheims durd die Franzoſen. 79

digte ihn auch, bei dem Abzug der Truppen die ihm be— willigten beiden Kanonen nicht mitgeführt zu haben, aber er hatte nur wegen der Schwierigkeit des Transportes mit den Franzoſen vereinbart, daß ihm dieje Kanonen per Schiff nachge- ſchickt werden jollten, was aud) geichehen ift.

In dem durch den Wegzug der pfälziichen Truppen völlig ihuglojen Mannheim begann nunmehr unter der Herrichaft der Franzoſen eine Zeit ſich heimlich entwidelnden Verrathes bis zum offenen brutalen Bruch aller Berficherungen und Ge— löbniſſe.

Zum Oberbefehlshaber in Mannheim wurde der franzöſiſche Oberſt Harcourt ernannt. Er machte jich ſchleunigſt an Die Zerjtörung der Feſtung, ließ die von Vauban als vortrefflic) bezeichneten Kanonen der Feſtung nad) Philippsburg abführen, das Zeughaus mit den darin aufbewahrten Schägen ausplündern, die Wälle der Stadt und das prächtige Furfüritliche Schloß demoliren und von der Bürgerichaft als jog. Glodenranzion (zur Auslöjung der Gloden) 20000 fl. fordern.

Die Soldaten des Bigard’ichen Infanterie = Regiments und des Bourbon’ihen Reiter-Regiments juchten auf eigene Fauſt den Bürgern der Stadt Speije und Tranf für ſich in unmäßiger Weije, rejp. auch überreichliche Berjorgung ihrer Pferde abzupreſſen.

Die Bürgerjchaft bat in ihrer Noth den General-Inten- danten Le Grande um Abhilfe, wurde jedoch von diejem rohen Gejellen grob abgewiejen. Auch eine Verordnung des Kriegs- Kommiſſärs La Serre, welche die Verpflegung der Truppen genau bejtimmte (3. B. pro Mann des Tages nicht mehr wie 1 Pfund Fleiſch und eine halbe Maß Wein, für die Offiziere 3—12 Halbe Maß Wein), blieb zunächſt völlig unbeachtet und wurde erſt dann einigermaßen eingehalten, als General Mont- clar nad Mannheim zurüdfehrte und diesbezüglich jtrengjten Befehl ertheilte. Auch die Angjt der Bevölkerung vor Brand- legung und Plünderung juchte der als menichenfreundlich ge— ichilderte General Montelar zu beichwichtigen.

Dankbar für dieje tröjtenden Worte in Noth und Unge—

30 Die Zeritörung Mannheims durch die Franzoſen.

mach, juchte die Bürgerichaft den franzöfiichen Truppen freundlich entgegenzufommen.

Aber alle Hoffnung auf Redlichkeit und Erbarmen war umjonft.

Mitten in der Waffenruhe, ohne jede Urſache und ohne jeden Kampf jollte die Vernichtung der friedlichen Stadt voll: zogen werden.

Am 3. März 1689, aljo vier Monate nad) der Kapitu— lation, nachdem hier alle Feindſeligkeiten längit aufgehört hatten, wurde von dem Intendanten Ze Grande bei Anweſen— beit aller Generäle dem Rath eröffnet, daß laut Königlichen Befehl die Stadt und Feſtung niedergerijfen und dem Erdboden gleich gemacht werden jollte.

Die Bejtürzung der Rathsherren bei dem Empfang diejer Scredensnahricht war jo groß, da jelbjt die Generäle, dieje hart gewordenen Kriegsleute, ein menschliches Rühren empfanden und die ganze Schuld auf den Befehl des Königs abzuwälzen verjuichten.

Man ftellte es den Bürgern anheim, jelbjt ihre Häuſer niederzureißen und ließ befannt machen, daß denjenigen, welche in das Elſaß, nad) Straßburg oder Landau überziehen wollten, nicht nur ein Paß und Pla zum Bauen, jondern auch eine 10jährige PVerjonalfreiheit und freie Ueberfuhr ihrer Mobilien werde ertheilt werden.

Aber feiner der freien Bürger ging auf ein jolches Pak— tiren mit dem Feinde ein und die Bürgerichaft begehrte nur freien Abzug, der unter allerhand Chikanen ſchließlich gewährt wurde,

Doch nur ein Theil der Bürgerichaft vermochte überhaupt an den Ernit der Lage zu glauben, gar viele hielten die Zer— ftörung ihrer guten Stadt ohne jede Veranlafjung mitten im ruhigen Leben überhaupt nicht für möglich und verließen ihre Wohnungen nicht.

Als daher am 5. März eine Horte von 400 Soldaten und Mordbrennern die Vernichtung der wehrlojen Stadt begann,

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82 Die Zeritörung Mannheims dur die Franzoſen.

trafen die Zerftörer in den Wohnungen vielfach) noch die Bürgers- leute an, denen fie Haus und Habe vor den Augen zertrüm— merten und entrifjen.

Aber im Rauſch und Taumel der Zerjtörungsarbeit wuchs die Beitialität der Soldaten, das Einreißen der Häujer ging ihmen zu langjam die Brandfadel jollte den Untergang der Stadt beichleunigen.

Nachts 10 Uhr erreichte die Zerftörungswuth der Mord- brenner ihren Höhepunkt an die noch jtehenden Häuſer wurde Feuer gelegt, und die Keller, in denen viele Bürger auf den Rath der Generäle Hin ihre Sachen geborgen hatten, wur— den mit Pulver gejprengt.

Durd die von dem Flammenmeer der brennenden Häufer grell erhellten Straßen der Stadt irrten unter Wehflagen und Hilferufen Weiber und Kinder und die Väter juchten ihre Familien zu jammeln, um aus ihrer jo plöglich in einen Ort des Schredens verwandelten Heimath zu fliehen.

Das Thor am Nedar jtand offen und eine Rettung über die Brüde war noch möglid. Da wollte es ein unglüd- licher Zufall, daß gerade auf der anderen Seite des Nedars eine Abtheilung jächliicher Dragoner anfam und ein franzöſiſcher Offizier Namens du Buiffon erjchoffen wurde, der den fliehen- den Einwohnern beigejtanden hatte.

Von Neuem brach die Wuth der Zeritörer aus. Sie liegen die Brüde abbrechen, und damit war der Bürgerjchaft die Flucht auf’3 Aeußerſte erjchwert.

Am 6. März, Morgens, wurden die Minen zur Spreng= ung der neuerbauten Nationalkirche gelegt.

Pfarrer Caspar Gumbart, der jeit 15 Jahren jeines Amtes als Seeljorger der hochdeutichen Gemeinde waltete, wollte bier noch Morgens 10 Uhr das dem Untergang geweibhte Gottes— haus durch einen Abjchiedsgottesdient ehren. Er hatte mühſam den Aufichub der Zeritörung um wenige Stunden erbeten, allein jeine rührenden Worte an die hier im Elend und in treuem Glauben veriammelte Gemeinde wurde durch den Lärm der

Die Zeritörung Mannheims durch die Franzoien, 33

Brandftifter geitört, die die Kanzel und den Predigtituhl herab- warfen und die Kirchenbänke zerichlugen.

Bald war das Werf der Zerjtörung unter dem Hohnge— fächter der Soldaten vollzogen, die triumphirend die den Bürgern abgenommenen Sachen als Beute auf den Marftplag zur Ver- theilung trugen.

Mit den Kirchen war auch bald die ganze Stadt in einen völligen Trümmerhaufen verwandelt.

Bon der Stadtmauer war überhaupt nicht? mehr zu entdeden. Nur die Hauptitraße vom Nedar bis zur Feſtung blieb noch einigermaßen paſſirbar, alle übrigen Straßen bildeten eine einzige große Trümmerftätte Auf dem Schloßplage der Feftung erkannte man an großen Quabderiteinen die Reſte der aus jo edlen Motiven entjtandenen Eintrachtsfirche, des Tempels des Friedens zu früh von menjchlicher Güte erdacht und der noch unbejiegbare Macht entfaltenden Bejtialität zum Opfer ge: fallen. Die erbrochenen und beraubten Gräber dieſer Kirche fagten genug über die Art diejes Zerjtörungswerfs.

Und die Zerjtörer wußten, was fie hier der Vernichtung preisgaben.

Gleich nach dem erjten Anblid der Stadt Mannheim in ihrem jauberen und jchönen Bau und im ihrer großartigen Wafjerwelt hatte General Duras an den Minijter Louvois mit Begeifterung und daraus hervorgehender Uebertreibung berichtet daß Mannheim in der jchönjten Lage der Welt („dans la plus belle situation du Monde*) jich befinde. Der Feſtungsarchitekt Vauban hatte jpäter noch nach der Kapitulation Mannheims und eingehender Bejichtigung der Stadt das Urtheil gefällt, dab er noch feinen Pla der Erde in befjerem Zuftande gejehen habe als dieſen.

Ferner wußten die Zerjtörer auch recht wohl, daß ſich bier eine große Anzahl ihrer franzöſiſchen Landsleute angefiedelt und Schub und Heim gefunden hatten.

Die hier verübte Schandthat erjcheint durch al’ dies noch in ganz anderem Lichte; das Werf der Zerjtörung nimmt

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84 Die Zeritörung Mannheims dur die Franzofen.

dadurch den Charakter einer Schurferet an, wie fie die Welt- geichichte faum je gejehen hat.

Aber die Annahme, daß Gewalt vor Recht gehe, daß eine Schöpfung freien Geijtes vernichtet werden fünne durch die rohe Kraft der Fauft, erwies ſich auch hier wieder als ein Irrthum, wie er niedriger Gefinnung nun einmal anhaftet.

Troß Brand und Zerjtörung war die Seele dieſer Stadt nicht zu zertrümmern und gar bald erjchuf fie fich wieder eine neue Hille.

Berichiedene Male verſuchten noch die Franzojen das MWiedererjtehen der Stadt unmöglich zu machen. Bon Philipps» burg famen fie am 4. Auguft 1689 (unter Marſchall Duras), am 25. Auguſt 1691 und am 3. Februar 1692 nah Mannheim herüber, um bie bereit wieder erbauten Käufer, etwa 100 an der Zahl, zu vernichten. Auch die von circa 3000 Bauern und Arbeitern zum Theil jchon wiedererbaute Stadtmauer wurde von Neuem eingeriffen. Die Feinde verbrannten jogar die über dem Nedar errichteten ärmlichen Hütten und provi— jorijchen Häujer der hier zurücgebliebenen Einwohner Mann— heims und plünderten und raubten dieje bis auf's lebte Stück ihrer Habe aus. Nadt und bloß wurden die Bewohner in die Winterfälte des Februars hinausgejagt.

Ergreifende Tagebuchjaufzeichnungen des 1691 vom Kirchen» rath nad) Mannheim gejandten Feldpredigers und Pfarrers Daniel Schmidtmann, der hier in einem Bretterhauje jeine Antrittsrede hielt, veröffentlichte Dr. Tollin in den Geſchichts— blättern des Deutichen Hugenotten-Bereins (Magdeburg 1894). E83 heißt da: „Weil aber meine armen Zuhörer in tiefen Kellern oder in fleinen, auf Brandjtätten errichteten Häujern wohnten, brachen allerhand Krankheiten unter ihnen aus. Und da e3 an Pflege, Arznei und Fräftiger Speije gebrad), mußten viele Menichen elend jterben. Doch wir tröfteten uns, daß wir bei den Gräbern unjerer Väter wohnten, und daß wir nad unjerem Tode zu ihren Gebeinen würden gejammelt werden... . Ter unbarmberzige Feind wollte uns diejen Trojt nicht länger laifen. Er gebot uns mitten im harten Winter aus der Stadt

Die Zerftörung Manuheims durch die Franzoſen. 85

hinwegzuziehen. Bei Lebenjtrafe jollten wir dorthin nicht wieder zurüdfehren. Durd Bitten und Flehen verjuchten wir umfonjt jein Herz zu rühren. Es überfiel uns eine feindliche Abthei- lung aus Philippsburg, plünderte unjere Hütten, ftedte fie in Brand und mißhandelte die armen Leute auf’s Schändlichſte. Mehrere Kinder blieben auf der Flucht im Schnee fteden und famen jämmerlih um. Als der Feind abgezogen war, führte Viele die Liebe zur Vaterjtadt zurüd. Auf's Neue hielten wir dajelbft unjeren Gottesdienft. Aber nicht lange. Eines Sonn- tags (!) während der Predigt famen die Feinde abermals mit großer Wuth über uns und bejchoffen die Hütte (ein als Kirche errichtetes Bretterhaus), in der wir und verjammelt hatten, jo= daß die Kugeln in das Dah und mir und den laut auf: ichreienden Zuhörern über die Köpfe wegfuhren. In aller Eile mußten wir flüchten Am nächiten Tage verbrannten Die Franzoſen den Ort unjerer Erbauung nebjt den noch übrig ge: biiebenen Hütten, traftirten die Leute erbärmlih und ver- ihonten nicht einmal die unmündigen Kinder. Einigen von diejen jchoffen fie durch den Kopf. Den Entflohenen ließen fie melden, dat jie mafjafrirt werden würden, jobald fie ſich wieder in der Stadt jehen ließen. Darauf entichlojfen wir uns, aus Mannheim zu jcheiden, juchten aber bei dem franzöfiichen Kommandanten in PHilippsburg um die Erlaubnif nad, dies» jeit3 des Nedarjtroms am Ufer unterhalb Feudenheim Hütten bauen zu dürfen, was uns endlich auch gegen Bezahlung einer Summe Geldes gejtattet wurde.“

Allein all’ diefe an Graujamfeit und Raublujt verjchwen- dete Mühe der Feinde war umſonſt. Den leblojen Stein fonnten fie zertrümmern, aber die lebendige Idee erwies ſich unzerjtörbar und beitand auch dieje jchwerjte Prüfung. Sieg- haft erhob id) die wie aus einer geiltigen Nothwendigfeit ge- borene Stadt Mannheim wieder zu neuem Leben, ein Wahr: zeichen unzerjtörbarer deuticher Kraft und zugleich der Ohnmacht des Feindes.

86 Die Zeritörung Mannheims durd die Franzoſen.

Das Wiedererftehen Mannheim im 18. Jahrhundert brachte gleich eine neue Blüthezeit diejer Stadt mit fich. Neue Freiheit jollte Hier noch auf einem anderen Wege als dem bisher eingejchlagenen auf dem Wege der Kunſt erobert werden. Betrachten wir den eigenartigen weiteren Lauf ber Entwidelung der Stadt Mannheim im 18. Jahrhundert und juhen wir die richtigen Gefichtspunfte für eine neue Beur— theilung diejes vielfach noch recht u Beitabjchnittes zu gewinnen.

Kriegsfurie.

II. Abtheilung:

Yie Blüthe der Kunst in Mannheim.

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VIII. Der Wiederaufbau der Stadt.

Die proviforifche Verwaltung Mannheims von Heidelberg aus Maßregeln zum Schuge und zur Wiederfammlung der Geflüchteten Erneuerung der Privilegien Tod Philipp Wilhelms Hurfürft Johann Wilhelm Seine Beftimmungen zum Wiederaufbau der Stadt Der Plan Goe- horns Kirchliche Streitigkeiten Des Hurfürften freiheitliche Religions» declaration Rathhausbau Kirchenbauten Feier des 100jährigen Beitehend der Privilegien Kriegsunruhen Befignahme der Rhein: ihanze durch die Franzoien 1713 Der Licent Wafjerögefahr Zu: nchmender Wohlitand der Stadt laut Stadtrehnungen Bereinigung der Stadt und Feitung Kurfürſt Johann Wilhelm als Förderer der Kunſt.

Die bei den Trümmern Mannheims zurückgebliebenen ſowohl, als auch viele der in andere Orte geflüchteten Ein— wohner der Stadt hielten treu an dem Gedanken des Wieder- aufbaues ihrer bisherigen Heimathitätte feit.

Die Stadtverwaltung von Mannheim conjtituirte fich durch ein furfürjtliches Rejtript vom 16. Mai 1689 provijoriich in Heidelberg. Schultheiß Dr. Straßburg (jpäter 1691 Schultheiß Simon Jörger), Bürgermeister Theodor Timmermann, Rath Joh. Ph. Schadinger und oh. Georg Kayjert3 waren die bochverdienten Männer Mannheims, die troß des großen Un— glücks der Stadt ihren Muth nicht beugen ließen und unentwegt neue Schritte zur Wiedererbauung Mannheims unternahmen. Dit ihnen waren circa 75 Familien nach Heidelberg über» gejiedelt. Sie bildeten dort eine bejondere Mannheimer Ge- meinde und jtellten eine aus 4 Gorporalichaften bejtehende

90 Der Wiederaufbau der Stadt.

Bürgerwehr, die zujammen 61 Mann zählte und von den OÜberoffizieren 3. Georg Brad, Pierre Mauginot, Johann Niklaus Pompejati und Johann Overfam commandirt wurde.

In einem großen Zimmer der von Bürgermeiiter Timmer- mann für 174 fl. in Heidelberg gemietheten Wohnung fanden die Situngen des Rathes ftatt. Zu diejen Sitzungen wurden auch der Mannheimer Stadtrentmeijter Küftenmacher und der Stadtichreiber Reich, ſowie die Viertelmeiſter hinzugezogen.

Zunächit erließ der Rath das dringende Verbot an die umliegenden Orte, fich irgendwie an der Gemarkung Mannheim zu vergreifen, deren Bejit von der Bevölkerung der Stadt auch bei Abwejenheit in feiner Weiſe aufgegeben jei.

Sodann ließ der Rath zur Wiederjammlung der fich in verjchiedenen Städten und Orten aufhaltenden Mannheimer Bürger Aufzeichnungen anfertigen und jo wie in Heidelberg auch in Weinheim, Frankfurt, Hanau, Magdeburg Namensliſten aufitellen.

Durh eine bei Buchdruder Samuel Ammon in Hanau Ende März 1689 im Auftrage des Rathes für 30 fl. 42 fr in 500 Eremplaren gedrudte „Beritörung-Relation“, deutich und franzöfiich in verichtedener Weiſe verfaßt, jollte allerorten Mitleid und Hilfe erwedt werden.

Vom Kurfüriten Philipp Wilhelm erwirkte der Rath den Schub der Mannheimer Bürger in den Städten und Orten des Landes, in welche ſie geflohen.

Laut einer PBroclamation des Kurfürjten vom 23. Juni 1689 jollten die aus ihrer Stadt Vertriebenen auf ein Jahr in den Orten des Landes von Schatung, Frohn, Huth und Wacht u. ſ. w. entbunden jein.

Trogdem wurde den Mannheimern das Eril jchwer genug gemacht. Man empfand die „Fremdlinge“ überall als eine Lait und juchte fie wieder durch Chifanen zu vertreiben. Und jo mußte der Nat bald über die jchlechte Behandlung der Mannheimer Beichwerde führen. Mit einer Schrift vom 25. Juli 1689 wurde bejonders gegen die Umfreumdlichkeit der Weinheimer Bürgerichaft jchwere Klage geführt.

Der Wiederaufbau der Stabt. 91

Um Geld zu jchaffen, verpfändete der Rath die ihm vom Kurfürften Karl bei der Grunditeinlegung der Stadtmauer ver- ehrte goldene Medaille, die nach Frankfurt in Sicherheit ge= bracht worden war, an den Rath Steibing gegen ein Dar» lehen und verkaufte einen filbernen und vergoldeten Vocal für 61 fl. 30 fr. an einen Juben.

Des Weiteren arbeitete der Rath eine Denfichrift aus über die zu ergreifenden Maßregeln für den Wiederaufbau der Stadt, fir die Sicherung und Förderung derjelben.

In diejer Denfichrift wurde zuerſt dem Gedanken Ausdrud verliehen, eine Trennung von Stadt und Feſtung bei dem Wiederaufbau nicht mehr vorzunehmen. Man hatte das Ver— hängnißvolle diefer Trennung nur zu gut empfunden. Zu leicht fonnte die Stadt in die Hände der Feinde fallen und zu leicht fonnte man dann von der Stadt aus der Feſtung beifommen.

Den durch die Zerftörung der Feitungswerfe verurjachten Schaden berechnete man mit 609000 fl.; der Verluft der Stadt an Gebäuden und Inventar verichtedener Art wurde auf 865 469 fl. 30 fr. (nad) einer Aufitellung vom 25. Nov. 1689) angejchlagen. Sodann begehrte man die Schleifung der dem gejammten jüdwestlichen Deutichland und bejonders Mannheim jo gefährlichen Feſtung Philippsburg, jobald diejelbe den Händen der Franzoſen wieder entzogen iſt. Des Weiteren erbat man die Ermächtigung zu einer größeren Anleihe, da man jelbjt die Glocken habe dahingeben müſſen. Bor allem aber forderte die Denkichrift die Erneuerung der Privilegien.

Kurfürjt Philipp Wilhelm war mit einer Erneuerung und Erweiterung der Privilegien durchaus einveritanden. Er zeigte fih mit Theilnahme an dem Schickſal der Stadt jogleich bereit, alles zu thun, was den Mannheimer Bürgern zum Trojte und zum Wiedererjtarfen ihres Muthes dienen konnte. Wie er mit jener obenerwähnten Proflamation jofort für Schuß und Aufnahme der Mannheimer Bürger in den Städten des Landes Schritte that, jo gab er mit einer anderen Zujchrift zugleih der Stadt Mannheim, über deren „mehr als barbariihe und graujame Zerftörung“ er jeine Empörung

92 Der Wiederaufbau der Stadt.

ausdrüdte, die AZuficherung, daß er die „Privilegien, Frei— heiten und Immunitäten nicht allein zu erneuern und zu be- ftätigen, jondern auch jelbige mit andern Gnaden und Frei— heiten zu vermehren und zu derjelben Aufkommen jolche heyl- jame nüßlihe Berordnung mit Nächten ergehen zu laſſen gelinnet, dab fie fich deren Höchlich zu erfreuen, und darob der treuen landesväterlichen Borjorge zu getröjten haben werden.“

Freilich fonnte dieje Theilnahme des Fürſten nicht jo herzlich jein, ala jie ein aus dem Lande jelbjt hervorgegangener Negent befundet hätte. Philipp Wilhelm war erjt wenige Jahre Kurfürſt der Pfalz und welchen Uerger und Kummer hatte ihm dieſe für ihm wirklich jchlimme Erbſchaft jchon in diejer Furzen Seit bereitet! „Leer“ fand er das Land vor alles von irgendwelchen Werthe jollte andern vermacht worden jein, faum der Nagel an der Wand jollte ihm bleiben! Dann das Beſitzthum des Landes ſelbſt durch unvorfichtig gejchloffene Familienbeziehungen in Frage gejtellt und durch Krieg ge- fährdet! Und an den Feind mußte er jelbjt werthvolles Erb» theil abgeben und jchließlich wurde ihm das ganze neugewonnene Land verwüjtet und zertrümmert wahrhaftig, all dies war nicht geeignet, den Fürjten mit bejonderer Freude jeines Erbes gedenken zu lajjen. Das mildert einigermaßen die Vorwürfe, die man ihm daraus zu machen jucht, daß er jich während des Krieges raſch wieder nad) Neuburg zurückzog und dort dem Wohl jeines Haujes lebte, deſſen Zukunft übrigens auch mit derjenigen der Pfalz verbunden war.

Bejonders beklagte man ſich über glänzende Familienfeſte, die Philipp Wilhelm in Neuburg während des Strieges feierte (jo anläßlich der Hochzeit jeiner Tochter Maria Sophie mit König Peter IL von Portugal).

Auch hielt man ſich darüber auf, daß der Kurfürſt im Spätjommer 1690 troß der unglüdlichen Lage der Pfalz ſich an der Staijerfrönung Leopolds I. zu Augsburg in glanzvoller Weiſe betheiligte, allein jeine Tochter war die Kaiſerin follte der Kurfürſt der Pfalz hier fehlen? Gerade durch die Verbindung mit dem Staijerhauje konnte der Pfalz Hilfe

Ter Wiederaufbau der Stabt. 93

werden und es iſt mur zu beflagen, daß dieſe Hilfe nicht zur rechten Zeit wirfjam anzurufen war.

Philipp Wilhelm begleitete den Kaijer damals nah München und Wien, doch überjtiegen die Anftrengungen und Aufregungen, die mit diejen Feſtlichkeiten und diejer Reiſe verbunden waren, die Kräfte des Töjährigen Kurfürjten. Er erkrankte in Wien und ftarb dajelbft nad) furzem Krankenlager am 2. Sep- tember 1690.

Sein Sohn Johann Wilhelm, nach dem Tode feiner erſten Gemahlin Maria Anna, der Schweiter des Kaiſers (1689) im Jahre 1691 wieder verehelicht mit Anna Luiſe von Florenz aus dem Hauje Medici, trat die Erbichaft der Pfalz noch unter viel jchlimmeren Umständen an als jein Vater. Er erbte mit der Pfalz nur noch ein völlig ruinirtes Land, das ihm ſchließlich nicht einmal mehr eine Refidenz gewähren konnte.

Johann Wilhelm erwählte daher Düſſeldorf zu jeiner Reſidenz, erwarb fich dortjelbit hervorragende Verdienfte um die Kunst und ſchuf dort die Grundlage zu der noch heute be— rühmten Kunjtitadt.

Unter Johann Wilhelm begann in der Pfalz die Vor— herrichaft des Katholicismus. Wie die Worherrichaft der Calviniſten Unzuträglichkeiten mit fich gebracht hatte, jo blieben dieſe auch bei der neuen Vorherrichaft nicht aus. Die Katholiken juchten ihre neue Macht zur Geltung zu bringen und die das Herrihen gewöhnten Calviniſten fühlten fich dadurch ſchwer bedrüdt. Sie hatten auch thatjächlich jchwer zu leiden, denn ihre Kirchen und Schulen in der Pfalz waren durch bie Franzoſen jchon im fathofiiche Hände gekommen und der Friede zu Ayswid 1697 bedingte, daß dieje Kirchen und Echulen auch den Katholiken verbleiben jollten. Ob dieje Beitimmung nun mit oder ohne Willen des Kurfüriten Johann Wilhelm erfolgte, kurz bei der Regentichaft eines katholiſchen Haujes konnte bereits fatholiich gewordener Beſitz nicht jo leicht wieder calviniich gemacht werden. Das erjehnte Gleichgewicht zwiſchen den ver— ichiedenen Religionsparteien wollte ſich leider nicht einftellen und die eine Vorherrichaft löfte mur die andere ab. Dabei

94 Der Wiederaufbau der Stadt.

aber nahm die Kulturentwidelung ihren eigenen, nicht immer leicht zuerfennenden, doch fiheren Lauf, und wie fie durch die Galvinijten in der einen Weile gefördert wurde, jo jollte jie nun von den Katholiken in einer anderen Art weitergeführt werden.

Eine Religionsdeclaration, die der Kurfürft fpäter (am 21. November 1705 erließ), ficherte den Vertretern der drei verjchiedenen chrijtlichen Religionen volle Gewiffensfreiheit und jreies Bekenntniß ihres Glaubens zu.

Johann Wilhelm ſchloß ſich auch treu dem Kaijer und der deutichen Sache an, al3 der Krone Frankreichs von dem Neiche der Krieg erklärt wurde. Glüclicher Weiſe brachte diejer neue Feldzug, der jog. ſpaniſche Erbfolgekrieg, der Pfalz feine wejent- lihen Bejchwerniiie.

Der Stadt Mannheim gegenüber erwies fich der Kurfürſt durchaus wohlwollend und hilfsbereit. Unter ihm konnte fich die Stadt rajch wieder entfalten. Er jelbit trat für das Wieder: eritehen der Stadt ein, und als Wiedererbauer derjelben verdient er ın der Gejchichte Mannheims einen hervorragenderen Platz.

Zum Schuge des inzwijchen in der Nähe von Feudenheim (auf einem vom Kurfürjten jeit März 1692 überlaifenen Plage) errichteten Dorfes Neu-Mannheim, dem jeit 1695 der Raths— verwejer Küſtenmacher vorjtand, erließ der Kurfürft am 11. Juni 1696 eine Proclamation und forderte damit den Kaiſer, die Verbündeten und das pfälziiche Militär auf, dem nenerjtehen: den Orte ihren Beiltand gegenüber deu von Zeit zu Zeit fich wiederholenden Einfällen der in Vhilippsburg lagernden Franu— zojen zu gewähren. Auch die Verbündeten ſelbſt hatten den Ort ſchon fchlecht behandelt und ein Hauptmann La Vale, der im Januar 1696 mit 50 Soldaten von Mainz aus nad) Neu— Mannheim gefommen war, hatte alle der Bevölferung gebören= den Nachen einfach wegnehmen lajjen. Eine Bejchwerde des Kurfürſten bei Generalleutnant von Thumb in Mainz änderte an der Sache nichts.

Als der Kurfürſt bemerkte, daß die immer mehr ein- reißende Unordnung in dem einer jtarfen Berwaltung völlig

Der Wiederaufbau der Stadt. 95

entbehrenden Neu-Mannheim die Rückkehr der Geflüchteten und den Zuzug von Fremden beeinträchtigen fünnte, da verdffent- lichte er am 20. Dezember 1696 und am 27. September 1697 Proclamationen, mit denen er jeine Förderung eines Wieder: aufbaus des alten Mannheim anfündigte, neue Privilegien ver: hieß und die noch auswärts weilenden Geflüchteten zurückberief unter der Androhung, daß, wenn fie nicht innerhalb 5 Monaten zurüdfehrten, deren frühere Wohnpläge und Felder eingezogen würden, Während die fernweilende Magdeburger Colonie der Pfälzer ſich zu einer Rückkehr nicht entichließen fonnte, ant- wortete die Hanauer Colonie mit einer Denkichrift, die Vor: ichläge und Wünſche diefer Mannheimer Bürger vor deren Rückkehr enthielt. Beſonders begehrten die Letzteren Schuß der reformirten und lutherischen Religion. Am 14. März 1698 wurde vom Kurfürjten Johann Wilhelm der Wiederaufbau der Stadt definitiv angeordnet,

Der Kurfürſt betätigte dann auch am 31. October 1698 die für die Stadt Mannheim und deren freiheitlichen Sonder: charafter jo wichtigen Brivilegien auf 30 Jahre. Den Bau— luſtigen wurden damit noch größere Vergünſtigungen als bisher gewährt. Die Handwerker jollten nicht zur Bildung von Bünften gezwungen jein, ſie fonnten diejelben jedoch frei— willig einrichten.*)

Sodann ließ der Kurfürſt von dem niederländiichen General» leutnant und Feitungsarchiteften Menno Coehorn für den neuen Aufbau der Stadt einen Plan entwerfen, der dem Wunſch der Bürgerichaft: daß die Feſtung und Stadt vereinigt werde, entgegenfonmen jollte.

Seit dem Ryswicker Frieden 1697, (der die Pfalz einjchlieh- lich des Oberamts Bermersheim vom Feinde wieder Jäuberte und den Kurfürsten nach Enticheidung des Papſtes Lediglich zur

*) Die Beichränfung der Anfiedelung von Juden dürfte mehr dent Nathe der Stadt ald dem Surfürften zuzuichreiben fein, fwie aus früheren Nathödiscuffionen hervorzugehen jcheint, Es wurde u. A. beſtimmt, dat; jeder Jude, der zugelaflen werden will, mindeitens 1000 Thaler be— figen müſſe.

Kurfürft Johann Wilhelm aus dem Haufe Neuburg.

ÜUasse

noppen

Khem -Thor

382 Gerard Mickant

383 Jaques du Rieu

384 Andr@ Petillion

385 Louis de Beviers “86 Jaques Vandin

3#7 Matnis Gruson

88 Mathes Wilhelm

89 Drarbachs Wh,

3% Caspar Mittler

39 Hanner Bärwerth 392 Pierre Robert

393 Johann Ingelbert 34 Abraham Trolet

35 Wilhelm Cambert 396 Christoph Zimmermann 397 Jaques le Clerque Wh. 398 Roland le Clerque 399 Jost Cruson

100 Andreas Habels,Wb. 401 tieorg Haffner

40. Charles Fonrnier 403 Albert le Brun

404 Aloy de la Haye 405 Henrich Diemer

406 Director Clignet

407 Jean van Zille

Königin Carola von Sahfen Wwe. (als Prinzeffin von Wafa 1852 während ihres mehrjährigen Aufenthaltes in Mennheim) gemalt von Couis Coblitg Mannheim)

Der Wiederaufbau der Stadt. 97

Zahlung von 300000 Thalern an die Herzogin von Orleaus veranlaßte) war unter den nunmehr geiicherten Verhältniſſen die Bauthätigfeit in den Nuinen der Stadt Mannheim lebhafter geworden. Am 16. März 1700 wurden die nod) in den Mitten und proviioriichen Häuſern Neu-Mannheims campirenden Bürger vom Rathe aufgefordert, die Stadt wieder zu beziehen unter der Drohung, daß ihnen andernfalls ihr ‚sreibrief entzogen würde.

Der neue Plan zur Wiedererbauung der Stadt war von Coehorn ganz in dem Stile jener Zeit gehalten und zeigte eine mit vielem Geſchmack entfaltete regelmäßige Gliederung, die einer Stadt der Ebene weite Perſpectiven verleiht und die fernliegenden Bergfetten freundlich in die Straßen und Plätze hineinjcheinen läßt. Die Negelmäßigfeit einer jolchen Feltungsanlage erinnert einigermaßen aud an die Geſtalt der vömiichen Lager mit ihren hauptſächlich aus Nechteden gebil: deten Raumgruppen, mit ihren geraden Wegen und nad) vier verichiedenen Seiten angelegten Thoren.

Die eriten größeren Greigniffe bei dem Wiederaufbau Mannheims waren die Grundjteinlegung zum Rathhauſe am 17. September 1700 und die Grundjteinlegung zum Rathhaus— thburm am 5 Dftober 1701. Das Rathhaus iſt jomit im jeiner Grundlage das ältejte Gebäude des heutigen Mann heim. Der NRathhausbau wurde von Baumeiſter Georg Weger ausgeführt. Ueber die bei der Grumdjteinlegung zu dem Thurme jtattgehabten Feierlichkeiten berichtet eine aller: dings recht jchwerfällig abgefaste Urkunde (nad) Feder) folgendes:

„Nachdem befanntlich durch die für gewejenen Kriegs— troubel und frangöfticher feindliche Invaſiones hieſige Statt Mannheim und im Ddiejer auch das ſchön erbaute Rathhaus in Grundt ruinivt, zeritört und der Erde gleich gemacht, nun aber bei wiederhergejtelltem lieben Frieden, deſſen Conti— nuatton uns der Allerhöchite in lang Jahren gedeihen laſſen möge, aud) die von Ihrer churfürſtlichen Durchlaucht zu Pfalz, unjerem gnädigiten Herrn mildeit zugeiagten Privilegien Die Statt joweit zum Bau wird gebracht werden, daß nun auch

Oeer, Geſchichte der Stadt Mannheim 7

Rathhaus mit

Marftplag.

Der Wiederaufbau der Stadt. 99

das Rathhaus ald den Grundveit einer Statt nad Ertrag der eingehenden Mittel, wiederumb baldmöglichit zum Perfectiong- ftande zu bringen, uns obliegen will, alſo hat man zu deſſen zeigenden Eiffer den Grunditein zum NRathhausbau und noth- wendig erbauenden anjehnlichen Turm legen zu laffen beſchloſſen und zu diefem Ende Ihro Exc. Herrn Obriften Freiherrn von Wiejer, umb Namens Ihrer churfüritlihen Durchlaucht noch bevor dero vorhabenden Abreiß nadı Diüffeldorf diejem Actum mittelft Legung des eriten Steins zu decoriren per Deputatos gehorfamft erjucht, welche denn auch solches ganz williglich emplectiret,. ihre Reiß zu dem Ende noch in etwas verjchoben und den heutigen Tag zu jolcher Solennität gnädigjt anbe- raumt, da man mitteljt joviel fich wegen Kürtze der Zeit hat thun laſſen, alle Anjtalten gemacht und aljo heute zwiſchen 10 und 11 Uhr Se. Ercellenz in Begleitung des Herrn Generalen und Grafen von Leiningen bier erjchienen und ſich an den Rathhausplatz verfügt, jo war die daſelbſt mit Gewehr veriammelte Bürgerjchaft in jchöner Ordnung rangiret und nachdem auch die Geiitlichkeit mit Streug und Fahnen ad benedicendum lapidem jich eingefunden, jo werden in An— wejenheit vieler vornehmen hoc und niederen Standesperjonen und des gemeinen Volks, erjtlih von Herrn Stattſchultheißen die auf eine jilberne Medaille und zinnerne Tabell formirte Injeriptiones abgeleien. Nach diefem wurde mit Benedi- cirung des Grundſteins unter Hörung lieblicher Muſik fortge: fahren und jodann von Freiherrn von Wiejer die zu Handen geitellte Medaille und Tabell in den Stein gelegt, zu deſſen Befeftigung die gehörige Materialia von Ihro Ere. appliciret, jofort gejenft, und von dem übrigen hohen Umitandt zu deijen Einmauerung die Hand mit angelegt worden; inmittelft werden die auf dem Markt gepflanzten Canonen 3 mahlen gelöjet und von der Bürgerjchaft 3 ſchöne Salven gegeben, mithin unter fröhlicher Ausrufung Bivat Ehurfürit Iohanı Wilhelm

dieie Solennität mit alljeitiger großer Vergnügung bejchlojien“.

Der an die weltliche Seite des Thurmes angrenzende

‚100 ‚Der Wiederaufbau Ler Stadt.

Flügel des Baues wurde vom Nurfürjten zu einer Fatholiichen Kirche bejtimmt. Aus Stadtmitteln jollte dieje Kirche erbaut ‚werden, alle da dieje Mittel nicht reichten 309 man jüdische Beifteuer dazu heran, indem man diejenigen Juden ‚vom Häuferbau dispenfirte, die eine Zahlung von 160 fl. zu diejem Kirchenbau leifteten. Die Juden hatten damals über: haupt ein eigenartiges Berhältnis zu den Statholifen. Sie kamen den Katholifen aufrichtig entgegen und nahmen auch die nah Mannheim fommenden Kapuziner gajtfreundlih auf ohne jedoch großen Dank zu ernten, denn gerade von fathotiicher Seite wurde in der Folge über die „übermüthige Kleiderpracht” über „proceſſionsartige“ Hochzeitszüge mit Muſik und mit Fackeln „bey hellem, lichten Tag“ Beichwerde geführt. Dennoch erhielten die Juden die Erlaubnig zur Erbauung einer Synagoge (in F 2), die unter einem Koſtenaufwand von 6000 Fl» zur Austührung gelangte.

Die Einweihung der „Rathhauskirche“ erfolgte am 1. Mat 1710, doc) wurde noch bis 1720 daran gebaut und von Seiten der Stadt bis dahin im Ganzen 11406 Fl. dafür aufge wendet.

Rathhaus und Kirche bilden ein jtattlihes Monument ans der Zeit Johann Wilhelms in Mannheim. Die Ber: bindung des eigentlichen Rathhauſes und der Kirche durch den Thurm iſt in origineller Weife durch drei Aufichriften in gol« denen Lettern markirt. Das an dem Thurm prangende Wört- fein „Et* vereinigt die an den Gebäudetheilen des Rathhauies und der Kirche angebrachten ‚Aufichriften F„Justitiae* und „Pietati.“

Der ganze Bau wurde in Fräftigem und gut gegliedertem Früh-Barock ausgeführt. Der Säulen: und Bilafterjchmud it mit Anklängen an den dorischen, jontjchen und korinthiſchen Stil behandelt. Jenen vorher erwähnten Inſchriften entiprechen die über den Façaden der beiden Flügel aufgeftellten Gejtalten der „Gerechtigkeit" und der „Frömmigkeit“, legtere von Bildhauer Bitterich gemeihelt. Vortreffliche und charakterijtiiche Kunſt— werfe jener Zeit find auch die gleichfalls Recht und Glauben

Der Wiederaufbau der Stadt. 101'

verförpernden Männer- und Engelögeitalten, welche die nördlich gelegenen Balkone tragen. Das Inmere der Kirche hat etwas von der Form der alten Baſiliken. 10 Säulen korinthiſchen Stiles theilen das Hauptichiff von dem Mittelichiff ab. Der werthvolle Hauptaftar ift in neueiter Zeit merfwürdiger Weile bei einer Renovation der Kirche entfernt worden und befindet jich gegenwärtig im Kunſtgewerbe-Muſeum zu Berlin. Auch) eine Chriftusftatue, die in der Mitte des Balfons aufgeitellt war, wurde meuerdings bejeitigt. Die Seitenaltäre find mit Säulen aus rothem Marmor geziert. Die 1712 für 600 fi, in Frankfurt a. M. gekaufte Orgel erfüllte das Haus bis zum Iahre 1878 mit ihren Klängen. Ueber die Gloden der Kirche iit erjt jpäter zu berichten

Auch die lutheriſche Gemeinde erhält die Genehmigung zur Errichtung eines eigenen Gotteshaujes. Die Stadt jpendete zu den dazu nöthigen Mitteln nur 100 Thaler. Das Uebrige mußte durch eigene Mittel und durch Sammlungen in aus— wärtigen Gemeinden aufgebracht werden. Regiments-Haupt— mann Saspari, Stadthauptmann Tremelius und die Leutnants Leopold und Paul Debertshäujer begaben ſich auf Reifen (jo auch nad) Sachen, Dänemarf und Schweden) und erhielten veichliche Beiträge. Außerdem jendete die Nachbarftadt Frank— furt 920 fl.

Der Grundjtein zu diejer Kirche, der noch heute ftehenden Trinitatisficche, wurde am 30. September 1706 gelegt. Pfarrer Mettenius hielt bei dieſer Feier die Predigt. Der Bau dauerte drei Jahre, zeitweilig wohl auch aufgehalten durch die fehlenden und erſt herbeizujchaffenden Mittel. Am 1. Oftober 1709 fonnte die Einweihung jtattfinden. Die Feierlichkeiten wurden von Confiftorialrath Schlofier als Redner und von Vicar Feder als Veranftalter des muſikaliſchen Theiles geleitet. Die Dffi- zieve des kurpfälzifchen Iſſelbach'ſchen Negiments, die joviel für die Sammlımg der Baukoſten gethan hatten, stifteten noch Die

Glocke. | Der Ban ımd die Austattung diejer Kirche iſt fchlichteiter Art.. Ihre gedrungene Form gibt ihrer äußeren Erſcheinung

102 Der Wiederaufbau der Stadt.

etwas Majfives, Starkes. Die Kirche wurde 1737 bi3 39 noch durdy einen Anbau erweitert. Auch die beiden Haupt- portale find erjt nachträglich in ihrer jegigen Form ausgeführt. Den fünftleriihen Schmud des einen Portals Tiefen die evan- geliihen Offiziere des Sachſen-Meiningenſche Regiments im Jahre 1715 auf ihre Koften herftellen. Ueber dem aus braunem Holz gefertigten, mit Schnigwerf, VBergoldungen, forinthiihen Säulen und Figuren gezierten Altar befindet ſich eine einjt weit berühmte Orgel, die von Heinrich und Philipp Stumm bereit? 1677 gebaut worden .ift und für dieſe Kirche erworben wurde. In der Kirche befindet fich jett auch an der Säule vor der Kanzel ein jchlichtes Denkmal, von der Ges meinde ihrem um jie verdienten Pfarrer und Kirchengefchichts- ichreiber Karl Benjamin Liit errichtet.

Gleich nad) Beendigung des Krieges 1697 hatten aud) die Kapuziner, die vor diejer Zeit nur vorübergehend von Laden— burg aus nah) Mannheim famen, vom Kurfürjten die Erlaub- niß zum Bau einer Kirche erhalten. Zugleich wurde ihnen auch die Errichtung eines Kloſters gejtattet. Der Kurfürſt unterjtüste den Kirchen- und Klojterbau aus eigenen Mitteln und auch die Stadt leijtete jpäter einige Beiträge dazu. Zur Srundfteinlegung am 3. Juli 1701 wurde auch der Nath ge- (aden, der den Mönchen ein Fäßchen Wein jpendete, Der Bau der Kirche war früher fertig als der des Kloſters, das erit im Jahre 1706 bezogen werden fonnte. Die Kirche wurde dem heiligen Rochus geweiht. Ihr Inneres war mit vier Altären und einer Seitenfapelle veriehen. Der Bauptaltar muß von fünftleriichem Werth gewejen jein, doch ift der künſtleriſche Schmud jedenfalls erit jpäter gejtiftet worden. Duaglio joll den Gejammtentwurf diefes Schmudes, I. van Branden Die Statuen und Bernardint das Altarbild ausgeführt haben. Heute ijt von Ddiejer Kirche, die vor dem damals mit einer Statue des heiligen Johannes gezierten Johannesplaß (N 4—5) ftand, nichts mehr vorhanden. Wieger beklagt jchon 1824 den Plan zu einer Niederreigung des Klojtergebäudes und Um— ihaffung desjelben zu einer Kavalleriekaſerne.

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Kapuzinerflofter und Johanniſsplatz.

104 Der Wiederaufbau der Stadt.

Auch die Neformirten planten bald größere Kirchenbauten, die aber erit jpäter nad dem Tode des KHurfürjten Johann Wilhelm beendet wurden. Sie hielten ihren Gottesdienjt in der wieder erbauten Proviitonalfirche, die zunächſt allen drei Gemeinden zugewiejen war. Schon im Jahre 1700 führte dies zu erniten Zwiſtigkeiten

Die Katholiken benugten ihre neue VBorherrichaft und Macht zu allerhand Drangjalirungen gegenüber den Reformirten und Lutheriichen. Sie verlangten von diejen, daß fie jich vor der Monſtranz beugen jollten, und die jich deſſen weigernden Bürger wurden von den Soldaten auf dem Marktplatz miß— handelt. Einmal und zwar Weihnachten 1700 dringen wegen einer jolchen Berweigerung die Soldaten jogar in die Kirche, joda die dort verjanmelte Gemeinde bejtürzt die Flucht er- griff und Frauen und Kinder unter Zurüdlaffung ihrer Ge— ſangbücher und Tücher zum Fenſter hinausiprangen.

In einem anderen alle wird den NReformirten und Evangeliichen vorgeworfen, die Katholischen zur Kirche hinaus- geiperrt zu haben, ſodaß fie im Negen hätten jtehen müfjen. Des Fürſten Johann Wilhelms jchon oben hervorgehoben Neligionsdeclaration vom 21. November 1705 machte diejen Streitigkeiten ein Ende. Man erjah deutlich daraus, wie ernit es dem Fürſten mit dem Frieden in jeinem Lande war. Er bob die Beſtimmung auf, daß die Provifionalfirche den drei Gemeinden zur Verfügung jtehe und gab fie den Neformirten zu alleinigem Bejige zurüd. Zugleich beließ der Kurfürft den Reformirten deu großen Kirchenplatz und das dajelbjt gelegene Fundament, „jo zu den Hochteutichen und Walloniichen Ge: meinden deſtinirt jeyend, mit allen etwa daſelbſt befindlichen Pfarr-Rectorats, Schulhäufern oder deren Plätzen und Berti- nenzien, welche die Reformirten 1685 beſeſſen, ‚oder jeither au ich justo titulo gebraucht oder gebauet.“ Hierbei wurde be— jtimmt, daß das Gymnafium zu Mannheim den Reformirten verbleibe. Bon den Einkünften jollten die Neformirten ®- und die Katholiken ?- erhalten. Bezüglich ihres Gottesdienjtes

Der Wiederaufbau der Stadt. 105

jollten fi) die Katholiken bis zur Fertigſtellung der Rathhaus- firhe mit der Kapuzinerficche behelfen.

Ein großes, wichtiges, auch heute eigentlich nod) berechtigtes ‚seit wurde am 24, Januar 1707 in Mannheim gefeiert. Es war dies der Gedenktag des 100jährigen Beſtehens der Privi- legien, denen ganz bejonders die Stadt Mannheim ihren Eigen» character verdankt. Am 24. Januar 1607 war ihr dieje geijtige Grundlage gegeben worden, und es fann als ein Zeichen freis heitlihen Empfindens angejehen werden, daß man den Tag diejer geiltigen Begründung der Stadt, der Begründung ihres eigenjten inneren Lebens, feierlicy beging. Feder gibt aus den Rathsprotocollen der Stadt folgende Bejchreibung dieſer ‚sejtlichfeiten: „Während des ganzen Vormittags wurden von ämmtlihen Neligionsgemeinden die Andachten mit zierlichen Predigten mit te deums unter pompöſer Muſik celebrirt. Des Mittags zog die gelammte Bürgerjchaft mit klingendem Spiele, den ahnen und mit dem Gewehr auf. Ebenjo eine aus ber jungen Mannjchaft errichtete Compagnie. Bei der Parade erichien auc) eine Compagnie von Knaben mit lauter Piquen, flingendem Spiel und in milttärijcher Ordnung, welche auf dem Marftplage ihre Erercitia präjentirte, was bei männiglich eine große Freude verurjacdhte. Die jungen Leute von der Bäder- zunft famen jodann alle ganz weis gekleidet und mit jchönen Bändern geihmüdt, um aus vielen Körben das bejonders für die Feſtlichkeit gebackene Brod zu vertheilen. Ferner zog Die Küferzunft in guter Ordnung auf und jpendete Wein aus Fäſſern und aus künſtlich gefertigten Röhren, welche rothen und weihen Wein gleich einer Fontana ergojien, was curios zu jehen war und ein großes Jauchzen und Freude verurjachte. Ebenjo fand das Austheilen neugeprägter Münzen den Beifall der zahlreid) verjammelten Menge. Gegen Abend wurden die Kanonen gelöjt; die Infanterie, jorwie die Kavallerie und die Bürgermiliz gaben dreimalige jchöne Salven, an welche jid) eine auf dem bejonders gebauten Theatro mit allerhand muſikaliſchen Inftrumenten auf: geführte Serenade anreiht. Sodann wurde auf dem Marftplag unter Pauken- und Trompetenjchall ein Feuerwerk abgebrannt;

106 Der Wiederaufbau der Stadt.

das Nathhaus und die Hauptjtraßen waren illuminirt, und ſchließlich ergötzte ich die Menge an einem von der Schifferzunft veranstalteten Zuge, welcher mit auf Rädern und von Pferden gezogenen Schiffen die Straßen der Stadt durchfuhr. Den fremden Standesperjonen, jowie den Offiziers der Garniſon und der Bürgerichaft wurde unterdeifen auf dem Rathhauſe, im Ochſen und im Bojthauje eine Gollation gegeben, und des andern Tags wurde eim Freiſchießen abgehalten, zu dem Die Stadt einen jchönen vergoldeten Becher, die gemeine Juden- ichaft dagegen zwei filberne Becher und eine vergoldete Schaale zur Bezeugung ihrer Freud’ und Devotion jtiftete. Die Preiſe wurden mit gezogenen Büchſen und Flinten ausgeſchoſſen und Generallieutenant von Bettendorf gewann den erjten Preis. Das Feſt ging ohne jeden Unfall vorüber und der Berichterftatter wünjchte, dab die Nachkommen mit gleich- mäßiger großer Freud und Fröhlichkeit diejes Feſt wieder feiern möchten.“

Es jchten der Bürgerichaft zu jener Zeit bejonders nöthig, wirkſam auf die Privilegien Hinzumeifen, wie dies denn auch durch das gejchilderte Feſt geichah. Es hatten ſich gar manche Uebergriffe gegenüber den ausdrüdlichen Beitimmungen der Privilegien gezeigt, und man fürchtete vielleicht, daß davon immer mehr unbeachtet bleiben könnte. War doch noch nad) der Religionsdeclaration gegen einige Mitglieder der als be= jonders „gefährlich“ bezeichnete Secte der Bietijten (Clopheos, Hochmann, Erb, Heroje, Gulade) gewaltjam vorgegangen worden. Sie jollten jolange eingejperrt oder zu Schanzarbeiten ge— zwungen werden, bis fie zu einer der drei anderen chriitlichen Religionen übertreten würden. Erjt als ſie ſich troß dieſer Zwangsmittel in ihrem Glauben ımerjchütterlich erwiejen, ließ man fie auf Fürſprache hin frei.

Dagegen waren freiwillige Webertritte zur katholiſchen Kirche an der Tagesordnung. Selbſt Schwindler drängten ſich heran u. A. eine Frauensperſon, die ich für eine Türkin unter dem Namen Fethmeda ausgab, die fich aber jchon in vier anderen Städten hatte taufen laffen und hier entlarvt und

Der Wiederaufbau der Stadt. 107

beitraft werden fonnte. Sie wurde drei Tage eingejperrt, mit einem Brandmal auf der Stirn gezeichnet und zur Stadt hinausgewiejen. Die neu eingezogenen Kapuziner thaten jich beionders in der Belehrung Andersgläubiger hervor.

Der herrichende Krieg veruriachte der Stadt Mannheim mancherlei Bejchwerniffe. So wurde jie durch die Einquartirung mehrerer Regimenter finanziell jtarf in Anjpruch genommen. Der Commandant der Pfälzer und jpätere Gouverneur der Stadt war General von Iſſelbach. Quartier bezogen hier noch vier Negimenter unter General von Aulbach und faijerliche Truppen unter dem Generalfeldmarihall Grafen von Naſſau. Im ganzen genommen blieb aber Mannheim von directer Be— "ührung mit den Stürmen des Krieges verjchont. Nur einmal im Sommer des Jahres 1713 drang der Krieg bis dicht vor die Mauern Mannheims. Franzöfiihe Truppen waren am 13. Juni unter General de Billars nach der Einnahme Landaus und Speyers bis zu der Nheinichanze der Stadt Mannheim vorgedrungen, und es gelang ihnen, die Schanze in ihren Beſitz zu bringen und ſie zu zeritören. Der furfüritliche Oberſt— leutnant Kuhla hielt die Schanze mit 600 Mann Garde- Grenadiere und Iſſelbach'ſcher Infanterie bejegt und bot vier Tage lang der heftigiten Beſchießung Trotz. Erjt als ihm der Gouverneur der Stadt befohlen hatte, jich in die Feſtung zurückzuziehen, verließ Kuhla jeine muthig gewahrte Poſition. Er vermochte die geſammte Beſatzung in der Nacht vom 28. zum 29. Juni, ohne daß der Feind etwas davon bemerkte, über den Rhein zu ſetzen. Etwa 20 Mann Garde-Grenadiere unter Feldwebel Wünſchhütel blieben während des Rückzugs der Truppen in der Schanze zurück und feuerten zeitweilig zur Täuſchung des Feindes einige Kanonen ab. Es gelang auch, alle zurückbleibenden Artillerie- und Munitionsſtücke in den Rhein zu verjenfen, und jchließlich Konnte ſich auch die fleine wadere Schaar mit ihrem muthigen Führer ungejtört über den Rhein retten.

Das Erjtaunen des Feindes, al3 jih am anderen Morgen nichtö mehr in der Schanze rührte, war groß. Die Borficht,

108 Der Wiederaufbau der Stabt.

mit der ſich der Feind der Schanze näherte, erwies ſich als überflüjfig. Die Stätte war leer und verlafjen.*)

Die Franzojen hielten die Schanze bis Anfang September (1713) bejeßt. Am 8. September zogen jie nach völliger Zer- jtörung derjelben wieder ab. Das folgende Jahr brachte den Friedensabſchluß zu Rajtatt, und damit jchwanden aud; für Mannheim alle weiteren Kriegsgefahren.

In Mannheim herrſchte große Unzufriedenheit über die Lajten, die der Krieg durch die Bezahlung von Eontributionen und Uuartiergeldern mit ſich brachte. Gewiß erſchienen da— durch Beitimmungen der Privilegien aufgehoben, allein der mit

*) Aus einem Rathsprotokolle vom Jahre 1713 bringt v. Feder folgende Beichreibung dieſer Vorgänge zur Kenntniß: „Auf den PBfingit: montag hat fih Marichall de Billard zum erften Male nad) Speier begeben und allda Poſten gefaßt, dann Landau berennet und eingeiperrt, Neuftabt beiegt, allda ſowohl ald Wormbs und andern Orten die Früchte aufgeichrieben, bei Brand und Plündern verboten, nicht das Geringfte über den Ryein paſſiren zu laſſen und fi nad) und nach von Speier ahn den Rhein poitirt, darauf auf die hieſige Schanz approdyiret und den 22. (Juni) dieſes iit der Prinz Eugenius bier gewejen, hat Alles genau in Augenschein genohimen, auch nah Möglichkeit Widerftand zu thun veriproden; ben 283, ditto hat der Feind angefangen ftarf auf die Schang zu canoniren, ſodann die ganze Nacht gewehret; den 24. ditto ift von einem allhiefigen Gonjtabler Einer von den voruchmiten franzöjiichen DOfficieren mit einer Stückkugel todt- geihoffen worden, welcher in der Kirche zu Speier begraben liegt, vor defjen Leben der König von Frankreich ein ganzes Regiment Lieber verlohren hätte, wie man fichere Nachricht bekommen. Sodann hat das Ganoniren den ganzen Tag continuirt und ſeynd Die Kugeln zu 25 Pfund ſchwer häufig an die Statt geflogen, als daß fein Menſch mehr ficher auf der Gajfen geweien, fie haben an den Häufern ziemlih Schaden gethan. Den 25. haben fie gleichfalls fortcanonirt und haben bei 6 Soldaten, ein Schneiderdgeiell und ein Judt das Leben eingebüßt. Den 26. haben fie eben mäßig mit den Ganoniren fortgefahren. Den 27. Nachts gegen 12 Uhr weilen durch das Canoniren auf die Schaug die Häuſer in der Statt wegen der Abjpringung der Kugeln jo fehr ruinirt worden, auch Fein Menſch fiher über die Gallen gehen fönnen, haben umiere Soldaten nachdem fic Alles aus der Schang über den Nhein herübergeführt, ſich auch ftill ſchweigend hinüber begeben, und iſt die Schaug eine ganze Stunde ehr geitanden ; aladann die Franzoſen, da fie wahrgenearen. ſich hineingemacht und ſolche beſetzt haben.“

Der Wiederaufbau der Ztadt. 109

diejen Kriegsausgaben verbundene Rückgang der finanziellen Berhältnilje der Stadt fann der Regierung nicht zur Laſt ge- legt werden. Zu den Kriegskoſten mußte beigetragen werden, das jah die Stadtverwaltung ſelbſt ein und bewilligte 1714 die Gontributionen durch den „Licent“, eine Abgabe, die von jedem Bürger nach Vermögen erhoben wurde. Trotzdem ber Kurfürjt die Befreiung der Stadt von diejen Abgaben wünjchte, macht 1716 das Kriegscommifjariat eine nene Forderung von 16000 fl. geltend, die zu erheben, die Noth gebot. Aus den gezahlten Raten geht einiges über die VBermögensverhältnifie der Stadt hervor. So trugen zu der Rate vom Yugujt 1705 die Bürger der Stadt 3232 fl. 15 fr., die Juden 571 ft. 9 kr. und die wenigen. Bewohner der Feitung nur 39 fl. 10 fr. bei. Zur Bezahlung der neu geforderten Summe von 16000 ft. wurde den Juden 3000 fl. und den Metzgern 1600 fl. abver- langt. Um die Quartierfojten zu eriparen, geht man mit der Abjicht um, Kajernen fiir die Soldaten zu erbauen.

Schlimmer als die Kriegsnoth geitaltete jich zu jener Zeit die Waflersgefahr. Die Stadt Mannheim wurde in den Jahren 1703 und 1708 von großen Ueberihwenmungen heimgejucht, die bedeutenden Schaden anrichteten. So jpielten die Fluthen im Jahre 1708 bejonders der Mühlau arg mit und zerjtörten die dort befindlichen Feſtungswerke.

Der oben erwähnte Rüdgang der. finanziellen Berhältniffe der Stadt war übrigens nur ein zeitweiliger und vorübergehen: der, und zwar betrifft dies nur die Zeit von 1709 bis 1714. Im Ganzen genommen find die Einnahmen der Stadt von Anz fang bis Ende der Regierung Johann Wilhelms bedeutend ge- jtiegen. Das Jahr 1700 3.8. verzeichnet an Einnahmen circa 10000 fl. und an Ausgaben ca. 8000 fl., während das Jahr 1715 eine Einnahme ın der Höhe von ca. 20200 Fl. und eine Ausgabe von ca. 16600 fl. aufweiſt. Das wiederaufblühende Leben der Stadt Mannheim geht aus diejen Zahlen deutlich hervor.

Eine wejentliche fortlaufende Einnahmequelle erhielt die Stadt im Mai 1705 durch die ihr von der Negierung laut

110 Der Wiederaufbau der Stadt.

Privilegien zugewiejene jogen. fliegende Rheinbrüde. Die Er- trägnifje dieſer Einnahme vermehren ſich vom eriten Jahre, wo jie 1870 fl. 20 fr. betrugen, bis zum Jahre 1716 auf 5098 fl. 57 kr.

„Schon Johann Wilhelm iſt, wie Feder jchreibt, frei: gebig in Eoncefjionirungen und Schupbriefen. Ein Louis des Foſſes aus dem Lüttich’ichen fiedelt fi) im Jahre 1698 an, um Manufacturen zu betreiben; die Salpeterjiedereien werden privilegirt (1700); ein Bontemps errichtet im Jahre 1701 eine Porzellanfabrif und erhält ein Privilegium für die pfälztichen Lande. Der Maimarkt wird im Jahr 1703 eingeführt. Dem Tabaf wendet jhon Johann Wilhelm jeine bejondere Aufmerkſamkeit zu und ernennt im Jahre 1709 in der Perſon von More und Tremelius zwei Tabafsinjpectoren, welche Die Tubafsproduction und den Tabakshandel überwachen follen Auch für Erleichterung des Verkehrs wird gejorgt. Die Nedar: brücde wird wiederhergeitellt und tm Jahre 1714 über den Rhein eine Schiffbrüde durch Obriftleutnant Meyern um Die Accordſumme von 3900 fl. ausgeführt. Die Landkutjchen, namentlich die Frankfurter (1707) werden wieder in Betrieb gejegt und die Reichspoſt beginnt, ſich zu etabliren.“

Die jtädtiiche VBürgerwehr hatte jchon 1701 eifrigit ihre Uebungen wieder aufgenommen. Als Stadthauptleute werden Tremelius und Altherr genannt, die zugleich aud die Ober: häupter der jeit 1700 wieder vereinigten Büchlenichügen jind und dieſen einen ſtädtiſchen Beitrag von jährlich 52 fl. erwirken. Die Biürgermiliz zählte 1709 drei Compagnien unter dem Be— fehl von Tremelius, Tulpert und Wilkhauſen. Die Juden müfjen, da fie vom Milizdienft ausgeſchloſſen waren, Beiträge zur Anichaffung von Bulver und Munition zahlen.

Eine jcharfe Ueberwachung ber Getränte, des Bieres und Meines, wird eingeführt und als Prüfer werden jogen Bier: füfterer und Weinfüfterer aus den Nathsmitgliedern gewählt.

In der Stadtverwaltung hatten ſich wejentliche Wandlungen vollzogen. Neben dem Amt des Schultheigen war das Amt des Anmwaltichultheiß meu eingerichtet worden. Der Vertreter

Der Wiederaufbau der Stadt. 111

diejes Amtes jollte dem Schultheiß in allen Rechtsſachen be- rathend zur Seite jtehen. Der erjte, dem diejes Amt anver- traut wurde, war der Rechtsgelehrte Gobin.

In neuer Weiſe jucht die Regierung über die Rathsſitze zu verfügen. Die Bitte des Rathsherrn Johann Philipp Fuchs, im Falle jeines Ablebens jeinem Sohne jeinen Raths— herenfig erblich zu überlafien, wird in Anbetracht des 40jährigen Wirkens diejes Rathsherrn vom Kurfürjten bewilligt. Dies war im Jahre 1712, doch hatte man jchon jeit dem Jahre 1709 im Voraus Nachfolger für etwa freiwerdende Nathsjite be— jtimmt. Man jah in diejen Bejtimmungen ernite Gefahren für die Freiheit der ſtädtiſchen Selbjtverwaltung.

Der von der Regierung geförderte Stadtichultheig und jpätere Stadtdirector Lippe joll den Nat und die Bürger: meifter durch allerhand Willfürlichkeiten herausgefordert haben. So wird ihm vorgeworfen, daß er Leute ohne irgendiwen zu fragen „für jeine eigene Plaiſir“ habe einjteden laſſen. Der Rath bejtimmte daher, daß die Bürgermeijter die Garcerjchlüjjel bei ich behalten jollten. igenmächtige Beitimmungen des Schultheiß über die Wiejennugung und Grasvertheilung wußte der Kath energijch abzumehren, wie er fich auch gegen verjuchte Eingriffe von Seiten der Regierungsbehörden, 3. B. im Jahre 1710 gegen ein Borgehen des Geheimrath von Heumüller wirkſam zu verwahren wußte Der Kurfürjt trat im Diejen Sachen gewöhnlich auf die Seite des Nathes und verficherte, daß er die Privilegien nicht angetajtet jehen wolle.

Im Jahr 1701 gelangte die Einheit der gejammten Stadt- verwaltung einjchließlich der bisherigen Feſtung Friedrichsburg zur Berwirklihung. Stadtſchultheiß Lippe wurde zugleich auch zum Schultheiß von Friedrichsburg ernannt eine damals höchſt beicheidene Erweiterung jeines Amtes, für die er nicht einmal das als Entjchädigung erbetene Sutter für ein Pferd erhielt, da der Bla der Feſtung nur erjt von wenigen Leuten wieder bezogen war. Die Bedeutung der Vereinigung dieſer bisher getrennten Aemter war erjt den kommenden Geichehnijien zu entnehmen,

112 Der Wiederanfban der Stadt.

Schon am 5. Mai 1699 Hatte der Kurfürjt Johann Wil- helm dem Schulthei Lippe und dem Nathe geichrieben: „Nach— dem der Herr Generallieutenant von Coehorn eheitens zu ‚Mannheim wird ankommen oder vielleicht jchon angelangt jein, umb die Fortififation allda einzurichten, als befehlen wir Euch, gedachten Herrn GSenerallieutenant in allem und jedem, jo er oder der Generaladjutant von Heldevir jeinetwegen begehren wird, förderjamjt an die Hand zu gehen, auch hierinfalls nichts erwidern zu lafjen.“

Der Kurfürit nahın ji) der Erbauung der Stadt ge: wijjenhaft an und überließ eine jo wichtige Sache feines: wegs dem Zufall oder der Willfür. Witt jeinem feinen Kumit- geihmad war er. gerade der geeignete Mann, hier einzugreifen und die richtige Kraft zum Entwurfe des Planes zu erwählen.

Rad) dem unter Oberleitung Coehorns von Ingenieur Kottum ausgeführten und im September 1709 fertig geitellten Plane des ehemals die Feſtung bildenden Stadttheils und der Befejtigungswerfe wurde Stadt und Fejtung definitiv vereinigt. Die Stadt zahlte dem Ingenieur Nottum für die Ausführung des Planes eine Vergütung von 20 Thalern.

Auch für den Bau der Häujer diejes nunmehr neu zur Stadt gehörenden Theiles traf der Kurfürſt durch einen Er- la vom 29. Januar 1710 bejondere Beitimmungen, die zur Wohlgeftaltung des Stadtbildes beitragen jollten.

Zwar nahm die Ausführung des Planes lange Zeit in Anjpruch, doch war jie wohl gelungen und ganz in der Art des früheren Characters der Stadt gehalten unter Einbeziehung der Feſtung. Hatte der Kurfürjt auch nur einmal die erit im Werden begriffene und ihm noch fein Heim gemwährende Stadt im November 1712 beiucht, jo hatte er doch die Wiederer- bauung der Etadt jtark gefördert, und dieſe Wiedererbauung wurde unter ihm im geichmadvoller und charakterijtiicher Weiſe begonnen.

Die alten Maßſtäbe für die Beurtheilung der Regierung eines jo feinfühligen und kunſtſinnigen Fürjten veichen heute nicht mehr aus, und die jcharfe Verurtheilung jeiner ‚Fehler

Der „Tempel der Eintracht” vor feiner Ferftörung 1689,

Der Wiederaufbau der Stadt. 113

vom Standpunkte calviniicher Nüchternheit und geiziger Spar jamfeit läßt jeine Vorzüge nicht mehr verwiichen. Auch die derben Urtheile der offenherzigen Lijelotte heben mehr Die Fehler als die Vorzüge diejes Fürſten hervor. Sie iſt der neuen Zeit gegenüber feine competente Richterin mehr.

Seine jo viel gerügte Bevorzugung der fatholiichen Reli— gion, jeine Schwärmerei für Ludwig XIV., den er gelegentlich auc zum Berather in Religionsjachen machte, jtand in vieler Beziehung mit jeinem großen Kunſtſinnn in Verbindung, der ſich aber auf dem Gebiete der Kunſt jelbjt ganz frei bethätigte. Das beweilt des Fürſten Vorliebe für die lebensvolle nieder- ländiſche Malerei. Die herrlihde Sammlung niederländiicher Gemälde, die der Fürft für jeine Galerie in Düffeldorf ans faufte und die fich heute in der alten Pinakothek zu München befindet, ift jebt noch ein Schatz der Bildung des deutichen Bolfes.

Ein ſolcher Fürſt, der zugleih auch Düffeldorf zu der heute noch bedeutenden Kunſtſtadt geitaltete, der einen Meiſter wie Gabriel Grupello zu würdigen wußte und ihn, den ehe- dem einfachen Mautrergejellen, in den Adeljtand erhob, fann nur mit aller Hochachtung als der Wiedererbauer Mann- heims bezeichnet werden, das er in Schutt und Aſche vorge: funden. Er bat den Grund gelegt zu einer großen, gar bald auch in Mannheim Fuß faffenden Kunftpflege und jo auch für dieje Stadt eine Zeit vorbereitet, deren Kunſt in ihrer glanz- vollen Echönheit noch bis in unjere Tage hineinleuchtet.

REN

Deler, Geichichte der Stadt Mannheim 8

IX.

Mannheim wird Reſidenz.

Kurfürft Karl Philipp als Statihalter in Tirol Huldigungsfeier in Mannheim Rückkehr Kunſtſinn des Fürften Mangel an Gelegen- heit, ihm zu bethätigen Erſter Bejuch des Fürften in Mannheim und erite Werthihägung der Stadt Der Streit um die Heilige-Geift:Stirche in Heidelberg Die Erfenntniß eines großen Schaffensgebietes in der neu erjtehenden Stadt Mannheim Entihluß des Fürſten, bier zu wirten Erhebung Mannheims zur furfürftlichen Reſidenz.

Genʒ im Geiſte ſeines Bruders Johann Wilhelm ſetzte Carl Philipp die Regierung der ihm erblich zugefallenen Län— der fort.

Johann Wilhelm war am 8. Juni 1716 in Düſſeldorf geſtorben. Ein prächtiges Standbild von Grupello ehrt dort ſein Andenken. In Mannheim wurde der Tod des Kurfürſten am 15. Juni von Stadtdirektor Lippe bekannt gegeben, der auf dem Rathhauſe eine Gedächtnißrede hielt.

Der neue Kurfürſt Karl Philipp hatte die große Kunſt— pflege jeines Bruders vor Augen gehabt und dieje aud) recht zu verjtehen gewußt, da er jelbjt ein funftliebender und kunſt— verftändiger Mann war. Bon jtattlicher, edler Erjcheinung und ritterlicher Art, humorvoll und doch feinfinnig galt er feinem Weſen nad als einer der vornehmjten Fürſten jeiner Zeit.

Zur Bethätigung feines Kunſtſinnes bedurfte er eines neuen großen Feldes. Er wollte nicht nur das von jeinem

Mannheim wird Refiden;. 115

Bruder Gejchaffene übernehmen, jondern er wollte fich jein Reich jelbit gejtalten, er wollte in jeinen eigenen Schöpfungen leben.

Da richtete ſich dem jein Auge gar bald auf die auf: blühende Stadt Mannheim.

Karl Philipp war zur Zeit, als er aurfürſt der Pfalz wurde, kaiſerlicher Statthalter zu Innsbruck. Er lebte dort wie ein Fürſt, feierte glänzende Feſte und empfing ſelbſt hervorragende Fürſten, ſo z. B. im Jahre 1711 den zum Kaiſer gewählten König Karl VI. Er beeilte ſich nicht, als ihm die Länder ſeines geſtorbenen Bruders zufielen, ſeine herr— liche „Reſidenz“ in Tirol zu verlaſſen. Verſchiedene Gründe ſollen zu dieſer Verzögerung mit beigetragen haben. So ſoll er ſchon der Einkünfte ſeiner Statthalterſchaft wegen dieſelbe nicht ohne Weiteres haben verlaſſen wollen, da in ſeinen Erb— landen rückſtändige Forderungen der Zahlung harrten und Die nöthigen Summen aufzubringen waren. WUndererjeits will man wijjen, daß er nur deshalb mit jeinem Einzuge in jein neues Land gezögert habe, um die Abreije jeiner Schwägerin, der Gemahlin des veritorbenen Kurfürjten nach Florenz abzu— warten, denn er habe gejchworen, nicht eher das Land zu betreten, als bis feine Schwägerin, die ihm jchwer gefränft hatte, dasjelbe verlafjen. Dieje joll ıhn, als er einjt als Prinz nad Düſſeldorf zum Bejuche gefommen war, nicht zur Tafel zugelafjen haben, da jie zu ihrer Tafel nur regierende Fürſten laden wollte.

Bunädjt ſetzte Karl Philipp einen Gonferenz = Rath zur Vertretung der Regierung ein. Diejer Rath) bejtand aus dem Grafen von Schäsberg, von Globen, von Wiejer, den Freiherren von Hundheim, von Sidingen, von May, von Hillesheim und von Moras. Es wurde jtrengjtens unterjagt, ſich irgendwie an den Fürjten jelbjt nad) Innsbruck zu wenden.

Die dem neuen Fürſten gewidimete Huldigung der Stadt Mannheim nahmen am 22. Dezember 1716 für den abwejen- den Fürſten die Negierungsräthe Graf von Wiejer und Herr von Moras entgegen.

8*

116 Mannheim wird Nefiden;.

Tieje Huldigung geitaltete jich zu einer bejonderen Feier. Die Stadt empfing am 21. Dezember die Vertreter des Fürften in feftliher Weile. Die Bürgergarde einjchlieglih der Jung- gejellencompagnie bildete Spalier von der „Stadt Jerujalem* (jedenfalls am Heidelberger Thor) bis zum Abfteigequartier der hohen Gäfte, dem „Goldenen Schwanen“ (E 3, 1): Ein fejtlicher Zug bewegte ſich dem Gejandten bis zur Seden- heimer Weide entgegen voraus zwei Compagnien Weiter mit Standarten, Trompetern und Heerpaudern, dann in 12 Kutichen und Chaiſen der Stadtrath, die Geijtlichen und Nektoren. Nach der Begrüßung der Herren „Commiſſäre“ durch den Stabtdireftor Lippe ftiegen diejelben in eine mit 6 Pferden beipannte Kutſche, der ein ebenfalls Hipänniger Wagen vorausfuhr.

Am anderen Tage, dem 22. Dezember, Vormittags erfolgte dann die eigentliche Erbhuldigung Nah Abhaltung eines Tseitgottesdienftes in der Rathhauskirche begaben fich die Ge- jandten auf ein vor dem Rathhaus aufgejchlagenes, mit ichwarzem Tuch beffeidetes Podium. Die Commiffäre be- jtätigten den Bürgermeijtern Meyer und Inden im Wuftrage des Fürften die Privilegien und die verjammelte Bürgerichaft, ihr voran die Viertelmeifter durch Handtreu, leijteten Hier auch den Huldigungseid. Für die „in jauberer Kleidung aber er- ichienene Judenſchaft“ gab der Rabbiner allein Handtreu, während die Menoniten „insgefammt“ Treue ſchworen.

Auf dieje öffentliche Huldigung fand dann noch in der unteren „Rathhausftube” die Huldigung des Stadtraths, der Geiſtlichkeit und der jtädtiihen Beamten unter Handichlag und Eidesleiitung jtatt. Ein bis in die Nacht hinein währendes Feſteſſen beichloß den feierlichen Alt, und am folgenden Morgen früh 8 Uhr fuhren die Eurfürftlichen Regierungsräthe unter derielben Begleitung, die fie bei ihrer Ankunft gefunden, wieder zur Stadt hinaus.

Als ein wichtiger Tag für die weitere Entwidelung Mannheims fann der 29. Auguſt 1718 angejehen werden. An diefem Tage jtattete Karl Philipp als Kurfürlt der Stadt

Mannheim wird Refiden;. 117

Mannheim jeinen eriten Bejuch ab, Allerdings war der Kur— fürft ihon 10 Tage vorher frühzeitig am Morgen einmal mit jeinem Gefolge durch die Stadt gefommen, als er von Schwegingen aus zu einer Jagd in den Stäferthaler Wald zog. Am 29. Auguft (einem Montage) fand jedoch der feit- fihe Empfang des Fürſten von Geiten der Mannheimer Be- völferung jtatt, und an dieſem Tage lernte der Fürſt Die Mannheimer Bürgerijhaft und die Stadt Mannheim zum erjten Mal näher kennen.

Die Eindrüde, die der Fürſt hier gewann, ließen ihn bier ein großes Feld der Thätigfeit erkennen.

Seine Jagdzüge in der Nähe Mannheims hatten Karl Philipp die jchöne Lage der Stadt in dem großen Strom: gebiet vor Augen geführt, jein erjter Beſuch der Stadt machte ihn auf die aufblühende Entwidelung und die große Entwide- lungsfähigfeit diejes Plates aufmerkſam.

Der Gedanke, bier jelbitichöpferiich einzugreifen, bier mit jeinem Schaffen und Weitergejtalten einzujegen, MWerdendes zu fördern und zu vollenden, mußte dem jchöpferiichen Sinne des Fürſten nahe treten.

Karl Philipp war erfreut über die feitliche Aufnahme, die ihm die regſame Bevölkerung Mannheims bereitete. Als Abfteigequartier des Fürften wurde das dem Nathhaus jchräg gegenüberliegende ſchön gebaute Haus (R 1, 1), das damals dem als hervorragenden Finanzmann befannten Bankier Emanuel Dppenheimer gehörte und das jpäter die freiherrliche Familie von Hillesheim anfaufte, von der Stadtverwaltung auserjehen. Als der Kurfürit gegen 11 Uhr vormittags mit der Kur— prinzeſſin, jeiner Tochter Clijabeth (der Gemahlin des Erb- prinzen SDojepp Karl von Sulzbah) und dem gejammten Hofſtaat eintraf, war auf dem Marftplak die Bürgerwehr aufgeftellt. Trommeln, Schalmeien und Waldhörner erjchall- ten zur Bewillfommmung des Landesherrn. Allgemeines Vivat- rufen erbrauite, als der Fürſt vom Ballon aus die verjammelte Menge begrüßte. Das Feſteſſen gejtaltete ſich lebhaft, die Bürgerichaft jtrömte herbei und umringte die Tafel. Der

118 Mannheim wird Nefidenz.

Kurfürjt wurde durch die Herzlichkeit der Freude der Bevöl— ferung über feine Anmejenheit jehr bewegt. Dieje guten Ein- drüde konnten auch durch einen Unfall, der sich bei der am Nachmittag auf Stadtfoften arrangirten jog. Waiferjagd (der Jagd nah Hirjchen durch den Strom) ereignete, nicht getrübt werden. Zwei „Herren“ wurden dabei aus Lmvorfichtigfeit, doch nicht gefährlich, verwundet.

Bon diefer Zeit an fahte der Kurfürſt eine Hofhaltung in Mannheim ins Auge. Er ließ fih zunächſt das Oppen— heimer’iche Haus für feine weiteren Bejuche der Stadt durch Bermittelung des Obermilizfaftors Lemble Moyſes zujichern und befahl dem Stadtdireftor Kippe, hierüber die „nöthige Ob— ficht zu tragen.“

Karl Philipp konnte ſich nach dem ihm schwer gewordenen Berlajjen feines herrlichen Wohnliges in Tirol (1717) in jeinem Heimathlande nicht gleich wohlfühlen.

Zunädit wollte er ſich Neuburg wieder heimijch machen, allein der Gegenjaß mußte doch zu groß gewejen jein, als daß er ihn lange aushalten fonnte.

Er verjuchte daher, Heidelberg zu jeiner Reſidenz zu ge: jtalten. Die Heidelberger waren des Hofes und einer Hof: haltung ſchon recht entwöhnt, als Karl Philipp im November 1718 in ihrer Stadt jeinen Einzug hielt.

Der Fürſt, deſſen Eunitgeiibtes Auge bald jeinen Blick auf die ſchöne Heilige-Geiſt-Kirche warf, begehrte jchließlich dieſe für fich, unter der Begründung, daß fie urjprünglich als katho— liſche Hoffirche errichtet und die Ruheſtätte jeiner Vorfahren jei. Er begehrte dieje Kirche gleichjam als ein Bewillkomm— nungsgeichenf jeiner Ueberjiedelung nach Heidelberg. Allein die Heidelberger Calviniſten dachten nicht daran, von ihrem ihnen ohnedies gefährdet erjcheinenden Belit und Recht irgend etwas freiwillig abzutreten,. Sie weigerten jich mit aller Energie und ald der Kurfürit eigenmähtig durch Gewalt diefe Kirche in jeine Hände brachte, riefen fie die Hülfe Preußens, Englands, Hollands u. a. Staaten an, auf deren ntervention hin der

Mannheim wird Refidens. 119

Kurfürft die Kirche den Calviniſten in der alten Weije wieder zurüdgeben mußte.

Der Kurfürit jah, daß er bier fein Gebiet zur Entfaltung eines aus eigenmächtigem Willen hervorgehenden Kunftichaffens vor ſich hatte. Die Tradition hatte hier alles jchon vergeben und die Stadt lag eingeengt durch die Wände der Bergketten.

Vom Schloſſe aber jchweifte jein Blick hinüber nach der neu erjtehenden Stadt Mannheim in die weiten Spielraum ge- währende Ebene dort blühte neues Leben empor, dort be= durfte es noch der jchöpfertichen Hand, die das Werdende mit Glanz und Schönheit erfüllte, die Nüchternheit und Werkel— täglichfeit in eine höhere Sphäre erhebt.

Wohl Hatte ihm der Gedanke, hier jchaffend einzugreifen, jeit feinem Bejuche Mannheims vorgefchwebt, allein es bedurfte noch eines bejonderen Anlafjes, ihn zur That reifen zu lafjen.

Jetzt Hatte fich diefe Reife vollzogen. Der thatenlujtige Fürſt erfaunte klar jein neues, längjt gejuchtes Arbeitsfeld. Er faßte den feſten Entichluß, Heidelberg zu verlaſſen und Manns heim zu jeiner Reſidenz, zur Stätte feines Wirkens zu machen. Wie eine Befreiung von langem Unbehagen, das jchließlich zu falihen Handlungen treibt, mußte der Fürſt dieje Erfenntniß empfinden.

Am 19. April 1720 ließ Karl Philipp dem Stadtrat Mannheims fundgeben, daß er beichloffen habe, Mannheim dauernd zu jeiner Refidenz zu machen und auch jänmtliche Dikafterien und Körperfchaften von Heidelberg nah Mannheim zu verlegen. Am 15. Mai ſolle das Hofgericht bereits jeine erste Sitzung in Mannheim abhalten.

Ueber dieje Nachricht war in Mannheim die Freude groß. Der Rath übermittelte jogleih durch „Expreſſen“ dem in Schwetzingen weilenden Kurfürſten jeinen Dank.

Das Oppenheimer'ſche Haus am Markte (das jetzige Caſino) wurde mit großem Eifer zu einer interimiſtiſchen Reſidenz ein— gerichtet und die angrenzenden Häuſer für die Hofhaltung mit dazu genommen. Die beträchtlichen Mittel, die die Stadt für dieſe Reſidenz des Fürſten aufwendete und die von 1720

120 Mannheim wird Refidenz. bis 1727 jährlich etwa 3—13000 fl. betrugen, wurden von der Bürgerjchaft gern gejpendet in Anblick des rajchen, fichtlichen Aufſchwungs Mannheims.

Wie angefündigt, fand aud) bereits am 15. Mat 1720 die erſte Sitzung des Hofgerihts in Mannheim ſtatt. Bis Monat Oktober desjelben Jahres waren alle übrigen Körper: Ihaften der Regierung nah Mannheim übergefiedelt.

Auf zwei Tage fam der Kurfürit im Monat Mai und zwar am 29, und 30. 1720 nah Mannheim, um bei der feier- lihen Weihe der großen Glode der Fatholifchen Rathhauskirche perſönlich theilzunehmen. Die Weihe vollzog Weihbiſchof Gegg aus Worms,

Am Abend desjelben Tages aber jollte noch eine für die Geftaltung des Stadtbildes hochwichtige Beitimmung getroffen werden. Der Kurfürjt bejichtigte den füdlich von der Stadt am Rhein gelegenen Plab, der für die Erbauung eines neuen furfürjtlichen Schloffes auserjehen war und erklärte ſich mit Drt und Stelle einverjtanden.

Mit der bereits am 2. Juli 1720 erfolgten Grundjtein- legung*) zu dem Kurfürftlichen Schlofie wurde zugleich auch der

) Bei diejem Feſtakt, der Freier des eriten Geburtstags einer neuen Kunſt in Mannheim, waren anweſend: Negierungspräfident B. v. Hillesheim, die Geheim-⸗ und Regierungsräthe Graf v. Wieſer, v. Stechinelli, v. Berling, B. v. Yrſch, v. Reiſach, v. Sachſe, dv. Metzger, v. Moras, v. Fritz, Fleck v. Roſeneck, v. Lüls, v. Becker, Schwan, Schumm, v. Scherer, Degen, Hartſöcker, Zumpuz, Cochemius, Hofgerichtspräſident B. de Beveren, die

Hofgerichtsräthe Graf v. Inzaghy, v. Schallenheim, v. Gudenus, Graf v. Arz, dv. Saida, Graf v. Effern, B. v. Stechau, v. Nifetti, v. Bücharts, v. Jungwirth, Burger, der Director des Kriegskommiſſariats v. Scherer und feine Beiräthe Grael und Wilhelmi, die Hofkammerpräſidenten L. B. v. Sickingen und 2. B. v. Dalberg, die Hofkammerräthe Zwengel, Rapp, Gräber, Fromarz, Reichmann, Bonn, Creuzer, Mayer, Douven, Ruprecht, v. Zangen, die geiftlichen Käthe v Müller, Huben, Linck, Schmiz, Brauer, Bezani, Jacobi, Hofrath und Stadidirector Lippe, Vizevorſteher Gobin, die Bürgermeiſter More, Pompejati, die Stadträthe Fuchs, Beer, Forch— mayer, MWeger, Inden, Lauffs, Senffert, Neibeld, Mang, Bel und Stadt: ichreiber Schweiger.

Manuheim wird Nefidenz. 121

Grundjtein zu einer neuen großen Bethätigung Mannheims gelegt: zur Bethätigung auf dem Gebiete der Kunſt.

Den bedeutungsvollen Akt beging man in feierlicher Weije. Kurfürjt Karl Philipp traf am Feſttage mit dem Erbprinzen von Sulzbach jhon morgens früh 7 Uhr, von Schweßingen fonımend, in Mannheim ein. Um 10 Uhr begab jich der Fürſt mit jeinem hohen Gajte, den Minijtern und Näthen, den Be— amten und dem Stadtrath nad) dem Bauplake, wo für ihn ein Zelt aufgejtellt war, und wo Weihbijchoff Gegg bereits das Amt angefangen hatte.

Nah Beendigung des firchlihen Amtes trat der Kurfürit aus dem Zelt und legte feierlichit eine Anzahl jilberner und goldener Münzen und Medaillen und ein auf Pergament her: gejtelltes Schriftitiid mit den Namen der Anwejenden in den Grundjtein.

Als der Kurfürft in jeine provijoriiche Rejidenz am Marft- plag zurüdfam, jagte er bedeutungsvoll: „Jetzt ijt der Anfang gemacht, zweifelt nicht mehr daran, Gott jegne es!“

In demjelben Jahre noch, am 14. November 1720, jiedelte der Fürſt für immer in die Rhein- und Nedarjtadt über. Mannheim war Nejidenz geworden.

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X. Karl Philipp.

Karl Philipps Jugend Glänzende TFamilienbeziehungen Seine Ver: mählung mit der Prinzeffin von Radziwill Seine Tapferkeit in den Feldzügen gegen die Türken Seine Tochter Elifabeth Augufta Die Gräfin von Thurn und Taris Schickſalsſchläge Ungebrochenes Wirken.

KRatt Philipp iſt am 4. November 1661 zu Neuburg geboren. Seine Jugend fällt in eine Glanzzeit des Haufes Neuburg, das mit erjten Fürjten Europas in Familienverbin— dungen trat. So heiratheten von jeinen 8 Schweitern hervorragende Fürften: Eleonora Magdalena 1676 den jpäteren Kaifer Leo- pold, Maria Anna den König von Spanien Karl IL, Maria Sophia den König Peter II. von Bortugal, Dorothea Sophia den Herzog Odoardo von Barma und Piacenza und Hedwig Elifabeth Amalia den Prinzen Ludwig Sobiesfi, den Sohn des Königs Johann III. von Polen.

Dieje letztere Verehelichung bildete gleichjam eine Berjöh- nung des polnijchen Fürftenhaufes mit dem Haufe Neuburg. Sobiesfi hatte bereits um die Hand der Wittwe des Mark: grafen Ludwig von Brandenburg (eines Sohnes des großen Kurfürjten), der erſt 21 Jahre alten Prinzeſſin Luije Charlotte von Radziwill angehalten und von ihr das Jawort erivorben, al3 jeine Braut furz vor der Hochzeit den zu den angejagten Bermählungsfeftlichfeiten herbeifommenden Karl Philipp kennen lernte.

Und jo bezauberte Prinz Karl Philipp die junge Wittwe, daß er ihr Herz im Sturme eroberte, fie nichts mehr von

Karl Philipp. 123

ihrem polnischen Bräutigam wiffen wollte, diejem abjagte und ſich am gleichen Tage, an dem fie ſich mit Sobiesfi verehe- lichen wollte, mit Karl Philipp vermählte. Die Hochzeit wurde im Auguſt 1688 zu Berlin feftlih begangen. Das dadurch berbeigeführte Zerwürfniß der polnischen und neuburger Fürſtenhäuſer wurde ſchließlich dadurch beigelegt, daß Sobieski, wie oben gemeldet, eine Schweſter Karl Philipps heirathete für das Haus Neuburg ein neuer, merkwürdiger Triumph.

Karl Philipp war zunächſt frühzeitig in den geiſtlichen Stand getreten und hatte das Canonicat erſt zu Salzburg und dann zu Cöln erhalten. Einen jo lebensfrohen, thaten— luſtigen Manne konnte aber der geijtliche Beruf nicht feffeln. Er hatte jich beitändig in der Kunſt der Waffen geübt und den Johanniter-Orden angenommen. Er erbat fich denn auch Dispens von jeinem geitlihen Stand, der ıhm in Anbetracht, dab jein älterer Bruder, Johann Wilhelm, kinderlos blieb, und jeine anderen Brüder ebenfalls der Kirche (jpäter ala Dom: herrn und Biichöfe) dienten, gewährt wurde.

Sogleich betheiligte er ſich als Volontair an den Feld— zügen gegen die Türken in Ungarn, und dabei zeichnete er ſich durd; Muth und Tapferfeit aus. Am glänzenditen bethätigte er jeine Tapferkeit bei der Einnahme von Ofen 1686.

Zu den Führern und Xeitern der Erſtürmung diejer Feſtung gehörte auch der tapfere Prinz Ludwig Wilhelm von Baden, der „Türkenlouis“ genannt und vielberühmte Held jenes Krieges.

Auch nach jeiner Verehelihung mit Luiſe ven Radziwill jchloß ſich Karl Philipp noch den weiteren Feldzügen wider die Türfen an ein müſſiges Leben war nicht Sache dieſes ritterlichen Prinzen. Im Jahre 1695 wurde er General der Kavallerie und ein Jahr jpäter General: Feldmarichall.

Der 1698 endende Krieg gegen die Türken Hatte dem tapferen Prinzen weithindringenden Ruhm einge— bracht. Schon im Jahre 1695 am 26. März furz vor feiner Ernennung zum General-Feldmarſchall war jeine erit 28 Jahre alte Gemahlin im Kindbett gejtorben. Streitigkeiten wegen

124 Karl Philipp.

des Erbes und der Verwaltung der Radziwill’ichen Güter wurden zuerjt durch einen Vergleich beigelegt. Die Liebe des Prinzen Karl Philipp zu feiner Gemahlin wandelte fich nun in eine heiße väterliche Liebe zu jeiner Tochter Elijabeth Augufta Sophia. Die Liebe zu diefer Tochter blieb auch troß jeiner am 15. Dezember 1701 erfolgten VBermählung mit der polniſchen PBrinzejiin Therejia Katharina, Tochter des Fürſten Carl Lubomirski, in gleicher Kraft und noch über dieje Ehe hinaus fjortwaltend. Karl Philipp verlor jeine zweite Ge— mahlin bereit3 im Jahre 1712 in Jnnsbruck.

Dieje jeine zweite Gemahlin hatte ihm zwei Mädchen ge- boren, denen aber nur furze Lebensdauer bejchieden war. Und da auch drei der Kinder jeiner eriten Gattin, ein Sohn und zwei Töchter gleich nad der Geburt gejtorben waren, jo blieb ihm nur als ſein einziges Kind die jchon genannte Elijabeth Augufta.

Sie .war jeine „Troſt und jeine Freude“. Trotzdem fie ih am 2. Mat 1717 mit dem Erbprinzen von Sulzbad) Sojeph Karl Emanuel vermählte, weilte fie oft noch bei ihrem Bater Karl Bhilipp. Wie erwähnt, hatte diejer in ihrer Bes gleitung zuerjt die Stadt Mannheim bejudht. Sie fiedelte mit ihrem Gemahl jpäter nach Mannheim über und vertrat hier gleihjam die Kurfürjtin. Des Abends hielt die Prinzejfin die Tafel, des Nadymittags fanden im „Staat3damengemach“ größere Gejellihaften jtatt, wobei auch Concerte arrangirt wurden. Die Brinzeifin trug jelbjt italienische Gejänge vor und lieh fi) dabei von ihrer Kammerfrau, einer Stalienerin Namens Claudia, begleiten. Des Defteren wurden aud Muſiker der damal3 berühmten furfürjtlichen Kapelle hinzugezogen. So erfüllte die Prinzefiin denn das Heim des Kurfürjten mit gejellichaftlichem Leben und froher Kunit.

Ein furhtbarer Schlag war e3 für den Kurfürjten, als ihm die hei geliebte Tochter im Jahre 1729 entrifjen wurde.

Elifabeth Augufta ftarb am 18. Juli diefes Jahres in Mannheim. Der fchon alternde Kurfürſt hat den Gram über diejen fir ihm jchmerzlichiten Verluſt nie ganz überwinden können

Karl Philipp. 125

zumal auch die beiden Söhne jeiner Tochter in jungen Jahren geitorben waren,

Roc) ein weiterer jchwerer Verluſt betraf den Kurfürften im Jahre 1734. Heimlich hatte er fich mit der Gräfin Violante Therefia von Thurn und Taris verbunden und vermählt. An dem Herzen diejer zarten rau hoffte er Linderung feines Schmerzes zu finden. Allein auch fie entriß ihm der Tod und der Unerbittliche raffte auch die beiden Söhne dahin, die jie dem Fürſten jchenfte. Wohl zum Gedächtniß diejer Kinder ließ der Kurfürft in einem Saale jeines Schlofjes zu Mannheim ein noch heute zu jehendes großes Plafondbild malen eine rührende Apotheoſe jo früh Dahingejchiedener.

Nah dem Tode der Gräfin am 3. November 1734 gab der Kurfürft, um das Andenken der verftorbenen Frau vor faljchem Gerede zu bewahren, öffentlich befannt, daß fie vom Kaiſer 1733 in den Reichsfürftenftand erhoben worden und rechtmäßig jeine Gemahlin gewejen fei.

Ihren Leichnam ließ er in der Gruft der hiefigen Schloß: fapelle beijegen, und er traf für den Fall jeines Todes die Beitimmung, daß man feine Leiche in bderjelben Gruft bei- ſetzen jolle.

Trog dieſer Schickſalsſchläge bewahrte jich der Kurfürft doch bis an jein Ende einen Haren, hellen Sinn für jein Wirken. Die Kunſt war es, die er im ihrer troftreichen Schönheit erfannt hatte und für die zu wirken, ihn mit beruhigender Freude erfüllte.

Auch durch jeine Mithilfe an der Erziehung des jungen Prinzen Karl Theodor, eines Neffen jeiner Tochter Elijabeth Auguſta, der längere Zeit am Hofe zu Mannheim weilte, fand der Kurfürſt einen gewilien Trojt, boffend, damit auch für künftige Gejchlechter den Grund zu edler Kunſtpflege gelegt zu haben.

Wir jehen den Fürften vor unſerem geiftigen Auge als eine ritterliche, in der Liebe jieghafte, ſtolze und tapfere, doc

126 Karl Philipp.

auch eigenmächtige Berjönlichfeit voller Thatenluft und Kunſt— finn, nicht zu brechen durch das herandringende Leid der Welt.

Der von lebhaften Hoffnungen erfüllten Bevölferuug der wiedererjtehenden Stadt Mannheim kam der Kurfürjt Karl Philipp mit feinen Unternehmungen größerer Bauten durchaus entgegen.

Man erwartete dieje Bauten gleihjam wie eine Krönung des werdenden Werkes und empfand es als eine große Genug: thuung, daß gerade die Stadt, die der Feind völlig vernichtet zu haben meinte, mit neuem Glanze aus der Aſche emporwuchs.

Die Bevölkerung zeigte fich daher jchnell bereit, für Großes auch Großes einzufegen. Sie wußte nur zu gut, daß weithin. wirfende Ehre und Bedeutung nicht ohne Opfer und fühnen Wagemuth zu erwerben find. Das bloße Werktagsleben, das ſich in Fleinbürgerlichen Einrichtungen genügt, kann einer Stadt nicht allein eine Bedeutung unter den deutſchen Städten geben. Sollte Mannheim wieder wie früher hervorragen durch eigen- artige Unternehmungen, durch eigenartigen Charafter, jo mußte von Neuem hierfür Geld und Gut eingejeßt werden. Die Bevölferung begrüßte daher den Fürſten, der große Pläne mit der Stadt Mannheim verband, mit heller Freude. Ste gab jogar jeinem Eigenmwillen in vieler Beziehung nach und murrte nicht, wenn er manche ihr lieb gewordene Freiheit mihachtete. Der fichtlihe Mufihwung, die wachjende Bedeutung der Stadt tröftete jte über manche Willfürlichfeiten des Fürſten.

E3 wäre geradezu unrichtig und komiſch zugleich, wenn man Fürjten wie Karl Philipp und dejjen Nachfolger Karl Theodor als „treue Diener ihres Staates" bezeichnen würde. Sie waren nicht weniger wie Diener, fie hatten unleugbar viel Despotiiches an fich, ſie waren vielmehr durchaus jelbit: herrichende und eigenmäcdhtig handelnde Naturen.

Aber dieje Fürſten gehörten zu jenen hervorragenden Des- poten des 18. Jahrhunderts, die machtvoll Bedeutendes leiſte— ten, und überjehen wir heute ihr Schaffen in den richtigen perjpeftiviichen Berhältniffen, jo lernen wir ihr Wirken ganz

Karl Philipp. 127

anders ſchätzen, als dies früher von einjeitigen, rein politijchen Gefihtspunften aus geichah. Gerade der Stadt Mannheim brachten fie ihre Achtung und Arbeit entgegen, fie erkannten jie als eine zufunftsträchtige Stätte und ihr feiner Kunjtgejchmad verjtand die wellenum- rauſchte, in ihrer Art jchönen Lage der Stadt. Mit bejtem, wenn auch nicht unfehlbarem Willen machte ſich Karl Philipp daran, dieje Stadt wieder emporzuheben zu glänzender Ent- faltung und zu neuer Bedeutung im deutjchen Kulturleben.

Die Baufunft unter Karl Philipp.

Befeſtigungswerke und Stadtthore Farbige Arditeftur Stilarten Gebäude älterer Art Eritehen der wichtigiten Zierbauten Vorbereitung der Blüthe der Kunſt.

B. Wiedererſtehen und Neugejtaltung einer Stadt mußte jelbitverftändlich die Baukunſt in erjter Linie hervortreten. Auf eine vortreffliche Bethätigung Ddiejer Kunſt legte deshalb Karl Philipp den größten Werth. Den vortrefflichen Blan, den der verftorbene Kurfürſt Johann Wilhelm von Generalleutnant Menno Eoehorn für den Aufbau der Stadt hatte entwerfen lafjen, verfolgte Karl Philipp weiter.

Zunädjt wurden die Arbeiten an den Befejtigungswerfen mit Eifer weitergefördert. Die Werke jind außen von Bad- jteinmauern gebildet. Die Mauern jollten bald drei maleriich wirkende Thore verbinden, deren Bau man gleichfalls in An— griff nahm. Zuerſt wurde das Heidelberger Thor und zwar im Jahre 1722 fertiggeſtellt. Das Thor, das wie alle dieje Thore, in arcdhiteftonischer Verbindung mit einem Wachthauje und einem Zollhauje jtand, war aus Sandjtein gebaut und nach außen hin im Frontiſpiz mit einem großen pfälztichen Wappen, mit Kriegstrophäen und an den Seiten mit Pilaftern, dies alles in Stein gehauen, geziert. Es trug eine lateinijche Snichrift, die durch ihren Bezug auf die jih auch bis zu

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19. Jahrhunderts.

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Geftoken von Joh. Poppel.

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Die Baukunst unter Karl Philipp. 129

diejer Zeit erhaltenen, mit Mannheims Entftehung verknüpften Sagen einigermaßen charafteriftiich ift. Sie enthielt nach Rieger folgendes: |

„Bon dem beiten und größten Gott begünftigt gab Mannus, ein König im Jahre 370 nad) der Sündfluth den Namen (der Stadt). Kaijer Valentinian befejtigte die Stadt nad) Ehrifti Geburt 372. Kurfürſt Friedrich IV. jtellte jolche 1606 wieder her. Kurfürſt Johann Wilhelm erhob fie 1698 wieder aus ihrer Aſche. Unter der Regierung Kaijer Karls VI hat Karl Philipp, Kurfürjt von der Pfalz, diejes Denkmal des pfälziichen Haujes und als Grundfejte des Vaterlandes aufgeführt im zehnten Jahr der Faijerlichen Regierung 1722.*

Ueber die 1806 ohne jede Rüdjicht mitten im Frieden vorgenommene Demolirung diejes gewiß jchönen, ſchmuckreichen Thores jchreibt Rieger:

„Schonungslos, wie von jo manchem Anderen, hat man jede Spur diejes Thores verwijcht. Die fteinernen Löwen, die treuen Hüter des pfälziihen Wappens, welche jelbjt der Macht des Gejchübes getrogt hatten, wurden von der Stelle herabgejtürzt, auf welche fie fich durch ihre erlittenen Ver— jtümmelungen ein ewiges Recht erworben zu haben jchienen, um den Enfeln als ein Denkmal der Schidjale, die ihre Bäter erlebt hatten, da zu ftehen..... Die Inichriften der Thore, welche in die Antifenjammlung der Stadt gehört hätten, wur: den zerichlagen.“

Das ſchönſte der Stadtthore ijt aber unzweifelhaft das 1725 erbaute Nedarthor gewejen. Der mit dem Thore ver» einigte Bau der Wacht- und Zollhäujer bildete ein einheitlich und vortrefflich jtilifirtes Ganzes. Drei große, offene Bogen— gänge bewegten ſich durch den auf jechs Pfeilern ruhenden unteren Stod de3 aus rotem Sandjtein hergejtellten Gebäudes. In der Mitte des Thores ragte ein die Weltkugel tragender Atlas empor; unter ihm war im Giebelfelde ein jchmudreiches Wappenjchild mit den verichlungenen Buchſtaben C. P. (Carl Philipp) angebracht, und über dem Bogen des Hauptthores

Deier, Beichichte der Stadt Mannheim. 9

130 Die Baukunſt ımter Karl Philipp.

befand fich die große Figur einer Ruhm kündenden Fama mit einem Kinde in fitender Stellung.

Das Gebäude war außerdem durch Pilafter und gleichfalls in Stein ausgeführte Waffen und Trophäen gejhmüdt. Die ſämmtlichen Bildhauerarbeiten an diefem Thore waren Werke des bedeutenden Bildhauers Paul Egell, auf den an anderer Stelle noch zurüdzufommen ift.

Die lateinische Injchrift bezog fich auf das frühere, an— geblid; unter Kurfürſt Karl errichtete und 1679 durch die Franzoſen zerjtörte Nedarthor, indem fie u. U. fagte:

„Der Nachwelt ein unfterbliches Denkmal, an dem Zu— jammenfluß des Rheines und Nedars, nach den hundert- jährigen, in wahrhaft heftigen Kriegen, welche die Römer, Spanier und Franzojen gegen die tapferen Deutjchen geführt haben, hat diejes, von dem Kurfürſten Karl gegründete Thor, welches von den Feinden niedergeriffen war, aus den Trüm— mern hervorgerufen Karl Philipp, Kurfürft von der Pfalz aus dem Haufe Neuburg, und zum Frieden geöffnet den Freunden, den Feinden geichlojfen 1725.“

Aber das Denkmal wurde von ber Nachwelt nicht als ein unsterbliches erachtet. Leicht war man bereit, auch diejes Thor im Jahre 1842 niederzureißen, jedenfall® unter der immer wirkenden Begründung, daß e3 ein Hemmniß des Verkehrs jet. Allerdings war das Thor jehr baufällig geworden, und die Figuren waren ſtark bejchädigt.

Ganz die Geftalt eines Haujes trug das 1728 erbaute Rheinthor mit nur wenigem bildhaueriihem Schmud, den jedoch der berühmte Hofbildhauer Link ausgeführt hatte, Das joge- nannte Thor, das bald auch als Gefängnig diente, wurde ſpäter thatſächlich in ein Wohnhaus mit Garten verwandelt. Mit der Neugejtaltung der Rheinſtraße verſchwand auch der architektonisch unbedeutende Bau. Das mit dem Namenszug Carl Philipps verjehene Eurpfälziiche Wappenjchild über dem Durchgang trug eine Infchrift, die etwa zu deutjch hieß:

„Ein guter Fürft glaubt niemals jo jehr an den Frieden, daß er fich nicht für den Krieg bereit hält.“

Das Heidelberger Thor (1722 —1806).

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Das NHedartbor (1725— 1842).

Nach Federzeichnungen von Johann franz von Schlichten get, von Gebr, KHlauber (1762).

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132 Die Baulunſt unter Karl Philipp.

Eine weitere, längere, doch nicht mehr jagende lateiniſche Inſchrift befand fich an der Außenjeite des Thores auf einer in der Art eines Tuches geftalteten Marmortafel, die gleich- fall3 eine Arbeit Links war.

Die jauber ausgeführten Vertheidigungswerfe mit ihren Badjteinmauern, ihren Wällen, Allen und ſchmuckreichen Thoren, ſowie die neue, groß angelegte Rheinſchanze gaben der Stadt ihren ſich immer jtärfer gejtaltenden Charakter als Feſtung.

Was den Weiterbau der Stadt ſelbſt betraf, ſo ging es vor Allem an die Vollendung der nahe dem Schloß gelegenen Straßen auf dem Plate der ehemaligen Friedrichsburg. Hier errichteten jich die mit dem Fürſten nad) Mannheim überge- fiedelten Wdelsfamilien, die Hofbeamten und Staatsbeamten u. j. w. vornehme, bejonders auch innen jchön ausgeitattete Wohnhäufer.

Leider fommen die aus jenen Zeiten jtammenden Wohn häuſer und Gebäude heute nicht mehr in ihrer urjprünglichen Art zur Geltung. Man unterjchäßt deshalb heute leicht den Werth diefer Architekturen, die in ihrer neuen Hülle kaum mehr zu erkennen find. Dieje Hülle iſt der neumodijche Anjtrich. In Profeſſor Mathy's „Studien zur Gejchichte der bildenden Künfte in Mannheim” finden ſich über diefe Sade folgende treffende Worte:

„Wenn aber der äſthetiſche Eindrud der alten Stadt vielfach jest nicht mehr dem entipricht, den die Bewunderer Mannheims vor 100 oder 150 Jahren hatten, jo rührte dies zum Theil auch von der faljchen Behandlung der alten Bauten durch die Tüncher her. Urſprünglich prangten gewiß alle nicht verpußten, aus rothem Sandftein hergejtellten Theile der Gebäude in der jchönen Naturfarbe dieſes Steines, welche uns am Dtto Heinrihsbau und Friedrichsbau des Heidelberger Schloſſes, am hiefigen Schloife, an der Jejuitenfirche und an den Bauwerken umjerer Tage jo ſehr entzüdt; und im den Innenräumen waren die Studarbeiten bunt bemalt, natürlich

Die Baukunſt unter Karl Philipp. 133

nicht in grellen oder fatten Farben, jondern in den zarten gebrochenen Tönen der Zeit der gepuderten Frijuren. Aber dann fam zur Freude der Tüncher die Zeit, von welcher der Apotheker in Goethes Hermann und Dorothea jagt, nachdem er die Farbenpracht feines baroden Gartens geichildert:

„sa, wer ſähe das jegt nur noch an! ch gehe verdrießlich

Kaum mehr hinaus; denn alles fol anders fein und geſchmackvoll,

Wie ſie's heißen, und weiß die Latten und hölzernen Bänte,

Alles ift einfach und glatt; nicht Schnigwerf oder Vergoldung

Will man mehr.

Das erneuerte ernfte Studium der antiken Kunft hatte zu ber faljchen Borftellung geführt, die bi8 zu Sempers Bud) über „Bemalte Architektur und Plaſtik“ (1833) herrſchte, daß die antife Arcchiteftur und Skulptur farblos gemwejen jei; und da man nun feit 1750 noch antifer jein wollte al3 vorher, jo ging der Pinfel des Weißbinders über die reizenden ‘Farben der Studaturen eines Ajam und Pozzi ebenjo ſchonungslos weg, als der gleichmäßige weißliche, gelbliche oder graufiche Delfarbenanftrich den rothen Sanbdjtein, die rothen Holzftafeten, die Ächwarzen und vergoldeten eifernen Treillen, die gejchnigten Thür» und Thorflügel überzog. Jetzt wurde Mannheim erjt jo eintönig wie es in der erjten Hälfte unjeres Jahrhunderts gewejen tft.

Man denke ſich die Arkaden, Pilaſter, Feniterfrönungen, Gefimje und Giebel des Kaufhaujes und des Rathhauſes, die Portale der Konkordienfirche, der Trinitatisficche, die Portale und Fenjtergewände jo vieler Brivathäujer in der Naturfarbe des rothen Nedarjandjteinee, den Verputz blaßgrün oder hellgelb angeftrichen, das Eiſenwerk ſchwarz mit Vergol— dung und bunten Blumen, die Holzichnigereien entweder in der Naturfarbe oder durch farbige Töne hervorgehoben, die Niſchen mit den Heiligen auch von Gold und Farben jtroßend, jo Ihwindet (der Abjtand zwijchen dem alten und dem neuejten Mannheim erheblich zujammen.“

Doch hält man einen Anftrich der Häuſer zum Schube de3 Verfalles abjolut für geboten, jo jollte man ihn wenigitens

134 Die Baukunjt unter Karl Bhilipp.

in der Weije der früheren farbigen Architektur bewirken laſſen, damit die vom Architelten beabfichtigte urjprüngliche malerijche Erſcheinung des Bauwerks bleibt oder wiederhergejtellt wird; allein dürfte bei den meiften Gebäuden aus jener Zeit fich heute noch die volle Wiederherjtellung der reinen Steinverzie- rungen reichlich lohnen. Das aus ruinenhaften Verfall heute wieder erjtehende Schloß jollte doch für die prächtige Wirkung des reinen Gteines bei älteren Gebäuden der überzeugendite Beweis fein.

Die Stilarten, welche die feit dem Wiebererjtehen der Stadt errichteten Bauten unter Johann Wilhelm und Karl Philipp zeigen, find Hauptjächlich der jpäter ſog. Hugenottenjtil und ber eigentlihe italienische Barodjtil. Zur Zeit Johann Wilhelms gab man ſich in Mannheim mit dem Hugenottenjtil zufrieden. Er war ein gewijfer Ausdrud der nüchternen Einnesart der eingewanderten Hugenotten, und Hervorragende franzöfiiche Architeften wußten zunächſt auch die Fürſten Johann Wilhelm und Karl Philipp dafür einzunehmen.

Urſprünglich begründet von dem 1580 geſtorbenen italie— niſchen Architekten Andrea Palladio, der ſeine Ideen in den „Bier Büchern der Architektur“ niedergelegt hatte, wurde dieſer Stil in der Folge bejonders von den Hugenotten vertreten und von Ddiefen nad Holland und Deutjchland gebracht. Selbjt die katholiſchen Parteien jchloffen fich diejem Bauftil an, wie wir die auch in der erften Zeit des 18. Jahrhunderts in Mannheim jehen.

Aber bald begann auch hier in Mannheim der Kampf gegen allzu große Nüchternheit in der Kunft. Noch hatte Karl Philipp den Plan des Scloffes in der nüchternen Weile diejes Hugenottenftiles anlegen lafjen, da begannen ſich mächtige Gegenelemente zu regen.

Der von feinem geringeren wie Michelangelo mit hervor: gerufene italienische Barodftil ſchlug endlich auch nad) Deutjch- land herüber und mußte das Herz des Funftfinnigen Fürſten der Pfalz gewinnen. Im Schloſſe jelbjt jehen wir diejen Sieg der neuen Richtung jchon durch den Einbau der Schloßfapelle

Die Baukunſt unter Karl Philipp. 135

marfirt, der auf dem urjprünglichen Plane gar nicht vorge- jehen war und dem ſpäter noch al3 ein Pendant die Errich- tung der Bibliothef folgte. Doch darauf foll an anderer Stelle noch zurüdgelommen werden. Hier jei vorläufig nur fejtgejtellt, in welcher Weiſe der Kunft zur Zeit Karl Philipps in der pfälzischen Reſidenz neue belebende Elemente zugeführt wurden.

Einige dem Sclojje gegenüber nach der Stadtjeite zu angelegte bejondere Gebäude wurden noch in dem älteren Stil gebaut, jo 1722 das Klofter und die Kirche der Karmeliter Barfüher (jet das Großh. Inftitut)*) und 1725 Kirche und stlojter der Auguftinerinnen. Dieje lebtere Klofterkirche bildet noch heute die jüdöftlihe Ede der Breiten Straße. Der große Kirchenraum weilt nocd gut gemalte Dedenbilder auf und eignet fich mit feinen jchönen, durch die oberen Fenſter geförderten Licht vortrefflich zu den daſelbſt heute jchon mehr fach veranjtalteten Kunftausjtellungen, während das Kloſter jelbjt in jeiner erhalten gebliebenen Südfront mit feinem großen Dad und Heinen Glodenthürmchen, dem zierlichen Portale und den früher farbig wirkenden Fenftereinfaffungen maleriſch und cn Alt-Mannheim gemahnend dem Bibliothetsbau des Schloſſes gegenüber liegt.

Unter Karl Philipp gedieh vor allem auch die private Bauthätigkeit in kunſtreicher Weiſe. Eine Reihe der ſchönſten Häuſer der bis zu dem Plankengebiet reichenden oberen Stadt entſtanden während ſeiner Regierung. Gerade dieſe zierlichen,

*) Rieger berichtet über dieſen Kloſterbau folgendes:

„sm Sabre 1729 wurde ber erfte Grundftein dazu gelegt, und das— jelbe der heiligen Dreifaltigkeit geweiht. Karl Philipp bewilligte im Jahre 1784 den Ordensgeiftlichen dabei eine Herberge für drei Brieiter und einen Zaienbruder aufzufchlagen. 1742 wurde die Vermehrung der Ordensgeiſt⸗ lichen durch zwei neue Mitglieder geftattet, und als die Stiftung Beifall fand, erwirkte endlich Pfalzgräfin Grneitina Eliſabeth, welche fih im Frauenklofter der Karmeliten zu Neuburg befand, dab Karl Theodor die Veränderung jener Herberge in ein wirkliches Kloſter bewilligte. Die hiebei veriprochene Erbauung eines neuen Kloſters mit dazu gehöriger Kirche kam nicht zur Ausführung.”

136 Die Baukunſt unter Karl Philipp.

ehedem buntfarbig erjcheinenden PBrivathäujer trugen zu dem freundlichen Gepräge der Stadt weſentlich bei und brachten ein höheres fünftleriiches Element auch in die Architektur der Straßen.

In raſcher Folge wuchien auch eine Neihe allgemeinen Zweden dienender Gebäude empor, zunächſt die jchon früher immer von der Bevölferung gewünjchten Kajernen, die die fäftige und koſtſpielige Einquartirung abichafften, jo u. A. die Ssnfantertefajerne in C 6 (1722—27), die nach dem damaligen Gouverneur genannte Belderbujcher Reiterfajerne M 3 und 4 (1723) dag Militärlazaretd F 6 (1739), das früher mit einem Glockenthürmchen gezierte Eurfürftliche Hofpital ad S. Carolum Borromaeum R 5 (1730), 1752 den barmherzigen Brüdern überlaffen und jeit 1807 das jtädtifche Krankenhaus, die öftlich der Stadt gelegene Münze (1735), eine Zeit lang die einzige Münze des Landes*), die Lateinſchule und das Jeſuitenkolle— gium (1739 am Schloß) mit ſchönen Einrichtungen und werth— vollen Deden-Gemälden.

Eine auf dem Zeughausplag 1737 begründeten Garni- fonfirhe mit einem größeren Thurm ift jchon 1780 wieder abgebrochen worden.

*) Weber dieſe Münze ichreibt Baroggio: „Diejelbe war in ihrer innern Einrihtung auf das Zweckmäßigſte eingetheilt. Die Schmelz: und Glüh— öfen, die Strede, welde mit Pferden getrieben wurde, der Durchichnitt, Die Juſtirmaſchine, die verichiedenen Auswürfe zum Prägen, die Pränwerfe für fleine Sorten, dad Gränzelwerk zc. zeigten hinlänglih, wie wohl dieſelbe eingerichtet war. Es gereichte damals allerdings dem Kurfürſten zu nicht geringem Nuhme, daß er nadı dem legten Kriege, in welchem Deutichland mit ſchlechten Münzen überihwenmt geweien, durch den angenommenen Miünzconventionsfuß, feine Lande nicht allein mit den beiten Sorten nad) Erforderniß verforgte, ſondern auch durch die nahdrüdlichiten Befehle die geringhaltigen und schlechten Sorten daraus entfernt gebalten hat, Der Münzrath und. zugleich Münzmeiiter Schäffer wie auch der Münzwardein Diez wohnten in. der Münze und mußten fich diejenigen, welche Silber zur ihmelzen hatten, bei denjelben melden. Es wurde ihnen jolches nach dem beitimmten Werth vergütet.“

Die Baukunſt unter Karl Philipp. 137

Am 1. März 1739 wurde auch der Bau der walloniſchen Kirche vollendet, die dicht neben dem Thurm der bereit3 am 25. Auguft 1717 eingeweihten beutjch-reformirten Concordien- firhe (R 2) zu jtehen fam. Während die wallonifche Kirche im Jahre 1795 völlig zerftört wurde, beiteht die größere, in- zwijchen an die lutheriſche Gemeinde übergegangene ehemalige deutichereformirte Kirche noch heute in verjüngter Geftalt.

Jene walloniſche Kirche galt als die jpätere Ruheſtätte der Gebeine der Raugräfin von Degenfeld. 1700 jollen dieje Gebeine unter den Trümmern der zerjtörten Stadt wiederge- funden und auf diefem Kirchenplage, auf dem zumächjt nur ein proviforisches Gebäude jtand, beigejegt worden jein. Eine Gruft mit einem zinnernen Sarg, die man 1823 an Dieier Stelle entdedte, bejtätigte dieje Annahme. Der mit 10 Löwen: köpfen gezierte Sarg wurde in die hier noch erhaltene Kirche, die heutige Concordienfirche, verbracht und hier beigeſetzt.

Aber neben diejen architektonisch einfach gehaltenen Ge— bäuden begannen fi unter Karl Philipp auch ſchon jene hervorragenden Zierbauten zu erheben, mit denen die Baus kunſt des ganzen 18. Jahrhunderts in Mannheim ihren Gipfel erreichte.

Vom Schloß wurde bereit3 der größere, wejtliche und jüdliche Theil jertiggeitellt, das Kaufhaus, zu dem 1730 der Grundjtein gelegt worden war, ging jeiner Vollendung ent= gegen und jchon erhob ſich der prächtigite Bau Mannheims: die herrliche Jejuitenfirche, eines der jchönjten Werfe des Barods in Deutichland.

Hatte Johann Wilhelm der neuen Stadt ihren Grund» plan gegeben, jo erhielt jie durch Karl Philipp den Eharafter ihrer äußeren Erjcheinung. Aber nicht allein die hier wejent- lihjten Werfe der Baukunſt Hatte Karl Philipp vorbereitet, er trug auch dafür Sorge, daß der fünftige Empfänger dieſer Werke, daß jein Nachfolger fich dieſes Erbes würdig erweije. Auch diejen jelbjt, den jungen Prinzen Karl Theodor bereitete er durch jorgfältige Erziehung auf eine hohe Kunjtpflege vor.

138 Die Baukunſt unter Karl Philipp.

Schon 1734 zog Karl Philipp den Prinzen an den Hof nad) Mannheim und Tieß ihn Hier die großen Eindrüde einer außergewöhnlichen, auf bedeutende künſtleriſche Gejtaltung ge— richteten Bethätigung gewinnen.

So ging denn die Kunft in Mannheim durch ihre er- ftehenden Werfe und ihren fommenden Fürjten einer jorgjam vorbereiteten Blüthe entgegen.

All.

Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels.

Der neue Herr in Mannheim Anderes Verhältniß des Fürſten zum

Volke Beeinträchtigung des Sondercharakters der Stadt durd) die Staats:

verhältnifje Verſuchte Förderung des Handeld Gründung der Hans

deläzunft Wechielgeriht Das Tabalsmonopol Don Poncorbo

fein Sturz Karl Philipp erklärt Mannheim als freie Handelsitadt Erbauung des Kaufhauſes.

Miss fonnte für die durch die Privilegien begründete freie Selbjtverwaltung der Stadt Mannheim einjchneidendere Veränderungen mit fi bringen, als die Verwandlung der Stadt in die Rejidenz eines Fürſten.

Hatte ſich jchon Heidelberg einer Hofhaltung ent: fremdet, jo war dieje für die Stadt Mannheim etwas völlig Neues.

Wohl hatte in der von der Stadt abgejchlojjenen Feltung Triedrihsburg Kurfürjt Karl Ludwig zeitweilig refidirt, allein wenn er die Stadt bejuchte, jo wußte er im Verkehr mit der Bevölkerung einen populären Ton anzujchlagen, mit dem er fich die Liebe der jelbjtherrichenden Bürgerjchaft zu gewinnen veritand. Dft Hatte er und feine Tochter Elijabeth Charlotte jelbjt die einfache Proviſionalkirche bejucht (hier u. U. den Neden des Myſtikers Pierre Poiret und des Chrijtian Wehren- felö lauſchend). Zwanglos hatte hier auch Lijelotte an der

140 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels,

Kinderlehre theilgenommen. In Mannheim weilte der Kur— fürft bisher gleihjam frei von jeinem ganzen großen Regie: rungsapparat, der fich ja in Heidelberg befand.

Ganz anders geftaltete ſich das Verhältniß des Fürſten Karl Philipp zum Volke, als diejer als Landesherr jich dauernd hier niederließ, al3 die gejammte Staatsverwaltung mit ihm nah) Mannheim überjiedelte und die Regierung des Landes joviel wichtiger erichien, als die Verwaltung einer einfachen Stadt.

Eine ganz neue Bevölkerung fam mit dem Hofe nad) Mannheim, die gar fein ntereffe an den freiheitlichen Ver— hältniifen der Stadt mehr hatte und die hauptſächlich nur dem Dofe und dem Staate diente. Die jchlichte Bürgerichaft des bisherigen Mannheim gerieth den machtvoll auftretenden Be— amten des Staates und Hofes gegenüber immer mehr in’s Dintertreffen.

So fonnte e3 fommen, daß die Stadtverwaltung immer mehr an Selbjtjtändigfeit verlor. Der Kurfürft wollte nicht nur der Negent des Landes, jondern auch der oberfte Gebieter in der Stadt jeiner Rejidenz jein.

Damit war ein neuer Herr in Mannheim eingezogen und mit neuen Berhältnijfen mußte gerechnet werden. Den Privi- legten jtand der Wille des Landesherrn gegenüber und der freiheitlihe Sondercharafter der Stadt konnte, da nun hier dag ganze Land jeine Vertretung fand, nicht mehr in alter Weile gewahrt werden.

In die ihrer geiltigen Entwidelung nad) weit voraus— geeilte Stadt Mannheim fonnten nun wieder die rüdjtändigen Staatsverhältniffe der Zeit ungemwehrt Hineinjchlagen. Für Mannheim bedeutete daher oft jchon die einfache Wiederkehr damals allgemein üblicher Injtitutionen einen großen Rück— ichritt.

Die aus ſolchen ganz natürlich entitandenen Verhältniſſen für Mannheim erwachjenen Gefahren wurden jedoch durch das aufrichtige Bejtreben des Kurfürften Karl Philipp, durch jociale Reformen zu wirken, wejentlich gemildert.

Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels, 141

Karl Philipp wollte ſich durchaus nicht etwa mur mit der äußeren Gejtaltung der Stadt begnügen, jein Sinnen und Trachten ging zu gleicher Zeit dahin, auch das fociale Leben Mannheims zu fördern und weiter auszugejtalten.

Der Kurfürft war weit davon entfernt, mit Mannheim fediglich künftleriiche Intereffen zu verbinden. Der neue Auf: bau der Stadt erheiichte jelbitverftändlih ſollte er bedeu— tender ausfallen die Entfaltung von Geſchmack und Kunſt.

Allein der Kurfürft erfannte auch jehr wohl jchon als ein anderes wichtiges Lebenselement der Stadt und deren bedeutender Entwidelungsfähigfeit: den Handel.

Hatte ſchon ein Poet zur Zeit Karl Ludwigs 1677 in einem dem Fürſten gewidmeten Geburtstagsgedicht der Zukunft des Handels in Mannheim u. W. folgende Berje gemeibt:

„Mercurius wird hier ſich gänglich niederlafien

Und feine Handelihaft in dieien weiten Straßen

Freftiegen, ja mich deucht, ich jehb wie von dem Meer

Und andern Orten ſchon viel Haufen ziehen ber ..“ jo war ſich auch Karl Philipp wohl bewußt, daß bier mit der Entfaltung des Handels große Hoffnungen zu verbinden jeien.

Des Kurfürjten Verjuche, den Handel zu heben und zu fördern, laſſen jedenfalls jeine beiten Beitrebungen auch auf diejem Gebiete erfennen, gleichviel, ob ſie Erfolg mit Sich brachten oder nicht.

Zunächſt ſetzte jich der Nurfürjt mit den Handelsjtädten Elberfeld und Barmen in Verbindung und ließ von da aus Gutachten und Vorichläge zur Förderung des Handels einholen.

Da die katholische Religion in Mannheim hervortrat, mehr: ten fih auch die Eimvanderungen aus romanischen Ländern. Beionders erhielt die Bevölkerung Mannheims aus Italien wejentlihen Zuwachs. Neben den vielen italtenischen Künit- lern, die hier meift nur vorübergehend anmwejend waren, kamen auch eine große Zahl italienischer Kaufleute nad) Mannheim, um fich hier dauernd niederzulaflen. Der Rath that alles, um dieſe Niederlafjung zu begünjtigen und wußte diejenigen Eingewanderten, die zunächſt ohne ihre Familien nah Mann:

142 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels.

heim famen, zu bejtinnmen, auch ihre Frauen und Kinder hierher zu bringen und im ein bleibendes Verhältniß zur Stadt zu treten. Namen wie Budoni, Brentano, Scotti, Limpa, Terragoli, Ajjeredo, Bucarrini, Liffignolo, Leon, Barazetti, Andriano, Antonio, Pebetti, Eartorio, Baroggio, u. a. m. verzeichnete in den folgenden Zeiten die Einwohner- liite Mannheims.

Meift war es der Kleinhandel, den dieje Italiener hier ausübten. In den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts ver: band bier jogar ein Poet die Dichtkunft mit dem Kramlabden. Der italienische Hofdichter Berazi, von dem eine Operndichtung „Iphigenie in Tauris“ herrührt, eröffnete zu Ddiejer Zeit Hier auch eine Gewürzfrämerei.

Es galt vor Allem, dem Handelsſtand eine geichlofiene Snterefienvertretung zu Schaffen. Dieſe Intereffenvertretung jollte die laut einer furfürjtlihen Urkunde vom 23. August 1728 begründete Handelszunft bewirken. „Jeder neu Aufzu— nehmende jo berichtet Feder muß fich über jeine ehrliche Geburt und jein Herkommen ausweilen, auch Bürger von Mannheim jein. Die Stadtrathsverwandten, Zunftmeifter und ſechs alte Zunftgenofjen, die Senioren, beichliegen über die Aufnahme; auch muß der Betreffende ſich nach dem technijchen Ausdruck jener Zeit ausweiten, daß er „praestanda‘ präiltirt babe. Die Aufnahmstare iſt 25 fl. für ein Landeskind, 50 fl. für einen Auswärtigen. Der Zunftgenoffe muß natürlich die Zunftartifel vejpektiren, den Ladungen Folge leiften und Sich als ehrlicher Handelömann betragen. Durch Verbrechen, aud) durd) Banquerott wird man des Zunftrechts verluftig. Tie Berhältniije der Gejellen und Lehrlinge find genau geordnet. Die Lehrzeit der lebteren beträgt in der Regel zwei Jahre, alsdann werden fie feierlich losgejprochen. Die Gejellen find in einer freieren Stellung. Sie tragen Waffen und rauchen auf der Straße, was ihnen zeitweile verboten wird. Die Bürgermeifter Nicolaus Pompejati und Wilhelm Inden hielten am 12. Auguft 1728 die erite Sitzung der Handelszunft ab, bei welcher zu Zunftmeijtern die Herren Ferdinand Deurer,

Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete bes Handels, 143

Paul Anton Allegro, Philipp Lorenz Schmalz und Antony Brentano; zu Senioren Andreas Scotti, ©. Balthafar Hof- mann, Joh. Abr. Weger, Joh. Heinrich) Weyl, Johann Paul und Antony Drtelo gewählt wurden, (womit dann jeder männiglid verabjd;iedet und vor diefesmahl in Frieden aus- einander gegangen.)

Eine bemerfenswerthe Thätigkeit der Handelszunft beiteht in der Wahl der Handelsfundigen Mitglieder des (1726 von Karl Philipp zugleich mit dem Erlaß einer Wechjelordnnung eingejegten) Wechjelgerihts. Es werden vier Fatholiihe Mit- glieder: Dratio Togny, Carlo Cetti, Stephan Sartory und Rathsverwandter Seufert; zwei reformirte: Johannes Moll, Heinrih Daniel Müller und zwei lutheriiche: ‘Ferdinand Deurer und Johann Heinrih Weyl, gewählt. Zu den Fragen allgemeiner Art, welche die Handelszunft bejchäftigen, gehörte z. B. die, ob Jemand, der mit Wechjeln Gejchäfte made, als Handeldmann zu betrachten jei. Die Handelszunft jpricht ſich im März 1736 dahin aus, daß ein Wechiel-snegotium das vornehmjte Stüd der Handlung jei.“

Diejes Wechjelgericht war auf Anrathen des Barmer und Elberfelder Handelsjtandes eingerichtet worden. Den 1729 erft: mals gewählten Handelsleuten jtand ein Director vor und zwei Rechtsgelehrte zur Seite.

Ein weiterer Borjchlag diejes Barmer und Elberfelder Handelsjtandes: Die inländijche Industrie zu privilegiren, führte zu einer von der Bevölkerung heftig befehdeten und nicht auf die Dauer zu hHaltenden Unternehmung. Die3 war die Be- gründung einer Tabafsmanufaftur und des Tabafsmonopols.

Karl Philipp Hatte die Bedeutung des Tabafshandels für Mannheim wohl verjtanden und glaubte hier mit Reformen einjegen zu müſſen. Er war daher den kühnen Borjchlägen eines ſpaniſchen Handelsmannes Namens Don Barthelemy Poncorbo d’Ayala et Guerra leicht geneigt zu machen,

Diejer wollte den Tabafshandel in einheitlichem Stile be— treiben und zu dieſem Zwede für die Pfalz monopolifiven. Er

144 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels.

wußte das Vertrauen des Kurfürften zu gewinnen, der freudig großen Plänen zuftimmte,

Ueber den wenig erfreulichen Verlauf diefes Unternehmens hat Feder eine jehr anſchauliche Schilderumg gegeben, die hier nicht fehlen joll und die folgendes aus den im General-Landes- archiv zu Karlsruhe aufbewahrten Akten dariiber zur Kenntniß giebt.

„Boncorbo, der vom Gommerzienrath zum Director des Commercienweiens, jodann zum Director des Borromäus- hojpitals, endlich zum Geheimrath avancirt war, hatte mitteljt der Zwangsmaßregeln, troß des Widerjtrebens der Diesjeitigen, und namentlich) aud) der jenjeitigen Pfalz, die Tabaksmanu— factur zu Stande gebradt und das Monopol durchgeführt. Tabaf erhielt er infolgedejlen genug geliefert, aber ihn zu be— zahlen, und, wie er dem Kurfürjten glaublic; gemacht haben joll, die Blätter in Gold zu verwandeln, hielt ſchwer. Doc) läßt es fich nicht beftreiten, dag Poncorbo auch hierin eine ungemeine Thätigkeit entwidelt, die eines bejjeren Er: folges würdig gewejen. Er bewirkt den Abjchluß eines Handelsvertrags mit Württemberg (20. Dezember 1736) und eines jolhen mit dem Kurfürſten Clemens Augujt von Köln, worin beide ſich Namentlich auch verpflichten, den Abjab des Pfälzer Tabafs zu begünftigen; er jchloß weiter mit den Banquiers Andreas van den Velden und Henriques Medina in Amſterdam zu der gleichen Zeit einen Vertrag ab, worin Die: jelben fich verpflichteten, den Berfauf des Tabafs in Holland zu vermitteln. Ja nod) mehr, Boncorbo läßt die Straße von Mannheim nad) Düffeldorf in Stand ſetzen, und läht 12 Land— futichen auf dieſer Route gehen. Auch hierfür erhielt Pon— corbo ein Privilegtum vom 11, Juli 1737 für Perſonen- und Frachtfuhren, bei 100 fl. Strafe unverlegbar.

Doch die Hoffnung auf dieje hierdurd; eröffneten Abſatz— gebiete wurde bitter getäuſcht. Man beichwerte jich, day weder Württemberg, noch Chur-Köln die Handelöverträge einhielten und fremden Tabak zum Verkaufe bringen ließen.

Schon im Sommer 1737. treten bedenkliche Symptome

Kurfürft Karl Philipp.

Lac dem Gemälde von Johann von Schlichten in der Großh. Galerie zu Mannheim.

(Das Gemälde if vielfach fehr dunkel und zeigt viele Sprünge, Eine beffere Keproduftion ift infolgedeffen nicht möglich,

Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels. 145

auf. In dem Bublitum curfiren fchlimme Gerüchte und macht fich eine bedrohliche Stimmung gegen Don Boncorbo geltend. Ein Lakai Ernſt hat öffentlich erklärt, daß man benjelben hinauspeitichen ſolle. Die bienftwillige Regierung dictirt ihm dafür „30 wohlangemefjene Brügel*. (Juli 1737, General- Landesarchiv Conv. 96). Im Auguſt 1737 verbreitet ein Frankfurter, Namens Müller, die gröbften Schmähreden an der Amfterdbamer Börje über die Tabaksmanufaktur. Die Re— gierung verfügt, daß man den „Böjewicht an dem Kopfe faffen jolle*, wo man ihn erhalte Alle Schmähreden gegen die Tabaksfabrik und VBerfleinerungen bderjelben, woburd ihr Credit erfhüttert würde, werden durch höchſten Erlaß verboten und mit Prangerftellung und emwiger Landesverweilung bedroht. (18. Auguft 1737) Don Boncorbo fühlt fi in dem Vollbe— fige jeines Anſehens und feiner Kraft; er jpielt den Groß— müthigen gegen feine Feinde, bittet um Gnade für den Lafaien Ernit, da es ihn jehr betrüben würde, die Urfache des Un— glüds eines Menſchen zu fein. Er jchreibt: „Je serais très mortifi& d’etre la cose (la cause) du malheur de qui que ce soit.“ Man gibt jedoch Feine Ruhe. Plötzlich verbreitet fih das Gerücht von weiteren Zwangsmaßregeln, die bevor- jtünden. Es jei beichloffen, zur Race gegen die Württem- bergiiche Regierung, welche den Handelsvertrag nicht erfülle, und gegen die Frankfurter, welche Schmähreden verbreiteten, alle Württembergifche und Frankfurter Reiſenden mit ihren Koffern, ſowie alle dorther fommenden Güter mit Arreit zu be— legen. Man fängt an, die Pfalz zu meiden. Die Regierung hat alle Mühe, jenes faljche Gerücht zu widerlegen. Pon— corbo läßt aber ein Speyerer Schiff mit einer Tabatsladung arretiren, und bejtärft dadurch dieſes Gerücht.

Noch im Winter 1737/38 fißt Poncorbo feit im Sattel. Er beherricht den Kurfürften und weiß ihm fortwährend goldene Berge vorzumalen. Er ift Generaldirektor und führt im Spät- jahr 1737 den Alleinverkauf des Schönfelder Salzes in Mann heim ein. Der Verkauf und Vollzug alles andern Salzes - wird vom 1. Oktober 1737 verboten. Weiter jtrebt jein Deier, Geichichte der Stadt Mannheim. 10

146 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels,

Sinn, und er begeht babei einen Schritt, deifen bedenkliche Folge er außer Acht ließ. Er begnügt ſich nicht mehr mit der Direktion des Commerzienwejens, fondern er will nichts weniger, als „Öeneralprocurator“ bed Landes werden. Unter'm 2. Dezember 1737 (GeneralsLandesardhiv Conv. 103) reicht er bei dem Kurfürften eine Denkſchrift ein, worin er darlegt, daß an allen großen Höfen ein hoher Würdenträger bejtehe, den man mit dem Ausdrude Generalprocurator oder Proteftor bezeichne. Dieſer jei der Bejhüger der Armen, Wittwen und Waiſen; er forge dafür, daß die Brozeffe der Gefangenen zu Ende gebracht würden, und prüfe, welche berjelben der höchſten Gnade würdig jeien; er habe ferner dafür zu jorgen, daß die Hartgefangenen am Charfreitage und Samjtage an einen offenen Ort gebracht würden, damit fie dort einiges Almojen empfingen; er habe das Sculdenwejen der Gefangenen in Drdnung zu bringen, die Gefängniffe zu vilitiren; für Rein- lichkeit und die Kranfenverpflegung zu jorgen und darüber, daß die Dftern von den Gefangenen gehalten würden, und daß den. Eapitalverbrechern bis zu ihrer Hinrichtung nichts abgehe, zu wachen.

Dieje wichtigen umd wohlthätigen Funktionen unentgeltlich zu übernehmen, erbot ji Poncorbo, und mit Erlaß des Kurfürften vom 9. Dezember 1737 wurde er in der That zum Generalprocurator und Protektor jämmtliher furfürftlichen Lande ernannt. Nun hieß e8: Sturm auf allen Linien. Die Regierung mit v. Hillesheim an der Spike, die Jujtizcollegien, die Militärgerichte unter General von Habfeld protejtiren in. aller Devotion gegen dieje Ernennung. Die Regierung jagt: es ſei das Juftizwejen fchlecht verjehen, wenn die indagationes qualitatis delictorum quo ad poenam vel gratiam von einem der teutſchen Sprade jo wenig als der teutjchen Nechte und Ordnungen fundigen subjeeto anvertraut werden jollen und die Militairs wollen es jehr jchmerzhaft empfinden, der Kritik eines Fremden in ihren Umtshandlungen ausgejegt zu ein. Man ftellt dem Kurfüriten vor, daß alles in Verwirrung ge—

Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels. 147

rathen müſſe und dieſem anhaltenden Sturm kann er nicht widerjtehen.

Schon mit Erlaf vom 13. Januar 1738 wird die General- procuratorftelle wieder eingezogen. Das war ein harter Schlag für Poncorbo. Unter dem Borgeben, den Abjab des Tabaks nach England betreiben zu wollen, geht er nach London. Unter- befien füllen fich die Magazine mit Tabak und leeren fich die kurfürſtlichen Kaſſen mehr und mehr. Man kann den Tabat nicht bezahlen, und läßt ben Bauern eröffnen, daß fie ihr Guthaben an den Steuern erhielten. Damit find dieje aber nicht zufrieden. Die Angeftellten der Tabaksmanufaktur jchlagen zuerjt Lärm. „Mit blutihwimmenden Herzen“ wenden fie ic) im April 1738 in den Worten „Herr erhöre mein Gebet, vernimm mein Flehen um deiner Wahrheit willen; erhöre mich in deiner Gerechtigkeit" an den Kurfürjten, und bitten um Rückgabe ihrer eingezahlten Cautionen und um Zahlung ihres Gehaltes, die jeit Monaten ausgeblieben ift. Jetzt jebt der Kurfürjt in Abweſenheit des Poncorbo eine Commiſſion, be- jtehend aus dem Freiherrn v. Baden, v. Weiler, Felmer und Beuße, zur Unterfuhung der Tabaksmanufaktur ein. Die Eommijfion wird von den revoltirenden Tabakſpinnern em— pfangen, die ſchon jeit drei Wochen feinen Lohn mehr erhielten. Ale Welt jchrie nad) Geld und Niemand hatte jolches. Durch verzweifelte Mittel juchte man fich zu helfen. Man jtellte die Juſtiz gegen Handwerfsleute und jonjtige bedürftige Berjonen; die an die Tabaksmanufaktur eine Forderung zu machen hatten, auf die Dauer von zwei Monaten ein (Juni 1738), brachte die Pferde des Poncorbo zur Berjteigerung, und beurlaubte die Angejtellten der Fabrik (Juli 1738), wobei man es nicht unterließ, die Wirthe und jonjtige Gläubiger derjelben auf den Bahltag, den 7. Juli, aufmerkſam zu machen.

Die BVerlegenheiten der Tabafsmanufaftur nahmen jedoch fein Ende. Hatte doch der Hoffaktor Emanuel Mayer allein für 62,850 fl. Wechjel in den Händen und von allen Seiten drängt man auf Zahlung. Im der größten Noth ſchickt nod)

10*

148 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels.

der Kurfürſt einige Juwelen, um fie plus offerenti zu ver- fteigern. (Juli 1737).

Unterdefjen hatte die Commiffion die Papiere und Mobi- lien des Don Eorbo mit Bejchlag belegt und zwar troß einer Beichwerde der Madame Boncorbo, welde ſich über bieje unwürdige Behandlung jehr beleidigt fühlt. Man wollte aber wiſſen, daß die Hauptjächlichjiten Papiere und Werthichaften nächtlicher Weile unter Beihilfe der Bedienten bes franzöfiichen Gejandten Blondel aus der Wohnung des Don Corbo wegge— ihafft worden jeien. Nach einer vorläufigen Zujammenftellung berechnete man die Sculdenlaft der Tabafınanufactur auf 636,811 fl. Das war das Ergebniß einer 1'/,jährigen Thätigfeit,

Poncorbo kehrte Ende Auguft 1738 von London zurüd und verjuchte fich zu rechtfertigen. Allein jeine Zeit war vorüber. Er wurde läjtig, und im Februar 1739 läßt ihm der Kurfürft feinen rüdjtändigen Gehalt von 2000 fl. mit ber Weifung auszahlen, fofort das Land zu verlafien. Als man ihm fein Geheimraths- und jeine jonjtigen Patente abfordert, zeigt es ich, daß diejelben bereit? nad) Spanien abgegangen find. So war das Ende Poncorbos.“

Der unglüdlihe Ausgang diejer Unternehmung brachte zur Schuldentilgung ein wenig erfreuliches Mittel zur Anwen- dung: die Lotterie. Laut Erlaß des Kurfürjten vom 14. Juli 1738*) wurde eine folche Lotterie eingeführt. v. Uberbruf,

*) Diefer von Schwegingen aus ergangene Erlaß lautete nadı Feder: „Serenissimus Elector, Nachdem Ihro churfürſtliche Durdlaucht zur Bes forgung ficherer dero hohen Churhaufes, wie auch dero Landen und Unter: thanen Höchitangelegenen Nothwendigleiten einer namhaften Geldſumme ehebaldigit unumgänglich benöthigt ſeynd, welches zu beftreiten das churs pfälzifhe Cameral⸗ und Kriegsärarium dermahlen nicht vermag, und dann bei Ihro hurfürftl. Durchlaucht foldhen endts in Truf biebei verwahrter Plan Einer in dero RefidenzStatt Mannheim aufzurichtender Lotterie in unterthänigiten Vorſchlag gebracht, von Höchjftderjelben jolcher au in Bes tracht vorerwehnter ſtark antringender Umftand, und daß fothaner Lotteries plan für und an fich felbften bem gemeinen Weſen ehender verträglich, als beſchwerlich jeyn, genehmt worden, mithin Höchftjeden Ihro churfüritlichen Durchlaucht fih zu derer Miniftern, Rätben, Oberbeamten, Secretären,

Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels. 149

Friſch, Baud und Hauß wurden zu den Direktoren derfelben ernannt und das Oberjägermeifteramt erhielt die Aufficht zu— gewiejen.

Der Erlaß des Kurfürjten war als ein Befehl für jeder- mann, 2ooje zu nehmen, gedeutet worden. Da hieraus eine Mipftimmung entftand, erfolgte am 22. Jult ein weiterer fur- fürftliher Erlaß, der dieſe Auffaffung der Sache zu widerlegen verjuchte.

Ueberblidt man die Thätigfeit Boncorbos in ihrer Ge— jammtheit, jo fieht man jedenfalls, daß ſich Hier eine große Energie vergeblich verjchwendete. Wie jelbjt Feder zugibt, der eine jo fcharfe Verurtheilung diejer Unternehmungen vornimmt, wäre doc dieſe Thätigfeit eines bejjeren Erfolges würdig ge- wejen. Abgeſehen davon, ob eine ſolche Unternehmung über- haupt jegensvoll ausfallen fonnte, war fie doc in großem Stile gedaht. Der Bruch aller damit verbundenen Verträge untergrub dieje Veranftaltung von Anfang an, und die weit greifenden Machtgelüfte des Unternehmers mußten das Ende der Sache bejchleunigen, da der Handel nun einmal ein „Kind der Freiheit” ift.

Kurfürjt Karl Philipp wußte das wohl, er ließ 1736 Mannheim als freie Handelsftadt erklären. Allein das Ausiprechen diejes großen und jchönen Gedankens, mit dem ein Kernpunft der Entwidelung Mannheims erfaßt war, blieb zu= nächſt nur eine ideelle Berfündigung, da man in Wirklichkeit die rechten freien Wege noch nicht finden konnte.

Negiftratoren, ſämmtlicher VBedienten in deren Stätten und Oberämtern ohne einige Ausnahme, jedod mit Ausſchließung deren in dero Livrée jtehen, wie auch andern geringeren Perſonen, forth denen Stattrathsgliedern und vermögenden Gerichtsperſonen gäntzlich gnäbdigit verjehen, daß felbige inögejammt bei gegenwärtiger DVerfallenheit Ihre gegen mehr Höchitjeden Ihro Hurfürftlihe Durchlaucht abtragende Devotion und für das Gemeine Beite hegende Begierde werkthätig zu bezeugen, ein jeder jeinem Vermögen nad) innerhalb denen nächſten acht Tagen nad) Erhaltung dieſes maaßen fothane Lotterie baldmöglichſt erfüllet werden muß, eine oder mehrere Looſe gegen Zahlung zu nehmen ꝛc.“

150 Karl Philipps Wirken auf dem Gebiete des Handels.

Ein bedeutendes Denkmal der Förderung des Handels durch Karl Philipp jtammt aber aus jener Zeit: das Kaufhaus. Mit ihm war dem damaligen Handel in der Mitte der Stadt eine jchöne, von der Kunſt geweihte Stätte gegeben. Mit der Errichtung dieſes Bauwerkes bewies der Kurfürjt am Bejten jeinen guten Willen, das Gejchäftsleben in Mannheim zu fördern, und jeine Hochſchätzung des Handels überhaupt.

XIll.

Die auswärtige Politif Karl Philipps und das Hofleben in Mannheim.

Glänzende Hofhaltung Vertrag mit Bayern wegen ber Erbfolge Friedrich der Große als Fronprinz in Mannheim Herzog Johann Ehriftian Verlobung des Prinzen Karl Theodor [mit der Prinzeifin Eliſabeth Augusta Karl Philipps Zerwürfnig mit dem Kaiſer Karl VI. und fein Eintreten für Kurfürſt Karl von Bayern Feier der Doppelhochzeit Karl Theodor mit Elifabeth Augufta fowie des Herzogs Clemens Franz von Bayern mit der Prinzeffin Maria Anna von Sulzbach Eintreffen der Nachricht von der Wahl des Hurfürften von Bayern zum Kaiſer Tod des Kurfürſten Karl Philipp und Beifegung feiner Leiche in der Schloßlapelle zu Mannheim.

Baduches Gelingen ſeiner Unternehmungen lag für Karl Philipp hauptſächlich auf dem Gebiete der Kunſt, der Neuge— ſtaltung der Stadt und der Förderung künſtleriſcher Bethäti— gung.

Da ſich die Kunſt zur Zeit Karl Philipps zu der Kunſt der Zeit Karl Theodors wie die Wurzel und der Stamm eines prächtigen Lebensbaumes zu deſſen Blüthe und Frucht verhält, ſo kann die Kunſt dieſer Zeiten nur als ein Ganzes betrachtet und behandelt werden.

Es ſoll daher in einem ſpäter folgenden Kapitel hier ein einheitliches Bild dieſer Kunſtbethätigung zu geben verſucht werden.

Ebenſo zeigen wenn auch nicht ſo bedeutend und er—

152 Die auswärtige Politit Karl Philipps x.

freulich die focialen Berhältniffe während der Regierungs- zeiten dieſer Fürjten viel ähnliches und aus gleichen Boraus- jegungen Entjtehendes. Auch dieje Verhältnifje jeien deßhalb an einer anderen Stelle diejes Buches im Zujammenhange ge— ſchildert.

Was uns hier noch beſonders zu beſchäftigen hat, iſt das mit der Perſon des Kurfürſten ſelbſt verbundene Hofleben, ſo— wie die auswärtige Politik Karl Philipps und ſeine Zukunfts— pläne.

Mit jeiner glänzenden Hofhaltung verband Karl Philipp weitgehende Abfichten. Mit ihr wollte er zunächit fein Haus den Fürftenhäufern Europas gegenüber in hervorragender Weije repräjentiren. Er glaubte das Anjehen, das er fich durch feine Kriegsthaten erworben, und das fein Haus durch feine Fami— fienverbindungen bejaß, auch äußerlich zum Ausdruck bringen zu müſſen.

Er wahrte damit denn auch hohe Achtung jeiner Perſon und jeines Landes und e3 gelang ihm, neue Erweiterungen jeine® Ländergebiets anzubahnen. Seine Verbindung mit Bayern erichien ihm aus dieſen politischen Gründen wichtiger als jeine gute Beziehung zu Oeſterreich, das ihn verftimmende Enticheidungen getroffen hatte und dem er Troß bieten wollte.

Am 15. Mai 1724 fam zu München ein mit Bayern als Unionstractat abgeichlofjener Haus- und Staatsvertrag zum Vollzug, wonach die gegenjeitige Erbfolge bei Ausjterben eines der beiden Fürftenhäujer bejtimmt wurde. Das bedeutete für Karl Philipps äußere Politif einen wejentlichen Erfolg, allein diefe Beitimmung legte zugleich auch den Grund zu dem jpäteren großen Berlufte, den die Stadt Mannheim durch die Ueber- jiedelung Karl Theodors nah Mimchen am Ende des 18. Jahr- hunderts erleiden mußte.

Bu den hervorragenden Gäjten, deren Bejud Karl Bhilipp in jeinem Scloije zu Mannheim empfing, gehörte auch der Kronprinz Friedrich von Preußen, der jpätere König Friedrich der Große. Der Kronprinz fam mit jeinem Vater, dem König Friedrid Wilhelm I. von Breußen, auf dejjen Reife dur Süd—

Oberſt Rochow verhindert die Flucht des Kronprinzen Friedrich von Preußen auf der Reife von Stuttgart nad Mannheim.

Nah einer Zeichnung von Adolf Mentel zur Geſchichte Friedrichs des Großen-

154 Die auswärtige Bolitif Karl Philipps x.

beutichland von Stuttgart aus am 8. Mai 1730 nad) Mann— heim.

Der damals erjt 18jährige Kronprinz befand fich Hier nicht gerade in der beiten Gemüthsverfaffung. Sein auf diejer Reife nah Mannheim im Dorfe Steinsfurth bei Sinsheim nächtlicherweile unternommener Fluchtverjuh war von Oberjt Rochow vereitelt worden. Diejer Fluchtverſuch ereignete fich nah Kugler unter folgenden Umjtänden:

„Im Dorfe Steinsfurth übernachtete man in verichiedenen Sceunen, in dem der König, in ſolchen Fällen nad) weichlicher Bequemlichkeit wenig lüjtern, einen [uftigen Aufenthalt der Art der beflemmenden Schwüle der Wirthshausftuben vorzu- ziehen pflegte. Der Kronprinz, der mit dem Dberften Rochow und feinem Kammerdiener gemeinichaftlih eine Scheune zum Nachtlager erhielt, machte jchnell feinen Plan, der Gelegenheit gemäß. Er benupte die gutmüthige Leichtgläubigkeit eines füniglihen Pagen es war ein Bruder feines Freundes Keith indem er ihm amvertraute, er habe ein verliebtes Abenteuer unfern des Ortes, wozu er ihn bes andern Tages früh um vier Uhr weden und ihm Pferde verichaffen möge. Das letztere war leicht zu bewerfitelligen, da gerade an dem Drte Pferdemarkt war. Der Bage war gern dazu bereit; an- jtatt aber den Prinzen zu weden, verfehlte er das Bett und wecte den Kammerdiener. Diejer Hatte die Geiftesgegenwart, ſich anzuftellen, al3 ob er darin wenig Verdächtiges finde; er blieb ruhig liegen, um das Weitere abzuwarten. Er jah, wie nun der Kronprinz aufiprang und fich jchnell anfleidete, aber nicht die Uniform, jondern ein franzöfiiches Kleid und einen rothen Ueberrod, den er fich heimlich auf der Reiſe hatte machen laſſen, anlegte. Kaum hatte der Kronprinz die Scheune verlaffen, jo benachrichtigte der Kammerdiener den Oberſten Rochow von dem, was vorgegangen; dieſer wedte eilig drei andere Offiziere aus des Königs Gefolge, und man machte fich, nichts Gutes ahmend, auf den Weg, den Stronprinzen zu fuchen. Nach kurzer Zeit fanden ihn die Offiziere auf dem Pferde- marfte, an einen Wagen gelehnt und nad) dem Pagen aus-

Die auswärtige Politik Karl Philipps x. 155

ſchauend. Seine franzöfiiche Kleidung vermehrte ihren Ver— dacht, doch fragten fie ihm mit ſchuldiger Ehrerbietung, weßhalb er fich fo früh aufgemacht. Der Kronprinz war über die un— willfommene Dazwiſchenkunft von Wuth und Verzweiflung er- füllt, er wäre des Weußerjten fähig gemwejen, hätte er Waffen bei fich gehabt. Er gab ihnen eine kurze und rauhe Antwort. Rochow bemerkte, der König ſei bereit3 aufgewacht und werde in einer halben Stunde weiter reifen; er möge aufs Schleu- nigjte jeine Kleidung verändern, damit fie dem Könige nicht zu Gefiht fomme. Der Kronprinz verweigerte e3 und fagte, er wolle jpazieren gehen; er werde zur rechten Zeit zur Abreije bereit fein. Indeß fam der Bage mit den Pferden. Der Kron—⸗ prinz wollte ſich vajch auf das eine derjelben werfen; aber die Dffiziere ließen ihn nicht dazu fommen und zwangen ihn, der fi wie ein Verzmweifelter wehrte, mit ihnen zur Scheune zu— rüdzufehren und die Uniform wieder anzulegen.“

Unter der Nachwirkung dieſes vereitelten Fluchtverfuchs jtand der Aufenthalt de3 Kronprinzen Friedrih in Mannheim.

Der König hatte von dem Vorkommniß erfahren, doch lief er hier ben Kronprinzen von feinem Zorne nichts merken, erſt furz nach der Abreife von Mannheim jagte er zu feinem Sohne gewendet leichthin in jpottendem Tone, er wundere ſich, ihn Hier zu jehen, denn er habe ihn jchon in Paris vermuthet.

Die Treftlichkeiten in Mannheim müfjen doc etwas durch die gewitterjchwüle Stimmung,. die die Situation mit fi brachte, gelitten Haben. Es ift auch anzunehmen, daß der Kur— fürft Karl Philipp gleihfall3 von dem Vorfall Kenntniß er- hielt und ein Mißbehagen darüber empfand.

Beruhigend erjchien es, daß der König und der Kronprinz am Sonntag den 9. Auguſt gemeinjchaftlih dem lutheriſchen Gottesdienjt in der Trinitatisfirhe zu Mannheim beiwohnten.

In demjelben Jahre 1730 jtedelte der Prinz Johann Ehrijtian von Sulzbach, der Bruder des verjtorbenen Erb— prinzen Joſeph Karl von Sulzbach, in das Schloß zu Mann- heim über, um dem KHurfürften Troft und Stütze zu jein.

156 Die auswärtige Politit Karl Philipps n.

Allein auch diejer Beiltand wurde dem Kurfürften nach furzer Zeit entzogen.

Prinz Johann Chriftian war zu diejer Zeit erſt 30 Jahre alt. 2 Jahre vorher war jeine Gemahlin, die Fürſtin Maria Anna, Tochter des Herzogs Franz Egon Latour d’Auvergne, geftorben. Diejer Ehe entitammte der am 11. Dezember 1724 geborene Karl Theodor, der nachmalige Kurfürit der Pfalz. Nach dem Tode jeiner Gattin erbte Johann Chrijtian die Herr- ichaft Bergen op Zoom.

Bald nad) feiner Ueberfiedelung nad) Mannheim vermäbhlte fih Prinz Johann Ehriftian nochmals und zwar am 25. Januar 1731 mit der Prinzeſſin Eleonore Augufte von Heſſen-Rhein— fels, Schweiter der Königin von Sardinien.

Aber nur kurzes Glüd jollte ihm in diefer Ehe beichieden fein. Wohl gelangte er nad) dem am 11. Juli 1732 erfolgten Tode jeines Vaters Theodor an die Regierung jeines Landes, allein jchon ein Jahr darauf wurde er jeiner jungen Gattin und jeinem väterlichen Freund, dem Kurfürſten Karl Philipp, durch den Tod entriffen. Zunehmende Beleibtheit Hatte die Gefundheit des jonjt körperlich jo kräftigen und großen Mannes untergraben. Die Fürjtin hat ihren Gemahl noch 26 Jahre überlebt; fie jtarb im Jahre 1759 in dem Kloſter der Karme— literinnen zu Neuburg.

Als der Tod der eriten Gemahlin Johann Ehrijtians den jungen Prinzen Karl Theodor jeiner Mutter beraubt hatte, war dieſer zu feiner Urgroßmutter, der Herzogin Marie Hen- riette von Aremberg in Drogenburg bei Brüſſel, zu weiterer Erziehung verbracht worden.

Jetzt nach dem Tode auch des Vaters de3 jungen Prinzen, übernahm Kurfürſt Karl Philipp jelbft laut einer teftamen- tarijchen Beftimmung Johann Chriftians die Vormundſchaft über das verwaijte Kind, Er ließ den Prinzen wie jchon früher erwähnt an den Hof nah Mannheim kommen und leitete jelbjt die Erziehung desjelben. Wie ein koitbares Kleinod wahrte er Diejes Kind, mit ihm die größten Hoffnungen ver- bindend, die ſich denn auch erfüllen jollten.

Die auswärtige Politit Karl Philipps x. 157

Zu einem lieblichen Feſte geitaltete fich die Verlobung des Knaben Karl Theodor mit der jungen Tochter der Eliſabeth Augusta gleichen Namens, mit der Enkelin Karl Philipps. In rührender väterlicher Liebe wollte Karl Philipp das Theuerjte, was er bejaß, mit einander verbunden jehen. Und jo ver: wirklichte er den Plan der Verlobung der beiden Kinder, Karl Theodors und feiner Enkelin Elijabeth Augusta. Im April 1733 fand diejes Feſt einer gewiß jeltenen Verlobung im Mannheimer Schloſſe jtatt.

Eliſabeth Augusta, die jpätere Gattin Karl Theodors, iſt am 17. Januar 1721 zu Mannheim geboren und zwar in dent zweiten Stod des neben der proviſoriſchen furfürjtlichen Reſi— benz R 1, 1 jtehenden und mit diejem damals durch einen Durchbruch verbundenen Haufe des Kaufmanns Gejell. Sie iſt das dritte Kind der Ehe des Erbprinzen von Sulzbach und der Tochter Karl Philipps.

Die in Mannheim erfolgte Geburt ihres Bruders Karl Bhilipp Auguſt am 24. November 1725 war von der Stadt mit großem Jubel begrüßt worden. Zur eier diejes Er- eignifles ließ der Stadtrath eine Münze. (einen Dufaten) prägen mit einer dem Kurprinzen gewidmeten Injchrift und einer allegoriichen Jünglingsgeſtalt Allein nur zwei Jahre währte das Leben diejes alſo Gefeierten.

Herzog Johann Chriſtian hatte furz vor jeinem Tode für die fünftige Bermählung feiner Nichte Eliſabeth Augujta mit jeinem Sohne Karl Theodor einen Vertrag mit Karl Philipp abgejchloffen, worin u. U. in $ 14 bejtimmt wurde, „daß die Gemählde-Gallerie zu Düffeldorf und die beiden Kabinette der Mahlerey und Alterthümer zu Mannheim „cum vinculo per- petui fideicommissi* für das dhurpfälziiche Haus belegt ſeyn und bfeiben.“*) Der Bertrag wurde am 25. April 1733 in Mannheim und am 30. April zu Sulzbach unterzeichnet.

*) Non einer Guriofität in dem damaligen Mannheimer Stabinelt, die wir bier nur erwähnen wollen, weil fie in humoriſtiſcher Weile Kaiſer Friedrich IL. in ihre Schickſale hineinſpielen läßt, erzählt Lipowsky nad) Freher's Hriginum Palat. Pars II: „In dieſem Stabinette befand jich unter andern

158 Die auswärtige Politit Karl Philipps x.

Kurz vor dem Tode Johann Chriſtians kam zwischen ihm und Karl Philipp eine eigene Sache zum Austrag, die bewies, daß die Freundſchaft diefer beiden Fürſten nicht zu erjchüttern war. Der Markgraf von Bayreuth hatte dem Vater Johann Ehrijtians 30000 Gulden geliehen, die er nun vom Sohne als diejer die Regierung angetreten, zurüdforderte. Johann Chriſtian wandte ſich in jeiner Bebrängnig an Karl Philipp, der die ganze Summe dedte. Die enorme Ausgabe wurde damit begründet, daß dies die Begleichung einer Forderung jei, die das Haus Sulzbah an das Haus Neuburg habe. That- tählih Hatte das Haus Sulzbach im Jahre 1621 dem Haufe Keuburg ein Darlehen von 24000 Gufden gewährt, das allers dings nod) nicht zurüdgezahlt war.

Ende Dezember 1731 traf der Better Karl Philipps, Kurfürft Karl Albert von Bayern, in Mannheim zum Befuche ein, den er bis zum Februar des folgenden Jahres ausbehnte. Die Anwejenheit des mit dem Haufe Neuburg innig verbun- denen Firjten in Mannheim war von neuer politiicher Bedeu- tung und verjchärfte noc das Zerwürfniß Karl Philipps mit dem öfterreichtiichen Kaiſerhauſe.

Bayern und Pfalz jchloffen jich denn auch dem Sailer nicht an, als dieſer 1733 mit Frankreich wegen der polnischen

Alterthümern auch ein vergoldeter, nad) dem Wachsthume des Fiſches ſich ielbit ausdehnender Ning, welden ein im Jahre 1497 gefangener Hecht ge— tragen hat, und den Ghurfürft Philipp, nachdem er ihn zuvor hatte ab» mahlen laffen, ſich zu Heidelberg auf feine Tafel bringen ließ. Diefer Hecht wog damals 350 Pfund und war 19 Schube lang. Die Aufichrift auf dem Ringe war griedhiich, und der damalige gelehrte Biſchof zu Worms, dann Kanzler des Ghurfürften, Johann, Kämmerer von Worms, Freiherr von Dalberg, überiegte dieie griechiiche Aufichrift wie folgt: Ich bin unter allen Fiichen der erfte, weldyer dur die Hände Kaiſers Friedrich IT. in dieien Wog geſetzt worden, den 5. Oktober 1230. Kaiſer Friedrich II. hatte nämlich) in dem cben angegebenen Jahre einen Hecht mit eigener Hand in den nunmehr ausgetrodneten Kaiſerswog (Weiher) nicht weit von der Stadt Lautern gelegt, der ſich 267 Jahre darin aufgehalten hat. Die Abbildima dieſes Hechtes befindet jich im Schloſſe der Stadt Lautern.“

Die auswärtige Politik Karl Philipps x. 159

Königswahl Krieg führte. Sie erflärten mit Köln diejen Krieg nur al3 den Austrag einer Yamilienjache, die fie nicht an— gehe, und jtellten ſich auf den Standpunft der Neutralität. So blieb wohl die Pfalz vor einem neuen Kriege verichont, allein der Durchzug und Aufenthalt fremder Truppen brachten dem Lande Unzuträglichkeiten, zumal der Kurfürjt fich nicht unpar- teitfch genug verhielt, um Ausjchreitungen zu vermeiden.

„Da nun injonderheit der alte Kurfürft von der Pfalz jo heißt es in der Germania princeps ſchon ſeit vielen Jahren daher mit Kaijer Karl VI. nicht recht zufrieden geweſen war, jo trug er dejto weniger Bedenken in diejem Kriege die Neutralität mit zu wählen, da er zumal wußte, daß dadurd dem Haufe Defterreich Fein geringer Tort geſchähe. Ja, ber Kaijer hatte Urjache, ihn noch dazu vieler Barteilichkeiten zu bejchuldigen, denn er ließ nicht nur den Franzoſen zulänglichen Proviant aus jeinen Landen zuführen, jondern gejtattete ihnen auch bei Nedarau den Uebergang über den Rhein. Bei An- näherung der Deutjchen Hingegen ließ er jowohl zu Mannheim al3 Heidelberg die Brüden abwerfen über welche vorher die Franzoſen marjchirt waren. Auch Hatten die franzöftichen Generale, der Marſchall von Noailles, der Graf von Sadjen, der Graf von Belleisle, der Herzog von Nichelieu und andere mehr bei Hof freien Zutritt, und unterredeten ſich fleißig mit dem Kurfürſten. Zwar ließ diejer hierauf dem Kaifer ein joge- nannte Ereulpations-Schreiben wegen des Uebergangs der Franzoſen überreichen. Uber es fand jolches bei jo bewandten Umjtänden wenigen Beifall. In mitteljt jebte er jeine Truppen und Feſtungen in einen guten Stand, wozu die Geiftlichkeit wiederum vermöge eines päpitlihen Breve ein Anjehnliches beitragen mußte.

Ohngeachtet nun der ergriffenen Neutralität empfand er dennoch das SKriegsungemah im Jahre 1735 merklich jatt. Denn beiderjeitigen Armeen ftunden. in jeinen Landen, und verurjachten den Unterthanen großen Schaden. Ob er aud) wohl zu Wien und in Berjailles öfters nachdrüdliche Klage darüber führte, und begehrte, daß man den Schaden erjegen

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jollte, jo Hatte doch der Kaiſer das. wenigſte Mitleiden mit ihnen, zumalen da er auch den im vorigen Jahr aus dem Reiche geichafften franzöfiichen Minijter Blondel an feinem Hof aufnahm und die Feldfrüchte feiner Unterthanen gegen die ver- Iprochene Einjaat an die franzöftiche Armee verfauft hatte, wo— für ihm jedoch der franzöjiiche Hof nachgehends Satisfaction gegeben.“

Abgeſehen von der mangelhaften Wahrung der Neutralität, muß zu Gunften Karl Philipps doch in Erwägung gezogen werden, daß bei Betheiligung an dem Feldzug gegen Frank— reich die Pfalz wieder zuerjt von den Franzoſen mit Krieg überzogen worden wäre und der Schaden für das Land dann jedenfall3 viel bedeutender ausgefallen fein witrde, ferner, daß Karl Philipp thatjächlih nur gegen die Perſon des regieren- den Kaiſers Karl VI. Groll hegte und fein Wunfch nur dahin ging, einen anderen Kaijer auf dem Thron zu jehen, nicht dem deutichen Kaiferreich überhaupt entgegenzuftehen. So machte er bei der folgenden Kaiferwahl im Jahre 1742 feinen Einfluß zu Gunſten des Kurfürjten von Bayern geltend, und es iſt ein Zeichen der Macht feiner Regierung, daß er es hauptjächlich mit bewirkte, daß dieſe Wahl wirklich zuftande fam. Ob dieſe Wahl glüdlih war oder nicht, kann an diefen Erwägungen nicht3 ändern.

Der bier in Frage fommende Krieg währte übrigens drei Jahre und der Kaiſer wagte es nicht, dem Kurfürjten das Berhalten in diefem Kriege jpäter entgelten zu laſſen.

Die Politik des Öfterreichifchen Fürſtenhauſes wurde bald darauf von Preußen ebenjo wenig rejpeftirt, wie von Karl Philipp, denn nad) dem Tode des Kaijers Karl VL riß Preußen befanntlih Schlejien an ſich.

Ebenſo verjuchte der Kurfürſt von Bayern feine Rechte geltend zu machen. Karl Philipp wollte jedoch nicht offen gegen Defterreich, mit dem er verwandtichaftlich eng verbunden war, vorgehen; er jtellte fich wieder auf den Standpunkt der Neu— tralität, Dabei jedoch den Durchzug Bayern zu Hilfe eilender franzöfiicher Truppen durch fein Land geitattend,

Marmorftatue des Kurfürften Karl Theodor von Peter von Derfcaffelt. (Im Ritterfaal des Schloſſes).

Die answärtige Folitif Karl Philipps x. 161

Auf Vorſtellung des Kurfüriten wurde die bereits auf 27. Februar 1741 angejegte Kaiferwahl bis zum 24. Januar 1742 hinausgeichoben. Bei der Wahl fonnte der Kurfürft jeine3 Alters wegen nicht jelbir erjcheinen, er entjendete den Freiherrn Hermann Arnold von Wachtendond und den Bize- fanzler Peter Heinrih von Weiner nad Frankfurt, die denn auch die Wahl des Kurfürſten von Bayern durchiegen halfen,

Bon einiger politiichen Bedeutung war auch der vom 31. Oktober bis 9. November 1739 währende Bejud) des Kur: fürften Clemens Auguit von Köln ın Mannheim gewejen, der fih dem Bündnis Karl Philipps und des Kurfürſten von Bayern angeſchloſſen hatte.

Die Nachricht von der Wahl des Kurfürſten von Bayern zum deutſchen Kaiſer traf in Mannheim gerade am Schluſſe eines glänzenden Feſtes ein, bei dem auch der zum Kaiſer gewählte Fürſt anweſend war. Wie zur Krönung dieſes Feſtes wurde die bejubelte Botſchaft von dem Reichsmarſchall Grafen von Pappenheim überbracht, dem bei ſeinem Einzug in Mann— heim hundert blaſende Poſtillone vorausritten.

Man beging hier das Feſt der vom Kurfürſten Karl Philipp erſehnten Vermählung der früh Verlobten, des Prinzen Karl Theodor und der Prinzeſſin Eliſabeth Auguſta, das zugleich mit der Vermählung der jüngeren Schweſter der letzteren, Maria Anna mit dem Herzog Clemens Franz von Bayern, dem Sohne des Bruders des Kurfürſten von Bayern, gefeiert wurde.

„Der alte Kurfürſt hatte jo lautet der Bericht der (sermania princeps zu diefem doppelten Beilager große Anftalten vorfehren laſſen, um die vielen hohen Gäſte recht zu berrirthen. Unter diefen war der Kurfürſt von Bayern der vornehmſte. Allermaßen er ich jchon den 7. Dezember 1741 zu Brag vor einem König in Böhmen hatte ausrufen laſſen, da jeine und ſeiner Alliirten Waffen bis dahin noc jo ziem— lid) glücklich geweien waren. Er gelangte den 16. Januar mit jeiner ganzen Familie zu Mannheim an, nachdem jeine Herrn Brüder, der Kurfürſt von Köln und der Biichof von Frey—

Oefer, Gefchichte der Stadt Mannheim. 11

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ingen und Regensburg nebſt anderen füritlichen Perſonen ſchon vorher allda angefommen waren. Die VBermählung ge- ihahe gedachten 17. Januar Abends um 6 Uhr, worauf bis 9 Uhr Afjemblee gehalten und alsdann erjt zur Tafel gegangen wurde. Daran jagen 14 durchlauchtigſte Perſonen, welche der Kurfürſt alle durch) Kammerherren bedienen lie. An ver: ihiedenen anderen Tafeln aber jpeiieten noch 150 vornehme Berjonen.

Nach aufgehobener Tafel tanzte man; und der alte fur: fürjt eröffnete jelbjt den Ball, wobei er ſich aber hohen Alters halber eines Stuhles mit Rädern bediente, der durch zwei Nammerherren fortgerüdt wurde. Die hoben SHerrichaften blieben hernach noch bis 30. Januar zu Mannheim beiſammen, und Divertirten ji) jehr wohl. Unter anderen Luftbarkeiten ließ der Kurfürſt auch, während der ſchönen Illumination durch die ganze Stadt, im Schloßhofe Wein aus einem großen Faſſe ipringen, welches im vorigen letten großen Winter auf dem zugefrorenen Rheine, unter vielen Geremonien der daran arbeitenden Handwerksleute, ganz meu verfertigt worden, Diejes Faß war ganz vergoldet, und lag auf einem hohen ®erüfte. Ein Bachus ſaß auf demjelben, welcher einen Becher in der Hand hielt. Nur der Kurfürft von Köln ging ſchon den 20. nach Frankfurt wieder zurüd. Als auch der neue König in Böhmen und Kurfürjt zu Bayern den 24. Januar die Nach— riht von jeiner an dieſem Tage gejchehenen Erhebung zur Kaiſerlichen Würde erhalten hatte, bradı er ebenfalls den 30, Januar mit feiner jämmtlichen Hofitatt nach Frankfurt auf. Bet dem Abjchied gings jehr beweglich her, denn ala ſich der neue Kaiſer bei dem Kurfürſten beurlaubte, umarmte er ihn mehr als einmal aufs zärtlichjte nicht anders, als ob er ichon damals gewußt hätte, daß er ihn im dieſem Leben nicht wieder jehen würde.“

Bon anderer Seite wird noch über das jyejt berichtet: „Difene Tafeln, Bälle, Theater, Beleuchtung, Feuerwerke, Masfen- züge und Sclittenfahrten wechlelten in jeltener Pracht mit- einander. In dem prächtigen Overnfaale des Schloſſes wurde

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eine heroiſche italieniſche Oper, mit Muſik vom furpfälziichen Kapellmeifter Karl Ludwig Peter Grua, aufgeführt. Noch mehr wurde Diejes herrliche seit dadurch gehoben, daß die zu Schweßingen am 15. Junius 1724 geborene dritte Schweiter Franziska Dorothea Chriftina mit dem Prinzen Friedrich Michael, Pialzgrafen von Zweibrüden, veriprochen wurde. Die Bermählung jelbjt aber wurde erjt am 6. ‚Februar 1746 vollzogen.“

Zange Hatte der alte Kurfürjt jih in der Trauer um das Hinjcheiden jeiner Tochter und jeiner Gemahlin feiner Feſtes— freude mehr Hingegeben, jtill war es am Mannheimer Hofe geworden. Da erwachte noch einmal furz vor jeinem Tode ein Frohgefühl glücklicher Zukunftsausfichten und mit dem glänzen- den seite feierte der Fürſt auch das Wiedererjtarten jeiner Hoffnungen auf das Glück und Gedeihen jeines Landes, Mit herzlicher Freude nahm daher auc) die Bevölferung an diejem ‚seite theil, dem alten Zandesfürjten die Ueberwindung jo langer, ihmerzliher Empfindungen aufrichtig gönnend. Zum Andenken an das Feſt wurden Münzen geichlagen.

Noch eine weitere Freude erlebte der Nurfürit furz nad) diejen Feſtlichkeiten: die Erledigung der Jüchlich' und Berg’ichen, reſp. Navenftein’schen Erbichaftsangelegenheit, die zu feinen Sunjten beendigt wurde. Der Vertrag, nach welchem der König von Preußen auf jeine Anjprüche verzichtete und ihm dafür jein neuer Belig von Schlefien anerfannt wurde, gelangte am 10. Februar 1742 in Mannheim zur Unterzeichnung. Der Vertrag gewährleiftet nach dem Tode Karl Philipps jomohl den männlichen wie weiblichen Angehörigen des Haufes Sulz— bach die Erbfolge in den Herzogthümern Jülich und Berg, ſo— wie in der Herrſchaft Ravenitein.

Das war die erite Folge der Verbindung Karl Philipps mit dem neuen Kaiſer. Des Weiteren übertrug der Kaiſer dem Kurfürjten von der Pfalz bei der am 12. Februar 1742 jtatt- findenden Kaiſerkrönung das Erz-Truchſeß-Amt. Der Kurfürſt ließ dieſes Amt bei der Krömungsfeier, da er ſelbſt jeines Alters wegen es nicht verjehen konnte, in jeinem Namen von

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dem Grafen Zeil-Wurzac und dem Freiherrn von Wachten- dond verwalten. |

Ueberfieht man die auswärtige Bolitif Karl Bhilipps in ihrer Gelammtheit, jo kann man ihr jehr wejentliche Erfolge nicht abiprechen. Karl Philipp wußte feinen Ländern*) eine be- deutende Macht zu fichern und der Glanz, den jein Hof ent- faltete, war ſomit fein faljicher Schein. Seine durch Kunft und Glauben geförderte Dinneigung zu Frankreich verleitete den Kurfüriten durchaus nicht, fich in einen Krieg zu Gunjten des franzöfiichen Staates einzulafien.

Den Troß, den Karl Philipp dem Kaiſer Karl VI. bot, und der Einfluß, den er bei der Kaiſerwahl übte, beweilt jeine Macht am deutlichiten. Hierzu kommt noch jein Sieg in dem Jülich-Berg'ſchen Erbfolgeitreit: allein der jedenfalls größte Erfolg jeiner Bolitif bleidt der Gewinn der Erbfolge in Bayern. So hatte Karl Philipp dem Wirken jeines Nachfolger auch auf politiichem Gebiete eine wichtige Grundlage bereitet.

*) „Man kann demmad die Kurpfalz, ihrem tweitläuftigen Um— fange nad, in fünf Haupttheile abiondern, welche find: 1. das Kurfürſten— thum oder die eigentliche jogenannte Pfalz 2. das Herzogthum Simmern 3. das Herzogthum Jweibrüden, worzu nunmehr unter andern auch Birken: feld und die Srafihaft Nappoltitein gehören, wovon das Cberanıt zu Meiſſenheim tt, 4, die Grafſchaft Spanbeim und 5. die Srafichaft Veld- ent mit dem Fürſtenthume Lautereck. Zwiſchen allen Diefen Yändern liegen noch einige Eleine unter andere Herrſchaften achörige Landſchaften als da find: die (Srafichaften Rheingrafenitein, Yeiningen und Faldenitein, ingleichen die Herrſchaft MNeipolgfird, wit den Stiftern, Worms und Speyer. Zweibrücken nebſt Birkenfeld und Rappoltitein gehört nur noch einer beionderen Yinie, nämlich der Zweibrüdiichen. Das übrige alles aber it nunmehro Kurpfälziſch. Es wird demnach cheutiges) Tages die Kur— pfalz in 15, Oberämter eingetheilte, deren jedes twiedernm eines oder mehrere Unterämter unter ſich bat. Selbige nun find folgende: 1. Sheidelberg, längit dem Nedar, wo der ſich in den Rhein ſtürzt. Und darinnen Liegen die Hauptirädte Heidelberg und Mannheim nebit der chemaligen Feſtung Friedrichsburg und dem Luſtſchloſſe Schwetzingen, wie audı den Heinen Städtchen Wicsloh und Weinheim. 2. Das Amt Mosbach ebenfalls am Neckar, darinnen Mosbach und Lindenfels die beiten Derter find. 3. Das Amt Bretten an der Mürttembergiichen (Grenze, darinnen Genmingen,

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Wie Karl Bhilipp jo jeines Nachfolgers bejorgt gedachte, jo wollte er auch jeines Borgängers dankbar gedenfen und jeinem Bruder Johann Wilhelm in Mannheim ein Denkmal errichten. Er beabfichtigte, das in Düffeldorf aufgeftellte Gru— pello’sche NReiterjtandbild Johann Wilhelms nah Mannheim bringen zu lafjen, allein die Bevölferung Düſſeldorfs wehrte ich dagegen, ſodaß der Kurfürſt dieien Plan aufgeben mußte. Dafür lieh er ein anderes Meiſterwerk Grupellos, das hier auf dem Paradeplatz ſtehende Brunnendenfmal, im Sabre 1741 von Düſſeldorf nach Mannheim überführen und bier aufitellen als ein unvergängliches Zeichen der feinen Kunſtpflege der Zeit Johann Wiihelins. Diejes Werkes ſoll ipäter noch beionders gedacht werden.

Sinsheim, Cppingen und Bretten, des Philippi Melanchthonis Bateritadt zu merken find. Diele 3 Memter zufammen heißen jonit auch der Creichau oder Crichau von dem Kleinen Fluſſe Greich, welcher unweit Speyer in den Rhein fließt. 4. Das Amt Borberg liegt etwas abwärts im Franfenlande an deu Odenwalde nicht weit von Mergentheim. Anno 1691 wurde es dem Biichofe zu Würzburg veriegt, 5. Das Ant Ugberg liegt den Seidel: bergiichen gegenüber nad) Heilen Tarmitadt zu. 6. Das Amt Neuftadt abermals dem Heidelbergiichen gegenüber, worinnen Neuftadt an der Hardt nebit der ehemaligen Schönen Feſtung Frankenthal und dem Eleinen Städtchen Freinsheim und Wachenheim zu bemerken. 7. Das Amt Germersheim am Rhein, dem Stifte Speyer gegenüber; worinnen die Städte Germersheim und Billigheim find. Auch Liegt die ſchöne Franzöfiiche Feſtung Yandan darinnen, welche eine Brille vor die ganze Niederpfalz ift, die aus diefer einzigen Feſtung kann gedrillet werden. 8. Das Amt Yautern am Fluffe Yauter, worinnen unter anderen Maierslautern nebit der Stadt und dem Schloſſe Wolfitein lieget. 9. Das Amt Alzey oder Alzbein mit der Stadt aleihen Namens, die noch eine Lutheriſche Nirdye hat. 10. Tas Amt Oppenheim am heine, zwischen Dlainz und Worms, worinmen die Stüdte Oppenheim, Odernheim und Ingelheim befindlih. 11. Tas Amt Badıaradı, weiter hinunter an beiden Ufern des Rheins, darinnen Bacharach und das Schloß Stalek lieget, da der Rheinzoll bezahlet wird, 12. Das Amt Stromberg am Rhein iit eines der Eleineiten. 15. Das Amt streuznad) be: greift alles, was dem Nurfüriten aus der alten Grafſchaft Spanheim ges bört, und liegt auf dem Hundsrüd am Fluſſe Nahe. Dazu gehören Stadt und Schloß Kreuznach mit der Grafihaft Bregenitein u. ſ. w. 14, Das Amt und ehemalige Fürſtenthum Zimmern, abermals auf dem Hundsrück

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Am wenigften gelang es Karl Bhilipp, die jozialen Ver— hältniffe der Stadt Mannheim zu fördern. Zu weit war wie gejagt dieſe Stadt bereits mit ihren freiheitlichen In— jtitutionen der Zeit vorausgeeilt, als daß das Auffommen der neuen Verhältniſſe, das SHereinjpielen der zurücdgebliebenen Staatöverhältnifje, anders als ein Nüdjchritt empfunden werden fonnte. Auf dieſe neuen Berhältnifie joll ipäter noch des Näheren eingegangen werden.

Die hervorragende Bedeutung der Regierung Karl Philipps für Mannheim lag auf dem Gebiete der Kunſt und der Ge— jtaltung der Stadt, doch darf hier nicht vergeffen werden, daß die von dieſem Fürſten begonnene Kunſtpflege in jpäteren Zeiten auch für das ſociale Leben manches Gute zur Folge hatte.

In demſelben Jahre, in dem Karl Philip die oben ge—

zwiichen dem Rheine, der Moſel und der Nahe, an den Grenzen des Erz— bisthums Trier, worinnen die Städte Sinmern und Caub befindlich. Und endlich 15. das Amt Kirchberg liegt nleich bei dem Sinmmeriſchen, und hat feinen jonderlich merkwürdigen Ort. Bor diefen war es eine eigene Graf— Schaft, deren Befißer aber 1408 mit dem legten Grafen Gerhardo von Kirchberg ausgeitorben find.

Außerdem aber befiset (heutiges Tages) der Kurfürſt der Pfalz auch in dem weſtphäliſchen Kreiſe die Herzogthümer Jülich und Berg nebft der Herrſchaft Navenftein. Weberdies bejigt er auch noch im Bayeriſchen Kreiſe das FFürftenthum Neuburg, worzu das Sulzbachiiche gehört. Es iſt eigent- lih ein Stüd von der Oberpfalz, das Pralzaraf Wolfgang feinen Sohne Philipp Ludwigen zur Npanage gab. Es iſt ein Feines Land, längſt der Donau, zwiichen Ingolitadt und Donauwerth. Es wird auch ſonſt das Pfälzle oder die junge Pralz genennet. Man theilt es gemeiniglich in zwei Haupttheile, die aber nicht aneinander hängen. Der MWeitliche liegt zwiichen Schwaben und Franken; der Oeſtliche hergegen zwiſchen Bayern und der Oberpfalz. Beide Theile beitchen wiederum aus 29 Aemtern. Die vor: nehmiten Derter aber find: Neuburg an der Donau als die Hauptitabt des ganzen Landes, Sie ift zwar mittelmäßig, doch wohl erbanet und liegt drei Meilen oberhalb Ingolſtadt. Gegen Oſten Tiegt eine hohe Schanze und andere mittelmäßige Fortificationswerfe. Auch ift die Brücke über die Donau mit einer Schanze verwahret. Den Anfang zu den Befeſtigungs— werfen hat Pfalzgraf Wilhelm gemacht; und Otto Heinrich zu Seiten Kaiſer Karls V. das ichenswürdige Schloß erbaut.“ (Germ. prince. 1746.)

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jchilderten, für ihn erfreulichen Ereignijfe erlebte, im Jahre 1742 feierte er noch am 4. November jeinen 81. Geburtstag.

Wenige Wochen darauf wurde der Kurfürft von einer raich zunehmenden Schwäche befallen. Am 23. Dezember jteigerte jic; diefe Schwäche und am folgenden Tage nahm fie einen jo bedrohlichen Charakter an, daß man an der Genejung des Fürſten zu zweifeln begann.

Der Schwäcezuitand verichlimmerte ſich denn auch mit jedem weiteren Tage und am 28. erhielt der Fürft die lebte Delung.

Wohl trat am 30. Dezember früh noch eine leichte Beſſe— rung jeines Zujtandes ein, allein das neue Jahr jollte der Kurfürſt nicht mehr erleben. Er verjchied am 31. Dezember, am Splveiter des Jahres 1742 Abends gegen 8 Uhr.

Mit Karl Philipp jtarb der damals ältejte Regent aller Fürſtenhäuſer Europas und der letzte Kurfürft der Pfalz aus dem Hauſe Neuburg.

Schon eine Woche lang waren in Mannheim alle Abende die Glocken jämmtlicher Kirchen geläutet und Gottesdienfte zur ‚sürbitte für den franfen Landesheren gehalten worden. Hatte doch die Bevölferung der Stadt den Fürſten gerade jeiner Berjönlichkeit wegen lieb gewonnen, wie denn jelbit von der ſtrengſten Gejchichtsichreibung zugegeben werden mußte, daß „Tein ganzes Bezeigen und die Art zu reden verurjachte, daß man ihn Lieben mußte“ Es war nicht die derbfräftige, popu— läre Art Karl Ludwigs, jondern mehr eine feine Liebenswür— digfeit, durch die Karl Philipp fich die Herzen gewann. Seinem Charakter nach joll er jo heißt es in dem durchaus objek— tiven Bericht des Buches vom pfälziihen Fürftenhaufe ein Herr geweien jein, dem e3 an Güte niemand zuvor gethan, da: bei er der gnädigite Herr gegen jeine Bedienten und der freund- lichite Prinz gegen jedermann war. Wie er auch jelbjt jehr geſprächig, alio jahe er es gerne, wenn andere ebenfalls zu iprechen wußten und frei mit ihm redeten. . . . Daß er aud) in jeiner Jugend unter die jchöniten Prinzen jeiner Zeit mit

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Recht gezählet wurden, konnte man noch im Alter an jeiner guten Gejtalt und Miene erfennen.“

Der Schmerz über den Tod des Fürſten war bei der Be- völferung der Stadt Mannheim, die jich unter ihm jtarf und Ihön wieder aufrichtete, groß und allgemein, aber auch die Trauer de3 ganzen Landes jchlug ihre Wogen in die ihres Hauptes beraubte NRefiden;.

Da es der Wille des Verftorbenen war, daß bei jeiner Beilegung bejondere Yyeierlichkeiten unterlafjen werden, ſah man von einer Aufbahrung der Leiche auf einem Baradebett ab.

An 1. Januar 1743 Abends gegen 9 Uhr wurde der Leichnam des Kurfürſten im aller Stille in der Gruft der Schloßkapelle zu Mannheim beigejebt.

Dier ruhen jeine Gebeine noch beute neben den irdiichen Ueberrejten jener Frau, deren Liebe ihm in Leid und Unge- mach joviel gewejen und der er treues Gedenken bewwahrte, dies durch den umnerjchütterlichen Wunjch beweilend, noch im Tode an ihrer Seite gebettet zu jein.

Der Kaiſer Karl VII., der den Kurfürjten wie einen Bater ehrte und liebte, ließ für den DVahingeichtiedenen am 18. Januar 1743 in der Bartholomäi-Kirche zu ‚Frankfurt in feierlicher Weije „bei einem aufgerichteten herrlichen Todtenge- rüfte* unter jeiner und des ganzen fatierlichen Hofes Anweſen— heit die Erequien halten.

In der in tiefe Trauer verjegten Stadt Mannheim fanden die Erequien erit am 10. Februar jtatt. Ber diejen Trauer- feierlichfeiten war neben dem Herzog Clemens Franz von Bayern und deſſen Gattin jelbitverjtändlich auch der junge Kurfürft Karl Theodor mit jeiner Gemahlin zugegen, der Erbe alles deſſen, was Karl Philipp zur Stärfung feiner Macht und zur Blüthe jeiner Reſidenz grundlegend geſchaffen hat.

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Neue Würdigung Karl Theodors.

Karl Theodor und Mannheim Strenge Scheidung der Mannheimer von

der Münchener Negierungszeit des Fürſten Mißhelligkeiten in Bayer

Borübergebende Nüdkehr Karl Theodor nah Mannheim Rückblick

auf Kindheit und Jugend des Fürſten Erziehung in Mannheim Be:

juch der Univerjitäten Leyden und Löwen Verhalten zum Militärweien Narl Theodor als Fürſt des Friedens und der Kunſt.

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Kart Theodor! Für Mannheim bedeutet dieſer Name eine Glanzzeit, welche die Stadt weithin zu Ruhm und Ehre gelangen ließ und das Augenmerk der gebildeten Welt Europas auf ſie richtete.

Das iſt unbeſtreitbar, mag man auch über Karl Theodors Regierung Bayerns die Achſeln zucken, über manche Seiten ſeines Weſens die Naſe rümpfen: Die Geſchichte der Stadt Mannheim im 18. Jahrhundert iſt mit ſeinem Namen ver— bunden wie der Baum mit ſeiner Krone.

Unter Karl Theodors Regierung gelangte Mannheim auf beſonderen Gebieten zu einer Entwickelung, welche auch heute noch nicht wieder erreicht iſt und die auch unſerer Zeit in vieler Beziehung zum Vorbild dienen kann.

Die großen Traditionen auf dem Gebiete der Kunſt, die uns heute wieder hier mächtig vor Augen treten, ſie rühren aus der Zeit jenes Fürſten her. Mehr und mehr beginnen die bedeutenden Denkmäler aus jener Zeit wieder zu uns zu ſprechen.

170 Neue Würdigung Karl Theodor.

Das Borurtheil, das uns blind machte für das Verjtänd- niß einer ſich vollgiltig ausiprechenden Zeit, beginnt zu ſchwin— den. Die moderne Kunſt empfand zuerit wieder ihre Ber: wandtſchaft ımit jener Zeit der Lebendigkeit und des Geſchmackes und fnüpfte zuerit wieder an die Kunſt des 18. Jahrhunderts an.

Da in Mannheim dieje Kunft einen Höhepunkt erreichte, eriteht von Neuem jein Auf, wird von Neuem der Blid auf dieſe Stadt gerichtet, die heute noch herrliche Meifterwerfe jener Zeit bejigt.

Mannheim wird immer mehr erfannt als, durch jeine Baus denfmale heute noch rühmenswerthe Kunititadt, als Stätte vor: bildlicher Nunstwerfe, deren Betrachtung und Studium jich für die Weiterentwidelung der Architektur fruchtbar erweiien fann.

Das Kunſtverſtändniß des heute regierenden Fürſten, Groß— herzogs Friedrich von Baden, hat das bedeutendſte Denkmal jener Zeit vor dem Verfall gerettet, in neuem Glanze eritehen lafien und damit frei von jeder Engherzigfeit eine ſchöne Ber- bindung von einjt und jet geichaffen.

Das kurfürſtliche Reſidenzſchloß Karl Theodors, es ent: faltet ſich heute in ſeiner Rieſenausdehnung als das größte Schloß Europas in voller Wiederherſtellung.

Und mit dem Wiedererſtehen dieſes Denkmals zu neuem modernen Leben iſt auch das Andenken des Fürſten wieder erſtanden, deſſen Name jene Zeit Mannheims kennzeichnet. Das Wirken Karl Theodors in Mannheim findet wieder neue Würdigung, und die aus ruhiger Friedensarbeit hervorge— gangenen neuen Werthſchätzungen der Kunſt kommen allmälig auch dem Schaffen dieſes Fürſten zu gute.

Die politischen Fehler, die dieſem Fürſten zugejchrieben werden, find längſt wieder ausgeglichen und gutgemacht, ihre Folgen waren vorübergehend; dauernd jedoch bleiben jeine Ihaten im Neiche der Kunit. Intereſſant und merkwürdig jtehen jein Leben und feine lange Negierungszeit vor uns, jelbit einem originellen Kunſtwerk gleichend.

Keine Spur von dem, was man einen treuen Diener Des Staats zu nennen pflegt, war diejem Fürſten eigen. Selbit-

Neue Würdigung Karl Theodors. 171

herricher, Despot war er durchaus, und jeine Lebensweiſe ver: lor ſich nicht jelten in's Schranfentofe,

Das hat ihm lange Zeit die ftrengite Verurtheilung von Seiten der politifchen Parteien zugezogen, die ihn und jeine Zeit in Acht und Bann erklärten.

Heute kann man getroft die Berechtigung diejer Verur— theilung von dieſem Standpunkte aus zugeben, ohne damit den neugewonnenen modernen Standpunkt für eine größere und weitere Weberficht iiber das Wirken diejes Fürſten zu verlaffen nur darf dabei nicht überjehen werben, daß die von ihm gejchaffene Kunſtſphäre eine Frucht reifte, die auch für das jociale Leben von großer Bedentung wurde: dab zu Diejer Zeit ein Friedrich Schiller jein freieites Wort jprechen konnte.

Bei Beurtheilung des Fürjten Karl Theodor muß feine Regierung in der Pfalz von jeiner jpäteren Negentichaft in Bayern jtreng gejchieden werden. Durch Vermiſchung diejer beiden Regierungszeiten erhält das Lebensbild diejes Herrichers eine ganz falſche Einheitlichfeitt und einen ganz unrichtigen Charakter, es ericheint dadurch in einer alles fälfchenden Be— leuchtung, die die alten gewohnten Anſchauungen immer fort- jpinnen läßt.

Allein die Pralz und bier im Beionderen die Stadt Mann: heim bat endlich alle Urjache, das Bild diejes Fürſten Mar zu jtellen und ihr Berhältnig zu ihm nicht mehr durch das Hinein— jpielen einer anderen Intereſſenſphäre trüben zu Lajjen.

Der vom Kurfürften Karl Philipp jo erfolgreich vorbe- reitete Gewinn Bayerns gejtaltete jich für Karl Theodor zu feinem Glücke. Ein rechtes Verhältniß zu Land und Volk in Bayern fonnte Karl Theodor nicht gewinnen. Während er, einer fait überfeinerten Kultur huldigend, die urwüchſiger ge— bliebene bayerische Bevölkerung weder verjtehen noch von ihr veritanden werden konnte, jubelte ihm das pfälzer Bolt zu und dankte ihm von Herzen das, was er für diejes Land gejchaffen.

„Das Volk freute ſich jchreibt Heigel des glänzen: den Hofes und der populäre Fürſt gab hinwieder durch viele Stiftungen und Anordnungen zu erkennen, dat ihm die Hebung

172 Neue Würdigung Karl Theodors.

des Wohlitandes in der Pfalz am Herzen liege. In der That fonnte die Pfalz unter, Karl Theodor, wenn man nur die materielle Seite in Rüdjicht zieht, als ein wohlregiertes, glüd- liches Land gelten; es wäre lächerlich, wollte man alle anerfennenden und lobenden Zeugniſſe von In- und Ausländern auf eitel Servilismus zurüdleiten. Plötz— lic) ja ſich aber dieſer Fürſt durd) den Tod des kinderlojen Kurfüriten von Bayern (30. Dezember 1777) zur Regierung über ein Land und Volk berufen, die mit jeinem alten Befig nicht nur nicht die mindefte Nehnlichkeit beſaßen, jondern in Bielem einen direkten Gegenjat bildeten. Die jonnigen Reb— gelände am Rhein und Nedar jollte er vertaufchen mit dem Bayernland, deſſen Hoclandnatur damals als rauh und unwirthlich galt; jtatt der aufgewedten, leichtblütigen Pfälzer jollte er umgeben jein von derben, verichloifenen, mißtrauischen Bayern, die auf den feingebildeten Fürſten den Eindrud von Halbbarbaren machen mochten. Und doch mußte er in ihrer Mitte bleiben, denn durch die zwiichen Bayern und Pfalz aufgerichteten Hausverträge war ausdrüclich Teitgeiegt, daß Münden die Haupt: und Wejidenzitadt der vereinigten Kur— lande bleiben mühe. Und um jo weniger Sympathie fonnte ihm der neue Belit einflößen, da auch er ohne legitime Nach- fommen war, das vereinigte Pfalz: Bayern alio nad) jeinem Tode an die Linie der Zweibrüdener Derzoge fallen mußte. Aus dieſen Gründen läßt lich zwar nicht entichuldigen, aber doc begreifen, dag Karl Theodor den Einflüjterungen des Wiener GCabinets, das zunächſt auf einzelne Yandjtriche Bayerns an der öfterreichiichen Grenze Anſpruch erhob und für fried» liches Arrangement ein entiprechendes Aequivalent in Aussicht itellte, willig Gehör jchenfte.“

Und trog alledem hat Miinchen doch in einem Stüd dem Fürſten zu danken: er war es, der den eviten Grund jur modernen Kunſtſtadt Miinchen legte, ev verjudhte es, die be= deutende Nunitpflege, die er Mannheim angedeihen ließ, nad) München zu übertragen. Wenn dieje Kunſtpflege dort nur lang» jam gedieh und bei der Bevölferung vielfach Wideritand er-

Neue Würdigung Karl Theodors. 173

regte, jo hat e3 die Folge gelehrt, daß diejer Widerjtand auch noch jpätere Fürſten, wie die Könige Ludwig J. und Ludwig II. betroffen hat.

Zum mindejten bildete die Kunſtpflege Karl Theodors bis jegt noch keinerlei verjöhnendes Element zwijchen dem Fürſten und der Münchener Bevölferung. Der alte Haß erhält fich weiter, obwohl ein großer Beitandtheil der heutigen Mufeen, der Galerien und Bibliotheken, der ſtolzeſten Schätze Münchens, aus den Sammlungen Karl Theodors herrührt.

„Höfiſche Kunſt“, das war das Schlagwort, womit man dort eine große, bis heute fortiwirfende ——— abthat.

Daß dieſer Fürſt nicht nur wie König Ludwig II. zur Stadt, ſondern ſogar zum Lande hinauswollte, wäre vielleicht vermieden worden, wenn ſich zwiſchen Fürſt und Volk ein beſſeres Verhältniß hätte gewinnen laſſen. Doch laſſen wir auch dies dahin geſtellt oder geben wir Karl Theodor allein die Schuld, ſo rechtfertigt das eine Beurtheilung dieſes Fürſten im Geiſte der damaligen Zeit heute nicht mehr. Heute müſſen neue Wege beſchritten werden, ſoll einem Fürſten gerechte Werthung widerfahren, der auch für Münchens ——————— ein wichtiger Begründer war.

Weit über die Hälfte ſeiner langen, nicht weniger wie 56 Jahre währenden Regierungszeit konnte Karl Theodor in der Pfalz eine vorwiegend jegensreich jchöpferiiche Thätigkeit entfalten. Nur der Zwang des Vertrags mit Bayern ver— mochte ihn diejem jeinem eigentlichen Schaftensgebiete zu ent= reißen und ihn zur Ueberfiedelung nad; München zu veranlafien.

In den Drangjalen, denen er dort durch Fehler aus Un» fenntniß der Verhältniffe und durch die gegenfeitige Abneigung des Füriten und des Volkes ausgejegt wurde, flüchtete er ſich in alter Liebe zu jeinem Pfälzer Yande wieder in jeine frühere Refidenz Mannheim, bis die Münchener Bürger auf jeiner Rückkehr beitanden.

Gerade der Grund, wegen deſſen ſich der Fürſt aus München flüchtete, it höchſt charakteriftiich dafür, wie die Be-

Kurfürft Karl Theodor.

Nach dem Gemälde von Johann Georg Fiefenis (damals in Mannbeim), arftochen von Johann Georg Wille (Paris).

| by Goodgle 1

Nene Würdigung Karl Iheodors. 175

ftrebungen Karl Theodors dortjelbjt wahllos faljchen Beur- theilungen unterlagen.

Was z. B. hatte der Fürſt verbroden, daß er fich in dieſem Falle den Zorn und den Wideritand der Münchener Bonrgeoifie zuzog? Er hatte zur Hebung der eingerojteten fozialen Ver— hältniije die Beitimmung getroffen, daß ſich auch die Hand- werfäleute und Arbeiter der Münchener Borftädte in der Stadt Münden ſelbſt Arbeit fuchen dürfen. Das aljo war das Verbrechen Karl Theodors in diejem Falle! Der Zorn des Münchener Stadtrathes machte ſich in unehrerbietigjter Weife Luft und veranlaßte den Fürften zur Abreife nah Mannheim.

Mit vollem Rechte jedoch wurde der Fürſt, als er auf den Wunſch des einfichtSpolleren Theiles der Bevölferung Münchens wieder dahin zurückkehrte, bei jeinem Einzuge als „Wohlthäter des Volkes“ gefeiert. Dies war in den Jahren 1788 und 1789,

Die Stadt Mannheim glaubte damals ſchon, den von ihr Ihmerzlich vermißten Fürſten wiedergewonnen zu haben, allein dieje Hoffnung wurde durch die Rückkehr Karl Theodors nad München vernichtet, und lange jollte es noch währen, bis ſich die Stadt Mannheim nad) ſich immer trüber gejtaltetem Rüde gang ihres Lebens zu jelbitjtändigem bürgerlichen Handeln in merkliher Weile aufraffte.

Diefe vorübergehende Anweſenheit Karl Theodors in Mannheim war wie ein letztes Auffladern der von der Kunjt verffärten Helle jeines pfälzer Wirfens.

Mit diefem jeinem Wirken in der Pfalz, das von der Stadt Mannheim ausging, haben wir es hier vornehmlich zu thun.

Ber der Icharfen Scheidung der glücdlichen von ber un— glüklihen Regierungszeit Karl Theodors fällt uns hier Die Behandlung der lichtvollen Zeit zu, die wie gejagt den größeren Theil jeiner Negierungsdauer, die thatenlujtigere Jugend und das jchöpferiiche Mannesalter des Fürſten umfaßt.

Die Pfalz bedurfte dringend einer jugendlichen Kraft auf dem Ihrone. Karl Philipp Hatte der äußeren Politik gleich-

176 Nene Würdigung Karl Theodors.

ſam jeine lette Straft gewidmet, während die innere Politik deutlich die Zeichen der Altersſchwäche dieſes SFürften an ih trug.

Der alte Kurfürſt Karl Philipp hatte es jelbjt gewußt, daß ſeine Kräfte nicht mehr zur Erledigung aller jeiner Re— gierungsgejchäfte ausreichten. Er gab jchon bei Lebzeiten einen Theil diefer Gejchäfte an den jungen Karl Theodor ab, dem er die Regierung des Herzogtums Sulzbah und des Marf- grafenthums Berg op Zoom übertrug.

Dazu bedurfte es der Genehmigung des Kaiſers, denn Karl Theodor hatte zu Diejer Zeit das achtzehnte Lebensjahr nod) nicht erreicht und war jomit noch nicht großjährig. Diete vom Kaiſer erbetene Grofjährigfeits-Erflärung wurde am 10. Juli 1741 abgegeben.

Karl Philipp wollte jeinen Zögling Karl Theodor ge= wiſſermaßen jelbit in die Regierungsgejchäfte einführen, er wollte ihn dabei väterlich zur Seite Stehen und ſich jelbit noch an der emporblühenden Bethätigung jeines Lieblings erfreuen. Sp jorgte auch Karl Philipp für eine gute Einführung des elternlojen Fünglings in das dieſem erwartende Arbeitsgebiet.

Karl Theodor hatte das Glüd der Mutterfiebe nur wenige Jahre genoffen. Seine Mutter jtarb vier Jahre nach jeiner Geburt. Seine Geburt it nicht im pfälzer Landen er» folgt. In den damals öfterreichiichen Niederlanden, im Schloſſe Drogenbujch bei Brüſſel bat er das Licht der Welt erblickt. Hier weilte jeine Mutter bei der Herzogin von Aremberg Maria Henriette. Kaiſer Karl IV, Kurfürſt Karl Philipp und Herzog Theodor von Sulzbach waren jeine Taufpathen und nach diejen erhielt er die Namen Karl Philipp Theodor.

Für das troß jeiner vielen Linien (abgejehen von Zwei— bridensBirkenfeld) in der Gefahr des Ausſterbens ſchwebende Haus Wittelsbach war die. Geburt diefes Prinzen eine neue Freude und Hoffnung.

Kaum zur Welt gefommen, wurde das Kind jogleich von einem Künſtler abeonterfeit, denn der alte Herzog Theodor von Sulzbach, der in feiner ;sreude tiber den neuen Spröfling des

Neue Würdigung Karl Theodors. 177

jeines Hauſes das Sind jehen wollte, doch die weite Reife nad Drogenbuſch nicht unternehmen fonnte, ordnete durch einen Eilboten an, daß ein Bild des Knäbleins von einem tüchtigen Künjtler gemalt und ihm jchleunigjt zugeſchickt werde.

Bon der früh verjtorbenen Mutter weiß man nur, daß je in großer Frömmigkeit nach einer damaligen Sitte, Kindern Irdenskleider anzulegen, ihrem Söhnlein das Ordenskleid der Paulaner habe tragen lafjen.

Nach ihrem Tode 1828 fam das Knäblein an die Stätte jeiner Geburt, in das jchon erwähnte Schloß Drogenbujch bei Brüfjel zu jeiner Urgroßmutter Maria Henrietie, Wittwe des Herzogs Karl Franz von Aremberg, einer gleichfalls jehr frommen rau.

Es war der alten Dame jehr leid, als fie das aufge- wedte Kind, nachdem ſich jein Bater Johann Ehrijtian 1731 wiedervermählt hatte, jeiner Stiefmutter zur weiteren Erzieh- ung übergeben mußte, doch leitete dieje Erziehung nach dem baldigen Tode des Vaters, wie bereit3 ausgeführt, Kurfürſt Karl Philipp.

Karl Theodors Vater hatte bejonderen Werth auf ben Unterricht in der Mufif gelegt und jeine Anficht hierüber pflegte er mit den Worten zu äußern: „Was ift dev Menich, der feine Harmonie in jeinem Innern fühlt und in jeinen Reden und Hand» (ungen äußert?“ Die gute Grundlage, die Karl Theodor fir das Verftändnii der Muſik empfing, verdanfte er daher haupt» jählih dem Willen jeines Vaters, während ihn jeine Stief- mutter in der franzöſiſchen Sprache unterrichtete. Auf den Wunſch der ftreng katholiſchen Stiefniutter wurde zur Erzieh- ung in Sulzbad) der Jeſuitenpater P. Staudacher herange- zogen.

Der Aufenthalt am Hofe zu Mannheim brachte für den Knaben Karl Theodor bald die obengejchilderte originelle Ver— fobung mit jih. Die Erziehung des Knaben wurde hier jedoch) auf's Sorgjamite gepflegt und die förperliche und geijtige Aus— bildung energisch gefördert.

„Der neunjährige Prinz machte bei feiner Ankunft in

Oeſer, Geſchichte der Stabt Mannheim. 12

178 Neue Würdigung Karl Theodors.

Mannheim dem Kurfürften um jo mehr Freude, als er mit einem gefälligen Aeußern und vielem Anjtande auch ein. leb- haftes Temperament und vortreffliche Geiftesgaben verband. Er ſprach die deutiche (!) und franzöfiihe Sprache fertig, war in den Anfangsgründen der lateinischen und italientjchen Sprache ſchon jehr gut unterrichtet und zeigte eine außerordent- liche Wiß- und Lernbegierde“

Der Lehrplan, der der Erziehung des Prinzen vorge- zeichnet war, enthält u. U. allgemeine, deutſche und im be- fonderen kurpfälziſche Gejchichte, Mythologie, Archäologie, Kunſtwiſſenſchaft, Sprachen, Poeſie und Redekunft, Geographie, Religionslehre, Philojophie, Naturwiffenichaft.

War diejer Unterriht am Mannheimer Hofe von dem 1733 hierher berufenen Jeſuiten Franz Seedorf von Ingol— ſtadt geleitet, jo wurde der Prinz auf den Univerjitäten Leyden und Löwen von freieren Strömungen berührt. Hier richtete er jein Studium auf „die geiftlichen umd weltlichen Rechte, das allgemeine und deutjche Staatsrecht, die Staatspolizei, Finanz— wifjenjchaften, Staatsöfonomie, Staatenkunde, Diplomatif, Genealogie, Heraldik u. j. w.“

Ueber die Erziehung des Prinzen auf militärischem Gebiete und über die daraus hervorgegangenen jpäteren Anfichten Karl Theodors behufs der Behandlung des Militärwejens in jeinem Lande giebt uns Lipowsky in jeinem Buche über dieſen Fürsten jehr ſchätzenswerthen Aufichluß, indem er ausführt:

„Der Kurfürſt Karl Bhilipp hielt es für jehr nothwendig, daß der Prinz ſich auch der Kriegskunſt widmete, um einſtens als Regent nicht weniger weile und klug das Scepter zu führen, als aud) im erforderlichen Falle felbit zum Schwerte zu greifen, und dadurch feine, jeines Hauſes, und jeiner Staaten und Unterthanen Rechte jchirmen und vertheidigen zu können. Um dieſe Abitcht zu erreichen, ſollte ſich der junge Prinz praftijch für die Waffen bilden; der Kurfürſt ernannte ihn da— her anfangs zum Hauptmanne in jeinem Leibregimente, damit derjelbe eine Compagnie fommandiren und anführen lerne, und

Neue Würdigung Karl Theodors. 179

nad; Verlauf eines Jahres beförderte er ihn zum Oberjtinhaber eines Infanterie-Regiments.

Aber die vielen Förmlichkeiten des Fleinen Dienftes, Die vielen Handgriffe, das Ererciren, Manövriren, Chargiren u. ſ. w. waren dem Prinzen bejchwerlich; der militärtiche Mechanismus war für jeinen Geiſt viel zu einfach und zu langweilig und daher fam es, dab er dem Dienjt nicht lieb gewann. Ohne daher, im eigentlihen Sinne des Wortes, Soldat zu jein, jpielte er den Soldaten, jtellte ihn aber doch vor, wenn er bei jeiner Compagnie und jpäter als Oberjt vor der Front jeines Regiments ſich befand. Indeſſen fühlte er für diefen Stand umjo weniger einen Beruf oder eine Neigung, als er aus der Ges ihichte und aus den politiichen Ereignifjen jeiner Zeit wahr: genommen hatte, dag nur große Mächte eigentliche Militär: ftaaten jeien, daß aber fleine Staaten mehr durch Staatsklugheit als durch Waffen recht behalten und fich fichern; und daß ein Föderativſtaat des heiligen römtichen Reichs deuticher Nation Schirm und Schub von Kaiſer und Reich allein zu hoffen und zu erwarten habe, daß er deßhalb am beiten handle, wenn er nur jo viele Soldaten gut montirt, bewaffnet und geübt halte, als die Stellung feines Kontingents zur Reichsarmee, die Be: jagung jeiner Feſtungen und Städte, und die Aufrechterhaltung der innern Sicherheit erfordert.“

So wurde denn Karl Theodor ein Fürſt des Friedens und der Kunſt.

Uber auch jeine Reformen auf ſocialem Gebiete, auf dem Sebiete der Berwaltung und Juſtiz find nicht zu unterichägen. Er war es, der eime neue Juftizpflege im jeinem Lande an- bahnte und für Abſchaffung dev mit den rüdjtändigen Staats- injtitutionen auch wieder in die bisher freie Stadt Mannheim eingeichleppten Folter wirkte, wenn dieje Abjichaffung zunächſt auch nur im den Derzogthümern Jülich und Berg völlig zu: jtande fan.

Durch dieje und „ähnliche Maßregeln jchreibt Feder leitete Karl Theodor jeine Regierungsthätigfeit ein, Er kenn— zeichnete damit die Grundzüge eines Charakters. Karl Theodor

12%

180 Nene Würdigung Karl Iheodors.

war von Natur aus gutmüthig, gerecht, eimfichtlich, ja man fann ihn jelbit die Freiſinnigkeit bis zu einem gewiſſen Grade nicht abiprechen.“

An anderer Stelle joll auf dieje Mafregeln und Reformen noch des Näheren eingegangen werden. Hier galt es vorerft nur, einige Gefichtspunfte für eine beijere Würdigung des jo viel und jchwer verurtheilten Fürften in's Feld zu führen für eine Würdigung, die, ohne die Schwächen und Fehler der Thätigfeit Karl Theodors zu verfennen, doch jeinen dauernden Schöpfungen und der für Mannheim bedeutenden Zeit jeiner Regierung in weitherziger Weile volle Gerechtigkeit widerfahren laſſen will.

XV.

Das Hurfürftliche Schloß zu Mannheim.

Ausdehnung des Schloßbaues Aeußere Eriheinungen Das frühere

Opernhaus Bergleich desjelben mit dem Theaterbau zu Schwegingen

Werth der Innendekorationen des Sclofies Die Schloßkapelle Das Neitibul Froimonts Die Gobelins Der Bipliothekbaır.

Unter den großen Fürjtenjigen jener Periode iſt das Mannheimer Schloß wohl der Gewaltigjte. Eine Frontlänge von 600 Metern, ein Flächeninhalt von 6 Hektar, 1500 Fenſtern! Das jind Zahlen, welche genügend die Verhältnijie des Werkes darlegen.“

Mit dieien Worten hat Cornelius Gurlitt im jeiner 1889 erjchienenen „Geichichte des Barockſtils“, die den Blid wieder auf eine große, ihrem Werthe nad) lange verfannte Zeit der Baukunst lenkte, eine kurze Beiprehung des Mann» heimer Schlojjes eingeleitet.

Gurlitt hat das Schloß nur in jeinem verfallenen Zus itande gejehen, umd er winjchte, daß etwas gejchehe, um dem

182 Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim.

ſich damals ruinenartig öde Hinjtredenden Bau ein befebteres Anjehen zu geben.

Heute präjentirt fi der Schloßbau in verjüngter Geftalt, und da die Erneuerung ganz der urjprünglichen Form gemäß ausgeführt wurde, jo fann man jet wieder einen vollen, un= geihwächten Eindrud von dem Riejenbau gewinnen.

Der Schloßbau durchzieht die ganze Regierungszeit Karl Philipps und Karl Theodors und iſt in einem inzwiichen wieder entfernten nordöjtlihen Anbau überhaupt nicht ganz fertig geworden. Jenes in’s Schranfenlofe Schweifende, das dem Leben und der Regierung diejer Fürften in vieler Be- ziehung anbaftete, zeigte fi) aud an diejem Schloſſe. Zwei Fürſten, von denen der eine 26 Jahre und der andere 55 Jahre regierte, erlebten nicht die Beendigung diejes Baues. Ehe noch der rechte Flügel ganz fertiggeitellt werden konnte, wurde der linfe Flügel durch die Stürme der Zeit, durch Krieg und Brand wieder zerjtürt. Es war eine Unternehmung in’3 Ungemefjene gehend, und es ift nur erjtaunlich, daß das Werk überhaupt bis zu jolhem Umfange ausgeführt werden fonnte, dat mar nahezu ein Jahrhundert lang trog einzelner Veränderungen doch an dem urjprünglichen Rieſenplane feſt— hielt und ihn wirklich beinahe volljtändig ausführte. Dadurch) fonnte bier ein Bauwerf emporwachſen, wie es in diefer Art wohl einzig in der Welt dajteht. Es ift ein Unicum in der deutichen, ja in der allgemeinen Wrchiteftur. Seine äußere Erjheinung bietet im Einzelnen wenig, aber in jeiner Ge— jammtheit ftellt ein wahres Schwelgen in Riejenperjpektiven und mächtigen Linien vor, die nur durch fräftig wirkende Eckpavillons, durch den großen Mittelbau und die erſt nad träglihh in den Plan aufgenommenen Gebäude der Scloß- fiche und Bibliothek unterbrochen werben.

Ein colofjales Steinmaterial it auf den Bau dieſes Schloſſes verwendet worden. Der rothe Nedarjanditein giebt hauptjächlich dem Bau feine warme, weiche Farbe. Ein Nach— theil jeiner äußeren Erjcheinung fünnte in der Armuth an bildhaueriſchem Schmud, der allerdings früher etwas reicher

Das Hurfüritlihe Schloß zu Mannheim, 183

war, in einer gewiſſen Dede der nach der Stadt zu liegenden Seitenflügel und in der Zerjplitterung der dem Aheine zuges fehrten Fronten gejehen werden, das hebt aber den monus= mentalen Eindrud des ganzen Baucomplexes (bejonders von der Stadtjeite aus geiehen) nicht auf, auch nicht die vielleicht gerade durch ihre Einfachheit jtarfe Wirkung der einzelnen Flügel und Pavillons und die jchöne Gliederung und Aus» führung der Schloßhoffronten. Die hier reichere Gejtaltung des Mittelbaues gegenüber den kahlen Seitenflügeln fommt jedenfall® der zu jener Zeit üblichen, nur für einen Stand» punft berechneten Betrachtungsweije entgegen. Als Stand» punkt jcheint bier der Schloß-Eingang zwiſchen den Wachen gewählt zu jein, von dem aus die Seitenflügel des Hofes in ihrer Verfürzung ebenjo reich ericheinen wie der Mittelflügel.

Die Seitenflügel find nur durch ihre Arkadengänge und komiſchen Masken (die etwas an die berühmten Masfen Böd- (ins in Bajel erinnern) gejchmüdt. Allein das Aeußere des Schlojjes zeigt im ganzen nur wenig den Wandel und die jich - jteigernde bedeutende Kumjtpflege jener Zeit. Der Bau des Aeußeren hat durch das Feſthalten des uriprünglichen Planes, einzelne Correkturen abgerechnet, eine frühe primitivere Zeit lange weiterwalten lafjen.

Bon ganz anderem Werthe, al3 die äußere Ericheinung des Schlofjes find die Innenräume und Innendeforationen des— jelben. In dieſer Beziehung erreicht das Mannheimer Schloß einen Höhepunkt des Barod und Rokoko überhaupt. Die Pracht, die Grazie, die Feinheit und Fülle dieſer Innendeforationen, die ji nahezu über den ganzen zweiten Stod des Riejenbaues ausdehnen, machen das Mannheimer Schloß zu einem groß» artigen Muſeum des zu hoher Steigerung gebrachten Kunjt- gewerbes einer ganzen Zeit. Hier in diejen Innendekorationen liegt die immer mehr erkannte Bedeutung des Mannheimer Schloßbaues. Der Neihthum an Motiven, die Vieljeitigfeit des Zimmerſchmucks läßt die Erfindungsgabe jener Kunft jchier unerihöpflich ericheinen.

Hier galt es, große und weite Räume durch künjtleriiche

184 Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim.

Zierde wohnlih und ſchön zu geitalten, es mußte viel aufge- boten werden, um die jonit gähnende Leere jo groß angelegter Räume zu beleben. Und wie dies die Künſtler bier gelöſt haben, wie fie hier durch den Herrlihiten Wandſchmuck die fahlen Flächen zu einer Welt ewig heiterer, freudiger Kunſt geitalteten, das dürfte das Mannheimer Schloß noch als einen bejonderen Triumph der Innendeforation ericheinen laiien.

Bei dem übermächtigen Umfang des Schloſſes hatte die Snnendeforation in dieſer Zeit wohl noch nie ſolche Weiten und Ausdehnungen zu befiegen gehabt. Und diejer Sieg it hier groß und glänzend.

Leider iſt der äußerſte Theil des linken (meitlichen) Flü— gels des Schlojjes durch Brand zeritört geweſen, wodurd eine Anzahl werthvolliter Innendeforationen vernichtet wurden.

Sp vor allem das jedenfalls jehr ſchön ausgeitattete, ehe: dem am jüdwejtlichen Flügel des Schloſſes erbaute Opern- haus. Von dem Glanz und der Pracht der Theateraufführungen in jener Zeit wird man ich heute wohl faum noch einen Be- griff machen fünnen. Die Theater waren damals zu den groß— artigiten Veranjtaltungen auf's Beſte eingerichtet.

Das im nahen Schloß zu Schwesingen heute noch zu jehende Theater aus jenen Tagen gibt uns vielleicht auch einen Maßſtab für die Beurtheilung des noch größeren Mannheimer Dpernhaufes.

Der Zuſchauerraum des Theaters zu Schweßingen iſt ver- hältnigmäßig Hein, nur zur Aufnahme eines Fleinen, gewählten Publikums beftimmt, um jo größer aber it die architektoniſch ihön von dem Zujchauerraum getrennte Bühne.

Die Bühne ift von einer geradezu übermächtigen Aus— dehnung und geeignet, die jchwierigften Aufführungen bequem zu Stande zu bringen, jo könnten dort z. B. die Meininger ihre reich ausgejtatteten Stüde gut zur Aufführung bringen.

Diefe Bühne läßt ſich aber gleichjam in's LUnendliche fortjegen und zwar dadurch, daß die Rüdwand des Bühnen- raums entfernt und jo die Scene in der freien Natur fortges ſetzt werden kann.

Das Kurfüritlihe Schloß zu Mannheim. 185

Die malerijch gruppirten Bäume und Büjche des Schweßinger Gartens bilden dann den natürlich jchönen Hintergrund. Auf dieje Weile fonnten große Feſtzüge von weither fichtbar die Bühne paifiren und überhaupt. die weitejten Raum erfordern- den Maflengruppirungen ermöglicht werden.

Sedenfalls ift eine jolche Berbindung von Natur umd Bühne Höchit charakteristisch für jene Zeit, wie fie denn auch das Naturtheater in eigenartiger Form pflegte.

Ganz ähnlich, nur noch wejentlich größer, wird das Opern- haus des Mannheimer Schlojjes gejtaltet geweſen fein, deiten Bau 1737 begonnen hat und in dem bei der 1742 gefeierten doppelten Bermählung die erjten Aufführungen unter Anweſen— heit des neugewählten Kaiſers, des Kurfürſten Karl Philipp und all der anderen hierher geladenen Fürjtlichfeiten jtattfanden.

Dem Brinzen Karl Theodor wurde hauptjächlich Diejes seit geweiht, und jo war der fünftige Förderer der Muſik und des Theaters in Mannheim auch bei der Eröffnung des Opern: hauſes anweſend.

Drei Tage vor der Eröffnung des Theaters am 17. Januar 1742 Hatte Kurfürſt Karl Philipp nad) den im Kgl. Haus— archiv zu München verwahrten Niederjchriften und Aktenſtücken Theodor von Traittenrs Beitimmungen ergehen lafjen, die über die Hinzuziehung des Militärs zur Regelung des Theaterbe- juchs interefjanten Aufichluß geben. Der Kurfürſt ordnete an, „daß 1. zu Verhütung vieler anſonſt zu bejorgender Unord— nungen Dero Leibgarde zu Pferd die Pojten und Ausgäng von dem inneren Opera Haus, mithin jowohl von denen Logen als auch Barterre bis an das Orcheiter, um denen mit Billets ver- jehenen ihre Loge anweiſen zu können, ingleichen die obere Thür an der Gallerie, allwo die Durchlauchtigſten Herrichaften mit um ich habenden Hofitaat hereinfommen, bejegen; dahin- gegen 2. Dero Schweizerleibgarde das Theatrum und deſſen Thür, durch welche die Operijten und Mufifanten auszugehen haben, mit doppelten Schildwachen bededen, und weilen 3. Die Deffnung vieler Thüren das Gedräng der Leute, mithin faſt unvermeiblihe Confuſion erreget, alſo nur das mittlere große

186 Das Kurfüritlide Schloß zu Mannheim.

Thor zur Hauptpaſſage offenitehen, die daranjtoßende beide Nebenthüren aber benebjt denen, jo dem Orcheſter am nächſten, bi3 zur Endigung der Opera verichlojjen bleiben, vor diejen vier Thüren jedoch doppelte Ehildwachten inwendig, benanntlic) an denen vorderen zwei Schweizer, fort denen Orceiterthüren zwei Grenadiers mit bei ſich habenden Schlüjjeln jtehen, damit auch 4. das große Gedräng der Leute an dem mittleren Haupt- thor abgewendet werde, ein Kommando von 100 Mann Örena= dier3 vor dasjelbe beordert, von diejen ein Carré mit Piquen formiert, darein ein Offizier gejtellt; nicht weniger 5. an die oberjte und leßtere Loge, jo denen von geringerem Stande vor— behalten ijt, 6 Unteroffizierd von denen Örenadierd, um bei etwa entjtehendem Tumulte alljogleih abwebhren zu fünnen u. ſ. w. u. j. w.“

Das Opernhaus wurde damals als eines der ichönjten jener Zeit gerühmt.

Alejandro Galli Bibiena, der Schöpfer der Jeſuitenkirche, hat es gebaut.

Nach den noch vorhandenen alten Schloßplänen befand jih das Veſtibul des Theaters am äußerſten Ende des weit- lichen Flügels dicht vor dem abichliegenden Pavillon. Das Dauptportal lag der Stadt zu.

Das Haus Hatte ſechs Etagen. Die furfürjtliche Loge be— fand fi) in der Mitte des Zujchauerraums.

Unter ihr zog ji) eine Gallerie, das „Parterre noble*, bis an die Bühne, für die „Doffavaliere und Offiziere“ be— jtimmt. Die Damen und Herren waren getrennt placirt und traten durch bejondere Eingänge ein. Tie Gallerien trugen vergoldete Säulen. Für die „Paufer und Trompeter“ waren links und rechts neben dem Orcheſter etwas hervorjpringende Logen eingerichtet.

Die Bühne wird nad) verjchiedenen anderen Berichten als groß und weit gerühmt. Schlojjer führt in jeiner Gejchichte de3 18. Jahrhunderts (Deidelberg 1848) ein Urtheil des Marquis de Foſſeuſe an, der 1750 aud Mannheim bejuchte und über das Theater jchrieb: „die Bühne jet groß, Habe jehr

Die Schloßfapelle und der weftlihe Schloßflügel.

188 Das Hurfüritlihe Schloß zu Mannheim.

gute Verhältniffe und viele Feine Gemächer und Bequemlich— feiten, die für die Schaujpieler und die Aufführung jehr brauch— bar jeien.“

Die Bühne war von dem Zuſchauerraum durch einige aus ihwarzem Marmor gehauene Säulen abgeſchloſſen. Auch wird die Schön gemalte Dede des Zuichauerraums gelobt und die reihen Vergoldungen und Malereien, die den ganzen Raum durchzogen. Der Bühnenraum war jedenfall3 demjenigen des Schweginger Theaters ähnlih und joll mit „zahlreichem Ma— ſchinenwerk“ ausgeftattet gewejen jein.

Der Bau wurde unter der Leitung Bibienas und bes Ingenieurhauptmanns Baumgrat ausgeführt. Durch jeine Zer: jtörung im Krieg 1795 verlor das Schloß und die Stadt Mannheim ein werthvolles Werk fojtbarer Innendekoration. Es wurde in Brand geſchoſſen und durch das Feuer völlig vernichtet.

Südlicher Weije blieb die noch prächtiger auägejtattete, in den wejtlichen Flügel eingebaute Schloßfapelle vom Brande verschont, in deren Gruft die Gebeine Karl Philipps und jeiner Gemahlin, der Gräfin von Thurn und Taris ruhen.

Der Einbau diejer Kapelle in den wejtlichen Schloßflügel durchbrach, wie jchon ausgeführt, den urjprünglichen Plan des Schloſſes und war hier der erite Sieg des italieniſchen Barods.

Die Scloffapelle bildete zur Zeit Karl Philipps den einzigen jchmucdreich gehaltenen Gebäudetheil der der Stadt zugefehrten Schloffagade.

Das Giebelfeld ziert eine bedeutende Arbeit Paul Egells, des eriten Bildhauers der Stadt zur Zeit Karl Philipps.

Mit äußeriter, ergreifendjter Lebendigkeit hat hier der Künftler dargeftellt, wie Gott den auferjtandenen Chriſtus nad) dem herrlichen Siege über das Leid der Welt mit er: habener Freude in den Himmel aufnimmt.

Die Schloßkapelle gliedert fich durch Ihre einfach gehaltene Nordfacade ohne allzugroße Gegenjäglichkeit in den ganzen Scloßflügel ein.

Der Schmuck des Innern der Stirhe iſt überaus reich,

Tas Nurrüritlide Schloß zu Mannheim, 189

auc hier übertrifft die Innendeforation bei weiten die Ge— jtaltung des Aeußern.

Ju verhältnißmäßig Heinem Raume iſt hier ein außer— ordentlicher Reichthum entfaltet, und eine freundliche, doc) auch feierliche Helle erzielt. Sieben große, fajt wie das ganze Gebäude hohe Bogenfenfter werfen mit den noch über ihnen befindlichen runden Fenfteröffnungen ein volles, helles Licht in die Kapelle. Das große, fiqurenreiche und durch ſchöne Gruppen ausgezeichnete Dedengemälde rührt von Cosmas Aſam her. E3 jtellt jedenfalls den Triumph des Glaubens dar. Das große Bild des Hochaltars ift ein Meiiterwert Godreaus.

Hinter dem Hodaltar befindet fich ein halber Zirfelbau, wodurd) der Altar mehr wie ein Mittelpunkt der Kirche er- ſcheint.

Zwei Seitenaltäre mit ſchönen Statuen und joniſchen Säulen, die hohen koriuthiſchen Pilaſter zwiſchen den Bogen— fenſtern, die Stuckaturen ber Fenſterniſchen, die Schnitzereien mit Vergoldungen an dem Holzwerk der Orgel, die gleichfalls durch Vergoldungen gezierte Kanzel, die fein umrahmten Logen, dies alles auf kleinem Raum vereinigt, wirkt überaus reich, iſt aber doch zu einer gewiſſen ruhigen Einheitlichkeit gebracht.

Die Kirche enthielt ehedem werthvolle Schätze, ſo eine Monſtranz aus gediegenem Rheingolde, zahlreiche Reliquien in Gold und Silber gefaßt, und der Altar des „heiligen Hubertus“ war maſſiv aus Silber gearbeitet. Diefe Schäte wurden jpäter nad; München verbradt.

Die feierliche Einweihung der Kirche fand unter Anweſen— beit des Kurfürften Karl Philipp am 31. Mai 1731 ftatt.

Koh in demjelben Jahre am 22. November bezog der Kurfürit den damals bereits fertigen Theil des Schlojjes. Die prächtigen Möbel und Einrichtungsgegenjtände hatte der Kur— fürft aus den Schlöffern zu Düffeldorf und Heidelberg nad) Mannheim verbringen laſſen.

Der den Schloßhof weftlich begrenzende Flügel weiſt heute noch eine Fülle des reizvolliten Wand: und Deckenſchmucks auf. Bejonders jind die Plafonds bewundernswerth durch ihren uns

190 Das Kurfüfftliche Schloß zu Mannheim.

erſchöpflichen Reichthum an Figuren und Ornamenten, ausge: führt in Teichtefter, faum Hingehauchter Zartheit oder auch kräftig Far und linienſcharf einjegend oder in einer wie ſinn— verwirrenden Fülle der fich überfluthenden Linienmaſſen ge- halten. Man nimmt au, daß dieje unvergleichlich jchönen, frei modellirten Studdeden früheite Arbeiten des Brüderpaares Egid Duirin Aſam und Cosmas Aſam find. Ihren Höhepunkt er- reichten dieſe Studarbeiten in den an der jüdmweitlichen Ede des Mittelbaues gelegenen Wohnräumen.

Im Mittelbau zeigt das Veltibul große, bedeutende Glie- derung. Das Urtheil Gurlitts über diejes Treppenhaus, das er im Bergleich mit der Ausjtattung der Schloßfapelle be— jpricht, fer hier angeführt, um jeden Gedanken an einen die Dinge etwa übertreibenden Lofalpatriotismus auszujchließen. Gurlitt jchreibt:

„Die Kirche iſt einjchiffig, reich jtudirt. Ueber den Pilaſtern in hellrothem Marmor und mit weißen Sapitälen dehnt ſich die von Cosmian Aſam mit gewohnter Meiiterichaft gemalte Dede aus, den Triumph der Religion verfinnbildlichend Die Altäre find von der größten Pracht in Bezug auf die Aus: jtattung, doch der Gedanfenreichthum des ſüddeutſchen Meifters hilft uns nicht völlig über die Armuth des Franzoſen hinweg. Um jo mehr überraicht es, in dem Treppenhaus eine höchit er— freuliche Leiftung und in dem anitoßende Saale eine Raum— entfaltung zu finden, melche auf fränkische Vorbilder hinweiit. Manche Theile der Studirung beider Räume dürfen allerdings einer jpäteren Zeit zugehören; doch zeigt die bedeutende Grund: vißanordnung in der mit zwei Armen zu einem Podeſt auf: jteigenden Treppe mit ihren maleriſchen Durchblicen nach dem fie vom Saal trennenden Gange, bemerfenswerthe Begabung zum Entwerfen, jedody auch eine unverfennbare Annäherung an fränkische Vorbilder. Mehr tritt dies noch im Nitterjaal hervor, welchen mächtige jontiche Säulen in rothem Marmor nit weißen Kapitälen und Bajen auf ſchwarzen Boftamenten gliedern, während die Hauptfenjter mit einer reich jtucirten Bogenftellung umgeben, die oberen quadratiichen in das ſchwäch—

Das Hurfüritliche Schloß zu Maunbeim. 191

lich gebildete Hauptgefims gezogen find. An den Innenwänden erjegen Bilder die Fenſter.“

Mit dem erwähnten Franzoſen meint Gurlitt den Archi- teften Johann Clemens Froimont, der von Speyer aus, mo er als Nadjfolger des la Frise du Parquet jeit 1712 den Bau des bijchöflihen Palais leitete, etwa 1720 von dem Kur— fürjten Karl Philipp nad) Mannheim berufen wurde.

Die von ihm vertretene Stilart, die über Holland nad) der Pfalz gelangte und die ſich eigentlicd) in unberechtigter Were auf die GStilrihtung Palladios berief, war für den Grundplan des Mannheimer Schlofjes ausjchlaggebend.

Schon unter Johann Wilhelm war von dem in gleicher Art thätigen Leiter des neuen Stadtbaues, Menno Coehorn, eine Schloßanlage in's Auge gefaßt und von deſſen Mitarbeiter, dem niederländischen Architekten, Daniel Marot, ſchon vor dem Jahre 1712 der Entwurf eines Rejidenzichlojjes (aus der Vogel— perſpektive gejehen) angefertigt worden.

Bon Froimont rührt noch aus dem Jahre 1729 eine in Kupferftich ausgeführte Vogelperſpektive der Schloßanlage her. Maren Hier auh noch nit die Schloßkirche und Bibliothef vorgeiehen, jo zierte dieſen Plan doch ein projeftirter Kolon— nadengang, der dicht hinter den Edpavillons des Schloßhofes einjegte und auf den die großen nördlichiten Bogen des Arkaden: wegs heute noch jchließen laſſen.

Das Projekt diejes KRolonnadenganges wie der thatſäch— fihe Einbau der Schloßfapelle iſt zweifellos den Einflüſſen Bibienas zuzuschreiben.

E3 war nicht leicht, in den ganz ſchmucklos gehaltenen Plan irgendwelche reichere Gliederung einzufügen. Es durfte bei dem Einbau der Schloffapelle die Rüdjicht auf die Ein— fachheit des übrigen Baues nicht ganz außer Acht gelafjen werden, und jo wurde denn der Nordjeite der Kapelle gleich: jam als DVermittlerin noch ein Reit von Nüchternheit belafien

Froimont verlor jeit dem Jahre 1726 nach langen Kämpfen, ih als Leiter des Baues zu behaupten, jeinen Einfluß bei dem Kurfürſten, den er auch durch den 1729 dem lebteren

A; F * en.

Der Bibliothefbau des Schloffes

mit dem Relief Peterson Verſchaffelt'o.

Magdalena

nach dem Gemälde von CARLO DOLCI

| ——

FT Et

Jeſuitenkirche in Mannheim erbaut von Aleſſandro Galli Bibiena.

Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim, 193

gewidmeten, oben erwähnten Blau, nicht wieder für fich einzu— nehmen vermochte.

Eine andere Zeit war gekommen und deren Vertreter fiegten. Für den auf die Wirfung großer Linien ausgehenden Grundplan Froimonts ijt das Treppenhaus des Schlojjes jeden- falls das beite, bedeutendite Beiipiel.

In den Jahren 1726—1730 wird als Hofbanmeijter ein gewiljer Haubenrath genannt, über deſſen Thätigfeit nichts MWejentliches berichtet wird und der jedenfalls bald durch das mächtige Hervortreten Bibienas in den Hintergrund gedrängt wurde.

Zu den werthvolliten Innendecorationen des Schlofjes ge- hören farbenjchöne Gobelins, von denen glücdlicher Weiſe noch eine größere Zahl fich heute Hier befindet. Ste waren während der franzöfiichen Offupation nad) Straßburg verbracht worden, wurden jedoh der Großherzogin Stephante als Gejchent wieder gegeben. Dieje Gobelins waren ein bejonderes fünjt« leriſches Mittel, die hohen, großen Wände der Schloßjäle mit reich und jchwer wirfendem Schmuck auszuſtatten. Sie geben den Wänden eine Fülle von Farbenreizen, die der Größe der Räume jede Dede nehmen.

Neben prächtig jtrahlenden Farben jind auc) zarteite, feinjte und abgejtimmtejte eingewirft. Dieje Gobelins jind zumeijt in der berühmten Manufacture des Gobelins in Paris vor Mitte des 18. Jahrhunderts hergestellt und gehören zu den jchönjten und jeltenjten Arbeiten diefer Manufaktur. Ste bringen ganz verjchiedene Richtungen zum Ausdrud: die chriftliche Malerei, die hiſtoriſche Kunſt, Landichaft und Thierſtück in erotijcher Entfaltung und die niederländiiche Genremalerei.

Gerade mit den in Riejenformat nad) Teniers gewirkten Bildern erreichen dieje Gobelins eigentlich die tiefiten und er» ſtaunlich wahrjten Farben. Den hiſtoriſchen und bibliſchen Bildern der Gobelins ift dagegen der Stil der Zeit am ſtärkſten aufgeprägt, jo vor allem den Gobelins, die die Legende Jaſons daritellen.

D eier, Geihichte ber Stadt Mannheim 13

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(Entwurf zum Schloßbau von Froimont 1729.)

Das Hurfürftlide Schloß zu Mannheim, 195

Hier ift die liebenswürdig kokette Art jener Hofgejellihaft auf die Geftalten des Alterthums in ganz naiver Weiſe über- tragen. Sind bie figürlichen Darftellungen nicht ganz frei von der Weije einer Maskerade, jo bieten doc die Farbe und Stimmung diefer Gobelins im Ganzen genommen reizvolle Schönheit.

Von den chriſtliche Stoffe behandelnden Gobelins ragt beſonders ein durch die tiefen Farben der Gewänder prächtig wirkender Teppich: „Die Könige aus dem Morgenlande“ hervor.

Außer weiteren Gobelins biblishen und hiſtoriſchen Characters (3. B. aus der Geſchichte Mark Antone) findet ſich heute noch ein Cyklus von Teppichbildern vor, die exotiſches Leben zum Ausdrud bringen. Eine füdliche Welt ift bier in großem Maßſtab und reichiter Fülle zur Anſchauung gebradt, Menſchen, Thiere und Pflanzen erjcheinen bier nahezu im Lebensgröße. Doch bei aller Mannigfaltigkeit der Ericheinungen durchzieht ein tiefer, warmer Ton jtimmungsjchön jeden diejer Gobelins.

Heute jehen wir diefe Wandteppiche im öftlichen Theile des Schloſſes, während fie früher den weitlichen Theil- zterten. Nur wenige derielben find in das Schloß nach Karlsruhe und auf Schloß Mainau gefommen.

Die große Zahl der noch in Mannheim befindlichen Gobelins zeigen eine Höhe diejes Kunſthandwerks überhaupt und bilden jehenswertheite Kunſtſchätze des Schloſſes.

Zu dem koſtbarſten Wandſchmuck des Schloffes Hat in reichiter und jchönfter Art auch die Holzbildhauerei beigetragen und hier den Haupttheil einer Innendecoration gejchaffen, die zu den wunderbarjten Leiſtungen des Rokoko gehört. Es ift dies die Innendecoration de3 Bibliothefbaues, des großen Bücherjaales des Schlojjes.

Wie auf einem aus der Erde gehobenen Kellergewölbe, da3 feuerfichere, mit eijernen Thüren verjehene Wandjchränfe enthält, die früher die werthvollen Archivalien geborgen Haben, erhebt fich dreiſtockwerkhoch der mächtige Bibliothekſaal mit fieben hohen „Sirchenfenjtern” und großen runden Lichtöff-

13*

196 Das Aurfüritlihe Schloß zu Mannheim.

nungen darüber. Die nad) Norden zu gelegene Fenſterwand iſt ben herrlichiten Studarbeiten gewidmet, während die drei von unten bis oben dreijtödig mit Bücherichränfen betedten Innenwände troß ihrer Riefenausdehnung mit einer unerjchöpf- liche Fülle von feiniten Holzbildhauereien bededt find. Dieje Holzbildhauereien zieren die drei Abtheilungen und umrahmen gleihjam all’ die Hier aufgejtellten Bücher. Blumen, Butten, Bortraitmedaillons, Bänder, allegoriich gehaltene Medaillen, Blätter und Zweige find in Holz gearbeitet fürmlich über die Bücher ausgeichüttet. Jeder Sodel iſt vermieden, all der Neihthum ift unmittelbar mit dem durch wunderbar große ſchwungreiche Einlagen prächtig gejtalteten Paryuetboden ver— bunden; und mit den Holzbildhauereien jind die Studaturen der ‚senjterwand und der Dede durd) ihre gleichmäßige, weiße Farbe wie zu einem Lichtmeer vereinigt. Vergoldete, auf's feinite ge- ichmiedete Gitter der Galerien, die nur wıe Glanzpunkte in das Lichtmeer Hineinflimmern, ſowie durch Holzbildhauerei imitirte Hermelin-Ueberhänge mit den Initialen CT (Earl Theodor) und E A (Eiiſabeth Augufta) und eine in Holz geichniste, von einem Engel gehaltene Uhr in der Mitte der zweiten Galerie feuchten in reicher Vergoldung noch bejonders hervor. Und über all dieſem Lichtglanz breitet jich ein Plajondgemälde wie ein im zarten, prismatisch von Farben angeglänztes Wolfenge- bilde, das beim eriten Blick eine ätheriiche Einheit bildet, aus dem aber immer flarer und bejtimmter ſymboliſche Geitalten hervortreten,

In der leuchtenden Mitte des Bildes erhellt die „Wahr: heit“ als nadte, weibliche Gejtalt mit der itrahlenden Sonne die Welt. Kronos, die Zeit, hat die Wahrheit entjchleiert und Künste und Wijjenichaften, durch weibliche Gejtalten in mehr oder weniger bunten Gemwändern verjinnbildlicht, wallen der Wahrheit entgegen.

Vorboten des Lichtes ragen auf der nördlichen Seite des Bildes über den Rahmen heraus, die Entichleierung der Wahr heit der Welt verfündigend, während auf der weitlichen Seite des Gemäldes ſymboliſche Seitalten der Finſterniß den Rahmen

Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim. 197

des Bildes durchbrechen, als würden fie aus dem Himmel der Wahrheit herabgejtürzt.

Diejes große Dedengemälde, deſſen ätheriiche Farbenfein— heit nur noch in der Mitte des Bildes ganz erhalten ift, während im Uebrigen das Colorit des Bildes durch Ueber- malung wejentlich beeinträchtigt wurde, hat der Maler Lambert Krahe gemalt.*)

Krahe wird als ein liebenswürdiger Menſch gerühmt, der fi) mit bejonderem Eifer junger Talente angenommen und fie auf den Weg der Kunſt gebracht hat. Er Hatte jelbjt nur zu gut die Gefahren Fennen gelernt, die dem Aufkommen eines

*) Ueber die Bibliothek jchreibt Kieger u. A.: „Einen beionderen Be— ſuch verdient aber der prachtvolle Bibliotheliaal. Cine mit Trophäen von Schnigarbeit verzierte Flügelthüre führt im zweiten Stodwerf zu dem: ſelben. Beim Gintritt erblidte man fonit bier zur Nechten das Bruſtbild Karl Theodors und zur Linken das der Kurfüritin. Beide waren aus weißem Marmor von Berjchaffelt verfertiget. Der Saal jelbit iſt hundert Fuß lang und vierzig breit. An der Dede befindet ſich ein herrliches Ge— mälde von Krahe. . . . Die ganze Höhe des Saales hat an den Seiten: twänden drei Abtheilungen. Zu den zwei oberen fteigt man auf verdedten fteinernen Treppen, von welchen man auf die zwei um den Saal herum: führenden Gallerien tritt... . In der unterjten Abtheilung befanden ſich chemals die hiftoriichen, in der zweiten die ſchönwiſſenſchaftlichen und philofophiichen, in der oberiten die juritiichen und theologischen Werte auf: geitellt. Nebit den vielen jeltenen Manuferipten fol die Zahl der Bände ſich auf hunderttaufende belaufen haben. Diefer reihe Schag ftand jedem MWißbegierigen Dienitags, Mittwochs und Freitags zum Gebrauche offen, In neuerer Zeit (1824) hat man die Hälfte des Saals, von weldhem der berühmte Literator Reiß jagte, daß er nie einen jchönern geiehen, zu einem Luſttheater umgeihaffen. Natürlich hat dabei das herrliche Dedenge- mälde und der eingelegte Boden bedeutend gelitten. Die Hälfte des Thrones der Wahrheit und des Lichtes ift Dadurch verdedt worden. Auch werben in diefem Heiligthbume der Pallas die Veriteigerungen abgängiger Möbel aus den Zimmern des Schloffes mandmal vorgenommen. . . .“

Diefen Zuftänden wurde durch die Opfermwilligkeit Großherzogs Friedridy und durch die Initiative für Wiffenichaft und Kunſt eintretender Bürger im Jahre 1869 ein Ende gemacht und hier von diefer Zeit an in unabläfliger, Stiller Arbeit der Stadt Mannheim eine Bibliothet errichtet, die jegt ichon nahezu 60000 Bände zählt und ben herrlichen Saal wieder voll zur Wirkung und Nugung kommen läßt.

198 Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim.

Künjtlers im Wege ftehen. Er wurde im Jahre 1712 als Kind armer Eltern zu Düffeldorf geboren. Wohl Hatte er in der Berjon des Oberit-Leutnant Mayer in der Jugend einen Proteftor gefunden, durch deſſen Vermittelung er im Gefolge des Grafen Plettenburg nad Italien reijen konnte. Allein gerade dort wurde er von einem ſchweren Unglüd betroffen, denn der Graf ſtarb plöglih und der junge Künftler jah ſich dadurch größter Hilflofigfeit und Armuth überantwortet. Nur das Malen von Heiligenbildern für Indien, womit er von einem Jeſuitenpater beauftragt wurde, rettete ihn vor dem Hungertode. Dabei jtudirte er eifrig die ihm irgendwie zu— gänglichen Werfe italienischer Meifter raſch das Bedeutende und Schöne, das ihre allgewaltige Kunft bietet, in fich auf: nehmend.

Die Frucht diefer Studien war ein jchnelles reifen jeines Talentes, welches endlich durch hervorragende Yeiftungen in Italien Aufjehen erregte. Man ehrte den Künftler daraufhin durch feine Berufung an die Akademie von St. Lucca, womit jein Lebensſchickſal entichieden war, da jeine Perſönlichkeit hier- durch eine nicht mehr zu überjehende Stellung erhielt. Bald gewann ſich Krahe von Hier aus das Intereſſe der höchiten Kreiie Roms und jo auch die Proteftion des Cardinals Valenti, der ihn dem nad) Künftlern juchenden Kurfürſten Karl Theodor empfahl. 1755 folgte Krahe dem Rufe diejes Fürſten nad) Düſſeldorf, wojelbjt er die Gemäldegalerie ordnete und die be- rühmte Akademie mit begründete.

In die erjte Zeit jeiner Rückkehr nach Deutichland fiel jein Wirken in Mannheim. Später in feinen letzten Lebens— jahren und zwar 1784 wurde er noch von Karl Theodor mit der Einrihtung der Münchener Galerie beauftragt ein Bes weis dafür, daß ihm der Fürſt allezeit jeine Gunft und Werth- ſchätzung bemahrte.

Krahe jtarb nach einem hohen Idealen geweihten Leben im Jahre 1790 zu Düſſeldorf.

Krahe beeinflußte das Mannheimer Kunftleben zur Zeit Karl Theodors in ftarfer, jegensreicher Weile. Ihm gelangen

Das KHurfüritlihe Schloß zu Mannheim. 199

vortreffliche Erwerbungen für die damalige Mannheimer Galerie. Das Kupferitichcabinett begründete er und er wußte es bald zu einer der reichjten und werthvolliten Sammlungen der Welt zu gejtalten. Weitere Plafondbilder, die er hier malte, find noch an anderer Stelle zu bejprechen.

Hier jollte Krahe vor allem nur als derjenige Meijter Würdigung finden, der das jchönfte Gemälde des Schlofjes ge- Ihaffen und der das Schloß damal3 mit den werthvolliten Kunſtſchätzen füllte.

An der malerischen Ausihmüdung des Schlofjes, die aus Blafondgemälden, Sürporten oder anderen in die Wände ein- gelaffenen Bildern bejtand, betheiligten fich noch die Maler Sohann und Franz von Schlihten (Portraits und Scheinreliefs), Joſeph Fratrel, Antoine Pelegrine und Bernardint (Plafonds), Schenf, jowie Hieronymus Brinfmann (Landichaften).

Die meijten Plafondbilder des Schlojjes Huldigen ab— gejehen von dem Vedengemälde der Bibliothet mehr dem Augenblid der Zeit, verbinden dabei Altes und Neues in jorg- (08 unhiſtoriſcher Weije miteinander, portraitiren Fürſten und Hofleute in den Vorwürfen entjprechenden Goftümen und nehmen fich in Folge deijen mehr wie Masferaden aus, wenn auch die Grazie echt Fünftlerticher Darftellung über ſie ge— breitet iſt.

Drigineller und werthvoller al3 die meijten dieſer Plafond— gemälde ericheint Heute noch ein anderer malerijcher Zimmer: ihmud, auf den der Berfaffer diejes Buches jhon vor Jahren bejonders wieder hinzuweiſen verſuchte.

E3 find Dies die jogenannte Weliefmalereien, Wand— malereien, die täujchend wie Neliefs ausjehen. Der in Inns— brud geborene Maler Franz Anton von Leidensdorff und Jo— hann Franz von Schlihten haben dieje Malereien in Mann- heim eingeführt. Die Sürporten im Lejezimmer der Bibliothek und die Dedfenmalereien in den öftlihen Räumen des Mittel« baues des Schloffes find Meifterwerfe diejer originellen, tänjchenden und zugleich überzeugenden Kunſt.

200 Das Hurfürftlihe Schloß zu Mannheim,

: | Die Geſchichte. Neliefmalerei Im Ceſeſaol der Bibliother. |

Die bald in Mannheim zu einer außerordentlichen Höhe gelangende Kunftichlofferei und Schmiedefunjt trug gleichfalls zu den Innendecorationen des Schlojjes das Ihrige bei. Das Gitter der Bibliothefgallerie iſt wohl das feinjte und zartejte Werk dieſer Kunſt und zeigt das gewaltige Material wie in Duft und Flimmer aufgelöjt. Zahlreiche diejer Arbeiten rühren von Sabinetjchloffer Fröchmann her.

Ein Meifterwerf in Bronze iſt das Folofjale pfälziiche Wappen mit den Initialen C P (Carl Philipp) am Mittelbau des Scloffes, wahrjcheinlih in der Werfjtatt Grupellos zu Düfjeldorf gegojien. Auch der darunter angebrachte Pankopf in Bronze dürfte daher jtammen, der jedenfalls einem Aber— glauben, damit Unheil vom Hauje abzuhalten, jeine Erijtenz verdanft.

Auch durch Spiegelglas und helles, des Nachts interejfante Lichtlinien an die Wände werfendes Fenſterglas, künſtleriſch ihön gebaute Kamine, meilt aus Marmor, prächtige Fußböden in Stein und Holz wurden zu Zweden der Innendecoration reich verwendet.

Als betheiligt an den Funjtgewerblihen Arbeiten des

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202 Das Kurfürſtliche Schloß zu Mannheim.

Sclofjes werden u. A. die Studateure Bedetti und Albuzio, ber Kabinettsichreiner Zeller, jowie als Holzbildhauer von den Branden und Egell genannt.

Die neue Bauperiode, die den öftlihen Schloßflügel ent- jtehen ließ, begann anfangs der fünfziger Jahre.

Der berühmte Acchiteft Nicolaus de Pigage war von Karl Theodor berufen worden, zunächſt um die Bauten und Anlagen in Schwegingen zu leiten.

Pigage iſt 1721 als Sohn des Hofbaumeifters des Königs Stanislaus zu Luneville geboren. Er jtudirte auf der Afade- mie der Baufunjt zu Baris und unternahm größere Studien- reijen duch ‚Frankreich, England und Italien. Im Jahre 1749 wurde er von dem Kurfürſten Karl Theodor, der auf den Künſtler aufmerfiam geworden war mit 1500 fl. Gehalt als Intendant der Gärten und Waiferfünjte zu Schweßingen an— geitellt.

In kurfürſtlich pfälziſchen Dienjten ſchuf Pigage jeine beſten und weſentlichſten Werke. Zuerſt unternahm er wie beſtinmt Die Leitung der neuen Schloßanlagen zu Schwetzingen. Bald jedoch wurde er nach Mannheim berufen, um hier durch einen Schloßbrand nöthig gewordene Reparaturen auszuführen. Hierbei wurde auch der Weiterbau des Schloſſes in's Auge gefaßt und Pigage mit der Leitung dieſes Weiter— baues betraut. So iſt, abgeſehen vom Bibliothekbau, der ge— ſammte öſtliche Flügel mit ſeinen fürſtlichen Wohnräumen, den Galerieſälen und dem Naturaliencabinet, ſowie den Stall— ungen und Sonderhöfen (Schneckenhof) unter Pigage's Leitung entſtanden.

Die Hauptaufgabe des weiteren Schloßbaues wurde darin gejehen, den Hofitaat des Kurfürjten von demjenigen der Kurs fürftin zu trennen, während im Mittelbau die gemeinjchaftlichen Nepräjentationsräume liegen jollten.

Der ganze öjtliche Flügel wurde daher dem Kurfürſten gewibmet und jeiner Pflege der Kunjt und Wilfenjchaft, wes- halb hier die Bibliothef und neue Räume für die Kunjt- Sammlungen angelegt werden mußten.

Lambert Arahe, der Maler des Dedenbudes in der Bıbliothef,

204 Tas Hurfuritlihe Schloß zu Mannheim.

Pigage war es auch, der großen Antheil an der erit unter ihm bewirkten Fertigftellung des Ritterjaales und des Viſtibuls hatte. Während der gewaltige Grundplan von dem fich in großen Linien ergebenden Froimont Herrührte, wurde die Aus— fhmüdung und Weiterverfolgung der begonnenen Ausführung erit wieder von Pigage aufgenommen. Er verjuchte über die lebensvolle Kunſt Bibinas hinweg wieder an Froimont anzu: fnüpfen und zugleich einen mehr Hajfiziftiichen Stil einzuleiten.

Sfeiche Ziele verfolgte bald auch der nad) Mannheim be— rufene Bildhauer und Architeft Peter von Verichaffelt, von dem die Marmorjtatuen Karl Theodors und deifen Gemahlin Elija- bet Augufta im Ritterſaal des Schloſſes herrühren. Das Fortſchritt und Rüdjchritt in merfiwiirdiger Miſchung vertretende Wirken diejes Künftlers muß jpäter hier noch eingehend behan- delt werben.

In Ihönen Raumverhältnijien find auch der Marjtall und die Reitbahn im öjtlichen jogenannten Stallbau angelegt würdig, Heute zur Unterbringung von Mujeen oder anderen Ausftellungen zu dienen.

Die Fortjegung weiterer Stallbauten und Wagenremijen öftlich des Schloffes wurde damals auf Einjpruch der Offiziere, welche darin eine Beeinträchtigung der Befeftigungsbauten jahen, unterlaffen. Dieſe Stallbauten, jpäter ber Kojadenjtall ge- nannt, gelangten erjt vor Kurzem zum Abbruch.

Auf dem wejtlichen Flügel wurden mit dem Brande, der das Opernhaus vernichtete, auch die weit ausgedehnten Küchen- einrichtungen, der cour des cuisines, zerftört.

Bon diefem Sondertheil des Schlofjes jieht man heute nur noch das malerijch gelegene Ballhaus mit großem Saal und ſchönem Garten.

Beſonderen bildhaueriihen Schmuck trug die jüdlih nad dem Ehrenhof zu gelegene Sclopterrafje mit vier Medaillon- bildern der Kurfürſten Philipp Wilhelm, Johann Wilhelm, Karl Philipp und Karl Theodor. Dieje auf der Bruſt von Figuren angebradhten Medaillons wurden jpäter mit ihren jteinernen Trägern herabgeſtürzt.

Tas Kurfüritlide Schloß zu Mannheim. 205

Roh vor 10 Jahren konnte man jah man den fort= ichreitenden Berfall des Schloſſes mit Rieger flagen:

„Betritt man jegt den großen Vorhof diejes majejtätiichen Gebäudes und fieht man überall den Boden mit Raien bededt, jieht das Spiel der Lüfte in den üppig aufgeichojjenen Neſſeln, wo einft fein Grashälmchen auffommen fonute, weil immer zahlreiche Reiter, yußgänger und ein Heer raljelnder Gala— wagen hier zujammenjtrömte wandelt man jtill durch Die hohen, jchallenden Bogengänge, in denen jich einjt ein Heer von Tienern in reich gallonirten farbigen Liveréen geichäftig herum trieb, jieht in dem Gorridor des linfen Flügels die weißen fahlen Wände, die vormals mit einer Neihe in Lebensgröße gemalter Portraits aller Glieder des furfürjtlichen Hauſes be- bangen waren, erjteigt man die Treppen und wandelt an dem großen Nitterjaale vorüber, wo einjt die glänzenden Hofbälle und mujifaliiche Akademien gehalten wurden, geht an den reichen Kaiſerzimmern, wo einjt Stühle und Tiſche, jelbjt die Spiegelrahmen von gediegenem Silber ftroßten, an den ver- ichloijenen Thüren, die zu den Sigen der Künſte und Wiſſen— ihjaften führten vorbei, denft man ſich die mit ihrem Wolfe vertrauten ‚Fürften die ab und zu fahrenden Gejandten rappor— tirende Offiziere und Ordonanzen, die von Eeide, Gold, Silber und Diamanten glänzenden Hofdamen, den reichen pfälziichen Adel, erblicdt jegt nirgend mehr ein befanntes Gelicht jener Zeit, hört jeden Tritt hohl und vervielfacht wiederhallen, dann befällt einem in dem weiten Balajt ein Grauen, man dünkt ſich verlaffen allein, das Menjchengejchleht ausgejtorben, und eilt hinab auf die Straße, um diefen Wahn zu verjcheuchen.“

Doch anders jehen wir heute das Schloß vor und. Durch die Beitiimmung eines funitverjtändigen Fürſten wurde es vor dem Untergang gerettet und unter einem Koſtenaufwand von etwa einer Million wiederhergejtellt.

Bon außen den Anblid einer Niefenardhiteftur bietend, tm Innern eine unerjchöpflihe Welt der Kunſt und Schönheit bergend, iſt mit ihm eines der hervorragenditen Kunſtdenkmäler jener Zeit echalten, das jetzt nach feiner Verjüngung die Blide

206 Das Hurfürftlihe Schloß zu Mannheim.

aller Kunftverftändigen immer mehr auf ſich richtet und that- jächlich einen Gipfel der Kunft des 18. Jahrhunderts bedeutet.

Damit find die großen Koſten, die die Kurfürjten Karl Philipp und Karl Theodor für Diejes Gebäude aufbringen mußten, nicht verichwendet. Nicht für Werthlojes wurde jo viel Geld geopfert, der Kunſt warf man es in den frucht- bringenden Schooß. Die Lajten, die für fie eine Generation tragen mußte, kommen künftigen Generationen zu Gute. Die Zeiten, wo eine veraltete Kunſtbetrachtung die Wun— derwerfe eines lebensvollſten Stiles mit dem Schlagwort „Rokokogeſchnörkel“ verächtlich abthat, find endlich vorüber. Ueber die Deden eines jteifbeinigen Nachahmungsklaſſicismus, der jchlieglih auch in den Schloßbau hineinzufpielen begann, hinweg reiht die Gegenwart wieder jener formenreichen, blühendes Leben athmenden und grazidjen Kunſt des Barod und Rokoko, wie fie das Schloß in feinen berrlichiten Partien verfürpert, freudig und anerfennend die Hand.

REN

XVI.

Die Baufunft Aleſſandro Galli Bibiena’s und die Theater: Malerei,

Aleſſandro Galli Bibiena Die Grbauung der Jeſuitenkirche und des

Kaufhaufes Hoditand der Decorationsmalerei Lorenz Duaglio

Adel Schliht Bau und Ausjtattung des Nationaltheaters Leydens—

dorff, Zofeph und Julius Duaglio Richard Wagners Urtheil über den Mannheimer Theaterban.

D. zur Zeit Karl Philipps gejchaffenen Grundlagen zur Entwidelung der Baufunjt in Mannheim liegen nunmehr unter Karl Theodor Vollendetes erjtehen.

Das Schloß war etwa 1758 joweit fertiggeftellt, wie wir e3 heute jehen. Bei jeinem Bau jpielte jich lebhaft der Kampf verjchiedener Stilrichtungen ab ohne den Grundplan jedoch) wejentlich zu verändern. Der Sieg de3 italienischen Barock— ſtils durch Aleffandro Galli Bibiena um das Jahr 1730 wurde bereits gejchildert.

Galli Bibiena ift der bedeutendjte Architekt diejer Kunſt— zeit Mannheims. Er ſchuf das hervorragendite Gebäude der Stadt: die Jejuitenfirche, feine Stilrichtung beeinflußte bejonders auch befreiend die Innendecorationen des Schlojjes (den Biblio- thefjaal), und neben dem einjt jo viel gerühmten Opernhaus baute er noch das graziöje Kaufhaus.

Lebensvolle Pracht, Reichthum verbunden mit Größe der Auffaffung, Grazie und Ungezwungenheit erfüllen die Werke

208 Die Baukunjt Aleſſandro Galli Bibiena's x.

diejes Meſſter, der erjt jet wieder einigermaßen gewirdigt zu werden anfängt.

Aleſſandro it aus der Schule jeines Vaters Ferdinando Galli, ein Meiſter des Theaterbaues und der Theatermalerei, hervorgegangen. Sein Vater, 1656 zu Bologna geboren und dajelbjt 1729 gejtorben, war in Prag, Parma jowie unter Kater Karl VI. in Wien thätig und jchrieb zwei Bücher über Architektur („Varie opere di perspettiva“ und „Architettura eivile‘‘), die erit 1740 und 1811 in Drud erjchienen. Das Geburtsjahr des Aleffandro Bibiena fiel jedenfalls noch in das 17. Jahrhundert, da er jchon als reifer Künftler nah Mann: heim fam. Seine Slanzzeit fällt in die Jahre 1730 1750. Mit der Berufung Pigages begann jein Einfluß zu jchwinden und jein Alter machte es jedenfalls nöthig, daß jein Schüler Naballiati den Bau der Jeſuitenkirche vollendete. Als jein Todesjahr wird das Jahr 1760 angegeben.

Mit dem Bau jeines Dauptwerfes, der Jeſuitenkirche, wurde Bibiena von Karl Philipp beauftragt. Die Grundjtein- legung fand im Jahre 1733 am 12, März ftatt. Nach einer Bauzeit von 23 Jahren wurde die Kirche am 15. November 1756 unter Anweſenheit des Kurfüriten Karl Theodor und des gejammten Hofitaates dem Gottesdienit übergeben.

Die „bochfeitliche Weihe“ empfing die Kirche erſt am 18. Mai 1760 durch den Fürſtbiſchof Joſef von Augsburg mit Aſſiſtenz des Weihbiichofs Chriitof Nebel von Mainz.

Zum Gedächtniß des Tages wurde eine Münze geprägt. Eine prächtig ausgejtattete Schrift über dieje Kirche „Basilica Carolina‘ wurde vom Sejuitencollegium herausgegeben und dem Haufe Neuburg, im Beionderen Karl Philipp und Karl Theodor gewidmet.

Dieſer prächtige Bau gibt der Stadt Mannheim haupt: jächlich ihr eigenthümliches Gepräge und läßt, von Ferne ge— jeben, die Silhouette der Stadt in künſtleriſch ſchönen Linien ericheinen.

Die Hauptfacade ift architektonisch in reicher, dur Säulen und Zimje marfierter Gliederung gehalten und reich mit bild»

Das Innere der Jeſuitenkirche.

14

Deler, Geihichte der Stabt Mannheim

210 Die Baukunſt Alejandro Galli Bibiena’s x.

haueriſchem Schmuck ausgejtattet. Ueber drei großen Thor- wölbungen, die durch prachtvoll gejchmiedete Eijengitter*) ver- bunden find, ftehen in Niſchen bedeutende Bildhauerwerfe Peter von Berichaffelt3 in Stein gehauen, während das Frontijpiz mit einer Engelögruppe von Egell reliefartig geziert ift. An dem großen, hinter zwei Hleineren Thürmen aufragenden Thurn ift jeder bildneriihe Schmud verjchmäht, er wirft allein und mächtig genug durch feine colofjale Kuppel. Daß das Baus werf von jenem Schöpfer als eine verkleinerte Nachbildung der PVetersfirche gedacht worden jei, ijt ein Irrthum der Tradition.

Reich an künſtleriſcher Schönheit iſt auc das Innere der Kirche. Am prächtigen Hauptaltar tragen jechs forinthijche

*) Jacob von Falke bringt in jeiner „Geichichte des deutschen unit: gewerbes” (Berlin 1888) eine große Abbildung des Mittelthores der Sefuitenfirhe au Mannheim und fchreibt über die großartige Schmiedekunſt jener Zeit u. A. folgendes: „Die Hauptleiftung der Gifenarbeit in dieſer Epoche beitand aber nicht in Eleinen Arbeiten, fondern in den geichmiedeten Thoren, Thüren, Gittern, Treppengeländern und dergleichen Arbeiten. Die großartigen Palaſt- und Schloßbauten, welche Ludwig XIV. in ganz Europa in Mode gebracht hatte, bedurften ihrer zur künftleriichen Ausstattung, und als das Rokoko fam, verlangte es ein freie, erzentriiches Ornament, für welches das zähe Eiſen kaum paffend ſchien. Und doc zeigte es fich den übertriebenften Anforderungen gewachſen, gerade ald ob es dazu geichaffen fei, fich wie natürliches Laub und Geranke oder wie das wilde Mufchel: werf unter dem Hammer zu fchmiegen und zu biegen. Es folgt nachgiebig und gefchmeidig und doc von höchſter Solidität jeder willfürlichen Laune des Künſtlers. Niemals vorher iſt dem Gifen fo viel zugenmthet worden, und niemals hat ed auch in den Dimenfionen großartigere Zeitungen voll- führt, wie fie zahlreiche Schlöfler aufweiſen. ........ Wenn man

dieſen Arbeiten etwas vorwerfen kann, fo iſt es ihre übergroße Schwere, bie übermäßige und unnöthige Maflenhaftigfeit des verwendeten Eiſens.

Dieſer Fehler verlor ſich freilich mit dem Wechſel des Geſchmacks gegen das Ende des Jahrhunderts, aber es verlor ſich auch alsbald das ge— ſchmiedete Eiſen als Kunſt überhaupt, indem das Gußeiſenan die Stelle trat. So iſt auch hier wieder mit dem neunzehnten Jahrhundert nicht bloß ein Verfall, ſondern der Untergang eines eben noch blühenden Kunſtzweiges zu konſtatiren.“ Glücklicher Weiſe nimmt gegenwärtig die Schmiedekunſt, an die alten, guten Traditionen anknüpfend, gerade auch in Mannheim wieder einen kräftigen Aufſchwung.

Die Baufunft Aleffandro Galli Bibiena’s ꝛc. 211

Säulen aus jog. röthlichem pfälzer Marmor, die durch treffliche Politur zu glanzvolliter Wirkung gelangen, ein aus gleichem Stein gehauenes Gefimje mit vergoldetem Architrav. Die Mitte des Altars bildet eine Gruppe, die den heiligen Ignatius von Loyola darjtellt, wie er den vor ihm fnieenden Franziskus XZaverius zur Belehrung der Heiden nad) Indien jendet. Dieje Gruppe Verſchaffelt's ift nur in Gips gegojjen; Die beabfich- tigte Ausführung in weißen Marmor wurde mit der Aufhebung des Jeſuitenordens 1774 in der Pfalz Hinfällig. Plafond- gemälde von Cosmas Ajam und Brindmann (von lehterem die Landichaften), nehmen die ganze Dede des Hauptihiffs und die große lichtvolle Kuppel ein. Die Seitenaltäre find mit Del- gemälden Lambert Krahe's geſchmückt.

Eine Renovirung der Kirche wurde im Frühjahre 1907 fertiggeltellt und zu gleicher Zeit errichtete man in den Niſchen der Vorhalle Standbilder der Kurfürjten Karl Philipp und Karl Theodor.

Das durch die Kuppelöffnungen und durch die zahlreichen Tenfter in das Innere fallende Licht läßt die Schönheit der Kirche in ihrem weihevolljten Glanze erjtrahlen.

Iſt die Jeſuitenkirche der am mächtigjten wirkende und prächtig jchönfte Bau Mannheims, jo kann ein anderes Bau— werf Bibienas: das Kaufhaus als das maleriſchſte und graziöſeſte Gebäude diejer Stadt bezeichnet werden. Beſonders iſt Dies von dem ſchlank und zierlich aufjteigenden hohen Thurm und von der reich gegliederten Vorderfagade zu Jagen.

Diejer Thurm stellt das charakteriftiichite Bauwerk der inneren Stadt vor, und der ganze Bau it gleichlam das Herz Mannheims.

Das Kaufhaus bildet mit jeiner Vorderfacade die Süd» jeite des in der Mitte der Stadt befindlichen Baradeplages und ein ganzes Quadrat für fich mit einem aus 73 Bogen bejtehen- den Arkadengang.

Die nunmehr von dem häßlichen Anſtrich befreite Archi— teftur des Thurmes iſt von reichiter Gliederung und verjchieden-

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212 Die Baufunft Aleffandro Galli Bibiena’s ꝛc.

artigem Bilafterihmud. Ein kraftvoll vorjpringender Balfon- bau erhöht die monumentale Wirkung des Sockels. Der Thurm it, wie der größte Theil des übrigen Baus, in rothem Sand» jtein ausgeführt und wirkt jest in der Farbigkeit jeines echten Materiald noch viel graziöjer und vornehmer, als dies vorher der Fall war. Sehr ſchwungvoll in den Linien und maleriſch ijt auch da8 Dach des Thurmes mit jeiner Krönung duch ein zierlihes Glockenthürmchen. Der bildhaueriihe Schmud des Gebäudes rührt von Paul Egell*) her. Der Bau ging nicht ohne Schwierigkeiten ab und währte die verhältnigmäßig lange Beit von 16 Jahren (1730— 1746). Etwas von jeiner Bauge- ichichte berichtet die über dem großen Baltonbogen am Mittel- thor befindliche lateiniſche Injchrift, die in einer älteren Ueber- ſetzung u. WU. folgendes jagt:

„Auf Geheiß Karl Philipps wurbe diejes (Gebäude) von Grund aus errichtet, und ftand ſchon zum Theil aufgeführt... Allein es war zweifelhaft, ob es TFejtigkeit genug habe. Da- her blieb es dreimal drei Sommer ohne Dad) und Hut, bis e3 damit gefrönt ward von Karl Theodor. Er lebe.“

Das Gebäude wurde auf Trümmern der alten Feſtung Friedrichsburg errichtet, wodurch bie Fundamentirung auf ſolche Schwierigfeiten ftieß.

Noc heute ift der Bau, der jegt zum Rathhauſe erhoben wurde, nad) wohlgelungener Bloßlegung feines prächtigen Stein- material und unter völligem Umbau jeines Innern, das Herz unjerer Stadt geblieben.

Außer jeiner bedeutungsvollen Thätigkeit als Baumeifter muß bier aber noch eines weiteren Wirkens Bibienas gedacht werden.

Dies führt uns zur Betrachtung eines Gebietes, Das gerade in Mannheim mit außergewöhnlicher Kunſt gepflegt

*) Ueber Egell fiche Seite 200. Hier fei nebenbei bemerkt, daß eine Tochter dieſes Bildhauers: Elifabeth Egell das eigentliche Urbild von Werthers Lotte ift. Als Gattin des furpfälziichen Geſandten Gert lernte fie in Wetzlar der junge Jeruſalem fernen, deffen freitwiliger Tod wegen immertoiberter Liebe zu diefer Frau Goethe die erfte Anregung zur Wertherdichtung gab.

Die Baukunft Aleffandro Galli Bibiena's x. 213

wurde: zur Betrachtung der decorativen Malerei, im Befonderen der Theatermalerei.

Bei dem Glanz und der Pracht, die man hier in der Aus- jtattung der Theateraufführungen entfaltete, wurbe bie Decora- tionsmalerei zu bedeutender Höhe erhoben.

Diefe Malerei betrachtete man damals nicht, wie oft noch heute, als eine Kunſt zweiten Ranges, die nur mit ftarfen, groben Mitteln zu wirken hat, jondern fie wurde in künſtleriſch vornehmster Weije gepflegt und jedes ihrer Werke erfuhr die jorgfältigjte Vorbereitung.

Die Entwürfe zu den Decorationen wurden auf’3 Ge- nauefte und Gewiljenhaftejte gezeichnet oder getufcht und dann jogar in Kupfer gejtohen. Nichts von theatraliichen Effekten im gewöhnlichen Sinne des Wortes ift auf diejen Entwürfen zu ſehen, bie meijt vollendete jelbjtftändige Meifterwerfe find. Ganz wunderbare Berjpectiven und erjtaunlich fein abgeftufte Lichtwirkungen geben diejen meijt radirten oder in Mquatinta ausgeführten Entwürfen das Gepräge vollwerthiger Kunft.

Auf diefem Gebiete hatte jeber Künftler daher jeine volle Kraft zu entfalten und die beiten Talente ſetzten ihre Ehre darein, in diejer Weile Schönes und Gutes zu leiten.

Bibiena war einer der erjten Künftler, die hier auf dem Gebiete der decorativen Malerei ihren Einfluß geltend machten und jelbjt vortreffliches leijteten.

Die Entwürfe Bibienas für Theaterbecorationen find von jo vollendeter Schönheit, das wir fie heute, erhalten in Radi— rungen oder Aquatinta-Blättern, al3 ganz unveraltete, vollendete Meifterwerfe genießen können. Meift find es allerdings Ent- würfe, bei denen das arditeftonijche Element ftarf zum Aug- drud kommt, Gebäude, Gewölbe, Kerker mit geheimnißvollen Lichtwirkungen u. ſ. w.

Zu einer weiteren Höhe gelangte die Decorationsmalerei unter Zorenz Duaglio, der nach Bibiena die Leitung ber Theater- malerei in Mannheim in die Hand nahm.

Quuaglio kann als der Hauptbegründer der neueren Bühnen- ausſtattungskunſt in Deutjchland bezeichnet werden. Bei der

214 Die Baukunft Aleffandro Galli Bibiena’s x.

Bedeutung, die fein Wirken für das deutiche Theaterweien hatte, bürfte e3 von Intereſſe jein, auch einen Blid auf den Lebens- gang des Künſtlers zu werfen.

Lorenz Quaglio wurde 1730 in Oberitalien geboren, lernte zuerjt bei jeinem Water Maria Quaglio und jegte in Wien, wohin diejer überfiedelte, an der ausgezeichneten Afade- mie daſelbſt jeine Studien fort.

Schon mit 20 Jahren wurde er von dem Kurfürjt Karl Theodor: nah Mannheim berufen, von wo aus er nod Studienreifen nad) Italien: Rom, Neapel und Pompeji unter- nahm, um eine möglichit große Entfaltung der Berjpective zu gewinnen.

Im Jahre 1778 ſiedelte er mit dem Hofe nah München über. Auch dort fanden jeine heute noch gerühmten Decora- tionen. 3. B. zu den Opern, „Eajtor und Pollur* und zu dem Trauerjpiel „Agnes Bernauer“ jubelnden Beifall. Prächtige Ent- würfe diejes Künftler® wurden u. U. von Schramm, Langlois und C. Schleich in Kupfer gejtochen. An jeinem fiebenzigjten Geburtstag erhob ihn der Kurfürſt in den Adelſtand. Der Tod des Künſtlers erfolgte im Jahre 1804.

In Mannheim Hatte Duaglio das außerordentliche Talent eines 10jährigen Knaben entdedt, den in der Kunſt ausbilden zu laſſen, er dem Kurfürften Karl Theodor vorjchlug.

Der Fürft war jofort dazu bereit und jegte dem Knaben ſogleich eine jährliche Penfion aus eine Großherzigfeit, die jo recht für die edle Kunftpflege diejes Fürſten bezeichnend ift und bie der deutjchen Kunſt eine tüchtige Kraft gewann.

Diefer Knabe war der Sohn eines Tiünchermeijters in Mannheim und bier 1754 geboren. Abel Schliht dies ift der Name jenes früh entdedten Talents erreichte eine Höhe in der Theatermalerei, die in vieler Beziehung noch jeinen Meijter übertraf. Er entwidelte ſich als ein vieljeitiger Künjtler, der in allem, was er zu jeinem Schaffen heranzog, in der Architektur, Malerei und beſonders auch in der Kupferitechfunft (Portrait, Genre, Thierjtüd) jo Bedeutendes leitete, daß er bald einen großen Ruf erhielt und zum ordentlihen Mitglied

Die Baukunſt Aleſſandro Galli Bibiena’s x. 215

ber Königlichen Akademie der jchönen Künfte in Berlin ernannt wurde.

Das prächtige Blatt „Unterirdiſcher Kerker“ nach der eigenen Compoſition des Künſtlers, ſowie zahlreiche Blätter nach anderen Meiitern (Bibiena, Brower, Berghem, v. d. Velde) in Kupfer ausgeführt, welche jich noch im Großh. Kupferftich- cabinett zu Mannheim befinden, find überzeugende Beijpiele dafür, daß die genialen Werke Abel Schlicht’3 heute noch nichts an Kraft, Friſche und Farbigkeit verloren haben und gerade auch neben der modernſten Produftion auf dem Gebiete des Zeich- nens und der vervielfältigenden Künſte noch wohl beftehen. fünnen. Die feinften Nuancen, die jchwierigjten Uebergänge vom helliten Licht zum tiefiten Dunkel der Töne vermochte er mit jouveräner Meifterjchaft herauszubringen.

Schliht erhielt in Mannheim eine Anjtellung als fur« pfälziſcher Hofbaumeijter und im Düſſeldorf eine jolche ala Profeſſor an der dortigen Kunſtakademie.

Ueber das Ende des an Kämpfen reichen Lebens diejes Künstlers ijt nichts bejtimmtes befannt. Nagler gibt das Jahr 1826 als das Todesjahr desfelben an. Die Thütigfeit des Künjtlers in Mannheim läßt ſich bis zum Jahre 1791 verfolgen, was die Behauptung Roſts, Schlicht jei 1790 ge itorben, hinfällig macht. Beſonders auch die Entwürfe diejes Künftlers zu Theaterdecorationen zeigen den Hocdjitand der Mannheimer Theatermalerei im 18. Jahrhundert.

Einen anderen, jehr begabten Künjtler hatte Duaglio von Stuttgart aus nah Mannheim gezogen und zwar den 1748. in Straßburg geborenen Maler Matthias Klotz, der Schüler Guibals und Scotis war, des damals in Stuttgart wirkenden Theaterardhiteften und Frescomalers.

Durch die gut gemalten landjchaftlihen Hintergründe, die Klotz feinen Bildniffen zu geben wußte, wurde Quaglio auf diejen Künftler aufmerfjam, um ihn ganz für die Landichafts- malerei und zwar für die decorative Landjchaftsmalerei zu ge- winnen. ' |

Den großen körperlichen Anftrengungen, die mit der Deco-

216 Die Baukunſt Aleſſandro Galli Bibiena's x.

rationdmalerei verbunden find, war jedoch Matthias Klo nicht auf die Dauer gewachſen. Er zog fi, als er mit dem Hof 1778 nad) München übergefiebelt war, von ber Decorations- malerei, die er vorzüglich geübt Hatte, zurüd und wandte fich ausichließlich der Bildnigmalerei zu. Durch Anwendung eines eigenen, von ihm erfundenen Farbenſyſtems, über das er 1816 bei Giel in München ein Buch herausgab, wußte er die Bild. niffe feiner legten Zeit weit bedeutender wie bie jeiner früheren zu geftalten und jich damit einen neuen Auf zu machen. Der Künftler jtarb im Alter von 73 Jahren als Königlich Bayriſcher Hofmaler in Münden,

Ein Sohn diejes Meifters ijt der 1773 in Mannheim ge- borene Maler Caspar Kloß, der durch fein gemalte Miniatur: bilder bald zu Auf und Anjehen fam. Kurfürft Karl Theodor und König Marimilian ſchätzten ihn Hoch und gewährten ihm die Vergümftigung, immer neue Studien in Paris und Wien machen zu können. Caspar Klo wird auch als Erfinder eines Inſtruments genannt, das zu anatomijhen Mefjungen behufs richtiger Zeichnung des menjchlichen Körpers dienen joll. Der Tod des Künftlers fällt in das Jahr 1845.

Lorenz Quaglio jollte ſich Hier auch als Architekt in einer bedeutungsvollen Sache bewähren. Er war es, nad deffen Plänen das zu großen Thaten auserjehene Hof- und National- theater erbaut wurde. Er wußte mit vielem Geſchick ein bis- heriges Scütt- und Rüſthaus, das als Fruchtſpeicher und Urjenal gedient hatte, gleihjam als Grunbdftod für den Bau diejes Theaters zu verwenden.

Nach dem Plage zu wurde das Haus an beiden Seiten durch etwas vorjpringende Gebäubdetheile und in der Mitte durch einen von Gäulen getragenen und mit Figuren ge- ihmüdten Balfon, duch ein Giebelfeld mit einem Relief, Die Muſen darjtellend, und durch einen auf der Höhe des Giebel- feldes thronenden Apollo reicher geftaltet.

Das Haus war urjprünglich nur dreiftödig. und trug ein malerijch gegliedertes Dad. Bon der faftenartigen Form, die es erſt in neuerer Zeit erhalten, war damals noch nichts zu

Die Baukunft Aleſſandro Galli Bibiena's x. 217

ſehen. Wie heute noch wirkte es auch damals jchon durch feine impofante Länge. Der ganze Umfang dieſes Gebäudes wird auf etwa taujend Fuß geſchätzt.

Die nördlich und ſüdlich nach den Straßen zu liegenden Facçaden find gleichfall3 je mit einem Balkon geſchmückt, ber von acht Säulen gejtügt wird und Muſik und Tanz verfinn- bildfihende Figuren trägt. Diefe an den Facçaden ftehenden Figuren, jowie Die dazwijchen angebrachten Urnen find Arbeiten des Bildhauers Johann Matthaeus van den Branden.

Früher befanden fich zwifchen den etwas vorjpringenden Edflügeln und dem vortretenden Mittelbau der Wejtjeite des Theater Feine, von Gittern abgejchloffene Höfe. An den Thoren diejer Höfe waren vier Termen aufgeitellt, die je eine Sphing trugen. Dieje Termen mit ihren Gejtalten wurden jpäter bei dem Umbau des Theaters 1853 entfernt und ge- langten in dem Garten der Schmudert’ihen Villa zur Auf- jtellung, wo fie bi! zum kürzlichen Abbruch bes Gebäudes eine Zierde der Rheinſtraße bildeten. Hoffentlich findet fich für dieje intereffanten Werke des Hofbildhauers Konrad Link eine andere, zur Öffentlichen Aufftellung geeignete Stätte in Mann- heim.*)

*) In feinen Studien zur Geichichte der bildenden Künſte jchreibt Prof. Mathy über diefe Arbeiten Links: „Die vier Sphingen ähneln denen Verfchaffelts, die vor dem Apollotempel des Schwekinger Schloßgartens fagern. Die Köpfe find im felben Gefhmad frifiert wie die Mufen van den Brandens; auch ihre Gefichter haben bdenfelben Haffiihen Typus; durch verfchiedene Embleme, auf welche fie ihre Vordertagen ftreden, werben fie zugleih als Mufen des Theaters cdarakterifirt; nad einer Aufzeich- mung aus Schmuderts Hinterlaffenfchaft, die mir durch die Güte bes jegigen Befigers, Herrn Emil Kahn, zugänglidy geworben ift, wird die eine Ktalliope, die andere mit ber Larve Thalia, die dritte Melpomene, Die vierte mit ber Flöte Grato oder auch Euterpe genannt. Aber es macht eher den Eindrud, als hätten die holden Ungeheuer die Unglücklichen, welche die Räthſel der Bühnenfünfte nicht zu löſen vermochten, ihrer thebanifchen Ahnfrau gleich in den Abgrund geftürzt und ſich der Spolien bemädhtigt. Die eine lagert auf Kriegswaffen: einem pfeilgefüllten Köcher, einem Schilde, einem Helme und einer Trompete; ihre Nachbarin hat ein Tam—⸗ bourin, eine Doppelflöte, einige Bücher, Noten und den Strohhut einer

218 Die Baukunſt Aleſſandro Galli Bibiena’s x.

Um über bie uriprüngliche. Gejtaltung bes Innern des Theater8 näheres zu erfahren, iſt man genöthigt, wieder auf Rieger Bericht vom Jahre 1824 zurüdzugreifen, der aller» dings nach dem eriten Umbau im Jahre 1821 geichrieben ift, aber doch auf die erſte Art des Theaterinnern vergleiche» weije zurüdfommt und wie folgt lautet:

„Das ganze Speftatorium, welches Hinfichtlich jeiner Aus- ihmüdung düſter und unheimlich ausjah, erhielt erjt im Jahre 1821 jein jegiges freundliches Gepräge. Das frühere Plafond— gemälde jtellte Aurora, welche die Nacht verſcheuchte, dar.. Jetzt erblidt man da eimen großen Ring, welcher in der Runde herum verjchiedene Sinnbilder, Masten, Thyrjusitäbe und dergl. trägt. Durch diejen Ring blidt man in ben blauen Himmel. Bon der Mitte aus, wo der Lüſtre herabhängt, ver- breitet eine weit jtrahlende Sonne ihr Licht. Bier große, bis unter das Gefimje reichende, forinthirche Säulen mit grau und weiß melirtem Schaft und vergoldeten Klapitälern jchließen das PBrojcenium ein. Auf deffen Wordertheil erblidt man in ber Mitte das Bildniß des athenienfiihen Trauerjpieldichters Sophofles. Diejes Medaillon war ehemals von zwei er- babenen jchwebenden Figuren, die Zeit und den Ruhm vor- jtellend, getragen. Dieje jind aber, jo wie drei auf jeder Seite diejes Hauptbildes noch befindlich gewejene Fleinere Mebaillons, antife Zierathen und theatralijche Sinnbilder, bei der Reſtau— ration hinweggenommen worden. Die dafür hingemalten Ara- besken jind unbedeutend. ... Auf dem vorigen Vorhange er- blickte man den Genius der Pfalz, der fich den Künſten und

Schäferin erbeutet. Auch das andere Paar ruht auf dien Folianten: die eine hält noch zwei Theatermasten unter ihren Klauen, die andere mit büfterem Gefihtsausdrud, das Haupt von einem Tuche umfchlungen, bie langen Strähnen des aufgelöiten Haares auf der Bruſt verfnotet, ift übers dies durch einen Dolch und eine Giftichlange als Allegorie der Tragöbie gekennzeichnet.“ Uebrigens ſcheinen die Gefichter diefer Sphinrgeftalten mie dies auch in Schwegingen zu bemerken iſt Portraits damaliger Hofdamen zu fein eine realifch intereffante Verbindung von und allegoriſcher Kunſt, die heute wieder modern iſt.

Die Baukunit Aleffandro Galli Bibiena's ze. 219

Wiffenjchaften weihete. Er trat aus dem Tempel der Mufen. Ganz nahe dabei ftand ein Altar, der von dem pfälziichen Löwen bewacht wurde. Thalia und Melpomene näherten ſich. Der Genius ftredte mit freundlicher Miene die Hand nad ihnen aus, indeſſen er die andere erhob, um den Scaß Apollos und Minervas zu erbitten, die in den Wolfen nieder- ichwebten. In der Entfernung jah man die Vereinigung des Neckars mit dem Rheine und einen Theil der Gegend um Mann» heim mit der Ausficht auf das Schloß zu Heidelberg... .. Der Heine Konzert und Redoutenjaal liegt in dem Vorderge— bäude rechts. Er ijt unter der Auffiht Quaglios in antifem Geſchmack ausgemalt worden. Das ovale Plafondgemälde jtellt den Triumph der Venus vor, die in dem Olymp den goldenen Apfel zeigt. Vierzig verichiedene Figuren find in Gruppen auf dem Ganzen vertheilt. Es ijt von Leydensdorff gemalt. Die Gruppen über den Eingängen und die Basrelief3 an der Dede und den Wänden find auch von ihm. Die Architektur, gemalte Säulen, ein von diejen getragenes Hauptgefimje zc. rührt von Joſeph Quaglio her. Mehr als diejer zieht der große Konzert- und Redoutenjaal die Aufmerkjamteit an. Er iſt ein wahrer Prachtſaal. Durch das Portal auf dem am Plahe liegenden Flügel des Theatergebäubdes gelangt man auf einen Vorplatz. Hier führt eine aus 58 Stufen bejtehende Treppe auf ben Vor— plaß ber zweiten Etage und in den dritten Stod. Alle Bände find hier mit Basreliefs, jonijchen und korinthiſchen Wand» jäulen, Bachanale, ganzen Figuren und Trophäen geſchmückt, die Gipsarbeiten find von Pozzi. Auf der Mitte des oberen Vorplatzes führt eine große Haupt- und Flügelthür in ben herrlichen Saal... . Rund herum wird eine jchöne Gallerie, welche den dritten Stod einnimmt, von 24 jonischen Säulen getragen. Die in den Kanten etwas gewölbte Dede ijt über der Gallerie mit vergoldeten Rojetten, Yaubwerf, Arabesken ꝛc. und über der Mitte des Saales mit einem grau in grau ge- malten Plafond, auf weldem man den Tempel Apollos, ver- jchiebene. opfernde Figuren u. j. w. erblidt, geziert. Die ganze

220 Die Baukanſt Aleffandro Galli Bibiena's x.

Ausſchmückung rührt von Leybensborff, Pingetti, Klo und Sulius Duaglio her.“

Aus diefem Bericht erfieht man u. A., daß ber malerijche Wandſchmuck des Heinen und bes großen Eoncert- und Rebouten- Saales im Theater 1824 nad dem erften Umbau noch erhalten war. Auch die Leydensborff’shen Malereien find erſt bei fpäteren NRenovationen und Umbauten verihwunden. Johann Anton von Leybensborff (geb. 1722 zu Reita in Zirol) ift einer der wenigen Künftler jener Zeit, die heute noch allge meiner befannt geblieben find, wie dieſer Maler heute jelbft noch in tiroler Neifeführern genannt wird. Seine Hauptwerfe ſchuf er in ber Stiftsfapelle zu Innsbrud und in ber Kuratie— kirche auf dem Schönberg bei Innsbrud.

In Mannheim bat er verhältnigmäßig wenig hervorragen- des geichaffen. Hier wurde er zu feinem eigenen Leidweſen zumeiſt als „Xheaterfigurenmaler” von QDuaglio bejchäftigt. Nod erhaltene gute Arbeiten von ihm find bier die jchon ge— nannten Sürporten im L2ejejaal der Schloß-Bibliothef, ferner die Wandmalereien im Mittelbau des Schloſſes, im Breßen- heim’schen Hauje. Zu den jchönjten feiner Arbeiten, die in Mannheim entjtanden, gehört die große Titelzeichnung zu der ihon erwähnten Feitichrift zur Einweihung der Jejuitenfirche: „Basilica Carolina.“ Dieje Zeichnung, die von Gebr. Klauber allerdings in den Seitenpartien etwas mangelhaft behandelt worden ift, läßt die Geftaltungsfraft des Künſtlers außer- ordentlich reich und bedeutend ericheinen.

Das jchönfte Denkmal wurde dem Künftler in Mannheim duch die 6 Jahre nad) jeinem Tode erfolgte Herausgabe. einer größeren Bublifation über jein Wirken gejegt, die Heute noch die Hauptquelle zu feiner Beurtheilung bildet.

Dieje Publikation erjchien unter dem Titel „Coup d’oeil sur la vie, les planches, et les tableaux ex&cut&s par Francois Antoine de Leydensdorf, peintre d’histoire de 8. A. E. P..et'professeur. de l’academie du dessein de Mann- heim (Mannheim 1801). Das franzöfiich gejchriebene Werk

Die Baukunſt Aleſſandro Galli Bibiena’s x. 221

it geziert mit einer Reihe von Radirungen aus der römifchen Zeit des Künftlere. Ein paar eingeftreute meifterhafte Por— trait3 Karl Theodors, die man als Verfuche, mit der auf feine, rein maleriſche Wirkungen ausgehenden Mannheimer Kupfer» jtecherichule Heinrich Siegenich® in Berührung zu kommen, deuten möchte, tragen im Grunde doc noch jo ſehr den Charakter der römischen Schule des Künftlers an ſich, daß fie feider für den Mannheimer Kupferftich nicht in Anſpruch ge= nommen werden fünnen. Das Werk feiert den Künftler in«be- geijterter Weife und ift, wie gejagt, das jchönfte Denkmal jeines Wirkens.

Mit der Theatermalerei in Mannheim beſchäftigte Lorenz Quaglio auch feine beiden Hochbegabten Neffen Joſeph und Julius Quaglio, die Söhne des 1723 in Laino geborenen und 1760 zu Wien geftorbenen namhaften Bildniß- und Hiftorien- malers Domenico Duaglio.

Julius Duaglio wurde ſchon mit 25 Jahren auf Grund jeiner al3 vortrefflich gerühmten Arbeiten im Jahre 1789 zum Hoftheaterarditekten in Mannheim ernannt und 1800 der Nach- folger ſeines zu dieſer Zeit in den Ruheſtand getretenen Onkels Lorenz Quaglio in München, doch ereilte ihn dort nad) kaum einjährigem Wirken der Tod,

Un jeine Stelle trat fein Bruder Jojeph Quaglio, der durch die von ihm eingeführte Dreipunftperjpective der Decora- tiongmalerei neue Impulſe gab und viel bewunderte Proſpecte ihuf. Diejer 1747 zu Laino geborene Künftler ftarb 1828 zu München im Hohen Alter von 81 Jahren.

Joſeph Duaglio fam 1770 nad) Mannheim und trat hier in furfürftliche Dienjte. 1783 ſehen wir den Künftler in München, wo er zuerft die SFeitdecorationen in ber alten Reit» ſchule malte und dann als Decorationsmaler wirkte. Auch fir die Theater zu Mannheim, Speyer, Schivegingen, Frank— furt a. M. hat er Decorationen gemalt.

Sojeph Duaglio ift der Vater des heute noch befanntejten

222 Die Baukunit Alejandro Galli Bibiena’s x.

Mitgliedes der an Talenten reichen Künſtler-Familie Duaglio,*) des 1787 zu München geborenen berühmten Architefturmalers und Radirer® Domenico Quaglio, der vor Allem mit jeinen Gemälden der Dome zu Worms, Köln, Ulm, Straßburg, Negensburg, Freiburg u. A., jowie mit zahlreihen Radirungen und Lithographien ein jpezielles Gebiet mit großer Meifter- ichaft pflegte, ja in Deutjichland begründete.

Drei andere Söhne de3 Joſeph Duaglio widmeten fich ebenfalls der Malerei und genofjen frühzeitig den Unterricht ihres Vaterd. Angelo, Lorenz und Simon Quaglio dies find die Namen diejer Söhne wurden gleichfalls namhafte, wenn auch nicht jo berühmte Künſtler, wie ihr vorher ge= nannter Bruder, Auch bei ihnen zeigte ji ein ſcharf aus- geijprochenes Talent für Theater: und Arditefturmalerei.

Sojeph Duaglio zeichnete ſich gelegentlid auch in der Tresfomalerei aus.

In Mannheim hatte er wie jein Bruder nad) dem oben wiedergegebenen Berichte jchon an der Ausjchmüdung des von Lorenz; Quaglio erbauten Komödienhaufes theilgenommen. Daß ein Bau, bei dem jolche Künftler mitwirkten, fich zu einem außergewöhnlichen Kunſtwerk geitalten mußte, ift jelbftver- ſtändlich.

Und ſo iſt es denn kein Wunder, daß der Leiter dieſes Baues, Lorenz Quaglio, in unſerer Zeit noch eine große

*) Zu der Familie Quaglio gehören noch folgende Künſtler: Julius Quaglio der Aeltere, der Stammvater der Familie (1601 geboren), von dem ein Selbitbildniß bekannt ift und der von Kaiſer Leopold im den Adel- ftand erhoben wurde. Julius Quaglio der Meltere, Julius Qualeus ſich nennend, FFrestomaler, 1720 geftorben. Johannes Maria von Quaglio der Neltere (1700—1765) Ffaiferl. General-Ingenienr zu Wien, Vater des Lorenz Duaglio Johannes Maria Quaglio, geboren 1772 zu Zaino, erbielt von dem Sturfüriten Karl Theodor eine Penſion zu feiner Ausbildung in Italten. Er weilte etwa 1790—1792 in Mannheim, wurde aber dann nah München berufen. Antonio Ouaglio, Bruder des Joſeph Quaglio d. I. (geb. 1749), malte Freskobilder im Winterpalafte zu St. Petersburg. Angelo d. I. 1829/90, Franz und Gugen Onaglio geb, 1844 u. 1857.

Die Baukunſt Aleffandro Galli Bibiena's x. 223

Würdigung fand und fein Werk in einer wichtigen Sache noch eine werthvolle Anregung gab. Denn fein geringerer wie Nihard Wagner war es, der dem Erbauer des Mannheimer Theaters ein großes Lob jpendete und eine bedeutende architef- toniſche Idee desjelben für jein großes Unternehmen in Bay- reuth in's Auge faßte, worüber er in einem Bericht über „das Bühnenfeftipielhaus zu Bayreuth“ folgendes jchrieb:

‚„Ueber das beleidigend freche Hervortreten des jcenijchen Bildes bis zur Betaftbarkeit durch den Zufchauer, habe ich mich fürzlich bei Gelegenheit eines Einblides in das heutige deutiche Dpernwejen ausgejprochen ; ich Habe dem dort Gejagten hier noch hinzuzufügen, daß ich mit wahrer Genugthuung bemerfte, wie der gleiche Uebeljtand bereits von einem Theatererbauer, aber meiner Kenntniß nad) auch nur von diefem einzigen, näm— lich demjenigen des Schaufpielhaufes in Mannheim gefühlt, und, joweit dies im heutigen Theater möglich war, dadurch ihm abgeholfen worden ift, daß die Projceniumlogen verbannt waren, und dafür wirklich ein in den Seiten vertiefter leerer Raum zwifchen einem davor jtehenden zweiten Proſcenium die Iſolirung des jcenischen Bildes vorbereitete.“

So wurde denn in diefem Sinne das erfte deutjche Nationaltheater zum Vorbild einer neuen großen Stätte deutjcher Kunft.

A.SCHLICHT.

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XV. Malerei und Kupferftich.

Einfluß fremder Künitler Pellegrini Gebrüder Alam Johann

von Sclihten Guibal Fratrel Langenhöffel Brandt Die

Begründung einer jelbftändigen heimifchen und deutſchen Kunſt Ferdinand

Kobell Heinrich Singenih Die Volfsthümlichkeit des Kupferjtihs

Maler Müller Seine pfälzer Heimathkunſt und feine Verkündigung des modernen Realismus.

Moaren in der Baukunſt und in der Theatermalerei in Mannheim vorwiegend fremde Elemente thätig, ſo entwickelte ſich auf dem Gebiete der reinen, nicht mit der Architektur ver— bundenen Malerei gar bald ausgeſprochenes ſelbſtſtändiges Schaffen, das ſchließlich zur Mitbegründung einer neuen deutſchen Kunſt führte.

Allerdings wurde die Kunſtſphäre Mannheims durch all' die bedeutenden von auswärts hierher gezogenen Künſtler raſch auf eine Höhe der Zeit überhaupt erhoben, was den hier auf— wachſenden, lernenden und ſchaffenden Künſtlern zu Gute kam, ja auch die Anſprüche, die man hier an die Kunſt überhaupt machte, raſch aus kleinſtädtiſchen Anfängen zu den höchſten damals giltigen Graden ſteigerte.

Betrachten wir zunächſt noch einige dieſer fremden Künſtler, die hauptſächlich noch auf dem Gebiete der decorativen Malerei wirkten, um dann das Emporwachſen eigener, ſelbſtſtändiger Kunit in's Auge zu fallen.

Deler, Geihichte ber Stadt Mannheim 15

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Dee Waffenplay (Place d’Urmes) in Mannheim 1282 (jegiger Paradeplag).

Malerei und Kupferftich. 227

Es handelt ſich zunächjt noch um einige fchon vorher als Plafondmaler des Schlofjes genannte Künstler. Wohl ber erjte Künstler, der ſchon unter Karl Philipp die Kunftiphäre Mann» heims zu ungewöhnlicher Höhe zu erheben begann, war Antonio Pellegrini (Bellegrine). Diejer Künftler, um den fich damals die hervorragenditen Kunftitädte Europas förmlich rilfen, ver- fügte über eine große PVirtuofität umd entwicdelte in jeiner Malerei eine graziöje Leichtigkeit, die jehr anziehend wirkte, doc eine gewiſſe TFlüchtigfeit zeigte. Dem Maler (1674 zu Padua geboren) wurde bei feiner Vielbegehrtheit die Zeit zu Geld und, begabt mit dem praktischen Sinne des Jtalieners, wußte er durch eine Art Schnellmalerei große Summen Geldes in feine Tafche zu bringen. In Dresden z. B. ließ er fi zwei Dedengemälde in dem dortigen Bibliothefsgebäube mit der damal3 unerhörten Summe von 29000 Thalern bezahlen.

Bellegrini trat 1722 in furpfälziiche Dienjte. Außer im Mannheimer Schloffe, wo er mehrere Dedengemälde ausgeführt hat, malte er damals aud im Schlofje zu Bensheim ver- ſchiedene Freskobilder. Er wurde jpäter Mitglied der Akademie zu Paris und ftarh im Jahre 1741.

Unter den am frühejten in Mannheim thätigen Künjtlern find vor allen auch die Gebrüder Cosmas Damian Ajam und Egid Duirin Aſam hervorzuheben. Während von Egid Quirin Alam der größte Theil der wunderbaren Studdeden der Schloß: räume herrührt, hat jein Bruder Cosmas Aſam eine Reihe guter Plafondgemälde ausgeführt, jo die jchon erwähnten Dedengemälde in der Jejuitenfirche und der Schloßfapelle, ſo— wie die Dedengemälde des Ritterſaales und des Veſtibüls im Mittelbau des Schloſſes.

Das eine Niejenfläche genial bewältigende Plafondgemälde des Ritterjaales, bei deifen Reitaurirung der Name des Malers neu fejtgejtellt werden konnte, verfinnbildlicht den Sieg des Chriſtenthums über das Heidenthum.

Die drei Dedengemälde des Veſtibüls jtellen das Urtheil des Paris (Meittelbild), den Wirfungsfreis des Aeolus und

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228 Malerei und Kupferitich.

die Werfjtätte des Vulkan (Seitenbilder) vor. Die naive Leber: tragung der alten Götterwelt auf die Zeit des Künftlers fällt bejonders bei dem leßteren Bilde auf, wo Vulkan z. B. auch als der Herjteller von Stanonen und von Kriegswaffen neuerer Zeit geichildert ijt. Gleichfalls wird dieſem Künſtler das Dedengemälde in der Aula des alten Gymnaſiums zuge: ſchrieben. Es iſt perjpectiich intereffant behandelt und hat die Speijung der Armen durch Ehrijtus zum Gegenftand. Auch hier ift der Stoff in die neuere Zeit hineinverwebt, indem auf dem Bilde Kurfürſt Karl Philipp und der Kurprinz Karl Theodor bei der Vertheilung der Brode an die Armen mit- helfend dargeitellt find. Durch das ſich ergänzende Zuſammen— wirfen diejer beiden Künſtler gejtalteten fich die von ihnen ge= ihaffenen Innendeforationen zu ganz jelten jchöner Harmonie.

Die Ajams arbeiteten etwa in den Jahren 1725—32 in Mannheim. Bon hier aus wandten jie fih nah Münden, doch waren fie zeitweilig auch an zahlreichen anderen Orten thätig, fih an der Ausſchmückung von Kirchen, Klofter- und Schloßbauten betheiligend, jo in Freiſing (Domkirche), Ingol— jtadt (Congregations-Saal), Innsbrud (Jacobskirche), Negens- burg (Emeran-Kicche), bei Bamberg (Mariahilfs-Kirche), in Schleißheim (Kuppel des Schloßvejtibüls) u. j.w. In München ihmidten die Künjtler u. A. die Franzisfanerfirche und er» bauten 1733-46 die Johannisfirhe. Die in Holz geichnitte Figur des St. Peter in der Vetersfirche zu Münden ift ein Meijterwerf des Egid Ajam. Die beiden Künftler find in Bayern geboren: Cosmas zu Benediftbeuren (1686), Egid zu Tegernjee (Jahr unbekannt), Als Zeitpunfte ihres Todes werden die Jahre 1742 und 1746 angegeben.

Zu den Stünjtlern der Zeit Karl Philipps gehört auch der 1720 von diejem Fürſten nah Mannheim berufene Maler Sohann Philipp von Schlichten, ein Schüler van der Werff's. Er blieb dauernd in Mannheim und malte bier eine Reihe Fürftenbildniffe, ſowie Genreſtücke und SHeiligenbilder (die Gemälde „Der Landmufifant* und „Der heilige Andreas“ famen in die Pinakothek zu München).

Malerei und Kupferitidh. 229

In Mannheim geboren (1825) it der Sohn dieſes Künftlerd Johann Franz von Schlichten, der jeine Ausbildung zum Künftler in Italien (in Rom bei Conca, in Bologna bei Torelli) vollendete. Wie Leydensdorff zeichnete er ſich durch täufchend gemalte „Reliefs“ aus und hat bei vielen Diejer merkwürdigen decorativen Malereien des Schlofjes mitgewirft. In Delfarben führte er zahlreiche Genrebilder in niederländifcher Art aus. Seine Bildniffe wurden bald hochgeihäßt und von hervorragenden Stechern in Kupfer geftochen. Er übertraf jeinen Vater durch die Kraft des Ausdruds. Von ihm wurden aud) eine Reihe von Anfichten Mannheims mit der Feder ge- zeichnet, die Gebr. Klauber zu Augsburg in Kupfer jtachen umd die 1782 gejammelt erjchienen. Einen neuen Abdruck der Blatten veranftaltete 1856 die Buchdruderei des katholiſchen Bürgerhofpitals zu Mannheim. Aus diejer Sammlung ftammen aud) die hier wiedergegebenen Anjichten des Aheinthores und des Nedarthores, des Theaters und des Zeughauſes. Der Künstler ftarb 1795 als Director der furfürftlichen Gemälde» Galerie zu Mannheim.

Eine Reihe franzöfiiher Maler trat gleichfall3 mit der Stadt Mannheim in vorübergehende oder dauernde Verbindung.

Der erjte diefer Künjtler, der jchon unter Karl Philipp hier etwa im Jahre 1729 arbeitete, war der jchon oben ge= nannte Maler Godreau, der Schöpfer des Altarbildes in ber Schloßkirche. Vorübergehend weilte auch der damals berühmte franzöjiihe Portraitmaler Antoine Pesne (geb. 1683 zu Paris, geit. 1757 zu Berlin) in Mannheim, der u. U. auch ein gutes Bildniß Karl Philipps malte. Diejes Portrait machte der Kurfürft „dem Feldmarjchall jeiner Armeen“ Heren von Gryjaud zum Gejchenf.

Längere Zeit währte der Aufenthalt des damald name haften Malers und jpäteren Stuttgarter Galeriedirectors Nikolaus Guibal aus Luneville, dort 1725 geboren. Der Künftler fam mit 16 Jahren nad) Paris und empfing dajelbit jeinen Unterricht bei Charles Natoire, dem damals berühmten

230 Malerei und Kupferitich.

Maler und Stecher, der in jeiner Weile zu Paris ähnliche Ziele verfolgte wie Raphael Mengs in Dresden.

Guibal wandte fich denn auch von Paris nad Dresden, um auch von Mengs Unterricht zu genießen, und jchrieb jpäter eine Abhandlung über diefen Meiiter.

Dennoch ließ fich Guibal von Mengs eigentlih nur wenig beeinfluffen und jein eigener lebhafter Sinn war nicht in Feſſeln zu legen, auch troßte eine gewiſſe natürliche Grazie jeiner Art jeder rein formellen seierlichkeit.

Goethe erwähnt Guibal in jeiner Schrift über Wintel- mann und jchildert die Forderungen des Meijters (Menge) und die Art der Schüler in folgender Weile: „Ernſte jtrebende Naturen verzweifelten, daß fie die unendlichen Schwierigfeiten würden überwinden fünnen, an andern, die ein bloß zum Praftiichen fich neigendes Talent hatten, wie Knoller, Guibal, Unterberger, gleitete das Ernte ab, fie überließen ſich ihrer Natur, und man erfennt Mengs Schule in ihren Werfen nicht aus der wohlverjtandenen Zeichnung ſchöner gewogener Formen, jondern bloß an hellen, muntern Farben und herrichenden gutem Ton im Allgemeinen.“

Dieje Selbjtändigfeit und Neigung wohl mehr zum Lebendigen als zum Praktiſchen wird heute diejen Künstlern Niemand mehr zum Vorwurf machen.

Tie von Goethe als hell und freundlich characterifirten Farben bemerft man auch an dem allerdings reitaurirten Ge— mälde Guibals „Aurora* im Badhauſe zu Schwegingen und an einigen jeiner Surporten im Großh. Schloffe. Der Künftler, der etwa Ausgangs der fünfziger Jahre des 18. Jahrhunderts in Mannheim wirkte, jtarb als württembergijcher Hofmaler zu Stuttgart um das Jahr 1790.

Ein weiterer franzöfiicher Künjtler gewann ein dauerndes Berhältnig zur Stadt Mannheim und blieb bis zu jeinem 1783 erfolgenden Tode hier thätig. Es ijt dies der 1730 zu Epinal geborene Maler und Kupferjtecher Joſeph Fratrel.

Seine Kunſt iſt ſpezifiſch franzöfiiher Art. Er Huldigte einem Klaiiicismus, den er liebenswürdig und mit einer ge=

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wiffen Grazie auszujprechen vermochte. Seine Fürften-Apotheofen und Bildniffe trugen ebenfalls dieje Art an fih. Doc) führte er auch einige andere Bildniffe und zwar in Nadirung aus jo ein Portrait jeines Freundes Lambert Krahe, des Maler des Plafondgemäldes in der Schloßbibliothet. Eine Reproduction diejes vorzüglichen auf dunklem, tiefem Grunde wie in leuchtenden Farben behandelten Bortraits findet fich auf Seite 203 diejes Buches.

Tratrel wurde von Nancy aus, wo er Hofmaler be3 Königs Stanislaus war, von Karl Theodor nah Mannheim berufen. Er iſt 1730 zu Epinal in Lothringen geboren. Fratrel begab fich nad) Paris, um dajelbit die Rechtswiſſenſchaft zu jtudiren, ging aber bald zur Malerei über und wählte fich U. Baudovin (aus der Schule Bouchers) zum Lehrer, deſſen Lascivitäten er jedoch nicht nachahmte.

Fratrel war aud als Kunstichriftiteller thätig, Er trat mit großem Freimuth und ohne ſich durch jeine eigene Art beichränfen zu Laffen, für andere und jüngere Künſtler neuerer Richtungen ein, jo 3. B. Half er dem ausgezeichneten Mann heimer Kupferjtecher Heinrich Singenich freie Bahn brechen. Auch verfahte er eine interejfante Schrift über die Wachs— malerei, die er mit Vorliebe übte, und gab das Buch unter dem Titel „La cire alliee avec l’huile ou la peinture à huile-cire, trouvee a Mannheim par M. Charles Baron de Taubenheim, 1799, heraus. 16 Jahre nad) dem Tode des Künftlers erjchien in Mannheim eine Sammlung jeiner Ra- dirungen (17 Blätter). Bon jeinem Schaffen nahm man aud) in Paris Notiz, und es brachte der Moniteur vom 30. Auguft 1806 eine eingehendere Würdigung feiner Kunft.

Ein Sohn Tratrels war noch lange in Mannheim als Miniaturmaler tätig, und noch heute leben hier Nachkommen diejer Künftlerfamilie,

Aber troß all der fremdländiichen, zumeiſt romanifchen Kunjtbethätigung in der Stadt Mannheim nahmen immer mehr die Regungen zur Gründung einer eigenen deutfchen Kunſt zu.

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So wuchs der 1703 in Mannheim geborene hochbegabte Bortrait- und Hiftorienmaler Georg Dathan in einer folchen Sphäre heran, die jeiner Kunſt jelbjt eine rejpectable Höhe gewinnen ließ, jodaß er auch auswärts rajch befannt wurde. Bon ihm gelangte in die Dresdener Gemäldegalerie ein alle goriiches Bild der Bermählung der Prinzeſſin Maria Jojepha, Tochter Auguft’3 „des Starken“ (Kurfürjten von Sachſen und Königs von Polen), mit dem Sohne des Königs Ludwig XV. von Franfreih. Das Bild it im Jahre 1747 gemalt.

Unter jeinen zahlreichen Portraits aus der Mannheimer Geſellſchaft und Künjtlerwelt jei bejonders das Bildniß des Bildhauers Paul Egell erwähnt, das von Haid in Kupfer ge= jtochen wurde.

Ein Schüler Krahes, Johann Jojeph Langenhöffel wurde 1782 von Düſſeldorf nah Mannheim berufen. Hier wirkte er etwa bis 1795 als Hofmaler und Galeriedirector, wandte jich dann in den Kriegsjahren nad) Wien, wojelbjt er 1805 jtarb. Ihm rühmt man eine außergewöhnliche geiltige Bildung nach, die jedoch das natürliche Temperament beeinträchtigt haben mag, denn jeinen Bildern haftet doch etwas Erfünfteltes und Leb— [oje an.

Ein Kunſtgelehrter verjpottete daher mit Recht den da— maligen Enthufiasmus der Mannheimer Zeitung, die in ihrem Jahrgang 1786 Nr. 144 mit dem Wirken Langelhöffels in Mannheim das „Zeitalter des Werifles“ wiedergefommen wähnte.

Abgejehen von ſolch' Lächerlichen Webertreibungen war Langenhöffel ein gewiß ernit zu nehmender Künſtler, der in jeiner Zeit manches Tüchtige jchuf. Für die Galerie zu Mann heim malte er ein Bild des Homer, für den Herzog von Zwei— brüden eine „Venus mit Amor“, für den Domherrn von Hutten eine „heilige Familie“, für den Erbjtatthalter der ver- einigten Niederlande zwei große Gemälde aus der römiſchen Geſchichte. Man fieht daraus, daß jein Schaffen damals eine weitgehende Würdigung fand.

Den Kurfüriten Karl Theodor feierte er durch ein Bild»

Malerei und Kupferſtich. 233

niß und eine allegoriſche Zeichnung zu dem 50jährigen Re— gierungsjubiläum des Fürſten, die der verdienſtvolle Kupfer— ſtecher Egidius Verhelſt in Kupfer ausgeführt hat.

Ein weiterer Schüler Krahes war der Hiſtorien- und Por— traitmaler Johann Wilhelm Hofnaas, 1727 im Bisthum Münfter geboren. Er jtudirte 1753 in Rom und errang zu Dresden, wo er auch bei Raphael Mengs lernte, ben eriten akademischen Preis.

In Mannheim wurde Hofnaas zu dem Wirken als Hof- maler und Profeſſor der Akademie auserjehen. Er malte hier und in Mainz, Frankfurt und Regensburg zahlreiche Portraits und Familienſtücke, ſowie hiſtoriſche Blätter in Sepia.

Seine Bildniffe find mit großer Sicherheit im Ausdrud der Geſichtszüge behandelt und feine hiftoriichen Compofitionen find lebhaft und Klar gejtaltet, wenn auch manche Härte mit: unterläuft. Der Tod diejes Künſtlers erfolgte 1795, in welchem Jahre in Mannheim der Tod überhaupt unter den Künftlern eine reiche Ernte hielt.

Sein Sohn Lorenz Hofnaas ift in Mannheim 1772 ge- boren. Er empfing bier noch von jeinem Vater werthvollen Unterricht im Zeichnen und Malen. In München als Profeſſor der Zeichnenkunft im Königl. Kadettenhaus angeftellt, entfaltete er in der Iſarſtadt eine rege Thätigkeit als Miniaturmaler, als Zeichner (in Sepia) und als Maler heiliger Legenden und Hiltorien. Er jtarb hochgeehrt als Mitglied der Königl. Aka— demie und Königl. Rath im Jahre 1837 zu München.

In Mannheim jpielte fich die längſte Zeit des jehr wejent- fihen Wirfens des vorzüglichen Portraitmalers Heinrich Karl Brandt (auch Brand gejchrieben) ab, der jedenfalls der zweit- ältejte Sohn des 1695 zu Frankfurt a. D. geborenen und gegen 1750 zu Wien gejtorbenen Landichaftsmalers Chrijtian Hülfgott Brandt ijt. Der Schreiber dieſes Buches hat jchon früher auf diejen damals in Mannheim wirkenden Künftler hinzuweiſen verjucht, und e3 wäre ein Leichtes, dieſen Himweis durch den Abdruck weiterer Aftenjtüde zu verftärfen. Allein in Mannheim ſprechen des Künſtlers Werke jelbjt im Bregenheim’schen Haute,

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in den Sammlungen des Alterthumsvereins und in hieſigem Privatbefit genügend für die dauernde Beadhtung der Thätig- feit Brandts. Zahlreiche jeiner Bildniffe, die Kraft im Ausdrud und eine gewifje Kühnheit in der Anlage zeigen, wurden in Kupfer gejtochen.*) Brandt ift 1724 zu Wien geboren, jtudirte dajeldjt bei Meytens, um in Paris feine Studien zu vollenden. Bei Begründung der Mannheimer Zeichnungsakademie wurde er Profeſſor und Secretär dieſes Hinfichtlich jeines Werthes jehr anzuzweifelnden Inſtituts. Durch fein ungezügeltes Leben verftridte er fih im Fährlichkeiten und Schulden, die ihn ichließlich in den Tod trieben. Der Künftler machte im Mai 1787 zu München jeinem Leben durch Gift ein Ende. Daß er troß jeiner tüchtigen Kunjtbegabung feine jonderliche geijtige Potenz war, beweijen in vieler Beziehung feine Hinterlafjenen Niederichriften.

Es iſt höchſt merfwürdig zu Sehen, wie ichon hier in Mannheim damals fünftleriiche Ziele verfolgt wurden, die ſich die allerneuejte Zeit erit wieder vorgenommen hat.

Der heute moderne Realismus erhob damals ſchon er— wachend jein Haupt, um aber bald wieder durch die Dede und Zangweiligkeit anderer Beftrebungen in den Schlaf gelullt zu werden.

Zunächſt handelte es fich darum, der Kunſt dem feiten Boden der Natur zu gewinnen umd jie von der Nachahmung rein formeller Dinge zu befreien.

Das Rokoko Hatte ſchon viel von dem Formenreichthum der Natur und ging feine eigenen Wege.

Eine neue Kunſt wollte nun noch den großen Schritt in das volle Zeben und in die volle Natur Hinein unternehmen und fi) von jeder zeitlichen ftiliftiichen Sonderheit befreien.

Jeder Künſtler jollte rein von fich aus die Natur werthen und jie in jeiner eigenen Auffaliungsweije wiedergeben.

*) Gin Bild des ältejten Bruders des Stünitlers, Johann Chriftian Brandt (1723—1793), eine Landſchaft mit Thieren befindet fich in ber Großh. Gemäldefammlung des Schloiles,

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Man begann ſich wieder an die nordiſchen Meiſter zu halten und vermied die Ausbildung in Italien. Nur einen italieniſchen Meiſter erhob man noch auf den Schild: den— jenigen, der der klaſſiſchen italieniſchen Kunſt entgegenſtand, den auch heute wieder neu geſchätzten Salvator Roſa.

Beſonders drei Künſtler vermochten es, realiſtiſche Be— ſtrebungen damals hier in Mannheim zum Durchbruch zu bringen und damit einen Grund zu legen, auf dem die realiſtiſche Kunſt einer ſpäteren Zeit weiterbauen konnte: der Maler und Radirer Ferdinand Kobell, der Kupferſtecher Heinrich Sintzenich und der Dichter und Maler Friedrich Müller. Dieſe drei Künſtler ſind Söhne der Pfalz und Kobell und Sintzenich in Mannheim geboren.

Wenn je ein Künſtler mit Mannheim und ſeiner land— ichaftlichen Umgebung fich auf's Innigjte zu verbinden wußte, jo war dies Ferdinand Kobell.

In der Umgebung Mannheims, die durch ihr von Wafjer durchfloffenes Flachland an Holland erinnert, gewöhnte er ſich von Jugend an, mit den einfachiten Motiven jeine feine Natur: empfindung zu verknüpfen, um jpäter darnad) tiefere und ihönere Werke zu jchaffen, als andere Klünftler mit den dank— barſten Motiven der beliebtejten Tourijtengegenden.

Dies betrifft beſonders Kobells Sepia- und Tujchzeich- nungen. Faſt alle dieje Blätter radirte er zugleich, und er half damit, ähnlich wie der zuerit in Mainz thätige Kupfer: jtecher Edmund Weirotter aus Innsbruck, die deutiche Radir- funft zu neuer moderner Höhe zu erheben.

Eine Sammlung jeiner Radirungen in neuem Abdrudf von 178 Platten gab Franz Kugler mit einer größeren Einleitung heraus (Stuttgart, Berlag von Karl Goepel).

Als Maler betrachtete Kobell bejonders auch den Italiener Salvator Roja als jein Vorbild. Seine Landjchaften beweijen dies unverfennbar. Kobell hat verhältnigmäßig nur wenig mit Delfarben gemalt, Zwei Bilder in der Mannheimer Galerie und die Gemälde im Badhauſe zu Schweßingen, wo fich aud) einige von ihm gezeichnete Surporten befinden, find wohl die

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einzigen bier in feiner Heimath noch öffentlich zu jehenden Landſchaften jeiner Hand.

Ueber Kobell als Maler und den traulichen Familienkreis, in dem der Künjtler in Mannheim lebte, liegt eine anheimelnde Schilderung einer Freundin des Meijters, der Dichterin Sophie La Rode vor, die in ihren Briefen über Mannheim (Zürich 1791) folgendes jchreibt:

„Sie fünnen nicht glauben, wie einem jeden wohlgejinnten Menſchenkind in Kobell3 Haus jo wohl ijt. Seine Phyſiognomie und fein Betragen geben jogleich den Gedanken ein, daß Die Natur jelbjt ihn zu ihrem Maler bejtimmen mußte. Er zeigt fi) wie eine offene fruchtbare Landſchaft voll jchöner An: höhen und ‘Felder, mit einem jo lebhaft durchitrömenden Fluß, der vor dem Auge des edlen gefühlvollen Menjchen verbreitet it; bei jedem Schritt, den man den Hügel aufwärts geht, vermehrt jich die Anmuth und der Reichthum der Gegend. Ebenjo ijt es mit Kobells Unterredung, je weiter jie geht, je mehr Kenntniß jeines Geijtes, je mehr Güte jeines Herzens wird fichtbar; bejonder8 wenn man ihm mit jeiner jchäßbaren Gattin und jeinen Kindern fieht, in welchen der Charakter, und die Verdienjte der Eltern, in ſtarken, einzelnen Zügen, und auch in lieber Miſchung erjcheint. Wie der ältejte Sohn Die jtile Sanftmuth der Mutter, der zweyte aber den Kunſtgeiſt des Vaters in vollem Maaß erhielt wie der Character der Mutter wieder in der älteren Tochter erjcheint, und maleriſches

Talent in der jüngeren jich zeigt in den zwey anderen Söhnen aber dieje Eigenjchaften zu gleichen Theilen gemijcht find alle haben Verſtand mit einer unendlich Heitern

Gutmüthigkeit und Dienjtfertigkeit verbunden. Das Interefjante diejer Familiengruppe wird nocd durch ein junges artiges Frauenzimmer vermehrt, welche bei Herrn Kobell die Lande ihaftsmalerei jtudirt, wodurch jie einen anftändigen Unterhalt zu erwerben Hofft, und indejjen von dem edelmüthigen Mann und jeiner rau als Tochter behandelt wird. Ich ſaß eine zeitlang neben der Staffeley diejes Künjtlers und jah ihn ganz eigentlich die Blätter eines jchönen Birfenbaums jchaffen; denn

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fie entfalteten und vermehrten fich jede Minute unter jeiner Hand, wie unter den Fingern des Frühlings: am Ende dünkte mich ihre leichte Bewegung fichtbar zu jeyn, das Auge und ber Pinjel diejes Mannes find ihrer fchöpferiichen Kräfte auch jo gewiß, dat er neben dem Malen, von jedem andern Gegenjtand philojophiich und geihmadvoll jpriht. Es war mir ein jehr glüdliher Tag, an welchem ich jo viel herzliches moralijches Gute, jo viel Talent und Kenntniß in einer Familie meiner Freunde vereint fand.“

Mit einem dieſer Waldbilder hatte ſich Kobell auch das Intereife und die Gunſt Karl Theodor3 gewonnen. Stephan von Stengel, ein Freund des jungen Künjtlers, hatte es dem Kurfürften gebracht, der es bewirkte, daß Kobell gegen den Willen jeines Vaters fich der Kunft widmen konnte.

Ferdinand Kobell ift 1740 in Mannheim geboren und hat fait alle jeine Meijterwerfe in der Stadt Mannheim gejchaffen. Weil er die letzten Jahre feines Lebens in München verbrachte, wird er meijt den Münchener Künftlern zugerechnet, allein erſt jeine Söhne gewannen ein innigeres Verhältniß zu München. Er ſelbſt hoffte immer, als er durch die Kriegsunruhen 1793 genöthigt war, Mannheim zu verlaffen, auf eine Rüdfehr in jeine geliebte Vaterſtadt und fchrieb noch 1796: „Die jchred- fihen Kriegsunruhen und die unglüdlichen Begebenheiten und Bedrängniſſen, welche über mein Watterland und bejonders jo ſchwer über meine Vatterſtadt gekommen find zwangen mich bier in Münden Ruhe zu juchen und auf das himmliche Süd, den jo gewünichten Frieden, zu warten; drei Jahre harre ich nun in dieſer Hoffnung noch immer getäufcht mit jo vielen 1000 meiner Mitbürgern und guten neben Menjchen entfernt von meinem Hauß und all demjenigen, was mir zur Ausübung meiner Kunft jo unentbehrlich ift.“

Die Familie Kobell (Köbel) jtammt aus Oberheſſen. Sohann Heinrich Kobell, der Großvater Ferdinands, fiedelte von Frankfurt aus, wo er jeit 1716 Bürger war, nad) Mann- heim über, während ein Oheim Ferdinand Kobells, Heinrich Kobell, nad) Holland auswanderte, wo zwei jeiner Söhne

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Heinrih und Johann bald berühmte Maler und Kupferſtecher wurden.

In Mannheim gewann die Familie Johann Heinrich Kobells bald Beziehungen zum Fürftenhaus. Ein Sohn diejes, Balt- haſar Kobell wurde vom Kurfürjten zum Finanzkammerrath ernannt.

Balthafar Kobell it der Vater Ferdinand Kobells und des gleichfalls in Mannheim geborenen Künstlers Franz Stobell.

Ferdinand ftudirte auf Beſtimmung des Vaters Hin (der von irgendwelcher Fünjtlerifchen Bethätigung feiner Söhne nichts willen wollte und ihre Studien und Verjuche rückſichtslos in's Feuer warf) Rechtswiſſenſchaft; Franz jollte Kaufmann werden.

Terdinand Hatte 1760 jein Examen bereits bejtanden und die Stelle eines Secretärd an der furfürjtlichen Hofkammer erhalten, al3 er vom Kurfürjten die Freiheit und die Mittel erhielt, zur Kunſt übergehen und fich als Künſtler ausbilden zu fünnen.

In Mannheim hatte die Landichaftsmalerei in dem 1709 zu Speyer geborenen Maler Philipp Hieronymus Brinckmann, der Schüler Georg Dathans und Lehrer des von Goethe ge— ſchätzten Seekatz war, einen tichtigen Bertreter.

Brindinann leijtete auf dem Gebiete der Landichaft und des Blumenjtüdes jein Beites und gab damit zur Pflege diejer Kunftbereihe in Mannheim die erjte Anregung. Seine Sur- porten im Mannheimer Schlojfe jind gute Beijpiele für Die gediegene Kunft dieſes Malers. Leider jtarb Brindmann, der übrigens vom Kurfürften mit dem Titel Kammerrath und dem Amte eines DOberaufiehers der Galerie ausgezeichnet wurde, ihon im Jahre 1761, ſodaß Ferdinand Kobell jeinen perjön- lihen Unterricht nicht mehr genießen konnte.

Kobell bejuchte die Mannheimer Zeichnungsafademie, die freilich mit Brindmann ihren Hauptvertreter der Landichafts- malerei verloren hatte, begleitete dann im Jahre 1768 den zum furbayrifchen Gejandten ernannten Grafen Sidingen nad Baris, durch deifen Vermittelung ihm das Studium der Kunftichäße der franzöfiichen Hauptſtadt ermöglicht wurde.

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In Paris genoß Kobell den Unterricht Johann Georg Willes. Bei dieſem Meifter gewann er einen vollen Einblid in die damals beiten Techniten der Radirkunſt. Nach feiner Rückkehr 1769 wurde Kobell zum furfürjtlichen Cabinett3- und Hoflandichaftsmaler ernannt und bald darauf erhielt er eine Anitellung als Profeſſor und Secretär der furfürftlichen Zeich- nungsafademie zu Mannheim. Er ftarb zu München am 1. Februar 1799 als nomineller Director der inzwijchen dorthin verbrachten Mannheimer Gemälde-Galerie, ohne feine geliebte Vaterjtadt wiedergejehen zu haben.

Neben Ferdinand Kobell verdient auch deijen Bruder Franz Kobell genannt zu werden. |

Während Ferdinand Kobell ſich hauptſächlich der ein- heimijchen, deutichen Landjchaft zumandte, widmete fich Franz Kobell, der gleichfalls durch Karl Theodor der Kunſt gewonnen wurde, durchaus der Darftellung jüdlicher Natur, im Bejon- deren Italiens, ſodaß fich die beiden SKtünftler, etwa wie heute die Brüder Andreas und Oswald Achenbach, in ihrem Schaffen ergänzten.

Franz Kobell, deſſen Geburtsort Mannheim iſt, und deſſen Geburt in das Jahr 1749 fiel, hat nur wenig gemalt und nur wenige Blätter in Kupfer geſtochen, dafür um ſo mehr ge— zeichnet. Die Zahl feiner mit Sepia angetuſchten Federzeich— nungen joll ſich auf 10,000 belaufen. Seine jorgfältig ges zeichneten Blätter, die fich auch den Beifall Goethe's erwarben, erreichten jedocdy nicht die Wirkung der lebensvollen Arbeiten jeines Bruders. Franz Kobell gewann innigere Beziehungen zu München und febte abgejehen von jeinem öfteren Aufent— halt in Italien dort bis zu jeinem 1822 erfolgenden Tode.

Wie dieje beiden Künstler iſt auch Wilhelm Kobell, der Sohn Ferdinands, in Mannheim geboren. Hier hatte er Die Grundlage zu feinem jpäter gefeierten Kunftichaffen erhalten und jchon Hervorragendes, bejonders als Nupferjtecher, mit einer Reihe von Nquatintablättern nach niederländischen Meifterwerfen der Mannheimer Galerie geletjtet. So ift aud) er, der einft berühmte und viel ausgezeichnete Maler bayeriicher Gejchichte,

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der von König Ludwig I. in den erblichen Adeljtand erhoben wurde, aus Mannheim und feiner fünftleriihen Sphäre hervor» gegangen. Wilhelm von Kobell jtarb im hohen Alter von 89 Jahren 1855 zu München, wo heute noch Verwandte von ihm durch Hohe Stellen im Staatsdienjt ausgezeichnet wurden.

Mit Wilhelm Kobell wuchs auch der bald zu großem Auf gelangende Thiermaler Karl Kung heran. Karl Kung iſt 1770 zu Mannheim geboren. Mannheim war ebenfall® die Wiege feiner Kunft. Hier ſchuf er jchon, wie Wilhelm Kobell, meijter- hafte Aquatintablätter nach alten miederländiichen Gemälden und einige farbig gedrudte Anfichten des Schweßinger Gartens. Eine große Sammlung jeiner Werke, wie derjenigen feines Sohnes Rudolf Kung (1797 in Mannheim geboren, 1830 zum Badiſchen Hofmaler ernannt, 1848 zu Karlsruhe geitorben, be- fannt als guter Thier-, bejonders Pferdemaler), befindet ſich im Großh. Schloſſe zu Mannheim.

Karl Kung, der 1830 als Badiſcher Hofmaler und Direktor des Mufeums zu Karlsruhe ftarb, kann als ein Bes gründer der neueren deutjchen, auf ftrengjtem Naturjtudium be= ruhenden Thiermalerei angejehen werden. Bilder von ihm bes figen noch die Galerien zu Karlsruhe, München, Wien, Paris, St. Petersburg. In der Mannheimer Sammlung feiner Werke ift au) eine gute Anficht der Stadt Mannheim (Delgemälde).

Half bejonders Ferdinand Kobell eine neue moderne Auf: fafjung der unmittelbaren landihaftlihen Natur dem deutjchen Kupferftich bringen, jo brach ein anderer Mannheimer Künjtler auf dem Gebiete de3 Portraits der deutjchen vervielfältigenden Kunft ganz neue Bahnen.

Heinrich Sintzenich das iſt der Name diejes Künſtlers hatte nach furzem Beſuch der Mannheimer Zeichnungsatademie fich zu jeiner weiteren Ausbildung durch die Protektion und Unterjtügung Karl Theodors nad) England wenden fünnen, wo der Kupferjtich unter Francesco Bartolozzi ganz neue Rich— tungen einjchlug.

Erfüllt von der Schule diejes Meijters, jendete Sintzenich ihon von London aus einige Blätter in feine Vaterjtabt, die

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hier und bald auch in weiteren Kreiien Aufiehen und durch die Neuheit ihrer Behandlung erſt Widerſpruch, dann fchliehlich Bewunderung erregten.

Es handelte ſich um nichts weniger, als dem deutjchen Kupferjtich, der fih in ftarrer Linienmanier bewegte, malerijch technische und farbige Elemente zuzuführen.

Bon der Beziehung der Architektur, die damals die ganze Zeit ſich unterwarf und auch den Kupferjtich in architektonisch gezeichnete Umrahmungen preßte, jollte der Kupferjtich über- haupt befreit werden. Die Blätter Sintzenichs geben die Bor- trait3 ohne ornamentale Rahmenzeichnung. WIS letter Anklang an die Architektur behielt Sintzenich mit jeinen Portraits an— fänglich noch die Medaillonform bei, allein bald ließ er auch von dieſer und gewann damit jeinen Bortraits die volle Frei— heit der Ericheinung.

Die neue, auf feine maleriihe Wirkungen ausgehende Technif, die Singenih von England aus nad) Deutjchland übertrug, war die jogenannte Punktirmanier. Mit diejer Manier erreichte der Kupferjtich eine Feinheit der Töne, die " bejonders im weiblichen Bortrait eine noch heute unübertroffene Wiedergabe der Bartheit der Hautfarbe ermöglichte.

Die mittelfte der drei diefem Buche als Beilage einges fügten Reproductionen Sinkenih’iher Stiche („Zemire“ nad) Eipriani) giebt ein jolches in Bunftirmanier ausgeführtes Bildniß wieder.

Für das männliche Bildnis, das im diefer Manier leicht zu weich ericheint, wählte Singenich jpäter oft auch eine andere jtarf wirkende Manier: die Schabmanier. Damit jhuf er, als der Ruhm des Künftlers weiter gedrungen war und er auch nad Berlin berufen wurde, bortjelbjt eine große Anzahl außer- ordentlich wirfungsvoller Portraits von Mitgliedern des fürſt— fichen Haujes, von Miniftern, Generälen, Hofleuten u. ſ. w.

Dieje Portraitsgalerie dürfte für die Menzel’ichen Dar: jtellungen aus der Hohenzollerngeichichte eine gute Grundlage gewejen jein.

Ein Blatt Singenich’s, das Portrait des Königs Friedrich

Deier, Geihichte ber Etabt Mannheim. 16

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Wilhelm IL. (nah einem Gemälde von Schröder) wurde auch bei dem am 18. Januar 1901 gefcierten Gedenkfeſte bes 200 jährigen Beſtehens des preußiichen Königthums wieder be= fannt und von illuftrirten Zeitichriften mehrfach wiedergegeben.

Wie diejes Portrait zeigt, daß Sintzenich auch das männ— liche Bildnig wenn auch nicht jo fräftig, jo doch meijterhaft in PBunftirmanier zu behandeln wußte, jo beweift ein Bild der „Magdalena“ nad) Carlo Dolci (fiehe die Beilage) zu welchem Schmelz des Tones diejer Künftler auch den weiblichen Kopf dur die Schabmanier zu bringen verjtand.

Mehrere der Singenich’ichen Portraits (darunter Bild: nifje der Berliner Zeit) find auch in Aquatinta-, Crayon: und gemihchter Manier gearbeitet. AM’ dieje Techniken find direft zur Erreichung maleriſcher Wirkungen herangezogen, mit denen Sintzenich den deutjchen Kupferſtich zu beleben juchte. Diejes Streben nad Farbigkeit veranlafte Singenih auch dazu, mit einer Reihe farbiger Stiche hervorzutreten.

Damit brach diejer Künftler dem Buntdrud in Deutjch- land die Bahn. Die feinen Blätter diefer den Buntdrud mit ber Punftirmanier verbindenden Art (u. U. 3 B. „Emilia“ nah Angelifa Kauffmann, „Phyllis“ nach Carlo Dolct) jind jeltene, gejchmadvolle Arbeiten der damals neuen vervielfältigen- den Kunſt diejes Meiſters.

Waren alle dieje Blätter Sintzenich's mit einem eigenen Geifte erfüllte Neproduftionen nach Gemälden anderer Künſtler, jo wagte er mit einem auch von ihm jelbit entworfenen Blatt, dem merkwürdigen Bildnig des damaligen Oberbibliothefars der Berliner Hofbibliothet, Johann Erich Bieiter, einen jo fühnen Realismus, daß dieje Arbeit wohl zu den interefjantejten Stichen des vorigen Jahrhunderts gehören dürfte und Heute noch ungejchwächt wirkt. Das Bild, das in der Verwegenheit realiftiicher Auffaſſung faſt die Starrifatur jtreift, doch durch die außerordentliche Energie des fünjtleriichen Ausdruds feſſelt, it bier auf der Beilage von Reproduftionen Sintzenich'ſcher Stiche wiedergegeben.

Heinrich Sintenich kann als das Haupt der Mannheimer

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Kupferftecherichule betrachtet werden. Sein Ruf drang bald durch die geſammte deutjche Kunjtwelt und jeine jtarfe Beein— fluſſung des deutſchen Kupferſtichs und der vervielfältigenden Künjte überhaupt geht aus den Thatjachen hervor.

Nachdem Sinkenih 1778 vom Kurfürften Karl Theodor zum furpfälziich bayerischen Hoffupferjtecher mit einem Gehalt von jährlich 200 fl. ernannt worden war, wurde er 1790 von der Kol. Preuß. Hoffupferftihoifizin Markt Pascal’3 nad Berlin berufen, um dort einen Aufſchwung der Kupferſtechkunſt bewirken zu helfen.

Wenn auch der finanzielle Erfolg der Thätigkeit Sintzenichs zu wünſchen übrig ließ der Sünjtler hatte lange mit jhweren Xebensjorgen zu fümpfen —, jo wurde ihm doch reich- lich Ehre und Anerkennung zu theil und im Jahre 1792 er- nannte ihn die Kgl. Akademie der bildenden Künſte zu Berlin zu ihrem ordentlichen Mitgliede.

Für St. Petersburg arbeitete er ein großes Crayonblatt der Kniſerin Katharina II. und für Dresden ftach er ein Bild» niß des Hoffupferitechers Adrian Zingg nach einer Zeichnung des dortigen Afademiedireftors H. Seydelmann.

Emm Bruder Heinrih Sintzenichs, Peter Sintzenich, gründete 1785 in London eine eigene Druderei und radirte jelbjt, nach— dem er in Dresden jtudirt hatte, vortreifliche Landichaften nach Berghem, Huysmann u. A.

Auch von einem Sohne Heinrich Sintzenichs, Friedrich Heinrich Sintzenich, ſind noch einige Stiche, z. B. „Der Mord der Geſandtſchaft zu Raſtatt“, „Der zerbrochene Krug“, bekannt und eine Tochter des Meiſters, Eliſabeth Sintzenich, widmete ſich der Malerei. Dieſe Malerin erhält laut kurfürſtlichem Spezialbefehls vom 25. Auguſt 1798 eine Penſion von 50 fl.

Als die Reaction gegen die Kunſtzeit Karl Theodors mit Beginn des 19. Jahrhunderts immer ftärfer eintrat, drohte man auch den „Eurpfalzbayriichen Hoffünftlern”, die auswärts weilten, ihre Penſion zu entziehen, wenn ſie nicht ſchleunigſt wieder an die Stätte des Hofes zurüdfehren würden.

Singenich, der jeine Beziehungen zum kurfürſtlich pfälzijchen

16*

244 Malerei und Kupferitich.

und bayriichen Hofe (er führte aud in Berlin den Titel „KRurpfälziich Bayrischer Hofkupferſtecher“) nicht aufgeben wollte, jah fich dadurch genöthigt, jeine ehrenvolle, doc) nur wenig ein- bringende Thätigfeit in Berlin abzubrehen und nad München überzufiedeln, wo die Ungunjt der Zeit ihm jedes ergiebige Feld für feine Kunſt nahm. Er jtarb dajelbit 1812, nur noch wenig geſchätzt fern von jeiner Baterftadt Mannheim, der er mit feiner Kunſt weithin Ehre gemacht hat.

Heute, wo die vervielfältigenden Künfte einen neuen Auf— ihwung nehmen, wird man ſich auch dieſes Bahnbrechers deutscher Kunst wieder erinnern und den jchon 1780 in ben „Rheinischen Beiträgen zur Gelehrjamfeit” über Sintzenich ge- jagten Worten wieder beipflichten: „Was Hat jo manche große deutiche Künstler aus ihrem Vaterlande vertrieben, die nun der Stolz von London und Paris find als Mangel an Abſatz ihrer Kunstwerke. Wir Deutjche, die vaterländijche Merfe mit Verachtung oder mit Gleichgiltigfeit anjehen; in alles Ausländische mit Raſerei verliebt jind, jollten doch einmal dieje und zur Schande gereichende Neigung verabjcheuen, und mit mehrerem vaterländiichem Stolze den Werth unferer eigenen verehrungsmwürdigen Werke jchägen lernen. Hier, edeldenkender Pfälzer, haft du Gelegenheit, deiner vaterländiichen Hauptjtadt, die jo herrlich gelegen iſt, Künftler vom erjten Range in fich wohnen zu haben, einen wahren Dienſt zu erzeigen......

Der Lehrer Singenich in Mannheim war der 1742 zu Ettal in Bayern geborene und 1765 von Karl Theodor nad Mannheim berufene Kupferitecher Egidius Verhelft, ein Künftler der älteren Schule. Bon ihm ftammen zahlreiche Portraits von hervorragenden Berjönlichfeiten jener Zeit, nach Bildniſſen meist mit dem Grabitichel gejtochen, cbenjo Bignetten zu Büchern und auch die 16 Radirungen zu der zweibändigen Publikation des damals in Mannheim wirfenden geiftreichen Schriftitellers Desbillon® „Fabulae Aesopiae" (Mannheim 1780), von welchen Blättern bier (Seite 245) ein bejonders (ebensvolles, für die Zeit characteriftiiches Städtebild wieder- gegeben iſt. Egidius Verhelſt radirte auch einige größere

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Nadirung von Egidius Derhelft zu Desbilons „Fabulac Aesopine“.

246 Malerei und Kupferſtich.

Blätter, allegoriiche Fürltenhuldigungen nach Zeichnungen von Langenhöffel (1790 und 1792). Auch er mußte nach München überitedeln (etwa um 1802), wo er fich nur noch wenig be= thätigen fonnte und nahezu erblindet 1818 im Alter von 76 Jahren ftarb.

Eine Reihe anderer Kupferjtecher der Mannheimer Schule verfolgte meist die Bahnen Sintenichs, Schlichts und Kobells weiter und entfaltete von Mannheim aus eine lebharte Thätig— feit, jo Anton Karcher, ein Schüler Sintzenichs, mit jeinen punftirten Portraits und allegoriichen Blättern, Karl Matthias Ernjt (1758 in Mannheim geboren), deſſen Lebensgeichichte das „Muſeum“ 1789 veröffentlichte, jo A. Biſſel, der Schöpfer des Seite 250 hier reproducirten Stihes nach dem heute noch in der Mannheimer Galerie befindlichen Rubenskopf, 3. Rieger mit hiſtoriſch werthvollen Anfichten der Stadt Mannheim, Franzisfa Schöpfer, eine Tochter Mannheims (geb. 1770), die ipätere namhafte Miniaturmalerin, Koch, Calmé, Kruit, Regula, Geticher, Berger, Wißger, Küffner, Bernhard und Wilhelm Siegrijt, ſowie mehrere Maler, die gelegentlich auch einmal zur Radirnadel griffen u. A. m.

Nur ganz vorübergehend wirkten in und für Mannheim oder auf dem Gebiete des Kupferſtichs u. A. R. de la Rocque von Darmftadt, die Gebrüder Klauber, I. E. Nilſon und 3. N. Störklin von Augsburg und der Engländer Balentin Green.*)

Die Kupferitechfunft war jo recht geeignet, zur eigentlichen Volkskunſt zu werden. Als vervielfältigende Kunſt ſtreute fie ihre Arbeiten in alle Bürgerhäufer aus, nahm jie der Kunit jeden erclujiven, höfiichen Character. Sie befruchtete auch das

*) Mon zeitweilig bier wirkenden Malern feien auch noch Johann Georg Zieſenis aus Copenhagen (1716— 1777), der vom sturfilriten von stöln dem Sturfüriten Garl Philipp empfohlene Dialer Johann Schenf, und der Italiener Bernardini erwähnt, Der Hiſtorienmaler Schaitian Stafien ans Gent ftudirte in Mannheim, gewann 1770 bier den zweiten Preis der Akademie und wurde jpäter Director der Mannheimer Galerie.

Malerei und Kupferſtich. 247

Kunftgewerbe, Buchausftattungen und Drudarbeiten und drang jo in weite Bereiche, Leben und Verkehr verichönend, ein,

Der KHupferftih und die Malerei zu Mannheim follten aber zu einer Perjönlichkeit in ein inniges Verhältniß fommen, die, in Mannheim gleichfalls auf diejem Gebiete thätig, noch über diejes hinaus griff und fich auch das Neich der Poeſie erichloß, hier ein wichtiges Band zwiichen den bildenden Künjten und der Dichtkunſt knüpfend.

Dieſe Perjönlichkeit ift der Maler Friedrich Müller, ge— nannt Maler Müller.

„Wenn ich nichts von meiner Reife nad) Mannheim hätte, als die Bekanntſchaft dieſes herrlichen Kerls, jo wäre ich taujend- fach bezahlt!" Mit diejen Worten ichilderte Wieland in einem an Frau Rath Goethe gerichteten Brief vom 12. Januar 1778 den großen Eindrud, den er von der Perſönlichkeit Friedrich Müllers in Mannheim empfangen Hatte.

Wieland konnte bei jeiner ganz anders gearteten Littera= turrichtung jelbftverjtändlich fein dauerndes inneres Verhältniß zu Müller gewinnen, umjo höher aber find jene Worte anzu— ichlagen, die beweilen, wie erfriichend die gejunde, Fraftvolle deutiche Natur Miller gerade auf einen fich mehr im Fahr— waſſer eines raffinirten Gejichmads bewegenden Dichter wirkte.

VBerjuchten dann die Romantifer unter Führung Ludwig Tieds auf Müller hinzumweiien und ging aus ihrem Kreiſe eine Ausgabe jeiner Werke (erichienen 1811 bei Mohr und Zimmer in Heidelberg) hervor, jo Eonnte damals doc, noch feine volle Würdigung eintreten, da man ihn mehr für einen Vertreter des Mittelalters halten wollte, als für einen nach vorwärts gewandten Kämpen für realiftiiche Poeſie.

Hermann Hettner ließ es ſich in neuerer Zeit zuerft wieder angelegen jein, auf die ganz hervorragende Bedeutung der Dihtungen Müllers aufmerffam zu machen. Und während es fich in der tiefer und weiter forjchenden deutichen Gelehrten: welt immer lebhafter für Müller regte, hatte die moderne deutjche Litteratur und Kunſt jelbjt Wege eingeichlagen, die mit Müllers Bahnen in vieler Beziehung in Verbindung jtehen.

248 Malerei und Kupferſtich.

Damit war denn auch ein ganz neues Interejje für das dichteriiche und fünjtleriiche Schaffen Müllers erwedt und immer mehr reift das PVerjtändnig für jeine Schöpfungen.

Friedrich Müller ift ein Sohn der Pfalz, jeine beiten Werke wurzeln in einem fernigen, naturechten, allen Modebe- jtrebungen abholden Pfälzerthun.

In jeinen pfälzer Idyllen „die Schafihur“ und „das Nußkernen“ nimmt er die ausgeiprochendite Stellung ein gegen alles Erfünftelte und Gemachte in Litteratur und Leben. Hier wagt er e3, ganz die Sprache des pfälzer Volfes zu ſprechen, um zu beweiſen, welch’ reiche Schäße des Gemüthes und des Herzens fich da in jchlichtem Worte fundgeben.

Mit diejen Dichtungen wurde Müller zu einem erjten Be— gründer des modernen Dialectjtüdes.

Starf mit pfälzer Dialect vermijcht hat Müller auch den Dialog jeines Dramas „Solo und Genoveva“, von dem Hettner jagt: „Unzweifelhaft ijt neben Goethes „Götz“ und Schillers „Räuber“ dieſe „Genoveva“ das bedeutendite Werk der Sturm- und Drangperiode: die überrajchendjte Lebensfülle der ver- ichtedenften und eigenartigjten Charactere, die markigſten Zeich- nungen der jchredensvolliten Abgründe menschlicher Leidenſchaften und zugleich der holdejten Unjchuld und Lieblichkeit, und über dem Ganzen der Duft und Zauber einer Iyriichen Innerlichkeit, die nur das Vorrecht eines echten Dichtergemüthes it.“

In Maler Müllers Dichtungen werden Töne und Laute angeichlagen, die durch ihre Wahrheit und Gefühlswärme im Innerjten ergreifen. Müller jchöpft immer aus voller, tiefer Empfindung und jo reißt uns jeine Sprache meiſt wie durch) elementare Macht mit fort. Nicht zum wenigiten läßt fich dies auch von jeinen Hymnen auf „das Heidelberger Schloß" und auf feinen Geburtsort Kreuznad) jagen, von denen Die eine heiligen Schmerz um zeritörte Pracht zu großem Ausdrud bringt, während die andere die Mutterliebe wie die Sonne der Heimath mit begeifterten Worten feiert.

Biel von der Weinjeeligkeit eines Landes edler Neben haben die von echteftem Humor getragenen Jdyllen „der Zaun“

Malerei und Kupferſtich. 249

und „Bachidon und Milon“ an jih. Die föjtlichen Figuren diejer Dichtungen erinnern in Manchem ſchon an die originellen Faunsgeſtalten Bödlins.

Am weiteiten aber wirkten die herrlichen Lieder, die Miller jeiner pfälzischen Heimath gegeben, die aber längit zum Beſitze de3 ganzen deutjchen Volkes geworden find. Das „braune Fräulein“ und der „Soldatenabjchied („Heute jcheid’ ich, heute wandr’ ich) werden gejungen, joweit die deutiche Zunge Flingt.

Kein Wunder, dad ein Dichter und Künſtler, der jo leb- haften Antheil an der Entwidelung der deutjchen Dichtung nahm, mit aller Leidenjchaft die Gründung eines deutjchen Nattonaltheaters zu fördern juchte, als dieje in Mannheim ge: plant wurde.

In Mannheim weilte damals der Künſtler, hier fand er die Gunſt und den Schuß Karl Theodors und jeine Anftellung als Hojmaler, die ihn jpäter die Freundſchaft des Kronprinzen Ludwig von Bayern vermittelte.

Da Müller von hier aus nad) Nom iüberjiedelte und dort bis zu jeinem Tode verblieb, it Mannheim die einzige Stadt, in der Müller in Deutichland wirkte.

Berragt um jeinen Rath bezüglich der Gründung jenes Theaters, von dem eine neue Epoche der dramatiichen Kunſt in Deutjchland ausgehen jollte, widmete er dem geplanten großen Werfe u. A. folgende begeijterte Worte, die jo recht be— weijen, wie jene Schöpfung ganz aus der großen Kunſtſphäre der damaligen Zeit hervorging:

„Ohnmöglich fann ich die Freude und all das jühe patrio» tiiche Gefühl bergen, das durch die reizendite Ausfiht in Er: richtung einer deutichen Nationalbühne, in der Pfalz mein ganzes Herz erwärmt wie lange Hagt Deutſchland jchon, wenigjtens der patriotijche Theil davon, über den Mangel einer Nattonalbühne, unwillig auf das Brahlen des Engländers, des Franzoſen, die mit emporgerichtetem, ſich jelbjtfühlendem Stolze jagen: wir haben eine eigene Bühne; wo habt ihr die? Und Deutſchland fonnte nicht immer jchlafen, es erwachte, that die Augen über jeinen Mangel auf wie viele edle Teutiche

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Malerei und Aupferitic). 251

bejtrebten jich seither, dieje Lüde auszufüllen, unjere Bühne, die durch Verachtung und Vernachläſſigung unter fich jelbit ge» junfen, wieder aufzurichten, und ſie zu derjenigen Höhe zu führen worauf die Bühnen der Ausländer jchimmern ver: gebens bisher, denn von Fremdlingen an deutichen Höfen ver- trieben irrte die Schaujpiel-Muje wie eine veritoßene unter ihren eigenen Brüdern herum, und nicht lange iſt's, dab fie auf ihrer traurigen Wanderjchaft noch nicht einen Ort wußte, wo fie jicher ihr Haupt Hinlegen konnte. Um jo viel entzüden- der, hinreigender der Gedanfe dab die Pfalz diejenige ift, die den übrigen Provinzen Deutjchlands in einem jo herrlichen Unternehmen vorangehen will, In einem Staate, wo .. . ſich alles in einem einzigen Punkte vereinigt, eine Epoche zu bilden, die ewig dem pfälziichen Ruhme heilig fein fol. Was Wunder, dat von edlem Unmuth entflammt der Gedanke auf: lodert, auch in der Schauſpielkunſt dasjenige zu leilten, was wir bereits in andren edlen Wiljenichaften gethan Deutjch- land eine National-Bühne zu bilden uns und unjren Nach: fommen zu Bauen ein ewig Denkmal, Edles Geichäft, wovon dreimal die Ehre zufällt auf den gütigiten Fürſten, unter deſſen Huld ein jo patriotiiches Werk beganır, glorreich alle die Edlen, die mitarbeiten. Einſt, wenn Deutichland ihnen ent» züdten Dank abjtatten wird, wird ihr Anjehen grünen, wenn fünftig der Enkel ihren Namen nennt, jagen wird Die waren’s, die’3 unternahmen die waren’s, die's ausgeführt.“

Als Maler war Müller einer der erjten Künjtler, die in einer Zeit des glatten und „geleckten“ Malens oder bloßen Zeichnens Fräftigen, paitojen Farbenauftrag wagten, um ihre Bilder möglichit wahr und lebendig zu gejtalten, damit jedoc) nicht geringen Aerger während der Herrichaft des damaligen Zeitgeichmads erregten.

Eine ehrenvolle Ausnahme machte in diejer Beziehung das „Kunſtblatt“ vom Jahre 1824 durch Veröffentlichung eines weite Verjpectiven eröffnenden Artikels über den hoch anzu— ichlagenden Werth der fünjtlerijchen Arbeiten Müllers.

Zu Lebzeiten Müllers war es bejonders auch der Dichter

252 Malerei und Kupferſtich.

Heinſe, der mit Eifer für die Gemälde des Künſtlers eintrat und 3. B. im Jahre 1781 an Jacobi jchrieb: „Miller Hat erit fürzlich ein großes Gemälde ausgeftellt, den Leichnam Moſis, um den fich der Teufel und der Erzengel Michael zanfen, der Zeufel muß aber davon weg. Der Engel hat das flammende Schwert in der Linfen und deutet nach dem Satanas mit der Rechten, abzuziehen; der auch im Begriff it zu weichen. Es ijt viel malerijche Idee, Feuer, Fleiß und Studium darin.“ Auch Förfter rühmte ein Gemälde Müllers, einen „Salon“, und jagte, der Künjtler habe ſich „durch Kraft der Färbung, Ausdruf und Stil in der Zeichnung ausgezeichnet, wie man es damals nicht zu jehen gewohnt war.“

Bon den größeren Gemälden Müllers erregten bejonders nod) ein 1818 vollendetes, paſtos behandeltes Wert „Odyſſeus in der Unterwelt” und ein jatirijches Bild „die Hölle“ Auf: jehen und den Zorn der Widerfacher, die dem Künftler den Spottnamen „Zeufelsmüller* anhingen.

Bernhard Seuffert, deſſen umfangreiches Buch über Maler Müller viel Material enthält, wenn es auch ein wenig günftiges Endreiulat zieht, äußert ſich einmal jehr treffend über Maler Müllers künſtleriſche Position mit folgenden Worten: „Wie er in feinem Berichte zum Nationaltheater die Nahahmung der Natur betonte gegenüber der Manier, jo zog ihn jein Gefühl von erjter Jugend an immer zum Natürlichen aud) in der Malerei. Su dem jchönen Gedichte Natur beipricht Müller das Ver: hältniß des Künstlers zu diejer Göttin:

63 reiht Natur, o Künitler, willig Dir,

AU ihren Zauber, ihre jeltne Zier,

Gleich Waffen dar, fie jelber zu bejiegen.

Du ringft mit ihr; mit wonnevollen Zügen Haucht fie im Kampf dir Muth und zahlt dafür In deinem Jubel ſich mit doppeltem Vergnügen.

So räth Miller auch Garjtens, vor allem die Natur zu beobachten; denn auf der Natur nur blühe das deal, aljo fünne in der Borjtellung nichts groß und jchön jein, wenn es nicht wahr und richtig jei. Legt Müller hier das Berhältnif zwiichen Natur und Phantaſie Far, jo fügt er an andern

Malerei und Kupferitich. 253

Stellen noch einen dritten Faktor als nothwendig zur Kumft bei: Die Beobahtung der Mujter. Die Kenntniß des praf- tiihen Theiles der Kunſt müſſe in den beften Muftern gejucht und der Natur abgelaufcht werden; ja ohne dieje bleibe die ihönjte Idee ein leerer Traum. Am beiten jpricht ein Jugend» gedicht Müllers dieſe nothwendige Vereinigung aus; Müller ichreibt einem reijenden Maler in’3 Stammbuch:

Nimm Dreierlei zum Frommen an:

Hab wahrer Künstler Eigenfinn

Zu malen nur nad deinem Sinn;

Wie Gott dir Aug’ und Herz geitellt, Darnach betrachte deine Welt

Nimm Rath und qute Meimung an; Doch Schau, wer Rath dir geben kann ... Vor allem traue der Natur;

Rift Künſtler nur auf ihrer Spur:

Denn ohne fie was iit die Kunſt?

Ein Kinderſpiel nur Müh und Dunit.

In diejer Dreiheit juchte Müller jich zu bilden und nach ihrer Eingebung, ihrem Borbild zu arbeiten. In der Pfälzer Zeit waren ihm Dürer, dem auch der junge Goethe verehrte, Rubens, Leonardo da Vinci und Michelangelo die Ideale. Gegen das Ende des Aufenthaltes in Deutjchland arbeitete er unermiüdet in dem Mannheimer vortrefflihen Antifenjaal, um die Meifteritücde des alten Griechenlands und Roms innigjt zu Studieren. Später in Nom trat Michelangelo weit vor Raphael und die Antike hervor . . . . Auffallend mag es bei diejer rid)- tigen Einficht Müllers jcheinen, daß er Michelangelo, der nicht den Weg zur einfachen Natur zeigte, folgte. Denn Müller und die Stürmer und Dränger wollten doch Natur; aber ihre Natur jollte groß und gewaltig jein, und groß und gewaltig war Michelangelo, nicht Raphael, nicht die Antife in dieſem Sinne. So iſt e3 ein wichtiger Punkt in der Kumftgeichichte, daß um das Jahr 1750, alfo zur gleichen Zeit ungefähr, in welcher die deutiche Litteratur gewaltiam ſich Bahn zu brechen begamı, im Gegenjabe zu Mengs, welcher in der Antike und auf Raphael fußte, Michelangelo vorgezogen wurde Was Die

254 Malerei und Kupferitich.

Dichter zu Shafeipeare hinführte, z0g die Künſtler zu Michel- angelo hin: das Große, Urgemaltige.“

Als eine merkwürdige Frucht des Studiums im Antiken- faal zu Mannheim mu bier auch ein Ddichteriiches Werk Müllers erwähnt werden: das 1778 in Mannheim herausge- gebene Drama „Niobe*, dem Freiherrn Heribert von Dalberg gewidmet. Mit diefem Stüd verjuchte Müller in ganz eigen- artiger Weije die Lyrik in den Dienjt des Dramas zu ftellen, ähnlich wie es 3. B. heute Richard Dehmel unternimmt, die Lyrik höheren Zweden zu gewinnen und für den Noman ein» zujegen. Auch die Titelzeichnung zu diejem „Iyriichen Drama“ das zu gleicher Zeit mit einem dem Freiherrn von Gemmingen zugeeigneten phantaſie- und fraftvollen Fauftfragment erſchien, läßt entjchieden einen großen, intereilanten Zug hervortreten.

Bu gleicher Zeit mit dieſen und anderen Titelvignetten zu jeinen Werfen radirte Miller eine Anzahl urwüchlig Fräftiger Thieritüde, die manchem Suchenden und Taſtenden jeines übrigen Schaffens gegenüber jeine Kunſt in unverfennbarer Vollendung zeigen.

Müller war nad) der Kunſtſtadt Karl Theodors von Bweibrüden aus gekommen, wo er von Ehriftian Mannlich, dem Director der Akademie in Zweibrüden, unterrichtet worden war. Er iſt als Sohn eines Schenfwirths am 13. Januar 1749 in Streuznach geboren. In Mannheim gewann er bald zahlreiche Freunde und Gönner, und von hier aus unterhielt er freundichaftliche Beziehungen zu hervorragendjten Perjönlich- keiten der deutjchen Kitteratur, jo vor allem zu Goethe, Leſſing, Schubart, Heinje. Sein Verhältnig zu Goethe konnte fein Ddauerndes jein, da Goethe immer mehr die Schule des Naphael Mengs vertrat, gegen die jich die realistische Kunft Müllers richtete,

Bald erwarb fih Müller auch die Gunst des Kurfürſten Karl Theodor, der ihm eine Benfion ausjegte und ihm 1778 die Mittel zu einer Neije nah) Rom gewährte.

Aus Italien jollte Miller nicht mehr zurüdfehren; in

Malerei und Kupferſtich. 255

Rom jtarb er nah 37jährigem Aufenthalt dajelbjt im Alter von 76 Jahren am 23. April 1825.

Seine Grabftätte befindet fich in der Kirche St. Andrea delle Fratte neben den Grüften Angelifa Kauffmanns und Schadows. Eine Gedenktafel, die der funjtjinnige König Lud— wig I. in diejer Kirche nach mancherlei Schwierigfeiten an- bringen ließ, ehrt noch heute den hervorragenden Sohn der Pfalz, dejien Werke eine erjte Verkündigung derjenigen Kunſt war, die wir heute in aller Fülle bejigen.

Das Wirken eines Künftlers und Dichters in Mannheim, der ein wichtiges Element der Sturm= und Drangperiode bildete, der durch jein fühnes, freies Schaffen hier hauptjächlich die Schillerzeit vorbereitete und dejjen Werfe der Kunſt und Lit- teratur bis zu unjeren Tagen vorauseilte, ijt jedenfalls ein werthvoller Beweis für die Freiheit künſtleriſcher Bethätigung zur Zeit Karl Theodors.

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XVII.

Peter von Derfjchaffelt und die Bildhauerei.

Veitrebungen der Bildhauerei in Mannheim Gewinn der Selbitändigfeit

negenüber der Architektur Grupellos Denkmal auf dem Paradeplag

Reter und Johann Mathäus van den Branden Paul Egell Stonrad

Lin? Peter von Berjchaffelt Sein Leben Seine Bildhauerwerke

Sein Wirfen als Director der furfüritlihen Zeichnungsafademie

Seine Bauwerke in Mannheim: das Zeughaus, das Bregenheim’sche Haus Peter Lamine,

I. nicht weniger reicher Entfaltung, wie die Malerei, gelangte auch die Bildhauerei des 18. Jahrhunderts in Mann» heim, wenn jie auch nicht jo energiich vorwärts drängte und oft mehr einen bejchränfenden, rücdwärtsjchreitenden Character annahm.

Die ihr Füllhorn von Lebendigkeit auch über die Bild- hauerei ausſchüttende Zeit des Barock und Rokoko ließ dieje Kunſt troß ihrer reactionären Anwandlungen nicht erjtarren, jondern war auch jelbjt in anders beabjichtigten Arbeiten nicht zu verleugnen,

Sp entitand denn in Mannheim eine große Zahl guter, beachtenswerther und für die Zeit characterijtiiher Bildhauer- werfe, die theils in Mannheim Aufitellung fanden, theils in dem furfüritlichen Garten zu Schwegingen noch zu jehen jind.

Bejonders bemerfenswerth it, da die Bildhauerei hier volle Selbftändigkeit gegenüber der Architektur gewann. Dies geht

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Beter von Verihaffelt und die Bildhauerei. 257

bejonders aus der häufig unternommenen naturaliftiichen Ge— ftaltung des Sodels hervor. Wie dies heute wieder nicht jelten verjucht wird, jo bejtrebte man fich damals ſchon, die Geftalten mit Sodel Tandichaftliher Art zu verbinden, was wir um bier gleich ein Beiipiel anzuführen bei der auf einem Teljen figenden Bangeftalt im Schweßinger Garten in jo naturvoller Weije jehen.

Wie die Malerei zur Regierungszeit Karl Philipps durch die Werke hervorragender Künftler in Mannheim gleich in eine höhere Sphäre gehoben wurde, jo jorgte diejer Kurfürft auch dafür, dab die Bildhauerei hier in hervorragender Weije ein- jegte. Kurz vor jeinem Tode ließ der Kurfürjt noch ein Haupt- werf der unter jeinem Bruder Johann Wilhelm in Düffeldorf erjtandenen Kunftzeit nah Mannheim verbringen: das jchon oben erwähnte Brunnendenfmal Grupellos.

Diejes heute noch die Zierde des Paradeplabes bildende Denkmal kann den bedeutenditen Werfen jener ganzen Zeit zu— gerechnet werden. Seine Werthichägung fteigert ſich immer mehr, je jorgfältiger da8 Denkmal auf die wunderbare Aus- führung jeiner einzelnen Gejtalten geprüft wird. Die merk— wiürdigite Symbolif, verbunden mit äußerjter und zugleich auf’s Feinſte ausgeführter Lebendigkeit der Figuren, laſſen dieſes intereſſante Geſtaltenpotpourri als eines der characteriſtiſchſten Werke jener Stilrichtung erſcheinen. Es iſt höchſt wahrſchein— lich zunächſt als ein Denkmal auf den überſtandenen Orleans'ſchen Krieg gedacht, allein des Künſtlers freie Phantaſie iſt doch weit über dieſes beſchränkte Ziel hinausgeeilt, und ſo wurde dieſes Denkmal zu einer feinſinnigen Symbolik der Elementarkräfte, des Lebenskampfes menſchlicher Leidenſchaften, hohen Helden— thums, edelwaltender Charactereigenſchaften und ſchließlich des Sieges und der Entſchleierung der Wahrheit durch die Zeit.

Das Denkmal baut ſich in drei Ringen auf; der unterjte verjinnbildlicht jedenfalls das Neich der Naturgewalten und Naturerjcheinungen und verfürpert die Tugenden der Weisheit, der Mäßigkeit, der Gerechtigkeit, der Standhaftigkeit, während der zweite Ring Trophäen und Kriegsiymbole faßt. Der dritte

Defer, Gefchichte der Stadt Mannheim. 17

258 Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei.

Ring ſchildert das Gewirr menſchlicher Lebenskämpfe mit dem Siege der von der Zeit enthüllten Wahrheit.

Im untersten Ring fällt die Berförperung der Standhaftig- feit dur) die Gejtalt des Nömers Mucius Scaevola be— jonder3 auf.

Den jteinernen Sodel, der. feine architektoniſche Formen zeigt, hat Bibiena entworfen.

Der Schöpfer dieſes Denkmals, Gabriel Grupello, ift am 22, Mai 1644 zu Grammont geboren. Seinen erjten Unter- richt genoß er bei Artus Quellinus in Antwerpen; er vollendete jeine Ausbildung in Paris und Brüffel. Laut Patent vom 5. Mai 1695 wurde er von dem Kurfürften Johann Wilhelm nach Düffeldorf berufen. Diejer Fürſt war es, der die Lauf— bahn des hervorragenden Künjtlers ficherte. Nach dem Tode Sohann Wilhelms wurde Grupello vom Kaiſer Karl VI. zum faijerlihen Hofbildhauer ernannt (15. März 1719). Er jtarb am 20. Juni 1730 im Alter von 86 Jahren auf Schloß Ehrenjtein bei Aachen. Seine Gebeine ruhen im Chor der Kirche von Kerfraede.

Bon jeinen Werfen, die er außer dem hier befindlichen Paradeplatzdenkmal, jeinem Hauptwerk, geichaffen, wurde hier vorher jchon die Reiterjtatue Johann Wilhelms genannt. Im Schweginger Garten rührt die schöne Marmor-Gruppe „Salathen und Triton“ von der Hand diejes Künſtlers her, ferner be- finden ich Ddajelbjt von diejem Künstler die Marmorjtatuen „Minerva im Minervatempel*, „Merkur“, „Pallas Athene“, „Nemeſis“.

Die Meiſterwerke dieſes Künſtlers gaben gleich der Mann— heimer Bildhauerei eine Höhe, die ſpäter nicht wieder erreicht wurde. Eine feine und ſchöne Kunſt konnte ſich damit hier geltend machen, die jene Zeit noch lange in ehrenvollſter Weiſe repräſentiren wird. Die innerliche Echtheit und feine Grazie dieſer Kunſt konnten jeden äußerlichen decorativen Effekt ver— ſchmähen.

Ein ebenſo kraftvolles wie ſchönes Werk der Bildhauerei iſt die von Peter van den Branden und deſſen Sohne Johann

Peter von Verihaffelt und die Bildhauerei. 950

Matthäus gejchaffene Brunnengruppe auf dem Marktplatz zu Mannheim.

Die Gruppe war nad) dem Entwurf des alten van ben Branden zuerit als eine Symboliſirung des Elementes des Waſſers gedacht. Allein von dem Sohne wurde es mit Nüd- tcht auf den neugewählten Beltimmungsort zu einer Ber: förperung der Stadt Mannheim mit dem Nhein und Nedar umgewandelt. Ueber die Gejchichte diejes Denkmals jagen die vier Injchriften ar dem von Pigage graziös entworfenen Sodel das Nähere und fie lauten: Sübweitjeite: Karl Theodor, der glückliche Fürjt, machte jeinen lieben Bürgern damit ein Ge— ſchenk 1767. Nordweitjeite: Nun jubelt unter enerm Fürſten, dem e3 Freude macht, euch eures Glückes wegen mehr zu lieben als ſich ſelbſt. Nordoitjeite: Diejes Werk entitand in Heidelberg ; von da erhielt es jeine Verjegung nach Schweßingen, und endlich wurde es bier zur Zierde erhoben, durch Peter van den Branden aufgeführt, und durch Johann Matthäus, deſſen Sohne, vollendet. Südoſtſeite: Bon dem Stadtmagiftrat Jakob Friedrich Gobin, Stadtdirector, Johann Lambrecht Babo, Stadtichuftheiß, Johann Schoch und J. E. Stengel, Stadt- räthe freudig gelegt 1771.

Beter van den Branden war Schüler Grupellos und in furfürjtlihen Dienften zu Heidelberg thätig jedenfalls zur Zeit, als Karl Philipp nod) in Heidelberg rejidirte. In der Graim— berg’ichen Alterthümer- Sammlung des Heidelberger Schlofjes findet jich noch eine Reihe von Werfen diejes Meifters vor.

Sein Sohn Johann Matthäus van den Branden iſt 1716 zu Heidelberg geboren und wurde, nachdem er in Wien jeine fünjtleriiche Ausbildung beendet, 1740 von Karl Philipp nad) Mannheim berufen. Hier wußte er auch jpäter noch neben Berichaffelt jeinen Einflus auf die Kunjtverhältniife geltend zu machen. Eine Reihe der feinften Figuren an den Eden zahl: reicher Privathäujer ſtammt von jeiner Hand, ebenjo der er» wähnte bildneriiche Echmud des Theaters, ein Marmorrelief Karl Theodors vom Jahr 1779, die Inichrift der Grabplatte der Gräfin Heydeck, Mutter des Fürften Bretzenheim (tm

10°

260 Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei,

Schlofje zu Zwingenberg a. N.), ein Ehrijtusfopf (Mannheimer Altertdumsjammlung), die Urnen am Hirſchbaſſin und die Bajen mit den fich jchnäbelnden Tauben in Schwegingen und U. m. Der Tod des Künſtlers erfolgte im Jahre 1789 in Mannheim.

Wie Peter van den Branden war aud Paul Egell ein Schüler Grupellos. Seine Berufung nad Mannheim erhielt er von Karl Philipp, der den Künjtler jehr jchägte und ihm die Ausführung des jchon oben beiprochenen Relief3 an der Schloßfirdhe übertrug. Nußerdem ſtammt von ihm der bild- neriihe Schmud des Kaufhauſes und des einjtigen Nedar: thores, die Füllung des Giebelfeldes an der Sejuitenfirche. Auch er hat zu dem Häuſerſchmuck der Stadt durch Bildwerfe beigetragen, die den Character einer naiven, graziöjen, echten Kunjt ausjprechen.

Ein Künjtler der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts iſt der 1732 zu Speyer geborene Bildhauer Konrad Lind (Link), der jeine Studien in Wien und Berlin gemadt hat. Er fam um das Jahr 1754 nah Mannheim.

Seine Arbeiten haben nicht die Tiefe und Feinheit der Werke der eriten Zeit Mannheims unter Karl Philipp, allein fie haben doch etwas Kraftvolles, Wahres an fi, dag blopen decorativen Effeft zu vermeiden weiß. Von ihm wurden Die ihon genannten vier Sphingen vor dem Theater ausgeführt, ebenjo die wenigen ornamentalen Verzierungen des ſchon früher gebauten ehemaligen Rheinthores, ein Marmorrelief Karl Theodors (1772) und ein Gipsrelief der Gemahlin des Fürſten. Die auf der alten Heidelberger Brüde jtehenden Statuen Karl Theodors und der PBallas Athene find wohl die beiten Werke jeiner Hand. BZahlreiche Arbeiten des Künſtlers befinden ſich im Garten zu Schwetzingen. Auch Hat Lind mehrere ichöne, in Franfenthaler Porzellan ausgeführte Gruppen ent= worfen (Trauer über Karl Theodors Wegzug von Mannheim, die Elemente, Amor u. U. m). Lind jtarb im Jahre 1794 in Mannheim.

ALS Meifter ornamentaler Kunſt waren die Brüder Jojeph

Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei. 961

und Carl Lucas Pozzi befonders in Schwebingen thätig. Joſeph Pozzi hat mit den Studaturen der Eirfeliäle zu Schweßingen ein in jeiner Art umübertreffliches Werk der Innendecoration geſchaffen. Beide Künftler jtammen aus der italienijchen Schweiz (Caſtel San Pietro). Sie find in den dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts geboren und erhielten von ihrem Bater Franz Pozzi ihren Unterricht in der Kunſt der Stud: arbeiten. In Schweßingen waren fie wohl nur vorübergehend thätig, da fie zahlreiche andere Aufträge zu erfüllen Hatten.

Bon den Bildhauern der zweiten Hälfte des Jahrhunderts werden noch Ohnmacht und Kaiſer ehrenvoll genannt.

Längſt hat die moderne Kunjt jehr wejentliche Beziehungen zu der Kunſt jener Tage genommen. Der Lebendigfeit der Kunſt des Barod und Rokoko konnten auch fir die moderne Kunjt wichtige Elemente entnommen werden und die Prinzipien diefer Stile ließen überhaupt eine ganz freie Entwidelung zu. So jehen wir heute die freischaffende moderne Kunft in neuer inniger Beziehung zu dem Zeitalter diejer Stile.

Aber auch ſchon damals ging freieſtes Kunftichaffen uns mittelbar aus ber Herrichait des Barock und Rokoko hervor wie dies in dem vorhergehenden Kapitel zu ſchildern ver— jucht wurde.

Die Oppojition gegen das Barod und Rokoko bildete einzig und allein die Flaifiziftiiche Nachahmung, während die vorwärtsjchreitende Kunftentwidelung im modernen Sinne mit diejen Stilarten in Beziehung blieb verbunden durch die natnraliftiiche Grundlage des Schaffens.

Damals fiegte am Ende des Jahrhundert der Nach— ahmungsklaſſizismus in Mannheim durch die ſich machtvoll aufiptelende Perjönlichkeit Peter von Verſchaffelts vertreten. Bei diefer Nachahmung des Klaſſizismus wurde gar oft alles das, was der klaſſiſchen Richtung ihren umvergänglichen Werth verleiht, in jein Gegentheil verkehrt. Das Barod und Rokoko hatten es ſchon in ihrer Weife verjucht, den Reichtum der Natur in verjchwenderiicher Fülle darzujtellen, und man ließ die An— fnüpfung an diefe Kunft durch den damals ſchon auffommen-

2652 Beter von Verſchaffelt und die Bildhauerei

den Naturalismus unberüdjichtigt, jih in die Arme der Nach— ahmer des Klaſſizismus werfend.

Aber dieje jogenannten Nahahmer waren im Grunde gar feine Nahahmer im guten Sinne des Wortes. Sie waren nichts weniger als klaſſiſch gebildete, tief empfindende Künſtler. Sie hatten während ihres Aufenthalts in Jtalien mur den flaifiichen Werfen der Kunſt das Decorative, nur das äußer— lich Wirkende abgegudt, jih ort ſchon in Italien jelbit in Scene zu ſetzen veritanden, und als man jie dann nach Deutjch- land berief, da traten fie höchſt anjpruchsvoll auf und täufchten einem durch ihre Anmaßlichkeiten verblüfften Publitum ein Wie- dereritehen „Hajiticher Größe und natürlicher Einfachheit“ vor. Man verwechjelte decorative Leere mit natürlicher Einfachheit oder gar klaſſiſcher Größe.

Nicht ganz außerhalb jolher Betrachtungen jteht eine Perſön— lichfeit des Mannheimer Hunitlebens, die mit großer Rückſichts— (ofigkeit hier jchaltete und waltete und ein jtarfes Gegenelement gegen die Entfaltung freier Kunſt und junger Talente bildete.

Peter von Verſchaffelts Wirken in Mannheim war für die Stunftentwidelung der Stadt nicht ducchweg von Vortheil jeine dauernde Anjtellung als eine Art Oberhaupt des Kunſtlebens war der einzige Fehlgriff, der Karl Theodor auf fünftleriichem Gebiete vorgeworfen werden fünnte. Gerade ein fich jo eigenmächtig ſelbſt aufjpielen wollender Künjtler hätte bier nur als Schaffender, aber nicht als Leitender wirken dürfen. Die Würdigung jeiner decorativen Schöpfungen wäre dann in den rechten Schranfen geblieben und hätte die Begriffe von wahrer und echter Bildhauerei nicht beeinträchtigen fünnen.

Peter von Verſchaffelt ift ein großer Decorateur unter den Bildhauern jener Zeit. Da, wo er einen großen Garten mit mächtigen Figuren beleben will wie den Schweßinger Garten oder wo er prunfvoll einen Altar oder ein Grab» mal mit Figuren auszuftatten hat, oder wo er Gebäudefaſſaden und Treppenwände ſchmücken joll, da tjt jeine Domäne als Künstler, da bringt er ſtark Wirfendes zum Ausdrud; doch nur jelten gelingt es ihm, auch etwas tiefer Getjtiges zu

Peter von Verichaffelt und die Bildhauerei. 263

paden oder gar das Kindliche über das bloß mit Re Wirkende zu jtellen.

‚Die meijten der weit älteren zierlichen Figuren, die wir an den Eden zahlreicher Häujer in Mannheim jehen, jind oft an innerem Gejftalt, an natürliher Haltung und Bewegung künſtleriſch werthvoller als manches der bildhaueriichen Decora— tionswerke Verſchaffelts. Hier an jenen zierlichen Eckfiguren ſieht man troß aller reichen Details die wahre Einfachheit und Schlichtheit echter Kunit.

Das Gegentheil von diejen Figuren ijt 3. B. Verichaffelts prunfvolle, rein decorative Marmor-Statue Karl Theodors im Nitterfaal des Schloſſes, die in ihrer jühlichen Jdealifirung und rein äußerlihen Auffaffung überhaupt die Trage aufkommen läßt, ob jte denn wirklich den genannten Fürſten auch darjtellt oder nicht eher einen andern.

Berichaffelt war in jouveränem Selbjtgefühl nie verlegen, wenn irgend ein Einwand gegen jeine Arbeiten erhoben wurde. Als man ihn fragte, warum jein Apollo im Schweßinger Scloßgarten mit der linken Hand und nicht mit der rechten die Leyer jpiele, da antwortete er friich darauflos: „Apollo müſſe eine Hlägliche Gottheit jein, wenn er nicht mit beiden Händen jpielen könne.“ So wußte er jeinen Sritifern und Freunden immer zu imponiren.

Ganz verhängnißvoll für das Mannheimer Kunitleben war die Thätigkeit Berichaffelts als Lehrer und als Director der unter ihm entjtandenen Mannheimer Zeichnungsatademie. Diejem Inftitute war durd die Oberleitung von Seiten Berjchaffelts eigentlich von Anfang an der Todesſtoß verjeßt.

Man kann ſich nichts Verfehlteres denken, als einen Künſtler von jo eigenmächtiger Art an die Spike eines jolchen Injtituts zu jtellen und ihm damit eine Macht in die Hand zu geben, mit der er allem ihm nicht Pafjenden bequem entgegen- wirken fonnte.

Und wie hat Verjchaffelt dieſe Macht gebraudt! Man fann getroft jagen, was Karl Theodor durch jeine liebens— würdige Förderung der Talente gut gemacht hat, das juchte

264 Beter von Berfchaffelt und die Bildhauerei.

der eigenfüchtige, auch feine äußerlihe Sinnesart hier jo recht zeigende Alademiedirector wieder einzureißen.

Liejt man die erjchütternden Klagen in den Aufzeichnungen Theodor von Traitteurs, die im Kgl. Hausarchiv zu München aufbewahrt werden, über die Art, wie VBerichaffelt die bejten Talente in ihrem Wirfen zu ftören und zu unterbrüden ver- juchte und wie er fich überhaupt gegen jeine Gollegen betragen hat, jo fieht man mit aller Klarheit, wer es war, der eine ge— deihliche Entwidelung des Mannheimer Kunftlebens im lebten Viertel des 18. Jahrhunderts aufgehalten hat.

Traittenr hat fi) von dem äußern Glanz, den dieſes Injtitut durch den Namen jeines Directors erhielt, nicht täujchen laffen, er hat tiefer in die Verhältniffe hineingejchaut als fo mancher der Schüler, die oft von Weitem hierher eilten in der Meinung, hier eine Stätte edlen Unterrichts zu finden. Dieje erwige Furcht vor anderen Talenten, die Verichaffelt nicht [os wurde, zeigte jo recht, wie ſchwach er fich bei aller Anmaßung im Grunde jelbit fühlte.

Kein Wunder, daß ein Künjtler, deſſen ganze Veranlagung nach der Richtung des Decorativen hin ging, auf einem anderen Gebiete als dem der Bildhauerei und Lehrthätigfeit eigentlich) fein Bebeutendites zu leiften vermochte und zwar auf dem Ge— biete der decorativen Kunſt jelbit, der Innendecoration und der mit ihr verbundenen Baufunft.

Seine Werfe der Innendecoration und Baufunft find die eigentlichen großen Denfmäler, die fich diefer Künftler an der Stätte feines längften Wirkens, in Mannheim, gejegt hat. Sie find an ſich werthvolle Werfe. Hier, wo es ſich nur um äußere Formen handelt und nicht, wie bei der Bildhauerei, um ver— innerlichte Darftellung von Menſchen kann jene bdecorative Einfachheit, die der Art Verjchaffelts eigen ift, viel eher wahr: haft große Wirkungen erzeugen.

War auch die Richtung, die Verichaffelt in der Baufunft einschlug, ein großer Rüdhchritt gegenüber der vorangegangenen febensvollen und farbigen Architeftur, an die auch die moderne Baukunst (3. B. mit der Fethalle in Mannheim) wieder ans

Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei. 265

fnüpft, jo bleiben doc die Bauwerke Berjchaffelts jelbjt heute noch von Bedeutung durch das Erreichen von Größe mit ver- einfachten Mitteln. Das Decorative Hat hier als das an ſich Verlangte ganz andere innere Berechtigung.

Beter von Berjchaffelt iſt als Sohn nicht begüterter, doch gebildeter Eltern am 8. Mai 1710 zu Gent geboren. Frühzeitig wurde er jchon in feiner Baterjtadt in der bildhauerijchen Kunft unterrichtet, für die fich jeine Begabung von Kindesbeinen an regte. Die kunftwifjenichaftlihe Erfahrung läßt ganz von jelbjt annehmen, daß ein jo begabter Knabe jchon frühzeitig jchöpferiich thätig war. Es gelang ihm, feine Ueberjiedelung nad) Paris durchzujegen, wo er bei dem bedeutenden Bildhauer Edmé Bouchardon, von dem ſich übrigens im Schwesinger Garten eine Reihe von Werfen befindet, Unterricht genoß und jchließ- lich von diejem Meijter geſchätzt und zu größeren bildhaueriichen Arbeiten herangezogen wurde. 1737 jiedelte der junge Künſtler nad Rom über, um dort jeine Studien zu vollenden. Hier gewann er fich die Gunjt des Funjtverjtändigen Papſtes Bene: dift XIV. durch VBermittelung des Malers Subleras und bes Staatsjefretärs Valenti. Sein Hauptwerk in diejer römischen Zeit ijt jeine Schöpfung des Modells zu dem im Bronce ge- gofjenen befannten Engel auf der Engelsburg zu Rom. Da- neben arbeitete er noch eine große Marmorbüfte des Papites Benedift XIV. für das Capitol und ein in Marmor lebens— groß ausgeführtes Porträt desjelben Papſtes für den Bene- diftiner Orden auf Monte Caſſino bei Neapel, eine Statue des heiligen Johannes und vier Basreliefs für die Kirche St. Eroce zu Rom, ein Standbild des heiligen Baulus für die Peters: fiche zu Bologna, ein Bruftbild des heiligen Norbertus für das Portal der Norbertusfirche zu Rom, einen Genius mit den päpitlichen Attributen für die Domfirhe zu Bologna u. U. m Das er in Rom die erjten wejentlichen Anregungen zu jeiner jpäteren Bethätigung in der Baufunjt erhielt, it jelbjtverjtändlich.

Sn Rom vermählte ſich VBerichaffelt mit der Jtalienerin

266 Peter von Verichaffelt und die Bildhauerei.

Giovanna Catarina Ehinchinteri, die ihm zwei Töchter jchentte, doch ihm bald durch den Tod wieder entriffen wurde.

Sn Rom fonnte Verjchaffelt ſich auf die Dauer nicht be- haupten. Hatte der kunſtſinnige Papſt Benedift XIV. die Schwäche der Kunſt PVerjchaffelt3 erfannt oder den Künitler al3 „Unfreien“ verjtoßen, weil diejer in nahe Verbindung zu dem Sejuitenorden getreten war? Sturz, Verjchaffelt verlieh Rom und folgte einem Ruf des Prinzen von Wales nad London, dortjelbit einen mächtigen Triton, einen Bahus und ein von dem Domherrn zu Gent bejtelltes Modell für bie Wiederheritellung der Kirche St. Bavon entwerfend.

Doh nur Dreiviertefjahr währte der Aufenthalt Ver: Ichaffelt3 in London. Der genannte Fürft, fein Protektor, war gejtorben, und damit bier auch ſeine Ausficht auf ein längeres Wirken geichwunden.

Inzwiſchen jedoch waren die Jejuiten zu Mannheim, die einen gelinnungsverwandten Künjtler fir die Ausichmüdung ihrer im Bau begriffenen Kirche bedurften, durch römiſche Jeſuiten auf diejen Künjtler aufmerkſam gemacht worden. Sie verwendeten fich deshalb bei Kari Theodor für die Anitellung Berichaffelts. Der Fürſt willigte ein und berief den Künftler nad; Mannheim, wo er am 11. September 1752 eintraf.

Nun begann für Verjchaffelt eine große und rege Thätig- feit. Er fonnte hier gleich in der feinem Talente am nächſten liegenden Weije einjegen: mit der deforativen figürlichen Aus» jtattung eines mächtigen Bauwerks, der Jeſuitenkirche.

Dann erwuchien ihm in der Beihilfe zur bildhauerijchen Ausſchmückung des Schlofles (Figuren des Ritterjaals u |. w.), in der Dekoration des Schweginger Gartens weitere jeinem Talent entjprechende Aufgaben. Bejonders jeine Figuren in Schwetzingen (Flußgötter u. A.) wußte er troß aller Manierirt— heit mit einem gewiffen naturwüchligem Leben zu erfüllen und Arbeiten zu jchaffen, die heute in ihrer Weile noch gut be— ſtehen fünnen,

In Mannheim jchuf er u. A. noch für Brüffel das Denf- mal des Prinzen Karl von Lothringen und für Gent das

Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei. 267

Grabmal van der Noots, eine Madonna für den Theodor- Altar der unteren Pfarrficche und einige Büjten (Voltaire, Selbjtportrait), mit welch’ leßteren eine merkwürdig breite, behäbige niederländiihe Manier zum Ausdrud gelangt und eigentlich das national echtejte der Kunſt Verichaffelts her— vorbrad. Won weiteren Arbeiten jeien noch das bedeutende Basrelief im Fronton des Bibliothefbaues, der leider 1794 durd; Brand vernichtete Altar im Chor de3 Domes zu Speyer, die Figur des Johannes am Hauje O 2, 10, das Grabmal der Gräfin St. Martin, der einen Tochter des Künſtlers, das fich in der Nonnenklofterfirche befand und jeßt in die Heilige Geijt- Kirche verbracht wurde, und ein Marmorportrait der rau Geheimratd Profefjor Franz Mai, der anderen Tochter des Meiiters hervorgehoben.

Die beiden hier genannten Töchter Verichaffelt3 waren Kinder der erften Ehe des Künſtlers. In Mannheim vermählte er ſich 1759 mit Marie Franziska von Mauroy, einer Frans. zöjin. Bon den beiden Söhnen diejer Ehe wurde Marimilian Berichaffelt, 1754 zu Mannheim geboren, als Arditeft be— fannt. Nach dem Tode jeines Baters berief ıhn Karl Theodor nad) München. Er jtarb zu Wien 1818, wojelbjt er als Architekt größere Bauten leitete.

Das Jahr 1779 brachte der Familie Verjchaffelt eine bejondere Ehrung. Peter von Verfchaffelt hatte ich bei dem Kurfürjten um die Erhebung in den Adelitand beworben und Karl Theodor gewährte ihm dieje Auszeichnung.

Bon dem Fiürſten erhielt Peter von Berichaffelt aud) größere Aufträge auf dem Gebiete der Baukunſt. Zunächſt wurde der Kiünjtler mit der Erbauung der Kirche zu Oggers— beim (1775 fertiggejtellt) betraut.

Der große Bau des Zeughauſes, der 1778 vollendet wurde, zeigt die Berichaffelt’ihe Baufunjt in ihrem kühnſten Verſuche, die malerischen Bauftyle jener Zeit abzuthun und nur durch die gerade Linie in mathematiich berechneter Gleich: mäßigfeit zu wirfen. Die große Begabung des Künſtlers half über die Niüchternheit und Dede einer ſolchen neu einge:

268 Peter von Verichaffelt und die Bildhauerei.

ihlagenen Richtung vorerjt hinweg, die aber gar bald maß- gebend wurde und jchließlich zu einer lang andauernden Zer- ſtörung alles Lebendigen und Schönen der Architektur Mann— heims führte.

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Das Zeughaus.

Das Zeughaus ſelbſt wirkt jedoch heute noch durch die Kraft der Begabung ſeines Schöpfers. Es iſt etwas mili— täriſch Korrektes in dem Stile dieſes Gebäudes. Die Fenſter ſtehen egal nebeneinander wie die Soldatenreihen und das Portal erjcheint wie der allgewaltige Kommandant. Das Mili- tärijche, Befehlende, Selbftbewußte hat hier eine merkwürdige architektoniſche Verkörperung gefunden, fie muß imponiren ihon durch die Mafje der gleihmäßigen Linien.

In das Reich) der Töne übertragen könnte man dieſe architeftonijchen Linien vielleicht aucd) mit dem Knattern der Gewehrjalven und das Aufjchießen der großen Bilafter mit dem Donnern der Kanonen vergleichen, doch laſſen wir der— artige Vergleiche bei Zeite.

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270 Peter von Verſchaffelt und die Bildhauerei.

Weit liebenswürdiger nimmt fich die Baukunst Verichaffelts mit dem Bregenheim’jchen Haufe, der jekigen Rheinischen Hypo— thefenbanf, aus (errichtet 1782— 88). Bier ift der einfachen Anlage des Schlofjes gegenüber eine möglichit einfach und gleichmäßig gehaltene Architektur entjchieden geſchmackvoll und berechtigt. Das Bregenheim’iche Palais iſt jedenfalls die jchönite, gehaltvolljte und unvergänglichite Schöpfung Verjchaffelts. Hier fonnte er einmal von jeinem Schwelgen in großen, dekorativen Parabdejtüden laſſen und fih im wirklich edler und ruhiger Dekoration und intimerer Baufunft ergehen.

So gemäßigt wird Verſchaffelts Kunſt immer angenehm bleiben. Das Bregenheim’ihe Haus iſt ein im Aeußern und Innern vortreitlich gegliedertes Gebäude, das Lichtvoll und freundlich dem Schlojje gegenüberiteht.

Der große Mitteljaal, der durch zwei Etagen hindurchgeht, ift einer der glänzendjten und ſchönſten Palaſtſäle Deutichlands. Recht lebendige Reliefs des Meiſters, „Die Jahreszeiten“ dar- jtellend, große, in Die Wände eingelaffene wirfungsvolle Bortraits Karl Brandts, grazidie Studaturen jhmüden den in lichtvollem Weiß hell ftrablenden Saal. Reicher fünftleriiher Schmud, an deſſen Ausführung eine Reihe der hervorragenditen Künjtler des damaligen Mannheim betheiligt waren, verleiht auch vielen der übrigen Räume, bejonders den jebigen Verwaltungsraths— und Directionsräumen, hohen künſtleriſchen Werth. Ein Meijter: wert der Innendecoration tft vor allem aber das herrliche Treppenhaus, deſſen edle Linien fich von den verjchiedeniten Standpunften aus interejlant überichneiden und feinſte Wir— fungen erzeugen. Auch die Statuen des Mars und der Venus von Berichaffelt wirfen hier als Dekorationsſtücke vornehm. Das werthvolle Gebäude, auf deilen Gejchichte hier noch weiter unten zurücdgelommen wird, lief in neuejter Zeit Gefahr, ab- gebrochen zu werden, doch wurde diejer für die Kunſtwelt unerjegliche Verluft durch die Leitung der Rheiniſchen Hypo— thefenbanf, die das Palais erwarb und voll zu würdigen wußte, abgemwendet.

Dieſes Werf auf dem Gebiete der Tecoration, der eigent-

Peter von Berichaffelt und die Bildhauerei. 271

lichen Schaffensart des Künſtlers ganz entiprechend, wird ſtets eine Krone des Wirfens Peter von Berjchaffelts3 bilden. Die Werke diejes Künſtlers in welcher Richtung und Abficht fie auch geichaffen wurden, werden immer al3 Zeichen einer großen Begabung bejtehen bleiben; die Ziele und die Poſition diejes Meijters aber jind von umjerer Zeit völlig überwunden und eine neue Verbindung it gejchaffen mit der viel innerlicheren, höheren und feineren Kunſt der vorhergegangenen Zeit. Ein- fachheit und Größe wurde auf viel natürlicherem Wege gefun- den, als fie ung eine rein äußerliche Nachahmung der Antike bringen fonnte. Mit dem Tode VBerjchaffelts, der am 5. April 1793 erfolgte, hatte die fünjtleriihe Reaktion in Mannheim ihr Oberhaupt verloren.

Ein Sohn Mannheims war e3, der zuerjt in jeiner Vater: jtadt nach dem Tode Berjchaffelts, aus deſſen Schule er jelb- jtändig hervorging, als dieſem nachfolgender Director der Zeichnungsafademie*) eine meue und andere Kumjtpflege auch auf dem Gebiete der Bildhauerei anzubahnen verjuchte.

Peter Lamine 1756 in Mannheim geboren, 1817 in Miinchen gejtorben ift der Schöpfer jener herrlichen Statue des auf einem Felſen die Flöte jpielenden Ban, die in ihrer wunderbaren Verbindung von Natur und Bildhauerfunjt wohl eines der interefjanteiten BildhHauerwerke der Mannheimer Kunſtzeit genannt zu werden verdient. Hier ijt der Prozeß der Be— freiung der Bildhauerei von der Architektur und Decoration in einer ganz vollendeten Weije erreicht. Ja, Meijter Bödlin würde ſich von Herzen gefreut haben, wenn er dieſes jeine Kunſt gleichjam vorahnende Werk zu Geficht befommen hätte. Eine jo innige Verbindung von Natur und Kunit fonnte nur ein großer Character, eine liebenswürdige, den Boden einfacher, wahrer Natur nie verlierende Perjönfichkeit erreichen.

Peter Lamine war eine jolche Perjönlichkeit, von tief unter

*) Auf die Zeichnungsakademie und feinen neuen Director (Zamine) wird in einem ſpäteren Stapitel noch zurücdgefommen.

272 Peter von Berichaffelt und die Bildhauerei.

ihm Stehenden verfannt und mißachtet aber nur jo fonnte er über eine Zeit anderer Ziele hinausfommen und jeine Kunſt mit unjerer heutigen verfnüpfen.

Der Ban im Schweßinger Park ipielt das Lied einer neuen Zeit über ein Jahrhundert hinweg Klingt jeine Weije zu uns und Die heutigen Bejucher des wunderbaren Gartens lafjen ji von ihm mehr al3 von allem anderen anloden die Laute der Güte und des Glüdes der Natur Flingen wieder neu und troftreich in unjere Herzen hinein... .

XIX.

Die ſocialen Verhältniſſe zu den Seiten Karl Philipps und Karl Theodors,

Beſchränkung der Stadtverwaltung Zünfte Bevölferungsverhältniffe Karl Theodors Reformen Socialiftiiche Negungen Urganifation der Stadtverwaltung Begründung der VBürgervertretung (ded Bürger: ausihufles) Steuern Gonfeilionelle Verhältniſſe Die Jeſuiten und die Aufhebung ihres Ordens Karl Bhilipp Spielberger Katholiken, Deutichreformirte, Wallonen, Lutberaner, Mennoniten und Juden Faliche Anihuldigung wegen Nitualmordes Die Milizfactoren Lemle Mofes und die Glausitiftung Das Hofgeriht in Mannheim Hier abge- nrtheilte Verbreher Verfehräverhältnifie ‚Feuerlöichweien Vers dienſte Karl Iheodors.

Dis jo reich an glüdlicher Bethätigung wie die künſt— leriſchen Gebiete gejtalteten fich die jocialen Verhältniſſe unter Karl Philipp und Karl Theodor. Gewiß auch in diejer Be: ziehung wurde von den beiden Kurfürſten nicht wenig unter» nommen, allein bier riß die furfürjtliche Regierung die Herr: ihaft über die Stadtverwaltung an ſich und die Yandesiniti- tutionen verdrängten die früheren jtädtiichen Machtvolltonmen- heiten. In der Kritik dieſer Zuftände bietet das Feder'ſche Buch viel zutreffendes. Es jei deshalb hier in diefem Kapitel eine freie Zuſammenſtellung des Hauptlächlichiten der Feder'ſchen Ausführungen unternommen, die bejonders auf Grund von Akten des Großh. Generalstandesarchivs zu Karlsruhe das Folgende zu Sprache bringen:

Deier, Beihichte der Stadt Mannheim. 18

274 Die jocialen Verhältniſſe ꝛe.

Mit Karl Philipp fam der geiammte Hofjtaat und die Garden zu Pferd und zu Fuß. Die Anjammlung einer großen Anzahl von Leuten, die an andere Bedürfnijje als die bisherige Einwohnerichaft gewöhnt waren, veranlaßte eine Reihe von Maßnahmen. Man beklagte fich über die Zünfte, daß fie zu unbejcheiden jeien und zu theuer arbeiteten, und drohte mit deren Aufhebung, da fie nad) den Privilegien eigentlich nicht eriltiren jollten; man beflagte jich über die bisherige Hand— habung der Brod» und Fleiſchpolizei und verlangte, daß die Metzger beijeres Fleiſch liefern und Schlachthäuſer errichten jollten; mit der Bifitation der Bierjude jollte es genauer ge— nommen werden und jämmtlichen Wirthen ließ man eröffnen, daß fie die Zeche micht zu Hoch machen und den Wein nicht zu theuer geben jollten. Die Straßenpolizei jollte bejier gehaud- habt, namentlich jollten feine todten Hunde, SKaben und Schweine auf die Straße geworfen werden, die Häufer ſollten vifitirt, die Höfe jauber gehalten werden. Auch das Pflaster Ichien ungenügend und mußte namentlich an den Wohnungen der Minifter verbejjert werden. Eine Menge Schildgeredhtig- feiten wurde conceifionirt. Die Schildgerechtigfeit zu den drei Glocken beiteht jeit dem 5. Jänner 1706; das ſchwarze Lamm jeit 17215 der Weinberg jeit dem Jahre 1725; im Jahre 1723 werden nicht weniger als 11 neue Schildgerechtigkeiten ge— ihaffen, daneben entitehen jest Caffeehäuſer in größerer Un: zahl, Allein alle diefe Maßregeln genügten den regierenden Herren noch nicht. Noch lag das Schwergewicht der ſtädtiſchen Verwaltung in dem Stadtrathe und noch bejaß er die nach den Privilegien ihm zufommenden Machtbefugniſſe. Damit mußte aufgeräumt werden. Nicht mit einem Schlage, aber nad) und nad) untergrub man die jtädtiiche Verwaltung, und reduzirte fie auf das Minimum, in welchen fie auf das 19. Jahrhundert übergegangen iſt. Es iſt intereifant und lehrreich, den Gang der Dinge zu verfolgen.

Zunächſt faßte man bei der Wahl der Bürgermeifter an. Mie wir aus der Geichichte des 17. Jahrhunderts gejehen haben, war die Wahl der Bürgermeifter nad) den Privilegien

Die focialen Verhältniſſe x. 35

eine freie und als jolche unbeanjtandet geübt. Sie wurdell jährlich an Martini gewählt und dankten regelmäßig abbunter! Bitte um Nachfichtsertheilung für die menſchliche Schwachheiti‘ So verhielt fich dieſes Verhältnig bis zum Jahre 1726. Unterm 26. März diejes Jahres ließ aber der Kurfürjt datt Rathe eröffnen, dad das Recht, die Bürgermeiſter frei und ohne) Betätigung zu wählen, ein anmaßliches jei und fünne nicht aus Art. 19 der Privilegien abgeleitet werden. Man verlangt die Anzeige von den Wahlen. Der Rath beruft ſich auf das Herfommen; um aber jeine unterthänigjte Veneration und jeinen Reſpekt zu beweiien, fügt er fich der Anordnung und macht Anzeige von der Wahl. Das genügt indeffen nicht; man will im folgenden Jahr auch die Wahlprotofolle vorgelegt haben, und auch das reicht noch nicht aus; man will auch die Namen der Votanten fennen. Der Rath entipricht auch dieſem Be— gehren, und damit das Bejtätigungsrecht auch praftijch in Die Wirklichfeit eingeführt werde, bejtätigt der Kurfürjt die Bürger- meijterwahl vom Jahre 1729, welche auf Jubert und Winfel- blech fiel, nicht und ordnete eine neue Wahl an. Der Rath remonjtrirt wiederholt und beruft ſich auf die Privilegien und eine mehr als hundertjährige Gewohnheit ; er hebt hervor, daß das Beitätigungsrecht und das Verlangen, daß die Bürgermeifter aus allen drei Religionen gewählt werden jollten, nachtheilig jei, weil der Rath am Beten die des Stadt- und Feldweſens Kundigen fenne, und überdies entitehe das Mißverhältniß, daß jonjt die Proteitanten dreimal zum Bürgermeijteramt gelangten, bis die Katholiken einmal dazu fämen. Der Rath bejteht nämlich aus acht fatholtichen, zwei reformirten und zwei lutheriſchen Mit- gliedern. Indeſſen ließ fich der Kurfürſt von jeiner Anordnung nicht abbringen, und bejtätigt diejelbe wiederholt. Im Jahre 1730 wird das Bejtätigungsrecht des Kurfürjten Schon als eine Objervanz bezeichnet, während der Rath Sich fortwährend auf das uralte Necht der freien Wahl beruft. Die Differenzen hierwegen ziehen fich durch die ganze Negierungsperiode des Kurfüriten Karl Philipp, und als im Jahre 1741 ſich ein Etreit wegen Zulaſſung des (reformirten) Bürgermeiſters 18*

2376 Die iocialen Verhältnifie x.

Winkelblech erhebt, welchen der Rath, entgegengejegt den kur— fürftlichen Weiſungen, nicht zulaſſen will, wird dem Rath er: wibert: es komme ihm feineswegs zu, die gnädigjtlandesherr- lihen Regierungsverordnungen zu ceritiliven. Damit war das Beitätigungsrecht der Bürgermeijter erobert. Der Kurfürst bat hierbei allerdings den Standpunft der Gleich heit der NReligionsparteien vertreten; auf der andern Seite war aber damit dem Stadtrathe das freie Wahlrecht m Bezug auf die erjten Gemeindebeamten entzogen, und die Zu— fammenjegung desjelben hing nunmehr auch volljtändig von der furfürftlihen Negierung ab. Und nicht genug damit, Nach— dem jener Streit bejeitigt, wirft das Rentamt die Frage auf, ob e3 nicht zwedmäßig jei, auch die Wahl der Viertelmeijter der furfürjtlichen Bejtätigung zu unterwerfen. Dazu kommt es nun nicht; dagegen it es dieſe Periode, im welcher die An: wartichaften auf die Rathsſitze und gewifjermaßen die Erblich- feit derjelben eingeführt wird. So tritt Rathsherr Beern jeinem Schwiegerjohn Winfelblech im Jahre 1723 die Raths— herrnftelle ab, und erwirft die Bejtätigung der Negierung. Beern übergibt jolche bereits bei jeinen Lebzeiten und macht nur den einen Vorbehalt, daß feine Frau nach jeinem Ab— [eben den Weibern der andern Rathsherrn in den äußern Ehren gleich gehalten werden möge, ein Wunſch, welchem der Rath nicht ohne eine ironijche Beigabe mit aller Freundlichkeit will- fahrt. Das Beijpiel findet Nahahmung. Der kranke Raths— herr Fuchs tritt jeinem Sohne die Nathsherrnjtelle noch im gleihen Jahre ab, und auf den alten PBompejati folgt im Jahre 1729 der junge. Auch Anwartichaften wurden von der Regierung nach Willfür vergeben. So ernennt diejelbe im Jahre 1734 den Burgvogt Hirſch eventualiter zum Mitgliede des Raths, und es erbietet fich derjelbe einjtweilen gratis die Berrichtungen zu vollziehen. Der Rath erwidert, er möge jich vorerft als Bürger einkaufen, jonit könne er nicht anerkannt werden; auch müſſe er auf die Accidentien verzichten, dann fünne er gratis arbeiten. Schon im folgenden Jahre fommt er auf den erwünjchten Sit. Auch das Bedürfniß nach ver-

Die focialen Verhältniſſe x. 277

mehrter rechtsgelehrter Bildung macht fich bemerkbar und im Jahre 1736 befiehlt der Kurfürjt, daß einer der beiden Bürger- meiſter jedesmal ein Nechtsgelehrter jein jolle.

Hatte man ſonach völlig freie Hand in der perjonellen Zuſammenſetzung des Rathes gewonnen, jo ftand fein Hinderniß mehr entgegen, auch jeine Machtbefugniffe „dem Bebürfniß ber Zeit“ entjprechend zu reguliren. Schon längjt war die Recht: iprehung des Rathes in Strafjahen der Regierung ein Dorn im Auge. Mit ihrem Ueberzuge von Heidelberg nad) Mann- heim erfolgen die Strafurtheile nicht mehr durch den Rath, jondern auf gnädigiten Befehl des Kurfüriten durch die Re— gierung. Der Rath hat bis dahin die Advocaten und Procu— ratoren concejlionirt; dieſe Machtbefugnig wird ihm entzogen und dem Hofgericht übertragen. Eine befonders hervorragende Stelle in der Ujurpation der bisher dem Stabdtrathe zujtehen- den Befugniffe pielte das Nentamt oder furzweg die Rent.

Das Rentamt zieht die ganze wirthichaftliche Controle der Gemeinde an ſich; es regulirt die Fiſch- und Fleiſchtaxen, und es bemächtigt fich der Wirthichaftsconceffionen, die jeither dem Nathe zugeftanden hatten. Bald miſcht fich das Nentamt in alle jtädtiichen Angelegenheiten ein und dem Rathe bleibt nichts anderes übrig, al3 zu gehorchen. Im Jahre 1734 wird dazu noch eine „geheime, in dem Mannheimer Stattweien angeord» nete Conferenzcommijfion“ eingejeßt, bei welcher die dirigiren- den Minijter betheiligt find.

Nunmehr ift der Stadtrath lediglich zu einer ausführen- den Behörde umgewandelt. Zu gleicher Zeit (1734) tritt eine Trennung desjelben ein in dem eigentlihen Stadtrath und in das Stadtgericht, welc)’ letzteres die bürgerlichen Streitig- feiten zu bejorgen hat. Indeſſen hat man es mit eingemwurzelten Einrichtungen zu thun, die nicht mit einem Federſtriche be= jeitigt werden fünnen. Der Kurfürft hat im Jahre 1738 eine Polizeicommiſſion eingejegt, welche unter der genannten Con— ferenzeommiffton jteht und die polizeilichen Angelegenheiten der Stadt beiorgen ſoll. Allein der Rath will jich feine Befug- niffe nicht entziehen laffen. Darauf wird im Jahre 1738 ein

278 Die ſocialen Verhältniſſe ꝛc.

durfürſtlicher Bejehhreröffnet, wornach ihm ausdrücklich verboten wirdntan Pohzeiſachen etzvas Einſeitiges zu verfügen; er hat vielmehr das hiepanf;hezügliche unter Direction der Polizei— sommillion zun verrichten, und jede Weigerung wird für jtrafbar ertlart. Zurãchſt mind ging Geldſtrafe von 12 Thalern ange» Drobt, ;iodann ſoll eine, Suöpenfion von Amt und Gehalt auf en, Dadız und endlich ſoll die Cafjation ausgeiprochen werden. zo 2 Auf Diele, Waiſe wurde, ;dem Rathe die Juſtiz und die Poltzeigewalt,. Jomie, Fin. großer Theil jeiner adminiftrativen Befugnijſe eutzpgemen Es ageſchah nicht ohne Widerſtreben. VNamentlich waren esn Dig, wie man fie nennt, akatholiſchen Mitglieden Des, Rothes, cwelchen Hrh durch dieſe Beichränfung Dex Stadtsäthlichen, / Befngniſſeverletzt erachteten. Cie erhoben Jahres laut Beſchwerde, dab der Rath durch Bieınengrlichen: Anordnungen smmamgatlich auch durch die Ein- richtung des Stadtgerichts ;lichnspiner, Alctivität ffaſt ganz ent- jegt jehe, and fie ;perlangten, Die Ausirerhterhaltung des früheren Guſtandes. 7 Gum -abfiß sid ilihon &

sc Der Kurgürſt Ihnte, aber ‚bieies; Begehren ab; er beſchied die Beirhmerhefüihrer, daß es ma auf eing „beſſere Reipicirung der Juſtizſ ahgejehen ad Die; Trenunng „des Rathes von dem Gtadtaguichtohahex (beibehalten. werden, mühe; doc ſollten die alten Hbſervanzen beachtet mer da. ni uniads,

si RD Re jlalchen Perioden des, Unidhapungs gegen hergebrachte, eingewurzelte Bolksaufihten md; Gewohnheiten niemals an Werkzeugen, Feb, die begeit „Ind; dem, Pillen der Herrishenden: Geyalt mit ginem hexporſtechendeng Uebereifer durchzu füihren, ı fo Ayan ad. uch. hiet. der man Lömenberg, jpäter: Paligeibigester, iſt der Held dieſer MBertodeg ein bureau⸗ fratiſchex Reitpeitſchenijunkex de A Jahrhuuderts Dexſelbe erjcheint, immer pexſijulichnin dem Mathe, au dort, ſeinen Maß⸗ nahmemn zu denanſtriren nd fofgrtige Willführigkeit, zu exzwingen. Bois am ee 1735. inndem Rathe und will iR Auftrage apa) Raugcuiten ben Rgtheverwandten Poupe jati a Anwaltſchutheißadignlten „einippäiem Dos mar an jelbft hen xxchtsgelehxten Mitgliehezu, des Mathes ham Stadtdireetor

Die iocialen Verhältniſſe x. 279

Lippe und Anwaltjchultheißen Gobin zu ſtark. Sie protejtiren feierlichit dagegen und verlangen die Unterjchrift des Kurfürjten zu jehen. Löwenberg beruft jich nun auf die geheime Confe- tenzcommiffion, in deren Namen das Rentamt gehandelt, nimmt Pompejati an der Hand und jeßt ihn auf den Seſſel des An- waltichuftheißen. Der Streit löſt ſich dadurch, daß Gobin nun wirklich Stadtdirector wird, eine Stelle, die er bis zu jeinem am 28. Dezember 1791 erfolgten Tode, alſo 56 Jahre lang befleidete, und Pompejati, in jeine Stelle al3 Anwaltichultheiß einrüct. Ein anderes Mal (1741) erjcheint von Löwenberg bei dem Rathe, um eine Reviſion der Gebühren, die der Leb- tere erhebt, vorzunehmen, worüber fich der Rath jehr gefränft erachtet; ein drittes Mal bejchuldigt von Lörwenberg den Stadt- rath und insbejondere den Director Gobin, daß er fortfahre, die furfüritlichen Verordnungen nad eignem Sinne zu inter— pretiren und die Autorität der Polizeicommiſſion jchmälere. Darnach geht ein jtrenger Befehl an den Rath, ſich jolcher Widerjpenjtigfeiten zır enthalten. Der Rath iſt entſetzt. Er verlangt eine Unterfuhungscommiilion und Nennung des Denuns ctanten. Er fühle fich feiner Schuld bewußt und jei immer den furfürjtlichen Befehlen gehorjam gemejen. Ein jedes der Mitglieder gibt fich jelbjt diejes Zeugniß.

Die Sache endete damit, dat die Öewaltsbefugnifie, welche der Polizeicommiſſion zujtanden, nochmals geregelt und betont werden. Die PBolizeteommiffion hat darnach die Polizei zu üben, wie die Regierung; nur feine criminalia, die Blutver— gießen zur Folge haben und feine dauernde Ausweiſung jtehen ihr zu. Dieje bleiben bei der Regierung.

Endlih ein anderes Mal gebietet von Löwenberg dem Rathe, einen inhaftirten Juden freizulafien und als Gobin nicht jofort Folge leijtete, erklärte er dem rapportivenden ftädtiichen Wachtmeiſter Sreudenberger: „den Stadtdirektor Gobin joll der Teufel holen; ich werde noch mit ihm fertig werden, und den ganzen Rath zu Paaren treiben!“ Bon diejer Nede macht Freudenberger jofort die Meldung bei dem Stadtrathe, der über ſolche Bloßſtellung jeiner Autorität betroffen war, eine

280 Die ſocialen Nerhältniiie :e.

Unterfuhung einleitete und eine heftige Beichwerbe gegen den Polizeidirector bei der Regierung erhob.

Erit nad) dem Tode Karl Philipps wurde indellen diejer Dränger de3 Rathes bejeitigt. Sein und des Nentamtes Ver: dienit war es hauptiädhlich, den Stadtrath durch ihre Ueber: griffe eingejchüchtert und die Durchführung der Umwälzung ermöglicht zu Haben, welche nunmehr vollendet war. Am Ende der Regierung des Kurfürſten Karl Philipp jah ich die ftädtiihe Verwaltung ihrer wejentlichiten Befugniſſe beraubt und zwar troß der Privilegien, die Karl Philipp noch im Jahre 1718 bejtätigt Hatte.

Die gejellichaftlichen Verhältniſſe, wie fie durch die Ueber- fiedelung des Hofes veranlaßt wurden, hatten diejen Umſchwung der Dinge begünjtigt. Das Berjonal desſelben war überaus zahlreich. Das Princip der Arbeitstheilung war bei demjelben mit äußerjter Conjequenz durchgeführt. Bon den Hofitäben bis herab zu dem Hoffüchenjungen, Bratwender und Geſchirr— pußer, dem Hofzwergen und Hofnarren erfüllte jeder nur eine ganz ſpezielle Million. Die Hofbedienten, Stallfnechte, Hey: dufen, die Soldaten von der Linie und der Garde erfüllten Die Stadt. Dazu famen die Streiter der Kirche, die Kapuziner, die Jeſuiten, die Karmeliter und die barmherzigen Brüder.

Ebenjo zahlreih wie der Hof, waren die Difajterien be— jegt. Ein umendlihes Schreibereiwejen und ein verwidelter Verwaltungs und Gerichtsorganismus begann fich jet jchon breit zu machen. Neben der Regierung, der Hoflammer, dem Gerichtädepartement, - dem Hofgerichte und der Firchlichen Ad— miniitration, welche unterdeifen auch nad) Mannheim verpflanzt worden war, beftand ein hegericht, ein Wechjelgericht, das indeffen im Jahre 1734 mit dem Hofgericht vereinigt wurde, die geheime Conferenzcommiſſion, die Polizeicommiſſion, vom Jahre 1741 an ein Merkantilgericht, das Rentamt u. j. w. Ein mafjenhaftes Perſonal war bei diejen Stellen beichäftigt.

Außerdem zog die Gaftfreundichaft des Kurfürſten und des Hofes eine große Menge von Fremden an. Ein zahlreicher

Die focialen Berhältnifie ze. 281

Adel Fam, um theils im Militär, Hof oder Staatsdienft lohnende Beihäftigung zu finden.

Die Bevölkerung der Stadt vermehrte fih daher nament— fih, was die Beifaffen anbelangt, in dieſer Periode beträchtlich). Nach einer Zählung vom 15. September 1733 rechnete man

bürgerliche Familien . 599 Beiſaſſen 266 Wittweiber . 5 : ; 106 Juden . ; . 4 160 Geiſtliche und rei j 39

E3 fann daraus annähernd auf eine Bevölkerung von 6—8000 Seelen geichloffen werden. Leider gehören ſolche ftatiftiiche Angaben zu den Seltenheiten.

Bemerft muß hierbei werden, daß bei jener Zählung weder der Hof, noch das Militär eingerechnet iſt. (Beides eingerechnet betrug die Bevölferungszahl 1778 an 24000). Das Verhältnif diejer Bevölferung zu der Gemeinde war ein wejentlich Ver— Ichiedenes von dem des vergangenen Jahrhunderts. Der Hof, das Militär und die Beamten jtanden außerhalb der Gemeinde, und jie waren und wurden größtentheils mit ihrem Beſitzthum befreit von den Gemeindelajten. Die Befreiungen von der Schatzung, den Wacht- und Frohndienjten, den Uuartiergeldern gingen herab bis zu den niederiten Bedienteten und darin liegt eine der Urjachen, warum einestheils jene Laſten dem eigent- fihen Bürgerjtand gegenüber jo außerordentlich drüdend wur— den, anderntheils fi aber aud; die Einnahmen der Stadt gegenüber den früheren Jahren zunächit nicht nur nicht ver- mehrten, jondern verminderten. Während die Einnahmen der Stadt im Jahre 1688 ſich jchon auf 31,437 fl. jährlich er- hoben, und im Jahre 1721 wieder die gleiche Höhe (31,544 ff.) erreicht hatten, hielten fie fi) nur bis zum Jahre 1727 auf annähernd der gleichen Höhe Sie fteigen im Jahre 1762 (unter Karl Theodor) wieder auf 32930 fl. und erhalten fich auf diefer ungefähren Höhe (bis zu den Kriegsjahren am Ende des Jahrhunderts, in denen ſie wieder finfen).

Bon der Freiheit der Niederlaffung war jebt feine Rede

282 Die ſocialen Verhättniſſe ac.

mehr, im Gegentheil überwachte man diejelbe auf das Sorg- jamjte. Schon im Jahre 1701 Hatte man die Frage aufge- worfen, ob die Judenjchaft überhaupt von Nußen für die Stadt jei, und der Rath war jehr geneigt, der verneinenden Meinung zuzuftimmen. Die Bürgerannahmsgelder, jowie die Gebühren für Aufnahme in den Schu wurden erhöht; im Jahre 1734 werden fie von 6 fl. auf 40 fl. feitgeiegt, „damit das an dringende Gefindel abgehalten werde.“ Die Bürgerannahmen Afatholiicher wurden bejonders jtrenge geprüft und im Jahre 1739 ericheint jogar ein Nentamtsbefehl, welcher überhaupt den Grundſatz ausipricht, daß unvermögliche Leute abgehalten, und jeder aufzunehmende Bürger verpflichtet jein jolle, ein ein- ftödiges Haus zu erwerben und jolches zweiſtöckig zu bauen,

Dazu entwidelte jih mit dem Beginne des 18. Jahr» hunderts das Zunftwejen in feiner ausgeprägteiten Geſtalt. Die Hutmacher-, die Bäder-, die Barbierer- und die Schneider- zunft waren die erjten, welche die Bedingungen der Aufnahmen verichärften; die Barbiererzunft verlangten neben einem inner— lfihen und äußerlichen Eramen die Zahlung einer Aufnahms- tare von 20 fl. und 4 fl. in das Almojen (1707). Das Beiſpiel fand alljeitige Aufnahme Damit war der Freiheit ber Arbeit der Todesſtoß verjett. Ohne Aufnahme in die Zunft feine Arbeit das war die Marime des 18. Jahre hunderts.*) Noch weniger hielten die Privilegien der Stadt in Betreff der Freiheit von der Einquartierung und der Ab: gaden Stand. Die Einquartierung wurde zu einer jtändigen Lait;**) fie mußte an Freund und Feind geleijtet werden; an

*) Huf dem Gebiete der Kunſt aber wurden dieſe Beſtimmungen nicht eingehalten, hier herrichte fowohl bezüglid der Aufnahme von Künſt— lern und ihrem Scaffen unbefümmerte Freiheit, ſodaß ipäter auch in Die Privilegien (1785) folgender Pafjus aufgenommen wurde: „bei geichidten Künftlern und Profeifionisten jedoch, nad ſorgſamſter genauer Unterfuchung ihrer vorzüglihen Cigenichaften, fanndie unit und Provifion bierunter in einigen Anſchlag gebracht werden.”

**) Dieſe Laſt wurde jedoch durch den oben ichon erwähnten Bau von Kaſernen vermindert.

Die jocialen Verhältniffe x. 283

die Dffiziere und Kriegsbeamten werden ebenjo jtändige Quar— tiergelder entrichtet. Schon vom Jahre 1711 an beichäftigt man fi mit einem näheren Studium der Finanzkräfte der Stadt. Damals beruft fich der Rath noch mit Erfolg auf die Privilegien, wonad; die Stadt feine andere Abgabe als den Grundzins zu entrichten hat. Aber bald wird diefe Schranfe durchbrochen. Zu dem Schloßbau müſſen jchon im Jahre 1720 Fuhrfrohnden geleistet und bald Gelbbeiträge gejteuert werden; von jedem Ohm Wein, das auf den Markt gebracht wird, er- hebt man einen Gulden und jperrte die Straßen der Eontrole wegen mit Ketten ab (1721); die Mebger müſſen vom Jahre 1723 an für das Viehſchlachten im Schladhthauje ein Averſum von 2400 fl. bezahlen; alles Sträubens ungeachtet, zieht man die Stadt im Johre 1726 zu Beiträgen für die Furfürjtliche Landmiliz mit 1394 fl. heran; der jogenannte Nothipeicher wird eingeführt und eine Menge Gefälle, wie 5. B. von Schenken, Kaffeehäujern, von Kindtaufen, Hochzeiten, Beerdi- gungen demjelben zugewendet; im Jahre 1733 wird die kur— fürftliche Rente neu organifirt, folche unter die Direktion eines Freiherrn von Saida gejtellt und der große Aceis eingeführt. Dem Rentamt werden im Jahre 1731 die Erhebung aller Gefälle überwiejen. Sie jollen in drei Theile getheilt werden, wovon die Hoflammer, das Kriegstommiffariat und der Stadt- rath je einen bezieht. Nur die bürgerlichen jogenannten Neben- gelder, Wacht-, Quartier, Frohnd- und Brunnengelder jollen unmittelbar in die Stadtfafje fließen. In den Jahren 1728 bis 1731 lieferte die NRheinbrüde allein ein Erträgniß von durdhichnittlih 4—5000 fl. Im Jahre 1733 wurde jedoch das Rheinbrüdenerträgniß der Stadt wieder entzogen.

Als Karl Theodor mit dem Beginne des Jahres 1743 zur Regierung gelangte, fand er das Land in einem Zuftande, welches einer bejjernden Hand nothwendig bedurfte. Zwar machte ſich äußerlich feine Unzufriedenheit bemerkbar, dazu war man allzu jehr an eine blinde Unterwürfigkeit und Urtheils- fofigfeit gewöhnt; allein ein umbefangener und wohlwollender Blid, wie er dem Kurfürſten Karl Theodor nicht abzujprechen

284 Die focielen Verhältniſſe x.

ift, mußte jofort erkennen, daß in der Weile, wie e3 unter Karl Philipp der Fall war, ſich nicht fortwirthichaften Lafle.

Sofort machte Sich Karl Theodor an feine Regententhätig- feit und der erjte Schritt, den er that, beitand darin, daß er den Luxusausgaben zu ſteuern und das Uebermaß von Vor— rechten einzelner Klafien zu beichränfen juchte.

Die Diäten bei den Vorstellungen der Geiftlichen wurden vermindert; es wurde beitimmt, daß von nun an auch die fur- fürftlichen Näthe und die Dofbedienten zu den Straßenjäube- rungsfojten beitragen jollten; das Tabaksmonopol wurde aufs gehoben und der Verkauf des Tabafs wieder freigegeben; den Handwerfsleuten wird der freie Verkauf und die Ausfuhr ihrer Erzeugniffe geitattet; der Holzhandel wird freigegeben. Die bureaufratiihe Maichinerie wurde vereinfacht und ins— bejondere der jehr Fromme Wunich ausgeiprodhen, daß die Vielichreiberei beieitigt und die Gejchäfte, namentlich in Kom— munalangelegenheiten befördert werden jollten. Die jogenannten Adjunftionen und die Lehrer und Bedienungseripectanzen wurden aufgehoben; eine Ueberficht über die Bejoldungen wurde gefertigt; den Gardeoffizieren wurde die Quartierfrei— heit entzogen, die Perjonalfreiheiten der Hofhandwerfer wurden aufgehoben und der Freiherr von Löwenberg von der Leitung der Polizei entfernt; den Beamten wurde verboten, mit dem Anfauf von Forderungen an die Stadtfaffe wucherliche Ge— ſchäfte zu treiben.

Die gejeßgeberiiche Thätigfeit Karl Theodors ift allerdings bemerfenswerth. Er lieh die Privilegien der Stadt (jest nicht mehr „Statt*) Mannheim zweimal revidiren und erneuern, das erite Mal am 18. November 1743, das zweite Mal am 23. Dezember 1785. Aus dem Jahre 1743 datirt ferner eine Feuer- und Brandordnung, jowie eine Ordnung für die Porte— halfen, deren Preiie genau geregelt wurden; aus dem Jahre 1744 die Conceſſion für die Nuden, erneuert am 21. November 1765. Aus dem Nahre 1756 eine Preßpolizeiordnung; eine Verordnung über Einführung der Kopfiteuer ift vom 9. Nänner 1758; das Stempelpapier wurde durch) Verordnungen vom

Die ſocialen Verhältniſſe x. 285

Jahre 1762 und 1768 geregelt; eine Geueral-Landespolizei— direction, deren Aufgabe es hauptſächlich it, den Handel und die Gewerbe zu fürdern, wird am 4. Juni 1765 eingeführt; zu gleicher Zeit wird eine Münzordnung erlalien; ebenjo eine Fuhrwerksordnung und eine Verordnung über Entihädigung bei Hagelichlag, Mißwachs, Brand u. ſ. w. Eine Medicinals ordnung wird im October 1770 gegen die Beit erlaſſen und darin find jogar die Necepte gegen die Bert enthalten.

Aus dem Jahre 1772 datirt eine Verordnung gegen die überhand nehmenden Hazardipiele und ein Vertrag mit Frankreich über die Beitrafung der Verbrecher und Frevler. Eine neue Feuer- und Brandordnung, eine Ztrumpfmweberordnung, eine Markt» und Fiſchmarktsordnung, eine Meggerordnung, ſowie eine Verordnung über das allgemeinspolizeiliche Verhalten der Einwohner wurden im Jahre 1773 erlatien. Nicht bloß der Stadt« rath, auch jeder Einzelne wandte ſich an dieſe unerjchöflich fließende Quelle der höchſten Staatsraijon, um von dort ber eine Kegel des Verhaltens oder eine Entiheidung zu erlangen. Es folgt eine Schäfereiordnung, eine Miethsordnung, ein Quartier: reglement, eine Verordnung über die Beherbergung der Lakaien u. ſ. w. Daneben laufen eine unendliche Anzahl von Einzel— erlajien decreta Serrenissimi durd welche in alle Ge— biete des öffentlichen Lebens, insbejondere aud) in die jtädtiichen Verhältniſſe bis in das Kleinſte eingegriffen wurde. Dadurch gewöhnte man ſich daran, Alles von dem Befehle und dem Wunſche des Kurfürſten abhängig zu machen.

Im Jahre 1761 und 1769 erichtenen zwei Schriften, welche bewetien, daß die kurfürſtliche Negierung dem Rückgange der jtädtiichen Verhältniſſe mit Beſorgniß zuſah, und daß fie bejtrebt war, die Urjachen deſſen ergründen zu laſſen.

Die erjte im Jahre 1761 in der furfüritlichen Hofbuch- druckerei gedrudte Schrift enthält eine Abhandlung des Bice- fanzlers Paſtoir über den Gejundheitszuftand von Mannheim, welche ofrenbar zu dem Zwede verbreitet wurde, um bet dem wiederholten Ausbruche von epidemiichen Krankheiten zum Studium der darin angeregten Fragen auzuregen. Baitoir hat

286 Die foeialen Verhältniſſe x.

fünf allgemeine und nicht weniger wie zwölf jpezielle Urjachen des bedenklihen Gejundheitszuftandes von Mannheim entdedt, und darunter die jtehenden Gewäſſer, den Mangel an Schatten, jowie an reinem und gejundem Trinkwaſſer, die Unjauberfeit auf den Straßen, der Mangel an fühlen Kellern, die Feuch— tigfeit der Wohnungen, die jchlechte Kanalifirung, den Badofen- raud), und den allzu reichlichen Genuß des Objt- und Pflaumen- werfs als ſolche Urſachen bezeichnet. Auch die vielen auf dem Felde faulenden Tabakſtengel jollten ihre Schuld an den jtehenden Krankheiten tragen. Der Kurfürſt Karl Ludwig, der jeiner Zeit dem Bicefanzler Paftoir die Bearbeitung Ddiejer Denkſchrift aufgetragen hatte (die jomit Zuftände aus ber Regierungszeit dieſes Fürften behandelt), trat nicht überall ihren Ausführungen bei, jondern widerlegte diejelben in feiner originellen Weiſe, namentlich juchte er die Ehre des Brunnen— waſſers zu retten, und wollte von der Ungejundheit des Tabaks nichts willen; er jchrieb: es müſſe namentlich daran gelegen jein, einen gejchidten Medicum Herbeizuichaffen, aber man müfje jagen: „rara avis in terra oder vielmehr in (rermania, dagegen gäbe es der Haben und Krähen gar viele.“ Den in diejer Denkfichrift hervorgehobenen fatalen Gefundheitszujtand der Stadt betrachtete man als die hauptjächliche Urjache der nicht fortichreitenden Zunahme derjelben.

Karl Theodor nahm ſich den Inhalt jener Denkichrift zu Herzen und ordnete das Pflanzen von Bäumen an (das jchon 1703 unter Johann Wilhelm mit dem erjten Baumſchmuck der Planfen begonnen worden war), machte Anlagen, jorgte für eine bejjere Straßenreinigung das Reinigen der Kändel wurde durch ein Slodenzeichen angekündigt (1763) und jchaffte die rauchenden Badöfen ab und ließ die Sümpfe austrodnen; allein damit änderte fi) das Verhältniß noch nicht.

Darauf erichien eine zweite Schrift in Frankfurt (1769) von dem Bevölferungsitand der Pfalz, vorzüglid) in Mannheim. Diejelbe weiſt mit Zahlen nad, daß e3 ein Vorurtheil fei zu glauben, daß Mannheim eine ungejunde Lage habe

Die focialen Verhältniffe ꝛc. 287

Die Zahl der Geborenen habe immer die der Gejtorbenen über- jtiegen; jo babe man

im Jahre 1712 Geburten 267, Todesfälle 219

vo. Im2 „4886,

1732 „687, 310

1742 2 633, = 394

5 1782 614, 2 503 gezählt und nur im Jahre 1762 jei bei 522 Geburten die Zahl der Todesfälle auf 798 gejtiegen. Der Grund, warum e3 mit Mannheim nicht vorangehen wolle, und die Stadt zwar in den Jahren 1730—38 zugenommen, von da an aber ftille gejtanden jei, müjfe anderswo gejucht werben.

Der Berfaffer jener Schrift, ohne Aweifel ein Hoch- gejtellter und aufgeklärter Beamter, fand ihn in zwei faljchen Grundjäßen, die ſich in das damalige Staatdwejen eingentjtet hatten. Dieſe beiden Säge bejtünden in der Annahme, daß man dag Land nicht überjegen dürfe, weil jonjt einer dem andern die Nahrung wegnehme, und jodann im Glauben, daß Arme dem Lande jchädlich ſeien.

Die von der Regierung Karl Theodord gegen Die freie Meinungsäußerung und das Vereinsweſen ergriffenen Maß— regeln waren lediglich Ausflüffe des Polizeiſyſtems, das unter Leitung der Bolizeicommilfion und des Vizecanzlers Geheimrath von Sufmann überhaupt das ganze Kleine Staatswejen be— herrſchte.

So wird im Jahre 1756 die Anzeige erjtattet, daß Die Schuhmachergejellen in höchſt ſchädlicher Correjpondenz mit auswärtigen Orten, wie Würzburg, München und Mainz jtünden, wo Schuhmachergejellihaften bejtänden. Dagegen müſſe mit aller Strenge eingejchritten werden; man dürfe feine Gejellen von jenen Orten aufnehmen, die Briefe müßten von den Zunft: meiftern erbrochen und gelejen werden. Noch weniger aber dürfe man ſich unterfangen, einige Verfammlungen zu halten, durch welches öftere Zujammenläufe, viele Unruhe und Une einigfeit erwedet würden. Der Stadtrat) wurde darnach ange- wiejen, gegen die Schuhmachergejellen einzujchreiten. Er jperrte

288 Die jocialen Berhältnifle x.

die Widerjpenftigen bei Waſſer und Brot ein bis fie Beiferung verjprachen, und erit auf dringendes Anſtehen der Meiſter wurden fie endlich entlaſſen. So erging es den Schreiner: gejellen im Jahre 1765, die in Berbindung mit den Frankfurtern einen Aufitand „tentirt“ haben jollten, und als im Jahre 1770 die Schloffergefellen im Köln, überall wegen der Lohnirage, einen Aufitand erregten, wurden die Ueberwachungsmaßregeln verichärft.

Das waren die erjten fjocialijtiichen Regungen in Mann heim. Sie endigten damit, daß im Jahre 1771 der Wochenlohn der Handwerfsgejellen amtlich jeitgeiegt wurde.

Biel unichuldiger war das Gebahren des Handelitandes. Berichiedene Handelsleute famen im Jahre 1769 um die Er: laubniß ein, eine Gejellichaft errichten zu dürfen. Es war diejes Geſuch aus dem Bedürfniß entiprungen, ich über die gemeinjamen Angelegenheiten zu beiprechen und zu veritändigen. Der Stadtrat) jtellte Dieje Frage der höheren Beurtheilung anheim. Die berrichaftlichen Kutſcher fühlten gleichfalls das Bedürfnig nach einer Vereinigung; ihnen wurde diejelbe ge= jtattet, den Handelsleuten dagegen verweigert. Sie wiederholten im folgenden Jahre ihr Gejuch und der Stadtrath entwarf nun 9 Artikel als Statuten der Geſellſchaft. Darnach ſollte Diele die Zahl von 24 Mitgliedern nicht überichreiten dürfen; es jollte das MWeintrinfen, das Hazardipiel verboten und alle Discurje über Polizei und Staat unterjagt fein. Auch darauf ging die Polizeicommiſſion nicht ein. Die Betheiligung bei der jogenannten Brüdergejellichaft der „Frances Macons‘ (Frei— maurer) war für Offiziere und Beamte ſchon feit Karl Philipps Beiten verboten.

Eine andere Affociation, die jich aus der Mitte der Bürger: Ichaft entwidelte, hatte mindeltens im Laufe der Zeit einen beiferen Erfolg. Seit den Reformen Karl Theodors regte jich ein etwas freierer Geiſt unter der Bürgerichaft. Man bejchwerte jich über verichiedene Mißſtände in der Gemeinde und verlangte deren Bejeitigung. Die Regierung jegte eine Commiſſion zur Unterjuchung über die bürgerlichen Beichwerden ein und Die

Die Einnahme Mannheims

sch die Oefterreicher 1799.

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Die Sternwarte in Mannheim. Dad einer Kadierung von Eruft Kirchner (Mannheim),

Die focialen Verhältniffe x. 289

Bürger laffen fich dabei durch ihre Deputirten vertreten. Ein Hauptbeichwerdepunft betrifft die Wiejen und Neder auf dem Niedergrund. Die Bürger behaupten gegen den Stadtrath, daß jene Allmend jeten und ihnen zum freien Genuſſe gehörten; insbejondere verlangen fie unentgeltliche Bleiche. Der Rath it über dieſes Auftreten der Bürger entjegt. Er will von feinen Aenderungen etwas willen und namentlich PBompejati, der erblihe Anwaltichultheiß, beklagt ſich heftig, dab alle Subordination und Autorität durch jenes Vorgehen untergraben werde.

Der Rath weiſt die Beichwerdeführer zurüd. „Bürgerliche Deputirte”, meint der Rath, jollten nicht geduldet werden; er jelbit wolle die Stadtangelegenheiten bejorgen. Die ganze Be— wegung nennt der Rath jpöttiich die „Bürgerei.“ Diefleibige Actenfascifel erwuchien über die bürgerlichen Bejchwerden; die Verhandlungen jchleppten jich in die Länge und verliefen endlich im Sande; allein trogdem liegen in diejen Vorgängen Die Anfänge der Bürgervertretung, melde in Form der Bürgerdeputation bald eine fejte Gejtaltung gewann.

An der Spitze der ſtädtiſchen Verwaltung ftand, wie früher, der Stadtdirector. Seine Stellung bat ſich nur injofern ver- ändert, als er nicht mehr neben dem Rathe jteht und denjelben controlirt, fondern er wird nunmehr wirflihe Spitze und Be— ftandtheil desjelben. Die Leitung der Geichäfte und Die Repräjentation der Stadt jteht ihm zu. An feiner Seite und als jein Stellvertreter functionirt der Anwaltſchultheiß, gleich« falls ein ftaatswijjenjchaftlich gebildetes Mitglied des Rathes. Als Stadtdirector functionirt vom Jahre 1706—1735 Herr Lippe; von da ab bis 28. Dezember 1792 Herr Gobin; von da an befleidet jenes Amt in der jchwierigjten aller Perioden Herr Rupprecht. Als Anwaltichultheiß ſtehen Herrn Lippe zur Seite zunächſt Herr Gobin, dann Bompejati der Aeltere, jpäter deifen Sohn. Unter Rupprecht functionirt der fleißige Bearbeiter aller Boritellungen, Dentichriften, Beichwerden und Berichte, Herr Hofgerichtsratd Pfanner als Anwaltichultbeig. An den Stadtdirector und den Anwaltſchultheiß schließen jih an die

Oſeſer, Geihichte ber Stadt Mannheim 19

290 Die ſocialen Berhältnifie x.

beiden Bürgermeifter, welche jährlich von dem Rathe gewählt werden, aber nunmehr der furfürjtlichen Beltätigung bedürfen. Gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts und gleichzeitig mit der Einführung des Beitätigungsrechtes fommt die Sitte in Abgang, die Bürgermeifter an Martini zu wählen. Ihr Geſchäftskreis ift ein verminderter und ihre Bedeutung tritt in dem ftädtijchen Organismus mehr und mehr zurüd.

Der Rath bejteht regelmäßig aus weiteren 10 Mitgliedern, wozu mehrere rechtsgelehrte Mitglieder, die das Stadtgericht bilden, fommen. Sämmtliche wirflihe Mitglieder des Rathes beziehen einen Gehalt. Das hierfür in der Mitte des 18. Jahr: hunderts für die ftädtijche Verwaltung ausgeworfene Budget beträgt 4585 fl.*)

%) Hiervon bezieht 1) Hofgerichtörath und Stadtdirector Bobin 825 fl. 2) Hoffammerrath und Anwaltichultheiß

VBompejati . 2 ; 2 A } 600 fl. nebjt dem Genuß der jog. Schultheißen- wieſe; 3) jeder der beiden Bürgermeiſter. ; B 2350 fl. 4) drei Stadtgerichtsaffefforen a) als Nathöverwanbte . 100 fl. 200 fl b) ala Aſſeſſoren r . 100 fl. : 5) jeder Nathöverwanbte : ; ; B 100 fl.

Außerbem hatten die Rathsmitglieder eine Rathsmahlzeit, eine Zeitung und einen Stalender von der Stabt zu beziehen. Der Stadt: fchreiber erhält eine Beioldung von 851 fl.; der Stadtrechner eine jolche von 400 fl.

Dieje Bejoldungsverhältniffe erhielten fih bis an das Ende diejes Jahrhunderts. Nur da die Bezüge einzelner Nathsmitglieder fih dadurch erhöben, dab fie beiondere Junctionen übernahmen, wie 3. B. die eines Pupillar:Affeffors, eines Stadtſyndicus u. f. w.

Außer den obengenannten ſtädtiſchen Angeſtellten bezichen ferner nod) Dienitbefoldungen: ein Stadtphyficus 300 fl.; ein Regiitrator 225 fl.; ein geihworener Accoucheur 75 fl.; eine geſchworene Stadthebamme 25 fl.; ein Mehlwaagenmeiiter 200 fl.; ein Mehliwaagencontroleur 200 fl.; ein Ilmgelder 133 fl. 20 Er.,; die Raths- und Stadtgerichtsdiener, die Viertelichreiber (diefe zufammen 180 fl.); die Stabtthürmer; 4 Armens bögte; die Stabtbüttel; der Nathhausvater; der Stadtbrücenmeifter; die

Die focialen Verhältniſſe x. 291

Die bürgerliche Deputation war zuſammengeſetzt aus den Stadtoffizieren. den Viertelmeiſtern, welche, nachdem für die ehemalige Friedrichsburg ein ſolcher eingerichtet iſt, aus fünf beſtehen, und regelmäßig aus einer Anzahl Zunftmeiſtern. Was die Viertelmeiſter anbelangt, ſo haben wir dieſelben bereits in

4 Feldmeiſter; die Feldſchützen; Kuh- und Pferdshirten; die Thorſchreiber die Holzſchreiber; der Brodwieger; der Plantagegärtner; ein Dürrfleiſch— beſchauer; eine Mäuſe- und Rattenvertreiberin.

Die Zahl der ſtädtiſchen Angeſtellten hat ſich, wie bier ange: geben, erheblich vermehrt. Es ericheinen bald zwei „Stattphyfici“ als ftädtifche Angeftellte mit je 200 fl. Beſoldung; ferner ein Regiitrator, dem die unlösbare Aufgabe obliegt, die ftädtifche Regiftratur in Ordnung zu halten. Die Stabtichreiber und Rentmeiſter find in ihrer früheren Stellung. Mit den Stabtichreibern hat das 18. Jahrhundert feine Liebe Noth. Da ift ein Stattichreiber Sonnenbühl, welcher im Jahre 1751 feines Dienftes entlaffen werden muß, nun aber den Stabtdirector und Rath mit allen möglichen Mitteln, auch durch Verbreitung einer Schmäh: ichrift verfolgte. Darauf wird beſchloſſen, ihm einftweilen arreftirlich ein— zufegen, ihn zur Satisfactions-Erflärung anzuhalten, die Schmähſchrift ihm vor feinen Augen auf öÖffentlihen Markt zu verbrennen, und feine Aus— weilung zu begehren, „weil man fonft feine Ruhe vor ihm habe”. Sn der That läßt er auch dem Rathe feine Ruhe, fondern tritt mit immer neuen Beichuldigungen auf. Da wird er an einem Octobermorgen in aller Frühe in eine Chaiſe gelegt und ımter der Eskorte von etlihen Stadtioldaten nad) Oppenheim an die hurfürftliche Grenze gebracht.

Dieſes PBerfahren merkt ſich ein anderer Stadtichreiber Namens Kremer, weldher im Nahre 1757 mehrerer Vergehen bejchuldigt wird. Man legt ihm auch zur Yait, daß er ſchwere Beleidigungen gegen den Hof: fammerrath und Amvaltichultheiß Bompejati verübt habe. Kremer wurde fofort fujpendirt und follte verhaftet werden, er flüchtet ſich aber in das Stapuzinerflofter, wojelbit er ein Aſyl findet. Obgleich ber Stadt« director Gobin und Anwaltichultheig Pompejati die Herausgabe des Flüchtling3 begehren, verweigert der Pater Guardianas dieſelbe ftandhaft, und nur gegen bie ausdrückliche Zufiherung, dab Kremer ad locam unde reſtuirt (zurüdgegeben) werden jolle, wern man ihn mit einem Urtheile an Leib, Leben oder Ehre beichiweren wollte, wurde er endlich entlafien. Kremer wurde ſchließlich caffirt und im Jahre 1769 in's Zuchthaus geiprochen.

Die fortichreitende Gultur macht ſich infofern bemerkbar, als aus den früheren Stattknechten nunmehr „Stattdiener” werden, und die Cinqueniſten des vorigen Jahrhunderts verwandeln fih in „Statthürmer”.

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292 Die focialen Verhältuiſſe x.

der erjten Abtheilung diejer Geichichte kennen gelernt. Sie erhielten fich auch im Laufe des Jahrhunderts.

Die Bürgermiliz des vorigen Jahrhunderts verwandelt fich

dagegen nach und nad) im Laufe des 18. Jahrhunderts in eine Compagnie Stabtjoldaten. Die Zahl diejer Stadtjoldaten wurde im Jahre 1759 auf 50 vermindert und nachdem jie vorüber- gehend wieder erhöht, fällt fie am Ende des Jahrhunderts auf 38 zurüd. Die Stadtjoldaten jtehen unter dem Commando eines Stadtmajors, einiger Leutnant3 und eines Fähnrichs. Die Stadtoffiziere gehören zu den Notablen der Stadt und jie werden überall bei Berathung wichtiger Angelegenheiten zuge- ogen. * Schon im Jahre 1727 treten die Stattoffiziere und Viertel— meifter Namens der gejammten Bürgerichaft auf und richten fogar eine „fußfällige Bitte“ an den Kurfürſten von Trier um ein „gnädigites hohes Vorwort bei Seiner furfüritlichen Durd;- laut zu Pfaltz“ um Wiederverleihung der Privilegien und Befreiung von der Schagung. Allein diejer erite Verſuch wird übel vermerft.

Erjt unter Karl Theodor, als man im Jahre 1754 an den weiteren Stajernenbau geht, um die unerträglich gewordene Einquartirungslaft zu vermindern, und dazu die Finanzen der ohnedies mit Schulden beladenen Stadt in Anſpruch genommen werden Sollen, fühlt man das Bedürfniß, auch die Stadtoffis ziere, Deputirte der Bürgerichaft und die Viertelmeiiter zur Berathung beizuziehen. Die Gonferenzen finden bei Staats— minijter Freiherrn von Wrede jtatt. Das Thema verichtwindet nicht mehr von der Tagesordnung. Die Berhandlungen werden im Jahre 1755 weitergeführt, und aud), nachdem im Jahre 1756 die eine Kaſerne nahezu vollendet iſt, gibt es noch viele Fragen, bei denen man fich des Beirathes der Stattoffiziere und der Deputirten der Bürgerichaft bedient. So bei der Vertheilung der Duartiergelder, der Contributionen und der Beihaffung von Lieferungen.

Aber nur jchwer und jehr allmählig bricht ſich der Ge— danfe Bahn, jenem Beirathe das Gewicht einer geietlichen und

Die focialen Verhältniſſe 2e. 293

nothwendigen Einrichtung beizulegen. Erjt am 18. Mär; 1783 wird dem Rathe ein decretum Serenissimi eröffnet, daß beim Defonomiewejen der Stadt die jtädtijchen Dffiziere und Deputirte der Bürgerjhaft zuge zogen werden jollen.

Eine demgemäße Beltimmung fand ſich zwar jchon in den Privilegien vom Jahre 1744 vor, allein ſie war nicht praftijch geworden. Erjt durch jenes Nejeript wurde eine eigentliche Bürgervertretung neben dem Rathe gejchaffen. Damit war die jtädtifche Gemeindevertretung in's Leben eingeführt.

Es jollte dies nicht ohne Kampf gejchehen. Unter den Stadtoffizieren und den bürgerlichen Deputirten machte ſich jo= fort das Bedürfniß geltend, ſich auf eigene Füße zu jtellen, und auch ohne Mitwirkung des Stadtrathes die Gemeindean- gelegenheiten zu behandeln. Das erregte Anſtoß. Zwar hatte man weniger dagegen zu erinnern, wenn der „Stadtmajor“ den Vorſitz bei der bürgerlichen Deputation führte; allein, wenn der Stadtmajor verhindert war, wer follte dann den Vorjig übernehmen? Darüber verhandelte man im Stadtrathe im Jahre 1790, und der leßtere war beim Widerjpruche der bür- gerlichen Deputation der Anficht, daß dann einer der Bürger: meijter präjidiren mitjfe. Die bürgerliche Deputation fügte ſich aber dem nicht, jondern hielt Situngen ohne Zuziehung eines Bürgermeijters. Darüber heftige Erregung des Rathes (1792), welcher nunmehr förmlich ausſprach, daß feine Sigungen der bürgerlichen Deputation ohne Zuziehung eines Bürgermeijters abgehalten werden und daß diejelbe feine unmittelbare Eingabe an den Kurfürjten richten dürfe. Die Frage fam vorerjt nicht zu einem definitiven Austrage. Die nächſtfolgenden Ereignijje, das Jubeljahr des Kurfürften und die Hiebei jtattfindenden sejtlichfeiten, wie jodann die nächitfolgenden Kriegsjahre mit ihren unerjchwinglichen Zajten, machten die Bedeutung der bürgerlichen Deputation jo bervortretend, daß zu derartigen Streitverhandlungen fein Raum mehr gegeben war.

Ein bejonderes Geſchick entwidelte die Regierung Karl Theodors in der finanziellen Ausbeute. Im Jahre 1743 läßt

294 Die focialen Verhältniſſe ze.

fie die Kojtenbeiträge für das Reichsvicariat und die Kaiſer— wahl ad 2970 fl. 10 fr. im Wege einer Familienſteuer er— heben und dazu muß das erjte Viertel 769 fl. 50 fr., das zweite 462 fl. 6 fr., das dritte 595 fl. 27 kr, das vierte 943 fl. 1 fr. und das fünfte (Friedrichsburg) 219 fl. 47 kr. beijteuern.

Noch im gleichen Jahre werden die Frohnden neu regu— lirt und dazu die Stadt in zwei Diſtricte eingetheilt; mittelft eines Rescriptum Serenissimi vom 21. Dezember 1763 wird verordnet, daß von jeder Fuhre Holz ein Scheit zu Guniten des Borromäus-Hoſpitals abzugeben ift; demjelben werden die Spielpatentgelder wiederholt zugewiefen (1745); die Krämer, Tabafsipinner und Fabrikanten müſſen wegen Gejtattung des freien Tabafhandels eine Abgabe zahlen, die zunächſt zur Be— friedigung der Gläubiger der Tabafsmanufactur zu verwenden iſt (1746).

Dem Hojpital werden ferner die Strafen für firchliche Bergehen und wegen einfachen Sıttlichfeitsvergehen zugewieſen; ebenio erhält der Landesfundus eine Reihe von Gefällen zuge: theilt, wozu jegt auch die jogen. Transjumptengelder, Abgaben bei Beligveränderungen von Liegenichaften, kommen.

Im Jahre 1756 geräth der Kurfürſt auf den weiteren Gedanken, zu Guniten des Hoipitals eine Lotterie zu errichten. Es werden 10000 Looſe A 30 fr. geichaffen, und es joll die Lotterie nach „dem Beiſpiele anderer benachbarter Herrichaften“ jtändig gehalten werden. Es werden Collectores angejtellt und Dieje angewiejen, auch die Landbevölferung beizuziehen. Nicht nur jeder Beamte und Bediente, ſowie die Rathver- wandten jollen jich betheiligen, auch jegliche Zunft und die ges meine Stadt joll ihr Glück verſuchen. Die Viertelmeilter werden angewiejen, die Collectores genan zu überwachen und fie abzujegen, wenn jie nicht den erforderlichen Eifer beweiſen. Die Hofkammer legt jich ferner das Recht bei, von dem Brenn— holz, welches aus dem Nedarthale kommt, immer das vierte Scheit um einen beftimmten Preis zu beziehen. Die Kajernen- gelder werden eingeführt, von den Juden erhebt man neben

Die jocialen Verhältniffe x. 295

allen andern hHergebrachten Abgaben ein jogen. Taſchengeleit; der Kartenjtempel wird erhöht; ein kurfürſtlicher privilegirter Quartfalender wird herausgegeben und nicht nur die Behörden und Gemeinden angehalten, denjelben zu Faufen, jondern es müſſen aucd die Juden eine bejtimmte Anzahl derſelben, 215 Stüd, übernehmen.

Die Fouragegelder, welche während des fiebenjährigen Krieges gezahlt werden müſſen, jollen durch einen Aufichlag von 3 fr. auf den Gulden Schagungsfapital zum Schreden . ber Bürger erhoben werden (1761). Die ftädtifchen Allmend— güter beginnt man im Jahre 1773 zur Schagung zu ziehen, im Jahre 1774 endlich werden die „Beiträge zum allgemeinen Beiten“ eingeführt, welche in der finanziellen Bedrängniß jener Zeit auch von den Beamten erhoben werden. Nur der Hof: marjchallitab weigert fich deifen, wird aber angewiejen, fich zu fügen (was nur gerecht tjt).*)

Daneben jucht übrigens der Kurfürſt auch feinen Unter: thanen überflüjlige Ausgaben zu eriparen. Wenn er von einer gefährlichen Krankheit geneit, wie im Jahre 1755 und 1776, jo ift es ihm lieber, wenn feine raujchenden Feſtlichkeiten ver- anftaltet, jondern die Gelder zu einem guten und Gott ges fälligen Werke, ala welches das Berromäus-Hoipital bezeichnet wird, verwendet werden.

Er mill ferner nicht, daß ſeine Unterthanen gefälichten Wein trinken, und als es ſich im Jahre 1748 zeigt, daß man den Wein mitteljt eines „alcalifchen Praeparatum* anmadıt, wird icharf gegen die Weinfäljcher eingejchritten.

Auch das Bier ift ein Gegenjtand der Sorge der kur— fürftlihen Regierung. Es find im Jahre 1761 eine Anzahl von 55 Vierfiedereien in der Stadt. Alle Brauer jtehen für die Güte ihres Bieres ein, und verwahren ſich gegen den Vor— wurf, daß fie jchädliche Stoffe in dasjelbe mengen.

Die größten Brauereien find die von Hofmann, Butter-

*) Hierzu kommt noch das Nheinbrüdenerträgniß, das zeitweilig (1733) der Stadt entzogen wurde.

296 Die ſocialen Verhältniiie sc.

wed, Gehrig und Mayer. Die Verordnung vom 2. Dezember 1756, wonach zu 2 Fuder gutem Biere 3 Malter Gerjte und 22 Pfund Hopfen genommen werden jollen, bleibt aufrecht er- halten, und nöthigenfallg3 müſſen die Brauer einen Eid leijten, daß fie Feine fremdartigen Stoffe in das Bier milchen. Auch das jchädliche „Laboriren und Goldmachen“, das im Jahre 1753 jehr im Schwunge war, joll abbejtellt, die Kolben, Retorten und Tiegel jollen innerhalb 24 Stunden aus der Refidenz Hinweggejchafft werden, und drei der befannteften Jünger der Goldmacherfunft Bogener, Preuel und Lang . erhalten das consilium abeundi.

Die Aenderung, welche zu Ende des 17, Jahrhunderts in der Confeſſion des über die Bfalz regierenden Haujes eingetreten war, mußte von den weittragenditen Folgen für die confejlio- nellen Verhältnifje des Landes und insbejondere der Bevölke— rung der Stadt Mannheim jein,

Die alten reformirten Namen waren von dem Schauplaße verjhwunden und an ihrer Stelle war das jtädtijche und das politische Regiment in die Hände der Katholiken gelegt.

Die Fatholiiche Kirche juchte mehr und mehr Terrain zu gewinnen; die Reformirten und Lutheraner waren bejtrebt, das, was fie noch bejaßen, zu erhalten und ein verirrtes Schäflein womöglich wieder zu fich zurüdzuführen. Der Eonfejlionalis- mus durchdrang und beherrichte alle Verhältniffe.

In dem Rathe waren e3 die Katholiken und Mlatholifen, die fich bei jeder nur entfernt in das religiöfe Gebiet ein- Ichlagenden Frage gegenübertraten; die Sonderung ging herab bis zu den Viertelmeijtern und Angeftellten der Gemeinde; aud) in die Zünfte und die Gejellen; im Staatsdienft war felbit- verjtändlich die fatholiiche Confeſſion die bevorzugte.

Unter jo bewandten Umständen hielt man wohl äußerlic) Friede, aber innerlih wüthete unausgejeßt der kleine Krieg. Die Seelenjägerei, das Convertiren und Proſelytenmachen iſt zumal in der erjten Hälfte des 18. JahrhundertS auf der Tagesordnung.

Diejer Kleine Krieg der Confeſſionen mildert fich aber

Die jocialen Verhältniffe ꝛc. 297

unter Karl Theodor. Der lebtere ijt nicht in dem Grade ber Kirhe unterthänig wie jein Vorfahre Allerdings ift er ihr treuer Sohn, und er will, daß Frömmigkeit und Gottesfurdt in der Welt herrſche; allein in Karl Theodor dringt ſchon Etwas hindurch, was man heut zu Tage als einen Ausfluß der Staatdomnipotenz bezeichnen würde.

Karl Theodor ordnet zwar gleich bei Beginne feiner Re— gierung an, daß die meuberufenen katholiſchen Pfarrer und Schulmeifter mit dem nöthigen Lebensunterhalt dotirt werden. Allein er verfügt auch, daß bei einer fünftigen Beitellung auf eine fatholiiche Pfarrei und bei Verleihung von Beneficien ein concursus clericorum eröffnet, und daß bei diefem concursus nur kurfürſtliche Landeskinder zugelaffen und alle Fremde aus» geichloffen fein jollen (April 1747). Die bei einem folchen Concurje abzulegende Prüfung war ſtaatlich überwacht; ſie fand auf der Negierungscanzlei vor der geordneten Commiſſion ſtatt (1753) und jene Vorſchrift des Ausſchuſſes der Nicht- Zandesfinder wurde öfters wiederholt und ftreng beachtet (März 1756). Karl Theodor iſt damit nicht zufrieden. Er prüft auch die Leiſtungen. Namentlich ift es ihm eine Sorge, daß die Schule ſchlecht verwaltet, allzuviel gefeiert und zu lange serien gegeben wird.

Nah Beendigung des fiebenjährigen Krieges traf ein preußijcher Minijter von Brand in Mannheim ein (1756), in der erklärten Abjicht, die Religionsbejchwerniife der proteſtan— tiichen Confejfionen entgegenzunehmen. Das erregte Aufjehen, und man befahl dem Stadtrath, die Leute anzumeijen, ſich uns mittelbar an den Kurfürjten zu wenden und Brand Hatte aller: dings von Mannheim aus nicht viel zu berichten.

Im Jahre 1771 ſprach der Kurfürjt weiter in einer Ver— ordnung aus: „daß die Pfarrer in andern, als ihren amtlichen Handlungen den landesfüritlihen Verordnungen unterworfen ſeien“, und er wollte damit eine Örenzlinie für das Necht des Staates und der Kirche ziehen. Trogdem, daß Karl Theodor in allen übrigen Dingen fich als der Kirche willfährig erwies, jah man doch derartige Maßnahmen mit Mißbehagen an, und

298 Die foeialen Verhältniſſe x.

im Jahre 1786 entjpann fich jogar ein heftiger Conflict zwijchen der Regierung Karl Theodor und dem Wormjer Capitelö- vicariat, welcher jchlieglih zur Einführung des Placet führte. Das Wornifer PVicariat maßte ſich nach der Darlegung der furpfälziichen Regierung an, aus eigener Machtvollkommenheit Dispenje zu ertheilen, und jeine Anordnungen ohne landesherr- liches Vorwiſſen direct an die Pfarrer gelangen zu laſſen. Darüber fühlte fich die Furfürjtliche Regierung auf's Höchite entrüftet, und ſie erwirfte unter'm 6. März 1786 eine kurfürſt— liche Berordnung, wonach e3 den Pfarrern unterjagt wurde, bei Strafe der Sperre und Entziehung der Temporalien eine eimjeitige Berordnung des Vicariats ohne placitum electorale (kurfürftliche Genehmigung) zu verfünden. Bon da an war das Placet, ohne auf weiteren Widerspruch zu jtoßen, eingeführt.

Eine nicht minder bemerfenswerthe Einrichtung iſt Der carcer ecclessiasticus, Derjelbe wurde durd) eine päpitliche Bulle vom 21. Januar 1774 in Mannheim auf Andringen des Kurfüriten Karl Theodor bejtätigt. Es ijt ein Arreſtlokal, welches für Diejenigen bejtimmt iſt, die von dem firchlichen Aſylrecht Gebrauch machen, und bis zur Enticheidung, ob jie an das weltliche Gericht auszuliefern find, dorthin verbracht werden. Ebenjo iſt es für Diejenigen bejtimmt, welche aus perjönlihen Gründen der Ffirchlichen Jurisdiction unterjtellt find, alſo für Geiftlihe. Ad Sanctum Michaelem (in der Gefängnißkirche) hat man die geeigneten Arrejtlofale gefunden und dort wird der Carcer errichtet.

Es iſt eine ängitlihe Sorge des Erzbiichofs von Mainz und des GapitelvicariatS von Worms, darüber zu wachen, daß aus jener Einrichtung feine Uebergriffe der weltlichen Juſtiz in bie kirchliche Gerichtsbarkeit erwachlen. Im Uebrigen iſt jene, den carcer ecclessiasticus betreffende Bulle des Papſtes Clemens XIV. unjeres Wiſſens die einzige, welche fich mit einer localen Einrichtung der Stadt Mannheim befaßte. Sie war veranlaßt durch den Mißſtand, daß man fein geeignetes Arreitlofal für geiſtliche Unterſuchungs- und Strafgefangene bejaß, weshalb 3. B. ein Prieſter Kemmerer, deſſen Lebens-

Die focialen Verhältniſſe x. 299

wandel öffentliches Aergerniß erregte, zu den Alerianern nad) Köln überführt werden mußte.

Die Gliederungen der katholiſchen Kirche waren im Laufe des 18. Jahrhundert3 mannichfaltig geworden Bald nach den Kapuzinern, deren Wirkjamfeit fih mehr nach den unteren Schichten zu erftredte, famen die Jefuiten oder „Jeſuiter“, die hauptsächlich ihren Einfluß in den regierenden Streifen geltend zu machen juchten. Pater Seedorf iſt an ihrer Spihe, ein Mann von Gelehriamkeit und feiner Bildung. Karl Philipp it der Protector der Jeſuiten. Er zieht fie nah Mannheim und weiſt ihnen zumächjt zu ihrer Subſiſtenz 1200 fl. jährlid) von den Abgabeerträgniffen der Kaminfegerei zu. Die Jejuiten find indeifen damit nicht zufrieden, jondern fie jtreben nad) einer gelicherten häuslichen Niederlaffung. Die Gründungsur- funden für die Niederlaffung der Jejuiten find vom 22. Mpril 1729 und vom 16. Juni 1731 und befinden fich im General» Landesarchive.

Es wurde ihnen ein Platz zur Erbauung eines Colle— giums, einer Kirche und Schule angewieſen, ihnen in Renten zu dieſem Zwecke der Betrag von 100000 fl. geſchenkt, die Steuerfreiheit zugeſichert und ihnen noch anderweitige Einkünfte in Ausſicht geſtellt. Die Jeſuiten zählten ſchließlich 19 Prieſter und 9 Hausbediente. Ihre regelmäßigen Jahreseinkünfte ſchlug man zu 8289 fl. an.

Karl Theodor übernahm die Jejuiten, wie fie ich unter jeinem Vorgänger eingebürgert hatten, und fonnte nicht umhin, fih in der gleichen Weije gefügig zu zeigen. Als aber der Papſt Clemens XIV. im Jahre 1773 die Authebung des Jejuitenordens ausſprach, beeilte fih Karl Theodor, dieſe päpftlihe Anordnung zu vollziehen. Das Iefuitencollegium wurde aufgelöft, die Gefälle mit Beſchlag belegt und ihr koſt— bares Mobiliar öffentlich verjteigert (1775).*)

Neben den Jejuiten beftanden in Mannheim jeit dein 20. Auguſt

*) Das Stift Neuburg wurde am 27. März, der Schwabenheimer Hof am 29. März verfteigert.

300 Die focialen Verhältnifie x.

1766 die Garmeliter (12 Patres), durch Karl Theodor einge- führt, und jeit 1781 die Zazariften.

Die „Congregation de notre dame* in dem jchon unter Karl Philipp gegründeten Frauenkloſter bejtand aus 18 Chor— und 4 Laienjchweitern. Ste beihäftigten ſich mit Eirchlichen Uebungen und dem Unterricht der weiblichen Jugend.

Neben dieſen Orten bejtanden auch nod eine Anzahl von Bruderfchaften, und zwar in der unteren Pfarrkirche die Sacramental=- Bruderihaft und die Nepomuzentiche; letztere lediglich zu religiöjen Zweden und ohne Fonds. In der Pfarr: firhe bejtanden: die Todesangjtbruderichaft; die Aloyjianijche und die Marianijche Sodalität (letere jpäter in der einjtigen Kirche A 3); in der Garnijonspfarrei endlich bejtand die Schuß engelsbruderichaft; gejtiftet 1739 durch die Johann Schorr Eheleute zum Zwede der Brodvertheilung an die Armen. Sie wurde durch eine Schenkung vom Jahre 1767 erweitert.

Unter der regulären fatholiichen Geijtlichkeit nimmt von der Mitte des 18. Jahrhunderts Karl Philipp Spielberger eine hervorragende Stellung ein. Seiner theologiichen Bildung und jeinem jeeljorgerlichen Eifer hatte er e8 zu verdanfen, dab er im Jahre 1788 zum Dechanten befördert wurde. Er war ein Mann von Verſtand und Wib, von gejelligem Talente; von Muth und Aufopferungsfähigkeit, Tugenden, die er bei der Belagerung im Jahre 1795 glänzend bewährte; dabei beieelte ihn ein Eifer für jeine Sache, der ihn leicht zur Maflofigfeit verleitete. Spielberger war es, der bei der Belagerung im Jahre 1795 und insbejondere während den Schredensnäcdhten den gejunfenen Muth der Einwohner aufrecht erhielt, der mitten im Sugelregen die Bürger aus den Häufern und Kellern zum Löjchen herbeiholte und der ebenjo, alle Gefahren mißachtend, den Nothleidenden, Kranken und Sterbenden, Hilfe und Troft ſpendete.

Bei Lebzeiten Karl Theodors, der die Verdienſte Spiel— bergers und ſeinen Einfluß auf die Einwohnerſchaft zu wür— digen wußte, hatte derjelbe Feine Anfechtungen zu bejtehen. Mit dem Regierungsantritt des Kurfürften Marimilian (Mai

Die focinlen Verhältniſſe x. 301

1799) zogen indefjen Schwere Gewitterwolfen über jeinem Haupte zufammen, die mit der neuen Religionsdeclaration (Mai 1799) zujammenbingen. Während der Striegszeiten 1795—1800 wurden auch Mönche und Nonnen aus Mannheim verdrängt. Man hatte deren Klöfter als Kaſernen oder zur Aufbewahrung von Vorräthen benüßt und jo war für ihre Bewohner fein Bleiben mehr.

Die reformirte Gemeinde war, nachdem fie im 17. Jahr— hundert die herrichende gemwejen, durch die oben näher darge- ftellten Ereigniffe mit Beginne des 18. Jahrhunderts in die Defenfive gedrängt. Sie mußte ſich darauf bejchränfen, ihren Beitand zu erhalten, und gegen die fortgejegten Angriffe zu vertheidigen. Während jie in dem früheren Jahrhundert tu eine hoch“, niederteutiche und franzöfiiche Gemeinde zerfiel, theilt fie fih jest in eine hochteutſch reformirte und wallonijche Gemeinde.

Die Verfaffung der reformirten Gemeinde ift diejelbe ge- blieben. Sie jteht unter dem Kirchenrath in Heidelberg und wird durch die Pfarrer, die Aelteſten und Almojenpfleger (Diaconen) verwaltet.

Die größten Schwierigkeiten für die Gemeinde ergeben ſich bei den Wahlen der Pfarrer, des Nectors und der Lehrer.

Bei den eriteren waren die Brobepredigten eingeführt. Unter den mehreren Gandidaten, welche einer Brobepredigt ſich unterwarfen, wählte die Gemeinde. Die Wahl wurde unter Zuzug einiger Rathverwandten und unter Zeitung der Vorſteher vorgenommen. Die Wahl wurde jodann dem Kirchenrathe angezeigt, damit derjelbe den Gewählten der furfürftlichen Re— gierung präjentire, und dieſe ihn confirmire und berufe. Allein Öfter8 wurde gegen die Wahl von einem Theile der Gemeinde- glieder protejtirt, welche, wie bei der auf Ableben des Pfarrers Widder erfolgten, ſich über unerlaubte Einflüſſe der Vorfteher beichwerten. Bei diejer Wahl Hatte Weger die Mehrheit der Stimmen, 122, erhalten. Die Wahl wurde aber nach langen Verhandlungen umgejtogen und am 25. Mai 1735 aus „Liebe zum Frieden“ eine neue Wahl vorgenommen. Dabei erhielt

302 Die focialen Verhältniſſe x.

fe Biyue 5, Anöpfel 1, Weger 158 und Rector Bräunig, ber vorige Concurrent Wegers, 215 Stimmen. Er war aljo jtatt Wegers gewählt. Man jieht daraus, da die reformirte Ge— meinde damals mindejtens 379 ftimmberedtigte Mitglieder zählte. Auch darüber ergab fich eine Differenz mit dem Kirchen— rathe, ob die Candidaten vor oder nad) der Wahl demjelben zu präjentiren jeien. E3 blieb aber bei dem Herfommen. Karl Theodor hielt auch bei den Reformirten jtreng darauf, daß feine Ausländer zu Pfarrern gewählt werden, und als diejes im Jahre 1766 mit Pfarrer Esvuch der Fall war, wird die reformirte Gemeinde um 100 Ducaten geitraft.

Das Conſiſtorium jucht auch den Einfluß der Reformirten in der politifchen Gemeinde zu Eräftigen. Es glaubt, daß zwei Nathöglieder eine unverhältnigmäßig geringe Nepräjentation der jtarfen reformirten Gemeinde bei der Semeindeverwaltung bilden, und e3 thut Schritte, wenn aud) vergeblih, um deren Zahl auf vier zu vermehren.

Die Gemeinde bejchließt im Jahre 1735 ein Armenhaus zu bauen und veranftaltet dazu eine Gollecte; und wegen der Kirchhöfe, die aus der Stadt verlegt werden jollen, jowie wegen Ausbaues des KHirhthurms tritt man mit immer neuen Ans forderungen an fie heran. Dies wird im Jahre 1754 be— ichlofjen und nach dem Plane Bibienas durch Oberbaubdirector Pigage ausgeführt. Die Wallonijche Gemeinde jteht auf dem gleichen confefionellen ‚Boden mit der deutjch-reformirten Ge— meinde. Sie hält fih nur äußerlich von ihr getrennt. Der politijhen Gemeinde gegenüber erjicheinen beide als Glieder desjelben Ganzen. Das zeigt ſich z. B. bei der BVertheilung des Nathsalmojens. Dasjelbe fällt auf die fatholijche, Die reformirte und die lutherijche Gemeinde zu gleichen Theilen.

Huch die walloniiche Gemeinde muß ſich im Verthei— digungszuftand erhalten, nicht nur gegen die Kapuziner umd Jeiniten, jondern auch gegen die Zutheriichen und Reformirten. Auch die proteftantiichen Konfeſſionen bejchuldigen fih einer starken ‚Rekrutirung“. Die Wallonen und Reformirten jchloffen am 20. Dezember 1742 einen Vertrag, wonad nicht ohne Zus

Die focialen Verhältniſſe ꝛc. 303

ftimmung de3 reformirten Konfiftoriums oder de3 wallonijchen Minijteriums die Glieder der einen oder anderen Gemeinde aufgenommen werden jollten; allein beide Theile beichuldigen fich bald des Bruchs dieſes Vertrages und banden fich beiber- jeits nicht mehr an denjelben. Die meiften Uebertritte von der wallonijchen zur teutjchreformirten Gemeinde jcheinen indeifen aus Rüdfichten auf die Sprache vorgefommen zu fein. In den Glaubensjägen ftimmten beide Theile überein. Im Jahre 1770 bedarf die wallonifche Gemeinde eines zweiten Pfarrer und es wird hierzu Pfarrer Jolly aus Frankenthal beitellt.

Sie legt großen Werth auf ihre gejchichtliche Vergangen- heit. Die Grauſamkeiten Albas haben fie nad Mannheim ge- führt. Hier Hat fie das induftrielle Leben in Aufihwung gebradt. Die Zerftörung Mannheims im Jahre 1689 trieb fie wieder in die Fremde. In Magdeburg gründete fie „l’eglise reformee Wallone de Mannheim“, welche heute noch befteht und blüht. Die nad) Hanau und Vindefen Geflüchteten fehrten im Fahre 1696 mit ihrem Prediger Raboudet nad; Manıt« heim zurüd. Sie haben Vorfteher („Miniſterium“) und Aelteſte.

Als ſolche funftiontrten beim Beginne des Jahrhunderts Joſeph Saviary, Daniel Coqui, Janron Marhand, Philipp Euftine u. U.

Die jonjtigen firhlihen und vermögensrechtlichen Beziehungen beider Gemeinden find Tebhafter, wie die mit anderen Kon— feifionen. Bald verträgt man fi in Güte und tritt auch zu gemeinfamer Action zufammen, wie 3. B. wenn e3 fi um Proteftation gegen Eingriffe in das Wahlrecht der Gemeinde handelt (1713); bald fertigt man jpitige Schriften gegen einander. Die Wallonen werden bei Ddiejer Veranlaffung in der Regel von den Reformirten als die „Herrn Wallonen“ titulirt.

Die Zahl der Lutheraner belief ſich im Jahre 1710 auf 1115 Seelen, vermehrte ſich aber bald um ein Beträchtliches. Die kurfürſtliche Regierung wollte das Wahlrecht der lutheri— ſchen Gemeinde nicht aufkommen laſſen und unterm 7. März 1725 erging ein Erlaß derſelben, wonach ausgeſprochen wurde,

304 Die focialen Verhältniſſe x.

daß feine Gemeinde ſich unterjtehen jollte, ohne Vorwiſſen des Konſiſtoriums eine Pfarrwahl vorzunehmen. Unterm 17. Auguit 1725 fam es zu einem Vergleiche, worin feitgejtellt wurde, daß bei einer Pfarrwahl das Konjiftorium „zwei capable Subjecte“ und ebenjo die Gemeinde zwei jolche vorjchlagen jollte Die Kandidaten mußten dann Probepredigten halten und barnad) wurde die Wahl von der Gemeinde vorgenommen.

Auch die Iutheriiche Gemeinde war übrigens an die Wahl inländiicher Kandidaten gebunden (1758). Die lutheriiche Ge— meinde jtand mit der reformirten meiltens auf gejpanntem Fuße. Eine lateinische Schule wird im Jahre 1711 ge— gründet und an ihre Spige Rektor Langen, jpäter Dietrich Köjter geitellt.e. Zu gleicher Zeit wird ‚die Kirche mit einer Orgel verjehen, welche Organıft Reumanı aus Sachſen jpielt, ber als ein vortrefflicher Mufifer gerühmt wird.

Die Intheriiche Gemeinde erhält jich in unveränderter Ge— jtalt bis ans Ende des Jahrhunderts. Ihre Organijation fräftigt ih auch äußerlich. Das lutheriſche Konſiſtorium be= fteht jchließlih aus einem Direktor, acht Räthen und einem Sekretär.

Es iſt nun noch der Mennoniten Erwähnung zu thun. Dieſelben werden ebenſo quäleriſch behandelt wie die Juden. Im Jahre 1706 beſchränkt man ihre Zahl auf 20 Familien, allein dieſe Beſtimmung kann auf die Dauer nicht eingehalten werden. Die Mennoniten müſſen um Heiratherlaubniß ein— fommen und um den Schuß nachſuchen, jonft werden fie nicht geduldet. Dieje Beitimmung wird noch im Jahre 1790 wieder- holt. Es find fleißige und betriebjame Leute, die jich nament- lich mit dem Aderbau bejchäftigen. Da wird im Jahre 1774 fonftatirt, daß die Mennoniten viele Meder anfaufen und einer derielben jogar 38 Morgen bejigt. Man wirft deshalb die trage auf, ob der Erwerb von Grundeigenthum durch Diele Sekte nicht zu beichränfen jei. Diejelbe Frage wiederholt fich im Jahre 1777. Man beantwortet fie im Jahre 1784. Da: mals wurde bejtimmt, dat die Mennoniten zwar Gitter und Gärten erwerben dürfen, dat aber der frühere Eigenthümer

Die ſocialen Verhältniiie x. 305

während drei Jahre ein Auslöjungsrecht befiten jolle. Diele Auslöfungsbefugnig wird im Jahre 1787 nochmals beftätigt und fie erhält fich bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, zu welcher Zeit fie vom Kurfürjten Marimilian bejeitigt wird. Den Mennoniten ift die Abhaltung eines ftillen Gottesdienſtes geitattet (1784).

Die Zahl der jüdischen Familien beläuft ſich im Jahre 1723 auf 160. Die Jubdenvorfteher find noch in berjelben verantwortlihen Stellung, wie früher dem Rathe gegen- über. Sie find das Organ, durch welches berjelbe mit ber gejammten Judenſchaft verhandelt. Sie müffen Ordnung halten und einjchreiten, wo fie gejtört wird, was namentlich auf dem Fiihmarkte und in dem Schlachthauſe gejchieht. Ihre Ver: lündigungen nehmen fie in der Synagoge vor.

Auch jene Erjcheinung, die zu der damaligen Zeit ber firhlihen Berfolgungen in vielen Städten auftrat, und nad) welcher man Haß und Verfolgung durch Andichtung von Ver: brechen zu jchüren fuchte, fam auch in Mannheim vor. Als im Sabre 1727 ein Kind verloren ging, wurde das Ver— ſchwinden desjelben den Juden zur Laft gelegt. Die ge— ſchwätzige Fama wollte deijen Leiche in einem Keifer gefunden haben. Die Judenvorjteher traten fräftig auf und verlangen vom Rathe eine jtrenge Unterjuchung. Das Rejultat derjelben erzielt eine völlige Grundlofigfeit der ausgebreiteten Gerüchte,

Unter Karl Theodor beginnt auch eine Art Reformperiode für die jüdiſchen Verhältniffe. Die Ichlimmften Bedrückungen hören auf, und als Karl Theodor im November 1747 von Düfjeldorf zurüdfommt, wird er namentlich von der jüdiſchen Bevölkerung mit großer Freudenbezeugung empfangen, fo daß jelbjt die dabei begangenen Erceffe mit Nachſicht beurtheilt werden.

Karl Theodor Hatte 1744 jeine erſte Konzejfion für die Suden in der Pfalz ertheilt. Allein auch dieſe Reformperiode hielt nicht Stand.

Die Barmer und Elberfelder Handelsleute hatten (jchon unter Karl Philipp) vorgefchlagen, die Juden von der chrijt-

Defer, Geſchichte der Stadt Mannheim. 20

306 Die jocialen Berhältniffe x

lihen Bevölkerung abzujondern und Religionsfreiheit zu ge= währen. Gegen jenen Vorjchlag proteftirten die Judenvorfteher damals jofort, indem fie jich darauf beriefen, der Stadt immer aufgeholfen zu haben.

Im Jahre 1761 und 1762 wurde ber Stadtrath zum Bericht aufgefordert, ob e3 nicht zweckmäßig jei, eine Juden— gaffe einzuführen und der Rath ſprach ſich dahın aus, daß jolhes innerhalb vier Jahren gejchehen könne. Die. Juden müßten angehalten werden, ihre Wohnungen außerhalb der zu bezeichnenden Straße innerhalb. jenes Zeitraums zu verkaufen und fich dort anzufaufen. Ebenjo müßten die Chrijten ange» halten werden, ihre dortigen Häufer nad tarirtem Werth abzu= geben. Die Quadrate, wohin die Juden überjiedeln jollten, wurden bejtimmt und das Nähere in die Concefjion der Judenjchaft fir die Stadt Mannheim vom 21. November 1765 aufge= nommen.*)

*) Diefe Conceſſion erläutert und ergänzt die biöherigen Beltimmungen über die Nechtsverhältnifie der Juden in Mannheim und fie blieb im 18. Sahrhundert geltendes Geſetz. Wir führen deren wejentlichen Inhalt an:

Der $ 1 beihäftigt ſich mit der Clausſtiftung wovon weiter unten bie Rede iſt.

Der $ 2 normirt den Zinjenbezug bei Darlchen. Bon Darlehen unter 25 Gulden ohne Fauftpfand können 10% auf ein Jahr; von 25—50 unter der gleichen Vorſetzung 8%, von 50—100 fl. ebenfo 7% erhoben werden; von Darlehen mit Sicherheit dagegen nur 5% Zinſen.

Im $ 3 ift beftimmt, ‚daß bei Darlehen auf unbeweglihe Güter die Baluta dem Schuldner vor feiner Obrigkeit baar vorgezählt werden muß, und daß darauf erſt Die Hypothek ausgefertigt werden darf. Das Pfand» objeft darf bei der Berfteigerung dem jüdiſchen Greditor nicht zugeichlagen werden. Darlehen über 50 fl, follen immter eine Urkunde von Notar und Zeugen erfordern. Bei trodenen Wechſeln ift das Blanco-Indofiament unterjagt.

Der $ 4 verbietet den Ankauf von Fahrnißgegenitänden von Weibern, Kindern und Dienftboten; ſder $ 5 unterwirft die Juden ben ſonſt gel tenden Gejegen und Verordnungen; nur in ihren Geremonien jollen fie frei fein,

Der $ 6 beſchränkt die Zahl der jüdiihen Familien auf zweihundert. Einwanderer müfjen fich anmelden und fo lange fie den Schug nicht erlangt haben, die doppelte Schagung bezahlen.

Die ſpeialen Verhältniſſe x. 307

Die Juden waren vom Staate ausnahmsweije behandelt, von der Gemeinde ausgejchlojjen, von der Geſellſchaft zurück— gejtoßen. Nur bezüglich) Einzelner bejtand von dieſer Regel wieder eine Ausnahme Es waren die Hof» und Miltzfactoren.

Die außerordentlich zahlreichen Lieferungsgejchäfte, welche zu Anfang des 18, Jahrhunderts vorfamen, insbejondere aber die Lieferungen für das einheimiihe und fremde Militär, ebenjo das damals jich entwidelnde Geld» und Wechſelgeſchäft hatte den Beizug gewandter israelitiicher Gejchäftsfeute für den Kurfürjten und die Regierung nothwendig gemacht. So- bald dieje Verwendung eine dauernde wurde, wird eine Stelle

Der $ 7 beitinumt die Vermögensihaft zur Gonceffionsbefähigung, welche in 2—6000 fl. befteht, je nachdem man einheimiich oder fremd ift. Das Finzugsgeld beträgt 40 fl, außerdem muß noch Kajernengeld entrichtet werben.

Der $ 8 regelt die MWohnungsverhältniffe. Er beftimmt zunächſt, daß fein Jude in der breiten Straße und den beiden rechts und links ans ichließenden Nebenitraßen wohnen darf, ebenjo wenig in der Alarmgaſſe (den jegigen Planen). Innerhalb drei Jahre müßten die Häufer verkauft oder vertaufcht fein. Dagegen folle den Juden geftattet fein, zu wohnen „im Bezirke der Stadt vom fatholiichen Kirchhof, die Wormfer Gaſſe hin- durch bis in die Drappiergaffe, nämlich bis an das Eck des Wirthshauſes zum goldenen Adler, dann von dort gegen den Wall zu, wo das Militär- lazareth und der Juden Begräbniß annoch it, die Drappier- und Stallgafie hindurch, ſomit in dem dritten Viertel die Quadrate Nr. 49—61; in dem vierten die Quadrate 73, 74, 81, 82, 88,"

Im $ 9 iſt beitimmt, was die Juden zu zahlen haben, nämlich

1) Gimergeld ad 3 fl. nebit einem Eimer in natura,

2) Wacht: und Quartiergeld.

3) Schutzgeld 10 Thlr., die Wittweiber jedody nur die „Halbicheid“.

Der $ 10 geftattet den Juden, ihre Synagoge und Schule auf ihre Koſten zu halten, ferner einen Rabbiner, zwei Vorſänger, einen Judenſchafts— Diener, einen Schulklepper, einen Spitalmeijter, zwei Weglaubte, vier Krankenwärter, vier Schulmeifter und einen Schädter.

Sms 11 it die Entiheidungsbefugnig des Nabbiners und der Vorſteher in Sachen des Ceremoniells vorbehaltlid der Berufung an die christliche Behörde feitgeitellt.

Der $ 12 trifft Beſtimmungen über Anwendung der beutichen Sprache bei Ehepacten, Handelsbücer, Inventarien. Den boshaften Banquerouteur

20*

308 Die focialen Berbältniffe x.

und ein Rang gejchaffen, den man zunächſt mit dem Titel „Milizfactor“ bezeichnet; aus dem Milizfactor wird ein „Hof- und Milizfactor“ und im höheren Rang ein „Oberfactor“ oder „Oberhof und Milizfactor.“

Als ſolche Factoren werden genannt Lemle Mojes, der zu den Zeiten Johann Wilhelms und Karl Philipps feine Wirf- famfeit entfaltet, und im Jahre 1724 ftirbt; auf ihn folgt der Dberhof- und Milizfactor Süskind (1726), der Cabinetsfactor Emanuel Mayer, der gleichfall® bei dem Kurfürften in hohem Anfehen fteht, und zu auswärtigen Miffionen verwendet wird (1731); fodann Elias Hayım, deffen Sohn Mayer Hayım ; endlih Mayer Elias.

Beim Ende der Regierungszeit Karl Theodors beginnt bereit? das Bankiergejhäft ſich zu entwideln, und es ver- mitteln die Bankiers Schmalz und Aron Seligmann die größeren Geldgefchäfte des Kurfürften und der Regierung.

Unter den Hof» und Milizfactoren nahm Lemle Moſes jelbjt wieder eine hervorragende Stellung ein. Wir treffen ihn

foll außer der Strafe des großen Bannes auch die im Geſetze vom Jahre 1731 verordnete Strafe treffen.

$ 13 beſtimmt das Alter der Heirathsfähigkeit auf 20 Jahre.

8 14 beftimmt die Competenz der Regierung und Hoffammer bei Schutzverleihungsſachen.

$ 15 verordnet, daß die Juden auf ihren Sabbath und an Feiertagen in Civilſachen nicht vor Gericht geladen werden, dagegen auch die chriftlichen Feiertage reipectiren follen.

Der $ 16 definirt den „Schutz“. „Wir nehmen fie dergeltalten in Unjere Protection, Schirm und Schug, daß Wir felbige, jedoch eines Jeden Thun und Verhalten nad, nit verichimpfen laffen, jondern vielmehr dagegen ſchützen und ſchirmen“.

8 17 Spricht die Befreiung von der Naturalbequartierung aus, vorbes haltlih der Goncurrenzgelber.

$ 18. Im Uebrigen haben die Juden die Freiheiten der Stadt Mannheim mit zit genichen und die Laften mit zu tragen.

$ 19, Die neuverheiratheten Jubenfinder müflen um den Schutz nach— fuchen, injofern die Zahl von 200 nicht complet ift.

Alles in einer etwaigen Mehrung oder Minderung „Eraft unumſchränkter Machtvollkommenheit“ vorbehalten.

Die focialen Berhältniffe x. 309

ihon im Auguſt 1703 in Wien, wojelbjt er jich aufhält, um die jährlichen Subfidien von 400 000 fl. in Empfang zu nehmen, die damals an Kurpfalz gezahlt wurden. Später wird er er- wähnt als der Erbauer mehrerer Häufer, namentlich einer Billa mit arten gegen den Rhein hin. Auch ift er Erbbe- jtänder der Mühlau, die nach feinem Tode an den Kurfürjten zurüdfällt, und von demjelben im Auguſt 1727 an den reis herrn von SKagened Statthalter des Herzogtums Neuburg, vergeben wird, Seine Berbindungen find weit verbreitet; er erwirbt für jeine Zeiten große Reichthümer und ijt die finan— zielle Stütze des Kurfürſten in bedrängten Geldverhältniffen Seine Verdienjte werden mit dem Titel eines Hof» und Ober- milizfactors und mit Steuerfreiheiten jeines liegenichaftlichen Befitzthums belohnt. Auch nad jeinem Tode wurden diefelben gewürdigt, die Objignation auf jeinem Nachlaſſe wird baldigjt aufgehoben, und die auf jeinen Häujern und der Claus ruhen» den Freiheiten und oncejjionen zu Gunſten jeines Erben Mojes Mayer bejtätigt.

Lemle Mojes Hat fein Andenken durch eine bedeutende Stiftung verewigt, „die Claus“. Nach Inhalt feines Teſta— mentes, von welchem eine durch die Beglaubten der gemeinen Sudenichaft Ijaae Ajtrud und Salomon Joſeph beurfundete Abjchrift in den Acten des General-Landesarchivs aufbewahrt iit, weiß er, daß das Ende von allen Menjchen der Tod iit, und er iſt zu der Ueberzeugung gelangt, „daß die Lebzeiten der Menjchen nichts als Narr» und Eitelkeit find, und vorbei- fliegen, wie der Schatten eines Vogels.“ Er will deshalb eine Ordnung jeiner Berlajjenichaft Heritellen, welche die Judenſchaft in Mannheim erfüllen joll.

Lemle Mojes glaubt, daß die erjte und bejte Vernunft des Menſchen in der Gottesfürchtigfeit bejtehe, und er ordnet des— halb Gebete an und jtiftet ein ewiges Capital von 100000 ft., um das Studium in der Thora zu befördern. Davon ſind jährlih 3000 fl. für 10 Rabiner bejtimmt. Die Häuſer des Lemle Mojes, welche gegen Sonnenaufgang und Sonnenunter- gang stehen, jollen zur Clausftiftung gehören bis an's Ende

310 Die focialen Verhältniſſe zc.

der Welt. Er ernennt jeines Bruders Sohn Moſes Mayer zum Clausdirector und trifft die nöthige Beitimmung über Ver— waltung des Stiftungsvermögens. Die Clausjtiftung befteht heute noch.

Auch die andern Hof und Milizfactoren befanden ſich in günftigen Verhältnifjen. Der Sohn de3 Elias Hayum, Mayer Elias, hat ſich während des fiebenjährigen Krieges durch reelle und pünftliche Lieferungen Berdienfte erworben, und es ergeht deshalb im Dezember 1759 ein Furfürjtliches Decret, wonad) dem Hof» und Milizfactor Elias Hayım Sohn, Mayer Elias, „die Gnade angethan wird, in Anjehung des bei der zur Reichs- erecutionsarmee gejtellten Sriegscontingent® und bisheriger guter und richtiger Lieferung fich erworbenen Verdienites, auch zugeficherten Beeiferung das gleichmäßige Hof und Milizfac- torenpatent zu erhalten.“

Dieje Verhältniffe der Judenſchaft erhalten jich bis zum Schluſſe des Jahrhunderts. Die Vorſchriften bezüglich der Judengaſſe laffen fich nicht mit aller Strenge durchführen. Auch die Claus bleibt, obgleich in der Conceſſion ihre Ver— legung vorbehalten war, an ihrer Stelle, die Verbote in Be— treff der Kleidung werden gemildert.

Allein im Uebrigen bleiben die Dinge in dem früheren Stande. Während der SKriegszeiten am Schluſſe des Jahr: hunderts erichwert ſich auch die Lage der Juden, und ihre Borjteher, Löw Baruch Kahn, Wolf Gabriel Mai und David Ullmann haben die jchwierige Aufgabe, den an fie geitellten Anforderungen zu entiprechen oder aber die Schwere des Kriegs- gejebes zu empfinden. Für die jüdifchen Verhältniſſe konnte erjt mit dem Herannahen einer neuen Zeit auf Bellerung ges hofft werden.

Mit der Berlegung der Nejidenz und des Hofgerichts wird Mannheim auch der Mittelpunkt der Erecutionen in Kurpfalz. Bon allen Seiten jchleppt man die Verbrecher und diejenigen herbei, die des Todes würdig erklärt find. Ein neues Be— bürfnig tritt deshalb hervor. Der Scharfrichter iſt zwar ein» heimiſch geworden, aber der Galgen iſt jchadhaft und ein neues

Die ſocialen Verhältniſſe xc. 3ll

Hochgeriht muß deshalb am Schafbrunnen errichtet werden. Der 26. Juli 1724 war ber Felttag, an welchem das Wert begonnen werden jollte. Bier Compagnien der Bürgerichaft verjammeln fich mit fliegenden Fahnen auf dem Markte. Die Zunft der Maurer und Zimmerleute ift dorthin bejtellt. Jede derjelben will an der Spite des Zuges marjchiren, und als die Zimmerleute den Maurern den Vorrang nicht zugeitehen wollen, weigern fich die letteren zu marjchiren. Dem Stadt: director Lippe gelingt es endlih, ein Compromiß zu erzielen, und hinaus bewegt fi der Zug, der den neuen Galgen er: richten will. Stadtdirector Lippe thut den erjten Dieb mit der Art in das Holz und legt den erjten Stein zum Galgen, und darauf macht fich die jubelnde Menge daran, das Werk fortzu— jegen. Bis zum 29, iſt der Galgen vollendet; er wird mit einem „ſchön gezierten“ Kranze umjchlungen und die Mufif be- grüßt mit Iuftigen Weijen die Vollendung des Werkes. Ein Däger des Grafen von Hillesheim, der einen Diebjtahl be- gangen, ijt der Erſte, welcher dort vom Leben zum Tode ges bradjt wird,

Am Beginne der Regierungszeit Karl Theodors wird ein Falſchmünzer mit feiner Frau zum Feuertode verurtheilt, jedoch, da die Milde der Schärfe vorzuziehen ift, zum Tode durch das Schwert begnadigt. Sein Genofje wird nur verurtheilt, Die Erecution mit anzujfehen und empfängt dann, wie die beider- jeitigen Weiber, Staupenjchläge.

Im Jahre 1749 tritt eine in den Kreifen der Bagabunden bejonders bemerkte Perjönlichkeit auf. Robuſt von Gejtalt, mit jtruppigen Haaren bededt, gebietet diejelbe über eine an— jehnliche Truppe. Bieler Herren Länder Hat fie ſchon durch— zogen, geleitet und gejhüßt von ihrem Häuptling, Mojes Jacob Sulgberger, genannt der haarige Ranzen. Da wird bderjelbe mit jeinem Genoffen, unter denen ein Abraham Biſcher der vornehmſte ift, in der Pfalz verhaftet und nah Mannheim in das Gefängnig im Rathhauſe gebracht. Das Gerücht von der Verhaftung jenes WVagabundenhäuptlings verbreitet ji und Alles kommt, um den haarigen Ranzen zu jehen.

312 Die focialen Berhältniffe x.

Am 28. Juli wird er mit jeinen Genofjen dem Strange überliefert; de3 haarigen Ranzen Frau wird mit den Uebrigen des Landes nad; gejchworener Urphede (eidliche Verſicher— ung, das Land nie wieder zu betreten) verwiejen. Der Name „haariger Ranzen“ jollte eine den Mojes Jacob Sultz— berger weit überdauernde Bedeutung gewinnen. Denn als bald darauf wieder neue Arreftanten anfommen und in das Gefäng- niß des Sulbberger verbracht werden, nennt man das leßtere den „haarigen Ranzen“, und im Jahre 1751 erjcheint dieje Be— zeihnung jchon gelegentlich der Berhaftung eines Wilhelm Günfter als die officielle in den Rathsprotofollen.

Die Erwähnung diejes Wilhelm Günjter it auch injofern von Bedeutung, als darin auf ein culturhiftoriiches Moment verwiejen wird, das vielleicht heute weniger mehr gekannt iſt. Er war zur Galeerenjtrafe verurtheilt. Die gleiche Beitrafung wiederholt ſich mehrfach. Dieje Strafe muß in Holland voll: zogen werden. Den Günjter fann man nicht allein nad) Hol— fand verbringen, das würde zu viel fojten; deshalb muß er furz geichloffen im haarigen Ranzen ſitzen, „bis die Zeit der von Straßburg abgehenden Kette von Galeerencandidaten an— kömmt.“

Ein beſonderes Aufſehen erregte endlich die Hinrichtung eines Freiherrn von Buchröder wegen Mords. Bei deſſen Hin— richtung (Juni 1764) ſtrömte nicht nur eine Maſſe Volks her— bei, ſondern auch der ganze Hof mit ſämmtlichen Hofkutſchen, ſowie die Leibgarden waren anweſend, woraus man auch auf die Anweſenheit Sereniſſimi ſchließen kann. Da die Volks— menge ſich vordrängte, die Hofkutſcher ſolches aber nicht leiden wollten, entſtand ein großer Tumult, der in allgemeine Prügelei auszuarten drohte. In Folge deſſen wurde eine ſtrenge Ord— nung, wie es bei den Hinrichtungen zu halten ſei, erlaſſen.

Die Hinrichtungen werden übrigens nicht mehr in Gegen— wart des ganzen Raths, ſondern nur vor drei Hinrichtungs— commiſſären vorgenommen, denen zur Erleichterung ihres miß— lichen Geſchäſtes Reitpferde zur Dispoſition geſtellt werden.

Eine Taxordnung für die Scharfrichter, je nach dem

Die focialen Verhältniffe x. 313

Prangerftellen, Daumjchrauben Torturen, Fujtigiren u. j. w. angewandt wurden, bejtand jeit dem Jahre 1741. Die Locali- täten, in welche die Maleficanten fich vor der Hinrichtung aufs hielten, waren neben dem haarigen Ranzen die „Bötzenkammer“, ohne Zweifel das Lofal, in welchem man die Marterinſtru— mente applicirte, jodann das „Armejünderjtübchen“.*)

Ueber die Hofleute und Soldaten bejaß die bürgerliche Polizei feine Gewalt; um jo jchärfer und unbarmherziger jchritt fie gegen das Weibsvolk ein. Körperliche Züchtigungen, Brand» marfung und PBrangerjtellung u. A. wendet man gegen te an.

Eine „Schelmin von Rotenbach“ jpielt in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine der erjten Rollen in der demi-monde des furfürjtlihen Hofes, bis fie sichließlih mehr und mehr finft und dem Farrenziemer verfällt und ausgewiejen wird.

Deffentliche Tanzbelujtiguigen Redouten „bei denen jih Manns» und Weibsleute indijtinete einfinden*, jowie mas— firte Zuſammenkünfte find in jener Zeit Schon jehr im Schwunge; doch läßt fie Karl Theodor in calamitofen Zeiten öfters ver- bieten.

Ein jüdischer Tanzlehrer Elkan ift der Erfte, der die Tanz- funjt in weiteren Kreiſen zu cultiviren jucht. Er erhält im Jahre 1746 die Erlaubniß, an Sonn» und Feiertagen nad) dem Gottesdienite Tanzitunden zu geben, bei denen er auch auf— ipielen darf.

Nur bei einzelnen Gelegenheiten jchwand vorübergehend die Kluft, welche zwiichen dem verjchiedenen Kreiſen der Geſell— ſchaft beſtand. Es waren dies die Volfsfefte.

*) Mit der Veberfiedelung des Hofgerihtd nah Mannheim kam die damals noch allgemein üblihe Anwendung der Folter nah) Mannheim. Aus diejer Zeit dürfte auch das in der Geſchichte der Folterwerkzeuge als „Drannheimer Bod* bezeichnete, jedenfalls von Scharfridter Schmidt aus Bergzabern erfundene Yolterinftrument itammen, Mit ber eigentlichen Stadtgeihihte Mannheims hat die Aburtheilung der Verbrecher des ganzen Landes nichts zu thun, weshalb hier nur einige wenige Fälle erwähnt feien. Karl Theodor bemühte fich ernitlih um die Abjchaffung der Folter, die zunächit in feinen Herzogthümern Jülih und Berg nicht mehr zur Ans wendung kam.

314 Die focialen Verhältniſſe x.

Ber einer diejer Feſtlichkeiten wurde eine Stiftung gemacht, die die Stadt berührt und deren Gegenjtand noch vorhanden it, wenn auch die Stiftung jelbit der Vergejjenheit anheim fiel. Als nämlih im Jahre 1730 ſich gelegentlich des Bei: lagers des Pfalzgrafen ChHrijtian mit der Prinzeſſin Eleonore von Heſſen fich herausftellte, daß die Bürgerichaft noch „Feine Leibfahnen“ bejäße, jo wurde eine jolche bei Golditider Klein bejtellt, und e3 wurde Ddiejelbe am 8. Januar 1731 dem ver— fammelten Rathe übergeben und an einer Stange befeitigt.

Man vertiefte ſich bei diejer Veranlafjung in die Erinner- ung an vergangene Beiten, und es fam auch die Rede auf Die Teitlichfeiten bei dem 100jährigen Jubiläum der Stadt am 24. Jänner 1707 und auf den goldenen Becher, den damals der Rathsverwandte Chryjoftonus Mang von der Stadt bei dem Freiichiegen gewonnen Hatte. Derjelbe muß den Becher herbeiholen, um ihn den Rathsmitgliedern, die ihm noch nicht gejehen haben, zu zeigen und er jchenft ihn der Stadt mit der ausdrüdlichen Bejtimmung, „daß bei Stadtfejtivitäten jedesmal daraus getrunfen werde“ (welche Beſtimmung jedoch in Ver: gejienheit gerieth).

Unter Karl Theodor erhielt die Schüßengejellihaft oder Schügencompagnie eine feſtere Geftalt. Unterm 1. Juli 1744 genehmigt Karl Theodor ihre Statuten. Die Schübenmeijter waren Freiherr von Hohenhaujen und von Oberndorf. Im October 1749 wurde eine Schießordnung für Scheibenjchießen erlaffen und vom Jahre 1750 ein Namenverzeichniß der Mit- glieder der Schügencompagnie angelegt. Der Kurfürft und die Kurfürjtin, Prinz Friedrich und feine Gemahlin ftehen an der Spige derjelben. Im Jahre 1797 wurden die Statuten er— läutert und ergängt.

Einem tief empfundenen Bedürfnifje entipringen in der Mitte des 18. Jahrhunderts eine Anzahl Vereinigungen, welche die gegemieitige Unterftügung in Krankheits- und Sterbe- fällen bezwedten. Dieje Vereinigungen waren confejlioneller Natur. Für die Satholifen war durch das Borromäus- Hojpital und das Fatholiiche Bürgerhojpital geſorgt. Trotzdem

Die ſocialen Berhältniffe x. 315

ftellt fih die Kurfürjtin noch an die Spibe eines Kranken— vereind. Auch die Jiraeliten gründeten ihren Kranfenverein und eine Todtenbruderjchaft, deren mehrfach Erwähnung gethan wird. Der protejtantiiche Kranfenverein datirt vom 24. October 1774 und wurde als „Kranken und Sterbefajje“ gegründet. Der Berein nahm einen fehr günjtigen Fortgang und zählt jchon im Jahre 1780 eine Zahl von 253 Mitgliedern. Der Verein hat fi) als Kranfenverein im König von Portugal bis auf die heutige Zeit erhalten, und durch jeine jegensreiche Wirkſamkeit die Entjtehung der übrigen Krankenvereine hervor— gerufen, die heute noch ein jprechendes Zeugniß von dem unter der Bevölkerung berrichenden Sinn für Selbjtthätigfeit ablegen.

Die Verkehrsmittel hatten fih im 18. Jahrhundert ges beilert. Die Landkutjchenverbindung Hatte fich vervollkommnet und auch die Poft gelangte allmählich zu einer bejjeren Ver— faſſung.

Schon beim Beginn des 18. Jahrhunderts iſt in ber Berion des Herrn Forchmeier ein kaiſerlicher Poftmeifter hier vorhanden. Die Landkutichen, welche bald auch Diligencen genannt werden, und die nach Heidelberg täglich gehen, jowie die Hauderer machen jedoch der Poſt eine erheblihe Con— eurrenz, jodaß man fich bald nad) einem geeigneten Schub für das Poſtregal umfieht. Darauf begründet fi die Beitimmung, daß „Neijende, welche mit Bojtpferden anfommen, auch wieder mit Bojtpferden abreijen müſſen.“ Erjt nad) einem bdreitägigen Aufenthalt find fie befugt, fich eines Hauderers zur Abreiſe zu bedienen. (1771). Im Jahre 1773 trifft man eine beijere Einrihtung mit der Beförderung des Poſtwagens. Es wird zu diefem Behufe ein eigener Bojtwagenjpediteur ernannt (Seiz), und es ergeht ein bejonderer Fatjerlicher Befehl, daß nur treue Eonducteurs und zuverläflige Poſtknechte bejtellt werden jollen. Die Poſt ijt übrigens auch Herausgeberin einer kaiſerlichen Beitung, und erhebt für Einrüdung von Avertifjements jchon von der Mitte des 18. Jahrhunderts an Einrüdungsgebühren (1758).

316 Die focialen Berhältniffe zc.

Ein eigenthümliches Zofalverfehrsmittel find die Porte- chaifen. Das Injtitut entſtand nach Ueberjiedelung des kur— fürftlichen Hofes nad) Mannheim; es entwidelte fich mehr und mehr und wurde unter Karl Theodor förmlich organifirt. Die Seffelträger find verpflichtete Leute; fie werben unter „ſchwerſten Aydespflichten” in Dienjt genommen und find gehalten bei empfindlicher Leibs- oder auch allenfalljiger Zuchthausitrafe ihre übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen. An ihrer Spite jteht der Portechaifen-Meijter. Die Portechaijen hatten einen angewiejenen Pla unter dem Kaufhaus.

Für den Waarenverfehr war die Schifffahrt von großer Bedeutung, die jich troß der Stappelrechte, welche jih Mainz und Köln anmaßten, und troß aller jonjtigen Hemmniſſe, die ihr bereitet wurden, lebhaft entwidelte. Es wurde jowohl die Rhein- wie die Nedariifffahrt organifirt und zwar in der Form der Rangichifffahrt. 1753 wird bejtimmt, daß um die Negelmäfigkeit der Schifffahrtsverbindung zu bezweden, Die Schifffahrt ſowohl auf dem Rhein wie auf dem Nedar nad) dem verliehenen Rang ausgeübt werden jolle.

Wer einen Rang erhalten will, muß Schiff und Geſchirr, mindejtens 1000 fl. werth, jowie eine Gaution von 1500 fl. jtellen. E3 wurden damals 6 Ränge geichaffen. Nheinabwärts walten die bereit3 erwähnten Hinderniffe ob. Dagegen läßt fih die Rangichifffahrt auf dem Nedar und nad) Straßburg ungejtört betreiben. Für den Rang nad) Straßburg muß man 2000 fl. Eaution jtellen. Im Jahre 1761 beitehen 9 Nedar- rangjchiffer und weitere 10 jind angemeldet; 5 Rangſchiffer nah Straßburg. Die Rangjchiifer jind an bejondere Taren gebunden, müſſen auch ihre regelmäßigen Fahrten einhalten,

Im November 1798 Hatten jid) die Kaufleute Wilhelm Franz Samphaujen und Caspar Anton Dilges von Düſſeldorf in Mannheim eingefunden, um der hieſigen Dandelszunft einen Plan zur Vervollkommnung der Schifffahrt vorzulegen, den jie bereits auc in Frankfurt mitgetheilt hatten. Der Plan bejtand darin, daß der Düſſeldorfer Handelsvorjtand eine Rangidifffahrt von Düſſeldorf nach Holland einrichten wolle, jo daß alle

Die focialen Verhältuiſſe x. 317

8 Tage ein Schiff von Düffeldorf nach Holland gehen folle. Die Waaren würden auf diefe Weile jchneller und billiger bejorgt.

Um dieſes heiljame Werk zu unterjtüsen und vollkommen zu machen, jollten nun die Mannheimer eine ähnliche Rang- ihifffahrt von Mannheim nad) Düffeldorf und zurüd ein- richten.

Die Handelszunft erflärte fich nach Erörterung des Dafür und Dawider mit dem Plane einverftanden unter zwei Be— dingungen. Die Herren aus Düfjeldorf jollten dafür forgen, dat die Schifffahrt zu Thal und zu Berg ungehindert jei und der gewöhnliche Ueberjchlag oder die Ausladung unterbleiben, und daß die direfte Schifffahrt auch fonft von den Mainzern und Kölnern nicht angefochten werde; ferner müfje die kur— fürftlihe Regierung mit der projeftirten Einrichtung einver- ftanden jein.

Im Jahre 1735 wurde die kurfürſtliche Münze von Heidel- berg nad) Mannheim verlegt; die Münzverhältniffe wurden aber dadurch in feiner Weiſe erheblich berührt. Schon im 17. Jahrhundert waren diefelben jchiwierig geworben. Ein jeder der Heinen und auch die kleinſten beutichen Fürſtenthümer, umd nicht allein die Fürften, jondern auch die Erbprinzen hatten fih ein Gejchäft daraus gemacht, Münzen zu prägen. Auf den Gehalt derjelben fam e3 dabei weniger an als auf den zu er- zielenden Nuten. Dadurch wurde ein fortwährendes Herab- jegen und Berrufen der Münzen veranlagt. Schlimmer ge- jtalteten fich noch die Dinge im 18. Jahrhundert. Man hat es nicht nur mit deutichem Gelde ber verjchtedenften Gattung zu thun, fondern ber Geldverfehr war auch damals jehr international. Franzöfiihe Schilde und Sonnenlouisd’or, ipanijche Quadrupeln, päpftlihe und ruſſiſche Ducaten, englijche Souverains, Züricher und Holländische Ducaten curfirten gleich- fall8 in Menge. Und die Silbermünzen theilten ſich wieder in Thaler und Guldenftüde; in */, Gulden und in halbe Gulden, in Kopfitücde, in Mariengroſchen, in 6 Kreuzerſtücke, in Baten und Albusjtüde, in 2", Kreuzer- umd 2 Kreuzer-

318 Die focialen Verhältniſſe x.

jtüde und in 6 Pfennigjtüde. Sie waren theil3 nad dem 20=, theil3 nad) dem 24-Guldenfuße geprägt. Ein fortwähren- des Schwanfen des Werthes diefer Münzen war unter diejen Umftänden erflärlih. Die Decrete, wodurch derjelbe regulirt und herabgejegt, oder auch die Münzen gänzlich verrufen er: Härt wurden, bilden in wenigen Jahren ganze Aktenfascifel von beträchtlichem Umfange.

Karl Theodor „in landesväterlicher Beherzigung der bei dem teutjchen Münzwejen vor mehreren Jahren bedauerlich eingerifjenen, nod) immer fortwährenden gemeinjchädlichen Zer- rüttung“ jucht diefem Gebrechen, das dem geſammten Publikum täglich mehr und unerjeglichen Schaden zufügt, durch eine Con— vention mit Bayern und Dejterreich zu jteuern (1765).

In die Zeit um 1780 fällt der Beginn des Xctien- weſens. „Zur Emporbringung der inländtichen Commercial- und Fabrik-Etabliſſements in Belang der Theilnehmung des Ankaufs und Ueberlaffens gejellichaftlicher Antheile, Stämmen oder Aktien ohne Unterichied, unter welchem Namen jolche auch immer kommen mögen,“ verfügt Karl Theodor unterm 31. October 1782, daß derlei Antheile oder Actien durch jeden Landeseingejefjenen ohne Unterjchied des Dienjtes, des Standes und ohne Rüdjiht auf einen bejonderen Auftrag an ſich ge- bracht und cedirt werden fünnen. 1783 erfolgte die Eröffnung einer Commercialroute nah Rußland und Konjtantinopel.

Konnte mit der Monopolifirung des Tabaks nichts ange: fangen werden, jo juchte Karl Theodor eifrigit durch Hebung des Gewerbefleißes das dort nicht Erreichbare zu erzielen. Tabakfabriken werden conceifionirt, darunter eine von ano, Dalencon und Genthon (1752); im Jahre 1782 die von Peter Brentano mit bejonderen Privilegien; um das weibliche Ge- ichleht von jchädlihem Müßiggange und fündyaften Leben ab— zubalten, wird im November 1749 die große Spitenfabrif des Commerzienraths Johann Maurer concejjionirt; es folgen im Jahre 1758 und weiterhin Krapp-, Plantage» und Fabrikcon— cejlionen für Chriſtoph Ballermann, Chriſtoph Michel (1778), Bernhard Ulrich Brasberger, den Adminiſtrationsrath Heddäus;

Beilage.

Statiftiiche Aufzeichnung über den Bevölferungsitand

der Stadt Mannheim im Jahre 1792.

Auszug aus der Jüngjten Aufnahme hiefiger

jämmtliher Stadtbewohner.

In Hiefiger Stadt befinden ſich an Haußpläzen,

fonjtigen Gebäuden .

Darin find dermalen bewohnte Dieſe Quartier bewohnen

1. Adliche Berfonen . k h . 64 2. Hofdienerichaft j i ; . 201 3. Minifter, und Staats Rathe 4 4. würckliche und Titular geheime Räthe . 24 5. würckliche und Titular Regierungsräthe 31 6. würckliche und Titular Hofgerihtsrätfe . 23 7. würdlie und Titular Hoffammerrätfe . 32 8. Titular Räthe und jonjtige bediente . 69 9. Advofaten und Kanzleiverwandte . . 147 10. Kanzleidiener und bothen . j & . 65 11. Komödie und Hofmufict . R 0.68 12. Hofbeichüßte, und jonjtige -ganz notoriſch

arme . . 613 13. Herrn Bebiente ; : 0. 136 14. Sämmtliches Militair außerhalb der Kaſernen

in hieſiger Stadt wohnhaft ' 00. 963

und 1542

.. 4969

749

1. Rathsverwandte, und Stadtgerichts assessores 27

2. Stadtoffizier, und Deputirte . . 80

3. Stäbtifhe und bürgerliche Dienerichaft . 18

4. Geiftliche, und le . -Di

5. Stabtjoldaten . j ; 63

6. Bürger . : i i . 1129

7. Arme Bürger . : h . 188

8. Beijaßen . ; s . 360

9. Münzknecht . i i j . 12

10. Buchdrudergejellen . ; ; 19 11. Die hieſige Judenſchaft . 237 12. Geſchützte Wohlhabende . i . 8 13. ledige reiche jo Keinen Schuß . i . 2 14. ohne Schuß überhaupt . j . 236

bewohnte quartier find Sind dermalen bewohnt

a. Mit adlichen, und Dienerihaft. - . 728

b. mit Hofbejchügten, Armen und Herrndiener 749

c. mit Militair . j i .. 963

d. mit Bürgerftand . i . 2529

4969

963

5. Hiefige Gemeinde

a. Stäbtifches Perjonale

Mannheim d. 18. Dec. 1792

2529 4969

Pfanner, Boos, Tremelius.

Plan und Anficht von

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1750.

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Anfelm Feuerbach's Gemälde „Nedea mit dem Dolce“

in der ädtifchen Gemältefammlung zu Manubeim.

Die ſocialen Verhältniſſe zc. 321

(1779); für eine Cattun- und Zitfabrif hat Mottu im Jahre 1751 ein Privilegium erhalten; eine Tabafspfeifenfabrit von Sohann Jacob Xiberih wird im Jahre 1742, eine Seibden- fabrif von Jean und Jaques Daufer aus Langundoe im Jahre 1759 concejjionirt; ein Caspar Sorgenfrei erhält im Jahre 1761 die Erlaubniß zum Torfgraben. Derjelbe Hat ein neues Material zur Erjparung des Holzbrandes entdedt; eine Syrup- fabrit von Chamoujet wird im Jahre 1772 concejfionirt, eine weitere Seidenfabrit von Paſſavant und Bincent entfteht im Jahre 1780. Gaftwirtd Renner zum „Bfälzer Hof* erhält im Augujt 1789 zuerjt die Erlaubnig, eine Kohlenniederlage zu errichten und wird mit der Freiheit von Chauſſee-, Brüden», Pflaſter- und Weggeld privilegirt. Bierbrauer Engelhorn er- hält im Jahre 1794 die Erlaubnif zum Bierejfig fieden. Der Fabrikationszweige waren es in den 1770er Jahren einige 60 in der Pfalz.

Das Sleingewerbe befand jich bis zum Abzuge des Hofes in einer verhältnißmäßig günjtigen Lage. Man fieht aus der Vermehrung der Zünfte, in welcher Weije ber Zudrang zu den- jelben fich vergrößerte. Much die Lurusgegenjtände werben bearbeitet. Die Ehefrau des Morqueray Coromeo ijt die erjte Modiſtin, welche im November 1741 die Eoncejlion zur Ferti— gung von Prgegenjtänden und Frauenkleidern erhält. Unter’m 4. September 1766 erhält Carl Heinrich Achenbach die Con— cejlton zur Errichtung eines Gaffeehaujes „für lauter ehrbare und angejehene Perſonen“. Hazardipiele find verboten.

Apotheken waren uriprünglich nur vier vorhanden, die zum Einhorn, Ichwarzen Bären, zum Belican und zum güldenen Löwen. Es wurde im Jahre 1709 ausgejprochen, daß es bei diejen vier Apothefen bejtändig belaffen werden jolle. Doc) wurde ihnen aufgegeben, dat jie bejtändig mit auserlejener Waare und bejtem Material verjehen jein jollten. Als die Vereinigung der FFriedrichsburg mit der Stadt Mannheim durchgeführt war, wollten die jtädtijchen Apothefen auf Grund jener Zujage die in der Feſtung bejeitigt wiljen; es wurde ihnen aber bedeutet, daß ſich das Privilegium nur auf die

Oeier, Geihichte der Stadt Mannheim. al

322 Die foeialen Verhältniſſe x.

Stadt Mannheim beziehe (1713). Im Jahre 1733 bejtehen neben den obigen nod) die Apotheke zum goldenen Adler und zum ſchwarzen Mohren.

Bald dachte man auch daran, eine nächtliche Beleuchtung der Stadt einzuführen. Aber erjt im Jahre 1748 fommt der Plan zur Reife. Die Stadt jhafft die Laternen an, die Be— feuchtung wird Entrepreneurs übergeben. Dieje thun indeſſen ihre Schuldigfeit nicht, jondern juchen nur, wie geklagt wird, ihren Vortheil (1760). Es ſoll jcharf eingeichritten, und ces follen die Entrepreneurs mit jtrengen Strafen belegt werden. Die Stadt bejorgte damals die Beleuchtung mit 518 Laternen und einen jährliden Aufwand von 1600 fl. Anwaltſchultheiß Pompejati war fpeziell beauftragt, diejen Gegenſtand unter jeiner Aufficht zu behalten, und es verlieren fich auch allmählich die Klagen über den mangelhaften Zujtand der Beleuchtung. Auswärts erfennt man vielmehr die Leiltung der Stadt Mann- heim in Bezug auf die nächtliche Beleuchtung als eine außer: gewöhnliche an.

Ebenſo ausgebildet werden die Feuerlöſch-Anſtalten. Namentlich jeit dem Jahre 1757, wojelbjt im Juli ein großer Brand entjitand, wird theils dadurch eingejchritten, daß man auf Befeitigung der Scheuern dringt, theils dadurd, daß man die Errichtung von Brandmauern vorichreibt, theils endlich da- durch, daß man die Löichanftalten verbeifert, neue Spriten und Feuereimer anſchafft, jowie die Löſchmannſchaft organifirt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts befindet jich die Stadt im Beſitze von 7 Feuerſpritzen, von denen 6 in der Stadt ver: theilt find; eine derjelben iſt mobil und kann jofort dahin ab- gehen, wo ein Brand entjteht. Zu den Feuerſpritzen ijt die erforderliche Bedienungsmannjchaft mit dem Sprigenmeijter an der Spitze, jowie die Ablöjungsmannjchaft eingetheilt, Zu den 7 jtädtiihen Spriten fommt noch eine Hofiprike. Feuer— Commiſſär ijt der eine Bürgermeifter. Feuerpiquets ſind be= jtellt; für Tyeuereimer, Leitern und Hafen iſt gejorgt. Sobald ein Brand ausbricht, verjammeln fich die Spiten des Stadt— rathes auf dem Rathhauſe und von dort aus werden Die

Die ſocialen Berhältniffe x. 323

weiteren Anstalten getroffen. 67 öffentlihe Brunnen find vor- handen, die benüßt werden können.

Ueber den Bevölferungsitand der Stadt im 18. Jahr- hundert finden fich leider nur wenige ftatiftiiche Aufzeichnungen. Eine derjelben, die allerdings nur die Zeit nad) Wegzug des Hofes betrifft, ift hier al3 Beilage gegeben (Seite 319).

Die Stellung der verjchiedenen Klaſſen der Bevölkerung zur Stadt ijt jehr verichieden. Alles was mit dem Hofe und dem Staatsdienjte zujammenhängt, fteht, wie gejagt, außerhalb des ©emeindeverbandes und ift von den Gemeindelajten mit Ausnahme der Straßenläuberung befreit, und hierbei ijt es gleichgiltig, ob man ein wirklicher oder ein Titularrath, ein zählender oder ein noch nicht feſt Angejtellter ift.

Auc die Advokaten und Kanzleideamten zählen unter dieje Kategorie. Was die Erjteren anbelangt, jo jtehen fie unter dem Hofgerichte und der Regierung und werden namentlich zu den Zeiten Karl Philipps unter jtrenger Disciplin gehalten, So wurden im Jahre 1729 einem Advofaten Soyer von dem Hofgericht jeine „rabultitiichen Streiche* verboten, und als er ſolche wiederholt, wird er incarcerirt. Endlich verjpricht er Beijerung und wird des Arreſtes entlafjen.

Auch unter der Negierung Karl Theodors wird auf prompte Beförderung der Gejchäfte und der Bejeitigung aller Winkelzüge wiederholt gedrungen.

Beim Beginne des Jahrhunderts fam es vor, daß ausge- diente Unteroffiziere, wie 3. B. Sergeant Biltorius (1700), unter die Zahl der Procuratoren aufgenommen wurden mit der Verpflichtung, Feine Injurien in ihre Schriften aufzunehmen und die Parteien nicht mit Prozeffen aneinanderzuhegen. Seit- dem aber die Ernennung von Advofaten und Procuratoren an das Hofgericht und die Regierung übergegangen iſt (1729), jcheint man einen größeren Werth auf die Uualıftcation Der Betreffenden zu legen. Die Advofaten geben ſich wejentlich mit der Bearbeitung von Prozeßichriften ab.

Im Öanzen ergibt ſich aus der Zujammenjtellung, daß die Zahl der Familien, welche eine erempte d. h. gemeindelajten-

2ı*

324 Die focialen Verhältniſſe x.

freie Stellung in der Gemeinde einnahmen, nahezu die Hälfte betrug. Die dadurch hHervorgerufene Ungleichheit der Be— faftung war jo bedeutend, daß man fie bei der allgemeinen Staatsbeſteuerung auszugleichen ſucht. Das zeigt ſich 3. B. beionder8 bei der Erhebung einer Kopfiteuer während des jiebenjährigen Krieges zur Beitreitung der Kriegskoſten. Das Steuergejeg vom 9. Januar 1758 legte jeder Familie mit Ausnahme der im Dienft befindlichen Militärs und der ganz Armen die Verpflichtung auf, eine Kopfitener zu entrichten. Dieje Kopfitener wurde nad) der Nangordnung der damaligen Geſellſchaft erhoben.*)

Karl Theodor Regierung Hat übrigens noch dauerndere Verdienſte aufzuweiſen als die hier gejchilderten einzelnen Maß—

*), In eriter Linie ftehen natürlich die Minijter, Regierungs- und fonitige Näthe. Sie zahlen pro Kopf fünf Thaler.

Ihnen gleich ſtehen die höheren Hofbeamten, Sammerherrn und Truchſeſſe.

Die Stallmeiſter, Oberbereiter, Edelknabenhofmeiſter, Hofmedici und Leibchirurgen zahlen vier Thaler.

Hiernady fommen die mit drei Thaler Gewertheten. In Diele Claſſe gehören: Die Doctores, Secretarii, die Advocaten und Procuratoren; die Stadtidirectores, die Ordendichagmeiiter, Herolde, Proviantmeiſter, Küchen- meiiter, Mundköche, Zucderbäder, Inſtrumental- und Hofmufici, Tänzer und Figuranten, Hofmaler und Hofapotheker.

Zwei Thaler zahlen die NRegiitratoren, Notare, Hofvergolder, Hof— bildhauer, Hoftapezierer, Ballmeiſter, Saalmeiſter, Proviantmeiiter, Tanze meiſter, Fechtmeiiter, Büchſenſpanner, Paufer und Trompeter,

Einen Thaler zahlen die Hofichreiner und Schloſſer; der Schloßpor— tier; der Galicant; Jäger, Forſtknechte.

Einen Gulden zahlen die Ganzeliften und Hofbedienten. Die übrigen Unterthanen waren in 6 Claſſen eingetheilt von 600 fl. und mehr bis 100 fl. und darumter; die oberite Glaffe zahlte eine Kopfſteuer von 2 fl. 30 £r., die von 100 fl. und darunter 25 fr, Die Mennoniten, Freymänner und Juden zahlen ä proportion ihres Nahrungs, Vermögens: nnd Schägungscapitale 2 fl. 86 Er, 3. 9 Er. oder 1 jl. 43 fr. Man er: fennt auch aus dieſem Steuergeiege eines Theils die officielle Eintheilung und Abitufung der damaligen Gefellichaft; andern Theil die Steuer: fähigkeit ihrer verfchiedenen Glaffen und darnadı wird nur beitätigt, daß die der Vürgerichaft auf ein jehr geringes Map herabgedrüdt war.

Die focialen Verhältniſſe x. 325

regeln, und dieje Verdienjte find es, welche ihm allerdings ein bleibendes3 Andenken fichern.

Karl Theodor war ein eifriger Förderer des Landbaues. Er bemühte ſich um Ausdehnung des Kleebaues und des Krapps.

In Käferthal legte er 1769 eine Rhabarber Plantage an; der botaniiche Garten in Mannheim datirt vom Jahre 1767. Die Berjuche, die Seidenzucht zu betreiben, jchlugen fehl. Nicht minder bemühte er ſich um die Hebung der Gewerbe, ber Fabrikation und des Handels. Im Jahre 1754 wurde die „Ecole partieuliöre d’Anatomie et de Chirurgie practique* gegründet. 1757 jtiftete er die Zeichnungsafademie, 1763 die Akademie der Wilfenichaften, im Jahre 1765 das chirurgiiche Collegium, im Jahre 1766 die Hebammenjchule; das Naturalien- fabinet jtammt aus dem Jahre 1765. Um die Anlage einer Bibliothek Hatte fih Karl Theodor jeit dem Beginne feiner Negierung gekümmert. Im Jahre 1772 wurde der Grumbditein zur Sternwarte gelegt, im Jahre 1775 die deutiche Gejellichaft gegründet, im Jahre 1776 die Hauptkriegsichule für Ingenieurs und Artilleriften, ebenjo ein Kabinet für Naturfehre. Der Bau des Zeughaujfes wurde 1777 begonnen, eine Stüdgießerei und ein Bohrhaus angelegt. Die Nationaljhaubühne, die in das ehemalige Schütthaus eingerichtet wurde, erhielt im Jahre 1779 ihre definitive Geſtaltung. Im Jahre 1780 wurde ein meteorologijches Kabinet und eine Gejellichaft für Witterungs- beobadtungen gegründet.

Daneben hat Karl Theodor eine Reihe mildthätiger An— jtalten in's Leben gerufen oder gefördert.

Das Armen-, Waifen- und Zuchthaus wurde im Jahre 1768 gegründet und eim milttärijches Waijenhaus 1781. Die Hebung des neu gegründeten katholischen Bürgerhojpitals (1772 und 1775) bildete eine ftändige Sorge des Kurfürften, eine Kranfenwärterichule wurde im Jahre 1781 gegründet, die barm— herzigen Brüder im Jahre 1752 herbeigezogen; die Kranken— kaſſen wurden gefördert und eine patriottiche Krankenkaſſe durch die Kurfürftin in's Leben gerufen. Der rechte Flügel des Schloſſes hauptſächlich für die fünftleriihen und wiljenichaft-

326 Die iocialen Verhältnifie zc.

[hen Sammlungen wurde um das Jahr 1750 durch den Entre- preneur Rihard in Angriff genommen. Ueber die Zahlung der Maurer: und Steinhauerarbeiter ergeben fich Differenzen. Sie wurden durch eine Erpertiie auf 436,733 fl. abgeichäßt. Das Dperat befindet fich in der Univerfitätsbibliothet von Heidelberg. Die Hoffirhe wurde im Jahre 1756 vollendet. Wir geben hier eine überfichtlihe Zuſammenſtellung dieſer Schöpfungen, von denen wir die Wichtigiten in den Kapiteln über Kunſt und Wiffenichaft behandeln. Es bilden dieſe Schöpfungen die Lichtieiten der Negententhätigfeit Karl Theodors.

Man muß die üderrajchende fruchtbare Thätigkeit diejes Fürften bewundern, und die Anerkennung, welche die Nachwelt dem Andenken Karl Theodors jchuldet, wird auch dadurch nicht gemindert, daß von all den Schöpfungen mit Ausnahme der Bauten nur das Theater und das Naturalientabinet fih erhalten haben. Was die Lichtjeiten abichwächt, ift die Schattenjeite der öffentlichen Zuftände, die hauptſächlich in der Zurüddrängung der eigentlichen Stadtverwaltung und des freien Bürgerthums durch eine erjt mit dem Hofe hierher gefommene . Beamtenwelt beitand. Daraus ergibt fih, daß die Beitrebungen Karl Theodors für Kunſt und Wiſſenſchaft weientlih nur ihimmernde Glanzpunkte find, bejtimmt, um die höchiten Kretie der damaligen Gejellihaft zu belehren und zu unterhalten, daß man aber in jener Zeit noch weit davon entfernt war, die Re— iultate der Wijlenschaft und des Kunſtlebens Aufklärung und Humanität zu einem Gemeingut Aller zu beſtimmen. Diefe Weihe den wiſſenſchaftlichen und künſtleriſchen Beſtre— bungen Karl THeodors zuzuerfennen, it nicht möglich.

So lautet etwa dag Schlußergebniß der Feder'ſchen Aus— führungen.

Abfihtlicy find Hier gerade die in diejem Kapitel behan- deiten jocialen Verhältniffe jener Zeit in der Betracdhtungsweije Feders mitgetheilt. Es ſoll hier nicht vor jchärfiter Kritik zurüdgeichaut werden und nur da ilt Einhalt geboten, wo von der ipeziellen Betrachtung der augenblidlichen ſozialen Zuftände

Die jocialen Verhältniſſe zc. 327

aus auf das gejammte Schaffen Karl Theodors allgemeine Schlüfje gezogen werden.

Was damals allerdings dem Bolfe nicht in jeder Bezieh- ung direct zu Gute fam: das Wirfen auf den Gebieten der Kunſt und Wiſſenſchaft, und was damals thatjählih nur einen kleinen, ercelufiven Kreis berührte, das hat inzwijchen die Zeit der Allgemeinheit und der gejammten Kulturarbeit erichlojjen. Die Schäte der Kunſt und Wiljenjchaft, die unter Karl Theodor in Mannheim gejchaffen oder gejammelt wurden, find zumeijt von ihrer neuen Stätte München aus Gemeingut des deutjchen Volkes und deutjcher Geiltesarbeit geworden, und Mannheim, die frühere jüddeutiche Hauptjtadt der Kunſt und Wiſſenſchaft, beginnt in ihren Denfmälern und Arbeiten jener Tage heute _ wieder mehr und mehr gejchäßt zu werden.

Es ijt daher wahrhaftig an der Zeit, daß vor Allem an der Wiege einer jolchen geiftigen Bethätigung, in Mannheim jelbjt, für die Betrachtung des gejammten Wirfens Karl Theodor weitere Gefichtöpunfte gewonnen werden. Hat wirflic) nicht die Zeit jenen Bejtrebungen eine Weihe gegeben?

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Die kurfürſtliche Akademie der Wiſſenſchaften und die Pflege der Meteorologie und Aſtronomie.

Begründung der Akademie der Wiſſenſchaften Daniel Schöpflin Andreas Lamey und die heimathliche Geſchichte Voltaire und Aleſſandro Collini Jacob Hemmer Das Wirken der Meteorologiſchen Geſell— ſchaft Chriſtiau Mayer Die Erbauung der Sternwarte Roger Barry Verdienſte der Pflege der Wiſſenſchaften in Mannheim.

Dis weniger fruchtbar als die Pflege der Kunſt erwies ſich die Pflege der Wiſſenſchaft in der kurpfälziſchen Hauptſtadt. Die jih auf dem Gebiete der Wiſſenſchaft in Mannheim zur Regierungszeit Karl Theodors entfaltende rege Thätigfeit hat jih die Hochachtung hervorragender Gelehrten Europas er- worben und fand z. B. die Anerkennung und Zuftimmung eines Voltaire, Lejling, Lalande, Schöpflin.

. Kein geringerer wie Voltaire war e8, der die Beitrebungen des Hurfürjten auf diejem Gebiete anregte. Der Verkehr Karl Theodors mit dem großen Franzoſen verjegte den Fürſten in die Berührung mit einer kühnen, wagemuthigen Geijteswelt, aus deren Schooße die franzöfiiche Revolution und mit ihr ein neues Zeitalter hervorgehen ſollte. Die Sprache Boltaires be- reitete der Kritik der Weltzuftände einen jouveränen Erfolg, und die Wiſſenſchaft erhob ſchon ihr Haupt zu pofitivem Scaffen.

Die Bahn zu wifenjchaftlicher Arbeit war frei gemacht

Die burfürftliche Akademie der Wiſſenſchaften x. 329

e3 galt jeßt, auf ihr in rechter Weile zu fchreiten und fich an ernjte Arbeit zum Entdeden und Erfinden zu machen.

Das hatte Karl Theodor, deffen Briefwechjel mit Voltaire ein bejonderes Beijpiel jeines zu freiheitlicher Gefinnung ge— neigten Geijtes bildet, gar wohl erfaßt.

Als daher an ihn Vorſchläge Herantraten, in Mannheim eine Akademie der Wiljenichaft zu gründen, fanden dieſe Vor- ihläge gute Aufnahme. Der Kurfürjt wandte fi) an den be- rühmten Gelehrten der Univerfität Straßburg, Daniel Schöpf- lin, um deſſen Rath zur Gründung eines ſolchen Injtituts einzuholen. Scöpflin kam perjönlid nah Mannheim und ſprach dem Fürſten entjchteden zu, jodaß fich diejer mit Freuden entichloß, die Akademie in's Leben zu rufen.

Im Dectober 1763 erfolgte die Gründung der Akademie. Die Feier der Eröffnung fand am 20. diefes Monats im Saale der Bibliothef des Schloſſes in feitlicher Weile jtatt. Karl Theodor jtiftete eine Denkmünze, die auf der einen Seite mit jeinem Bruftbild, auf der anderen Seite mit einem Bilde des Apollo und den ſymboliſchen Gejtalten des Rheins und Nedars geziert war und deren Abbildung zur Zitelvignette des erjten Bandes der afademijchen Schriften gemacht wurde. Die Mitglieder der Afademie bildeten zunächſt in ben Dienjten de3 Kurfürſten jtehende Gelehrte, regiame Geilter, die fich in hervorragenderer Weije auf dem Gebiete der Wiljenjchaft be- thätigen wollten.

Scöpflin wurde zum Ehrenpräfident ernannt. Von ihm wünſchte der Kurfürjt ein Werf über die Pfalz. Cine Aufgabe der Afademie jollte es auch jein, das Material für ein jolches Gejchichtswerf zu jammeln.

Das VBerhältnig des großen, dem Lande Baden ent« jtammenden Gelehrten zu Mannheim erjcheint dadurd), daß die Stadt längjt zu dem Lande Baden jelbjt gehört, noch um einen beachtenswerthen Bunft bereichert,

Der berühmte Verfafjer der Historia Zaringo-Badensis und der Alsatia illustrata betheiligte jich eifrig an den Ur: beiten der Mannheimer Akademie und verjäumte feine der beiden

330 Die kurfürſtliche Akademie der Wiſſenſchaften x.

alljährlihen öffentlichen Situngen im Bibliothefjanle des Scloffes, die Anftrengungen der Reife von Straßburg nicht icheuend. Abhandlungen von ihm zierten die afademijchen Bubtlifationen.

Ein Jahr nad) jeinem Tode gab die Mannheimer Afade- mie 1772 das unter Mitwirfung Lameys vorbereitete Werf Schöpflins „Alsatia aevi merovingiei carolingiei saxoniei saliei et suevi diplomatica” im zwei jchön ausgejtatteten - Foliobänden heraus. Welchen Einfluß Schöpflin auf die da- malige geiitige Welt hatte, das läßt fi am beiten den Worten Goethes in „Wahrheit und Dichtung“ entnehmen, die befannt- ih lauten: „Auch ohne nähere Berührung Hatte derjelbe (Schöpflin) bedeutend auf mich eingewirft; denn vorzügliche mitlebende Männer find dem größeren Sternen zu vergleichen, nach denen, jo lange fie nur über dem Horizont ftehen, unjer Auge fich wendet und fich jtärft und gebildet fühlt, wenn es ihm vergönnt tft, ſolche Vollkommenheiten in jich aufzunehmen.“

Der Kurfürft erwählte zum repräjentirenden Vorſitzenden der Akademie den Freiherrn Leopold Marimilian von Hohen haufen, und zum leitenden Director den Freiherrn Georg von Stengel.

Die Seele der Vereinigung war aber der Bibliothefar und Secretüär der Akademie: Andreas Lamey.

Lamey hat ſich als Gejchichtsforicher einen geadhteten Namen erworben. Er kann ala Schüler Schöpflins bezeichnet werden, bei dem er längere Zeit in Straßburg weilte. Wie er die erften Bände des berühmten Werfes „Alsatia illustrata“ mit vorbereiten half, jo jollte er vom Kurfürjten auf Schöpflins Empfehlungen nad) Mannheim berufen bier das Material für das gewünjchte Werf über die Pfalz jammeln. Von den Arbeiten Lameys verdienen bejonders die Bublifation de3 „Codex prineipis olim Laureshamensis abbatiae diplo- maticus“, die Herausgabe von Chriſtoph Jacob Kremers „Geſchichte des Rheiniſchen Franziens“ (beide Werke gedrudt in der Druderei der Akademie), jowie jeine „Geichichte der Grafen von Ravensberg“ und jeine pfälziich geographiichen

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Schriften genannt zu werden. Lamey leitete bejonders auch die Herausgabe der zujammen aus 11 Bänden bejtehenden beiden Abteilungen des großen Memoirenwerfes der Akademie, der „Acta Academiae Theodoro-Palatinae“, deren erjter Theil 1766 in dem jchönen Drud der afademiichen Druderet erichien.

Lamey war von Geburt Elſäſſer. Er ijt 1726 zu Münjter als Sohn eines Küfers geboren und erhielt jeinen erjten Un— terricht durch den Pfarrer des Orts. In Mannheim mußte er auf jeine alten Tage noch all die Leiden der Akademie, des von ihm mit aller Begeifterung und mit größtem Fleiße ver- tretenen Imftituts, in den Sriegsjahren am Ende bes Jahr- hundert mit erleben. Er jtarb am 17. März 1802 zu Mann- beim. Ihm verdanken wir Hauptjächlich die Aufzeichnung der Gejchichte der Afademie.

Neben Lamey wirkte mit gleichem Eifer, doch mehr auf einem anderen Gebiete der Wifjenjchaft, der am 14. Dftober 1727 zu Florenz geborene und Ausgangs des Jahres 1759 von Karl Theodor nach Mannheim berufene Gelehrte Cosmo Alefjandro Collini.

Die Akademie der Wiſſenſchaften war in zwei Abtheilungen getrennt: in die hiſtoriſche Abtheilung, die Lamey leitete und in die phyſikaliſche Abtheilung, zu deren Haupt Collini wurde. Collini erhielt den Titel eines kurfürſtlichen Geheimſekretärs und die Anſtellung als Direktor der noch heute in Mannheim befindlichen Naturalienſammlung. Collini iſt als Freund und Begleiter Voltaires und duch ſein Memoirenwerk: „Mon séjour auprès de Voltaire“ (Paris 1807), das ſeinen Verkehr mit Voltaire unter Veröffentlichung zahlreicher Briefe desſelben jchildert, in weiten reifen befannt geworden. Durch eine Schrift Eollini’s „Precis de l’histoire du Palatinat du Khin“, die gleichfall3 eine Vorarbeit zu dem geplanten pfälzer Ge— ihichtswerf bilden jollte, fühlte jih der Kurfürſt veranlagt, dem Gelehrten den Titel eines kurfürſtlichen Hofgeſchichts— ichreibers zu verleihen. Allein die Beitrebungen Collinis be- wegten ich in der Folge mehr auf dem Gebiete der Natur: wiſſenſchaften. Hier bildete er hauptſächlich ein anregendes

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und die wiffenichaftlichen Unternehmungen des Kurfürsten (3. B. die Errichtung der Sternwarte) mit Begeiiterung begleitendes Element. Seine Gedächtnigrede über Karl Theodor nad dem Tode des Fürſten im Jahre 1799 ijt eine noch heute leſens— werthe, vornehme und jachfundige Würdigung des fürstlichen Wirkens auf wiijenjchaftlichem Gebiete.

Im Jahre 1753 war Gollini mit Voltaire zum eriten Mal an den Hof des Kurfürjten gefommen. Voltaire jah jich nach jeinem Zerwürfnig mit dem König von Preußen von Karl Theodor auf's Herzlichite empfangen. Voltaire fühlte ſich als Siüdländer an dem jüddeutichen Hofe jedenfalls wohler als in der herberen Welt des Nordens. Er kam raid in einen regen geiftigen Verkehr mit Karl Theodor. Voltaire legte damals in der kurfürftlichen Bibliothek einen Band der Werke Friedrichs II. nieder. Diefer Band, der in der fojtbaren Aus— gabe von 1751 die „Memoires pour servir à l’Histoire de la Maison du Brandebourg‘“ enthielt, war ihm von dem Preufenkönig eigenhändig zum Gejchenf gemacht worden. Wollte vielleicht der erzürnte Dichter damit, daß er dieſes Gejchent in die Hände eines andern Fürſten legte, ein wenig Nahe üben?

Es ift anzunehmen, daß Voltaire damals aud das Schloß zu Mannheim beſuchte. Erit 6 Jahre nad) dem Aufenthalt Collinis an der Seite Voltaires in Schweßingen erfolgte wie erwähnt die Berufung Collinis nad Mannheim. Seine naturwilfenichaftlihen Abhandlungen er- ſchienen zumeiſt in den der phnfifaliihen Abtheilung gewid- meten weiteren Bänden der „Acta Academiae Theodoro- Palatinae“. Won ihm rührt u. A. auch eine „Description physique et &cunomique de Mannheim“ her. Im Jahre 1765 hielt er einen Wortrag über „die Ueberjchwenmungen des Neckars“, den er 1790 noch in Drud herausgab, da er für die Abjtellung diejer Beichwerniffe der Stadt wirfen wollte. Gollini jtarb in dem hohen Alter von nahezu 80 Jahren, das duch die Schiefjale der Akademie in den legten Zeiten jeines Lebens jchwer getrübt wurde.

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Die Akademie zählte außer dem Bräfidenten und dem Director im Ganzen 12 ordentliche Mitglieder, ſodaß neben Lamey und Gollini noch 10 Gelehrte der Vereinigung ange- hörten. Bei der Gründung waren dies bie furfürftlichen Be- amten und Räthe Franz Joſeph von Oberkamp, Franz 2. von Sallern, Comelius V. v. Yond, Georg Joſeph Wedekind, Nikolaus Maillot de la Treille, Ehrijtoph Jacob Kremer, Wil- helm und Daniel Flad, Peter Kelling, jowie Ludwig Harjcher, der die Rechnungen der Akademie führte.

Ueber den Director und jpäteren Ehrenpräjidenten Reichs» freiheren Johann Georg von Stengel, „wirfl. geheimen Staat3- rath, Kanzleidirector und geheimen Kabinetsfefretär” liegt das Urtheil eines fremden Bejuchers der Stadt Mannheim Namens Biorejtahl vor, der Gelegenheit hatte, Herrn v. Stengel fennen zu lernen und der ihn als den Mäcenas be3 pfälziichen Landes bezeichnet, der zu Allem, was in dem Kurfürjtentdume Die Künjte und Wiſſenſchaften fördert, den Grund gelegt und Die Mittel herbeigeichafft habe. Er jchildert Herrn von Stengel des weiteren als einen guten Deren, der von Tand und Complimenten nicht3 willen wolle, wenig jpreche, aber gut und förnig, gute Kenntniſſe, einen guten Geichmad und jchöne Sammlungen befige.

In der Folge erhielt die Akademie noch 40 außerordent- lihe Mitglieder und fie ernannte eine Reihe von Fürſten und Gelehrten zu Ehrenmitgliedern.

Der Kurfürjt erklärte fich im Jahre 1770 zum Proteftor der Akademie und ließ zum Gedächtniß diefes Momentes eine Medaille jchlagen.

Die Akademie hielt alljährlich zwei öffentliche, jogen. Feſt— figungen nad) je jehswöchentlichen Frühlings» und Herbſtferien ab, die unter Anwejenheit des Kurfürften im großen Bibliothef- jaale des Sclofjes jtattfanden. Die während des Jahres fortlaufenden Situngen fanden Donnerjtags in verjchiedenen Räumen des Schlojjes, anfangs immer in dem an den großen Bibliothekſaal ſtoßenden kleineren Lejejaal jtatt, deſſen fünit- leriſcher Schmuck auf die Pflege der Wiſſenſchaft und Künſte

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deutet. Später nah Wegzug des Fürſten aus Mannheim werden die Situngen jedenfall3 im andern, weitlichen Schloß— flügel abgehalten worden jein, denn Collini berichtet, daß die Akademie infolge des Schloßbrandes, dem nur diejer weitliche Flügel zum Opfer fiel, Habe das Schloß verlaiien müſſen. Außer der eigenen Bibliothek, die circa 40,000 Bände umfaßte, hatte die Akademie auch eine Sammlung pfälziiher Münzen ‚und Siegel angelegt.

Karl Theodor verlieh der Afademie im Jahre 1765 das Privilegium zur Errichtung einer eigenen Druderei und leiltete ihr einen jährlichen Geldzuſchuß, der Hauptjächlich zu Preiſen für wiffenschaftlihe Arbeiten verwendet wurde. So jebte man Preiſe im Betrage von 50 Dufaten für je eine hiltoriiche und phyſikaliſche Abhandlung aus.

Der jährliche Geldihus wurde vom Jahre 1773 an auf Borichlag de3 Minifters von Golditein vom Kurfürften be— deutend erhöht, jodaß die Akademie beträchtliche Gelder (in der linfsrheinischen Pfalz) anlegen konnte. Die Akademie beein- flußte das Leben Mannheims im wejentliher und durchaus fegensreicher Weiſe.

Sie lenkte den Blid auf die Gejchichte des Landes und regte zu jorgfältiger Unterjuchung der eigenen Zebensverhält- niſſe an.

Die Gründung der Akademie machte aber weit über die Grenzen der Stadt und des Landes hinaus Aufiehen. Bon Neuem wurde durch ein jolches Inititut auf die Pflege der Wiſſenſchaft und auf die Hochachtung des Forſchens und Willens Dingewiejen.

Während die Pflege der hiltorifchen Wiſſenſchaften, der Forſchungen zu einer Gejchichte der Pfalz durch den 1771 er: folgten Tod Schöpflins, von dem man ein großes Geſchichts— werf über diejes Gebiet erhoffte, einen jchweren Schlag erhielt, regte das Wirken der phyſikaliſchen Abtheilung der Akademie zu immer bedeutenderen Unternehmungen auf naturwifjenichaft- lichem Gebiete an.

Karl Theodor war ein eifriger Förderer und Freund der

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Naturwifienihaften. Ständig beſuchte er das phnfifaltiche Kabinet der Akademie, und es machte ihm Freude, ſelbſt zu erperimentiren und durch Erflärung jolcher Erperimente aud) bei der Hofgejellichaft das Intereſſe für die Wiſſenſchaft anzu— regen.

Der Profeffor der Mathematik und Geiftliche Rath Johann Sacob Hemmer Hat das Verdienjt, der Berather des Kurfürften bei deſſen Pflege der Naturwiſſenſchaft geweſen zu jein. Diejer ausgezeichnete Gelehrte, deſſen Wirken für deutſche Wiſſenſchaft einer neuen Werthſchätzung bedarf, iſt der geiltige Urheber eines wifjenjchaftlichen Injtitut3 von weittragender Bedeutung. Auf jeine Beranlafjung hin gliederte der Kurfürjt im Jahre 1780 der phyſikaliſchen Abtheilung der Akademie eine weitere Klaffe für Meteorologie an.

Der Kurfürjt wollte damit befunden, daß er auch nad) jeiner Ueberjtedelung nah München die Förderung der Mann: heimer Akademie nicht aufzugeben gedenke.

Hemmer ijt im Jahre 1733 zu Horbach (Herrichaft Land: ftuhl) in der Pfalz geboren. Sein Bater, ein jchlichter Bauer, geitattete anfangs die Ausbildung des mit einer ſchönen Stimme begnadeten Knaben zur Mufif, doch nur zu bald rief er feinen Sohn wieder zurüd, um durch weitere Koſten diejer Aus» bildung (in Kaijerslautern) feine drei anderen, älteren Söhne nicht zu ſchädigen. Der junge Kunftbefliffene entfloh aber dem Baterhaufe und gelangte unter mancherlei Drangjalen nad) Köln. Hier hatte er zunächſt jchwerjte Kämpfe um feinen Lebensunterhalt zu bejtehen. Schließlich wurde man aber durch jeinen Schönen Gejang auf ihn aufmerkſam, und er erhielt einen Freitiih und die Erlaubniß, den Unterricht in der Jejuiten- ichule bejuchen zu können. Auch konnte er bald eine Haus: lehrerjtelle in der Familie des böhmiſchen Patricier A. Queita annehmen, wobei er jedody Zeit fand, jeine eigene wiſſenſchaft— liche Ausbildung zu pflegen.

Weit über jeine theologischen Studien ging bier jein In— terejfe für die Naturwiſſenſchaften, bejonders für die Mathe- matit hinaus. Die Jeſuiten, die den intelligenten Jüngling

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gern fir ihren Orden gewinnen wollten, richteten deswegen eine Anfrage an Hemmers Bater, der jedoch hierdurch den Aufent- halt jeines Sohnes erfuhr und diejen jchleunigit zurüdholte. Allein bald wibmete fich der junge Hemmer wieder dem Lehrer— beruf.

Er wurde Hauslehrer in der Familie von Sturmfeder zu Mergentheim in Schwaben. Eine ihm angetragene Pfarrei des Deutichherrenordens jchlug er aus. Wie auf fünftleriichem Ge- biete, jo war auch auf wifjenichaftlihem Gebiete der Kurfürft Karl Theodor gleich bereit, junge Talente zu fürdern. Als er von der Begabung Hemmers hörte, berief er ihn nad) Mann» heim; er ernannte ihn zu jeinem Hoffaplan. Raſch ging hier die Laufbahn des jungen Gelehrten aufwärts. Er wurde im April 1767 zum außerordentlihen und im October 1768 zum ordentlihen Mitglied der kurfürſtlichen Akademie auserjehen.

Karl Theodor lernte den Gelehrten immer höher jchägen. Unter jeiner Anleitung unternahm er die eigenen Erperimente im Schlojje zu Schwetingen, wo ihm Hemmer ein phylifafisches Cabinet einrichten mußte. Der Kurfürit interejjirte ſich jehr für die Arbeiten Hemmers auf dem Gebiete der Wetterkunde und für deſſen Vertretung der Erfindung des Blitableiters. Er befahl, daß auf allen Schlöſſern und Bulverthürmen jeiner Lande Blitableiter zu errichten jeien, und der erſte diejer Blitz— abfeiter wurde am 16. Juli 1776 auf dem Schloſſe zu Schwegingen angebradt.

Im gleihen Jahr wurde Hemmer vom Kurfürften zum geistlichen Rath und zum Aufſeher des Furfürjtlichen phyſika— liihen Gabinet3 ernannt,

In kurzer Beit waren in den pfälziichen Landen etwa 150 Blitableiter aufgejtellt. Die Hemmer'ſchen Blitzableiter erfennt man noch heute an dem Kreuz unter der Spite. 1778 gab Hemmer jeine Schrift „Anleitung Wetterleiter anzulegen“ in Mannheim heraus, um damit weitere Propaganda für Die Franklin'ſche Erfindung zu machen, zu deren erjten Verfündern er gehörte. Auf die wejentlichen Verdienſte Hemmers als Spradforicher joll ipäter noch zurüdgefommen werden. Hier

Die kurfüritlihe Akademie der Wiſſenſchaften x. 337

gilt es, jein thatkräftiges Wirken auf dem Gebiete der Natur- forjhung zu characterifiren und eines Gelehrten zu gedenken, der, aus der Pfalz jtammend, von Mannheim aus ein Be- fruchter deutjcher Wiſſenſchaft war.

Am 15. September 1780 wurde laut kurfürſtlichen Rejcriptes die von Hemmer gewünſchte Gründung der neuen jelbjtändigen Klaffe der phyfifaliichen Abtheilung der Afademie unter dem Titel „Deutiche meteorologiiche Gejellichaft“ zur Wirklichkeit.

In feiner Rebe, die Hemmer als Secretär der Gejellichaft am 21. October 1780 zur Feier der Eröffnung der neuen Klaſſe in der Afademte hielt, betonte er bejonders den Werth der fich mit dem Leben und der Arbeit des Menjchen verbin- denden Forſchung, der practiichen Thätigfeit, des Erperimentes und die Nothwendigfeit, eine ſolche Forſchung zu pflegen.

Für ein ſich über die ganze Erde verbreitendes Neb von Beobachtungsjtationen wurde zunächſt Sorge getragen. Man wandte jich mittels Circulars an die hervorragenditen Univer— jitäten und warb auch brieflicy unter perjönlichen Beziehungen um Förderung der Sache. So gelang e3 z. B. dem gleichfalls um das Zuftandefommen der Gejellichaft hochverdienten Director der Alademie Georg von Stengel durch jeine perjönliche Belanntichaft mit dem Generalpräfeften des Kapuzinerklofters in Rom, von diejem die Erlaubniß zu erhalten, eine Beobad)- tungsitation im Hojpiz auf dem St. Gotthardt zu errichten.

Die Beobahtungsftationen der Gejellichaft waren außer Mannheim: Minden, Düfjeldorf, Berlin, Göttingen, Würz- burg, Erfurt, Ingolftadt, Sagan, Andechs, Tegernjee und Hohengeißenberg (Oberbayern), St. Zeno, Prag, Ofen, Brüfjel, Delft, Haag, Middelburg, Edsberg und Spydberg (Norwegen), Kopenhagen, Stodholm, Genf, St. Gotthard, Rom, Bologna, Padua, Chioggia, Marjeille, Dijon, La Rochelle, St. Peters: burg, Moskau, Pyſchminsk (Ural), Gotthaab (Grönland), Brad- ford und Cambridge (Nordamerifa).

Un alle diefe Stationen wurden von der Gejellichaft aus die gleichen Inftrumente gejendet und zwar: zwei Thermometer,

Deier, Beichichte ber Stadt Mannheim. 23

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ein Gefüßbarometer, ein Feberfieldygrometer und eine Bran— der’iche Deklinationsnadel.

Die jchwierige Berjendung der Injtrumente erfolgte durch Ertraboten. Als Changeur in Paris 1780 den Barometro- graphen erfunden Hatte, war Hemmer der erjte deutjche Ge— lehrte, der das Injtrument auf der Station zu Mannheim einer Prüfung unterzog und das Reſultat diejer Jahre währenden Prüfung in den Ephemeriden veröffentlichte (1785 bis 1787).

Sn den „Ephemerides Societatis meteorologicae Pala- tinae*, deren erjter Band 1783 in Mannheim erichien, find fortlaufend die von allen Stationen eingegangenen Beobad)- tungsrejultate eingezeichnet. Der lebte Band des Werkes er- ihien 1795. Hemmer hatte bis 1790, dem Jahre jeines Todes, die Herausgabe diejer Bublifation geleitet, und hier außer der (unter Mitwirkung des Ajtronomen König) jorgfältig geführten Beobadhtungstabellen aud willenichaftlihe Arbeiten über Witterungstunde veröffentlicht.

Mit dem Hinicheiden dieſes bedeutenden Gelehrten war dem Unternehmen die innere Lebenskraft entzogen. Wohl wurden noch zwei Bände von dem Nachfolger Hemmers, dem neuen Secretär Medicinalratd Mel. Güthe herausgegeben, aber die Stationen hatten fich mehr und mehr verringert und die an- regenden Abhandlungen blieben ganz weg.

Mit Hemmer hatte die Akademie überhaupt eine große, thatenlujtige Stüte verloren. Minijter von Oberndorff, ber an Stelle von Hohenhaujens Präfident der Akademie geworden war, zeigte fein jonderliches Interejje für das wiijenjchaftliche Inſtitut und that auch bei dem Kurfürjten feine Schritte für die Erhaltung der Akademie, ald die Geldzuſchüſſe im Jahre 1794 bejchränft wurden.

Das Wirken der Mannheimer meteorologiihen Gejellichaft unter Hemmers Leitung wird aber in der Gejchichte deutjcher Wiſſenſchaft ein nicht mehr zu überjehendes Kapitel bilden und bejonders ein Beweis dafür bleiben, daß die Förderung der Wiſſenſchaft durch Kari Theodor von allgemeinjtem Nuten

Beilage.

Refcript des Staatsminifters Graf von Dieregg zur Begründung der Meteorologifchen Klafje der Kurfürft: lichen Akademie in Mannheim.

Diejenigen unter den Wilfenichaften, welche nebit dem, daß ſie bie allerweifeiten Abfichten des Schöpfers verfündigen, noch einen bejonderen unmittelbaren Einfluß auf des Menschen Leben und feine täglihen nöthigfiten Beihäftigungen haben, verdienen um deßwillen eine befondere Adhtung, Aufmerkſamkeit und Obforge, und je weniger alsdann jelbjt in unjeren Tagen nod an ihre Bearbeitung gedacht worden tft, um deito wichtiger ift e8, an ihre Erhebung, Ausbildung und Vervolllommmung Hand anzulegen. Aus folden Beweggründen haben Seine Kurfüritlihe Durchlaucht p. p. die Witterungskunde ihres höchſten Schuges vorzüglich gewürdigt und bereits die Anstalten treffen lafjen, daß man an mehreren merkwürdigen Standt-Orten ſämmtlicher Kur— fürftlichen Erbftatten, au; in anderen Gegenden Europas und der übrigen MWelttheile künftig nad möglichit gleichlaufenden, auf höchſte Koſten ver— fertigten Werkzeugen, tägliche Beobachtungen gemacht und zuſammengebracht werden follen. Zu vollfommener Grreihung ſolch höchſter Abfiht haben Seine Kurf. Durchlaucht um weitere gnädigſt beichloffen, dieſem Werke die nöthige Selbſtändigkeit zu geben, zu gleicher Zeit aber auch Höchſtdero Akademie der Wiſſenſchaften in Mannheim, welche ſich zum höchſten Wohl: gefallen durch ihre Arbeiten bereits rühmlichit bekannt gemacht hat, bier: durch eine neue Ausbreitung zu verschaffen und verordnen deßwegen hiermit au Dderielben eine neue lintereintheilung unter dem Nahmen Meteo: rologiiche Klaſſe. Jedoch ſolle deswillen die bei ihrer eriten Stiftung verordnete und bishero beitehende Anzahl der ordentlichen Mitglieder (der Akademie) nicht vermehrt werden, ſondern lediglich die in das neue Fach

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einichlagenden Arbeiten von dem Akademiſchen Boritande einigen, wenigitens dreyen der ſchon angeitellten ordentlichen oder außerordentlichen Mitglieder beionder® aufgetragen werben, dermaßen, daß jolchen dazu ernannten außer: ordentlichen Mitgliedern, jo oft es das Geichäft erfordert, oder fie Darüber der Akademie eine Arbeit vorzulegen haben, der Zutritt zu den akademischen Verjammlungen geitattet ſeyn solle. Ihre Beichäftigung wird alddann jein, an den merfwürdigiten Orten fleißige Beobachter aufzufuchen und mit fich zu vereinigen, auf neue Beobachtungswerkzeuge zu denken, die Alte ihon Bekannte zu verbeffern, vorgeichlagene zu prüfen, neu gemachte zu unterjuchen, einen Briefwechiel durch alle Welttbeile zu unterhalten, aufges mworfene Fragen zu entſcheiden, neue VBorjchläge den Beobadhtern zuzu— fchreiben, die gemachten Beobachtungen zu jammeln, fie wegen der Wer: breitung des Werkes in die lateinifhe Sprache zu überjegen, mit Ans mertungen, die aud der Vergleihung der verſchiedenen Beobachtungen entipringen, zu begleiten, alljährlich zum Drudf zu befördern, und überhaupt Alles, was zur Aufklärung einer noch jo wenig bearbeiteteten Wiſſenſchaft und zur Greeihung des hödjiten Zweckes gehöret, thätig zu bewirken. Zu jolhem Ende jolle ihnen ein befonderer Sefretarius, welcher ihnen in allen diefen Arbeiten zu Händen zu geben im Stande iſt beygegeben, und dieſem ein ſolcher Beihäftigung angemeflener Gehalt von der Akademie verreichet werben. Die in den verichiedenen Gegenden vertheilte Beobachter follen als außmwärtige Mitglieder der Meteorologiichen Klaſſe der Akademie bey: gezählet, und jedem von ihnen ein Schiweremeffer, ein Wärmemeſſer, und endlich, wo es der Beobadıter begehrt, auch Plaß und Umſtände erlauben, eine Abweihungs:Nadel, welche auf das genaueite übereinftimmen, auf, Kurfüritlihe SKoften verfertigt und zugeichietet werden. Ferner jolle zu Erhaltung der nöthigen Gleichförmigkeit fowohl das von dem geijtlichen Mathe Hemmer entworfene Monitum ad observatores, als auch deſſen Tabula meteorologiea zum Drude gebracht, und jedem der Beobadıter vom eriten ein von letterer aber eine hinreichende Anzahl Abdrücde zugeiendet werden. Zu größerer Sicherheit und Grleichterung dergleichen Veriendungen, und des zum Geſchäfte nöthigen, weitichichtigen Briefwechſels aber haben Seine Kurfürſtliche Durchlaucht durch Höchſtdero Departement der außwärtigen Geichäfte ſämmtlichen Kurfüritlichen Geſandten den Auftrag ertheilet, alle dergleihen Padete und Briefe aufzunehmen, zu überwachen und zu verrechnen. Dieſe höchſte Verordnung bat demnach würklicher ge— heinter Staat3:Gonferenz:Miniiter, Hofrichter, Ehrenpräfident der Akademie der Wiſſenſchaften und Ritter des pfälziihen Löwen-Ordens Freiherr von Oberndorf ermwähnter Akademie zu schuldigiter Nachachtung befannt zu machen. München den 15. Herbitmonats 1780. Sr. M. v. Vieregg.

Die kurfüritlihe Akademie der Wiſſenſchaften x. 341

war. Jetzt erheben jih Stimmen, die dieje wiſſenſchaftliche Bethätigung in Mannheim wieder laut anerkennen. So heißt e3 3. B. in einer 1885 erjchienenen und für Mannheim be- jonders erfreulihen Schrift Dr. Friedrich Traumüllers in Leipzig:

„Von ungleich größerem Erfolg begleitet (als die Verjuche Boeckmanns in Karlöruhe) waren die Beitrebungen des für Die Naturwiſſenſchaften ſich lebhaft interejjirenden Kurfürjten Karl Theodor von der Pfalz, der unter Mitwirkung feines Hoffap- lans Hemmer in Mannheim eine meteorologijche Geſellſchaft gründete, deren Thätigfeit eine der glänzendjten Epochen der Geſchichte der meteorologiihen Beobachtungen nit nur in Deutichland, jondern überhaupt der ganzen Erde bildet. Diejer Gejellihaft, an deren Spike Hemmer als ein ebenjo gründlich unterrichteter wie energijcher Leiter jtand, glüdte es in glänzender Weije, ein über die ganze Erde fich eritredendes Beobachtungsſyſtem einzurichten und die von den Beobachtern eingejandten Journale nad) einem und demjelben Plane zu verarbeiten. Die Mannheimer meteorologiihe Geſellſchaft ift jeitdem ein Mufter für alle Einrichtungen der Art geworden, und mit ihrer Gründung beginnt eine neue Periode in der Geichichte der Meteorologie. . .. Die in 12 ftattlichen Quart- bänden der Ephemeriden enthaltenen Beobachtungen bildeten bis in die erjte Hälfte unjeres Jahrhunderts fast die einzige Quelle zuverläffiger und vergleichbarer meteorologiicher Beobachtungen. ... Leopold von Buch und Wahlenberg Teiteten aus ben Mannheimer Ephemeriden ihre Naturgejete ab, und Alerander von Humboldt Hatte, al3 er 1817 die vergleichende Witterungs- funde ſchuf, außer jeinen eigenen umd etlichen neueren Beobach- tungen nur die in den Ephemeriden enthaltenen, benutzen fönnen. Auch Brandes ging bei jeinen Arbeiten über jynop- tiiche Witterungsericheinungen auf dieſe Uuelle zurüd und Kämtz leitete klimatologiſche Mittelmwerthe daraus ab. Der engliihe Meteorolog Daniell hat in einem Artikel feiner „Meteorological Essays and Observationes“ (London 1727, 2. edit.) einige von den Reſultaten aus den Beobadhtungen

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der Mannheimer Gejellihaft nebit Entwürfen von Karten der barometriſchen Oscillationen mitgetheilt und auch einige ges ihichtliche Bemerkungen über die Mannheimer meteorologijche Sejellihaft gegeben.“

Wie die Meteorologie jo gelangte in Mannheim auch die Atronomie zu einer ganz außergewöhnlichen, wijjenjchaftlich hervorragenden Pflege.

Die Berjönlichkeit, welche hierzu die Anregung gab, war der Aitronom Chriſtian Mayer.

Mayer iſt nicht, wie Hemmer, ein Sohn der Pfalz; er ift 1719 zu Mejeritih in Mähren geboren. Sein Drang nad) wiljenichaftlihen Studien veranlaßte ihn, jeinem VBaterhaufe zu entfliehen und bei jeiner hervorragenden Begabung wurde es ihm möglich, in Brünn, Wien und Würzburg Philojophie und Theologie, vor allem aber die ihn am meijten feſſelnde Wiſſen— ichaft der Mathematik ftudiren zu fünnen. Nach Rom führte ihn eine bejchwerliche Fußreile. In Mannheim (nach) einer anderen unrichtig erjcheinenden Angabe in Mainz) trat er am 13. September 1745 in den Jejuitenorden ein. Er war zus nächit als Lehrer der klaſſiſchen Sprachen und der Mathematik zu Aſchaffenburg thätig. Dann erhielt er durch VBermittelung des gelehrten Pater von Seedorf, des Erziehers Karl Theodors, im Jahre 1752 eine Anftellung als ordentlicher Profeſſor der Mathematif und Phyſik in Heidelberg. Um das Jahr 1762 wurde Mayer als Hofaftronom des Kurfürjten Karl Theodor nah Mannheim berufen und hier begründete er eine zu rühmlichjter Entfaltung gelangende Pflege der Ajtronomie.

In den Jahren von 1753 bis 1778 publizirte Mayer 33 Schriften und Aufſätze. Dieje Schriften legen Zeugniß von eimer vieljeitigen Thätigfeit auf den von ihm vertretenen wilienschaftlichen Gebieten ab. So verfaßte er Lehrbücher über Phyſik (erichienen zu Heidelberg 1755), eine Abhandlung über Bauban’s Feitungsbaufunft („Systema primum mun. celeb. Mareschall de Vauban.“ Mannhem 1758), Arbeiten über reine Mathematit (Heidelberg 1754 und 1762), über jeine

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Meſſung eines Erbmeridians in ber Nheinebene (Basis Pala- tina anno 1762; anno 1763.“ Mannh. 1763), ze.

Die Rejultate der Prüfung des von Graf Pacheco erfun- denen Dijtanzmefjers legte er gleichfall® in einer 1767 zu Mannheim erjchienenen Schrift nieder. Steine etwa 1773 in Kupfer geftochenen Landkarten, umfafjend die Landitrede Worms bis Raitatt, bildeten einen entichiedenen Fortichritt auf geo— graphiichem Gebiete. Leider ijt eine weitere Karte, die nad) einem Brief Franz Hubers an den Mathematiker Stegling in Prag nach) ganz neuen Grundjägen angefertigt worden jein joll, bei einem Brande auf der Sternwarte*) vernichtet worden.

Mayers Hauptfädhlichiten Arbeiten betrafen das Gebiet der Aitronomie, Hier hatte er zahlreiche Entdekungen gemacht, die ihm jedoch von dem Hofaftronomen Mar Hell im Wiener „Diarium* vom 8. November 1777 und jpäter (nach feinem Tode) auch von dem Ajtronom Nikolaus Fuß (1789) in heftiger und gehäjliger Weiſe bejtritten wurden. Auf die An— griffe Hella antwortete Mayer mit feiner ruhig und ſachlich gehaltenen Schrift „Gründliche Vertheidigung neuer Beobach— tungen von Firftern-Trabanten, welche zu Mannheim auf der Sternwarte entdedt worden find“ (Mannheim 1778). Durd) William Herichels großartige Entdeckungen wurde das Vor— handeniein der von Mayer entdedten Sterne bejtätigt, allein der Ruhm Herricheld machte das Wirken Mayers vergefien.

Heute wird jedoch der Verdienſte Mayerd wieder ehren» voll gedacht. „Bei alledem” jo urtheilte 3. B. Dr. Günther

*) Klüber berichtet hierüber: „Bei einem Sympofium, von dem aftro= nomiichen Grjefuiten am Tage des heiligen Ignatius am 31. Juli 1776 auf der Sternwarte gegeben, wo die Libationen mit rheinischem Falerner vermuthlich nicht karg ausfielen, fchien durch den Heiligen von feinem Sternenfige mehr als die Sternfunde begünstigt zu werden. Feuer, das in dem vierten Stod, in dem Gajtzimmer nad) einigen, durch Unvor—⸗ jichtigfeit der Arbeiter ausbrady, verzehrte den größten Theil von Mayers Bibliothef und ajtronomischen Handichriften, worunter ein großer Theil jeiner aftronomiichen Beobachtungen und die Beſchreibung einer Reife nad) Holland, Rußland, Schweden, Tänemarf, die Frucht fo vieler durchwachten Nächte.“

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1885 in der Allg. d. Biographie „wird die Nachwelt nicht umbin fönnen, zuzugeben, daß Mayer, wenn er auch das Weſen jeiner Firfternbegleiter mangels mifrometriicher Meffungen nicht richtig auffaßte und wenn. er auch mehrfach optijche Sternpaare mit phyfiichen verwechjelte, gleichwohl den eigent- fihen Anftoß zu den in neuerer Zeit zur höchjten Bedeutung gelangten Unterjuhungen über Doppeliterne gegeben und zu- gleih ſich als einen ungleich weitjichtigeren Forſcher den zunftmäßigen Ajtronomen vom Sclage Hell’3 gegenüber be» währt hat.“

Abgejehen von jenen Angriffen war Mayer in Gelehrten- freiien al3 hervorragende Kraft geihätt. So war er Mitglied der Akademie von München, der kgl. Gejellichaft zu Göttingen, der Royal Society in England, der Akademien Bologna und Philadelphia.

Im Jahre 1762 betheiligte er fih an den von Caſſini de Thury in Deutichland bewirkten Grabmejjungsarbeiten. 1769 berief ihn die Kaijerin Katharina IL nach St. Betersburg zur Betheiligung an der von der dortigen Staijerlichen Akademie der Wiſſenſchaften unter Dinzuziehung namhafter auswärtiger Ge— lehrten unternommenen Beobachtung des Durchgangs der Venus durh die Sonnenicheibe (3. Juni des genannten Jahres). Seine 1769 erjchienene lateinische Schrift hierüber wurde auch in’3 Ruſſiſche überjett und erwarb fi die Anerkennung Lalandes,

Die kurfürjtlihe Akademie zu Mannheim ernannte Mayer 1773 nad) Aufhebung der Jejuitenordens zu ihrem ordentlichen Mitgliede, (denn als Ordensgeiftlicher fonnte er nicht gewählt werden).

Die Akademie gewann damit die Verbindung mit dem ver: dienftvollen Unternehmen Mayers: mit der Begründung der Sternwarte,

Der jpätere Curator der Sternwarte, der Bad. Staats— und Cabinetsrath Klüber gibt aus der unmittelbarften Kenntniß diejes Inſtituts folgende Schilderung desjelben in damaliger

Beit:

Die kurfüritlihe Akademie der Wiſſenſchaften x. 345

„Auf der weitlichen Seite der Stadt Mannheim, an dem Ende des Schloßgartens, erhebt fi die Sternwarte. Diejes Gebäude, eine der vorzüglichiten Zierden der Stadt, ijt 111 Fuß hoch durchaus maſſiv. Dem Grundplan nad, bildet es in dem Innern bes Erdgeichofjes, mit einer Mauerdicke von 74, Fuß ein nad den Eden abgejtußtes Vieref von 23 Fuß Breite, welches jo viel möglich, die äußere achtedige Form veranlaßt. (Siehe beiliegende Abbildung). Die vier Hauptflächen find genau nach den vier Himmelsgegenden gerichtet. Thurm— artig, auf der Portaljeite mit einem Vorjprung von 7’), Fuß, deſſen obere Fläche vor dem Fußboden des dritten Stodwerfs einen Balkon bildet und flach gededt, läßt es jchon außen jeine Bejtimmung muthmaßen. Das Innere ift abgetheilt in fünf Stodwerfe, zu denen eine eben jo jichöne als bequeme, jteinerne Wendeltreppe führt, für welche auf der Hinterjeite, gegen Morgen, dur einen Anbau von 12", Fuß Länge gejorgt ift. Ein Hohes und weites Portal leitet aus dem Park in das Erdgeſchoß. Diejes bildet einen großen Saal, mit Ausgängen zu der Treppe, zu einem Eleinen Garten und zu dem Haushof, der zweite Stod enthält Wohnzimmer, Küche und Gabinete für den Ajtronomen. In dem britten befindet fi der erite große Inftrumenten und Beobachtungsſaal, geziert unter andern mit dem Mauerquadranten, dem Mittagsfernrohr und verjchiedenen Penduluhren. Diejer Saal bat vier hohe Fenſter und drei große Glasthüren gegen Süden, Weiten und Norden. Bor der weltlichen Glasthür, über dem Portale des Einganges, ijt ein geräumiger Balkon, auf welchem man Werk— zeuge Sicher stellen und nad) dem Himmel und der um: liegenden Gegend frei richten fann. Bor den beiden andern Glasthüren find ähnliche Kleinere Balkons, auf jtarfen Conjolen ruhend, und mit etjernen Geländern eingefaßt. Cie dienen ebenfall3 zu freier Umficht, und zu Beobachtungen mit bemweg- lihen Inſtrumenten. Nehnlihe Balfons befinden ſich vor den drei Glasthüren des vierten und fünften Stodes, gegen Mittag, Abend und Mitternacht. Der vierte Stod enthält ein Zimmer, hauptjächlich für reifende Ajtronomen, und verjchiedene Gabinete,

346 Die kurfürftlihe Akademie der Willenichaften x.

wovon eines für die Bibliothek dient. In dem fünften Stod ift der zweite Juftrumentenjaal, worin u. U. der Zenith»Sector, von 12 Fuß Länge, aufgerichtet ii. Ueber dem Mauer: quadranten, dem Mittagsfernrohr und dem Zenithjector, find die nöthigen Einjchnitte in der Mauer, und auf der Außen- jeite fupferbeichlagene Fallthüren angebracht, die durch eine mechaniſche Vorrichtung leicht können geöffnet werden. Das ganze Gebäude iſt mit Quaderjteinen gededt, welche ein flaches Dad (Söller) mit einem freien Play bilden, der mit einer Bruftwehr umgeben ift, und in deifen Mitte jich eine Gloriette mit einem Drehdach erhebt, auf welcher ein Bligableiter ange- bracht ijt. Dieje Plattform dient bei gutem Wetter zur allge- meinen Ueberſicht des Himmels und der Gegend, und zu vorübergehenden Beobachtungen im ‘Freien. Der Stifter der Sternwarte war der Kurfürjt von der Pfalz, Karl Theodor, ein ſchützender Freund der Künjte und Wiljenichaften. Diejer Fürſt Hatte in dem Jahr 1762 auf dem Scloffe zu Schwegingen eine Feine Sternwarte, mit beweglichen aſtrono— mijchen Inftrumenten errichten lafjen. Sie war dem Pater Chriſtan Mayer anvertraut, einem Jejuiten, welcher ala Pro— feifor der Mathematif und Erperimentalphyfif zu Heidelberg angejtellt war. Der brennende Eifer dieſes Gelehrten für die Sternfunde, die Bekanntmachung jeiner Beobachtungen auf der Sternwarte von Schwegingen cerregten Aufjehen, und erhielten den Beifall der berühmteiten Nitronomen Europas. Mayer ward ſogar in dem Jahr 1769 nad) Petersburg berufen, zu einer wichtigen ajtronomijchen Beobachtung. Mit Wohlgefallen bemerkte diejes der Kurfürit, und gern faßte er, auf Mayer’s Nath, den Entſchluß, ein größeres Institut diefer Art in jeiner Nefidenzitadt zu gründen, das an Zwedmäßigfeit und Schön— heit feinem andern nachjtehen jollte. Einer der größten und berühmtejten Ajtronomen urtheilte mehrmal öffentlich, daß dieje Abiicht des Kurfürjten volllommen jei erreicht worden. Mayer entwarf den Plan zu dem Gebäude und ließ ihn mit Beihilfe der Baumeijter Lachers und Rabaliatti (dem jchon erwähnten Schüler Bibienas) unter jeinen Augen ausführen, unterjtüßt

Die kurfürftliche Akademie der Willenichaften x. 347

von der füniglichen Freigebigfeit jeines Fürften. Der Grund- jtein ward gelegt am 1. Oftober 1772, von dem Bräfidenten der Akademie der Willenichaften, Baron Leopold Marimilian von Hohenhaujen. Raſch ging der Bau von jtatten, jo mannig- faltig auch die Hinderniffe waren, die man hie und ba zu überwinden hatte. In etlihen Jahren war jolcher vollendet. Es war fein Geld gejpart worden, das Gebäude jchön und dauerhaft auszuführen, das mit einem jpäteren Zuſatz, wovon nachher die Rede fein wird, über 70009 Gulden fojtete. Nur allein der Arbeitslohn für Maurer und Steinhauer betrug bis in das Jahr 1776 19 101 Gulden 27 fr., welche dem Unter- nehmer diejer Arbeit, Schlihterle, ausgezahlt wurden. Nach dem Willen des Kurfürjten wurden für die Sternwarte die wichtigsten aſtronomiſchen Werkzeuge, bejonders die firen, in vorzügliher Güte und Größe von den gejchicdtejten und be— rühmteften Künftlern Englands verfertigt, 3. B. von Dollond, Bird, Ramsden, Arnold, Trougfton, Siffon ohne den großen Aufwand zu jcheuen, den die höchſte Vollfommenheit erforderte, welche man zur Bedingung machte. Schon am Ende des Jahres 1775 konnte der große achtfußige Mauerquadrant von Bird, dieſes jeltene und höchſt vollfommene Injtrument, auf der Sübdjeite in den Meridian eingepaßt werden. In dem Jahr 1778 ward der jehr jchöne, zwölffußige Zenith-Sector von Siffon aufgerichtet, nebſt der fürtrefflichen Arnoldi'ſchen Penduluhr, welcher Mayer eine eigene, in dem Jahr 1780 gedruckte Abhandlung widmete. Das Pafjagen-Injtrument oder Mittagsfernrohr, 6 engliſche Fuß lang, Hatte anfangs derjelbe Siſſon durch Vertrag vom 31. März 1783 zu liefern ver- jprochen, vollitändig für 145", Guineen: nachher fertigte es Ramsden, diejer bewundernswürdige Mechaniker für denjelben Preis. Erjt 8 Jahre nad) jeiner Ankunft aus England fonnte e3 die gehörige Stelle auf der Sternwarte erhalten. Zu dem Ende war an der weitlichen Seite derjelben, ein eigener Anbau nöthig, auf deſſen nördlichem Pfeiler diejes köjtliche Werkzeug befeitigt ward. Dieſer höchſt jolide Anbau, an welchem jeit dem Jahre 1789 ungefähr achtzehn Monate lang mit einem

348 Die kurfürftliche Akademie der Willenichaften x.

Kojtenaufwand von ungefähr 8000 Gulden gearbeitet ward, bildet auf der ganzen wejtlihen Seite des Thurms einen Vorſprung.“

Chriſtian Mayer ſollte aber ſeine Freude an der Arbeit auf der von ihm begründeten Sternwarte nicht lange genießen.

Eine ſchwere Krankheit erfaßte ihn im Jahre 1783, die mit einem Naſenpolypen begann und ihn am 16. April dieſes Jahres hinraffte.

Zwei Jahre vorher, am 25. October 1781, hatte Karl Theodor von München aus ſeinem Mannheimer Hofaſtronomen noch die freudige Ueberraichung ber Bewilligung von 10,000 Gulden zur Anſchaffung aftronomijcher Inftrumente gemacht.

Mayers Tod wurde von der wiljenjchaftlichen Welt allge mein beffagt. Bon der deutichen gelehrten Gejellichaft wurde eine Gedächtnißfeier veranftaltet, und man ließ eine Denk— münze mit dem Bildniß des VBerftorbenen von dem Graveur Boltſchaus anfertigen.

Neben Mayer war auf der Sternwarte al3 deſſen Ge» hülfe der Hofajtronom und Erjefuit Johann Metzger thätig gewejen, geb. 1735 zu Unterginsbach bei Mainz und geftorben 1780 in Mannheim. Er erwies fich als ein jehr tüchtiger Mitarbeiter, der u. U. aud) einen Grundriß der „iphäriichen Ajtronomie“ und Tafeln über Firiternbeobadhtungen herausgab.

Bon den auf Mayer folgenden Ajtronomen der Stern» warte waren bier nur vorübergehend: Dr. Karl König 1784— 1786, und deſſen Gehülfe Matthäus Kübel, Profefior in Heidelberg, Johann Nepomuk Fiicher*), vorher Brofefjor der Mathematit in Ingolftadt und Geiftl. Nath zu München, 1787— 1788, dann nad) Berufung der Mifftong-Congregation

*) Fiſcher ließ bei einem Mannheimer Mechanifus Namens Beiker ein in der Mannheimer Zeitung (1788) und in Rößlers „Handbuch ber Aitronomie* (Tübingen 1788) befchriebenes Inftrument anfertigen, das als ein „Univerſal-Inſtrument“ zu allen aſtronomiſchen Beobachtungen dienen ſollte. Das Inftrument, das auf dem Dadje der Stermwarte ſtand, wurde bei der Beſchießung Mannheims im Jahre 1795 durch eine Haubige zer: trümmert.

Die kurfüritliche Akademie der Wiſſenſchaften x. 349

St. Lazare zur Verwaltung der Sternwarte: der Mijfionär Peter Ungeſchick (ein begabter Schüler Lalandes), der aber 1790 auf der Rückkehr von einer Studienreije jtarb.

Inzwilchen Hatte jchon die Gongregation zur Aushülfe während der Abwejenheit Ungeſchicks ein anderes Mitglied nad) Mannheim berufen.

Dies war Roger Barry, geboren am 30. September 1752 zu Spincourt in Lothringen, gleihfall3 ein Schüler Lalandes, bei dem er, al3 1788 jeine Berufung nach) Mannheim erfolgte, in Bari arbeitete. Nach Ungeſchicks frühem Tode wurde Barry zum Hofajtronomen und Leiter der Sternwarte er- nannt. Damit begann für das Inſtitut noch ein furzer, arbeitsreicher Aufihwung. VBorübergehend beobachtete zu diejer Zeit hier auch Prof. I. Schmidt von Heidelberg.

Ueber die Thätigfeit Barry und die Bedeutung ber Mannheimer Sternwarte jchrieb der berühmte Ajtronom und Director der Barijer Sternwarte Jerome 8, de Lalande: „Herr Barry hat dort (in Mannheim) ſchon eine große Anzahl wichtiger Beobachtungen gemacht; er wird dabei unterjtügt von Herrn Henry, einem jungen Miſſionär bderjelben Gongregation. ... Meine Reife nad) Mannheim (1791) war eben jo angenehm als nüslich, und ich jah mit äußerſter Zufriedenheit, daß auf feiner der großen Sternwarten Europas mit mehr Beharrlich- feit, Einficht und Nuten gearbeitet ward; nur die Sternwarten von Paris, Gotha, Mailand und Palermo konnte man mit der Mannheimer vergleichen.“

Der bier als Mitarbeiter Barrys genannte Ajtronom Henry, Mitglied des gleichen Ordens (geb. 1763 in Sauvigny an der Mojel), Hatte fi) 1790 vor den Schrednifjen der Revolution in Paris auf die Sternwarte nah Mannheim geflüchtet. Er blieb hier (unter vorübergehender Lehrthätigfeit in Met) bis 7. Juni 1794. Bon hier, dann von St. Beters- burg, Münden, Paris und Straßburg aus entfaltete er eine damals in willenichaftlichen Kreifen wohl beachtete Thätigkeit.

Das Jahr 1793 unterbrach mit feinen gefahrdrohenden Kriegsereigniffen die ruhige und eifrige Arbeit des Ajtronomen.

350 Die kurfürftliche Akademie der Wiſſenſchaften x.

Die koſtbaren Inftrumente wurden verpadt und in Sellern geborgen.

Henry wandte ſich, wie gejagt, fort von Mannheim, wäh rend Barry die Beit, in welcher er feine Beobachtungen machen fonnte, zur Ausarbeitung von Berechnungen und Aufzeichnungen benutzte.

Klüber berichtet im Jahre 1811, daß ſich damals noch 9000 Tafeln ſolcher Aufzeichnung (ſogen. Aberrations- und Nutations-Tafeln) auf der Sternwarte zu Mannheim befanden und für den großen Fleiß Barrys erjtaunliches Zeugniß ab» legten. Selbit nad jeiner auf’Befehl des Generals Collaud vorgenommenen Verhaftung durch die Franzoſen im Frühling 1799 arbeitete Barry ruhig in der Sternwarte unter militärijcher Bewadhung an jeinen ajtronomiichen Tafeln weiter. Nach jeiner Freiſprechung verließ er Mannheim, um exit 1801 wiederaurüdzufehren und ſich an die Fortſetzung jeiner Arbeit zu machen Doc dies fällt in eine andere, erit jpäter zu behandelnde Zeit.

Die Akademie der Wiſſenſchaften Hat in Mannheim ein reges willenjchaftliches Arbeiten gewedt, da8 wie auch das folgende Stapitel noch vergegenwärtigen joll immer weitere Kreife zog und in vieler Beziehung bahnbrechend wirkte für beutiche Wiſſenſchaft überhaupt.

Und es war feine weltabgezogene Gelehrſamkeit, die hier gepflegt wurde, jondern es gelangten hier vor allem die in das unmittelbare Leben des Landes hineinipielende Heimathfunde und die ſich mit dem praftiichen Erperiment verbindende Natur- wiſſenſchaft zu reicher Entiwidelung.

Wohl jchien die Ueberjiedelung Karl Theodor? nad Münden im Jahre 1778 eine jchwere Gefahr für das Weiter- beitehen der Akademie mit ſich zu bringen, allein der Kurfürſt bewies wie oben gejchildert dem Mannheimer Anjtitut auch des Weiteren jeine Gunſt. Nur der eintretende Krieg fonnte am Ende des Jahrhunderts die Pflege der Wiſſenſchaft mit rauher Hand unterbrechen.

Im Fahre 1791 ftand die Akademie noch in Blüthe. Zu

Die furfürftliche Akademie der Wiſſenſchaften xx. 351

ihren ordentlichen Mitgliedern zählten in diejem Jahre neben den jchon Genannten (Lamey, Collini und dem Geh Rath und Bibliothefar Maillot de la Treille) die an Stelle der Ber- ftorbenen gewählten neuen Societäre: Profeſſor Friederich Caſimir Medicus, der Director der phyſikaliſch ökonomiſchen Geſellſchaft (auf deren Thätigfeit wir noch zurückkommen) Theodor von Traitteur, der Verfaſſer der werthvollen „Statis jtiichen Tabellen über die Größe und Bevölferung der Rheiniſchen Pfalz im 6. Bande der afademijchen Publikation, Reichsfreiherr Caſimir von Häffelin, Director des kurf. Miünzcabinets in München, der Rechtsgelehrte Regierungsrat Georg Friedrich Zentner, der Directorialvatd und Archivar Friedrich von Günther, der Phyjifer Daniel Wilhelm Nebel, Medicinalrath Ulerander Plaicher, Hoffammerrath und Lehrer der Mathematik Peter Kling, zugleich der Schatmeijter der Akademie.

Baron von Hohenhaujfen war im Jahre 1784 gejtorben, und an jeine Stelle wurde Neichsgraf Franz Albert von Dberndorff zum Präfidenten der Akademie gewählt.

1778 beflagte die Afademie den Tod Voltaires, ihres Ehrenmitgliedes, und 1781 den Tod Leifings, der als aufer- ordentliches Mitglied der Akademie angehörte.

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XXI. Kameralwifjenjchaft und Beilfunde.

Verwerthung der Naturwiffenihaft für das praftiiche Leben Botanik und Landwirthihaft Friedrih Caſimir Medicus Die „phyſikaliſch— ökonomiſche Geſellſchaft“ Die Begründung der Staatöwirthichaftlichen Hochſchule in Heidelberg Der botaniihe Garten in Mannheim Ludwig Wallrad Medicus Heilkunde und Gejundheitöpflege Franz Anton May Die Hebammen und Stranfenwärterihulen May’s Beſuch bei Friedrich; Schiller in Mannheim Die geplante mediciniihe Praris Schillers Brief des Dichterd hierüber Das „Anatomiſche Theater” und das „Chirurgiiche Collegium“,

Die Verwerthung der Naturwiſſenſchaften für das prak— tiſche Leben diente einer Reihe von weiteren Unternehmungen und Veranſtaltungen, die durch Karl Theodor entſchieden För— derung fanden.

Die Naturwiſſenſchaften ſollten vor allem auch der Land— wirthſchaft neue Grundlagen geben, und beſonders auch das Studium der Botanik ſollte eine neue Pflege der Gartenpflanzen herbeiführen.

In Kaiſerslautern war es, wo ſich einige Landleute, zunächſt hauptſächlich Bienenzüchter, vereinigt hatten, um eine Hebung der Landwirthſchaft in ihrer verhältnißmäßig rauhen Gegend zu bewirken.

Auf dieſe Beſtrebungen wurde der auf dem Gebiete der Botanik beſonders hervorragende Gelehrte, Regierungsrath Friedrich Caſimir Medicus, der Director des botaniſchen Gartens

Defer, Geſchichte der Stadt Mannheim, 23

354 Kameralwiſſenſchaft und Heilkunde.

in Mannheim, aufmerkſam. Seiner Anregung dürfte es zu verdanfen jein, daß ſich aus jener Vereinigung einiger Land— leute eine größere, den Betrieb der Landwirthichaft auf wiſſen— jchaftlich rattoneller Grundlage erweiternde Gejellichaft entwicelte. Dieje neue Vereinigung nannte ſich „Phyſikaliſch-ökonomiſche Geſellſchaft“. Im Jahre 1770 wurde dieſe Gejellihaft vom Kurfürjten beftätigt und mit Privilegien verjehen. Die Präſi— dentichaft übernahm Herzog Karl II. von Zweibrüden, Vize präjident wurde Freiherr Chriſtoph Anton von Hauzenberg (Oberit des furpfälziichen Dragonerregiments „Fürſt Leiningen“). Der das Ganze leitende Director war jedoch der geijtige Be— gründer der Gejellichaft, Rat Medicus jelbit. Die Vereinigung zählte außerdem 16 ordentliche Mitglieder und eine Reihe von Ehren- und außerordentlichen Mitgliedern.

„Um der Landwirthichaft einen höheren Betrieb und Aufihwung zu geben jo jchreibt Lipowsky über dieje Ver— einigung und die möglich bejte Vervollkommnung und Aus» bildung derjelben herbeizuführen, aud das Mechanijche der Gewerbe und die Mechanif jelbit zu heben und zu verbejiern, die Kenntniſſe in derjelben zu verbreiten und gemeinnügig zu machen, bejtätigte der Kurfürjt die i. 3. 1769 zu Lautern (Katjerslautern) entjtandene physikalisch öfonomijche Gejellichaft,

*) Die Oeffentlihe Bibliothek im Schloß zu Mannheim hat folgende, ihr von der Harmoniegeiellichaft überlaffene Schriften von F. GC. Medicus aufzuweiſen: Brief über einige Grfahrungen in der Nrznei-Riffenichaft, Mannheim 1766 on der Xebenäfraft Mannh. 1774 Beiträge zur ihönen Gartenkunſt. Mannh. 2. Aufl. Mannh, 1783 Botanifche Bes trachtungen des Jahres 1782. Mannh. 1783 Wie fann elender Aderbau einer Gemarkung in einen befferen verwandelt werden? Mannh. 1784 Theodora speciosa, ein neues Planzengeichleht. Mannheim 1786 Ueber einige künftlihe Geſchlechter aus der Malven- Familie, Mannb. 1787 Philoſophiſche Botanik, Mannh. 1789 Ueber nordamerifaniiche Bäume und Sträucher als Gegenitände der deutichen Yoritwirthichaft und der ſchönen Gartenkunft. Mannh. 1792 Geſchichte der Botanik unjerer Zeiten. Mannh. 1793 Bericht über die in den Jahren 1800—1802 ger führten Schläge in der k. Mcacien-Anlage neben dem botaniichen Garten au Mannheim. Mannh. 1802 Pilanzenpigchiologiihe Abhandlungen. Mannh. 1808 Beitrag zur Kultur exotiſcher Gewächſe. Mannh. 1806,

Kameralwiſſenſchaft und Heilkunde, 355

die fih i. I. 1774 in eine Kameral-Hochſchule umgejtaltet hat und vom Kurfürjten Karl Theodor am 25. Augujt 1777 in eben diejer Eigenjchaft anerkannt und janktionirt worden ijt. Die jehr brauchbaren Zöglinge, die aus diejer Kameral-Schule hervorgegangen find, die nützlichen durch den Drud bekannt gemachten Arbeiten derielben, ihr gedeihliher Einfluß in das praftijhe Leben der Landwirthichaft zc. bewogen endlich den Kurfüriten, in Folge eines am 30. September 1784 erlafjenen Dekretes, dieje Schule von Kaijerslautern nach Heidelberg zu verlegen und als jtaatswirthichaftliche Hochichule mit der Univer- fität daſelbſt zu vereinigen.“

Als Lehrer an diejer nach Heidelberg verlegten Schule für Kameralwiſſenſchaften wirkte neben dem bejtändigen Secretär der Gejellichaft, Georg Adolf Succow (Lehrer der Mathematif, Chemie und Naturgeichichte) auch der Gejchicht3gelehrte Friedrich Peter Wundt (Pfarrer in Wieblingen).

Wundt betoute in jeiner am 30. Dezember 1792 in der Hauptverjammlung der furpfälzischen phyſikaliſchen öfonomijchen Gejellichaft zu Heidelberg gehaltenen Nede, die er ber Feier der fünfzigjährigen Regierung Karl Theodors widmete, Die große Bedeutung der Begründung des Unterrichts in der Kameralwiſſenſchaft für die deutichen Hochichulen, und er hob bejonders hervor, daß die Heidelberger Schule das erſte Inſtitut von diefer Art in Deutjchland ſei, „wo der wißbegierige Jüng— fing alle zur Staatswirthichaft gehörigen Wifjenichaften in der. ihönjten jyitematiichen Ordnung“ erlernen fonnte.*)

Dieje Schule erhielt von Karl Theodor den Titel „Staats- wirthichaftlihe Hochſchule“.

Ein 1775 zu Mannheim erjchienener „Plan von der öfonomischen und Kameralſchule“ veranlaßte den Nector Schlögel (Heilbronn) bei der Beiprechung diejer Publikation in der Allgem. Bibliothet für Schul» und Erziehungsmweien

*) Wundt bat vor allem auch „Karl Theodors Verdienite um bie Berichtigung und Erweiterung der rheinpfälziichen Landesgeſchichte“ an— erfannt und jelbit einen „Entwurf der allgemeinen rheinpfälziichen Landes» geidichte (Mannheim 1798) geichrieben.

23%

356 Kameralwifienihaft und Heilkunde.

(II. Band I. St. Nördlingen 1775) auf die Wichtigkeit der Verlegung einer jolchen Anjtalt an den Ort afademijcher Studien überhaupt hinzuweiſen. Wielleiht fei dies auch ein Mittel, „diefer ehemal3 jo berühmten Univerfität wieder Zufluß von Auswärtigen zu verichaffen“.

Diefer in Mannheim erjchienene Plan ift hauptſächlich von Medicus verfaßt, der zugleich auch Director der Kameral— ichule wurde.

Medicus Hat fih in Mannheim durch die Anlage des botaniichen Gartens bejonders verdient gemacht und durch jeine philojophiiche Betrachtungsweiſe die Botanik weit über Die Schranken bloßer Fachwiſſenſchaft hinausgehoben. Er hat für dieje Wiſſenſchaft ein größeres, allgemeineres Intereſſe zu erregen ‚verjucht und die Pflege einer „Ichönen Gartenfunjt“ für weitere Kreije nugbar zu machen gewuht*).

*) lleber jeine „Beiträge zur ſchönen Gartenkunſt“ schrieben Die Göttingiichen gelehrten Anzeigen 1782, 76. Stüd:

In der neuen Hof: und akademiſchen Buchhandlung (Mannheim) find des Herrn Regierungsraths Medicus Beiträge zur ſchönen Gartenkunſt gedrudt worden... Das Titelblatt Hat ein artiges Zierbild nad) der Zeichnung des berühmten Landichaftsmalers Ferdinand Sobell, wo man eine Urne in der melancholiihen Laube einer babyloniſchen Weide fieht. Der größte Theil des Buches erzählt des Verfaſſers Beobachtungen und Verjuche über die beite Weiſe, ausländiihe Bäume und Sträuder an uniern Himmelsftrid zu gewöhnen, welche größten Theils jchon aus den ‘° Schriften der Kurpfälziſchen ökonomischen Geſellſchaft bekannt find; fie haben hier jedoch manche Zufäße erhalten. Cinige neue Auffäge find in bie jett beim linterrichte zur Gärtnerei gebräuchliche Briefform eingefleidet. Da fie zugleich nad) Art eined Tagebuches abgefaifet find: jo wird zumeilen das vorhergehende durch das nachfolgende verbeflert, und der Leſer jtößt nicht jelten auf Wiederholungen; aber dagegen it aud an Vollſtändigkeit und Deutlichkeit jehr viel gewonnen, und es it allerdings lehrreich zu fefen, wie der Verfafler mißglüdte Verſuche zur Entdeckung bisheriger Fehler und beiferer Methoden angewendet hat, welches ohne die gründliche stenntnig der Naturlehre und Botanik, durch welche er ſich längft aus— zeichnende Verdienite erworben hat, unmöglich geweien wäre. Er beklagt, daß die Deutichen meiftens mur noch bemüht find, eine ungeheure Menge Abarten ihren Gärten zu verfchaffen, und eben deswegen von Ausländern, die ihnen jede Heine Veränderung als eine Neuigkeit verkaufen, um ihr

Kameralwiifenihaft und Heilfunde, 357

Es ijt anzunehmen, daß ſich Medicus mit dem Gedanken getragen hat, die Kameraljchule nah Mannheim zu verlegen, denn bier befand fich jeine Lieblingsjhöpfung: der botanische Garten.

Diejer botanifche Garten wurde öftlih von Mannheim an ber Heidelberger Landſtraße angelegt „zur beſſeren Empor- bringung der Agrikultur und zur Ermunterung der Landwirthe, jelbjt fremde Pflanzen und Früchte auf ihren Grunden anzu— bauen und einheimiich zu machen“. Die Anlage erfolgte nad einem von Medicus entworfenen Plane von Oſten nad Süden. In der Mitte jtanden die Treibhäujer, auf den Seiten die jog. falten Häufer mit hohen Fenſtern. Die ganze Hausanlage war 210 Fuß lang, die Höhe der emporjtehenden Fenſter betrug 21 Fuß. Der Hauptgarten umfaßte erhöhtes und vertieftes Terrain. Auf den Erhöhungen jtanden die Bäume und Ge— wächſe aus jüdlichen Gegenden; in den Bertiefungen waren alle anderen Pflanzen und Bäume ohne bejondere Ordnung eingeitellt. Neben dem Hauptgarten waren auch noc Kleine Anlagen angebracht, die hauptjächlich zum Anbau von ameri- faniihen Bäumen und von Sträuchern jüdlicher Länder dienten. Bor dem Garten ließ Medicus eine Afazienallee anpflanzen. Hier gab man auch den Grundbejigern Samen und Pflanzen unentgeltlih ab mit der Anweiſung der Behandlung des Ans baues der Gewächſe. Bon Hier aus wurde ferner die ſchon erwähnte Rhabarber: Plantage bei Käferthal angelegt. Ebenſo förderte man von bier aus die Bepflanzung der Landſtraßen mit Obftbäumen.

Die wiſſenſchaftliche Thätigfeit des Nathes Caſimir Medicus

Held gebracht werben, ohne dem Batterlande dadurd; zu nuzen. Aus Be- forgniß, dieſe Koftbarfeiten zu verlieren, fährt man fort, nad der alten Vorichrift des Tournefort Gommelin u. a. die ausländischen Bäume ängit- lich in Treibhäuiern zu halten, von denen doch ſchon viele längſt einheimiich geworden wären, wenn viele zu Verſuchen, fie im Freien zu ziehen, Muth und Geichielichkeit gehabt hätten. Hoffentlich wird das glüdliche Beifpiel und der Ilnterricht des Verfaſſers ſolche nüglihe IUnterfuchungen rege machen... .*

358 Kameralwiſſenſchaft und Heilkunde,

umfaßt etwa die Jahre 1760—1806. Berühmter noch wie er wurde jein am 8. Auguſt 1771 in Mannheim geborener Sohn Ludwig Wallrad Medicus, der ganz im Geiſte jeines Vaters fortwirfte. Karl Theodor ernannte ihn 1795 zum außerordent- lichen Profejfor an der jtaatswirthichaftlichen Hohen Schule zu Heidelberg und zugleich zum Mitglied des furfüritlichen Ober- bergamtes in Mannheim.

Nach dem Uebergang Mannheims an Baden wurde Wall- rad Medicus nah Würzburg, Landshut und ſchließlich im Sahre 1826 nah München berufen, wo er über Land» und- Forjtwirthichaft jorwie Technologie las. Zuvor hatte er jchon die Begründung des landwirthichaftlihen Vereins in Bayern mitbewirft.

Wallrad Medicus ftarb, hochgeehrt und von König Lud— wig I. ſchon 1828 zum Hofrat ernannt, in München am 18. September 1850. Fünf Jahre vorher Hatte er jein 50- jähriges Dienjtjubiläum gefeiert. Seine WBublikationen, von denen hier die „Anleitung zum forſtwiſſenſchaftlichen Studium“ (1802) und der „Entwurf eines Syitems der Landwirthichaft“ (1809) genannt jeien, waren von grundlegender Bedentung für die Kameralwiſſenſchaft in Deutjchland.

Tie Förderung der Kameralwilfenichaft durch den Kur— fürjten Karl Theodor jelbjt feierte der furpfälziiche Rath B. Wigard unter bejonderer Bezugnahme auf die Gründung der Staatswirthichaftsichule in Heidelberg mit folgenden Berjen jeineg Jubiläumsgedichtes im Jahre 1792:

Von feinem Geift befeelt vereinigten fi) biedre Männer

Zum Lauſchen auf noch unbemerkte Tritte der Natur,

Sie hinzuleiten auf Die Landwirthſchaft und auf Gewerbe

Des Lands Ertrag mit Einficht zu verwenden,

Des Staates Wohl in allen Zweigen

Die Habe jelbit des Einzelnen

Durch wohlgewählte Mittel zu erweitern

Wuchs eine junge Pflanzung auf von Zöglingen der Staatswirthſchaft Sie reifte bald

Und blühet nun der ältern Pflanzung einverleibt.

Kameralwiſſenſchaft und Heilkunde. 359

Aber noch eine andere, die Xebensverhältniffe der Ein- wohner Mannheims noch tiefer berührende praftiiche Ver— werthung der Naturwiſſenſchaft jollte in Mannheim verjucht werden und zwar auf dem Gebiete der Heilfunde. Hier war e3 der ebenio energiiche wie aufopferungsvolle und menjchen- freundlich gejinnte Arzt und Lehrer der Mebdiciniichen Wiſſen— ihaft Franz Anton May, der eine neue Stranfenpflege bes gründete. May, am 16. Dezember 1742 zu Heidelberg geboren, begann im Jahre 1766 nad) Bollendung jeines Studiums der PHilojophie und Medicin in Mannheim als Lehrer an der hier neu errichteten Hebammenjchule jeine jegensvolle Thätigfeit.

Dieſe Schule war auf Wunſch der Kurfürſtin Elijabeth Augusta, die im Jahre 1761 jelbit die Leiden eines unglück— lichen Kindbettes zu ertragen hatte, von Karl Theodor am 17. April 1766 geitiftet worden.

Die Eröffnung der an dem Seideiberger Thor, dem Gießhaus gegenüber gelegenen Anjtalt fand am 24. November desjelben Jahres in feierlicher Weije jtatt.

Als erjter Lehrer wirkte dajelbit Profeſſor Dr. Fiſcher, der morgens von 9—11 Uhr Borlefungen den Hebammen und sFeldicheren hielt. Correpetitor May hatte unter Bei— hilfe eines Dr. Wilhelmi des nachmittags den Juhalt diejer Borlejungen mit denjelben Hörern nochmals durchzugehen. May jelbjit las Mittwochs und Samjtags über die vor und nad) der Geburt vorkommenden Krankheiten. Der Lehreurjus dauerte drei Monate. Nach jedem Curſus wurde einen Wonat der Unterricht ausgejegt. Die Leitung der Anjtalt war einem „Sollegium Medicum“ übergeben. Die Prüfung der Hörer fand von den Lehrern der Anjtalt vor einem Mitgliede diejes Eollegiums jtatt.

Die Einrihtung der Anjtalt beitand aus einem großen ringsum mit Bänfen ausgeitatteten Hörjaal, mehreren Zimmern mit 12 Betten für die Wöchnerinnen und einem Wohnraum für die Wartfrau.

Der Unterricht wurde unentgeltlich ertheilt und den Ge— meinden anbefohlen, den ji) hier ausbildenden Hebammen

360 Kameralwiflenichaft und Heilkunde.

aus Gemeindemitteln täglih 15 fr. zu jpenden und die Bes zahlung der nöthigen Bücher zu übernehmen. Die nach be— jtandener Prüfung entlafjenen Hebammen wurden auf Strengite verpflichtet, die ihnen vorfommenden jeltenen und jchweren Tälle zu melden. Bei dem Unterriht in der Anatomie vers wendete man die Leichen hingeridhteter oder im Gefängniß geitorbener Verbrecherinnen.

Der Bekämpfung des Kindsmorbs, der früher jo jchwer beitraft wurde, jollte hauptſächlich auch dieſe Anftalt durch Aufnahme armer Frauen dienen.

Sp wurde aus der Schule für Hebammen zugleich auch ein Aſyl Hilfsbedürftiger Frauen. Immer mehr trat hier Mays Lehrthätigfeit hervor und immer reger gejtaltete fich dieſes Inſtitut bejonders auch durch dieſen tüchtigen, hochbegabten Arzt.

May, der 1786 ordentlicher Profeſſor der Geburtshilfe an der Univerlität Heidelberg wurde, bewirkte 1805 bei dem Niedergang der Stadt die Ueberfiedelung des Inſtituts nach Heidelberg und rettete es dadurch jedenfalls vor dem Berfall.

Seine wejentlichite Schöpfung von großer Tragweite war aber die Stranfenwärterjchule in Mannheim. Damit hat May die Krankenpflege in neue, weithin vorbildlich wirkende Bahnen gelenkt. Das Hinfterben der Kranken aus Mangel an rechter Pflege hatte das für die Menjchheit mit warmer Liebe erfüllte Herz dieſes Arztes tief bewegt, und mit Begeijterung für jeine gute Sache ging er daran, hier Abhilfe zu Schaffen, hier durch ernite, energiiche Arbeit diefen Mipitänden abzuhelfen.

May wurde damit zu einem der erften Begründer einer rationellen Stranfenpflege in Deutichland.

Da fih in der von ihm am 30. Juni 1781 unter Beihilfe des furfüritlichen Hofes begründeten Kranfenwärterichule jeder- mann in der Stranfenpflege unterrichten laſſen fonnte und auch aus der Umgegend viele Leute zu dieſem Unterricht herbei- famen, jo drang das hier Gelernte ſchon in weitere Kreife und verbejjerte in Stadt und Land die Behandlung der Stranfen.

Hand in Hand mit diefem Wirfen ging Mays Begrüns dung einer Krankenkaſſe für Arme und einer Krankenwärterkaſſe

Kameralwiflenichaft und Heilkunde. 361

für arme Kranke bedienende Wärter. 1783 waren der letzteren Kaffe durch mildthätige Gaben bereits 601 fl. 49 fr. zugefloffen. Den Recenjhaftsbericht hierüber unterzeichneten v. Lamezan, Davanz und May. |

Im Jahre 1789 wurde May zum Leibarzt der Kurfürftin Elijabeth Augufta ernannt. Dabei behielt er feine Stellung al3 Lehrer an der Heidelberger Univerfität inne. Als Aelteſter der Univerfität jtarb May am 20. April 1814 zu Heidelberg. Eine Lungenentzündung hatte den Hochverdienten Mann zum Scmerze der Bevölkerung Heidelbergs und Mannheims, wie der auswärtigen wiljenjchaftlichen Welt im Alter von 72 Jahren dahingerafft. Seine Ehegattin war eine Tochter des Bild» hauers Berichaffelt. Na) May's Tode wurde deffen Schwieger- john, der namhafte Arzt Franz Karl Nägele, „Director der Heidelberger Gebäranitalt.*

Mays Thätigfeit wird dauernd fortwirfen und verdient gerade heute, wo man fanitäre Einrichtungen immer mehr in’3 Auge faßt, neue Anerkennung.

Auf dem Gebiete der Geburtshilfe machte Mays 1799 erjchienene Schrift „Programma de necessitate partus quan- doque praemature promovendi* durch den darin zuerſt in Deutichland ausgejprochenen Gedanken, in bejonderen Fällen die Frühgeburt künſtlich zu bewirken, in ärztlichen Streifen Aufſehen.

Als Geſundheitslehrer verdient May an die Seite Hufe— lands geſtellt zu werden. May war von außerordentlicher ſchriftſtelleriſcher Begabung, und er konnte ſeine Gedanken auf's Klarſte und ſprachlich Feſſelndſte formuliren. Dadurch ver— mochten ſeine Werke unmittelbar in das Volk zu dringen und hier viel gutes zu ſtiften. Eine gewiſſe Nüchternheit, die ſeinen Anſchauungskreis beſchränkte, reſp. nicht auf andere Gebiete erweiterte, fam dem Arzte nur zu Gute. Seine außerordent- lihe Kunſt der Sprache bewies May bejonders bei jeinen Ausführungen über Gejchlechtskranfheiten und über das Ge- ſchlechtsleben. Hier wagte er in aller Deffentlichfeit viel zu jagen, was jonjt nicht berührt werden durfte. Seine Offenheit

362 Stameralwifjenichaft und Heilkunde.

wirkte hier durchaus edel und gut. Hier könnte mancher moderne, geichlechtliche Fragen behandelnde Kongreß, der die heifeljten Dinge oft in rohſter Sprache in die Deffentlichkeit zieht, den rechten Ton für jeine Diskujfionen lernen.

May's Humorgewürzte Kraft der Sprache gipfelt in den 5 Bündchen umfaljenden Büchlein „Stolpertus, ein junger Urzt am Strankenbetter (Mannheim 1777—1807) und in den „Mediciniichen Faltenpredigten* (Mannheim 1793/94 2 Bbe.), welch' legtere Schrift, wenn auch nicht frei von politiicher Be— ſchränktheit, doch gerade auf ihrem Gebiete der Gejundheitslehre neue Wege einjchlägt.

May Hatte nahdrüdlichit auf das Verhängnißvolle der Armuth bei Krankheit Hingewiejen und es dadurch bewirkt, dab auch noch im amderweitiger Weile für die Armen gejorgt wurde.

So wurden den armen Stranfen der in jech$ ärztliche Be- zirfe eingetheilten Stadt unentgeltlich Recepte gejchrieben und Medicamente verabreicht. Ebenjo gab man Brennholz an arme Kranke aus dem Furfiwitlichen Lager ab. Im Jahre 1779 erreichten die Ausgaben für gejpendete Medicamente über 4000 Gulden und an Brennholz wurden im gleichen Jahre 721 Wagen vergeben.

Zahlreiche janitäre Beitimmungen jind auf Mays Fnitiative zurüdzuführen, und manche wichtige, erjt heute verwirklichte Einrichtungen jah er voraus.

Bon den Hojpitälern jener Zeit jeien hier das 1739 be— gründete Militärlazaretd in F 6, das im gleichen Quadrat errichtete Hojpital der Reformirten, die Hojpitäler der lutheriichen und ijraelitiichen Gemeinden, das früher jchon erwähnte fur» fürjtliche, jest ſtädtiſche Ktrankenhaus und das Fatholijche Bürgers hoipital genannt.

Das katholiſche Bürgerhojpital fiedelte erſt 1784 nad jeiner Stiftung im Jahre 1773 auf das jebt nod einge» nommene Stadtgebiet (dad ehemalig Freiherr von Ullner’iche Anwejen FE 6, 1 (1783 um 24000 fl. erworben) über. Der Bau der Kirche begamı 1786 und die Einweihung berjelben

Beilage.

Bei der außerordentlihen Wichtigkeit der Begründung der Kranken— wärterichule für Mannheim und die Einführung einer Krankenpflege über: haupt dürften die Grundfäge, die den Schöpfer diefer Anjtalt leiteten, von weiterem Intereife jein. Man entwicelt dieſe Grundfäge in einem im 11. Heft der „Pfalzbaieriſchen Beiträge zur Gelehrſamkeit“ (Mannheim 17>2) veröffentlichten längeren Schreiben, das zugleich auch für die fernige, kräftige Sprache dieſes Arztes und Denkers charakteriſtiſch iſt. Das Schreiben lautet:

Mannheim, den 8. Chriſtmon. 1782.

Liebiter Kosmas!

Endlich, Liebiter Freund! kann ich ihnen von dem Fortgang meiner voriges Jahr ichon errichteten Strankfemivärterichule wahre Nachricht geben. (53 mangelte niht an Splitterrichtern, welche dieſer Erſtgeburt allerhand Mutterfleden andichteten. Man will (hie es) Stranfenwärter bilden, und es werden mediciniiche Prufcher werden; man rümpfte die Naſe, zudte die Achſeln, wizelte umd jpöttelte über das Unternehmen, ehe man noch den Plan, die Lehrart, und das Leiebuch eingejehen hatte. Sie wiſſen wohl, mein Beiter! e3 giebt fo eine Gattung Leutchen, die ſich einbilden, fie ſeien dafür beioldet, alles mit Bitterfeit zu tadeln, was den Zoll ihrer Gench- migung entgchet, und den Stempel der Neuerung trägt; Neuerungen, schreien jie mit voller Stehle, weil fie von jeher gewohnt find, ihren Schnedens gang fortzumallen, ohne jemal an eine Beiferung zu denken. Man hat jo fang, jagen fie, ohne zünftige Krankenwärter Strankheiten geheilet, man wird bieielben auch in Zukunft entbehren können. Diefe wohlweiſen Herren bringen aber jene Kranke nicht in Anfchlag, welche aus Mangel einer ber: nünftigen forgfältigen Wartung, trog aller ihrer Gelehriamfeit und ange wendeten Fleiſes, frühzeitige Engelgen geworden find. Das war ein Theil der Belohnung für die Mühe, die ich mir gab, diefe wiſſenſchaftliche Lücke auszufiillen. So ſehr mid dieſes Gemurmel hätte niederichlagen Eönnen, jo aufmunternd war die höchſte Genehmigung und Unterjtügung der Kur: fürritlihen hohen Regierung. Ueberzeugt von dem offenbaren Nuten dieſer

Lehrſchule legten die würdigen Mitglieder dieſer hohen Stelle Geldbeiträge zufammen, um zur Aufmunterung der Lehrlinge filberne Denkmünzen prägen, und die Beitbeitandenen bei der öffentlichen Prüfung damit frönen zu laſſen. Damit Sie aber, liebiter Kosmas! völlig überzeugt werden mögten, wie ſehr ih bemüht war, feine Quadialber, feine Nbergläubler, jondern ver: nünftige Stranfenwärter zu bilden, will ich Ihnen zwei Punkte aus den— jenigen bierher jegen, welche die Lehrlinge bei ihrer Entlafjung haben bes ſchwören müſſen. Der trantenwärter (jo lautet der zweite Punkt) ſoll ſich forgfältig nad) den in der Yehre empfangenen Grundjägen von allem Aber: glauben, Segeniprehen und lächerliher Simpathie enthalten, zwar den Stranfen nicht hindern, Gott, dem alles möglih, um feinen Segen zur ge— deihblihen Mitwürfung der Arzneimittel anzurufen, aber doch mit Ber icheidenheit den Stranfen abmahnen, daß er ſich nicht von Andächtlern und Afterärzten, von Segenjprehern und Bejchwörern betrügen laſſe, ſondern die von dem Allmächtigen erichaffenen, von redlichen, erfahrenen Aerzten vorgeichriebenen Sträuter allen Lulaszetteldyen, Hexen- und Teufelsamuletten und anderem Mißbrauch geweiheten Tändeleien vorziehe, und nach ber Vorſchrift gebrauche. Sollte der Strantenwärter wahrnehmen, daß der Kranke, auf Zureden unvernünftiger Leute, feinen Harn zum prophetiichen Scharfrichter überbringen lies, und heimlich Mittel gebrauchte, welche, wie gemeiniglich geichiehet, die Stranfheit verſchlimmein, jo iſt es feine Pflicht, ſolche Betrügereien bei Zeit dem Arzte anzuzeigen, damit diefer den üblen Folgen dieſes Unterſchleifs jo frühzeitig als möglich vorbeugen könne. Der vierte Punkt, welchen die gelernten Stranfenwärter eidlich angeloben mußten, war folgender: So nüzlich ber rechtichaffene Kranfenwärter dem Kranken it, wenn er in den Schranfen feiner erlernten Wiſſenſchaft fortwandelt, jo gefährlich fan er dem kranken Nebenmenichen werden, wenn er, wie es je zuweilen durch langen Umgang mit Aerzten geichiehet, in einen unbäns digen Quadjalber ausartet; feine hie und da erbafchten Mittelchen bei den Kranken außframet, und mit Verahtung würdiger Aerzte jeine eigenen Pulver und Billen, feine Pflafter und Salben zum Nachtheil der Kranken anrühmet und aufdringet. Der vernünftige Stranfenwärter foll ſich von diejer gelehrten Ausſchweifung enthalten, und wenn er ja etwas mit Grund anzurathen oder vorzuichlagen glaubt, niemal ohne den Rath eines ver: nünftigen Arztes, vielweniger binterliftig Arzneimittel gebrauchen; weil aud dfterd ein unichuldiges Hausmittel, wern daſſelbe zur Unzeit angewendet wird, ichädlich werden fann. Dan laffe ſich niemal von feinen eingebildeten Kenntniſſen täuſchen. Sogar ein Handwerk muß ordentlich und ſtufenweis erlernet werden, ſonſt bleibt man immer ein elender Pfuſcher. Jener Stranfentwärter, welcher ſich unterfangen würde, zu quadjalbern, ioll als ein geführlicher Bürger angeſehen und von jeinem vorgejezten Medicinals rath mit angemeſſener Strafe behandelt werden, u. ſ. w. Mus Dielen beiden Beihwörungspunften fönnen Sie, mein Beiter! deutlich jehen, wie

fehr ich bei der Lehre der Krankenwärter entfernt war, Pfuſcher zu er: ziehen, und wie ungereimt die Vorwürfe waren, womit man dieſes heilfame Inſtitut verunglimpfen wollte. Meine Hauptabfiht war, gute hippofratiiche Beobachter ans Krankenbett zu ſezen, welche den meiltens zu viel bes Ihäftigten Arzt gedeihlich unterftügen könnten. Welcher praktifche Arzt ift wohl im Stande, bei einem jeden jeiner Kranken Stunden lang fizen zu bleiben, und ganze Nähte durchzuwachen; gleihwohl können in feiner Ab» weſenheit Zufälle erjcheinen, die ihm zu willen jehr nötbig find. Ich will mich bei diejen jonnenklaren Wahrheiten nicht länger aufhalten, und ihnen nur nod von dem mohlthätigen Einfluß Nachricht geben, womit dieſes Inſtitut auf dürftige Kranken in hiefiger Stadt würket. Ich fahe gleich beim Anfang der Lehre ein, daß Die gelernten Krankenwärter nur jenen Mitbürgern nüzen würden, welche das Vermögen haben, ihre Dienfte zu belohnen; damit alfo auch dürftige Stranfen in ihrem Nothitande bedienet würden, jo forderte ich die Wohlthätigfeit und Großmuth guter Mitmenfchen auf, durch gefällige Geldbeiträge eine bejondere Armenkaffe zu jtiften, woraus jene Krankenwärter, welche dürftigen Mitbürgern mit Fleis und Menſchenliebe in ihren Krankheiten beifpringen, ihren Taglohn erhalten fönnten. Auf diefe Art fan der dbürftige Kranke bei dem Inftitut um einen stranfenmwärter bitten; dieſer bringt nach geendigter Stranfheit ein von dem Arzte und Kranken beftätigtes Verzeihniß der Täge und durdgewacten Nächte, und erhält von dem Kaſſierer diefer Armenkaffe, welches Geichäft unjer würdiger Negierungsrath Herr von Lamezan übernahm, feine Bes zahlung. Bielleicht, mein Beiter! iſt unfere Armenkaſſe, durch die Wohl: thätigfeit unſers gnädigen Landesherrn unterjtüzet, in einigen Jahren im Stande, wiedergenefende Armen mit Beiträgen zu nöthigen Erholungs ineifen zu laben. linjere durchlauchtigite Sturfürftin war die erite gnädigſte Wohlthäterin diefer Armenkaſſe; Höchitdiefelbe haben einen jährlichen be= trächtlichen Beitrag hiezu beitimmt. Biele unjerer rechtichaffenen Mitbürger folgten diefem erhabenen Beifpiele, Segen des Himmels fcheinet diejen Blan zu unteritügen. Damit aber aud) die Krankenwärterlehre fich nad) und nad unter das Zandvolf verbreiten, und dadurch mancher rechtichaffene Hausvatter und mande brave Mutter erhalten werden möge, jo bin id) geiinnt, zu derjelben Zeit, wo die Dorfhebammen dahier unterrichtet werden, zugleid; den Strankenwartdienft zu lehren, wenigitens werden dadurd) ſchäd— liche Mißbräuche und Vorurteile bei den Krankheiten des Landvolfes aus: gerottet werden können. Der Unterricht für Krankenwärter, deſſen ich mic) bei den öffentlichen Vorlefungen bediene, und welcher bem Begriffe einer jeden Hausmutter angemefjen it, joll, dem fichern vernehmen nad, von Sturfürftlicher hoher Regierung umentgeltlih im ganzen Lande an die Pfarrer, Schulmeifter, Wundärzte und Hebammen abgereichet werden, um die Fehler bei Wartung der Stranfen, wodurdh jo mancher brave Bürger vor der Zeit hinmweggeraft wird, nad und nad) abzuwenden.

Sie werben begierig fein, mein Freund! zu erfahren welche Gat— tung von Inwohner fih diefem harten Berufe widme. Sie willen, mein Beſter! in jeder Stadt giebt ed eine große Menge wohlernährter Faul- lenzer, welche fich auf das Allmoien verlaffen, die Kirchenthüren belagern, und die Gutherzigfeit der Inwohner jchändlich mißbrauchen.

Aus diefem Haufen unthätiger Menſchen fange ich zum Krankenwart— dienit diejenigen aus, welche nad dem Alter und Leibesfräften die Fähig— feit haben, Kranke zu bedienen; weigern ſich ſolche ausgeraftete Faullenzer der Lehre beizumwohnen und auf diefe Art ihr Brod zu verdienen, jo werben diejelben von dem wöchentlichen Almoien jo lange ausgeſchloſſen, bis fie von mir ein Zeugniß dieſes Fleifes bei dem armen Pflegamt aufweiien. Auf dieſe Art wird zugleid ein Theil wohlgemäfteter Müfiggänger zur Arbeit angehalten. Die anfchnlichere Klaſſe der Lehrlinge beitchet aus jungen Wundärzten, Wittwen und Kindsfrauen, aus den Stranfemmwärtern der Hoipitäler und Waifenhäufer. Die Judenfrantenwärter jind von der Lehre nicht ausgeichloffen. Ich muß es unferer biefigen Judenihaft zum Ruhme nachſagen, dab fie gegen ihre Stranfe beionders wohlthätig und dienftwillig ift. Zwei Jüdinnen haben dem erften Lehrgang der Kranken— wärterlehre beigewohnt, worunter bejonders die Jungfer Glückge Hallin bei der öffentlichen Prüfung durch geſchickte ımerwartete Antworten ſich aus— zeichnete.

Wie unſere Armenkaſſe mit der Zeit, wie ich hoffe, zunehmen, ſo bin ich, mit Genehmigung des Inſtituts, geſinnt, den jährlichen Ueberreſt, der für die Belohnung der Armenkrankenwärter beſtimmten Gelder unter die fleiſigſten Krankenwärter, ohne Unterſchied der Religion zur Aufmunterung ihres Dienſteifers, auszutheilen, auch die zum Krankendienſt gemächlichen und nöthigen Kleidungsſtücke für die Krankenwärter daraus anzuschaffen.

Hier haben Sie, mein Beiter! den ganzen einfachen Plan der neuen Lehrſchule für Krankenwärter; finden Sie diefe Ginrichtung möglich, jo legen Sie in ihrer Gegend eine ähnliche Pflanzſchule nüzliher Mitmenichen an, und theilen Sie mir Ihre etwa entdedten VBerbefferungen mit. Wir fönnen nie den Abfichten des allgütigen Schöpfers gemäfer handlen, als wenn wir Merzte beionders uns beitreben, gegen unfere unglüdlichen Mit— menschen mwohlthätig zu fein. Leben Sie wohl, Liebiter Kosmas, und, ſo— fern Ihnen umerträglihe Neujahrsgratulanten mit ſeichten Wünſchen die Ohren vollbrummen, jo zehnten Sie einem jeden um einen Gulden zum Beiten der Stranfenwärteröfafle, denn bei den meilten iſt doch der Neujahrs— wunich feinen rothen Heller werth. Ich bin ohne Neujahrswunicd

Ihr allzeit redlicher Man.

SKameralwifienihaft und Heilkunde. 367

erfolgte am 21. September 1788 durch den Bifchof von Worms. 1789 ertheilte der Kurfürit dem Hoipital die Conceſſion zur Herausgabe einer Zeitung. Die Verluſte während der Kriegs- zeiten wurden durch eine Spende von 33000 fl. von Seiten des Kurfürften einigermaßen ausgeglichen und bald darauf erhielt da3 Hojpital das große Vermächtniß des Generalfeldzeugmeijters Freiherrn von Rodenhauſen im Betrage von 114000 fl.

Eine merfwürdige Berührung mit der medicinischen Be- thätigung in Mannheim und Profeſſor May hatte im Jahre 1784 Friedrih Schiller.

May bejuchte im Auftrage Dalbergs den in Mannheim weilenden Schiller und ertheilte diejem dem väterlichen Rath, die medicinischen Studien wieder aufzunehmen und dann als Arzt ſich fein Brot zu verdienen. May ficherte ihm Dabei feinen Beiltand zu. Der gerade, nüchterne, auf’3 rein praftifche gerichtete Sinn des Arztes reichte nicht hin, die Bedeutung der Situation voll zu erfalien.

Schiller erwog dennoch in jeiner finanziellen Nothlage ernjtlich diefen Gedanken und jchrieb (Ende Juni des genannten Jahres) an den FFreiherrn von Dalberg:

„Dasjenige, was Ewr. Erzellenz mir gejtern durch Hern Hofratd May haben jagen lajien, erfüllt mich auf's neue mit der wärmjten und innigjten Achtung gegen den vortrefflichen Mann, der jo grosmütigen Antheil an meinem Schickſal nimmt. Wenn es nicht fchon längſt der einzige Wunſch meines Herzens gewejen wäre, zu meinem Hauptfach zurüczufehren, jo müßte mir allein jchon diejer ſchöne Zug Ihrer edeln Seele einen blinden Gehorjam abnötigen: Aber lange jchon zog mich mein eigenes Herz dahin; lang ſchon habe ich, nicht ohne Urjach be— fürchtet, daß früher oder jpäter, mein Feuer für die Dicht: funjt erlöjchen würde, wenn fie meine Brodwifjenjchaft bliebe, und daß fie im Gegentheil neuen Reiz für mich haben müßte, fobald ich fie nur als Erholung gebrauchte, und nur meine reinften Augenblide ihr widmete. Dann nur kann ich mit ganzer Kraft und immer regem Enthouſiasmus Dichter jeyn dann nur hoffen, daß meine Leidenjchaft und Fähigkeit für die

368 Kameralwiſſenſchaft und Heilkunde.

Kunſt durch mein ganzes Leben fortdauern würde. Urtheilen Sie aljo, wie willfommen der Winf mir gewejen jeyn muß, der mir Erlaubniß gab, Ihnen mein ganzes Herz vorzulegen !

Aber darf ich jest mehr jagen? Darf ich mich jest auf die vielen redenden Beweiſe Ihrer Theilnahme fügen, und Ihnen, der Sie jchon jo vieles für mich gethan haben, darf ih Ihnen zumuten, auch noch das Lezte Alles für mich zu tun? Nur ein Jahr habe ich nötig das Verfäummiß in meinem ach nachzubohlen und mich öffentlich mit Ehre darinn zu zeigen. In diefem Jahr kann ich alio für die hiejige Bühne nicht jo thätig jeyn, als jonft, und dennoch brauche ich eben jo viel Unterjtübung.

Diejes einzige Jahr entjcheidet für meine ganze Zukunft. Kann ich meinen Plan mit der Medicin durchjezen, jo bin ich auch immer gejichert und mein Etablissement zu Mannheim ijt gegründet.

Wollen Ewr. Erzellenz; mir Hierin die Hand bieten ? Können Dienjte, die ich der hiejigen Bühne erft nach Verfluß diejes Jahres leijten kann, mir für jchon geleijtete gelten? Bin ih dann endlih auf dem Punft, worauf ich arbeite, jo wird e3 mir nimmer jchwer fallen, diefe Schuld nachzuhohlen, und meine Produkte bleiben Ihnen dann eigen. Da ich ohne- bin jo ſchnell nit auf da3 Drama Berzicht thun kann, fo fann ich immer für ein großes Stüf gewähren, und mein Entwurf wegen der Dramaturgie joll ganz nad) ihren Wünſchen zu Stande fommen,

Hab ich zuviel gejagt, jo vergeben es Ewr. Erzellenz meinem vollen Herzen. Ich jtehe auf dem Scheideweg, Alles, mein ganzes Schidjal vielleicht hängt jezt von Ihnen ab. Kann es Ihnen jchmeicheln, das Glück eines jungen Mannes zu gründen, und die Epoche jeines Lebens zu machen die Wünſche jeines Herzens, jeiner Familie, feiner Freunde ja Ihre eigene mit Eins zu erfüllen, kann diejes Bewußtjeyn Ihnen ſüße jeyn, jo erwarte ich Alles von Ihrer Entichließung, und wenn ich e3 je dahin bringe, der Welt wichtig zu werden, jo weiß ich auch gewiß, daß ich Denjenigen nicht vergeife, dem

Kameralwiffenfhaft und Heilkunde. 369

ih alles, alles jchuldig bin. Kann ich Hoffen, die Ent: ihliegung Euer Erzellenz mündlich oder fchriftlich zu Hören. Ih erwarte fie mit Sehnjucht und Ungeduld“.

Der Himmel verhütete es, daß die geplante mebicinijche Praris Schiller in Mannheim zur Wirklichkeit wurde und die gewiß wohlgemeinten Rathichläge in diefer Beziehung zur Ausführung gelangten.

Schon 1754 hatte Karl Theodor eine Schule zum Studium der Anatomie errichten laffen. Der Unterricht wurde unter Vornahme von Sectionen menfchlicher Leichen ertheilt.

Die Schule nahm drei Räume des furfürftlichen Militär- lazareths ein. Ein großer Raum mit vier je etwas erhöhten rund laufenden Sitreihen und in der Mitte mit einem Tiſch zur Aufjtellung der Leichen bildete den Hauptunterrichtsſaal. Hieran ftieß ein Heinerer Raum mit fechs Tifchen, in dem jeder am Unterricht Theilnehmende jelbjt Sectionen vornehmen konnte.

Mit diejer Schule war ein anatomisches Mufeum ver- bunden. An den Wänden der Zehrräume hingen die anatomijchen Tafeln Gauthiers. In dem dritten Raume, der mehr für bie Lehrer beftimmt war, befanden ſich Stelette, durch Drähte auf: geftellt, oder auch in Kiſten zufammengelegt, fowie oſteologiſche Seltenheiten.

Die ofteologifchen Vorlefungen fanden.im September und Dctober ftatt, die Sectionen wurden von November bis Dftern vorgenommen. E3 wurde weitgehendjter freier Zutritt zu diejen Vorträgen gewährt und den ſich jelbjt üben Wollenden das Nöthige an Inftrumenten, Schürzen, Schugärmel u. j. w. gratis zur Verfügung geftellt.

Als Direktor der Anftalt wird ein Profeſſor der Anatomie Namens Leiſt bezeichnet.

Das Inftitut führte den Titel „Anatomijches Theater“. Gute Inftrumente konnten durd) Stiftungen des Prinzen Friedrich von Pfalz Zweibrüden angejchafft werden.

Mit dem anatomischen Theater jollte bereits 1754 ein Chirurgifches Collegium verbunden werden, allein dies fonnte erit im Jahre 1766 ins Leben treten.

Deier, Geſchichte der Stadt Mannheim, 24

370 Kameralwilfenihaft und Heilkunde.

Es jollte zur Uebung in der operativen Kunft und in be= fonders jchwierigen Operationen anleiten. Die Ausführung der Operationen jollte hier an Leichen geübt werden. Den Unterricht leitete der furfürjtlihe Rath und Oberjtabschirurgus Winter. Der Kurfürſt ließ neue, als vorzüglich gerühmte Inftrumente bei dem Hofinjtrumentenmacher Eberle anfertigen.

Auch hier war der Unterricht für Studirende unentgeltlich. Die Vorlefungen wurden täglih Nachmittags zwiſchen 2 und 4 Uhr gehalten. Zu dem im Frühling jtattfindenden, drei- tägigen Haupteramen hatte der Kurfürjt für die drei bejten Schüler Preismünzen gejtiftet.

Dieje vortrefflihen und äußerſt praftiih eingerichteten SInititute trugen nicht wenig zu der damald regen Förderung der Heilkunde in Mannheim bei.

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XXH. Die furfürftliche deutfche Hejellichaft.

Der Kampf für die deutihe Sprahe Anton von Klein und feine Schil- derung der deutſchen Gejellihaft Werthihägung der Mutterfprahe Einführung der deutſchen Spradlehre in das kurfürftlihe Gymnaſium zu Mannheim durd Klein Aufführung von. Beaumardais’ „Eugenie” in deutiher Sprahe Buchhändler Schwan Streitſchrift Kleins Profeſſur der jchönen Wiſſenſchaften KHlopftod in Mannheim Grüns dung der deutichen Gejellihatt Ihr Wirken Preisausiegungen Hemmer und Klein Herausgabe der Werke der ausländifchen ſchönen Geifter Heinfe Geihichtswerte Periodiihe Werte Mannheim als Sig deutiher Wilfenihaft und Kunſt Schillers Beziehungen zur deutichen Gejellihaft Anton von Stleins Arbeiten und Sammlungen.

ür das Vorwärtsichreiten auf dem Gebiete der Kunſt und Kitteratur in Mannheim zu Zeiten Karl Theodor ijt ganz bejonders auch die Entwidelung der vaterländiichen Produktion neben und aus der Pflege fremdländijcher Bethätigung ein jtarfer Beweis.

Das erjte größere Unternehmen, deutjcher Geiftesarbeit und vor allem der deutſchen Sprache im eigenen Vaterlande Freiheit zu gewinnen, war hier die Begründung der deutjchen Geſellſchaft.

Laſſen wir uns dieſe Begründung und ihre Motive von dem Geſchäftsverweſer der Geſellſchaft, dem „Profeſſor der Philoſophie und der ſchönen Wiſſenſchaften“, Anton von Klein ſelbſt ſchildern. Wir werden durch dieſe Schilderung, die uns Klein mit einem im jetzigen Leſeſaale der Bibliothek des

24*

"373 Die kurfürſtliche deutiche Geſellſchaft.

Schlofies im Jahre 1785 gehaltenen Vortrag giebt, jo une. mittelbar in die Bewegung hineinverjegt und erhalten ein jo febhaftes Bild des Wirkens diejer Gejellichaft, daß die hiermit gegebene Behandlung der Sache höchſt charakteriftiich nicht nur für die Gejellichaft, jondern aucd für ihr geiftiges Haupt, den Profeſſor Anton von Klein ift, den wir dadurd vielleicht am Beiten kennen lernen.

Klein hat mit feiner interejfanten Arbeit, deren Ortho— graphte unter nur wenigen Wenderungen der unſrigen gleich: gejtaltet werben konnte, der Gejellihaft ein dauernd beachtens- werthes Denkmal geſetzt, indem er hauptjächlich folgendes aus— führt:

„Außer dem allgemeinen Schidjale des jüdlichen Deutſch— lands hatte die Pfalz noch bejondere Hinderniffe, um nicht eine der erjten deutjchen Provinzen zu fein, die in den neuern Zeiten das Feld der Mutteriprahe anbauten. In manden Gegenden waren Sprache und Dichtkunſt ſchon in einem blühen: den Buftande, als der große Theil unjeres Publikums die vortrefflichjten Schriftjteller der deutihen Nation faum dem Namen nad) fannte.

Die feinere Welt unjerer Stadt, zum Theil in Frankreich, mehrerentheild von lateinischen Schullehrern oder franzöfiichen Hofmeiftern und Hofmeifterinnen erzogen, gewöhnt am bie franzöfiiche Sprache, in den beiten Gejellichaften, unter dem Singgepränge italienischer und franzöfiiher Schaubühnen aufs gewachſen, umgeben von ausländijchen Künftlern, Gelehrten und Hofleuten, meiftentheil® befannt mit den Meiſterſtücken dieſer Nationen, durch die geſchmackloſe Schreibart der deutſchen Schriftiteller voriger Zeiten, mit VBorurtheilen wider die jegigen eingenommen, fam nidjt einmal auf eine Vermuthung von demt Grade der Volltommenheit, den deutſche Sprache und Litteratur damals erreicht Hatten. Brachte der Zufall einen deutſchen Dichter unter die Augen eines Deutſchen am Rheinftrom, To ichien aus Mangel an Uebung und Kenntniß das Werk jehr oft unverftändlich, unnatürlic, und gezwungen. Reiner Aus— drud und richtige Ausſprache waren auffallend und widerlich ;

Die kurfürftliche deutſche Geſellſchaft. 373

Die angewöhnte und geläufige Vaterlandsſprache verächtlic. Man fühlte den Unterfchied zwiſchen Dikafterialauffägen und einer Arie des Metajtajio; zwijchen den Verſen Racine's und den damals in der Pfalz erjchienenen Gelegenheitägedichten, und glaubte daher Ueberzeugung zu haben, daß unjere Mutter- ſprache nicht einmal einer Veredlung fähig wäre, bie fie den beiden Lieblingsiprachen etwas nahe bringen könnte ...

Da wir enblid uns bejtrebten, durch SKunftliebe und Geſchmack am Schönen vor allen Provinzen Deutichlands uns auszuzeichnen, und uns den gebildetiten Völkern der Welt zu nähern, eben in diejer Zeit, jage ich, vernachläfjigten wir unjere Mutterjprache.

Man eiferte, fich rein und zierli in der franzöfiichen Sprache auszudrüden, und dachte nicht einmal, daß dies in unjerer eigenen geichehen jollte oder fünntee Man jchrieb in jener zierliche Briefchen, und drudte in dieſer barbarijche Schriften. Neben einem gejchmadvollen italienischen Gedichte mit Jomelli's himmliſcher Muſik, jah man die poflirlichiten Ueberjegungen. Bei öffentlichen Feierlichkeiten jtritten Gejang und alle Genien der Tonkunſt, Malerei, Dichtkunft, Bau- und Tanzkunſt gleich wohlthätigen seen um die Wette, ung in edeln und erhabenen Vergnügungen zu bezaubern, und unjern Geſchmack zu erhöhen; zu gleicher Zeit erjchienen Lächerliche Chronodijtichen und jinnlojes Deutſch in abjcheulichen Reimen. Götz und Jakobi jangen für ferne Provinzen. Die gleich- zeitigen Pfälzer fannten ihre eigne Landsleute nicht, deren Ruhm bei Ausländern verbreitet war, jene Männer, auf die wir jest jtolz find, und auf welche unjre Nachwelt noch ftolzer jein wird. Mit einem Worte: es wird jchwer jein, vor dem Jahre 1760, ich will nicht jagen, ein in unjerer Mutterjprache richtig und mit Geſchmack gejchriebenes Werk, jondern aud) nur ein einziges erträgliches Gedichtchen, ein einziges Blatt mit reiner und der Sache angemejjener Schreibart ausfindig zu machen, das in der Pfalz wäre gedrudt worden...

Das ältefte Werfchen, das mir unter die Hände fan, und in Abjicht auf Verbejferung der Sprade, und des jich

374 Die kurfürſtliche dentiche Gejellichaft.

reinigenden Geichmades Aufmerkſamkeit verdient, ift die Pfälziſche Sittenihrift, von Naumann, einem Ausländer, gedrudt zu Heidelberg bei Johann Jacob Häner 1761. Es enthält unter andern Aufläge von Herrn Bingner, der jelbjt nachher 1764 Moraliihe Erzählungen und einige Gedichte herausgab, Die als Erjtlinge der vaterländiichen Litteratur anzujehen find. Die Geichichte Friedrich! des Siegreichen im Jahre 1765 gedruckt, iſt das erfle, freilich faum in erträglihem Deutſch gejchriebene Werk, das in der Pfalz herausgegeben wurde. Die Eßlinger'ſche Buchhandlung in Frankfurt gab zwar ihon vom Jahre 1756 durch Herrn Löffler einige Gelegenheit, uns mit den damals in Deutichland entjtehenden guten Schrift- jtellern befannt zu machen: allein der Verkauf derielben war ganz unbeträchtlid. Zehn Jahre nachher wurde dieje Hand» fung bedeutender, und dieſer Beitpunft verdient vorzüglich gemerkt zu werden, da Herr Schwan, der als Buchhändler und Schriftſteller zugleich auftrat, diefelbe übernahm, und die Pfälzer mit den Schriften von Geſchmack in Deutichland, die fich bis dahin jchon jehr gemehrt hatten, befannt machte. Das erjte, was unmittelbar auf die Verbefferung der Sprache wirkte, was das Auge des Bublifums auf fich ziehen, und die wichtigjten Yyolgen haben mußte, war unjtreitig die Einführung der Lehre der verbeijerten deutjchen Sprache in das furfürftliche Gymnaſium, oder in die Schulen der Jejuiten zu Mannheim. Dies wurde von einem jungen Schullehrer, der jelbjt noch wenig gebildet, aber voll Wärme für das Gute, und mit Muth und aller Entichloffenheit eines Neuererd aus— gerüftet war, im Jahre 1768 bewirket.*) Bon nun an waren Deutichlands Dichter und vorzüglide kritiſche Schriftiteller in den Händen der Jugend, wenigjtens der Lehrer, und beide zugleich geriethen mit diejen vaterländiichen Fremdlingen in eine glüdlide Bekanntſchaft. Die Bibliothef des hiejigen Kollegiums ward auf einmal mit den beiten Werfen der Deutſchen ausgejhmüdt. Das Vorurtheil erjtaunte weit

*) Tiefer Lehrer war Anton Klein ſelbſt.

Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft. 375

weniger über dieſes plößlich hereindringende Heer proteſtan— tiſcher Schriftiteller, als es über die freilich vergebens gefürch— tete Verdrängung der Römer klagte Im eben diejem Jahre machte Herr Schwan den Anfang, franzöfiihe Schaujpiele ins Deutiche zu überjegen. Derjelbe theilet unftreitig mit Herrn Marhand die Ehre, den Geſchmack des Mannheimer Publi— fums zum deutjhen Schaufpiele gereizet zu haben. Seine Ueberjegung der Eugenie*) machte vorzügliche Wirkung. Er ver- fertigte fie in dem Augenblicke, da die franzöfiihen Schaufpieler die Vorjtellung dieſes Stüdes wider den Wunjch unjeres Fürjten verzögerten. Diefer jah die Aufführung desjelben auf der deut— ihen Bühne und empfing den erjten glüdlichen Eindrud für diejelbe. Die im folgenden Jahre veranftaltete neue Auflage des jchon vorher in Frankreich herausgegebenen Unjichibaren, und einige andere Werke des Herrn Schwan von diejer Zeit, hatten zwar Verbeſſerung der Spradhe und des Geſchmacks nicht zum unmittelbaren Endzwede; aber als die erjten Schrif- ten gereinigter Schreibart, die in der Pfalz gedrudt wurden, müfjen fie ung wie jene merkwürdig fein.

Das 69. Jahr gab das Lofungszeichen zur allgemeinen Aufmerkſamkeit des Publitums auf die vaterländijche Sprade. Ein Mann,**) der fich gründliche Kenntniß derjelben erworben hatte, jchilderte ihren traurigen Zuftand in der Pfalz mit etwas zu lebhaften Farben, Was einige Zeit vorher in den Schulen vorging, war ihm unbefannt. Cine Menge Streitichriften waren die Folgen. Dasjelbe Mittel, das in allen Theilen der Wiljenichaften meiftens die Aufklärung befördert, war auch hier das fräftigite. Die Menjchen gleichen hierin der Erbe, die fie bewohnen. Allen guten Samen jtreuet man vergebens auf ihre Oberfläche, wird fie nicht durch gewaltfame Werkzeuge auf- gewühlt, und gleichjam verwundet. Vielleicht wäre die vor» treitlihe Abhandlung des Herrn Hemmer unbenügt geblieben; vielleicht hätten wir alle jeine gerechten Vorwürfe mit Un-

*) von Beaumarchais. **) \acob Hemmer.

376 Die kurfürftlihe deutſche Geſellſchaft.

empfindlichfeit, oder wenigjtens ohne an eine Beſſerung zu denfen, aufgenommen; vielleicht würben bie getreueften Schilde: rungen allgemeiner Nachläffigkeit denen, die es vorzüglich be— traf, nicht einmal zu Gefichte gefommen jein; hätte ihn fein Eifer nicht zu weit getrieben, ihn jelbjt einigen Vorwürfen aus» gejegt, und Züge in jein Gemälde gebracht, die ung beleibigend ſchienen.

Dies iſt das Schickſal der menſchlichen Werke: Das Beſte wird ſelten erkannt, ehe das Schlimmere durch Prüfung offen— bar wird, und ein Fehler oder eine Schwachheit dient oft zur Hervorbringung der Früchte, welche die edelſten Bemühungen allein nicht würden erzeugt haben.

Der allerſeits feurige Streit über Rechtſchreibung, Sprache, ungerechte Vorwürfe und Angriffe dauerte über drei Jahre, und nun erſchien in der Pfalz kaum eine Schrift, die nicht das Gepräg merkwürdiger Verbeſſerung trug. Jedes Jahr war mit der Herausgabe einiger gut geſchriebenen deutſchen Werke bezeichnet.

Das Sendſchreiben eines Landprieſters an die ſämmtlichen Verfaſſer der deutſchen gelehrten Zeitungen, Bibliotheken u. ſ. w. von Herrn Schwan, ging unmittelbar auf die Reinigkeit der deutſchen Sprache, und wurde ſelbſt von auswärtigen Ge— lehrten, die es tadelte, mit Beifall aufgenommen.

Im 1774ten Jahre ereignete ſich eine neue und beſondere Gelegenheit, die Reinigkeit der Sprache und des Geſchmackes zu verbreiten.

Eben der Lehrer, der vor ſechs Jahren der deutſchen Sprache den Eingang in die lateiniſchen Schulen öffnete, kam nach Aufhebung ſeines Ordens in die Pfalz zurück, die er als ein Märtyrer jeiner Neuerungsbegierde auf zwei Jahre ver« (affen hatte. Er verfertigte einen Entwurf von der Lehre der ihönen Wiſſenſchaften. Yon dem Freunde,“) dem er ihn aus Verlangen nad einem guten Rathe übergab, erhielt ihn die Familie**), deren Namen! jedem Pfälzer ebenjo heilig jein muß,

*) Freiherr von Weiler.

**) Familie von Stengel.

Die Iurfürftliche deutſche Geſellſchaft. 377

al3 er in den Tempeln der Künfte und Wiſſenſchaften und in den Jahrbüchern der Pfalz unfterblich fein wird. Dieje über- gab den Entwurf ohne des Verfaſſers Begehren, ohne fein Borwiljen in die Hände des Landesfürften.

Die fonderbare Erjcheinung einer ſolchen Schrift in deuticher Sprache erregte die ganze Aufmerkſamkeit desjelben. Er verlangte die Ausführung der Sache, und nun ward Die Profeſſur der ſchönen Wiſſenſchaften gejtiftet. Vergebens wider: ſetzte ſich betitelte Pedanterei und Unwiſſenheit. Sie wurde geſtürzet, und ſah mit Erſtaunen die ſchönen Blüthen, die ſie nicht in dem Keime verderben konnte. Die Beeiferung einer Menge geiſtvoller Jünglinge von den erſten Häuſern der Stadt, die öffentlichen Prüfungen derſelben, und die von dem Lehrer herausgegebenen verſchiedenen Werkchen zeugen von den Wir— kungen, die dieſe Stiftung hervorbrachte. Die in den Göttinger und andern gelehrten Anzeigen mit Beifall aufgenommene Sammlung zur Aufmunterung des guten Geſchmacks in der Pfalz iſt in ihrer Art das erjte, und bis jet (1785) nod) einzige Werf unjeres VBaterlandes.

Indeſſen war alles dies nur ein jehr Eleiner Anfang der Aufklärung in der Sprachwifjenichaft. Das alte Gebäude war im Innern wenig gereinigt oder verichönert und von außen faum übermalet. Der große Theil des Publitums hing noch immer bloß an einigen Veränderungen in der Rechtichreibung und in Ausmufterung unnüger fremder Wörter, und glaubte damit an dem Ziele zu jtehen.

Gründlihe Spracwverbefjerung und reiner Gejchmad war nicht3 weniger als allgemein, oder weit umher verbreitet. Die noch jehr wenigen Patrioten, denen das Berbeiferungswerf am Herzen lag, dachten an ein großes, nothwendig und allgemein wirfendes Mitte. Man machte Entwürfe zur Vereinigung der Kräfte. Eine gejellihaftlihe Verbindung zur Reinigung und Verbeſſerung der Mutterſprache in der Pfalz jchien das zweck— mäßigjte Unternehmen zu fein.

Man machte mehrere Verſuche zu gemeinjchaftlichen Ver— jammlungen. Das Band der Willfür war zu ſchwach, jie zu

378 Die kurfüritliche deutiche Geſellſchaft.

erhalten. Unjer Vorſteher, der Herr von Stengel, entwarf den Plan zu einer deutſchen Gejelichaft, deren Erhaltung der Schuß des Landesherrn bürgte. Das Schidjal führte zu diejer Zeit in unjere Stadt den Dichter des Meſſias. Diejer unter- jtügte mit Herm Prälat Häfelin, defjen jeligen Bruder, umjerm ehemaligen Geichäftsverweier, und dem Profeſſor der jchönen Wiljenichaften den edeln Gedanken bes vortrefflihen Mannes, und unterhielt die Neigung des weijen Regenten für die deutſche Sprache und die Errihtung der deut— ihen Geſellſchaft in einer glüdlichen Unterredung. Unier verehrungsmwürdiger Vorſtand vollendete das Werk, und wir er- hielten im Jahre 1775 den 13. Weinmonat aus den Händen des erhabenen Fürſten unjern Stiftungsbrief und machten in demjelben Monate den Anfang unjerer Verſammlungen.

Nach zehnjähriger Arbeit find wir im Begriffe, das erjte mal unter dem Namen einer Gejellichaft, einige unjerer Schriften der Welt mitzutheilen. Wäre dieſes unjere ganze Beitimmung, hätten wir den einzigen Zwed, die Werfe ge= (ehrter Gejellichaften zu mehren: jo würden wir mehr be» klagenswürdig als nüßlich jein.

Der hohe Stifter hat ung in unjeren Geſetzen ein er- habeners Ziel ausgeftedt: und ich muß gleich Anfangs einem Vorurtheile vorbeugen, das jelbit manche unjerer Mitglieder zu wunderbaren Planen, Vorträgen und jelbjt Bejchuldigungen verleitet hat.

Man machte ſich den irrigen Begriff, eine deutjche Gejell- ihaft müßte bloß aus Gliedern beftehen, die von Stande jchon Sprachgelehrte jein müßten, oder wenigitens das Studium der Sprade fi) zum Hauptgegenftande machten, und die gelehrte Welt mit großen Werfen bereicherten.

Der Zwed des Stifter war, Reinigung der Sprache und des Gejchmades in allen Ständen des Vaterlandes unmittelbar und jchleunig zu verbreiten. Daher wählte er nicht nur Ge- lehrte vom Stande, ſondern aud Freunde der jchönen Litte— ratur, deren Hauptgefächer durchaus verjchteden find, und die, indem jie ſich in einer deutſchen Gejellichaft bildeten, noth—

Die kurfürſtliche deutſche Geſellſchaft. 379

wendig durch unmittelbaren Einfluß auf Andere das Gute wirken müßten. Dies war unſtreitig der glücklichſte Gedanke in dem Plane dieſer Geſellſchaft. Denn außer dem, daß keine Geſellſchaft mehr, als die von bloßen Kunſtgelehrten eines Ge— faches dem Geiſte der Schwärmerei und Schulſteifigkeit aus— geſetzet iſt: ſo kann ſie niemals einen ſo ausgebreiteten Nutzen haben, als wo Männer verſchiedener Gefächer verſammelt ſind, die von jenem den Gelehrten von Stande nicht ungewöhnlichen Eigendünkel, und der zu Zeiten bis ins Lächerliche ausarten— den Vorliebe ihres Gefaches frei, durch die Verſchiedenheit ihrer Aemter gleichſam nach allen Richtungen die Quellen der Aufklärung leiten können; Männer, die durch Erfahrung und Behandlung unzähliger Geſchäfte gebildet, in Kenntniſſen der Landesverfaſſung unterrichtet, Zuſchauer, Kenner und Mit— ſpieler der feinern Welt, weniger kunſtmäßig gelehrt, aber deſto einſichtiger und klüger, manchen ſchwindelnden Entwurf von einem in ſeiner Sphäre ſchwärmenden Gelehrten, im Traume oder im Taumel der Hitze erzeugt, vernichten oder mäßigen können; Männer endlich, die, wenn ſie von der Liebe des Vaterlandes begeiſtert ſind, durch die Stellen, die ſie ver— treten, dem Gelehrten vom Stande manchen Zutritt in ein neues Feld eröffnen können, daß er Fruchtbarkeit dahin bringe, wo ödes Land it. In diefem Geſichtspunkte wurden die ver- ichiedenen Mitglieder der deutjichen Gejellichaft gewählet, und dies jei aljo der Standort, von dem wir ausgehen, die Ge- ſchichte derjelben zu erforjchen.

Sie zerfällt in zwei Buntte:

1. Was that die deutſche Gejellichaft, ſich jelbjt zu bilden?

2. Welche Zeichen ihrer Wirkung auf das Baterland kann

jie aufweijen ?

Die erjte Frage beantworten unjere Tagebücher.

Ein Berzeihnig von mehr als dreihundert Aufjägen, Die über deutſche Sprache und jchöne Wilfenichaften, oder ala Werfe der Dichtkunft und Beredtjamfeit in unjern Verſamm— (ungen jind vorgelejen worden, geben einen einleuchtenden Be— weis des Beitrebens der deutichen Gejellichaft, ihre Beitimmung

%

Wolfaanga Heribert Reichsfreiberr von Dalberg

Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft. 381

zu erfüllen. Dieje Arbeiten wurden ohne Zwang, ohne Ver— bindlichfeit, ohne Belohnung und jelbjt ohne einige andere Er— munterung verfertigt, al3 die das Vergnügen der Selbitver- vollfommnung, das Streben nad) einem edeln Zwed, und das Gefühl der Ehre, fein umrühmliches Glied einer nüßlichen Gejellihaft zu fein, darbietet; denn ohne diejen Beruf, ohne Stiftung ber beutichen Gejellihaft würde von allen dieſen Arbeiten wenig oder nichts entitanden fein.

Über beichäftigten fich alle Mitglieder nach einem Syiteme? Uebernahm ein jeder einen Theil eines großen Ganzen? Er- zeugten wir durch gemeinichaftliche Kräfte ein großes klaſſiſches Berk, welches das Aufjehen Deutichlands erregte? Die Ant- wort hierauf Liegt in dem Plane unjerer Stiftung, in dem Geiſte unferer Gejege, das Unſchickliche und Lächerliche von dergleichen Forderungen zeigt fich von jelbit. Muß denn zu einem merfwitrdigen Werke juft eine ganze Sejellichaft infte- matijch beichäftigt jein? Sollen Männer von ganz verjchiedenen Gefächern, verwidelt in vielfältigen Gejchäften, fih in den Zwang jeßen, an Werfen zu arbeiten, zu denen fie weder Hang noch Beruf haben? Soll: eine ganze Gejellichaft fich dem Gefache eines einzelnen Mitgliedes weihen und ein Werf verfaffen, das oft der Einzelne zu Stande gebracht hat? Oder joll der Mann ganz vom Guten abitehen, der das nicht wirken fann, was ein eimjeitiger Plan fordert? Freiheit ber Wahl ift einem Gelehrten das erwünjchteite, und jie werden überzeugt werden, daß in Erhaltung diejer Freiheit die Geſell— ichaft weit mehr durch jedes Mitglied wirkte, als fie durch ſyſtematiſche Verfaſſung des größten und vorzüglichiten Werkes wiirde gewirfet haben.

Es iſt ein ebenfo gewöhnlicher al3 unphilojophiicher Vor- wurf, den man den Afademien überhaupt macht, daß die vor: trefflichen Werke, die aus ihrem Schooße hervorfommen, mehren: theils nicht Werke der Afademien, jondern ihrer einzelnen Glieder find; daß dieſe vor ihrer Einweihung jchon als Laien eben diejelben berühmten Männer waren, und oft mehr, als nachher leijteten, und daß man aljo nicht jehe, welche Nutzbar—

382 Die kurfürftliche deutiche Geiellichaft.

feit den Akademien jelbjt zuzufchreiben je. Zur Vertheidigung der Akademien iſt hier der Ort nicht. Ihre Vertheidigung liegt in ihrer Geichichte. Ich gebe Hier bloß ganz kurz eine Bemerkung, die Antwort auf dasjenige ift, was man von der: gleichen Borwürfen etwa auf unjere Gejellichaft beziehen wollte.

Der einzelne Gelehrte, wer er immer jei, gewinnt immer durch geiellichaftliche Verbindungen mit Gelehrten. Je wichtiger die Hilfsmittel und je anziehender die Reize der Verbindung find: deſto vorzüglicher ijt für ihn und für den Staat fein gejellihaftliher Stand.

Gemeinichaftliche Ermunterung, wechieljeitiger Beiſtand und Mittheibing der Kenntniffe, Gefühl übernommener Pflicht einer bejonderen Beitimmung, nothwendig gewordene Uebung, immer erneute Gelegenheiten und Zriebe zu zwedmäßigem Arbeiten, jelbjt Wetteifer und Begierde, einer auszeichnenden Ehre nicht unwerth zu jein, find fortdauernde Reize und Auffoderungen für jedes Glied einer Akademie. Der Mann einer gelehrten GSejellihaft Hat im gewiſſen Verhältniſſe eben diejelben Vor— theile und Borzüge, die der Menſch der Gejellichaft vor dem Entgegenftehenden hat... . . Was würde von den Werfen ber Glieder ohne gejellichaftliche Verbindung entitanden jein? Können wir uns eines nüslichen Einflufjes auf das Publikum rühmen: jo müfjen wir gejtehen, da die Stiftung dieſer Gejellichaft Anlaß, ihre Berfaffung Gelegenheit, Trieb und Hilfe dazu gab.

Und um den nicht umwichtigen Einfluß der deutichen Ge— jelljchaft auf das pfälziſche Publikum zu beweiſen, darf ich nur, wie mich dünkt, den jegigen Zuftand unjerer Litteratur jener voriger Zeiten entgegenjeßen.

Welche Umfehrung der Dinge in einem Heinen Zeitraume! Schul-Erziehungs- und Sittenjchriften, wiljenichaftliche Werke, Erzeugungen aus dem Felde der Dichtfunit, Beredtiamfeit und der jchönen Künfte, Eritiiche Bearbeitungen, jogar Werfe der Rechtsgelehrten und Kanzleien, Zeitungen und jelbit jedes un- bedeutende Blätthen alles hat eine andere Gejtalt.

Der Strahl des Geſchmackes drang durch die Heinjten Nisen, Bernachläjjigung der Spracdrichtigfeit in öffentlichen

Die kurfürftlihe deutſche Geiellichaft. 383

Schriften ift zur Schande, das Lejen guter Schriftfteller im ganzen Familien zum Tone geworden. Die Mundart reinigt fih auf den Lippen der Jugend und fein Alter jcheut fich, in die Bahn der Schüler zu treten. Faſt jede Wiſſenſchaft und Kunſt, faſt jedes Gefach zählt jetzt nützliche Werke, die unjer Vaterland hervorgebracht bat.

Ich weiß, dab die deutſche Gejellihaft allein nicht alles wirkte Auch andere Umjtände hatten ihren Einfluß. Aber fie gab das Loſungszeichen, fie zerjtörte den allgemeinen Schlummer, jie ſchwang die Standarte der Aufflärung in der Baterlandsipradhe, fie gebar aus ihrem Schooße Werke zu diejem Ziele, und jandte belebenden Hauch in jeden Stand. Denn e3 find Glieder der deutjchen Gejellicyaft, die mit philo- jophiichem Geiſte in die Geheimniffe der Sprache drangen, ihre Schönheit zeigten, das Borurtheil befämpften, durch Beiſpiele reisten und ermunterten, die Schulen des Baterlandes mit Spradjlehrern bereicherten, und durch ihren Forſchgeiſt und neue Entdeckungen Deutjchlands Aufmerkſamkeit erregten. Es find Glieder der deutjchen Gejellichaft, die mit brennender Be— gierde des Guten Entwürfe zur Erziehung und zum Unterricht der Jugend gaben, Jünglinge edler Gaben jelbjt bildeten, zu nüglichen Uebungen ermunterten, durch Erzeugungen des Ge— ihmades leiteten und die Lehrer zum Nacheifer weckten. Es find Glieder unjerer Gejellihaft, die das Auge des Fürſten auf das deutſche Schaujpiel zogen, die Neigung des Publikums dahin lenkten, den Werth bdesjelben fühlbar machten, und die vaterländiiche Bühne mit eignen Ausarbeitungen bejchenkten. Es find Glieder diejer Gefellihaft, die mit dem Geijte der Kritif in die Tempel Melpomenens und Thaliens traten, den Geihmad des wahren Schönen im Lichte zeigten, den Feinden des Hohen und Edeln die Masfe wegriffen, das mißfannte Verdienſt des Schauſpielers retteten, den Dichter von Irrwegen riefen und auf die echte Bahn braditen. Es find Mitglieder unjerer Gejellichaft, welche die koſtbaren Blüthen der Litteratur unjeres Baterlandes jammelten und dem Untergang entzogen. E3 find Glieder der bdeutichen Gejellichaft, die den fait allge-

384 Die kurfürſtliche deutſche Geſellſchaft.

meinen Gebrauch fremder Wörter in unſerer Mutterſprache verfolgten und hemmten, in die Hallen der Rechtsgelehrſamkeit, der Weltmweisheit, der Sternfunde und ber Gotteögelehrtheit durch ihre Schriften Verfeinerung des Gejchmades, Reinigfeit und Bierlichfeit der Schreibart übertrugen, von denen bie Kameral-Wiffenihaften, Haus» und Landwirthichaft, die Arznei— und Kräuterfunde, die Natur, Welt- und Vaterlandsgeſchichte nicht nur Werke der Aufklärung, jondern auch Erftlinge ber verbeiferten Sprahe und Rechtſchreibung erhielten. Es find Glieder der deutichen Gejellichaft, die die Größe jener erhabenen Barden des Alterthums uns in vortrefflichen Ueberjegungen gaben ... .*) die einige der vorzüglichjten Dichter der Aus— länder zuerjt in beutjcher Sprache dem Baterlande lieferten oder alte Ueberjegungen durch neue Umarbeitungen zur ers habeneren Stufe brachten, und zugleich das Mittel erfanden, fie allgemein zu verbreiten, und in allen Provinzen Deutjch- landes bis in den geringjten Häuſern nüslihe Biücherjamm- lungen zu ftiften. Es find endlich Glieder der deutichen Ge- jellichaft, die, nicht zufrieden, alle Fähigkeiten ihrer Seele und alle Stunden ihrer Muße dem Baterlande zu widmen, von einem großen Gedanken angefeuert, durch öffentliche Preisaus— jegungen die Gelehrten jedes Landes aufriefen, Werfe zur Ver- edlung des Gejchmades, zur Erweiterung und Erhöhung der Wiſſenſchaften, und zur Ehre der Menjchheit zu bearbeiten.

Dies ijt fein Gemälde meiner Einbildungskraft; es find Thatiachen, die befannt find, und die den Ruhm einzelner Glieder unjerer Gejellichaft ausmachen.

Gleich in dem eriten Jahre der deutſchen Gefellichaft trat Herr Hemmer mit einer deutjchen Spracdjlehre auf, von der ich nicht zuviel jage, wenn ich behaupte, daß das Verdienſt, jo fie über alle vorhergehende deutjche Sprachlehren hat, noch feine

*) Von diefen und anderen, mit Kupfern von Verhelſt verjehenen Mannheimer Ausgaben befigt die Deffentliche Bibliothef: Livius 1779/80 12 Bde, Salluftius 1779, Gato 1781, Cicero 1783/87 20 Bde, Horatius 1779, Juvenalis 1781, Lucanıs 1779, Martialis 1782, Palladius 1781, Statius 1782, Zuftinus 1790, Suetonius 1787, Tacitus 1780/81, 5 Bde.

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ı Hälfte des 17. Jahrhunderts.

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Nach den Pajtellgemälde von Ernft Noether in der?Städtifchen Bemälde-Sammlung.

Die kurfürſtliche deutſche Geſellſchaft. 385

nachfolgende auslöſchte. Seine verſchiedenen Abhandlungen über die Rechtſchreibung bleiben nur darum ohne Wirkung, weil die Sonderheitlichkeit derſelben die Einführung äußerſt beſchwerlich und faſt unmöglich macht. Dieſe ſogenannte philo— ſophiſche Rechtſchreibung, ſo wenig ſie auch Beifall erhielt, verbreitete immer neues Licht über unſere Sprache. Herr Hemmer iſt der erſte Urheber derſelben. . . . Sie hatte für Deutſchland keine ſo ſchlimmen Folgen, als zufälliger Weiſe für unſere Geſellſchaft. Wir entſchloſſen uns nicht, ihre Ver— theidiger zu ſein, und der unermüdete Gelehrte entzog ſich unſerer Geſellſchaft. Während wir ſeinen Verluſt bedauern, befördern ſeine ehemals herausgegebenen Schriften unſern Zweck. Der Kern ſeiner Sprachkunſt iſt das Lehrbuch in den pfälziſchen Schulen.

Die Werke des Herrn Mieg und Günther im Gefache der Sprache haben das gleiche Maaß des Ruhms und der Nutz— barkeit. Ich berühre die vielen kleinen Schriften nicht, womit das Reich der Sprache faſt von jedem unſrer Mitglieder durch Journale bereichert wurde. Das große Wörterbuch des Herrn Schwan, zu deſſen Verfaſſung die deutſche Geſellſchaft Ver— anlaſſung gab, eines der nützlichſten Werke beſonders für Aus— länder, die unſre Sprache lernen wollen, wäre allein hinreichend, die Ehre einer deutſchen Geſellſchaft zu gründen. Die deutſche Geſellſchaft reizte verdienſtvolle auswärtige Gelehrte, die ganze Geſchichte unſerer Sprache zu bearbeiten. Die Werke, die wir krönten, müſſen der deutſchen Nation ihres Inhalts und ihrer Ausarbeitung wegen merkwürdig ſein.

Auch in den erſten Jahren der Geſellſchaft verfertigte ein Mitglied derſelben, der Profeſſor Klein das erſte deutſche heroiſche Nationalfingipiel,*) das wegen der Epoche, die es machte, merkwürdig iſt. Die Italieniſche Singbühne wurde von nun an den deutſchen Muſen gewidmet, und Wieland ward aufgerufen, das zweite zu verfaſſen. Karl Theodor, der Freund und Kenner der Künſte, erklärte ſich vollkommen

*) „Günther von Schwarzburg“.

Deier, Geſchichte der Stadt Mannheim. 25

386 Die kurfürſtliche deutſche Geſellſchaft.

für das deutſche Schauſpiel, errichtete demſelben eine eigne Bühne und ſtiftete das Nationalſchauſpiel.

Die dramaturgiſchen Werke der Herren von Stengel, von Gemmingen und des Profeſſors der ſchönen Wiſſenſchaften haben ſich zum Theile faſt vor allen andern in Deutſchland ausgezeichnet ..... Der Sturm von Boxberg, und der Fuß von Stromberg, eine neue Gattung von Schaujpielen, zierten unſere Schaubühne; und ihr Berfafjer, Herr Mayer,*) machte durch jeinen fritijchen Geiſt auf einer noch nicht betretenen Bahn Epoche. Derfelbe brachte reine Sprade, richtigen Aus» drud, und guten Geſchmack bis in die Gerichtshöfe, wo man feinen Verluſt feines edlen Herzens, jeines geraden Denkens, jeiner außerordentlichen Kenntniffe, und jeines philojophiichen Veritandes wegen eben jo jehr bedauert, als in unjerer Ge— jellichaft.

Unfer Obervorjteher, Freiherr von Dalberg, begnügte ſich nicht, jelbjt für die Schaubühne zu arbeiten, er reizte die Schauspieler über ihr Gefach zu jchreiben, und gab die Ver— anlaffung, daß fie ſich zu Gelehrten bildeten, welches fait durchaus in Deutſchland den Schaujpielern mangelt.

Die mediciniichen Werke in deuticher Sprache von Herrn May, die aftronomifchen des feeligen Mayers, die moralijchen von Herrn Mieg und Staibel, die ökonomiſchen und mathe- matiſchen von Herrn Kling, die botanischen von Herren Mebicus, find lauter Erjcheinungen neuer Art, die ihren wichtigen Einfluß haben mußten.

Das Inftitut der Herausgabe der Werke der ausländiichen ſchönen Geiſter it das Werk eines einzigen Mitgliedes unjerer Sejellichaft. Nicht mur die ausgejehten Preiſe auf die vortreff- lichſten Ueberjegungen und die eigenen Ausarbeitungen des Herausgebers**) fünnen hier bemerkt werden, jondern der mächtige SER Pe Inſtituts auf die Aufklärung des Publikums.

*) Sofgerichtärati Mayer ſuchte ähnliche Aufführimgen, wie die heute üblichen nationalen Feitipiele zu begründen. **) Der Herausgeber war Klein jelbit.

Die kurfürftlihe deutihe Geſellſchaft. 387

Dasfelbe lieferte in jieben Jahren 68 Bände, und beinahe eine Auflage von 300000 Eremplaren, Die größtentheils durch ganz Deutichland verbreitet find. Die Ge— ihichte der Ordensftände von Herrn Schwan iſt ein nützliches, auch außer Deutjchland mit Beifall aufgenommenes Werf.

Das Werk der Leben und Bildniffe der großen Deutichen*) zeichnet Sich nicht allein durch Pracht und wohlgearbeitete Biographien aus: es iſt jeines Planes wegen, da alle edeln Züge unjerer Geſchichte in Kupferjtihen von großen Meijtern dargeitellt, die beiten Schriftiteller der Nation zu Gehülfen aufgerufen, und den vorzüglichiten Arbeiten Preiſe ausgeſetzt werden, vielleicht das einzige Werf jeiner Art.

Drei pertodiiche Werke, von Mitgliedern der Gefjellichaft herausgegeben, haben ihr emtichiedenes Verdienſt fürs Vater: land. Die Schreibtafel von Herrn Schwan, die Rheiniſchen und Pfalzbairiſchen Beiträge zur Gelehriamfeit, und das Pfälziiche Mujeum Dies bejorgt der Profeſſor der jchönen Wiſſenſchaften; zur Entjtehung jener gab derjelbe und Leſſings Unterftügung den Anlaß; deren Inhalt und fünfjährige Fort— jegung iſt dem Verdienſte der deutſchen Gejellichaft zuzu« jchreiben.

Eine der nützlichſten Wirkungen ift die Verbefferung der Sprache unter dem Landvolke. Sobald gute Spracdhlehrer in den Gymnaſien eingeführt wurden, jo war dieſe Folge noth« wendig. Die jungen Landgeiftlichen, in denjelben gebildet, ver- breiteten ihre Grundjäge in den Dorfichulen.

Noch wichtiger ijt die durch ebendiejelbe jchon ziemlich bewirkte glückliche Veränderung des Vortrages auf den Kirchen: fanzeln, wo die Barbarei der Sprache ihre Triumphe feierte.

Der verbeijerte Zandfalender mußte nicht nur durch Ver— bannung tiefgewurzelter Vorurtheile, duch Aufklärung der Begriffe von der Natur, und Verbreitung neuer Beobachtungen und guter Kenntniſſe, jondern auch wegen gereinigter Sprache jeine unfehlbare Nugbarfeit für den Landmann erreichen.

*) (Fbenfalls von Klein herausgegeben.

235*

388 Die kurfürſtliche deutiche Geſellſchaft.

Die deutihe Gejellichaft, indem fie beichäftiget ift, nütz— liche Werke hervorzubringen, hat ſtets ein beobachtendes Auge auf alle anderen Erzeugungen des Geiltes im Vaterlande, Tritt ein Mann von ausgezeichneten Gaben öffent- (ih auf: jo öffnet fie ihm ihren Schooß zur Er- munterung und wählet ihn zum Gehülfen in den Beihäftigungen für die Mufflärung So berief jie die Herren Scdiller, Jung, Günther und andere, deren Ruhm ſich duch ihre Werke verbreitet hatte. Ihren Zwed mit verjtärkteren Kräften zu erreichen, jucht fie fich mit den beiten Kräften Deutſchlands zu verbinden, und fie zählt wirflih jchon mehrere der vornehmjten Schriftiteller unferer Nation unter ihre Mitglieder.

Dies find ungefähr die Hauptzüge der Beitrebungen ber deutjchen Gejellichaft und ihrer nütlichen Folgen. Bon welchem Werthe ie fein mögen: jo iſt gewiß, daß wir von der höchiten Stufe unjeres Bieles noch in Entfernung ftehen.

Wenigitens habe ich mir einen jehr hohen Begriff von dem gemacht, was eine deutiche Gejellihaft nad) und nach be- wirfen fünnte. Die Schilderung dejjen liegt außer den Grenzen zu meiner jegigen Abjicht.

Aber es bemächtigt jich meiner Seele ein heiterer Gedanke. Eine Ausficht der Wonne; die glüdlichen Zeiten enthüllen fich meinem Blicke, wo die deutiche Gejellichaft, und jedes denfende Glied des Staates von dem Geiſte des Waterlandes durch— drumgen, durch vereinigte mächtige Thatkraft einjt eine all» gemeine Umfehrung der Dinge wirfet. Ueberlaffen Ste mid) einen Augenblick dieſer ſüßen Täufchung Es iſt ein Traumt, aber jo reizend, daß ich ihm oft wachend nachhänge ..

Unjere Vaterjtadt iſt zum Sitze der Künjte und Wiſſen— ihaften geworden. Die vortreiflihen Stiftungen haben ihren Zweck erreicht. Die vielen Denkmäler der Kunſt werden all gemein benugt. Die herrlichen Säle, wo die Wijjenichaften und Künfte ihre großen Geheimniffe bewahren, ihre Selten- heiten und Wunder zur Pracht und zum Vergnügen aufgeftellt haben, jind eröffnet und mit Lernenden erfüllt.

Die Eurfürftliche deutiche Geiellichaft. 389

Die Vorfteher derjelben haben fich die Pflicht aufgelegt, ihre Kenntnijfe gemeinnügig zu machen.

Man tritt täglich aus einem Heiligthum der Mujen ins andere, empfängt Unterricht, und fieht Kunft und Natur in ihrem ganzen Umfange und Zujammenhange Eine glüdliche Bereinigung aller Glieder hat ein Ganzes zu Stande gebradit, welches da3 Wufjehen des Auslandes erregt. Die Fremden eilen herbei Mannheim wird als der vorzüglichite Ort be= trachtet, wo alles, was zur edlern Erziehung, zur Aufklärung gefordert wird, in einem Mittelpunfte verjammelt ijt. Die Menjchen jeder Klaſſe find zu höherem Gefühle, reineren Kennt— niffen und hellerem Denfen erhoben.

Dies ift das Bild einer glüdlihen Zukunft, ein Traum, deſſen Wirklichkeit ich Hoffen darf, wenn der Geiſt unjerer gejellichaftlichen Gejege der Geijt des Vaterlandes wird.

Ihr, denen die weijen Abfichten des beiten Negenten be— fannt find, ihr, denen Macht gegeben tft, fie auszuführen, ihr alle, edlere, wiürdigere Menfchen, denen das Wohl der Menich- heit am Herzen liegt, die die Aufforderung: Laßt uns etwas gutes unternehmen begeijtert, höret die Stimme de3 Vater— landes, die Stimme des Ruhms und der Nachwelt: reichet euch die Hände; laſſet aus dem ſtückweiſen, aus dem Unzuſammen— hängenden ein Ganzes werden; und es wird fein Zweck uner- reicht bfeiben.

Geiſt der Aufklärung! laß jeden die Wichtigkeit der Ver— breitung empfinden! Geiſt der Thätigfeit! bejeele todte Kräfte zum Leben und zur Wirkjamfeit. Geiſt der Uneigennügigfeit, der Ermunterung, der ‘Freiheit und Vereinigung! erfülle vor— züglich die Glieder unjerer Gejellihaft, dab fie Werfe des Ruhmes und der Unjterblichkeit für das Wohl des Vaterlandes und der Menjchheit auf's Neue unternehmen.“

Diejer Bortrag Kleins iſt im Ganzen genommen mit echter Begeijterung verfaßt, wenn auch mancherlei Ruhmredig« feit mitunterläuft.

Bor Allen dürfte eine Betrachtung des Verhältniſſes

390 Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaſt.

Schillers zur deutichen Gefellihaft und zu Anton von Klein von Intereſſe jein.

Klein gehört entichieden zu den wenigen Befannten Schillers, die frühzeitig etwas von deſſen Genie erfaßten, ob— zwar er die „Räuber“ recht abfällig kritiſirte. Klein meinte Schiller durch feine eigenen Schriften beeinfluffen zu können und es ijt nicht mehr zu überjehen, daß Schiller thatjächlich bei jeinem Uebergang von der Proſa feiner eriten Dramen zu den Berjen des Don Earlos*) etwas von Kleins äfthetiihen Aus» führungen angenommen hat.

Klein nahm troß feiner Begeiſterung für alles Deutich- thum al3 Kritiker Leſſing gegenüber, mit dem er fih aud perjönlich überworfen hatte, eine feindliche Stellung ein. Er vertheidigte die Negelmäßigfeit des franzöfiichen Dramas und bejonders Gorneille gegen die Angriffe Leſſings. Schiller jtrebte jelbjt nach regelmäßigerer Behandlung des Dramas, jodaß er ih der Betrachtungen Klein nicht entziehen konnte.

Im Januar des Jahres 1784 wurde Schiller in Die deutjche Gejellichaft eingeführt, ob durch Kleins oder Dalbergs Vermittelung mag dahingejtellt bleiben, jedenfalls mußte die Anzeige der Aufnahme Klein ala Gejchäftsverweier der Gejells ihaft bewirken und er erntete jomit auch den Dank Schillers, der an ihn folgendes jchrieb:

„Sehr angenehm war mir die Nachricht von meiner Auf— nahme in die furfürjtliche Gejellichaft, welche ein jchöner Be— weis Ihrer thätigen Freundſchaft für mich ift, und es wäre meine erite Pflicht gewejen, Ihnen perjönlich deßwegen zu danfen doch verzeihen Sie es einer gewijen franfen Er— ihöpfung, welche mir die bisherigen vielen Proben meines Fiesko zugezogen haben, und einer Ueberhäuffung von den un= angenehmften Gejchäften, die durch meine bisherige Zerftreuung

*) Die erite Auflage erihien befanntlih unter dem Titel „Dom Karlos, Infant von Spanien“ bei Göſchen in Leipzig 1787, geziert mit einem Kupfer (weiblichen Stopf) von dem Mannheimer Supferftecher Egidius Verhelit. Gin Gremplar dieſer eriten Ausgabe befigt die Deffentliche Bibliothek zu Mannheim.

Die furfüritlihe deutiche Geſellſchaft. 391

liegen geblieben find. Solten Sie nur noch heute in Manns heim verweilen, jo habe ich vielleicht doc noch die Freude Sie zu ſehen. Wie Ihnen der Fiesko gefallen hat, wäre id) jehr zu wiſſen begierig. Sie kommen doc bald wieder zurüd und erlauben mir Ihnen nad) München zu jchreiben? Ihr ganz ergebenfter Schiller.“

As man Schiller zur Aufnahme des mebicinischen Be- rufes befehren wollte, war Klein entjchieden gegen dieſe Be— fehrungsverjuche.

In die deutſche Gejellichaft eingetreten, machte Schiller gar bald Vorjchläge, eine Verbindung der Nationalbühne mit der deutjchen Geſellſchaft durch einen Secretär herzuitellen, für welchen Poſten er fich jelbjt empfahl. Sechs Mitglieder der Gejellichaft jollten die eingereichten Stüde und die ftattgehabten Aufführungen einer Prüfung unterziehen.*)

Klein, der dadurd als Gejchäftsverweier eine Bejchrän- fung jeiner Thätigfeit fürdhtete, Hintertrieb jedoch die Aus»

*) Schiller jchreibt hierüber.in feinem Brief vom 7. Zuni 1784 an den Freiherrn von Dalberg: „Meiner Meinung nad müßte vorzüglich und ausdrüdlic dahin entichievden werden, daß aus der Geſellſchaft ein engerer Ausſchuß von allenfalls 6 der Sache Fundigen Mitgliedern zur Beurtheilung der Stüde und ihrer Vorftellung auf der Bühne, errichtet wiirde welcher pflichtmäßig gehalten wäre, fchriftlich feine Meinung zu fagen. In dieſem Ausſchuß müßten Eur. Erzellenz nothwendig Selbit, und auch id) jeyn, weil fih doch natürlich vermuthen läßt, daß ſonſt fchiefe und unſerm Theater intonveniente Stritifen die gute Sache überwägen könnten. Schwan, Keibel, Profeſſor Günther, Neichert, Klein und Sambuga glaube ich, würden dann dem Face am meiften gewachſen jeyn, und es auch mit dem gröſeſten Eifer betreiben. Doc werden Eur. Erzellenz der Gejellichaft wahr: ſcheinlich darinn nachgeben, daß ein jeder die Freiheit Hat über alle Geſichtspunkte eines Stüfs und feines Spiels zu enticheiden nicht aber die zerichtedenen Punkte getrennt, und einem einzeln anvertraut würden. Menn dies zu Stande kommt, jo würde ich Eur. Erzellenz dann erfuchen, nich, gleihlam als wechfeljeitigen Sefretair, die Schlüffe der D. Gejellihaft dem Theaterausihuß, und die Antworten oder Anfragen bes leßtern der Geiellichaft referiren zu laffen. Auf dieje Art würden beide Gollegien durch mich in Zufammenhang gebracht, und auf eine folenne Art mit einander verbunden.“

392 Die kurfürftliche deutſche Gejellichaft.

führung dieſer Vorſchläge. Dagegen Hatte Klein dem jungen Dichter einen Vorſchuß von 132 fl. bei der deutjchen Gejell- ſchaft erwirft.

Am 26. Juni 1784 hielt Friedrih Schiller in dem Bor- tragsjaale der deutjchen Gejellichaft in der Bibliothek des fur- fürftlichen Schlofjes eine Vorlefung über das Thema: „Was fann eine gute, jtehende Schaubühne eigentlich wirken?“ Es ift Dies die Abhandlung, die unter dem Titel „Die Schaubühne als eine moraliſche Anjtalt betrachtet“ in Schillers Werfen zu finden ift,

Schillerd Beziehungen zu Klein hörten im Laufe der Zeit völlig auf, wenn auch Klein fich feines freundichaftlichen Ver— hältnifjes zu dem Dichter noch lange rühmte und diejer Freund— ſchaft nach dem Tode Schillers mit einer Dde gedachte.

„Mag fih Klein“ jo urtheilt Karl Krüfl in feinem kritisch jcharfen, jehr lebendig und zugleich fünftleriich fein ge- ftalteten Buche über dieſen „Profeſſor der ſchönen Wiſſen— ſchaften“ „auch bei der Bewerthung feiner Freundſchaft für Schiller einer eitlen Uebertreibung. jchuldig gemacht haben, das eine Verdienſt bleibt ihm jedenfalls, daß er dem jungen Schiller von Anfang an jeine Aufmerkſamkeit geichenft und denjelben, jofern deſſen Pläne nicht feinem eigenen Interejie entgegenliefen, mit Rath und That unterjtügt Hat.“

Weit weniger erquiclich geftaltete fich Kleins Berhältnif zu Wilhelm Heinfe, dem Dichter, deffen Bedeutung für die deutiche Litteratur man Heute immer mehr erfennt.

Dennoch verdanfen wir Klein die Herausgabe von Heinjes Ueberjegung des „Befreiten Jeruſalems“ von Torquato Taffo. Dieje Ueberjegung hat trog ihrer Abfaſſung in Proja glänzende ſprachliche Schönheiten und zeigte damals die deutſche Sprade in reicher Entfaltung. Sie erſchien im Jahre 1781 im Ber- (age der Herausgeber der ausländijchen jchönen Geijter, den Klein unter Verbindung mit der deutſchen Gejellichaft ins Leben rief. Das in vier Bänden erjchienene Werk, dem der italienifhe Tert zur Seite gejtellt wurde, jhmücdte der Mann—

Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft. 393

heimer Kupferftecher Verhelit mit einem Bildniß des Dichters und mit vier Titelvignetten.*)

Leider fnüpften ih an die Herausgabe diefer Ueberjegung recht üble Auseinanderjegungen zwiichen Klein und Heinfe.

Als Heinje im Juli 1780 auf drei Tage (10., 11. und 12. Juli) Mannheim bejuchte, gewann er fein innigeres Ver— hältniß zu dieſer Stadt. Wohl jchrieb er am 14. Juli an Jacobi: „Mannheim ijt mit feinem prächtigen Schlofje wirklich eine jchöne Stadt,“ doch Hat er viel auszuftellen und, über- wältigt von dem Naturzauber Heidelbergs, verliert er den rehten Maßſtab für die Beurtheilung einer nur durch menſch— liche Kunſt jtilvoll gejtalteten Stadt der Ebene.

Das ganze Urtheil macht den Eindrud großer Flüchtigkeit.

Heinfe jcheint fih in Mannheim mit Klein eher zerworfen

*) Auf Heinſes Tafforlleberjegung kommt Joh. Schober in feiner Heinje-Biographie (Leipzig 1882) in folgender Weife zu fprechen: „Hier (in Venedig) weilte er acht Monate! Was die Lagumenitadt für Wiſſenſchaft und Kunſt bot, das hat er fleißig aufgefucht, genoffen und gewerthet. Zunächſt vollendete er daſelbſt jeine Taſſo-Ueberſetzung, die er für 80 Louisdor Profeſſor Klein vertragsmäßig liefern mußte, der fie als die beite Ueberjegung bezeichnete unter der Menge von Berfuchen, die ihm ein geichickt worden find. Es ijt dem ftürmifchen Geift in feiner neuen Lime gebung dies feine leichte Arbeit geiveien, fo daß er am Schluſſe derjelben ausrief: „O Taſſo, Taflo, dein befreites Jerufalem hat mir viel zu fchaffen gemacht! Beihnahe wäre ich, wie du, darüber zum Narren geworden!“ Leicht läßt fich heute Die Ueberſetzung des Taflo in Proſa tadeln; aber vor 100 Jahren lag die Sache noch anders. Unſere Sprade mußte zur Miedergabe des Italienischen noch Fortichritte machen und die Verfifilation noch leichter werden. Wieland, der größte Verskünſtler feiner Zeit, nennt die Tafioslleberjegung einen Ulyſſes-Bogen, den ſchon mancher vergebens zu jpannen verſuchte, und verlangt zur Weberjegung des befreiten Jeru— jalem3 in ottave rime nichts weniger, als einen Taifo ſelbſt. Heinſe wäre wohl dazu befähigt geweſen, hätte er mehr Ausdauer bejeifen und nicht um Geld arbeiten müſſen. Immerhin aber ijt jeine Ueberſetzung ein großer Gewinn für die deutihe Literatur gewweien. Gr felbit wurde durd) das Beiipiel des Stalienerd in der Kunſt zu ſchildern bedeutend gefördert und hat das allgemeine Intereffe für Taffo geiteigert. (In der Ausgabe von 1781 Mannheim S. 53 iſt die 25. Stange nicht vollitändig überlegt und S. 137 Stanze 9 muß für „Ichwanger“ „ſchwärzer“ ſtehen.)“

394 Die kurfürftliche deutſche Geſellſchaft.

als befreundet zu haben. Klein ließ bei der Herausgabe des befreiten Ierujalem3 den Namen des Ueberjegers weg und machte der Honorarzahlung Schwierigkeiten, weil die Ueber- jegung eine ungünftige Beurtheilung erfahren habe.

Heinje aber machte der Sache durch eine durchaus be— rechtigte und treffende Antwort (14. September 1782) ein Ende, in der es am Schluſſe Heißt:

„Wenn Sie und Ihre Gejellihaft Männer jeyn wollten, jo mußten Sie Ihren Ausspruch fort behaupten, ohne ſich an ein Dußend Syibenjtechereyen das geringfte zu fehren; jo haben es bis jetzt alle würdigen Gejellichaften gemacht, die wegen ihrer ausgeftellten Preije jind angefochten worden. Alles das Geſchwätz hab ich vorausgejehen, aber fie jollen mir nur einen jechszehnten Gejang, eine Klorinde, eine Erminia, einen Soli— man oder Tanfred anders und beſſer aufjtellen! Ich Habe Feine dreyßig Jahre an einem befr. Jer. arbeiten wollen, weil ich es jolcher Mühe nicht für werth Hielte; die wenigen Wörter aber, die etwa faljch überjegt jeyn mögen, kann jeder Dummfopf be= richtigen. Was mir leid that, war der Groll von leuten, die ih hoch jchäge, die die Sache aus dem ungehörigen Geſichts— punkt anjehen und von Einjfendungen und Preis von allen ein- geſchickten Ueberjegungen und dergl. hörten. Zu Sorrent, dem Geburtsort des Tafjo, wohin ic) von Neapel aus gereijt bin, hab ich einen Brief itber den Taſſo und Arioſt geichrieben, und meine wahren Gedanken über beyde Dichter gejagt, was ich vor den Ueberſetzungen nicht für dienlich erachtete, und zugleich einige Nachichriften über die legteren beygefügt; und diejen will ih nädjtens in ein Journal einrüden laffen. Ich thue Ihnen nocd einen Vorſchlag, um der Gejchichte ein Ende zu machen; Sie bezahlen mir den Reft die Hälfte in Büchern aus Ihrem Berlag, und die Hälfte in baarem Gelde ...... 5

Damit war die Sache aus der Welt gejchafft. Außer diejer Ueberjegung erjchtenen in damaliger Zeit in Mannheim u. A. noch Ueberſetzungen von Werken Lucians, Oſſians, Mil- tond, Drydens, Rowes, Popes, Fieldings, Youngs, Sternes, Richardions u. A. Wegen der von Klein herausgegebenen

Die kurfürſtliche deutſche Geiellichaft. 395

Ueberjegung der Werke Shafeipeares (zum Theil in Franfen- thal bei Friedrich Gegel gedrudt), die unter Leitung des Pro- feſſors Gabriel Edert erichien, entipann fich ein heftiger Streit mit den Verlegern der Eſchenburg'ſchen Ausgabe Orell, Geßner und Fueßly in Zürich, die die Klein'ſche Ausgabe nicht ohne Berechtigung für einen Nachdrud der ihrigen erflärten.*)

Um ſich zit revandiren, drudte diejelbe Firma Kleins Tajfo-Ausgabe im Jahre 1782 nad) und erwirfte ein Privi- fegium, nad) dem nur ihre nachgedrudte Ausgabe auf der Leipziger Meſſe verkauft werben durfte.

Don der großen Berbreitung der von den Herausgebern

der ausländiichen jchönen Geifter veröffentlichten Ueberjegungen berichteten bier jchon die Klein'ſchen Ausführungen. *) Klein veriheidigt den Profeſſor Edert in der Einleitung feiner beutichen Ausgabe des Lucian (Mannheim 1783, 8 Bde.) u. 9. in folgen: der Weife: „Herr Profefior Edert, dem Deutichland vorzüglich die ver— beſſerte Ueberjegung Shakeipeares zu verdanken hat, und deſſen Ehre noch mehr als die meinige angegriffen ward, nahm jich nun jelbit der Sadıe an, und jegte die Ungerechtigkeit der Herren Orell, Geßner und Fueßly in ein folches Licht, daß fie jedem ins Auge fallen mußte. Er machte einen Auszug von wenigftens 800 Stellen aus dem Werke, fegte bei jeder Stelle da3 engliſche Original oben an, fügte Die Zürcher und feine Ueberſetzung bei, zeigte den wichtigen Unterfchied, und rief alle Stenner und jeden, ber nur gefunden Berftand Hatte, zur Beurtheilung auf. (Siehe: Gabriel Edert an das gelehrte Publitum wegen der Mannheimer Herausgabe der Werke Shafipeard. Mannheim 1780.) .... Herr Profeſſor Edert, der viele Jahre in Engelland zugebradjt hatte, die Schaujpiele Shakipears oft aufführen jah und Kenntniß der engliichen Gejege, Gebräuche ꝛc. fid von Jugend auf erwarb, konnte freilich Über taufend Stellen Licht verbreiten, to ein anderer, der mit dem Wörterbuch in der Hand die engliiche Sprad) erlernte, oft nothwendig ſich verirren mufte. Seine Verbefjerungen find auch von jedem, der fie prüfen konnte, und redliches Zeugniß geben wollte, al Meiiterarbeit anerkannt worden. Ich will bier von den vielen Zeugs niffen, die wir erhielten, nur ein einziges Schreiben anführen, weil es nicht im Druck erichienen iſt. Es ift von dem berühmten Freyheren von Harold, kuhrpfälziſchen Oberitlieutnant (dem Ueberſetzer der „Gedichte Oſſians, Mannheim 1782), der als engliiher und beutfcher Schriftiteller befannt it, deſſen Ginficht und Kenntniß der Sache und edler Character jo bewährt ift, da wir auf fein Lob jtolz fein fönnen . . . .*

396 Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft.

Ein großes Litteraturleben wurde durch dieſe billig aus— gegebenen Bände (dev Band für 24 Kreuzer, das Bildniß eines Dichters als Kupfer 16 Kreuzer) eingeleitet und in Deutſch— land gefördert. Für das Auftreten Schillers war jpeziell in Mannheim, dem Ausgangspunkt diejer Litteraturpflege, ein gut vorbereiteter Boden geichaffen.

Klein rühmt fich jeiner Verdienite um dieſen Aufihwung der Litteratur nicht mit Unreht. Er bat große Regjamfeit entfaltet. Sein Charakter iſt ein merfwürdiges Gemiſch von Begeijterungsfähigfeit und kluger Berechnung. Im die legten Tiefen litterarifcher Erfenntniffe drang er niemal® Höchſtes jchließt jede niedere Berechnung aus, allein nad) Kräften Hat er doch viel geleiftet und einen großen Einfluß im Ganzen ge- nommen nicht zum Schaden gebraudt.

Am Längften genoß er die Freundſchaft Schubart?, dem er manche Idee für feine litterariihen Unternehmungen verdanfte,

Schubart feierte Klein in einem Briefe vom 3. Oftober 1775 u. A. mit folgenden Berjen:

Und die Wellen von dem alten Rhein Schlagen Beifall braufend drein,

Wann der Lehrer Stlein

Deutiche fleht „fie follen Deutiche ſeyn.“

Bon des aljo Gefeierten erfolgreichen Lebenslauf ſei fol- gendes erzählt:

Am 12, Juni 1746 erblidte Franz Anton Klein in Mols— heim im Elſaß als Sohn eines wohlhabenden Bädermeijters, Franz Nicolaus Klein, das Licht der Welt.

In Molsheim, dem Stammort derjelben Univerfität, die 1702 nad Straßburg verlegt worden war, hatte ſich mit dem Iefuitencollegium noch ein Nachklang des einjtigen großen wiſſenſchaftlichen Lebens erhalten.

In dieſem Jejuitencollegium genoß der aufgewedte Knabe jeinen wiljenjchaftlihen Unterriht, der bier von deutſchen Lehrern ertheilt wurde, ſodaß Klein ſchon frühzeitig die deutjche Sprache und deutjchen Unterricht ſchätzen lernte. Außergewöhn—

Die kurfürſtliche deutiche Geſellſchaft. 397

(ih früh, im Jahre 1764, alſo jchon im Alter von 18 Jahren wurde er Noviziat.

Nachdem 1765 das Jejuitencollegium in Molsheim aufge- hoben worden war, treffen wir Klein im Jahre 1768 als Lehrer im Jejuitencollegium zu Mannheim.

Nah jeiner Einführung des deutichen Sprachunterrichts und nad) einem Conflikt mit Hemmer, der mit feiner „Abhand- lung über die deutjche Sprache zum Nuten der Pfalz“ (1769) jelbjtjtändig für die deutiche Sache neben Klein wirkte, wurde diejer 1772 aus der Pfalz verjegt.

Nach Aufhebung des Jejuitenordens kehrte Klein 1773 ala ein „freier Mann“ nah) Mannheim zurüd.

Hier fand er ein großes Feld für feine Bethätigung auf dem Gebiete der Litteratur und Aeſthetik vor.

Er gewann fich die Gunft des Kurfürften, der eigens für ihn 1774 die „Profeſſur der jchönen Wiſſenſchaften“ errichtete. Klein Hatte hier die feinem Entwurf entſprechenden Vorlefungen unentgeltlich zu halten.

Zu den Schülern Kleins gehörten Söhne aus erjten Familien. Bor nur 8 Schülern begann er feine Vorlefungen, die jedoch bald gejuchter wurden.

Die Arbeiten feiner Schüler gab er in der „Sammlung zur Aufmunterung de3 guten Geihmads in der Pfalz“ 1776 heraus.

Die Aufführung des deutjchen Singjpiel3 „Günther von Schwarzburg”, deifen Dichtung er gejchrieben hatte, brachte ihm im nächiten Jahre 1777 einen großen Erfolg. Man ehrte da— mals den Dichter nicht weniger wie den Componiſten (Holzbauer).

Klein wurde vom Kurfürften unter Erhöhung feines Ge- haltes zum Geheimen Secretär ernannt. Auch die Fürften von Schwarzburg-Rudoljtadtt und Sondershaujfen, Ludwig Günther und Chriſtian Günther, zeichneten den Dichter aus, da fie durch jein Werf ihr Haus geehrt jahen. Er wurde von diejen Fürſten in die Würde der faijerl. Pfalz: und Hofgrafen eingejeßt, und mit dem funjtfinnigen Erbprinzen Friedrich Karl

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von Nudoljtadt trat er in freundichaftlichen Verkehr und Brief- wechſel.

Kleins Singſpiel bedeutet den erſten Verſuch, eine Art deutſches Muſikdrama zu ſchaffen. Dieſer Gedanke allein ſchon erregte damals alle deutſch geſinnten Geiſter. Zahlreiche Fremde trafen in Mannheim ein, um das Werk zu ſehen und zu hören und bald wurde es auch am anderen Bühnen Gyranf- furt, Dresden) aufgeführt. Bei einer Wiederaufführung im Jahre 1785 lernte Schiller das Werk fennen. 1777 Hatte Mozart in Mannheim bereits die Oper*) gehört, der allerdings den Erfolg bei weiten mehr der Muſik Holzbauers zujchrieb und nicht dazu zu bewegen war, eine andere Dichtung Kleins, „Rudolf von Habsburg“, zu componiren. Vielleicht erlebt jenes Werf an feiner Geburtsjtätte feiner biftorischen mufifdrama= tiichen Bedeutung wegen einmal eine Wiederaufführung. Dam:

*) Stapellmeiiter Vogler, der eine Holzbauer entgegenitehende muſika— liſche Richtung vertrat, Schrieb damals über dieſes Werk: „Weder Francesko de Majo mit feiner Ifigenia in Tauride 1762, noch mit feinem Allessaudro rell’India 1764; noch Traetta mit feiner Sofonisba 1766; noch Holzbauer jelbft mit feinem Adriano in Siria 1768; noch Piccini mit feinem Catone in Utica 1770; noch Chr. Badı mit jeinem Temistocle 1772 und Lacio Silla 1774, alle vier verdienitvole Männer fanden nicht den allgemeinen Beifall ſolchen Larm erregten fie alle nicht, als die deutiche Oper, die zur Zeit der Revolution der Deutichheit, wo eine Deutfche Ges ſellſchaft geitiftet ward, wo wir alle von einem Deutichen Bigotiäme ans geitekt waren, wo wir und einer Sinden fürchteten ein fremdes auch mit Bürgerrecht begabtes Wort einzumischen, ftatt Tabatiere Najenkrautitaubs ſchachtel einführen wollten mit dem innern Gehalt denn fie ift be fonders durd ein beitändiges Gewebe von allen veridie- denen Inſtrumenten ſehr unterhaltend) den äußern Werth als Bruſtmauer gegen die verhafte Vogler'ſche Neformation zu verbinden wußte." (Jahn, Mozart II. 3b. ©. 523), Das Berliner litterariiche Mochenblatt 1776 fündigte das Werk in folgender Weife an: „Der Stapel» meiſter Holzbauer tft, wie es heißt, mit der Gompofition einer von Herrn Profeſſor Klein verfertigten deutichen Oper fertig. Cine deutihe Oper aus der deutſchen Geichichte, von einem deutſchen Dichter! Deutſche Compoſi— tion und auf dem beiten Deutichen Theater aufgeführt! Wer jollte fich nicht über dieje heilfame Nevolution des Geihmads freuen!” (Danzel und Gubrauer, Zeifing I. Bd. ©. 554).

Die kurfürftliche deutſche Gefellichaft. 399

burg hat im Jahre 1893 bei der Feſtvorſtellung der Schröder- Feier eine Arie aus jener Oper zum Vortrag bringen laſſen. Der große Beifall, den die Mufif Holzbauers daſelbſt fand, könnte ſchon zu einer Wiederaufführung des Werkes in Mann- heim ermutbigen.

Nach Ueberfiedelung des Fürften nad) München blieb Klein in Mannheim zurüd. Er ſtack bier zu jehr in geichäftlichen Unternehmungen, mußte für diefe auch den Platz in der Pfalz fiir geeigneter halten als die Münchener Sphäre; doch abge- jehen hiervon, hat fich Klein durch fein Verbleiben in Mann— heim und jeine weitere Thätigkeit für Litteratur und Kunſt das Verdienft erworben, zu der Blüthe des Nationaltheaters mit beigetragen und hier noch lange den Verfall des Kunjtlebens aufgehalten zu haben.

Im gleihen Jahre, in welchen Karl Theodor Mannheim verließ, begründete Klein in Gemeinschaft mit dem furfürjtlichen Rath und Poſtſecretär Johann Caſpar Becké unter Betheiligung eines Kaufmanns Namens Schmülling aus Rheingönnheim, der zunächſt 1000 Gulden vorjchiegen mußte und als Kaſſier gegen einen Jahresgehalt von 440 Gulden angeftellt wurde, die Ge— jellichaft der Herausgeber der ausländiichen jchönen Geiſter und der alten klaſſiſchen Schriftiteller, iiber welchen mit dem kaiſer— lihen Privilegien verjehenen Verlag wir jchon oben berichteten, Das folgende Jahr 1779 brachte jedoch jchon ein völlige Ber: würfniß der drei Betheiligten unter einander mit ſich; Klein führte gegen die beiden bisherigen Mitbetheiligten einen Prozeß und jegte allein den Verlag fort. Er beabjichtigte des Weiteren auch eine Ueberſetzung der Bibel herauszugeben, allein (am 11. September 1779) wurde ihm die Erlaubniß dazu verjagt. Dagegen erhielt Klein am 7. Juni 1783 die furfürftliche Ge— nehmigung zur Errichtung einer eigenen Druderei.

Klein machte den Verſuch, mit Wien Beziehungen anzu— fnüpfen, zunächſt um den Vertrieb jeiner VBerlagswerfe zu för: dern, dann auch, um eine Aufführung jeines Dramas „Rudolf von Habsburg” zu erreichen. Lebterer Verſuch blieb erfolglos.

K. Krükl theilt aus einem Wiener Blatt vom 28. Juni

400 Die kurfüritliche deutiche Geſellſchaft.

1787 eine beachtenswerthe Unterredung zwijchen dem Kaifer Sojeph II. und Profefjor Klein mit, die etwa folgendermaßen gelautet haben joll:

Kaijer Joſeph: Mit was beichäftigen Sie ſich jest haupt— ſächlich?

Prof. Klein: Mit Herausgabe des Werks „Leben und Bildnijje der großen Deutſchen.“ Ich unternahm das Werf, um etwas beizutragen, daß der Geijt der alten deutichen Bie— derfeit und Tapferkeit unter der Nation wieder erwedt werde.

Kaifer Joſeph: Da haben Sie viel zu thun.

Prof. Klein: Beſſere Köpfe, als ich, thun nur, was fie können.

Kaiſer Joſeph: Unſere franzöſirten Herren werden nicht viel Geſchmack daran finden.

Prof. Klein: Und juſt ſind die franzöſirten die Klaſſe, von denen das Glück des Werkes abhängt.

Kaiſer Joſeph: Schade wars der deutſchen Litteratur und Sprache, daß der König von Pr. nicht viel daraus machte.

Prof. Klein: Deutſchland hat ſeine Hoffnung auf Eure Majeſtät geſetzt, daß alles erſetzt werde.

Kaiſer Joſeph: Ich ſprach den König einſt hierüber. Die deutſche Sprache, ſagte er, iſt nicht kultivirt, nur zu den ge— meinſten Ausdrücken brauchbar, und die Deutſchen hätten noch nichts beſonders geleiſtet. Eure Majeſtät, erwiderte ich, haben doch als Deutſcher zwölf Schlachten gewonnen.

Nach Mannheim zurückgekehrt, vermählte ſich Klein mit der Tochter des Vizekanzler Freiherrn von Fick, ſeines lang» jährigen Proteftors. Im Juni des Jahres 1790 wurde Klein vom Kurfürſten Karl Theodor zum Hofgerichtsrath ernannt und in den erblichen Adelſtand erhoben. Sein Gejuch, feine 1781 in Mannheim begründete Buchhandlung zur Kurfürftlichen Hof: buchhandlung zu bejtimmen, wurde ihm 1796 abgejchlagen. 1794 war Klein mit feiner Oattin auf kurze Zeit nah Ulm geflüchtet, wojelbjt ihm ein Sohn, der den Namen Karl Auguſt

bloumgasa liaansaqo d sog quaı quoz

Die kurfüritliche deutiche Geſellſchaft. 401

(nah dem Herzog von Zweibrüden) erhielt, geboren wurbe.*) Diejer Sohn hatte lange mit einem jchweren epileptiichen Leiden zu kämpfen, erwarb fich jedoch als Componift und Mufikjchrift- fteller Achtung. Beethoven und Mehul interejfirten ſich für - Compofitionen von ihm, zu denen eine Duverture zu Othello, Symphonten und Kammermufitwerfe gehören. Kleins jun. mufifaliiche Thätigkeit läßt ich bis zu dem Jahr 1842 ver- folgen. Ein Bruder Anton von Kleins war Profeſſor in Mainz.

Mit jeinem im Jahre 1802 in 16 Gejängen erichienenen Gedicht „Athenor“ (Frankfurt und Leipzig, mit Kupfern von A. Karcher) hatte Klein nicht das Glück, wie einjt mit jeinem

*) Ueber eine weitere Flucht Kleins während der Belagerung wird berichtet: „Die Gefahren und Drangjale einer Belagerung, welchen er das mals zu entrinmen hoffte, trafen ihn bald nach jeiner Rückkehr in dops peltem Maße. Ein abermaliges plögliches Vorrlden der Feinde nöthigten ihn wiederholt zur Flucht. Ueberall herrſchte Furcht und Beſtürzung. Seine Gemahlin floh, da die Pferde in Beſchlag genommen waren, zu Fuße, ihren Säugling in den Armen, mit der ſich drängenden Menge. Er jelbit warf in der Eile Hppothefen, Schmud und fonftige Koftbarkeiten in einen Korb, ließ ihn auf einem Handwagen vor fich herführen, und verlor im Gedränge den Führer aus den Augen. In dem nächſten Dorfe erfundigte er fich nad) dem Manne, allein niemand hatte ihn in der alls gemeinen Verwirrung bemerkt. Zufällig fam er nad) langen, vergeblihem Forjchen in eine von zagenden Menjchen angefüllte Stube, in deren Mitte der Korb jtand. Er bradte ihn nah Heidelberg in Sicherheit, wo er aud Frau und Kind zu treffen hoffte Allein mehrere Tage vergingen, ohne daß er ihren Aufenthalt entdecken konnte, Grit, als der Weg nad Mannheim wieder offen war, fanden fie fih. Sie war zu Sedenheim in einer Bauernhütte verborgen. Dicht neben ihrer Kammer waren Soldaten einquartirt, die mit lauter Stimme ſich die Unthaten erzählten, welche fie bei dem Plündern verübten, und in ihrer räuberiſchen Ausgelaffenheit felbft die Stimme der Unglüdlihen nahahmten, die fie auf das graus famfte mißhandelt hatten. Man denke ſich die Lage dieier Mutter, die ein einziger Laut ihres Kindes verrathen, und der Wuth diefer Menichen Preis geben konnte, Bald nachher überftanden fie jenes furdhtbare Bom— bardement, das einen großen Theil der Stadt und Gegend von Manns heim vermwüftete, und wobei der eine Flügel des Kurfüritlichen Balaftes, das ehemalige pracdhtvolle Opernhaus, ein Raub der Flammen wurde.“ (Litterarifches Leben d. A. v. 8. Wiesbaben 1818.)

Defer, Geſchichte ber Stabt Mannheim. 26

402 Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft.

Singipiel „Günther von Schwarzburg“. Selbjt Schiller, der Klein gewiß nicht gern nahe treten wollte, konnte nicht anders al3 an Goethe jchreiben (12. May 1802):

„Mit dem Athenor find Sie mir um einen Tag zudorge- fommen, denn auch ich habe diejes jchredliche Product erhalten - und hatte es jchon für Sie bei Seit gelegt.”

Und Goethe jchrieb in der Jenaiichen Allgemeinen Littera- turzeitung 14. Februar 1805: „Wenn man Wielands poetische Schriften ftüdweije in eine Hexenflamme nebeneinanderjegte und ſodann über einem gelinden Feuer jo lange jchmorte, bis Raturell, Geift, Anmuth, Heiterfeit mit allen übrigen lebendigen Eigenjchaften völlig abgeraudht wären, und man alsdann die überbliebene zähe Mafje mit einem Löffelitiel einigermaßen durcheinanderzöge und einen ſolchen Brei, der faſt für ein caput mortuum gelten fann, völlig erjtarren und erfalten ließe, jo würde ungefähr ein Athenor entitehen.”

Klein Half fi) durch eine Reile nach Paris, die er ım folgenden Jahre 1806 antrat, über den Mißerfolg eines Athenor hinweg. Dort in Paris wurde er denn auch als eine Capacität auf dem Gebiete der jchönen Wiſſenſchaften gefeiert und eingeladen, fi) an den Situngen bes Nationalinjtituts zu betheiligen.

Klein verdanfte feine Einführung in die eriten wiſſenſchaft— lichen und gejellichaftlihen Kreije der franzöfiihen Hauptjtadt dem dort weilenden Sohne des Freiherrn Heribert von Dal— berg, Emmerich Iojeph von Dalberg, dem die furbadiiche Ge» jandtichaft in Paris übertragen war und der fich durch jeine Intelligenz dortjelbft Achtung erworben hatte.

In Paris gab Klein eine verkürzte Ausgabe jeines mit Kupfer reich gejchmücdten Werkes „Leben und Bildniffe der großen Deutjchen“ unter dem Titel „Galerie historique des illustres Germains“ heraus, die jedoch nicht er, jondern der Schriftiteller Diliste de Sales bejorgt hatte. Ueber dieſes Werk erichien im Parifer „Moniteur” vom 30. Auguſt 1806 eine eingehende, lobreiche Kritif.

Wieder in Mannheim eingetroffen, juchte Klein den neuen

Die kurfürſtliche deutſche Geſellſchaft. 403

Landesfürſten Karl Friedrich, den er ſchon bei deſſen Regie— rungsantritt in beſonderer Weiſe gehuldigt hatte, zur Förde— rung ſeiner litterariſchen und geſchäftlichen Unternehmungen zu gewinnen. Karl Friedrich verlieh denn auch dem „Pränu— merations- und Subſeriptions-Comptoir“ Kleins den Titel einer Großh. privilegirten Hof-Buch- und Kunſthandlung. Der Fürſt wünſchte auch die Hebung des am Anfange des 19. Jahrhunderts in Verfall gerathenen Kunſtlebens Mannheims.

Klein war damals in Mannheim einer der Wenigen, von denen ſich eine ſolche Förderung des Kunſtlebens erwarten ließ. Finanzminiſter von Türkheim theilte ihm in einem Briefe vom 21. Februar 1810 mit: „Bereits vor einigen Wochen iſt ein Bericht in das Kabinet erſtattet worden, um dem Kunſtſinn in Mannheim einen Vereinigungspunkt zu errichten. Ich verband damit moraliſche Zwecke um bey der zahlreichen ſtudirenden Jugend die Gefühle des ſittlich ſchönen aufblühen zu ſehen. S. E. Herr von Reitzenſtein wird in kurzer Friſt eine Ent— ſcheidung vorſchlagen.“*)

Ein ſolcher Vereinigungspunkt ſollte die von Klein 1809 gegründete Geſellſchaft „Muſeum Karl» Stephanie” werden,

„Das Mujeum fo lautet es in der 1809 in Drud erichtenenen Berfaffung diejer Gejellihaft iſt ein freier Verein für die Zwede und den Genuß der verfeinerten Ge— jelligfeit. Seine Mittel jind Litteratur, Muſik, Umgang und Spiel. Sp wie diejer Verein nur als Erzeugnig der Humanität gedeihen faun, jo find ihm die Förmlichkeiten und Berhältniffe des gemeinen bürgerlichen Lebens fremd, und alle lieder haben gleihen Rang. Mögte fein Ceremoniell und feine Titeljucht in dieje dem Frohjinn und der Kultur geweihten Sälen ein- gehen! Dieje im Geijte unjerer Regierung gegebene Bejtim- mung gelte ung für einen Fortſchritt in der deutichen gejelligen Welt.“

*) Non Krükl aus dem von der Kaiſerl. Landesbibliothek zu Straß— burg aufbewahrten Briefe mitgetheilt. 26*

404 Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft.

Das Mufeum verfügte über eine Bibliothek von mehreren taufend Bänden, arrangirte Vorlejungen, Kunſtausſtellungen und Mufifaufführungen. Ein litterarijches Comite, zu welchem zwei „Adjunkte“ gehörten, entichied über die Anjchaffung von Büchern und Zeitungen. Auf mufifaliihem Gebiete jollte das Muſeum die Thätigkeit des ehemaligen Conjervatoriums fort- jegen, deffen Inventar e8 übernommen Hatte. Der Mitglieds: beitrag betrug 20 Gulden pro Jahr.

Für weitere Förderung der Kunftpflege jchlug Klein den Ankauf feiner Kunſtſammlungen für die Großh. Galerie vor, worauf wir jpäter noch zurüdfommen.

Hier follen nur kurz noch einige der noch nicht erwähnten fitterariihen Werke Kleins angeführt werden. Bon jeinen Aufiägen und Vorträgen haben wir hier die charakteriftiiche Arbeit „Vom Urjprunge der Aufklärung der Pfalz in der Vaterlandsſprache“ aus den Schriften der Kurfürjtlichen deut» ſchen Gejelihaft (I. Band Mannheim 1757) zum größten Theil wiedergegeben.

Für die von ihm herausgegebene „Mannheimer Schau— bühne“ überjegte er Drydens Bearbeitung von Shafejpeares „Antonius und Kleopatra“ unter dem Titel „Alles für Liebe* und das de la Rue'ſche Trauerjpiel „Lyſimachus“ (beide Stücke im III. Band von Jahre 1791 erjchienen). Als Herausgeber des Pfälziſchen und Pfalzbaieriihen Mujeums ging er in jeinen Litteratur= und Kulturfimpfen jehr radical vor. Er verfeindete fich dadurch mit dem katholiſchen Klerus und fein Blatt wurde im Jahre 1790 cenjurirt. Klein war auch der Verfaſſer verjchiedener hier erjchienener Publikationen über Mannheimer Künftler. Als Sprachforſcher machte er ſich durch jein „Deutjches Provinzialmwörterbuch”, das er zum 59ährigen Regierungsjubiläum 1792 der Kurfürftin Elijabeth Augufta widmete und das auch den 6. und 7. Band der Schriften der Deutjchen Gejellichaft bildete, entjchieden verdient.

1793 gab Klein feine Gedichte heraus (auch Bd. VIII der Schriften der k. d. Gejellichaft) und 1809 veranjtaltete er

Die kurfürftliche deutiche Geſellſchaft. 405

eine Ausgabe feiner dramaturgijhen Schriften. Ein merk— würdige® Gedicht in drei Gejängen „Der Jüngling und das Mädchen“, das zum Theil im Pfälziſchen Muſeum und voll jtändig in einer jedenfalls von Klein in Wien herausgegebenen Beitichrift „Wahrheiten in Ernjt und Scherz“ 1787 erichien, rührt zweifellos von Klein Her, da dasjelbe in dem Verzeich— niß jeiner nachgelajjenen Werfe (1818) aufgeführt ift. Diefes Werk iſt durch finnliche Elemente ſtark gewürzt und jpiegelt einen bejonderen Zug des Charakters jeines Berfajfers einen nicht geringen Senjualismus, der fi) auch in ber „epicuräiichen“ Lebensweije Kleins äußerte. Ferner wird eine Satire: „Dichterunwertd im Staate, oder hundert und ein Beweis, daß Dichter dem Staate unnütz find“ unter ben nachaelaffenen Schriften erwähnt.

Kurz vor feinem am 15. Dezember 1810 erfolgten Tode und zwar im Mai d. 3. Hatte Klein feine Kunſtſammlungen an den Badijchen Staat verfauft.*) Unter den 21 Delgemäl- den diefer Sammlungen, die der Mannheimer Galerie einver- feibt wurden, befand fich auch das oben jchon erwähnte und nach dem Stiche von Bilfel wiedergegebene weibliche Bildniß von Peter Paul Rubens, bezeichnet als Portrait der erjten Gattin des Meiſters Elijabeth Brant. Dieſes Gemälde und ein vorher bereit3 zur hiefigen Sammlung gehöriges Bild von David Teniers d. I. „Niederländische Bauernjchenfe* find die Perlen niederländijcher Malerei in der Mannheimer Galerie, deren Neugründung von dem badifchen Landesfürjten 1803 unternommen wurde.

Die gleichfalls hier in Mannheim aufbewahrte, das Großh. Kupferitichfabinet bildende ehemalige KHlein’ihe Sammlung von Kupferftihen (über 20000 Blätter) enthält jchönfte Arbeiten

*) Nach dem Vertrag hatte Klein, reip. nad) feinem Tobe fein Sohn auf 15 Jahre eine jährliche Aente von 4800 Gulden. in den erjten ſechs Sahren und von 3000 Gulden in den übrigen neun Jahren zu erhalten. Klein wurbe zugleich geitattet, in den Näumen der Galerie Vorlefungen über Kunſt zu halten.

406 Die furfürftlihe deutihe Geſellſchaft.

der bebdeutenditen Schulen und gehört zu den vornehmiten Collektionen diejer Art.

Durch) diefe Sammlungen hat auch die Gegenwart Mann— heims noch eine ganz direfte Beziehung zu Kleins Bethätigung behalten, und das Interefie für das Leben und Wirfen dieies einjt jo einflußreichen und regjamen Mannes verdient hier be— ſonders wachgehalten zu werden.

XXI.

Kunftgewerbe und Kunftfammlungen.

Aufihwung des heutigen Kunſtgewerbes und neue Beziehungen desselben

zum 18. Jahrhundert Belonders ausgebildete Bethätigungen in Manns

heim Schmiedekunst Wachsbildnerei Die Sammlungen zu Manns

heim Der Antiken-Saal Die Gemäldegalerie Arbeiten auf vers ichiedenen Gebieten Frantenthaler Porzellan,

B or wir bier die Weiterentwidelung der deutjchen Sprache in der Litteratur und auf dem Theater weiter ver- folgen, müſſen wir noch auf eine mit dem Leben ber Zeit auf's innigfte zujammenhängende fünjtleriiche Bethätigung zu jprechen fommen: auf das Kunjtgewerbe des 18. Jahrhunderts.

Bei dem eminenten Aufihwung, den heute wieder nad) langem Darniederliegen das Kunjtgewerbe nimmt, haben fich die Augen gejchärft gerade für die Betrachtung diejer Arbeit einer Zeit, hat man einigermaßen wieder die Wichtigkeit er- fannt, die in der Fünjtlerijchen Gejtaltung unjerer Lebensformen liegt.

Uns ein Heim zu jchaffen, wo wir wirklich ausjpannen fünnen von jchwerer Arbeit und ermüdenden Gejchäften, in das wir ung wie in einen edlen, reinen Kreis flüchten fünnen aus dem oft jtillofen Durcheinander, aus dem Halten und Jagen des Lebens, gehört zu den erjten Aufgaben der neueren kunſt- gewerblichen Bejtrebungen.

Die Gleichgiltigkeit und die Mode waren es, die lange unjere Gedanken an die Gejtaltung einer unjerem Gejchmad

. 408 Kunftgewerbe und Kunſtſammlungen.

entiprechenden, behaglichen Häuslichkeit unterdrüdten und nicht auffonmen ließen

Hiezu fam noch die Annahme, daß jede fünftleriich ſchöne Wohnungseintichtung riefige Geldjummen verichlinge, und daß man, wenn man nur irgend jo etwas in beichränften Verhält- nilfen berücfichtige, fich einem fträflichen Luxus hingeben würde. Dadurch würde in neuerer Zeit die fünftlerische Geftaltung des Hauſes Hauptjächlich dem Reichthum vorbehalten bleiben. Nichts iſt höher zu ſchätzen, als wenn der Reichthum jeinen vollen Tribut der Kunſt zollt, wenn der Reiche feine Ausgaben ichent, ihön und geichmadvoll zu wohnen und in jeinem Hauſe ber Kunft ihre Triumphe feiern läßt. Gerade Mannheim wird auch von auswärtigen Künftlerfreiien immer mehr beachtet durch die werthvollen Inmendecorationen, die fich ſowohl in dem unter Großherzog Friedrich zu neuem Leben wiedererftandenen Schloſſe jowie in zahlreihen Privathäufern befinden. Mann» heim gehört zu den in dieſer Beziehung reich verjehenen Städten. Die Pflege von Pracht und Schönheit wird immer groß daftehen gegenüber dem öden, jinnlojen Zufammenraffen und Aufipeichern zu nichts verwendeten Geldes. Daher bleiben Fürſten, wie König Ludwig II. und Kurfürjt Karl Theodor, aud wenn fie über ihre Mittel hinausgezangen, immer leuch- tende Vorbilder für die Förderung einer hohen Kunft, an denen ſich die jpäteren Geichlehter zu neuen Kunſt— thaten begeijtern fünnen. Noch wichtiger jedoch, als die aus dem überfließenden Reichtum entjtehende Kunftentfaltung, ift weil fie Die ganze Nation umfaſſen kann jene Kunſt— pflege, die auch der in bejcheidenen Verhältniſſen lebende Bürger fi und jeiner Familie zur ‚Freude und Bildung ausüben kann.

Die Hauptjache bleibt, daß die Kunft, hier im Bejonderen das Kunjtgewerbe, der Willfür der Mode entgegen wieder feiten Boden gewinnt, wieder zum Bedürfni des Volkes wird.

Und jo jucht denn das heutige Kunjtgewerbe wieder natür= fihe Schönheit, lebendige Verförperung der Idee zu erreichen.

Es knüpft dabei an die verjchiedenjten Stile der Ver— gangenheit an, jofern fie Werthvolles und unjerem Geilte Ent-

Kunftgewerbe und Kunſt fammlungen. 409

iprechende3 enthalten, und ſucht fie zu freier Vereinigung unter jtarfer Betonung des Selbjtempfundenen zu bringen.

Schon eine Zeit jchaltete und waltete in diejer Weiſe auf's Freieſte, die man lange verdammt und gejchmäht hat und die unjerer Zeit in ihrem ganzen Werthe wieder verjtändlich wird: die Zeit des Barock und Rokoko.

Dieje Kunſt entnahm allen erdenklichen Stilweiſen Motive, um fie für ihre Zwede zu nußen, die auf den Gewinn von Lebendigkeit, Grazie, Zierlihfeit ausgingen, doch allem, was fie heranzog, wußte fie ihren eigenen Character aufzuprägen.

Bor allem wollte das Kunſtgewerbe diejer Zeit alles frei gejtalten, jedes Material, ſei's Stein, Eijen, Dolz u. j. w. zu lebendigjten Formen zwingen.

Mit dem Eijen gelang ihm dies auf das Wunbderbarjte. Die Schmiedekunſt erreichte im 18. Jahrhundert in Mannheim eine nicht zu übertreffente Höhe. Wir haben an anderer Stelle bereits auf dieſes Kunſtgewerbe und jein berühmtes Meiſter— werf, das Thor an der Jeſuitenkirche, das einen herrlichen Sieg über das eijerne Material bedeutet, Hingewiejen.

Das Schloß, das Zeughaus, das Bretzenheim'ſche Palais und zahlreiche Privathäufer befigen ebenfalls lebendig gejtalteten Eiſenſchmuck. Bejonders characteriftiich für die Schmiedekunſt der damaligen Zeit find die unten fich vorichwingenden, reich verzierten Fenſtergitter (Treillen).

Die Urbeiten der Kunjtichmiede Mannheims zur Zeit Karl Theodors jind der größten Werthichägung werth. Welche Kunft iſt da im „Streden* und „Stauchen“, im „Biegen“ und „Anjegen“, im „Ausdornen“ und „Schweißen” entfaltet wor— den, um durch menjchliche Kraft und Geſchicklichkeit das wider- jpenjtige Material zu jolhem Formenreichthum zu zwingen. Wer es jelbjt mit anfieht, wie bei der Schmiedearbeit der ge- waltige Hammer des Schlagenden dit am Kopfe des da3 glühende Eifen Haltenden vorüberjauft, der begreift etwas von der Kühnheit, die die Bewältigung des Eijens erheiſcht. Nur ſolchen Gewalten entiprießen bier Blumen und Blätter... ..

Gleichfalls wurde bereits der Holzbildhauerei gedacht, die

410 Kunitgewerbe und Kunſtſammlungen.

in dem großen Bücherſaale des Schloffes zu Mannheim ihren Slanzpunft erreichte. Wie man mit dem Material zu fpielen verjuchte, zeigen 3. B. die in Holz ausgeführten Imitationen von Giiengittern im Kaufhaus. Auch das Theater in Scweßingen muß hier wieder genannt werden. Zu ben intereſſanten Holzichnigereien jener Zeit gehören auch die kunſt— voll geichnisten Bilderrahmen, die nach Ueberzug mit einer dünnen Gipsjchicht vergoldet mwiurrden und deshalb heute meijt für Studrahmen angejehen werben.

Auf die herrlichen Studarbeiten jener Zeit Mannheims, beionders im Schloffe und im Palais Bretenheim, machten wir hier ebenfalls jchon aufmerkſam.

Ein faſt ganz verjchollenes Gebiet der Kunſt, das heute der Allgemeinheit kaum noch dem Namen nad) befannt ift, zeigte fih damals in der vollen Frucht edeliter Bearbeitung. Es it dies das verhältnigmäßig raſch in Vergeſſenheit gerathene Ge— biet der Geroplaftif, der Wachsbildnerei.

Was heute aus dem gleichen Material, aus dem Wachs noch fabrizirt wird, kann feinen Anſpruch auf irgendwelche fünjtlertiche Bezeichnung mehr erheben. Die heutigen Wachs— arbeiten haben ihren Bereich in den Schaubuden der Mefien, auf dem Weihnachtsmarkt, in Spielmaarenhandlungen und in den Schaufenſtern der Friſirſalons oder Stleiderläden. Höchſtens, daß in Form von Wahsblumen oder Wachsblumenſtöcken ſolche Fabrikate noch zu einem oft recht fragwürdigen Zimmerſchmuck benußt werben.

Bei dem Heranziehen aller erdenklichen ZTechnifen und Stilarten für die Weiterentwidelung der modernen Kunjt und des modernen Kunftgewerbes ift es geradezu erſtaunlich, das jo ergiebige Gebiet der Wachsbildnerei im höheren Sinne des Wortes noch gänzlich vernachläſſigt zu ſehen.

Und deshalb fünnen Meifterwerfe einer einjt jo viel be— deutenden Kunſt heute vielleicht wieder anregend wirken, wenn man jich die Mühe nimmt, fie einer Prüfung zu unterziehen.

Dieje in den Wohnungen ihrer Befiger oft nur als Ur— väterhausrath gehegten Wachsbilder find oft gute Beiſpiele für

Kunſtgewerbe und Kunſtſammlungen. 411

ein werthvolles, in dieſer Beziehung vorbildliches Kunſt— Ichaffen.

Die meiften diejer noch in Mannheim aufbewahrten Wachs» bilder find mit Ausnahme einiger mythologiicher Darjtellungen in Medaillonrahmen eingefaßte Neliefportraits. Die aus ein- farbiger Wachsmaſſe hergeftellten nehmen ſich wie Kopfbilder von Münzen aus. Die im Profil gehaltenen erinnern etwas an die urfprüngliche Art der Brofildarjtellung: an den Schatten- riß, deſſen jeltjam wahr wirfende Erjcheinung fie durch die Lebendigkeit ihrer Formen und Farben noch übertreffen. Im jogenanntem Biscuit angefertigte Medaillonbildniffe, meift wei auf ſchwarzem Grunde, bilden den Uebergang von ben Wach!» bildern zu den Porzellanrelief3.

Die meijten diejer Portraits find nicht höher als 12 Cen— timeter. Aber welche Kunſt iſt auf ſolch' kleinem Raume ent» faltet! Was jede echte Kunſt uns geben joll: aus dem In— nern geichöpfte Wahrheit, bietet jedes dieſer Portraits. Lie zeigen das piychologiich feinste Verſtändniß für die dargejtellten Perſonen; jeder charakterijtiiche Zug iſt richtig erfannt und mit großer Gewiffenhaftigfeit wiedergegeben. Und doch iſt allem die eigenartig zierliche Kunſtweiſe jener Zeit aufgeprägt.

Die ganze Liebenswürdigfeit und Intimität des damaligen Tamilienlebens breitet einen verflärenden Schimmer über die bier jcharf und Kar veranjchaulichte Menjchenwelt. Eine ganz wunderbare Feinfunft wird dabei auch in der Wiedergabe der Koſtüme, der Uniformen, Spigenfleider, Haarfrijuren, Schmuck— jachen u. ſ. w. bemiejen.

Welcher von den zwei verjchiedenen Arten ber Herjtellung diejer Wachsbilder das einzelne Werk feine Entjtehung ver- dankt, ift jchwer zu erfennen. Bei der Kleinheit der Arbeiten it es kaum fejtzuftellen, ob ein jolches Wachsbild bojjirt (von dem altdeutichen boß-rund) d. h. mit ben Fingern oder Elfen» beingriffeln geformt oder in eine bereit3 vorhandene Form ges goffen worden ift. Die gegofienen Werfe mögen etwas glätter ericheinen als die bojfirten, obwohl auch dieje durch vorfichtiges

412 Kunftgewerbe und Kunftiammlungen.

Üeberjtreichen mit reftifizirtem ZTerpentinöl von allen Rauhig— feiten befreit werden fonnten.

Di Die Verwendung des Wachſes zu dieſen Arbeiten, wie überhaupt dieje ganze Kunjt rührt hier in Mannheim daher, dat die Wachsbojiirer der Frankenthaler Porzellanfabrit fich nebenbei auch mit Portraitiven beichäftigten und fich dazu des gleichen Materials, des Wachies, bedienten, mit dem fie nun einmal als Berfertiger der Modelle zu den PBorzellanjachen zu arbeiten gewohnt waren. Cine Vervielfältigung ſolcher ‚samilienportrait3 wurde jelbjtverjtändlich nicht verlangt, ſodaß e3 zumeijt bei der erjten Ausführung, bei dem bojfirten Wachs- bild verbleiben konnte, höchſtens, daß noch der eine oder andere Abguß als ein Gejchent für Verwandte gewünjcht wurde, auf den jedoch die Farben wieder neu aufgetragen werden mußten. Auf diefe Weiſe jcheint fich diefe Kunft hier zur Selbitftändig- feit ausgebildet zu haben. Dazu fam nod, daß durch den Banferott der Frankenthaler Porzellanfabrif die einzelnen Wachsboſſirer darauf angewieſen waren, ihre Kunſt jelbtftändig auszuüben.

Als Künftler auf dem Gebiete der damaligen Wachsbild— nerei in Mannheim werden heute noch genannt: Georg Jgnaz Hinel, Heuberger, Brechter, Scholl, Joſef Zöller. Ihnen wird auch ein Freund Goethes, der Bildhauer Johann Peter Melchior, geb. zu Lintorf bei Düffeldorf, zugezählt.

Unter diejen bat ich der zuerjt Genannte in Mannheim am regiten bethätigt.

Georg Ignaz Hinel hat hauptjächlih die Wachsbildnerei auf dem Gebiete des Portraits in der Stadt Mannheim zu großer Vollendung gebradt. Er ijt 1764 als Sohn des 1783 geitorbenen Porzellanmodelleurs Ignaz Hinel in Frankenthal geboren. Seine Thätigfeit läßt ſich noch bis in die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts verfolgen, und ein Selbjtportrait in Wachs zeigt den Künjtler in gejegtem Alter.

Doch ehe wir hier weiter auf das kunſtgewerbliche Schaffen jener Zeit eingehen, jei den Hauptgrundlagen der Fünftlerijchen

Kunstgewerbe und Kunſtſammlungen. 413

und wifjenjchaftlichen Bethätigung des damaligen Mannheim: den hervorragenden Sammlungen, eine nöthige Betrachtung ge— widmet.

Im Vordergrund ftand damals der berühmte Antifen-Saal.

Der Antifen-Saal gelangte zu großer Bedeutung für die Entwidelung deuticher Kumjtwilfenichaft und für die Ermög: fihung tiefer Kunjteinfichten. Die beiten Werfe der floren- tiniichen und römischen Sammlungen waren bier in jorgfältig hergeitellten Abgüffen vereinigt. Verſchaffelt Hatte alle Die bier befindlichen Abgüffe, die größtentheil von Düfjeldorf nad) Mannheim überführt worden waren, gejammelt und unter jeine Obhut gebracht. Wenn er dies auch mehr zu jeinem eigenen Nuten gethban haben mag, konnte er doch das Studium in diefen Sälen nicht erjchweren und jo hatten die bier jtudirenden Künftler einen unberechenbaren Vortheil davon. Die Statuen waren in einen 1767 erbauten jchön und praftifch gejtalteten und mit der Zeichnungs-Akademie verbundenen Saal aufgeftellt, Echiller Hat im erften Hefte jeiner „Ihalia* 1785 eine eingehende Bejchreibung dieſes Antifenfaales veröffentlicht.

Durch Herder war Goethe auf dieje Kunftichäke aufmerk— jam gemacht worden. In Mannheim gewann er die eriten großen, vielumfailenden Einblide in das Kunftichaffen der klaſſiſchen Zeit. Dier jah er zum erjten Mal die ganze, im Mittelpunfte der damaligen Kunjtbetrachtung jtehende Laokoon— gruppe. In Leipzig hatte er nur die Statuen des Laofoon (Vater) allein zu jehen befommen, im Antifenjaal zu Mann heim befand jich dagegen ein Abguß der volljtändigen Gruppe mit den Gejtalten der Söhne des Laofoon.

Die Schilderung des großen Erlebnijjes von Goethe jelbit darf in einer Geichichte Mannheims nicht fehlen. Ste bildet den Schluß des elften Buches von „Wahrheit und Dichtung“ und lautet:

„sn Mannheim angelangt, eilte ich mit größter Begierde, den Antifenjaal zu jehen, von dem man viel Rühmens machte. Schon in Leipzig, bei Gelegenheit der Winfelmann’jchen und

414 Kunitgewerbe und Kunftiammlungen.

Leifingihen Schriften, hatte ich viel von dieſen bedeutenden Kunstwerken reden hören, dejto weniger aber gejehen; denn außer Laofoon dem Vater und dem Faun mit den Srotalen befanden ſich feine Abgüffe auf der Alademie, und was uns Oeſer bei Gelegenheit diejer Bildnifje zu jagen beliebte, war freilich räthjelhaft genug. Wie will man aber auch Anfängern von dem Ende der Kuuſt einen Begriff geben ?

Direktor Berjchaffelts Empfang war freundlid. Zu dem Saale führte mich einer jeiner Gejellen, der, nachdem er mir aufgejchlojfen, mich meinen Neigungen und Betrachtungen über- ließ. Hier jtand ich nun, den wunderjamften Eindrüden aus- gejegt, in einem geräumigen, vieredten, bei außerordentlicher Höhe fait fubiichen Saal, in einem durch Fenſter unter dem Geſims von oben wohl erleuchteten Raum: die herrlichſten Statuen des Alterthums nicht allein an den Wänden gereiht, jondern auch innerhalb der ganzen Fläche durch einander auf- geitellt; ein Wald von Statuen, dur den man fich durch— winden, eine große ideale Volksgeſellſchaft, zwiichen der man fi durchdrängen mußte. Alle dieje herrlichen Gebilde Fonnten duch Auf und Zuziehen der Vorhänge in das vortheilhaftefte Licht geitellt werden; überdies waren jie auf ihren Poſtamen— ten beweglich und nad Belieben zu wenden und zu drehen. Nachdem ich die erſte Wirkung diejer unwiderftehlihen Maſſe eine zeitlang geduldet hatte, wendete ich mich zu den Gejtalten, die mich am meiſten anzogen,; und wer fann leugnen, daß poll von Belvedere durch feine mäßige Koloffalgröße, den ihlanfen Bau, die freie Bewegung, den fiegenden Blick auch über unjere Empfindung vor allen andern den Sieg davon- trage? Sodann wendete ich mich zu Laofoon, den ich hier zuerjt mit feinen Söhnen in Verbindung ſah. ch vergegen- wärtigte mir jo gut al® möglich das, was über ihn verhandelt und geftritten worden war, und juchte mir einen eigenen Ge— fichtspunft; allein ich ward bald da» bald dorthin gezogen. Der fterbende Fechter hielt mich lange feit, bejonders aber hatte ich der Gruppe von Kaſter und Bollur, diejen foftbaren,

Kunſtgewerbe und Kunſtſammlungen. 415

obgleich problematiſchen“) Reſten, die ſeligſten Augenblicke zu danken.

Ich wußte noch nicht, wie unmöglich es ſei, ſich von einem genießenden Anſchauen ſogleich Rechenſchaft zu geben. Ich zwang mich zu reflektiren, und ſo wenig es mir gelingen wollte, zu irgend einer Art von Klarheit zu gelangen, ſo fühlte ich doch, daß jedes einzelne dieſer großen verſammelten Maſſe faß— lich, ein jeder Gegenſtand natürlich und in ſich ſelbſt bedeutend ſei. Auf Laokoon jedoch war meine größte Aufmerkſamkeit gerichtet, und ich entſchied mir die berühmte Frage, warum er nicht ſchreie, dadurch, daß ich mir ausſprach, er könne nicht ſchreien.

Alle Handlungen und Bewegungen der drei Figuren gingen mir aus der erſten Konzeption der Gruppe hervor. Die ganze, jo gewaltſame als kunſtreiche Stellung des Haupt— fürpers war aus zwei Anläffen zujammengejeßt, aus dem Streben gegen die Schlangen und aus dem Fliehen vor dem augenblidlichen Biß.

Um dieſen Schmerz zu mildern, mußte der Unterleib ein- gezogen und das Schreien unmöglich gemacht werden. So entjchted ih mich auch, daß der jüngere Sohn nicht gebiffen jet, und wie ich mir jonft noch das Kunſtreiche diejer Gruppe auszulegen juchte. Ic jchrieb hierüber einen Brief an Dejer, der aber nicht jonderlich auf meine Auslegung achtete, fondern nur meinen guten Willen mit einer allgemeinen Aufmunterung erwiderte.

Ich aber war glüdlich genug, jenen Gedanken feitzuhalten und bei mir mehrere Jahre ruhen zu laſſen, bis er fich zulett an meine jämmtlichen Erfahrungen und Ueberzeugungen an— ichloß, in welchem Sinne ich ihn jodann bei Herausgabe der „Propyläen“ mitteilte.

Nach eifriger Betrachtung jo vieler erhabener plaftijcher Werke jollte es mir auch an einem Vorgeihmad antiker Archi—

*) Weil legtere Gruppen unrihtig als Schöpfungen des Phidias und Polyklet bezeichnet wurden.

416 Kunftgewerbe und Kunſtſammlungen.

teftur nicht fehlen. Ich fand den Abguß eines Kapitäls der Rotonde,*) und ich leugne nicht, daß beim Anblid jener jo un» geheuren als eleganten Afanthblätter mein Glaube an die nordiiche Baukunſt etwas zu wanfen anfing. Diejes große und bei mir durch's ganze Xeben wirkende Schauen war demnach für die nächſte Zeit von geringen Folgen. Wie gern hätte ih mit diejer Darjtellung ein Buch angefangen, anitatt daß ih’3 damit ende! Denn faum war die Thür des herrlichen Saals Hinter mir gejchlofjen, jo wünjchte ich mich jelbjt wieder: zufinden, ja ich juchte jene Gejtalten eher als läjtig aus meiner Einbildungskraft zu entfernen, und nur erjt durch einen großen Ummeg jollte ich in diejen Kreis zurüdgeführt werden, Indeſſen iſt die jtille Fruchtbarkeit jolher Eindrüde ganz um: ihätbar, die man geniegend ohne zeriplitterndes Urtheil in fi) aufuimmt. Die Jugend ijt dieſes höchſten Glüds fähig, wenn fie nicht kritiſch jein will, fondern das Vortreffliche und Gute ohne Unterjuhung und Sonderung auf fich wirfen läßt.“**) *) Des Pantheons zu Nom.

**) Hier fei gleich nebenbei Goethes Erzählung einer anderen Epiiode eines ipäteren Aufenthalts des Dichter in Mannheim auf feiner Neife mit den Stollbergs nad Jtalien wiedergegeben eine Erzählung, die aller: dings auf Wahrheit und Dichtung beruhen dürfte: „Schon auf dem Wege nah Mannheim zeigte fich ungeachtet aller guten und edlen gemeinjamen Gefühle doch ſchon eine gewilfe Differenz in Gefinnung und Betragen. Leopold Stollberg äußerte mit Leidenschaft: wie er genöthigt worden, ein herzliches Liebesverhältnig mit einer jchönen Engländerin (Sophie Hanbury) aufzugeben, und deswegen eine jo weite Reife unternommen habe. Wenn man ihm num dagegen theilnehmend entdedte, daß man ſolchen Empfins dungen auch nicht fremd jei, jo brady.bei ihm das grenzenlofe Gefühl der Jugend heraus: feiner Yeidenjchaft, feinen Schmerzen, jowie der Schön: heit und Liebenswürdigkeit feiner Geliebten dürfe fih in der Welt nichts gleichſtellen. Wollte man ſolche Behauptung, wie es ſich unter guten Gejellen wohl geziemt, durch mäßige Rede ins Gleichgewicht bringen, io ſchien fich die Sache nur zu verichlimmern, und Graf Haugewig wie aud) id) mußten zulegt geneigt werben, dieſes Thema fallen zu laſſen. Ans gelangt in Mannheim, bezogen wir fhöne Zimmer eines anftändigen Gajt: hofes, und beim Deffert des erjten Mittagsefjens, wo der Wein nicht war

Raugräfin Cuiſe von Degenfeld.

Nach einer im Jahre 1677 geprägten Mänze (Durchmeſſer 47 mm) aus der Sammlung des Heren Uuguft Herricel in Mannheim,

Kunstgewerbe und Kunſtſammlungen. 417

Goethe empfand deutlich, daß die Beichäftigung mit ben antiten Bildwerfen von jüngeren Künjtlern mit einer gewiljen Vorſicht geübt werden müſſe. Es iſt, als bemerfe er etwas von den Abfichten, die Verſchaffelt mit der Aufitellung diefer Bildwerfe verband. Nicht dem lebendigen Schaffen der Zeit und feiner Jugend wollte Goethe jozujagen ein Bein stellen laſſen, jondern er wollte nur die richtige geiftige Stimmung ab» warten, um aud für jein Dichten und Leben daraus hohe Schönheit zu ſchöpfen.

Der Antikenſaal war mit der ſchon erwähnten kurfürſt⸗ lichen Zeichnungsakademie verbunden, der unglücklichſten Schöpfung jener Kunſtzeit Mannheims, da ihr Leiter nichts weniger er— ſtrebte, als neben ſeiner Selbſtherrlichkeit anderen Talenten die Wege zu ebnen. Selbſt die Lehrer dieſer Anſtalt, K. Heinrich Brandt, der zugleich Secretär des Inſtituts war, Leydensdorf, Verhelſt, die Malerin Treu, Kobell u. A. hatten gleichſam die rauhe Hand ihres Directors und deſſen Aerger und Verdroſſen— heit über das ganze Inftitut zu fühlen. Es hieße die Kunjt- geihichte carikiren und Zeit und Mühe an etwas Unnöthiges, Ueberflüffiges verjchwenden, wollten wir uns bier länger mit den kurfürſtlichen Holz, Lichte, Bindfaden- und Siegellad- Lieferungen bejchäftigen, die diejes fragwürdige Injtitut nad zahlreichen Aktenjtüden erhalten. Lafjen wir es bahin geftellt,

geihont worden, forderte uns Leopold (Stollberg) auf, feiner Schönen Gefundheit zu trinken, welches denn unter ziemlichem Getöfe geihah. Nach geleerten Släfern rief er aus: „Nun aber ift aus jolchen geheiligten Bechern fein Trunk mehr erlaubt; eine zweite Gejundheit wäre Entweihung, des— halb vernichten wir diefe Gefäße!” und warf jogleich fein Stengelglas Hinter fich wider die Wand, Wir anderen folgten, und ich bildete mir denn doch ein, ald wenn mich Merk (Anm. der dieſe Reife mit den Stoll bergs als einen „dummen Streich” bezeichnet hatte) am Kragen zupfte. Allein die Jugend nimmt das ans der Kindheit mit herüber, daß fie guten Gejellen nichts nadträgt, daß eine unbefangene Wohlgewogenheit zwar unangenehm berührt werden kann, aber nicht zu verlegen iſt. Nach— dem die nunmehr al3 englisch angeiprochenen Gläſer unfere Zeche verftärkt hatten, eilten wir nad) Karlsruhe getroft und heiter, um uns zutraulich und ſorglos in einen neuen Kreis zur begeben.”

Deier, Belhichte ber Stadt Mannheim, 47

418 Kunftgewerbe und Kunſtſammlungen.

ob einige Schüler infolge oder trog dieſes Inſtituts tüchtige Künjtler wurden. Als 1793 der vortreffliche Peter Lamine bie Zeitung der Afademie übernahm, war e3 durch die eintreten- den SKriegdereigniffe zu jpät zu einem Aufihwung und nad diejen Ereigniſſen vermochte auch Karl Kung eine Rettung ber Anſtalt vor gänzlichem Verfall nicht zu erreichen.

Was den Schülern auf der Akademie fehlte, das konnte ihnen ein amderes Inſtitut im reicher Fülle bieten und damit vielen Mangel ausgleichen: die kurfürſtliche Gemäldegallerie, die zu den beiten Sammlungen jener Zeit gehörte. Hier boten 644 Gemälde, die neun prächtige Säle füllten, lebensvollfte Kunft Hervorragenditer Meiſter aller Zeiten. Neben ben italieniſchen Schulen war bejonder8 auch die nieberlänbifche Malerei durch erjte Werfe vertreten, von denen heute noch eine Anzahl fich Hier befinden.

Dieje Niederländer jprachen zu den jungen Künftlern und Schülern wie das Leben jelbjt, fie öffneten ihnen die Augen für die Schönheit der Wirklichkeit und zahlreiche Kopien des Malers Müller nah Wouvermann und die Stiche bejonders des jungen Wilhelm Kobell und Karl Kung bewiefen, wie das Studium der niederländiichen Malerei der damaligen Kunftbe- wegung entgegenfam, Als Intendant der Gemäldegallerie wird Graf Savioli bezeichnet. Director waren nacheinander die Maler Johann Franz von Schlichten, Staffen und Ferdinand Kobell. Lebterer fungirte noch als Director der „Mannheimer Galerie“, als Diejelbe auf Nimmerwiederfehr bereit? nad) München verbradht worden war.

Ueber einen Bejudh der Gallerie und der Schloßräume gibt 1791 Sophie von La Roche in ihren Briefen über Mann- heim folgende lebhafte Schilderung:

„Sc habe gejtern mit meinem Veritand und meinen Sinnen wieder einen großen Weg zurüdgelegt denn id Habe in Mannheim die Gallerie die Churfürjtlihe Zimmer und den Antiquenſaal mit einer Freundin bejucht, und den Tag in dem Concert geendigt; hatte aljo in dem erſten malerijchen

Kunftgewerbe und Kunftiammlungen. 419

Kleidungsgeihmad der legten Jahrhunderte, in dem Antiquen- jaal den bey Göttinnen, Nymphen, Kayjerinnen und griechiichen Damen vor Jahrtaufenden üblichen Puz und Abends bey der Mufit die Erfindungen und been des Schönen ber heutigen Weiberwelt vor mir; ein heller Tag, und gute Gejell ſchaft hatte mich erheitert ich bemerkte in der Gallerie auch manches, das ich in den erjten Bejuchen überjah und be= diente mich dabey des Freyheitsbriefes, welchen der berühmte und liebenswürdige Engländer Gregoris uns gegeben, al3 er jagte: Scharfer Berftand ift bey weiten nicht die einzige Eigen- ihaft der Eritif in Werfen des Gejchmads das Herz hat bier öfter mehr zu thun, als der Kopf. Ich fand aber aud), was Laune vermag; denn ich würde heute das Bild von Velasquez nicht gewählt haben, welches mich das erjte mal io ſehr anzog . . . ..

Näher bey der Wahrheit und der Natur (als einige vor— her noch beſprochene Gemälde) iſt das Bild der Caritas Romana in den Churfürſtlichen Zimmern, welche ihren zum Hungertod verdammten Vater, mit ihrer Milch ernährte: ſchön hat der Maler, dejjen Namen man mir nicht jagen fonnte, diefen Zug findlicher Liebe und Menjchheit dargejtellt und jehr wahr läßt er der Tochter ihren Kopf jeitwärt3 wenden, während der Bater jaugt da jonjt immer die Mutter auf ihr Kind blickt; aber ein Vater an der Bruft ijt eine jo wider- natürliche Sache, daß das Abwenden de3 Auges ganz wahre Bewegung wird: doc) hätte ich gewünjcht, daß ihr Kopf, jtatt der Bänder in den Haaren, einen Schleyer trüge, weil es dem unglüdlihen Zujtand des Baterd, und der Handlung der Tochter angemejjener wäre.*)

Die Caryatiden, welche das Marmorgefimje eines großen alten Camins tragen, erjchienen mir als treifendes Sinnbild weiblicher Geduld, da fie mit ruhigen Geſichtszügen, und in— einander gejchlungenen Armen gelaſſen, aber aufrecht und ent-

*) Tiejes Bild befindet fich jegt in der Großh. Gallerie zu Mann— heint. ö 97%

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ſchloſſen die Laſt tragen, welche das Schickſal ihnen auf— 1

In den Tapeten den filbernen Gejtellen der Canapees, Tiihen und Stühlen eines Zimmers, den Wanbdleuchtern, Spiegelrahmen und Gueridons von dieſem Metall, liegt alte Fürſtenpracht und alter Kunſtgeſchmack, welcher in den Wandleuchtern des Audienzzimmers fich jchön und edel zeigte.

Die Tapeten des großen Vorzimmers freuten mich für die Kammerherrn, indem fie ihnen die vier Jahreszeiten vorjtellen, wodurch diefe Herren, welche jo oft über die lange Weile in diefen Stuben Hagen, eine Unterhaltung finden können, be— ſonders wenn fie dabey die Gedichte des Rouget Thomſons Kleiſts, und des Abbe de Lille leſen wollten, jo würde ihnen der Aufenthalt in diefem Zimmer angenehm und nüzlıd) werben; jezo wiederhallt der Fußtritt einzelner neugieriger Fremden in dem großen jchönen Pallaft. Drofligt und auf« fallend jchien mir die Frage Warum die Bildjäulen ver: Ihiedener Tugenden, auf dem Gefimje einer Altane, den Bes wohnern des Hauſes den Rüden aufehrten? Artig war Die Antwort eines Hofmanns Gie fliehen aus Verzweiflung aus dem von ihrem geliebten Fürſten verlaffenen Ballaite. Schön it des jchäzbaren Künſtlers Melchior von Franken— thal, auf diefe Begebenheit ausgearbeitetes Bild."

Neben der Gemälde-Gallerie wies auch das Handzeichnungs- und Stupferftichceabinet, das die Inſpectoren Schmidt und Pichler verwalteten, werthvolle Kunjtihäge auf. Für diejes Cabinet hatte Karl Theodor von Baron von Stojh 487 Driginalzeich- nungen bedeutender Meifter (darunter auch Rafael) um den Preis von 2—3000 Gulden erworben. Die Kupferſtichſamm— lung, die circa 400 Bände in Folio zählte, hatte der Maler Lambert Krahe eingerichtet und Meijter-Blätter aller Schulen und Zeiten mit großer Regſamkeit erworben. Beide Samm- lungen befinden fich jegt in München, während Mannheim die Klein’ihen Sammlung zum Erjag erhielt.*)

*) Die reihhaltigite Sammlung fpeziell von Stihen Mannheimer N

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Das furfürftlihe Antiquitäten-Cabinet wurde im Jahre 1763 zugleich mit der Akademie der Wiſſenſchaften begründet. Die Direction des Muſeums übernahm der Secretär der Akademie Hofrath Andrea Lamey, der über die Erwerbungen und Funde in den Acta academiae Theodoro-Palatinae ein- gehende Berichte veröffentlichte. Einen Hauptbeitandtheil diejer Sammlung bildeten in der Folge die römiſchen Denfiteine, Gleich im Gründungsjahre des Mujeums, rejp. der Akademie fonnte man vier werthvolle Dentjteine einjtellen. Der eine davon, mit einem „MithrassRelief* ohne Inschrift in rothem Sandjtein joll nad) Freher in Mannheim ausgegraben worden jein. Bunächft diente diejer gefundene Stein um 1613 einem Brunnen vor dem damals neuerbauten Rathhaufe in Mann» heim zur Bierde, dann gelangte er jedenfalls infolge einer kurs fürftlihen Schenkung in den Bilchofspalajt zu Ladenburg, wo er in die Hofmauer eingelaffen wurde, und ſchließlich holte man ihn bei der Begründung des Dofantiguariums im Jahre 1763 wieder nah Mannheim zurüd. 1763, 1767 und 1768 wurden die erjten Heilen zur Auffindung und Erwerbung römijcher Denkiteine unternommen, u. X. nad) Worms, Mainz, Speyer, Heilbronn, Nafjau, Trier, Bonn, Köln, Düfjeldorf. 1794 enthielt die Sammlung 70 jolcher meijt in den Rhein— landen gefundener Denkjteine. Dazu famen etrusfifche Bajen jowie Urnen aus Wlabajter, in Toskana gefunden, Kleine egyp— tijche, griechische und römiſche Statuetten, bejonders in Marmor und Bronze, Statuen und Büjten verjchiedener römijcher Kaiſer und berühmter Männer, Mojaiten, Waffen, Hausgeräthichaften u. U. aus dem Altertum. Glüdlicher Weife ift zum größten Theil diefe Sammlung hier verblieben.

Kunft und Wiſſenſchaft befruchtend wirkte auch das kur—

Meiiter des 18. Jahrhunderts iſt gegenwärtig im Beſitze ded Herrn Rubolf Baſſermann in Mannheim. Mehrere der in unſerer Geſchichte wieders gegebenen Stiche ftammen aus biefer mit großer Sadıfenntni vorzüglich zufammengeitellten Sammlung. (Siehe das Verzeihniß des Bilderſchmuckes dieſes Buches.)

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füritlihe Naturhiftoriihe Cabinet. Die Hier vor Augen ge- führte Thierwelt, die Pflanzen, Mineralien und jeltenen Ber- jteinerungen erweiterten hier den Geſichtskreis des Naturerfennens und gaben der Kunjt und Wiſſenſchaft mand)’ neue Motive. Die Sammlung machte unter Collinis vortrefflicher Leitung die beiten Fortichritte. Die VBerfteinerungen, Mineralien und Meer: pflanzen find vom Kurfürften aus dem Bertrand’schen Mujeum in Bern für 1200 Gulden angefauft worden.

Das mit Geſchick und Kumjt geübte Ausjtopfen der todten Thiere bejorgte nach einer bejonderen Methode Johannes Singenidh, ein Bruder des berühmten Kupferitechers Heinrid) Sintzenich.

Reich an künſtleriſch ſchön gearbeiteten Schmuckſachen war die kurfürſtliche Schatzkammer, als deren Verwalter Geofroi Goẽës genannt wird. Dieſe Schatzkammer ſtieß an das im rechten Schloßflügel befindliche naturhiſtoriſche Cabinet und be= ftand aus zwei mit gläjfernen Schränken ausgejtatteten Sälen. Die Schatfammer und die Miünzjammlung famen bald nad des Kurfürften Abreife nah) München.

Die kurfürftliche Bibliothek kann, wie jchon auf Seite 195—197 ausgeführt wurde, als der Glanzpunkt der Aus» jtattung Mannheimer Sammlung bezeichnet werden. Die zur Zeit Karl Theodors hier aufgejtellte Bibliothef umfahte circa 50000 Bände. Unter der Leitung des Abbe Nikolaus Maillot de la Treille jtehend, deſſen Litteraturfenntniije jehr gerühmt wurden, hatte ſich die Bibliothef und das Archiv raſch zu rejpectabler Reichhaltigkeit entwidelt. Unter den hier bewahrten jeltenen Werfen befand fich die Barijer Ausgabe des „Corpus historiae Byzantinae*, die der Kurfürſt um 600 franzöftiche Lire angefauft hatte. Das Arhiv enthielt u. A. auch eine Copie des „Codex Laureshamensis“, deſſen Herausgabe durch den zweiten Bibliothefar Andreas Lamey jchon oben erwähnt wurde. Als Adjunct wirkte bei der Verwaltung der Biblio: thef Kicchenrath Cafimir Haeffelin mit, der Director des Münz— cabinets.

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Bon der furfüritlichen Bibliothek find Heute nur noch 3000 Bände in Mannheim zurüdgeblieben, alle übrigen Werke und alle Archivalien famen nad) München,

Ein längſt verdienter Erjab für dieſen großen Verluſt wurbe der Stadt Mannheim erjt in neuerer Zeit durch Ein- ftellung einer anderen größeren Biblivthef in den Saal ber jest öffentlichen Bibliothek des Schlofjes zu theil, einer Biblio» thef, die zu gleicher Zeit der Begründung der fusfürjtlichen Bibliothek nah Mannheim rejp. hier zu voller Entwidelung gelangte. Es iſt dies die große Bibliothef des Abbe Desbillong, eines Freundes des Prälaten Maillot de la Treille.

Franz Terraſſe Desbillons (Des Billons) gehört zu jenen für das 18. Jahrhundert charafteriftiichen Vertretern des Jejuiti- mus, die mit großer Wihbegierde in die Geheimnifje des gei— ftigen und weltlichen Lebens einzudringen verjuchten und mit einem gewiljen Raffinement eine interejjante Lebenskunſt ent— falteten. Desbillons war ein großer Gelehrter, geiftreicher Schriftjteller und weltgewandter Lebemann. (Portrait Seite 352.)

Er ift am 25. Januar 1711 in Chäteau-neuf in Frank— reich (Landichaft Berry) geboren. In der Schule zeigte ſich bereit3 jein lebhafter Geiſt und feine Lernbegierde. Schon mit 16 Jahren trat er im Jahre 1727 der Gejellichaft Jeſu bet, die den begabten Jüngling für fi) zu gewinnen wußte Cr wurde nad feinem Studium der Philojophie und Theologie zumächit Lehrer an den Gymnaſien zu Nevers und Caën. In Paris, wo er neben jeiner Lehrthätigkeit in der Rhetorik jeine philojophiichen und theologijchen Studien fortiegte, wurde er zum Prieſter geweiht. Nach furzer erfolgreicher. Thätigfeit als Lehrer in Fleche und Bourges wurde er nad) Paris zurüd- berufen, um hier abgejehen von einer nochmaligen vorüber: gehenden Rückkehr nach) Bourges im Collegium St. Ludwig al3 Oberbibliothefar bis 1762 zu wirken. Hier wurde er durch die Aufhebung jeines Ordens im gleichen Jahre ſchwer betroffen. Ein jo freies Leben er auch in Paris führte, jo hielt er doch mit aller Energie an den politijchen und religiöjen Bielen jeines

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Ordens feit.*) Er mußte in Folge deſſen 1764 Frankreich ver- faffen und wurde von Karl Theodor nad) Mannheim berufen, der auch auf feine Koſten die große, damals jchon über 13 000 Bände zählende Bibliothek des Geflüchteten hierher verbringen ließ. Hier in Mannheim konnte Desbillons in aller Ruhe jeine wiljenjchaftlihen und litterariſchen Arbeiten fortjegen. Karl Theodor hatte an dem geijtreichen, lebensluftigen Mann offenbar Gefallen, er zeichnete ihn durch jeine Gunft aus und lud ihn oft ein, um fich feiner jcherzreichen, heiteren, oft ſtark gepfefferten Unterhaltung zu erfreuen.

Doch das Unglück jeines Ordens verfolgte ihn auch nad) Mannheim, al3 1773 die allgemeine Aufhebung der Geſell— ihaft Jeſu erfolgte. Desbillong erichütterte das Ereigniß tief, allein er blieb Lehrer am Gymnafium zu Mannheim.**) Er ftarb im Alter von 76 Jahren am 19. März; 1789. Zwei Tage vorher Hatte er noch eine Meife gelejen und ruhig war er, verjehen mit den Sterbejacramenten, am Nach— mittag des genannten Tages in jeinem Lehnſeſſel ent»

ſchlafen.

*) In den aufbewahrten Akten der Pariſer Geheimpolizei, die das mals die Jeſuiten fcharf zu beobachten hatte, ift auch der Name Francois Terraſſe Desbillons eingezeichnet.

**) Nach einem Eurfürftlichen Befehle wurden nach Aufhebung der Jeſuiten die Lehritühle gemifcht mit Weltgeiftlihen und Jeſuiten befegt, ſodaß nun je drei Jeſuiten und zwei Weltgeiftlihe bei dem Mannheimer und bei dem Heidelberger Gymnaſium verwendet wurden. Der von Maillot gemachte Vorichlag einer Congregatio Clericoram jcheiterte Zwar, weil das hohe Minifterium und Die Lurfürftliche Landesregierung ganz Übergangen worden war, ber patriotifche Clerus aber wurde von der Führung der Jugend verdrängt, und der Unterricht derfelben dem aus Frankreich bes rufenen Orden der Lazariften (Missio) anvertraut, welche fih im Jahre 1782 anfangs und hauptſächlich in Heidelberg und bald auch in Manns heim, Neuftadbt und Ingelheim niederliegen. Ginen bedeutenden Einfluß wußte fi) dabei der Voriteher Saligot zu verichaffen, der manche Vers wirrungen und Unordnungen herbeiführte, denen vergeblich mehrere tüch- tigere, dem Orden beigetretene deutſche Mitglieder, zu fteuern bemüht waren. (Gräff nach der Geſchichte d. Lazarisınus, Bethania, 1798.)

Kunftgewerbe und Kunftiammlungen. 425

Als Schriftiteller zeigte Desbillons ebenjo wie im gejell- ichaftlichen Verkehr jeinen lebhaften, jprudelnden Gert. Er war viel zu hoch gebildet, um nicht davon überzeugt zu fein, daß im Neiche des Geijtes nur das perjönliche Können und jelb» jtändige Denken enticheidet und nicht das angelernte, unge- werthete Wiſſen. Er bevorzugte es, jeine Gedanken in die anjchauliche Form der Fabel zu Heiden La Fontaine und der römische Fabeldichter Phaedrus waren feine Meiiter. Außerdem verehrte er bejonders noch Terenz ein Beweis feinen Weltverjtändniiies. Wie Phaedrus behandelte er eben» falls äſopiſche Fabeln. Seine erjte Sammlung erſchien zu Glasgow 1754 unter dem Titel „Fabularum Aesopiarum libri quinque* bis nad) verjchiedenen weiteren Ausgaben diejer Collection 1768 jeine große Publikation in zwei Bänden „Fabularum Aesopiarum libri XV* (15 Bücher) mit Kupfer— jtihen von Berheljt in Mannheim herausfam und 1769 aud in Paris (mit nur einem Kupfer von C. Baquoy) aus» gegeben wurde. Cine größere Ausgabe des Phaedrus, Die Desbillons jorgfältig vorbereitet hatte, gelangte nicht zur Ver— öffentlichung, angeblich, weil die beigegebenen Kupfer anjtößig gewejen jeien. Dafür gab Desbillons 1786 in Mannheim die fünf Bücher Nejopiicher Fyabeln des Phaedrus mit Noten und Erklärungen verjehen für den Schulgebrauch heraus. Etwa 10 Jahre zuvor waren aud) die „Fables du pere Des Billons“ mit dem beigedrudten Lateinischen Tert in's Franzöſiſche über- jet zu Mannheim erjchienen. Neben diejen Werfen einer (ebensvollen Poeſie verfaßte Desbillong auch vecht gedanfen- reiche und feingejchriebene biographiihe Schriften „Nouveux Eelaircissements sur la vie et les &uvres de G. Postel, Liege 1771, und „Histoire de la vie chretienne et des exploits militaires d’Albert Barbe d’Ernecourt, connue sous le nom de Madame de Saint Balmont, Liege 1773“, Außer: dem jprach jich die rege litterariiche Thätigfeit Desbillons’ in zahlreichen lateinischen Gedichten, jowie in Kritifen (beſonders über Voltaire und Bayle) und Ueberjegungen aus dem Latei— nischen aus. Desbillons iſt nebenbei bemerft auch ber

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Berfafjer der Inichriften auf der alten Brüde zu Heidelberg, die fich auch in feinem Buche „Ars bene valendi“ (Heidelberg 1788) vorfinden. Ein Theil feiner nachgelafjenen Werke er: jhien 1792 unter dem Titel „Miscellanea Posthuma* (2 Bde.) im Verlage des Bürgerhofpital3 zu Mannheim und wurde durch eine biographiiche Skizze über den PVerfafjer nad) Maillot de la Treille eingeleitet.

Eine Zeit lang trug fi) Desbillons mit dem Plan, eine fritiiche Litteraturgefchichte zu fchreiben. Diefer Plan ftand im Zuſammenhange mit ber großen Bibliothef, die er vielleicht hauptjächlich für dieſen Zweck geichaffen.

Dieſe Bibliothek, zulegt circa 16000 Bände enthaltend, jpiegelt das große umfaſſende Willen, die große Wihbegierde und die außerordentliche Bücherfenntniß des geiltvollen Baters. Nach feinem Teſtament war bejtimmt, daß die Sammlung ber furfürjtlichen Bibliothek einverleibt werden jolle; er hatte jedenfalls für ihre Aufftellung den prächtigen Saal des Schlofjes im Auge. Allein jein Wunſch jollte erft nach nahezu 100 Jahren in Erfüllung gehen. Da die furfürftliche Bibliothek nad München wanderte und eine ausdrüdliche Beſtimmung beftand, dat die Bibliothef Desbillons an ihrem Orte in Mannheim verbleiben müffe, jo ließ man jie zunächit im Jeſuitencollegium und Lyceum und vereinigte fie mit der ebenfalls dort aufbe- wahrten Sammlung des Collegiums. Erſt im Jahre 1870 gelangte fie vereinigt mit der letzteren Sammlung in den präch— tigen Saal der jegigen „Deffentlichen Bibliothek“ im Schloſſe.

Schon in Paris hatte Desbillons bis zum Jahre 1762 etwa 13000 Bände gejammelt. In Mannheim fette er die Ermwerbung durch reihe Correipondenz mit guten Quellen fort und bier vermehrte er den Biücherbejtand jeiner Bibliothef um 3000 Bände. Seltene theologiishe und philofophiiche Werke, über ein halbes Hundert Incunabeln, bei. frühe Ausgaben von lateinischen Klaſſikern, erſte Drude italienischer und jpanischer Litteratur u. U. m. geben diejer Bibliothek einen außergewöhn- lihen Character. Auch die intime Weltkenntniß ihres Be— gründers bringt diefe Sammlung zum Ausdrud mit nicht

Kunftgewerbe und Kunſtſammlungen. 427

wenigen Schriften, die in geheime Falten der Weltgeſchichte und des Lebens blicken laſſen.

Friedrich von Weech theilt in ſeiner beſonders auch für die Geſchichte Mannheims wichtigen Schrift ‚Römiſche Prälaten am Deutichen Rhein“ aus den Aufzeichnungen des von der römischen Kurie gejendeten Grafen Franz Iofeph Garampi, der übrigen? auch Ehrenmitglied der Mannheimer Akademie ber Wiſſenſchaften war, folgendes mit:

„P. Billon, ehemals Bibliothefar des großen Jeſuiten— collegiums3 in Paris, hatte feine eigene Bibliothek, die etwa 6000 Bände enthielt, mit ſich nach Mannheim gebradt. Es befinden fich darunter ein Dante in italienischer Sprache mit vielen eigenhändigen Randglofjen von Menagio, die Briefe von Johann von Saliebury und von Stephan dv. Tournay mit eigenhändigen Varianten und Randgloffen von Baluze, unediert und jehr interefjant durch die Richtigftellung vieler Eigennamen und die Erläuterung jchwieriger Stellen. Billon jagte, Die „Nouvelles de la R&publique des lettres* von 1684—1689 jeien von Peter Bayle und gälten als eine der beiten Zeit- ihriften nad) dem „Journal des Savants“; ferner die Aus- gaben des Cäſar vor 1500 feien jehr jelten, die ſämmtlichen Bibliographien von Elere in 84 Bänden fünne man in Paris um etwa 100 Livres kaufen. Garampi jah auch die Briefe des franzöftichen Gejandten in Rom zur Zeit Gregor3 XIIL., Paul de Foir, in einem Quartband.“

Einige der werthvollften Bücher find jedenfalls dem kur— fürftlihen Befit einverleibt worden; doc find, mie gejagt, werthvolle Drude noch in beträchtlicher Zahl in der Sammlung jelbft verblieben.

Die kurfürftliche Bibliothef war bejonders reich an künſt— leriſch-ſchön gearbeiteten Bucheinbänden, wie dies auch die noch) hier vorhandenen Bände zeigen. Dieje Bucheinbände find kunſt— gewerbliche Arbeiten vorbildlichjter Art.

Doch das führt uns auf das Kunſtgewerbe dieſer Zeit zurüd, das auf fait allen Gebieten außergewöhnliches leiſtete.

Feinſte Seidenfticereien, prächtige Cojtüme, geſchmackvollſte

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Juwelierarbeiten mit funftvoll gejchnittenen Steinen und ſchön gejchliffenen Diamanten ließen die damalige Gejellihaft in einem auf echten Schmud beruhenden Glanz ericheinen.

Zulegt müſſen wir noch eines Kunſtgewerbes ge= denfen, das im 18. Jahrhundert entjtand und jeine Blüthe er— (ebte, um bis zum heutigen Tage nicht wieder erreicht zu wer— den. Diejes Kunjtgewerbe, das der Tüpferei weitejten Spielraum gab und fie über die gewöhnlichen Grenzen Hinaushob, war die Borzellan-Arbeit. Eine ganz neue Welt der Kleinkunſt ent- ftand durch Johann Friedrich Böttchers Erfindung des Por— zellans. An die erſte Fabrik in Meiken, die etwa zwanzig Jahre nah dem 1819 erfolgten Tode Böttcher in Blüthe jtand, jchloffen jich bald andere Fabrifen an jo vor allem auc Frankenthal, die damalige große Fabrikſtadt der Pfalz.

Eine ausführliche Bejprechung diejer Fabrik gehört in eine Geihichte der Stadt Frankenthal. Hier joll nur kurz einige Hauptpunkte diejer vor Allem nad) Mannheim hinüberjpielenden Kunjtbethätigung angeführt jein, Die Fabrik war von Paul Anton Hannong im Jahre 1755 in Frankenthal unter den am 26. Mai diejes Jahres ertheilten furfürftlichen Privilegium be» gründet. Hannong erhielt aud) vom Kurfürjten einen Vorſchuß von 1500 Gulden, und es wurde ihm eine Verfaufsjtätte im Kaufhaus zu Mannheim gewährt. Schon im November 1755 fonnten Arbeiten, die den Stempel P H trugen, in Berfauf gebracht werden. Die Erde jtammte aus Alzey, Dürkheim und PBafjau. Im Jahre 1759 wurde ein Sohn Hannongs, Jojeph Adam Hannong Leiter der Fabrik. Als ein vorzüglicher Künftler auf dem Gebiete der Porzellanarbeit hoffte er den Betrieb der Fabrik rajch fürdern und einen geiteigerten Abſatz der Arbeiten erreichen zu können, allein troß der Vorzüglichkeit jeiner Arbeiten wollte ſich ein rechter Erfolg nicht einjtellen. Er verkaufte deßhalb die Fabrik für 50804 Gulden an ben Kurfüriten Karl Theodor, der fich von der eigenen Verwaltung einen Aufihwung der Fabrik veriprad).

Die Fabrik zählte im Jahre 1775, wo jie relativ am Beiten ftand, nad) einem Bericht der Fabrikcommiſſion („Kurze

Kunſtgewerbe und Kunjtiammlungen. 429

Borjtellung der Indujtrie in den drey Haupt-Städten der Chur: fürftlihen Pfalz" Frankenthal 1775) 180 thätige Angeſtellte. E3 waren dies: der Director Adam Bergbold, der Inſpector Simon Feylner, die Condirectoren Martin Stephan Lang, Ludwig Lynder, Michael Monné jowie 33 Boffirer, 61 Maler, und 86 andere Arbeiter (Dreher, Brenner, Glafirer u. ſ. w.).

Der furfürftliche Commiſſarius war ber Geh. Regierungs- rath und Oberappellationsgerichtsrath Joſeph von Geiger in Mannheim, dem Commiſſionsſecretär Mayer zur Seite ftand. Die Oberdirection führte über die Fabrik als kurfürſtliche An- ftalt jelbftverftändlich das Mintjtertum.

War die zweite Fabrifmarfe unter I. Adam Hannong die Beichnung eines aufrecht jchreitenden Löwen gewejen, jo wählte fich die kurfürftliche Fabrik ein verichlungenes CT (Monogramım des Kurfürften) zur Bezeichnung ihrer Arbeiten.

Die Fabrif wurde nad) jchweren Bedrängniffen in den Kriegszeiten und harten Kämpfen um ihre Eriftenz im Jahre 1800 auf Beitimmung des Kurfürſten Mar Jojeph mit der Nymphenburger Fabrik vereinigt.

Als Baden die Regierung der Pfalz übernahm, follte auch das im Mannheimer Kaufhaus noch beitehende Waaren- lager der eingegangenen Frantenthaler Fabrik geräumt werben. Bei der dazu vorgenommenen Verfteigerung ging ein Theil der auf 80000 Gulden geſchätzten Waaren etwa nur zu einem Sechstel des Preijes weg, die übrigen übernahm der badijche Hof zum Zehntel-Preis nur, um die Sache zu jchneller Erledi- gung zu bringen. Die Zeit war Verkäufen auf fünftleriichem Gebiete nicht mehr günjtig.

Die Arbeiten der Frankenthaler Fabrik hatten gleich von Anfang an den Beifall der Kenner gefunden; fie fünnen neben guten Arbeiten anderer Fabriken in ihrer Eigenart bejtehen. Leider kam auch dieje feine Kunſt fange Zeit für die Allge- meinheit in Vergeflenheit und nur wenige Kenner und Kunſt— freunde*) erhielten bier in Mannheim durch reihe Sammlungen

*) Gegenwärtig beionders die Herren Jean Wurz und Sarl Baer.

430 Aunftgewerbe und Kunftiammlungen,

in Heinem Kreiſe den Sinn für diefe vornehmen künſtleriſchen Arbeiten,

Dieje Kleinkunſt, die das Haus mit ihrer Grazie erfüllte, lenkte in ungezwungenjter Weije auf eine feine Kunjtpflege überhaupt Hin. Geichmadbildend und den Sinn verfeinernd gewirft zu haben, ift ihr unbejtreitbares Verdienſt. Alle Ver- juche, diefe Kunſt in größeren Formen zu üben, jcheiterten, fo auch Kendlers Unternehmen in Meißen, eine lebensgroße Statue des ſächſiſchen Kurfürjten in Porzellan auszuführen, und aud) der chineſiſche Borzellanthurm in Nanfing und andere chinefische Porzellanarbeiten fünnen bier nicht in Frage fommen. Nein, gerade Kleinfunft erreicht Hier jpielend Großes. Werthvoller noch als die reizenden Schäferidyllen und mythologiichen Dar: jtellungen waren die lebenswahr geitalteten Genrejcenen und Handwerfer- und Arbeiterdarjtellungen, die aus dem unmittel- barjten Leben der damaligen Zeit geichöpft wurden und nicht nur decorativen Schmud, jondern wahre Kunjt an fich bieten. Diefe Kunft gibt und auch Plaſtik und Malerei in reizvolliter Verbindung und unbejtreitbarjter Harmonie, einen lebhaften Beweis für die Schönheit bemalter Plaſtik Liefernd.

Nicht weniger als 800 figürliche Gruppen und 500 andere Arbeiten funjtgewerblicher Gegenjtände wurden nad) E. Heujers neueften Ermittelungen in Frankenthal gejchaffen eine ganze Melt farbenjprühender und formenreicher Schöpfungen eines vornehmen Sunjtgewerbes, das erjt heute wieder neue Schägung findet.

Auch die Teppichwirferei wurde zu diejer Zeit in großem Stile betrieben und auch einige der beiten Gobelins des Schloſſes (nach Teniers) entjtammen heimathliher Kunft.

Eine intereffante Bejchreibung einer Zimmereinrichtung da— maliger Zeit bietet die ſchon oben erwähnte Schriftjtellerin Sophie von La Rode, indem fie jchreibt:

„Sie werden ganz natürlich finden, daß man nach Betrach- tung der Perſonen in einer Gejellichaft fih auch im Zimmer umjchaue. Mich dünfte eine Miſchung von Holländijchem und Pariſer Geſchmack zu finden; die Canapees und Comode, das

Kunftgewerbe und Kunſtſammlungen. 431

igmetrijche der zwey Cabinete, und ihre Einrichtung war fran- zöſiſch die in der Vertiefung der Fenſter eingepaßte, nett= gearbeitete, und gemalte Kajten von Blech auf zierlihen Füßen jtehend, voll der jchönften in der Stubenwärme aufgeblüten Hyacinthen, die auf den Fenſterſimſen ruhende jchöne porcelane vortreflih geformte Blumentöpfe die Gläfer, auf welchen Blumenzwiebeln, durch die Dünfte des Wafjers zum Keimen und Wurzel treiben gebracht werden, waren wirklich holländiih . . .. Wirflih waren die Gemälde die Mufifpulte, und bie Blumengefäße jo artig vertheilt, daß man von dem zum Früh jtüden niedlicd; geordneten Tiſch vder von den Canapees alles jehen und genießen fonnte. Diejer Genuß war im zwei Stunden eingejchloffen, und wie viele Jahre hatte die gute alte Beit, an den Materialien gearbeitet, welche nicht nur dieje Hier vereinte höhere Künfte, jondern auch die untergeordnete Geifter der Schreynerey, der Tapeten und Tepichweberey der Ber- fertigung der muſikaliſchen Inftrumente, des Porzelaus und

Dod ehe wir das Gebiet der Kunft des 18. Jahrhunderts verlaffen, joll noch ein Sohn der Stadt Mannheim in danfender Erinnerung genannt werden, ber, aus dieſer Kunftiphäre her- vorgegangen, auch anderwärts jeiner Vaterſtadt Ehre machte, Es ijt dies Karl Gontard, der berühmte Architekt, geboren zu Mannheim 1738 und gejtorben zu Berlin 1802,

Bon Friedrich dem Großen angejtellt, wirkte er bei der Erbauung des Palais bei Potsdam mit, und er entwarf hier- für die Communs. In Berlin erbaute er u. U. bekanntlich die großartigen Thürme der Kirche am Gensdarmenmarkt und bie Colonnaden an der Königsbrüde. Er begann aud) die Erbauung de3 neuen Marmorpalais bei Potsdam und ftand bis 1788 in ben Dienjten des Königs Wilhelm IL. In allen feinen Merken iſt etwas von der werthvollen Grundlage, die jeinem Schaffen das Studium der Bauten Bibienas in Mannheim ge— geben hat, deutlich bemerkbar.

Zurüdblidend auf die gejammte Kunftbethätigung des 18. Jahrhunderts zum Vergleich mit dem Schaffen der darauf:

432 Kunftgewerbe und Ktunſtſammlungen.

folgenden Zeit werben wir uns der Wahrheit jo recht bewußt, die Jacob von Falke in feiner Geichichte des Kunſtgewerbes mit folgenden Worten jagt:

„Das achtzehnte Jahrhundert hatte wenigitens noch überall feinen eigenen Gejchmad gehabt, wenn er auch fein beuticher, fondern ein franzöfiicher war; das neunzehnte hatte aud) den nicht, denn was Frankreich, das immer noch, und mehr als je, die Führung im Gejchmad hatte, in funftgewerblichen Dingen ſchuf, das zeigte wohl Gejchidlichfeit und auch einiges Leben, oder vielmehr WVeränderlichfeit, aber es bewegte ſich ohne Driginalität nur in den traditionellen Stilen feiner Ver— gangenheit. Und darin folgte Deutichland erjt in weiten Ab— ftande. Jedes eigentliche Stilgefühl war ausgeftorben . . . .. In der Goldichmiedefunjt galt mur das Material, in dem Schmud der Stein oder das Gold; an edler Kunft, an jchöner, zierlicher Arbeit hatte Niemand mehr Gefallen; man verlernte fie zu jchäßen und zu beurtheilen. Das geichmiedete Eiien hatte der leichteren Gußarbeit weichen müffen. Die Schnigerei der Politur, die gegoijene und zifelirte Bronze dem in Formen gedrudten Blech. Das Glas wurde wie Porzellan bemalt, das Porzellan wieder wie Holz, das Holz auf jeiner Oberfläche dem Leder gleich gemacht. Es war eine völlige Verwirrung und Vermiſchung der verjchiedenen Zweige des Kunſtgewerbes untereinander.

Bei diefer Sachlage büßte die Kunjtinduftrie ganz ge— rechterweije alles Antereffe bei dem Publikum ein. Das Intereije wendete fich der Majchine zu und den großen phyſikaliſchen Erfindungen der Neuzeit. Die Maſchine follte in der Kunſt— industrie aud; das leiten, was bisher die Hand geichaffen hatte. Damit verihwand nicht bloß die Kunſt, jondern auch der Künjtler. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in Deutichland, wenn man die Sache vom richtigen Standpunkt betrachtet, in der Imduftrie weder eine Kunſt noch eimen Künſtler ... . - Aber das Bedürfnig nach Schönheit läßt fich im Menichen nicht tödten; es kann eine Weile zurücgedrängt werden, wird aber immer wieder fiegreich bervorbrechen. Und

Rheinlandfchaft bei Mannheim.

Nach einem Gemälde von Galleriedireftor Wilhelm Frey (Mannheim).

Kunstgewerbe und Kunſtſammlungen. 433

fo ijt e3 in der zweiten Hälfte unjeres Jahrhunderts gejchehen Der Rüdjchlag gegen den Ungejchmad der Zeit und gegen die Allmacht der Majchine it erfolgt und hat eine Bewegung her— vorgerufen, welche bereit3 die ganze civilifirte Welt ergriffen hat und al3 ein bedeutungsvolles Ereigniß der Kulturgeichichte zu betrachten it. Die Bewegung iſt aber noch nicht abge- ichlofjen, wir jtehen noch mitten darin und können nicht voraus— jehen und vorausjagen, wohin jie führen wird. Ihre außer— ordentliche Bedeutjamfeit iſt klar, weniger aber ihr Ziel."

Defer, Geihichte der Stadt Mannheim. 23

XXIV.

Die Abreiſe Karl Cheodors und die folgenden politifchen Ereignijje.

Abreije des Kurfürſten Regierungsjubiläum Beginn des Revolutions—

frieges Ginnahme der Rheinſchanze durch die Franzofen Ginzug der

Franzofen in Mannheim Belagerung der Stadt durch die Deiterreicher

Bombardement der Stadt Sapitulation Bedrüdung der Stadt durd)

General von Wurmfer Der angebliche Verratd Karl Theodor Tod Rückblick auf das Leben Karl Theodors.

Mitten in die reihe Bethätigung Mannheims auf den verichiedenjten Gebieten der Wiſſenſchaft und der Kunft und des jocialen Lebens kam die Nachricht von dem Tode des Kurfürften Mar III. Joſeph von Bayern.

Man wußte e8, daß laut des von Karl Philipp 1724 be- wirkten Unionstractats mit Bayern, der im Sinne des alten Vertrags von Pavia (1329) die Erbfolge nochmals regelte, Kurfürit Karl Theodor als neuer Regent Bayerns zur Ueber: fiedelung nah) München verpflichtet war.

Wie einen jchweren Schlag empfand die Bevölferung Mannheims diefe Wendung ihres Gejchides.

Als am 31. Dezember 1777 Nachts die Abreiſe Karl Theodors erfolgen jollte, drängte fi eine Volksmenge um jeinen Wagen und fiel den Pferden in die Zügel, um mit Ge— walt die Abreije des verehrten Landesfürjten zu verhindern. Laute Rufe erichallten: „Bleibe bei uns!“ und die Mütter er-

Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Greigniffe. 435

hoben ihre Kinder, um das Herz des Fürften zu rühren und ihn noch in legter Stunde von feinem Entſchluß abzubringen. Nur die Verfiherung des Kurfürjten, bald wiederzufehren und Mannheims Wohl im Auge zu behalten, beruhigte einigermaßen die aufgeregte und jchmerzerfüllte Bürgerjchaft.

Das folgende Jahrzehnt lehrte auch, wie dies hier aus den Kapiteln über Kunſt und Wiſſenſchaft jchon hervorgeht, daß Karl Theodor jeines Verſprechens redlich gedachte. Wenn er auch nur vorübergehend zurüdfehrte, jo förderte er doc von München aus bejonders die fünitleriichen und wifjenjchaftlichen Beitrebungen in Mannheim auf’3 Lebhaftejte bis die alles lähınenden Striegsereignijje am Ende des Jahrhunderts den Strom ruhiger Weiterentwidelung unterbrachen.

Mannheim Hatte 1792 alle Urjadhe, das Feſt der 5Ojährigen Regierung Karl Theodord mit allem Glanz zu feiern es war unter der Regierung diejes Fürjten zu einer hoch angejehenen, berühmten Stadt geworden.

Das Feſt bildete gleichham den letten Höhepunkt der Regierung Karl Theodors. Eine neue Zeit begann mit der franzöfiichen Revolution fich einzuleiten und umdrohte ſchon das Jubelfejt diejes gewiß hervorragenden Vertreters eines „aufgeklärten Despotismus“.

Nach den ausführlichen Aufzeichnungen Feders geitalteten fih das Feſt und die darauf bald eintretenden Ereigniſſe fol gendermaßen:

Das Feit begann am 30. Dezember mit dem Glodenjchlag 4 Uhr nachmittags mit Fahnenſchmuck, Trompeten- und Pauken— ihall, jowie Glodengelänte. Am 31. Dezember Glodengeläute und Trommelichlag in der Frühe. Die Bürgerichaft ſammelt fi in zwei Bataillonen Infanterie auf dem Marftplage; ein neugebildetes Neitercorps war in zwei Brigaden formirt. Ein Feſtzug bewegte fich von dem Rathhauſe durch die breite Straße bis zur unteren Ede des Redoutenhauſes, wojelbjt er jich auf dem großen offenen Pla aufjtellte. Der Feſtzug wurde er= öffnet von einem Pionier (Zimmermeijter Bittenbeg) und dem Stadtmajor (Weimvirth Meyer); es folgten Abtheilungen des

28*

436 Die Nbreiie Karl Theoddrs und die folgenden politiichen Ereigniſſe.

Bürgermilitärd in dunfelblauen Röden, jchwefelgelben Weiten und Beinfleidern und blau und weißen Federbüjchen, die Muſik, 24 Zünfte, die bürgerlichen Deputirten; jodann das Stadtge- richt, der Stadtrath, die Bürgermeijter und der Stadtdirector, alle in ſchwarz mit Degen an der Seite; ferner die Hofitäbe mit allen Slünjtlern u. j. w, das Confilium Medicum, das Oberforſt- und Oberbergamtsperjonal, das Furfürftliche Hof— fammerdepartement mit Freiherrn von Perglas an der Spibe, das Hofgericht mit den Advocaten und Procuratoren, die Re— gierung mit der geheimen Sanzlei, der Negierungspräfident Freiherr von Venningen, der Oberappelationsgerichtspräfident Neichsfreiherr von Dalberg und der Negierungs-PVicepräfident Reichsfreiherr von Hövel, der Pfalzgraf Marimilian von Zwei- brüden, jodann die Generalität, den Zug bejchloffen Abthei- lungen des Bürgermilitärs. In der Hoffirche wurde Gottes« dienjt abgehalten, bei welchem Dechant Spielberger fungirte. Sodann Parade auf dem Schloßhofe in Gegenwart der Kur— fürjtin, Anjprachen des Regierungspräfidenten von Venningen und des Stadtdirectord Rupprecht mit Uebergabe einer Feſt— denfmünze, worauf die Kurfürftin erwiderte: Ich hoffe, glaube und bin überzeugt, daß mich die gejammte Bürgerichaft liebt, denn ich bejtrebe mich, die erjte Bürgerin Mannheims zu jein.

Der Feitzug zog jodann an der Wohnung des Neichs- grafen von Oberndorff vorüber auf den Marktplatz, wojelbit er fid) wieder auflöfte. In ihm bewegten fich als Gegenstand der allgemeinen Aufmerfiamfeit acht der äfteiten Bürger, die jchon bei dem Negierungsantritt Karl Theodors demjelben gehuldigt hatten, der jüngite war 76, der ältejte 84 Jahre alt. Ihre Namen find: Johann Reuther, Conrad Moll, Abraham Gatte, Lorenz Totfüs, Philipp Bidermann, Heinrich Hofeker, Johann Röſſel, Martin Gräf.

Eine Anzahl Mannheimer Jungfrauen überreichte der Kurfürjtin ein Feitgedicht mit einem Strauße von fünftlichen Blumen; Abends war allgemeine Beleuchtung.*)

*) In Wigards Denkmal auf die 5Ojährige Regierung Karl Theodors

Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politiihen Ereigniffe. 437

Die Feitlichfeiten dauerten noc acht Tage. Iffland hatte ein eigenes Schaufpiel „Die Verbrüderung“ gedichtet, das unter allgemeiner Rührung zur Aufführung fam; am 2. Januar war Militärgottesdienft in der Oarnifonfiche; am Abend des gleihen Tages hatte Entreprenneur Etienne einen VBaurhall veranjtaltet., Am 3. Januar folgte ein feierliches Dankfeft im Gymnaſium; dann folgten die Danffejte der Karmeliter und der marianiihen Sodalität. Der Kurfürjt erwies ji) dankbar für dieje Feier und ließ der Stadt jeine Gefühle ausdrüden. Er überihidt durch Geheimrath von Stengel unter'm 2. De— zember 1793 jein von Battoni gefertigtes Portrait, von welchem Hofmaler Hofnaas*) eine Copie in Lebensgröße in Bereit» ſchaft gehalten zum Denkmal der landesväterlichen Huld und Liebe,

Noch war diejer Feſtesjubel nicht verflungen, jo änderte fih die Scene in einer höchſt bedenklihen Weiſe. Eine Ab- theilung Franzoſen lagerte bei dem Hemshofe und errichtete dort im Februar 1793 zwei Batterien.

Bon Seiten Dejterreichd drängte man jchon jeit Dezember 1792 in die furfürjtlihe Regierung auf Bervolljtändigung der Bertheidigungsmittel, um Aufnahme einer öjterreihiichen Gar— (München 1795) heißt es in der 50 Eeiten fühlenden Bejchreibung des Feſtes u. N. noh: „Während der Zeit, als die Vürgerstöchter in kunſt— fofer, ungeziwungener und natürlicher Gradheit ihre Wünſche der gnädigiten rau in den Prachtſälen der Refidenz zu Füßen legten, hatten fich in dem großen Bücherſaale die Mitglieder der Akademie der Willenjchaften vers ſammelt, um ihrem erhabenen Stifter und Gönner an feinem feitlichen Ehrentage durch Werke des Geiftes und der Gelchriamkeit ein Opfer der GFreenntlichkeit und de8 Dankes zu bringen und dadurch das Andenken des Tages zu verewigen. Sie erichienen in der jtatırtengemäß ſchwarzen eier: fleidung und hielten ihre Sigung vor einer anjehnlichen Verfammlung von Zubörern.“ Bibliothefar Andread Lamey eröffnete die Sigung und Medi— cinalrath Melchior Güte hielt die Feſtrede.

*) Hofnaad hat jedenfalld auch die beiden lebensgroßen Portraits Karl Theodors und feiner Gemahlin um dieje Zeit für den öftlihen Saal des Kaufhauſes (dem biöherigen Bezirfsrathsiaal) gemalt, während bie beiden anderen lebensgroßen Portraits diefes Saales weit früher gemalt find und jedenfall von der Hand Johann von Schlichtens herrühren.

438 Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniife.

niſon und jedenfalls um Offenhaltung der Feſtung und des Rheinübergangs zum Zwecke des Durch» und eventuellen Rück— marjches. Auch der preußiiche Minifter Quchefint verlangt im April 1793 die Inftandjegung der Feſtung, die Wiederher- jtellung der Rhein» und Nedarbrüde, die Ausweiſung der fran- zöltihen Adjutanten und er betont ausdrüdfich, daß bei dem ausgebrochenen Reichskriege fein Reichsſtand berechtigt jei, die Neutralität zu bewahren. Oberndorff macht Zuſagen, ſetzt Commiſſionen zujammen und verhandelt auf dem gebehnten, regelmäßig fruchtlojen Wege.

Ernitliher wurden die Dinge gegen Ende bes Jahres 1793. Die Uneinigfeit zwiichen dem preußiichen Heerführer, dem Herzog von Braunjchweig, und dem öjterreichiichen General Wurmjer lähmte die Operationen der Verbündeten und das Gros der franzöfiichen Armeen dringt gegen den Rhein. Man fürchtet einen Durchbruch der Franzoſen bei Mannheim. Sept geht es endlich an die Arbeit. Graf Oberndorff läht unterm 28. Dezember 1793 dem Stadtrath gebieten, jofort 1000 Mann zu Arbeiten an der Rheinſchanze zu ftellen.

Die Franzoſen ftehen jchon bei Maifammer und die Lage wird jeden Augenblick bedrohlicher. Die NRegiftratur und Die Depofiten werden nad Mosbach geflüchtet; ebenjo wird das Perſonal der Behörden angewiejen, ji) dorthin zu begeben. Nur Deputationen bleiben zur Beſorgung der wichtigſten Ge: Ichäfte zurüd.

Das Jahr 1794 beginnt mit einer außerordentlihen Auf- regung. Die Regierung zieht ab, das Zuchthaus wird ver- legt; Oberndorff befiehlt die Ausweilung der Franzoſen; Mailen von Flüchtlingen drängen fi in die Stadt; man muß fie vom Brüden- und Pflaftergeld befreien; die in die Stadt gebrachten herrichaftlichen Mehl- und Früchtevorräthe müſſen in den Slirchen untergebracht werden, wozu namentlich bie Neformirten ein jaures Geficht machen; die Garmeliter und die Nonnen verlafjen Mannheim, und Borjchriften werden erlaſſen, wie man fich bei einem Bombardement und bei ausbrechendem Teuer zu verhalten habe. Den Einwohnern wird zugejagt, daß

Die Abreiſe Karl Theodors und die folgenden politiihen Ereigniſſe. 439

fie nicht außerhalb der Stadt und nicht auf gefährlichen Punkten verwendet werben.

So herrſcht überall eine fieberhafte Thätigfeit; man ijt in der größten Spannung. Die Stadt ift von Truppen angefüllt. Aus Bayern rüden zwei Bataillons Infanterie ein, und aud öfterreichiihe Cavallerie unter Generalmajor von Hospoth be= findet fich in der Stadt; al® aber noch weitere 85 Sappeurs und 100 Mann Infanterie einrüden jollen, macht man An— jtände, da fein Pla mehr vorhanden ſei. Auch hatte der Kur— fürft jagen laſſen, daß, wenn eine weitere Verſtärkung der Garniſon nothiwendig ſei, in erjter Linie furfürftliche Truppen dazu verwendet werden jollen. Ein LZazaret auf der Kaiſer— hütte wurde noch errichtet, die Bäume und die Hütten auf dem Jungbuſch wurden bejeitigt; aber mit dem Schreden und der Angit fam man auch diejesmal davon. Die Franzoſen griffen nicht an, fondern schlugen fih am linken Rheinufer mit den Dejterreichern herum, die unter Wurmjer jedoh am 30. De— zember 1793 bet Philippsburg jich wieder auf das rechte Rhein» ufer zogen. General Hoche ließ am 30. Januar 1794 den Gouverneur von Belderbujch zur Uebergabe der Stadt auf- fordern, erhielt aber eine kurze ablehnende Antwort.

Wurmjer wurde nad jeiner Niederlage bei Hagenau ab» berufen; ihm folgt Feldzeugmeiſter Graf Browne in der Führung der öfterreichiichen Aheinarmee. Wurmfer Hatte noch am 12, Januar 1794 an Oberndorff einen Brief gerichtet, worin er auf die Gefahren aufmerfiam machte, welche der Stadt Mannheim drohten und dringend gebeten, die Feſtungs— werfe zu verbefjern.

Wurmſer nennt in dieſem von Heidelberg batirten Brief Mannheim eine jchöne und glänzende Refidenz und verlangt weiter, daß bayerische und öfterreichiiche Truppen zur Ver— ftärfung der Garnifon aufgenommen werden.

Die Rheinichanze, um welche es ich zunächſt handelte, bejaß nur eim 12—15 Fuß hohe Mauer und Hatte feinen Raum für eine aufzuftellende Reſerve. Die Fleſchen waren nur auf offenfive, nicht auf defenfive Bewegungen berechnet.

440 Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politithen Greigniffe,

Die Garnifon der Rheinjchanze beitand aus 3000 Mann, wo— von 360 pfälziiche Truppen, die übrigen Dejterreicher waren, Die Feſtung jollte durch eine kurpfälziſche Beſatzung von 9995 Mann und 201 Mann Gavallerie vertheidigt werden. Die Feſtung zählte 471 Geſchütze, die Rheinſchanze 67 Kanonen. Der Beſitz der Aheinichanze mußte über den von Mannheim entjcheiden. Um jo tadelnswerther it es, daß jenes wichtige Werk in einem jo wenig vertheidigungsfähigen Zuftand gelafjen wurde.

Eine zweite Thatjache, welche für dieſe Periode zu con— ftatiren ift, bejteht in der Schroifheit, mit welcher man allen Anforderungen, die Namens des Reichs an die Feſtung gemacht wurden, entgegentrat. Nicht nur, dag man alle Berbejjerungs- vorichläge auf die lange Bank jchob, jondern man wies jelbit angebotene SBilfeleiftung trogig zurüd. Als am 27. März zahlreiche Colonnen Cavallerie und Infanterie Seitens der Franzoſen nach Mundenheim dirigirt wurden, erbot jich der in Sedenheim jtehende General von Hotze ein Bataillon Rödel— Infanterie zur Berjtärfung nad) Mannheim zu jchiden. Die Regierung wies dieſes Anerbieten als überflüjjig zurüd. Als aber trogdem jenes Bataillon vor das Heidelberger Thor rüdte, wurden die Feltungsthore gejchloffen. Die Beſatzung trat unter Gewehr und die pfälziiche Artillerie faßte mit brennen— den Lunten Poſto an den Kanonen.

Eine ähnliche Scene wiederholte fih im Mai 1794; Herzog Albrecht, der Reichsfeldmarjchall, wollte eine Offenfivbewegung gegen die Franzoſen jenjeits des Nheines beginnen und er ver- langte den Duchmarjch durch die Feſtung. Belderbujch er— widerte: dab der Durchmarjch der faijerlichen Truppen, wie immer, nur duch die Schleußen der Feſtung und über Die Rheinbrücke gejtattet jei, alle anderen Anforderungen aber nicht bewilligt werden fönnten, Die Sache wurde befannt und einige Abtheilungen der Reichgarmee wollten im Sturmjchritt und mit gefälltem Bajonett in die Feſtung eindringen und Rache nehmen für dieſe Mißachtung.

Noch weniger ald eine fremde Bejagung wollte man jich

Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 441

an der Stelle des alten Belderbujch einen fremden General ges fallen laſſen. Ber Kurfürſt wollte jeine eigenen Städte und Garnijonen feinem fremden Commando anvertrauen.

Diejer Anſchauung entgegen jtand die öfterreichiiche, welche betonte: es handle fich nicht um Specialintereffen, jondern um die Wohlfahrt des ganzen Reichs. Ueber diejes Thema jchrieb man bin und ber.

Der Neichsfeldmarihall Herzog Albreht von Sachſen— Zeichen jet in Verabredung mit dem preußiichen Feldmarſchall von Möllendorif am 23. Mai mit 16000 Mann, jodann mit weiteren 18000 Maun bei Mannheim und Philippsburg über den Rhein und drängte die Vorpojten der Franzoſen bis an die Erbach und die Dueich zurüd. General Dejair jtand dem Herzog Albreht von Sachjen-Tejchen gegenüber; gegen bie Preußen commandirt St. Cyr. Man hatte beiderjeits jiegreiche Gefechte geliefert; da begannen Mitte Juli die Preußen plöß- lih den Rückzug. Im Folge deſſen mußten auch die Dejter- reicher wieder das linfe Rheinufer verlaſſen. Am 15. Juli, Nachts 12 Uhr, zogen fie ganz jtill durch die Rheinſchanze bei Mannheim vorbei. Abermals hatte man ihnen die Thore ver- ichloffen und durch Kanäle und Schleußen mußten fie die Stadt und die fFeitungswerfe umgehen. Damit war das Schiedjal der Rheinſchanze und Mannheims bejiegelt. Die Disharmonie der deutichen Großmächte, die bald in dem berüchtigten Frieden von Bajel ihren Ausdrud fand, hatte über dasjelbe entichieden.

In Mannheim begannen alsbald die Vorbereitungen zur Vertheidigung. Man wies die Emigranten aus, ordnete die Verproviantirung der Stadt an, führte die damals im Neid) geplante Nationalbewaffnung ein und organifirte das Feuer— löſchweſen; Man jchidte auch eine Deputation nah Münden, die tröftende Worte vom Hofe zurüdbrachte.

Nochmals entwarf der öjterreichiiche Heerführer den Plan zu einer gemeinjamen Offenfivbewegung gegen die Franzoſen, und damit zur Befreiung der Rheinſchanze und von Manns heim; allein er fam nicht zur Ausführung.

Die Franzoſen folgten den rückweichenden Dejterreichern

442 Die Adreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe.

auf dem Fuße, bloquirten zunächſt die Rheinſchanze, und be— gannen eine regelmäßige Belagerung. Täglich fielen Fleine Scharmützel vor und es machten die Dejterreicher meiſtens er- folgloie Ausfälle. Sie waren von General von Wartensleben commandirt. Der pfälziiche General von Deroy war ihm im Dezember zur Seite getreten. Die Franzoſen waren von General Mihaud commandirt, Der lebtere hatte von dem Wohlfahrtsausihuß den Befehl, die Rheinichanze um jeden Preis zu nehmen. Zum Unglüd war der Winter jehr hart, und e3 trat ein jtarfer Eisgang ein, der die Aheinbrüde und jomit die Verbindung der Rheinſchanze mit Mannheim bedrohte. Belderbujch wollte jogar die Rheinbrücke abführen laſſen, wurde aber durch einen nachdrüdlichen Befehl des Reichsfeldmarichalls daran verhindert. Am 22. Dezember zerriß aber das Eis die Brüde und die Reſte mußten daher abgeführt werden. Es war die regelmäßige Verbindung der Rheinſchanze mit der Feſtung unterbrochen und fie fonnte nur mühjam mit Nachen bewerf: ftelligt werden.

Nun war der Augenblid zur enticheidenden That für die Franzojen gefommen. Noch am 22. Dezember fandten fie folgende Aufforderung:

„Shr jeid verloren; ihr ſeid ohne Hilfsmittel und ohne Hoffnung auf Unterftügung. 40000 Republikaner, bie ihr zählen könnt, find entichloffen, Alles zu wagen, Alles zu unters nehmen, um Euch zu bezwingen. 150 Feuerſchlünde find bereit, auf Euch Tod und Flammen zu jpeien. Schaut hinter Euch! der Rhein, auf den Ihr Eure Hoffnungen gebaut, bietet Euch den Abgrund dar, der Euch zu verichlingen droht. Blickt auf ung und Ihr findet den Edelmuth und jene Größe, die von dem franzöliichen Volke unzertrennlich find. Haltet dies nicht für eitle Brahlerei; die Republifaner bedürfen diejer nicht und laſſen fich nie jo weit herab. Nie jagen fie etwas umſonſt Ihr wißt ed. Wählt! drei Stunden find Euch ala Bedenfzeit bewilligt; iſt diefe umjtrichen, jo bemächtigen wir uns Eurer mit Gewalt und laffen Euch alle über die Klinge fpringen.“

In der That wurden Unterhandlungen eingeleitet, die

Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiſchen Greignifie. 443

fi) aber zerichlugen. Infolge deſſen eröffneten die Franzoſen in der Nacht vom 23. auf den 24. Dezember aus acht Batterien ein furchtbares Kanonen, Bomben» und Haubigenfeuer. In Kurzem waren die Fleſchen, die Rheinſchanze, die Mühlau und die Stadt mit glühenden Kugeln und mit Brojectilen aller Art überjchüttet. Die Häuſer der Rheinſchanze wurden fiebartig durchlöchert, Das Feuer wurde am 24. fortgejegt. Am Nach— mittage wurde abermals eine Aufforderung zur Uebergabe in die Rheinſchanze gejchidt mit dem Bedeuten, daß jonft die Stadt in Aſche gelegt würde.

Nach dem Belanntwerden diefer Nachricht trat num auch die Action der Staats- und Gemeindebehörden ein, um die Uebergabe der Rheinjchanze zu befürworten.

In der Nacht vom 24. Dezember, 11 Uhr, wurde folgende Uebereinfunft abgejchloifen:

„Die Rheinjchanze von Mannheim wird den 25. Dezember um Mittag mit dem Geſchütz, der Munition und anderen Gegen— jtänden, die im Augenblid der Uebergabe noch darin jein werben, der belagernden Armee übergeben, unter der Bedingung, daß die Stadt Mannheim, in folange der Krieg nur auf dem Linfen Rheinufer jtatthaben wird, nicht bombardirt werden darf. Die Beritörung der Rheinſchanze darf nicht gehindert werden. Die geringjte Widerjeglichfeit in diejer Hinficht wird man als eine Verlegung gegenwärtiger Uebereinfunft anjehen und durch Be- ihießung der Stadt zurückweiſen.“

In Folge diejer Uebereinkunft hatte man Zeit bis 12 Uhr Mittags, um die Rheinſchanze zu räumen. Mit allem Eifer wurde an das Werf gegangen und bis zur angegebenen Zeit wurde unter Beihilfe der Mannheimer Schiffer und Fiſcher die Räumung bewerfitelligt. Die Bejatung mit 67 Kanonen nebjt allen Zubehörden wurde auf das rechte Rheinufer gejchafft. Nur drei unbrauchbare Kanonen und Haubigen wurden zurüd- gelafjen.

In der Stadt waren durch das Bombardement 69 Häujer beichädigt, 3 Civilperionen getödtet und 5 verwundet worden. Die Dejterreicher hatten bei den Kämpfen vor der Aheinichanze

444 Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniffe.

3000 Mann, während des Bombardbements 32 Mann und 3 Offiziere verloren. yeldzeugmeifter v. Wartensleben übermittelte dem Stadtrathe unterın 30. Dezember 1794 die Anerkennung des Reichsfeldmarſchalls Herzog Albredt von Sachſen-Teſchen über das vortreffliche Betragen, die Stille und Ordnung der Bürgerjchaft während der Belagerung der Rheinjchanze.*)

Die Rheinichanze war gefallen. Die Stadt Mannheim athmete einen Augenblik auf: allein ein Schreden durchzitterte die nächitbetheiligten Länder. Man jagte ji, daß mit der Rheinihanze Mannheim früher oder jpäter in die Gewalt der Franzoſen fallen müſſe, und daß dann der Schlüffel zu Süd— deutichland in ihren Händen jei. In der That war die Rheins ihanze ein jchwerer Verluft. Ihre Einnahme war nicht nur gleichbedeutend mit dem Belige des linken Rheinufers, jondern jte deutete auch den Weg an, den das eroberungsluftige Frank— reich zu betreten vorhatte. Im Convent erjtattete Carnot Be— richt über diejen Triumph der franzöjiichen Waffen, und es wurde derſelbe, trog der Gegenbemerfungen Lejage-Senauits, welcher meinte, der Feind habe die Bedingungen der Uebergabe dietirt, mit Enthufiasmus aufgenommen, Der Kaijer beflagte den Tall der Aheinichanze als ein großes Unglüd, das den Verluft der Feſtung Mainz nad ſich ziehen könne, und der Reichstag gerieth in einen jolhen Grad der Beltürzung, daß er friedensjüchtiger als je wurde.

*) Der Erlaß lautet wörtlich:

„Der Magiitrat und die Bürgerfchaft von Mannheim, welde ſich jo vortrefflih betrugen, in der größten Ruhe und Zuverſicht während dem Bombardement blieben, verdienen fein geringes Lob, ſowie die Stille, ſo in der Stadt herrichte, der arößte Beweis ihrer Ordnung und Sittfichkeit ift, und wünſche ich ſehnlichſt, daß Dielen Einwohnern von der ganzen Armee ein lauter Beifall zugerufen werde, der ihnen zu erfennen giebt, wie jehr jie fi für das allgemeine Beſte verdient gemacht haben.

Ebenſo muß ich den Mannheimer Brüdenmeijtern (Baul van Seil) nebit meinem Danfe die Gerechtigkeit wiberfahren lafjen, daß ihrer Mühe und Geichicdlichkeit zu verdanken fei, die durch die Gewalt bes Eiſes vor verloren geachtete Platten wieder beigebracht zu haben, ohne welche die Hälfte der Artillerie hätte zurück gelaffen werden müſſen.“

Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 445

Erſt im September 1795 begannen wieder ernftere Ereig- niffe. Am 15. des genannten Monats ließ Gouverneur von Belderbujchh dem Stadtrathe durch den Stadtcommandanten Deroy anzeigen, daß die Franzoſen in den jenjeit3 des Rheins aufgeworfenen Batterien Geſchütz aufführten. Da man nicht wilje, was bie Franzoſen vorhätten, und welche Anforderungen an die Stadt gejtellt würden, jo möge die Bürgerſchaft auf ihrer Hut jein. Was jollte aber der Stadtrath beginnen? Er beihloß einftimmig, eine Borjtellung an den Kurfürſten in Münden zu richten, ihm die gefahrvolle Lage der Stadt zu ſchildern und diefe Vorftellung mittelft Ejtaffete nah München zu ſchicken. Eine ängjtlihe Stimmung bemächtigte fich der Stadt. Der Stadtrath war ohne Verhaltungsmaßregeln; mehrere Wirthe zogen ihre Schilde ein, Bierbrauer ſchloſſen ihre Wirthichaften und Kaufleute ihre Läden. Gerüchte von einer abgeſchloſſenen Capitulation verbreiteten ſich.

Am 19. September hatte General Pichegru einen Trom— peter in die Stadt gejchieft mit der Aufforderung zur Ueber- gabe, widrigenfalld die Stadt und Feſtung mit glühenden Kugeln beichojfen würde.

E3 trat ein Kriegsrath zujammen, dem Graf Oberndorff beiwohnte, Diejer bejchloß die Capitulation, welche Morgens 4 Uhr vereinbart wurde.

Die wenigen öjterreichiichen Truppen zogen am 20. Mittags 12 Uhr aus der Feſtung. Man hatte vorgeichrieben, daß Die Leute in den Häujern bleiben und feine Kundgebungen machen jollten. Ein öfterreichiicher Offizier meinte, daß fie bald wieder: fümen und dann Mannheim warm machen würden. Die Fran— zojen zogen ftill ein. Man jah ihnen den Mißmuth an. Sie jagten öffentlich: der Uebergang über den Rhein ſei ihr Grab,

Als Bolksrepräjentanten functionirten Rivaud und Merlin von Thionville in der Stadt; auch Reubel ging ab und zu.

Die Aheinbrüde wurde wiederhergeftellt und Truppen auf Truppen zogen herüber. Der Befig der Stadt war jedoch für die Franzoſen nicht ruhig. Die Defterreicher ftanden am Ge- birge, und faſt täglich fielen größere oder Heinere Gefechte vor.

446 Die Abreife Karl Theodors und bie folgenden politiihen Creigniffe.

Mit dem Beginne des October vereinigte ſich Die Armee des Generalfeldmarjchall Clerfait mit der Wurmjers, welcher vom Oberrhein herbeigeeilt war. Die Franzoſen wurden überall zurüdgedrängt und mehrmals geichlagen. Unterdejjen befleigigten ji die Volksrepräſentanten eines großen Eiferd in Beitreibung der Requifitionen und Contributionen. Der Cours der Aſſig— naten ſollte alle 14 Tage nad) dem der Stadt Baiel bejtimmt werden.

Enger und enger jchloß ſich der Kreis der öfterreichijchen Truppen. Schon am 18. October griffen fie das Lager der Franzoſen jenjeit3 des Nedars mit Erfolg an. In der Stadt commandirte General Montaigu. Die Geſchichte darf demjelben das Zeugniß eines tapferen Soldaten und eines ehrenwerthen Mannes nicht verfagen, Mit aller Energie fteuerte diejer den Zügellofigfeiten, deren jich die unter jeinem Befehle jtehenden Banden jchuldig madten.

Die Dejterreicher hatten am 18. October das Lager der Franzoſen auf dem Galgenberg im Sturm genommen und jie in die Feſtung zurüdgeworfen. Die Franzoſen hatten große Berlufte erlitten; eine Menge Todte lagen herum; man mußte ſie zu 10 und 20 im jchnell gemachte Löcher begraben. Die öſterreichiſche Artillerie lagerte auf der Kuhweide; Nedarau wurde genommen und dabei der franzöfiiche General Hottovin gefangen. Die Dejterreicher machten fih nun an die Belage- rungsarbeiten. Sie führten vier große Batterien auf. Diejen gegenüber verjtärften die Franzoſen die Bertheidigungswerfe, und jie benüsten dazu das reiche Material, welches ihnen aller- dings die Uebergabe Mannheims zur Dispofition gelafjen hatte. Dan zählte 164 Belagerungsjtüde, 107 Feldſtücke, 130 Mörjer, 80 Haubisen, 343 000 Pfund Pulver u. ſ. w.

Die Kanonaden, welde bis zum 29, October vorfielen, hatten nur den Zwed, die Arbeiten an den Befeitigungen zu jtören; aber bei der Nähe, in welcher ſie jtattfanden, ver= breiteten jie Schreden in der Stadt. Dort waren die Geilter lebhaft erregt. Man verjammelte jih in den öffentlichen Lokalen, discutirte die Angelegenheiten des Tages und theilte

Die Abreife Karl Theodors und Die folgenden politiihen Ereigniffe, 447

den anderen jeine Erlebniſſe und Bejorgniffe mit. Gerüchte, al3 rege ich ein widerjpänjtiger Geift in der Bevölkerung, waren der Militärbehörde zu Ohren gekommen. Strengere Mapregeln wurden ergriffen. Die Entwaffnung der Einwohner: ihaft wurde angeordnet.

Am 29. October Nachts griffen die Defterreicher die Nedar- Ihanze an; General Pichegru und die Bolfzrepräjentanten waren gerade in der Comödie. Der Kampf dauerte die ganze Nacht Hindurch und endete mit der Einnahıne der Nedarjchanze. Die Stadt war mit Kugeln überjchüttet. Auch unterhalb Mann heims waren die Dejterreicher über den Rhein gegangen, wes— halb Pichegru dorthin eilte und die Feſtung Mannheim ihrem Schidjal überließ. Er Hatte den Generalen Montaigu und Dejair den Befehl Hinterlajjen, die Stadt bis auf den lebten Mann zu vertheidigen und jollte fie auch in einen Steinhaufen verwandelt werden.

Die Bejagung betrug ungefähr 7000 Mann,

Am 1. November in der Frühe machten die Dejterreicher einen Angriff auf die Katjerhütte und drangen bi zur Hajen- hütte vor, Abermals waren viele Kugeln in die Stadt ge= flogen. Die Einwohner hatten ſich in die Seller geflüchtet; Angit und Unruhe zehrte fie auf. Montaigu jchrieb am 2. No— vember an General Wurmſer, um ihm Schonung für die Be— wohner der Stadt zu empfehlen. Das Bombardement dauerte aber fort. Die Dejterreicher errichteten nun auch eine Batterie im Rojengarten. Bom 10. November an beginnen die Schredens- nächte für Mannheim. In der Naht vom 10. auf den 11. brach ein großer Brand in dem Quadrate der Stadt Augsburg aus und zerjtörte ſechs Häujer, während er acht beichädigte; in der Nacht vom 11. auf den 12. fiel eine Haubige im die Scheuer des Bürgers Ungemach und zündete ſofort. Much die Karjerhütte jtand in Flammen. Unterdeilen Hatte der Stadt- rath jeine Bemühungen um die Rettung der Stadt fortgejebt. Mit einer umnermüdlichen Ausdauer machte er Berichte an den serenissimus elector oder an die furfüritliche Regierung, um von dort die beiten und jchönjten Worte, aber immer thatſäch—

448 Die Abreife Karl Theodor und die folgenden pohtiichen Ereigniſſe.

lih das Geſtändniß zurüdzuerhalten, dat Beide etwas Wırf- james zu thun außer Stande jeien.

Am 11. November begab fich eine Deputation, beitehend aus dem Anwaltſchultheißen Hofgerichtsratd Pfanner und dem Natheverwandten Boos, zu dem Grafen von Oberndorf, um deijen Verwendung nochmals zu erbitten. Er ſichert jeine fräftigite Unterjtügung auf allen nur möglichen Wegen zu; er wolle fich no am gleichen Tage mit dem General Bichegru in's Benehmen jegen. Das Schreiben liegt vor.

Er jchildert darin das Unglüd der Bewohner Mannheims. Die Stadt habe ein Bombardement erfahren; um ein zweites zu vermeiden, habe man capitulirt, und jest laufe fie Gefahr in Aiche verwandelt zu werden. Er bitte den General, Die Mittel zu ermöglichen, dem Schreden, welchem friedliche Bürger fortwährend ausgejegt feien, ein Ende zu machen. Man habe mit der franzöfiichen Nation capitulirt, und es ſei die Neu— tralität der Stadt fejtgeitellt worden. Nichtsdeitoweniger werde die Stadt jelbit durch die franzöfiihen Truppen als feindlich behandelt; man wolle die Bürger entwaffnen, obgleich; man bei Tag und Nacht Exceſſe begehe. Die pfälziiche Garnijon hätte nad der Gapitulation mit Kriegsehren ausziehen jollen, jebt verlange man, daß die zurücgebliebenen Soldaten ſich nad) Tranfreich begeben. Graf DOberndorif bittet jodann um Die Erlaubniß, dem Obergeneral Vorſchläge machen zu dürfen und dieie bejtchen darin, daß er in eriter Linie die Neutralifirung der Stadt Mannheim, in zweiter aber vorichlägt, von dem General Wurmjer die Erlaubniß erbitten zu laſſen, damit Per— jonen, welche das Bombardement nicht länger aushalten wollten, jowie die pfälziichen Soldaten die Stadt verlaffen dürfen,

Pichegru beffagte den Zustand der Stadt, wollte auch die Durchlaſſung der pfälziichen Soldaten bewilligen, allein den Gedanken der Neutralifirung der Stadt erklärte er für unaus— führbar.

Zu gleicher Zeit begab ſich die jtädtifche Deputation zu den General Montaigu, der erflärte, daf, wie er ſchon oft gejagt und Proben gegeben habe, das Wohl der Stadt ihm

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WMieroslawsty hält eine Anrede nach der Heerjchau.

Nach einem Mquarellbild von Franz Artaria aus dem Jahre 1849.

Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politifhen Ereigniſſe. 449

am Herzen liege, und er werde, joviel e8 von ihm abhänge, dasielbe möglichjt zu verbejjern bejtrebt jein.

Die Lage der Stadt wurde indefjen immer fritiicher. In der Nacht vom 12. auf den 13. November brach in der Scheune des Bojthalters Fröhlich Feuer aus und zerjtörte mehrere Häuſer und Scheunen. |

Das Bombardement dauerte for. Die Feuerſpritzen rafjelten fortwährend durch die Straßen. Das nächtliche Läuten mit den Gloden wurde unterjagt.

Die Gebäude vor der Stadt waren jchon vorher in Brand geichofien worden. Am 16. November brannte die neue Ka— jerne ab; am 17. jprang eine Poterne am Heidelberger Thor, wodurd; mehrere dort gelegene Häufer gänzlich zeritört, andere beihädigt wurden. Menſchenmaſſen jammelten fich vor dem Haufe des franzöjiichen Commandanten, um die Uebergabe der Stadt zu erbitten. Das rief noch ftrengere militäriihe Maß— regeln hervor. Am Dienitag den 17. November abermals großer Brand. Dechant Spielberger eilt durch die Straßen, um die Einwohner zum Löjchen zu ermuntern. Unterdejien war e3 gelungen, den General Montaigu zu bewegen, einen Adgejandten der Stadt und Regierung an General Wurmijer gehen zu laſſen. Die Miſſion wurde dem Zweibrückiſchen Hofmarichall von Gohr übertragen. Diejer rapportirte aber (den 14. November), daß die öjterreichiiche Generalität fich jehr aufgebracht gegen Mannheim geäußert habe, und namentlich gegen Diejenigen, „welche fie für die Beförderer der mit den Frauzoſen abgeichloffenen Gapitulation hielten“.

General Wurmjer habe anfänglich den Brief des Grafen von Oberndorf gar nicht erbrechen wollen, habe aber dennoch jchließlich geitattet, daß eine Anzahl Weiber und Greiſe die Stadt verlafjen dürfen, doch wolle er vorher bie Liſte jehen. Auf Ddiejer Lifte zeichneten ich jedoch mehrere Taujende ein, und ala Stadtdireftor Rupprecht fie nad) Käferthal in das öjterreichiihe Hauptquartier brachte, erflärt General Bellegarbe: es jei eine Indiscretion, den Wegzug jo vieler Individuen zu begehren, und e3 könne jetzt nichts aus der Sache werden. Er

Deier, Seihichte Jer Stabt Mannheim. 29

450 Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Greigniiie.

bedauere das Schickſal Mannheims, aber es habe fich dieſes jelbjt zugezogen, und die Unjchuldigen müßten mit den Schul— digen leiden.

Ein erneuerter Befehl des Direftoriums an den Comman— danten traf ein, die Stadt um jeden Preis zu halten (de se tenir & toute outrance). Die Einwohnerichaft flüchtete in die Keller des Schlofjes, des herzoglich zweibrüdifhen Palais und in die des Theaters,

In den Kellern wurden Berjchläge angebracht, Hinter denen fih rauen, Kinder, Kranke, Gebärende und Sterbende lagerten. Luft und Lage war unerträglih. Sogar in der Gruft unter der Jeſuitenkirche hielten ſich Mehrere auf.

Die Stadt- und Regierungsbehörden wiederholen ihre Vor— ftellungen bei General Montaigu. Endlich eriheilt er die Er- laubniß zur Abjendung einer abermaligen Deputation an Wurmjer. Diejer will jegt 15 Perjonen den Ausgang ge= ftatten, aber wie jollte man die Auswahl treffen? Montaigu fürchtet Aufregung und gibt nım überhaupt den Weggang aus der Stadt nicht zu. Nun eröffnen die Dejterreicher die zweite Paralelle und die Batterie an der Kaijerhütte fängt zu jpielen an (18. November). Eine Haubige fährt in den grünen Löwen; ein PBulverwagen erplodirt. Das Gießhaus, das Kapuziner— flofter, der Kammerjtall werden hart mitgenommen.

Die franzöfiihe Soldatesfa wird immer zitgellojer; fie jtiehlt und raubt; die Bürger treiben die Soldaten mit Hebeln und Stangen zurüd. Ein Kriegsgericht wurde eingejegt, um die Schuldigen zu beitrafen.

Der 20. November war ein trauriger Tag für Mannheim, Eine große Anzahl von Gebäuden gerieth in Flammen, darunter die walloniiche und reformirte Kirche, jowie die Örenadier- fajerne. Tageshelle herrichte in der graujigen Novembernadt. Gerüchte, daß Capitulationsverhandlungen im Gange jeien, wiederholten ſich Man drängte auch in den Grafen von Obern- dorff, daß er Sich perjönlich für die Kapitulation bei Wurmjer verwenden möge; er fchrieb unterm 20: So willig und bereit ich bin, meine perjönliche Verwendung auch für das allgemeine

Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 451

Beite eintreten zu fajjen, jo unmöglich ift e8 bei den gegen- wärtigen betrübten Umjtänden mich aus hiefiger Stadt begeben zu können.

Der ſchlimmſte Tag war der 21. November. Die Dejter- reicher Hatten ihre Batterien jenjeit3 des Nheines in den Stand gelegt und begannen nun auch von Diejer Seite das Feuer. Ein furdhtbarer Kugelregen breitet ſich abermal über die ganze Stadt aus. Bald war der ganze linke Flügel des Schlofjes von den Flammen ergriffen. Der größte Theil dieſes Schlop- flügel3 und das damit verbundene prächtige Opernhaus wurden durch das Feuer zerjtört.

Das höchſte Maß der Aufregung, der Leiden und der Qualen war erreicht.

Eine Menge Volks jammelte ſich trogend allen Gefahren vor dem Hillesheim’schen Haufe am Marftplat, der Wohnung des franzöfiichen Commandanten, und begehrte die Uebergabe der Stadt. Die Kanonen wurden gegen die Menge gerichtet; aber General Montaigu, ergriffen von dem Jammer der Wer: zweifelnden, ließ jagen: fie möchten ruhig jein, heute wiürde noch über das Schickſal der Stadt entichteden werden; und der Städtischen Deputation erklärte er: das Wort iſt gegeben, ihr werdet gerettet jein und mir wird es den Kopf koſten.

General Deliret unterhandelte wegen des Waffenitillitandes und der Kapitulation.

Graf Oberndorff und der pfalzzweibrüdiiche Miniſter Sa— labert betheiligten jich bei den Unterhandlungen und drängten auf Beichleunigung. Die Berhandlungen wurden mehrmals abgebrochen. Endlich fam am 21. November Nachts die Ka— pitulation zu Stande, *)

*) fapitulation zwiichen dem Diviſions-General Montaigu, Befehlshaber der franzöſiſchen Truppen in Mannheim, und dem Grafen von Wurmijer, fommandirenden General der davoritehenden öfterreihiichen Truppen.

1. Artikel. General Montaigu wird die Feſtung Mannheim dem Herrn Grafen von Wurmfjer mit Kriegs: Munition und Geihüg, die ſich

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452 Die Abreiie Karl Theodor& und die folgenden politiichen Ereigniſſe.

Am 23, bewerfjtelligten die Franzoſen ihren Ausmarich.

Mit den an fich gezogenen Verſtärkungen betrug die Garnijon noch 9762 Mann.

Die Defterreicher bejeten die WVorwerfe. Am 24. No— venber 309 Wurmjer über die rauchenden Trümmer der Stadt ein, empfangen von dem Stadtrathe. Am 25. traf auch General

darinn befinnden, und in dem Zuftande, mworinn fie find, am... . No— vember 1745 überliefern.

Antwort. Die Feſtung fol den 23. November 1795 überliefert werden. ,

2, Artikel. Die franzöfiihen Truppen werden mit Waffen und Bagage aus Mannheim ausziehen, fo bald die Mittel, auf das linke Rhein ufer zu kommen, werben bergeftellt ſeyn; im jedem Fall werden fie aus— ziehen am .... November 1795 und die Marich: Route halten, die zwiſchen den Beyden fommandirenden Generälen wird feitgefegt werden.

Antwort. Die franzöfiihe Beſatzung wird als Striegägefangene am 23. November mit den Sriegäehren aus der Feſtung ziehen, die Waffen Morgens um 9 Uhr auf dem Glacis nieberlegen und die Marfch-Route halten, die ihr von General Wurmjer wird angegeben werben.

8. Artikel. Die unter dem Befehl des Herm Grafen von Wurmier ftehenden Truppen Sr. faiferlichen Majeftät werden zwey Stunden nad geichehener Auswechſelung der von beyden kommandirenden Generälen unters zeichneten Kapitulation die Nedarbrüden- Schanze, die äußeren Poften des Heidelberger Thores und die Schanze an der Rheinſchließe beiegen und nicht ehender in die Stadt einziehen, als bis die legte Divifion der fran— zöfiichen Truppen wird ausgezogen feyen.

Antwort. Nah unterzeichneter Kapitulation werden die öfter reichiichen Truppen die äußeren Werke des Heidelberger: und Rheinthores am 22, Morgen um 8 ihr befegen.

4. Artifel. Gegen gutwillige Bezahlung und auf Ordre des Herrn Grafen von Wurmier jollen in dem Lande, wodurch die franzöfiichen Truppen ziehen, die uhren geitellt werden, welche zur Fyortbringung der Effekten nöthig find, die der Nepublif, den Corps und den einzelnen Sol: daten von der Mannheimer Garniion zugehören,

Antwort. Man wird den franzöfifchen Truppen die zur Fort— bringung der Effekten und des Cigenthums der Offiziere nöthigen Fuhren nad) der landesüblichen Tare jtellen. Alles, was der Nation gehöret, joll ben öjterreihiihen Gommiffarien eingeliefert werben.

5. Artikel. Der Herr Graf von Wurmfer wird Ordre geben, daß die nöthige Fourage und was jonft die Bejagung zu Mannheim fi nicht

Die Abreiſe Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 453

Clairfait ein, und in Gegenwart der gejammten öfterreichiichen Generalität wurde in der fatholiihen Stadtpfarrfirhe (am Marktplatz) ein Te deum laudamus angeftimmt. Die Spitzen der Furfürjtlichen Regierung wohnten diejer Feſtlichkeit nicht bei. Schon am 23. November war auf Befehl des Katjers der Graf von Dberndorff, jowie der herzoglich zweibrücijche Minijter Salabert verhaftet worden; ebenjo hatte man ben Dberappellationsgerichtsrath v. Davans und den Regierungs- rath dv. Schmig in Verhaft genommen. Es machte ſich als—

hat verichaffen fönnen, in den Orten geliefert werde, wodurch die frans zöſiſchen Truppen paffiren. Lebensmittel follen die Truppen auf 4 Tage, von dem Tage ihres Abmariches zu rechnen, zu Mannheim mitnehmen.

Antwort. Man wird Sorge tragen, ben Truppen das Brod zu liefern, die Offiziere, welche ihre Pferde behalten wollen, werben das Futter kaufen, welches ihnen derjenige, der fie begleitet, um dem laufenden Preis zu verichaffen beforgt jein wird,

5. Artifel. Die Kranken, welhe im Hofpital zu Mannheim zus rücdbleiben, ſollen von den Gejundheitsbeamten der franzöfiihen Armee verpflegt werden, die deßwegen zurüdbleiben, bis der Platz völlig geräumt wird, wozu die nöthigen Fuhren bis zur erften von den franzöfiihen Trups pen beiegten Stabt geftellet werden jollen. General Montaigu verläßt ſich hierin auf die Menjchenfreundlichkeit des Herrn Grafen von Wurmfer, daß den Kranken geleiftet werbe, was zu ihrer Genejung erforberlid) iit.

Antwort. Die franzöfiihen Kranken werden leutjelig behandelt werden, was man in dergleichen Fällen nie zu verjagen pflegt; ſie ſollen aber von öfterreihiichen Wundärzten bejorgt werden. Nach ihrer Geneſung jollen fie wie andere Striegägefangene fein.

7. Artikel, Ein IngenieursÖfficier der franzöfifchen Armee wird einem öfterreihiichen Offizier die Karten, Pläne und andere Gegenitände überliefern, welche den franzöfifchen Ingenieurs feit ihrem Ginzuge in Mannheim find eingehändigt worden,

Antwort. Vorſtehender Artikel joll Statt haben, fo bald bie öjterreichiichen Truppen beyde, oben benannte Thore beiegen werben und veriteht jih von allen militäriſchen Gegenftänden, als Geſchütze, Plänen, Starten, Magazinen 2c,, zum welchem Ende öſterreichiſche Ingenieure und Artillerie» Offiziere am 22. November Morgen um 8 Uhr in die Stadt ges ſchickt werben follen.

8. Artilel. Die Regierung, die Magiitrate und die Ginwohner der Stadt Mannheim jollen auf feinerlei MWeife zur Verantwortung gezogen werden fönnen, au

454 Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Greigniife-

bald, wie ſich ein Regierungsberidht ausdrüdt, eine jchranfen- 103 rauhe Stimmung der öfterreichiichen Bejagung gegen die Stadt und die furfürjtliche Regierung bemerkbar, Mit Tracta- menten und Weinjpenden wollte man die Befreier von fremden Joche begütigen, allein es half wenig.

Außer einem Schreiben des General3 v. Wurmjer, das die Uebergabe der Feſtung an die Franzoſen als einen Hinter- lijtigen Aft bezeichnet und darauf hinausläuft, von dem Magijtrat und den Einwohnern ein „Douceur* von 400000 fl. zu fordern, traf die Nachricht ein, daß nit nur alle dem furfürjtlichen Aerar gehörigen, jondern auch die ſtädtiſchen Vorräthe mit Beichlag belegt worden jeien.

Da Geld in der Stadtkaſſe nicht vorhanden war, jo pro= jeftirte man ein von den vermögenden Mannheimer Einwohnern

Urſache, daß dieje Stadt in die Hände der Franzoſen ge- fommen ift.

Antwort. Diejer Artikel hängt lediglih von dem Willen Sr. Majeftät des Kaiſers ab.

9. Artikel. Sobald der Tag des Auszugs der Beſatzung aus Mannheim feftgeiegt jeyn wird, wird ein Staab8-Officier der öfterreichiichen Armee in Begleitung eines Staab3-Officier& der franzöfifchen vorausgehen, um die nöthige Ordre zu ertheilen zum franzöfiihen Truppenmarſch und Ginauartierung bis diefe auf ein von den Truppen der Republik beſetztes Gebiet kommen.

Antwort. Hit durch den 2. Artikel beantwortet.

10. Artifel. Sobald die Stapitulation von beiden fommanbdirenden Generälen unterzeichnet ift, wird der Herr Graf von Wurmfer einen Paſſe— port ertheilen, damit ein Staab3-Officier von der franzöfifchen Armer abs gehen könne, dem Oberbefehlshaber Pichegru von gegentwärtiger Kapitu— lation Rechenſchaft zu geben.

Antwort. Man wird an den General Pichegru den Bericht ge: langen laffen, der an ihn von dem General Diontaigu wird erftattet werden.

Beichehen

Mannheim, am 30, Brumaire im 4. Jahre der franzöfiichen Republik.

Divifion General, Oberbefehlöhaber der franzöfifchen Truppen

in Mannheim. Unterzeihnet Montaigu, Unterzeichnet Graf von geichehen im Haupt-Quartier MWurmier, General ber zu Mannheim 21. November 1795. Stavallerie.

Die Abreije Karl Theodor und die folgenden politiihen Ereigniſſe. 455

zu erhebendes Bmwangsanlehen und fuchte die in München wohnenden ehemaligen Mannheimer zu freiwilligen Anlehen beizuziehen. Alles, was man aufbringen fonnte, bejtand in einer Anweiſung der Herren Schmalz und GSeligmann auf 100000 fl. Endlich wurden davon 100000 fl. nachgelafien. Weitere 50000 fl. ſchoß die furfürftliche Kafje vor und für weitere 50000 fl. jtellte Seligmann einen Wechfel aus. Unter: deifen hatte man alle möglihen Mittel in München und Wien in Bewegung gejegt, um von weiterer Zahlung entbunden zu werden. Der Oberlandesfommifjär v. Wrede, der Gejandte in Wien, v. Zattenbag, jowie Freiherr von Berglas legten ſich in's Mittel und Tattenbag erwirkte in Wien ein Juhibitorium (gerichtlichen Unterjagungsbefehl). Allein Wurmjer erhielt feine Nachricht und bedrohte jowohl den Stadtrat wie den Hof- agenten Seligmann mit Execution. Doc bewilligte er aber- mals eine achttägige Friſt und unterdeflen traf der Nachlaß ein. Zugleich erging ein fatjerlicher Befehl, wonach den Militär- bebörden ein artiges Benehmen gegen die Stadt vorgejchrieben wurde.

Bon dem Bombardement waren nicht mehr als 14 Häufer unbejchädigt geblieben. Der Schaden an Privatgebäuben wurde

a) in der Stadt auf . 539394 fl.

b) vor dem Heidelberger Thor auf 150 657 fl.

c) vor dem Nedarthor auf . ; 3198 ft. 693249 1l.

geihägt.

Der Schaden an den ae Bameralgebäuden

betrug k 166 879 ft.

an den Militärgebäuben \ 3 515818 fl.

an dem Reſidenzſchloß ; i 409425 fl.

1092122 |. Die Defterreicher hatten in die Stadt geworfen; 20 000 große Kanonenkugeln, 6000 kleinere R 2700 Haubigen, 1780 Bomben.

456 Die Adreife Karl Theodor und die folgenden politischen Ereigniffe.

Man warf ſich mit Recht die Frage auf, wie es fomme, erklärt und gerechtfertigt werben fünne, daß eine Stadt, welche eine, wie fie jelbjt im ihren Schriften jagte, dem Kurfürjten immer unterthänige, in dem Reichsverband mit inbegriffen ge= wejen war, und eine reichsgetreue Bürgerjchaft in fich ſchloß, trog alles Elends, das der Srieg über fie brachte, von einem Generale, der ein faijerlicher war, in der angegebenen Weije mißhandelt werden konnte Nicht die Wiederherjtellung der zeritörten Häujer und vermüjteten Gelände, nicht die Auf— räumung der Schutthaufen, nicht die Pflege der Nothleidenden, ber Kranken und Verwundeten bejchäftigte damals in eriter Linie die Stadt, jondern die Sorge, wie fie der von ihrem Befreier angedrohten Plünderung entgehen konnte.

Die Uebergabe der Stadt Mannheim an die Franzoſen am 20. September 1795 Hatte nicht jofort aber alsbald nach— dem Dejterreich mitten in den Siegen des „Ehrenjahres 1795* ftund, ein mächtiges Aufſehen erregt. Die Fortichritte der faijerlihen Waffen, die Entjegung von Mainz, die MWieder- eroberung be3 linken Rheinufers durch die öfterreichiichen Heere hatten den Deutjchen, damals duch Dejterreich getragenen Patrivtismus überjhäumen gemacht. Cs war vorzugsweiie der äußerſt fruchtbaren und getjtreichen litterariſchen Thätigfeit eines Polen, Kobielsfi, zu danken, der unter dem Namen Karl Graf von Strengjchwerdt allerdings, wie faum zu bezweifeln unter öfterreichtichem Einfluffe, die nationalen Geifter zu deden juchte. Aber e3 war eigenthümlih, daß es ein Pole jein mußte, der zum erjten Male der deutjchen Nation ein nationales und in gewilfem Sinne auch ein demokratiihes Programm entwideln jollte. Diejer fchrieb in wenigen Jahren mehr als 22 Schriften, darunter ein „rechtliches Gutachten über die Uebergabe der Feſt— ung Mannheim an den Reichsfeind“.

Man glaubte und wollte an Verrath glauben; durch die neueren Hiſtoriker verjchiedener Richtungen Haben ſich von diejen Gedanken nicht [osmachen können.

Man hat indeffen doc wohl das Recht, nach den Be— weiſen des Verraths zu fragen, der als Rechtfertigungsgrund

Die Abreile Karl Theodors und die folgenden politischen Ereigniſſe. 457

der joldatiichen Mißhandlung einer jchwergeprüften Stadt dienen jollte.

Man ift bis heute jeden Beweis des Verraths und jede Rechtfertigung jener Gewaltthat jchuldig geblieben.

Der jiegreiche Wurmjer greift durch die Verhaftung der furfürjtlichen Behörden die Sade auf. Unterm 23. März 1796 werden auf faijerlichen Befehl die Berhafteten nach fünfmonat— lihem Arrejt wieder entlafjen. Der Kurfürſt weiſt dem Grafen von Dberndorff an, ſich nad) Neuburg zu begeben, der leßtere hat fich aber jeit jeiner Entlaſſung in Nedarhaujen aufgehalten, jteht wieder in freundlichen Beziehungen zu Wurmjer und ver: jpürte feine Neigung, fich nach Neuburg zu verfügen; er faßt dieje Mafregel als eine Art Verbannung und die Strafe auf, die er ich nicht gefallen laſſen will. Schlieglih gibt er dem Drude der Umjtände nach und geht nad) Neuburg.

Nun folgt jeine protofollarijche Verantwortung in Betreff der Uebergabe der Stadt. „Auf die Frage, ob ſich der Herr Minijter berechtigt geglaubt Habe, die Reſidenz und Feſtung Mannheim durch die Kapitulation vom 20. September 1795 - an die Frankreicher zu übergeben und durd) was er hierzu be= vollmächtigt worden ſei? erflärt der Graf, daß ihn ein Reſ— eript vom 3. September 1795 dazu bevollmädtigt und die aufs Höchſte geftiegenen Gefahr für Mannheim berechtigt habe, die Vollmacht in Ausübung zu jegen.

Auf die weitere Frage, warum der Graf ein Bombarbde- ment nicht abgewartet habe, erklärt er: Da Mannheims Erhaltung im Sinne der höchſten Willensmeinung gelegen jei und nicht Mannheims Berheerung, jo habe er dieje lettere vermeiden zu müſſen gegfaubt.

Mochte man auch die Erwägungen der furfürftlichen Regierung jelbjt von dem einen oder anderen Standtpunft aus verſchieden beurtheilen: Planmäßigkeit, Hinterlijt, Verrath durfte man ihr nicht unterjtellen, ohne ſich mit der Wirklichkeit in Widerſpruch zu jeben.

Die beiden hauptjächlichiten Opfer jener Drangjalen, von Belderbufh und Graf Oberndorff, jtarben bald darauf. Der

458 Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe.

Erſtere am 4. Februar, der Letztere am 29. Mai 1799 in Mannheim, beide in hohem Greijenalter, beide tief gefränft, daß ihre beiten Abjichten gegen ihren Landesherrn und die Stadt ihres Wirkungskreiſes jo jchmählich verfannt und beur- theilt worden waren.

Der Kelch der Leiden war durch das Wurmjer’iche Douceur und die fortdauernden Contributionen fir Mannheim noch nicht erjchöpft. Die leßteren ftiegen in einem enormen Grade. Im Jahre 1796 mußten allein für Brennöl 3646 fl. von der Stadt an die Garniſonsmannſchaft gezahlt werden. In dem gleichen Verhältniffe ftanden die übrigen Leijtungen.

In der Stadt lagen das 2, 3., 10. und 12. Füſilier— regiment, ein Ingenieur» und Artilleriekorps.

Außerdem rückten nocd das Regiment Herzog Mar und das zweibrüdiiche Garderegiment ein.

Im Juli wird ſchon wieder der Stand der Dinge bebenf- fih; es wird anbefohlen, daß alle Emigranten binnen 24 Stunden die Stadt verlajien müfjen, und daß ſich die Ein- wohnerihaft auf einige Monat verproviantire; auch wird Die Abtragung aller Gebäulichfeiten vor dem Heidelberger Thore binnen 10 Tage angeordnet.

Feltungsfommandant war Freiherr von Baaden und Feld— marjchalllieutnant Baron Petraih. Die furfürftliche Regierung lag in den Händen einer Oberlandesverwaltung, zu deren Mit- glieder von Dalberg, von Perglas und von Reibeld ernannt wurden.

Die neu conftituirte Regierung hatte ein jchweres Amt. Das Kriegsrecht waltete, und es handelte fich wejentlich nur um die Herbeiichaffung der Kriegsbedürfniſſe. Die Bevölkerung wurde migmuthig. Eine jolche Stimme jchlidh ſich in den Sad- falender pro 1797 ein und jchilderte dort die Drangjale der Belagerung und fortdauernden Bedrückung. Sofort wurde der Kalender confiscirt und vernichtet. Die drohende Kriegsgefahr 30g indejjen vorüber und auch das Jahr 1797 gejtattete wieder, an die Gejchäfte des Friedens zu benfen,

Die auögejtandenen Leiden und Drangjale hatten auf die

Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politiihen Ercigniſſe. 459

fichlihe Gegenüberjtellung mildernd gewirkt und zum erjten Male werden die beiden Bürgermeijter Weller und Ader- mann, der eine katholiſch und der andere lutheriſcher Con- fejfion einftimmig gewählt. Von Traitteur nahm jene ſchon früher verfolgten Wajferleitungspläne wieder auf und pro- jectirt jet eine jolche Leitung aus dem Leimbach bei Schweßingen, nachdem die aus dem Gebirge bei Rohrbach durch die Kriegs» zeiten noch vor ihrer Vollendung wieder zerjtört worden war.

Auch Heinen Angelegenheiten wendet fich wieder die Auf— merkjamfeit zu, und wenn bie Stadtjoldaten, angejtedt von dem leichten Kriegstone, in nicht ordonanzmäßiger Kleidung, aljo mit ſchwarzen Beinffeidern, mit Stiefeln und ohne Batrontajche auf die Wache ziehen, jo werden fie jtrengjtend zur Ordnung zurüdgeführt.

Ernftliher werden die Dinge jchon wieder im Jahre 1798, Am 25. Januar 1798 meldet das Directorium, daß der Stadt- commandant dv. Bartels durch die jenjeits des Nheines ftehen- den Franzoſen unter General Dubinot und Ambert aufgefordert worden jei, die Rheinjchanze zu übergeben. In diefer comman- dirte Obrijt von Sarg, welcher die Uebergabe ablehnte, da Die Rheinſchanze ihm zur Vertheidigung anvertraut ſei. Bon Dal- berg leitete Verhandlungen ein, die auch dahin zum Ziele führten, daß die Franzoſen zujagten, vorerjt nichts Feindliches gegen Mannheim zu unternehmen.

Es ſollte nur ein Boften von 200 Mann 60 Schritte von der Rheinbrüde ftehen bleiben, und es jollte der Waffenjtill- ftand mit Zmal 24jtündiger Friſt gekündigt werden müſſen. Die Rheinſchanze jelbjt war aber hierbei abermals verloren gegangen. Die Lage der Stadt war abermals jehr bedenklich und abermals wendet fi) der Stadtrath an den Kurfürften, um ihm vorzujtellen, daß man doch nicht daran denfen möge, eine Feſtung zu vertheidigen, welche feinen Proviant, feine ausfömmlihe Munition, feine hinlängliche Garniſon und feine Ausfiht auf Succurs bejäße. Der völlige Ruin der Stadt jei unter jolhen Umjtänden gewiß.

Soweit haben wir hier die Ausführungen Feders üher

460 Die Abreife Karl Theodors und Die folgenden politischen Greignifie,

dieje Ereignifje, als unjerer Meinung nad) den Nagel auf den Kopf treffend, in's Feld geführt.

Dian fieht bejonders auch aus den legten Worten wieder, wie die Bevölkerung Mannheims dem Kurfürften für feine, die Stadt ſchonende Politif dankte. Zu ſehr noch ftanden dem Fürſten wie dem Volke die furchtbare Zerftörung Mannheims vor Augen, die im Orleans’jchen Kriege die Folge einer unrich- tigen äußeren Politik war,

Bor Wiederholung diejes Schiejals hat die Stadt wenigſtens die vorjichtige Behandlung diejer Sahe von Seiten des Kur— fürften bewahrt. Das Mittel freilich, um dieje dem Kurfüriten immer am Herzen liegende Stadt, deren Erbauung er mit be= wirft hatte, vor allen Kriegs» Drangjalen zu bewahren und alle Streitfälle zu vermeiden, wäre eine frühere Aufhebung des Feitungscharacter® der Stadt geweien. Dieje Aufhebung wurde lebhaft discutirt und Karl Theodor ordnete fie nun auch wirflih an.

Da trat ein Ereigniß ein, das die gänzliche Veränderung aller bisherigen Stadtverhältniffe und Landesbeziehungen zu baldiger Folge Hatte.

Am 18. Februar 1799 wurde diejes Ereigniß befannt: an diefenn Tage traf die Nachricht von dem am 16. März zu Münden erfolgtem Tode des Kurfürften Karl Theodor ein.

Es war fein Tod, der zu larmoyanten Betrachtungen Beranlafjung gab; plötzlich hatte ein Schlagfluß dem Leben des immer noch weltfrohen Regenten*) in deſſen hohem Alter von 75 Jahren und in dejjen weit über 50 Jahre hinausgegangener Regierungszeit ein Ziel gejebt.

Die Bevölkerung Mannheims war heftig bewegt und be- jonders alle, die Kunſt und Wiſſenſchaft liebten und in deren Dienjten jtanden, wußten, was fie an dieſem Fürſten verloren,

*) Ein Jahr nad) dem Tode der Kurfürſtin Elifabeth Auguſta hatte fih Karl Theodor noch im Alter von 71 Jahren mit der jungen Erzher— zogin Maria Leopoldine von Oeſterreich (1795) vermählt. Der aus Rück— ficht auf die Thronfolge eingegangenen Ehe entblühte jedoch fein Throns folger.

Die Abreife Karl Theodors und die folgenden politifchen Greignifie. 461

welcher heute erjt wieder (3. B. von Robert Eitner in der Allgem. beutichen Biographie) als der gelehrtejte und gebildetite Regent jeiner Zeit bezeichnet wird.

Biden wir auf das Leben des Fürſten im engeren Sinne, auf feine perfünlichen Lebensverhältnifje zurüd, jo fällt befonders eines auf: die Kälte und Traurigfeit jeiner Che mit Elijabeth Auguſte von Sulzbad).

Gewiß war dieje Fürſtin eine Herzensgute Frau, wie dies ihre Wohlthätigfeit und Fürſorge für Kranke beweiit. Ja, als Protektorin der phyſikaliſch ökonomiſchen Gejellichaft, ala Be— gründerin der ſegensreichen Hebammenſchule u. ſ. w. zeigte ſie ſich auch als eine geiſtig hochgebildete Frau.

Allein, wahre Liebe kann nicht künſtlich erzeugt werden. Die gut gemeinte Idee Karl Philipps, ſeine Lieblinge, Couſin und Couſine in jungen Jahren durch einen Bund der Ehe an— einanderzufeſſeln, iſt nicht zum Segen ausgeſchlagen. Der Zug des Herzens iſt nicht durch andere Mächte zu beſtimmen, und jo blieben ſich Karl Theodor und ſeine Gattin innerlich fremd. Erjt nach 19jähriger Ehe ſchien es, als ob Familienglück in diejes Fürſtenhaus einziehen jolltee Ein Sohn wurde am 28. Juni 1761 geboren, der den Namen Karl Ludwig erhielt. Aber fur; nah der Geburt jtarb das Kind und die Mutter wurde durch fortdauernde Krankheit dem Eheglück noch mehr entfremdet.

Den Kurfürſten erfaßten manche vorübergehende Neigungen zu weiblichen Schönheiten (man nennt vor allem die Namen Huber, VBerneuil und Augujte Wendling, die Tochter der be= rühmten Sängerin), und es tjt fein Zweifel, daß bier das Hofleben, wie damals an vielen anderen Fürſtenhöfen auch, von franzöfticher Leichtlebigfeit erfüllt war.

Dod in einem Falle hat das weibliche Gunſt reich begehrende Herz des Kurfürſten wirkliche Leidenſchaft, wahrhafte Liebe durch— bebt, die nie erlojh und ewig noch in der Erinnerung an das blühende Wejen fortlebte, das der Tod frühzeitig vernichtete. Es it dies Karl Theodors Liebe zu der Schaufpielerin Maria

4652 Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politiſchen Ereigniffe.

Joſepha Seyffert (Seiffart). Gegenüber der Dede und dem Miß— geichiet jeiner Ehe, der nicht ein lebensfähiges Kind entiprofien, war das Verhältniß mit diejer Künftlerin durch vier blühende Kinder gejegnet, die Das nach Kinderfröhlichkeit ſich ſehnende, heitere Gemüth des Fürften mit Wonne und Glüd erfüllten. Hier, bei diejen Sprößlingen fühlte er fi) wohl, die Mutter, umgeben von ihren Kindern, ließen ihm den Schein eines Familienglücds genießen, das ihm das Schickſal in anderen Berhältnijjen ver- fagte. Wir wiſſen, daß Mozart die Kinder der Künjtlerin eine furze Zeit unterrichtete und ihnen einige Compofitionen widmete, Es dürfte faum ein Zweifel darüber herrichen, daß der Fürſt noch eine Ehe mit diejer Stünftlerin eingegangen wäre, wenn dies die Verhältnifje irgend geitattet hätten und nicht der Tod dazwiichen getreten wäre. Die väterliche Liebe, die er allezeit den Kindern diejer Künſtlerin bewahrt hat, beweilen, daß nicht nur jein Sinn, jondern auch jein Herz für die lehtere ent- brannt war. Denn die Belehnungen, die er den Slindern ber Geliebten zufommen lieh, find erjt nach dem Tode der letzteren erfolgt. Alſo wollte er ſich nicht durch gewährte Geichenfe die Gunſt der Geliebten und vergnügte Stunden ertaufen, jondern eine innige Herzensliebe gedachte nur der theuren Entichlafenen und hielt jchütend die Hände über die geliebten Kinder.

Sein Lebenlang fühlte er ſich für eine jolche Liebe verpflichtet, und tief jchmerzlih muß er es empfunden haben, dab er jeinen, dieſem Verhältniß entiproffenen Sohn nicht zu dem Erben jeines Thrones machen konnte.

Was waren die Belehnungen dieſes Kindes und von deijen Geſchwiſtern mit ein paar Gemarfungen gegen das Naturrecht, da3 fie eigentlid) an das Erbe des Thrones hatten. Das mag wie gejagt der tiefjte Schmerz des Kurfürſten geweien jein, der immer und immer wieder jeiner Kinder mit Gaben gedachte, ohne dabei die letzte Befriedigung zu finden.

Diefer Sohn, Karl Auguſt Friedrih Jojeph, wurde am 24. October 1769 geboren. Ein Jahr vor ihm am 27. Januar 1768 hatte jeine Schweiter Karoline Jojephine Philippine das

Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politiſchen Ereignifie. 463

Licht der Welt erblidt. An der Geburt der Zwillingsichweitern Eleonore Karoline Jojepha und Friederike Karoline Joſepha am 9. Dezember 1771 jtarb die Mutter nach mehrmwöchentlichem Krankenlager am 27. Dezember besjelben Jahres in dem jugend» lihen Alter von 23 Jahren,

Die Leiche der verjchiedenen Künftlerin, die den Rang und Namen einer Gräfin Heyded erhalten hatte, wurde in der Sarmeliterfiche (L 3 jetzt Großh. Injtitut) beigejegt. An den zwei legten Tagen des alten und an den zwei erjten Tagen des neuen Jahres waren Trauermeſſen gehalten worden. Später, als am 15. Augujt 1778 der Sohn der Berftorbenen die Herrichaft Zwingenberg a. NR. (Burg mit acht Dörfern) er— halten hatte, wurde die Leiche in die dortige Schloßfapelle überführt. Karl Auguſt erhielt u. A. noch die Herrichaften Breidenband, Meerfeld, Gladbach, Mandel und Planig, Weih- weiler, Baland und Stadt und Stift Lindau am Bodenſee, für welch’ legteres Bejisthum er jpäter die Herrichaften Saros— Paſak und Regecy eintaujchte, die früher dem Fürſten Franz IL Nagoczy gehört hatten. Bon Eſſeg in Ungarn aus erhob Kaiſer Jojeph II. am 19. Dezember 1789 Karl Auguft, veip. die Familie Heyded, in den Reichsgrafenjtand mit dem Namen von Bregenheim.

Sleih nach dem Tode der Mutter Hatte Kurfürft Karl Theodor für die Erziehung und Zufunft der Kinder Sorge ge— tragen. Die Erziehung der finder hatte Reichggraf von Obern- dorif und Regierungsrath of. dv. Fink zu überwachen und zu ihrem Beſitz erwarb Kurfürſt Karl Theodor die Herrichaft Bregenheim an der Nahe von Freiherr Joſeph Leopold von Noll (bisher kurkölniſches Zehen), für welche Karl Auguſt 1801 Lindau am Bodenjee erhielt, da das Fürſtenthum an Frankreich abgetreten werden mußte. In Mannheim wurde 10 Jahre nach dem Tode der Mutter für die Kinder dag unter dem Namen Bregenheim’sches Haus befannte Palais gegenüber dem Schloſſe gebaut, ein funftreiches Denkmal rein väterlicher Liebe und Fürſorge.

4654 Die Abreiie Karl Theodors und die folgenden politiichen Greigniiie.

Karl Auguſt jtarb am 27. Februar 1823. Er war ver: mählt jeit 27 April 1783 mit Maria Walburg, Fürftin von Dettingen» Spielberg. Seine Schweitern, die Söhne hoher Familien geheirathet hatten, waren jchon vor ihm aus dem Leben geichieden. Der legte Sproß des Haujes Bretzenheim, Fürft Alfons, faiferlich öfterreichiiher Oberft, der mit einer Bürgerstochter Johanna Hofmann vermählt war, jtarb 1863.

Das Hofleben in Mannheim entfaltete einen ungewöhn- lihen Glanz, mit dem der Kurfürſt auch anderen Regenten gegenüber jeine Poſition erhöhen wollte. An Feſtlichkeiten und Bejuchen fürjtliher Perjönlichkeiten fehlte es nicht.

Bon den Seiten jei hier bejonders die Feier der Ver— mählung der Tochter des Bralzgrafen Friedrich von Ywei- brüden, Amalie Augufte mit dem Kurfürjten Friedrich Auguſt von Sachſen am 17. Januar 1769 erwähnt, an welchen Tage auch die Akademie die Verbindung und „Freundſchaft der Pfälzer mit den Sachſen“ durch eine Feſtrede des Geſchichts— Ichreibers Chr. Jacob Kremer preijen lieh.

Unter den zahlreichen Fürftlichkeiten, die zur Zeit Karl Theodors im Mannheimer Schloife weilten, befand fich auch Kaijer Jojeph IL, der am 29. Mai 1781 (unter dem Namen Graf von Falkenſtein) auf der Durchreiie von Frankfurt nad Wien bier Eurzen Aufenthalt nahm. Später nad) dem Wegzug des Kurfürſten bejuchte der König von Preußen in Begleitung des tronprinzen, der Herzöge von Sachſen-Weimar und Braune Ichweig die Stadt Mannheim und zwar im April 1793, zur Zeit als jeine Armee zwiichen Worms und Grünftadt lag. Bei jeiner Anwejenheit fanden größere Feſtlichkeiten jtatt.

Den König von Preußen (Friedrich Wilhelm II.) hatte der Pfalzgraf Marimiltian Joſeph von Zweibrüden empfangen, der das Mannheimer Schloffe mit feiner Gattin Marie Wil helmine Augufte, von jeinem Wohnfig in Straßburg durch die ausbrechende Revolution vertrieben, zum Aufenthalt gewählt hatte.

Die Pfalzgräfin, die von der Mannheimer Bürgerichaft

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Die Neckarbrücke.

Die Abreije Karl Theodors und die folgenden politiichen Ereigniſſe. 465

wegen ihres al3 vorzüglich gepriejenen Character8 Hochverehrt wurde, ftarb hier im Mai 1796.

In Mannheim weilte ihr Gatte auch im Jahre 1799. Hier erhielt Marimilian Jojeph die Nachricht von dem Tode Karl Theodor und von hier aus trat er jeine Regierung Bayerns und der Pfalz an.

Deier, Geichichte der Stadt Mannheim. 30

Gap)

XXV. Concert-⸗, Opern- und Kirchenmuſik.

Blüthe der Muſik Das Mannheimer Orcheſter Die Mannheimer Componiſtenſchule Johann Stamitz Franz XRaver Richter Anton Filtz Chriſtian Cannabich Karl und Anton Stamig Joſeph Toeschi Balletmuſik Opernaufführungen Opera seria Opera buffa Ignaz Holzbauer Das deutſche Singſpiel In Mannheim geborene Muſiker Opernfänger und Sängerinnen Stalieniiche Ka— ftraten Deutihe Sänger Anton Raaff Dorothea Wendling Mozart in Mannheim Die KHirhenmufit Abbe Vogler ald Vorgänger Franz Liſzts Beziehungen zu Karl Maria von Weber. Wielands „Rofamunde”.

Dangit vor dem Tode Karl Theodors hatte Mannheim den Verluſt diejes Fürften zu beflagen. Mit jeiner Abreije von Mannheim in der Sylvejternaht 1777/78 nad) München war der erjte Schritt zu jeiner Ueberjiedelung in die bayrijche Haupt— jtadt gethan. Wohl fam der Kurfürjt kurz darauf nad Mann— heim zurüd jedoch nur, um die Ueberjiedelung des ge— jammten Hofes nad) München zu regeln, und um nicht allzujchroff jeiner Lieblingsjtadt zu entjchwinden.

Als der Kurfürjt mit feiner Gemahlin am Ende des Sommers 1778 zum legten Male das Theater bejuchte, hatte ji wieder eine große Volksmenge auf der Straße verjammelt. Die Leute geberdeten ſich wie verzweifelt und Viele warfen jih vor den Wagen des mit jeiner Gattin aus der Vorjtellung zurücfehrenden Kurfürjten auf die Erde, das Bleiben des Fürften in Mannheim und Gnade für die Stadt erflehend.

Concert⸗, Opern⸗ und Kirchenmuſik. 467

Als „rührend und ſchaudervoll“ bezeichnet Stengel dieſen Auf— tritt in ſeinen Memoiren. Die Kurfürſtin war ſo erſchüttert, daß ſie nicht mehr fähig war, ohne Beiſtand die Schloßtreppe hinaufzuſteigen.

Es war auch für den Kurfürſten ein ihn tief bewegender Augenblick, als er die Stätte der Kunſt, die er geſchaffen, zum letzten Mal betrat.

Aber die Grundlage, die er hier bereitet, war durch den Wechſel der Ereigniſſe nicht anzutaſten. Neues, Großes er— wuchs weiter aus dem kulturreichen Boden, junge Knospen ſetzten wieder an und ſprangen auf zu einer herrlichen, Früheres noch überſtrahlenden Blüthe.

Sehen wir zu, wie ſich dies für das Mannheimer Theater aus den gegebenen Grundlagen herausgeſtaltete.

Die innigſten Beziehungen hatte Karl Theodor, der ſelbſt Cello und Flöte jpielte, von Jugend auf zur Muſik. Ihre Wundermacht fich voll entfalten zu laffen, war immer jein heißes Bejtreben. So jcheute er weder Mühe noch Kojten, um in Mannheim die Pflege der Muſik in großem Stile zu bes wirken. Zunächſt wußte er ein Orchejter zu begründen, das ganz neuen Klangwirfungen die Bahn brad).

„Bor allem war e3 die Injtrumentalmufit jo jchreibt Otto Jahn in dem Klaffiichen, uns zum Führer dienenden Werfe über Mozart durd welche Mannheim jich auszeichnete, und das dortige Orcheſter galt nad) dem einjtimmigen Urtheil als das Erjte in Europa. Es war zahlreicher und volljtändiger bejett, namentlich in den Blasinftrumenten al3 jonft damals gebräuchlih war. Mozart Iernte hier zuerjt die Clarinetten als Orcchefterinftrument fennen. Uebrigens war es nicht allein die Kraft eines wohlbejegten Orcheſters, welche man lobte, jondern ein fein jchattirter Vortrag, wie man ihn früher nicht fannte. Man veritand es Piano und Forte in den verichte- denjten Abftufungen wiederzugeben, das Crescendo und Dimi- nuendo wurde in Mannheim erfunden.*) Dieje außerordentlichen

*) reip. zuerit bewußt zur Geltung gebradt. 30*

468 Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik.

Leiitungen des Mannheimer Orcheiters, welche bei den Zeitge— nofjen eine ähnliche Bewunderung erregten wie die des Pariſer Drchefterd unter Habeneds Leitung in unferer Zeit (1850) wurden dadurch begünftigt, daß bdasjelbe nicht bloß in der

Oper, ſondern in den regelmäßigen Muſiken des Kurfürſten ſpielte, der ſich mit lebhaftem Intereſſe an denſelben be— theiligte.“)

Der erſte Kapellmeiſter des Hoforcheſters ſchon unter Karl Philipp war der Italiener Karl Grua. Von ihm wiſſen wir, daß er bereits 1734 hier dirigirte. Er war es auch, der die

*) In Schubarts Leben und Geſinnungen (I. Theil Stuttgart 1791 geziert mit Supferitichen von Anton Karcher Mannheim) findet fich folgende Schilderung des damaligen Mufiklebens am Hofe Karl Theodors: „Sch kam nah Mannheim nicht ohne Staunen über die fimetriihe Anlage und Schönheit diefer deutichen Stadt... . Mitten unter (verjchiedenen) Grgözzungen erhielt ich ſchleunigen Befehl mich nad Schwezzingen zu be= geben und vor dem Surfüriten zu ſpielen. Gin Befehl, der mir umfo an— genehmer war, je ſchwerer es ſonſt fiel, bei diefem Fürften Gehör zu finden. Sc fuhr mit dem jungen Grafen von Neflelrodt dahin und wurde fogleich vor den Kurfürften gerufen. Er befand ſich feiner Gewohnheit nah im Badhauſe, einem im fchtwezzingiichen Garten liegenden zwar Heinen, aber ungemein geihmadvollen Gebäude, die Prinzen Gallian und Nienburg, die Frau von Sturmfeder und nod ein Paar Kavaliers waren bei ihm. Er hatte beinahe allen Glanz, jede Miene der zweiflenden Hoheit nad) Klop— ſtocks Ausdrud abgelegt und jchten nur guter Menſch und liebenswür— diger Gejellichafter zu jenn. Sein Aeußeres fündigte Gefundheit und männ— fihe Stärfe an. Sein freundlicher Bid, den er auf Fremde und Einheimiiche ausitrahlt, mildert das zurükichröfende feiner Macht umd feines Anjehens. Man vergißt im Anblif feiner lichten Miene den Stern bald, der an jeiner Brujt flammt und jeine Fürftengröße anfündigt. Er em: pfing mich jo gnädig, dab fich meine Blödigkeit bald in Freimuth ver: wandelte. Nachdem er fich liebreih nach meinen Umftänden erkundigt hatte, jo spielte er jelbit, beinah etwas furdtjam, ein Flötenfonzert von zween Toeſchi und dem Wioloncelliften Danzy bes gleitet. Nach diejen ſpielte ich verichiedene Stükke auf dem Fortepiano, fang ein ruffifches Striegslied, das ich foeben gemacht hatte, jtand auf, fprah über Literatur und gewann des Kurfürſten vollfommenen Beifall. Ich will Ihn öfters hören und ſprechen“, ſagt' er mit heiterfter Miene, als ih Abichied nahın.”

Concerts, Opern: und Kirchenmuſik. 469

erite Aufführung des neugebauten Opernhaujes und zwar jeine eigene Oper „Meride“ leitete. 1748 wurde von ihm nod) eine Oper „La clemenza di Tito“ aufgeführt. Als er in der Folge nur noch Leiter der Kirchenmuſik war, componirte er, jowie jein Sohn Paul Grua zahlreiche Dratorien, Mejjen und Motetten. Er jtarb im Jahre 1773 zu Mannheim.

Weit bedeutender gejtaltete ſich das Wirken eines anderen Stapellmeijters und Gomponijten in Mannheim: das Wirken des am 19. Juni 1717 zu Deutjhbrod in Böhmen geborenen und 1743 von Karl Theodor an den furpfälziichen Hof be= rufenen Johann Stamig. Stamik war nur 15 Jahre in Mannheim thätig, 12 Jahre nur dirigirte er das Mann heimer Hoforcheiter, aber ihm verdankte die Injtrumentalmufit in Mannheim ihren mächtigen, alles überholenden Aufihwung. Ueber die bedeutende Stellung, die jeine Compofitionen in der Gejchichte der Muſik einnehmen, wird endlich volle Klarheit geichaffen. So jchreibt Riemann in jeiner neuen PBublifation über die Mannheimer Symphonifer: „Die genannten Trios von Stamis (auf melde auch Anklänge in BBoccherinis Uuartetten Op, 1. deutlich hinweijen) inauguriren in einer gar nicht zu überjehenden Weile den Stil der modernen Kammer: mufit und find die erjten noch heute mit ausgezeichneter Wir- fung jpielbaren deutichen Streichtrios. Der Generalbaß it in ihnen durchaus entbehrlich; der zweite Sat des erjten Trios jteht auf der vollen Höhe der Kunſt Haydns und Mozart3 und iſt von einer für alle Zeiten unvergänglichen und muftergültigen Faktur. Die feine Abtönung des Ausdruds des ganzen Satzes, der von einer wahrhaft klaſſiſchen Gemwähltheit und Nobleſſe umd von einer bezwingenden Logik ift, die auch nicht eine Note ohne Schaden zu ändern gejtattet, verleihen demjelben dauern» den Werth. Vielleicht zum eriten Male tritt in Stamip’ Trio der ganze Zauber des Biolinflangs berüdend hervor. Kein Zweifel: Johann Stamig ift der jo lange ge- ſuchte Vorgänger Haydns! Hiller hat recht: zu allen Zeiten joll der Name des Mannes heilig jein, ber zuerjt ge— (ehrt Hat, wie ein jchlicht fich ausjprechendes inniges Em—

470 Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik.

pfinden alle gelehrte Kunſt aus dem Felde ſchlägt.“ Stamitz ftarb 1758.

Ein hervorragendes Mitglied der älteren Mannheimer Componijtenfchule war auch Franz Kaver Richter. Er ijt am 1. Dezember 1709 zu Holliihau in Mähren geboren. Er wirfte 1747—1769 in Mannheim und führte den Titel eines Kammer-Mufiferd und Componiften des Kurfürjten, hat aber auch als Baßſänger bei der Oper mitgewirkt. Ueber Richter und jeine zahlreichen Compofitionen, von denen bereits 1748 das Oratorium „La deposizione della croce“ in Mannheim aufgeführt wurde, urtheilt Riemann in der jchon obengenannten Bublifation: „Der Inftrumentaleomponift Richter wird ohne Zweifel in der nächſten Zukunft in erhöhtem Mae Beachtung finden und auch feine Vofalcompofitionen verdienen ausführ- liher unterfucht und gewürdigt zu werden.“

Richter nahm 1769 eine Anftellung als Münfterfapellmeifter zu Straßburg an, mwojelbjt er am 12. September 1789 jtarb. Im Mimfterarhiv zu Straßburg befinden ſich die Partituren und Stimmen zu einer großen Anzahl feiner Compofitionen (28 Meſſen, 2 Requiems, 38 größere Motetten, ein Tedeum, 16 Pialmen, 2 Kantaten, 2 Paſſionen u. a. m.).

Neben Stamis und Richter wirkte der von Schubart bejonders gefeierte Componift und Gellovirtuos Anton Filg in Mannheim etwa in der Zeit von 1754 bis 1760. Ueber jein Leben ijt nicht viel befannt geworden. Schubart mußte an der Urwüchſigkeit der Compofitionen von Filtz bei jeiner kraft— genialen Art bejonders Gefallen finden. Er nennt Filtz den beiten Symphoniefchreiber, der jemals gelebt bat, und bedauert den infolge eines bizarren Einfall (Efjens von Spinnen) ein- getretenen Tod des Componiſten.

„Pracht, Volltönigfeit, mächtiges, allerfchütterndes Raujchen und Toben der Harmonieflutd; Neuheit in den Einfällen und Wendungen, jein unnahahmliches Pompojo, jeine überrajchen- den Andantes, jeine einjchmeichelnden Menuetts und Trios und endlich feine geflügelten, laut aufjauchzenden Preſtos haben ihn bis zu diejer Stunde die allgemeine Bewunderung nicht rauben

Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik⸗ 471

fönnen.“ So lautet das Urtheil Schubarts über die Ton- ihöpfungen von Anton Filtz. Nach den Mittheilungen Rie— manns wird von der Sol. Hausbibliothef zu Berlin eine größere Anzahl von Pariſer Ausgaben Filtz'ſcher Werke auf- bewahrt, die mit Symphonien von Joh. Stamig zufammen- gebunden find unter dem Titel „Receuil de Symphonies de feu Mrss Stamitz et Filtz‘“ (Paris, Huberty und Paris, La Chevardiere).

Zu dem jüngeren Zweig der Mannheimer Componiften=, Dirigenten und Violiniften-Schule gehört in erſter Linie Ehriftian Cannabich, ein Schüler von Johann Stamitz. Cannabich ijt jedenfall$ 1731 zu Mannheim geboren als Sohn bes Flötiften und Kammermuſikers Matthias Cannabih. Nach Vollendung jeiner dreijährigen Studien bei Jomelli in Italien, trat er 1765 jeine ihm jchon 1759 gemwährleiftete Anjtellung als Concert- meilter des Hoforcheſters an. Mit ihm erreichte das jchon unter Stamitz vorzügliche Orchefter feinen größten Ruhm. Schubart urtheilt über Cannabich: „Mein erfter Freund aus dieſem Strahlenfreife war Cannabich, der mit der ſchönſten Kunfteinficht das beſte deutjche Herz verbindet... .. Das mit Recht jo hochberühmte pfälziiche Orheiter hat dieſem Manne das Meiſte von jeiner Bolltommenheit zu danken. Nirgend wird Licht und Schatten befjer marfirt, die halben, mittel und ganzen Tinten fühlbarer ausgedrüdt, der Töne Gang und Ber: halt dem Hörer jo einjchneidend gemacht; und die Katarakte des Harmonieftroms in jeiner höchſten Höhe allwirfender vor- getragen als hier. Die meijten jungen Mitglieder diejes treff- lichen Mufitchors find Cannabichs Zöglinge. Selbjt Cramer, Bollis würdiger Nachfolger, deſſen Grazie ich ſchon in Lud— wigsburg bewunderte, ıjt e3.“ („Leben und Gefinnungen I.) „Sannabih, von der Natur jelbft zum Goncertmeijter ge— bildet, bejigt die Gabe mit dem bloßen Niden des Kopfes und BZuden des Cllenbogens das größte Orcheſter im Ordnung zu erhalten. Er ift der eigentlihe Schöpfer des gleichen Vortrags, welcher im pfälzischen Orcheſter herricht. Er Hat alle jene Zaubereien erfunden, die jetzt Europa be-

472 Goncert:, Opern» und Kircheumnſik.

wundert. Das Colorit der Violine hat vielleicht noch niemand jo durcchitudirt, wie dieſer Meiſter. . . . So groß er als Eoncertmeifter ift, jo groß iſt er auch im Unterricht. Die erjten Sologeiger und die vortrefflichiten Ripteniften gingen aus feiner Schule hervor.“ (Aeſthetik).

Als Componift ſchuf er zahlreihe Eymphonien, Sonaten, Eoncerte, jowie mehrere Opern (u. A. in Mannheim: „Aza— faja“, in Münden: „La Croisee* aud in Paris 1788 auf: geführt, „Elektra“ und die Operette „Angelifa“). Ganz be— ſonderen Erfolg hatten jeine Ballet „La descente d’Hercule aux enfers* und „Cortey et Thelayre“, welch’ lebteres 1794 auch in Berlin aufgeführt wurde Die glänzende Mufiferlaufbahn jeines Sohnes Karl Cannabih, 1771 zu Mannheim geboren, der raſch bis zum Hofmufifdirector im Münden avancirte und fich als Leiter der Münchener Hofe fapelle, wie alö Geiger und Componijt der Opern „Orpheus“, „Palmer und Amalia”, des Ballet? „Arur" und zahlreicher anderer Tonjchöpfungen einen bochangejehenen Namen gemacht hatte, wurde durch den plößlichen Tod diejes vortrefflichen Tonkünſtlers am 1. Mai 1806 jäh abgebrochen. Karl Cannabich hat jeinen Vater, der (1798) bei einem Beſuche jeines damals in Frankfurt wirkenden Sohnes ftarb, nur um 8 Jahre überlebt.

Zwei andere gleichfalls in Mannheim geborene Compo— nijten find die Brüder Karl und Anton Stamit, Söhne des Johann Stamig. Karl Stamig, am 1, Mai 1746 ges boren, genoß von Jugend auf die Schule jeines Vaters, dann jegte er jeine Studien unter Leitung Cannabich3 fort und war er 3 Jahre Mitglied des Hoforcheiters 1767—1770. Hierauf unternahm er eine Concertreije nach Paris, und er errang fich dort großen Beifall durch feine Vorträge auf der Bratiche und „Viola d'amour“ jowie die Anftellung als Concertmeijter bei dem Herzog Noailles. Bon 1785 an hielt er jich zeit= weilig in Nürnberg, Prag (1787) Eafjel (1789—90) und nad) einer längeren: Reije durch Rußland in Nena (1800) auf, überall jals Künſtler wirfend und gefeiert. In Iena, wo er

Concert⸗, Opern» und Kirchenmuſik. 473

die Afademie-Concerte leitete, ereilte ihn im Jahre 1801 der Tod.

Karl Stamig Hat außer zahlreihen Symphonien, darunter eine Jagd-Symphonie für Streichquartett, Biolin-, Bratichen- und Clavierconcerte u. A. auch zwei Opern „Der verliebte Bormund“ und „Dardanus“ componirt. Die erjtge- nannte Dper wurde in ‘Frankfurt, die andere in Petersburg aufgeführt.

Anton Stami begleitete im Alter von 17 Jahren (er iſt 1753 zu Mannheim geboren) jeinen Bruder Karl auf der Reife nad) Paris, wojelbjt er fich jedenfall niedergelafjen Hat. In Paris gab er eine Reihe von Compofitionen heraus, Sym— phonien und Concerte. 1794 wird jeiner in der Berliniſch— Muſikaliſchen Zeitung als „noch Lebenden“ vorzüglichen Muſikers gedacht. Das Jahr jeines Todes fonnte bis jet noch nicht ermittelt werden.

Bon jeinen Compofitionen werden u. WU. genannt: 12 Streichquartette, 18 Trios für 2 Violinen und Baß, für 2 Violinen und Cello, für Violine, Flöte und Baß, 6 Duetten für Violine und Flöte, 3 Clavierconcerte und Nocturnen für . Violine und Cello.

Eine kurze Zeit in Mannheim hielt fich auch ein Bruber des „alten“ Johann Stamitz, Thaddäus Stamitz (geb. 1721 zu Deutjchbrod) auf. Er war in der von Johann Stamit geleiteten Mannheimer Kapelle Gellift, widmete ſich aber dann dem geijtlihen Stande und jtarb als bijchöflicher Bicar und Canonicus des Stiftes in Alt-Bunzlau (Böhmen) im Jahre 1768.

Neben Ehrijtian Cannabich gehörte der jüngeren Compo— niftenjchufe noch) Joſeph Toeshi an aus der Familie der Toesca della Castellamonte von der Romagna. Er ift der Sohn Alerander Toeschis, der bereit3 1742 in Mannheim als Goncertmeijter wirkte und die Balletmufif zu Gruas Oper „Meride“ componirte, und der Bruder des al3 bedeutender Geiger der Mannheimer Kapelle gerühmten Johann Toeschi. Joſeph Toeschi, geboren 1724, trat etwa im Jahre 1750 als

474 Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik.

Violiniſt in die Mannheimer Kapelle ei, Er wurde 1759 Concertmeiiter und leitete da3 Mannheimer Orcheiter neben Gannabich, anfangs aucd während deſſen Studienjahren in Stalien. Mehr als Violinjpieler, zeichnete er ſich als Dirigent und Componiſt aus. Eine neue Ausgabe jeiner zahlreichen Symphonien bereitet Hugo Riemann vor. Große Erfolge hatte Jojeph Toescht ganz bejonders aber auf dem Gebiete ber Balletmufif, die er mit Cannabic zu jehr wejentlicher Höhe brachte.

Die Ballets bildeten zumeiſt zwangloſe Einlagen in den verſchiedenſten Opern. Sie wurden zunächſt zu der Entfaltung prächtigſter Ausſtattung und blendendſten Sinnenreizes benutzt, dann aber fanden ſie auch eine höher gehende Ausbildung. Balletmeiſter Etienne Lauchery brachte dieſe Balletvorführung in den 70er Jahren zu dem größten Glanz. Er richtete eine Art Mfademie des Tanzes ein und führte den Titel des Directors einer jolchen Akademie. Er juchte dem Tanze echt fünstlertiche Wirkungen abzugewinnen und jah in ihm einen Förderer menschlicher Schönheit. Das Balletperfonal umfaßte über ein halbes hundert Kräfte, von denen die Herren Lauchern, Bouqueton, Le Grand und die Damen Micherour, Lauchery, Lang, Dubonlay und Gervais hier genannt jeien.

Zum Vorwurf zu diejen Ballet3 wurden meift erotiiche Scenen aus klaſſiſchen Dichtungen genommen. Auch indijche und türkfiihe Stoffe wurden herangezogen. Dazu famen Pan— tominen in der Art von fomijchen Genrejcenen und ausge: laſſene Harlefiniaden. Eine bejondere Pflege fand die Schäfer- idylle, die jo recht klaſſiſche Stoffe im Gejchmad der Zeit behandelte. Mit einer großen fünfaftigen Pantomine „Pal— merin d'Olive“ (componirt von Cannabich, aufgeführt 1776) gelangte das Ballet zu jelbjtändiger Höhe.

Für dieſe Ballets, die Lauchery in vielbewunderter Weiſe geitaltete, fjchrieben Toescht und Cannabich zumeiit die Mufif. Dft wurden an einem Opernabend zwei Ballet3 eingelegt, die diefe Mujifer componirt hatten.

Während Gannabih u. A. noch die Ballets „Ceyr und

Coneert⸗, Opern⸗ und Kirchenmufik. 475

Alcyone“, „Medea und Jaſon“ (mach Dvid) „Achilles“, „die Amazonen“, „das Jahrmarktsfeſt“ componirte, rühren von Joſeph Toeschi z. B. die Compoſitionen zu den Ballets „Telemach“, „Roger“ (nach Arioſt) „das Frühlingsfeſt“ her. Gemeinſchaftlich arbeiteten Cannabich und Toeschi die Muſik zu den Ballets „Matroſenfeſt“ und „Cythera“ aus. Bei all dieſen Ballets entfalteten die Componiſten mit der Schilderung der Landſchaften und Vorgänge ſchon lebhafte Tonmalerei. Ueber Toeschis Compoſitionen im Verhältniß zu denen Cannabichs ſpricht ſich Schubart in folgender Weiſe aus: „Toeschis Manier iſt nicht jo ganz eigenthümlich aber faßlicher und mehr in den Honiggeihmad der Mode getaudht. Be— ginnende ernſte Majejtät, dann Lenkung des Stroms von Plätjchern des Pianiſſimo bis zum Wogenfturze des Fortijjimo, ſchmeichelnde Andante und komiſches Prejto jind der Character aller jeiner Symphonien. Hat man zwei bis drei gehört, jo hat man fie alle gehört.“ Man wird nad) dem Erjcheinen der Niemann’schen Publikation diejes Urtheil neu zu prüfen haben. Aber nicht allein die Concert» und Ballet-Muſik nahm in Mannheim einen weithin wirkenden Aufichwung, auch auf dem Gebiete der großen Oper wurde hier Neues und bejonders Zus funfsträchtige8 unternommen. Wir haben das damals Auf— jehen erregende Ereigniß der Aufführung des deutjchen Sing» ipiels8 „Günther von Schwarzburg“ an anderer Stelle jchon ausführlich bejprohen. Der Componijt diejes erjten Verſuchs, ein deutjches mufifdramatiiches Werk zu jchaffen, wurde dabei ihon genannt. Ignaz Holzbauer war eine erjte Kraft der großen muſikaliſchen Bethätigung jener Mannheimer Zeit. Ueber ihn berichtet Jahn: „Holzbauer, geb. 1711 in Wien, jollte die Rechte ftudiren, gab jich aber der Mufif Hin und bildete jich jelbit nach dem Gradus ad Parnassum von Fur. Er war anfangs Mufikdirector bei Graf Rottal in Mähren, hielt fih auf wiederholten Reijen mit feiner Frau längere Beit in Italien auf, wurde 1750 Kapellmeijter in Stuttgart und 1752 in Mannheim, von wo aus er nod) mehrere Reijen nad) Italien unternahm, um dort jeine Opern aufzuführen; in den jpäteren

476 Gcucerte, Opern: und Kirhenmuiik.

Jahren war er bejonderd mit Compojitionen für die Kirche und das Orcheſter und dem Unterricht bejchäftigt. Er war ein gebildeter und fenntnigreiher Mann, deifen „inhaltſchwere Ge- ipräche über die Tonkunſt“ Schubart (Selbjtbiographie I ©. 213) rühmt, und Heinje (Briefe von Gleim und Heinje I. ©. 324) nennt ihn die lebendige Chronik der Muſik des Jahr« hunderts. Er jtarb 1783 in Mannheim. Eine Selbitbiographie von ihm findet fich in der mufifalischen Correſpondenz Speier 1790 S. 107 ff. mit einem Nachtrag.“

Die Begründung eines beutjchen Muſikdramas lag Holz: bauer in jeinen alten Tagen jo am Herzen, daß er mit ber Abficht umging, Klopitods Hermannsſchlacht in Muſik zu jegen.

Borher hatte Holzbauer der italienischen Oper gehuldigt und viele italienische Opern verfaßt, die bejonders in Italien große Erfolge hatten. So wurde feine Oper „Alessandro nell’ Indie* in Mailand im Jahre 1758 dreigigmal aufgeführt. Seine Oper „Il figlio delle selve‘* (Sohn der Wildniß) war e3, die ihm jeine Anftellung am furpfälzischen Hofe einbrachte.

Das Eingjpiel „Günther von Schwarzburg“ gab Holz- bauer jelbjt heraus mit einer Widmung, an den Kurfürften Karl Theodor gerichtet. Ein Eremplar diejer Ausgabe befigt die Kgl. Bibliothek zu Berlin.

Bon jeinen früheren Opern jei noch als jog. Opera seriaridicola fein Werf „Don Chisciotte* (Don Quirote), ein Borläufer der neben der Opera seria ſich immer mehr entwidelnden Opera buffa (Komiſchen Oper), erwähnt.

Ueberbliden wir raſch die Kräfte, die mit den jchon Ge— nannten für Muſik- und Theateraufführungen in Mannheim zur Verfügung jtanden, jo kann man weiter noch den Werth diejer Darbietungen entnehmen. Bor Allem treten uns im Orcejter noch zahlreiche berühmte Namen entgegen. „Eine Armee von Generälen*, nennt der englische Mufikichriftiteller Burney die Mitglieder des Mannheimer Orchejters. Bejonders erfreulih it es dabei, daß Diele vortreffliche Künſtler meift Deutiche waren und jomit die deutiche Mufif zu neuer großer Geltung brachten Sehr viele diefer Mufifer find in

Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik. 477

der Stadt ihres Wirkens, in Mannheim geboren, die jomit zur Baterjtadt eines großen, jich weithin verbreitenden Künſtler— freife8 wurde. Dazu gehören außer Cannabid, Anton und Karl Stamis, Johann Ritihel (Sohn des Mannheimer Orga- nijten Franz Ritjchel), Componift und Bicefapellmeijter an der Mannheimer Oper in dem jechsziger Jahren, Wilhelm Cramer, geb. 1745, gejt. 1800 in London, wo man ihn als den „eriten Violiniiten der Welt“ feierte, jowie jein Sohn, der Klavier— virtuoje und Componift Joh. Baptift Cramer (1771 geboren).

Der ebenfalls in Mannheim geborene Ignaz Fränzel wurde 1747 mit 17 Jahren Biolinift des Mannheimer Orcheiters, dann Konzertmeifter, Componiſt' mehrerer Violinconcerte und jpäter Leiter der- Mannheimer Oper und Badilcher Mufik- director. Diejer auch von Mozart gejchägte Künstler jtarb im Sabre 1811. Auch jein Sohn Ferdinand Fränzl, geb. 1770 zu Schweßingen, gejt. 1833 in Mannheim, wirfte als Violin- virtuos, Componiſt und zuletzt als SKapellmeiiter (an der Münchener Hofoper). Wie Ferdinand Fränzl waren aud) die in Mannheim geborenen Biolinijten Friedrich Wilhelm Pixis und Johann Baptift Geiger Schüler von Ignaz Fränzl. Ferner entjtammen der Stadt Mannheim der Violiniſt und Componiſt Chriftian Danner, hier 1745 geboren und in Karls— ruhe 1816 gejtorben. Er war der Lehrer des berühmten Bioliniiten Johann Friedrich Ed, der gleichfalls ein Sohn der Stadt Mannheim it (geb. 1766). Ebenjo war dejjen Bruder, der Violiniſt Franz Ef ein Echüler Dannerd. Der Pioliniit Beter Winter, ein geborener Mannheimer, wurde als Componift der Oper „Das unterbrochene Opferfejt“ befannt. Er jtarb im Alter von 71 Jahren 1826 in München. Gleichfalls erblidte der Gellift, Operncomponift und Karlsruher Kapellmeifter Franz Danzi in Mannheim das Licht der Welt. Seine Schweiter Franziska Danzi, die berühmte Sängerin, heirathete befanntlich den in Mannheim 1746 geborenen ansgezeichneten Oboeiſten Auguft Lebrun. (Schüler von ihm waren die Mannheimer Friedrich Ramm und Anton Fladt). Ferner iſt Mannheim aud) die Baterjtadt des Componiſten Anton Dimmler (geb. 1758)

478 Goncerts, Opern: und Kirchenmuſikj

und des Kapellmeifter3 der Münchener Hofoper Beter Ritter (geb. 1765 gejt. 1846), deſſen Gattin die von Schiller Heiß verehrte Katharina Baumann wurde. Außerdem find auch die Mufikerfamilien Lang, Friedel und Bohrer durch vortreffliche Künjtler mit Mannheim verbunden. Man jieht aus diejer noch feineswegs vollftändigen Aufzählung von Mufifern Mannheims, welhe Fülle von Talenten dem damals kunſtgeſchwängerten Boden diefer Stadt entiproßten.

Zu den Leiftungen des Orchefters, die den Höhepunkt der mufifaliihen Bethätigung Mannheims bildeten, fam noch ein Opernperjonal, das manche tüchtige und berühmte Kraft in jeinen Reihen aufwies. Zuerſt war es allerdings nod) das italienijche Kaftratenthum, das die Oper beherrjchte, allein mehr und mehr brachen fich deutjche Sänger Bahn und wußten durch den natürlihen Wohlklang ihrer Stimme alle Unnatur und Unmanier zu befiegen. Hier wirkte vor allem auch der damals gefeierte Tenor Anton Raaff, von dem Schubart jagt: „Seine Berzierungen und Kadenzen, wie überhaupt jein mufifaliicher Geihmad find unerreihbar ſchön; was er fingt, fingt er mit tiefitem Gefühl und jein jchönes Herz jcheint in feinem Gejang wiederzuhballen.“ Bei der denkwürdigen Aufführung des „Günther von Schwarzburg“ jang Raaff die Titelrolle, und man war glüdlich, für die Aufführung diejes deutjchen Werfes einen ſolchen deutſchen Sänger zu befigen. Ihm zur Seite ſtand Dorothea Wendling, die berühmte, auch von Wieland und Heine glänzend beurtheilte Sängerin. Heinje jchreibt über ihre Erjcheinung 1780 folgendes: „In der Comödie (zu Mannheim) .... habe ih die Dorothea Wendling mit ihrer Tochter ges jehen; deren Stimme Seelenflang mir das Glück leider nicht vergönnt hat. Sie hat viel von dem in ihrem Gejicht, was ich bei den vortrefflichiten ihres Gejchlechtes jchon empfunden babe; das anſchmiegende feuchte, gluthitillende von Weibes— liebe, und dabei das jchnelle, Leicht bewegliche der Leidenſchaft. Ihre Tochter jieht aus, wie eme völlige, Hundertblättrige Roſe.“ Und Wieland urtheilt über ihren Gejang: „Ihre Art

Goncert:, Opern: und Kirchenmuſik. 479

zu fingen, übertrifft alles, was id) jemals, jelbjt von der be- rühmten Mora gehört habe.“

Bon den übrigen Kräften nennen wir noch: die jchon er= wähnte Franzisfa Danzi-Lebrun, Auguſte Wendling (die oben von Heinje kurz gejchilderte Tochter der Dorothea Wenbdling), Roſa Gabrieli-Blekmann, verheirathet mit dem Oboeiften Bled- mann, Rojalie Holzbauer, die Gattin des Kapellmeifters, Mag- dalena Allegranti, Barbara Straffer, Suſanna Toeshi, Minna Brandes, der Baſſiſt Ludwig Fiſcher, der Tenoriſt Franz Hartig u. A. Unter den italienischen Gejangsfräften ragten die Tenorijten Lorenzo Santorini, Pietro Sarfielli, Paolo Carnoli, Giujeppe Guiardini, Battijta Zonca hervor. Von den jogen. Sopraniften trat bejonder® Mariano Lena al3 Director der Dper, (auch Mufifmeifter der Kurfürjtin) in den Vorder— grund.

Zur Aufführung gelangten u. U. Opern von den Stalienern Grua, Galuppi, Sachini, Jomelli, Traetta, Majo, Piccint, Garzias, Gazzaniga, Anfofji, Paefiello, Salteri*), von dem Franzoſen Gretry und von den Deutichen Joh. Chriſtian Bad), Hafje, Hiller, Gluck, Schweiger, Holzbauer und Mozart.

Mozarts Beziehungen zu Mannheim waren von Vedeutung für das Schaffen und Leben diejes Componijten.

„Der Aufenthalt in einer Stadt ichreibt Jahn welche an Bildungsmitteln, an bedeutenden Perſönlichkeiten jo reich war, mußte auf Mozart einen tieferen und nachhaltigeren Ein— flug haben, als dies in Salzburg, Augsburg oder auch in München der Fall jein konnte, und er fam zu einer Zeit nach Mannheim, wo das Fünftleriiche und Titterariiche Streben ſich frrich und thätig regte und zwar gerade auf dem Gebiet, für welches er fich vorzugsweije berufen fühlte, auf dem drama- tiichen, am lebhaftejten.“

*) Antonio Sälieri ift der Gomponift der komischen Opern „La fieri di Venezia" (Der Jahrmarkt von Venedig) und „Der geraubte Eymer“, einer Parodie der damals jhon im Verſcheiden liegenden Upera seria. (Text buch in der DOeffentlichen Bibliothek zu Mannheim).

480 Goncerte, Opern: und Kirchenmuſilk.

Mozart fam am 30. Oftober 1777 mit jeiner Mutter nad Mannheim. Gleich am Tage darnach bejuchte er Canna= bich, der jtarf für den jungen Componiften eintrat und alles that, Mozart an Mannheim zu fejleln. In jeinem Hauje ver- fehrte Mozart während der ganzen Zeit feines Aufenthalts in Mannheim. Er unterrichtete die 14jährige Tochter des Muſikers, Roja Cannabich, und dieje gewann er in ihrer knos— penhaften Schönheit jchließlich jo lieb, daß er ihr eine Sonate widmete. „Wie das Andante diejer Sonate jagte Mozart jo iſt fie.“

Mozart fühlte fich wohl in dem anregenden und liebens- würdigen Stünjtlerfreis, der ihn hier umgab und wie Schubart fonnte er urtheilen: „Und nun jtürzt ich mich ganz in den Strom der Tonkunſt hinein, der hier voll, tief und reich in jeinem Bette daherzog. Burnei thut den pfälziichen Birtuojen jehr unrecht, wenn er fie der Unhöflichkeit gegen Fremde be= ſchuldigt. Ich hab’ in meinem Leben feine höflichere Leute an- getroffen als dieje. Ihr Haus, Tiſch und Herz jtunden mir ganz zu Dienſten. .. .*

Eine Woche nad) jeiner Ankunft am 6. November jpielte Mozart ſchon in eimer alaafademie beim Kurfürſten. Er jchreibt jelbjt hierüber:

„Der Churfürjt, fie (die Churfürjtin) und der ganze Hof ift mit mir jehr zufrieden. Im der Accademie, alle zwey Mal wie ich jpielte, jo ging der Churfürjt und fie völlig neben meiner zum Clavier. Nach der Akademie machte Cannabich, daß ich den Hof iprechen fonnte. Ich küßte dem Churfürjten die Hand. Er jagte: Es iſt jegt, glaube ich, fünfzehn Jahre, daß Er nicht Hier war? Fa, Ew. Durchlaucht, funfzehn Sabre, dab ich nicht die Gnade gehabt habe) Er jpielt unvergleihlih. Die Prinzeſſin, als ich ihr die Hand küßte, jagte zu mir: Monsieur, je vous assure, on me peut pas jouer mieux.‘

*) Fünfzehn Jahre vorher hatte Mozart ald Knabe, von jeinem Vater begleitet, in Schwegingen gefpielt.

PPMqupgR MG

Richard Wagner. Marmorbüfte von Johannes Hoffart (geb. in Mannheim).

Goncert:, Opern» und Kirchenmuſik⸗ 481

Viel verkehrte Mozart auch in der Familie des Flötiiten Johann Baptift Wendling, des Gatten der berühmten Sängerin Dorothea Wendling. Da gab es Heitere und fröhliche Abende und Mozart konnte hier jeinen nie verjagenden Humor walten lafien. Der jungen Tochter „Guſtl“ Wendling componirte er ein franzöfiiches Lied. und bie. Mutter erfreute er durch die Compofition einer Arie zu Metaſtaſios Didone. Auch den Kiünjtlern, Cannabih und Wendling, erwies er Aufmerkſam— feiten und Beihilfe, indem er Compofitionen von dem eriteren für Clavier, von dem Letzteren für Orchejter übertrug.

Mit Vorliebe erging ſich bier Mozart im Drgelipiel und jpielte auf den Orgeln der Schloßfapelle, der Trinitatis- und Concordienkirche „Vergangenen Sonntag“ berichtete Mo— zart jpielte ich aus Spaß die Orgel in der Kapelle. Ich fam unter dem Siyrie, jpielte das Ende davon, und nachdem der Priejter das Gloria angeſtimmt, machte ich eine Gadenz. Weil fie aber gar jo verichieden von den hier jo gewöhnlichen war, jo gudte fich alles um, und bejonders gleich der Holz- bauer. Er jagte zu mir: Wenn ich das gewußt hätte, jo hätte ih eine andere Meile aufgelegt. Ja, jagte ich, damit fie mich angejegt hätten! Der alte Toeshi und Wendling jtunden immer neben mir. Die Leute hatten genug zu lachen, es jtund dann und wann pizzicato, da gab ich allezeit den Taften Bazen. Ich war in meinem beiten Humor, Anjtatt des Benedietus muß man bier allezeit jpielen; ich nahm alſo den Gedanken vom Sanctus und führte ihn fugirt aus. Da jtunden fie alle da und machten Gelichter. Auf die let nach dem Ite missa est jpielte ich eine Fuge. Das Pedal iſt anders als bey und, das machte mich anfangs ein wenig irrig, aber ich fam gleich drein.“

Bon der Ktirhenmufif in Mannheim hielten Mozart und Schubart nicht viel, wie auch der Kurfürjt jelbit einmal in München die Kirchenmusik in Mannheim als den übrigen Mufif- bethätigungen nicht ebenbürtig bezeichnete. Man gab vielfach dem Abbe Vogler die Schuld, der das Orgel und Glavierjpiel zu „rein technijch virtuojenhaft* und die Compofition der Kirchen»

Defer, Geſchichte der Stabt Mannheim, 31

482 Concert⸗, Opern: und Kirchenmuſik.

muſik zu „tändelnd“ behandelt haben joll. Hier liegt aber offenbar eine Ungerechtigkeit oder ein Irrthum vor und erjt nad) der neueren Mufifentwidelung gewinnen wir einen neuen Mapitab für die Beurtheilung dieſes Muſikers. Selbjt Jahn, der die von Vogler eingejchlagene Richtung der Programm— muſik nicht gelten läßt, jagt über ihn: „Vogler war ohne Zweifel eine ungewöhnliche und bedeutende Natur.“ Vogler hat zuerjt die Muſik zu bejtimmter Characterifirung, zu effect- voller Iluftration von Gedanfen und Vorgängen verwendet und jtarfe Wirkungen damit erzielt. Vogler kann heute als der eigentliche Vorgänger Franz Lilzts bezeichnet werden. Er juchte die Tonkunſt im bewußt dichteriicher Weile zu üben und ihr damit neue, große Gebiete zu gewinnen. Seine Ouvertüre zu Hamlet begründet die muſikaliſche Characterjchilderung der ſymphoniſchen Dichtung. Wie Franz Lilzt verjuchte er auch aus Gemälden anregende Gedanken für mufifaliihe Scilde- rungen zu gewinnen.

In der Weiſe wie Lilzt feine „Hunnenſchlacht“ nach dem Kaulbah’ihen Gemälde (dies allerdings dem innern Gehalt nach weit übertreffend) componirte, jo verjucht Vogler ſchon 1785 Compofitionen nad) Gemälden (der Düſſeldorfer Galerie). Seine Symphonien, jeine Kirchencompofitionen und jein Orgel» jpiel entfalten glänzende Farben und characteriftiichen Ausdrud. Meſſen von ihm wurden noch in neuejter Zeit im Freiburger Minister aufgeführt.

Für den Orgelbau erfand Vogler ein neues Syſtem, das er Simplificationsſyſtem nannte. Ueber dieſes jchreibt der Drgelbauer F. A. Adermann im Allg. Anzeiger (Nationalzei- tung der Deutjchen) vom 28. April 1830 einen begeijterten Beriht. Zum Unterricht in der Muftf gründete Vogler in den 70ziger Jahren eine Gejangsichule in Mannheim, zu der aud) der Kurfürft einen Zuſchuß leiſtete. An diefem Conjervatorium hielt Vogler jelbjt Borlejungen, und er Hatte die Freude, auch Leſſing einmal unter jeinen Zuhörern zu finden. Mit jeinen Vorlefungen und einer Reihe muſikwiſſenſchaftlicher Schriften wurde er zum Begründer der modernen Harmonielehre.

Goneerts, Opern» nnd Kirchenmufif. 483

Bon wichtigeren Schriften erjchienen von ihm u, A. „Tonwiſſenſchaft und Tonſetzkunſt“ (Mannheim 1776), 3 Jahr: gänge „Betrachtungen der Mannheimer Tonjchule*, in denen auch die Widerlegung einer in ber Berliner Litteratur- und Theaterzeitung veröffentlichte Schmähſchrift gegen Vogler erfolgte, das „Choralſyſtem“ (Kopenhagen 1800) und eine Abhandlung über die Harmonifirung von Volfsliedern (Bolymedos München 1806); 5. B. mauriiche Volksweiſen zu entdeden, hatte Vogler Reiſen in Spanien und an der Nordfüjte Afrikas gemacht

Auch das Leben Boglers hat in feiner wechielvollen, glänzende Höhen erreichenden Art viel Aehnliches mit dem von Franz Liſzt. Seine größten Erfolge hatte Vogler als Clavier- und Orgelvirtuofe, obwohl er als Componift noch viel weitere Bahnen brad).

Georg Joſeph Vogler ift zu Pleichach bei Würzburg als Sohn eines Violinisten und Geigenmachers am 15. Juni 1749 geboren. Als er von Mannheim aus, wo er theologtiche Studien gemacht hatte, 1770 in das Klofter der Franziscaner in Würzburg eintreten wollte, wurde er durch ein Decret des Kurfürften, der ihn zu jeinem Almojenier ernannte, einer freien mufifaliihen Thätigfeit gerettet. Der Kurfürſt ließ ihm im Italien weitere mufifaliihe Studien machen und ſprach ihn (28. November 1774) in Rom, wo Bapit Pius Vi. Vogler zum Ritter vom goldenen Sporn, Protonotar und Kämmerer erhoben hatte und der Componijt Mitglied der arcadijchen Ge— jellichaft geworden war. 1775 erhielt Vogler in Mannheim den Titel „Geiſtlicher Rath“ und die Stelle des Vicekapell— meiſters. Unter den Orcheftermitgliedern in Mannheim war Vogler nicht beliebt, da er geſellſchaftlich nicht mit ihnen ver— fehrte und fie mit langen Proben „quälte*. Daher rühren vielfach auch die abiprechenden Urtheile her, die über Bogler in Mufiferkreiien gefällt wurden. „Mozart jo ichreibt Rob. Eitner der auf eine Anjtellung hoffte, Jah, von der in der Kapelle herrichenden Erbitterung gegen Vogler angejtedt, in ihm den Feind, der ihn hinderte, in Mannheim fejten Fuß zu faſſen. Vogler, der fich übrigens mit den Kapellmitgliedern

3i*

484 Goncert-, Opern: und Kirchenmuſik.

wenig abgab, dehnte die Proben oft bis zur Ermüdung aus, wobei er jtet3 als der vornehme Geiſtliche im jeidenen leide, und dem violetten Seidenmäntelchen, den violetten Strümpfen der Calotte auf dem Kopfe erjchien.“

In Berfailles wurde eine Oper Vogler3 „Le Patriotisme“, die Belagerung von Gibraltar behandelnd, vor dem König und der Königin bei Anwejenheit des Componiften aufgeführt. 1780 erklärte die Akademie zu Paris das Syitem Boglers als eine Weiterentwidelung des Syſtems Rameaus. Vogler war dann noch al Kapellmeiter in München, in Schweden und in Heſſen-Darmſtadt angejftellt, wojelbjt er am 6. Mai 1814, jchon ſchwer franf, an einem Schlaganfall jtarb. In Darmftadt war jchon früher, am 4. Juli 1779, ein Melodram „Zampedo von Lichtenberg“ von ihm aufgeführt worden, wobei die Landgräfin Luiſe jelbjt die Rolle der Gemahlin Lampedos gab und der Erbprinz dirigirte.

Vogler ſteht in jtarfer Berbindung mit der gejammten modernen Mujitbewegung. Er war in jeinen lebten Lebens jahren noch der Lehrer Meyerbeers und Karl Maria von Webers. Weber hat jtet3 mit edlem Künftlerdanf dieies Lehrers gedacht und fein Andenken gegen die Angriffe aller Tyeinde immerdar vertheidigt.

In Wien hatte Karl Maria von Weber mit 17 Jahren (1803) den Abbe Vogler kennen gelernt, dort genoß er nahezu 2 Jahre den ausgezeichreten Unterricht diejes von ihm ver- ehrten Meijters. Bon Bogler lernte Weber den Werth der dichteriichen Befruchtung der Tonkunſt erfaſſen und jtrengjte Characterifirung der Handlung. Die Schule Voglers ijt in den Werfen Webers deutlich zu erfennen und wirkte damit bis in unjere Zeit auch auf Richard Wagner.

In Mannheim fnüpften ſich befanntlic auch die jpäteren Familienverbindungen von Weber und Mozart an. Hier lernte Mozart die Töchter des Onkels von Karl Maria von Weber, die Töchter Fridolin Webers fennen, welch’ leßterer bier als Sänger, Souffleur und Copiſt angejtellt war.

Bon diejen Töchtern, Joſephine, Sophie, Conftanze und

Concert⸗, Opern: und Kirchenmuſik. 485

Aloyſia, die fich alle der Gejangsfunft widmeten, wußte die Letztere Mozart durch ihr jugendfriich hervorbrechendes Talent zu bezaubern. Aber die innige Liebe des Componijten Lohnte die bald berühmt gewordene Sängerin nicht mit voller Gegen: fiebe und unentwegter Treue. Mozart erfannte bald, daß ihre jüngere Schwefter, Conftanze Weber, wenn auch nicht jo begabt, doc eine viel tiefer angelegte Natur war. Er wandte diejer jeine Liebe zu und heirathete jie am 4. Auguſt 1782. Während Mozarts Aufenthalt in Mannheim jpielte ſich hier noch ein jonderbares Borfommniß ab. Wieland war nad) dem Erfolge der Oper „Alcejte“ zur Erft-Aufführung jeiner Operndichtung „Rojamunde“, die wieder Schweißer componirt hatte, perjönlich eingeladen worden. Er traf auh am 21. Dezember 1777 in Mannheim ein, nahm an den Vorbereitungen der Aufführung theil, wurde von vielen Seiten auf’3 Beſte aufgenommen alles jprach hier von Wieland und der neuejten Oper, weite Kreiſe waren intereifirt, da mitten in all’ diefe Anjtrengungen und Erwartungen hinein platte die Nach: richt von der Abreiſe Karl Theodor? nah München, vom Schluß des Theater8 wegen der Trauerzeit des Hofes und von der Abjage feines Stüdes. Die Aufführung unterblieb und Wieland reifte wieder ab. Wohl jchrieb Wieland, als er vom Kurfürjten für die Neife mit 100 fl. und 24 Carolin ent— ihädigt, Mannheim Mitte Januar 1778 wieder verließ: „Sch reife nun, übrigens mit meinem biefigen Aufenthalt höchjt ver- gnügt, wieder nach meinem lieben Weimar,“ allein er mußte das Berfehlte all diefer Bemühungen ſchließlich doch als ein Genarrtjein empfinden und er konnte jpäter jeinen aufjteigenden Groll über das ihm Hier Zugeſtoßene nicht unterdrüden. Er wollte jchlieglich doch nicht feinen Feinden gegenüber jelbjt als zum Beiten gehalten, al3 der Genarrte erjcheinen und jo Lenfte er durch jeinen fieghaften Wit den Spott auf die Stadt Mann- heim ab, die er in jeinen „Abderiten“ reichlich bedacdhte un— geachtet, daß hier nur ein umverjchuldetes Mißgeſchick im Spiele war. Mit aufrichtigem, tiefem Schmerz erfüllte es dagegen

486 Goncert», Opern: und Kirchenmuſik.

Mozart, die Stadt Mannheim verlafjen zu müfjen. Seine An— jtellung bier Hatte ſich nicht verwirklicht, auch ihn hatte Die Abreije des Hofes und die Ablenkung des Kurfürjten von den Mannheimer Angelegenheiten jchwer betroffen.

Zuletzt Hatte er hier mit jeiner Mutter bei dem Hof— fammerrath ‚Serrarius (F 3, 5) gewohnt. „Wir find hier un— vergleihlich logirt“, jo jchreibt Mozarts Mutter am 18. De— zember 1777, „haben jchöne Betten und alle Bedienung. Der Herr Hoffammerrath heißt Serrarius. Seine Frau ift recht höflich mit uns. Ich ſpeiſe alle Abend bey ihnen und plaudere bis halb 11 Uhr mit der Frau und Tochter*), ich jollte faſt den ganzen Nachmittag bey ihnen jeyn. Mein Sohn wird jo von ihnen gejchäßt, daß es nicht zu jagen iſt; es iſt ihnen nur leid, daß er nicht alleweil bei ihnen jein kann.“

Am 14. März 1778 reiſte Mozart mit jeiner Mutter von Mannheim wieder ab. Bereichert durch wichtige Fünftleriiche Eindrüde, tiefe Herzenserfahrungen mußte er „von ung ziehen“. Uber für die Stadt Mannheim bleiben die Worte Mozart3**) für immer gejchrieben: „Wie ih Mannheim liebe, jo liebt auch Mannheim mich.“

*) Diefe hieß Therefe Pierron; ihr gab Mozart Glavierunterricht und er widmete ihr vor jeiner Abreiſe eine Glavierionate mit Violinbe: gleitung. (Werke IV, 2.) :

**) Vorübergehend kam Mozart noch im November 1778 und am 24. Oktober 1790 nad Mannheim, an welch' legterem Tage er bier die erite Aufführung von „Figaros Hochzeit“ leitete,

J cc— =

XXVI.

Friedrich Schiller und das deutſche Nationaltheater.

Teutſche Comödianten“ Die Theaterdireftoren Brunnian, Brenner, Porſch, Tilly, Kurz, Sebaftiani Bretterhaus und Theaterbau Ver: handlungen mit Leſſing Mardhand und Seyler Liebhabertheater Eröffnung des furfürftlihen Hof: und Nationaltheaters Wolfgang Heribert von Dalberg Die Ausihüffe Die Aufführung der „Räuber“ am 18, Januar 1782 Schillers erite Anmwejenheit in Mannheim und jein Bericht über die Räuber-Aufführung Wirkung der Aufführung Scillerd zweiter Befuch in Mannheim Seine Flucht aus Stuttgart Ankunft in Mannheim Mißgeſchick Schillers Aufenthalt in Oggers: heim Mbreife nah Bauerbach Berufung Schiller® nah Mannheim 1783 Iffland Schwan Charlotte von Kalb Geldforgen Schillers Vorlefung des „Don Carlos“ in Darmjtadt Ernennung zum herzoglihen Rat) Ifflands Intriguen „Fiesco“ und „Kabale und

Liebe” Bedeutung der Schillerzeit in Mannheim.

ie den wifjenjchaftlichen Beitrebungen Mannheims jo bewahrte Karl Theodor auch den Fünftleriichen Unternehmungen der Stadt troß jeiner Ueberfiedelung nah München die leb- baftejte Theilnahme. Gerade auf dem Gebiete der muſikaliſchen und dramatiichen Kunſt jollte ji) auf dem gut bereiteten Boden noch Großes entwideln. Mit lebhaften Interefje förderte Karl Theodor die Begründung eines deutjchen Nationaltheaters, und er trug durch jeine Beſtimmungen jowohl, wie durch jein per: önliches Wirken während jeiner jpäteren Bejuche in Mann- heim zu dem Aufſchwung diejes Theaters bei.

488 Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater.

Schon im Jahre 1770 Hatte er jeine Gejellichaft „Tran- zöfiicher Comödianter“, die ſeit 1748 in einem Saal im linfen Schloßflügel jpielte und bier Stüde von Moliere, Racine, Corneille, Voltaire, Shafejpeare (in F. Lebauld's franzöfticher Ueberjegung) aufführte, entlaffen.

Die Pflege des deutjchen Schaujpiels trat dem Kurfürſten immer näher, bis e3 zur Begründung des furfüritlichen Hof- und Nationaltheater kam.

Schicken wir die Vorgeichichte des deutſchen Schauſpiels in Mannheim nach den Aufzeichnungen der Pichler’ihen Chronif unjeren weiteren Betrachtungen mit folgendem voraus:

Wenn jhon die theatraliichen Kunſtgenüſſe ji nur auf den engen Kreis des Hofes in dem Furfürftl. Schlofje zu Maunheim oder Schwegingen beichränfte, jo wurde dennod die Neigung zum Theater, der Sinn für Mufit in das größere Publikum verpflanzt, und führte zur weiteren Ausbildung der ſchon in die. Zeiten Carl Philipps fallenden Anfänge eines öffent- lichen Theaters. Herumziehende Schaufpielertruppen, fogenannte „Zeutjche Comödianten“ fanden fich zur Maimeſſe ein, oder „dörften“ während der Faltnachtäzeit „ihre Productionen reprä— jentiren und von Jedem Tag, da jelbige ihre Comedien erhibiren zum Hospital Carolum 30 Kreuger zu entrichten jchuldig jeynd“.

Die Schaufpiel-VBorjtellungen, welche in jpäteren Jahren vom Spätherbit bi3 zum Aichermittwoch ftattfanden, wurden im großen Rentamtjaale (im Kaufhaus) abgehalten, big daß 1753 den 12. November dem Stadtrathe ein Schreiben der Regierung zuging, das den Bau eines Theaters vorjchlug.

Ein Bauunternehmer wollte fich wicht finden, und Die Theater-Brinzipale jahen ſich genöthigt auf dem Fruchtmarkt eine Bretterbude für ihre Vorſtellungen alljährlih aufichlagen zu laſſen.

1755 den 17. Februar ift dem „Comedianten Johann Joſeph Brunnian erlaubt worden bis auff den Aichermitt- woch jeine Teutſche Vers-Comedien und Pantomimen zu pro: ducieren“, welche jo jehr gefielen, daß Brunnian diejelben „biß nad) Berfließung der May-Meß ipielen und representiren

Friedrid; Schiller und das deutſche Nationaltheater. 489

dörffe*. Im Herbit begann Brunnian feine Broductionen aufs Neue, welche den 24. Februar 1756 durch einen Erlaß ber Regierung an den Stadtrath unterbrochen wurden.

Nach Beendigung des fiebenjährigen Krieges ließ man wieder Schauftellungen und Comedien zu, und erhielt zunächit der Schaujpielunternehmer Friedrich Brenner während der Faſtnachtszeit und Maimelje 1764 und 1765 Erlaubniß „zum Spielen“,

1766 den 29. Januar ift „dem Arnold Heinrih Porſch, Sächſiſchen Comödianten, die Aufführung jeiner Trauer: und Luſt-Spiele währender Carnevals Friſt gndjt. bewilliget, übriges Begehren aber jolche die Faſtenzeit hindurch exhibiren zu dörffen abgejchlagen worden“. Die darjtellenden Perſonen find damals noc nicht mit Namen genannt.

Die Gejellihaft war nicht jonderlih; außer Porih und feiner rau find die übrigen Mitglieder von feiner Bedeutung geweien. Das Repertoir bejtand meiftens aus guten Stüden, als „Tancred“, die „Sellertichen Molierejchen und Holbergichen Ruftipiele*, aber beim Nachipiel durfte der gute Dans» wurjt nicht fehlen.

1767 den 17. März erhielt der Stadtrath den Regierungs- Erlaß „daß der Direeteur der Kayjerl. Prager privilegirten Hocdeutjchen Comoedianten-Gejellihaft Joh. Tilly nad) be- voritehenden Djtern, und die Meßzeit hindurch feine Schaut: bühne eröffnen könne“. Tilly’ Tochter (ipäter als ver— ehlichte Scholz renommirt) machte hier ihren erjten theatraliichen Verſuch in einem Traueripiele von Cronegk.

Der Theaterprinzipal Joſeph Felix von Kurz eröffnete die Bühne auf dem Fruchtmarkte Anfangs November 1767, und war der Erjte, welcher jeine VBorjtellungen bis Ajchermitt- woch ausdehnen durfte. Seine Einnahmen 1767/69 erreichten (für je 4 Monate) die Höhe von 32,627 fl.; er hatte das „Leggeld von Loge und übrigen Plätzen höher bejtimmt als feine Nachfolger”, deren durchichnittliche Einnahme für vier Wintermonate ſich auf 12,000 Gulden belief. Kurz gab häufig Bernardongjtüde, die nahe Blutsfreunde mit dem Hanswurſt

490 Friedrid Schiller und das deutiche Nationaltheater.

find, ın denen Kurz ſelbſt brillirte. Uebrigens waren feine Spiele von aller Gattung, nnd e3 wurden meistens drei Stüde in einer Vorſtellung gegeben: ein Luftipiel, eine Oper und ein Ballet.

Letztere waren jehr anjehnlih, und Kurz ließ fich über- haupt feine Koſten gereuen, das Publikum zu befriedigen. Therefina von Kurz, die zugleich eine gute Tänzerin war, Mille. Richard, welche ſich jpäter als Md. Sacco in Wien großen Ruhm erwarb, Bergopzoomer (von 1774 in Wien jehr beliebt) u. A. m. machten die vorzüglichiten Mitglieder diejer Gefellihaft aus, und waren „eines vollftommenen Bei— falls würdig“.

Der Kurfürſt und ein Theil des Hofes beſuchten hin und wieder einige Vorſtellungen in dem Bretterhauſe von Kurz, weshalb der eitle „Impreſor“ ſeine Truppe „Deutſche Hofichauipieler-Gejellichaft“ nannte.

1769 und 1770 erichien der Director Sebajtiani mit jeiner Gejellichaft von Mainz. Unter ihm nahmen die Operetten ihren Anfang und die Bernardonsjtüde ein jehnlich gewünjchtes Ende. Ungeachtet Sebaftiani alle Arten von Schaujpielen dem Publikum mit vielem Beifalle vorführte, gewannen dennoch die Dperetten die Oberhand; Marchand war jein erfter Schau- jpieler, deijen Frau, geb. Brochard, Md. Brochard, geb. Ilein, Huck und Piloti nebſt deſſen Schwejtern jpielten die erften Rollen.

Sebajtiant zog ſich vom Theater zurüd und übertrug die Gejellihaft und Direction an Theobald Marchand, welcher jeit diejer Zeit Mannheim alljährlich bejuchte. Luftipiele, Sing- ipiele und Pantomimen bildeten jein NRepertoir. Marchand, ein rechtichaffener feiner Mann, der „Aufresne“ mit Nuten gejehen hatte, war ein tüchtiger Schaufpieler im Fache der Väter und Characterrollen, und wirkte belehrend und vortheilhaft auf feine Geiellichaft. Seine Frau fpielte mit vielem Beifall Soubretten und tanzte. Beider Tochter, Margarethe Marchand, verheirathete ji) 1790 in München mit Franz Danzi. Eva Brocdard be— jaß eine jchöne Stimme und wurde als Darjtellerin gelobt;

Friedrich Schiller und das dentiche Nationaltheater, 491

Mad. Urban gefiel in den komischen Rollen. Tenor war Brandl, eriter Characterliebhaber der vielgerühmte Hud, Komiker Hell: muth, Balletmeifter: Brochard d. ä, Tänzer: Brochard d. j. und Md. Stierle Tänzerin. „Die Decorotionen und die Gar— derobe waren ſo koſtbar und ſo häufig, als ſie eine reiſende Geſellſchaft haben kann. Das Perſonal behauptete den Ruhm der guten Sitten und der feinſten Lebensart.“

Der Kurfürſt Karl Theodor war einer der erſten deutſchen Regenten, welche ſich des aufblühenden deutſchen Theaters mit ebenſoviel Verſtändniß als Intereſſe angenommen haben. Die Anweſenheit der Marchandſchen Geſellſchaft, deren Vorſtellungen der Kurfürſt häufig beiwohnte, ferner die deutſchen Singſpiele, welche ſeit einigen Jahren in Schwetzingen zur Dar— ſtellung gelangten, gaben die erſte Anregung zur Förderung einer deutſchen National-Schaubühne im Sinne Jo— ſephs des Zweiten. (Die franzöſiſche Schauſpieler-Geſellſchaft war wie gejagt 1770 entlaſſen.) Durch Erbauung eines Theaters jollte dem deutichen Schaujpiele eine dauernde Stätte geboten werden nicht nur eine dauernde, jondern auch eine würdige, das bewies die Abjicht, als Leiter des neuen Unter: nehmens im Allgemeinen und insbejondere einer damit zu ver- bindenden Schaujpielerjchule die berühmteften und berufenjten Männer zu gewinnen.

Ein vom Negierungs- und Hoffammerrath von Babo, um Ditern 1775, gemacdhter Vorſchlag zur „Erbauung eines Comö- dienhaujes“ fand weil zu Hoch angeichlagen feine Ge- nehmigung, Hingegen deſſen (am 27. Wugujt) vorgelegter Koſtenanſchlag von 58,405 Gulden zur „Errichtung eines Comödien- und Redoutenhaufes im hieſigen Schütthanje" (Arjenal) bewilligt.

Der Bau wurde alsbald in Angriff genommen, die Bühne erhielt eine Breite von zwölf Schritt, welches man fir den angemejjenen Raum für das Scaujpiel hielt, und unterm 12. Januar 1776 ijt dem St. Carolus Borromäus-Hospital das Privilegium zur Benügung des Theaters ertheilt worden.

492 Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheaters.

Ein Erlaß hob indeß zum Herbit desjelben Jahres das dem Spital zugewendete Brivilegium wieder auf.

= Tran

Mit der Verwaltung und Auflicht (die Shaubühne ausge: nommen) wurde der Regierungs= und Hoffammerrath J. Marius Babo betraut, der Dichter des Trauerjpiels „Otto von Wit:

telsbach“. Der Miniſter, Graf von Hompeſch, ein Mann von echt

patriotiſcher Geſinnung, trug Vieles dazu bei, den Kurfürſten zum Entſchluß zu bringen, die deutſche Nationalbühne zu er— richten, und ſetzte ſich in Gemeinſchaft mit Schwan eiligſt mit Gelehrten, Dramaturgen, und Theaterprinzipalen in Correſpon— denz. Zur Organiſation und Belehrung junger hieſiger Talente wurde Eckhof die Direction und Leſſing das Amt eines Dramaturgen angetragen. Beide lehnten dieſen ehrenvollen Antrag ab, denn keiner von ihnen mochte ſeine innehabende Stellung aufgeben. Ein zugereiſter Schauſpieler, Namens Lorenz, erbot ſich aus dem Tänzerchor talentirte Subjecte zu unterrichten und nach wenigen Wochen eine Fleine Gejellichaft zu formiren. Die zur Mitwirfung fi) angemeldeten Mitglieder waren: Die Antoine, Lang, Hagenbuh und Hoff

Friedrich Schiller nnd das deutiche Nationaltheater. 493

mann, die Herrn Buccarini, Herter, Schubert, Nayer, Frank, Boudet j. und Heydel; und Neujahr 1777 wurde das neuerbaute Schauspielhaus von diejer Hoftheater- Gejellichaft mit dem damals beliebten Stüde von Brandes: „Der Schein betrügt" eröffnet. Gegen Erhebung eines Entree’3 fanden Sonntags, Dienjtags und Donnerftags Vor- jtellungen ftatt, aber das Perſonal war zu Hein, zu unge: nügend, um größere Stüde aufzuführen. Wiederholt ergingen von dem fürzlich zum Hoffammerrath ernannten Schwan Ans träge an Leſſing zur Uebernahme der artiitiichen Leitung des Nationaltheaterd, welche diejer aber eben jo oft und ent= Ichieden zurüd wies. Bei jeinem kurzen Aufenthalte in Mann— heim*) that er den Vorichlag, man jolle Schaujpieler von be— fanntem Werthe engagiren und neben dieſen Die jungen Pfälzer nach und nad) für die Bühne erziehen. Wie übrigens Lejling über die zu gründende Nationalbühne dachte, zeigt ein Brief an jeinen Bruder Karl, von Wolfenbüttel am 25. Mai 1777: „Mit einem deutjchen Nationaltheater ijt es lauter Wind, und wenigſtens hat man in Mannheim nie einen anderen Be— griff damit verbunden, als daß ein Ddeutiches National: theater dajelbit ein Theater ift, auf welchem lauter geborene Pfälzer agirten.“ Wie wihtig Mannheim für das Bühnen- leben in ganz Deutjchland wurde, Hatte Lejling nicht geahnt. Uebrigens wäre es noch jehr die Frage, ob Leſſing nad) den heutigen Tagesberichten ein „einfichtsvoller Bühnenleiter“ und „genialer Intendant mit weitblidenden Kenneraugen“ ge— worden wäre.**)

*) J. Ch. Brandes in feiner „Lebensgefchichte* erzählt: „Der Kalter beging aus Irrthum einen groben Fehler bei Leſſingen, der hierher, zu gewilfen Ginrichtungen bei der Bühne, eingelader war. Man gab zu deilen Empfang ein bejonders glänzendes Schaufpiel und ließ ihn die Entree zahlen. Der Intendant (Graf von Bortia) hörte dieſen Verſtoß, und äußerte darüber ſeinen Unwillen. Der Kaſſier verſtand dies unrecht, glaubte den Fehler wieder gut machen zu müflen, und ſchickte Leifingen den eingelegten Gulden mit vielen Entfchuldigungen zurüc, welchen dieſer zwar annahm, aber ihn mit Lächeln dem Boten fchenkte,*

**) 5, Hübner.

494 Friedrich Schiller und das deutiche Pationaltheater.

Der Minijter von Hompeſch ſetzte fi) mit Director Seyler, 3. 3. in Mainz, in Unterhandlungen und ertheilte demjelben die Erlaubnig zum Zweck der Uebernahme der Direction, im Laufe des Sommers mehrere Probevorftellungen mit jeiner Gejellichaft zu geben. Zu gleicher Zeit meldete jich Marhand zum Director, deifen Geſuch beim Kurfüriten vom Grafen von Oberndorf und vom Intendanten von Portia befürwortet und unterjtügt, jofort die höchite Genehmigung er- hielt. Marhand, am 6. Mai 1777 durch ein Patent zum Hoftheater-Directorder „Churfitl. deutihen Schau— bühne“ ernannt, war verbunden, fähige, junge Leute in der Kunſt zu unterrichten und zu diefem Behuf wöchentlich zweimal die Grundſätze der Schaufpielfunft durch Vorlefungen zu er: flären. Dreimal müßte wöchentlich gejpielt werden, und mit Luſtſpielen, Sing- und Trauerjpielen abzumwechieln; auch jollen Eoncerte und Oratorien auf dem Theater gehalten werden, (der Bau des Concertiaales war noch nicht vollendet), zu welchem Zwede man eine beiondere Decoration anfertigte. Die uriprüng» liche Gejellihaft ging nun mit der Marchand’schen, nach Ab- gang einiger Mitglieder von beiden Seiten in Eine zuſammen und jo entitand mit dem Monate Mai das „Ehurfüritliche Hof» und National-Theater unter der Intendantur des Grafen von Savioli.“

Das Perſonal bejtand aus den Actricen: Antoine geb. Amberger, Brodard, Lang, Marchand, Toscani, Urban, Hof— mann, Hagenbuch, Redwein; Kinderrollen jpielten Mille. Mar— hand und Schmaujen. Wcteurs waren: Caro, Frank, Hud, Herter, Heydel, Marchand, Nayer, Bilotti, Sennfelder, Schubert, Titfe, Urban, Toscani und Zuccarint. Vom großen Opern: theater jpielten auch auf dem deutichen: Mille. Straßer, die Herrn 8. Fiſcher und Hartig, und vom Tänzerhor Boudet und die Miles. Dimmler, Degenhard und Dupuis; te behielten ihre Bejoldungen vom großen Theater bei und empfingen als deutſche Schaujpieler beionderen Gehalt.

Ende Mai debütirte die talentvolle Anfängerin Marianne Boudet, und als Gaſt erichten den 12. Juni Boed, vom

Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 495

Gothaiihen Hoftheater, in der Rolle des St. Albin von Diderot3 „Hausvater“ mit dem größten Beifall; der Kurfürft ſchickte ihm nach der Vorftellung eine goldene Medaille. Boed war der Erfinder der Gaftipielreifen auf bejtimmte Rollen, unternahm von Gotha aus feine Rundfahrt und jpielte ferner in Nürnberg, München, Wien, Berlin und Hamburg.

Seyler, dem vergeblihe Hoffnungen zur Uebernahme der Direction gemacht worden, gab in der zweiten Hälfte des Monat Juni jeine ihm zugejagten Probevorjtellungen, in welchen fih nur Frau Seyler und Hr. Brochard Beifall er— warben. Die Einnahmen diejer neun Aufführungen beliefen ſich auf 2130 fl. 30 fr.

Nachdem Marchand jeinen früher eingegangenen Ber: pflichtungen, zur Herbſtmeſſe Frankfurt zu bejuchen, nachkam, entfaltete fich hier in literariicher und künſtleriſcher Hinficht ein veges Leben. Deutſche Schaujptele entjtanden in Menge, von denen hervorzuheben: „Walwais und Adelaide“, ein Originals ichaufpiel vom Freiherrn von Dalberg, jowie deſſen „Cora“ („Marmontels Incas“ entnommen), „der Sturm von Borberg” vom Hofgerichtsrath Meyer, „Pygmalion“, überjegt von Gemmingen, „Bolt von Bremen“ von Spracmeijter Edert, „Das Winterquartier in Amerifa* von Babo, „Azakia“, von Schwan und deifen Dichtung zu Voglers Singipiel „Der Kaufmann von Smyrna.“

Marchand, dem man jo viel Neues darbot, beeilte jich die genannten Novitäten, feinem Repertoir einzuverleiben und fleißig einzuftudiren. Für das Schaufpiel bejaß er ganz vortreff— liche Dariteller, wenn ihnen auch die franzöfiichen Manieren anhafteten, welche bisher vorherrjchend waren; weniger genügten jeine Sänger (mit Ausnahme des Baſſiſten 2. Fiicher), welche eben nur für Kleine Singjpiele ausreichten.

Der hohe Mel, durch Dalberg veranlaßt, entrirte ein Liebhabertheater (ein Gleiches in der bürgerlichen Klaſſe war jchon 1777 entjtanden), um fich zu vergnügen, und Erſatz zu juchen für den Ausfall der großen Oper; zu gleicher Zeit wurden auc die „Concerts des Amateurs‘ gegründet. Am

496 Friedrih Schiller und das deutſche Nationaltheater.

28. Februar 1778 führte die Gejellichaft adeliger Perſonen „Melanide* von Chauffee und „L’heureusement‘‘ öffentlich zu einem wohlthätigen Zwed im deutjchen Theater auf; das überfüllte Haus lohnte die Darjteller mit großem Beifall.*)

Ale Montage um 3 Uhr findet eine theatraliiche Ver— jammlung jtatt, wo ungedrudte Stüde vorgelejen, die Urtheile gehört, über die Aufführung der Stüde pon jeder Woche ge— jprochen, neue Stüde vorgeichlagen und vertheilt werden. Gute Stüde, welche nicht auf dem Nationaltheater vorgeführt wer: den, lernen und jpielen die Mitglieder der Verſammlung zum Beitvertreib, halten aber ihre Vorjtellung geheim, um fich nicht der Unannehmlichkeit auszujegen, durch Verjagung des Zutritts zu befeidigen. Cine derartige Aufführung fand am 15. Oftober 1779 mit Leffings „Nathan der Weije“ jtatt.'

Marchand's Nepertoir bot von bemerfenswerthen Stüden, außer den jchon erwähnten, nachitehende: „Der Edelfnabe* und „Der Philoſoph“ von Engel, „Minna von Barnhelm“, Banks „Eſſex“, Cumberlandse „Miß Obre“, Goldoni's „Murrfopf”, Dalbergs „Walwais und Adelaide“, Gluck's „Pilgrimfahrt nah Mecka“ u. U. m.

Das ſtürmiſche Applaudiren hatte ſchon damals einen jolch hohen Grad erreicht, daß der Berichterftatter in den „Rheiniſchen Beiträgen“ über die Vorftellung „Elfriede“ vom 17. Mai 1778 ſchrieb:

„Schade, daß das Publikum kein anderes Zeichen ſeines Beifalls, keine andere Art von Belohnung und Aufmunterung kennt, als ſein nur gewöhnliches, ſogar oft ohne Geſchmack *) Schon früher hatte eine Geſellſchaft von Offizieren (1767) hier ein deutſches Theater gegründet, wenn auch vorerſt nur ein Marionetten— theater. Das Theater befand fih in dem Gafthof zum Prinzen Karl und ift von dem Bildhauer Paul Egel eingerichtet worden. Auch die Mario: netten wurden von Egel hergeftellt. Das Theater wurde anfangs Dezember mit Moliere8 Don Juan unter dem Titel „Das jteinerne Gaftmahl* er: öffnet. Bekanntlich ftehen 3. B. in Italien heute noch die Marionetten

theater in Blüthe, ein Beweis für die dort immer noch vorhandene naive Illuſionsfähigkeit des Publikums.

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Anfiht von Mannheim mit der Rheinfhanze in der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Friedrich Schiller und das beutiche Nationaltheater. 497

und ohne Kenntnig angebradhtes und dadurh nur zu jehr abgewürdigtes Händeflatichen“.

Die große Oper mit ihrem Orcheiter, das Ballet und die Marhand’ihe Hof: und Nationaltheater » Gejellichaft ſiedelten Mitte September nah München über; die letzte Vorſtellung im Schauſpielhauſe war am 13. September 1778 Leſſings „Minna von Barnhelm“.

Die guten Mannheimer hatten das Nachjehen. Nicht nur um ihr Vergnügen, auch um ihre Eriitenz begann ihnen bange zu werden. Bei der allgemeinen VBerödung, welche über Mann: beim hereinbrehen mußte, waren indeß patriotiihe Männer darauf bedacht, durch mancherlei Mittel den ſtockenden geiitigen und materiellen Berfehr wieder aufzuhelfen. Unter dieſen war Freiherr Heribert von Dalberg, welcher fih Ende Juni an den Minijter von Hompeſch nach München wegen der Fort— führung des Theaters mit einem Schreiben wandte,

Inzwiſchen fam der Kurfürſt zum Beſuche nah Mann: heim. Dalberg, welcher mündlich mit Karl Theodor die Einrihtung des Theaters beiprechen konnte, erhielt unterm 2. September eine zuftimmende und zu höchſtem Eifer anregende Zuſchrift:

„An

tit. Freiherrn von Dalberg

die Fortführung einer Teutſchen Schaubühne dahier betreffend.

Dalberg bot nun alle Kräfte auf, um dem Wunjche feines Fürſten zu entjprechen, und eine der beiten Schaujpieler- gejellihaften Deutſchlands zu errichten; der Erfolg war der Beweis, daß feine Bemühungen nicht fruchtlos gewejen jind. Unterhandlungen mit dem berühmten Brofmann und dem Unternehmer Abt in Münfter führten zu feinem Nejultat, weshalb Dalberg mit Director Seyler*) in Mainz einen

*) Seyler war urfprünglih Kaufmann in Hamburg aeweien, aber ſchon als folcher jcheint er lieber und öfter hinter den Gouliffen als hinter dem Hauptbuche geitanden zu haben; die Folge davon war ein Banferott Sm Jahre 1767, zur Gründung des eriten Nationaltheater® verbanden ſich

Deier, Geſchichte der Stabt Mannheim. 32

498 Friedrih Schiller und das beutiche Nationaltheater.

Contract abjchloß, vermöge deſſen Seyler vom Oktober 1778 bis in die Faſten 1779 wöchentlich einmal hier zuipielen, dann aber von Faſtnacht bis Dftern alle Woche 3 Vorſtellungen zu geben Habe.

Die Mitglieder der Seyler'ſchen Gejellihaft waren: Mufikdireftor: Neefe. Chorrepetitor: Benda, Sohn. Actricen: Benda, Borchers (ehemalige Frank), Dauer, Neefe, Pöſchel, Scletter, Seyler, Müller, Opitz, Kicchhöfer und Tochter. Acteurs: Borchers, Bed (Bruder von Heinrich) Bed), Dauer, Henjel, Kirchhöfer, Möller, Müller, Opit, Pöſchel und Zuccarini.

Am 27. Oktober 1778 wurde die Bühne eröffnet mit dem Luſtſpiel: „Geſchwind ehe es Jemand erfährt, oder: Der beſondere Zufall.“ Mad. Seyler hielt eine von Wagner verfaßte Antrittsrede.

Das Repertoir zeigte durch Aufführungen deutſcher Original— jtüde jich von größerer Bedeutung als dasjenige Marchands, und it im Verlauf des nächſten Jahres auf die gewählten Borftellungen die Einwirkung Dalbergs eine unverfennbare. Bon Leſſing wurden ohne jonderliche Wirkung zum eritenmale „Mit Sara Sampjon“ (17. Januar 1779) und „Der Frei— geiſt“ (24. Januar) aufgeführt, hingegen gefiel außerordentlic) defien „Emilia Galotti“ (3. e 21. März 1779), ferner Shafespeare’s „Hamlet“ nad Schröder (den 4. November 1778) und „Macbeth“, in der Bearbeitung von Wagner (27. März 1779).

Auch die Förderung der deutichen Oper lag Dalberg für

zwölf Hamburger Bürger, denen Seyler, ZTillemann und WBubbers als engerer Ausichuß voritanden. Nach dem Scheitern diefes Unternehmens erwarb Seyler fih in Hannover das Privilegium für eine neue Geſell— ichaft, bei der Eckhof die Höhe feines Stünftlerruhmes erlangen und Schröder jeine erite Blüthe entfalten follte. (Das Spiel diejer Beiden begeiiterte den jungen Iffland damals jo, daß er den Gedanken fahte, fih der Schaufpiellunjt zu widmen). Ein Zerwürfniß zwiichen Seyler und Schröder beitimmte Legteren die Truppe zu verlaffen, welche 1771 nad; Weimar ging, wo Seyler jeine ſchon längjt verehrte und vergötterte Frau Henſel heirathete.

Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater. 499

jein Nationaltheater am Herzen, weshalb er ſich an Mozart, der jeit 28. Oftober in Mannheim weilte, wegen Compofition feiner Oper „Cora“ und eines Melodram’3 „Semiramis* von D. von Gemmingen wandte Unterhandlungen mit Mozart, Bogler, Gluck und Schweiger zerjchlugen fich indefjen.

Inzwiichen bemühte ſich Dalberg, einen Direktor für jein Unternehmen zu gewinnen und über renommirte Schaujpieler Erfundigungen einzuziehen, weshalb er fi) nad) Dresden wandte, wo der Prinzipal Bondint mit einer in gutem Rufe ftehenden Geſellſchaft weilte. Der kurpfälziſche Staatsminifter Graf von Oberndorf nahm, in Gemeinjhaft mit Dalberg, hierfür die Bemühungen des kurpfälziſchen Gejandten in Dresden, Freiherrn von Halberg in Anjprud. Diefer jchrieb am 26. Februar 1779 an Dafberg, daß der dort angeitellte Schaujpieler Brandes nicht abgeneigt wäre, die Direktion zu übernehmen,

Herr von Halberg jebte feine Unterhandlungen mit Brandes fort, ohne daß Dalberg, der auch mit Seyler contrahirte, einen entjcheidenden Entichluß gab. Es war unter- dejien in unerwarteter Weile ein glüdlicher Zufall Talbergs Plänen entgegen gefommen. Eckhof, der artiftiiche Director des Hoftheater8 in Gotha war (16. Juni 1778) geitorben; als deſſen Nachfolger fungirte einige Zeit der Schaujpieler Boed, der jedocd) jeinen großen Vorgänger jo wenig zu erjegen ver— mochte, daß der Funftjinnige Herzog am ganzen Theater die Luſt verlor und dasjelbe zum Herbit 1779 auflöfte. Das kam Dalberg zu erwünscht und gelegen. Ein jchöner Verein reich» begabter Talente, darunter das jugendliche Freundes-Kleeblatt Iffland, Beil und Bed, weldes ſich unter Eckhofs Augen herangebildet hatte, wurde plötzlich disponibel.

Dalberg verjäumte nicht, eiligſt den Theaterfaflterer Sar— tori nach Gotha zu jchiden, welcher eine von Seyler gejchriebene und von Dalberg unterzeichnete Inftruction erhielt, worin ihm Weiſung über die zu bewilligenden Sagen angegeben ift.

Zu gleicher Zeit hatte fid) Dalberg an Gotter gewandt, welcher am Gothaer Hofe die Stelle eines Secretairs bekleidete

3*

500 Friedrich Schiller und das dentiche Nationaltheater.

und mit dem Theater und deſſen Angehörigen im intimen Ver— fehr jtand, um jänmtliche Angelegenheiten zu ordnen. In der Antwort Gotterd (vom 12. Mai) empfahl er bejonders „den jungen Iffland zu gnädiger Aufnahme und befonderm Schuze“.

Dalberg fam nun felbft einmal nach Gotha, um fich die Leute anzujehen, und jcheint fich bejonders günftig über Beck, Beil und Iffland ausgeiprochen zu haben.

Iffland erzählt, daß nur der im Siebeleber- Holze*) mit Beil und Bed gejchloffene Freundichaftsbund ihn beitimmte, das Mannheimer Engagement abzujchließen. Diejen drei Jüng— fingen, jo verjchieden begabt und fo gleich in ihrer Begeiiterung und ihrem Streben, alle drei mit Kenntniffen und dichteriſchem Talente ausgerüstet, wurde der Freundjchaftsbund nicht nur für fie jelbjt ein Quell der belebenditen Anregungen, jondern er übte auch den merfwürdigiten Einfluß auf die ganze Kunſtge— nofjenichaft aus, der fie angehörten.

Sartori jchloß mit den drei Genannten, mit Boed, Meyer und Frau, Backhaus, Boenife und den Damen Kummerfeld und Wallenftein Contract ab, und erjuchte Gotter, den Mitgliedern die verlangten Vorſchüſſe auszuzahlen, welches am 9. September gejchah.

Durch Anftellung Seylers al3 Director, mit einem Ge— halt von 1200 fl., mußte fih Brandes jehr verletzt fühlen, der auf dieje Stelle feft rechnete und fein Engagement deshalb in Dresden aufgegeben hatte. Dalberg jchloß, zur Entſchä— digung, mit ihm als Darjteller, nebjt Frau und Tochter, Engagement am 14. Juli ab.

Seyler hatte fi) verpflichtet, die Frankfurter Herbſtmeſſe zu bejuchen und gab bier den 27. Auguſt die lebte Vorſtellung.

Die Familie Brandes trat dort zu Seyler, der von feiner Gejellihait die Mitglieder: Hr. und Mad. Toscant, Zuccarint, Hr. und Mad. Böichel, Familie Kirchhöfer, Herter, Haferung und Trinfle für Mannheim beibehielt.

*) Ein Wäldchen iu der Nähe von Gotha, wohin Iffland, Beil und Beck ihre Spaziergänge gewöhnlich machten,

——n

Friedrich Schiller und das dentiche Nationaltheater. 501

Rüftig wurde im Sommer vorgearbeitet zur Eröffnung des Theaters. Seyler ließ herrichten, „malen und jchneidern“, kaufte Coſtüm- und Decorationzjtüde ein und verjicherte brieflich an Dalberg, welcher den Sommer auf jeinem Gute verbrachte, er dürfe beruhigt jein, e8 werde nichts verjäumt, was zum recht- zeitige Anfange des Theaters nöthig wäre.

Daß Dalberg jeine Augen überall hatte, um nach neuen Talenten und pafjenden Ergänzungen für jeine Bühne auszu— hauen, und daß er in jedem Falle den rechten Vertrauens— und Mittelemann zu wählen wußte, bei dem er an Ort und Stelle anfragen fonnte um ein vertrauliches Urtheil, dafiir find mehrere Briefe Zeugen.

Die erite Vorftellung des neuen Nationaltheaterg fand am 7. October 1779 ſtatt mit der Aufführung des hier jehr beliebten Luſtſpiels „Geſchwind, eh’ es Jemand erfährt”, oder „Der bejondere Zufall“ nad) Goldoni.

Die zweite Borjtellung den 10. war Hamlet, in welcher Boeck fich großen Beifall erwarb.

Am 22. Dezember fand eine Aufführung mit freiem Entree von „Clavigo“ ftatt, wegen Anmwejenheit des Herzogs von Weimar und Goethes.

Catharina Baumann, weldhe auf dem Liebhabertheater ein hübjches Talent zeigte, wurde von Dalberg engagirt. Sie it 1766 in Mannheim geboren.

Der große Schaujpieler Schröder, auf der Höhe jeiner Kunft stehend, fam von feiner Wiener Gajtjpielreije am 14. Juni in Mannheim an, und begann ein auf neun Rollen fich eritredendes Gaitipiel. Er trat u. A. auf als Damlet den 16. Juni und 2. Juli, den 18. Juni als Harpagon im „Geis zigen“; am 23. al3 Odoardo in „Emilie Galotti“ und den 28. und 30. ala König Lear. Unbejchreiblich war der Bei- fall, mit dem dieſer große Künstler hier aufgenommen ward, Alles drängte fich ihm "zu jehen und Alles war von der Wahr- heit feiner Darjtellung Hingerifien.

Gleich bei Beginn des Theaters zeigten ſich zwifchen ben rauen Seyler und Brandes Differenzen.

502 Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater.

Nachdem Seyler von der Direction entfernt worden, gab Dalberg ihr eine durchaus veränderte Organijation. Ein aufs fallend neuer Moment war es in der Theatergeichicdhte, daB er jelbft den Vorſitz bei der fünjtleriichen Direction übernahm. Bisher war an allen Hoftheatern die fünjtleriiche Leitung von der Verwaltung der beauffichtigenden Oberbehörde getrennt ge» halten worden, wie zwei ihrem Weſen nach verjchiedene Thätig— feiten.

Jedenfalls ſtützte Dalberg bei jeiner Direktion ſich nicht blos auf das vom Hofe ihm ertheilte amtliche Anjehen, jon- dern auch auf wirkliche fünjtleriiche Fähigkeiten und Erfah- rungen; er war Sadjverjtändiger und auch Bühnenjchriftiteller. Er benußte alio jeine doppelte Eigenschaft als Scriftiteller und Bühnenuoritand rühmlich für die Veredelung der drama= tiichen Sprache. Und dennoch war er weit entfernt, fih im füinjtleriichen Dingen eine unbejchränfte Entjcheidung beizu— meifen, nein, im ebenſo beicheidener, als Liberaler Geſinnung wollte er den Geſammtgeiſt, die künſtleriſche Intelligenz zum Lenker des Nationaltheaters machen.

Es erging von Seiten der Intendanz eine Anordnung der neuen Theater-Regie, welche das Gejammt-Berjonal unterjchrieb und Herrn Meyer zum erjten Ausihuß (Ober- regiifeur) wählte; die Stelle des zweiten Ausſchuſſes wechjelte unter den Mitgliedern nach Dalbergs Beitimmungen.

Bon großer Bedeutung und Wichtigkeit war die Anord- nung Dalbergs: alle vierzehn Tage die Regiſſeure mit 4--6 Mitgliedern der Gejellichaft bei fich zu verjammeln, um ges meinjchaftlich über Verbeflerung des Theaters zu berathichlagen, neue Stüde in Borjchlag zn bringen, und abzuftimmen über eingegangene VBorjtellungen, Klagen und Bejchwerden.

Die Berjammlungen des großen Ausſchuſſes dauerten vom 28. Mai 1781 bis Mai 1789. Da es fich jpäter faft immer nur um Erhaltung der materiellen Erijtenz der Bühne handelte, und die franzöftiche Nevolution mit ihren Folgen, jo wie Die Screden des Krieges alle dafür nöthige Ruhe nahmen, hörten fie natürlich ganz auf. Drei Foliobände in Manuſcript zeugen

Friedrich Schiller und das deutihe Nationaltheater. 503

für die ernftlichen Bemühungen der Verſammlung, wie für die raftloje Thätigfeit, womit Dalberg ſich der guten Sache der Kunst ſtets widmete.

(Den großen Ausjhuß bildeten: Meyer, Boed, Iffland, Beil, Bed, Gern, Rennſchüb, Withöft und jpäter Schiller. Boeck trat nach einigen Jahren wegen feiner zu jchonenden Gelundheit aus.)

Im Monat October trat Cath. Baumann in Gage und Caroline Ziegler*), welche im „Flatterhaften Ehemann“ ihren eriten theatraliſchen Verſuch abjolvirte, wurde engagirt. Sie jpielte jchon einigemal beifällig auf dem Liebhabertheater, daß Dalberg auf ihr Talent aufmerkſam wurde Ihre Eltern waren Dagegen, daß fie zum Theater ging. Ahr Vater, Franz Ziegler war Hofgerichtsregiftrator, ihre Mutter, Eva Ziegler, die Schweiter der befannten Maler Frd. und Frz. Kobell, verband mit hellem Verſtand und jtrenger Nechtlichkeit tiefe Poeſie des Herzens. Herr und Mad. Rennſchüb, nach dem Abgange von Brandes mit Frau, gaftirend, traten in Engage: ment, ebenfalls Mad. Eurioni, Mle Jacquemin umd Herr Brand. Soweit die Vorgeichichte des Mannheimer Nationaltheater nach der Pichler’ichen Chronik.

Kaum hatte die energiiche Bethätigung des Mannheimer Nationaltheater begonnen, da präludirte jchon die große dramatiiche That, die diejes Theater bald zu Weltruf bringen jollte.

Der junge Friedrich Schiller Hatte ſchon jein Auge auf die Kunſtſtadt Mannheim geworfen. Er hatte erfahren, daß jein Freund Wilhelm Peterjen in die Pfalz gereijt war und Beziehung mit den litterarischen Kreifen Mannheims anknüpfen fonnte, Er jchrieb an diefen, fich für die Drudfegung der eben vollendeten „Räuber“ in Mannheim zu verwenden und ver:

*) Garoline Ziegler heirathete den 8. Januar 1784 Bed, ihre ältere Schweſter Luife, vermählte ſich mit Beil

504 Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater.

ſprach fich davon ein ehrenvolles „Urtheil der Welt“ und etwa 50 Gulden in Elingender Münze.

Allein aus der Sache wurde zunächit nichts und Sciller bejchloß, jein Werf auf eigene Kojten in Stuttgart druden zu fafjen. Er wußte dem Druder einen Bürgen für die Bezahlung der Koſten zu jtellen. Gleich die erjten fertig gedrudten Bogen jendete Schiller nad; Mannheim und zwar befanntlih an den in litterariichen Streifen bekannt gewordenen Buchhändler Chriſtian Friedrich Schwan der jofort etwas von der Aftualität des Stüdes erkannte und diefe Bogen an den Freiherrn Heribert von Dalberg ſchickte in der Hoffnung, daß er ich deſſen Werthichäbung durch Empfehlung eines zugfräftigen Stücdes gewinnen fünne.

Dalberg war gleichfall3 von der Aktualität des Stückes überzeugt. Der große Erfolg der am 6. Mai 1781 erichienenen eriten Ausgabe der Räuber gab dieſer Ueberzeugung Gewißheit. Dalberg beeilte jich, das Stüd für die Mannheimer National» bühne zu gewinnen und richtete ein jehr jchmeichelhaftes Schreiben an den jungen Regimentsmedieus Schiller.

Wenn man bedenft, daß die Kühnheit und Freiheit der Sprache diejes Stüdes heute noch, wenn dasjelbe jebt erichiene, vielfach auf Beanitandung jtoßen würde, jo kann man daran den Wagemuth ermeſſen, der dazu gehörte, jchon damals ein jolches Drama öffentlicd aufführen zu wollen. Wohl begehrte Dalberg mit Schwan Milderungen und Wenderungen für die Aufführung, allein dag beeinträchtigt die Verdienſte Dalbergs um das ganze große Unternehmen nicht im Entfernteften.

Dalberg verdient durchaus die ſchöne Witrdigung feines Lebens und jeiner Thätigfeit, die Kofffa mit folgenden Worten giebt: „Wolfgang Heribert Reichsfreiherr von Dalberg (Kämmerer von Worms, am 18. November 1750 geboren, 1771 verehe- licht mit Eliſabeth Augufte, Freiin von Ullner zu Dieburg) war der Sprößling aus dem alten edlen Gejchlecht der Dal: berge, deilen jchon im frühejten Mittelalter in der deutichen Geſchichte Erwähnung geichieht. Das Alter des Adels hatten die Dalberge mit manchem gemein, was fie aber bejonders aus—

Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 505

zeichnete, da3 war ihre wahrhaft edle Geſinnung, welche von jener ariftofratiich jein jollenden, junferhaften Ueberhebung nicht3 wußte, deren Handlungen vielmehr überall, ohne Ab- fichtlichkeit und Schaugepränge, den Stempel des „noblesse oblige“ trugen. Im diefer humanen Sinnesart und Denkweiſe lag die Begründung für den warmen Zug nad) Kunjt und Poeite, welcher vielen Dalbergen gemeinjam war. Ganz be» jonders Hatte fich derfelbe in dem trefflichen Manne ausgebildet, mit dem wir uns zu beichäftigen haben, und es unterliegt feinem Zweifel, daß er jchon in jungen Jahren jeiner Muje manche Früchte abgewann, jo wie er offenbar jpäter in den Mannheimer Hoffreifen durch jein feines Verſtändniß und jeine liebevolle Empfänglichfeit für die Ddichterifche und ganz beſon— ders für dramatijche Production die Autorität eines geſchmack— vollen und intelligenten Beurtheilers in diejen Dingen jich er- worben haben mag. Ein bedeutendes Vermögen das Stammes ſchloß Hernsheim bei Worms gehörte Hrn. von Dalberg jegte ihm in den Stand, feinen Neigungen durch Reifen und Anſchaffung aller werthvollen Hervorbringungen im Gebiete der ichönwiffenichaftlihen Literatur Genüge zu thun. Die dienitlihe Stellung, die er in der Regierung der Pfalz ein» nahm, that darin wenig Eintrag, und jo konnte er das Ge— wicht, welches ihm Geburt und Würden verliehen, ebenjo mit materiellen wie mit geiftigen Kräften vereinen und fich zu einer imponirenden Bedeutung bringen, welche durch ihren individuellen Einfluß bei dem aufzuführenden mehr als einmal als fräftigfte Stüge fih bewähren jollte.“

Als Dichter und Ueberjeger befundete Dalberg einen feinen Sinn und Geihmad, und es dürfte fich lohnen, diejer Thätig- feit des Intendanten jorgfältiger, als dies bisher geichehen nachzuſpüren, und in einer bejonderen Abhandlung die Rejuls tate niederzulegen. Hier fann nur im Allgemeinen auf dieſe Arbeit Dalbergs bingewiejen werden. Ein bejonders großes Verdienft errang ſich Daiberg durch feine nach der Wielandfchen Ueberjegung vorgenommenen Bearbeitung von Shafejpeares „Julius Caeſar“ für die Bühne und durch die glänzende Auf—

506 Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater.

führung diejes Stüdes am 24. April 1785, die auch den Bei- fall des Kurfürften fand. Unter Dalberg gehörte dag Mann— heimer Theater zu den erjten Stätten der Werke Schillers, Goethes, Leſſings, Mozart? und Glucks. Sein Rüdtritt am 20. Juni 1803 bedeutete den Abſchluß einer großen, fampf- reihen Zeit und fein Tod 27. September 1806 erfüllte die gelammte Kunjtwelt mit aufrichtiger Trauer.*)

Schon im Juli 1781 bejchäftigte ſich Schiller mit dem Gedanken, Mannheim aufzujuchen. Doch erit im Januar des folgenden Jahres reifte er heimlich zur erjten Aufführuug feiner Näuber nah) Mannheim. Dieje Aufführung wurde durd) die Energie des Intendanten und die Begeifterung der Schau» jpieler zu Wirklichfeit. Am 13. Iaunar 1782 durchbrauften die gewaltigen Freiheitsworte wie der Wedruf einer neuen Zeit das Nationaltheater zu Mannheim, das damit eine unvergäng— liche Weihe erhielt.

Die Vorſtellung begann Nachmittags 5 Uhr. Schon um 1 Uhr nahmen die Bejucher, die Feine Logenfige hatten, ihre Plätze ein. Aus Heidelberg, Speyer, Worms, Mainz und Frankfurt a M. und aus der ganzen Umgegend waren zahl- reiche Zeute herbeigefommen. Kurz vor Beginn der Vorftellung begab jih Schiller, deifen Anwejenheit geheim gehalten werden mußte, da er ohne Urlaub gereift war, in das Theater, in eine ihm von Dalberg zur Verfügung gejtellte Loge.

Was hier der Dichter erlebte und empfand, davon gibt er uns in einem Briefe an Dalberg (17. Januar 1782) ſelbſt Aufichluß, indem er jchreibt: „Beobachtet Habe ich jehr vieles, jehr vieles gelernt und ich glaube, wenn Teutichland einit einen dramatiichen Dichter in mir findet, jo muß ich die Epoche von der vorigen Woche zählen. E. E. werden mir erlauben, wenn ih die Aufführung der Räuber zu Mannheim nad meinen dabei angeftellten Beobachtungen weitläufig zergliedere und in einer Abhandlung über das Schauspiel öffentlich der Welt be— fannt mache, . . .*

*) Sein prädhtiges, mit fchönen Innendecorationen ausgeltattetes Palais, eines der ſchönſten Privathäufer jener Zeit, ift heute noch gut ers halten (Straße N 3 Nr. 4).

Friedrich Schiller und das deuticdhe Nationaltheater. 507

Dieje Abhandlung hat Schiller in Gejtalt eines fingirten Briefes (datirt aus Worms den 15. Januar 1782) in dem „Wirtembergiſchen NRepertorium der Litteratur“, erjcheinen lajien. Die originelle Selbjtkritif lautet:

„Vorgeſtern endlich gieng die Borftellung der Räuber des Hrn. Schillers vor fih. Ich komme foeben von der Reiſe zurüd, und noch warn von dem Eindrud, feze ich mich nieder, Ihnen zu jchreiben. Nun erjt muß ich erftaunen, welche unüberfteiglicd; jcheinende Hindernige der Hr. Präſident von Dalberg befiegen mußte, um dem Publifum das Stüd auf- tiichen zu können. Der Hr. Verfaſſer hat e3 freilich für die Bühne umgearbeitet, aber wie? Gewiß auch nur für die, die der thätige Geift Dalbergs bejeelt; für alle übrige, die ich wenigitens fenne, bleibt es, nach wie vor, ein unregelmäßiges Stüd. Unmöglid wars, bei den fünf Acten zu bleiben; der Borhang fiel zweimal zwiichen den Szenen, damit Machiniften und Schaujpieler Zeit gewännen, man fpielte Zwijchenafte, und jo entjtanden jieben Aufzüge. Doch das fiel nicht auf. Alle Perſonen erichienen neu gefleidet, zwei herrliche Deforazionen waren ganz für das Stüd gemacht, Hr. Danzy hatte auch die Zwiſchenakte neu aufgejezt, jo daß nur die Unkosten der erjten Boritellung hundert Dufaten betrugen*) Das Haus war ungewöhnlicd; voll*), daß eine große Menge abgewiejen wurde. Das Stüd jpielte ganze vier Stunden, und mich däucht die Schaujpieler hatten fich noch beeilet.

*) Die Theaterrehnungen melden: Für Malerei 45 fl. 54 fr, für Holzarbeit 50 fl. 45 fr., Schlofferarbeit 5 fl. 25 fr, 2 Gemälde 14 fl. 24, Perrüquier Braun vor einige Perrüquen jo zu den Räubern nöthig waren 20 fl., Garderobe 44 fl. 7, Piitolen, Dolche, Mond mit blechernem Spiegel 12 fl. 18, an Kaufmann Schmalg u. Sohn für Kleiderſtoffe 60 fl. 80 und 65 fl. 40, für Stattiften bei Proben und Borftellung 28 fl. 55, 2 Proben mit ganzer Beleuchtung 15 fl., zwei Trompeter 1 fl. 30, Requijiten 1 fl. 7, Pulver 15 fr. Stüde, welde im Drud erſchienen, wurben nicht hono— rirt, auf dieſe Weife erhielt Schiller nur 44 fl. als Erſatz „vor die Reiß— köſten“ durch Hrn, Schwan,

*) Die Einnahme betrug 233 fl. 42 fr., der Ertrag der Wiederholung am 24. war 180 fl. 40 fr,

508 Friedrih Schiller und das deutſche Nationaltheater.

Doch Sie werden ungeduldig jeyn vom Erfolge zu hören. Im Ganzen genommen, that eS die vortrefflichite Wir- fung. Hr. Boeck als Räuberdauptmann, erfüllte feine Rolle, jo weit e3 dem Schaujpieler möglich war, immer auf der Folter des Affeft3 geipannt zu liegen. In der mitternächtlichen Szene am Thurm hör ich ihn noch, neben dem Vater fnieend mit aller pathetiichen Sprache den Mond und die Sterne beichwören Sie müſſen wifjen, daß der Mond, wie ich noch auf feiner Bühne gejehen, gemächlich über den Theaterhorizont lief, und nah Maasgab jeines® Lauf ein natürliches jchröfliches Licht in der Gegend verbreitete Schade nur, dat Herr Boed für jeine Rollen nicht Perſon genug bat. ch hatte mir den Räuber hager und groß gedacht. Hr. Iffland, der den Franz vorjtellte, hat mir (doch entjcheidend joll meine Meinung nicht jeyn) am vorzüglichiten gefallen. Ihnen geſteh ich es, dieſe Rolle, die gar nicht für die Bühne ift, hatte ich jchon für ver— loren gehalten, und nie bin ich noch jo angenehm betrogen worden. Iffland Hat ſich in den lejteren Szenen als Meiiter gezeigt. Noch hör ich ihm in der ausdrudsvollen Stellung, die der ganzen laut bejahenden Natur entgegenjtund, das ruchloje Nein jagen, und dann wiederum, wie von einer unfichtbaren Hand gerührt, ohnmächtig umſinken. „Ja! Ja! bdroben einer über den Sternen!“ Sie hätten ihn jollen jehen, auf den Knieen liegen, und bethen, als um ihn jchon die Gemächer des Schlofjes brannten. Wenn nur Herr Iffland feine Worte nicht jo verjchlänge, und jich nicht im Declamiren jo überjtürzte! Teutjchland wird in dieſem jungen Mann noch einen Meiiter finden. Hr. Beil, der herrliche Kopf, war ganz Schweizer. Sr. Meyer jpielte den Herrmann unverbefjerlich, auch Koſinsky und Spiegelberg wurden jehr gut getroffen. Mad. Toskani gefiel, mir zum mindeftens, ungemein, Ich fürchtete anfangs für dieje Rolle, denn fie it dem Dichter an vielen Orten mißlungen. Toskani jpielte durchaus weich und delifat, auch wirklich mit Ausdruck in den tragiihen Situationen, nur zu viel Theater: Affectationen und ermüdende weinerlich klagende Monotonie.

Sonntags den 13. Jänner 1782

wird auf der hiefigen National-Bühne aufgeführet

r ' r Die Räuber, Ein Trauerjpiel in jieben Handlungen; für die Mann-

heimer Nattonalbühne vom Berfajjer Herrn Schiller neu bearbeitet.

Berjonen.

Marimilian, regierender Graf von Moor : Herr Kirchhöfer. Karl, Herr Boeck. Franz, ſeine Söhne Herr Iffland. Amalia, feine Nichte ; j ; j Mad, Toscani. Spiegelberg, x i ; ; | Herr Pöſchel. Schweizer, ; . . R ; j Herr Beil, Grimm, ; 2 i ' Ä i Herr Rennichüb. Scufterle Liberkmer, nachher Banditen Herr Frank. Roller, Herr Toſcani. Razmann, Herr Herter. Koſinsky, Herr Bed. Herrmann, Baltard eines Edeimanns Herr Meyer. Eine Magiſtratsperſon. Her Gern. Daniel, ein alter Diener , ; ; i Herr Bakhaus.

Ein Bedienter E r : i ; Herr Epp. Räuber. Volk.

Das Stück ſpielt in Deutſchland im Jahre, als Kaiſer Maxi— milian den ewigen Landfrieden für Deutſchland ſtiftete.

Die beſtimmten Eingangsgelder ſind folgende:

In die vier erſten Bänke des Parterres zur linken Seite 45 fr. In die übrige Bänke i i N i ; 24 fr. In die Reſerve-Loge im eriten Stod ; R i 1 fl

In eben eine ſolche Loge des zweiten Stocks. 40 kr. In die verſchloſſene Gallerie des dritten Stocks 15 fr. In die Seiten-Bänte allda : ; B ; ; : 8 kr.

Wegen Länge des Stückes wird heute präciſe 5 Uhr angefangen.

Der Berfafler an dad Publikum.

—e+——

ie Räuber das Gemählde einer verirrten grojen Sele

ausgerüjtet mit allen Gaben zum Fürtrefflichen, und mit allen Gaben verloren zügellojes Feuer und jchlechte Kammeradichaft verdarben jein Herz, riffen ihn von Lafter zu Laſter, bis er zulezt an der Spize einer Mordbrennerbande ſtand, Gräuel auf Gräuel hänfte, von Abgrund zu Abgrund jtürzte, in alle Tiefen der Verzweifelung doch erhaben und ehrwürdig, gros und majeftätiich im Unglüd, und durch Un— glück gebeflert, rüdgeführt zum SFürtrefflichen. Einen ſol— hen Mann wird man im Räuber Moor beweinen und haſſen, verabicheuen und lieben.

Franz Moor, ein heuchleriicher, heimtückiſcher Schleicher entlarvt, und geiprengt in jeinen eigenen Minen.

Der alte Moor, ein allzu jchwacher nachgebender Vater, Berzärtler, und Stifter vom Verderben und Elend jeiner Kinder.

In Amalien die Schmerzen jchwärmerifcher Liebe, und die Folter herrichender Leidenichaft.

Man wird auch nicht ohne Entjezen in die innere Wirth: ſchaft des Lajters Dlidde werfen, und wahrnehmen, wie alle Vergoldungen des Glüds den innern Gewilfenswurm nicht tödten und Schreden, Angft, Reue, Verzweifelung bart hinter jeinen Ferſen find. Der Jüngling jehe mit Schreden dem Ende der zügellojen Ausichweifungen nach, und der Mann gehe nicht ohne den Unterricht von dem Schaufpiel, daß die unsichtbare Hand der Vorſicht, auch den Böjewicht zu Werk— zeugen ihrer Abjicht und Gerichte brauchen, und den verwor— venditen Knoten des Geſchicks zum Erjtaunen auflöjen fönne,

ee

Friedrich Schiller und das deutſche Nationaltheater. 511

Der alte Moor konnte unmöglich gelingen, da er ſchon von Haus aus durch den Dichter verdorben ift.

Wenn ich Ihnen meine Meinung teutich berausiagen joll Dieſes Stüd ift dem ohnerachtet fein Theaterjtüd. Nehme ih das Schießen, Sengen, Brennen, Stechen u. dgl. hinweg, jo ift e3 für die Bühne ermüdend und jchwer. ch Hätte den Verfaſſer dabei gewünjcht, er würde viel ausgejtrichen haben, oder er müßte jehr eigenliebig und zäh ſeyn. Mir fam es aud) vor, e3 waren zu viele Realitäten bineingedrängt, die ben Haupteindrud belaften. Man hätte drei Theaterftüde daraus machen fünnen, und jedes hätte feine Wirkung gethan. Man Ipricht indeh langes und breites davon, Webermäßige Tadler und übermäßige Lober. Wenigitens iſt Dies die bejte Gewähr für den Geiſt des Verfaſſers. Bald werden wir e8 gedrudt haben. Hr. Hoffammerratd Schwan, der zur Aufnahme des Stüdes jehr viel beigetragen hatte, und ein eifriger Liebhaber davon ift, wird e3 herausgeben. Ich Habe die Ehre zu jenn ꝛc.

N?

Auf das Publifum wirkte das Stück mit der ganzen Wucht jeiner gewaltigen Sprache, der ungebändigten Thaten- (uft, die fich darin fundgiebt. Schiller wußte gleich mit diejem Sti das Herz des Bolfes und der geiftig Vornehmen aller Kreije zu gewinnen, während das eigentliche Theaterpublikum, das damals bejonders aus herbeigezogenen Landadeligen be— ftand, und der größte Theil der Preſſe im fittliche Entrüftung ausbrachen. Ein ſolches Stüd auf einer furfürftlichen Bühne in aller Deffentlichkeit zu geben, „welche Geſchmackloſigkeit, welch' ein Mangel an wahrem fittlihem Gefühl!" Aber Dalberg, geſtützt durch das Vertrauen eines Funjtverjtändigen Fürſten und durch den thatſächlichen Erfolg der Aufführung, bejtand rubig und fejt den Anfturm gegen diejes Werk der Wahrheit, das bald ganz Deutichland durchbrauite.

Hamburg und Leipzig folgten zunächſt (September 1782) mit Aufführung des da nicht weniger ziindenden Werfes. Much in England und jpäter in Paris während der Revolution

512 Friedrich Schiller und das dentihe Nativnaltheater.

erihallten die lauten Anklagen Karl Moors wider Unrecht und Knechtſchaft.

Wohl fonnte der Dichter jelbit, der jeine Dichtung für die Aufführung firzen mußte, die Bühne als eine Schranke anjehen, das Publikum aber empfand die dramatiiche Sprache zum Vortrag wie geichaffen und gerieth angelichts der ich vor jeinen Augen abjpielenden Handlungen in fieber- hafte Erregung Am jelben Abend nach der Aufführung wurde Schiller noch in der Gejellihaft Ifflands und der andern Scaujpieler, jowie jeines Freundes Peterſen und Schwaus gefeiert. Lebterer beeiferte jich und jah darin eine Ehre, dem Dichter die ihm zugejagten Reiſekoſten vorzujchiegen.

Ende Mai desjelben Jahres reiite Schiller nochmals gemeine Ichaftlidh mit Frau von Wolzogen und Frau Viſcher heimlich nach Mannheim zu einer von Dalberg eigens für die An— wejenheit diejer Gäſte angejegten Näuberaufführung. Diejer Beſuch knüpfte feitere Beziehungen zu Mannheim und dem Intendanten von Dalberg an. Es muß zwiichen dem lebteren und Schiller zu einer herzlichen Ausiprache gekommen , jein; des Dichters Hoffnung auf die Zukunft jtärkte jich, obwohl er durch die Reiſe erfältet und an der Örippe (Influenza) erkrankt nah Stuttgart zurüdfehrte. Dort folgten für den Dichter bald Tage des Mergers und der Bedrängniß. Herzog Karl verbot ihm jede weitere litterariiche Thätigfeit und das ſchreck— lihe Schidjal Schubarts, der auf Hohenajperg eingeferfert war, ſtand dem jungen Dichter wie ein frühes Grab vor Augen.

Sich jelbit, feine Kunſt zu retten, mußte er fliehen und mit Hilfe jeines treuen Freundes, des 1761 zu Stuttgart ge— borenen Mufifers Andreas Streicher, gelang ihn auch in der Naht vom 22, zum 23. September 1783 dieſe Flucht, wäh: rend der Herzog zu Ehren der Anwejenheit des Großfürjten Paul und dejien Gemahlin (dev Nichte des Herzogs) auf Schloß Solitude ein großes Feſt veranftaltete. Er floh mit jeinem Freunde Streicher in die Nacht hinaus feiner Vater— jtadt verloren, aber Deutichland für immer gewonnen.

Friedrih Schiller und das deutſche Nationaltheater. 513

Ueber dieje Flucht berichtet Streicher in feinem 1836 zu Stuttgart (Cotta) erichienenen Büchlein, dad wie Wych— gram vortrefflich jagt „zu den merfwürdigiten und liebens- würdigſten unjerer Litteratur gehört und das jeder junge Deutiche lejen jollte“, folgendes:

„Der Weg wurde zum Eplinger Thor hinaus genonmen, weil dieſes das dunfelfte war, und einer der bewährteiten Freunde Schillers als Lieutenant die Wache hatte, damit wenn fih ja eine Schwierigkeit ergäbe, dieje durch Vermittlung des Dffizierd fogleich gehoben werden fünne .. . . So gefaßt die jungen Leute auch auf alles waren, und jo wenig fie eigent- lih zu fürchten Hatten, jo machte dennoch der Anruf ber Schildwahe: Halt! Wer da? Unteroffizier heraus! einen unheimlichen Eindrud auf fie. Nach den Fragen: Wer find die Herren? Wo wollen Sie hin? wurde von Streicher des Dichters Name in Doctor Ritter und der einige in Doctor Wolf verwandelt, beide nach Eßlingen reißend, angegeben und aufgejchrieben. Das Thor wurde nun geöffnet, die Reiſenden fuhren vorwärt3 .. . Gegen Mitternacht ſah man links von Ludwigsburg eine außerordentliche Röthe am Himmel, und ala der Wagen in die Linie der Solitüde fam, zeigte das dajelbit auf einer bedeutenden Erhöhung liegende Schloß mit allen jeinen weitläufigen Nebengebäuden fich in einem Feuerglanze, der fi in der Entfernung von anderthalb Stunden auf das Ueberrafchendite ausnahm. Die reine, heitere Quft ließ alles fo deutlich wahrnehmen, daß Schiller jeinem Gefährten den Punkt zeigen fonnte, wo feine Eltern wohnten, aber alsbald, wie von einem jumpatbetiichen Strahl berührt, mit einem unterdrüdten Seufzer ausrief: Meine Mutter! Morgens zwijchen 1 und 2 Uhr war die Station Entweihingen erreicht, wo gerajtet werden mußte. Als der Auftrag für etwas Kaffee ertheilt war, zog Schiller jogleich ein Heft ungedrudter Ge- dichte von Schubart (den er befanntlich auf Hohenajperg be- ſucht hatte) hervor, von denen er die bedeutenditen jeinem Gerährten vorlas. Das Merkwürdigite darunter war Die Fürftengruft, welches Schubart in den eriten Monaten jeiner

Defer, Geihiäte der Stabt Mannheim. 33

514 Friedrih Schiller und das dentſche Nationaltheater.

Gefangenihaft mit der Ede einer Beinkleiderſchnalle in die nafien Wände jeines Kerkers eingegraben hatte... . Nach 3 Uhr wurde von Engweihingen aufgebrochen, und nad) 8 Uhr Morgens war die churpfälziiche, durch eine kleine Pyramide angedeute Grenze erreicht, die mit einer freude betreten wurde, als ob rückwärts alles Läjtige geblieben wäre und das er- jehnte Eldorado bald erreicht jeyn würde. Das Gefühl eines harten Zwanges entledigt zu jeyn, verbunden mit dem heiligen Vorſatz, demjelben fi nie mehr zu unterwerfen, belebten das bisher etwas büjtere Gemüth Schillers zur gefälligiten Heiter- feit, wozu die angenehme Gegend, das muntere Wejen und Treiben der rüftigen Eimwohner wohl auch das Ihrige bei— trugen. Sehen Sie rief er jeinem Begleiter jehen Sie, wie freundlich die Pfähle und Schranfen mit Blau und Weiß angejtrichen find! Ebenjo freundlich tft auch der Geijt der Regierung! Ein lebhaftes Geſpräch, das durch dieje Be— merfung herbeigeführt wurde, verfürzte die Zeit dergeitalt, daß es faum möglich jchien, um 10 Uhr jchon in Bretten ange- fommen zu jeyn. Dort wurde bei dem Bojtmeifter Pallavicini abgejtiegen, etwas gegejjen, der von Stuttgart mitgenommmene Wagen und Kutjcher zurüdgeichidt, Nachmittags die Poſt ge- nommen und über Waghäufel nah Schwegingen gefahren, allwo die Ankunft nad) 9 Uhr Abends erfolgte. Da in Mannheim, als einer Hauptfejtung, die Thore mit Eintritt der Dunkelheit gejchlojfen wurden, jo mußte in Schwegingen über- nachtet werden, welches auf zwei unruhige Tage und eine ichlafloje Nacht um jo erwünjchter war. Am 19. September waren die Retjenden des Morgens jehr früh gejchäftig, um fich zu dem Eintritt in Mannheim vorzubereiten. Das Beite, was die Koffer faßten wurde hervorgejucht, um durch jcheinbaren Wohlſtand ſich eine Achtung zu fichern, die dem dürftig oder (eidend Ausjehenden fait immer verjagt wird... . Mit der Zuverfiht (daB in diefem Jahre der vollendete „Fiesco“ auf: geführt werde und daraus neue Hilfsmittel zu gewinnen jeien) wurde die Poſtchaiſe zum lebtenmal beitiegen und nach Mann heim eingelenft, dag in zwei Stunden, ohne irgend eine Frage

Friedrih Schiller und das deutſche Nationaltheater. 515

oder Aufenthalt an dem Thor der Feſtung, erreicht war. Der Theaterregiffeur, Herr Meier, bei welchem abgejtiegen wurde war fehr überraſcht, Schiller zu einer Zeit bei fich zu fehen, woYer ihn in lauter Feſte und Zerſtreuungen verjunfen glaubte, aber jeine Ueberraihung ging in Erjtaunen über, als er ver- nahm, daß der junge Mann, den er jo hoch verehrte, jept ala Flüchtling vor ihm ſtehe . . . Die Keijenden wurden von ihm zum Mittageffen eingeladen, und er hatte auch die Gefälligfeit in der Nähe jeines Haufes eine Wohnung, die in dem menjchen- leeren Mannheim augenblidlih zu haben war, aufnehmen zu laſſen, wohin jogleich das Reiſegeräth geichafft wurde. Nach Tiiche begab ſich Schiller in das Nebenzimmer, um daſelbſt an feinen Fürjten zu jchreiben .. Den andern Tag Abends traf Madame Meier von Stuttgart (wohin fie als Stuttgarterin zu den Feſtlichkeiten gereiſt war und dort nod; Schiller ge- jprodhen hatte) wieder zu Haufe ein. Sie erzählte, daß fie ihon am 18. Vormittags Schillers Verfchwinden erfahren, daß jedermann davon ſpreche. Für die Neijenden war es jehr angenehm in der Hausfrau eine theilnehmende Landsmäntin und jehr gebildete Freundin zu finden... Nicht nur für dieje bedenkliche Zeit, jondern auch in der Folge blieben dieje wür— digen Leute Schiller3 aufrichtigite, wahrjte Freunde“ .

Aber das Glüd, das Schiller bei jeinem erften Aufenthalt in Mannheim entgegenfam, blieb ihm diesmal nicht treu. Ver— geblich wartete er auf eine gnädige Antwort feines Fürſten, vergeblich war jeine Hoffnung auf die gute Aufnahme jeines neuen Stüdes „Fiesco“.

Gleich die VBorlefung des Stüdes durch Schiller jelbjt vor den anmwejenden Schauipielern Meyer, Iffland, Beil, Bed, Frank fand zum Schmerze jeines gleichfall3 gegenwärtigen Freundes Streicher feinerlei Beifall. Rejpectlos benahmen ſich die Schaue jpieler dem Flüchtling gegenüber.

„Der erjte Akt berichtet Streiher wurde zwar bei größter Stille, jedoch ohne das geringite Zeichen des Beifalls abgelejen, und er war faum zu Ende, als Herr Beil fich ent— fernte, und die Uebrigen jih von der Gejchichte Fiescos

33*

516 Friedrih Schiller und das deutihe Nationaltheater.

oder andern Tagesneuigfeiten unterhielten. Der zweite Akt wurde von Schiller weitergelejen ebenjo aufmerkſam wie der erite, aber ohne das geringfte Zeichen von Lob oder Beifall angehört. Alles ſtand jetzt auf, weil Erfriichungen von Obit, Trauben ꝛc. herumgegeben wurden. Einer der Schaufpieler, Namens Frank, jchlug ein Bolzichießen vor, zu dem man auch Anftalt zu machen jchien. Allein nach einer Viertelſtunde hatte fich alles verlaufen, und außer den zum Haus Gehörigen war nur Iffland geblieben, der fich erſt um acht Uhr Nachts ent- fernte. ...“

Auch die heißerſehnte Rückkehr des Intendanten von Dal— berg erfolgte vorläufig noch nicht, ſodaß Schiller ſich entſchloß, nach ſiebentägigem Warten mit Streicher eine Fußreiſe nach Frankfurt a. M. zu unternehmen, bei welcher Streicher bekannt— (ih in einem Walde jeinen von des Lebens Sorge müde ge- besten Freund, der ermattet in Schlaf verfallen war, in brüder- licher Liebe bewachte.

In Frankfurt reip. in Sachſenhauſen traf Schiller die Ab— fage Dalbergs, der weder einen Vorſchuß leilten, noch über: haupt den Fiesco annehmen wollte Dalberg hatte joeben die Gaftfreundichaft des Herzogs von Württemberg genoffen und er jchien Bedenken zu tragen, den Flüchtling zu unterftügen. Mit Streicher, der ihn tröftete und von Haus aus 30 Gulden erhielt, trat Schiller die Rückreiſe an. In Oggersheim er- warteten Regiſſeur Meier und deſſen rau, jorwie zwei Ver— ehrer Schillers die Ankunft des Dichters und jeines Freundes. Hier in Oggersheim jollte Schiller und Streicher bleiben, um vor aller Berfolgung ficher zu fein. Im Gafthofe mit dem poetijchen Namen „zum Biehhof“ ließ fich in Oggersheim dem auch der Dichter unter dem Namen Dr. Schmidt mit feinem Freunde nieder. Hier entwarf er gleich am eriten Abend den Plan zu jeinem neuen Drama „Luife Millerin“, mit dem er fih auf der Wanderſchaft lebhaft beichäftigt hatte. Unermüd— lid und Leidenichaftlich bewegt arbeitete er hier an diefem neuen Werk, jodaß die darüber vernachläffigte Neubearbeitung des Fiesco für's Theater erjt anfangs November vorbehaltlich des

Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 517

Schluffes fertig wurde, als fi Schiller durch die äußerfte Geldnoth dazu gezwungen jah.

Nur in den Abendftunden wagte fi) Schiller zuweilen in die Stadt zu jeinen Freunden; doch einmal glaubte man in— folge der Anweſenheit eines württembergijchen Dffiziers, (der jich ſpäter jedoch als ein Verehrer Schillers erwies) jo an die Berfolgung des Dichters, daß man ihn und feinen Freund am jelben Tage nicht nad) Oggersheim zurückließ, jondern die beiden jungen Leute durch Vermittelung der Hausverwalterin Euroni in dem Palais des Prinzen von Baden verbarg.

Ende November erfolgte die Entjcheidung des Intendanten, der auch die neue Bearbeitung des „Fiesco“ verwarf troß eines günjtigen Gutachtens Ifflands.

Da war es der Buchhändler Schwan, der wenigſtens ben Drud des „Fiesco“ übernahm und Sciller den Bogen mit einem Louisdor honorirte.

Schillers Aufenthalt im Mannheimer Kreije mußte nun- mehr jchleunigjt abgebrochen werden. Er begab ſich von hier aus befanntlic) nad) Bauerbadh auf ein Gut der Frau von Wolzogen. Im den erjten Tagen des Dezember reijte er bei Kälte und Schnee von Oggersheim ab. Streicher, Meier und einige andere Freunde begleiteten Schiller bis Worms. Dort beluftigte ſich die Heine Gejellichaft noch im Poſthauſe bei einer Aufführung von „Ariadne auf Naxos“, die gerade eine wan— dernde Schaufpielergejellihaft vom Stapel ließ; dann wurde der Abjchied unter der Spende von Liebfrauenmilc gefeiert. „Meier und die Andern jchieden jehr unbefangen und redjeelig. Allein was fonnte Schiller und jein Freund fich jagen? Kein Wort fam über ihre Lippen feine Umarmung wurde gewechjelt; aber ein jtarfer, lang dauernder Händedrud war bedeutender als alles, was fie hätten ausiprechen fünnen.“

Im Sommer 1783 hatte Dalberg ſich eines Beiferen bejonnen und Schiller nad) Mannheim zurüdgerufen. Schiller wurde als Theaterdichter und Dramaturg des Mannheimer National- theater8 auf ein Jahr vom 1. September 1783 bis 1. Sep tember 1784 mit einer Bejoldung von 300 fl. angejtellt.

518 Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater.

Außerdem wurde ihm die Einnahme je einer Aufführung der drei von ihm zu liefernden Theaterjtüde zugefichert.

Aus der Einjamfeit war er in Mannheim mitten in ein bewegtes gejellichaftliches und Fünftlerifches Leben hineinver— jeßt. Hier gewann er die Sicherheit und Kraft, jchwierige Lebensverhältniffe zu meiltern. Nur dem Berrath von Freun— desjeite konnte der edle, hohe Geilt des Dichters feinen Wider- ftand entgegenjegen, Diejer Freund, der jpäter den Dichter dem Hohn und Spott der Mannheimer Gejellichaft auslieferte, war fein anderer al3 Iffland.

Irland Hat die ihm vorgejchriebene Laufbahn als Pre— diger mit der des Schaufpielers in jugendlichem Enthufiasmus für die Kunſt, zu der er ganz beionders befähigt war, ver- tauicht. Er ijt der am 19. April 1759 zu Hannover geborene Sohn eines Beamten. Seinem Vaterhauſe entronnen, bildete er ich in der Schule Edhofs zum Schaufpieler aus.

„Den 15. März 1777 jchreibt Koffka hatte er in der Rolle des Juden in Engels „Diamant“ die Gothaer Bühne betreten und durch jeinen Fleiß, feine Bildung uud eine feine Biegſamkeit des Talentes begünftigt, ſehr raſche Fortſchritte gemacht. Seine natürliche komiſche Kraft zeigte früh eine eigenthümliche Grazie und Feinheit, das Aplomb ſeiner Hal— tung, ſein auffallendes Zuhauſeſein in Rollen aus der höheren Geſellſchaft verdankte er ſeiner Abkunft aus angeſehener Familie. Dieſer Umſtand war es, der Ifflands Talent und ſeinen Ein— fluß auf die Kunſt überhaupt weſentlich charakteriſirte. Alle anderen tonangebenden Meiſter vor ihm waren entweder aus geringem Stande, oder doch aus bejchränften Lebensverhält- nifjen, wo nicht aus dem abgejonderten Eouliffenleben hervor: gegangen.“

Aber nicht nur Schauifpieler, fondern auch Dichter wurde Sffland und dies war es, was ihn zum heimlichen und jchlieh- fich offen hervortretenden Feind Schillers machte, dejjen Ber gabung die jeinige auf diefem Gebiete an der Stätte jeines Wirkens gänzlih in Schatten zu jtellen drohte. Ifflands dichteriiches Talent war entichieden bejchränft, dennoch werden

Friedrih Schiller und das dentſche Nationaltheater. 519

feine Arbeiten vielfach zu gering geichäßt. Es ftad jchon viel ſcharfe Lebensbeobahtung und Menfchenfenntniß in dieſen Stüden Ifflands und ein entjchiedener Realismus ſprach bereit8 aus der Zeichnung der da auftretenden Gejtalten de3 unmittelbaren Lebens. Freilich neben Schillers Genie fonnte Ifflands Begabung nicht beitehen. Als Schiller daher mit jeinem bürgerlichen Trauerſpiel „Kabale und Liebe” auf dem eigenjten Gebiete Ifflands diejen völlig jchlug, da wan— delte jich des Letzteren Freundichaft in Feindſchaft, ohne daß Schiller eine Ahnung davon hatte. Auch das Berhältnif Schilfers zu Dalberg blieb fein ungetrübtes, Ifflands heim- liches Handeln gegen Schiller zerjtörte jpäter auch die Gunft Dalbergs.

Sehr weſentlichen Verkehr hatte Schiller beſonders im Haufe des Buchhändlers Schwan, des Berlegers jeiner eriten Werke. Mit Unrecht hat man Schwan den Mannheimer Nicolai genannt. Schwan war ein viel bedeutenderer Kopf als der Berliner Berlagsbuchhändler. Er hat viel mehr von dem Werth der großen Dichtungen jener Zeit erfannt und er hat vielen derielben, jtatt wie jein Berliner College der Berfiflage zu huldigen, freimüthig die Bahn gebrochen.

Schwan, am 12. Dezember 1733 zu Prenzlau in ber Udermart geboren, iſt der Sohn des Schleſiers Ananias Schwan aus Groffen, der in der Mark einen Buchhandel be» trieb. Seine Mutter war die Tochter eines Predigerd, Doro» thea Sophie Buchholz aus Woldek in Medlenburg:Strelig. Schwan jollte Theologe werden und er ftudirte in Halle. Mit zwanzig Jahren wurde er Hofmeifter der drei Söhne des Land- edelmanns Fsriedrih von Berg in Neuenkirchen in der Marf Brandenburg. Nach vorübergehendem Aufenthalt in Hamburg, Kopenhagen reifte er nach St. Petersburg, wojelbjt er durch Vermittelung des als ruſſiſchen Gejchichtsichreibers befannten Profeſſors Georg Friedrich Müller und des namhaften Ge— lehrten Joh. Georg Gmeiin die Stelle eines Correftors der faijerl. Akademie erhielt, dann auch Lehrer der Pagen der Großfürjtin Katharina und ſchließlich Auditeur im Dragoner:

520 Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater.

Regiment des Prinzen Georg Ludwig von Holftein wurde. Schwan erlebte in Petersburg die Revolution nad) dem Tode der Kaiſerin Elifabeih und die Thronbejteigung der Kaijerin Katharina II. 1762 verlieg Schwan Petersburg und er trat hierauf als Auditeur bei dem Infanterie-Regiment Alt-Stutter- heim in die Dienjte Friedrichs des Großen. 1763 und 64 weilte Schwan in Holland. Dort ließ er (1764 bei Staat- mann in Haag) fein aus den unmittelbarjten Erlebnijfen ge— ihöpftes anonym erjchienenes Wert „Anecdotes russes etc,“ ecrites de Petersbourg en 1762 (Londres 1764) druden. Nah Frankfurt a. M. übergefiedelt, gab Schwan die Wochen ihrift „Der Unfichtbare" im Verlage von Eßlinger heraus, die zugleich au in Mannheim und Kafjel erichten. Schwan heirathete die ältefte Tochter Eplingers und übernahm am 25. September 1765 die Leitung der Mannheimer Filiale dieſes Buchhändlers. Die Mannheimer Thätigkeit Schwans wurde hier jchon bei verjchtedenen Gelegenheiten gerühmt. Er erhielt den Titel furfürjtl. Hoffammerrath. Um die Haud jeiner Tochter Margarethe Schwan hielt bekanntlich Schiller an, ohne daß der Wunſch des Dichters erfüllt wurde. Schwan wandte fih in dem Sriegsjahre 1794 nad) Heilbronn und ftarb zu Heidelberg am 29. Juli 1815 im Alter von 82 Jahren. Seine zahlreichen Schriften, Ueberjegungen, Operndichtungen, Abhand- lungen u }. w. zeigen ihn als einen begabten, hochgebildeten Mann, dem jedod) für jein perjönliches Eintreten für Schiller noch mehr zu danken ijt, als für feine eigenen Werfe.*)

*) Eßlinger hatte die 1733 in Mannheim gegründete Hofbuchhands lung von Friedrid Daniel noch, feinem Schwager, im Jahre 1764 über: nommen und zu feiner Filiale gemadt. Mit Schwan vereinigte ſich ipäter der Buchhändler Friedrich Götz, der Verfaſſer des Buches „Geliebte Gatten“, der die Handlung nad Schwan's Wegzug (1794) allein weiterführte. Diefe Buchhandlung fiedelte 1801 von H 1, 14 nad C 3, 6 über. Su H1, 14 dem jogen. Fuchs'ſchen Haufe war jedenfalls auch die Wohnung Schwans, in der Schiller verkehrte. (Schiller wohnte 1784 in dem heute noch erhal: tenen Haufe O 2, 1). Nbgejehen von den ſchon erwähnten Klein'ſchen Unternehmungen, richteten die Buchhändler Charles Lafontaine 1772 und Heinrich Bender Lejefäle und XLejebibliotheten ein. Michael Göß wird als eriter Mufikalienhändler und Dominik Artaria als eriter Kunjthändler ge

Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 521

Schiller verkehrte auch mit dem Dichter und Hoffammer- rath Dtto Freiherr von Gemmingen-Hornberg, geboren am 8. November 1755 (zu Heilbronn) und gejtorben am 15. März 1836. Gemmingen ijt bejonder® durch jein moralifirendes Familienftüd „Der deutſche Hausvater“ (1780 aufgeführt), einer abgeijhwächten Nahahmung des Diderot'ſchen „Pere de tamille“, in weiten Streifen bekannt geworden. Mit feiner „Mannheimer Dramaturgie für das Jahr 1779“, die Dalberg gewidmet ift und 1780 erjchien, jchuf er die einzige Dramaturgie des Mannheimer Theaters, da Schiller die von ihm begehrte nicht verfaßte. Eine Operndihtung Gemmingens „Semiramis“ ſoll Mozart componirt haben; das Werk iſt jedoch nicht erhalten geblieben.

Zu den literariſchen Capacitäten der damaligen Mannheimer Gejellichaft gehörte ferner die Schriftitellerin Sophie von La Roche, geb. Gutermann, die Freundin Wielands, die Schiller wohlwollend und herzlich aufnahm, obwohl fie von der Be— deutung jeiner Werfe jo gut wie nichts verjtand.

Zu einem innigeren Verhältniß führte Schillers Be— fanntichaft mit Charlotte von Kalb, geb. von Djtheim, deren Gemahl Offizier in einem in Landau garnijonirenden Regiment war und die in der Funjtbewegten Stadt Mannheim lebte. Das Verhältniß zu diejer rau, das den Dichter jchließlich in einen Abgrund der Leidenjchaft zu reißen drohte, trug bekannt— lic jpäter zu feinem Entichluffe, Mannheim zu verlafjen, bei.

Schon war in Mannheim eine Mädchengejtalt wie die Ankündigung einer Zukunft dauernder Liebe erjchienen: Char— (otte von Lengefeld war mit Mutter, Schweiter und Schwager durch Mannheim gereijt und hatte mit den Ihrigen Schiller flüchtig begrüßt. Die Reiſenden trafen den Dichter nicht im Haufe an, doch Schiller konnte ihnen noch nacheilen und fie uannt. Ein Verleger Namens Uffieur gab 1768 das Journal, , L’Europe litteraire‘‘ heraus und der Antiquar Pfahler begründet 1761 das Manns heimer Intelligenzblatt. Die vom Bürgerhofpital herausgegebene Manns heimer Zeitung und die Zeitichriften Schwan find an anderer Stelle erwähnt.

522 Friedrih Schiller und das deutſche Nationaltheater.

am Poſtwagen fprehen. Er drüdte Charlotten die Hand ohne zu ahnen, daß ihm einst diefe Hand zum ewigen Bunde ge- reicht werben jollte.

Die Beweije der Verehrung und die Aufmerkjamfeiten, die dem Dichter von Seiten zartfühlender Frauen zu Theil wurden, bildeten aber nur einzelne, Lichtpunfte in dem von bitteren, faum erträglihen Sorgen verdüfterten Leben des Dichters.

Wie ſchlimme Duälgeifter meldeten fich in dem Augenblid, in dem Schiller aus feiner Werborgenheit offen hervortrat, alle diejenigen, denen er nach den finanziellen Nöthen der letzten Jahre noch Geld jchulbete.

Dieje Sorgen fteigerten fich faſt bis zur Unerträglichkeit, als plöglich Mitte Juli jene Perjon nad) Mannheim floh, die für die Koften fdes Drudes der Näuber in Stuttgart Bürg- ichaft geleitet hatte und wegen diejer Schuld verfolgt wurde. Schillers Schreden erhöhte ſich noch, als dieje Frau hier auf Antrag des Gläubigers verhaftet wurde. Des Dichters ganze gejellichaftliche Reputation ftand auf dem Spiel. Da fand fidh eine unerwartete Hilfe für den Dichter und die arme Frau, (wie man vermuthet, eine Korporalin Fride), die ihm einft einen jo großen Dienit erwielen und die joviel deshalb hat leiden müſſen, fonnte aus der Haft entlafien werden.

Maurermeifter Hölzel war der Netter in der Noth. Bei ihm wohnten Schiller und Streicher. Seine brave rau er— wies fich als treuforgende Wirthin. Hölzel lieh dem Dichter die zur Löſung der Schuldhaft der Gefangenen nöthigen 200 fl. Sp entjtand bier auch dem Dichter aus dem Volke heraus vertrauensvolle Hilfe, für die ſich Schiller noch lange dank— bar erwies, indem er die jpäter verarmte Familie fortdauernd unterjtüßte.

Das Drängen der Gläubiger ließ erjt etwas nad), als Schiller von dem Herzog Karl Auguft von Weimar den Titel eines Herzoglichen Rathes erhielt. Auf Empfehlungen der rau Charlotte von Kalb wurde er in die Hofkreije in Darmitadt eingeführt, Er reijte Weihnachten 1784 zum Bejuch nach Darm ftabt und Fonnte dort dem Herzog von Weimar, der am Darm-

Friedrich Schiller und das deutiche Nationaltheater. 523

jtädter Hofe weilte, und dem Fürſten von Heſſen den erften Aft jeines „Don Carlos“ vorlejen. Darmjtadt wurde für den Dichter gleihjam die „goldene Brücke“ zu einer glüdlicheren Zukunft.

Diejer auswärtige Erfolg war für Schiller um jo wid)- tiger, als fih in Mannheim für ihn die Verhältniffe immer mehr verjchlimmerten. Ifflands ununterbrochenes Wirken gegen ihn grub ihm Hier nach und nad) den Boden unter den Füßen weg. Die Schaufpieler behandelten ihn bei feinen derangirten Geldverhältniffen immer geringichägiger und Katharina Bau— mann, die von Schiller angejhwärmt wurde, wollte von dem Dichter (höchſt bezeichnend) bejonders deshalb nichts willen, weil er ſich zu nachläſſig Hleidete. Sein einziger wahrer Freund unter den Schaufpielern, der Oberregiljeur Meier, war der damals. in Mannheim herrichenden Influenza, an der Taujende von Berjonen erkrankten und die auch den Dichter auf's Kranken lager warf, erlegen und im October 1783 geitorben. Iffland hatte den Zeitpunkt richtig gewählt, um den Hauptichlag gegen Schiller auszuführen. Er benugte dazu die Aufführung des Gotterihen Stüdes „Der jchwarze Mann“ und zwar am 3. Auguft 1784, aljo kurz vor Ablauf des Contractes mit Schiller als Theaterdidhter. Er gab jelbit die Wolle des Poetafters Flidwort, die er zu einer Berliflage Schillers zu— ſpitzte. Im einem Tageblatt von 1784 ift, wie Pichler mit theilt, eine Bejchreibung der Gejtalt und Kleidung der Haupt- perjon des Stückes enthalten, in welcher alles vom blauen Ueberrod mit Stahlinöpfen bis zu den ſchmutzig weißen Strümpfen und den großen Schuhjchnallen herab auf Schiller „den Feuerkopf von 25 Jahren“ paßte.

Das Publitum ließ ſich duch das raffinirt gejchicte, im eigentlichen Sinne des Wortes faliche Spiel Ifflands täufchen und ftimmte in den Hohn auf Schiller ein. Es opferte ein paar dummen Witzen und egoiftiicher Niedertracht den in jeinem Kreis edel jchaffenden Dichter. Dalberg hielt auf einen Bes riht Ifflands Hin nunmehr Schiller hier jür abgethan und erneuerte den Contract des Iheaterdichters nicht.*)

*) Auch Dalberg hatte fpäter die Untreue Ifflands zu empfinden,

524 Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater.

Ueber ein halbes Jahr rang hier Schiller noch nach dem Aufhören jeiner Stellung am Theater mit den fih immer widriger gejtaltenden Verhältniſſen, in jeiner leidenjchaftlichen Liebe zu Charlotte von Kalb „der Menge Spott“ beherzt ver- achtend und vergefjend.

Es iſt ein großer, furchtbarer Kampf, den Schiller während der Zeit diejer zweiten Verbindung mit Mannheim gekämpft hat, aber aus den aufgeregten, leidenschaftlich bewegten Stim— mungen dieſes Lebens gingen Dichtungen hervor, die heute noch alle jeine jpäteren an Jugendfriiche übertreffen.

Nah) der Aufführung des „Fiesco“ am 11. Januar 1784, deren Wirkung begreiflicher Weije Hinter der der „Räuber“ weit zurüdblieb, folgte am 15. April die Aufführung von Luiſe Millerin, oder „Kabale und Liebe“*), wie Schiller dieſes Stück nad Ifflands bedenklihem Rath umtauftee Mit dieſer Schöpfung hat Schiller der deutſchen Nation ihr großartigſtes Volksſtück gegeben, das bis zum heutigen Tage der Entwicke— lung des Realismus den Weg ebnete. Hier in Mannheim er— ſchien dieſes Werk zuerſt im Druck und in Frankfurt und Mannheim erlebte das Stück ſeine erſten Aufführungen. „Der zweite Akt ſo ſchreibt Streicher über die Mannheimer Auf— führung wurde ſehr lebhaft und vorzüglich, der Schluß desſelben mit ſo viel Feuer und ergreifender Wahrheit dar— geſtellt, daß, nachdem der Vorhang ſchon niedergelaſſen war, alle Zuſchauer auf eine damals ungewöhnliche Weiſe ſich er— hoben und in ſtürmiſches, einmüthiges Beifallrufen und Klatſchen ausbrachen. Der Dichter wurde ſo ſehr davon überraſcht, daß er aufſtand und ſich gegen das Publikum verbeugte. In ſeinen Mienen, in der edlen, ſtolzen Haltung zeigte ſich das Bewußt—⸗ ſein, ſich ſelbſt genug gethan zu haben... ..“

als dieſer 1794 ſeinen Contract brach und nad) Berlin überſiedelte. Ifflande Tod erfolgte bekanntlich am 22. September 1814.

*) Präſident: Boeck, Ferdinand: Bed, v. Halb: Rennihüb, Wurm: Iffland, Miller: Beil, feine Frau: Md. Wallenitein, Luife: Md. Bed, Sophie: Md. Nicola, Kammerdiener: Pöſchel.

Friedrih Schiller und das deutiche Nationaltheater. 525

Dodh mag man über diefe zweite Mannheimer Zeit Schillers, die ihm auch noch die Dalberg zu danfende An— regung zur Schöpfung des „Don Carlos“ brachte, denfen wie man will die erjte Verbindung Schillers mit Mannheim: die Erftaufführung der „Räuber“ wird der Stadt Mannheim und jeinem Nationaltheater zu ewigen Ruhme gereichen.

Damit allein jhon hat fi die Gründung der erjten deutichen Nationalbühne als ein großes, Die ganze deutjche Litteraturentwidelung beeinfluffendes Unternehmen erwieſen. Die Kunjtbethätigung in Mannheim erreichte damit ihren Gipfel: eine freie deutiche Kunft ging aus ihr hervor.

Das große Wort der Freiheit, das die fünftige Zeit durch— zitterte, hier erjchallte es 7 Jahre vor der franzöfiichen Staats- umwälzung auf den weltbedeutenden Brettern. In Deutjchland jpielte jich im 18. Jahrhundert die Revolution auf dem Theater ab. Schillers Räuber bildeten dieje Revolution und ihr eriter Schauplatz war das Nationaltheater zu Mannheim... .

= 7], = un Friderid Shiller an

II, Abtheilung:

Yie revolutionäre Bewegung in Mann- heim von der Ermordung Kotzebues bis zu den Jahren 1848 und 1849.

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t von Mannheim im Jahre 1669,

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Großherzog Kriedrich von Baden. ad dem Gemälde von Otto Propheter (Mannheim) in der ftädtifchen Gemälde- Sammlung zu Mannheim,

XXVII.

Karl Ludwig Sand und Auguſt von Hoßebue.

Vaterlandsliebe und Frreiheitsdrang der Jugend Starl Ludwig Sand

als Freiwilliger in den Freiheitskriegen Sein Lebendgang und jeine

ideale Gefinnung Seine Schrift zum Wartburgfeit Seine Bitte an

Goethe Augufi von Kogebue ala Feind der deutichen Burſchenſchaft

Kogebue als Luftipieldichter Als politiiher Schriftiteller Kotzebues

Leben Seine Ueberfiedelung nad) Mannheim Die Ermordung Kotze— bues durch Sand Sands Hinrichtung.

3) tertandstiebe und Freiheitsdrang waren erwacht, erfüllten das Herz des deutichen Jünglings mit Opfermuth und Thaten- luft. Körner Hatte für die Unabhängigkeit des deutſchen Baterlandes jein edles Heldenleben dahingegeben in Mann heim jollte der deutjchen Freiheit ein anderes vermeintliches Dpfer gebracht werden, hier jollte ein anderer deutjcher Jüng— ling eine That vollbringen, die Richard Wagner jpäter eine „unerhörte, ahnungsvoll merkwürdige That“ nannte.

Der Bollbringer diejer That war Karl Ludwig Sand. Er war jchon einmal nach Mannheim geeilt, um von hier aus für jein Volt und Baterland in den Kampf zu gehen. Im April 1815 war er in Mannheim in das bayrijche Jäger— bataillon, zu dem bereits jein Bruder als Offizier gehörte, als Freiwilliger eingetreten, um an dem Srieg gegen den wieder von Elba zurüdgefehrten Napoleon theilzunehmen. Und im

O efer, Geſchichte der Stabt Mannheim. 34

530 Karl Ludwig Sand und Auguit von Kotzebue.

jeiner leidenjchaftlichen Vaterland! und fFreiheitsliebe ſchwor er ih, ohne die erfämpfte Freiheit nicht mehr heimzufehren.

„Ich Halte es für die höchite Pflicht, für meines theuren Baterlandes, für aller Theuern, die mich lieben, Freiheit mit zu fümpfen und jollte die Uebermacht Vortheile über uns er— fangen, vorn an den Grenzen im Tode über einen Wütherich zu ſiegen.“ j

Das waren die edlen, hohen Gefinnungen, die Sand ber jeinem erjten Aufenthalt in Mannheim in innerjter Seele er- füllten. Er hatte jedoch feine Gelegenheit, jeinen Opfermuth zu bethätigen die Schlacht bei Waterloo machte dem Feld— zug ein rajches Ende.

Schon als Gymnaſiaſt zu Hof erfüllte ihn der Hab gegen- über Napoleon mit jolcher Leidenschaft, dab, als 1812 der franzöfiiche Kaijer dahin fam, Sand der Stadt den Rüden fehren wollte, weil fie der Fuß des Vernichters deutjcher Frei— heit betrat... .

Nach dem Feldzug jtudirte Sand zu Tübingen, Erlangen und Jena Theologie; jein jchwärmerijches Gemüth war dem Glauben an Hohes und Edles zugethan und der Opfertob Chriſti machte jein Herz in heiliger Bewunderung erſchauern. „Sch Liebe mein Volk wirklich, lautet jein Bekenntniß möge e3 ich auch zeigen wie es fomme; ich erfenne, daß etwas Gutes, und daß mehr Gutes als Böſes in der Welt jei, auch in jochen Stürmen; und ich glaube an den endlichen Sieg des Guten, wenn ich auch im reinjten Bejtreben vor meinen beiten Freunden mit Nadeln zu Tode gemartet wiirde deshalb jtehe mir bei, o Gott, auch in dieſem und allem zufünftigen Kampf, und helfe mir gnädiglih nicht zum Siege aber dazu, dat ic) diejen Glauben umerjchütterlich wie unjer Heiland vor allen Feinden bewahre!“

Unter den Dichtern war Schiller das Ideal Sands und jeines jugendlichen Kreiſes, der deutichen Burjchenjchaft. Für fie verfaßte Sand eine begeijterte Schrift, die auf dem Wart- burgfeft am 18. October 1817 an die Burjchen vertheilt wurde

Karl Ludwig Sand und Auguit von Sogebue, 531

und die viel zu der Weiterbildung der deutichen Burſchenſchaft beitrug.

Dieje Schrift Hatte Sand in jeiner Vaterſtadt Wunſiedel im Fichtelgebirge, gejchrieben, wo jeine Eltern lebten, und wo er am 5. October 1795 das Licht der Welt erblidt hatte. Er war vorübergehend von Erlangen dahin zurüdgefehrt, um ſich bald nad) Jena zu wenden,

In Jena wollte Sand ein älteres, größeres Gebäude, das leer jtand, der Burjchenichaft für ihre Turn- und Fechtübungen gewinnen. Da fam er echt jugendlich auf den Gedanken, nie- mand geringeren als Goethe, den er als Dichter des „Götz“ und „Egmont“ der deutſchen Burichenichaft geneigt hielt, für die Sache zu interejliren und jich deshalb, als der Dichter im November 1817 in Jena weilte, perjünlich an ihn zu wenden.

„Dann ſprach ich jchreibt Sand hierüber bei Goethe zwar weibiſch aber doch ehrlich und jo, daß er ganz herzlid) darauf zu achten jchien, über den Erfauf des alten Turnhaufes und da es einmal von Herzen war, wurde ich fröhlich, und ich wiederholte zu Hauje den 13. Pſalm danfend und fröhlich. Ich hatte bei Goethe gejprochen ungefähr wie beiliegt: Alter Vater, laßt euch etwas ehrlich jagen von mir und hört mich geneigt an. Schaut, hier außen it das alte Ballhaus. Solcher gibts’3 jest in Deutjchland mur noch drei. In dem Haufe haben unjere alten Väter, grade die waderjten geturnt, und es ift ein gar jchönes Gebäude. Nun ijt dies edle Haus in die Hände eines alten, verrüdten Philiſters gekommen, und der will gerade jetzt, wo e3 das Volf wieder gebrauchen gelernt hat, zerjtören, will es einiger Thaler wegen umjchaffen nad) jeinem niedrigen, gemeinen, dummen Sinn und es uns jo rauben. Da wir im lieben Vaterlande jo wenig öffentliche Gebäude haben, joll dies aud) gar untergehen? Nun dachte ich, ihr Fünntet vielleicht joviel Gelder aufbringen, und würdet ed anfaufen, daß wir es fünnten zur Miethe befommen. .. . Als die Sache ſchon ganz aufgegeben war, fam mir doch der Gedanke, euch darum zu bitten; ihr mühtet doch auf alle Fälle wenigjtens Liebe für dieje vaterländiiche Sache haben,

34*

532 Karl Ludwig Sand und Auguft von Kotzebue.

und jo weiß denn niemand darum, daß ich jebt bei euch bin.“

Hier zeigt fich jo recht das naive Denken und Handeln Sande.

Aber mit diefer Naivität war glühende Leidenjchaft ver- bunden, die fanatijch ein Ziel verfolgte, um es um jeden Preis zu erreichen.

Mit jeinen Tagebühern und Briefen ftachelte er fich immer mehr zu Thaten an, nährte er immer mehr jeinen leiden- ichaftlihen Haß gegenüber alles „Knechtiſchen.“

Da trat der deutichen Burjchenichaft ein Dann gegenüber, der als ein vielgereifter Weltmann nicht das Entferntejte von den aus edler Heimathsliebe hervorgegangenen idealen Bielen der Ddeutjchen Nugend zu begreifen vermochte. Er hatte fich zum Landesangehörigen Rußlands gemacht, des Reiches, das damals als der Inbegriff aller Knechtſchaft galt.

Der ruffiiche Staatsrath Auguft von Kogebue wollte die Ideale der deutjchen Jugend verhöhnen, wollte deutjche Jüng— linge denunciren und deutſche Freiheit durch die Knute des Despotismus vernichten! Das war damals die bejtimmte Mei: nung deuticher Burjchen. Glühende Nachegefühle entjtanden in dem Herzen Sands. Hier der Räder und Befreier zu werden, dieje Idee trat ihm immer näher und faßte ihn in unentrinn= barer Weije. Wie ein Hypnotifirter lebte Sand diejer bee, grub er fich in dieje hinein und wie ein Nachtwandler bereitete er traumvoll die blutige That vor. „Spufmeier” nannten ihn feine Freunde, die merkwürdig berührt wurden, wenn fie in das fchwärmeriiche, unheimlich leuchtende Auge Sands fchauten und jein jeltiames Gebaren beobachteten.

Das Object, dem die Rache der deutichen Jugend gelten jollte, war aber ganz anderer Art, als es fich die tiefgefränften Sünglinge dachten.

Sie beadjteten es nicht, daß Auguft von Kotzebne ein deuticher Dichter war, dem die deutſche Nation Fröhlichite Stunden verdankte, Kotzebue iſt bis zum heutigen Tage der beite deutiche Quftipieldichter geblieben. Nicht jeine jentimen- talen Schaufpiele umd Rührſtücke, jondern jeine unvergleich-

Karl Ludwig Sand und Auguft von Stogebue. 533

lichen Luſtſpiele geben Kotzebue eine hervorragende Stellung unter den deutſchen Dichtern. Sein föftliher Wis, jeine jcharfen Characterzeichnungen und jeine oft rückſichtslos freie Sprache haben die jpaßhaftejten Situationen und Gejtalten zu über- wältigend komiſchem Ausdruck gebradht. Die Luftjpiele und Poſſen „der Wirrwarr“, „die Zerjtreuten“, „Schneider Fips“, „Die deutichen SKleinjtädter“, „die beiden Klingsberg“ u. j. w. u. ſ. w. find in ihrer Art heute noch nicht übertroffen. Sein Sinn richtet ſich Hier ganz auf die Schilderung des wirf- lichen Lebens er geht nicht über die gewöhnliche Lebens— iphäre hinaus, aber wie viel Komik weiß er ihr abzugeminnen, und zum Beijpiel in dem fleinen Stüd „der gerade Weg der Beſte“ wird er zum jcharfen Geißler der Heuchelei. Seine derb fräftige Sprache nimmt hier fein Blatt vor den Mund.

Kotzebue arbeitete zulegt an einem Trauerſpiel aus ber pfälzishen Geſchichte „Pfalzgraf Heinrich“, von dem ber erfte Akt vollendet und der ganze Plan entworfen war, als der Dichter den Dolchſtichen Sands erlag.

Auguſt von Kotebue.

Nichts ift für einen Schriftiteller gefährlicher ala die Gabe des Witzes ohne die Erziehung zu einem feiten Character.

534 Karl Ludwig Sand und Auguft von Stoßebue.

Selbſt der große Voltaire konnte feinen Witz nicht immer zügeln, nicht immer auf das richtige lenken und befledte fich für alle Zeiten durch jeine Ichmachvolle Behandlung der „Jung— frau von Orleans“. Erjt ein beutjcher Dichter mußte der franzöfiichen Nation zu Gemüthe führen, was Frankreich an diefer erhabenen Frauengeſtalt beſaß. Der Witz kann leicht über große, pofitive Werthe Hinmwegtäujchen.

ALS politiicher Schriftiteller und Kritifer benugte Kotzebue jeine wunderbare Begabung zu jolchen Täuſchungen. Seine Thätigkeit auf politiihem Gebiete trug das Brandmal völliger Charakterloſigkeit. Er meinte hier ungejtraft jeinen Ddreiften Wit ipielen lafjen zu fünnen und er ahnte die Gefahr nicht, wenn bier Leichtfinn und Characterlofigfeit auf Ernft und Cha— racter jtößt. Er unterichäßte die deutſche Jugend, ‘die für das Baterland in den Freiheitskriegen ihr Leben eingejest hatte.

Der rujfiihe Staatsrath Auguſt von Kotzebue ijt ein Sohn der Stadt Weimar. Er wurde dajelbjt am 3. Mai 1761 geboren und hatte das Glüd, jeine Jugend in der Hajfiichen Dichterzeit diefer Stadt zu erleben und ſchon als Knabe Goethe fennen zu lernen.

Zwei Jahre nach Beendigung jeines Rechtsſtudiums in Jena und Duisburg wandte er fi) 1784 nad) Rußland, ein Land, das das unzweifelhafte Verdienſt hat, gar manden deutjchen Schriftjteller und Gelehrten (man denke z. B. an Marimilian Slinger) aufgenommen und zu Anjehen gebracht zu haben.

In Petersburg ftand der Jüngling unter der Obhut eines Freundes der Familie, des damals als preußiicher Gejandter in Petersburg weilenden Grafen von Schliß, genannt von Görtz, der in Weimar als Erzieher des Erbprinzen gewirkt Hatte. Auf Empfehlung jeines Gönners hin wurde der junge Kotebue Privatjecretär des faijerlichen General-Ingenieurs3 von Bawr. Dieje Stelle hatte vorher der heute wieder vielgejchäßte deutjche Dichter Johann Michael Reinhold Lenz beffeidet.

General von Bawr wurde durch einen Band von Er: zählungen Kotzebues, den er auf einer Reiſe in einer Buch—

Karl Ludwig Sand und Anguſt von Koßebue. 535

handlung zu Riga ausliegen jah und faufte, auf die dichterifche Begabung ſeines Secretärd aufmerfiam, und er übertrug ihm einen Theil der Geſchäfte, als er die Direction des neuen faiferlihen deutjchen Theater übernahm.

Kokebue fühlte fih da ganz in jeinem Element. Er jchrieb ein Trauerjpiel „Demetrius*, das dort nach größeren Schwierig- feiten und erjt nach Aufhebung eines polizeilichen Verbotes zur Aufführung gelangte.

Kotzebue war Lehrer der Tochter eines reichen, einfluß- reihen Mannes. Dieje Schülerin, Friederife von Effen, wurde 1784 feine Gattin, und die Kaijerin Katharina II. ernannte ihn 1785 zum Bräfidenten des Gouvernementsmagiftrats der Pro- vinz Eſthland, womit die Erhebung in des Abelsjtand verbuns den war.

An Reval erkrankt und von der Kaiſerin Katharina be— urlaubt, kehrte Kogebue nad Weimar zurüd, wo ihm jeine Gattin bei der Geburt einer Tochter durch den Tod entrifjen wurde.

Mit dem berüchtigten Basquill „Dr. Bahrdt mit der eiſernen Stimm oder die beutiche Union gegen Zimmermann“ trieb er unter dem Mißbrauch des Namens des Freiherrn von Knigge und unter der Maske, feinen Freund, den Hofrath Johann Georg von Zimmermann in Hannover gegen defjen politijche Gegner vertheidigen zu wollen, ein unerhört dreiſtes Pojjen- und Berjtedipiel. Nein litterariich betrachtet ijt dieſe Satyre mit einem jo vermwegenen, tollen und cynilchen Wit verfaßt, „daß man wie jelbit ein heftiger Gegner Kotzebues zu— gibt wider Willen oft an Wriftophanes kecke Manieren er- innert wird“.

Nach feiner mit dreijter Offenheit gejchilderten jogenannten „Flucht nah Paris“ und nah einem Aufenthalt in Mainz übernahm er wieder jeine Präfidentenjtelle zu Reval in Ruß— land, nachdem bie Kaiſerin von Rußland jeine Verfolgung wegen jenes PBasquills aufgehoben hatte. Hier verheirathete er fig; wieder und zwar mit Chriftine von Krujenjtern, einer Verwandten des „Weltumſeglers“ Kruſenſtern. 1795 legte er

536 Karl Ludwig Sand und Auguit von Kogebue.

jeine Präfidentenftelle nieder, um reich begütert in Deutichland der Schriftitellerei leben zu wollen.

1798 kam Kotzebue an Stelle Ulringers als Theaterdichter nad) Wien, doch verließ er diefe Stelle jchon vor Ablauf des Jahres. Auch in Weimar, das er von Neuem aufjuchte, konnte er weder jegt noch jpäter wieder Fuh fallen Im Jahre 1800 fam er nad Rußland zurüd, wurde aber dortjelbjt verhaftet und auf Befehl des Kaijers Paul I. nah Sibirien verbannt, wo er das von ihm bejichriebene „merfwürdigite Jahr feines Lebens“ verbradte. Seine Begnadigung erfolgte, als dem Czaren das Kotzebue'ſche Stück „Der Leibfuticher Peters III”, von Krasnopulski ins Ruſſiſche überjegt, zu Geficht fam, das in indirefter Weife auch Paul den Erjten feierte. Nach flüchtigen Verfuchen, nochmals in Weimar und dann in Jena fic niederzu- faffen, fiedelte er nach Berlin über, von dort aus in jeiner neuen Zeitung „Der Freimüthige“ gegen Goethe, der ihn von fich) abhielt und gegen die Romontifer, die er mit jeiner Poſſe „Der huperborätiche Ejel* (1790) verhöhnt hatte, in wißreicher, doch nichtiger Weile zu Felde zu ziehen.

Nach dem 1803 eingetretenen Tode jeiner Gattin reijte er wieder nad) PBaris*) und dann nach Rußland, dort mit einer Verwandten jeiner verjtorbenen zweiten Frau gleichen Namens ſich verehelidyend.

Die Zeitichriften „Die Biene“ und „Die Grille“ (1808 big 1812), die vielfach) confiscirt wurden, richtete er gegen Napoleon in beharrlicher und ſtark wirfender Art.

Kurz jei noch jein Aufenthalt in Königsberg als ruſſiſcher Gejandter, feine Ernennung zum rujfiihen Staatsrath dur)

*), Sein Begleiter war der Berliner Kapellmeister Bernhard Anjelm Meber (geb. in Mannheim 1766, geit. zu Berlin 1821), ein Schüler Voglers und begeifterter Anhänger Glucks. Mehr wie die Opern „Deoba* und „Hermann und Thusnelda“ hatten Webers Mufikjtücte zu Goethes „Epime⸗ nides”, zu Schillers „Tell“, „Braut von Meffina”, „Jungfrau von Or: leans“, zu Kotzebues „Huffiten” u. a. m., fowie feine melodramatiichen Sompofitionen zu Gedichten (3. B. zu Schiller „Gang nad dem Eifens hammer“) Erfolg. Webers Mufif zum „Tel“ wird noch heute gefpielt.

Karl Ludwig Sand und Auguft von Kotzebue. 537

den Kaijer Alerander und fein nmochmaliger Aufenthalt in Weimar erwähnt, wo er als Berfajler an die rufliiche Re— gierung gerichteter Bulletins über deutjche VBerhältniffe entlarvt wurde.

Man betrachtete ihn als fremden Spion, und als er ſich an der Burjchenichaft, die bei dem Wartburgfejt einige jeiner Schriften verbrannt Hatte, durch Berjpottung ihrer freiheitlichen und vaterländiichen Bejtrebungen zu rächen fuchte, da reifte in Sand der Plan, den „Feind deuticher Freiheit” zu vernichten.

„Bor dem Jahresichluffe 1818 fo Heißt es in einer Schilderung der weiteren Vorgänge vom Jahre 1820 ging Kopebue über Frankfurt nah Mannheim, wo er an der Seite jeiner Gattin, umgeben von jeinen Kindern (mit Ausjchluß der erwachjenen Söhne; dreizehn Kinder überlebten ihn), fich häus— lich niederließ; in gewohnter Gejchäftigfeit jchien er jeine Tage heiter und zufrieden zu verleben, wie Diejes immer dann der Fall war, wenn er einen neuen Wohnort ſich gewählt und in jeinen Umgebungen nocd feine unangenehmen Berührungen auf fich gezogen Hatte. Bon bier aus leitete er fortwährend jein litterarifches Wochenblatt, in weldem er jchon mit dem Be— ginn des zweiten Bandes nicht mehr allein die Stimme führte, gern einlenfenden und vermittelnden Aufjägen eine Stelle gab, und fich jelbft mehr mit den Erjcheinungen der Litteratur, als mit politischen Gegenftänden bejchäftigte.e In der genauen Beobachtung der auf jorgfältigen Haushalt mit der Zeit be- rechneten Lebensweiſe, in feiner ununterbrochenen Thätigfeit am Screibtiiche, von früh morgens bis zu den Mittagsjtunden, in der ungeihwächten Kraft jeines Gedächtniſſes und Witzes, in der regen Empfänglichfeit für alle Freuden des gejelligen Lebens zeigten ſich bei ihm eine treffliche körperliche Organiiation, die ohne— geachtet vorübergehender Unpäßlichfeiten, noch feine bleibenden Hinweijungen auf das nahe Öretjenalter dem rüjtigen Manne vor die Augen jtellten. Nähere Beobachter wollen an ihm gegen das Ende des Mürzes hin zumeilen eine wehmiüthige Stimmung bemerft haben, wie man auch erzählt, daß er um dieje Zeit bei Erblidung jeines jüngjten, faum die erjten Raute

538 Karl Ludwig Sand und Auguft von Koßebue.

lallenden Sohnes fich joll erinnert haben, wie er ſelbſt nicht älter war, als ihm der Tod jeinen Vater wegnahm. So erichien der verhängnißvolle Tag, der 23. März des Jahres 1819, wo eine wunderbare Geſtalt im gegenübertrat.

Sand verläßt am 9. März ganz im Stillen jeinen akademischen Wohnort (Jena). Er wandert über Würzburg nah Mannheim. Hier tritt er frohes Anjehns in einem Gafthofe („Zum Weinberg“) ab, wo er fih nah Kotzebues Wohnung (Straße A 2, 5) und nad) der eines ihm von Erlangen aus befannten Predigers erkundigt. Zweimal meldet er ſich in eriterer den 23. Vormittags; er wurde beide Male abgewiejen, weil von Kotzebue des Morgens fih in feinen Arbeiten nicht unterbrechen ließ, und gegen 12 Uhr Mittags ausgegangen war. Der junge Mann fehrt zur Wirthstafel zurüd, wo er unbefangen und lebendig an der Unterhaltung der Tijchgejell- ihaft Theil nimmt; auc von Kobebue wird geredet, manches Nachtheilige über ihn gejagt, hierzu jchweigt er; von einem ihm nach der Zandesfitte Hingeftellten Schoppen Wein genießt er nur wenig; doch den Genuß der Speife verjchmäht er nicht; mit einem dort getroffenen Zandgeiftlichen jpricht er vieles, big die Zeit heranrücdt, auf welche er von dem Bedienten, um Kotebue zu fprechen, bejchieden ijt.

Kopebue hatte den Tag auf gewöhnliche Weile verlebt. Nachmittags um 5 Uhr, als feine Familie joeben Bejuch von einer Dame erhielt, ward er abgerufen; ein junger Fremdling wünſchte ihn zu ſprechen. Er geht in das Zimmer, wo ihn diefer erwartet. Nach wenigen Augenbliden durchdringt ein Gejchrei das Haus, man jtürzt herbei, die Bebienten finden ihren Herren auf dem Boden im Blute liegend. Noch ringt er mit dem Fremdlinge, welcher mit dem in fejter Hand ge- baltenen blutigen Dolche ihm Herz und Lunge durchbohrt hat. Umgeben von feiner jammernden Familie ſchließt von Kotzebue nad wenigen Minuten für immer die Augen. Indeß der Auf nah einem Wundarzt fchon den WBorübergehenden von der ichredlichen That Kunde giebt, vafft fich der Jüngling, der fie vollführte, auf, die Treppe hinab, erreicht die Straße, finft

Karl Ludwig Sand und Auguſt von Kotzebue. 539

auf jeine Knie, ruft mit lauter volltönender Stimme: Der Berräther iſt gefallen, das Vaterland gerettet! Ich bin der Mörder; aber jo müſſen alle Berräther fterben. Dir, himm— fischer Bater danke ich, daß du mir die That haft vollbringen lafjen!

Dann reißt er die Kleider auf, wendet den Dolch gegen die eigene Bruſt und verwundet fich tief. Bon der herbei- jtrömenden Menge wird er halb entjeelt in das Bürgerhojpital gebracht, wo er unter ärztlicher Pflege und gerichtlicher Unter- juhung den Ausſpruch feiner irdiſchen Richter erivartet, mit jeinem Leben für ich im Reinen ohne alle Reue der That. Sand iſt diefer Jüngling, der die jchredlihe Schuld des Meuchelmordes auf fich lud und auf das geliebte Vaterland. Welch eine unergründliche Verkettung des Menfchen und der That! Welch ein ſchwerer Beruf, hier richten zu müflen als berufene Richter! Aber die Unberufenen mögen jchweigen ; jchweigen auch die unberufenen Bertheidiger. Es ijt gleich verbrederiih, Sand anzuflagen, ihn entichuldigen zu wollen; jenes thut die begangene That hart genug; dieſes am lauterften jein reines Leben.“

14 Monate lag Sand jchwer krank, aber feine längere Schonung jollte dem Schwerfranfen von Seiten de3 Gerichts zu theil werden.

Am 17. Mat wurde Sand das Todesurtheil verfündet.

Die lebten Lebenstage Sands jchildert ein von Freunden desjelben gejchriebener Bericht aus dem Jahre 1820 in folgen- der Weije:

„An demjelben Tage, den 17. Mai, ward auch das Urtheil öffentlich befannt gemacht, und es hieß, die Zeit der Hinrichtung jei auf den 20. Vormittags zwijchen 11 und 12 Uhr fejtgejeßt.

Zum Rihtplage ward eine Wieje vor dem Heidelberger Thore erwählt, links von der Heerjtraße nad Heidelberg. Man begann alsbald ein Schaffot zu errichten, 5 bis 6 Fuß hoch. Die Gefängnigwache ward dreifach verjtärkt, und zur militärijchen Anordnung der Hinrichtung fam der General von Neuenjtein aus Carlsruhe in Mannheim an. Das Militär bejtand aus

>40 Karl Ludwig Sand und Auguft von Kogebne.

1200 Mann Infanterie, 350 Mann Eavallerie und ein Deta- ichement Artillerie. Allee war unter Waffen.

Sands lebte Tage vergingen ihm janft und friedlich).

Leute, welche ihn zu jehen und zu jprechen wünjchten, wurden jest mit Auswahl gemeldet und größtentheils zuge- lajfen. Mit manchen von ihnen unterhielt er fich gern und ſprach auf das Unbefangenite über viele jeiner Lage ganz fremde Gegenstände, nicht ſelten pbilojophiichen und politiichen Inhalte.

Unter andern verlangte ein Handwerker zu Sand gelafjen zu werden, weil er mit ihm zu Wunfiedel in die Schule ge- gangen und ihm wohl befannt je. Sand fonnte fich feiner nicht jogleich erinnern, wünjchte ihn aber doch zu fprechen, Er verficherte, daß es ihm jehr wohl gehe, gedachte mit bejonderer Liebe jeiner Verwandten im ‘Fichtelgebirge, bat ihn beim Ab— ichiede, Diejelben zu grüßen und zu bitten, fie möchten um jeinetwillen feine Betrübniß haben, indem er, mit Gott völlig einig, den Tod in freudiger Stimmung erwarte.

Ein andrer Mann, (den Sand bald nad) der That ge- jehen und jet gleich wieder erkannte), fragte ihn: „ob er jebt das begangene Unrecht einjehe, und Reue empfinde?“ Sand erwiederte: „Ich habe ein Jahr vorher darüber nachgedacht, und jeitdem wieder 14 Monate, und meine Anficht hat ſich um Nichts geändert.“

Sand hatte den Wunſch geäußert, den Scharfricdhter, (Wid- mann ans Heidelberg), zu Sprechen. Diejer fam am 19. m Mannheim an, als er in's Zimmer trat und grüßte, lag Sand im Bette, und der neben ihm figende Zuchthausverwalter ©. jagte: „der grüßende ift Hr. W., den fie zu fprechen wünjchten.“ Da erheiterte fich plößlich ſein Geficht, er richtete fich auf, faßte W. bei der Hand, ließ ihn meben fich ſetzen, und hielt während der ganzen Unterredung die Hand feit, wo er oft Beranlaffung fand, jie recht herzlich zu drüden W., ganz niedergeichlagen und tiefbewegt, ward durch Sand und jeine Stärfe allmählig ermuthigt. Sein Gefühl Hatte ihn aber jo überwältigt, daß er nachher wenig von der ganzen Unter-

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haltung zu jagen wußte. Er erzählte nur, Eand habe viel geiprochen und unter andern gejagt: „Bleiben fie nur ftand- haft, an mir joll es nicht fehlen, ich werde nicht zuden; und wenn auch zwei oder drei Diebe erforderlich find, meinen Kopf vom Rumpfe zu trennen, jo jollen fie darum die Faſſung nicht verlieren.“ Auch bat er ihn nicht zu jchnell zu verfahren, jondern fich Zeit zu nehmen, fragte, wie er ſich verhalten jolle, und dankte im Voraus für jeine Mühe: „denn nachher“ joll er hinzugejegt haben „werde ich ihnen nicht mehr danfen können.“

Abends waren drei Geiſtliche bei ihm, mit denen er ſich über Religionsgegenſtände unterhielt. Der eine blieb mehrere Stunden und erklärte unter Andern: er habe den Auftrag, ihm das Verſprechen abzufordern, auf dem Richtplatze nicht zum Bolfe zu reden. Sand verſprach es und jebte Hinzu: „wenn ih auch wollte, jo ift doch meine Stimme zu ſchwach; das Volk würde fie nicht vernehmen.“ Immer blieb er ruhig und janft, freundlich und ermuthigend gegen jedermann. Er Ihien in den drei lebten Tagen nicht der Troftbebürftige, jondern der Trojtgebende für alle, die ihn umgaben, mit Weinen und Schluchzen in jeine Nähe kamen, oder von ihm jchieden. Abends jpät joll er noch zum Abjchiede aus diejer Welt ein Gedicht niedergejchrieben haben*), und erjt nach 11 Uhr legte er ſich zur Ruhe und jchlief.

Da fih die Nachricht von der am Samjtag vor dem Pfingſtfeſt angelegten Hinrichtung Sands jchnell überall hin verbreitet hatte, jo jtrömten viele Menjchen von allen Seiten, auch viele Studenten aus Heidelberg**) nah Mannheim, um derjelben beizumohnen. Sie blieben aber in den nahegelegenen Dörfern. Um jeder unruhigen Bewegung zuvorzufommen, bes ihloß man am 19. die Erecution, welche, wie oben bemerkt

*) Das jedod) nicht bekannt geworden tft.

**) Die Heidelberger Burichen handelten jedoch zufällig in Ueberein— ftimmung mit den Mannheimer Bürgern, indem die beffern unter denfelben in einem Umlauf ihre Freunde aufforderten, nicht periönlid der Erecution beizumohnen, fondern in jtilfer Trauer daheim in Heidelberg zu bleiben,

542 Karl Ludwig Sand und Auguit von Kogebue.

um 11 Uhr Mittags anberaumt war, jchon früh um 5 Uhr vor ſich gehen zu lajfen. Die meiften Studenten kamen da- her erjt nad) beendigter Vollziehung des Urtheil® auf dem Richtplatze an.

Die gebildeten Bewohner Mannheims hatten jchon lange ein lebhaftes Interejje für das Schidjal des unglüdlichen Zünglings an den Tag gelegt. Als jeine Todesjtunde heran- nahte, hatten viele die Stadt verlaſſen, andre jchloffen fich in ihren Häujern ein. Am 20, früh ward noch eine ganze Stunde an dem Schaffot gearbeitet. Die Straßen wimmelten von Menjchen, doc ging Alles ruhig zu. Alles Militär war unter Waffen; von bedeutenden Patrouillen zu Pierde und zu Fuß wurden alle Straßen der Stadt und alle Ab» und Zugänge des Richtplates bejtändig durchfreuzt. Als das Schaffot fertig war erjchien der Scharfrichter mit jeinen Helfern. Alle waren ſchwarz gekleidet, erjterer trug über dem jchwarzen Rode einen Schanzläufer von Biber, und unter demſelben das Schwert. Die Henfersfnechte aber nahmen auf dem Blutgerüfte ihr Früh— ſtück ein und rauchten dann zum Zeitvertreib ihre Pfeifen.

Sand jchlief an diejem Morgen in jeiner Kammer des Zuchthauſes jo gut, dat er gewedt werden mußte. Das geichah vor 4 Uhr. Damı fie er fich ankleiden im jchwarzem deutſchem Rock und weißen leinenen Beinkleidern, nachdem er zuvor die langen dunfelbraunen Daare hatte ordnen und den ganzen Körper wajchen lafjen, wobei er bemerkte, „Daß es die Völker des Alterthums auch jo gemacht hätten, ehe ſie ins Treffen gingen.“ Das Verbinden der Wunde jchmerzte ihn jehr, doch blieb er friich, und frühjtücdte, wie gewöhnlich; mit fichtlicher Eßluſt. Um 4 Uhr kamen die Geiftlihen zu ihm und man eröffnete dem Verurtheilten, daß die Zeit der Hinrichtung jtatt um 11 um 5 Uhr angejeßt jei, daß dieſe aljo in einer Stunde ihon vor fich gehen werde, fall3 er dazu bereit jet, „Das bin ich in diejem Augenblide” erwiderte Sand. Schon früher äußerte er: daß er dieſen Morgen noch einmal recht bewußt (eben wollte, und im diefem Sinne unterhielt er fi wirklid) mit den Geistlichen. Endlich wünjchte er, daß fie leiſe mit ihm

Karl Ludwig Sand und Auguft von Kotzebue. 543

beten möchten. Die gejchah. Als er geendigt hatte, jagte er Körners Worte: „Alles Ird'ſche ift vollendet, und das Himm- liſche geht auf.“

Wie er jchon früher von den Merzten, welche ihn behan- belt hatten, danfbar Abjchied nahm, jo geihah dieß jetzt mit den Geijtlichen. Er jagte ihnen: „Meine Rührung ift nicht die der Weichlichfeit, jondern die der Dankbarkeit.“ Doch wünjchte er nicht, daß ſie ihn auf den Richtplag begleiteten, weil er völlig vorbereitet, mit Gott und jeinem Gewiffen im Reinen jei, und jelber dem geijllichen Stande angehöre. Auf die Frage: ob er ohne Groll jcheide? antwortete er: „den habe id) ja nie gehabt.“

Test vernahm er den wachjenden Lärm auf der Straße, und wiederholte nochmals, man fünne über ihn verfügen, in- dem er bereit je. Man führte ihn darauf aus dem Zimmer in den Hof zu einer Kalejche, die man zu dieſem Ende hatte faufen müjjen, indem die Mannheiner ihre Wagen darzuleihen jih weigerten. Als er das Zimmer verließ, wandte er ich um und wünjchte den Bleibenden nochmals ein Zebewohl! Im Hofe grüßte Sand ringsumherjchauend und ftillichweigend die Züdtlinge, die in ihren Fenftern lagen und meinten. (Schon während der Unterjuchung hoben dieſe, wenn ſie an jeinem Bimmer vorbeigeführt wurden, ihre Ketten in die Höhe, um ihn nicht zu beunruhigen.) Sand jagte auch den Uebrigen jein Lebewohl! und ward in die Kaleiche gehoben. Langjam fuhr dieje vorwärts. Zu den Seiten gingen zwei Zuchtmeifter mit Trauerflören. Ein zweiter Wagen mit Stadtbeamten folgte, Unten ging das Hofthor auf. Draußen harrte jeiner die ver- jammelte Menge jchweigend. Bei feinem Anblik aber brad) jie in lautes Schluchzen aus. „Gott ftärfe mich!" ſprach er, als er die Menjchen alle jo weinen ſah. Dann bat er den Dberzuchtmeijter, welcher neben ihm jaß, er möchte, wenn er etwas Schwädjliches an ihm bemerkte, jeinen Namen ihm zu: rufen. Der Zug ging langjam weiter zu dem faum 800 Schritte entlegenen Richtplate, begleitet und eingejchloffen von einer jtarfen militärischen Bededung zu Pferde. Seine Glocken wur:

544 Karl Ludwig Sand und Auguſt von Stoßebue.

den geläutet. Nur einzelne Stimmen: „Sand! lebe wohl!“ unterbrachen die allgemeine Stille. Die Luft war jehr kalt, es hatte geregnet. Sand war zu ſchwach, um fich in aufredht- jigender Stellung zu erhalten; er ſaß halb zurüdgelehnt in dem Arm jeines Begleiter. Sein Geſicht war leidend mit Sanftmuth, die jedoch nicht vorherrichend war; die Stirn offen und frei, die Züge interefjant ohne jchön zu fein; aber die Leiden hatten das Jugendliche aus denjelben verwilcht. Sein Kopf war unbededt und das lange Haar hing über die Schul- tern herab. „So werde ich ihn ewig jehen,“ erzählte ein Be- wohner Mannheims, „wie er den Hügel hinabfuhr und das Auge wie verflärt gen Himmel richtete.“ Der Zug fam vor der Richtitätte an, die von einem Bataillon Infanterie ums ihloffen war. Als Sand das Blutgerüft erblidte lächelte er ſanft. Beim Ausfteigen aus der Kaleſche jagte er: „Bis hier- ber hat mich Gott gejtärft.“

Der Oberzuchtmeifter und die Zuchtmeifter hoben ihn die Stufen des Schaffots hinan. Obſchon geführt und unterjtüßt, hielt er fich aufrecht und fagte: „Die iſt alſo der Ort, wo ich jterben werde.“ Noch ehe er zum Richtituhl gelangte, blidte er nach Mannheim und auf das verfammelte Volk zurüd, das ih längit dem Wege hingeftellt hatte; dann in Die von der Natur neugeichaffene Umgegend; es jchien, als wollte er jagen: mir waren 14 lange, peinliche Monate diefer Zauber und dieje Schöpfung verihlojfen. Darauf ward ihm, dem Herkommen gemäß, das Urtheil nochmals verleien. Auf die Frage ob er daijelbe jtehend vernehmen könne, bejahte er dieß und meinte, die moralische Kraft, die er in ſich fühle, werde jeine phyftiche überwinden. Er richtete fi vom Stuhle wieder auf, indem er beide Begleiter bat, nicht fern von ihm auf die Seite zu treten, um ihn zu unterjtügen, im Fall er wanfen jollte.

Er wankte nicht. Nach geendigter richterlicher Verhand— (ung ließ er fich wieder nieder und ſprach mit lauter Stimme: „Ich fterbe im Vertrauen auf Gott! „Sand, was haben fie veriprochen ?* unterbrady man ihn, (nämlich nicht zu reden.) Er jchwieg, hob damı die Nechte feierlich wie zum

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Karl Ludwig Saudb und Auguſt von Kotzebue. 545

Schwur in die Höhe und fuhr leije fort: „Ich nehme Gott zum Beugen, daß ich für Deutjchlands Freiheit fterbe.“ Bei biejen Worten warf er mit berjelben Hand (die linke war ge- lähmt) das fejtgeballte Tajchentuch*) mit einiger Heftigfeit auf die Erde. Was er nun noch jprach, bezog ſich auf die nächſten Augenblide; jo wünjchte er nicht zu fejt gebunden zu werden, weil ihm die Wunde jchmerzte und die Binde vor den Augen jo zu jchieben, daß ihm das Licht nicht ganz entzogen werbe. Er jagte dieß zum Scharfrichter und reichte ihm freundlich Die Hand. Die Hände band man ihm auf den Schvoß, weil fie ihm auf der Bruft, wohin fie anfangs gebunden waren, das Athmen erjchwerten. Auch wünſchte er, jein Haar nicht zu verlieren, worauf der Nachrichter herbeitrat und ihm ſagte, es jei fir jene Mutter beitimmt. Sand nidte Beifall. Man ihnitt ihm demnach nur wenige Haare ab, und band die übrigen in die Höhe. Feierlicher Ernft und tiefes Schweigen umgaben das Gerüjt, und wo die Stille der verjammelten Menge unter: brochen wurde, da war es, bei Volk und Soldaten, ein Aus: bruch lauten Weinens und Schluchzens.

Das Haupt fiel aber erjt bei dem zweiten Streicdhe**).

Nun drängten fich die Umftehenden an das Schaffot, das Blut ward mit Tüchern aufgewiicht, der Richtjtuhl durch einen Knaben vom Scaffot geworfen zerichlagen und in fleinern Stüden vertheilt, und wer davon nichts habhaft wer- den konnte, jchnitt wenigitens von den Pfoten des Blutgerüftes bfutige Splitter ab,

Kopf und Körper wurden in einem, mit jchwarzem Tuch behangenen Sarge unter militäriſcher Bedeckung nad dem vorigen Orte zurüd und von dort Nachts um 11 Uhr, ohne vorher jecirt zu jein, auf den benachbarten Kirchhof gebradit. Auf diejem lutherischen Gottesader,***) wo auch der Gegenitand

*) Nach einem anderen Bericht riß er fich den Verband ab. **) Beim eriten blieb e3 an einigen Fleifchtheilen des Vorderhalſes haften; fein Zweifel alfo, daß der erſte Schlag ſchon tödtlich war. ***) Jetzt befinden fich die Gräber Sands und Sogebues auf dem Friedhof „Über dem Nedar“.

Dejer, Geſchichte der Stadt Mannheim. 85

>46 Karl Ludwig Sand und Auguft von Koßebue.

jeiner blutigen That modert, warb ber Gerichtete in denſelben Kleidern, unter Begleitung mehrerer Perjonen, nad) den ge= wöhnlichen Gebeten eingejenft.e Das Grab aber warb fofort mit ben ausgehobenen Rajen wieder überdedt und eben ge» macht; und bis zur völligen Verweſung des Leichnams joll eine Wade in der Nähe jtehen.

In der Naht vom 23. auf den 24. Mai will man bei bem Grabe einen Gejang gehört haben, mit Begleitung von Hörnern und Slarinetten. Als man fich näherte, heißt es, fuhren mehrere Wagen gen Heidelberg. Doc ward vom 8. Juni au Mannheim gejchrieben, daß man nichts näheres darüber erfahren hat.“

pa)

XXVM. Dor Achtundvierzig.

Neaktion Kaſpar Haufer Die Großherzogin Stephanie Louis

Napoleon in Mannheim Karl Gutzkow J. A. v. Itzſtein Karl

Mathy und der Zollverein Die politiihe Bewegung Der Ronge—

fturm Gerpinus’ Adreſſe an die Schleswig-Holfteiner Wahlen Hoffmann von Fallerdleben in Mannheim.

Die That Sands bewirkte zunächſt gerade das Gegentheil von dem, was ſie bewirken wollte, ſie führte dazu, daß ſcharfe Maßregeln getroffen wurden, die Freiheitsbewegung der deut— ſchen Jugend zu unterdrücken. Dennoch trug auch dies nur zur Verſtärkung revolutionärer Stimmungen bei, die im Ge— heimen gehegt wurden und nur auf die Gelegenheit warteten, zu öffentlichem Ausdruck kommen zu können. Da regte ein neues Ereigniß die politiſche Welt auf, das auch vorüber— gehend in die Stadt Mannheim hineinjpielte.

Am Pfingftmontag den 26. Mai war in Nürnberg jene rührende Jünglingsgejtalt aufgetaucht, die in ihrer Seltjamfeit das Räthjel des Jahrhunderts geblieben ift. Kajpar Haujers geheimnigvolles Erjcheinen in Nürnberg machte nicht geringes Aufiehen. Der unglüdlihe Jüngling fam unzweifelhaft aus Naht und Leiden und jein erjchütternder Tod man fand Hauſer im Dezember 1833 im Parf zu Ansbach tödtlich ver- mwundet in jeinem Blute liegend zeigte unwiderleglich, daß man es bier nicht etwa mit einem Simulanten oder Schwind- [er zu thun Hatte. Kaſpar Haujer erhob jelbjt feinerlei An-

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548 Bor Achtundvierzig.

Iprüche auf irgendwelche Rechte in dem für ihn jo jchmerz« vollen Leben. Umjomehr machte man den Verſuch, diefe Sache politifch zu verwerthen. Die Zeit wollte ihren Demetrius und Kaſpar Hauſer jollte dieje Lüde ausfüllen. Man jcheute fich nicht, eine Fürftin in diefe Sache hineinzuziehen, von der mıan wußte, daß fie eine gewiſſe Sonderjtellung in ihrem Fürſten— hauſe einnahm.

Romanhafte Phantafie jpann ihre Fäden zu der auf ihrem Wittwenfig, dem Großherzoglihen Schloß in Mann- heim ziemlich zurüdgezogen lebenden Großherzogin Stephanie hinüber, der Adoptivtochter des großen, aus der Revolution hervorgegangenen franzöftichen Kaiſers.

Die Sache blieb ohne die leifeite Spur eines Beweijes und deshalb auch yänzlih ohne Erfolg, Die neuerliche Hervorziefung der Sade von Seiten eines franzöfiichen Gejchichtsromanichreibers nöthigte uns Hier nur einige Be— merfungen über dieſe eigentlich längſt abgethane YWngelegen- beit ab.

Wir fommen auf die außerordentlichen Verdienjte, die ſich Badens Fürſtenhaus um die moderne Entwidelung Mannheims erworben, in einem bejonderen Abjchnitt noch eingehend zu iprechen. Die in diejer Abtheilung herangezogenen Ereignifje ind Beitereigniffe allgemeiner Art, jpielen in die allgemeine deutjche Politik hinein und haben injofern mit der Entwidelung Mannheims jpeziell unter Badens Herrichern nur wenig zu thun.

Die am 28. Auguft 1789 geborene Gräfin Stephanie Luiſe Adrienne von Beauharnais, Tochter des Grafen Francois Claude de Beauharnais und der Marquije von Lezay Mar- nejta, wurde von Napoleon, nachdem er fie am 8. März 1806 al3 jeine Tochter adoptirt und zur kaiſerlichen Prinzeſſin er- hoben hatte, dazu augerjehen, der Verbindung Frankreichs mit Baden dur) ihre VBermählung mit dem Kurprinzen Karl am 8. Dftober desjelben Jahres einen familiären Charakter zu geben.

Dieje aus rein politiichen Gründen geichlofiene Ehe ent- widelte ji) erjt langjam zu einem Herzensverhältnig der bei-

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den Vermählten. Anfänglich hielt fich die Prinzeſſin Stephanie getrennt von ihrem Gemahl im Mannheimer Schloffe auf, während fi ihr Gatte noch dem Schmerz über jein Entjagen feiner Neigung zu der bairiſchen Königstochter Amalie Auguſte Hin- gab. Stephanie mußte ſich auch erjt langſam nach dem am faiferlichen Hof zu Paris genoſſenen Glanz an die VBerhältnifie eines Eleineren Hofes gewöhnen. Das wird jedoch auch von franzöfiihen Gefchichtögelehrten zugegeben, daß es für Die in allzufrühem Alter in den Raujch des franzöfiichen Hoflebens hineingezogene Prinzejlin ein Glück war, noch zur rechten Zeit in die ruhigen und gediegeneren Verhältniffe eines deutſchen Hofes zu fommen. Hier reifte die Prinzeffin zu einer tiefer empfindenden Frau heran, und e3 lernten ſich die zwangvoll Vermählten Schließlich aufrichtig Tieben und jchäßen.

Bon den bedeutenditen Ereigniſſen der europäiſchen Ge- ichichte wurde das Herz diefer Frau erfchiittert und bewegt, ein Herz, das fich ftark erwies in den Tiefen des Unglüds und auf den Höhen des Glüds. Wie mußte der Sturz Napoleons die ftolze Frau hinabjchmettern von der Höhe ihrer Position am badiihen Hofe, wie fonnte fie jubeln, als ber Geftürzte wiederfehrte nach jeiner Flucht von Elba, wie unfag- bares Leid mußte fie empfinden, al3 Napoleon auf St. Helena jeinem Tode entgegenjchmachtete. Und wie dann, nachdem fie auch ihre Söhne und den fie jchügenden Gatten verloren und fie mit ihrem Baterlande Franfreich jchon Feine Hoffnung, feinen Troft mehr zu verbinden vermochte, wie dann der junge Louis Napoleon nah den Stürmen der Revolution zu neuer Herrichaft gelangte, fie am Ende ihres jchicjalreichen Lebens wieder au den glanzvollen Hof der franzöfiichen Haupt- ſtadt zurückkehrte und in Nizza gleihjam im Anblick der neuen großartigen Entfaltung des Kaiſerreichs (1860) aus dem Leben ſchied da mußte ihr Herz erbeben ober jubeln, das wie von einem Strom der Weltgeſchichte durchfluthet wurde.

Der nachmalige Kaiſer Napoleon III. weilte vor der Nevofutionszeit 1848/49 mehrmals bei der Großherzogin

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Stephanie im Mannheimer Sclofje, hier mit diejer die Pläne und Ausfichten für eine noch verhüllte Zukunft erwägend.

Bei ihr weilte auch ihre Tochter Luiſe Amalie Stephanie, 1830 mit dem Prinzen von Waja vermählt, nach unglüdlicher, 1844 wieder gejchiedener Ehe im Schlofje zu Mannheim. Auch die Tochter der Prinzeſſin von Waſa, die jetige Königin- Wittwe Carola von Sadjen, die Enkelin der Großherzogin Stephanie, hielt ſich gleichfalls mit ihrer Mutter mehrere Jahre in Mannheim auf.*)

Seit ihrer Rückkehr nach Frankreich jollte die Groß— herzogin Stephanie Mannheim nicht wiederjehen. Nach ihrem Tode in Nizza am 29. Januar 1860 wurde ihre Leiche nad) Pforzheim überführt und dortjelbjt in der fürftlichen Gruft beigejebt.

In Mannheim hatte die Großherzogin Stephanie die Kunit lebhaft gefördert, wa8 wir jpäter noch zur Sprache bringen.

Doc berührte auch eine Kunft, reſp. eine Litteratur, die mit der Politif und Freiheitsbewegung der Zeit verbunden war, die Stadt Mannheim. Der Führer des jungen Deutjch- lands, der 24jährige Karl Gutzkow, hatte hier in Mannheim jeinen Tendenzroman „Wally, die Zweiflerin“ 1835 erjcheinen lajjen (einen der erjten Frauenemancipationsromane), den auf Menzels Denunciation die Polizei beichlagnahmte. Gutzkow wurde wegen dieſes Buches in Mannheim vor Gericht ge— jtellt und zu drei Monaten Gefängnis verurstheilt. Während jeiner Gefangenſchaft in Mannheim jchrieb er einen Auf— jat „Gedanken im Kerker“ und feine „Philvjophie der Ge— ihichte" (Hamburg 1836). In Mannheim Hatte er nod)

*) Die 19jährige Prinzeifin Carola wurde hier 1852 von dem am Hofe der Großherzogin Stephanie wirkenden Mannheimer Maler Louis Goblig gemalt. Kurz vor dem Tode des Königs von Sachſen bejuchte im März 1902 die Königin Carola dag Mannheimer Schloß. In Erinnerung verfunfen durchichritt die Königin die von ihr einft bewohnten Räume (im linken Flügel des Schlofjes) und fie war tief bewegt, als fie die wohlbewahrte, „nad) dem Leben‘ gemalte Portraitikizze aus ihrer Jugendzeit wiederſah. Das nad; dieſer Skizze (fiche Abbildung) ausgeführte Gemälde befindet ſich jegt im Kgl. Schloß zu Dresden,

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mit 2. Wienbarg 1835 die „Deutjche Revue” gründen wollen, von der jedoch nur das Programm „Menzel und die junge Litteratur“ bei C. Löwenthal ericheinen konnte. Der gleiche Verlag gab im gleichen Jahre auch Gutzkows „Vertheidigung gegen Menzel“ heraus. Bier Jahre darauf erichien hier noch eine Schrift „Gutzkow und die Gubfowgraphie“ von Hein— rich Hoff.

Wie ſich im Uebrigen die politiiche Bewegung in Mann- heim vor den Jahren 1848/49 abipielte, das ijt in jehr objec- tiver Weile von Ludwig Mathy („Die Stadt Mannheim 1896*) gejchildert worden. Die diejes betreffenden Stellen lauten:

„Im Jahre 1822 wurde Johann Adam von Itzſtein, jeit 1819 Hofgerichtsrath in Mannheim, in den Landtag gewählt. Diejer ausgezeichnete Mann war lange Zeit der tonangebende Führer der liberalen Oppofition im badijchen Landtag und bis 1848 der Lehrmeiſter und das Vorbild der ganzen jüngeren Generation der Liberalen. Sein Einfluß bradte im Jahr 1824 das Militärbudget zu Fall; zur Strafe wurde er nad) Meersburg verjegt und dann penjionirt, worauf er ſich als Advofat in Mannheim niederließ. Damit fam e3 zum erjten Konflitt zwiichen Regierung und Landtag. Die Kammer wurde am 21. Dezember aufgelöjt; duch die Neuwahl kamen für Mannheim Amtmann aber, Bürgermeijter Hutten und Handels- mann Keßler in den Landtag. Der Lebtgenannte gab am 20. April 1825 durch einen Antrag, der einjtimmig angenommen wurde, die erſte Anregung zur Gründung eines Zollvereins. Der badiſche Landtag wurde eine Vorſchule für das parlamen- tarijche Leben der ganzen Nation, und unter den badijchen Ub- geordneten hatten die in Mannheim gewählten oder hier wohnen: den gewöhnlich eine Führerrolle,

Am 3. Yuguft 1830 traf die Nachricht von der Pariſer Juli- revolution ein; in Belgien und Polen brachen Aufitände aus; auch im verjchiedenen deutjchen Städten fam es zu Unruhen, Kein Wunder, daß es ſich auch bei uns regte. Im den neuen Sandtag von 1831 wurde IHitein von Schweßingen gemählt;

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er ftellte al3bald den Antrag auf Herftellung der 1825 will- firrlich abgeänderten Verfaffung. Die Stadt Mannheim jandte den Oberhofgerichtsadvofat Föhrenbach, den Handelsmann Lauer und den Advofaten Mohr in die 2. Kammer. Die Regierung fam den liberalen Forderungen entgegen und gewährte eine neue Gemeinde-Ordnung und eine größere Preßfreiheit. Als— bald entjtanden !hier „Der Wächter am Rhein“ und „Der Sreifinnige*. Das Bolf begann, an den Kammerverhandlungen Antheil zu nehmen. Daher wurde am 3. Januar 1832 ein Feſt zu Ehren der heimfehrenden Mannheimer Abgeordneten und ihres Hauptes Itzſtein, eine Ihfteinfeier, abgehalten, wo— bei feurige Reden ftrömten. Am 13. Mai wurde die erfte Bolfsverjammlung veranitaltet, bei der Itzſtein als Hauptredner auftrat und eine Adreſſe für volle Preffreiheit empfahl. Diefe Adreffe wurde von der Regierung am 23. Mai zurüdgewieien. Am 27. Mai folgte das berühmte Hambacher Felt, eine Zus jammenfunft der Liberalen aus dem deutichen Südweſten auf dem Hambacher Schloß bei Neuftadt, wobei e3 jehr radikal berging. Darauf antwortete die Reaktion mit einem Verbot aller öffentlichen Reden und Auflöſung aller nicht genehmigten Bereine.

Eine ftrenge Cenſur wurde eingeführt, der Wächter am Rhein und der Freifinnige wurden verboten, und Franz Stroh meier am 1. Juli wegen jcharfer Preßerzeugnifie zu 2 Monaten verurtheilt. Da man erwartete, er werde die Strafe nicht an» treten, fam es zu einem Tumult, wobei e3 einige Verwun— dungen abſetzte. Aufreizende Flugſchriften wurden allenthalben verbreitet; die geängftigten Spießbürger erließen Gegener— klärungen. Dazu fam noch der Streit um die Bürgermeijter- wahl; Hofrat Gerbel wurde gewählt, aber von ber Regierung abgelehnt, jtatt jeiner Andriano eingejeht. In Folge des Franf- furter Attentat3 vom 3. April 1834 verjchärfte fich die Reaktion, Dazu fam der Streit über wirtbichaftlihe Fragen.

Im Jahre 1831 war die Mannheimer Handelsfammer gebildet worden, die jich für die Zollvereinigung ausſprach und 1833 eine Deputation nad) Karlsruhe jchidte, um die Abge-

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ordneten zu bearbeiten. Im gleichen Sinne wirkte eine Schrift des jungen Mannheimer Kameraliften Karl Mathy vom Jahre 1834: „Betrachtungen über den Beitritt Badens zum Boll- verein“. Als der Landtag 1835 dieſe Frage zu behandeln hatte, wirkte Hofgerichtiratd Sander gegen den Anjchluß; bet der Abjtimmung am 2. Juli waren von den fünf Mannheimern drei, Lauer, Weller, Mohr, dafür, Itzſtein und Gerbel dagegen. Die Mehrheit entjchied zu Gunften des Zollvereins, und fchon am 19. Juli wurde der freie Verkehr über den Rhein nad der bayerischen Pfalz in feierlicher Weile eröffnet. Das erite Band der Einheit war zwifchen beiden Rheinufern und zwijchen Sid und Nord gejchloffen. Bon da an datirt der Aufſchwung des Mannheimer Handels.

1838 ließ fich Friedrich Hecker als Oberhofgerichtsadvocat hier nieder, deſſen feuriges Weſen fi) bald im öffentlichen Leben geltend machte.

Das Jahr 1840 brachte in Folge der franzöfiichen Er— eigniffe eine liberale und deutſche Strömung. Aber jchon im folgenden Jahr Fam e3 zu einem neuen Konflikt zwijchen der Dppofition und der Regierung wegen des jogenannten Urlaubs jtreitd. Das Miniftertum behauptete das Recht der Regierung, ihren Beamten den Urlaub zur Annahme eines Abgeordneten» mandates zu verweigern und verfuhr danach gegen die Abge- ordneten Oberhofgerichtsrath Peter von Mannheim und Hof. gerichtsrath Aſchbach. Gegen diejes Verfahren proteftirte die 2. Kammer, die am 16. April zufammengetreten war, einftim= mig; außerdem lag eine Proteft-Adreffe von 195 Mannheimern vor. Nun wurde die Kammer vertagt, und der Großherzog erließ am 5. Auguft ein Manifeft, in welchem er die Haltung der Abgeordneten im Urfaubsftreit heftig tadelte, ohne Gegen- zeichnung des Minijterd. Darob neuer Sturm. Nach den Ferien erichien neben Weller und Mohr an Lauers Stelle, der jein Mandat freiwillig niedergelegt hatte, Friedrich Daniel Baffermann, der Sohn des früher genannten Abgeordneten, al3 dritter Abgeordneter für Mannheim. Als am 10. Januar 1842 die Kammer eröffnet wurde, jtellte Itzſtein den Antrag,

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das Regierungsmanifeſt im Urlaubsſtreit für verfaſſungswidrig zu erklären; der Antrag wurde angenommen, worauf die Kam— mer am 19. Februar aufgelöjt wurde. Die Neuwahlen hatten nur das Ergebniß, daß die Oppofition verjtärkt und gereizter wiederfam. Ballermann, Gerbel, Weller waren wieder gewählt. Heder fam als Abgeordneter für Weinheim-Ladenburg. Auch Karl Mathy erichien, der von 1835 bis 1840 in freiwilligem Eril in der Schweiz gelebt hatte, weil ihm wegen jeiner Hal- tung in der Preſſe Berhaftung gedroht hatte. Mathy gründete nun die Landtagszeitung, die mit Begier gelejen wurde. Die Dppofition errang einen vollfommenen Sieg. Als die Mann— heimer Abgeordneten (Bafjermann, Gerbel, Weller, Heder, von Ipjtein und Mördes) am 10. September heimfehrten, gab man ihnen ein Feſteſſen im kürzlich erbauten europäiſchen Hof; der Vicefanzler des Oberhofgerichts Bekk war zugegen, und Streu« ber, Soiron, 9. C. Hoff hielten begeijterte Reden.

Im Jahre 1843 erjehte die Regierung den verhaßten Minijter Blittersdorf, den jie wieder zum Bundestags-Gejandten in Frankfurt machte, durh U. von Duſch. Am 22. Augujt wurde das 2öjährige Jubiläum der badijchen Verfaſſung ge- feiert, worüber Mathy eine Schrift herausgab. Im November jtellte er im Landtag den Antrag auf Preßfreiheit; in der Be— gründungsrede zeichnete er in drajtijcher Ironie den Mujter- Genjor. Ein folder war in Mannheim der Regierungsrath von Uria-Saradhaga. Am 1. Auguſt 1844 ftimmte die Oppo— fitton mit den Mannheimern voran gegen das ganze Budget; zum Danf dafür veranftaltete man am 22. September wieder die ſchon üblich gewordene Ipiteinfeier durch ein Feſteſſen im Theaterjaal, wobei dem alten Führer eine eigens geprägte Denkmünze verehrt wurde. Das Jahr 1845 brachte die Auf- regung wegen der jchleswigsholitein’schen Frage Am 6. April protejtirte Heder als der Erjte im badischen Landtag gegen die Verichmelzung der Elbherzogthümer mit Dänemarf. Als weiterer Mannheimer Abgeordneter trat der Überhofgerichts« Advofat Alerauder von Soiron, der in Lahr an Sanders Stelle gewählt wurde, in die 2, Kammer ein und machte jich

Bor Adıtundvierzig. 555

alsbald durch eine Motion auf Uebertragung der Polizeiftraf- Gewalt und der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf die Gerichte bemerflich. Um die Verwirrung vollfommen zu machen, braufte der Rongejturm durch das Land. Der jchlejiihe Pfarrer Ronge hatte befanntlid am 1. Dftober 1844 gegen die Ausftellung des heiligen Rods in Trier proteftirt und den Verſuch ges macht, aus diefem Anlaß die deutichen Katholifen von ber römischen Kirche loszureißen. Auch in Mannheim fand er An hänger, darunter Dr. Hammer, Streuber, Eifenhardt, 2. Stoll, welche am 29. Juli zujammenfamen; am 21. Auguft predigte hier der deutjch-fatholische Prediger Looſe. Am 28. September fam Ronge jelbjt mit Dowiat. Als ihn die Liedertafel am Bahnhof begrüßen wollte, wurde dies verboten; die Kirchen fand er durch Pfarrer Orbin, den nachmaligen Erzbiihof von Freiburg, verjchloffen; darum hielt er jeine Vorträge in Baſſer— mann's Haus und Garten. Am 13. Oftober wurde er aus— gewiejen. Eine andere Ausweiſung hatte jchon im Frühjahr böjes Blut gemacht. Itzſtein hatte mit Heder eine harmloſe Neiie nach Berlin gemacht, wo fie nur Sammlungen und Mujeen oder Theater bejuchten; da wurden fie am 22. Mai aus Berlin und Preußen ausgewiejen. Im Jahre 1846 blieb im Landtag der Konflift permanent. Die Kammer wurde am 8. Februar aufgelöjt; wieder wurden die heimgefehrten Abge— ordneten gefeiert. Die Neuwahlen fielen abermals im Sinne der Dppofition aus. Am 4. Juli Elagte Bafjjermann im Land» tag laut über Bund und Bundestag und verlangte ein deutjches Parlament. Damit war dem allgemeinen Berlangen nad) Re— form, nad Einheit und Freiheit, ein bejtimmtes Ziel gewiejen. Im jelben Monat wurde die allgemeine Mufregung durch den offenen Brief König Chriftians VII. gejteigert; Profeffor Ger- vinus in Heidelberg, der mit den Mannheimer Liberalen in lebhaften Beziehungen ftand, erließ die berühmte Adreſſe an die Schleswig-Holjteiner. Auch Profeſſor Häuffer, einft ein Zögling des Hiejigen Lyceums, griff in den Streit mit ein. Da mußten die Mannheimer ihrer Stimmung wegen der Eib- bherzogthümer am 27. Juli in einer Verſammlung Luft machen.

556 Bor Adhtundvierzig.

Die Mannheimer Zeitungen, das Journal, welches feit einem Jahre von Guſtav Struve redigirt wurde, und Mathys Rund— ſchau jchürten die Gährung. Am 17. September wurde die Kammer geichloffen; bei dem Landtagsefjen im Europätichen Hof toaftete Ballermann auf das deutjche Parlament, Heder auf Schleswig- Holftein. Kurz vorher war hier ein Schleswig-Holjtein-Verein gegründet worden. Die Regierung fam den Liberalen injofern entgegen, als fie Beff zum Minifter des Innern machte, Bis um dieje Zeit waren alle Liberalen in der Oppofition gegen die Regierung, gegen Bund und Bundestag einig geweſen. Aber jobald es fich um pofitive Ziele handelte, mußte zwijchen den ganz verjchiedenartigen Elementen ein Riß entjtehen, der fich im Jahre 1847 allmählich erweiterte und in der Revolutions- zeit die Gemäßigten, Konftitutionellen oder Halben, wie man fie nannte, zur Regierungspartei machte, die Radifalen oder Ganzen zur Revolution trieb. In beiden Lagern gehörten die Mannheimer zu den Führern der badifchen und beutjchen Be— wegung. Die Partei der gemäßigten Reform ſcharte fih um die Deutjche Zeitung, zu der Gervinus im Juni 1847 das Programm entwarf. Sie erjchien zum erften Male am 1. Juli im Verlag von D. %. Ballermann, mit dem Mathy affociert war; jie trat ein für deutjches Parlament, monarchiſche Ver- fafjung und preußische Hegemonie; die Redaktion bejorgte zu— erjt Gervinus, und die Haupt-Mitarbeiter waren Dahlmann, Bejeler, Waitz, Droyfen, Häuffer, Höffen, Mittermaier, Bafjer- mann und Mathy. Rechts ftand außerdem nod das Mann heimer Journal, jeit es Obermüller redigierte, während die Radikalen in Struves Deutſchem Zujchauer und Ficklers See- blättern, die in Konftanz erichienen, ihre Anfichten verfochten. Die Gemäßigten in Mannheim hielten am 1. September eine Bürger-Verfammlung unter Leitung von Berberich, deren Spitze gegen die Abgeordneten Ipitein, Heder, Mathy, Soiron, Baſſer— mann und Hoff gerichtet war. Aber die Angegriffenen trium— phierten. Auf der anderen Seite jcharten ſich die Radikalen am 12, September in Offenburg zufammen, wo Struve auf: trat und die „13 Forderungen des Volkes in Baden“ im Sinne

Vor Achtundvierzig. 557

von Heder, Struve, Kapp, Eller und Winter Eller war Advokat in Mannheim, Papa Winter Buchhändler in Heidel- berg aufgeftellt wurden. Daran reihten ſich Hochverraths- Prozeffe. Im Oftober verjammelten ſich die Führer der Libe— ralen aus Preußen, Hannover und allen jüddeutichen Staaten in Heppenheim, um zu den Forderungen des Tages Stellung zu nehmen. Mathy wollte die Reform möglichjt im Anſchluß an das Beitehende durchgeführt haben, aljo Herjtellung der deutichen Einheit auf der Baſis des Zollvereins. Die Mehr: zahl ging viel weiter. Im November wurden die Zandtags- wahlen mit großer Erbitterung geführt. Die Mannheimer wählten jtatt Gerbel den radikalen Advokaten Lorenz Brentano und den unbedeutenden Sachs.“

Am 5. Mai 1847 fam Hoffmanıı von Fallersleben nad) Mannheim, um Itzſtein (der in der Straße M 4 Wr, 7 wohnte), zu bejuchen. Isitein empfing den Dichter am Bahnhofe und Alerander von Soiron jandte ein Begrüßungsichreiben. Zu einem gemeinjchaftlihen Mittagejjen hatte damals Itzſtein auch die Familie Heder geladen.

Als Hoffmann von Fallersleben am 4. Detober desjelben Jahres wieder jeinen Freund Itzſtein in Mannheim aufjuchte, wurde er durd ein Schreiben des Stadtamts überraicht, das ihm aufgab, „innerhalb von 24 Stunden bei Zwangsvermei— dung das Großherzogthum Baden zu verlafien.“

Auf eine Eingabe Itzſteins Hin, mit der diejer geltend machte, daß der Dichter hier nur wegen einer Traubencur weile, wurde die Ausweiſung wieder zuridgenommen. Allein das Mann- heimer Morgenblatt brachte bald darauf die jenjationelle Notiz, daß der Dichter bei dem vergnügten Genuß von 12 Echoppen Bier im „Rothen Schaf" beobachtet worden jei. Mit diejer Berleumdung jchloß der diesmalige Aufenthalt des gemüthvollen Dichter in Mannheim,

u.

ZU

XXIX. Die Jahre 1848 und 1849.

Der Anfang des Jahres 1848 Eindrüde und Folgen der Februar: ereigniffe Die Preßfreiheit Die Volksbewaffnung Die fFreicorps und General Sigel Märzerrungenichaften Politiiche Vereine Capi— tulation der Staatsgewalt Aprilereigniffe Der Kriegszuſtand Das Jahr 1849 Mannheim während der Revolution Die Gegenrevolution,

D. Gejihichte der Jahre 1848 und 1849 wird uns in den innern Beweggründen ihrer Handlungen am Verftändlichiten, wenn ihre Schilderung mit einer gewiljen politiſchen Theil- nahme erfolg. In umjeren gänzlich veränderten politischen Verhältniſſen jchredt uns auch der Radicalismus diejer Be- wegung nicht mehr. Wir wollen nur Aufichluß über die Ur- jachen der damaligen Revolution. Die Feder’schen Ausführungen geben uns jedenfall3 vielen Aufichluß hierüber, fie haben noch etwas von der Zeitjtimmung an fich und verdienen deshalb bleibende Beachtung. In dieſem Kapitel joll daher mit Folgen— dem das Hauptjächlichjte diejer Aufzeichnungen und Beröffent- lichung jtädtiicher Protofolle wiedergegeben werden.

Das Jahr 1848 begann unter äußerlich ruhigen und günftigen Ausfichten. Eine Theuerung der Lebensmittel begann nachzulaffen und man war wieder in normale Verhältniffe ein» getreten. Der Handelöverfehr war lebhafter wie je. Im Sahre 1847 hatte man 326 aus Holland anfommende Schiffe gezählt.

Die Jahre 1848 und 1849. 559

In der Bolitit war es friedlicher geworden. Man wollte willen, daß die Macht de3 Radicalismus gebrochen jei durch die liberale Haltung, welche die Regierung auf dem am Schluffe de3 vorigen Jahres begonnenen Landtage eingenommen Hatte, und man glaubte, daß eine Vereinigung der alt oder gemäßigt« liberalen Bartei mit der Regierung zu ftande fommen würde, In der Kammer begann man fi) wieder mit den oft behan- delten Fragen der Preffreiheit, der Gejchworenengerichte, Ein- führung eines deutichen Civilgejeßbuches u. A. m. zu beichäf- tigen, ohne daß man in die Bitterfeit der früheren Diskuffionen verfiel. Mannheim ſchickte wieder 13 Petitionen an den Landtag, die in einer von 3. M. Bielefeld, Daffner, Leer und Eoni. auf den 22. Januar berufenen Verſammlung berathen und unterzeichnet wurden. Sie betrafen die verfaffungsmäßigen Zuftände Deutjchlands und Badens: die Religionsfreiheit, die Kriegsverfaffung, die Bolizeiftrafgefepgebung, Gericht&verfaffung und Procengejebgebung, das Gewerbsweſen, das Steuerwejen, das DBereingzollweien, die Anhänfung von Tiegenichaftlichen Gütern in todter Hand, das Rheinoctroi und die Rheinjchiff- recognitionsgebühr, die Eiſenbahn über Bretten in’s Württem— bergiiche, die Errichtung einer Bank in Mannheim, den Straßenbau von Mannheim nad) der Bergjtraße, die Er- mäßigung des Rheinbrückengeldes.

Die liberalen Barteien jchienen wieder vereinigt zu fein. Unter den zu jener Verjammlung Einladenden finden fich die Namen ©. von Struve, 3. P. Grohe, Heinrich Hoff ein- trächtlich neben den Namen Valentin Streuber, Löwenhaupt, Dr. Gentil, Dr. Ladenburg, K. Geber, Melchior Nüdert u. A. m.

Man fieht auch aus jenen Petitionen, daß der herrſchende Geift Fein einjeitig politijcher war, ſondern daß auch die realen Intereſſen die öffentliche Aufmerkſamkeit auf fich gelenkt hatten.

Die Motion des Abgeordneten Baflermann auf Vertretung des deutichen Volkes bei dem Bundestag, welche dieſer in der Kammerfigung vom 1. Februar begründete, regte dagegen wieder die politiichen Geilter an. Staatsminifter von Duſch

560 Die Jahre 1848 und 1849.

warnte vor der gefährlihen Bahn, die man betreten wolle. Der Antrag gehe auf Aufhebung des deutſchen Particularismus; er würde dahin führen, daß Baden und Die badijchen Stände ihre Hauptrechte verlören und Baden zu einer Örenzprovinz herabfinfe. Pflicht der Regierung jei e3, vor ſolchen Schritten zu warnen und zu erklären, daß fie feinen Theil an jolchen Verhandlungen nehme. Die Motion wurde mit allen gegen 5 Stimmen in die Abtheilungen verwiejen.

Ihren Wiederhall fand die Motion in einer Verſammlung vom 21. Februar, die im Intereſſe Schleswig-Holjteins im Aulajaale abgehalten wurde. Auf Antrag v. Struve’3 wurden drei Adreſſen an die Schleswig-Holfteiner, an das deutiche Volt und an alle deutjchen Volksvertreter beichlojien. Cs wurde darin zum Feſthalten an dem guten Rechte und zur Unterjtügung der Schleswig-Holjteiner aufgefordert.

Nochmals wurde die Cenſur in der Kammerjigung vom 23. Februar von der Linken auf das Heftigite angegriffen, von der Regierung aber in Schuß genommen.

Da langten am 27. Februar die erjten Nachrichten von den Barijer Revolutiongereigniffen vom 23. und 24. Februar an. Ludwig Bhilipp, hieß es, habe dem Throne entjagt, fein Enfel jei König, alles Laffe fich zur Verjühnung an. Bald folgte die Nachricht von der Proclamirung der Republik und der Einjegung einer proviforiichen Regierung.

Schon auf den 28. Februar hatte Struve eine Verſamm— lung im Aulajaal berufen, die jich angejichts der Ereignijje in Frankreich mit der Lage des Vaterlandes bejchäftigen jollte. 1500 Bürger jprachen das Berlangen nad) Volksbewaffnung, unbedingter Preßfreiheit, Schwurgerichte und nach einem Bar: lamente aus. Eine Adreſſe follte hierwegen an die zweite Kammer gerichtet werden. Heidelberg jchloß ſich jofort an; der 1. März war zur Uebergabe der Adrejie beitimmt. Auch Karls- ruhe bereitete eine gleiche Betition vor. Auswärts in Mainz, Worms, Darmjtadt faßte derjelbe Funke Feuer. Wie mit einem Schlage war eine Bewegung entjtanden, deren Folgen unabjehbar erichienen.

Das Sciller-Denfmal auf dem Schillerplas vor dem Hof: und

Hationaltheater in Mannheim.

Leopold

ßherzog

Gro

Die Jahre 1848 und 1849. 561

Am Dienftag den 29. traf ein Schreiben des Abgeordneten Ballermann an den Oberbürgermeilter Jolly ein, das u. U. folgendes enthielt: „Eben erklärt Herr Staatsrath Belt in öffentlicher Situng, daß im Laufe der nächften Woche bie Cenjur aufhören, Bürgergarden errichtet und ein Gejekentwurf über Gejchworene unverzüglich vorgelegt werden ſolle. Diejer große ftaatsmännische Aft verjchmilzt alle Barteien.“ Allein die Friſt von einer Woche jchien doch zu lange für den Drang der Umſtände. Am 1. März erjchienen v. Struve, Jörger, Löwenhaupt von Mannheim, Winter von Heidelberg und Bürgermeifter Rée von Offenburg, wie man verfündete, „vor den Schranken des Haufes*, um die Petitionen ihrer Städte zu übergeben.

Staatsrat) Bekk verkündete, daß das Preßgeſetz wieder bergeftellt jei. Unendlicher Jubel verbreitete ſich unter den verjammelten Maſſen und weithin im Lande. Die Mannheimer Abgeſandten wurden bei ihrer Rüdfehr feſtlich empfangen. Töwenhaupt verkündete vom Balcone des Rathhauſes das Er- gebniß ihrer Miſſion (2. März). Neuftadt jendete eine mit 600 Unterjchriften bededte Zultimmungsadreife.

E3 ging an die zweite Forderung: „Die Volksbewaffnung“. Die Regierung wollte Bürgerwachen nach der Berordnung vom Jahre 1810 einführen. Das fchien ungenügend Der Ge- meinderath erflärte, daß die Verordnung vom Jahre 1810 ver- altet jei, daß man feine Bürgergarden wolle, mit denen man feine gute Erfahrung gemacht habe, jondern daß Volksbewaff— nung auf einer breiteren Grundlage ruhen müſſe. Er jeßte eine Kommilfion Hoff, Algardi, Kley nieder, um einen Entwurf zu bearbeiten Schon am 3. März war diejer Ent- wur fertig. Er beitand aus 9 Paragraphen. Alle Bürger bis zum 55. Lebensjahre waren verpflichtet, an der „Bürger- wehr” Theil zu nehmen. Sie bejtand aus 2 Bataillonen, ein- getheilt in Compagnien. Die Auszeichnung war ein weißes Armband um den linken Arm, die Bewaffnung ein Obergewehr mit Bajonette und Batrontajche. Die Offiziere trugen Schärpen und Säbel. Die oberjte Leitung jtand dem Oberbürgermeijter

Defer, Geihichte der Stabt Mannheim. 86

562 Die Jahre 1848 und 1849,

zu. Doc auch diefe Bürgerwehr, welche der Gemeinderath vorſchlug, jtand, injofern fie nur die Bürger zuzog, auf einem zu engen Boden. Der Bürgerausihuß dehnte fie in jeiner Sigung vom 18. März auf alle Einwohner aus,

Die Bürgerwehr wurde proviſoriſch organifirt, (Hecker Oberſt, Engelhorn und Jörger Majore). Die Regierung bot Gewehre unter der Bedingung an, daß fie nur an geeignete Bürger vertheilt und bezahlt wurden. Der Gemeinderath er— Härte, daß man jolche jelbit anjchaffen werde. 2000 Gewehre wurden bejtellt, fie trafen aber nur jehr allmählich ein.

Bu gleicher Zeit bildeten fich die Treicorps unter der Be— zeihnung „Schaar der Freiwilligen“. Ihre Anführer waren: Sigel,*) Oberftleitmann‘; Grabert jr., Julius Trog, Dr. Ham— mer und E. 9. Schnauffer**), Hauptmänner; Otterberg und GC.

*) Franz Sigel erzählt in feinen inhaltsreihen „Denkwürdigkeiten“ hierüber Folgendes: „In diefer Stadt (Mannheim) berrichte zur Zeit meiner Wiederankunft, im März 1848, die größte Aufregung und c& war dies jelbe natürlich der Organifation eines „Freikorps“, die in wenigen Tagen zu Stande kam, jehr günftig. Das Korps, auch die Schaar der „Frei— willigen“ oder „Senfenmänner“ genannt und 500 Dann ſtark war aus Mangel an Gewehren nur zur Hälfte damit bewaffnet, während fich die andere Hälfte mit Senjen begnügen mußte, die an fünf bis ſechs Fuß hohen Stangen aufgerichtet der Waffe ein ganz formidables Ausfehen gaben, In der Aufitellung bildeten die Musketiere und Scharfichügen das erite und die Senfenmänner das zweite Glied, Das Korps beitand aus 4 Kompagnien. Eines Tages, als ih auf dem Kapuzinerplat mit den „Senjenmännern“ Grerzierübungen vornahm, kam plöglih eine große Ko— lonne vom SKajernenplag herangezogen; wir glaubten, ein Angriff jtände bevor, ich ließ deshalb die Straße fverren, die Musketiere ihre Gewehre laden und fih auf die Vertheidigung vorbereiten, Bald jebod zeigte es fih, daß die Stolonne aus den Soldaten des 4. Negiments beitand, die ihre gefangenen Kameraden befreit hatten und num mit Jubel auf und zu— famen, uns als Freunde und Brüder begrüßten und durch eine Anſprache ihres Führers, des Gefreiten Meier, der dafür 7 Jahre lang im Zuchte haufe zu büßen hatte, erklärten, mit uns „Hand in Hand“ gehen zu wollen. Viele Hunderte aus dem Volke begleiteten fie und gaben ihre Zuftimmung und Freude zu erkennen,“

**) Von Schnauffer erichienen 1848 in Mannheim (Heinrih Hoff) „Gedichte“ und „Deutiche Solbatenlieder“, in Karlsruhe 1849 „Der deutiche Waffenruf“ mit Noten.

Die Jahre 1848 und 1849. 563

Lehr, Oberleitmänner; Adolf Schmidt, Jacob Nauen und Kle- berger, Zeitmänner. Sie erklärten, mit der Bürgerwehr Hand in Hand gehen zu wollen und ftellten fich unter den Befehl bes Kommandanten derjelben. Der Gemeinderath erklärte, daß bie Freiwilligen al3 Berein in die Bürgerwehr nicht aufgenommen werden fönnten, daß es aber den Einzelnen freiftehe, in die Bürgerwehr einzutreten.

Das Stadtamt dringt auf Auflöfung des Corps. Das Diinifterium erließ unterm 17. März einen Auflöjungsbeichluß gegenüber allen bewaffneten Privatvereinen. Der Oberbürger- meister gibt Abjchrift des jtadtamtlichen Bejchluffes an die Freiwilligen mit der gleichen Aufforderung, ſich jofort aufzu= löjen. Algardi opponirt in dem emeinderathe gegen Diejes Vorgehen des Oberbürgermeiſters und der Beichluß wird in Folge deſſen annullirt. Dabei blieb es vorerj. Auch ein weiterer Auflöjungsverjucd im April 1848 fam nicht zur Aus— führung.

Unterdefjen Hatte aber die politische Bewegung weitere Fortichritte gemacht. Nach Erringung der Preßfreiheit ver— (angte man die Gewährung weiterer Forderungen. Eine durd) Struve auf den 5. März ın den Aulaſaal berufene Bürger: verjammlung fügte den in der Kammer geltend gemachten For— derungen noc) andere bei. Bereits hatte das Mißtrauen an— gejeßt. Hecker ſprach davon, daß die Reaction fi) durd) ein Bündniß mit „Ausländern“ gegen die Freiheitsbewegung zu jtärken juche; man wolle die deutjchen Truppen von ihrem Herde entfernen und an ihre Stelle fremde jegen.

Man genehmigte den Antrag, daß alle Bürger fich jofort bewaffnen jollten. Die Aufregung, in welcher man fich be- fand, wurde durch den Brand des auswärtigen Minifteriums, und die Art, wie man dieſen augszubeuten verjuchte, ſowie durch die in Bruchjal, Heidelsheim, Emmendingen und anderen Drten vorgefommenen Ercejle gegen die Israeliten gejteigert. Die in Mannheim anweſenden Abgeordneten Heder, Helmreid), v. Itzſtein, Karl Mathy, Friedrich Ballermann, v. Soiron, 8.

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Weller und W. Sachs erliehen am 8. März einen warmen Aufruf, worin fie dem tiefen Schmerze Ausdrud gaben, welchen alle wahren ‚Freunde der Freiheit und des Vaterlandes über die vorgefommenen Exceſſe empfanden, und die Aufforderung an Alle, welche es mit dem Wohle des Volfes ehrlich meinten, richteten, mit Belehrung duch Wort und That und mit aller Kraft dahin zu wirken, daß joldhe Entweihungen der Tage der Freiheit unterblieben und des Bolfes Ehre nicht geichändet werde. Dieſe Proclamation war nad außen gerichtet; auf Mannheim hatte fie feinen Bezug.

Nur ein Vorkommniß ereignete fich, in welchem fich der jahrelang eingejogene und aufgehäufte Groll Luft machte. Schon der Bürgerausjchuß hatte in der Situng vom 28, Februar einftimmig den Wunſch ausgeiproden, daß der Regierungs- director Schaaff von Mannheim entfernt und durch einen Mann eriegt werde, der das Vertrauen der Bürgerichaft fih zu er- werben und zu erhalten wilfe. Der Gemeinderat mußte jenen Beichluß des Bürgerausjchuffes vollziehen. Das Miniftertum berief den Regierungsdirector Schaaff ab, deſſen Nachfolger Stößer war. Aehnlich ging es mit der Verjegung des Poſt— meifters Weigel zu, der fich durch jchroffes Benehmen gegen die Eilenbahnarbeiter mißliebig gemacht hatte.

Es folgte in dem täglichen Wechjel der Dinge am 13. März wieder ein Act der Verſöhnung. Das Militär wurde auf Die Berfafiung vereidigt. Der Gemeinderath wohnte der TFeierlich- feit bei.

Tags vorher war die jchwarzerothegoldene Fahne auf dem Bundespalaft in der Ejchenheimer Gaffe in Frankfurt aufge- zogen worden. So jchien die Bewegung ihren ungeftörten Siegeslauf fortzujeßen.

Allein man fühlte den Mangel in der Einheit der Lei— tung. Die Exceſſe gegen die Jsraeliten wiederholten ſich. Es fehlte an jeder Organifation, die im Stande geweien wäre, an Stelle der erlahmten Staatsgewalt, die Volfsbewegung in einem richtigen Geleije zu erhalten. Man beklagte es, daß die Feinde der Freiheit und des Vaterlandes diejen Uebeljtand be-

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nusten, um feindfelige Umtriebe zu machen. Um dem zu be= gegnen und um eine einheitliche Zeitung der Volksbewegung in Baden herzuftellen, beriefen Heder, Itzſtein, Soiron, Peter, Richter, Straub, Struve, Sachs, Mez, Welfer, Kapp, B. Grobe, E. Eller, Val. Streuber und Heinrich Hoff auf Sonntag, den 19. März eine Volsverſammlung in Offenburg zujammen.

Unterdeſſen folgten täglich neue Alarmnadrichten aufs einander. In Konſtanz jollte die Republik proclamirt jein; man jchrieb und erzählte ſich von Volfsverfammlungen in dem Oberlande von 5—6000 Mann, die eine entichloffene Haltung an den Tag gelegt hätten; von Kämpfen in dem Odenwalde. Welker wurde Bundeögejandter, Baſſermann Bertrauensmann zur Berathung der Bundesreorganijation. Die Wiener und die Berliner Revolution erhöhten die Aufregung bis zum höchſten Grade. An eine Widerftandsfähigkeit der Regierung war nirgends mehr zu denfen.

Eine Amneftie wurde unterm 18. März bewilligt. Es folgten große Bolfsverfammlungen aufeinander. Ein Extra— Eiſenbahnzug führte eine Maſſe Mannheimer am 19. März nah Dffenburg. In fünf Artikeln wurden die aufzujtellenden Forderungen formulirt. Im Ganzen hielt fich die Verſamm— fung auf dem gegebenen Boden. Verſuche zur Proclamirung der Republik wurden ernftlich nicht gemacht oder zurückgewieſen. Es folgte die Verſammlung von Heidelberg am 26. März. Auch dort ſchlug man die Nachbildung der amerikanischen Verfaſſung vor; der Antrag wurde aber verworfen. Das Parlament, defien Zufammenberufung man entgegenfah, follte die deutjche Berfaffung jchaffen.

Unterbejjen jchritt man zur Bildung von vaterländiichen Vereinen. Die Verjammlungen diejer waren im Babdner Hofe. Die erjten waren höchſt ſtürmiſch; Soirons mächtige Stimme vermochte den Lärm nicht zu bewältigen. In das leitende Comité wurden gewählt: Hoff, Rüdert, Jörger, Bielefeld, Eller, Löwenhaupt, Bleginger, E. Moll, Happel.

In jenen Tagen erhielt auch das Mannheimer Journal

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durch Staatsminifterialentihließung die amtlichen Inferate wieder zugewiejen. Es war für die Märzerrungenfchaft erfenntlich.

Um 31. März begannen die Tage des Vor-Parlaments. Die Frage, od Monarchie oder Republik, fam nunmehr auf die Tagesordnung und übte einen durchgreifenden Einfluß auf die PBarteiftellung aus.

Bon Mannheim aus ging eine Adreffe an das beutfche Parlament ab, die großen Streit erregte*) Aus dem „Wein-

*) Deutihes Barlament!

In dem enticheidenden Nugenblide, in welchem die Vertreter der berfchiedenen beutichen Länder fich verfanmeln, um ein gemeinfames Organ für das einige freie Deutichland zu bilden und die Inftitutionen für Die Garantie der Einheit und Freiheit zu gründen, ift es Pflicht jedes Bürgers, jeine Anficht unbedingt und Har auszufprechen, damit dad Barlament den Willen der Nation kenne und demfelben Folge leifte. Im dieſer Ueberzeu— gung halten fich die unterzeichneten Einwohner Mannheims verpflichtet, dem Parlament gegenüber die nachfolgenden Grundfäge als unbedingt für jie bindend auszufprechen.

Das weientliche Ziel der Erhebung der deutichen Nation tft die Eins heit Deutichlands, weil nur durd fie ein fräftiger Schug für die Freiheit bedjelben gegeben ift; alle diejenigen Mafregeln, welche der Erringuug der Einheit hemmend in den MWeg treten, müffen daher die unbedingte Miß— bilfigung der Nation erfahren und können von feinem Gliede derſelben an— erfannt werben.

Sollte durch die zur Zeit im Parlament verfammelten Abgeordneten des Volkes nicht der größere Theil der Nation vertreten jein, jo kann das Parlament feine definitive Beſchlüſſe faffen, vielmehr muß beffen ganzes Beitreben dahin gehen, eine Vertretung der bis dahin noch nicht vertretenen Lande herbeizuführen.

In gleicher Weile kann nur derjenige Beſchluß des Parlaments an— erfannt werden, welcher den Willen des größeren Theiles der im Parla— ment vertretenen deutichen Stämme ausfprict.

Das Parlament wird nicht ermangeln, das Vertrauen der Nation zu rechtfertigen und feinen Rechten und Freiheiten eine fichere Gewähr zu ſchaffen; es wird darin auf den einftimmigen Beifall der Nation rechnen können.

Dagegen werden fich bezüglich der Form des einheitlichen Organs die verfchiedenften Anfichten und Wünſche geltend machen; wir erwarten von den Vertretern des Volkes, dab fie bei der Enticheidung über dieſe Frage die weientliche Bedeutung des Parlaments nicht außer Auge laffen,

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berge“ mußte fie Hinweggenommen werden, weil man dort Un- ruhe befürchtete. In der Harmonie und dem Caſino⸗Saale wurde fie unterzeichnet. Man warf ihr vor, daß fie nicht mit der Farbe herausrüde und eine unbedingte Unterwerfung unter die Beichlüffe des Parlaments verfünde, auch wenn bieje reichs— feindlich jeien. Die Adreſſe wurde an Friedrich Baſſermann zur weiteren Uebergabe abgejendet nnd bei der bezüglichen Ver— fammlung der entjchiedene Wille der Bürger fund gethan, jeg- ficher Unordnung im Junern der Stadt mit aller Energie zu fteuern. Jetzt, mitten in der Bewegung, fing man an, vor „leidenschaftlihen und unbejonnenen Menjchen“ zu Iprechen, welche nur dazu beitragen, das Gewonnene wieder zu verlieren. Auf der anderen Seite begann man den Gegenſatz zwiſchen Bürgern (bourgeois) und Volf aufzuftellen. Der Bourgeois war jeßt der Herrjchende, der Tyrann, der überwunden werden mußte, wenn das Volk jeine Freiheit erringen follte.

Dagegen fehlte es nicht an Stimmen, welche zur Einigung mahnten und darauf hinwiejen, daß Mannheim in gefahrvollen Zeiten, wie die dermaligen, immer einig gewejen jei und da— durch Kraft gefunden Habe, alle Bedrängniffe zu überwinden.

In dieſe Zeit fällt ein Ereigniß, welches die damalige Lage ber Dinge jprechend Fennzeichnet. Auf den 3. April ließ Stabtdirector Kern den Gemeinderath und Bürgeransihuß zu einer außerordentlichen Sigung verjammeln. In diefer erfchien er jelbjt in Begleitung des Generals von Gayling und des Haupt:

daß ſie nicht auf ihren Wünfchen bezüglich einer beftimmten Form ver: barren, wenn dadurch eine vollfommene Ginheit der Nation gefährdet würde.

Die Befürhtungen, dba Einzelne ihre Wünfche rückſichtlich einer beftimmten Norm des Bundeorgand über daß Intereſſe der beutfchen Einheit fegen möchten, veranlaßt uns zu einem feierlichen Proteft gegen die Unterftellung, als ob wir unferer Seit3 Plane theilten, durch welche wir uns ber Grreihung unferer heißeſten Wünſche gerade entgegenitellen würden.

Sollte aber fogar die einfeitige Verwirflihung folder Wünſche ge: waltjam verjucht werden, jo werden wir biefem Streben auf's Kräftigſte entgegentreten und uns dem Parlamente bei dem erften an uns ergebenden Aufruf zum Scuge einer freien Berathung zur Seite ftellen.

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manns von Wechmar. Zugleich waren anmwejend die beiden Majore Karl Engelhorn und Sebajtian Jörger. Stadtdirector Kern machte der VBerjammlung folgende Eröffnung: die orbent- liche öffentliche Gewalt jei in dem gegenwärtigen Zuftande der Aufregung außer Stand, die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit der Stadt zu handhaben. Alles desfallſigen Maß— regeln müßten deßhalb der Gemeindebehörde anheim geftellt bleiben. Es werde ſich nur darum handeln, daß die beftehende Bürgerwehr zu diefem Zwecke organijirt werde, und daß fich die Gemeindebehörde über die allgemeinen Grundjäge binficht- (ich der Anwendung der Waffengewalt bei vorfommenden Ruhe— ftörungen und Aufftänden ausipreche und unverzüglich eine an- gemeſſene Inftruction an die Kommandanten ergehen Lafie. Der Stadteommandant von ayling bejtätigte, daß die Stim- mung des Militärs insbejondere von der Art jei, daß auf jeine Haltung bei etwa ausbrechenden Unruhen und Aufjtänden nicht gerechnet werden fünne, und daß daher alle bewaffnete Gewalt an die Bürgerwehr übergeben werden müſſe, während er nichts Anderes thun könne als bei eintretenden Fällen mit bem Militär aus der Stadt zu marſchiren. So regierte Mannheim in jenen Tagen mit jtaatlicher Zuftimmung fich jelbit. Die Drganijation der Bürgerwehr war vollendet worden und fie jtand nun bewaffnet da,*)

Es famen unruhige Tage. Am 5. April jollte ein heifiiches Bataillon die Stadt paſſiren, um nach Raſtatt zu

*) Dberft war Friedrich Heder. Abdjutant Dr. Gentil. Das erfte Bataillon commandirte Karl Engelhorn. Adjutant war Wilhelm Reinharbt. Das zweite Bataillon commandirte Sebaftian Jörger. Adjutant Julius Baffermann. Die Compagnien waren befehligt von den Hauptleuten in folgender Weile: 1. Compagnie von Ludwig Schütz, F. X. Wimmer. 2. von Melchior Rückert, (der zweite fehlt). 8. von Karl Ziegler, Wilhelm Stoll. 4. von Friedrich Brechter, 8. Wilh. Sachs. 5. von Heinrich Hoff, Heinrich Düringer. 6. von Joſeph Dörler, Louis Stoll. 7. von Heinrid) Weller, Friedrich Lauer. 8. von Ehriftian G. Kühn, Ludwig Baflermann. 9. von FFriedr. Löwenhaupt, Michael Wolf, 10, von Garl Matthy, K. L. Eiſenhardt. 11. von I. D. Lehr, I. E. Korwan. 12. von Fr. D. Bafler: mann, Heinrich Rös. 18, von Aler. dv, Soiron, Valentin Hoffmann. 14.

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gehen. Man glaubte es nicht. Man firrchtete den Wegzug ber heimijchen Truppen, Reaction und Knechtung. Es wurde be— abfichtigt, die Bürgerwehr zufammenzurufen, um den Helen den Eintritt in die Stadt zu wehren. Sie wurden um die Stadt herum an den Bahnhof geführt, ohne fie betreten zu Haben. Der Gemeinderath erließ eine Proclamation, worin er jenen Verſtoß gegen die deutiche Einigung beklagte und auf die Noth- wendigfeit hinwies, daß die in Mannheim garnijonirenden Truppen bald abmarjchiren müßten. Der Zwiſchenfall blieb ohne weitere Folgen.

Der Gemeinderath war fajt in Permanenz auf dem Rath» hauſe. Am 8. April erfchien Karl Mathy, Mitglied des Ge- meinderaths, bei dem erjten Bürgermeijter mit der Nachricht, daß er in der Frühe den Redacteur der Seeblätter Fickler eben, al3 diejer im Begriff geweſen ſei, mit der Eijenbahn nad) dem Oberland abzureiien, arretirt habe, weil er fich geitern bie Ueberzeugung verjchafft habe, daß derjelbe im Auslande Be- ziehungen angefnüpft habe, um einen bewaffneten Einfall zu bewirken.

Auf Antrag Mathys wurde auf den Nachmittag eine Situng des Gemeinderaths und Bürgerausichuffes berufen, um zu berathen, „was die erfte Hauptitadt des Landes angefichts jolcher Ericheinungen für ihre Aufgabe halte.“ Nach Inhalt des jtadträthlihen Protocolls überreichte zunächſt Mathy eine ihriftlihe Erklärung über die Beweggründe, welche ihn zur Berbaftung Ficklers bejtimmten. Sodann verlas er den Ent» wurf zu einer Proclamation, welche der Gemeinderat und Bürgerausijhuß an die Einwohner der Stadt erlaffen jolle, Gemeinderat und Bürgerausihuß billigten beide Aktenſtücke einjtimmig; die Proclamation wurde von dem Ausjhußmitgliede Jörger von dem Balkone des Stadthaujes aus der verjammelten

von Carl Neitler, (der zweite fehlt). 15. von David Hoffmann, Friedr. Rumbad. 16. von Anton Pfeiffer, Philipp Miller. 17. von Aloys Engel- hard, Ph. H. Clottü. 18. von Valentin Streuber, Chr. Schäufele. 19. von Guſtav Struwe, Robert Pfeiffer. 20. von Carl Artaria, I. W. Rein hardt.

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Menge vorgelejen. Die Adreſſe beklagte die peinliche Ungewiß- heit und Unficherheit ber öffentlichen Zuftände, fowie Die Stofungen des Berfehrs. Nicht die großartige Erhebung und die Freiheitsbewegung des deutſchen Volkes habe diejen Zuftand herbeigeführt, jondern diejenigen, welche ftatt der Freiheit Un- ordnung, ſtatt der Gejeglichkeit Anarchie predigen. Sie forbert zum Feithalten an der Verfaffung und an ber Gejeglichfeit auf. Die Bürgerwehr beeilte ſich, dieſe Adreſſe zu unterzeichnen. Die Nachricht von dem, was gejchehen war, hatte ſich nämlich jchnellitens verbreitet. Bor dem Haufe Mathys waren Demon- jtrationen gemacht worden, und er jelbjt Tieß fich duch eine Anzahl Bürger mitten durch die aufgeregte Menge auf das Rathhaus geleiten.

Bor dem Rathhaus wiederholten ſich des Nachmittags bie tumultariihen Scenen. Es jchlug Generalmarih für die Bürgerwehr und die drei Bataillone bejegten den Marktplatz. Die Proclamation des Gemeinderat wurde mit Beifall auf- genommen. Man leitete daraus einen Sieg der Drbnungs- partei über die Freunde bes Umjturzes ab. Die Regierung lobte das Berhalten Mannheims; Karlsruhe folgte feinem Bei— ipiel baldigft nad).

Am 9. April erjhien v. Soiron in Mannheim und Hielt gleichfalls vom Balkone des Rathhaujes eine feurige Rede an das Volk. Er bezeichnete es al3 eine Engherzigfeit, an Reaction zu glauben; Deutichland ſei fich jeiner Kraft bewußt, das Parlament werde die Reichsacht gegen den Fürſten verhängen, der wagen jollte, Mahnung und Warnung dieſes Parlaments zu mißachten. Donnernder Applaus folgte diejen Worten, „der Herd des Aufruhrs“ jchien dieſesmal für die Ordnung ge- wonnen.

Dod wer mochte in jener Zeit des täglichen Wechjels auf die Bejtändigfeit ber Stimmungen rechnen? Die Gegen- jtrömungen blieben nicht aus; der vaterländiiche Verein hielt ſtürmiſche Situngen. Die Frage ob Monarchie oder Republik wurde offen behandelt; der gegebene Verfaſſungsboden war von Grund aus erjchüttert, und es jollte der Souveränität des

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Volkes, repräſentirt in dem Parlamente zuſtehen, neue Formen zu ſchaffen. „Mißtrauen iſt des Bürgers erſte Pflicht“ war die Parole. Hecker unternahm in der Mitte des April ſeinen mißglückten Freiſchaarenzug von Conſtanz aus. Struve ſchloß ſich ihm an.

Eine heftige Aufregung durchzitterte Mannheim ob des Gelingens der Unternehmung. Mehrere falſche Nachrichten im bunteſten Durcheinander ließen die Einwohnerſchaft nicht zur Ruhe kommen, bald aber ſtellte ſich die Niederlage und Flucht Heckers und Struves heraus und die Ruhe kehrte wieder. „Bürgerblut iſt gefloſſen!“ rief man nun wieder auf der andern Seite und ſuchte alle Rachegeiſter gegen Diejenigen heraufzu— beſchwören, die mit Hecker und Struve ſympathiſirt Hatten.

In dieſer Lage der Dinge trat ein Zwiſchenfall ein, der

leicht Mannheim zum Schauplatze eines traurigen Nachſpiels jener Oberländer Ereigniſſe hätte machen können. Die Garuiſon war hinweg in das Oberland gezogen, und es lag in Mann— heim jeit 20. April ein Regiment Naffauer. Der Gemeinderath fand ſich durch das Einrüden diejer Truppen überrajcht, Da die Behörde al3 die Alleinherrichende von den Staatsbehörden erflärt worden je. Man nannte dies eine rein militärische Dislocation, die auf die inneren Berhältnifje der Stadt ohne Einfluß fei. Die Stimmung war gereizt; bald jteigerte fie ſich nod, und am 26. April artete fie in Thätlichfeiten zwiſchen Soldaten und Einwohnern aus, die fich weithin in die Stadt verbreiteten. Es jchlug Generalmarſch; die Truppen wurden in der Kaſerne conjignirt; die Bürgerwehr trat unter die Waffen.

Im Innern der Stadt parlamentirte man und brachte die Sade wieder in Ordnung; aber außen an ber Rheinbrüde ertönten Gewehrjalven. Das 3. Bataillon der Bürgerwehr wollte den Brüdentopf abführen, der Nafjauer Wachtpojten zog fih auf die Brücde zurüd und rief die am jemjeitigen Ufer aufgeftellten Bayern zur Verſtärkung herbei. Nun begann ein Gewehrfeuer, durch das vier Mannheimer verwundet wurden;

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ebenjoviele Verwundete zählte man auf militäriicher Seite. PBarlamentäre beendeten das blutige Schaujpiel.

Das Reſultat der von einem Minifterialcommiffär Mayer gepflogenen Unterfuchung war die Verhängung bes Kriegszu- jtandes über die Stadt Mannheim durch eine Verordnung vom 29. April.

Eine Militärmaffe von 5—6000 Mann rüdte in Mann- heim ein. Die Bürgerwehr wurde entwaffnet und eine große Anzahl von Berhaftungen vorgenommen, darunter Grohe, Hoff, Streuber und viele Freiwilligen.

Selbjtverftändlich fiel ein Theil der Preſſe mit gewohnter Bitterfeit über Mannheim her. Namentlich war es die „Deutjche Zeitung“, welche ihren Groll ausgof. Mannheim wurbe als der Sit der Häupter des Nufjtandes und der vorausgegangenen Berihwörung bezeichnet.

Auf der andern Seite verwahrte ſich die Stabtdirection gegen den Vorwurf der Schwäche, den man ihr gemacht hatte. Sie fei ohne alle Mittel der Durchführung der beichloffenen oder verlangten Maßnahmen gewejen. Das Senjenmänner- corps hätte früher nicht aufgelöft wırden können und von Wrbeitern jeien binnen 4 Wochen 800 ausgewiejen worden.

Am 9. Mai kam Staatsrath Belt nah Mannheim, um mit dem Gemeinderat und den Staatöbehörben über die Lage der Stadt zu conferiren. Bon der Militärbehörde wurde jchon am 10. Mai die Aufhebung des Kriegszuftandes verkündet; die Beftätigung des Livilcommiffärs folgte fofort mit dem An— fügen, daß Bolfsverfammlungen noch weiter verboten jeien. Die Privatwaffen jollten zurüdgegeben werden. Sofort erhob ih neuer Lärm. Man fagte, daß es nach Aufhebung bes Kriegszuftandes fein Recht gäbe, die Volfsverjammlungen zu verbieten, und da der Militärcommandant die Berabfolgung der Waffen verweigerte, jo erblidte man darin eine unzuläffige Ueberhebung desjelben über die Civilbehörbe.

Prinz Karl von Bayern war der Obercommanbdant ber in Mannheim liegenden Truppen. Gemeinderath Artaria begab fich zu ihm, um Aufichlüffe über die verweigerte Berabfolgung

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der Privatwaffen zu verlangen. Der Obercommandant erflärte, da der Minifterialjecretär Mayer den landesherrlichen Erlaß vom 10. Mai rüdfichtlih; der Zurüdgabe der Waffen falich ausgelegt habe, und daß er die Ausfolgung berjelben ver- weigern müffe Der Gemeinderath wandte ſich mit einer energijchen Vorſtellung an das Minifterium.

Mannheim befand fich damals in trüber Stimmung. Viele Familien waren in Bejorgniß über verhaftete Angehörige. Die Stadt fand ſich gedemüthigt durch den über fie verhängten Kriegszuftand. Die Bürgerwehr fühlte fich beleidigt durch die Entwaffnung, welche man gegen fie verhängt hatte. Eine An- zahl Bürger traten zujanımen, um zu erflären, daß fie ſich dem Willen der Mehrheit der Vertreter des deutichen Volkes unbedingt unterordneten, und zu verjichern, daß eine frei- finnige Regierung in dem Widerjtande gegen reactionäre Ge— füjte immer auf fie zählen fünnen. Sie traten zur Bildung eines neuen vaterländifchen Vereins zujammen.*)

Unterdefjen war der Tag des Zujammentritts des Parla- ments gefommen. Man Hatte proteftirt gegen das indirecte Wahlſyſtem, aber die Wahlen waren doch ruhig verlaufen. v. Suftein wurde in Mannheim mit 68 Stimmen gewählt; Weller erhielt 40, Brentano 1 Stimme. Man entnimmt daraus die Sonderung der Parteien. Der gewählte v. Itzſtein lehnte für Mannheim ab und es wurde an jeine Stelle W. Sachs gewählt.

Im Gemeinderath jtellte Jörger den Antrag auf feftliche Begehung des 18. Mai, des Tages des Zujammentrittö des erjten deutjchen Parlaments. Der Gemeinderath erblidte aber in der „in der Stadt herrichenden düjteren Stimmung“ ein

*) Der Aufruf enthält die Namen: 3. P. Adam, 2. N. Baflermann, 30). Bauer, Blezinger, Soiron, Bühler, Gleejen, Clottü, R. Dürkel, 9. Düringer, Engelhorn, Eſſer, Pf. Giulini, Gentil, Pf. Held, Jörger, Jak. Kley, Dr. Ladenburg, Morig Lenel, Fr. Löwenhaupt, N. Lindenberger, Eduard Mol, A. Nauen, CE. Neftler, Fr. Oeſterlin, A. Pfeffer, Melchior Nüdert, Ad. Roes, A. Sator, Schröder, 9. Weller, Dr. Weiſſenburg, Yranz Mimmer, Auguſt Wunder.

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Hinderniß gegen eine laute Feier, und er beichloß, ſich auf einen Zug in die Jejuitenfirche und auf einen dort abzuhalten- den Gottesdienft zu bejchränten.

Die Zeit war fortwährend jehr bewegt. Am 15. Juni, hieß es allgemein, jollte es wieder losgehen. Alles war auf der Wache. Der Franzoſenlärm trieb jeinen Spuf im Ober» lande. Die Preſſe jebte ihren bitteren Kampf fort. Unter diefen Umftänden war an eine Erleichterung nicht zu denken.

Endlih am 14. Juli rüdte das bayriiche Militär aus, und es übernahm ein Bataillon des badijchen Leibinfanterie- regimentsS den Garnijondienjt in der Stadt, die nunmehr wieder aufzuathmen begann. Wegierungsrath Schmitt hatte fi um diejes Reſultat bemüht. Man wollte Mannheim ohne Garnifon lajfen, weil dort das Militär demoralifirt würde und die Gemeindebehörde jelbjt die Entfernung der Garnijon beantragt habe. Das war eine beftrittene Unficht, die bereits jchon das Kriegsminijterium in einem früheren Falle dem Anſuchen des Gemeinderatb3 um Belajjung der Garniſon entgegenge- halten hatte. Der Gemeinderath protejtirte einjtimmig gegen jene Annahme.

Die Reorganijation der Bürgerwehr wurde angeordnet. Die Lage der Dinge ſchien fich wieder verjühnlicher zu ge— ftalten. Die Anerkennung der Deutjchkatholifen war jchon unterm 19. Mai erfolgt. Die Gemeinderathswahlen waren ruhig vor jich gegangen. Gewählt wurden Glimpf, Löwen— haupt, Elias Eller, Nüdert, Haffner, Schlidt, Kley und Knippenberg. Schlicht lehnte ab; bezüglich Eller hatte man die Beanftandung wegen jeiner Confejlion nad) Maßgabe des damals geltenden Gejeßes zu erwarten. Der Gemeinderath be— ſchloß jedoch, da die Frage der Gleichjtellung aller Confeſſionen feine ftrittige mehr jei, die Wahl Ellers anzuerfennen. Das Stadtamt erflärte jedoch die Wahl für ungiltig.

Auch Augenblide freudiger Genugthuung gab es in jener bedrüdten Zeit. Die Berliner Stadtverordneten Hatten eine Danfes- und Anerfennungsadrejfe an Mannheim gerichtet, die mit Befriedigung gelejen wurde.

Die Jahre 1848 und 1849, 575

„Seit lange gewohnt, unjere Hoffnungen und Wünjche durch die badische Kammer vertreten zu fehen“, hieß es darin, „mit ihren Siegen zu jubeln, mit ihren Niederlagen zu trauern, hatten wir die Löſung der erften Frage, welche Deutjchland an die eigene Aufunft geftellt bat, von dem badijchen Volke er- wartet. Unjer junges politiiches Leben, obgleich es jchon in der Wiege gar manche Schlange zerdrüdt hatte, war noch zu ſchüchtern und unteif, um das Vaterland aus dem beängjtigen- den Traume zu weden. Ihr habt es ausgeiprochen, das rechte Wort zur rechten Zeit. . . . Was ihr für Deutjchland gethan, das ift und bleibt Euch unvergeffen. Stolz und Dankbarkeit wird jedes deutjche Herz nach wie vor empfinden, jo oft Manns heim Name genannt wird. Es lebe und blühe Eure edle Stadt, die Heimath der Männer!”

Das war die Sprache Berlins im Frühjahr 1848. Auch Wien jandte jeine Grüße. Die zum WVorparlamente reijenden Abgeordneten Defterreichd hatten im rafchen Fluge Mannheim bejucht und den Naturforjcher Dr. Schimper beauftragt, den Mannheimern zu jagen, „daß nit etwa eine gewöhnliche Tourijtenneugierde fie nach) Mannheim geführt habe, jondern da3 jegliche Verlangen, jobald als thunlich den Ort zu jehen, von dem dieje rajche und zufunftsreiche Bewegung in Deutjch- fand ausgegangen jei.“

Das waren freundliche Erinnerungen des jpäterhin ge— drückten und bedrohten Mannheim. Troß alledem griff es überall ein, wo Gutes und Nübliches zu thun war.*)

*) Gin Comite, beitehend aus v. Suftein, Sache, Helmreich, Stößer, Weller, Schmitt, Brentano, Ginlini, Jörger, Snippenberg, Baflermann sen., Thomas Eller, Fr. Löwenhaupt, Dr. Anfelmino, Fr. Reif, W. Reinhardt, Dr. Stehberger, W. H. Ladenburg, C. Engelhorn und Hermann Laden: burg, Hatte von April an die Sammlungen für die aus Frankreich ver: triebenen Deutschen organifirt.

Ein anderes Comité, beftehend aus W. 9. Ladenburg und Söhne, 9. 2. Hohenemjer und Söhne, Peitavy und Bletzinger, Baflermann und Herrſchel, Karl Neitler und Compagnie, Sebajtian Zörger, ©. Hirfchhorn und Söhne, Traumann und Compagnie, veranftaltete Sammlungen für die deutſche Flotte (Mai 1848), und endlich bildete fih im Juni 1848 ein

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Es trat eine kurze Periode der innern Ruhe ein. Man verfolgte die Berhandlungen des Parlaments und hoffte auf eine endliche Löſung der großen Frage der deutſchen Einheit und ‘Freiheit. Hatten ja doch beide jchon Opfer genug ge— foftet, jhon Kummer und Sorge jchwer auf das Land gelegt.

Der Heder’ihe Aufitand Hatte eine gerichtliche Unter— juhung gegen 3572 Perſonen herbeigeführt. Viele waren flüchtig, viele waren im Gefängnifle, mehrere im Zuchthaufe in Bruchſal. Man petitionirte um Amneſtie. Auch von Manns heim ging eine mit vielen Unterschriften verjehene Petition an das Parlament. Am 15. Juli wurde von dem Abgeordneten Wiedemann darüber Bericht erftatte. Die Tagesordnung wurde beantragt und angenommen; das machte böjes Blut. Die THatlofigkeit des Parlaments trat täglich mehr hervor. Man jah der Zukunft mit trüben Blicken entgegen. Die Zus jtände entbehrten noch jedes fichern Halte.

Die badiiche Garnifon war wieder nach Schleswig-Holftein abberufen worden. Am 19. Auguſt rüdte ein Bataillon kur— beifiihen Militärs in die Stadt ein. Es weigerte fich, die Stajerne zu beziehen, da fie in einem dejolaten Zuſtande fei. Als die Einquartirung nicht bewilligt wurde, 309 das Bataillon wieder aus und dann nach Säferthal. Man fand die Be— jchwerde über den Zuftand der Kajerne begründet, aber Nie- - mand war da, der abzuhelfen vermochte. So war Mannheim wieder eine Zeit lang ohne Garniſon.

E3 folgten nacheinander die Aburtheilung politifcher Pro» zelle. In der Anflagejache gegen Hoff erklärte fich das Hof- gericht für incompetent. 3. B. Grohe wurde am 1. September

Ausſchuß zur Unterftügung der Gewerbtreibenden, der es fich zur Aufgabe fegte, zum Verbrauch inländiicher Gewerbserzengniffe aufzufordern und durch Vorſchüſſe an die Handwerker der durch die Verkehrſtockung und Die vielfachen Laſten hervorgerufenen Noth zu ſteuern. Der Ausſchuß beitand aus I. P. Adam, I. Bauer, F. G. Barth, M. Bielefeld, H. Ch. Diffens, N. Fabris, Ph. Held, 6. Hoff, L. H. Knippenberg, S. Ladenburg, FF. Löwenhaupt, Fr. Mördes, H. Schröder. Die Großberzogin Stephanie bes theiligte ſich mit einer Zeichnung von 1000 fi.

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freigejprochen. Das hätte beinahe wieder den Sriegszujtand über Mannheim herbeigeführt. Der freigejprochene Grohe wurde unter dem Jubel jeiner Freunde und des zujammenge- jtrömten Volkes nach Haufe geleitet. Das faßte die Polizei als eine Ruheftörung auf und fchritt ein. Bedrohlicher wurde die Stimmung nad) den Septemberereigniffen in Frankfurt.

Infolge des Beichluffes der Nationalverfammlung über die Sijtirung der zum Bollzug des Malmder Waffenftillitandes ergriffenen Mafregeln hatte das Reichsminiſterium jeine Demiſſion gegeben, und es jollte ein anderes Minifterium gebildet werden. Eine tiefgehende Bewegung durchzitterte das deutjche Volk.

Am 11. September fand in der Turnhalle eine Bürger- verſammlung jtatt, welche eine Adrefje an die Nationalverjamm- fung beſchloß, die den gefaßten Beichluß auf Sijtirung jener Waffenftillftandsmaßregeln mißbilligtee Die Unterzeichneten ſprachen den Entihluß aus, die Ehre Deutſchlands mit allen Kräften zu vertheidigen.

Aber es folgte bald der Beichluß der Nationalverfamm- fung vom 15. September, welcher den Antrag auf Nichtge- nehmigung des Waffenftillftandes mit 253 gegen 237 Stimmen verwarf. Das war das Signal zu neuer Erregung. Man ver- langte mit Haftigkeit nad) Waffen Am 19. erichien eine größere Anzahl von Einwohnern auf dem Rathhauſe mit der Erklärung, daß über die Frankfurter Ereigniffe eine ungemeine Aufregung herriche, daß man die Waffen zurücdverlange, und die Organijation der Bürgerwehr innerhalb 24 Stunden be- gehre. Der Gemeinderat) wollte die Dringlichkeit der Maßregel nicht einjehen, gab aber jeine Bereitwilligfeit fund, jofort an die Reorganijation der Bürgerwehr zu gehen.

Man ließ dem Gemeinderath feine Zeit. Deputationen folgten auf Deputationen. Schließlich verbanden ſich Menjchen- maſſen mit Diefen und wiederholten in tumultuariicher Wetje das gejtellte Begehren. Es gab unangenehme Scenen, aber der Gemeinderath blieb bei feinem Beſchluſſe.

Am 23. September ftellte der Gemeinderath die Grund» züge fejt, nach welchen die Bürgerwehr gebildet werden jollte.

Defer, Geſchichte ber Stabt Mannheim. 87

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Sie follte zunächſt auf Diejenigen bejchränft werden, die ihre Ausrüftung und Waffen jelbjt zu ftellen vermödten.. Man technete auf eine Stärke von 1200 Mann. Die Bürgerwehr wird in 10 Compagnien von 120 Mann eingetheilt und bildet zwei Banner; jeder Banner bejteht aus fünf Compagnien oder Fähnlein. (Die bejtehende Scharfichügencompagnie bildet eine Compagnie).

Unmittelbar vorher (den 18. September) hatte eine große Volksverſammlung auf dem Marktplage ftattgefunden, welche ben Malmder Waffenftillitand zum Gegenftand ihrer Berhand- lung gemadjt hatte. Sie ſprach jebt aus, da die Majorität der Nationalverjammlung nicht mehr das Vertrauen des Bolfes bejige und „ich des Verrathes an Deutichlands Ehre jchuldig gemacht habe“; die Linke allein ſei die wahre Vertreterin der Volkzinterefien. Löhr aus Worms, Mördes, Grohe und Barth von Mannheim waren die Sprecher.

E3 folgten die Ereignifje von Frankfurt, deren Opfer Fürft Lihnowsty war, und der Einfall Struves, infolge befjen eine erneute Kriegszuſtandserklärung der oberen Landes— theile und des Bezirks Weinheim ausgejprochen wurde.

Die Mannheimer Garniſon z0g wieder in das Oberland und zwei Bataillone des 27. preußiichen Infanterie-Regiment! rüdten am 26. September ein.

Auch Struve unterlag, Es füllten fich die Gefängnifje,

Weitere Truppenzuzüge folgten am 30. September, Die Einquartirungslaft drüdte abermals auf die Stadt. Trotzdem gährte es fort und fort.

Die Bewegung für Auflöfung der Kammer und Berufung einer conjtituwirenden Berfammlung für Baden begann in Fluß zu kommen. Am 14. Oktober follte eine Verfammlung zur Berathung einer besfallfigen Betition ftattfinden. Sie wurde verboten. Das Local war militärisch beſetzt. Darüber ent: jtanden neue Aufregungen und heftige Scenen in der Kammer.

Anfang November wurde das Frankfurter Linienbataillon, deſſen mufterhafte Mannszuht und gutes DBetragen man rühmte, aus der Stadt verlegt, und e3 hörte damit wieber Die

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Einquartirung, die mit Furzen Unterbredungen acht Monate angedauert hatte, auf. Man bejchäftigte jich mit der Organi- jation der Bürgerwehr. Die Scharfihügencompagnie war be- reits aufgeftellt. Bei den Offizierswahlen bemerkte man indeſſen eine ziemliche Theilnahmlofigkeit.

Die Todesfeier Robert Blums (19. November) regte erſt wieder die Mafjen an. Der eben erjt erwählte Pfarrer ber Trinttatisficche Schellenberg hielt die firchliche Feier ab. Nahe an 6000 Menjchen waren herzugejtrömt, um die „Itrafenden, verhöhnenden und erhebenden Worte“ des begeijterten Redners zu vernehmen. Bon der Kirche begab fich der Zug in die Aula, wojelbjt weitere Vorträge gehalten wurden. Die ganze Haltung der Verſammlung beurkundete tiefen Ernſt. Man ſprach über das Wort des Dichters: „Das Grab des Freien iſt der Freiheit Wiege." Der Gemeinderath hatte fich bei der firchlichen ‘Feier be= theiligt; von der Aula hielt er fich fern, da das Stadtamt ihm die Berantwortlichkeit für die dort gehaltenen Reden aufbürden wollte Ein Comit&*) befaßte fi mit Sammlungen für die Hinterlafjenen Robert Blums.

Gegen Ende des Jahres wurde das Vereinsleben neu angeregt. Die Clubs der vereinigten Linfen forderten zur Bildung von Märzvereinen auf und ſchlugen eine bezügliche DOrganijation vor. Trübjchler, Raveaur, Eijenmann, Mar, Simon, Raus und Wejendonf jtanden an der Spitze.

Der neue vaterländifche Verein in Mannheim erklärte ſich mit der allgemeinen Tendenz der Märzvereine: die Einheit und Freiheit Deutjchlandg zu begründen, einverjtanden, wollte aber, daß der Märzverein nicht nur eine Erflärung gegen die freiheitsfeindlichen Unternehmungen der Machthaber fondern auch eine jolhe gegen die freiheitsgefährdenden Wühlereien der Anarchiſten erlajfe. Der neue vaterländifche Verein entfaltete fofort eine rege Thätigfeit. Er richtete Anſprachen an bie

*) beſtehend aus Karl Drechsler, Ph. Düringer, Anton Hauer, M. Lenel, Fr. Löwenhaupt, 2. Neihard, A. Roes, M. Niüdert, Dr. Weiſſen⸗ burger.

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Nationalverfammlung, an die zweite Kammer, an dag deutjche Boll. Er war es, der zuerft (22. Mai 1848) das jog. klein— deutiche Programm aufftellte, nach welchem Preußen mit vor» erftigem Ausjchluffe Defterreihs berufen fein follte, an Die Spitze Deutjchlands zu treten.

Zu gleicher Zeit entwicelte fich aber noch ein wahres Chaos von Vereinen, aus dem man fich, nad) den von Be— theiligten gegebenen Darftellungen faum herauszufinden vermag. Es entjtanden die Volksvereine, bei denen nad) feiner eigenen Beichreibung Amand Gögg, der rührigite, aber immer unglüd- (ihe NAgitator, die Hauptrolle jpieltee Dann bejtand ber Bürgerverein unter der VBorjtandfchaft Friedrich Löwenhaupts. Dann noch ein demokratischer Club unter Florian Mördes. Nach den Angaben des letteren zählte der neue demofratijche Berein nahezu 2000 Mitglieder. Das Beamtenthum war zahl- reich vertreten.

Die Verhandlungen in diefem Verein müſſen nach der Schilderung von Mördes von äußerjter Heftigfeit geweſen jein. Selbjt in den jtillen Räumen der Harmonie führte man eine Sprache, die heute Erftaunen erregen müßte. Auch Thät- lichkeiten nnd unfreiwillige Entfernungen gehörten nicht zu den Seltenheiten.

Mördes erzählt mit großer Offenheit feine eigenen Erlebniffe in dieſer Beziehung. Er verfichert auch, daß es nicht ungewöhnlich gewejen jei, mehreren Wereinen anzuge= hören, jelbjt, wenn die Tendenzen derjelben nicht im Einflang ſtanden.

Die alten Gegenſätze zwiſchen Extremen und Gemäßigten und Vorſichtigen kamen auch unter der ſog. radikalen Partei zum Vorſchein. Struve und Gögg ſtanden im Gegenſatz zu Mördes und Brentano. Aber auch die letzteren gehörten ja zur äußerſten Partei, von der ſich in vielerlei Schattierungen bis hinüber zu dem vaterländiſchen Verein die Meinungen abſtuften. Mit derben Worten bezeichnete man den Gegner; die Fertigkeit, ihn mit Re zu belegen, Hatte ein weites Feld.

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So war e3 ein Durcheinander politiichen Treibens, das ſich Ende 1848 entwidelte. Die Einen begehrten die Republif, die Andern fanden diejes Begehren verfrüht. Die Einen unter- warfen fich der Mehrheit der Nationalverfammlung, die andern wollten über fie himwegipringen. Die Oberhauptzfrage jpaltete auch die mehr Eonjervativen Parteien. Hier wollte man an dem heimijchen VBerfafjungsrechte fejthalten; dort begehrte man eine fonftituirende VBerjammlung. Andere waren auch damit nicht zufrieden. Das Jahr 1848 endete unter trüben Aus— fihten. Niemand war im Stande, dad Ende diejes Wirrwars vorauszujehen. Seinem war es gegeben, den Haren Blick zu bewahren.

Sp trat man in das Jahr 1849. Mannheim wählte mit dem Beginn des Jahres den Obergerichtsadvofaten Lorenz Brentano zum Oberbürgermeijter mit 109 Stimmen gegen Jolly, der 88 Stimmen erhielt. Die Kreisregierung verjagte die Bejtätigung der Wahl, Ein eingelegter Recurs blieb ohne Erfolg. Das Minijterium des Innern hob in jeinem Erfennt- nijfe hervor, dai die Wahl Brentanos deshalb nicht beftätigt werden fünnte, weil der Gewählte als Vorjitender des Landes: ausjchuffes der Volksvereine einem politischen Streben Huldige, wodurh auf den Umsturz der bejtehenden Staatsverfafjung planmäßig Hingearbeitet werde. Die folgenden Ereignijje ver- ſchlangen auch dieje Angelegenheit.

Das Barlament Hatte endlich die Grundrechte des deutjchen Volkes fejtgeftellt. Der neue vaterländijche Verein erließ infolgedeffen unterm 6. Januar einen Aufruf an alle deutſchen Männer, welche die Einheit und Freiheit des Baterlandes erjtreben, alle gejelichen Mittel in Bewegung zu jegen, um die Grundrechte jofort überall in Geltung zu bringen. In einer zweiten Anfprache forderte er die Nationalverjamnı: fung auf, in der gemeinfchaftlichen Bekämpfung aller Feinde der Freiheit zum Volke zu ftehen. Der Streit der Parteien wurde immer heftiger. Der vaterländiiche Verein und der Bolfsverein ſtanden einander als erbitterte Gegner gegenüber.

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Baden verfündigte die Grundrechte (18. Januar) vorbe- haltlich eines den Kammern vorzulegenden Einführungsgejeßes.

Am 19. Januar entſchied die Nationalverfammlung die große Frage, ob Monarchie oder Republik mit 258 gegen 211 Stimmen zu unten der Eriteren. Das Tofen, mit welchem dieſer Beichluß in dem Parlament aufgenommen wurde, tönte auswärts wieder. Die Bolfsvereine fämpften hanptjächlih mit ihren Flugblättern, welche zunächſt das offizielle Organ des neugebildeten Landesausjchuffes waren. In beide Vereine ftrömten große Mailen Volkes; dasjelbe war von Grund aus aufgeregt.

Die Auflöjfung der Kammer und die Einberufung einer conftituirenden Berjammlung bildeten den Hauptjächlichiten Agitationsgegenftand der inneren Politik. Moll jtellte in dem vaterländiichen Verein den Antrag, Sich diejem Begehren der Volksvereine anzujchließen, um der Agitation die Spitze abzu— bredien. Sein Antrag wurde mit allen gegen eine Stimme verworfen. Die Gegenjfäße wurden immer jchroffer.

„Wollt Ihr unfer gejegnetes Vaterland nicht in ein großes Grab .unjerer Wohlfahrt verwandelt jehen, jo löſt Euch los von jenen Leuten, die die Freiheit im Munde führen und den Haß im Herzen tragen“, rief der vaterländifche Verein aus; mit heftigen Gegenreden antworteten die Wolfsvereine. So pflanzte ſich der Streit während des Frühjahres fort.

Im März verlangten die Bolfsvereine, daß jämmtliche Abgeordnete der Volkspartei aus der Kammer austreten müß— ten, und daß jede Wahl in die bisherige Kammer abzulehnen fei; daß ſämmtliche Wahlbezirfe ihre Abgeordneten jofort ab— berufen und jämmtliche Bürger Badens gegen die Beichlülfe und Geſetze der bejtehenden Ständeverjammlung protejtiren jollten. Das goß vollends Del in das Feuer.

In einer fulminanten Anſprache beantworteten die vater« ländiſchen Vereine jenes Begehren, Sie ſprachen von ben „Klauen der Anarchie”, in welche man das Land treiben wolle, von dem Grabe der Freiheit und der Wohlfahrt, das geöffnet jei. Unterdeffen zerbrödelte fi) aber auch das Werk ber

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Nationalverjammlung mehr und mehr. Dejterreich erkannte die von dem Parlamente bejchloffene Reichsverfaſſung nicht als bindend an. Das Erbkaiſerthum wurde nun mit 279 gegen 255 Stimmen bejchloffen. Erzherzog Johann trat am 30. März als Reichsverwejer zurüd, Der König von Preußen lehnte die ihm aus den Händen des Parlaments angebotene Saijerfrone ab. Alles geriet) in Gährung. Was jollte nun werden ?

Die vaterländiichen Vereine erhoben am 9. April ihre Stimme für Aufrechterhaltung und Anerkennung ber Reichs— verfaffung. Und als die Dinge immer jchlimmer gingen, wandten fie fih mit den Worten an die zweite Kammer: „Die deutjche Reichsverfaſſung muß jelbjt dann, wenn Die Könige nicht wollen, zum Vollzuge kommen!“

Wenn aber jo die Sprade der gemäßigten Bartei in jener Zeit war: darf man ſich da wundern über die Sprade der Bolfsvereine, ihrer Preſſe und ihrer Führer?

Man fühlte, daß es zu irgend einer Entſcheidung fommen müſſe und diejes Gefühl gab das Verlangen nad) Waffen ein. Die Gewehre waren den Mannheimern immer noch vorenthalten worden. Der Gemeinderath) hatte fich wiederholt an die Be— hörden gewendet, war aber immer abichlägig beſchieden worden, Endlich verjhob man die Sache bis zur definitiven Organi- jation der Biürgerwehr, die nad) der Anficht des Gemeinde- raths bereits jchon bewerkſtelligt war.

Darüber riß der Vürgervertretung angefichtS der drohen den Ereignifje die Geduld. Viele Bürger verlangten die Be— rufung des großen Ausjchuffes, welcher an die Staatäregie- rung das Verlangen nad) der unbedingten Anerkennung der Neichsverfaffung und nad) jofortiger und unbedingter Zurüde gabe der Gewehre jtellen jollte.

Die Verhandlung des großen Bürgerausschuffes fand am 2. Mai ftatt und die [gejtellten Anträge wurden einjtimmig genehmigt. Trotzdem verzögerte ſich die Herausgabe der Ge— wehre noch immer. ZTruppenbewegungen nad) Rheinbayern waren im Gange Am 6. Mai wurde gemeldet, daß Bayern

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bereit3 durch die Stadt marjchirt und weitere Truppen im Anmarſche jeien.

DOberbürgermeifter Jolly berief jofort eine Sitzung des Gemeinderaths und Ausjchuffes, um zu berathen, was im der Sache zu thun jei. Elias Eller, der damals in den Ge— meinderath eingetreten war, nachdem das entgegenjtehende kon— fejfionelle Hinderniß durch die Geſetzgebung befeitigt war, erjtattete Bericht. Der Gemeinderath beichloß darnach, gegen die Truppenzufammenziehung, welche ohne die Anordnung der Reichsgewalt ftattfindet, zu protejtiren.

Die Stadt gerteth in Aufregung. Volksmaſſen waren auf den Beinen. Am 7. Mai verbreitete ſich das Gerücht, daß die badifchen Truppen nah Rheinbayern abmarjchiren jollten. Der Stadtfommandant v. Roggenbach bejtätigte, daß er eine Drdre erhalten, wonach 3 Compagnien und eine Escadron nad Landau marichiren follten, um die Neichsfeftung Landau gegen die links des Rheins ausgebrochene „anarchiſche Be— wegung“ zu jchüßen.

Diefe Ordre wurde nad; einer Berathung des auf dem Rathhauſe verfammelten Gemeinderathes mit dem ebenfalld an- wejenden Stadtdirector Kern der vor dem Rathhauſe ver- ſammelten Menge vorgelejen. E3 gab tumultuarijche Scenen. Reden wurden gehalten, die theils beruhigen jollten, theils dazu aufforderten, die Truppen nicht ziehen zu laſſen, jedenfalls nicht vor ihrer Beeidigung auf die Reichöverfaffung. Da erjchienen plöglih Truppen unter Trommelichlag auf dem Marftplaße und trieben ohne Weiteres die Verſammelten auseinander Einzelne Schüffe fielen. Man erhob lebhafte Klage über diejes rüdjichtslofe und formloje Verfahren. Nun war dem Verlangen nach den Gewehren nicht mehr zu widerftehen. Der Gemeinde- rat und Ausſchuß fahten den Beichluß, zu den äußerften Mitteln zu greifen, um die Gewehre zu erhalten. Cine Com: miſſion von 6 Mitgliedern follte fich mit dem Oberbürger— meifter jofort zu dem Vorſtande der SKreisregierung verfügen, und die Herausgabe der Gewehre verlangen; im Weigerung3- falle follte fich eine Deputation (Glimpf und Löwenhaupt) nad)

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Karlsruhe zu dem gleichen Zwed begeben und erflären, daß alle Verantwortung für die Folgen der Verweigerung der Regierung zur Laft fielen. Endlih am 12. Mai wurde die Anordnung zur Verabfolgung der Gewehre von dem Minijtertum des Innern nad eindringlihen Vorjtellungen erwirkt.

Die Wogen der Bewegung gingen hoch. In Rheinbayern hatte man fi) von „Marimilian von Bayern“, der die Reichs— verfaffung nicht anerkannte, [osgefagt, und wollte am 7. Mai jogar in Neuftadt die jozial-demofratiiche Republik proffamiren. In Dresden war es zum Kampfe gefommen. Ueberall gährte ed. Auf den 13. Mai Hatte der Landesausichuß der Volks— vereine eine Volksverſammlung nach Offenburg ausgejchrieben. So ſtark war die Bewegung, daß der Borort der vaterländifchen Bereine, vertreten durch Blezinger, nunmehr die Hand zum Frieden bot. In einer Anſprache vom 10. Mai ber legten, die überhaupt von den vaterländiichen Vereinen erlaffen wurbe drüdte der Vorort derjelben den Wunſch aus, daß man es auch den vaterländijchen Vereinen ermögliche, ſich bei ber Offenburger Volfsverfammlung vom 13. zu betheiligen. „Um einen vollftändigen Sieg über die eherne Gewalt der Reaktion zu erringen“ ſei die Einigung aller Freunde der Freiheit und des Baterlandes nothwendig. „Unjere Partei ſteht fejt zur Nationale Berjammlung, zu der aus ihr hervorgegangenen Reichsverfaffung und wird auch dafür in den Kampf gehen;“ jo verficherte jene Anjprache. „Möge die traurige Gewißheit, daß das Baterland in Gefahr ift, alle Herzen verſöhnen!“ Mit diefen Worten reichten die vaterländifchen Vereine den Volks— vereinen die Hand, aber es war zu jpät. Am 11. Mai wurde die Rheinjchanze friedlich, aber im Sturmſchritt von Bewaffneten Schaaren aus Worms und Umgegend genommen. Die Auflöfung riß in die Reihen des in ARheinbayern gelegenen Militär ein. Ein Aufruf des Mannheimer Wehrausichuffes Franz Earl Barth, 9. 2. Barth, 8. ©. Dreßler, H. Happel, 8. Hönn, M. Linier, Fr. Löwenhaupt, Florian Mördes, P. J. Dfter- haus, L. Reihard, 2. Rumbah, W. Sönder, Dr. Weiffen- burger, ©. Zeiler forderte zu Unterftügungsbeiträgen an

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Geld und Waffen für die rheinbayriiche Bewegung auf; aber ſchon des andern Tages (14. Mai) trafen die erſten Nachrichten von der Militärrebellion in Karlsruhe und Raftatt ein. Dan vernahm, daß der Großherzog und die Minifter geflüchtet ſeien. Zugleich wurden die 16 Beichlüffe der Offenburger Verſamm— lung befannt, welche unter andern die unbedingte Anerfennung der Reichsverfaffung und ihre Durchführung, die Entlaffung des Minijteriums Bekk, und die Ernennung eines Minijtertums Brentano Peter, endlih die Berufung einer conjtituirenden Berfammlung begehrten. Am gleichen Tage fand eine große Bolfsveriammlung auf dem Marftplage ftatt, welcher ſämmt— liches Militär anwohnte. Man empfahl treues Zuſammen— halten der Bürger und Soldaten. Mördes ermahnte zur Ord- nung. Die Offenburger Beichlüffe wurden anerfannt. Der Gemeinderath und Ausſchuß verjammelte ſich zu gleicher Zeit.

Florian Mördes fand fih in diefer Sigung ein, und jtellte jich als den Präfidenten des Sicherheitsausjchuffes mit dem Bemerfen vor, daß er bereits die Staatsfafjen zu ihrer Sicherung mit Wachpoſten beſetzt Habe.

Der Gemeinderath ſprach aus, daß er es fich zur Pflicht mache, den bejtehenden Sicherheitsausſchuß nad Kräften bei Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung zu unterftügen; ferner wurde ausgeſprochen, daß das Stadtamt, dem die Verwaltung der Polizei überlafjen bleibe, von der Ge— meindebehörde jede Unterjtügung zu gemwärtigen habe, wovon dem Stadtdireftor Kern Mittheilung gemacht wurde, ferner wurde jedem Soldaten eine Zulage von 4 fr. bewilligt; die Funktionen der Stadtfommandantichaft follten von dem Stadt: fommandanten von Roggenbach, Oberbürgermeiiter Jolly und dem Bürgerwehrfommandanten Oſterhaus gemeinjchaftlich be— jorgt werden. Eine Proflamation wurde hiernach erlaffen und darin wurde zugleich der Einwohnerichaft für die „würdige und männliche Haltung bei dem Anbruch der neuen Umgeftal- tung” gedankt, und fie ermahnt, jtreng am Rechte und an ber gejellihaftlichen Ordnung fejtzubalten.

Auf dieſe gemüthliche Weile war Mannheim in das

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Stadium der jog. Revolution eingetreten. Während anderwärts der Sturm tofte, wurde von Mannheim gemeldet, „Mannheim ist ruhig”. Nur auf den Häuptern des Gemeinderaths laſtete bange Sorge. Er durfte fi von dem Rathhaufe nicht mehr entfernen. Am 16. Mai verjammelte er fich abermals, „um über die drohende Lage der Öffentlichen Senke in Folge des Regierungsfturzes zu berathen.“

Ueber den Stand der Dinge in Karlsruhe befand man ſich noch am 16. ganz im Unklaren, und es wurde daher Gemeinde— rath Hoff dahin deputirt, um ſich über die regierende Gewalt, die zu treffenden Maßregeln, über die Stellung des Sicherheits» ausschuffes umd die der ftädtiichen Behörden zu erfundigen. In der Sikung vom 17. Mai erjtattete Hoff Bericht über jeine Sendung und deren Erfolg. Nachdem er die Lage der Dinge in Mannheim gejchildert, habe man ihm von Seiten des Lan desausjchuffes eröffnet, daß derjelbe bereit jei, ihm unum— ſchränkte Vollmacht zur Leitung der Angelegenheiten der Stadt zu ertheilen, was er jedoch aus perjünlichen Gründen abgelehnt habe. Der Landesausſchuß ſchickte zunächſt fein Mitglied Werner hierher. Der lettere hat indejjen feine bemerfbare Thätigkeit entfaltet.

Ueber den Hinfeldey’ihen Zug geriet) dagegen die Be— völkerung im eine fieberhafte Aufregung. Man jchidte dag eben an die Reichsverfaffung beeidigte Militär nebft Bürgerwehren und Freiwilligen in der Richtung nad) Ladenburg ab, um den Tlüchtigen den Uebergang über den Nedar zu wehren (16. Mai). Bei Fürfeld endete die Cataftrophe.

Zugleich) wurde gemeldet, daß an der hejliichen Grenze ein Objervationscorps unter General Wachter zujammenge- zogen werde. Die erjte Anordnung, welche der Landesausichuß ins Werk jebte, war die Organijation und Mobilmahung des 1. Aufgebot3 der Bürgerwehr. Der Gemeinderath ergriff die erforderlichen Vollzugsmaßregeln. Man jah fih auch nad) einem Commandanten um, allein die Wahl hatte ihre Schwierig: feiten, da der in Ausficht genommene Oberlieutenant v. Davans den von ihm geforderten Eid verweigerte. Die Offiziere ber

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Garnifon Hatten zumeift die Stadt verlaffen. Eine gewiſſe Burüdhaltung war überall bemerkbar.

Es bedurfte der Anfeuerung, welche eine von .Strupve, Peter, Martinyg, d'Eſter, Rehmann, Fidler, Bam- berger, Mördes, Löhr, Grohe und Hoff auf ben 20. Mai ausgejchriebene Bolköverfammlung hervor bringen jollte. Die Verſammlung hatte ein eigenthümliches Gepräge. Außer Hoff, Mördes, Fickler und Schmitt jprachen ein Pole und ein franzöficher Offizier aus Met. Man ſchätzte die Zahl der Anmwejenden auf 6000. Die beiden Regimentsmufifen ipielten abwechielnd während der Verſammlung. Die Redner hatten ihr dargelegt, daß die Bewegung eine deutjche jet, und fie veranlaßt, ihr Einftehen für die ‘Freiheit und Einheit Deutichlands duch einen Eid zu befräftigen. Abermals meldete man: „Mannheim ift ruhig“.

Die Soldaten begannen ihre Offiziere zu wählen, allein die Gewählten aus dem Dffiziersjtande nahmen nicht an. „Oberlieutenant v. Davans“ las man in den Zeitungen Seitens der Offiziere des 4. Infanterieregimentes, „it einzuladen durch ein Injerat des hiefigen Journals das Commando des 2. Ba- taillons ſobald als möglich zu übernehmen“, jedenfall eine eigenthümliche Art der Commandoübernahme Die Mitglieder der Gerichtshöfe, der Kreisregierung und des Stadtamtes ver- weigerten den ihnen angejonnenen Eid, da nur das Staats» oberdaupt berechtigt jei, jolchen abzuverlangen.

Das erite Aufgebot war nicht jehr eifrig in der Samm- lung. Oſterhaus, ber interimiftiiche Befehlshaber der Bür- gerwehr, mußte wiederholt mahnen. Bürger Ahles Hatte die ihwierige Aufgabe, in der Eile das 1. Aufgebot zu inftruiren. Schon begannen die yeindjeligfeiten bei Worms gegen Blenker (29. Mai) und an der Bergitraße. Am Qage vorher Hatte Trützſchler die Stelle eines Livilcommiffärs für Mannheim übernommen. Streuber, Rös und Löwenhaupt wurden ihm beigegeben.

Die Sorge für die Nusrüftung und Einübung des 1. Auf- gebotes, fjowie für die Bequartirung und Berpflegung der

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durchmarjchirenden Truppen und Bürgerwehren bildeten von nun an die regelmäßige Beichäftigung. Späterhin rief man auch das zweite Aufgebot unter die Fahne Am 9. Juni rücdten alle mobilen Streitkräfte gegen die Bergjtraße. Vor— mittags hörte man jchon fanoniren,

Am 10. Juni wurde die jog. conftituirende Verſammlung in Karlsruhe eröffnet. Heinrih Hoff, Buchhändler, war zum Vertreter Mannheims gewählt worden.

Oberſt Merjy, der neue Stadtcommandant, führte eine militäriihe Sprache gegen die höflihen Formen Trüßjchlers. Die drei jtädtiichen Kanonen wurden am 11. Juni an ber Kettenbrüde aufgefahren. Am 15. Juni erflärte der Ober- commandant Mieroslawsfi die Stadt in Belagerungszuftand und verkündete das Standredit. Man machte fichtlich Vorbe— reitungen zu einer Vertheidigung. E3 wurden Feueriprigen aus der Umgebung requirirt und Materialien an die Brüde geichafft. Dieje Vorbereitungen waren nothwendig.*)

Die Preußen unter Hannefen waren am 15. Juni in Ludwigshafen eingedrungen und Hatten die dortige Beſatzung über die Brüde nah Mannheim zurüdgedrängt. Von da an begann eine Kanonade hinüber und herüber. Verjchiedene Ge- bäulichfeiten und Magazine in Ludwigshafen geriethen in Brand, auch die Aheinbrüfe. Bon Corvin und Arnold Sted leiteten das Artilleriefeuer von dem Ddiesjeitigen Ufer

*) Hierzu fchreibt Franz Sigel in feinen Denkwürdigkeiten:

Mieroslamsfi war jeinerfeits in der Naht vom 14. in Mannheim angefommen, leitete die Vertheidigung der Stadt am nädjften Tage und jandte durch jeinen Adjutanten Zurkowski BVerftärfungen nad Säferthal, wodurd Oberit Stapferer und ber polnische Oberft:Lieutenant Tobian in den Etand gejegt wurden, mit dem 2. und 3. Bataillon des 4. Regiments, 4 Geſchützen der Batterie Odenwald und 2 Schwadronen bes 2. Dragoner: Regiments das von General Wadıter mit 3 Bataillonen Heflen und Würt- tembergern, 2 Medlenburger Jäger-Stompagnien, 6 Schwadronen Heilen und Medlenburaern und 8 heil. und medl. Geſchützen bereitö genommene Dorf wieder zu nehmen und den Feind bis in den Viernheimer Wald zu verfolgen. Bei diefem Gefechte wurbe der tapfere Oberftlieutenant Tobian ihwer verwundet; eine Stugel traf ihn in den Gaumen.

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aus. Die Nacht vom 15. auf den 16. Juni war jehr bewegt. Ludwigshafen ſtand in Flammen. Die Kugeln der Preußen, die herüber kamen, jchredten mehr, als fie jchadeten. Die Stadt war in Aufregung. Mieroslawski, der Furze Zeit mit jeinem Adjutanten fich in derjelben aufhielt, verlette durch jein brüstes Benehmen. Die Kanonade dauerte noch einige Tage fort, bis am 20. Juni die Preußen von Ludwigshafen ab und die Bayern einrüdten.*)

An diefem Tage traf jogar noch Belagerungsgeihüs von Karlöruhe ein. Der Gemeinderath jendete ſofort eine Depu- tation, beftehend aus den Gemeinderäthen Glimpf und Löwen haupt, nad) Karlsruhe, um bei der provijoriichen Regierung Schritte zu thun, daß feine Kriegsmaßregeln ausgeführt würden, welche den Ruin der Stadt zur Folge hätten. Die Stimmung der Stadt wurde immer unbeimlicher. Der Bürgerwehrcom- mandant Oſterhaus danfte ab und übergab das Commando dem Bürgerwehrmajor Engelhorn.

Die Preußen waren bei Philippsburg über den Rhein gegangen und hatten das Treffen bei Waghäuſel geichlagen (21. Juni); die Nedarlinie wurde von der Reichsarmee durch— brochen und eingenommen. Am 22. Juni vollzog ſich in Folge deijen eine Gegenbewegung in Mannheim. Es ijt in den Raths- protofollen der Stadt eine officielle Beichreibung diefer Vor—

*) Ueber eine Truppenparade und den Brand von Ludwigshafen (fiche die Abbildungen) fchreibt v. Corvin in feinen Erinnerungen (III. 8d.): „Eines Nachmittags ließ er (Mieroslavsfi) Generalmarih schlagen. Sämmtliche Truppen, die in Mannheim lagen, mußten fih auf dem Ererzier: plag veriammeln, Lintenmilitär, Vollswehr und Bürgerwehr, fogar meine, von ihrem Inftructor geführten Rekruten mußten die Barade mitmachen. Der General ließ einige Evolutionen und beionders Angriffe in der Golonne machen, die beſſer ausfielen, als ich erwartet hatte. Der Brand von Ludwigshafen bot, beionders bei Nacht, ein grauenvoll ſchönes Scaufpiel dar, erhöht durd; die Spiegelung im Rheine." Als Corvin Nachts nad bem Mühlaus:Schlößchen fich begeben follte, dody den Weg nicht wußte, ritt er dahin auf einem ben Stallungen des Sclofjes entführten Pferde der Großherzogin Stephanie, dad den Weg bem Schlößchen der Fürſtin ganz von felbit fand.

Die Jahre 1848 und 1849. 591

gänge zum ewigen Gedächtniß niedergelegt, welche wir in ihrem Wortlaut folgen Lafjen:

Die Ereigniffe des 22. Juni 1849 in Mannheim, an welchem Tage die Stadt an die kgl. Preußiichen Truppen iüber- geben wurde, Lajjen fich furz in Folgendem zujammenfafjen:

Das für die badiichen Injurgenten unglücklich ausgegangene Gefecht bei Waghäufel Hatte denjenigen Bürgern, welche der Mairevolution nicht zugethan waren, die Hoffnung eingeflößt, daß wir nun bald von der auf ung drüdenden Lajt eines un— gejeglichen Zuftandes befreit werden würden. .

)

Freiſchärler.

Als man daher wahrgenommen Hatte, daß General Mieroslawsti ſich veranlaft gejehen, mit dem größten Theil jeine® Heeres Heidelberg zu verlaffen, und fich gegen Bruchjal zurüdzuziehen, jo wurde bei vielen Bürgern der Gedanfe er: wedt, daß es jebt an der Zeit fein dürfte, durch eine Gegen-

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revolution die gejeßliche Ordnung wieder herzuitellen. Bei diefer Stimmung der Gemüther geihah es, daß ſich am Frei— tag den 22. Juni Vormittags eine Kleine Anzahl Bürger auf dem Rathhauſe verfammelte, um mit den gerade dort befind- (ihen Mitgliedern des Gemeinderaths zu berathen, ob es nicht thunlich wäre, die Stadt an die Breußiichen Truppen zu über- geben, welche die zunächit liegenden Dörfer Käferthal und Feudenheim beſetzt hielten. Es wurde jedoch bei diejer Unter— redung nichts Bejtimmtes ausgemadjt, jondern beſchloſſen, daß man ſich an demjelben Nachmittage mit Dinzuziehung des Ge- meinderath3 und Heinen Ausichufjfes wieder dajelbit verjammeln wollte.

Am Nachmittag, es mochte ungefähr 3 Uhr jein, als ſchon mehrere Mitglieder des Gemeinderaths und Kleinen Ausſchuſſes mit andern Mitgliedern auf dem Nathhauje verfammelt waren, erichien. Kreiskaſſier Tarujello und erklärte, daß er eben einen von dem Civilkommiſſär Trützſchler ausgejtellten jchriftlichen Befehl erhalten habe, die Kreisfaffe an den Notar Oswald auszuliefern, daß er jedoch die Auslieferung derjelben entſchie— den verweigert habe, und den Gemeinderath erjuche, ihm in Ausübung jeiner Amtspflicht den nöthigen Schuß zu verleihen. Herr Taruſello ichwebte in Lebensgefahr. Der Notar Oswald hatte ihm bei Verweigerung der Kaffe mit Erſchießen gedroht und auch wirklich der ihn begleitenden Freiſchaaren-Wache ihre Gewehre zu laden befohlen. Oberſt Engelhorn der hinzuge- fommen war, und troß der augenjcheinlichen Gefahr, die aus dem Widerftand entipringen fonnte, den Sreisfajfier in ber Meinung bejtärkt hatte, die Kaffe zu verweigern, forderte dieſen auf, jich auf das Rathhaus zu begeben, und von dem Gemeinde- rathe Schuß zu verlangen. Tarujello jagte ferner aus, daß ſowohl Zrüßjchler, als auch der Stadtlommandant Oberſt Meriy mit mehreren anderen Offizieren nach Heidelberg zu fliehen im Begriffe jeien, und bie Abjicht hätten, die Kreisfaffe mitzunehmen. Es wurde diejes auch von Bürgern, die ine zwiichen herbeigeeilt waren, bejtätigt, da fie gejehen hatten, wie die im Schloßhofe aufgejtellten Reiſewagen in aller Eile

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Bernhardushof Erbaut von Rudolf Tilleifen (Mannheim).

Die Jahre 1848 und 1849. 583

bepackt wurden. Die Gemeindebehörde war ſogleich der An— ſicht, daß die Hinwegnahme der Kreiskaſſe durch die revolutio— nären Fremdlinge, die ſich damit flüchtig machen wollten, ver— hindert werden müßte, und beſchloß ſofort die Schloßwache durch Bürgerwehr zu verſtärken.

Nachdem die dazu nöthigen Befehle von dem Oberſten Engelhorn gegeben waren, und derſelbe an die Schloßwache zu gehen im Begriffe war, wurde er davon in Kenntniß geſetzt, daß die Dragoner zu den Bürgern übergegangen ſeien. Auf dieſe zwar nicht unerwartete, aber zu rechter Zeit eingelaufene Nachricht ließ Oberſt Engelhorn dem Dragoner-Commandeur Thomann ſogleich den Befehl zugehen, die Kreiskaſſe, die Eiſen— bahn und die Stadtausgänge zu beſetzen, und Patrouillen um die Stadt herum zu ſchicken.

Major Thomann ſtellte ſich bald darauf zur Verfügung des Gemeinderaths. Es befanden fi) nämlich hier drei Schwa- dronen Dragoner, die vom Oberfommando den Befehl erhalten hatten, um 2 Uhr Nachmittags abzumarjchiren, und zum Haupt- Corps zu ftoßen; allein diefe Truppen, welche der Revolution ſchon nicht mehr zugeneigt waren, weigerten ich, dem Befehl zu folgen und blieben am Schluſſe aufgejtellt.

Bon verichiedenen Seiten war auf fie eingewirft worden. Mehrere hiefige Einwohner hatten jchon Vormittags den Ver— juch gemacht, die Dragoner zu bewegen, zum Behufe einer Gegenrevolution gemeinjchaftlihe Sache mit den Bürgern zu machen; fie wurden dadurch jchwanfend gemacht, jedoch erit als fie vernahmen, daß die Kreiskaſſe geraubt werden jollte, ent: ichloffen fie fich, zu den Bürgern überzugehen. Damit war der Anfang zur Gegenrevolution gemacht, und es bedurfte von nun an ganz energiicher Maßregeln, um diejelbe durchzuführen, da noch jehr viel zu thun übrig war.

Oberſt Engelhorn, der ſich nad) dem Zeugniffe aller, Die ihn gejehen, an diefem Tage mit großer Energie benahm, gab gleich darauf den Befehl, die Kanonen vom Rhein und dem Nedar abzuführen und herein ins Zeughaus zu bringen; da er jedoch wohl wußte, dab die Kanoniere diejem Befehl nicht

Defer, Geſchichte der Stadt Mannheim. 38

594 Die Jahre 1848 und 1849,

gehorchen würden, und an dem Vollzuge desjelben alles gelegen war, jo erlaubte er fich dabet eine Lift. Es waren von Seiten der Commandantichaft ſchon Morgens die Pferde requirirt wor— den, und dieſe ftanden nun bereit, die Kanonen nach Heidel- berg zu führen. Er ließ daher den Kanonieren jagen, daß fie jetzt abmarjchiren jollten, und den Fuhrleuten befahl er, anitatt nach Heidelberg, die Kanonen bier in den Schloßhof zu führen, wo fie von den Dragonern bewacht wurden. Dieje Lift gelang durch die Unterjtügung der Dragoner, und damit war nahezu die Sache gewonnen. Bis dahin jchwebte die größte Gefahr über den Häuptern der Bürger, welche ich bei diejer Bewegung bejonders betheiligt hatten, denn die Kanonen fuhren geladen durch die Stadt, und ein einziger Schuß, abgefeuert von der der Revolution noch ganz ergebenen Mannjchaft war vielleicht das Beichen zu einer blutigen Kataſtrophe.

Die Pionier» Kompagnie wurde vom Rhein in die Stadt berufen, und die Vorpojten von Jenſeits des Nedars zurüd- gezogen, welche theils aus Leuten des eriten Aufgebot, theils aus jolchen der jogenannten deutjch-polnijchen Legion beſtanden. Bier: bis fünfhundert Maun des eriten Aufgebots ftanden noch auf dem Paradeplag. Das Ettenheimer Banner, welches die Schloßmwache noch bejegt hielt, war im Scloffe aufgeftellt.

Beide Corps wurden entwaffnet und nach Hauje geichidt, bis auf einen Theil des leßtgenannten Banners, welcher nad Heidelberg entfam.

Es iſt hieraus erfichtlich, daß ſich noch viele revolutionäre Elemente in der Stadt befanden, die mit einem entjchlofjenen Anführer die Gegenrevolution nerhindert haben würden; allein e3 lag eine ſolche moralifche Kraft in dem Verhalten der ordnungsliebenden Bürger, daß auch die wüthendſten Roth— republifaner nichts dagegen zu unternehmen wagten. Die Be— fehle wurden, wenn aud mit einigem Widerjtreben, vollzogen, und die eriten Aufgebote liegen ſich entwaffnen. Die Nach— richt, dah die Dragoner ſich den Bürgern angeſchloſſen hätten, ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt, und es wurde auf den Straßen außerordentlich lebhaft.

Die Jahre 1848 und 1849. 595

Die Bürgerwehr war auf den Auf des Generalmariches ziemlich zahlreich erichtenen, und man jah auch Bürger, die der Schüßencompagnte angehört hatten, mit Musfeten herbei— eilen, um ſich an der Gegenrevolution zu betheiligen. Dies geihah zwiſchen 3 und 4 Uhr. Für die Schügen war fein Signal gegeben worden, da ſie jchon früher entwaffnet worden waren. Die Bürgerwehr verlief fich wieder; der zweite Generalmarjch gegen 5 Uhr brachte wenig Mannjchaft zuſam— men; aber alsdann verjammelte das Hornfignal die Scharf- ihüsen, und viele Bürger jchlojfen fich ihnen an. Erſtere bejegten das Nathhaus und die Kreiskaſſe.

Die Dragonerabtheilung, welche die Eijenbahn bewachte, hatte dajelbit den Stadtcommandanten Oberſt Meriy und mehrere andere polnische Officiere verhaftet, fie wurden aber auf Verwendung mehrerer Bürger freigegeben und entfamen auf der Eijenbahn nach Heidelberg.*) Der Eijenbahnzug war zwar auf Befehl des eriten Bürgermeifters zurüdgehalten, allein durch Drohung mit Anwendung von Waffengewalt, gelang es endlich den Offizieren, unterftüßt von den oben— genannten Ettenheimern den Voritand zu vermögen, von dieſem Befehle abzugeben.

Civilkommiſſär Trübjchler wurde am neuen Weg von einigen Bürgern angehalten, von den Dragonern arretirt umd blieb verhaftet. Er wollte zu Pferde das Weite juchen

Es war von der Gemeindebehörde verabredet worden, daß Oberbürgermeilter Jolly mit einem Gemeinderathe, Karl Hoff, nad) Ludwigshafen überfahren, den Commandanten dajelbit von dem, was in Mannheim vorging, benachrichtigen, und bayriiche Truppen zur Unterjtügung verlangen jolltee Der Commandant wollte aber ohne Befehl des Übergenerals nicht handeln, und

*) Zu dieſen gehörte auch Otto von Gorvin. Der Mannheimer Karl Blind und Struve waren jchon am 30. März in Folge ihrer Betheiligung an der Revolution im Oberland vom Schwurgericht in Freiburg wegen Hochverraths verurtheilt worden, wurden jedoh im Mai aus dem Gefäng— niß in Bruchial befreit.

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596 Die Jahre 1848 und 1849.

bis die Öenehmigung dazu erfolgt war, waren die Preußen ſchon in die Stadt eingerüdt.

Zu gleicher Zeit war den Major Thomann aufgegeben worden, mit einem Trompeter über den Nedar zu reiten, und mit den Preußen wegen der Uebergabe der Stadt zu unter handeln. Kaufmann Wilhelm Reinhard jun. wollte ihn zu Pferde hinüberbegleiten, allein die an der Brüde aufgeitellte Bürgerwache wollte durchaus nicht dulden, daß der Lebtere mit hinüber ging. Major Thomann, ein erwählter Officier und früherer Oberwachtmeifter, getraute ſich nicht allein in das preußiiche Lager zu gehen, und jo begleiteten ihn denn zwei Gcmeinderäthe Bender und 9. Knippenberg nad Käferthal, zu dem dajelbit commandirenden Major. Dieſer war nad) ge: pflogener Unterredung mit den Abgeſandten bereit, ſogleich nah Mannheim einzumarichiren. Zwei Schwadronen rother Huſaren waren jchon voraus, und das Infanteriebataillon war bereits in Marſch gejegt, als plöglich durch einen Officier die Ordre gegeben wurde, die Truppen in das Standquartier zu: rüdfehren zu lajfen. Die parlamentirenden Gemeinderäthe waren darüber erjtaunt, und zugleid; beunruhigt, weil ſie bei der in Mannheim noch immer berrichenden Gährung, und in Folge des Ausbleibens der preußtichen Truppen Erceife gegen die ordnungsliebenden Bürger befürdteten. Die Sache Härte jich bald auf. Es war der von Mannheim ausgegebene Befehl, (daß die bei Feudenheim und Ladenburg jtehenden Corps des erjten Aufgebots fich nad) der Stadt begeben und auch die Kanonen mitbringen jollten) den die Barlamentäre jelbit dem Commandanten der Hujaren = Borpoften zur Bejorgung über: geben hatten, von dem in Feudenheim ftationirten Major ge öffnet und ausgelegt worden als beabjichtigte die Mannheimer Einwohnerjchaft, die preußiichen Truppen in eine Falle zu loden. Die Barlamentäre wurden daher unter Eskorde in das Hauptquartier nach Heddesheim geſchickt, wo fie jehr freundlich aufgenommen wurden. Oberſt Graf von Schlieffen ſetzte durch— aus feinen Zweifel in ihre Ausſagen, und ließ ohne Bedenk— lichkeit jeine jämmtlichen Truppen jogleich den Weg nad Mann:

Die Jahre 1846 und 1849. 597

heim antreten, indem er einen Hujaren mit dem Befehle voraus- ſchickte, daß die Käferthaler Beſatzung ſich ohne Verzug eben- falls dahin auf den Weg machen jollte.

Als die Gemeinderathsmitglieder mit dem Major Thomann nach Käferthal zurüdtamen, hörten fie zu ihrer großen Freude, dad die Preußen ſchon in Mannheim eingerüdt jeien; das war nach 9 Uhr. Eine Patrouille von 2 und fpäter eine von 5 Mann rother Hujaren, waren bereit? nad) 6 Uhr in die Stadt und bis ans Schloß Hinaufgeritten, um zu refognosziren, nad) 8 Uhr marſchirte Infanterie ein, und bejegte die Eiſenbahn. Die übrigen Truppen rüdten erjt gegen Mitternacht in Die Stadt ein und bivouacirten bis zum nächjten Morgen in den Planfen. Die Kettenbrüde und die breite Straße waren am Abend erleuchtet worden, und dieſe freudige Stimmung bei dem größten Theile der Bevölkerung bezeugte, daß man mit dem Einzuge zufrieden war. So endigte diejer Tag denk— würdig für diejenigen, welche fich an der Bewegung betheiligt hatten. Glüdlich endigte er für die Stadt, die bei einem feindlichen Angriffe viel zu dulden gehabt haben würde.“

Damit war die Rejtanration eingeleitet.

Der großherzogliche Landescommiſſär v. Reigenjtein erließ unterm 6. Juli eine Verfügung, wodurch gegen jämmtliche Mitglieder des Gemeinderathes und Ausſchuſſes wegen Ber: dachts der Betheiligung an den hochverrätherijchen Unterneh- mungen eine Unterjuchung eingeleitet, und fie ihrer Stellen einjtweilen enthoben wurden.

Stadtdirector Kern, derjelbe, der im April 1848 capitulirt und im Mai 1849 ſich dem Gemeinderathe unterworfen hatte, mußte den Erlaß vom 6. Yuli*) den Betheiligten eröffnen und

+) Mir laffen den Wortlaut des Erlaſſes vom 6. Juli und des Er— Ööffnungsprotocolles vom gleihen Tage als denfwürbiger Urkunden folgen.

„Der Großh. Zandes:Gommifjär für den Unterrheinfreis verordnet:

1) Gegen die beiden Bürgermeifter, die Mitglieder des Gemeinderaths und des feinen Bürgerausſchuſſes, jowie gegen den Rathichreiber ber Stadt⸗ gemeinde Mannheim iſt wegen Verdachts der Betheiligung an den hodhver- rätherifchen Unternehmungen eine Unterfuchung einzuleiten.

598 Die Jahre 1848 ımd 1849.

die neu ernannte Gemeindeverwaltung einiegen. Mochte es nicht ein hartes Geichäft für den bejahrten Mann jein, Jene als Hochverräther zu behandeln und von dem Rathhauje zu verweilen, die mit hingebender Aufopferung die Geichide der Stadt während einer ichweren Zeit geleitet, die Ruhe und Ord- nung aufrecht erhalten; die an Stelle der ohnmächtigen Staat®- gewalt Perſonen und Eigenthum geſchützt; die mit einem Worte: die Bürgerfrone durch Aufopferung, Selbitlojigfeit, Ausdauer und Rückſichtsnahme verdient hatten?

Dem Erlaß des Großh. Landeskommiſſärs für den Unter» ıheinfreis vom 6. ds. zu ‚Folge hat man die Mitglieder des wirklichen Gemeinderats und Heinen Ausſchuſſes, ſowie jene,

2) Der Großh. Amtmann Herterih wird mit Führung diejer Unter: juhung beauftragt. Solche hat ſich vorderhand auf eine kurze Feititellung des Thatbeitandes, ſummariſche Erhebung der Beweismittel und Verneh— mung der Betreffenden zu beichränfen, das Grgebniß der Unterfuchung iſt in thunlichiter Bälde zur weitern Verfügung vorzulegen.

3) Die Gemeindeverwaltung, die Bürgermeiiter, (Gemeinderäthe, Der Nathichreiber und Feine Ausihuß) wird im ihrer gegenwärtigen Zuſammen— jegung ihrer Functionen einjtweilen euthoben.

4) Dem eriten Bürgermeiſter wird die Befugniß eingeräumt, einen proviforiichen Nathichreiber, fowie dasjenige Perfonal anzuftellen, welches zur Durchführung feines Amtes nöthig iſt. Man erwartet von demifelben die Entlafiung des Scribenten Hud).

Die Ernannten erhalten ihre Bezahlung aus Mitteln der Gemeinde, Die Gehalte der Bemeindebeamten find diejelben, wie fie vor dem 13. Mai l. 3. feitgefegt waren. Der Bürgermeifter ift wegen Zahlung der Gehalte und der Stoften, welche die Maßnahmen verurfachen, die nothwendig find zur Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung, nicht an die Juftimmung von Gemeindebehörden gebunden,

5) Der große PVürgerausihuß kann bis auf Weitered ohne Ermächtigung des Großh. Landes-Commiſſär für den Unterrheinkreis zu feinerlei Verfanmmlungen berufen werden,

6) Das Großherzogl. Stadtamt Mannheim ift, mit der Verkündigung und dem Wollzuge beauftragt. Derfelbe ift fofort zu bewirken, und wie geichehen, anzuzeigen. Den bejtellten Gemeindebedienfteten ift zu bedeuten, daß ihnen die Mebernahme des Amtes Kraft der dem linterzeichneten über— tragenen Vollmacht zur Pflicht gemacht wird. Cine Ablehnung ift unzuläffig.

Mannheim, 6. Juli 1849,

gez. v. Reitzenſtein.“ Gr. Stadtdirector tern.

Die Jahre 1848 und 1849. 599

welche provijoriih zu Gemeinderäthen und Ausichußmitgliedern ernannt wurden, auf heute Abend 6 Uhr auf das Gemeinde- haus eingeladen; von dem bisherigen Gemeinderath find er- fchienen: Der 1. Bürgermeifter Jolly, der 2. Bürgermeifter Moll, die Gemeinderäthe: Bender, Hoff, Kley, Anippenberg, Forrer, Eller, Held. Die Gemeinderäthe Clottü und Glimpf find in Gemeindeangelegenheiten abwejend und Gemeinderath Haffner iſt verreift. Die Gemeinderäthe Löwenhaupt und Nüdert aber befinden fich in Unterfuchungshaft. Won dem Heinen Bürgerausſchuß find ſämmtliche erichienen, mit Aus» nahme der abwejenden Sebajtian Jörger, Heinrich Noes, Michael Helwig.

Von den neu ernannten Gemeinderäthen find jämmtliche, bis auf Weinhändler Friedrich Deiterlin und Gemeinderath Glimpf, von dem neu conjtituirten Kleinen Ausſchuß ſämmtliche bis auf Hofichloffermeilter Johann Peter Adam, Mebgermeifter Karl Greihgauer, Kaufmann Meier Nicolai und Bäckermeiſter Schuh erichienen. Man eröffnete denjelben den Erlaß des Gr. Landeskommiſſärs vom 6. Juli, von Nr. 3 bi! zum Schluffe durch wörtliches Vorleſen.

E3 entfernten ſich hierauf jogleich die Gemeinderäthe Hoff, Eller, Bürgermeijter Moll und Ausſchußmann Vogt; Lebterer mit der Erflärung, daß er der Gemeinde lange genug gedient und jomit nichts mehr bier zu thun hätte.

Dagegen erklärten diejenigen, welchen, theil3 ala Gemeinde: räthe, theil® als VBürgerausichußmitglieder, die Gemeindever- waltung provijoriich übertragen worden, daß fie ſich nur dem Drang der Umftände fügen.

Auf Borlejen erklären die Anweſenden, der Gemeinderath Hoff habe bei feinem Abgehen gejagt, er jehe mit Befriedigung auf feine 7Tjährigen Dienjtleiftungen im Gemeinderath zurüd, und empfehle jich, worauf er abgetreten ijt. Gemeinderath Kley erklärte, daß er die ihm zugedacdhte Stelle nicht übernehmen wolle, und nicht fünne, da er glaube, daß jeine Collegen, welche nicht wieder in den Gemeinderath treten, dadurch gefränft jeien, und Bürgermeijter Reiß erklärte, dag er ohne den Eintritt der

600 Die Jahre 1848 und 1849.

Gemeinderätbe Kley und Glimpf das Bürgermeifteramt nicht übernehme; man erwiderte jedoch denjelben unter Hinweijung auf das eröffnete Reſcript des Landeskommiſſärs, daß man feine Einſprache annehmen könne und fie ſich ihres Dienftes ohne Weiteres zu unterziehen hätten.“

Auch die Unterjuchungsgerichte waren längjt in Thätigfeit getreten. In erjter Linie war es Wilhelm Adolf vou Trützſchler aus Gotha, gewejener Appellationsgerichts-Aſſeſſor, welchen man des Hochverraths bezichtigte. Trüßjchler war 31 Jahre alt, Vater von drei unmündigen Finder. Er Hatte die Stelle eines Civilcommiſſärs für Mannheim und die eines interimiftiichen NRegierungsdireftord des Unterrheinfreijes be— fleidet. Seine Vollmachten datirten aud) von der Reichsregent— ihaft in Stuttgart. Als Civilcommiſſär hatte er das 1. Auf- gebot der Bürgerwehr und jpäter das zweite aufzuftellen ge— habt und mußte für deren Bedürfniſſe jorgen. Er hatte jchließ- lid Bertheidigungsanftalten getroffen und Befehl gegeben, die Kreiskaſſe bei dem Rückzuge nad) Heidelberg zu bringen. Außer: dem hatte er den Bolizeicommifjär Hofmann abgejegt, das Scübencorps aufgelöft und die Entlajjung der Mitglieder der Kreisregierung beantragt und erwirkt. Auch Hatte Trübjchler einmal eine Rede Mieroslawskis überjegt und verdeutlicht. Mieroslawsti war am 15. Juni in Mannheim anwejend und- gerirte ſich als unumſchränkter Dietator. Er erklärte, daß ihm alle Mittel der Stadt, Häuſer, Geld, Lebensmittel, ja Menjchen zur freien Verfügung jtänden, und drohte, dag, wenn ihm Hindernifje bereitet würden, er die Stadt in einen Aichenhanfen verwandeln und die Köpfe der Wideripänjtigen, und wären es 10,000, fliegen lajjen werde. Wegen diejer und ähnlicher Handlungen formulirte man gegen v. Trützſchler eine Anklage wegen Hochverraths. Trützſchler räumte alle jene Anklagpuntte ein, und auf den Vorbehalt, da er fi) durch diefe Hand» lungen des Hochverraths jchuldig gemacht Habe, erklärte er: „Das iſt eine Rechtsfrage, die jpäter entichieden werden wird.“

Allerdings war das eine Rechtsfrage und fie wurde

Die Jahre 1848 und 1849. 601

entichieden durch ein militäriiches Gericht, dur) ein Stand- gericht. Ein preußischer Major, ein Hauptmann, ein Ober: fteutenant, ein Secondelieutenant, ein Feldwebel, ein Unter- offizier und ein Wehrmann entjchieden über die Rechtöfrage. Nach einer Verhandlung, die von Morgens 8", Uhr bis 5 Uhr dauerte, und wobei der Angeklagte von Anwalt Küchler in Heidelberg vertheidigt wurde, erließ das Standgeridht am 13. August 1849 ein Urtheil dahin: „es jei Wilhelm Adolf von Trüßichler des Hochverrath3 für jchuldig zu erklären, und deshalb zum Tode durch Erjchießen, zum Erſatze des Scha— dens, joweit er noch nicht geleiftet, und zur Tragung der Unter: juchungstoften zu verurtheilen.* Eine Genehmigung diejes Ur- theil® Seitens einer höheren Behörde war nicht vorbehalten; der Vollzug erfolgte deshalb am 24. Auguſt Morgens 4 Uhr vor dem Stirchhofe jenjeit® des Neckars. Ebenjo lautete das Urtheil gegen Valentin Streuber vom 9. October. Das» jelbe war nicht einftimmig gefällt und bedurfte deshalb der Be- jtätigung des Kriegsminijteriums. Sie wurde ertheilt und das Urtheil am 11. October vollzogen. Gegen Streuber machte man geltend, daß er jeit dem Jahre 1830 der Oppofitionspartei an- gehört habe, daß er die Proletarier Mannheims geleitet, fich bei den Unruhen mit dem Naſſau'ſchen Militär betheiligt habe, Mitglied des Sicherheitsausſchuſſes geweſen jei, bei der Ab- ſetzung der Beamten mitgewirkt und den Gemeinderath terrorifirt habe. Auch habe Streuber als Stellvertreter des Eivilcommiffär Trügjchler functionirt, und noch in den legten Tagen ver- ihiedene Anordnungen zur Vertheidigung getroffen. Streuber war gleichfalls von Anwalt Küchler in Heidelberg vertheidigt. Umfonft war es, daß Streuber ſich darauf berief, wie er immer nur das Beſte feiner Mitbürger gewollt und was er Nützliches gejchaffen habe; umjonjt berief er fich wohl aud auf eine vorliegende Urkunde, nad) welcher er bereit3 am 22. Mat jeine Demijfion als Mitglied des Sicherheitsaus- ichuffes gegeben und eine nochmalige jpätere Ernennung abgelehnt hatte, umjonjt waren alle Worte des VBertheidigers ; mit 4 gegen 2 Stimmen wurde dad Todesurtheil gefällt.

602 Die Jahre 1848 und 1849.

Dieje traurigiten aller Broceduren wiederholten ſich gegen Carl Höfer von Bremen, den Soldaten Beter Laher aus Brudjal, Heinrih Diet aus Schneeberg; andere wurden zum Zuchthauſe verurtheilt, oder zur jolchem begnadigt.

Die Gegenfäge jener Zeit waren furchtbar.

Es famen die Zeiten der Denunciationen und der Anklagen. Die Gefängniſſe füllten fih an. Auch die Mitglieder des Semeinderath3 hatte man, nachdem die Disciplinarunterfuchung mit ihrer Entlaffung endigte, criminalrechtlich verfolgt. Die Meitgliedichaft in dem Sicherheitsausichufle genügte dazu. Eller, deſſen Haare in dem Unterjuchungsverhaft bleichten, hatte man die Fertigung der Prockzmationen des Gemeinderathes, nament— lich der vom 14. Mai, zur LZaft gelegt.

Viele hatten der Heimat den Nücden zugewendet, um anderwärts einen freien Ruhepunkt zu finden.

Ein düfterer Himmel breitete fich über Baden und Deutfch- land aus. Es kamen die Tage von Bronzell und Olmütz. Die bundestägliche Wirthichaft blühte von Neuem. Und den— noch ftand die Entwidlung der Dinge nicht ftill.

Zunächſt war e3 eine öconomiſche Neftauration, Die bewerfjtelligt werden mußte. Die Zeit der Bewegung hatte die Finanzen des Staates, der Gemeinden und der Einzelnen erſchüttert. Es begann eine Zeit der Arbeit und der all» jeitigen Negiamfeit auf dem Gebiete der Privatthätigfeit. Die erlittenen Berlufte mußten ausgeglichen, die verlorene Zeit eingeholt und neue Erwerbsquellen geöffnet werden. Bon dieſem Zeitpunkte datirt ſich die Entwidlung der Industrie in Mannheim und das raſche Aufblühen des Handels.

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IV. Abtheilung:

Mannheim unter Badens Fürsten und die moderne Entwicklung der Stadt.

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XXX.

Die Badischen Sürften vom Ueber: gange Mannheims an Baden bis zur Gegenwart.

Napoleon I. und die Refidenzfrage Kurfürſt Karl Friedrih in Mann: heim Die vorherigen wechjelvollen Kriegsereigniſſe Der Streit um die Sammlungen Großherzog Karl Prinz Wilhelm (nahmals Staifer Wilhelm I.) in Mannheim und der Nheinübergang 1814 Großherzog Ludwig Erbfolge in Baden Großherzog Leopold Prinz Friedrid) wird Negent Vermählung des Großherzogs Friedricd mit der Prinzefin Luiſe von Preußen 1856 Einzug in Mannheim Auguft Lamey Ehren— bürger Mannheims Der Strieg 1870/71 Strantenpflege in Mannheim Dr. Billroth Gefallene Helden Einzug ber Sieger Kaiſerdenkmal und Kriegerdenkmal Das Jubiläum der 5ujährigen Regierung des Groß: herzogs Friedrich.

Mopoleon I. hatte am 5. Juni 1803 dem badiſchen Ge— jandten von Dalberg gegenüber die Stadt Mannheim als eine der jchönften Städte Deutjchlands erflärt und jeine Meinung dahin ausgejprochen, daß der neue Landesherr der recht3- rheinijchen Pfalz, Kurfürſt Karl Friedrich, dieſe Stadt zu ſeiner Refidenz machen werde. Napoleon war die Bedeutung diejer Stadt, ihrer Kunft und Wiſſenſchaft, ihrer jozialen Einrich- tungen und ihrer früheren Hofhaltung nicht entgangen.

Aber jein Gedanfe, Mannheim zur Refidenz Badens zu machen, konnte jich nicht verwirklichen. Die badijchen Fürjten hielten und dies fann ihnen nicht verdacht werden treu

606 Die Badiſchen Fürſten.

an der Hauptſtadt ihres Stammlandes feſt. Sie wollten ſich doch nicht ohne weiteres in eine Sphäre verſetzen, die erſt langſam mit der ihres bisherigen heimatlichen Kreiſes in Ein— klang zu bringen war. Lange währte noch der Gegenſatz zwiſchen Pfälzerthum und Badener Art fort bis die Begrün— dung des Deutſchen Reiches, zu der Badens Herrſcher haupt— ſächlich mit beitrug, neue Einheit ſchuf.

Karlsruhe blieb die Reſidenz der badiſchen Fürſten, aber Mannheim erfreute ſich nichtsdeſtoweniger der Liebe und Huld dieſes Herrſcherhauſes.

Vom 2. bis 7. Juni 1803 fanden in der Stadt Mann— heim die erjten, jeinem neuen Fürſtenhauſe gewidmeten Hul— digungsfeierlichkeiten jtatt. Am 2. Juni nachmittags gegen 4 Uhr wurde Kurfürjt Karl Friedrich am Heidelberger Thor von Stabtdireftor Rupprecht mit einer Anſprache begrüßt. Der Fürſt hielt dann, begleitet von der ihm entgegengefommenen bürgerlihen Cavallerie, jeinen Einzug durch die Stadt bis zum Schloß und wurde von der Bevölferung Mannheims auf's Herzlichite aufgenommen. Am zweiten Tag war Seit: vorjtellung im Nationaltheater mit einem von rau Ritter (geb. Baumann) gejprochenen Prolog von G. Römer und mit einer Aufführung der glanzvoll ausgeitatteten Oper „Palmira“ von Salieri. Der dritte Tag des Feſtes (4. Juni) ließ Die Jugend ihre Huldigung darbringen; die neue Generation hul— digte dem neuen Herricher. Am vierten Tag der Feier, einem Sonntag, wurde feierlicher Gottesdienjt unter Anmwejenheit des Kurfürjten in der ZTrinitatisficche abgehalten. Eine Kantate von Sapellmeijter Ritter (Dichtung von G. Römer) gelangte zum Vortrag und Pfarrer Leibnig hielt die Predigt über Pſalm 118 Vers 24, der lautet: „Diejen Tag hat uns ber Herr gemacht, laſſet uns freuen und fröhlih an demjelben jein.“

Tags darauf huldigten die herbeigefommenen Heidelberger und Bruchjaler Bürgertruppen dem Kurfürjten. Abends war Feſtconcert in dem glänzend erleuchteten Ritterjaal des Schlofjes. Ihren Gipfel erreichte die ‚Feier am 7. Juni. An diejem lebten

Die Badiichen Fürften. 607

Tage der eier wurde der offizielle Duldigungsaft vollzogen mit den Neden des Staatsminiiter8 von Edelsheim, des Hof: rathepräfidenten von Hövel und des Stadtdirectors Rupprecht bei Anmwejenheit der jtädtiichen Deputirten. Nach dem Gottes» dienit in der Schloßfapelle folgte die Parade der Bürgerwehr und des Militärs. Am Abend fand die Feſtzeit mit einer glänzenden Sllumination ihren Abſchluß. Zum Gedächtniß des eine neue Geichichtsperiode Mannheims einleitenden Tages lieh man eine Denkmünze von dem Münzgravenr Bolthauien in Gold und Silber prägen, die neben der Büſte des Kur— fürjten mit einem Bilde der Stadt und Berjinnbildlichungen des Rheins und Nedars die Umjchrift trägt: Karl Friedrich Kurfürſt. Seinem eriten Negenten aus dem Hauſe Baden huldigt Mannheim 1803.

Karl Friedrich weilte noch mehrere Wochen in der Stadt Mannheim und begab ſich erit am 27. Juni von hier aus nach Heidelberg, um dort neue Huldigungen entgegenzunehmen.

Es war ein beſonderes Glüd, dat das badiiche Fürſten— haus mit einem feiner beiten Häupter jeine Regentſchaft in den neugewonnenen Lande begann. Ein jo vortrefflicher Fürſt wie Karl Friedrich konnte fich rajch die Herzen der Bevölferung der Stadt Mannheim gewinnen bejonders als man jeine aufrichtigen Bemühungen ſah, die Berlufte, die die Stadt Mannheim durch Krieg und den Wegzug des Furpfälziichen Hofes erlitten hatte, einigermaßen auszugleichen. Sein erites Merk war ein Werk des Friedens. Er machte es möglich, daß die noch von Karl Theodor angeordnete Schleifung der Feſtung Mannheim vollendet werden fonnte.

Am 1. Suli 1799 war 4 Monate nad) dem Tode Karl Theodors deſſen Beſtimmung zur Schleifung der Feſtung der Bevölkerung Mannheims befannt gegeben worden. Jubelnd machte fich die wie von einem jchweren Drud befreite Bevöl— ferung an die Zertrümmerung der Feſtungswerke. Die zu den Arbeiten herbeiitrömenden Freiwilligen jangen das für fie ges dichtete Lied, in dem es z. B., der Leiden der Feſtung ges denfend, heit:

608 Die Badiihen Füriten.

Länger jollen diefe Wälle Diefe Mauern niht mehr ſtehen; Durch fie nie mehr unjerer Entel Lebensfreuden untergehen.

Allein dieſe Zeritörungsarbeiten waren bald in’s Stodeu gerathen. Zeit und Geld fehlte, fie fortzujegen. Da war es denn Karl Friedrich, der durch die Spende von 90,000 fl. im März 1803 die volljtändige Niederlegung der Befeſtigungs— werfe ermöglichte.

Im Sommer 1799 hatten die Franzoſen noch eine Feld— befeitigung bei Nedarau angelegt, um die Deiterreicher von Mannheim abzuhalten; allein Erzherzog Karl griff am 18. September diefe Schanze der Franzoſen an und es gelang ihm, die Stadt einzunehmen‘) Doch wichen die Dejterreicher bald wieder aus Mannheim. Bereit3? am 20. Oktober jah man die Franzoſen unter General Ney in diefer Stadt. Nach ihrem Abzug fam am 13. Dezember ein pfälziiches Regiment nach Mannheim. Nach nochmaliger Einnahme der Rheinichanze durch die Franzoſen am 14. Mat 1800 unter General Thüring nahmen die franzöitiichen Truppen einen dreitägigen Aufenthalt in Mannheim. Während des am 18. Juli geichloffenen Waffen- jtillftands weilten in der Stadt nacheinander eine polniiche Legion und ein jehweizeriiches Halbbataillon bis October 1800. Dann wurde die Stadt nochmals durch franzöſiſche Soldaten bejegt, die General Suzanne befehligte, umd die erſt im Mai 1801, nachdem am 13. Februar der Friede zu Lunevill abge- jchloffen war, wegzogen. Kurz vorher am 3. Mai hatte der General en chef Moreau in Begleitung jeiner Gemahlin Mannheim bejuht. Seine Landsleute empfingen die Gäſte feierlichit und es wurde ihnen zu Ehren eine Feſtvorſtellung im Theater bei glänzend befeuchtetem Haufe veranftaltet. Das waren die wecjjelvollen Erlebnijfe, die der Stadt Mannheim während diejer Uebergangszeit zu theil wurden.

Befreit athmete die Stadt auf, als am 13. Juli 1801 endlich wieder eine pfälzische Truppenabtheilung unter Divifionse

*) Siehe die Abbildung zwiichen Seite 306/307,

Großherzog Karl Friedrich.

Die Badifhen Fürften. 609

general von Yenburg einzog. Yſenburg ſprach der Bürger: jchaft jeinen Danf aus für „das unter Aufjicht und Leitung eines wohllöblidhen Stadtraths jowohl während der Anwejen- heit der Franzoſen mitten im Drange der Umſtände ebenjo ruhige, duldſame und gelafjene Benehmen, als aud über ben auf Wachten und Poſten zur allgemeinen Sicherheit nicht aus Zwang und Dienftobliegenheit, jondern vielmehr aus Vater: landsliebe und ganz bejonderer Neigung zur allgemeinen Wohl- fahrt bethätigten Eifer.“

Als im April 1802 Karl Friedrich als Markgraf von Baden Mannheim vorübergehend bejuchte, da gab man fi) über das weitere Schidjal Mannheims allerhand Ver— muthungen hin. Doch erit im Auguft wurde offiziell befannt gemacht, daß die Oberämter Ladenburg, Bretten, Heidelberg mit den Städten Heidelberg und Mannheim dem Markgrafen von Baden zugejprocen jeien. Am 21. September erichienen die badijchen Kommifjäre von Wöllwarthd und Gaum in Mann— beim, um die Uebergabe der Stadt einzuleiten. Die militärtjche Beligergreifung vollzog ein badiiches Bataillon unter Oberit- leutnant von Ed am 23. September 1802; die Beliger- greifung durch die Civilbehörden geihah am 23. November desjelben Jahres. Baden wurde 1803 Kurfürjtnethum.

Am 2. Juni 1803 erfolgte dann die ſchon für Januar diejes Jahres geplant gewejene, oben bereits bejchriebene Hul- Digungsfeier, zu der mit dem Kurfürſten auch die Erbprinzejfin, die Gräfin Hochberg und deren Tochter nad) Mannheim famen.

Doch nicht ganz ohne Conflict mit dem bisherigen fürjt- lichen Oberhaupt Mannheims und der rechtörheinijchen Pfalz Kurfürft Marimilian Jojeph (aus dem zweibrüdijchen Haufe) jollte die Uebernahme der Stadt fich vollziehen. Bejonders waren e3 die Mannheimer Sammlungen, die den Gegenjtand eines heftigen, nicht ohne gewaltiame Handlungen ablaufenden Streites bildeten. Noch während man über die Rechte an dem Beſitz diejer Sammlungen fi jchriftlid auseinander zu jeßen verjuchte, erjchienen Mitte November in Mannheim die bay- ziihen Kommiffäre Generalleutnant Graf von Rumfort und

Deier, Geichichte ber Stabt Mannheim. 39

610 Die Badiſchen Fürſten.

General Tompſon, die einfach ohne jede Anzeige die Kunſt— gegenſtände im Schloſſe bei Nacht und Nebel in größter Eile und Haſt verpacken ließen. Dies geſchah in der Nacht vom 14. zum 15. November. Die in Mannheim weilenden badiſchen Kommiſſäre Hatten inzwiſchen Auftrag erhalten, gegen die Weg- führung der Sammlungen Proteſt einzulegen und nöthigenfalls mit dem ihnen beigegebenen badiichen Militär den Transport zu verhindern. Für den Fall, da das den bayrijchen Ge— jandten zur Verfügung jtehende Militär die Uebermacht habe, jollten ji die Kommiljäre mit den badiichen Soldaten bis nad) Ladenburg zurüdziehen und dort auf Berjtärfungen von Karlsruhe und Bruchjal warten. Am 15. Morgens ſahen die bayriihen Kommiſſäre die Thüre der Schlofräume, in denen jich die verpadten Kunſtgegenſtände befanden, verfiegelt und.badiiche Soldaten als Wache davor jtehen. Mar Joſeph fündigte daraufhin den Einmarſch bayriicher Truppen in die Pfalz; an Krieg wurde angedroht, ein Krieg um die Kunit. Dazu wollte es Karl Friedrich nicht kommen laſſen es waren der Sriegswirren genug. Er entichuldigte die Vor— fommnifje in der Nacht vom 14, zum 15. November ala „im Gewirr einer arbeitsvollen Nacht unterloffene Irrung“ und gab auch in den weiteren Berhandlungen um die Bejigrechte

an den Sammlungen, obwohl ſich Napoleon in diejer Sache

für Baden einzutreten geneigt zeigte, zum Kummer des badijchen Gejandten von Reitzenſtein jeine Anfprüche freiwillig auf.

Auch die Mannheimer Akademie hatte gegen die Weg- führung der Sammlungen, bejonders der Bibliothef protejtirt, allein diejes Anftitut beftand nur noch aus wenigen Mitglie- bern, die feine Macht mehr repräjentirten und zu deren Be- joldung dem Kurfüriten von Baden der geringe Fond der Akademie von 140000 Gulden überlafien worden war. Neue Mitglieder waren jchon jeit 1794 nicht mehr ernannt worden und jo erloich das verdienitvolle, formell bereit3 mit ber Münchener Akademie vereinigte Inſtitut mit dem Tode jeiner legten Bertreter.

Auf die vortrefflichen Unternehmungen Karl Friedrichs,

Die Badiſchen Füriten. 611

Erjat für den Verluſt diefer Sammlungen zu jchaffen und Kunſt und Wilfenfchaft zu fördern, fommt noch das folgende Kapitel zurüd. Hier follen hauptiählih nur die politischen Ereigniife zur Sprache gebracht werden. Zu diejen Ereignijien gehört noch die Umwandlung des vergrößerten Kurfürſtenthums in ein Großherzogtum im Jahre 1806. Karl Friedrich war der erjte Großherzog Badens.

Am 26. November 1808 wurde der Enfel Karl Friedrichs, Prinz Karl (Ludwig Friedrich), ein Sohn des 1801 in Schwe- den durch einen Sturz aus dem Wagen verunglüdten Erb: prinzen Karl Ludwig, Mitregent des erkrankten und alters— ihwad) gewordenen Grofherzogs, der am 10, Juli 1811 verjtarb.

Am 29. Juli zog Großherzog Karl in Mannheim ein. Seine Gemahlin, die Großherjogin Stephanie, war jchon am 23. hier eingetroffen. Den Huldigungseid legte Oberbürger- meifter Reinhardt ab, der von der Bürgerichaft durch ein mit den Namen der Bürger unterzeichnetes Schriftjtüd dazu be= vollmächtigt worden war.

Der Feldzug nah Rußland Hatte 1812 begonnen und 8000 Badener waren am 19. Februar diejes Jahres unter Oberſt Brüdner in den verhängnißvollen Krieg gezogen. Erit am 5. Juni 1813 traf die Nachricht von den unglüdlichen Scidjalen der Napoleonischen Heere ein und nur ein Fleines Häuflein der muthig Ausgezogenen fehrte tief gebeugt zurüd. Bald darauf fam es zur Schlacht bei Leipzig, in der jchließ- (ih auc) die badischen Truppen unter Markgraf Marimiltan auf die deutiche Seite übertraten. Am 20. November erfolgte der definitive Anſchluß Badens an die Verbündeten.

Um 31. Dezember 1813 und am 1. Januar 1814 war Mannheim der Schauplag einer wichtigen Truppenbewegung. Am 31. Dezember wurde gegen die in einer Rheinſchanze liegen- den Franzoſen ein jiegreiches Artilleriegefecht unternommen das erite Gejecht, welches Prinz Wilhelm, der nacmalige Kaiſer Wilhelm I., erlebte. Die Franzojen wurden aus der Schanze verdrängt, und am andern Morgen früh gegen 6 Uhr

39*

612 Die Badiſchen Fürften.

Schritt der in umd um Mannheim lagerude linke Flügel der Blücher’ihen Armee, der aus Preußen und Ruſſen beitand und den General von Saden befehligte, über den Rhein. Prinz Wilhelm fuhr nad) kurzer Nachtruhe im „Pfälzer Hof“ in einem Boote über den Rhein. Ein in Mannheim einge: richtetes Lazaretd hatte jhon im Januar über 1500 Kranke und Verwundete aufgenommen.

Zu dem laut Beichluß vom 10. Februar 1814 gebildeten Landſturm jtellte Mannheim zwei Bataillone zur 8. Brigade des Nedarfreijes (unter Kreisdireftor Hinkeldey). Baden ſtellte im Ganzen inclufive der regulären Truppen und Reſerven nicht weniger al3 125000 Dann.

Bom 28. bis 30. Mai Hatten die Rufjen in Mannheim ihr Lager errichtet. Nach ihrem Wegzug mußten die Straßen und Pläbe, die voller Scherben und Ueberbleibjel aller Art lagen, gründlich gejäubert werden. Im Jahre 1815 erfolgten weitere Truppendurchmärſche. Zunächſt zog Prinz Karl von Bayern mit 4000 Mann Infanterie, 2 Cavallerie-Regimentern und zwei Batterien Artillerie durch Mannheim. Um 6. Mai hielt hier Feldmarſchall Fürjt Wrede eine Truppenparade ab. Nacheinander kamen Fürft Schwarzenberg, Generalijfimus der öfterreichiichen Armeen, die Kronprinzgen von Bayern umd Württemberg, Prinz Emil von Heſſen und Erzherzog Karl von Dejterreih duch Mannheim. Am 25. Juni trafen hier ‘der Kaijer von Defterreih und der Kaiſer von Ruflaud zu jammen, weld)’ leßterer am 12. Dftober nochmals jein Haupt quartier hier errichtete. Der Durchmarſch der Ruſſen dauerte vom 25. Juni bis 9. Juli. Dann folgten von September bis Ende des Jahres die Rückmärſche. Endlich zogen badiſche Truppen, die Regimenter Großherzog und von Neuenftein, ferner vier Esfadronen Dragoner des Regiments von Fred: jtädt in Mannheim in Garnifon.

Am 22. Auguſt 1818 verlieh Großherzog Karl dem badijchen Lande eine Verfaſſung. Der Stadtrath von Man: heim überjandte am 19. September 1818 dem Großherzog hierfür eine bejondere Vankadreſſe.

Die Badiichen Fürſten. 613

„Der Schöpfer der Verfaſſung jchreibt v. Feder erlebte deren Einführung nicht. Am 8. Dezember 1818 ſtarb Groß- herzog Karl nad langem Leiden, und Großherzog Ludwig folgte ihm in der Regierung nad). Unterm 12. erfolgte die Veröffentlichung des Regierungsantrittspatentd, nachdem am 10. Dezember die Huldigung durch Oberhofrichter von Drais vorgenommen worden war. Der lebtere hob im feiner Rede an die verjammelten Staatsdiener und Einwohner, als zwei bejondere Verdienite des Großherzogs Karl die hervor, daß er mit Standhaftigfeit die Integrität des badiichen Staates behauptet und ihm eine liberale Verfafjung ertheilt habe. Großherzog Ludwig kam am 18. Februar nach Mannheim und verlebte dort drei feitliche Tage.

Im Sanuar 1819 wurden die erjten Wahlmännerwahlen vorgenommen. Die Stadt war in 8 Wahldiſtrikte eingetheilt. 58 Wahlmänner wurden gewählt. Diejelben gehörten, mit Ausnahme des Hofgerichtsrath Ziegler, ausſchließlich den bürgerlichen Kreifen an. Der letztere, Handelsmann Baſſer— mann und Weinwirth Diffens wurden zu Abgeordneten gewählt.

Damit war der erfte Schritt in das fonjtitutionelle Leben gethan.“

Die Regierung des Großherzogs Ludwig (Wilhelm Auguft), des dritten Sohnes Karl Friedrichs und deffen erjter Gemahlin Karoline Luiſe von Hejjen-Darmftadt, währte bis zum Jahre 1830. Der Großherzog blieb unvermählt. Am 10. Juli 1819 kam e3 zu dem „Territorial-Rezeß* der Kom mijfton zu Franffurt a, M., der über die Thronfolge in Baden entjchied, die Grafichaft Hohen-Geroldsek mit Baden verband, die Integrität Badens unter den Schuß Oeſterreichs, Rußlands und Englands jtellte und die Söhne der Reichsgräfin von Hoch— berg, vorher jFreiin Geyer von Geyeröberg, der zweiten Ge— mahlin Karl Friedrichs, zur Erbfolge berechtigte. Der wichtigjte Akt während der Regierungszeit Ludwigs war die Vollziehung der Kirchenvereinigung der drei protejtantijchen Gemeinden, die von Mannheim aus ſchon im April 1818 von den Pfarrern Katz, Leibnig, Ahles und Karbach, Joſeph und den Vorftehern

614 Die Badiihen Fürſten.

der walloniſchen Gemeinden Bruchle, Verrour und Stroh ar, geregt worden war. Die Union fam am 28. Oftober 1821 zu Stande.

In die Regierungszeit Ludwigs war die Reaktion nad der That Sands gefallen. Mit dem Negierungsantritt des Großherzogs Karl Leopold TFriedrich, des Sohnes Karl Fried— richs und der Neichsgräfin Hocberg, verband das Land die Hoffnung auf Befreiung von dem Drud der Reaktion. Die Regierung diejes Fürſten zeigte ſich auch in der Folge als mild und bürgerfreundlih. Am 1. Mai 1830 hielt Groß— berzog Leopold mit feiner Gemahlin, Sophie Wilhelmine (Tochter des früheren Königs Guftav IV. von Schweden), jeinen feierlichen Einzug in Mannheim. Die Feitlichkeiten währten bis zum 12. Mat und umfaßten Baraden, Feſtvor— jtellungen im Theater, Bälle, eine Rheinfahrt, Illumination, ein nächtliches Bivouaf des Bürgermilitärs auf dem Markt— plat mit Weinipenden u. ſ. w. Auch in den folgenden Jahren feierte man noch die Erinnerung an diejes Feſt.

Das Eingreifen der allgemeinen Zeitereignijfe im das badiiche Land und die Revolution ließen die perjünliche Thättg- feit des Fürſten zurüdtreten.

Die Revolution wurde von der Reaktion abgelöjt. Nach dem Sturm der Jahre 1848/49 Fehrte der Großherzog am 18. Auguſt 1849 von Mainz nach Baden zurüc, bejtrebt, die Verfaſſung wieder herzuftellen.

Zwei Monate vor dem am 24. April 1852 eingetretenen Tod des jchon längere Zeit vorher jchwer leidenden Großherzogs Leopold war der junge Prinz Friedrid am 21. Februar Mit- regent geworden. Er blieb Regent des Landes, da jein älterer Bruder, der Erbgroßherzog Ludwig, in Folge jchwerer Krant- heit die Regierung nicht antreten Fonnte.

In jchwerer Zeit und unter jchweren Scidjalen jeines Haujes übernahm der junge Prinz Friedrich, damals 26 Jahre alt, die Regierung Badens, die zu einer Stufenfolge immer glüdlicherer Entwidelung wurde. Gleich bei jeiner erjten An— wejenheit in Mannheim als Regent am 26. Augujt 1852 traf

Die Badischen Fürften. 615

der Großherzog die Beitimmungen zu einer neuen Pflege ber Kunſt. Wir fommen jpäter noch darauf zurüd.

Der erjte jegensreihe Aft der Regierung des Prinzen friedrih war die Aufhebung des Kriegsrechts und die Wieder- herjtellung der vollen bürgerlichen Berwaltung und Rechts— pflege (Auguſt 1852).

Da der Krankfheitszuftand feines Bruders boffnungslos war, entichloß ſich Prinz Friedrich vor jeiner Verehelichung mit der Prinzejjin Luije von Preußen am 5. September 1856 den Titel des Großherzogs anzunehmen. Die fir das Land Baden zur großer Bedeutung werdende Verbindung der Fürſten— häufer Badens und Preußens fand dann am 20. September 1856 zu Berlin jtatt.

Für Mannheim geftaltete ſich die erjte Anweſenheit des neuvermählten Fürſtenpaares am 26. und 27. September 1856 zu einer glänzenden Feſtzeit.

Am 26. September, 4 Uhr, traf das junge Fürſtenpaar mit dem Dampfer „Hohenzollern“ an der errichteten Empfangs- halle am Landungsplag ein, begrüßt von dem Prinzen Wilhelm von Baden, der von Berlin aus heimlich) vorausgeeilt war, von dem Oberhofrichter Dr. Stabel, von dem erjten Bürger: meilter Diffene und dem Jubel der Bürgerichaft.

Feftliche Fahrt nach dem Schloſſe, Empfang im Ritter- jaal, Feitzug, Tafel bei der Großherzogin Stephanie, Feſtvor— jtellung im Theater (Aufführung von Lorgings „Undine* mit einem Vorjpiel „Die Huldigung des Landes“ von H. von Hillern), eine großartige Illumination, Feuerwerk, dann am andern Tag Morgengruß der Gejangvereine (Vortrag eines von Vincenz Lacher componirten Liedes), Empfang im jog. gelben Saale und Mittags 1 Uhr Fahrt an den Bahnhof unter Begleitung einer Schwadron des hiejigen Dragoner-Regiments, des Stadt- commandanten Generalmajor von Kung, des Führers der Ehren- garde Alerander Bajjermann, des Oberbürgermeijters Diffene, bildeten die Hauptaftıonen des Feſtes. Das Läuten aller Gloden und dad Dröhnen der Kanonenſchüſſe hallten dem jcheidenden Fürjtenpaar nach, das ſich hier alle Herzen gewonnen hatte,

616 Die Badiichen Fürften.

Ein Jahr darauf, am 19. Juli 1857 feierte die Stadt die Ge— burt des Erbprinzen Friedrich Wilhelm Ludwig Auguft, die am 9. Juli erfolgt war. Im Theater wurde „Jeſſonda“ ge geben und ein Feſtprolog von Deetz geiprochen.

Immer jtärfer entfaltete fich die Regierung des jungen Großherzogs Friedrich. Am 7. April 1860 verfündigte eine Proclamation, unterzeichnet vom Großherzog, von Stabel, Ludwig, Nüßlin, Lamey, Vogelmann die Aufhebung des Concor- dats, deren nächjte Folge eine firchlich liberale Gejeßgebung war.

In Mannhein Eangen noc die Stimmungen der Jahre 1848/49 nadı. Das zeigte die Bürgerjchaft mit der Spende von 10000 Thalern an die Schleswig-Botjteiner am 22. Januar 1864, mit der begeifterten Aufnahme polnischer Flüchtlinge, mit dem Intereffe für die Betheiligung Heders und Struves am ameri- faniichen Bürgerkrieg, mit der Wahl des Demokraten Wilhelm Kopfer in den Landtag und der Aktion der demofratiichen Partei 1866.

Der 50. Jahrestag der Schlacht bei Leipzig wurde in Mannheim fejtlich begangen. Vorher im Juni war der Grof- berzog zu dem allgemeinen deutſchen Schützenfeſt, das ebenfalls nationale Gefinnungen zum Ausdrud brachte, nad) Mannheim gefonmen.

In Mannheim fand die Thätigfeit des Miniſteriums Lamey wärmfte Theilnahme. Die Stadt ernannte Lamey am 27. April 1866 zu ihrem Ehrenbürger und der Minifter fiedelte nad) jeinem Rüdtritt in demjelben Jahre nad) Mannheim zu dauern— dem Aufenthalt über. Lamey Hielt hier 1865 am Tage ber Feier des 50jährigen Beftehens der Verfaffung im Theaterjaal die SFeitrede und wurde nach Begründung des deutſchen Neiches von Mannheim in den Reichstag gewählt.

Der Krieg 1866 beichräntte fich in Baden glüdlicherweile auf eine unbedeutende Epijode.

Die Bezahlung der von Baden geforderten Kontribution von 6 Millionen konnte unter Beihilfe des Bankhauſes Selig- mann Ladenburg in Mannheim jchon bis 6. September ge- regelt werden.

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Die Badischen Fürſten. 617

Bald folgte der deutjch-franzöfiiche Krieg, in dem Mann— heim durch feine ſtrategiſch vortreffliche Yage wieder von be- jonderer Bedeutung wurde. Zunächſt war Mannheim Haupt: quartier der III. Armee. Dann famen weitere Truppen hier fortwährend durd. In Mannheim weilte zu diejer Zeit auch der Kronprinz Friedrich, der nachmalige Kaijer Friedrich LII.*) In Schwetzingen ijt an der Stelle, an welcher der Prinz von der Großherzogin Luiſe vor jeinem Auszug in den Krieg Wb- ichied nahm, ein Gedenkſtein errichtet.

Eine Haupthätigkeit bildete in Mannheim die Sranfen- pflege. Hier zeichnete jih Mannheim ganz bejonders aus und die Stadt machte ihren guten Traditionen auf diejem Gebiete alle Ehre. Bortrefflich war auch der Sanitätsdienit am Bahnhof eingerichtet. In den Lazarethen wirfte damals hier Theodor Billrotd, der die in feinen „Ehirnrgiichen Briefen aus den Kriegslazarethen 1870" (Berlin 1872) niedergelegten Be— obachtungen bejonders auch in Mannheim machte. Billroth gibt eine ausführlide Schilderung der Lazarethe in Mann heim. Die Lazarethe für Verwundete waren ein großer Baradenban auf dem Ererzierpla mit 254 Betten, geleitet von Dr. offen aus Würzburg, zu deren Commiſſären Auguft Herrichel und H. Schrader ernannt waren; das Baraden- lazareth in der Seilerbahn mit 180 Betten (Dirigent: Brof. Bergmann von Dorpat, Commiſſäre: W. Ballermann. W. Wunder und H. Röther), das Baradenlazaret) im Schießhaus mit 64 Betten (Leiter: Dr. Frey Mannheim, Aifiitenten: Dr. Anjelmino und Dr. Gerlady), das Eijenbahnlazaretd mit 86 Betten zum Ausruhen von weiter zu transportirenden Verwundeten, das Dffizierslazaretd im Oberndorff'ſchen Hauſe mit 30 Betten (Dirigent: Dr. Stephani, Commiljäre: Graf Gög von Berlichingen und v. St. Georges), Offizierslazareth im Haufe der Domänenverwaltung mit 16 Betten (Commifjäre: Die

*) Der Stronprinz befuchte zu dieſer Zeit auc in Begleitung bes Großherzogs die Deffentlihe Bibliothef im Scloffe, die damals gerade neue Bücherichäge einftellte.

618 Die Badiſchen Trürften.

Bürgermeifter Mol und Löwenhaupt)*); das Baraden- und Beltlazareth der niederländiihen Miſſion der Gejellihaft des rothen Kreuzes auf dem Ererzierplag mit 30 Betten. Für franfe (micht verwundete) Soldaten ftanden zu Verfügung: Das Militärlazareth (Merzte: Dr. Stephani, Dr. Feldbauſch, Dr. Bertheau); 70 Betten im allgemeinen Krankenhaus (Aerzte: Hofrathd Dr. Zeroni und Dr. Stehberger); dag Zeughaus: lazareth für Ruhrkranke, das Lazareth in der Infanteriekaſerne mit 324 Betten und die Siolirbarade für Fleckfieberkranke auf dem Exerzierplatz mit 48 Betten.

„Die Zahl der in Mannheim Verpflegten ſchreibt Billroth in dem genannten Buche betrug ſchon bei meiner Abreiſe am 4. October weit über 2000. Zu dieſen Lazarethen gehörte nun auch noch eine andere Gruppe von Inſtituten, die in einer ſo wichtigen Etappenſtation, wie Mannheim, nicht fehlen durften. Die ankommenden Züge mit Verwundeten mußten empfangen werden; die Hungrigen mußten geſpeiſt, die Durſtigen mußten getränkt werden. Dazu war eine eigene Erfriſchungscommiſſion unter Leitung des Herrn Koch ge— gründet mit regelmäßigem Bahnhofdienſt. Eine ganz außer ordentliche Erleichterung für den weiten Verwundeten- Transport (vom Bahnhof auf den Ererzierplag) war es, daß die hollän- diichen Merzte 12 Näderbahnen mitgebracht hatten und zur Dispofition jtellten, welche nach dem Syſtem Goudin gearbeitet, fi) ganz außerordentlich bewährt haben. Nun konnte 1 Mann einen Schwerverwundeten ind Lazareth bringen, ohne ſich gar zu jeher zu ermüden. Die „Holländerwägelchen“ wurden bald die Freude des Sanitätscorps und der Verwundeten, die ſich auch gern damit jpazteren führen ließen, da fie jo außerordent- lih bequem darın lagen. Wenn man bedenkt, daß der ganze Verkehr von der Armee in der Richtung nad Frankfurt über Mannheim ging, jo wird man bei einem Bli auf bie Eijenbahntarte jehen, dal nad) Sprengung der Eijenbahnbrüde

*) Siehe die Abbildung, rechts in der Thüre ftehend Oberbürger: meiſter Moll,

Die Badiſchen Fürſten. 619

bei Kehl, Mannheim einer der Punkte war, welchen die meiſten Züge zu paſſiren hatten. Die Mannheimer haben ſich in der That ganz außerordentlich viel Mühe gegeben, Alles für die Verwundeten auf's Beſte herzurichten.“

Hofrath Dr. Zeroni inſtruirte hilfsbereite Frauen Mann» heims in der Krankenpflege. Im Bibliothekſaal wurde die An— fertigung der Verbände vorgenommen, in der Schloßkirche war das rieſige Maſſen von Vorräthen bergende Centraldepot, das Friedrich Oeſterlin mit „anerkanntem Talent und ſeltener Aus— dauer“ verwaltete.

In den Lazarethen ſtarben 158 Deutſche und 47 Franzoſen, was in Anbetracht der großen Zahl der Aufgenommenen gewiß nicht viel zu nennen iſt. Den verſtorbenen deutſchen Soldaten wurde ein gemeinſames Grabmal auf dem Friedhof errichtet; die Ruheſtätten der Franzoſen erhielten einfache Denfkſteine. Die Sanitätskolonne Hatte den Transport der Verwundeten und Kranken in die Razarethe zu bewirken. Sie ſtand unter Leitung von Dr. Löwenthal, Karl Reiß und Turnlehrer Brehm. Die legteren beiden zogen auch von hier aus mit Abtheilungen in den Feldzug. Unter Karl Reif begab fich ein Detachement vor Paris, unter Brehm eine Colonne von Jüng— fingen auf die Schladhtfelder von Metz.

Ueber die aufopferungsvolle Thätigkeit der Grofherzogin Luiſe von Baden jchreibt Billroth: „Es würde etwas MWejent- liches an meiner Schilderung des Mannheimer Zazarethlebens fehlen, wenn ich nicht auch der Beſuche Ihrer Königlichen Hoheit der Großherzogin mit Ihrer Kaijerlichen Hoheit ber Prinzeb Wilhelm erwähnte... . Die hohe Frau nahm an allen Einrichtungen der Lazarethe und ihrer Austattung den wejent- lichjten Antheil und übte den jegensreichen Einfluß auf die— jelben, erhielt fich durch regelmäßigen Beſuch der Comite- figungen in Karlsruhe fnrtdauernd au fait über alle ein= ſchlägigen ragen, verfolgte die Bauten der Baraden nad) verichiedenen Syjtemen mit größtem Interefje und war auch in vielen termini technici der Chirurgie jo eingeweiht, daß jie uns oft in Erjtaunen ſetzte. Dieje Bildung des Geiſtes, Die

620 Die Badiihen Fürften.

bei Frauen ja dann erft liebenswürdig ift, wenn fie nicht gezeigt wird, fondern wenn man fie bald zufällig gelegentlich findet, verband ſich bei unferer hohen Protectorin mit einer feinen Bildung des Herzens, die ſich in der wirklich herzigen Urt und Weile ausſprach, wie fie mit den Verwundeten ver: fehrte . .. Es waren die Feſttage unjerer Zazarethe, wenn die Sroßherzogin fam, und die Einmwohnerichaft jeder Barade juchte ihr Haus dazu, jo gut es gehen wollte, mit Blumen und Zweigen zu ſchmücken.“

Billroth war in Mannheim Stellvertreter de3 von der Regierung aufgeitellten GeneralsInipeftors ber Rejerve-Lazarethe in Baden, des „Generalarztes“ Simon in Heidelberg. Er faßte fein Urtheil über jeinen Aufenthalt in Mannheim in den Worten zujammen: „Fir mich wird die in Mannheim verlebte Beit ftet3 eine Quelle der freundlichiten und dankbarſten Er— innerung fein.“

Großen Umfang erreichte auch die in Mannheim bewirkte Einquartierung Ddurchfommender Truppen. In den Jahren 1870 und 1871 waren bier circa 50,000 Dann mit etwa 7000 Pferden vorübergehend untergebradt.

Ein Detachement der in Mannheim garnifonirenden Truppen, die ein Schleppdampfer mit zwei großen Kähnen nah Marau brachte, bejegte die Marauer Brüde. Im die Pfeiler der Rheinbrüde zu Mannheim wurden Sprengminen gelegt und dieje mit eimer eleftriichen Batterie auf der Sternwarte ver- bunden.

In Mannheim Tagen zunäcit der Brigadeftab unter General von Laroche, das 1. und Füſilierbataillon des 2. Infanterie-Regiment? König von Preußen und 4 Eskadrons des Leib-Dragoner-Regimentsd. Nah der Schlacht bei Wörth famen die in Lauda und Königshofen gebildeten Erjatdetache- ments des Infanterie-Regiment3 und des Leib-Dragoner-Regi- ment3 nad) Mannheim.

Bon Mannheimern jtarben im Kriege den Heldentod die Hauptleute Gräff und May bei der Belagerung von Straß. burg am 2. und 12. September, die Seconde-Leutnants Adolf

Die Badiſchen Fürſten. 621

und Hermann Quilling, erſterer bei Brazey am 5. November 1870, leßterer bei Chenebier am 16. Januar 1871, Oberſt Karl von Renz, der Kommandeur des 2. Grenadier-Regiments, Adjutant Wang, Hauptmann Boettlin und Premier-Leutnant Biihoff (Hauptmann Schmidt und Seconde-Leutnant Schmidt wurden jchwer verwundet und jtarben bald darauf) in dem Gefecht bei Nuit3 am 18. Dezember 1870, das zu den ruhm— volliten Heldenthaten deutjcher Krieger zählt. Die ſämmtlichen Namen der vielen dort gefallenen Mannheimer find in den Sodel des im September 1896 enthüllten Sriegerdenfmals zu . ewigem Gedächtniß eingegraben.

Am 6. März wurde der Rückmarſch aus Franfreih ans getreten und am 3. April verkündete der Großherzog bei einer Parade der Divifion in Karlsruhe die am 25. November 1870 mit Preußen vereinbarte Militärkonvention.

Der Einzug der zurüdgefehrten Helden in Mannheim am 6. April 1871 gejhah unter dem Jubel und der Begeifterung der gejanmten Bevölferung. Ganz Mannheim hatte Feſt— ſchmuck angelegt. Am Heidelberger Thor war ein Triumph: bogen erbaut. Dort empfing Oberbürgermeiiter Moll das ein- ziehende Regiment mit einer Anſprache. Auf dem Strohmarft begrüßten Feitjungfrauen, die auf einer dort errichteten Ejtrade placirt waren, die Truppen. Die Soldaten wurden fejtlich be: wirthet und die Rejerviften am folgenden Tage aus dem Dienft entlajjen. Der Tag des Einzugs der Truppen brachte all’ die Aufregungen und den Jubel bei Einlauf der Sieges- nachrichten während des Krieges wieder in lebhafte Erinnerung. Die nun folgende Abrüftung leitete die große, bis zum heutigen Tage währende Zeit des Friedens und der bürgerlichen Arbeit ein.

Die Erinnerung an dieſe große Zeit deutjcher Siege und der erjehnten Begründung des beutichen Neiches wurde in jpäteren Tagen bejonders durch die Errichtung des Kaifer- Wilhelm-Denkmals im Schloßhofe am 14. Oftober 1894 ge- feiert.

Bei dem Entwurfe diejes Werkes jchwebte dem Künjtler

622 Die Badiſchen Fürften.

Guſtav Eberlein eine Symbolifitung des Sieges vor. Sieg ipricht fich auf den energiihen Zügen des Heldenkaiſers aus, und die wilde Bewegtheit feines Roſſes läßt erkennen, daß es aus heißem Kampfe daherfommt. Wie jubelnd ſchwingt der Genius des Sieges, der ih in Fünglingsgeftalt am Poſtamente des Denkmals vor einem wild erregten Löwen erhebt, das Siegesreis, und an den Seiten des Sodelö fieht man die Vor: zeichen und Folgen des Sieges dargeitellt und verjinnbildlicht: Auf der einen Seite die Kaiferproffamation in Verſailles, wo: bei der Großherzog von Baden das erite Hoch auf den deutſchen Kaiſer ausbrachte; auf der andern Seite die Bot- ihaft des Kaiſers an die Mübhjeligen und Beladenen des Volkes, daß ihnen bei Alter und Krankheit Hilfe werde. An der NRücdjeite des Sodels aber deutet eine Schilderung des Rheinübergangs des jungen Prinzen Wilhelm im Jahre 1814 die bejonderen Beziehungen de3 Denkmals auf unjere Stadt an. Der Bildhauer hat die Proportionen aller dieier Theile des Denkmals jehr qut getroffen, das hauptjächlich auf defora- tive Wirkung berechnet erjcheint. Durch die Höhe. und Schmal- heit des Sodels erjcheinen Roß und Reiter in mächtigiter Größe. Der Sodel wurde aus rothem jchwediichem Granit von der Firma Schraep in Roſtock in tadellojer Weile her: geftellt, und der Guß der Figuren und die feine Abtönung der Bronze von der Aktiengejellihaft Schäffer & Walker in Berlin bewirkt. Das Denkmal wurde unter Anweſenheit fait aller Angehörigen des badischen Fürſtenhauſes feierlich ent: hüllt. Es ijt das erſte Reiter-Standbild, welches im badijchen Lande dem deutichen Heldenfaijer errichtet wurde. Für Mann: beim wird es allzeit ein Wahrzeichen begeijterter Vaterlands— liebe jein.

Der Errichtung dieſes Denfmals folgte Ende September 1896 die jchon erwähnte Enthüllung des neuen Kriegerdenk— mal3 vor dem Quadrat E 7. Der Schöpfer des Denkmals, Profeſſor Guſtav Volz, iſt ein Sohn des badiſchen Landes und gehörte ſelbſt zu den Kämpfern des Krieges 1870/71. So mußte denn ſein Werk von der unmittelbarſten lebendigſten

Die Badischen Fürften. 623

Mitempfindung erfüllt jein. Das werthvolle Steinmaterial wurde von Heren Hartmann zum Gejchent gemadt. Der Guß der Figuren übernahm die Kgl. Metallgießerei Hugo Pelargus in Stuttgart.

Die Enthüllung diefes Denkmals bildete zugleich eine feit- liche Nachjeier des 70. Geburtstages des Großherzogs.

Aber einen noch herrlicheren und jelteneren Feſttag jollte Großherzog Friedrich 1902 begehen: den Tag der Vollendung der 5Ojährigen Regierung des Landes, ein Feſt, das jeit Karl Theodors Zeiten nicht wieder gefeiert werden konnte. Auch die Fürjtin des Landes hat nahezu diefe ganze Regierungszeit hin- durch ihrem Gemahl zur Seite gejtanden und dieſe Regierung glücklich und jegensvoll mitgeftalten helfen. Das fünftägige Feſt, da3 die Stadt Mannheim im Junt 1902 unter Anwejenheit des Großherzoglichen Hofes feierte, wird noch lange im Gedächtnif; aller Mannheimer bleiben.

Weitere jchöne Feſttage für unjere Stadt bildeten die Feier des 8SOjährigen Geburtstages des gottbegnadeten Landesfürſten im Jahre 1906, jowie die Anwejenheit der Großherzoglichen Herrichaften in Mannheim 1907 (30. Mat bis 6. Juni) während der Feier des Stadtjubiläums. Wenige Monate darauf am Samftag, den 28. September wurde ung Großherzog Friedrich durch den Tod entriifen nach einem Wirfen, das über ein halbes Jahrhundert währte und das jich im die deutjche Ge— Ihichte und im die Herzen der Deutichen wie in Erz einge- graben hat. Treu im Sinne jeines hochedlen Vaters wird Großherzog Friedrich II. an der Seite jeiner hohen Gemahlin, der Großherzogin Hilda, das weithin leuchtende Vermächtniß eines jegensvoll regierten Landes wahren und jein eigener hoher Sinn verbürgt eine edle, freudige Förderung und Weiterbe- (ebung des kulturellen und Fünjtleriichen Lebens Badens.

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XXXI.

Oeffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie.

Neue Inſtitutionen Eröffnung der Dampfſchifffahrt 1827, der Eiſen— bahn 1840 Einweihung des Rheinhafens 1840 Die Hafenanlagen Aufſchwung des Handels und der Induſtrie Die Behörden Handels— inſtitute Vereine und öffentliches Leben. Die Bürgermeiſter Moll und Beck

N. neue Regierung, die 1803 der rechtscheinischen Pfalz zutheil wurde und die ſich Mannheims auf's Freundlichite an- nahm, traf in ihrer eriten Thätigfeit für den neuen Landes— theil auch gleich eine jehr wejentliche Beitimmung für Mann- heim. So wurde 1803 ein Hofgericht in Mannheim errichtet und am 23. Juli 1810 erfolgte die Verlegung des Oberhof: gerichts von Bruchſal nach Mannheim, wojelbjt die erjte Sitzung von Oberhofrichter von Drais eröffnet wırde. Im gleichen Jahr erhielt das Nedarkreisdirectorium feinen Sit in Mann: heim. Das Neligionsedift vom 11. Februar 1803 führte in Mannheim 1805 zur Sperrung des Frauenkloſters, das zuleßt ein weibliches Lehrinjtitut war, deſſen Leiterinnen fich aber den neuen Bejtimmungen nicht fügen wollten.

Um 24. Januar 1807 wurde das 200 jährige Beitehen der Stadt, rejp. der Tag der Berleihung der Privilegien, ge= feiert. Mit fnapper Noth war die Stadt einer nochmaligen Zerſtörung entgangen, und jo fonnte jie diejes Feſt mit Freuden begehen.

Großherzogin Luife von Baden.

Nach einer Aufnahme und mit Genchmigurg des Herrn Bofphotograph Bubert £ill Mannheim.

Deffentlihes Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 625

Die 1810 verhängte Kontinentalfperre betraf einigermaßen aud Mannheim. Auf dem Marktplat wurden englische Waaren verbrannt.

Im Jahre 1816 und 1817 wurde Mannheim durch Hoch— wajferfluthen bedrängt, wie dies jchon im Jahre 1784 der Fall war. In den zwanziger Jahren erregten größere Brände die Bevölkerung, die auf Branditiftung zurüdgeführt wurden.

Nach dem Tode des Großherzogs Karl errichtete die Groß» berzogin im Mannheimer Schloffe ihren Hofhalt, der das ge- jellichaftlihe Leben der immer noch recht verlafjenen Stadt einigermaßen bob. Der Großherzogin zur Frende legte die Stadt 1830 die prächtige „Stephanienpromenade* am Rhein an. Gern weilte die Fürſtin auch auf dem erit neuerdings abge» riſſenen Mühlauſchlößchen.

Die Großherzogin wurde Protektorin des Fräulein-In— ſtituts, das auf ihre Veranlaſſung 1829 von Karlsruhe nach Mannheim verlegt wurde. Die Fürſtin ſtiftete am 7. Juli 1855 auch das Luiſenhaus, eine Waiſenanſtalt und Schule, zum Andenken ihre Tochter Luiſe von Waſa, der Mutter der Königin-Wittwe Carola von Sachſen. Die Großherzogin über— nahm auch das Protektorat über die Marienanſtalt, in der Waiſenkinder aus Mannheim erzogen wurden.

Nachdem man am 7. Oktober 1821 die Kirchenunion in Mannheim gefeiert hatte, legte man bier nicht ganz zwei Jahre darauf am 16. Juni 1823 den Grundſtein zu einem gemein« jamen Schulhaus in R 2.

Im Juli 1827 begann die Einführung der Dampfichiff- fahrt auf dem Rhein. Mit dem Aheindampfer „Ludwig“ wurden die erjten Fahrten unter dem lebhaften Intereſſe der Bevölkerung Mannheims unternommen. Eine für den Handel und die Schifffahrt wichtige Angelegenheit war die Eröffnung eines Freihafens am 1. September 1828.

Wichtig war auch die Anregung, die Mannheim zur Ein- führung einer Eifenbahn in das badiiche Land gab. Bon Mann- heim aus ging der erfte Vorjchlag dazu. Commerzienrath L. Newhouje gab im Mai 1833 eine Schrift heraus, die den Titel

Deier, Geſchichte der Stadt Mannheim. 40

126 Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie.

führte: „Vorichlag zur Heritellung einer Eiſenbahn im Groß— herzogthum Baden von Mannheim bis Bajel und an den Bodenjee, als zweckmäßigſtes Mittel, Landbau, Handel und Gewerbe in größeren Flor zu bringen, den Gütern und Pro— ducten einen beiferen Werth zu verichaffen und jo den National= veichthum zu erhöhen.“ Dieje Schrift wurde ala Petition den Stammern übergeben. 1836 bildete fich in Mannheim ein Comité zur Förderung der Eifenbahniache und ein Jahr darauf ein Comité jpeziell für die Einführung der Main-Nedar-Bahn. Miniſter Blittersdorf entichied gegen das Intereſſe Mannheims in diejer Angelegenheit für eine Abzweigung der Bahn bei ‚sriedrichsfeld. Im Juli 1838 begann der Bau der eriten Bahnitrede in Baden, der Linie Mannheim— Heidelderg und am 12. September 1840 fand die Eröffnung der Bahn ftatt.

Faſt zu gleicher Zeit, am 17. Oftober 1840 erfolgte die feierliche Einweihung des meuen Rheinhafens mit dem Hafen— zollgebäude (jebt Dauptzollamt) in Anweſenheit des Großher— zogs Leopold, der Großherzoglichen Familie. Die Stadt Köln hatte zu dem Feſte eine Deputation unter dem Präfidenten der dortigen Handelskammer Camphauſen geiendet. im neuer Dampfer wurde „Mannheim“ getauft. Die ganze Stadt be- theiligte ich lebhaft an dem Feſte. Der Bau des fir die industrielle Entwidelung Mannheims grundlegenden Hafens war ichon im Sabre 1834 begonnen worden.

Im Sabre 1835 erfuhr das Schulweſen durch Eröffnung einer Sewerbeichule am 16. Auguſt eine bleibende Bereicherung, während das Jahr 1840 die Begründung einer höheren Bürger- ichule mit Sich brachte. 2 Nahre darauf 1842 gründete man bier den Gewerbeverein.

Der Falching der Nahre 1840 und 1841 bradıte das Maskenweſen durch prächtige Feſtzüge (St. Hubertus, Einzug Kaiſers ‚Friedrich IL.) zu neuer Geltung.

Im Jahr 1840 wurde ein neuer großer Friedhof (über dem Neckar) eröffnet, der jeht auch ein Denkmal für Karl Lud— wig Sand erhalten hat und auf dem neuerdings ein Crema— torium errichtet tit-

Deifentlihes Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 27

Mit dem Beginn des Gütertransport3 der Eiſenbahn im Sahre 1844 jteigerte fich der Handel in größerem Maßſtabe. Zahlreiche Handelsfirmen entitanden, jo 3. B. auch die Firma Jacob Hirid und Söhne. Auch) die Schifffahrt erhielt durch die Begründung der Mannheimer Dampfichleppichiiffahrt (Februar 1843), der Nelfon’schen Schiffswerfte und der Einführung der Neckardampfſchifffahrt (April 1843) neue Anregungen. In den Sahren 1850 —52 gelangte die neue Gasbeleuchtung zur Einführung. Auf Oberbirgermeijter Reif folgte 1852— 1861 Oberbürgermeifter Chrijtian Diffene, Weit dem Jahre 1861 war die Einwohnerzahl Mannheims über 27000, womit die höchite Zitfer der Bevölkerungszahl des 18. Jahrhundert wieder erreicht it. Bon da an jchritt die Einwohnerzahl ununter: brochen vorwärts bis zum heutigen Tage, wo fie auf 149000 geitiegen ilt.

Zwei Vereine, deren Wirken für das öffentliche Leben Mannheims, wenn auch auf ganz verjchiedenen Gebieten von Bedeutung wurden, begründete das Jahr 1867: den „Kauf: männtjchen Verein“ (11. Februar) und den „Badische Renn— verein“, welch letterer durch die von ihm eingeführten Mais vennen das Sportäleben Mannheims zu glänzender Entfaltung brachte. Es würde den bier gegebenen Naum weit überichreiten, wollten wir alle Vereine, die ſich im öffentlichen Leben Mann heims verdient machten, bier aufzählen, ja nur einige Wenige fönnen wir bei der gleichlam fteberhaften Wereinsthätigfeit in Mannheim berücjichtigen. Wie viel z. B. geichieht hiernach auf dem Gebiete dev Wohlthätigfeit und der Getelligfeit. Bon jolhe Zwede verfolgenden Veremen wollen wir noch die ſchon 1814 aus dem Caſino und dem Muſeum gebildete Harmonie- gejellihaft und die „Räuberhöhle“ mennen, ſowie als wohl: thätige Beranjtaltung die Gründung der Beitalo;zi- Stiftung am 12. Jammar 1846, dem 100. Geburtstag Beltalozzis.

Em unermüdlicher Vereinsgründer war der Advocat und Journaliſt Gultav v. Steuve. 1845, dem Jahre jeiner lieber: ſiedelung nach Mannheim, jowie 1846 gründete er nicht weniger wie drei Vereine: den Badeverein, den Volfslejeverein und den

40*

628 Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie.

Qurnverein und 1847 den erjten Arbeiterverein unter dem Titel „Verein zur Förderung des Wohles der arbeitenden Klaffen.“ 1847 erfolgte noc, die Gründung des Mannheimer Frauen: verein und einer Handwerkerbank. Des bdeutichfathoftichen Predigers Karl Scholl’3 Gemeinde wurde in Mannheim 1846 nur unter dem Titel „Verein der Anhänger des Leipziger Glaubensbekenntniſſes“ zugelajfen.

Die am 28. Januar 1778 hauptſächlich durh Jacques Drouin in Mannheim gegründete Loge „Karl zur Eintracht“, die mit der von ihr abgezweigten Loge „Karl Stephanie“ durd das furfürjtliche NRejeript vom 16. Februar 1813 aufgehoben wurde, trat am 19. Augujt 1845 unter Mitwirkung von Stadt: director Joſeph Niegel wieder hervor und eutfaltete mit den weiterhin gegründeten zwei Odd-Fellow-Logen, der Auguit Lamey-Loge und der Loge „Wilhelm zur Dankbarkeit“ bis zur Gegenwart neue Thätigfeit. Die erjte Loge in Deutjchland bejtand jchon 1737 in Mannheim.

Bon Wichtigkeit für den Handel Mannheims war die de: gründung einer Börje am 26. Januar 1863.

Der Handel jchwang fich immer lebhafter auf und er heischte neue große Unternehmungen der Stadt.

Mannheim wurde zum erjten Handelsplatz Süddeutid lands und zum Sig einer großen Anzahl wichtiger Induſtrie— zweige.

Seine glückliche Lage an einer großen Waſſerwelt, die ihre Arme bis ans Meer erſtreckt, ließ den Handel hier zu immer größerer Blüthe kommen.

Das großartige, mit Schiffen bedeckte Hafengebiet giebt am beſten Zeugniß von den rieſigen Dimenſionen, die hier ber Handel angenommeu hat. Mannheim beſitzt den größten Binnenhafen Deutjchlands.

Ueber das Mannheimer Hafengebiet mit der Einmündung des Nedars in den Ahein giebt das beigegebene Bild „Manr- heim aus der Vogelperjpective“ eine Ueberficht. Die Beſich— tigung der großartigen, weit ausgedehnten Hafenanlagen, die ca. 278,000 ha Waſſerfläche umfaſſen, beansprucht jchon eine

Deffentliches Leben, Berkehr, Handel und Induſtrie. 629

Dampfihifffahrt von mehreren Stunden und, jofern dieſe Ge- fegenheit nicht geboten, einen tagelangen Spaziergang, um das großartig bewegte Bild eines auf’3 höchite gejteigerten Güter- verfehr3 ganz zu erfajlen.

Mit den Hafenanlagen ift auch der große Centralgüter— bahnhof verbunden mit jeinen Dampfkrahnen und Werfthallen, deſſen Schienenneß fich in die verichiedenjten Theile des Hafen: gebietes eritredt. Zu dem SHafengebiet gehören: Der offene Kheinhafen mit Raianlage, der Mühlauhafen, der obere Hafen- fanal, der alte Zollhafen, der VBerbindungsfanal, der den Ber: fehr zwiichen Rhein und Nedar abfürzt, der bereit3 1816 be- gonnene Nedarhafen, der Binnenhafen, jowie der neue In— duitriehafen, an defjen Ufer das große Eleftrizitätswerf jteht.

Anfangs des Jahres 1895 wurde der Bau des Induſtrie— hafens begonnen, der aus einer Umwandlung des alten Floß— bafens, eines alten Rheinarms, in moderne Hafenanlagen ent- ſtand. Der Hafen liegt zwijchen dem neuen Rhein und dem Nedar und jein Gebiet hat eine Längenausdehnung von über 2 km bei einer Breite von 1 km. Die Wafjerfläche beträgt 682,506 qm. Dieſe gliedert fich in den alten Nedarlauf, den Einfahrtöfanal und den bisherigen Floßhafen. Die Ufer des Induftriehafens haben ſich rajch mit Fabriken bededt und eine neue Welt der Induſtrie eritehen laſſen. 1902 wurden Die Hauptanlagen vollendet. Die Ausführung des Hafens, dieſes gewaltigiten Werkes der Mannheimer Hafenbauten hat Stadt- bauratd M. Eiſenlohr mit vollendeter Meifterichaft der Tief— baufunft bewirkt.

Ein weiteres großes Hafengebiet: Der Rheinauhafen ent: wicelt jih auf der anderen im Oſten liegenden Seite der Stadtgemarfung und der daran grenzenden Gemarkung Rheinau. Zahlreiche Fabriken jind in der Nähe diejes neuen Hafengebietes angelegt worden.

In der vom Verfaſſer diejes Buches im Auftrage des Stadtraths herausgegebenen Publikation „Die Stadt Mann— heim“ heißt es über die Entwidelung der Indujtrie u. A.:

„Rad dem Ergebnifie der Berufszählung vom Juni 1895

530 Oeffentliches Leben, Verkehr, Handel und Juduitrie.

beichäftigt das Handelögewerbe nahezu ', der Gejammtheit aller gewerblich beichäftigten Eimmwohner unjerer Stadt. Kaum ein anderer Bla von der Größe Mannheims wird wohl ein jo vielgejtaltiges Öepräge der einzelmen Zweige der fommerziellen Thätigkeit aufzumweijen haben, wie die oberrheiniihe Dandels- metropole.

Der Menge nah it die Ruhrkohle der hauptjächlichite Dandelsartifel Mannheims.

Während der Ruhrfohlenhandel in Mannheim erjt jeit Einführung der Dampfichiiffahrt bejteht, it der Dandel in Getreide weit älteren Datums. Zunächſt beichränfte er ſich freilich auf den Export der Erzeugniife unjerer engeren Heimath, was jid) aber änderte, als das Bedürfnig zum Bezuge aus: wärtigen Getreides eintrat und fich ftändig vergrößerte. Mann: heim begann darauf der Stavelplab für Siddeutichland und die Schweiz zu werden. Seit Beginn der 1870er Jahre beſteht direkter Berfehr mit allen Getreideproduftiongsländern der Welt, neuerdings namentlich mit Rußland und Rumänien. Am Rhein beanjprucht Mannheim fait die Hälfte des gefammten Getreide: verfehrs und wird im Reiche überhaupt nur von Königsberg, Hamburg und Berlin übertroffen. Es it deshalb nicht zu verwundern, daß gerade hier auch die ausgezeichnetiten und umfafiendjten Einrichtungen zur Lagerung und Behandlung des Getreides (Nagerräume für nahezu 3 Millionen Sad) vorhanden iind.

Ganz erheblich ift ferner der Handel in anderen Landes— produften wie Dopfen, Sämereien und Wein, namentlich ın legterem Artifel it ein von Jahr zu Jahr fteigender Umjat bemerkbar. Er hat naturgemäß vor Allem die Erzeugntiie dei benachbarten Weinbezirfe Pfalz und Rheinheſſen, der hauptiädr lichiten Produftionsgebiete Deutichlands überhaupt, nebenbei auch die jüdeuropätichen (ipanifchen, italienijchen) Verjchnittweine zum Gegenſtand.

Eine große Ausdehnnng hat der Dandel in Deljaaten gewonnen, der vielfach im Zujammenhang mit dem Getreide handel betrieben wird.

Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 631

In Bezug auf den Bertrieb und die Lagerung von Petroleum nimmt Mannheim unter den Binnenhandelsplägen des europäiihen Kontinents den unbeitritten eriten Rang ein. Bon bier aus gingen die eriten Ciſternenwagen für den Bahn transport in die Schweiz, hier wurden die eriten Betroleum«- bailins, auf der hiefigen Werft das erite Tankſchiff für den Rhein erbaut.

Eine in jeder Beziehung hervorragende Rolle jpielt im Handelsverfehr Mannheims der Tabaf, was um jo verſtänd— licher ericheint, wenn bedacht wird, daß die hauptjächlichiten deutichen Produftionsgebiete der genannten Kulturpflanze die badijch-bayriiche Pfalz, Helfen, Eljaß-Lothringen und das nord— weitliche Württemberg find, von welchen aljo Mannheim ziem— li genau den Mittelpunkt bildet. Aber nicht allein für dieje, jondern auch hinſichtlich der ausländiichen Provenienz iſt Mannheim der wichtigite Plab des Feſtlandes, was jchon aus der namhaften Zolleinnahme (1895: 4407165 Mark) hervorgeht. Der Tabakgroßhandel beichäftigt dahier 33 Firmen mit 393 Berfonen und jehr erheblichen Betriebsfapitalien.

Bon Bedeutung ift auch der Holzhandel Mannheims, der jih bier für ganz Süddeutſchland concentrirt.

Dem Fleiſchverkauf Mannheims und jeiner Umgebung, jowie einem von Jahr zu Jahr an Bedeutung gewinnenden Handel in Maſt- und Zuchtvieh, ſowie in Pferden, dient der nad) allen Anforderungen der Neuzeit ausgeitattete, allgemein als muftergültig anerfannte jtäditiche VBiehhof, mit dem zur Zeit eine großartige, mehrere Millionen koſtende Schlachthof: anlage verbunden wird. Die bier ftattfindenden Vieh- und Pferdemärkte, bejonders der jog. Maimarkt erfreuen jich jeit langem ſchon eines wohlbegründeten, weit über die Grenzen unjeres Vaterlandes verbreiteten Rufes.

Es beiteht faſt fein Zweig des Groß- und Stleingewerbes, der nicht jchon heute in unjerer Stadt Vertretung gefunden hätte.

Dbenan fteht für die Stadt Mannheim die Metallverar- beitung, worunter wiederum die Fabritation von Majchinen,

632 Oeffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie.

Armaturen und dergl. hervorragt. Hier nennen wir zunächft eine der bedeutenditen deutjchen Fabriken landwirthichaftlicher Maſchinen und Lofomobilen: die Fabrit von Heinrich Lanz, welche ihren Abnehmerkreis in allen europäiichen Staaten hat und zeitweilig 18002000 Arbeiter beichäftigt, hierzu kommen eine Fabrif von Gas- und Wajferleitungsartifeln, eine Gas— motorenfabrif.

Ein eigenartiges Unternehmen iſt die große Spiegelmanu— faktur auf dem Waldhof, welche im Jahre 1854 von einer franzöfiichen (auch zu Saint Gobain, Chauny und Eirey an jäjligen) Gejellihaft am Ufer des damals dort vorbeifliegenden Rheins gegründet wurde. Diejelbe beichäftigt ca. 600 Arbeiter, welche faſt volljtändig in der trefflich eingerichteten Wohnungs tolonie der Fabrik untergebracht find.

Noch hervorragender iſt im Wirthichaftsgebiete Mann heims die chemijche Induſtrie vertreten. Faſt jede ber dazu gehörigen Betriebsjtätten gewährt hunderten von Arbeitern Be— ihäftigung; darunter die größte Farbenfabrik der Welt, die „Badiiche Anilin- und Sodafabrif* in Ludwigshafen.

In zweiter Reihe verdienten die Etabliffements des „Ber- eins chemiicher Fabriken“ in Wohlgelegen und Neuichloß, jene auf der Aheinau und im Waldhofe und einige Fabriken im engeren Stadtgebiete Mannheims Ervähnung.

Für die Verarbeitung von Gummiharzen bejtehen in Mannheim zwei und in Nedarau ein Betrieb mit zujammen 1000 Arbeitern.

Eine der ältejten und größten Tapetenfabrifen (Engelhard) Deutichlands mit 250 Arbeitern pflegt den Erport ihrer PBro- dukte, von den einfachiten bis zu den feinjten Leder- und Woll- artifeln, nach allen Kulturländern.

Drei umfangreiche Betriebe in Waldhof und Nedarau be» fajfen fih mit der Heritellung von Hanf, Baumwoll- und Drabtjeilen, hauptjählih für den Bedarf der Schifffahrt, Flößerei und majchinellen Betriebe.

Die Holzverarbeitung zählt die bereit3 an anderer Stelle erwähnten drei großen Hobelwerke und die Zellitofffabrif

Deffentliches Leben, Berfehr, Handel und Induſtrie. 633

Waldhof. Diejelbe, der größte eriftierende Betrieb dieſer Art, produziert täglich 2500 Zentner fertigen trodenen Zellitoff,

Die Biererzeugung Mannheims und dejjen Umgebung hat in den legten Dezennien einen geradezu riejenhaften Aufſchwung zu verzeichnen. Sie wird mit geringen Ausnahmen von Aktien— gejellichaften betrieben, weiche über große Stapitalien verfügen und fich allmählich, allerdings in erbittertem Kampfe mit der auswärtigen Konkurrenz, ein immer weiteres Abjabgebiet zu fihern wußten. Die Brauereien in Mannheim produzierten B. 1896 28377000 Liter.

Der aus einer Fuſion mehrerer größerer deuticher Kon» furrenzfirmen entjtandene „Verein deuticher Delfabrifen“ jtellt in 2 hierort3 gelegenen Etablifjements Pflanzenöle für Speije- und gewerbliche Zwecke her; eine Spezialität der biejigen Fabriken bildet das Ricinusöl, das hier allein in Deutichland hergeitellt wird.

Auch eine Eſſig- und 2 Chokoladen-Fabriken befinden jich am Plate, in jeiner Umgebung 3 WRobzuderfabrifen und mehrere Zuderraffinerien, davon eine inmitten der Stadt.

Daß ein jo hervorragender deuticher Tabakhandelsplatz mit einem im Tabakbau jo reichen Hinterlande auch eine jehr erhebliche Cigarren- und Tabaffabrifation bejitt, iſt fajt jelbit- veritändlich; in der That find in Mannheim allein, die aus: wärtigen Filialen als bejondere Betriebe betrachtet, 116 Bes triebe mit rund 5000 Arbeitern, weiche im Ganzen allwöchentlich 10 Millionen Stück Cigarren anfertigen.

Das polygraphiiche Gewerbe iſt in Mannheim jehr ftarf entwidelt. Es bejtehen hier mehrere Buch, Kunſt- und Acci— denzdrucereien größeren und Eleineren Umfangs, die mit den modernften Einrichtungen ausgejtattet find. In deren Verlag ericheinen 6 Tageszeitungen, 2 Wochenblätter, 7 Fachzeitſchriften. Einige derjelben befaifen jich auch mit dem Drud von Verlags— werfen.

Huf dem Gebiete des Handels, Verkehrs und Gewerbes iit, wie jchon gejagt, jeit der Gründung des deutjchen Reiches ein ungeheuerer Aufihwung zu verzeichnen. Schon 1870

634 Deffentliches Leben, Berfehr, Handel und Induſtrie.

wurde die Rheiniſche Ereditbanf und Öypothefenbanf unter der Leitung des Altoberbürgermeifters Reiß gegründet, welche ſich an Stelle des ehemaligen Zweibrüdiichen Palais ein pradır volles Haus erbauten. Edhard, dag befannte Haupt der nationalltberalen Bartei Badens, trat in die Direktion ein, der er jebt ala Bankprältdent vorjieht. Am Jahr 1872 wurde der neue Hauptbahnhof beendet. Am 15. Auguft 1875 murden die großartigen neuen Dafenanlagen auf der Mühlau im Bei— jein des Großherzogs unter großen Feſtlichkeiten eingeweiht. Die Handelsfammer, deren Präſident auch der hochverdiente Friedrich Lauer war, befam eine ſtets wachiende Bedeutung. 1871 wurde Moris Lenel Präfident, Kopfer Vicepräftdent; 1876 wurde Kopfer zum Präfidenten gewählt. Ihm folgte 1879 Ph. Diifene, diefem 1902 PBictor Lenel. Im Jahre 1881 wurde die Fernſprechanlage geichaffen. Die Frieſenheimer Inſel bezog man 1895 in die Stadt Mannheim ein. Das Bedürfj— niß nach Ausdehnung des Stadtgebietes im Norden führte zur Einverleibung des Dorfes Käferthal mit der Fabriktolonie Waldhof, welche an 1. Januar 1897 vollzogen wurde. Im Oſten wurde die Stadt durch Einverleibung des Vororts Nedarau vergrößert.

Die größte Unternehmerin it in diejer Periode die Stadt jelbft. Sie hat durch Anlage von ganzen Straßenſyſtemen Raum für eine Stadterweiterung in allen Richtungen gejchaffen; die Schweginger Vorſtadt, die Nedar-Vorjtadt, der Jungbuſch, das jog. Villenviertel, der Lindenhofitadttheil, der Kaijerring find in diejer Periode ganz oder zum Theil entitanden. Der Unternehmungsgeift Privater, namentlich des Kommerzienraths Engelhorn, der die ehemaligen Baumjchulgärten von der Domänenverwaltung, das Gontard’sche Gut von der evangeliſchen Kollektur kaufte und in Baublöde ummwandelte, griffen fördernd mit ein. Die Stadt nahm am 12. Juli 1873 das Gaswerf in eigene Verwaltung und baute ein neues; fie Ffanalifirte die Nedarvorjtadt 1876 und beendete ein Kanalpumpwerk diesjeit des Nedars in K 9 ım Jahr 18785 fie ſchuf die ſtädtiſche Abfuhranſtalt durch Uebernahme eines Privatunternehmens 1881

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Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 635

und eine jtädtiiche Ferniprechanlage fir den Verkehr der jtädtischen Behörden und Anftalten mit einander im gleichen Jahr. Am 21. April 1888 wurde die von Ingenieur Smrefer entworfene Wafjerleitung in Betrieb gejegt. Im jelben Jahr begründete die Stadt zur Unterhaltung der ftädtiichen Garten» anlagen eine Stadtgärtnerei mit einem Schulgarten.

Im gleichen Jahre wurde ein Kanalpumpwerk zur Ent« wäſſerung der Neckarvorſtadt gejchaffen. 1893 wurde der Kojafen- jtall, ein häßliher Anbau am Schloß, und die benachbarten Remiſen abgebrochen, um eine freie Verbindung der Stadt mit dem Billenviertel an der Bismarditraße und dem Bahnhof her- zuitellen. Eine ganz großartige Unternehmung ift der Sielbau, durch den all die Stadttheile eutwäfjert wurden, welche nicht ihon ein Kanaljyftem hatten. Im Auguft 1894 war der Siel» bau der inneren Stadt beendet. Dieje Anlage führt zu den anderen Anjtalten, welche zur Beilerung der Gejundheitsverhält- niſſe und der Sicherheit wegen errichtet wurden. Am 24. Dezember 1876 wurde die ftädtiiche Waſſerwehr geichaffen und im Mai ein Ortigejundheitsrath eingejett. 1892 baute man zwei Volfs- braujebäder in der Schwetzinger Vorjtadt und den Nedargärten. Am 11. Januar 1892 wurde der großartige Viehhof eröffnet, mit welchem jet auch ein großer Schlahthof verbunden ift. Bejonders rühmlih find die Park- und Gartenanlagen. Zur Beauffihtigung aller diejer Anlagen, wie der Stadtgärtnerei und der landwirthichaftlichen Betriebe der Stadt wurde am 6. Februar 1890 eine ſtädtiſche Kulturkommiſſion eingeſetzt. Nun entitand der Pismardplag mit jeinem Springbrunnen 1890, die Anlage am Waſſerthurm 1892, der Nojengartenparf und der Park im Schnifenlodh, das der Domäne abgefauft wurde, 1894, die Bepflanzung des Paradeplates 1895, endlich) die Anlage des Uebergangs nad) dem Lindenhofjtaditheil und der Luiſenpark.

Bejondere Sorgfalt widmete die Stadt den Schulen. Doch blieb die Erbauung von neuen Schulhäufern fait immer Hinter dem Bedürfniß zurüd. 1873 wurde das Volksſchulhaus in K 2, 6 gebaut, 1874 da3 im neuen Stadttheil über dem

636 Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie.

Nedar 4. Querftraße 4. Am 7. April 1874 ftellte die Stadt einen Rektor an die Spike der gemiichten Volksſchulen. Am 27. Juli 1875 wurde die jtädtiihe Schulkommiſſion gebildet, am 1. Augujt 1876 ein Ortsitatut für das Großherzogliche Injtitut entworfen, da3 am 29. Dezember 1876 unter dem Ehrenproteftorat der Großherzogin in ſtädtiſchen Beſitz über- ging. Dftern 1885 fonnte man das Volksſchulhaus in K 5 beziehen. Seit dem 1. April 1880 find in Baden auch weib- liche Lehrkräfte im Elementarunterricht gejtattet. 1889 wurde das Friedrichsſchulhaus in U 2 beendet, im folgenden Jahre das Luiſenſchulhaus. Am 1. November 1892 erfolgte nach langen Kämpfen die Aufhebung des Volksſchulgeldes. Dafür wurde für Diejenigen Schüler und Schülerinnen, welche eine über das Elementare etwas hinausgehende Schulbildung ge— nießen wollen, eine Bürgerjchule eingerichtet.“

Unterdeflen war vom Realgymnafium eine Realjchule (jebt Dberrealichule) ohne Latein abgezweigt worden und jpäter ent- jtand neben ihr die Reformſchule. 1894 wurde die Hildajchule „über dem Nedar“ und einige Jahre darauf die Mollichule in der Schweginger Vorjtadt eingeweiht. Das Schulwejen feierte das Jubiläumsjahr durch die Einweihung des großen, verjchiedenen Lehrgebieten dienenden Schulbaus der Kurfürft Friedrih-Schule.

Eine Krönung des DVerfehrswejens der Stadt fand 1902 durch Eröffnung der eleftriichen Bahn flatt, eine meifterhafte Anlage Direktor Löwits.

Die Zahl der Einwohner der Stadt Mannheim ftieg in den lebten 50 Jahren von 27000 auf 170000.

Werfen wir noch einen Blid auf die Behörden, die ihre Kraft für das Wohl der Stadt einjegen, jo haben wir etiva folgendes zu verzeichnen.

Als Großh. Landestommijfär folgte an Stelle des im Jahre 1900 verftorbenen Freiherrn Rüdt von Collenberg Ober- regierungsrath Mlerander Pfiſterer. Im gleichen Jahre wurde Geh. Regierungsratd Edmund Lang BVorftand des Bezirks- amtes. Fir Bolizeidirector Schäfer kam Dr. Korn nah Mann

Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induftrie, 637

heim, für Major Grabert an das Diftrift3-ffommando der Gendarmerie Major Faller.

Der Verwaltung des Reiches unterjtehen die Reichspoſt (Director Weiland), da3 Telegraphenamt (Director Bernhard) und die Reichsbank-Hauptſtelle (Geh. Regierungsrath Richter).

Das Oberhaupt der Juftizbehörden in Mannheim ift der Präfident des Landgerichts Guſtav Chriſt, Vorjteher des Finanz— amtes Dr. E. Bernauer.

Die Großh. Etjenbahnverwaltung unterjteht dem Regie— rungsrat Landenberger.

Als Kommandant der Kgl. preußiſchen Garniſon wurbe Dberjt von Winterfeldt nad) Mannheim verjebt.

An der Spite der Stadtverwaltung fteht der Stadtrath, gebildet von Oberbürgermeifter Dtto Bed, den Bürgermeiftern Paul Martin, Robert Ritter und Eduard von Hollander, den Stadträthen Dr. Theodor Alt, Herm. Barber, Ludw. Baro, Ernſt Baljermann, Joſ. Battenftein, Hch. Bausch, Auguſt Denzel, Alfred Duttenhöfer, Con. Fendel, Bernd. Foshag, Franz Frey— tag, Daniel Groß, Kommerzienratd Fri Hirihhorn, Joſef Köhler, Hch. Löwenhaupt, Iſaak Mainzer, Val. Orth, Dr. Sally Stern, Mar Stodheim, Karl Bogel, Anton Bogel- gejang II. Der aus 95 Stadtverordneten bejtehende Bürger— ausichuß hat Fisfalanwalt ©. Selb zum Obmann und Kauf: mann Wild. Fulda zu dejfen Stellvertreter gewählt.

Die Häupter der Kirchengemeinden in Mannheim find: Stadtdefan Joſef Bauer (Erzbiichöfliches Decanat, fath. Stif- tungsrath), Stadtpfarrer Wilhelm Hisig (Evang, Kirchen: gemeinderath), Stadtpfarrer Chriſtian (Altkatholiiche Gemeinde), Prediger Georg Schneider (FFreireligiöje Gemeinde), Dr. M. Stedelmader (Stadtrabbinat), Oberrath Mar Stodheim (Syna- gogenrath).

Den Berfehr mit dem Auslande vermitteln 25 Konjulate.

Bon den zur Förderung von Handel, Gewerbe und Land» wirthichaft gegründeten Injtituten, Vereinen fommen u. U. in Betracht: Die Handelskammer für den Kreis Mannheim: Präfi- dent bis 1903 der in Diejem Jahre verjtorbene Kommerzien«

638 Deffentlihes Leben, Verkehr, Handel und Induftrie,

rath Philipp Diffene, jeitdem Geh. Kommerzienrath Victor Lenel; Secretäre: Dr. D. Emminghaus, Dr. A. Blauftein. Die Börje: Großh. Kommilfäre: Miniſterialrath Pfiſterer, Regierungsrath Lang; Vorſtände: Großkaufmann Emil Hirſch und Kommerzien— rath Wilhelm Zeiler.

Von den Schulen der Stadt Mannheim nennen wir: Großh. Gymnaſium (Director: Hofrath Keller), Großh. Neal» gymnaſium (Director: Wilh. Höhler), Großh. Oberrealſchule (Director: Hermann Roſe), Großh. Inſtitut unter dem Pro— teftorat der Großherzogin Luiſe (Vorſteherin: Frl. Streccius), Städt. höhere Mädchenſchule (Director: nach M. Walleſer Prof. Hammes), Gewerbeſchule (Rector: L. Herth), Ingenieur— ſchule (Direction: Paul Wittſack), die Bürger: und Volks— ſchulen: (Stadtſchulrath Sickinger). Neue Gründungen ſind die Reformſchule, die Handelsfortbildungsſchule und die Handels— hochſchule.

Zahlreich ſind in Mannheim die Bankinſtitute, von denen ſich mehrere in hervorragend ſchönen Gebäuden eingerichtet haben: Die Rheiniſche Creditbank und Hypothekenbank, die Süddeutſche Discontogeſellſchaft, die Badiſche Bank, die Ober— rheiniſche Bank, die Mannheimer Bank, Mannheimer Gewerbe— bank, Pfälziſche Bank, Dresdener Bank, Süddeutſche Bank und mehrere andere Bankfirmen (H. L. Hohenemſer, Wingenroth, Soherr & Co. u. A.).

Wichtige Handelsverfehrsinftitute in Mannheim find: Mann- heimer Dampfichleppichifffahrtsgejellichaft, Mannheimer Lager: hausgejellichaft, Badiiche Aktiengejellichaft für Aheinichifffahrt und Seetransport, Nheinichifffahrtsaftiengejellichaft (vormals Fendel), die Mannheimer Site der Kölniichen und Düffeldorfer, jowie der Niederländischen Dampfichifffahrtsgejellichaften u. a. m. Hierzu kommen verjchiedene VBerficherungsgejellichaften, 3.8. die Mannheimer Verfiherungsgejellichaft, die Eontinentale Verſiche— rungsgeſellſchaft, Badiihe Schifffahrts- und Aifefuranz-Öefeil: ihaft, Badiihe Rück- und Mitverficherungsgeiellichaft, Die Gascoverliherungsgejellichaft „Jus et Justitia“.

Die beruflihen Interejjen vertreten das Arbeiter-Secre-

Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 639

tariat, das Bureau der Fatholifchen Arbeitervereine, der allge- meine Fabrifantenverein, der Gewerbeverein und Handwerfer- verband, Verein badijcher Finanzbeamten, zahlreiche Kaufmän— nijche Vereine (darunter der neu gegründete Verein weiblicher Angeftellten), der Hausbejigerverein und Mietherverein, die Bäder: und FFleifcherinnung u. ſ. w. u. ſ. w. Eine hervorragende Stellung unter diejen Vereinigungen nimmt auch der Land— wirthichaftliche Bezirksverein ein.

Die Aufzählung der vielen Vereine für Gejelligfeit, Sport u. j. w. bier anzugeben, würde zu weit führen, jie alle tragen zu der bewegten, reichen Lebensentfaltung Mannheims das Shrige bei. Neben zahlreichen Unterftüßungsvereinen, Kranken— fafjen (3. B. dem Medicinalverband und dem von Franz Thor- bee gegründeten „Neuen Medicinalverband“) entfalten eine große Zahl von Bereinen für Wohlthätigfeit ihr edles Liebes— werk. Hierzu gehört außer den kirchlichen Vereinen der Frauen- verein, der Verein Knabenhort und Mädchenhort, Verein für Kinderpflege und das zu großer Entfaltung gelangte, unter dem Proteftorat der Großherzogin Luije jtehende Wöchnerinnen-Ajyl (Bräfidentin: Frau Oberbürgermeijter Bed, dirigirender Arzt: Medicinalratd Dr. Mermann).

Die freiwillige Feuerwehr, 1850 gegründet, feierte bereits das Jubiläum ihrer 5Ojährigen, Hilfreihen Thätigkeit (Com- mandant Hauptlehrer Molitor). Es bejteht auch eine Berufs- feuerwehr, von der Stadt eingeführt.

Die politischen Parteien vertreten folgende Bereine: Der Nattonalliberale Verein unter dem Ehrenpräjidium Karl Edhards und unter der Leitung Ernjt Baſſermanns und Rechtsanwalts König. Der Männerverein Centrum (Vorſitzende: Mechaniker König und Amtsgerichtsdirector Gießler). Der Demokratijche Berein (Vorſtand: Stadtverordneten-Vorjtand W. Fulda, Land» tagsabgeordnete Ihrig und Bogel, Vince. Beder u. A), ber freifinnige Verein (Vorſtände: Alfr. Duttenhöfer, Dr. ©. Stern, E. Magenau, Dr. Gerard, Dr. E. Weingart, H. Löwenhaupt u. U.) und der Sozialdemofratijche Verein (Vorſtand: Dr. 2. Frank). Die leßteren Vereine legen eine furze Erwähnung der Wahlen

640 Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Inbuftrie.

zum Reichstag nahe. Abgeordnete für Mannheim waren jeit 1870 Lamey, Kopfer, Philipp Diffene, Ernit Baffermann, Auguſt Dreesbah und Dr. Ludwig Frank.

In den legten 30 Jahren iſt das ſchon in früheren Zeiten in die Geſchicke Deutichlands eingreifende politiiche Leben Mannheims rege geblieben. Auch für andere Reichstagswahl- freife wurden in den lebten Zeiten Berjönlichkeiten aus Mann- heims politijchen Parteien herangezogen, jo war Rechtsanwalt Ernft Bafjermann in Jena gewählt worden, Landgerichtsdirector . Anton Zehnter wurde in Mosbach-Tauberbifchofsheim, Redacteur Emil Eichhorn in Pforzheim gewählt. Bräfident des Reichstags war eine Zeitlang der in Mannheim als Landgerichtsdirector thätig geweſene Freiherr von Buol

Es ift hier nicht der Raum, um auf das politische Partei- leben in Mannheim des Näheren einzugehen, das würde, wie die jpeziellen Stadtangelegenheiten überhaupt, für jedes Jahr die Abfaffung eines ganzen Bandes nöthig machen.

Doc jeien hier einige der thätigiten Mitglieder der ver— jchiedenen Parteien namhaft gemacht. In der nationalliberafen Bartei wirkten in hervorragender Weile der jchon genannte Staatöminifter Auguſt Lamey (geit. 1895), die Verjtorbenen Commerzienrath Jörger und Franz Thorbede; Bankpräfident Karl Eckhard und Stadtrath Ernjt Ballermann, der mit friicher Kraft eine Verjüngung der nationalliberalen Partei anbahnte, jowie die Profefforen Ludwig Mathy, Aug. Behaghel u. A. m.

Die Commerzienräthe Philipp Diffene, Ferdinand Scipio, Karl Reiß und Oberbürgermeiiter Bed wurden vom Großherzog in die erjte Sammer berufen, während Commerzienrath Karl Ladenburg und Gerichtspräftdent Anton Bafjermann, Mitglieder der 2. Kammer waren.

Ferner waren Zandtagsmitglieder die Demokraten 3. P. Eichelsdörfer, Frd. Schneider, Krebs, Kopfer, Eller, Heinrich von Feder, welche fich zugleich als Häupter der Demokratiſchen Partei in Mannheim hervorthaten. Heute find die Führer der Demokratiſchen Bartei Stadtverordneter-Borjtand Wilhelm Fulda, Karl Vogel und 3. Mainzer. Auch der verjtorbene politijche

DOeffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie. 641

Redacteur der Frankfurter Zeitung Dr. Joſef Stern, ‚der Ver faſſer des Buches „Hinter den Gittern“, gehörte eine Zeit lang diefem Kreije an,

In letzter Zeit Hat auch die Gentrummspartei unter der Führung des Amtsgerichtsdirectord und Landtagsabgeordneten Joſef Gießler, des Landgerichtsdirectord Anton Zehnter, des Stadtverordneten-Vorftandes Andr. König u. U. jtärfer entfaltet.

Bon den Führern der neuerdings begründeten Freiſinnigen Partei jeien Hier die Stadträthe Alfred Duttenhöfer und Dr. Stern, jowie der Stadtverordneten-Borjtand Magenau genannt.

Ein ſtarkes Anwachſen hat die jozialdemofratiihe Partei zu verzeichnen. Sie eroberte ſich in den legten Jahren mit Auguſt Dreesbah, Rüdt, Kramer, Geis, Süpkind, Lehmann Landtagsmandate und mit Stadtrat August Dreesbah und Dr. Ludwig Frank aud das Neichstagsmandat.

Die das politiiche und öffentliche Leben Mannheims zum Ausdruck bringenden Zeitungen find: Der Mannheimer General- anzeiger, jo vereinigt mit dem Mannheimer Journal, reſp. der ehemaligen Zeitung des Bürgerhojpitals (Dr. Haas'ſche Druderei), Die Neue Badiiche Landeszeitung, 1871 aus dem Beſitze von Johannes Schneider in den Verlag der Mannheimer Vereins— druderei übergegangen. Das Mannheimer Tageblatt (Mar Hahn & Co), Tas Neue Mannheimer Volksblatt (Berlag Jean Gremm) mit „Stadtbas“ (bis 1907 Red. Heinrich Unger f), Die „Volksſtimme“ (Berlag Mannheimer NAetiendruderei), Die Badifch- Pfälziihe Volkszeitung (Verlag Mannheimer Vereinsdruderei). *)

Weientlihe Stiftungen wurden der Stadt zu Theil. Bon den jog. weltlichen jeien angeführt u. W. diejenigen von David

*) Don Verlagsbuhhandlungen nennen wir die 1888 gegründete Verlagsbuchhandlung 3. Bensheimer, deren langjähriger hervorragender Leiter Albert Bensheimer war, die früheren Verlage von Heinrich Hoff, Friedrich Baſſernann. Die aus bem 18. Jahrhundert ftammende Buch: handlung von Tobias Löffler war früher mit einem berühmten Verlag vers bunden. Weitere Buchhandlungen find diejenigen von Brodhoff und Schwalbe, Julius Hermann, Ernſt Aletter, Nemnich, Bender, Schneider u. a.

Defer, Geſchichte ber Etabt Mannheim. al

642 Deffentliches Leben, Verkehr, Handel und Induſtrie.

Frieder. und Marie Engelhorn, 9. 2. Hohenemjer, Friedoline Hartogenfis, Bernhard Herichel, Frh. v. Hövel, Mathilde Kap, und Jeanette Aberle, AU. Bensbah, v. Buſch, Karl Edhard, Morig und Karoline LZenel, Seligmann, Julie und Leopold Ladenburg, Heinrich Lanz, Gallenberg, D. Oppenheim, Friedrich Reif, Karl Reit, David Wachenheim, Familie Wespin, Karl Weyl.

Aus ſolchen kurzen Ausführungen und Aufzählungen ijt ſchon viel über die rege Entwidelung der Stadt zu entnehmen. Auf die bauliche Entwidelung der Stadt fommen wir nod) jpäter ausführlicher zu jprechen.

Hier jei nur noch derjenigen Männer gedacht, die in den febten dreißig Jahren den Aufſchwung der Stadt in wejentlicher und hervorragender Weije leiteten: die beiden Oberbirgermeijter Eduard Moll und Dtto Bed. Der 1896 verjtorbene Ober- bürgermeijter Moll widmete der Stadt Mannheim jeine fleißige, jorgjame Tätigkeit biß zu dem Jahre 1891, und Hat der Stadtentwidlung eine vorzüglihe Grundlage gejchaffen.

Dann folgte ihm Oberbürgermeijter Dr. Bed. Der große Aufihwung der Stadt, der mit dem ganzen Abjchnitt diejes Buches zu jchildern verfucht wird, hat unter der Stadtleitung Dtto Beds jeinen Höhepunkt erreicht, und es iſt die freudige Gewißheit gegeben, daß jich die Stadtentwidelung auch fernerhin auf diejer Höhe erhält.

Der große Bücherfaal der „Veffentlihen Bibliothef“ im Großh. Schlofje zu Mannheim.

XXX.

Wifjenjchaft und HKunft im 19. Jahrhundert.

Neue Sammlungen Karl Schimper Karl v. Drais, der Erfinder der „Draifine* Ingenieur William Fardely Profeffor Heinrih Bürmann und die Handelsafademie Neue Kunftpflege Die Mufit Karl Maria von Weber Hektor Berlioz Albert Lorking Vincenz Lachner Muſik-Vereine Kammernuuſik Jean Beder Richard Wagner Die Hapellmeijter Levy, Fiſcher, Weingartner Intendanten Dr. Auguit Baſſermann Geſellſchaftliche Cirkel Litteratur Malerei Vereine.

n. Kunſt und Wilfenjchaft hatte im 19. Jahrhundert ganz andere Kämpfe zu bejtehen als in der vorangegangenen Zeit. Kriege und Nevolutionen drängten mit ihrer äußerlichen Straftbethätigung die aus dem Innern jchaffenden Künfte und Wilfenjchaften lange zurüd. Dennoch ließ es ſich Karl Fried— rich nicht verdrießen, diejen Geijtesmächten alle ihn nur mög» lihe Förderung zu Theil werden zu lajjen.

Um für den Berluft der Sammlungen den Mannheimern einen Erſatz zu bieten, begründete Karl Friedrich die Große berzogliche Gemäldegallerie. Er erwarb zu diejem Zwede im Jahre 1803 die Sammlung des Grafen Luchefi in Neapel, be- jtehend aus 256 Gemälden, für den Preis von 61,000 Gulden. 11,000 Gulden gelangten jofort zur Auszahlung, während das Uebrige dem Grafen als Leibrente von jährlich zu zahlenden 5000 Gulden ausgemacht wurde. Zu diejer Sammlung famen

41*

644 Wiflenihaft und Kunft im 19. Jahrhumbdert.

noch einige Gemälde aus der Kollektion Klein (1810, darunter der Kopf von Rubens), und die nod vorhandenen Rejte der furfürjtlich pfälziihen Gallerie. Die Großherzogin Stephanie ihenfte 1811 ein großes Gemälde von Diepenbed „Die Ber: mählung der heiligen Katharina“. - Später wurden der Samm- lung vier Altargemälde aus dem Kloſter Lichtenthal einver- leibt, wahre Perlen der Gallerie und eine Reihe anderer Bilder (16 darunter von badiihen Malern) aus Großherzoglichem Hausbeſitz (1853).

Daß an Stelle der nah München gewanderten Kupfer— jtihlammlung eine neue durch Ankauf der Klein'ſchen Kollek— tion von circa 20,000 Blättern 1810 begründet wurde, iſt icon oben erwähnt.

Bon dem urjprünglich von Karl Theodor begründeten fur- fürjtlichen Antiquarium blieb ein anfehnlicher Theil in Mann- heim zurüd. Die Stadt machte diefe Sammlung 1803 dem neuen Landesfürjten Karl Friedrich zum Geſchenk unter der Bedingung, daß dieſe Sammlung im Mannheimer Schloffe aufbewahrt bleibe. Im Jahre 1879 wurde das Antiguarium mit der Sammlung des 1859 gegründeten Mannheimer Alter— thumsvereins unter Geldzujchüffen von Seiten der Stadt ver- einigt, ſodaß diefe Sammlung jett enthält: Cingangshalle: Mittelalterlihe und neuere Skulpturen. 1. Saal: Römiſche Dentfteine. 2. Saal: Klein-Alterthümer vaterländijchen Fund— orts. 3. Saal: Funde aus Italien und Griechenland. 4. Saal: Bibliothef. 5. Saal: Waffen und Trophäen. 6. Saal: Mann- heimer Alterthümer. 7. Saal: Pfälzer Alterthümer. 8. Eaal: Ethnographiiche Sammlung. 9. Saal: Zunftwejen. 10. Saal: Archiv.

Auch für den Verluſt des berühmten Antifenjaals juchte Karl Friedrich Erſatz zu Ichaffen, indem er durch den Gejandten E. 3. v. Dalberg einen Sohn des berühmten Mannheimer Intendanten in Paris eine Reihe von Gipsabgüſſen an- faufen ließ, die im Mannheimer Schloß Aufitellung fanden und 1882 in die Archivräume des Bibliothefbaues wanderten.

Kunſt und Wiflenihaft im 19. Jahrhundert. 645

Die Sammlung wird auf jtäbtiiche Koften fortdauernd ver- mehrt.

Die Innendeforationen des Mannheimer Schloffes wurden durch herrliche Gobelins, die Napoleon I. jeiner Adoptivtochter, der kaiſerlichen Prinzejfin Stephanie zum Gejchenf machte, in wejentlicher Weife bereichert. Es find dies die nämlichen Gobelins, die Goethe in dem Hauptjaal eines ehemaligen Luſt— haujes ber Königin Maria Antoinette in Straßburg jah und über die er in „Wahrheit und Dichtung“ ſich ausführlich aus- ipricht.

Das jest mit den Sammlungen des Mannheimer Vereins für Naturfunde vereinigte Großherzoglihe Naturhiftoriiche Muſeum, deifen Geichichte wir jchon an anderer Stelle be- bandelten, führt ung zur Betrachtung der Berührungspunfte Mannheims mit der wifjenjchaftlihen Arbeit des 19. Jahr hundert3.

Einer der erjten Schüler des 1807 von Karl Friedrich in dem ehemaligen Jejuitenfollegium gegründeten Großherzog- (ihen Lyceums war der jpäter jo berühmt gewordene Botanifer Karl Schimper, geboren am 15. Februar 1803 in Mannheim, geitorben am 21. Dezember 1867 in Schwebingen. Seit 1843 weilte er wieder in Mannheim. In Schweßingen, wo er jchon früher bei Gartendireftor Zeyher gewejen war, hatte ihm Großherzog Friedrich 1863 unter Gewährung einer PBenfion auch eine freie Wohnung anweiſen lafjen. Mit feiner Arbeit „Bejchreibung des Symphytum Zeyheri“ (1830 in Geigers pharmaceutiihen Magazin veröffentlicht), wurde Schimper zum Begründer der neuen Blattſtellungslehre. In jeinen Be- ziehungen zu Mannheim veröffentlichte er die Schriften: „Ges fihtspunfte eines jtromfundigen Naturforichers bei der Frage, wo zu Mannheim der Rhein überbrüdt werden ſoll“ (1863) und „Landwirthichaftliches" aus dem Mannheimer Anzeiger (Dezember 1865) beſonders abgedrudt. Schimper zeichnet fich auch al3 Dichter aus und gab einen Band Gedichte in Mann- heim (1847) heraus.

Der oben erwähnte Gartendireftor Zeyher legte nad

646 Kunst und Wiſſenſchaft im 19, Jahrhundert.

Scleifung der Feitungswälle im Jahre 1808 in Mannheim den prächtigen Schloßgarten an.

Wie die Botanik, jo erhielt auch die Landwirthihaft von Mannheim aus einen namhaften Vertreter. Der 1790 in Mannheim geborene Landwirt Lamprecht von Babo (geitorben 20. Juni 1862 zu Weinheim) machte ſich als Vorjtand des Heidelberger Kreiſes des badijchen landwirthichaftlihen Ver— eins, Gründer des landwirthichaftlichen Bereinsgartens in Heidel- berg und Anreger der Sparkafjen für Landgemeinden, VBich- verlicherungen u. j. w. und jehr fruchtbarer Fachichriftiteller, befannt, dejjen Arbeiten vielfach in andere Sprachen überjebt wurden. Die Stadt Weinheim jehte dieſem eifrigen Förderer der Landwirthichaft am 10. Oktober 1859 ein Denkmal.

Auf dem Gebiete der Technif wurde von Mannheim aus manche Anregung gegeben und jehr Beachtenswerthes geleijtet.

Der Sohn des Oberhofrichters von Drais in Mannheim, ‚sorjtmeijter und Kammerjunfer Freiherr Karl von Drais, er— fand hier im Jahre 1816 die Dratfine, das Urbild des heu— tigen Velocipedes. Noetling veröffentlichte 1884 eine Schrift hierüber (Mannheim 1884) und jchreibt darin: „Noch Heute jehen wir ihn im Geifte auf jener „Laufmajchine“ oder „Fahr: maſchine“ durd Mannheims Straßen und in den Schlofgarten hineinjaufen. ALS richtiges Original war er dabei immer in gleicher Weije gekleidet: Grauer Eylinder oder grüne Dienit- müße, grüner Dienjtfrad, grüne, graue oder Nanking-Hoſe; ein dünnes Spazierſtöckchen, auch wenn er auf der Draifine jaß, vervolljtändigte die in jüngeren Jahren mit jpig gedrehtem Schnurrbarte gezierte und mit Jabothemd und Manjchetten ausgejtattete Erjcheinung, welcher, wo ſie fich zeigte, die ver— ehrliche Straßenjugend höhnend und johlend nachlief.“ Drais iſt am 29. April 1785 in Karlsruhe geboren und dajelbjt am 10. Dezember 1851 gejtordben. Mit 28 Jahren kam er nah Mannheim, wo er den größten Theil jeines Lebens verbrachte.

Bon beionderer Bedeutung auf dem Gebiete der Technik war auch das Wirken des am 26. Juni 1869 hier ver-

Kunſt und Willenichaft im 19. Jahrhundert. 647

jtorbenen Ingenieurs William Fardely. Diejer war 1822 mit jeinem Vater, einem englischen Spracdhlehrer, nach Mann— heim gefommen. Seine hervorragendite Leiftung iſt jeine Ans lage der eriten, für den praftijchen Betrieb bejtimmte eleftrijche Telegraphenlinie von Wiesbaden nach Staftel im Jahre 1844. Es ijt dies die erjte Anlage auf dem europätjchen Feitlande überhaupt. Von jeinen Schriften über „Salvanoplaftif" (1842), „Der eleftriiche Telegraph“ (1844), „Der Beigertelegraph“ (1856) find noch die leßteren in der Deffentlichen Bibliothek in Mannheim erhalten. Nebenbei gejagt, bethätigte fich Fardely auch als Pyrotechnifer; jeine Kunſt auf diejem Gebiete wurde gelegentlich des 1856 gefeierten Feſtes der Anmejenheit des Sroßherzoglihen Paares bejonders gerühmt. Die Stadtver- waltung in Mannheim hat neuerdings eine Straße nach diejem bedeutenden Ingenieur genannt.

Aus dem damaligen Schulwejen, das einen wejentlichen Aufſchwung nahm, ragt die interefjante Berjönlichkeit des Pro— feſſors Hans Heinrih Bürmann hervor. Die Bemühungen diejes Gelehrten, hier eine Handelsafademie zu gründen, müſſen heute noch von einer inzwilchen aufgeblühten Handelsſtadt dankbar empfunden werden, da leider heute ein jolches Inſtitut in großem Stile fehlt. Bürmann hielt in Mannheim jeit 1795 Borleiungen über Handelswiſſenſchaft; doch hatte er mit anderen Berjuchen auf dieſem Gebiete, von Borowski, Sinz- heimer und Neugaß unternommen, zu fämpfen. Much die von ihm begehrte Profeſſur am neu organifirten Lyceum zu Mann— heim und eine Vereinigung der Handelsafademie mit dem Gym: najium wurde ihm abgejchlagen. Dagegen führt er 1805 jchon den Zitel eines Direktors der kurfürſtlich Badiichen Handlungs: akademie, die 1811 ihre Erweiterung fand. Doc das Inſtitut, das die erjte Nealjchule in Mannheim darjtellt, konnte nicht zur Blüthe fommen und mit Birmanns Tode am 21. Juni 1817 hörte die Anjtalt zu erijtiren auf. Won den interejjanten jchriftjtellerijchen Arbeiten Bürmanns, von denen einige Der PBarijer Akademie vorgelegt wurden „Essai de calcul fonction- naire“ (1797) und „Musophelia oder Bortheile der Wiſſen—

648 Kunst und Wiſſenſchaft im 19. Jahrhundert.

ſchaften“ (Mannheim 1805), welche Schrift den Verfaſſer ſchon als Direktor der furfürftlichen Akademie bezeichnet.

Bon Gelehrten, die der Stadt Mannheim entitammen (reſp. zu ihr in näherer Beziehung ftanden) und fiir Die deutiche BWilfenihaft von Bedeutung wurden, feien hier noch Krafft— Ebing (geb. 1840 in Mannheim), Kußmaul, 3. Kohler und Karl Neumann nambaft gemacht. |

Wenden wir uns zur Kunſt. Da ift es vor Allem die

Mufit, die den Beitereigniffen zum Troß, Sich lebhaft ent— faltete und weiterhin hervorragende Berjönlichkeiten mit Mann- heim in Berührung brachte. Karl Maria von Weber, der mit feinen Freunden Gott- fried Weber, Alerander von Duſch, dem Sänger Berger, Meyerbeer (der damal3 in Darmitadt bei Bogler Unterricht nahm) und Gänsbacher einen „Öarmoniichen Verein“ gegründet hatte, trat in einem Concert im DOftober 1810 in Mannheim auf, das von der „Mujeumsgejellichaft" gegeben wurde.

„Das Concert ſchreibt Mar Maria von Weber in jeinem Lebensbild des Komponiften fand am 19. November ftatt und die liebenswürdige Prinzejlin Stephanie ſaß dem Piano, auf dem er jpielte, gegenüber. Bon Karl Maria wurde jeine reizende, eimjchmeichelnde Ouvertüre zu „Peter Schmoll“ in der Bearbeitung von 1807 vorgeführt und erndtete den Beifall des Publikums und der feinfinnigen Fürftin. Meyer: beerö ſchöner Pſalm: „Aus der Tiefe“ erhielt gerechte Wür— digung, und das zum erjten Male vollitändig von Karl Maria jelbjt geipielte Klavierconcert in C, As und C-dur (op. 18) gewann die Prinzejjin jo, daß fie, in ganz ungewöhnlicher Huld, nad) dem Concert mit ihrer Oberhofmeifterin, Gräfin Walich, auf Weber zutrat und ihm jagte, daß fie von ihrem Vetter, Ludwig von Bayern, joviel Neugiererwedendes über jein Liederjingen zur Guitarre gehört habe, daß er ſie ver- pfliditen würde, wenn er ihr ein gleiches Ergößen bereite. Weber ließ fich jofort eine Guitarre reichen und fang jtehend, jeine rührendften und jeine jchelmtichiten Kieder vor einem ihm gleichfalls ftehend umgebenden Fleinen, aber aus Perſonen von

Wiſſenſchaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 64%

Gewicht zuiammengejesten Kreiſe, der, wie es der Sänger in der Mitte wollte, die Brinzeifin an der Spite, lachte und ſüße Thränen weinte, aber das Fortgehen vergaß.“

Alle jeine Mannheimer Freunde glaubten Weber für Mannheim gewonnen. Die Brinzeifin Stephanie that jelbit alles dazu, fie wollte, daß man für Weber eine zweite Kapell- meifterftelle (neben der Ritters) einrichten jolle, allein ber Intendant von Benningen erklärte dies jchließlich für unthun— (ih und Webers Worte: „Ich kenne meinen Stern! Es wirb- nicht3 daraus!“ erfüllten fih. In Mannheim hat Weber während jeines furzen Aufenthalts fich bereit? mit der dee der „Oberonmuſik“ getragen und den erjten Entwurf zum „Freiſchütz“ mit feinem Freund Alerander von Duſch gemacht. Im Hauſe Gottfried Webers, bei dem er wohnte, fomponirte er vom 11. bis 14. November an jeinem „Abu Hafjan“. Bon Mannheim aus datirte Weber eine neue Epoche jeines Lebens.

Ueber 30 Jahre nad) diejer Zeit, den 9. bis 14. Januar 1843 weilte hier ein anderer großer Komponift unjerer Zeit, deffen 100. Geburtstag wir jett feiern. Hektor Berlioz war am 9. Januar in Mannheim angefommen. Mannheim wollte zu den erjten Städten gehören, die den bahnbrechenden Werfen des franzöfiichen Komponiften Gehör jchenten. Zur Aufführung von Schöpfungen diejes Komponiften war ein großes Concert im Theater angejegt. Berlioz leitete jelbjt die Proben des Hoftheaterorcheiter8 und dirigirte das Concert. Es wurde von ihm aufgeführt: Die VBehmrichterouvertüre und Stüde aus det Haroldiymphonie, die Ouvertüre zu „König Lear“ und „Der Hirtenjüngling”, letztere Kompofition ge— jungen von Fräulein Recio mit Orcheiterbegleitung. Das. Concert konnte nur bei wenigen Weitjchauenden volles Ber- jtändniß finden; in der Kunftgeichichte Mannheims Bleibt es aber ein großes, monumentales Ereigniß.“)

Ein Jahr darauf, vom 1. bis 13. Juli 1844, weilte Albert Lorking in Mannheim. Er war innig befreundet mit

) In den Rheiniihen Blättern, Feuilleton zur Mannheimer Abend» zeitung 1843 Nr. 7, erichien eine austührliche Kritit über dieſe am 13. Januar erfolgte Aufführung.

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Kapellmeiſter Vincenz Lachner, der, nachdem jein Bruder Franz dieje Stelle hier bis zum Jahre 1836 innegehabt hatte, Die Dpernaufführungen leitete. Lachner Huldigte den Opern Lorgings um jo mehr, als fie ganz der von ihm vertretenen muftfaliichen Richtung angehörten. Lorking dirigirte hier am 3. Juli jeinen „Czar und Himmermann“ unter begetiterter Aufnahme Die Mannheimer Tage gehörten zu den jchönjten Lichtbliden in dem durch Sorge und Leid verdüfterten Leben diejes jo liebenswürdigen Komponiften.

Bincenz Zachner, der die Thätigfeit feines ganzen Lebens Mannheim widmete, iſt am 19, Juli 1811 zu Rain geboren. 37 Sahre wirkte er als Dirigent der Opern und Concerte in Mannheim bis 1873, in welchem Jahre er fich penlioniren ließ. Er war in jeiner Weile ein Meifter der Tonkunjt als Componiſt jowohl wie als Dirigent und Lehrer. Was ihm jelöjt nicht möglich war: ein Verhältniß zu der neueren Rich— tung der Muſik zu gewinnen, das verjtand einer jeiner Schüler um jo bejjer: Hermann Levy, der 1861 auf Lachners Vorſchlag jtellvertretender Mufikdireftor am Mannheimer Hoftheater wurde und von bier aus jeine große Laufbahn als Vertreter und Berkünder der Kunſt Richard Wagners antrat, Lachner, der bereit3 1851 unter großem Jubel jeine 2öjährige Diri— gententhätigkett am Mannheimer Hoftheater gefeiert batte, jtarb im Alter von 81 Jahren 1892, Zu den hervorragenden Kräften der Lachnerzeit an unjerem Theater gehörten vor Allem Karl Ditt, der hier heute noch unvergejjene ausge— zeichnete Bahbuffo, und Henriette Rohn (ſpäter verehelichte Ullrich-Rohn), die jhon 1876 zum Leidwejen der Mannheimer Kunftwelt vom Theater jchied.

Die Intendanten, die das Theater jeit Dalbergs Wirken geleitet hatten, waren: Freiherr von Venningen bis 1816, Freiherr von Ungern-Sternberg bis 1821, Graf von Luxburg bis 1836. Unter dem leßteren wirkte bier in den Jahren 1833— 1836 der berühmte Schaujpieler Theodor Döring. Diejer gerieth wegen jeiner erbetenen, doch nicht gleich be= willigten Entlaffung im Gonflift mit dem Intendanten, der

Willenihaft ımd Kunjt im 19. Jahrhundert. 651

dem Künſtler 1300 fl. aus jeiner Privatkaſſe vorgeftredt hatte und ihn nun wegen Fluchtverdachts in Haft nehmen lieh. Döring verbradte die Haft in Gemeinſchaft mit Gutzkow. Diejer verbüßte damals hier gerade die ihm wegen Beröffent- lihung der „Waly“ zudiktirte Strafe. Mit dem Rücktritt des Intendanten Geheimrath von Kronfels im Jahre 1839 begann die Leitung des Theaters durch ein Comite von 3 Bürgern, die der Gemeinderath (und Ausihuß) wählen und das Miniftertum bejtätigen mußte. Damit kam das Theater unter jtädtiiche Selbitverwaltung. Die erjten Comite-Mitglies der waren Jolly, Schmudert und Dr. Seit. Bald jedoch brachen Streitigkeiten aus. Da die Anftellung eines Direktors vom Minifterium nicht bewilligt wurde, jtellte man einen Oberregiffeur in der Perjon Philipp Düringers an. Da ſich durch ihn der Schauſpieler Braunhofer aus jeinem Rollenfac) verdrängt jah, fam es am 25. Juli 1843 bei einer Aufführung von „Sabale und Liebe“ zu einem Sfandal im Publikum, jo daß die Aufführung abgebrochen werden mußte.

Ende 1855 gelangte der jchon im Jahre 1849 geplante, doch erſt 1853 begonnene Theaterumbau, mwährenddejjen im Concertſaal geipielt wurde, zur Bollendung. Das erneuerte und erweiterte Haus wurde am 11. yebruar 1856 unter Ans wejenheit des Prinzregenten mit Mozart3 „Zauberflöte* er- Öffnet. Dann 1857 wurde der Concertjaal umgebaut. Prinz Friedrich hatte gleich bei jeiner erjten Anwejenheit ald Regent in Mannheim den geplanten Umbau des Theaters freudig be— grüßt. Unter jeiner Regierung jollte es im neuen Hauſe zu einer neuen bedeutenden Kunjtpflege fommen.

Diejen Umbau, dem im legten Jahrzehnt noch ein weiterer folgte, leitete der auch von Wagner hochgeichägte Theatermaler Joſeph Mühldorfer (geb. 1800 in Meersburg am Bodenjee, 1863 zeit. in Mannheim), ein Schüler Lorenz Quaglios.

Lachner war e3 auch, der in der deutſchen Aheinjtadt Mannheim den Männergefang außerordentlich fürderte und belebte, Die ältejten der Mannheimer Gejangvereine jind die 1840 gegründete „Liedertafel“ und der „Liederfranz“, gegründet

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1856, die fich bis zum heutigen Tage in voller Blüthe er- halten haben und in der Zeit der nationalen Entwidelung das deutiche Lied erklingen ließen.

Zu Ddiejen Vereinen famen der „Singverein“ und „Sänger- bund*, In den Jahren 1878 bis 1889 entialtete hier Karl Iſenmann als Dirigent der Liedertafel und des „Arion“ (Iienmann’schen Männerchors) jeine der Pflege bes deutichen Männergejangs in unvergeffener Weile gewidmete Thätigfeit

Zu Meiiterleiftungen im Männergejang brachte es aud) der neuerdings erit gegründete Lehrergejangverein Mannheim: Ludwigshafen, der zu dem Ruhme, den fi die Mannheimer Sangeskunſt auch auswärts erwarb, wejentlich mit beitrug.

Die von einer Gejellihaft von Dilettanten jeit 1778 gepflegten Liebhaberconcerte führten 1807 zu den Muſika— liſchen Akademien des Hoftheaterorcheiters, jpäter geleitet von Franz und Bincenz Lachner. Dratorien und Symphonten unferer klaſſiſchen Metiter kamen dabei zur Aufführung.

Ein jchon 1829 gegründeter Verein, „Der Mufitverein“, der fich bis zum Jahre 1834 „Gejang und Mufitgejellichaft“ genannt hatte und in welchem ebenfalls Bincenz Lachner wirkte, unternahm mit der Pflege des Chorgejangd aud die Pflege der Injtrumentalmufif und veranjtaltete bis zum heutigen Tage die Aufführung großer Kompofitionen, bejonders für Chor und Orcheiter, joeben den 100. Geburtstag Hector Berlioz’ durch die Wiedergabe von deijen Requiem, des wohl tongemwaltigiten Werkes aller Zeiten, feiernd.

Der kirchlichen Muſik widmet ſich der „Verein für Elafftiche Kirchenmuſik“ in fünjtleriich werthvoller Art unter der Leitung des rühmlichit befannten Orgeljpielers Muſikdirector Hänlein.

Der „Philharmoniſche Verein“ hatte fich 1859 unter dem Namen „Dilettanten-Verein” gegründet. Sein erjtes größeres Eoncert fand am 30. Juni diejes Jahres im Aulajaale zu Gunſten des patriotiihen Hilfsvereing unter der Leitung Ferdinand Langers ftatt. Diejer Verein erwarb fich im der Folge außerordentliche Verdienſte um die Erziehung zur muſi— faliihen Kunft. Seine 1864 ins Leben gerufene Vorſchule,

Wiſſenſchaft und Kunft im 19. Jahrhundert. 653

war lange Zeit die einzige größere Muſikſchule Mannheims. Die mufifaliichen Aufführungen und Concerte des philhar- moniſchen Vereins zeigten am bejten die bedeutenden Reſultate einer nicht berufsmäßigen, jondern lediglich aus Heißer Liebe zur Muſik quellenden Mufitpflege und das Aufſteigen des Dilettantismus zu wirklicher Kunft.

Jetzt hat Mannheim in der „Hochſchule für Muſik“ eine hervorragende Mufikichule großen Stiles erhalten. Dieje Schule, unter dem Proteftorate der Landesfürſtin jtehend und von dem ausgezeichneten Muſiker, Mufitichriftiteller und Mufifpädagogen Wilhelm Bopp geleitet, Hat ſich, weit über einjeitige Fach— intereſſen hinausgehend, raſch zu einer hohe Ziele verfolgenden Kunftatademie gejtaltet, wie dies für das moderne Mannheim eine Nothwendigfeit war.

Im Mufifverein gelangte auch die Kammermufif jchon vor 1850 zu lebhafter Förderung. In einem Goncerte diejer Ver: einigung trat am 15. Oftober 1844 der elfjährige BViolinift Sean Beder auf. Mit diejem Künſtler erſtand der modernen Kammermufif eine bedeutende Kraft, die bejonders hier in Mannheim die großen Traditionen aus der Zeit Karl Theodors wieder aufleben ließ. Jean Beder ijt ein geborener Mann heimerjund jeine große Kunſt, die er jpäter auch auf jeinen Reijen in weiter Welt entfaltete, ließ jeine VBaterjtadt auf mufikaliichem Gebiete einigermaßen wieder in altem Glanze erjcheinen. Das von ihm 1866 in Florenz begründete Florentiner Quartett verband in ganz jeltener, noch nicht wieder erreichter Weije deutiche und italieniſche Kunſt zu interejfantejtem gemeinjchaft- lihem Wirfen. Seine Kinder Hans, Hugo und Jeanne waren von jo ausgezeichneter Begabung und Hatte der Meifter jo vortrefflich unterrichtet, daß er mit ihnen ein neues Quartett bilden konnte, das in der mujifaliihen Welt als „Jung— Beder’iches Quartett” lebhafte Anerkennung fand. Aus dem Kreiſe diejes Meifters entiprang auch noch nad) deilen allzu: frühem Tode (10. Dftober 1881) eine bis heute noch fort: wirfende Bethätigung auf dem Gebiete der Muſik. Der Sohn des Meifters, der Celliſt des berühmten Frankfurter Streich-

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quartetts, ift jelbit zum Meiſter geworden. Die alljährigen Vorträge dieſes Quartetts in Mannheim gehören heute noch zu den auserlejeniten mufifaliichen Darbietungen der Winter- jatfon. In diefem Quartett wirfen befanntlich noch der aus Mannheim gebürtige Violinift Profeſſor Fris Ballermann und der Bratſchiſt J. Naretsftoning, der hier früher Concertmeifter des Hoftheaterorchefters war, in künstlerisch vollendeter Weije mit. Die Tochter des Meifters, Jeanne Beder-Srohe, die gefeierte Pianijtin, entriß der Tod 1893 einem von edler Kunſt verflärten Leben. Ihr jeelen= und Funjtverwandt, förderte ihr Gatte, Osfar Grohe, bier die Pflege eines vor— nehmen Klavieripiels, bejonders in der Liedbegleitung und ver- band den Kreis des Meiſters Jean Beder mit dem neuen Meiſter Hugo Wolf. Das von Moeit geichaffene Jean-Becker— Denkmal in den Anlagen vor dem Schloſſe läßt uns lebhaft der in ihrer geiftigen Fortwirfung noch heute nicht erichöpften Ihätigkeit des hervorragenden Tonfünjtlers gedenten.*)

Wie Hugo Wolf in Mannheim innige Freundichaft ge— wann, jo hatte jchon längſt Richard Wagners mächtiges Wirfen bier warme Freunde und begeifterte Vertreter gefunden.

Im Juni 1871 war bier der erite der deutichen Wagner: vereine gebildet worden und noch in demjelben Jahre dirigirte bier der Meiiter jelbit am 20. Dezember ein großes, ihm zu Ehren veranftaltetes Concert. Er traf jchon am 16. Dezember hier ein und leitete jelbit die Proben der ver- einigten Mannheimer und Karlsruher Orcheiter. Unter jener Direktion erflangen der Satjermarih, die Duvertüre zur „Zauberflöte“, Beethovens A-dur-Symphonie, die VBorjpiele zu „Lohengrin“, den „Meifteriingern“ und „Trijtan und Iſolde“, jowie „Iſoldens Liebestod”" in neuem, großem Stile. Nach dem Concert, das einen vollen Sieg der Kunjt Wagners be- deutete, hielt der Borjtand des MWagnervereins in der kampf—

*) Die Kammermuſik wird heute ipeziell in Mannheim von Goncert» meiſter Schuiter trefflih geleitet. Als Componiſt jei hier noch der hoch— begabte Nobert Kahn genannt. Auch Chordirector Nıdard Bärtid) com— vonrte Beachtenswerthes.

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reichen erjten Zeit, Dr. Zeroni, die Feſtrede. Wagner ant- wortete etwa folgendes:

„Dan hat gefragt, wie es fommt, daß ich mich gerade hierher gewendet habe. Die große Vergangenheit Mannheims, der ftet3 rege Sinn für Kunſt und Künſtler, der bier herricht, find für mich wohl jchon Anziehungs- und Anknüpfungspunkte gewejen. Es hat ſich mir aber auch ein eigener Sinn dafür ausgebildet, wo das Echte, das Deutiche in Geſinnung und That zu juchen ift. Das findet man nicht in den größten Städten, nicht in den Refidenzen, jondern in den Städten, wo echtes Bürgertum und echter Bürgerjinn herrichen . Storporativ it Mannheim der erjte Ort gemweien, der mir in jelbitjtändiger Initiative entgegenfam. Die Mannheimer haben in mir zuerſt deu Glauben an die praftiiche Verwirklichung meiner Pläne befeitigt, fie haben mir bewiejen, wo für den deutichen Künftler der wahre Boden zu juchen it: im Derzen der Nation. Schon der Name bezeichnet Mannheim als einen Ort, wo Männer heimisch find; Bayreuth aber it ein durch die Kultur noch unentweihter, echt jungfräulicher Boden fir die Kunſt. Aus der Berbindung beider joll ein neues, jugend- lich Fräftiges Kunjtleben entiprießen.“

Einer Aufführung des damals noch zujammengeftrichenen „liegenden Holländers* fonnte Wagner feinen Geſchmack ab— gewinnen; er verlieh nach kurzer Anweſenheit die Vorſtellung.

Eine Reorganijation des Opernweſens jollte eingeführt werden. Dans von Bülow machte Anstalten, einzugreifen und ih nad Mannheim zu wenden, das er eine Stadt mit jchönen Kunjttraditionen, jtädtiicher Unabhängigkeit und immer noch reipeftablen Reiten früheren Glanzes nannte. Aus einem Auf: ihwung des Nationaltheater unter Bülows Yeitung wurde jedoh nichts. Die Sache galt im Oftober 1872 als ab» gethan. Der Muſikalienhändler Emil Heckel bewirfte die Gründung der „Batronatsvereine“, die das Geld für die Auf: führung in Bayreuth herbeiichaffen jollten. Friedrich Nietzſche jollte 1873 den Aufruf jchreiben.

Inzwiſchen wurde in Mannheim eifrig an einer bejjeren

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Aufführung der bereit? gegebenen Werfe Wagners und an ber Neuaufführung der noch zurüditehenden gearbeitet. 1873 ges langte unter Kapellmeijter Ernſt Franks Direktion „Lohengrin“ vollſtändig ohne jeden Strich auf dem Mannheimer Theater zur Wiedergabe. Die ‚Meiſterſinger“ waren zuerſt 1869 (5. März) gegeben worden. „Rienzi" erjichien 1872 hier zum erjten Male. Zwei Jahre jpäter wurde die gefühlstiefe Dper „Die bezähmte Widerjpenjtige” von Hermann Göb unter Anwejenheit des durd) die begeijterte Aufnahme innig gerührten Komponisten zum erjten Male aufgeführt und damit dem deut— ſchen Theater gewonnen. Das großartige Gelingen der Bay- reuther SFeitipiele im Jahre 1876 wedte in Mannheim die Luſt, dieje neuejten Werke des Komponijten nad) dieſem Mufter vollitändig zur Aufführung zu bringen.

Emil Hedel war 1877 Präſident des Mannheimer Theater- comites geworden und Franz Fiſcher, der jegige Münchener Kapellmeifter, hatte die Leitung der Oper übernommen. Alle Schwierigkeiten wurden überwunden und das Feſt des 100- jährigen Bejtehens des Nationaltheater fonnte nicht beſſer ge— feiert werden, als durch den Beginn der vollitändigen Auf— führung des Wagner’schen Riejenwerfes mit der Darjtellung des „Rheingold“ und der „Walfüre* am 13. und 14. April. BZahlreihe Mujikverftändige und Freunde Wagner’icher Kunjt ftrömten herbei, um hier auf einem verhältnigmäßig einfachen Theater das Wunder einer jolchen Aufführung ermöglicht zu ſehen.

Die allerdings noch weit ſchwierigeren Aufführungen von „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ wurden, wenn auch erſt in den Jahren 1884 und 1885, gleichfalls bewältigt. Der Aufführung der „Götterdämmerung“ wohnten Franz Lißt und Coſima Wagner bei. Liszt war früher jchon zur Zeit, als auch Berlioz nach Deutjchland kam, in Mannheim gewejen und bier im Concert aufgetreten. Auf Fiſcher folgten die Kapell- meijter Emil Baur und Felir Weingartner. Unter Paur, dem ausgezeichneten Dirigenten und Violin- und Klaviervirtuoſen, ‚gelangte „Zrijtan und Iſolde“ 1889 zur erjten Aufführung in

BE un *

um

Straße nach der efuitenfirche in Mannheim, Nach einer Gemälde von Philipp Klein (geb. in Mannheim),

Wiſſenſchaft und Kunft im 19. Jahrhundert. 657

Mannheim, zu der Frau Coſima Wagner eintraf. Richard Wagner war 1873 das lehte Mal in Mannheim. Emil Hedel bat an jeinem Haufe, in dem der Meijter wohnte, eine Büſte Wagners (in carrariihem Marmor von Johannes Hoffart aus— geführt) anbringen lafjen und dieje der Stadt geitiftet.

Weingartner dirigirte hier unter Anweſenheit der Frau Wagner und Siegfried Wagners 1890 ein großes Concert, in dem u. A. Liſzts Dante-Symphontie zu ergreifendftenm Vortrag fam. Auf Weingartner folgten als Kapellmeifter Franf, Hugo Röhr, E. N. von Reznicef, Willibald Kähler und jest Kutzſch— bad) und Reichwein. Dauernd widmete jeine Kraft bis zu jeinem im Jahre 1905 erfolgten Tode ber vorzügliche Kapell- meister und Componift Ferdinand Langer dem Hoftheater. Zu den bervorragendften Sängern des Nationaltheater gehörten der Mannheim bis zu jeinem Tode treu gebliebene Knapp, jo» dann Mödlinger, Neidl, Götjes und die Sängerinnen Mohor, Seubert, Prohasfa, Sorger, Heindl, Fiora u. U.

Zahlreiche Mufikfeite wurden während de3 19. Jahrhun— dert3 in Mannheim abgehalten. Auch die mehrmalige An- wejenheit von Johannes Brahms in Mannheim gejtaltete ſich zu jhönen Feſttagen in den Kreiſen der Muſik.

Unter den artiftiihen Leitern des Hoftheater8 in ber Comitezeit ragten Dr. Julius Werther, Otto Devrient und Karl Marterjteig hervor.

Gewiſſe Unzuträglichkeiten bei der Comite-Leitung veran- laßten die Stadtverwaltung, die Direktion des Theaters wieder einem Intendanten zu überlaffen. Zuerjt erwählte man hierzu den Freiherrn von Stengel, dann wurde 1892 Alois Praſch mit diejer Stellung betraut bis endlich 1895 fich die Stadt» verwaltung entjchloß, einen verdienten Sohn der Stadt Mann- heim und ausgezeichneten Schaufpieler: Dr. Auguſt Baljer- mann, auf deſſen außerordentliche Regiekunſt man gelegentlich der Guſtav Adolf-Feſtſpiele aufmerkſam geworden war, zum Intendanten des Mannheimer Hof» und Nationaltheater auszu=

Defer, Gefchichte der Stadt Mannheim. 42

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erjehen. Damit hatte die Leitung des Hoftheaters einen ficheren, die Interefjen der Heimath aus tiefiter Kenntniß heraus wah- renden Charakter gewonnen. Doch gelang es nicht, Herrn Bafjermann dauernd an jeine Baterjtadt zu feileln. Er wurde vom Großherzog zum Leiter des Karlsruher Hoftheaters aus— erjehen. An jeine Stelle wählte man den durch jeine Publi- fationen über Regie, Oper und Scene, Osfar Wilde und Frank Wedekind befannt gewordenen Schriftjteller Dr. Karl Hagemann. Der Wagemuth und die Kraft jeiner Vertretung moderner Biele, jowie jeine Leitung der Jubiläumsfeitipiele haben jein Wirken bier rajch zu Bedeutung erhoben. Von den guten Sträjten, die dem Theater zur Aufführung dramatiiher Werfe jchon jeit ängerer Zeit zur Verfügung jtanden und jtehen, jeien vor Allem die Herren Jacobi, Hecht, Köfert, Tietih, Godeck und die Damen Wittels, Liſſl, v. Nothenberg und Jacobi genannt. Während die Mufit au in den Cirkeln von Fräulein Anna Reiß (Großherzogl. Weimariiche Kammerjängerin) eine vor» nehme Pflege erfuhr, hatte neuerdings in den Gejellichaften der Frau Intendant Sophie Baſſermann die Litteratur Betonung ge> funden. Die Litteratur ift in Mannheim noch ein Stieffind. Nur wenige Kräfte haben neuerdings auf dieſem Gebiete hier gewirft. Benno Nüttenauer veröffentlichte von bier aus eine Reihe jeiner feinfinnigen Novellen, ohne ein näheres Verhältniß zur Stadt jelbit zu gewinnen. Mar Grad (Frau Hofrath Bernthien) ſchlug einen Energie und Gefühlstiefe wunderbar verbindenden Ton in der deutſchen Novelliftif an. Zu den litterariichen Ereignifjen der lebten Zeit gehörten Richard Dehmels im Innerſten ergreifende Vorlejung des Iyriichen Romans „Zwei Menjchen“ (in einem fitterariichen Cirfel von Frau Alice Bensheimer), M. &. Conrads Vorträge über Emil Zola und Maxim Gorfi im Kaufmänniſchen Berein und Frank Wedefinds Liedervorträge im Kunſtgewerbe— verein „Pfalzgau“. Bon den in Mannheim wirkenden oder in neuerer Zeit thätig gewejenen Schriftitellern und Schriftftellerinnen nennen wir noch: Friedrich Algardi, Theodor Alt, Melchior Grobe, Karl Hedel, Wilhelm Köhler, Julian Markuje, Robert Miller, Peter Krauß, Otto Seiler, Peter Schnellbadh, Egon

Wiffenihaft und Kunſt im 19, Jahrhundert, 659

Straßburger, Friedrich) Walter, I. Haydn, Marie Netter, Paul Scäfenader, Franz Siding, Hermann Walded, F. Wigand.

Als Schriftfteller wirkten ferner die Bibliothefare ber Deffentlichen Bibliothet A. Fiicher (bis zu feinem im Januar 1894 erfolgten Tode) und (die legten 14 Jahre) Mar Defer.

Für das litterarifche und wifjenjchaftliche Leben Mann- heims wurde die im Juli 1869 durch die Initiative Mann— heimer Bürger gegründete Deffentliche Bibliothef von Werth, die jih in dem vom Großherzog zur Verfügung gejtellten Biblio- thefiaal des Schloſſes umd der einftigen furfürftlichen Afademie befindet. Die Bibliothek entwidelte jih in den 30 Jahren ihrer Thätigfeit zu einer Sammlung von über 60,000 Bänden, ſich zujammenjegend aus den von jtädtiihen Mitteln ange- ichafften Büchern, aus der Desbillons'ſchen Bibliothek, der Kolleftion de3 Vereins für Naturkunde und den Reſten ber ehedem Eurfürjtlich pfälziichen Bücherſammlung. Staatsminijter August Lamey war bis zu jenem Tode Präſident der Samm- fung. Mit und nad) ihm führten dem erjten und zweiten Vor— fit Dr. Ludwig Niejer, Dr. Karl Diffene, Dr. Auguſt Hohen- emjer und Prof. Dr. Hubert Claaſen.

Die ältere Bibliothek enthält über 100 Infunabeln, die neuere läßt fich neben der Anjchaffung moderner Werke be- jonders auch die Sammlung Mannheimer Drude (jowie der Sand: und Koßebue-Litteratur) angelegen jein. Wilhelm Wundt, der neue Ehrenbürger Mannheims, ein Sohn unjerer Stadt, jtiftete zum Stadtjubiläum der Deffentlichen Bibliothek prächtige Neu-Ausgaben jeiner Werke.

Die Bibliorhef gewann in meuejter Zeit durch die Ein- jtellung der über 4000 Bände umfafjenden Sammlung des hier verjtorbenen ausgezeichneten Bibliophilen Julius Mammelsdorf reichen Zuwachs an werthvollen, mit großer Gelehrjamfeit ge- ſammelten jeltenen Werfen, bejonders der italienischen, jpanijchen und franzöfiichen Litteratur.

Der Mannheimer Altertumsverein trat in der lebten Zeit mit größeren Publikationen „Forihungen zur Geichichte

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Mannheims“ und „Mannheimer Geſchichtsblätter“ hervor, die die Ergründung der Stadtgeſchichte weſentlich erleichterten und auch zum Theil in der vorliegenden Geſchichte dankbarſt berück— ſichtigt werden konnten. Den erſten und zweiten Vorſitz im Verein führen gegenwärtig Major z. D. Max Seubert und Profeſſor Karl Baumann. Eine Neubelebung erfuhr der Ver— ein durch Rudolf Baſſermanns opferreiche Förderung der Mann— heimer Kunſtgeſchichte.

Als ſchriftſtelleriſch thätige Gelehrte machen wir aus früherer und heutiger Zeit u. A. namhaft: Regierungsrath Friedrichs, die Profeſſoren Nüßlin, Deimling, Fickler, Dr. A. Lorent, Hofrath F. Haug, Karl Chriſt, L. Mathy, H. Theo— bald, H. Maurer, die Landgerichtsdirectoren Reinhold Baumſtark, Anton Zehnter, Rechtsanwalt Dr. Hachenburg, ſowie Hofrath Dr. Hecht, Dr. Frantz und Dr. Carlebach.

Von den in neueſter Zeit gegründeten, pädagogiſchen und litterariſchen Intereſſen dienenden Vereinen ſeien hier noch her— vorgehoben: Der Verein für Beſchaffung einer Volksbibliothek, der Verein für Volksbildung, der Mannheimer Journaliſten— und Schriftiteller-Verein, der Mannheimer Diejterweg-Verein, Verein für Frauenbildung und Frauenſtudium, Freidenker— Verein, Verein für jüdiſche Geſchichte und Litteratur, Badiſcher Zweigverein der deutſchen Schiller-Stiftung, Ortsgruppe Mann- heim, Deuticher Schulverein, Gruppe Mannheim,

Gehen wir von der Litteratur zur Malerei über.

Vor allem wäre da der 1806 in Mannheim geborene Maler Ludwig Deurer hervorzuheben. Nach Bejuch der Kunft- ichule in Nürnberg und der Akademie in München, jchloß er fi) in Rom der Richtung der jog. „Nazarener“ an. Sein großes Gemälde „Die Kreuzfahrer beim Anblid Jeruſalems“ erregte im Jahre 1839 großes Aufjehen und iſt heute noch ſehr charafteriftiich für die damalige Kunft. Diefes Hauptwerk des 1848 gejtorbenen Künstlers befindet jich in der ſtädtiſchen Sammlung. Der Vater diejes Malers, Beter Ferdinand Deurer, ift gleichfalls in Mannheim geboren und zwar im Jahre 1779, aljo noch zur großen Kunſtzeit diejer Stadt.

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Auper in Mannheim verbrachte er feine Studienzeit in Düjjel- dorf und Kafjel. In Augsburg verwaltete er als Inſpektor die dortige Galerie bis 1826, dann begab er fich mit jeinem Sohne Ludwig nad) Rom. Eine Copie der Grablegung Chriſti nach Raffael von ihm kam in die Karlöruher Galerie. Von jeinen Bildniffen ift bejonders ein Portrait des Königs Mar Joſef I. von Bayern (im Saale der Börje zu Augsburg) zu erwähnen.

Einige Künftler haben das in jchwierigen Berhältnifjen nicht genug zu jchägende Verdienſt, in Mannheim die Ver— bindung mit der großen Vergangenheit nicht verloren und hier Sinn für Kunſt wach erhalten zu Haben.

Drei Künjtler dürften bejonders das Verdienjt für fich in Anjprud nehmen, auf einem jpröden und harten Boden gute Arbeit in der Zeit einer Kunſt des Uebergangs gethan zu haben.

Als erjter diejer Künſtler joll der Hijtorienmaler Jacob Gögenberger genannt werden. Hatte er aud die großen Hoff- nungen, die jein Meijter Cornelius auf ihn ſetzte, nicht voll erfüllt, jo ragten jeine Arbeiten doch im jener Zeit weit über das allgemeine Niveau hinaus und führten dazu, daß er auch anderwärt3 bedeutende und ehrenvolle Aufträge erhielt. So malte Gößenberger, der im Jahre 1800 zu Heidelberg geboren iſt, die Freskogemälde in der Aula der Univerfität Bonn. Hierauf wurde er zum Badiſchen Hofmaler und Galerieinjpector in Mannheim ernannt. Während diejer Zeit erhielt er die Auf: träge, die Kapelle zu Nierjtein und die Trinfhalle von Baden- Baden mit Fresken zu zieren. Inzwiſchen machte er mit Cornelius gemeinichaftlich eine Reife nah Paris und London, wohin er nach jeiner Entlafjung aus dem Badiſchen Hofdienjt überjiedelte. Götzenberger jtarb nad; einem längeren Aufent- halt in Luzern am 6. Oktober 1866 zu Darmitadt.

Uber aud) einem eigenen Sohne verdankt die Stadt Mann— heim die Aufrechterhaltung einer edlen Kunftpflege in aller Un— gunjt der Zeit und zwar dem 1814 hier geborenen Maler Louis Coblig. Diejer Künftler hatte fi durch jorgfältige Studien in Münden, Italien und Paris einen feinen Kunſt—

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geihmad erworben, den er im jeine Bortraits, Landichaften und Genrejtüde zu übertragen wußte In allen jeinen Bildern ipricht fich eine vornehme, gewillenhafte und zarte Natur aus. Er ift der eigentliche Portraitift der Mannheimer Gejellihaft jener Beit. Die eriten Familien Mannheims beiigen heute noh von ihm gemalte Portraits der hrigen. In jeinen Genrebildern berricht noch etwas von der Scäferidylle des 18. Jahrhunderts, während er in der Landjichaft jchon Eraftuolle, ganz moderne Färbungen gewann, (Miühlau, Rheinufer, Anfichten von Wimpfen). Leider wurde der Künjtler verhältnismäßig früh feiner für diefe Stadt jehr wejentlichen, ausgezeichneten künſt— feriichen Thätigkeit durch den Tod im Jahre 1863 entrifjen.

Der dritte diejer hier das Kunſtleben bejonders fürdernden Maler war gleichfalls ein Mannheimer: der 1802 hierſelbſt geborene Genremaler und aleriedireftor Theodor Leopold Weller. Er war ein ſchätzenswerther Vorläufer der heute weit ausgebildeten Genremalerei in Deutjchland. 1828 entjchied er fi) zu der von ihm bejonders vertretenen Richtung, Genreicenen aus dem italieniichen Volksleben darzuftellen. Ein gewiſſer Realismus, den er dabei zum Ausdrud brachte, gab den Bildern etwas Zeitgemäßes. Bilder von ihm befinden fich auch in der Berliner Nationalgalerie.. Als Künftler wie als Lehrer ſetzte er jeine ganze Kraft ein, das Mannheimer Kunſtleben zu heben, Sp veranftaltete er gemeinichaftlih mit dem Stunjtverein im den jechziger Jahren eine Ausstellung Mannheimer Kunſtwerke, deren ſchwacher Beſuch leider nur zu deutlich zeigte, wie ent- fernt man von der Würdigung einheimtjcher künſtleriſcher Be— jtrebungen war. Weller jtarb 1880.

Neben diejen bereits genannten Künſtlern liegen ſich auch noch einige andere Maler das Kunftleben der Stadt Mannheim angelegentlih jein. So der in Mannheim geborene Maler Mathias Artaria, der Studien in Düſſeldorf machte und Tirol und Spanien bereijte. Ein PVorträt des Malers, der ſich leider zu früh von jeiner Kunſt zurüdzog, obwohl er jehr Tüchtiges (bejonders in der Landichaftsmalerei) geleijtet hatte, rührt von der Hand Theodor Wellers her.

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Wie Artaria ift auch der Genre: und Bortraitmaler Jojeph Weber ein geborener Mannheimer. Seine Geburt füllt in das Jahr 1803. Bon ihm gibt es jorgfältig gezeichnete und gut gemalte Portraits, jo folche des Großherzogs und der Großherzogin von Baden, der Prinzeſſin Marie von Baden, des Malers Flüggen (im Wallraf-Muſeum in Cöln) und des Freiherrn von Stodhorner, des erjten Präfidenten des Mann- heimer Kumjtvereins, das im Ausſtellungslokale des Vereins hängt.

Den Uebergang von jener älteren zu der gegenwärtigen Zeit bildete die Thätigfeit des 1881 als Großh. Galeriedirector nad) Mannheim berufenen Thiermalers Karl Roux. Nachdem er auf dem Gebiete des Thierjtüdes, der Idylle und hiſto— riſchen Genremalerei in älterer Manier thätig gemwejen war, fand er in lesterer Zeit auch hellere Farben für jeine neueren Thieritüide, von denen eines auf der internationalen Aus— jtellung zu München im Jahre 1893 durch jein frijches Colorit auffiel. Roux jtarb im Jahre 1894 nach 14jährigem verdienſt— vollem Wirken in Mannheim.

Nach Rour’s Tode begannen die Wellen der immer mächtiger anichwellenden modernen Kunſtbewegung auch jtärfer nad) Mannheim zu jchlagen. Der an jeine Stelle hierher berufene Saleriediveftor und bekannte Thier- und Landichaftsmaler Wilhelm Frey gewann fejte Beziehungen zur modernen Kunft und eroberte jeinem Colorit in jugendlich gebliebener Schaffens- luſt das volle leuchtende Sonnenlidt. Seine Thierjtüde find von energiicher Bewegung und lenken aud in auswärtigen Kunftausftellungen den Blid auf das gegenwärtige Mannheimer Kunftichaffen. Mit jeinen Landichaften gewann er den Boden heimiſchen Landes wieder im Sinne einer hier nei entjtehenden Heimathfunft. Der Meijter feierte im Jahre 1906 feinen 80. Geburtstag in geijtiger und förperlicher Kraft und unge- mindeter Arbeitsfreudigfeit.

Mit ihm find auch in Mannheim inzwiichen eine Reihe junger Talente und tüchtiger Künftler zur Geltung gefommen, die längſt jchon auswärts geſchätzt waren und endlich mit

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Collectivaugjtellungen ihrer Werke auch ihrer Vaterjtadt Freude machten, jo der hochbegabte Bortraitmaler Dtto Propheter, deſſen Bildnifje auch ein Stüd Heimathfunft in der Darftellung von Mitgliedern der hiefigen Gejellihaft bieten, Wilhelm Nagel, der hier zuerjt die jchlichten Motive jeiner wirfungsreichen, ftimmungsfeinen Landichaften fand. Michel Koch übertrifft mit jeinen groß angelegten Blumenftüden bei Weiten feine übrigen Arbeiten, auch die Eleganz und Helle jeiner früheren Baitell- bildnifje, während Ernjt Noether das Paſtellbildniß in tieferen, dunfleren Tönen zu halten jucht. Gleichfalls der Stadt Mannheim entitammen Auguſt Dieffenbacher, der vielleiht im Paſtell— Portrait jein beſtes leiftet, doch im Oberbayeriichen Sittenbild jeine größten Erfolge hatte, Ernjt Kirchner, von defjen flotten Nadirungen Mannheimer Anfichten wir hier „Die Sternwarte“ zur Wiedergabe bringen.

Neben diefen Künftlern entfaltet die talentvolle Malerin Anna Moll, eine Schülerin von Frau Hormuth-Kallmorgen, in ihrer Baterjtadt Mannheim ihre farbenjprühende naturvolle Blumenwelt. Eugenie Kaufmann widmet ihre ausgejprochene Begabung mehr der Plaſtik als der Malerei.

Bon Auswärts kamen nah Mannheim die hier kürzlich geftorbenen, verdienftvollen Maler Julius Fehr und‘ Ewald Haajenritter, der poefiereiche Maler, Radirer und Steinzeichrier Wilhelm Dertel (vom Künjtlerbund Karlsruhe), der im Frei— ficht fich vornehm bewegende Theo Schindler und die begabte Malerin Lydia Meyer, während der in Ludwigshafen geborene Künjtler Julius Exter hier in Mannheim feinen erjten Unterricht empfangen hatte.

Mehrere diejer Künftler haben auswärts große Erfolge ' zu verzeichnen und einige von ihnen Bilder in bedeutenden Gemäldegalerien, jo in der Kgl. Gemäldegalerie zu Dresden in der Großh. Galerie zu Karlsruhe und in der Kgl. Pinakothek zu München. Viele ihrer Namen begegnen und auf den größten internationalen Kunftausjtellungen, wo auch erjte Preife ihnen zu Teil wurden.

Diefen auswärtd zu großer Beachtung und Geltung ge

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Wiffenihaft und Kunſt im 19. Jahrhundert. 665

fommenen Künftlern zählt noch der junge, in Mannheim ge— borene Maler Bhilipp Klein zu, der energiiche Bertreter des modernen Naturismus der neuejten Kunjtbewegung Die noch Emil Zola freudig begrüßte. Der nordijch traurig ange: hauchte Raturalismus eines Liebermann wurde für überwunden erffärt und mit neugewonnener Lebensfreude ſtürzte fich Die berzensjunge Künftlerihaar in die Lichtfluthen der Königin Sonne. Das in Licht und hellite Farbe getauchte Bild „Straße nad der Jefuitenfirche am Prozeffionstage“ von Klein fand den einjtimmigen Beifall der Berliner und Münchener Kunjtkritif. Bald Hatte jih Klein einen weithin gehenden Auf in der deutjchen Kunjtwelt erworben, jodaß jein Schaffen troß jeines frühen Todes (9. Mai 1907) von der Kunſtgeſchichte nicht mehr vergejlen werden kann.

Für die angewandte Kunſt wirkte der 1898 gegründete Kunjtgewerbeverein in anregender Weile. Neben den von ihm veranjtalteten Ausjtellungen ließ er hervorragende Vertreter des modernen Sunjtgewerbes, 3. B. Joſeph M. Olbrih (Darm Itadt), Prof. Henry Ban der Velde (Berlin), Hermann Obrift (München) hier in Vorträgen ihre Ideen entwideln und ver- juchte jeinen Bejtrebungen einen größeren, ungewöhnlichen Zug zu verleihen. Die im Jahre 1901 arrangirte größere Kunftgewerbe- Ausjtellung, die auch auf den jchönen Raum der Schulfirche in L 1 hinwies, bildete eine erjte Zuſammenfaſſung einheimijcher funjtgewerblicher Betätigung und erfreute ſich auch des Bejuches des Landesfürſten.

Auch der Architekten- und Ingenieur-Verein Mannheim Ludwigshafen ift hier als Förderer der Kunſt, wenn auch hauptjächlid der Architektur, zu nennen,

Der Kunftverein, deſſen erjte Vorſtände Generalleutenant von Stodhorner, Hoffapellmeijter Ritter und Lithograph Schlicht, ein Nachkomme Meijter Abel Schlihts, waren, wurde im Jahre 1833 ins Leben gerufen. In lebter Zeit erwarb fich als Borjtand des Vereins Medicinalrat Stehberger (7 1907) bejondere Verdienſte um den Verein durch verſtändnißvolle

666 Wiſſenſchaft und Kunſt im 19. Jahrhundert.

Förderung der modernen Kunſt. Der Verein veranitaltete ſtändig Kunftausjtellungen und leitet die Anjchaffungen für die jtädtijche Gemäldejammlung; er ſteht unter dem Protektorat des Großherzogd. Das Jahr 1901 gejtaltete jich für den Verein bejonders glänzend, Es gelang dem Verein, die bisher um» fafjendjte Thoma-Ausjtellung mit 76 Delgemälden des Meijters zu arrangiren. Brof. Henry Thode hielt zu Ehren dieſer Ausjtellung bier einen Vortrag über die Kunſt des badiichen Meiiters,

Der Grund zu einer, der Stadt Mannheim gehörenden Kunjtiammlung wurde im Jahre 1873 gelegt, indem Durch Urkunde vom 21. Oktober jenes Jahres Herr Generalleutenant Kung in Karlsruhe die in jeinem Beſitze befindlihe Sammlung hinterlafjener Werke jeines Vaters, des Großherzoglichen Galerie: directors Karl Kuntz in Karlsruhe, der Stadt Mannheim ſchenkte. Karl Kung, 1770 in Mannheim geboren, machte hier jeine Studien und blieb bier bis er 1808 als Hofmaler nad Karlsruhe berufen wurde, wo er jpäter bis zu jeinem 1830 erfolgten Tode die Stelle des Galeriedirectord bekleidete. Er war einer der erjten, die wieder eine deutiche, auf ernjtem Naturjtudium beruhende Thiermalerei begründeten. Eine weient- liche Bereicherung erfuhr die jtädtiiche Kunftiammlung durch das Vermächtniß des Herrn James Emden, deifen 91 Gemälde enthaltende Sammlung nach dejjen Tode 1883 in den Beſitz der Stadt überging.

Die ſtädtiſche Kunſtſammlung ift bis jet im Anjchluffe an die Großherzogliche Galerie im Schloffe aufgeftellt.

Ihr Hauptwerk ift Anfelm Feuerbachs in großem Stile gehaltenes Gemälde „Medea mit dem Dolce.” Bon Thoma befitt die Galerie das eine bejondere Richtung der Malerei diejes Meifterö bedeutend ausiprechende Bild „Gemüſemarkt.“ Bon den Mannheimer Künftlern, die leider nicht vollzählig vertreten find, nennen wir Wilhelm Frey und Otto Propheter (Bortraits des Großherzogs Friedrih umd der Großherzogin Luiſe), von anderen Meiftern noch Franz von Lenbach (Bismärd),

Wiſſenſchaft und Kunft im 19. Jahrhundert. 667

Dans am Ende, Friedrih Kallmorgen, Guſtav Schönleber, Hermann Baiſch.

Der jtädtiichen Kunjt-Sammlung iſt mit der in diefem Jahre vollendeten Kunjthalle in der Nähe des TFriedrichsplages ein neues Heim erbaut worden. Wir fommen an anderer Stelle noch auf dieje Neufchöpfung zurüd und wollen hier nur noch dem Wunjche Ausdruck geben, dab fie eine Stätte edler Kunſt— erziehung werden möge.

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XXXIII.

Die Entſtehung der modernen Stadt (Bildhauerei und Baukunſt).

Errichtung des Schillerdenkmals Dalberg und Iffland-Statuen König

Ludwig J. Neue Synagoge Rheinbrücke und Neckarbrücke Neuer

Bahnhof Waſſerthurm und Waſſerleitung Paradeplatzbrunnen

Voſt, Börſe, Plankenumbau Der Friedrichſsplatz Bruno Schmitz Die Feſthalle Verbindung der alten und neuen Kunſt.

Die Bildhauerei und die Baukunſt verſchönten im 19. Jahrhundert das durch den Wegfall der Feſtungsmauern größeren Umfang gewinnende Stadtbild immer reger.

Im Jahre 1848 ließen die Veteranen aus den Freiheits— kriegen zum Andenken an die große Zeit der Befreiung Deutſch— lands das Denkmal auf dem Zeughausplatz errichten. Es iſt nad) einem Modell Brofefjor Hochjtetters von Bildhauer Arnold ausgeführt.

Mit der Erridtung eines Denkmals für Friedrich Sciller hat man eine alte Danfesjchuld abgetragen. Die Enthüllung diejes Denkmals fand am 9. November 1862 ftatt. Die dee, dasjelbe herzuftellen, wurde bei der Feſtfeier des 100jährigen Geburtstags des Dichters von funjtverjtändigen hieſigen Bür— gern gefaßt. Die Koſten brachte man durd eine Sammlung freiwilliger Beiträge auf, und mit der Ausführung wurde der Bıldyauer Cauer aus Kreuznach, der damals eben erjt von jeinem Aufenthalt in Rom zurüdtam, betraut. Mit dem Guß

Die Entitehung der modernen Stadt. 669

der Statue beauftragte man die Kgl. Erzgießerei in München, während die Ausführung des von Stufen umgebenen jteinernen Piedeital3 der Firma E. Adermann (Weißenfels) übergeben wurde. Durch das Eritehen dieſes Denkmals erfreut, jtiftete König Qudwig I. für den Theaterplat (an dem er, nebenbei erwähnt, an Stelle der jetigen Rheiniſchen Kreditbanf hier ein Domizil hatte), zwei weitere Denkmäler für die beiden großen Perjönlichkeiten der Mannheimer Schillerzeit, für den wagemuthigen Freiherrn v. Dalberg und den genialen Schaus ipieler Iffland.“)

E3 war ein großer Feittag für Mannheim, als die Hülle von der ehernen Statue Friedrih Schillers, des geliebten und

gefeierten Dichters fiel, deijen Name mit der künſtleriſchen Be—

deutung unjerer Stadt jo innig verknüpft ift. Der Dichter iſt in energijcher Bewegung, als begeilterter Füngling und Apojtel einer freien Gedanfenwelt bargeitellt. In jeiner Linfen hält er das Manujfript der „Räuber“. Das Mannheimer Denfmal iſt jedenfall3 eines der beiten Sciller-Denfmäler Deutichlands und verdient auch al3 Kunſtwerk weitgehendere Beachtung. Das Denkmal für Iffland wurde 1864 enthüllt, während die Ent: hüllung der Statue Dalbergs in das Jahr 1866 fällt. Die beiden Denkmäler zu Seiten de3 Sciller- Monuments, Die Profeſſor Widnmann gejchaffen hat, erhöhen die Lebhaftigkeit der Erinnerung an die Zeit großer Kunſtthaten.

Das Schillerdenkmal wurde auch zum Mittelpunkt der

*) lleber Ifflands Denkmal jchrieb König Ludwig an dem damaligen Dberbürgermeiiter Achenbah in Mannheim:

„sch fee Sie vorläufig in Kenntniß, daß ich mit Genehmigung des Großherzogs vorhabe, in Sommer 1864 zur Erinnerung des größten Glanzes der Mannheimer Bühne ein Denkmal zu jegen: einer der wenigen noch Lebenden, der die lette Zeit derjelben noch ſah. Es joll dieſes Denkmal in Ifflands ehernem Standbild beitehen, ala dem Vertreter jener glänzenden Zeit von Mannheim’3 Bühne Mich freut, damit zur Verihönerung Ihrer Stadt, an die mich jo viele Erinnerungen knüpfen, etwas beizutragen. Ich bin mit den Gefinnungen vieler Wertſchätzung Ihr mwohlgeneigter Ludwig. Ludiwigshöhe, den 28. Juli 1862.*

670 Die Entitehung der modernen Stabt.

großen Feier zum Gedächtnis des Todestags des Dichters im Scillerjahr 1905.

Unter den neueren Gebäuden verdient die 1851 bis 1855 in byzantiniſchem Stile erbaute Synagoge in F 2 bejondere Hervorhebung. Ihre Sanditeinfafjade mit weiter Eingangs- halle, zu welcher breite Treppenftufen führen, liegt nach dem Quadrate F 3 zu. Im Innern iſt der Tempelbau reich und vornehm ausgeftattet. Die Malereien rühren von Schwarz- mann ber, welcher Kimjtler befanntlich bei der Erneuerung des Domes zu Speyer mitgewirkt und Dedenmalereien in ber Bafilifa in München geichaffen hat. Erbaut wurde die Synagoge von den Architekten Ulm (Mannheim) und Lehndorf (Heidelberg). Die bedeutenden Koſten des Baues trug die Hiefige ijraelitische Gemeinde.

1868 wurde die große Rheinbrüde vollendet. Sie iſt nach dem Plane des Oberingenieurs der Pfälziichen Eiſen— bahnen, Baurath Basler, in der Zeit von 2 Jahren erbaut. Die Portale, auf Badiſcher Seite mit einer Handel und In— dujtrie jchügenden Minerva geziert, auf pfälziicher Seite eine Germania und Palatia tragend, find von Baudireftor Durm und Bildhauer Moejt entworfen. Bon der Brüde erhält man ein jchönes Bild des von Schiffen belebten Aheinftromes, des Mannheimer Ufers mit jenem Schloßgarten im Oſten und jeinen neuen Hafen» und Kaianlagen im Weſten, jowie der gegenüber gelegenen pfälzer Stadt Ludwigshafen, der jüngjten Stadt Deutichlands (gegründet 1853).

Un Stelle der 1845 von Ingenieur Wendelſtädt errich- teten Slettenbrüde über den Nedar, die abgebrochen wurde, erbaute man die neue Friedrichsbrücke. Diefe wurde nad) dem Entwurfe von Profeſſor Thierſch (München) in einer fich zierlich und graziös ausnehmenden Eijenkonftruftion errichtet und 1891 eingeweiht.

Ueber dem Nedar liegen in nordöftlicher Richtung Die neuen Kaſernen des hier garnijonirenden Badiſchen 2. Grena— dier-Regiments Kaijer Wilhelm I. Nr. 110.

Die Stadt iſt rei) an hervorragenden Banfgebäuden,

Die Entſtehung der modernen Stadt. 671

großen Waarenbazaren, eleganten Verkaufsläden, neuentſtan— denen Bergnügungs-Etablifjements (Saalbau, Apollotheater, Eolofjeum) und ſchmuckreichen Vereinshäuſern. Bon den leb- teren enthält eimen ſchönen Saal das fatholifche Vereinshaus „Der Bernhardushof“, erbaut von dem Mannheimer Architekten Rudolf Tilleſſen.

Erwähnt jei noch, dab das Dft-Bortal des Rathhauſes mit neuen Figuren von Bildhauer Moejt geichmücdt wurbe.

Das 1876 vollendete Gebäude des Hauptperjonenbahnhofs empfängt den Fremden am jüdöjtlichen Ende der inneren Stadt. Die jtarf betonte Mittelballe Itegt quer vor dem Kaijerring, von dem aus man die bedeutend wirkende Kuppel überall jehen kann. Das dreitheilige Portal bildet die architeftonijch ſchöne Eingangspforte zur Stadt. Der Bau it nach dem Entwurfe des Oberbauraths Helbing (Karlsruhe) aus weißen Murg- thaler und rothem Nedar-Sandjtein ausgeführt.

Bom Hauptportal des Bahnhofs beginnt die mit gärt- neriichen Anlagen reich geſchmückte Ringſtraße. Dieje, durch die Fülle ihrer echten Steinfajjaden ſich bejonders auszeichnende Straße führt zunächſt an das am 31. März; 1900 enthüllte Bismarddenfmal. Fürſt Bısmard ift hier im ganzer Figur unter ftarfer Betonung des Energiichen und Kraftvollen feiner Berjönlichkeit dargeitellt. Ihm zu Füßen wahrt ein Germane mit Schild und Schwert die deutiche Katjerfrone. Das Denk— mal iſt von Profeſſor Hundriejer in Berlin entworfen.

Auf der entgegengejegten Seite der Stadt vor dem Zeug» haus wurde auch ein Moltke-Denkmal errichtet, entworfen von Profeſſor Uphues (Berlin).

Das weithinfichtbarjte moderne Bauwerk Mannheims it jedenfalls der auf dem Friedrichsplatz errichtete Waſſerthurm. Er iſt ein Meiſterwerk de3 namhaften Architekten Halmbuber, der befanntlich auch die Architektur des neuen Kaiſerdenkmals in Berlin entworfen hat. In einfach großen Formen gehalten, ericheint er wie ein gewaltiges Symbol des Elements, dem er zur Aufnahme dient und dem unjere Stadt jo viel verdanft. Er erreicht mit der ihn frönenden Amphitriten-Geſtalt von

672 Die Entjtehung der modernen Stadt.

Johannes Hoffart eine Höhe von über 50 Meter. Die Be- ftimmung des Thurmes jpricht jchon jein Name aus; er gehört zu der jtädtiichen Wafjerleitungsanlage, die das vorzügliche Grundwaſſer des 7 Kilometer von der Stadt gelegenen Käfer— thaler Waldes als Brauch- und Trinkwaſſer der Stadt zuführt.

In der Nähe des Friedrichsplatzes liegen eine Reihe von neuen modernen Sculgebäuden, jo dicht vor der Feithalle weitlih das Realgymnafium mit jeiner aus rothgelbem Pfälzer Sandſtein reich gejtalteten Faſſade, ein Quadrat nach Diten weiter auf der Tullaſtraße die Oberrealichule, ein in weißem und grauen Sandjtein und mit Vergoldungen ausgeführter rubig jchöner Bau, im Südojten vom Friedrichsplatz, auf der Noonitraße, das Großh. Gymnaſium, aus rothem Sandjtein gebaut (im Treppenhaus mit mehreren Glasmalereien nach Entwürfen von Otto Edmann geziert).

Südlich neben dem Gymnafium jtehen die 1901 vollendete Heiliggeijtfirche, etwas entfernter dem Nedar zu die neue malerijche Turnhalle und dicht am Nedar die neuerbaute Reformichule.

Bon neuen Gotteshäujern, die in den letzten Jahren unjere Stadt erhielt, nennen wir no als katholiſche Kirchen: die Liebfrauenfirhe am Luiſenring (1903), die Herz-Jeſu— Kirche im Nedarjtadtteil (1904), jowie die St. Jojephsfirche an der Windeckſtraße (1907) und als evangeliihe Kirchen: die Johanniskfirche im Lindenhof (1904), die Lutherkirche am Nedardamm und die }riedensfirche in der Schwetzingervor— jtadt (1906).

Eine weitere fünjtleriiche Zierde erhielt unjere Stadt durch die neuen Figuren am Sodel des älteren Paradeplatz-Denkmals, die im Sommer 1893 enthüllt wurden. Ihr Schöpfer, der jest in Charlottenburg wohnhafte, aus Mannheim gebürtige Bildhauer Johannes Hoffart, hat es veritanden, mit Diejen Figuren uns eine Wunderwelt des Waſſers hervorzuzaubern, die troß all ihrer phantajtiichen Gejtalten wie in wahrhafte Natur verwandelt ericheint. Nicht weniger denn acht neue Figurengruppen umgeben nunmehr den Mittelbau des eigen- artigen Zierbrunneng, zum Schmude der verändert aufgejtellten

Die Entjtehung der modernen Stadt. 673

jteinernen Wafjerbeden dienend. Den Metallguß der Figuren bejorgte die Kgl. Erzgießerei von Ferd. von Miller in München. Dieje ſymboliſche Welt bes naſſen Elements umringt das originelle Gejtaltenpotpourri des alten Kunſtwerkes Grupellos aus den Zeiten der Kurfürften Johann Wilhelm und Karl Philipp, das von jeiner die Schärfe der Formen verwiichenden Ueberladierung wieder befreit wurde.

Unter den modernen Gebäuden der inneren Stadt nimmt da3 neue Reichspoftgebäude an den Planfen eine erjte Stelle ein. Es ijt von Architeft Bauer, dem „badiſchen Poſtarchi— teften“, der die meijten in Baden errichteten Poſthäuſer aus— geführt hat, entworfen und wurde erjt kürzlich nach einem weiteren Anbau vollſtändig fertiggeitellt.

An den Planfen ragt noch die neue 1902 eröffnete Börje hervor. Diejer Bau ift einer großen Hanbelsftadt, wie dies Mannheim ift, entiprechend im großen Stile ausgeführt. Er wirft von Außen bedeutend und doch ruhig; im Innern iſt er mit prächtigem Wandſchmuck verjehen, jo die große mit Glas überdachte Börjenhalle mit ihren 12 Säulen, im ber fih ein Haupttheil des Mannheimer Handels abjpielt. Der Bau ift infolge der Initiative und Opferwilligfeit erjter Perjönlichkeiten der Hiejigen Handelswelt unternommen worden. Ausgeführt wurde er von der hiefigen Architekturfirma Köchler & Karch. Architekt Karch erbaute auch die neue Darleihkaffe, die eine fünstleriiche Verbindung Mannheims und Heidelbergs veriucht und deren reichgejchmüdte Faſſade mit ihren Büſten und Reliefs die Geihichte Mannheims feiert.

Das Gebiet der Planfen bildet ein faft die ganze innere Stadt von Dften nach Weiten durchziehendes Rechteck, das einer langhingejtredten, plaßartig breiten Straße gleichkommt. Die Planfen haben erjt fürzlich durch Anlage breiter Trottoirs und Asphaltirung der Fahrſtraße eine moderne Umgestaltung erfahren, die ihnen als Mittelpunkt des Verkehrslebens noth- wendig zufam. In der Mitte der Planfen erjtredt ſich der Baradeplag nah Süden zu, mit neuen gärtnerischen Anlagen geſchmückt.

Defer, Geſchichte der Stadt Mannheim. 43

674 Die Entitehung der modernen Stabt.

Am Paradeplat glänzt das zum neuen Rathaus erhobene Kaufhaus in jeinen graziöjen Formen und feinem echten Stein- material. Der von uns mitgefämpfte Kampf für die Erhaltung des prächtigen Baues und für die Bloßlegung der überjtrichenen Steinfafjaden hat ein Meijterwerf der Baufunjt vor drohender Gefahr gerettet. (S. noch Seite 211).

Ebenjo hat das Zeughaus Verichaffelts durch jeine Reno— virung an Schöhnheit und Wert gewonnen, weniger die Stern— warte, die in ihrer alten Gejtalt jtimmungsvoller erichien.*)

Seit kurzer Zeit zählt auch die Konkordienfirche im Quadrat R2 zu den hervorragenderen Gebäuden unjerer Stadt. Bisher fonnte fie in ihrem faft verfallenen Zuftande nur dem Ein- heimijchen ein gewiſſes hiftoriiches Intereffe abnöthigen; allein, neu hergerichtet und mit einem neuen Thurmaufbau verjehen, ift ihr Bau zu neuem Leben gebracht, der num wejentlich zur Verihönerung der Unterjtadt beiträgt. Der Ergänzungsbau wurde nach den Plänen des Bauraths Behaghel (Heidelberg) ausgeführt. (Bild Seite 576).

Bor dem Schloſſe lagert fich der renovirte, einfach gehaltene, doc) architektonisch und hiſtoriſch wertvolle Bau des ehemaligen Frauenkloſters, jest Bürger- und Volksſchule mit dem jchönen Raum der Schulfirche, der jebt das von den Schlogräumen des Altertumsvereins abgezweigte Stadtgejchichtliche Muſeum birgt.

Dem öjtlihen Ende des Echlofjes nördlich gegenüber liegt das neue Großherzogliche Amthaus, das im Auftrag des Großh.

*) Auf ber Stermivarte wurde aud im vergangenen Jahrhundert eine rege willen ſchaftliche Thätigfeit entfaltet, Nach Klüber und vor Schönfeld und Balentiner, dem leuten Gelehrten auf ber Ztermwarte, wirkte bier der am 25. Oftober 1793 in Braunfchtweig ges borene Nitronom und Mathematiker Friedrich Bernhard Wottfrieb Nicolai, ein Schüler bes berühmten Gauß. 1816 wurbe Nicolai von Großherzog Marl, ber für die Sternwarte lebhastes Intereſſe zeigte und fie auch ſelbſt befuchte, als Hofaftronom in Mannheim art: geitellt. Seine wertvollen aftronomiichen Arbeiten behandeln beſonders bie auch im Brief: wechſel mit Gauß beiprochenen Mondbeobadhtungen. (Mädlers Mondkarte verzeichnet einen Dlondberg, ber auf biefer Harte nad ihm „Nicolai” genannt it.) Der Baily’ichen Formel zu Meſſungen auf ber Grboberfläche nad ben Monditellungen feste er eine vereinfachtere gegenüber unb als ausgezeichneter Mathematiker ergänzte er wichtige Punkte der bisherigen Theorien zur Integralrechnung. Wicolai ftarb ala Großh. Hofrat am 4. Juli 1846 zu Mannheim an den Folgen eines Schlagfluffes. Gin Enkel von ihm ift der jegige Präfident der Großh. Bad. Givilliftte Exc. Dr. Eduard Nicolai und eine Gntelin die Gattin des in Mannheim wirkenden Yandgerichtsbireftors Wengler,

Die Entjtehung der modernen Stadt. 675

Minijteriums des Innern Oberbaurath Danjer entworfen hat, während dem wejtlichen Flügel des Sclofjes der Neubau des Großherzoglihen Amtsgericht? angegliedert wurde,

Für den Schloßhof jtiftete neuerdings Stadtrat Herrichel zwei Monumentalbrunnen, die der Idee nad) mit dem hier errichteten Kaiſerdenkmal in Verbindung jtehen und gleichfalls von Guſtav Eberlein geichaffen wurden. Sie verfinnbildlichen den Wiedergewinn der deutichen Kaiſerkrone aus dem alten Nibelungenichage und den Segen des freien, deutfchen Rheins.

Gleichfalls eine Stiftung und zwar des Herrn Geh. Com— merzienrat Karl Reiß ift die im Schloßgarten vor dem Mittel- bau des Schlofjes aufgejtellte Marmorjtatue der Großherzogin Stephanie von Baden, der Adoptiv-Tochter Napoleons I. (Siehe Kapitel 28 diejes Buches).

Im Schloßgarten befindet ſich am nordweitlichen Ende der Stadtparf, ein für ſich abgejchlojienes Gebiet dieſes Gartens, das 1880 von der Großh. Hofverwaltung einer Brivatgejellichaft zur Errichtung eines gejellichaftlichen VBergnügungsetablijjements erjten Ranges pachtweiie überlajien worden iſt. Diejer Theil des Parkes, 1882 im Syſtem Siesmayer (Frankfurt) neu ges ftaltet, gehört zu dem jchönjten Stadtgärten Süddeutſchlands und bildet heute bei Gartenfonzerten des abwechjelnd hier und im Nojengarten ſpielenden Kaimorcheſters, der gutgejchulten Militärtapelle Mufikdireftors Vollmer während der Sommer: jatjon und feitlicher Gelegenheiten den Zuſammenkunftsort der vornehmen Welt. Näher am Sclofje liegt das von hundert- jährigen Kaſtanien bejichattete Garten-Café des einjtigen kur— fürjtlichen Ballhanjes.

Eine jchöne Stätte der Wohlthätigfeit und der Hilfe in Krankheit und Leiden iſt das im äußeren Lindenhofviertel am Schloßgarten großartig angelegte Krankenhaus, gejtiftet von Frau Commerzienrat Heinrich Lanz.

Die bauliche Vergrößerung Mannheims machte in dem festen Jahrzehnt Riejenfortichritte.e Ganz neue Stabdttheile entjtanden, jo das malerische Billenviertel am neuen Zuijen- park, das Lindenhofviertel, daS durch eine große Ueberführung

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676 Die Entitehung der modernen Stadt,

über das Bahngebiet mit der Stabt verbunden wurde, und die prächtige neue Stadt um den Friedrichsplatz.

Der Friedrichsplatz aber joll das Werf der neuen Stadt- enttwidelung frönen. Er joll einen großen, einheitlich gehaltenen monumentalen Pla in großem Stile bilden, wie er in ber Berbindung von Architektur und Gartenfunjt in Deutjchland bisher noch nicht vorhanden ift. Der deutiche Meifter der Baufunft Bruno Schmig hat diejen Plab entworfen. Mit genialem Berjtändnig für den Charakter der Stadt erfannte Schmitz jofort die Eigenart der Architektur Mannheims, und er entwarf den neuen Pla und die neue Feſthalle ganz unter Berückſichtigung der malerischen Architektur des 18. Jahrhun— dert3, den modernen Stil mit dem der bedeutenden Kunſtzeit Mannheims verbindend.

Bu der harmonisch fi in die Architektur des Friedrichs— plages emfügenden Südſeite der Feſthalle iſt die Nordjeite des Baues mit ihren Thürmen, ihrem mächtigen Portal, ihren Gartenanlagen und ihren Terraffen das malerijch lebendige Gegenbild. Das grüne, licht jchimmernde Dach trägt zu der prächtigen Geſammtſtimmung und impojanten Wirkung des aus rothem Sandftein errichteten Baues bei, deſſen Etagen von feuerficheren Eijenfonjtruftionen getragen werden. Unmittelbar hinter dem an der Nordjeite hochaufragenden Hauptportal Liegt der fir nicht weniger wie 15000 Berjonen ausreichende große, hohe Ribelungenjaal. An der dem Friedrichsplatz zugefehrten Seite ber Feſthalle befindet fich der prächtige, feierlich Ihöne Mujen- jaal, der etwa 2000 Berjonen zu fafjen vermag und für Konzert- aufführungen und Theatervorjtellungen bejtimmt ift. Hier tjt auch das große Veſtibül mit den geräumigen Garderoben, während öſtlich davon die Rejtauration Liegt.

Die neue Feithalle wurde Oſtern 1903 mit einem zwei— tägigen Mufikfeft, an dem da3 Karlsruher und Mannheimer Hofordieiter, jowie das Joachim-Quartett und etwa 1000,Sänger und Sängerinnen mitwirften, bei Anweſenheit des Großherzog» lihen Hofes unter Felir Mottl3 und W. Kählers Leitung eröffnet, und bald darauf erhielt das neue Haus noch durch

Die Entſtehung der modernen Etabt. 677

ein viertägiges Beethovenfeſt, veranftaltet vom Mufikverein und ausgeführt vom Kaimorchefter unter Felix Weingartners Leitung, eine weitere herrliche Weihe.

Zugleich erjtand auch während der Erbauung der Feſthalle da3 mädhtigjte Gebäude der Kunftzeit des 18. Jahrhunderts in Mannheim: das Großherzoglide Schloß aus ruinenhaften Verfall zu neuem Glanze.

Der Landesfürjt, Großherzog Friedrich, war es, der, wie wir jchon oben erwähnten, da3 Schloß Karl Theodor3 wieder- beritellen ließ und der höchſten Ehrung für wert hielt.

Damit jind von dem Fürſten jelbjt die oft noch von an— derer Seite künſtlich Eonjtruirten Gegenſätze zwiſchen der ein- jtigen und jeßigen Zeit in vornehmer, hoher Gefinnung voll ftändig überwunden. In ungetrübter Freude können wir ung dem Genuß der werthuollen Werfe hingeben, die noch aus jener Zeit jtammen, und von denen das Großherzogliche Schloß eines der großartigjten Deutſchlands ift.

Die neue Feſthalle aber bildet das nöthige Bindeglied zwiichen der modernen Architektur und den Baumerfen der früheren Zeit.

Fürſt und Bolf reichen ſich die Hand in der Hochhaltung großer Traditionen und in der Berjöhnung aller Gegenjäge.

XXXIV. Das Stadtjubiläum.

Feier de3 Jahres der Verleihung der Privilegien Der 24. Januar Eröffnung der großen Gartenbau= und internationalen Kunftausftelung Das fünftägige Jubiläumsfeit Die Großherzoglihen Herrihaften in Mannheim Ueberblid über die Ausitelung Die Gärten Die Kunjtausftellung und die Kunfthalle Litteratur und Theater im Jubis läumsjahr Gedenken Schillers Lichtfeite Schlußwort.

8 war denn als die Feier ihres dreihundertjährigen Beitehens und Wirfens an die Stadt Mannheim herantrat die bauliche Entwidlung der neuen Stadt bis zu einer jie frönenden Höhe gediehen und die alte und neue Stadt zu einer harmoniſchen Einheitlichfeit verbunden.

Bei der Beitimmung der Feier fiegte die auch durch diejes Bud) lebhaft vertretene Anficht, daß eine Stadt des Vorzugs, eine bejondere geijtige Begründung zu bejiten, auch heute ſich bewußt bleiben jolle und, wie unjere Vorfahren, den Tag diejer geiftigen Begründung auch in modernem Sinne zu feiern habe. E3 wurde daher die am 24. Januar 1607 erfolgte Verleihung der Privilegien, die für die ganze Entwidlung der Stadt grund» legend blieben und über ihre materielle Zeritörung hinweg— halfen, als die eigentliche Begründung unjerer Stadt zur Jubi- läumsfeier für das Jahr 1907 auserjehen.

Es jollten große Vorbereitungen getroffen werden, diejes Jahr in fejtlicher und würdiger Weile zu begehen, um auch im

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Das Stadtjubiläum. 679

deutichen Städteleben gebührend hervorzutreten. Die Stadt be- ihloß für das Jubiläumsjahr die Veranjtaltung einer großen Gartenbau Ausstellung und einer internationalen Kunjtaus- jtellung und volfsbildend wirkende Vereine und wiljenschaftliche Inſtitute beeiferten jich, die Veranjtaltungen der Stadt zu er- gänzen und jelbftjtändig zu erweitern.

So veranjtaltete der Verein für Bolfsbildung am Vor— abend des 24. Januar, des eigentlichen Feſttages, im Saale des alten, der ganzen Stadtentwidlung bisher vorftehenden Rathhaujes eine Vorfeier des Tuges und betraute den Berfafjer dieſes Buches mit einer Rede über den freiheitlichen und Frucht bringenden Charakter diejer Privilegien.

Am Tage darauf fand die offizielle Feier des Tages durch die Einweihung des neuen Schulhaujes am Zeughausplabe, das den Namen und das Reliefbildniß des Stadtgründers, des Kur- fürjten Friedrich IV., trägt, mit einer Weiherede des Ober— bürgermeijters ftatt. Das neue, jich weitausdehnende Schul- gebäude umfaßt die Gewerbe-Schule, eine Bürgerichule und Die Handelsfortbildungsichule.

Nach fieberhafter Thätigkeit konnten am 1. Mai die in furzer Zeit wie aus dem Boden gezauberte große Gartenbau» Ausstellung und internationale Kunftausitellung eröffnet werden. Es war ein recht fühler, doch heller Maientag, an dem fich die Eröffnungsfeier vollzog. Die Vertretung des Landesfürjten und der Landesfürjtin hatten Erbgroßherzog Friedrih und Erb: großherzogin Hilda übernommen. Der Eröffnungsaft wurde im Mujenjaale der Feſthalle abgehalten und gejtaltete ſich be— jonders auch durch die Anwejenheit der zahlreichen illuftren Gäjte zu einer glänzenden Einleitung des großen Unternehmens. Die Begrüßungsworte ſprach Oberbürgermeijter Bed; dann ergriff Bürgermeijter Ritter als Leiter des Unternehmens das Wort über die Idee und die Gejtaltung der Ausjtelung. Im Auf— trage des Großherzog eröffnete jodann mit warmen, herzlichen Worten Erbgroßherzog Friedrich die Ausftellung und mit dem Bortrag des von Mufikdirector Bieling dirigirten Männerchors „Die Ehre Gottes” von Beethoven und den Klängen der von

680 Das Stabtjubiläum.

Mufifdirector Hänlein geipielten Orgel endete der erſte Akt der Eröffnungsfeier. Hieran jchloß ſich noch des Nachmittags ein Rundgang des Erbgroßherzoglichen Paares und der anderen Feſtgäſte durch die Ausjtellung und des Abends ein Feſteſſen (im Ribelungenjaal), ſowie die erite Feſtbeleuchtung.

Bei dem Feſteſſen jprachen der Minijter des Großh— Haujes und der auswärtigen Angelegenheiten Freiherr von Marſchall und Oberbürgermeijter Bed.

Inzwilchen waren die Vorbereitungen zu einer mehrtägigen Teier des Stadtjubiläums jchon begonnen worden und jie fonnten bis zu Anfang des Feſtes vollendet werden. Es wurde eine Ehmüdung der Stadt vorgenommen, wie fie Mannheim wohl noch nicht gejehen Hat. Die Schloßpläße, die breite Straße bis zur Nedarbrüde, die PBlanten, die Rhein und Heidelbergerjtraße, der Ring vom Bahnhof bis zur Feſthalle wurden in ein Meer von Blumen:, Guirlanden- und anderen Feſt-Schmuck verwandelt, daß die Häufer felbjt fajt darunter verihtwanden.*) Das Felt jollte auch äußerlich zu jubelndem Ausdrud gelangen. So nahten die Feſttage heran, die durch die Anwejenheit des Landesfürjten jelbjt beionders gekrönt wurden und fir alle Zeiten gefrönt bleiben; denn es war der legte Aufenthalt des Fürſten in unſerer Stadt und mit Ge- nugthuung erfüllt es ums, daß jich diefe Tage jo jchön ge— ftalteten. An der Landungsjtelle des Rheines, da, wo das großherzogliche Paar vor einem halben Jahrhundert von der Mannheimer Bürgerichaft zum erjten Male jubelnd begrüßt worden war, entjtieg auch diesmal wieder das Großherzogliche Paar einem von Karlsruhe den Rhein abwärts gefahrenen feitlich gefhmücten Dampfer „Johannes Keßler“. Der Empfang gejtaltete fi) zu einer großartigen Huldigung des fürftlichen Paares, Mit dem folgenden Tage Freitag, den 31. Mai, be- gann die Feſtwoche. Nach einer Feſtſitzung der jtädtiichen

*) Die Triumphbogen der Planken zierte Bildhauer Hermann Taglang, der Schöpfer des ſoeben enthüllten Auguſt Dreesbach-Denkmals auf dem Friedhof mit ftilvollen Reliefs, während Bildhauer Willy Ballmann den Brunnen am Bahnhof nah dem Groß'ſchen Plakat ausführte,

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Das Stabtjubiläum. 681

Kollegien im Biürgerausichußfaale, die fich zu einer Ehrung des Dberbürgermeijter® Bed geftaltete und in der zu Ehren- bürgern Mannheims der berühmte Gelehrte Wilhelm Wundt, jowie Staatsminijter v. Eiſenlohr, Geh. Commerzienrath Karl Ladenburg und Major 3. D. Mar Seubert als um unjere Stadt hochverdiente Männer ernannt wurden, begab man ſich zum Feſtakte im glänzend geichmiüdten Nibelungenjaale. Die eier ging aus internen Kreiſen der Stadtverwaltung hervor. Dberbürgermeijter Beck und Stadtardivar Prof. Dr. Walter, der Berfafjer der Jubiläums- Publikation, hielten das gleiche fejtlihe Thema der Stadtgründung und Stadtentwidelung bes handelnde Reden, wobei die glänzende Redekunſt unjeres Stadt» oberhauptes dominierte, und Stadtrat Dr, Alt hatte einen ge- danklich reich belebten Prolog mit einer Schlußhymne gedichtet, die von A. Barchet componirt worden war und zu deren Vor— trag man das Hoftheaterorcheiter, das Kaimorcheiter, Die vereinigte Männergejangvereine und (für das Drgelipiel) Herrn Muſik— director Hänlein heranzog. An die Feſtreden jchloß ſich noch eine beiondere Ehrung des Stadtoberhauptes, des Oberbürger- meilter® Bed. Im Namen der philojophiichen Fakultät ber Univerfität Heidelberg überbrachten die Profeijoren Dr. Hoops, Geh. Hofrat Dr. Windelband, Geh. Hofrat Dr. Neumann und Geh. Hofrat Dr. Gothein dem Oberbürgermeifter die Urkunde feiner Ernennung zum Ehren-Doctor. Prof. Dr. Hoop3 hielt eine längere, dieje Auszeichnung begründende Anſprache. Den Schluß des Feſtaktes bildete der Bortrag des niederländtichen Dantgebetes.

Nach diejer Feier bejuchten die Landesfürſtin, Erbgroß- herzog Friedrich und Prinz Mar die Jubiläumsausſtellung der Deffentlichen Bibliothef im Großh. Schloffe, unter Führung des Bibliothefard Prof. Dejer, den jtadtgefchichtlihen Quellen— ichriften (bejonders auch dem erjten Mannheimer Drud der Privilegien) ihr hohes Intereſſe zuwendend.

Des Nachmittags begaben ſich die Großherzoglichen Herr: ichaften zur Feier der Enthüllung der vom Großherzog unjerer Stadt geitifteten und von Johannes Hoffart ausgeführten

682 Das Stadtjubiläunt.

Denkmäler Karl Friedrichs und Karl Ludwigs auf den Schloß— pläßen, die mit reichgejchmücten Tribünen verjehen und deren Straßenzug in Laubengänge verwandelt waren. Hier in einem auf dem Karl-Theodor-Plate errichteten Zelte, an der Seite jeiner hohen Gemahlin ftehend, ließ Großherzog Friedrich den Feſtzug der Jugend unjerer Stadt an ſich vorüberziehen, wie der fröhlichen Zukunft feines Landes jegnend ins Auge jchauend. Die Worte, die er dann jelbjt mit Fräftiger Stimme ſprach, werden hier noch lange wiederklingen.

Diejen und folgenden Feiern wohnten die jtaatlichen und jtädtiichen Behörden vollzählig bei. Bon Karlsruhe waren die Minifter Frh. von Duſch, Frh. von Bodmann und Frh. von Marſchall anwejend. Der Abend bradjte als erjter Theil de3 viertägigen Mufikfeftes ein jtadtgejchichtliches Konzert: die Aufführung von Werken der jchon oben im Kapitel 25 unjeres Buches beiprochenen Mannheimer Symphoniter Kaver Richter, Chriſtian Cannabich und Johann Stamik, wobei leider die beiden bedeutenden GComponijten Ignaz Holzbauer und Abbe Vogler unberüdjichtigt blieben. Wie wir gleich Hier erwähnen wollen, verzeichnete das Programm des ganzen Mufikfejtes noch jymphontiche Werke von Haydn, Mozart, Beethoven, Brudner, moderne Chorwerfe von Lijzt und Theodor Streicher, und deutjche Lieder aus zwei Jahrhunderten. Leiter der Kon— zerte waren Peter Raabe, Ferdinand Löwe, Hermann Kutzſch— bad. Das Orcheſter beitand aus .120 Mufitern, der Chor aus 800 Herren und Damen. Zu einem großen mufifaliichen Ereigniß gejtaltete ich die Aufführung der Graner Feſtmeſſe von Franz Liſzt unter Mitwirkung von Frau Chanbley-Hinfen, Fräulein Wehrenpfennig und der Herren Aler Heinemann und Felix Senius. Zu den Soliſten der Feſtkonzerte zählten noch die PBrofefjoren Marteau, Beder, Frau Julia Eulp, Frl. M. Lammen.

Der nädjte Vormittag Samjtag, der 1. Juni wurde der bildenden Kunft gewidmet. Die Großherzoglichen Herrichaften: Großherzog und Großherzogin, Erbgroßherzog und Erbgroß- berzogin, jowie Brinz Mar bejichtigten die internationale Kunſt—

Das Stadtjubiläum. 683

ausftellung in der neuen Kunfthalle.e Die Führung hatten Bürgermeifter Ritter und Maler Ludwig Dill übernommen, Sp wurde auch dieje neue Phaje der Entwidelung unjerer Kunſtpflege noch durch den Landesfüriten, der jo lange freudig für die Kunſt wirkte, eingeleitet. Des Nachmittags gejtaltete fih die Rundfahrt der Großh. Herrichaften durch die Garten- bauaugjtellung und den Bergnügunsparf zu einer neuen Ovation fiir den Landesfürjten und jeine hohe Gemahlin. Der Beſuch der Ausjtellung wurde in dem im VBehrens-Garten angelegten, mit originellem Blumenſchmuck ausgejtatteten Naturtheater beichloffen, auf deilen freier Bühne unter Louiſe Dumont3 und Gujtav Lindmanns Leitung Goethes „Laune des Berliebten“ von Mitgliedern des Düfjeldorfer Schaujpielhaufes im graziöjen Rokofo-Stil aufgeführt wurde. Die Aufführung gewährte neue Eindrüde und neue Werthichägung des Naturtheaters, jener interefjanten jtimmungsvollen Verbindung des Theaters mit der Natur zur Zeit Karl Theodors.*)

Zu einem weiteren jchönen Tag des Jubiläumsfeites ge» jtaltete fich der folgende Sonntag. Bei dem Feſtgottesdienſt in der Trinitatisficche, dem die Großh. Herrichaften beimohnten, hielt Herr Stadtpfarrer Achtnich die Predigt unter Zugrundes legung des Bibelwortes: „Sucht der Stadt Beites, dahin ich euch babe Lafjen wegführen und betet für fie zum Herrn.“ Nach dem Feitfonzert am Nachmittag und der Feſtvorſtellung im Hoftheater brachte die in dem Feuerzauber der Jllumination erjtrahlende Stadt die TFeitfreude zum Ausdrud. Einen Gipfel erreichten die fejtlichen Beranjtaltungen am Montag, Am Morgen des Tages wurde von etwa 200 geladenen Teilnehmern an den FFeitlichkeiten der erjte Gang über die neue Nedarbrücde vorgenommen, ein dringend geforderter, fühn ich mit einem Bogen über den Nedarfluß jchiwingender Brüdenbau, ausge: führt unter der Leitung des Stadtbaurathe3 Eijenlohr, der

*) Auch der Hebbek-Rerein, der ſchon mit einer Aufführung von Taſſos „Aminta* im Schweginger Garten dieſer Vorftellung voranging, arrangirte hier fpäter noch eine andere dramatifche Darbietung.

654 Das Stabtjubiläum,

auch die Führung biejer erjten Ueberjchreitung leitete. Dann folgte der feierliche Akt der Einweihung des neuen Induſtrie— bafens an der einen Aundblid über das weite Waſſer- und Ufergebiet gewährenden, fejtlich gezierten Baftion. Gegen 11 Uhr erſchienen die Großherzoglichen Herrichaften auf dem Feſtplatz, fih in das aufgeftellte Firftenzelt begebend. Die Feſtreden hielten Oberbürgermeijter Beck und Stadtbaurat Eijenlohr. Hierauf jchritten der Großherzog und die Großherzogin vom Zelte aus auf die Baftion, um mit dem von einem hiefigen Bürger geftifteten filbernen Hammer die erjten Schläge auf den Schlußjtein des großen Werkes auszuführen. Dann ergriffen den Hammer die Minifter Sch. v. Duſch, Frh. v. Bodmann und Frh. v. Marjchall, Oberbürgermeijter Bed, Handelskammer— präfident Geh. Commerzienrat Lenel und zulegt Stadtbaurat Eiſenlohr. Das eine große Zufunft induftrieller Bethätigung vorbereitende Unternehmen hatte jeine Weihe erhalten.

Und nun begann mit dem prächtig decorirten Dampfer „Kaiſerin Friedrich“ die Feſtfahrt, die glänzend gelingen jollte, obwohl bei ihrem Beginn ein ſtarkes Unwetter niederging das Sich aber bald verlor und umjo froder jtimmendem Sonnenjchein wid. Die Großherzoglichen Herrichaften und Feſtgäſte fonnten fi auf dem Ded des Schiffes bald ganz den herrlichen Eindrücken hingeben, die dieje Feitfahrt gewährte. Nahezu ein halbes Hundert non Feſtſchiffen bewegte ſich auf dem Rheine dem Feſtdampfer entgegen, auf welchem jich die Großherzoglichen Herrichaften befanden eine Huldigung un« vergeßlicher Art und ein auch von den fremden Gäjten als groß empfundene® Schaufpiel. Erit gegen "3 Uhr wurde gelandet. Bei dem Feſtmahle am Abend, das in dem von Stadt- gärtnerZippel reich mit Blumen, Palmen u. A. gezierten Nibelungen- jaale des Rojengartens jtattfand und an dem circa 400 Berjonen theilnahmen, ſprachen Oberbürgermeilter Bed, Staatsminijter von Dusch, Bürgermeifter Martin und Oberjt von Winterfeld.

Weniger gelang das an demjelben Abend noch abgehaltene Gartenfeſt in der Ausjtellung, da ſich Regengüſſe recht unan- genehm bemerkbar machten. Dennoch jiegte das reich entfaltete

Das Stabtjubiläum. 685

Licht über die büftere Regenjtimmung und die Großherzoglichen Herrichaften, die von einem Bavillon am Wafferturm aus Illumi— nation und Feuerwerk mit anjahen, Fehrten erfreut und befries digt in das Großherzogliche Schloß zurüd.

Dienftag, den 4. Juni brachten die Jubiläumstage das Kinderfeit auf den Rennwieſen, deſſen Leitung Stadtichulrat Sidinger zufiel. Nahezu 10000 Kinder erfüllten den weiten Bla mit ihrer jubelnden Lebensfreude und erheiterten das Herz des greijen Landesfürften durch ihre fröhlich vorgeführten turneriſche Spiele.

Am Mittwoch war der Großherzog im Schloſſe jelbit der Gajtgeber. Die Hoftafel, die Diesmal vor allem aud) die mit der Ausjtellung und ihrer Vertretung (Prefje) verbundenen Perſönlichkeiten Heranzog, fand in der üblichen glänzenden Weiſe ſtatt. Am Mittwoch traf noch die zur Kur in Baden weilende erotiiche Majeſtät des Königs von Siam ein und ließ fich, auf dem Balkon des Schloffes mit den Großherzog» lichen Herrſchaften ericheinend, von den herbeiftrömenden Bür— gern und Bürgerinnen unjerer Stadt begrüßen. Der lebte Aufenthalt des geliebten Landesfürften im unjerer Stadt ging jeinem Ende zu. Für Donnerjtag Abend war die Abreiſe bejtimmt.

Da jollte noch ein intereijantes Ereigniß den Großherzog und den hohen Seinen begegnen. Begegnen im wahren Sinne des Wortes, denn die Abreije der Großherzoglichen Herrichaften erfolgte jo, daß bei ihrer Abfahrt vom Schloſſe ihnen gerade noch die eriten im Schloßhofe eintreffenden Wutomobile der Herkfomer-Concurrenz entgegenfamen, an der Spige ein Mann— heimer, Edgar Ladenburg, deifen Benzwagen, geiteuert von Inge: nieur Fritz Erle, den Sieg errang. Der Sieger und Meijter, Söhne unjerer Stadt und des legteren Werkzeug, ein Triumph unjerer In— dujtrie! Stolz fonnte jo Mannheim noch beim Abjchiede große Perjpectiven auf eine neue Welt des Verfehrs bieten. Der Jubel der Bevölkerung begleitete die Wagenflucht der Groß— berzoglichen Herrſchaften und ihres Gefolges bis zum Bahnhof. In den Jubel mijchten ſich die jchmerzlichen Empfindungen des

686 Das Stadtjubiläunt.

Abſchiedes, eines Abjchiedes für immer, denn den heißverehrten Landesfürſten jollte die von ihm allezeit jo jorgjam bedadıte Stadt Mannheim nicht mehr wiederjehen. Sein Tod durch— zitterte die Stimmungen der legten Wochen der Ausjtellung in trauererfüllender Weiſe.

Wenden wir uns der „Großen Gartenbau» und Inter nationalen Kunſt-Ausſtellung“ ſelbſt zu. Sie bildete die dauernde, nahezu ein halbes Jahr währende Feier des Stadtjubiläums. Die Stadtgemeinde war die Trägerin des Unternehmens, Pro— teftor desjelben Großherzog Friedrich) von Baden. Zum Ges jammtleiter der Ausjtellung hatte man Herrn Bürgermeiiter Ritter auserjehen. Der Vorjtand der Ausjtellung bejtand noch aus folgenden Herren: Commercienrath Herm. Dyderhoff, Geh. Commercienrath Karl Reit, Geh. Commercienrath Karl Qaden- burg, Fabrikant Ed. Schweiger, Ingenieur O. Smrefer, Prof. Ludwig Dill. Die Vertreter des Staates waren: Landes— commiffär, Geheimer Oberregierungsrath Pfiſterer und der Boritand des Bezirksamtes Geheimer Regierungsrat Edmund Lang.*) Für die fünftleriiche Gejtaltung der Anlage der Aus— ftellung z30g man hauptjächlich auswärtige Kräfte heran. Prof. Mar Läuger entwarf die Gejammtanlage der Ausftellung, Prof. Hermann Bieling erbaute die neue Kunfthalle und Brof. Ludwig Dill arrangierte in der legteren die internationale Kunſtaus— jtellung. Wis weitere mitwirfende Kräfte find zu nennen: Garten-Ingenieur Ferdinand Keerl, Architeft Schab, Stadtbau- rat Perrey, Prof. Dr. Walter und Redacteur Herm. Schade (die regjamen Leiter des Reclame-Wejens). Die Ausjtellung follte einen intimeren Character erhalten und durch ihre Einglieder- ung in den Friedrichsplatz mit der Stadt verbunden bleiben. Der am Sodel durch den interimiftiihen Anbau des Haupt- rejtaurants erweiterte Waſſerturm befrönte mit jeinen wuch— tigen und bedeutenden Formen die Ausſtellung. Bor ihm

*) Beſondere Verdienfte um die Ausſtellung erwarben fich ferner noch Graf Victor von Helmitatt, Stadirat Löwenhaupt und Stadtrat Hirichhorn, ber franzöfiihe Gonjul Pradere-Nigquet, Stabtbeirat Dr. Schott u. N,

Das Stadtjubiläum, 687

breitete fich der nach Plänen ſeines Erbauerd Bruno Schmik für die Ausftellung umgejtaltete Friedrichspla aus. Rechts von ihm wurde vor der Kunfthalle von der Firma Siesmayer (Frankfurt) ein in einfachen geraden Linien und Quadraten gehaltener Schmudhof angelegt. Durch die provijorijche Ueber— brüdung der Augufta-Anlage, die man für den begrenzten Ausitellungsplag für nothiwendig hielt, gelangte man zur eigent- lichen Gartenbau-Ausjtellung, die durch die mit breiten Terraffen und Freitreppen verjehenen 320 Meter langen Ausjtellungs- allen (gewerbliche Halle, Abteilung der Objtdauerausftellung, Halle für Gartenkunft, Palmenhalle, Halle der Sonder-Aus— jtellung, wiffenjchaftliche Abteilung) abgejchloffen wurde. Vor diejer Halle liegen die Gärten: der phantafievoll componirte, abwechjelungsreihe Schmud einheitlich zujammenfaffende Garten Läugers mit dem gejchloffenenen Badhauje und dem Sommer-

Badhaus im Yäuger-Oarten.

baſſin im Mittelpunkt, der innig deutjch berührende, einfache Schönheit bietende Garten Schulze-Raumburgs, verbunden mit anheimelndem Gartenhaus und fühlender Grotte, der von Peter Behrens in großen Formen angelegte Garten, auf deſſen von Eypreffenwänden umgebenen Naturtheater die jchon erwähnten Theatervorjtellungen im Freien ftattfanden, der exotiſch inter

688 Das Stadtjubiläum.

eſſant geitaltete Sondergarten Heinrich Henkels (Darmitadt), der römijche Motive vortrefflich heranziehende Brahe’iche Garten, der Luxusgarten Röthe-Bonn, Sonnen» und Scattengarten glücklich jcheidend, die ornamentalen Gärten Bielings zu Seiten der großen Hallentreppe. Neben diejen Gärten find noch zu nennen die mit praftiichen Zweden verbundenen Gebiete des Staudengartens von 008 und Könemann (Niederwalluf), der Rejtaurationsgarten am „Zillerthal“, der Formobſtgarten der Firma I. Hönings (Neuß a. Rh.), das Beet der Dlainzer Handels: gärtner, der Demonftrationsgarten von N Gaucher (Stuttgart), die Schrebergärten, das Roſenbeet Peter Lamberts (Trier), der aud; die von Läuger entworfenen Roſarien am Cingange der Ausjtellung bepflanzt hat. Ein Verſuchsplatz für gärtneriiche Farbenſtudien bildeten noch die jog. Farbengärten an der jüd- lihen Seite der Augufta-Anlage, die von Andreas (Frankfurt), Appel (Darmitadt), Rojenkränzer (Mannheim) u. A. ausge» jtattet wurden. Auch dürfte hier noch die gärtneriiche Anlage August Buchners um den fräftig raufchenden Brunnen vor dem Lanz'ſchen Pavillon zu erwähnen ſein. Es iſt hier leider nicht der Raum, um aud) auf den vielen decorativ plaftiihen Schmud, den dieje Gärten erhielten, näher einzugehen.

Ein beionderes Garten-Gebiet bildete der Friedrichsplag, deſſen Blumenihmud zuerſt (Zulpenparterre) die Firma Berjenbujch- Doriten, dann eine Bereinigung Stuttgarter Handels- gärtner (Bofinger, Ernſt, Pfiber u. U.) übernahm. Die am Friedrichsplatz gelegene Feſthalle Rojengarten barg zeitweilig große Blumen (Orchideen) und Objt-Ansftellungen und erlebte ein hauptjächlich von Damen der hieligen Gejellichaft unter Mit- wirfung der Stadt verſchwenderiſch reich in Scene gejettes „Rojen= feſt.“ Eine an die Landichaft des heimischen Landes anfnüpfende Natur-Fmitation war die Schwarzwald: Anlage am öjtlichen Ende der Sondergärten, die von dem technijchen Leiter der Gartenbau-Ausitellung, Ingenieur Fred Keerl entworfen wurde. Zu diejer maleriich behandelten Anlage jtiftete Director Fuchs— Mannheim die von Architekt Hoppe nad) dem Vorbilde in Immeich ausgeführte Kapelle, Ingenieur Ludwig das getreu

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Jubiläums-Ausftellung Mannheim 1907.

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Das Stadtjubiläum. 689

dem ältejten Hauje im Guttachtale nachgeichaffene alte Schwarz: waldhaus. Hier in diejer Schwarzwaldanlage mit feiner Wein- fojthalle des Neichsverbandes der deutichen Landivirtichaftlichen Genoſſenſchaften im Unterjtod eines neuen von Architeft Hoppe erbauten Schwarzwaldhaufes, in dem auch eine Ausitellung der Schwarzwaldinduftrien untergebracht war, fpielte ſich ein Stüd pfälzer Volkslebens ab. Heimatlichen Charakter trug auch die öft- (ich neben der Schwarzwaldanlage errichtete „Burg Zähringen“, während das weſtlich an dieje Anlage grenzende Blodhaus der Firma Luſchka und Wagemann und feine gefällten Urwald» tiejenftämme fremde Naturart mit der heimijchen verbanden. Eine zur Gartenbau-Ausjtellung noch gehörige Neform-Schöp- fung war die Mehlhorniche Gewähshaus-Anlage nach eigenen neuen Syſtem, im Mittelpunkt das Heim der Königin der Blumen, der Victoria Negia. Auch das von der Firma Fuchs und Priefter angelegte Gewächshaus mit großer Heizungsvor— rihtung und ein von Architekt Tilleffen entworfener Garten: pavillon jollen hier noch genannt jein.

Die Augufta-Anlage bildete den Uebergang zum Vergnüg— ungsparf und führte, von dem Weinrejtaurant Weber und der Nothauswirtihaft ausgehend, an dem ein bedeutendes Werk Mannheimer Induſtrie ausftellenden Bavillon Heinrich Lanz, dem Cafe Hagen - und der großen Sunlight- Halle vorüber nach diejem Park, der nun einmal auf einer Ausjtellung nicht fehlen jolltee Die Gejammtanlage, die leider nur die jchönen Peripektiven auf die Berge des Ddenwaldes, auf die Allen und Fernfichten der Ebene nicht vol berückſichtigte und zu icharf von der freien Natur abichnitt, war dennoch künſtleriſch und jtilvoll geitaltet, während die Gebäude des Parfs meist nad) vortrefflichen Skizzen des Architekten Schaab ausgeführt wurden. Hier im Bergnügungspark mit Abejlinierdorf und Zillerthal, Panorama und Stinematographen » Theater, Waſſerrutſchbahn und NRodelbahn, Luft: und Automobil-Karuſſell, Kinderjpiel- plab und Gajperle= Theater, Teich- und Terraſſenreſtaurants, Sekt: und Weinjtuben („Luftige Witwe”, „Süße Mädel”), Spießbraterei und Wurjtlerei, Verkaufshallen und Verkaufs—

DO eier, Geſchichte der Stadt Mannheim. 44

690 Das Stadtjubiläum.

ftänden konnte fich bei den weichen Klängen der italieniichen Kapellen und herzhafter deutjcher Muſik hiefiger und auswärtiger Militär- und Schützenkapellen, jowie der Kapelle der hier auf- marjchirenden Petersthaler Bürgermiliz ein fröhliches volkstüm— liches Treiben entfalten.*) Ernſter gejtaltete fich das Verhalten unjerer Bevölferung zur Kunſtausſtellung. Dieje war in feinerlei Weiſe in den heimischen Boden eingewurzelt, und die Kräfte, die Mannheim der modernen Kunst geichenft hat, jahen wir nur jpär- lich vertreten. Gerade die Kunftausjtellung hätte jehr über den Wert und die Bedeutung der Mannheim entjtammenden Künfter unterrichten fönnen. Mit Werfen von Julius Exter, Philipp Klein, Wilhelm Frey, Wilhelm Nagel, Otto Propheter, Johannes Hoffart, Albert Haueiſen, Hans Beit, August Dieffenbacher, Wilhelm Dertef, Michael Koch, Ernjt Nöther, Theo Schindler, Volz, Franz u. N. wäre zweifellos ein Saal von Mannheim ausgegangener Kunſt zu ftarfem Eindrud zu bringen gewejen und die fremden Be- jucher hätten nicht das faljche Urteil gewonnen, Mannheim habe nur noch geringe Beziehung zur heutigen Kunjtbetätigung. Dem Leiter der Ausjtellung, Prof. Ludwig Dil, ift daraus fein Vorwurf zu machen. Er, in einer anderen Kunftiphäre wirkend, fonnte unjere Intereſſen nicht voll empfinden. Er jchuf ung in jeiner Weije eine Ausjtellung von intimen Reizen moderner Kunft, von interefjanten fünftleriichen Erperimenten und lie jeldft die verwegendjten Erſcheinungen der fünftlerischen Gegen- wart (jo 3.8. auch Gogh, Klimt) walten. Wir wollen feines: wegs das Genußreiche und Bahnbrechende dieſer Ausstellung auch in ihrer fünftlerijch feinen Darbietung verkennen, nur hoffen, dag auch Mannheims Kunjt, wie fie fich in den Werken alter wie neuer Zeit zeigt, die ihr gebührende Schäßung und Achtung findet.

Mit diefer Darbietung war bejonders das neue Gebäude

jelbjt verbunden, in dejjen Räumen die Ausitellung jtattfand. Es iſt dies die neue jtädtiiche Kunfthalle von Brot. Hermann

*) Der Neronautif wurde mit dem Feſſelballon und einer Freien Ballon- wettfahrt, an der fich neun Ballons betheiligten, gehuldigt,. Ein jportliches Unternehmen großen Stiles waren auch die Jubiläumsrennen im Dat, denen das Erbgroßherzogliche Paar beiwohnte.

Das Stadtjubiläum. 691

Billing (Karlsruhe). Der Bau wurde von ber Stadt auf Grund einer Stiftung der Hier verjtorbenen Frau Aberle unter- nommen. Mit verhältnigmäßig geringen Mitteln hat Billing ein in einfach großem Stile gehaltenes Gebäude geichaffen. Der mächtig wirkende Mittelbau bietet mit jeinem hochliegenden Portal in feierlicher Weije gleichjam den Eingang in die Myiterien der Kunft. Im Innern dominiren das prächtig im Marmorglanz erftrahlende Treppenhaus und der fich im unteren Stock daranſchließende große Oberlichtiaal. Der Bau, der die ſtädtiſche Kunſtſammlung aufnehmen joll, wird ein jchönes Denf- mal der Kunftbetätigung im Jubiläumsjahr bleiben und dem Worte Lejlings über Mannheim neue Ehre machen.

Während die Muſik das Jubiläumsjahr außer durch das Muſikfeſt noch durch die glänzend neu ausgejtattete Aufführungen der „Meifterfinger“ und des „Oberon“, jowie Durch das Gaſtſpiel der Wiener Operettengejellichaft feierte, brachte die Litteratur und Dramatik zwei hier völlig neue Ereignifje: den ſprachge— waltigen Bortrag Richard Dehmels einer eigenen neuen Dich— tung im Verjammlungsjaal des Rojengartens (gelegentlich der Tagung der Kunftfreunde der Rheinlande) und die Aufführung von Hebbeld Tragödie „Herodes und Mariamne“ in künftlerifch hochbedeutender Zeitung, Darjtellung und Ausjtattung.

Mächtig wirkte auch die vervolljtändigte Räuber-Aufführung in der neuen, großartig und ftimmungsvoll gehaltenen In— jcenirung mit dem genialen Darjteller Albert Heine als Franz Moor, den diejer in ähnlicher Maske wie einjt Iffland jpielte. Das Haus Schillers durchbebten da die Schauer großer, aber auch leidvoller Erinnerungen. Zur Sühne der Leidenszeit des Dichters, zugleidy aber auch jeine dauernde Verbindung mit dem Pfälzer Volke feiernd, errichtete der hiefige Verein für angewandte Kunft und künftleriche Kultur im Jubiläumsjahr unter der Zuftimmung des Landesfürften im Schloßgarten einen jchlichten Dentkijtein für „Anna Hölzel, der WRetterin Schiller in ſchwerer Bedrängniß.“ Die bier gedachte, den Sturz Schillers als Theaterdichter herbeiführende Affaire ges (angte mit einem kürzlich erichienenen dreiaftigen Drama „Slid»

44*

692 Das Stadtjubiläum.

wort, der arme Teufel” (Heidelberg, Otto Ficker, Gervinushaus) vom Verfaſſer diejes Buches zu eingehender Darjtellung.

Bon den vielen hier abgehaltenen Congreſſen dienten be ſonders der Wiſſenſchaft und Kunft die Verſammlung der deutſchen Gejchichtsvereine, die Tagung für Denkmalspflege, die Hauptverſammlung der jhiffsbautechnischen Geſellſchaft u. A.m. Die Journaliſtik jandte 200 Vertreter zur Eröffnung der Ausjtellung.

Ein gelungenes Wagſtück war auf fünftleriichem Gebiete auch das Auftreten Iſadora Duncans und ihrer Tanzſchule am 12. und 14, Juli unter freiem Himmel in voller Deifent- lichkeit vor Taujenden von Menichen auf der Baſſin-Inſel des wie ein Amphitheater klaſſiſcher Zeit ericheinenden Friedrichs— plates bei jtrahlend heller Beleuchtung.

Das aber führt uns zu den großartigiten VBeranjtaltungen der Ausjtellung auf dem Gebiete der Lichtentfaltung. So ge hörten denn die herrlichen Beleuchtungen und Feuerwerke der Ausftellung, die jtimmungsvolle Kachelbeleuchtung, das Teuer: meer der Bogengänge, der Lichterglanz der Illumination der Gebäude, die großartigen Conturen des Waflerturmes und die in bunten Farben erjtrahlende Leuchtfontaine zu einer Ent: widelung des Lichtes, wie Dies jchöner, edler und feterlicher nicht gedacht werden fann.

„Licht ift Leben, Liebe, Freude, Behaglichkeit, Sittlichkeit“ ichreibt ein moderner deutſcher Schriftjteller (M. G. Conrad) jo trefflih und wahr, und er fügt Hinzu: „Das Wort des jterbenden Goethe: ‚Licht, mehr Licht!‘ Klingt jo wunderbar mit dem biblischen Schöpfungswort zujammen: „Es werde Licht! Es ijt wie der Jubelruf des Sehers, der durch die momentanen Verdüjterungen der Geilter und Gewiſſen Hindurd) das hellfeuchtende Ziel erjchaut, zu dem ſich die Völker umd Sahrtaufende immer fiegreicher emporringen,“

Was auch ein Bismard, der Ehrenbürger Mannheims, ihon vor mehr als 50 Jahren in einem feiner Immediatbe- richte nach Berlin von Frankfurt aus über die Zukunft des Rheinischen Emporiums hellen Auges verfündete, geht jeiner Erfüllung entgegen.

Das Stadtjubiläum. 693

Immer mächtiger vaujchen die Wellen des deutjichen Rheins das Lied einer deutjchen Stadt, die auf freiefter Grundlage erjtanden, eine große Kunſt zur Blüthe brachte und in freier bürgerlicher, hochachtbare Leiftungen aufweijender Arbeit eine zufunftsreiche Entwidelung herbeiführte.

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Bon Mar Oeſer it u. A. noch folgendes erichienen:

Geichichte der Kupferitehkunit zu Mannheim

im 18. Jahrhundert. (Mit einer Einleitung über Peter v. Berichaffelt, Lambert Krahe u. A.) Leipzig, Breite fopf & Härtel. 1900.

Aus der Kunjtitadt Karl Theodors. Studien über pfälzische und badische Maler (Ferdinand Stobell, Maler Müller, Anjelm Feuerbach, Hans Thoma, Emil Lugo u. a.) Mannheim, 3. Bensheimer. 1901.

- Die Mannheimer Drucke und Buchausgaben der Schillerzeit. Mamıheim, Oeffentliche Bibliothef. 1905.

Slikwort, der arme Teufel. Sciller- Drama in drei Aufzügen. Heidelberg, Otto Ficker (Gervinus-Haus). 1906.

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