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SCHMARSOW

MASACCIO-STUDIEN

ERSTES BUCH

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MASACCIO

STUDIEN

VON

AUGUST SCHMARSOW

CASTIGLIONE D OLONA

MIT DEN

MALEREIEiN DES MASOLINO

KASSEL Th. G. Fisher & Co. 1895

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J lach jakrelattger Verzögerung kmnme iih endlirh (Inzii, mehi Versprechen HnxulHsen, iftdem irh dir Sttuhrn Uhr Masacrio und Ma,srdin(). die ich srhun oft für ineinc Sr//iifrr \itni Gc(/rnsfn/idr hritis/hrr l^ebungcn yemacht, nun xusfuntnen fasse und /irrinis(/( he. Si h ti irrifikriti n aller Art haben das Krsrhrii/en seither timnikilich geniachf, hls di/sr allen „lialienisi )ieti Funsi hnnym"' fiircht ich fast xa spnt hnunnen.

de mehr die Krrjehnisse u iedcrhoHi r Prüfung, ilie it}t s<U)sl ror fünfxehn Jahren schon getmnnen haUe^ von Anfang bis xn Ende die selben gegeben and^ wk uk sie damais vorgetragen, desto weniger luii die stete Erneuerung des Verfahretis unter dem Wedtsel der Mieben und pereOnUehen Mittel geduldet, das ürteü dogmatisfik xu formulieren und an die Stelle lebendiger Vniersuehtfig, die ihre Fehler bessern kann, Beweise vorgefasster l%esen xu setzen, die keine andre Lösung mehr ver- trngen. Die Genossen des FlorenHniseken Wintersemester» von 1888 auf 2889 hatte ich zunächst im Attge^ als dieser Inhalt zum ersten Mal Oesialt geicann um ans JAeftt x u treten ; denn sie allem waren in der Lage, sich jeder an seinem Teil bei dieser Arbeit zu versuchen. Auch jetzt aber erschien es ratsam, den Charakter, der sich daraus von selbst ergab, durehu eg beicahren Die Kennxeirhen dieser Herlcnn ft u erden gerade ihnen iriUkoninien sein, denen dies Hueh xu persönlicher KrintuTung geuidmef ist. l n<l uir sonst seit dem ersten Mal in (lijitingen bis \nni btxten Mal in Leipxig an diesen Auseinander- setzungen teHgenummen hat, uird eben darin melkiclU den be-slcn Wert erkennen.

Es ist eine Reihe von Eimelunterstichungen^ die ich biete, Masaceio- Sludisn, keine Biographie des grossen Malers, die aUseits abgesekkissen, sieh vsrmäfse in jeder Frage das letzte Wort xu sprechen,

583

Wir aüe, die daran beteiHgi warm, sind nieki die edben mdir wie damabt als dieses Buch für Sirm und Wesen unsrer Studien in Fiorem ein Zeugnies hatte werden soäen. Die Ideine Schaar ist nicht mehr voUxähHg beisammen. Die UeberUbendm haben eich zu JPMgenossen entwickelt, die auf eigenen Füssen stehen. Mich selbst entzieht die un- erwartete WenduiKj des Schicksals^ die wich nach Leipzig geführt, durch andre Pfiiehkn der Uebgewordenen ZuJlucJdstätte nnsres gemeinsamen Bestrebens und versagt mir alhu oft die Afufse, rechtzeitig meim Ernte ein:uheirnseff. ihre (fcnirfshnren Früchte ausxtdcscNf und Andern darxti- bringen. ein sie <h'n Ihtft rerl irren. Denn die Wirksamkeit des Lehrers drangt nn dieser Stelle \itrn Fortschritt im grösseren Zfusamnienhang , und titeorf tische Durchdringung dis ganxcn (j-t/ictes oder spexicUe Ver- tiefung in die Kunst f ines einxrhicn Volkts oitfremden ihm ehe ers denk/ die Errungenschaften des früheren Arhettsfclds. Nur foi tdauenuier Verkehr mit jüngerem Nachwuchs belebt auch das alte BesUxivm wieder, so dass es Macht bdiäU immer neue Berxen zu erwärmen.

Mn FVeund und Qdnner der Kunstgescliichte, der die unmotivierten Hemmmsite meiner Lehrtätigkeit m Breslau mit angesehen, hat die hilf- reich» Band geboten, die schon damals die Berausgabe der „Meisterwerke deutscher Bädnerei des Mittelalters** erm&g^iekte. Sonst wäre ich audt heuie kaum im l^nde, diese Studien bUdHeh xu erläutern wie es hier gesddeht, und damit die ein \ ige AbdcM xu venrirkUchen, die ich ihrem Druck erreichen will. Stück für Stück nur können sie erscheinen; aber der innere Zusammenhang ihres Inhalts und die Eifdidt ihres ( harakters bürgen n ol xugleich für die Zuversicht, das Hand, das ihnen fehlt solange sie nicht alle hei einander sind, werde sich von selbst hinxu- finden solmhl das (jan\e rorliegt.

Als Eriniirrinni für die einstigen (lenossen ilalieniselicr Forschung lege ich dann in die Wn gc des kunsthisiorisf hcn J//siitute.s \u F/orenx,, das wir uns aüusclien^ dies Angebinde für alle künftigen Genossen.

Sehmarnotv

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Inhalt

Seite

Erstes Bach : Castiglione d'Olona t 8n

I. Bauten und Bildwerke 3 21

Branda Castit;lione KollegUtkirche Port>l KArdinalswohnung Chiesa della Villa Taufstein im Baptisterium Gnbmal Toskanische Meister.

II. Die Deckenmalerei itn Chor der Collcgiatu 22 \$

Ma^olino Entstebunt;szcit Verherrlichung Marias Verkündigung Sposalizio Geburt Christi Anbetung der Könige Gentile da Fabriano Die Kunst Ma- soUnos.

III. Die Ausmalung des Baptisteriums . .... 39 75

1) Entstehungszeit Maler Deckenbilder . 39 45

2) Verkündi^ing an Zacharias Visitation Geburt Namcngebung Predigt des Jobannes Ecce Agnus

Dei Taufe Christi 45—58

3) Johanne« vor Merodes Einkerkerung Enthauptung

Gastmal des Herotlea 59— 7 1

4) Architekturen und Raumgefühl 71 75

Masolino 76—80

Anhang: Die Wandgemälde im Chor der Kollegiatkirche . 81 iq8

Entstehungsxeit Grinzscheidnng Zwei Maler I. Die Stephanslegende II. Die Laurentiuslcgende III. Reihenfolge der Ausfllhrung IV. Der Zweite von Beiden V. Der Erste von Beiden S. CIcmcnte in

Beilage: Regesten des Kardinals Braoda 1421 1443 .... io<) 1 12

H

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—^4 CAS'llGLlONE D'ÜLONA

/er die Aiitange toskanischer Malerei im fünf/clmteii Jahrhundert

^ * an ihrer Heimstätte Florenz zu ergründen donkt, wird über den Umkreis der Kuppel Brunelleachis gar bald hinaus gewiesen. Sudiend pflegen die Bticke der Forsdier «di zunächst nach Pisa und nach Siena zu richten, weil der ererbte Name einer toskanischen Sdiule diese Nachbarinnen mit umschliesst Aber schon die um- brischen Berge scheinen hoch genug, um als natOrliche Gränze den Verkehr zu sperren und, wo die Wasserscheide nicht auareidit, stellt sich wenigstens das Vorurteil entgegen: was kann aus Umbrien Grofses kommen? Noch entlegener allerdings ist der Ort in Ober- italien, dessen Name heute an die Spitze gestellt wird. Das ist schon ein günstiger Zwang, wenn es gilt, über Hergebrachtes hinweg einen neuen Anlauf zu versuchen; denn von diesem Punkt in der Lom- bardei führen auch andere Wege nach Rom, und einmal als Ausgangs- punkt gegeben jje wahrt er die Möglichkeit, den Kunstwerken Tos- kanas von verschiedenen Seiten beizukommen. Vielleicht gelingt es so. den festgewordenen Bestand gleichsam wieder in Fluss zu bringen und im Erfassen der geschichtlichen Entstehung erst recht lebendiges Verständnis zu erschliessen. Die Erweiterung der Umschau, die freiere unbefangene Prüfung des gleidi^tig oder gar früher Vorhandenen hat einen unschätzbaren Wert f&r jede Erklärung des historischen Zusammenhangs, indem die Betrachtung durch manchedel Ausblicke berdchert wird und dann zur Hauptsache zurflckkehrend «ch ein> dringlicher und vielseitiger zugldch in ihren Wert vertieft

In diesem Sinne darf die Kenntnis der Sachlage im ersten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts im Allgemeinen vorausgesetzt

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Castiglhine d*Olona

werden und der Besuch von Castiglione d'Olona als wichtigste Er- gänzung vorangdien. Dort liegt in nächster Nähe der Alpenseen dne Pflanzstätte toskanischer Kunst. X'ersprcn^rtn und deshalb lang vergessene Denkmäler florentinischer Frühronaissance versprechen

Aufschlüsse, die am Arno selbst, nach dem rnterg-ang^ so vieler Mittelglieder kaum noch erwartet werden. Die erhaltenou Roste in C astiglione sind jetlenfalls für die Ge.schichto d(>r tosk.iniscluMi .\n- länge des ijuattroccnto bedeutsamer als alle Spuren gleich/eitiger Sendlinge in \'erona, VeiK^dig und anderen f)rteii ( )beriialiens. unfl schon deshalb verlohnt es .sich, sie dem ursprünglichen /u.sannnen- hang einzuordnen, in den sie gehören.

Castiglione d'()iji\a ist ein kleiner Hurgtlecken zwischen Varcso und Tradate, also mitten /wischen dem südlichen Teil d(»s Lu- ganer Sees und der Hauptstadt Mailand gelegen, der das ]'"iiiss( hen, das diesen ( )rt von so \ ielen anderen gleiches Namens unterscheidet, gerades Wegs entgegen eilt. Die alte Bezeichnung Castellionum erzählt, wenn auch nicht von einem römischen Standlager, dessen Aufspürung wir Andern überlassen, doch jedenfalls von einer mäch- tigen Burgveste, die dcfa am Eingang der fruditbaren lombardischcn Ebene den fremden Eindringlingen von jenseits der Alpen ent- gegenstellte. Diese Lage, dem Norden zugekehrt, musste sich empfindlich ftttübar machen, sobald es darauf ankam, den Gewalt- herrschern drunten in lilailand die Stirn zn bieten oder nur eine 7Aifluchtstätte vor ihren i'bergrifFen zu gewähren. Schon früh im Mittelalter sass hier ein ritterliches Geschlecht, das mit den Herrn von Pusteria auf der Burg von Tradate, dem höchsten Adel vielfach verwandt war. Ks hatte sich den Xamen aus Spätlatein noch vul- gärer als LiHvenburg gedeutet und sich darnach ein redendes Wappen gebildet: einen .steigenden Löwen mit dem zweitürmigen Kastell in erhobener Pranke. Im fünfzehnten Jahrhundert war dies silberne Wahrzeichen im rot(»n Felde so ehrwürdig, dass ein Ke- naissancepoet nicht an.stand die Volksetymologie zur \'erherrlichung seines Gönners, des Cardinais Branda C:istiglionc, in lateinischem Vers zu verwerten:

Cutflion dizere Patres« dixere Nepotes

Nomine quippe Leonis et arcis

singt Antonio Plantanida und wiederholt dieses Spiel wie einen geist- reiben Einfall so oft es geht:

Castilion teneat formam Castri alquc Leonis.

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Bauten und Bildwerke

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Das zinnengekrönte Sichloss freiKcfa aberragte nicht mehr den wo]g«borgenen Häuserzug, der den bdierrschenden HQgd um- lagert. Seine Mauern warm unter den tyrannischen Händen der Visconti bereits gefallen, als der Ort den baulichen Charakter erhielt,

den wir noch jetzt tiac h lant,'^em Verfall erkennen. Noch im Anfang des sechszohntcn Jahrhunderts aber blühte das Haus der Castiglione in so zahlreichen Zweij^^en, dass (iiangiacomo Trivulzi dorn K<)nig' I.iidwij^- XII. V"n Fr.iTikrcirh nicht weniger als sccli/.ig waffenf Ihii^o Staninihaltor zuvrl''i< h. unt<T l-uhruntf ihres Kricgslicldcn Fioranioiite vor/ U.Stellen \('rniochle. alle.s.mii bereit dem I'x'/winger di s Sforza zu f)lgen. Dieser l'bergang zum Fr.mzosenkotiig halte allerdings die Rache des Massimiliano Sforza zur Folge und gab den Stamm- sitz 15 13 einer verderblichen Belagerung preis, deren Spuren auch emeu«mde GOnnorfaand nur verschlimmem konnte. Übor äm Ru- inen der Denkmäler und den verödeten Wohnungen der letzten Träger dieses Namens ragt indess noch immer das fireundliche Gottes- haus mit schlankem Glockenturm empor, das einst den Mittelpunkt eines edleren Daseins gebildet hat und noch heute die verblichenen 5)chatten beherbergt.

BAUTEN UND BILDWERKE

Es war di<^ PHege eitles einzigen ausgezeichneten Mannes, der seine Ajigehurigen mit bestimmend, dem heimatlichen Nest an der Ulona im vollen Sinne des W'^ortcs neue Gestalt verlieh. Fr allein hat das alte Kastell zu einer Dase toskanischer Kunst auf lombar- dischem Boden umgcschafFen, die wir noch heute zwischen dem kunstreichen Mailand und den naturschönen Alpenseen freudig be- grossen; denn noch heute träumt das lombardiache Klrdüein von Florenz und Rom, und auch uns will es scheinen, als mflsse drunten aus der schimmernden Ebene, sobald ein Windhauch den Schleier auseinanderreisst, statt des Mailänder Domes vielmdir die Kuppel Brunelleschis emportauchen.

Am 4. Februar 1350 gebar dem Maffeo Castiglione seine Gattin Lucrezia di Stc£;ino Porro^ Gräfin von Polenza, den ersten Sohn, der den drohenden in der Familie hochgdialtenen Namen Branda empfieng, gewiss nicht um friedliche Hoffhungen des Vaters zu bedeuten. Aber Demütigungen des Hauses zwangen auch diesen Erstgeborenen

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BrANDA CASTini.lONK

in andere Bahn^). Um seinen Weg zu angemessenen Ämtern zu finden, ward er zum Studium der Rechte bestimmt und erlangte schon 1374 seine Aufi[iahme ins Kollegium der Juris consulti zu Pavia. Die Bestallung zum Lector des kanonischen Rechts durch Giangalcazzo Visconti und zum Rat des Herzogs belehrt über seine ursprünglichen Absichten. Als aber die Universität Pavia ihn 138g nach Rom schickte, die päpstliche Hestätigung für einitro Privilegien zu erwirken, da liess sich Branda von Bonifaz XI. bestimmen, zum Klerus überzutreten und bei der Kurie in Rom zu bleiben. Zuerst Kaplan des Pap.stes, dann Auditor der Rota, wurde er bald zu wichtigeren Aufgaben verwendet und erhielt als Anerkennung das Bistum Piacenza. Unter Griegor XIL war sein Ansehen schon so befestigt, dass er dem eidbrOchigen Papet wie die meisten Prälaten den Grehoirsam wagerte, und als dieser ihn sdnes Bistums verlustig erklärte, den Namen und die Insignien des Ef^scopus Placentinus bäbehielt, selbst als er zdtweilig von sanem Sitze weichen musste. Als das Condl zu Pisa 1409 den Papst Grregor XII. selbst enttronte und Alexander V. zum Nachfolger wählte, da stieg auch der Ein- fluss des klugen Rcchtsgelehrten schnell zur Höhe. Schon 14 10 war er als Gesandter Johanns XXIII. in Polen und Ungarn''), erhielt im folgenden Jahre noch grössere \^ollmachten in allen Ländern Sigismunds und zum Dank für die eifrige Tätigkeit .schon bei der ersten Kreation von Kardinälen am 5. Juni 1411 den roten J^Iut, und zwar mit dem Titel von S. demente, der freilich von (rregor XII. seinem Neffen Gabriel Condulmer verliehen war. doch bei allen An- hängern des Pisaner Concils wegen der Unrechtmäs.sigkeit dieser Ernennung für erledigt galt. Abermalige Aufträge von der Kurie,

») Die fegende Dantdlaiig stfltit sidi auf lurndtdiriftlicbe Akten im Archiv der ClM Cattilllone, deren Benutzung mir Herr Aw. Conte Franceaco Castiglione bereitwilligst gestattet hat. Die II;iupt--achen sind bei Matteo Castiglione abgedruckt: »De Origino Rebus Gestis ac Privilegüs Gentis Castillioneae Mattbaei Castilionei I. C. Commentaria. Mcdiolani. Ex ofiicina Typographie» quon. Padfid Pontij. 159$; andi Vcnetiii 1596. Vgl. beaooden AmMOea Bedeaiaatld anct Odorioo Raymldo. Tom. VXIL IX. voO. XXVII. XXVIU. (1738 I7S9)- Pc^giali, Cristoforo, Memorie storidie di Piacenza. tom. VIT. Piacensa 1759. Die I-ebensbe»chrcibuDgen des Cardinais bei Ciacconius, Liu.i, Tiraboschi u. A. sind mehr oder weniger ungenau, nur ein Erinnerungsblatt giebt Vespai«iano de' Biüticci in don Vite di Uomini ißnstii dd mcoIo XV. Ifonogiapliieeii Aber CaatiglioM d'Oiona: Longoid, GiMi Abb. ndt UÜMgr, von Locamot tuvoUeDdet geblieben. Pelnaob Fianc: La Chiesa di Castiglione e le opere d'arte che contiene. Milano 1874. 4'. und gan?: neuer- dings mit willkommenen Abbildungen: II Borgo di Castiglione Olona presse Varcse, illustrazione artistica con 50 tavole in eliotipia. Testo : Dr. Diego Sant' Ambrogio, Milano 1893, Calaolari e Ferrario (nidit im Sndibaiidel).

*) Tbeiner, Monum. Hungar. II, 184. Ann. EccI. XXVII. p. 325. Reidistaga- Akten VU. p. 186 f. Caro» Gesdi. Polen». III, 330 ff.

Branda Castiglione

s

Vermittlungen zwischen dem Herzog von Mailand und Sigismund hielten ihn Jahre lang fem, in denen er sich das unbedingte Ver- trauen des deutschen KönigfS gewann So erscheint er erst am 2. Mai 1 4 1 s auf dem Concil von Konstanz, um dann bei keiner Sitzung mehr zu fehlen. Hier war es, wo Sigismund ihm 141 7 zwei aiis^^o/cichnet(' Privilegien verlieh, indem er alle Mitglieder der lamilie Castiglione zu I^falzgrafen erhob und ihr da.s Recht gab, aus ihrer Mitte einen Richter zu bestellen, der in allen ihren eigenen Streitigkeiten im Namen des Kaisers selb.st entscheiden sollte, Privilegien, die erst 1786 und 1812 aufgehoben wurden.

Als Johann XXHL vom Konstanzer Concil gestOrzt war und Gregor XIL seine Unterwerfung erklärt hatte, beteiligen sich bei der Wahl des neuen Papstes zwd Kardinäle von S. Clemente friedlich neben einander: Gabriel Condulnoer als Episcopus Senensis und Branda Castiglione als Placentinus. Mit Martin V., der das Concil geschlossen, zog Branda durch die Schweiz über Freiburg und Genf nach Mailand. Mantua, Fenara und Ravenna, um 1419— 1420 mit der Kurie in Florenz zu verweilen, solange in Rom der Aufenthalt noch unmöglich schien. Erst am j;. September 1420 sah die Tiber- stadt den Sohn eines ihrer mächtigsten Häuser, Odo Colonna, als Haupt der Christenheit in ihren Mauern, wenn auch Papst Martin so wenitr wie seine Kardinäle in den verwüsteten Palästen eine bleibende Statte fand.

Für Branda Castiglione begann schon im Frühjahr 1421 wieder da.s unstäte Leben, da er als Legat jenseits der Alpen unent- behrlich schien. Am 13. April wird er als Nachfolger des inzwischen gestorbenen Johannes Dominici') mit unumschränkter Vollmacht fGar Böhmen, Mähren, Meissen und das übrige Deutachland versehen, gegen die Ketzer gesandt Am 31. Msu ist er schon auf einem Tage der Fürsten und Städte zu Wesel % am 6. Juni in Köln und hält am ZI. Juni seinen feierlichen Einzug in Lfittidi, wo der gesamte Klerus ihm entgegen kam^). Am i. August bricht er mit einem doppelten Kreuzheer von hior zur B^ämplung der Husnten auf. Aber .schon Ende Oktober desselben Jahres ist er wieder an der Kurie in Rom wenn auch nur während des Winters zu bleiben und

') ZnsammentrefieQ Johanns and SigismniKb in Piaceasa, dem Bischofssi tse BnaadM. ». Aug. 1413 reist Branda nadi Venedig and Ungarn ab. In den ersten Sitsnnigen des

CbnciU wird er nicht genannt, 16. Nov. 1414—17. April 1415.

> Ord Praed tit. S Suti Card. Er war VI. Jd. Jul 1418 ab Legat nach Böhmen und Ungarn geschickt.

') R.T.A. VIII. 6s— 66. 77. vgl. p. 543 »Rom« sn Vm. 4. al 6.

*) Magn. chrOD. Belg, in Ann. EccI. XXVII. p. 533.

*) Commissioni di RinaMo degtl Albisi (ed. GhMSti) Firmae it69. I. jaS. 36$.

6 CASTir.U<»NE

im Frühjahr 1422 abermals über die Alpen nach Deutschland') und Ungarn /urückzukehrcn. Und diesmal wuchsen die Schwiorij^keitcn seiner Aufgabe von allen Seiten immer aufs Neue, so dass ihn Italien Jahre lanjif nicht wiedersah.

Erst am 25. März i.}2s tiiideti wir ihn auf d(>r Heimkehr in C'asiiglionc und zwar bei der Einweihung iler Kirciie auf dem Schlosshügel an der ( )li>n;i. Nur in Rücksicht auf die personliche Anwesenheil des Stifters, dessen Ausbleiben sich wider Erwarten verzögerte, scheini der Vollzug dieser feierlichen Handhuig sol.mgc hinausgeschoben zu sein, nachdem Papst Marlin schon im Herbst 1423 die Ermächtigung dazu erteilt hatte. Zur Ausstattung des neuen Gotteshauses als KoUegiatkirche setzte der Kardinal die Ver- einigung mehrerer Kirchenpfarreien und Kaplanstellen in Castiglionc durch, gewiss eine schwierige Ermöglichung des Baues daheim, die ber^ts am 7. Januar 1422, als Branda selbst noch in Rom war, die päpatUdie Bestätigung eiliiett Damals hiess es in der BuUe aus- drücklich: nadtk dem Bericht des Kardinals von S. Clemente sei die Pferrkirche von S. Lorenzo zu Castiglione durch Kriegsläufte und andres Unheil, die jene Gegend lange Zeit heimgesucht, in ihrem Bau seihst und ihren Häusern so verfallen, dass kein Pfarrer mehr den (iottesdienst darin abhalten und dort wohnen könne: dosh.ilh habe der Kardinal beschlossen, sie neu aufbauen zu lassen. GenaiKT bezeichnet die päpstliche Erlaubnis znr Weihe, vnn die von der < »ris- genieinde nachgesucht war, den Zusiantl dieser Pfarrkirche als olini dirupta, totaliter reparata, seu de novo tacta , die nun inii ihren Altären, ihrem Friedhof, mit ihrer Ausstattung an Kelchen, Patcnen, Gewändern, Gefässen und sonstigem Schmuck dem Kultus übergeben werden soU^. Statt im Herbst 1423 ward die Feier jedoch erst am Sonntag, den 25. März 1425 abgehalten, nachdem der Kardinal- legat giadclich aus Ungarn und Deutschland zurückgekommen war; der Bischof Alexius von Hacenza, ein Minorit aus Seregno^ dem Branda sein Bistum abgetreten hatte, vollzog die Weihe, unter Bei- hülfe des Bischofs Johannes von Nervi und des Berteto 'IVivulzi, Abts von S. Faustina e Giovita in Brescia, sowie des Pictro Castig- lione, der bis dahin Erzpriester dos Mailander Domes soeben zum ersten Prior der heimischen KoUegiatkirche bestellt war^).

«) R.T.A. VIII. 129. 137. 154. 186. 291.

') Scbon aus dem Wortlaut (lieber (bei M.itton Casti^jlidiio S. t»5 IT. gedruckten) Hullen crgiebt sich die IrrtUiulicbkcit der Meinung du» Di. Dicgo Sani' Ambrogiu, der in seinem Text nur Uailinder Pnblfluitioa >Ca»tig)ione OIoiu« 1893. S. 39. «usspridit, auf dem alten

SchlosshOgel hab«" xoib«-! kein'' Kirche gestanden, sondern das je(/i;;e P.iiMi^I« i iiini sei tior älteste BesUndteil, die ehemalige Schlo&skapelle. Ks bestand die Parochialkirche S. Loren/.

*) AicUvk) CastigUoDe Fase. X. toI. II. §. 3. N. 32. Vgl. Faac. loa. Culto Cbieie Beseiicii, com varie.

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KOLLEGIATKIRCHE

7

Dass in der kiir/eii Zeit kein vollständiger Xeubau errichtet worden, tlarubcr lasst die altertümliche Kinfachkeit der Anlage wie die I>( ibchcdtung alterer i eilc im Innern des ],anghauses keinen Zwoitcl. Die (irundform der Kirche ist ein ziemlich breites Recht- eck, das seiner ganzen J.änge nach in drei Schiffe geteilt wird, sodass keine Kreuzflügcl heraus treten. Im letzten Drittel ist tlurch eingezogene Mauern der Hauptchor von den beiden gradlinig ge- schlossenen Seitenkapellen getrennt, in weldie die Nebenschiffe aus- gehen. Die um einige Stufen erhöhte Chorkapelle ragt mit drei Seiten aus dem Achteck über die Schlusswand hinaus und hat eine gleichgefbrmte Krypta unter sich, da an dieser Stelle der Hügel abßillt und för solche Verlängerung des Chorhauptes besondere Substruktion erforderte. Hier haben wir es, wie in dem anstofsenden Glockenturm, der an der freien Seite des Hügels über dem Neben- chor, am Ende des linken Seitenschiflfes in schlichtem Viereck auf- ;ut. mit Bestandteilen des Neubaues zu tun, dessen Hackstein- inauerwcrk auch rini^-sum im Acussern des ganzen Kirchenk()r])crs gleichmafsig durchgcfithrt ist. Hier steigt auch über dem Nebenchor rechts \-om Hochaltar die einzige Strebemauer zum dewOlbc des lIau]»tt hors hinan, als Widerhalt, dem Turm auf der andern Seite gegenüber. Sonst gliedern und verstärken nur vortretende Wand- pfeiler die l'mfassungsmauern des Langhauses, wie an den Ecken des Turmes und des Chorhaupts. Vier solche schlicht au%emauerte Pfosten teilen nach lombardischer Art auch die glatte Schlusswand der Fassade bis an den Rand des breiten Giebels, der alle drei Schiffe zusammen&sst, obwol das mittlere die Abseiten an Höhe überragt, aly> über s^em Lichtgaden auch seine Kreuzgewölbe unter eigenem Satteldache trägt

Um die vortretenden, hier Pfeilern dort Halbsäulen ähnlichen Verstärkungen läuft rings am obem Rand der Um&ssungsmauem ein Kranzge«ms, aus vorragenden Badtstdnen gebildet, niit Spitz- bngenfries herum, folg^ auch den schräg ansteigenden Giebelsoiten der Front und gliedert die Geschosse des Glockenturms durch den Gegensatz der weiss getünchten kleeblattartig gezackten Zwischen- räume zwischen den ziegelroten Zwickeln, die so wi(> Konsolen wirken. Zu diesen unverkennbaren Merkmalen lonibardisc her Rack- ^t^•i^)l)auten der Ucbcrgangszeit ins fünfzehnte Jahrhundert, in dcn-n zahlreiche Masse sich dies Kirchlein von Castiglione unzweifelhaft einordnet, kommt an der Stirnseite dann noch die grosse P'enster- rose vor dem Mittelschitf mit einem rundbogigen Portal darunter und je einem spitzbogigen Fenster vor den Abseiten. Schon der Gegensatz in der Wahl der Bogenform f&r Portal und Fenster, deren

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Das Portal

spitzb()gij4C Form sonst duch an ].an^S( hiff und C hor bewahrt ist, wie der ausserordcntht h geringe Abslantl /wischen dem Scheitel des Torbogens und der grossen Rose müssen befremden. Im Innern sehen wir vier Faare von stämmigen Rundpfeilera als Träger der Obermauem, zwischen denen die fünf Kreuzgewölbe eingespannt sind, gewiss auch hier den Gegensatz zwischen älteren Bestandteilen, die den Grundriss bestimmen, und dem Gewölbesystem, das durchweg zum Neubau gehört, deutlich bezdchnend. Der einheitlidie Charakter dieses schlichten, aber fireundlich anmutenden Backsteinwerkes bezeugt die Tätigkeit eines lombardischen Baumeisters, anspruchslose aber rej*^clmässige und sdmell fortschreitende Arbeit, derentwegen die lombardischen Maurer während des ganzen Jahrhunderts überall in ItaHen begehrt waren. Nur S. Cristoforo vor Porta Ticineso in Mailand und die Badia von Mirasole mögen als verwandte Beispiele dieser Art genannt werden.

Die grosse Fensterrose dagegen und das Portal weichen merk- würdig gcnuj4 davon ab. Bei dein Relief des Tympanons vollends und dem der klciiieii Seitoiitur, die neben der anslosscndcn Häuser- reihe ins (Juer.schiff' fuhrt, kann es vvol keinem kundigen Auge ent- gehen, dass sie toskanischen Ursprungs sind '). Weiter und hoher als das Portal einer etwa vorhandenen romanischen Kirche in dieser liegend gewesen sein würde, fallt an ihm vor allen Dingen ein Missver- ständnis auf: die Archivolte, die das Tympanon auch mit einem gedrehten Wulst umschliesst, zieht »ch ohne Absatz und ent- sprediende GebäUcstOcke zu den Sdten des Tflrsturzes hinunter bis auf die Pfostenkapitelle, und die Einteilung des ganzen Bogen- feldes in einen Querstreifen unten und eine kleinere Lflnette darQber madit den Eindruck der Willkfkr oder der Anpassung, während die hufeisenförmige Erweiterung des Halbkrcisbogens, die sich auch am Dom von Arezzo findet, wol den Ausgleich einer optischen Täuschung bezweckt, also von perspektivischer Rücksicht auf den Standpunkt des Beschauers zeugt. Das Ganze besteht aus grauem Sandstein -).

Der Steinbalken, der auf den innersten Türpfosten aufruht, ist der Gliederung der beiden l ürflügel entsprechend in vier kassetten- ähnliche Rahmen geteilt, aus denen vier flalbhguren in mäfsiger Rundung hervorschauen. Durch die Kopfe eines Engels, eines

>) Idi freue midi dieie Ucbeneagm^ die bd mir seit Jakren feststellt, wie icli sie oben niedei^eschricben hatte, nenerding.s audi bei Diego Sant Ambrof^io (a. a. O. 30) ans» gesprochen zu finden. Wo wir im Folgenden, von verschiedcnrn S< it(n kommend, <;onst übereiDstimmcn, wird das Urteil wol gesichert erscheinen ; wo Ii /u alnvci« henden An- sidlten gelangt war, mnss ich mein Ergebnis oacbtrfiglidl muh gegen ihn ticgrflndeii.

>) niot Kogl No 464a.

Das Bogenfeld

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Adlers, eines L»»wen und eines Oc hsen aut" ihren Sehultorn und die offenen Bücher in ihren Händen bind sie als aj^jkalyptische Dar- stellungen der vier Evangelisten kenntlich, wahre nd die Mügeipaare mit dem Kopf in der Mitte sieh wie Teile eiiK's inneren Fenster- bogens in die rechteckigen Rahmen spannen. Aut dem obern und dem untern Rande dieses Sturzes steht in gotischen Lettern die Inschrift:

t l^ofrri iiiiUittini qiiiidrinntnrrrittiitn afq Wgtti orrnunn 5ni öeuoluirnr iiiinnH Ciim grabibiin luitnin pnttv in vpo rcticrciiilUH bim ^ranöfi iionntiuii Cit crif1>iUoiio f

CarbiniH ftbt vtfibtt i)ui prfRlitfti ipfs f^firflfi) nt laubfit Hoc timplttm utugiiti« almi Cum qua pnimatr» Imwtntma tt prorfiotttaittiil BiBf. % Ii 5i9nn fupiiti impHttatt falul«.

Im Bogenfelde ist rechts neben der Gestaltengruppe ebenfalls die Jahreszahl eingegraben tltCCC€3£36VHI.

Das Relief selbst zeigt in flor Mitte, auf gotisihcni Tronstul sitzend, Maria mit hoher Zinkenkrone auf dem Haupt als Himmels- königin. Sie fasst mit der Rechten den Leib, mit der Linken das rOdcwfirts gestreckte Füsschen des nackten Knaben, der mit dem andern Bein auf ihrem Knie st^ und sich segnend herüberwendet zu dem Stifter, der auf dieser Unken Seite betend kniet Zwischen dem Christkind und dem Kardinal, der seinen Hut auf den Boden gelegt hat, steht als Vermittler der heilige Papst Gregor mit drei- facher Tiara auf dem Haupt, wahrend hinter dem Knieenden links S. Laurentius, mit dem Rost zur Seite, die Hand empfehlend auf die Hand seines Schützlings legt, soeben im Begri£f sich auch auf die Knie niederzulassen. Auf der andern Stite, dem Trone zunächst steht S. Ambrosius als Patron der Diözese von Mailand, mit (ieisscl und Buch; neben ihm kniet wieder S. Stephanus, der erste Märtyrer im Diakonengewand, den Stein auf der Schulter. Hinter ihm rechts bleibt eben die Lücke, wo die Jahreszahl steht.

Hei der Betrachtung des Portals allein empllndet man die Ver- schiebung des (xleichgewichts der Massen, die durch die Anzahl der vorgeschriebenen Personen und deren Beziehunj,'^ veranlasst worden ; aber an Ort und Stelle jr«>winnt dieser Einj^ang fürs Auge des Beschauers, der durch das alte Buri^nor kommend auf den Kirchplatz tritt, seinen Junten Sinn, der wiederum in toskanischen Arbeiten dieser Zeit Seinesgleichen findet.

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Reliefskulptur

Ih r r>il(ih.iiicr, der im Jahre 14.:^ diese Kelief^rujtpe ^eschuften hat, offenh.irt auch sonst seine kiinstlerischc Herkunft in allfii Stücken. I\r niuss in l-loren/. wo die entscheidende Kntwickel- unjL»" aus der j^jotischen I'rachtion in die Frührenaissanee sich ^a'radc damals vollzog, geschult sein, und im nächsten Umkreis dieses Mittelpunktes wäre seine Wirksamkeit sonst zu suchen. Eine Um- schau in seiner Heimat genügt, die Stellung des Meisters, den Kar- dinal Branda 1425 auf sdner Reise über Florenz nach Rom fbr diese Arbeit gfewonnen haben wird, mit wünschenswerter Grenauigkeit zu bestimmen. £r gehört nicht der Richtung auf entschlossene Wirklich- keitstreue an, der sich DonatcUo damals von Jahr zu Jahr entschiedener ergab, sondern zu den idealeren Verehrern einer feierlichen Schön- heit, die durch kirchliche Aufgaben geheiligt war, wie Lorenzo Ghiberti und Niccolo d'Arezzo in seinen früheren Arbeiten. Be- sonders mit Ghibcrtis Reliefe an der Bron/etür des Baptilteriums, die soeben errichtet war, seiner Statue des hl. Stephanus an Orsan- niich("le die i^j'i in ihrer Nische aufgestellt ward und dem Relief mit Johannes dem l auter vor Merodes für den I autltruruien in Siena von steht die destaltenbildung und die ( lewandbehandlung

des Tympanons von ('astiv;li<inc in so nahem Zusammenhang, dass die Abzweigung dieses Bildiiauers \on dem gro.ssen Meister der Bronzebildnerei gerade in jenem Stadium seiner Entwicklung nicht zweifelhaft sein kann. Seine Figuren sind schlank und zartknochig, aber wol pr«>]iortioniert und plastisch klar in der Bewegung der Gliedmafsen, obschon sie ganz im Geschmack Ghfbertis mit dem flies- senden Faltcngehänge umgeben and, das zwischen allen Vorsprüngen und Höhenpunkten seine Bogenlinien ausspannt und als wallende Draperie auf den Boden gleitend den Körper malerisch mit seiner Umgebung verbindet Seine Köpfe zeigen ein sanftes Oval oder jugendliche Rundung mit feingeschnittenen Zügen von mildem Aus- druck, sein nacktes Christkind ist wolgebildet, verrät am ehesten die Neigung zu reali.stischer Wiedergabe und belebt durch sein munteres Henehmen erfrischend genug die Harmonie der (iruppe, die sym- metrisch aufgel)aut, d<ich nicht architektonische Strenge bewahrt, sondern durch leichte N'crscliiehung nach der Seite der Handlung auch so einen Anflug malerischen W esens erhalt.

Dies Hochrelief am Portal der Kollegiatkirche iMV.eichnet genau die \'f)rstuf"e, fast mochte man sagen .schon die .Schwelle zur Kin- führung der Perspekli\ e, die auf Anregung Brunelleschis unmittel- bar daneb<'n xcrsuchi wird. Wer genau mit den Daten rechnet, könnte im Jahre 1.^28 unscrn 'i oskaner in Castiglione deshalb schon ZU den Zurückbleibenden rechnen. Mit grösserem Redite als bei

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Der Meister

II

dieser ccrcmoniollcn (iruppe geschähe dies vielleicht bei dem kleinen SfUtzbogcnfiMd der Seitentür, wo Qiristus im Cirab»» erscheint, ohne dass im Relief eine Anwandlung zu schwieriger Untenaicht und Verkürzung- bemerkt würde.

Die feine Arbeit der nciiordings stark 1jercii1ij4t.cn und ge- blatteten Portallünctte erinnert durch das Material nicht minder an eine Vjestimmte Gruppe toskanischer Skulpturen in dem bt^liebten Ma- cign«), der an Weichheit und Milde mit der Terracotta, an HestimnUhiMt und Schärfe mit dem Marmor wetteiffert. In der Fat geliorl dieser Meister auch zweifellos jenen Bildnern an, deren Eigenart sich wesent- lich durch die Eigenschaften dieses Materials, durch seine bequeme, bat empfindliche Bildsamkeit, durch seine matte Hchtsaugende, nirgends durd) unangenehme Reflexe unterbrochene Oberfläche bedingt

Nach beiden Richtungen finden wir den Bildhauer in Castiglione tätig, und zwar überall in so enger Verbindung mit der Architektur selbst, das« wir in ihm auch den Erbauer der Werke vermuten, die er mit Bildwerk in Pietra di molera oder Terracotta, in seltenen Fällen einmal in Marmor geschmückt hat. Darin stellt ersieh ganz den Dombaumeistern in Florenz, besonders Niccolo d'Arezzo an die

Seite.

Den nackten Buben des namlich- ii Meisters begegnen wir in lerracotta an der /ierlichen Kint'assung der Fenster eines Palastes, der nach dem \\'ap[)en am Torbogen den r.ustiglionr gehört hat. Jlier herrscht .m den Fenstern nocli der gotische S].ii/bi>Lren, auf dessen Rücken sich an Stelle der Krabbi-n üppiges Blattwerk gegen die Maucrfiuche auslegt, während an der innern I.eibung noch reich- gezackte Nasen die Ansätze von Mafswerk im Bogenfeld erheischen. Zwischen dem innern und dem äussern Rahmenprofil zieht sich ein flacher Fries mit au&teigendem Rankenwerk hin, in dessen Win- dungen tich nackte Genien tummeln und zwar in zwei Fcurmen wiederkehrend, einmal ganz von vom gesehen mit einem gesenkten und einem erhobenen Arm, und das andre Mal in Profilbewegung seitwärts wie das Christkind auf dem Schofs der Madonna im Tyra- panon der Hauptkirche. Der Geschmack dieses Rankenwerks, das auch an andern gleichzeitigen Bauten des Ortes in ähnlichen Fenster- rahmen wiederkäut, besonders die breitbläitcrige Sternblume, aus deren Mitte hier und da ein langer Staubwedel hervorwächsi, und andere Einzelheiten stimmen völlig mit dem Schmuck des nörd- lichen Domportals in Florenz überein. das um 1402 bis 1 |nS unter Leitung des Nircolö d Arezzo mit Antonio di Banco und dessen b>ohn Nanni gearbeitet war.

*) unsere phot Aufnahme. Bei St Ambrofio Taf. XXI. etwa« su kleio.

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Sonstige Arbeiten

Zu boiden Seiten dor Finfassung sind aber die Fenster an diesem l'ala/.zo Castigliono bis /um Tio^cnansat/ von flachen Pfosten tiankirt. die sich aus je fünf Rehefplatten übereinander, mit Einzei- fij^uren darin, ebenfalls aus Terracotta, zusammensetzen. Hier wechseln in gutischer Nischenrahmung zwei allegorische (restalten mit einander ab: ein bärtiger Mann in voller Rüstung n)it Streitkolbcn in der Rechten, ganz wie Ghibertis Krieger, nach antikem Vorbild doch im Gesdimadc der eignen Zeit, und eine &st nackte Jungfrau, die mit der Linken den Zipfel des leiditen, um die Hflften geschlagenen Gewandstflckes hebt, und im rechten Arm einen Olivenzwdg halt, also Personifikationen des Krieges und des Friedens. Auch diese Art von Anordnung erinnert wieder deutlich an Niccolo d'Arezzo, und zwar an das seitliche Domportal sdner Vaterstadt, dessen ver- gängliches Sandsteinmaterial nur allzu zerstört ist, um genauere Vergleiche zu k^en, und das soeben genannte Nordportal des Florentiner Domes, wo zwischen den Halbfiguren der Engel in sechs- eckigem Rahmen aus dem Blattwerk Kinzelfiguren nach klassischem Muster heraustreten, sogar in klassischer Nacktheit. Ganz .nahe stehen unserm Bildner die Arbeiten des Herkules,, die aus dem Kankengewinde hiTvorwachsen.

Minder reiche Fenster dieser Art finden .sich dann auch in Mailand und de.s.sen Nachbarg<^biei, besonders am ( )spedale Maggiore wieder, und zeugen für die Bedeutsamkeit dieses toskanischen Mannes für die lombardische Renaissance. Die nämliche Beachtung darf in Castiglione auch das Portal des nämlichen Palastes beanspruchen, das in marmorälinhchcni Haustein ausgeführt, sogleich die Erinnerung an eine ganze Reihe solcher Arbeiten in dieser Gegend wachruft Auf niedrigen mit gotisdtem Rahmenwerk gegliederten Pfosten wölbt sich ein breiter Rundbogen mit dem Wappenschild am Scheitet Er ist dem Keilsdhnitt der Werkstücke entsprechend in trapezfihnliche Felder geteilt, in deren Rahmen Profilkopfe von römischen Kaisern, wie »Trajan« und »Vespasian«, mit Sinnbildern der Familie Cas- tiglione nebst erklärenden Schriftbandem abwechseln. Der äusserste Bogfenrand biegt aber beim Zusammenstoss mit dem Pfosten hori- zontal nach den Seiten ab und trägt auf diesen Ohren als Abschluss der gotischen Blätterfassung, die sich zum Scheitel hinanzieht, stdtende KnVgerfiguren in Hochrelief. Heute ist allerdings nur eine noch leidlich erkennbar, sie genügt aber, um auch von hier aus auf nah verwandte Krscheiiuingen hinzuweisen, wie in Mailand, so auf Isola- bella an einem Monument dor B^jrromei und gar in Ravenna in der kleinen Scit(?nhalIo \ on S. X'itale, wo ein ähnlicher Krieger natürlich als Antike angesprochen wird.

KARDINAI.$Wl»ItNrN(f

13

Wenn der Reichtum dos Schmuckes und die Auswahl der Ab- zeichen hier das weltliche Oberhaupt der Familie als Erbauer des Hausos verkünden, dessen reizende Konsolen und Kapitelle aus den I.oggien drinnen bis nach Varedo verstreut '), alle (h rscMben Meister- hand ihr Dasein danken, sind am j^-egcnüberliej^^enden Eckhaus die Fenster mit ihren neuerdings wieder freigelegten rerracottarahmen, iin<l das Portal am Eingang vom llauptplat/e des Ortes in die Strasse (V^ittorio Emanuele) \ iel einfacher gehalten. Die Fenster haben im Ornament noch mehr spätgotisches Laubwerk, gehören also sicher einer früheren Phase desselben Bildners an, als die reicheren mit mythologischen Figuren. Dies Haus aber ist die Wohnung des Kardinals Branda, sicher das erste dieser profimen Bauwerke in CaatigKone und das Vorbild ftlr die Häuser seiner Verwandten.

Gerade hier haben spätere Veränderungen den ursprünglichen Charakter des Äussern wie des Innern sehr entstellt, und der erklärliche Wunsch der Nachkommen diese geräumigste der vorhandenen Woh- nungen den eigenen BedOrfhissen anzupassen, hat fast allen Zu- sammenhang der künstlerischen Dekoration vernichtet. Dagegen gestattet eine poetische Schilderung, mit der Antonio Plantanida dem Kardinal Branda unter die Augen getreten*), wenigstens äer Phantane eine Ergänzung der Oberreste:

Sut toa Castilio in medio domns ampU pioram

Socptn iMMBi, tcgiiM domonnn, Corque loci} Aom omnis adest honiBum Deonunqiie.

Amphion mnros et Apollo Condidit ad numeros; dum tu üanctisüime Christum

Omaeii ad tun» eelebiares . . . *) VesUbnlum ingeni portw apeiit, mos pottkos anrea

A dexlra Christi aediculuni nfTcrt Inferius; super Heroes picti in spicula alta

Vestrum CastUii speculum sit. Quin et «ita luMDinam tncoBttau hie cernltor et son

At locnt taferior sapientk. Unde domns oculus sculpto saxo, ampla fienestra,

Secretam ver aspicit horto, Aspicit et trivioin, plateam et notrile Fnmin,

Nobile straetna atqne «rionis . . .

*) Bei St. Ambrosio Taf. XX. Vgl. auch die Madonna l'af. XXII, aus Castigliune.

*) Micr. in der Ambronana. Vgl. Argelati, Bibliotbeca scriptonim Mediobnemiiim ToiD.1. Mediolani 172$. No. CCCCXC p. 349. B. Neplni, Elogi HUt Ifantwi 1606. S. 24$.

3) Würe dieser Angabe zu vertrMKn, so wire die Zeit seiner langen Legat ion, bis 1495 Rchoa f&r den Beginn des Baues antusetsen.

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Kardinalswohnuno

Quid r<*f*"i;im Triclinia et Aulas r ^uid pcnetralia et aur^ta alna longu per bortOS

Miittnim, Diyadumque virenteis? Aurea tecta cavo moote extolhintur ad anras

Scanditur uade nemiucaluro ad bortos . . .

Das Portal ist am Bogen nur mit den fruchtbehangenen Palm- zweigen dem beliebten Sinnbild und mit dorn Wappen dos Kardinals gesdimQckt Jenseits öffnet sich im i^oräumigen Nf stibül der Säulen- gang, die portirvis aiirca, dorcn Decken j^rhälk vvol einst vergoldet war, wie die bemalte rorraeottabüsio am Fuss der Treppe, in deren Z(>rst<»rtoni Antlitz der Eigentümer das Ideal ven>hrte. dixs mit der Aulschritt l)i\a Faustina für uns doch namenlos bleibt.

Zur Rechten winkte dagegen die llauskapelle, von der noch SjMiren der Heiligtümer erhalten sind, während die luftige Loggia, zu der man darüber hinaufstieg, und die gemalten Helden, die Vor- bilder rles lieschlechts, schon lange verschwanden. Xur an der Ausseiiseite des Palastes rechts verrät noih ein W'ehrgang. der auf Konsolen und flachen liogen entlang läuft, durch seinen burgmässigen Charakter, dass man zugleich auf Verteidigung bedacht war, während eine vermauerte Loggia an der Ecke gegen die Piazza die Stelle fried- lichen Ausblicks sogar mit verzierten Kapitellen die Art des Meisters in Retra serena erkennen lässt Eine Ahnung wenigstens von dem Geschmack, mit dem der Kardinal drinnen sdn fidedliches Dasein in diesen Mauern umgab, gewährt im Erdgeschoss ein Kamin mit flachem Reliefschmuck und im oberen Stockwerk zwei grossere Säle*). In dem einen Raum (der durch ein vermeintlich gotisdies Fenster entstellt worden) ist ausser dem Kamin in der Wand noch die dekorative Bemalung der Wände und der alten Balkendecke erhalten "*). Unten zieht sich eine Reihe gewirkter Teppiche hin mit Rosetten aus Bandwerk und flatternden Inschriften, auf denen in gotisch(T Schrift allerlei Sinnsj)rüche und Mahnungsworte der Lebens- weisheit gemalt sind, oben unter der Decke läuft eine breite Zier- leiste hin. von \'ierpassfeldern mit Wappen darin unterbrochen. Zwischen dieser obern und jener untern P'infassung erblickt man, ebenso tapetenartig gemalt, auf dunklem Grunde gradgcw;u-lisene Obstbäume mit nackten Kindern, die auf Leitern hinanklettern, un<l Schriftbändem, die um die Stämme geschlungen oder in die Zweige gehängt sind. Bei dem heutigen, mehrfach aufgefrischten Zustand dieser Gobelinimitation ist über den ursprQnglichon Charakter der

») Castiglionc Olona Mailand 1893. TaC IX— XL «) Daselbst Taf. XIV XVIII.

Vgl. Scbricker, Eine l abrl nach (Jasligliunc d'Ulona, Kepcrl. I. Kwscbrt. 1885.

Chiesa della Villa 15

Malerei nur zu sagen, dass sie lediglich dekorativen Wertes, jeden- falls den Tagen Brandas selber < n'^t ininii, und in manchem alten Famiienpalast Mailands und der Umgebung Ihresgleichen tnulct. Ebenso wenig bedeutet auch .m der Schmahvaiid des andern Saales der Überrest eines landschaftlichen IVospektes auf hügelii,'-e (iev^-end mit einer ()rtschat"t im (irunde, die wol für den l'.igentümer wenigstens und die ("lonfissen seiner 'l"afelrunde fassbare Ähnlichkeit besass. l'ns erschien der schattenhatte I'berrest /u leer und unbestinimt tVir eine italienische Stadtansicht, so dass wir au die (iralschatl Vesprim denken möchten, die König Sigismund dem Kardinal in Ungarn verliehen ; doch damit wäre auch an ^nen Mal^ gedacht, der allein viellddit diese Gegend gesehen hatte. Wol eher einem mailändischen KflnsUer als einem Toskaner gehört dagegen das völlig verblasste Fresko mit S. Martin, der dem Bettler dn StQck seines Mantels schenkt» drunten an der einspringenden Ecke des Palastes gegen den Platz, wo drei Strassen sich kreuzen und vielleicht ein Vorgärtchen lag. Dort mahnte den Rittersmann« der des Weges zog, dies Bild S. Martins zur Barmherzigkeit gegen den Armen, der barfuls und frierend ihm begegnete. Aus den l*-ckfenstern blickt man noch heute überrascht auf das freundliche Bild des Platzes mit seinem Kirchlein und glaubt im Herzen Toskanas eher zu sein als droben an den Ausläufern der Alpen: nobile fanum, sagt der Poet bezeichnend, nubile structura atque colossis.

Fs ist ein kleiner Centraibau von (luadratischom (irundriss mit angelegtem Altarhaus, mit Kupp^el über dem l lemeinderaum, ganz ähnlich wie die Sakristei von S. Lnren/o und flie ra])pella Pazzi in Klorenz, mit denen sich der Name iirunelleschis selber unlöslich verbindet.

Die Stirnseite der Kirche, die sich gegen einen X'orplatz kehrt, ist durch kanneliierte Pilaster aus grauem Sandstein in drei Abtei- lungen gegliedert, während die Langseite gegen die Strasse zu nur deren zwei aufweist Ueber klassischen Blätterkapitellen zieht sich ein gremalter Fries mit guirlandentragenden Putten hin, vom vorspringen- den Ziegeldach kräftig beschattet Der zurücktretende Kuppeltambour wird von einem Kranz kleiner Säulen umstanden, die das Zeltdach Ober der Kalotte tragen. Im Tambour sind vier kreisrunde Öffnungen, im unteren Kirchenkörper rechtwinklige Fenster mit Dreieckgiebel an- gebracht. Diese sitzen an der Strassenseite in der Mitte der Teilflrichc zwichen den Pilastern, an der Fassade dagegen sind sie in Rücksicht auf eine andre Gruppierung verchoben. Hier öffnet sich in der Mitte das Haupt])f)rtal mit dreieckigem Giebel und ursprünglich, wie noch erkennbar, ein Rundfenster darüber; in den seitlichen Abteilungen

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BII.DWKRKIC

sind aber die Fenster ganz nahe an die mittleren Pilaster gerückt, wt'il links und rechts neben den Eckpilastern noch zwei Kolossal- Hgiiren unter vorspringondcni Pultdach, in Hochrelief aus dem t^rauen Sandstein geliauen. bis zu gleicher Höhe mit der Eingangstür emiK)r- ragen '). Sie heben sich von gemaltem I'ntergrunde ab, der mit einor gemusterten Kante umzogen ist. und stellen den Riesen Christo- phorus dar, wie er auf mächtigem Baumstamm sich stützend das Christkind durch das Waaser trägt, und S. Antonius Abbas mit seinem Schwein, dem eine Glocke um den Hals hangt Der flbermenschliclie Malastab lässt doch deutlich und unzwdfettiaft die Fonngebung des nämlichen Bildhauers erkennen, der 1428 das Portal der KoUegiafkirche geacbmflckt hatte, und wenn die Grewandfigur des alten Einsiedlers die Bdhilfe einer konventioneller arbeitenden Schalerhand gestattete, so war der Meister in der Durchbildung des najckten Körpecs beim Riesen, der nur mit einem kurzen Kittel bekleidet ist, auf sich selber angewiesen, besonders zu einer Zeit, wo kein Bildner Oberitaliens diese Herrschaft über naturwahre Formen besass, die plump freilich und ungeschlacht, doch über gotische Schultradition weit hinausliegen und einen imvorkennbaren Fortschritt über die Idealfiguren jenes Tym- panonreliefs bezeugen. Die (resichtsziige sind kräftiger und voller geworden, der feste Kno( hr-nbaii mehr betont ; aber der Typus ist der gleiche geblieben und ebenso die X'orliebe für Regclmässigkeit der Haare, der Bartlocken und der Gewandfalten.

Für die technische Behandlung ist sehr bezeichnend der Über- gang von flachstem Relief in der Andeutung des strömenden Wassers bis zu voller Rundung in den Kopten. Vorderarmen und im gnissten Teil des Christkindes. Ganz wie b«M Agostino d'Antonio dl Duccio waltet die malerische Reliefanschauung \ or und geht nur hier und da bis an die (iränze statuarischer Selbständigkeit. Volle Bestätigung für das Eigentumsrecht des gleichen Bildhauers, der die Fenster und Türen der Paläste von Castiglione geschmückt liat, gewährt das Portal der Kirche, in der Mitte zwischen den beiden Kolossen. Diese Türein&ssung ist ein ausserordentlich vornehmes Beispiel edit toskanisdier Frflhrenaissance, deren beliebte Pietra

Diese mminieiililncende Grappiening, wie die ErwUmiing der Kolone bei Ant. Plantailida bewei<«en, dass Diego Sant' Ambrogio irrt, wenn er S. l6 meint >lc due statae

^f^!ossaH« . . . »di carattcrc tutt' aflatto localc e postiima aggiunzione« seien fremdartige Zu- taten spaterer Zeit, bei denen an die Werkstatt oder Sdiule des Jacopino da Tradate zu denken wire. Die utg verletzte Koloeaalfigw eines Heiligen auf einem Toipfeiler links neben der Kirche, etwa S. Ambrosius soll ursprünglich die Spitze des Zeltdadies bekrönt haben, also etwa wie noch beute der Tempielto degU Orsui in Vicovaro nn* weit Tivoli zeigt

Chiesa della Villa

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Serena hier zur reiner Wirkung kommt Sie ist in dem gewohnten kleinen Malsstabe verziert, offenbart aber in der Anordnung dieses Schmuckes wie im Aufbau des Ganzen ebenso entschiedenen Fort- schritt zu klassischem Stil, wie das Bauwerk selber. Wie die Gliede- rung der Wand durch kanneliierte unten ausgestabtc Pilastcr mit ihren geschmackvollen Kapitellen g-iebt auch die rechtwinklige Tür- fessun^ mit feiner Gliederung des Simses, der Fries mit guirlandeii- tragenden Putten dariibcr und der dreieckigt- Gi< bcl mit ebensolcher architektonischer Rahniuiig. an der die Traufrinne fehlt, und mit der Halbrtgur Gottvaters zwischen zwei schwebenden Kugeln, leider nicht unverletzt, eb<>nso viel Beweise engster Verwandtschaft mit den gleichzeitigen Bestrebungen eines Brunelleschi und Michelozzo, wie unmittelbarer Herkunft aus der Dekorationsweise des Niccolo d*Arezzo und Antonio di Banco.

An der eigentlidien Türfossung zidit «ch das wolbekannte, Rankenwerk mit Blumen und Knospen hin, das wir in Florenz bis an das nördliche Domportal und die Tabernakel von Orsanmichele verfolgen kflonen. Dazwisdien schauen in abwechselnder R«he Halbfiguren hervor, an den Seiten je drei Propheten, am Querbalken die vier Kirchenväter: Gregor, Hieronymus, Ambrodus und Augustin, unter denen der Patron der mailändischrn Dioecese wie der heilige Papst durchaus dem Relief der Koiiegiatkirche entsprechen, während Hie- ronymus mit dem Kardinalshut offenbar nur deshalb ein Kirchenmodell in der Hand trägt, weil der Kardinal Branda der Stifter dieses Kirchleins gewesen. Langbilrti^' und würdevoll, dem Christophorus verwandt, erscheint Gottvater, leider an Stirn und linkem Arm be- schädigt ~, wolgebildet, in klarer plastischer Durchführung schon im Sinne Luca della Robbias über ( liiiberti hinausgellend, ilas Paar anbetender Fngel. An Michelozzos Kinderfries am Aragazzigrabe zu Montepulciano streift schon die Reihe von fünf nackten Buben, die in anmutiger Frische die herabhängenden Festons mit flatternden Bändern tri^n. Die vier erhaltenen BOrschchen and muntere Gre- ^elen des Christkindes auf dem Scho(s der Madonna am Fortal der CoUegiata, nur sicherer und freier durdigefilhrt, den plumpen, allzu rundlichen Gnomen des Jacopo della Querda am Grabe der Ilaria del Carretto entsdiieden Qberlegen.

An der kleineren SeitentOr gegen die Strafse zu finden wir die nämlichen Grundformen, selbst den Mangel des Traufsimses wieder, und im dreieckigen Giebelfelde ein Paar knieender Fng(>l mit der Monstranz in der Mitte. Es ist das Symbol der Congregation del SS. Corpo di Cristo, die im vierzehnten Jahrhundert in Gualdo Ta- dino bei Nocera in Umbrien gegründet, sich allmählich im römischen

Schmarsow, Ma!>acciu. 2

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Bildwerke

Getnet verbreitet hatte. Diesem römischen» in Oberitalien noch fremden Kultus, hatte Kardinal Branda das Kircfalein seines Heimat- ortes geweiht, das sonst als Chiesa della Villa bezeichnet wird. Eine päpstliche Urkunde, die vom Xovember 1437 aus Bologna da- tiert ist, wo der Kardinal Branda sich damals mit der Kurie befand, giebt über diese Stiftunj?^ vollständig vT^nügenden Aufschlufs. Sie richtet sich an den Stifter selbst und bezeichnet dies Heiligtum als „aliam (capcllanij, quam in praetaio locd sub sacratissimi rorpi^ris I). N. Jesu Christi et Assumptionis et (juattuor doctoruni Ambrosii, Hieronymi, Augustini, dregorii titiilis fundari K construi taris", d. h. deutlich j^t'nug als noch im Bau brtindlich, wemi auch der Vollendung so nahe, dass für die AussUittung des Geistlichen daran gesorgt wird.

Das Innere des ( iotteshauses war einfach yt^haltcn. (TÜederung und Schmuck fast ganz der Malerei und Plastik üb«^rlassen, deren gemeinsame Dekoration nur durch Tünche zerstört ist. So wirken die Reste in ihrer farbigen Erscheinung nicht mehr wie sie sollten. Besonders gilt dies von den bemalten Statuen der vier Kirchenväter und einer Verkflndigungsgruppe in Terracotta, die auf Konsolen mit wulstigem Blattwerk einander gegenüber stehen. Sie alle gehören unzweifelhaft dem selben Bildner an, den wir bei dem engen Zu- sammenhang mit den Pri^xirtionen und Profilirungen des Baues selbst auch fttr den leitenden Bauführer dieses durchaus toskanischen Ganzen erklären machten. Nur der tote Christus, eine liegende Marmorfigur unter dem freistehenden Altar, an dem der Geistliche noch mit dem Antlitz g^gen die Gemeinde zu flmgieren sollte, ist eine spätere Zu- tat, wie das Grabmal des Guido Castiglione (t 14^5) an der Seitenwand. Die Krstoro darf am ehesten als Werk des Samuele di Jacopino da Tradate angesehen werden, der 1440 nach Mantua berufen ward und I )63 mit Mantegna \'erm(\ssungen antiker Reste am Gardasee unter- nahm, das Letztere gehört dagegen unzweifelhaft dem (riow Ant. Omodeo, der 149.5 auch das Grab eines andern Castiglione in S. AI. delle Grazie zu Mailand gefertigt hat

Die farbigen Terracottahguren führen uns wie die nackten Buben am Portal zurück auf den Schlosshügel zu einer andern Schöpfung des Kardinals. Die selben drallen Knäblein, die hier am Fries ihre Guirlanden tragen, stfltzen den achteckigen Fufs und das Taufbecken darauf im Baptisterium, droben am äufseraten Rande des

*) y|^. Diego St Ambroi^ S. 19 ffl. der die Christnsfigor {irtflinlidier Wdse Ittr toskanisch nimmt. (Tav. XXVIII.)

») Vgl «. a. O. p. «S. Tav. XXXI.

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Taüfstein Grabmal ig

einst befestigten Vorsprunges. Die Wangen des achteckigen zkmn- lich roh gearbeiteten Beckens sind mit Rankenwerk ausgefüllt, nur die Vorderseite zeigt das Wappen des Kardinals; der Baluster ist mit grossen wulstigen Blättern, die vom untern Rande emporsteigen belegt, und von kräftigen kleinen Kerlen, in mannichfaltiger Haltung des Tn^rens und StOtzens umstanden. Sie erreichen trotz einzelner Schwächen, wie z. Bw der unzulänglidien Durchbildung^ der Hände und Füsse, doch den höchsten Grad realistisrhcr Wiedergabe des KinderkOrpers, die diesem Zeitgenossen des Jacf»j)0 della Quercia und T.orenzo Ghiberti noch möglich scheint, und erinnern sehr be- stimmt an die nackten Kinder der Aragazzi am Tron der Madonna in Montepulciano und an die nuisicierendon Kng-el am Hochaltar des Santo zu Padua, d. h. an Schulwerke des Michelozzn und des l>t)natello. die wir als Anhänjr*T der Xaturwahrheit zu feiern pflejren.

Wie hier das Wasserbec ken selbst nur das I*>zeu'^iiis einer handwerksinäfsi^en Scliülerhand si-in kann, st» trifft ein ahnliches X'rr- hältnis uol zu bei dem rirabinal des Kardinals l'>randa. das jetzt unter einem Bogen der Seitenw and im Chor der Collegiata \ erborgener steht als es ursprünglich beabsichtigt war. Als Tumba des Stifters sollte es gewiss frei, von allen Seiten sichtbar, unter der Vierung vor den Stufen des Hochaltars seine Stelle finden. Es ist eine flüchtige un- bedeutende G^ilfenarbeit, doch aber unzweifelhaft der aeühen to8> kanischen Schulung angehörig, und aller Wahrscheinlichkeit nach von demselben Meister abhängig, dem wir die Obrigen Bildwerke zugewiesen haben, freilich der Ausftihrung nach vielleicht von der Hand eines lombardischen Steinmetzen \ also das rechte Mittel- glied zwischen dem Horentiner und den Comasken, das nur die UnfiElhigkeit der heimischen Kräfte beweist von dem fremden Bei- spiel schon damals zu lernen. Ihm reiht sicli das W^mdtabernakel im Chor der Kirche unmittelbar an, während der Altar der Apostel in der Seitenkapelle unter dem ( ilockenturm schon eher als charakteristische Leistung lombardischer Schule bezeichnet werden darf, wie sie der Dom von Mailand mehrfach bietet. Mit dem Tode des Kardinals im Februar 144,^ giengen ohne Zweifel auch die fremden Kunstler von darmen, und die Beziehung /u Toskana war abgebrochen.

Den Irrtum zu berichtigen, der in dem Namen unter der Grab- schrift »Leonardus Gryphus composuit« die B«E«chnung des Bild- hauers zu besitzen wähnte, während der Wortlaut nur den Dichter

■) Dicfo Sftnt' Ambragio S. 31 f. hUt et Hlr lombaidisde Meiiterarbeit ») Vgl. «. «. O. T«v. XLIV.

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Der Toskanische BfEiSTER

des langen Panegyricus darin ni finden erlaubt, ist kaum melu' nötig. »L*£pitaffio composto da Leonardo Griffio nobile spirito di quei tempi« sagt schon Beffa Negrini, der die \'erse in seine Elogi Historici della fanüglia Castiglione (Mantua 1606) aufgenommen. Der Mann gehörte einem guten Hause in Varese an, ward später Bischof von Gubbio und starb als Erzbischof von Benevent!

Ob aber die Kunstgeschichte im Stande wäre, den Namen des Künstlers zu nennen, der von 1428 bis gegen 1443 in Castiglione d'Olona nachweisbar eine so reiche und mannich&ltige Tätigkeit ent- wickelt hat, ist eine andre Frage. Seine künstlerische Herkunft aus Toskana, aus unmittelbarer Nachbarschaft des Niccold d*Arezzo und Lorenzo Ghiberti ist bestimmt genug aufgezeigt. Die Fortschritte zum Realismus, die sät 1435 ungeföhr hervortreten, die genauere Bekanntschaft mit dem reinen Stil der Renaiasancearchitektur, den wir damals nur hei Brunellesdii selbst und seinen nächsten Mit- arbeitern voraussetzen können, vorlangen wol den Rückschluss auf dne abermalige Anwesenheit in Florenz. Sie gäben Veranlassung genug, nach einem Aufenthalt des grofsen Architekten selbst in Mailand um 1432 auszuschauen'), wenn nicht die Abwesenheit des Kardinals Branda auf dem Conzil /.u Basel in die nämliche Zwischen- zeit fiele. Sie verbieten vollends an M.isolino, den Maler zu denken, den Vasari eine Zeit lang als Ciseleur bei Lorenzo (ihiberti an den Bronzetüren des Baptisteriums mitarbeiten läfst*). \'iellei( lu ist es bei dem heutigen Stande der Forschung überhaupt noch zu gewagt, einen bestimmten Namen zu fordern und auszusprechen. Eine Reihe verwandter Efsdieintmgen in Oberitaüen, von Mailand bis Venedig, mülste erst als toskanischen Ursprungs mit vorurteilsfreiem Urteil von den Erzeugnissen heimischer Lokalkunst gesondert werden, bevor eine Sichtung florentiniacher Ableger im engem Kreise versucht weiden konnte, und diese Auseinandersetzung kann sich nur all- mflhlidi vollziehen nicht bei Grelegenheit abgetan werden wie hier.

Die Tatsache, dass in Obcritalien zahlreiche Denkmäler ver- wandter Art sich auf Schulgenossen aus Florenz zurückführen lassen, ist bekannt genug, aber die Bedeutung der florentinischen Enklave

■) Diego Smt' Anbraeio behauptet S. 33 einen nrieiadie» Anfenthalt Braoellesdiit in Ifafland, 1427 und 1435. Vd dam Com. de Fabrieqr, Fttipfio Brandlesclii S. 374,

der nur einmaligen Besuch zwischen 1437 und I433 ntlittt.

*) Ihn schlügt Diego St Ambrogio, a. ■. O. S. 3a vor, indem er ihn sogleich ab

Baumeister denkt.

TOSKANISCHE BlI.DNER IN OBERHAI.IEN

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in Castiglione d'Olona ftkr diesen Zusammenhang noch kaum er- wogen »).

') Da wSrc an erster Stelle allerdings in Arr//<i selbst das Grabmal des Rechts- gelehrten Antonio de Royxcllis, ein ganzer A\ifl»au aus Terracotta in S. Framesco zu Bennea, ilcfisen Sarkophag mit den Bnisthildern dreier Berühmtheiten der Jurisprudenz dein Fries mit den Kirchenvltera am Portal von Catt^ione whr nahe kommt (sdiwciUcb erst 1467 wie das im Santo m Padua). Damit aber wäre wol noch der Hinweis auf die xahlrcichen Werke des sogenannten Meisters der Pellegrinikapclle in St. Anastasia zu Verona gegeben, wo die Wände mit Reliefe au.s dem Leben Christi von flüchtiger Arbeit bedeckt nnd» mit Einzeliiguren voo Hd^in dasviidieB «nd der knieenden Porträtgestalt des Stiften. Im Dom an M odena ist von denclben Hand in der sweiten Kapdie Hnks ein Allarwerk erbaltcn, allerdings weiss angestrichen und vergoldet mit blauem Grunde; enthält unten die Madonna, stcheiul /wischen vier Heiligen, darüber den Gekreuzigten mit Jobannes und Maria, sowie die sitzenden Figuren der vier Evangelisten, in den Giebe'tt Engel, in den dreiedc^en Eckpfeilem, die swci Seilea heisuikducD^ je vier NisdieB mit Statuetten llbetdnander, und an der Pieddla Rdieb mit Darsldlnngen aus der Hciligenlegendc. Ihm gehören in Florenz die Halbligur der Madonna mit Kind in der Kai>clle des Bargello und das hochverehrte Gnadenbild, die Madonna dcl I'opolo in der Brancaccikapelle des Carroine. Im Berliner Museum haben wir jedenfalls die sitzende Fidfigar der Madonna mit dem Kinde (No. 107) und daa Rdicr (i<4)» im South Kensington Mui^um zu London die Einzelt'igur einer Annunziata (No. 4623) und die Reliefs 7^6<i und 7504I <lic von Alters her dort dem Quercia zugeteilt werden.

Dagegen teilen wir vorerst die Bedenken, wenn dem selben Meister auch das Grab- mal des Beato CariMimo da Chionia in S. II. de Tfnn in Venedig beigememen wird. Das Blattwerk des sfdtabogiceB BaMadiins, ans dem Halbfignren von HdHgaD, Propheten, Sibyllen und musiderenden Eofdtt bervorwachsrn, erscheint allerdings diesem Ttmbildner völlig entsprechend. Aber das grosse Relief der Taufe Christi unter dem Bogen erreicht beinah die Schönheit und Innigkeit Ghibcrtis selber und die Reliefs am Sarkophag, die Aufeistdiung und die HdUenfakrt Christi, zeidinen ddi dnrdi meistediafte Klarhdt dar Kompodtion, dnrdi die freie Wiedergabe naditer KOrper in mannidifaltiger Bewegnaf und Verkürzung, durch die klassisch einfache Gewandung so vorteilhaft vor dem Meister der Pi'llct^rinikapelle ans, dass wir nur auf ein verwandtes Beispiel in Fhirenz zurück- weisen mocblen, auf da^ Relief mit der Enthauptung des Jakobus am Tabernakel dieses Heiligen an OiaaamidMle, die im unverkennbaren Ansdihns an die Anferwedmag des Laaams von Ghiberti komponiert, von einem seiner llteren Genossen herrühren muss, deren viele ihn ja 1424 aus Furrht vor der Pest verlassen hatten, die ihn selbst aadl Venedig trieb (Okt. Decbr. vgL Milanesi Doc. Sen. II. 119).

Die Auferstehung am Grabmd des Beato Carissimo (1437) an Vened^ hat allerdings Verwaadtsdiaft mit dem Grabmd Brenaoni (f 14*0) in St Fermo an Verona, Müd dem sich Giovanni di Bartolo il Rosso ds Urheber bezeidinet, und mit dem Rdter« mcnument des Cortesja da Seregn (14201 in St. Anastasia, das auf denselben Namen Anspruch bat, während das Denkmal des Fulgoso (f 1427) im Santo zu Padua wol sicher von dnem andern Florentiiier, Piero di Niccdö, herrflhrt, der mit Gfovanni di Uartino da Fiesok das Grab des Dogen Mooedgo in Venedig (f 14*3} und vorher in Florena das Grab des NoTeri Strosd (f 1417) in der Sabristd der Triniti gefertigt hatte.

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-i-m DIE DECKENMALEREI IM CHOJE\ DER COLLEGIATA '»^^

^icht die Bauwerke und Bildwerke sind es, die den Xanien Castiglionc d'( )lona in der Kunstsrcschichte berühmt j^emacht haben, obgleich sie es ebenso xerdienten, sondern dir seh.ittenhidlcn I'cber- reste der Maloreit-n im ("hör d< r Kollrj^iatkirche und ein ('yklus au.s dem l.<-b('n Johannes des Tauters im kleinen Baptisterium, utiver- kennbare Arbeiten florentinischer iMeister aus den Tagen des Kar- dinals Branda Castiglione ').

Die Fresken im Chor der Kirche sind Uberwdast gewesen und erst im Jahre 1843 wieder aufgedeckt, leider nicht mit der Sorgfalt und Geduld, die der Rettung eines so wichtigen Denkmals gebohrt hätte. Hier und da ist die Malfläche selber mit abgefollen, Gesichter und Körperteile zerkratzt, an anderen Stellen durch Feuchtigkeit auch die Zeichnung verschwunden, an der Wölbung gar mit dem einen Bilde der Versudi gewagt, die schadhaften Teile durch Ueber- malung wieder wirksam zu machen. Dennoch muss bei dem ge- schichtlichen Wert dieser Urkunden Alles aufgeboten werden, die verblichene Erscheinung zu bannen, und in der Tat kommt uns die Photographie ausserordentlich zu Hülfe, den Eindruck an Ort und Stelle zu (Ti/änzen. Sie st(^llt mit mechanischer Sichcrlieit noch Einheit und /.usainmt-nhanvj fest, wo das Auge, durch Farbenflecke beirrt, nur mühsam arbritend die auseinander gerissenen Fetzen zu verbinden lernt. Nur gestatten die F^nge des Kaumes, der Einbau eines Hochaltars mit weitem B.ildachin und die Ungunst der Beleuchtung den photographischen Aufnahmen nicht genügende Freiheit, alle Teile gleichmftssig zu behandeln.

Der Grundriss des Chors besteht aus dnem Quadrat mit ange- legtem Trapez, d. h. er ist mit drei Seiten aus dem Achteck geschlossen, deren zwei acfarägstehende Wände mit schmalen Sintzbogenfenstem durchbrochen sind, während in der rechtwinklig zur Hauptaxe stehen- den Schlusswand ein höheres Rundfenster gesessen hat, das später

') V^l. Va'-ari. Vile iLemonnior» III. 139 ft., Opere (Sansoni) II. 2(>f) fl. Crowc u. Cavalcaselle, Gesch. d. ital. Mal. II (1869) S. 77 ff., lul. Ausg. 18Ü3. .S. 244 H. A. V. &bn, JtM*. r. Kunitwüiattdiaft II (1869) S. 155 fl*. Lobke, daselbst III, 280 AT. n. Gesch. d. ital. Mal. I (1878) S. a8s f. Waltmuii, G«Kh. d. Mal. IL 143. Bwdchardt-Bodc, Cicerone. 3. Aufl. (1874) S. 873 bis 6. Anfl. (1893) S. $53. Weiteies im Verfolg »a seiner Stelle.

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Masolinos Deckenbildek

erw nitert wurde. Das »{ntzbogige Gewölbe bestdit clomgemdss aus drei schmalen langgestreckten Kappen über dem Chorhaupt, zwei breiteren Ober den Seitenwänden nnd einer sechsten, sehr in die Breite gezogenen, über dem Eingangsbfigen gegen das Langhaus zu. Zwischen tlon spitzen Srhildbogen und den stark \ i irtrelondcn Rippen eingespannt, bieten tliese sechs sphärischen Machen aber keineswegs günslige W'rhidtnisse für die Malerei. Der Schlulsstein des (iewolbcs zeigt eine runde Scheibe mit der genieissehen und bemalten Hall>- tigur (iollvaters, iler die Weltkugel in der Linken haltend, die Rechte segnend ausstreckt, und so von vornherein zu den Deckenbildcrn selbst in Beziehung steht

Kr wendet sich mit dieser (ieb.irde der himnielfahrcnden Maria zu, die von Kngeln getragen zwischeti Eingangsbogen und liewolb- scheitcl emporsteigt, und erscheint zugleich mitwirkend bei der Krönung der Himmelskönigin im sdimalen Mittelfelde des Chor- hauptes. Und wie diese beiden in dar Hauptaxe gelegenen Dar- stellungen gehören auch die übrigen paarweis zusammen: aber den beiden andern Polygonsdtan links vom Beschauer die Verkündi- gung, rechts das Sposalizio, und über den beiden Quadratseiten links die Geburt Christi, rechts die Anbetung der Könige.

Ganz links in der Ecke unter der Geburt Christi liest man auf einem Schriftbande am Felsgestein, mit dem die Zwickel ausge- malt sind, die Bezeichnung

MASOLINUS DE FLORENTIA») HNSIT die sich natürlich auf die Ausmalung der ganzen secfasteiligen Chor- decke bezieht, aber auch nur auf diese, nicht mehr auf die unteren Wandmalereien beziehen kann, die in der einen Hälfte die Gesdiichte des hl. Laurentius, in der andern die Geschichte des hl. Stephanus enthalten.

Die Wandmalerelen des Chores sind späteren Ursprungs und von andrer Hand, bleiben hier also vorerst ausser Betradit Die Deckengemälde dagegen lassen sich aus der Greschichte des Kircfaen- baues, wie aus der ihres Stifters und ihres Urhebers genauer datieren. Im Januar 1422 wurde, wie wir gehört haben, die erste päpstliche (Tcnehmigiing zur Errichtung der Kollegiatkirche g^eben, bereits im November 1423 die Erlaubniss zur Weihe, iIsm zum Beginn des regelmässigen Gottesdienstes erteilt, wenn damals vielleicht auch die Chorpartie allein, der wichtigste Teil des Neubaues, vollständig

') K UQ(1 N sind xuuunmengexogen.

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Entstehungszeit

ausgeführt sein tnodlte Am 25. März 1425 erst fend die Weihe wirklich statt, die wog-cn der Abwesenheit des Stifters als K.irdinal- Icgat jenseits der Alpen solange hinan sv^eschoben war. Der Haupt- altar wurde der Jung^frau Maria und den beiden Märtyrern l^iurentius, dem litular der ursj)rün^liciien Kirche, und Stephanus geweiht, der Seitenaltar in dem einen XebciulMr dem Petrus und Paulus nebst den übrigen Aposteln, offenbar in Kiicksicht auf die Würde des apostolischen Legaten und Kardinals der römischen Kirche, der Seitenaltar im andern Nebenchor dagegen dem heiligen Papste Clemens, dessen BaälSka in Rom Branda Castiglione als Kardinalstitel inne hatte, so dass er Reliquien dorther mitbringen konnte, femer dem heiligen Ambrosius, dem Schutzpatron der Mailander Diözese, zu der Castiglione d'Olona gehört, und anderen Bekennem, wie Konrad, Kaiser Heinrich, Leodegar, Corbinian und Oswald, von denen der Legat sich auf smnen amtlichen Reisen im Norden Reli- quien verschafft hatte. In der Unterkirche erscheint als erste Titel- heilige des Altars unter der Chorkapelle St* Katharina von Alexandrien, gefolgt von Margaretha, Hedwig, Afra, Walpurgis und l'rsula mit ihren eilf tausend Jungfrauen. Wenn für den Altar der Assunta droben so^rar Prato ein Pirtikelchen seines gefeierten Heiligtums, des Gürtels der Madonna, herausi^evrcben hatte, so ergeben die Namen der andern Reliquien Winke genut; für die fronmien Streif- züge des Stifters in fernen Landen. Mit der V'erteilung dieser Reli- quien auf die vier Altäre und der Einweihung in Gegenwart des Kardinals war auch das Thema für etwaige Malerei oder bildnerischen Schmuck vorgeschrieben. Also vor dem März 1425, der Rfk^kehr des Kardinallegaten aus Ungarn und Deutschland, kann die Verherr- lichung der Maria am Chorgewölbe durch die Hand des Florentiners Masolino keinesfalls entstanden sein.

Und die Daten aus dem eigenen Leben des Malers, die wir besitzen, bestätigen diesen Gränztermin, über den wir nicht zurück- gehen können, durchaus. Dieser i Masolinus de Flon^ntia« ist identisch mit dem kleinen Thomas, eigentlich Tommaso di Cristoforo Fini, pictor populi sancte !*"oli(Mt>itis de Ploreiilia , der am iS. Januar 1424 bei der Zunft, der die MaU-r (kinials angeln »rten. Arte dr' Medici c Speziali. in Floren/ immatrikuliert ward, um «ds sclbststaiidiui^er Meister Aufträge übernehmen zu können. Kin Rechnungsvermerk der Com- pagnia di S. Agnese dclle laudi presso il Carmine ergicbt, dass er

<) Darauf hat mit Recht schon Lobke, Jehrbw f. Kwachft. III. a8t u. 284, auf- merksam gemacht.

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Masolino in Ungarn

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noch am 8. Juli 1425 eine kleine Zahlung entgegen nahm.') Im Jahre 1427 aber besagt der Katasterhoricht soiiios V^atcrs C risiotoro di Fino. imbiancatore : 1 oinnia^o suo figlif), d'anni 43. sta in Unghc^ia; dicesi dover averc certa (}uantita di danan tl.i Itrodr di niessor Filippo Scholari; non e chiarito II che , und am Rande da/ii die weitere Notiz: Sono tiurini 360 di Monte Comune ch'cruno iscritli in Simone Milanesi e Simone e l ommaso Corsi. -|

Filippo de' Scolari, der berühmte Feldherr in Ungarn, war selbst Florentiner, aus dem alten Hause der Buondelmonti zu Tizzano 1369 geboren, in seiner Heimat unter dem Namen Pippo Spane, d. h. der Obergespan (von Temesvar) bekannt Als Schatzmeister KOnig Sigis- munds, wurde er durch seine Gemalin Graf von Ozora und trat damit als Hospodar in die Reihe der ungarischen Magnaten ein. Er liess sich von toskanisdien Künsdem, zu denen auch Manetto Ammanatini W grasso legnajuolo gehörte, ein prachtvolles Kastell und Kirchen in Ozora bauen, ein Hospital in Lippa und eine Familien- kapelle in Stulweissenburg neben der (Trabkaj)cUe der ungfarischen Könige. Dort wurde er selbst bestattet, als er an: 27. December 1426 zu Lippa gestorben war. Sein Grabmal, gewiss l)ei Lebzeiten vorgesehen, aber schon 1536 zerstört, wie alle seine Bauten, trug die Inschrift:^)

SEPULCHRUM EfrREGlI ET MA(iXIFlCl DOMIM PUILIPPI DE SCOLARI lU'S DE FLORENTIA COMFllS THEMESWARIKNSIS ET OZORAE . QUI OBIU ANNO DOMINI MCCCCXX VI . DIE XXVIL MENSIS DECEMBRIS

Diese Kapelle war jedenfalb im Mai 1426 sehr weit gediehen, wahrsdieinlich sogar in ihrer malerischen Aussdimückung voll- endet; denn damals ruhte er nicht, bis der Gresandte von Florenz Rinaldo degli Albizi nach Stulweissenburg gekommen war und sie

') Vgl. Knutzon, Maucdo og den florentinike Malerkon.st paa bans Tid, Kopen- hagen 1875. S. i()0. »A Masolind di . . . dipintore a di VIII di 'uglio lirc duc "ioldi qaatro, sono per dipignierc la nugbola f metere d'azuro e oro fino.« (Arch. I cniraic Xibro d'EntiaU e UsciU dal 1425 al 1441, Compagn. di S. Agnese dcUe Laudi, segn. B. No. 98 p. 81 tergo.)

') Vgl. Milanesi, Giornalc storico degli Archivi Toscani i8(>o, Juli btt Sept. S. I92 ff., ferner die folgende Notiz: Milanesi. Scritti varj 1873 p. 287: »E pii'i rimane a dctij Milanesi üor. 450 di Monte Cboniunc che »ono ncl quatlierc s. Spirito, in somma di Hör. 810 aol 6 den. 8 s oro in oro: didumo in Simooe Milaneä e Simone e Tonnutto Chonti . . . li pemmtA in inaestro Tomaio di Xpofkno dipintore.

*) Manni, Dom. Maria, Osseiraiioai istoriclie Boprs i sigilll antkhi de'secoU baui. Tom VIIL (Firenxe 1742.) p.

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Entstehungszeit

b('si(,lui^t htittr. Am 14. Mai 14:?^ \'cr/oiclinot dieser in seinem lieriehle an die Sitrnoria: vetlemo lu capella sua, taUa di nu<>vo, \)cr sua sipultura, uüorna di molto e bene dutala c di^ricchi para- ineiiti ec. ')

Pi])])n S])an(). seit seinem dreizehnten Jahre im Ausland, w,ir nur eiimial \vied<T nach Floren/. ^^ek<»mmen. am .' vjimi 1410. Dajrcj^en wollte er im Mai 14^5 den Krtnii^- Sig^ismund zu seiner Kronimjjf n.it h Italien b<'gleiten; aber di(> Romfahrt verz< tj^erto sich bekanntlich bib 1433, so dass Mlijjpo sie nicht mehr erlel)t(^ ')•

Hei einem der letzten Einfälle der Türken in l'nv^arn ge^^en Koui^ Sigismund war Branda Castii^lionc, (traf von \ csprim und Kardiiiallevr.it unter den Würdenträgern des Reiches, die mit dem Konig zusammen den giehtkranken Spano l)eslimmten, den (Ober- befehl der I rupptMi zu übernehmen um die l-einde aus dem 1-andc zu jagen. Die Durchreise des Legaten durch Florenz, bei seiner lldmkehr nadi Rom, als er seine Kirche an der Olona geweiht und beim Visconti in Miiiland seine Mission erledigt hatte, mag also auch für Masolino den letzten Anstois gegeben haben, im Hochsommer 1425 nach Ungarn aufzubrechen.

Wenn Masolino aber für FiHppo degli Scolari die Ausmalung- jener Kapelle ausgeführt hatte, für die «beim Tode des Auftraggebers, Ende December 1426, noch 360 Gulden zu zahlen waren, so bleibt das Wahrscheinlichste die Annahme, dass Kardinal Branda ihn bei der selben Gel^fenheit auf der Durchreise durch Florenz, zwisdien Mai und Juli 1425, bestimmt hatte, auf dem Wege nach Un- garn in Castiglione d'Olona emzukehren und die Ausmalung des Chores in der neugeweihten Kirche zu beginnen. Dass Masolino dort nur die Gewölbefelder vollendet hat und sich im Zwickel oben,

') Comnisrioai di Riaaldo degli Albtsl, II. 5B8. »k» Spano «eievm noi laomfano la

via da Alhareale per vcdero la sua rappclln c ornamenti, e »lloggiaxsimo in casa il Pro- posto, c 1 aJtro di andassiinu a < )sora sua casa principale, per vedere la Contessa c l'altrc sue cuMc.« »A di 14 (Mai 142O) partimo da TaU, co' dclü famigli dcl Conte di Cilia Gon pareocbi csTagli per nno, e eon qadlo dello Sputo con tre cava^, e co* dctti ctticUi cc \eninio ad Albareale, citl« senu vesGOvado, dove si Loronano i Rc dUn^mia, e mollc IdiM sfpultuir vi ^(lno. Smnntamo in rasa d Prnpnsto. che molto vi fiimo onnrati per atnorc dcllt» Spano. . [s. oben). 15. Adai Besuch bei der Coote&sa in Ozora : »c fecemi rooslrarc n ctttello beliiisimo e pift cbiete fatte di nnovo con molti riodd pamnenti e moltie allfc magnifictnsie ad honorem Dei.« Vgl. Dom. MelKni, Vita di Fiüppo Scolari, Finnie 1570.

^] Gio. C'anestrini, Atdi. Mor. ital. 1843 Anhang xu den beiden gleichzeitigen

F-eb< n-,l>t'M lireihiiiT^'cn d«*s Kil. degli Scolari. (Tom. IV p. 117 ff.\ Mandscliriftlirhes Material 'm Arcb. slur. centrale (Arcb. dclla Badia Kiorentina No. .^26, Faniiliarum tum. XV.) Canntrini, Diicono a uUe relaaioni di Firenze coU' Ungheria, Arch. stor. ital. IV. p. ao6 ff.

MASOLiNas Deckenbildek

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unter dem letzten Hilde links bezeichnet, spricht ebenlalls f&r vor- übergehenden Aufenthalt, bei dem es vor allen Dingen darauf an- kam, dem Kardinal wenigstens guten Willen 7.u y.riyrcn, den Auf- trag wenn auch nur teilweise zu erfüllen. \ ielleicht dankbar Ver- pflichtungen nachzukommen, über denen (l>>ch die günstige Jahreszeit zur Rei.se nach Ungarn nicht vrr.säunit werden durfte. Der vorläufige Abschluss mit der Deckenmalerei allein würde sich kaum erklären, wenn wir den Künstler erst 1427, auf der Rückkehr von Stulwcisscn- burg' nadi Florenz hier in Oberitalien gegenwärtig dächten.

Dazu kommt ausserdem die Entwicklungsstufe der Kunst, die diese Malereien selber vor Augen stellen.

Ueberblicken wir die Bilder in der herkömmlichen Reihenfolge des Marienlebens, aus dem hier drei correspcMidierende Paare gewählt worden, so zeigen sich sofort die Richtung der Zeit wie die persön- lichen Eigenschaften des Meisters. Die Form der schmalen lang- gezogenen Gewölbekappen hätte darauf hinweisen solleti. die Vor- gänge in möglichst idealer Behandlung zu geben, das heisst die Figuren silhouettenhaft nach den Grundsätzen der Flächendekf)rati<)n auf das fest umrahmte lleckenteld zu brinsren, dagegen die räundichc Entwicklung eines bestimmten .'^ehauplatzes zu vermeiden. So wenigstens würde ein Abk<>mnilini^ der älteren Schule, auch am ITebergan^»^ des vierzehnten ins fünfzehnte Jahrhundert noch verfahren sein. Unter den Bedingungen des gotischen dewolbebaues heran- gebildet, würden Don Lorenzo Monaco oder gar Fra Angelico da Fiesole nicht minder als Spinello Aretino sich bemüht haben, auch die Voigänge aus dem Marienleben, die hier an der Decke verlangt wurden, möglichst raurolos, in gleichsam transcendentaler Allgemein- heit zu halten. Sie hatten bei der Enge der gegebenen Bildflächen gewiss rituelle Feierlichkeit der Auflassung und Abstreifung alles nebensächlichen Beiwerks als dringendes Gebot erkannt, selbst wenn ihnen die Bestimmtheit der Gebärde und die Macht des Ausdrucks in den Gestalten seihst nicht mehr zu Gebote stand wie den grofsen Meistern des Trecento selbw.

Masolino dagegen sucht, wie ein Blick auf seine Deckenbildcr lehrt, den Fortschritt über jene Schultradition gerade in der Wieder- gabe irdischer Bestimmtheit des Ortes jeder Handlung. Es ist ihm mehr darum zu tun. die Bühne recht leibhaftig aufzubauen als die Gestalten selber, die dort auftreten. l-.r häuirt mit dem dange der Entwicklunj^^. die sich von 'i addeti daddi und (iievanni da Milan' > zu Angelo Gaddi und Antonio Vencziano \<»ll/iiv^en hatte, noch eng zusammen, indem auch er noch vom Zuwaclii> des Beiwerks,

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Marias Himmelfahrt und Krönung

von der mannichfaltigen Umgebung ausgeht, selbst auf Kosten der

I hmptsachc, auf die ein Giotto seine ganze Kraft gerichtet Darin bleibt auch er ein Ausläufer des Trecento, dem die grundlegenden Jahre seiner Jugend angehören. Aber seine Schilderung des Schau- platzes verfügt bereits über neue Mittel: er kennt die Forderung- perspckti\ischcr Illusion für das Auge und will den Schauplatz der Handlung auch da realistisch hiustollon, wo die Bildfläche sich hoch über dem Rotrachtor bctindot. Dadurch aber gerät or am Chor- gowolbo /u Castiglioiio mit den starkvortretenden Rippen in Wider- streit, jeniehr der eigene Aufbau einer Scheinarchitektur versucht wird. Seine Darstellungen sind in Florenx vorbereitet, unter den Auspicien UruneUeschis sogar und dem Eindruck der neuerstehenden Ardii- tektur; aber an so schmale Gewölbkappen -efaies lorobardischen Chorhauptes war der Maler nicht gewöhnt

Nur wo die vorgeschriebenen Scenen selbst den irdisdien Schauplatz ausschliessen, gdingt audi ihm ein harmonischer Eindruck im festen Rahmen.

Durch die Reliquie vom Gürtel der Maria, den me d^ Legende nadi dem ungläubigen Thomas zugeworfen, als sie gen Himmel entrückt ward, ist die Darstellung über dem Hochaltar bestimmt. Von fliegenden Engeln m symmetrischen Reihen links und rechts umgeben, sehen wir die Mutter (lottes emporgetragen. Leider ist die Hauptfigur fast gar nicht mehr zu erkennen, zumal seitdem nach der Übertünchung gerade in ihrem Leibe ein Haken für den Bal- dachin befestigt worden, der über dem Altar hängend dem Auge kaum gestattet hier und da ein Stück des Feldes zu erhaschen.

Desto wichtiger ist das Gegenstück im Mittelfelde des Chor- hauptes: die Krönutig Maria's durch Christus, die den Cyklus ab- schliesst. Auf prächtigem Tron mit hohen, fialenbekninten Lehnen und apsisähnlicher Nische in der Rückwand, über der eine durch- brochene gotische Turmspitze von reicher Schmuckarbeit aoftteigt, sdtzen vor einem kösdichen im Halbrund ausgespannten Teppidie die beiden Hauptpersonen. Christus rechts, etwas höher tronend» ist soeben im Begriff der Mutter, die besdieiden etwas niedriger an der Unken Ecke des Sitzes Platz genommen hat, mit beiden Händen eine Krone auf den Scheitel zu drücken. Demütig neigt sie ihr An- gesicht vor dem Sohn in seiner Herrlichkeit. Zahlreiche Engd schauen dabei von beiden Seiten durch die Fenster des Trongestüls, während ganz vorn zwei mädchenhafte Wächter an den Stufen stehen. Es sind ausserordentlich gestreckte 1' iguren, mit schmalen Schultern, kurzem ( )berköriier aber langem Kumpf und doppelt so langen Beinen. Sie bestehen fast nur den Hauptliuien ihrer GUedmafsen

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Verkündigung

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nadi* ohne jede Rundung der Form. d. h. aus Kopf und Händen, die aus der Draperie eines (xestells hervorsehen; selbst am Rande der Sitzbank hockt oder lehnt diese Gliorlerpuppe nur seitwärts, so dass alle Verkürzungen, die sonst bei festem Xicdersit/.en entstehen, vermieden sind. Es ist wesentlich das Gewand in welchem sich die Bewegung ausdrückt , sagt Albert von Zahn, und zwar in schlanken, ziemlich allgemeinen Zügen . Und Cavalcaselle hebt mit Recht eine gewisse müde, aber nicht ungraziöse Ruhe hervor, in Verbindung mit zartem Ausdruck und schlicht anmutigen Zügen.

Wie Bewegung und Gebärde dieser schemenhaften Ideale haben auch ihre Köpfe eine weiche Unbestimmtheit der Form und moUtukenaitige Haltung, als fehle ihnen jede Festigkeit des Knochen- gerflstes und jede Straffheit der Muskf^lbftnder. Nur die Haarfarbe und der Bart unterscheidet Christus von der jungfrftulicJien, ganz hellblonden Mutter, deren Köpfehen so kindlich rein wie eines un* erwadisenen Mägdleins, duftig und durchsichtig wie eine Roaen- knospe auf ihrem Stengel schwankt

Wenn schon hier im Trontabemakel das schnelle Zusammen- ffidien der Unien nadi der Höhe das Auge beirrt, so merkt es empfindlicher den Zusammetistofs mit der vorgefundenen Rippen- teilung bei der Verkündigung. Der Scheitel des Schildbngcns, d. h. der Höhepunkt der wirklichen Kapellenwand wird vom Maler als emporragend über den Boden der gemalten Bühne gedacht, die er im darüber befindlichen (Te\\'("i|l)felde entfaltet. In Halbkreislinien nach links und rechts weicht hinter dieser Bogenspitze der Rand des gemalten Inissbodens zurück und scheidet so die 1)eiden unteren Zwickel der (iewölbkappe, die mit abgestuftem I-"elsgestein gefüllt sind, aus der Darstellung aus. Wie der Souffleurkasten einer Bühne verdeckt der einspringende Scheitel des Schildbogens auch den Fuss einer schlanken Säule, die nicht ganz in der Mittelaxe, doch un- mittelbar dahinter auftteigt Ihr einfaches Volutenkapitell trägt die Edcen eines graden Gebälks das zu den Anten zweier Vollmauem Unflberreicht, die im rechten Winkel aneinanderstolsend die beiden ROcicwände der turmartigen auf quadratischem Grundriss auftteigenden Loggia bilden. Ober dieser Gebälldage erheben sich noch zwei luftige Gesdioase mit Rundbogenfenstem, die im oberen mit MittelsAulchen auagesetzt sind, darüber ein schräges Zeltdach, dessen Mitte in einer Interne gipfelt. Schon die lotrechte Säule, die zwei Drittel der Bildhöhe teilt, und die I lorizontalbalken des Aufbaues vertragen sich nicht recht mit der konkaven Fläche, auf der sie gemalt worden. Das Ganze gleicht einem Altarciborium, dessen hintere Seiten, durch Vorhänge geschlossen, den Durchblick versagen. An der einen

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Sposalizio

Wand ist aber ein Schränkchen angebracht, auf dessen offenen Borten die Andachtsbürher und kloinen Gerätschaften der Jungfrau gesehen werden. Zwischen Säule und Wandschränkchen steht auf dem Fuss- boden eine Vase mit Blumen darin, (ianz rechts an den Rand des Bildes gedrängt, orschoint Maria, aufgeschreckt aus ihrem Gebet. Scheu zurückweichend, neigt sie doch ergehen das Haupt und kreuzt l)eifle Arme über der Brust. Es ist eine schlanke feinknochige (ie- stalt mit kurzem Oberki irjjer, und von den Schultern ab so voll- ständig eingehüllt in die weichen fliessenden Massen ihres Mantels, dass nur die sanfte Biegung vom Kopf bis zu den l üssen sichtbar wird, in dem verwärtsfallenden Faltengeschlängel am Boden sich noch die Bogenlinie fortsetzt und das ZurQckfliehen dus der froheren Stellung verrät, wie beim schwanken Rohr, das vom Winde bewegt wird. Links beugt sich der Engel schwebenden Ganges zu ihr herein. Kaum die Zdien berOhren den Boden, auf dem das weite Gewand nachschleppt; fast scheint es, als wolle er niederknieen, indem die FlQgel sich senken, der Arm sich hebt und vorstreckt, seine Bot- schaft begleitend. Die Unke mit dem Lilienstengcl bleibt abwärts gerichtet, während das Antlitz, ganz in Profil, feingeschnitten und zart wie das Mariens. zu der demütigen Gottesmagd hinüberschaut. Auch hier ist der Körper unter dem doppelt geschürzten Kleide kaum fassbar, die Bewegung der Beine nur zaghaft und unsicher gegeben. Nur Arme und Kripfchcn niüs.sen. wie bei Maria, zum Aus- druck (Mgenen Lebens genügen. Der poetisciie Vorgang selbst ist nur in Ivriselier F.nipfindung aufgenommen, weicher und unwirklicher noch als bei Fra Angelico da Fiesole, und völlig unberührt von dem Drang realistischer Ausgestaltung, den der Schauplatz erwarten lässt. An der aufdringlichen Säule vom stOsst sich immer wieder der Schwung der idealen Wesen, von denen keines der Wirklichkeit angehört

Ganz das nämliche Verhältnis zwischen Figuren und Architektur waltet im Sposalizio, das rituell und feierlich behandelt ist, doch mit der selben Unwirklichkeit, wie die Schluläacene eines EUenrcigens in die Erscheinung tritt Vom an der Schwelle des Heiligtums steht der Hoh^uiester, der das Paar zusammengiebt. Links Maria Aber- schlank, sylphidenhaft, von der alten Anna begleitet die wenigstens scharfen Blickes der Beringung der Toditerhand zuschaut, wahrend eine Schaar jugendlicher Begleiterinne nihre Köpfe emporreckt Auf der unteren Stufe steht, Maria zunächst, eine elegische Jungfrau, und eine anmutige junge Mutter mit einem Kinde an der Hand steigt, fast wie eine Leidtragende zur Schwelle des Grabes, hinan. Joseph ist ebenso zart wie seine Verlobte, nur ideale Gewandfigur mit aus- gesprochen gotischer Draperie. Gross und weihevoll dagegen steht

Sposalizio

sdii Mebenmann auf der nächsten Stufe, in seinem langen weissen Bart wie ein Moses anitusehen, in emster Ruhe, ^resctikten Blickes vor dem Walten des Schicksals, wie der ehrvvürdigfe Alte hinter ihm auch. Nur Einer von diesen Freiern mit dürr g^ebliebenen Stäben lässt seinen Unmut aus, indem er den Gegenstand seines Zornes über dem Knie zerbricht; aber os jLfeschioht gleichsam verstohlen und zatjhatt. ohne dass die anderen es bemerken und ohne jede Energie «ler Heu ( ^ung. so dass das Motiv als solches ebenso wenig Interesse erweckt wie es beim Künstler die Beobachtung des Lebens herausgefordert hatte').

Es ist also im Gegensat/ zu den burlesken Anwandlungen, in denen sonst der Sinn für wirklichkeitstreue Schilderung auch in biblischen Scenon am ehesten liefriedigung suchte, hier eine Reinheit des religiösen (nifuhls bewahrt, die in Erstaunen setzt. Und wenn man in der ernsten Gesinnimg des Kardinals liranda, dem Wunsch des Auftraggebers, die nächste Erklärung sucht, so macht sich die weiche Stimmung des Ganzen fast rührend als positiver Inhalt filhl- bar, dass sie wie ein Hymnus aus tiefetem G^emOt des Künstlers herüber klingt, den selbst die Mönche wie Fra Angelico und Don Lorenzo nicht auizuwdsen haben. Es ist eine schwermütige Weise, aber so schlicht und kindlich in ihren Mitteln wie Lieder des Land- vcSkSf und erscheint wie eine Zwischenstufe zwischen der sentimen- talen GefÜhlsmalerei der Meister von Perugia und der preciösen Innigkeit der Sienesen. Die Kleinheit der Köpfe, das schwebende N^gen der Gestalten, die gleichmäfsig abwärts fliefsenden 1-alten aus geschmeidigem Gewebe und das melodische Geschlängel der Säume über den Stufen hin, Alles trägt da/u bei das ' rein seelische Gebahren der Versammelten zu vermitteln. Und in all diesen nur halb verkörperten Wesen sehnt sich etwas wie Heimweh nach einem besseren Jenseits.

War es die Absicht des Malers, dies gehorsame Uber-sich-ergehen- lassen eines vorbestimmten Krdenloses. das wir aus seinen unpersön- lichen Figuren heraus zu lesen vermögen, nun etwa durch den Hinter- grund einer idealen Architektur zu sanctionieren ? Sollte das gesetz- mäfsige Gefüge des Hundes noch gefestigt und vorklärt erscheinen durch diesen Tempel, den er darüber aufbaut ? Jedenfalls ist das gemalte Bauwerk die VeranschauUchung eines Phantasiegebildes, in dem sich die luftige unwirkliche Natur der Treoentokoulisaen mit Elementen des neuen Stiles, den er in Florenz entstehen sah, und mit Kunststücken

*) Leider iit Wer «a den Gewlndern teilweise der Versuch gemadit, die Farbeo zu eneaern, dem EiiibeU dadarch MiBtOrt wird; aber die KApfe dnd fint alle uofaeiillirt geliüeben.

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Geburt Christi

perspektivischer Konsequenz verUnd^ die b«de im Jahre 1425 alle

Beachtung verdienen. Die Kenntnis 'der neuen klassisch gereinigten Bauformen ist -nicht mit dem Verstftndnis eines Architekten auf- genommen, sondern mit der Anschauung eines Malers oder höchstens der Übung eines (loldschmieds : aber die Kenntnis der Linear- perspective. die Brunelleschi gelehrt, kommt dabei wesentlich zu Hülfe, und der sttirende Fünfiuss der konkaven Biidflciche, ihrer gestreckten Dreieckform mit spitzem Scheitelwinkel, der fühlbar genug auch den Zeichner beirrt hat, darf bei dem Urteil über seine Unsicherheit nicht unterschätzt werden. Kin sechseckiger l empel auf schlanken Pfeilersäulen mit schlichten Bogenstellungen dazwischen baut sich in zwei Geschossen auf, darfiber ein schräg ansteigendes Zeltdach mit Fialen auf den Ecken und hoher iateme in der Mitte, deren Helm immer deutlicher in die Dekoration italienischer Spätgotik abergehl. An diese turmartige Vorhalle stö&t in der Mittelaze ein ebenso zweigeschossiges Langhans, in dessen kreuzgewolbte Decke mit An- gespannten Quergurten wir unten wie oben bis an den Vierpass der Fensterrose in der Sdilusswand hineinblicken. Diese Untensicht des Kirchengewölbes in zwei Stockwerken ist, wie der allseitig offene \'orbau ein perspectivisches Bravourstück, das auch Vasari gebührend hervorgehoben hätte, wären ihm diese Dcckenbilder Masolinos be- kannt j^cworden. Die einwärts weichende Rundung des Horizon- talgebälkes und der Schein einer konischen Verjüngung aller senk- rechten Glieder von unten bis oben vereitelt all<Tdings das Bemühen des Malers, .seinen Wunderbau fürs Auge tauschend wiederzugeben, und schiebt den ganzen \ rrsuch zurück auf die Stufe des unselbstän- digen Uebergangs, dem die figürliche Darstellung durchaus angehört.

Günstiger für die räumliche Anordnung der Scencn sind die breiten Gewölbkappen über den beiden Wänden des Chorquadrates, die durch Aussonderung <jter abwäitsrdcfaenden Zwickel fast gleich- seitige Dreieckfelder darbieten. Sie werden der Geburt Christi und der Anbetung der Könige zugewiesen, die beide im Frden dar> gestellt zu werden pflegen, also beliebige Erweiterung der Raum- tiefe gestatten. Die bescheidene Hütte von Bethlehem, mit dem Stall für Oechslein und Esel daneben, ist allerdings auch hier nicht fiberzeugend lotrocht in die selbsterfundene Landschaft hineingestellt und muss von dem perspektivischen Ungeschick des Meisters über- zeugten. Sie hat etwas von einer kindlichen Arche Noahs und wird wie hier auch drüben, an der Innenseite des Rahmens hervorschauend, genau wiederholt. B«Hde Scenen sind als .Anbetungen ruhig ge- haltene Situationsbilder, in ritueller Andacht weit entfernt von drama- tischer Belebtheit.

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Geburt Christi

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Bei der Anbctunj^^ dos neugeborm-n Ivindos kniet Maria vor der Tür der Hütte, gerade über dem Scheitel des einspringenden Sdiüdbogens. Sie wendet sich mit gefalteten Händen nach rechts, wo das nadctQ Knäblein von einer länglichen Aureola umgeben auf dem Boden liegt, während über dem Dach die Engelchöre mit langen Schriftbändem das Gloria in excelais singen. Zur Unken kniet in ehrftrcfatigem Abstand der alte Joseph, der eben£adls mit gefalteten Händen inbrflnstig betet Sein emster Kopf steht im Profil, von flachem Heiligenschein umrahmt, gegen die T-andschaft; sein weiter gelber Mantel umhüllt mit weichen Falten den K<>rp(T und legt sich in wolgeordneten Zijjfc^ln zur Seite aus, genau in dem Ge- schmack des Lorenzo Ghiberti und seiner Genossen an der Rronzetür des Baptistcriums. die damals soeben vollendet war. Der vereinzelte Beter hält so einer and^n-u Erscheinung drül)en das Gleiehgewicht. wo /u den herk< mimlichtni Figur<'i> noch zwei andere Zeugen hinzu- gefügl sind. Wie sonst wol S. Franciscus oder Maria Aegyptiaca und andere Heilige gelegentlich in die Darstellung- n des lYesepe eingeführt werden, um gleichsam das Wunder der liciiigen \acht persönlich mit zu erleben, so sehen wir an dieser Stelle die Gestalt eines Kirchenfürsten, der verehrend auf den Knieen liegt, und hinter ihm sich vorbeugend eine zweite Person mit Heiiigenschdn, die ihn beldu%nd hinweist auf den Zusammenhang zwischen der Jungfrau und dem Kinde. Nach der Kopfbracht würden wir das bartlose, wenn auch nicht eben jugendUche Antlitz auf eine weiblidie Schutzheilige des knieenden Verehrers deuten, der nach seinem eigenen Kostüm, mit Purpurmantel und weissem Kopftudi, Niemand anders sein kann als Branda Castiglione, der Stifter dieser Malereien selbst, dessen Grabmal unter dem Bogen der nämlichen Chorwand seine Stätte gefunden. In dem bartlosen Antlitz wird mit erkennbarer Porträtabsicht versucht, die strengen, etwas asketischen Züge festzuhalten ; es ist aher kaum unmittelbar nach dem Leben gemalt, gebt infolgedessen an in- dividueller Durchführung nur wenig über die Jdcalkopfe der heiligen (n schichte hinaus und steht auf gleicher Stufe mit dem Kopf der Heiligen neben ihm. Wir würden an Stelle dieser Schut/patronin. die dem Kardinal die hohe Gunst ver.schatft, des Einblicks in ein sddies Mysterium gewürdigt zu werden, am ehesten den heiligen Laurentius erwarten, den urqHrfinglichen Titular der Kirche, der den Stifter auch in dem Relief des Portals von 1428 empfiehlt ; aber es fehlt jede Andeuttmg des Diakonenomates, und es widerspricht ge- radezu die schleierähnlicfae Binde, die wie ein Turban über dem Haare liegt und damals bei weiblichen Personen vorkommt Damach kAnnen wir auf die Braut des Christkindchens als die Nächste zu Schnmrsow, Ifanedo. 8

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AXBETUNd DER KÖNIGE

solchem Amt verfallen, auf die U. Katharina, der an erster Stelle der Altar der Krypta unter diesem Chore geweiht ward. Wegen der altlichen PorträtzQge, die sie trägt, drängt sieh anwillkOrllch die Ver- mutung auf, dass hier an den persönlichen Einfluss einer Frau auf die religiöse Ueberzeugung des Stifters erinnert werden sollte, wenn nicht an die ZOge seiner Mutter, Ghräfin Lucrezia del Porra

Lassen wir das vorläufig dahin gestellt, so ist nur noch der Verkündigung an die Hirten zu gedenken, die im Hinte^frunde linics Ober Joseph durch einen kfihn herabfahrenden Engel vollzogen wird. Leider ist diese Ueberraschung- inmitten der weidenden Lämmer fast verloron; aber sie ergänzt sich drOben in der Anbetung der Könige durch eine ähnliche Genrescene, wo auf der Bergwieso aber- mals die Hirten und ihre Herde gezeigt werden. Ein Schäfer in leichtem Fcllkittel steht auf der Halde nach rechts gewendet, auf seinen langen schräg unter den Arm gestellten vStecken gestützt. Kr lauscht dem (iefährlen der vor ihm am Boden lagert, während am Rande der Schäferhund sitzend über die Herde wacht, die da- neben weidet. Dieses ländUcho Idyll gleicht sehr auffallend den Darstellungen Ghibertis an der späteren Porta del Paradiso, wo Ab^ als Hirtenbub auf der Alm sitzt mit seinem Spitz zur Seite, oder wo die Knechte Abrahams, während des Opfers auf dem Berge, drunten an der Quelle rasten. Aber der stehende Jüngling mit seinem Stecken ist eine Lieblingsfigur der ganzen Zeit, die wir von den Tagen Masolinos upd Ghibertis bis zu denen Sgnorellis und Ra&els verfolgen können. Im Skizzenbuch zu Venedig reiht sie sich einem Hirten mit Dudelsackpfeife und einem Doppelflötenbläser an, den wir in antiken Bronzen wie in mehreren Wiederholungen der Re- naissance noch heute besitzen. Sie hat auch Aehnlichkeit genug mit einer Zeichnung in den l^ffizien, die früher den Namen Masolino's trug und <Mnen jungen Burschen in enganliegendem Kostüm mit langem Stab in der einen Hand und einen schlafenden Hund am Hoden darstellt ' ). Sie stimmt auch mit der Haltung der jüngern Könige überein, die vorn im Hauptbilde als ruhige Zuschauer zur Rechten stehen, wo ihre Dienerschaft und ihre Rosse mit richtigen I recento- Physiognomieen neugierig ihre Hälse recken. In prächtigem Kostüm, mit Strumpfhosen und kurzen faltenreichen Rteken, deren Saum rund absteht, halten sie ihre Graben in den Händen. Besonders der Jüngste ist eine von jenen rfHzvollen Schmudcfiguren, die wir aus dem Mds^- werk kennen, das die Vorliebe f&r solche Kleinmalerei nach Florenz

*} Catalogo delle stampe e disegni 1881, Cornice 9$ Na 393. Vgl. 394 und Coro. 50^ S32.

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Gentile da I-'abkiano

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verpflanzte, eben aus der Anbetung der Könige von Gentile da Fabriano, die 1423 vollendet war. Es ist also ein andres für die Geschichte der toskanischen Malerei bedeutsames Ereignis, das sich in dieser Darstellung von Masolino wiederspiegelt, wenn auch in

einem leider fast völlig verloschenen Fresko natürlidi niu* in bleichem Abglanz: ich meine die Ansiedelung des Gontile da Fabriano in Florenz, der aus Venedig kommend seinen Gehilfen Jacopo BelUni mit dorthin brachte, und vom Frühjahr 1422 bis zum Spätsommer 1425 dort beschäftigt war, inn dann über Siona und Orvicto nach Rom weiter zu ziehen, wo ihm ein ehrenvoller Auftrag in der Lateransbasilika zu Teil ward.

Ausser dem Königstross zur Rechten bleibt im Bilde Maso- lino's die Komposition locker und einfach wie in der Geburt gi'gen- über. Xur ein kleiner Page guckt noch neugierig um die Pxke des Krippcndachs, unter dem selbst Ochs und Esel eine Ahnung seelischtm Anteils verraten, da der älteste der Magier sich in An- dacht niederwirft. Während die Hände sich auf der Brust kreuzen, streckt sich der hochbetagte (ireis auf den Boden hin, berühren die Lippen des graubärtigen Kahlkopfe in brünstiger Verehrung das Ffisfidien des Kindes. Diese vollendete Proskynese eines Machtigen der Erde wirkt um so mehr, je dnfacher und ärmlicher die Hütte und je anspruchsloser die heilige Familie selber gehalten ^d. Auch sie ist wahrscheinlich eine Anregung aus dem Bilde des Gentile^ wenigstens ein Zug, den wir bei Don Lorenzo Monaco vergebens suchen % Ganz zuäusserst links am Rande des Bildes steht Joseph mit der Grabe des greisen Königs in den Händen, befangen und ratlos, als wage er nicht aufzublicken zu der unerhörten Ehre, dass gekrönte Häupter seinem Pflegling huldigen. Sorgf^iltig drapiert mit den dekcnrativen Grewandzqifdn. ist er auch trefHich erhalten wie drüben.

Ihm ähnlich hätten wir uns die Einzelfiguren von Heiligen an der Laibung des Eingangsbogens zu ergänzen, wenn aus den spär- lichen Resten überhaupt noch zu entnehmen wäre, wie weit mit Ma- solino zu rechnen ist. Näher jedenfalls gehörte zu dem Cyklus des Marienlebens auch der Tod der Jungfrau, den man an der Stirnwand der Kapello über dorn sogenannten Triumphbogen hat erkennen wollen. Drinnen im ("horhiupt ist jedoch sicher schon die Drei- einigkeit über dem Rundlenster nicht mehr von Masolino, und

0 Vgl. das Altarbild in den UfTizien No. 20 (Phot. Alinari II, 79<>) dessen FfllbtOciB swiMbai ikn Gfebelii, cwd Propheten und dae Verkfludigiiiig von Coiinio Roiselli hinzu gemalt wnrde.

3*

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Masolino

unsere Betrachtung hat dort abzuschliessen, wo er ach bezeichnet hat» als er seines Weges weiter zog*).

In diesen wieder aufgedeckten Gewölbefeldem besitzen wir die dnzigen, durch eigene Namensunterschrift beglaubigten Werke seiner Hand. Als Leistung eines Kfinstlers, der das Schwabenalter schon erreicht hatte, filr &neu Auftraggeber, der zu den oinflussrcichsten und kunstvcrständigston Personen gehörte, die je in das Leben dieses Meisters eingrcift^n konnten, darf die Deckenmalerei in Castigliono als mafsgobeiides Jieispiel seines Könnens angesehen werden, selbst wenn die gclesTentliche iMitstf-huriLf zu etwas srhiicllfertigom Ver- fahren notigte; vit^lleiclit desto unmilt» Iharer zeugt sie für den Hc- sitzstand, d< n er aus Florenz mitbrachte und nach l^ngarn mitnahm. Trotz dem oiitfarlAen und /orkratzten Zustand, in dem die Fresken auf uns gekommen, stehen sie immer noch greifbar genug vor Augen, um dem kritischen Beschauer ein Urteil über alles Wesentliche zu gestatten.

Kin Kenner der Technik wie Cavalcasellc sieht sogar die Mal- weise heraus : »eine Untermalung von graulichem Grün, auf der die Fleischtöne in lichtem rosigem Gelb aufgetragen, die Schatten mit dünnen warmen Lasuren, die Lichtmassen mit leichten, breiten Pinsel- strichen aufgesetzt sind,« also kein ausschliesslidies Verfahren >a buon firesoo«, sondern eine Mischtecfanik, die der Temperamalerei und Miniatur des Trecento ähnelt Das Ganze ist von lichter heiterer Durchsichtigkeit wie bei Antonio Veneziano, und was Ober diesen hinausgeht, fände seine natürliche Erklärung durch den Hinwtis Vasaris auf Gherardo Stamina, bei dem Masolino die Malerei gelcnrnt und der seinerseits ein Schüler des Antonio Veneziano gewesen.

Wenn aber der selbe Biograph von Starnina berichtet, er habe in seinen Malereien der Cappella di S. Girolamo im Carmino zu Florenz mit besonderer Vorliebe spanische Kostüme abgebildet, die er nach seiiior Rückkehr aus der Fremde den ITorentinern als neuen Reiz und überzeug« 'iidon I-aktor wirklichkeitsgetreuer Schilderung auftischte, so muss angesichts der Deckenbilder seines SchühTs Ma- solino IxMin'rkt werden, dass in der Kollegiatkirclip von ('asliqlione d'( )lona noch nichts von Naciialunungen auslandisclu r Kostüme auf- fällt, die der Maler etwa aus Ungarn mitgebracht haben krmnte, - eine negative Tatsache, die um so mehr berechtigt, die Arbeit an

*) Neverdings nimmt irrtamlidier Weise wieder Dr. Dicco Sant' Ambiogio a. «.

* ' s )i (i;> s< Dtrioini};kett wie die WandgemSlde am der Legende dce Steplianos und LaureoUus lUr Masolino in Ansprudi.

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Unfertiges Wesen 37

der ChcHrwölbung vor die Reise nadi Ungarn zu setzen, wie es schon aus anderen Erwägungen geboten sduen.

Um so mehr fiQlt auch die Wiedergabe prunkvoller Garderobe italienischer Fürsten ins Gewicht, die nach dem Vorbild des Gentfle da Fabriano in der Anbetung der Könige, sogar al iresco versucht wird. Sie bezeichnet neben der Anbringung idealer Renaissance- bauten, selbst in den schmalen Kappen eines Rippengewölbes^ mit deren konkaver Drdedcfläche in starker Kahmung sie sich schlecht , vertragen, gewiss das wichtigste Element, cUis Mcisolino aus dem gärenden, zu sctmcUem Fortschritt drängcndott Kunstlcben seiner Mcimat soeben erst aufgenommen hatte. Rechnen wir zu (1< m Ncuon noch die frischeren Genromotivc, die er in landschaftlichor Umgebung- der biblischen Vorgänge cinflidn. so haben wir von echten Florentinern zu dem Namen Brunellc.scliis auch den Ghibertis gesellt. Daneben bleibt ab(>r in allem I'igürlichen der llauptscenen selber eine ausserordentliche Verschwommenheit, oder doch lyrische Weichheit und l'nbcstimmtheit übrig, die von der Strenge und Klar- heit des alten gotischen Stiles ebenso weit entfernt ist wie von der Plastik und LebcnsfiQlle des neuen Realismus. Im Gegensatz zu architektonischen und landschaftlichen Koulissen sind die Personen, die darin auftrctrai, fest raumlose Erscheinungen, jedenfalls ohne festes KnochengerOst und ohne Rundung der Glieder. In der Mehr- zahl dieser Bilder bleiben sie vage, unwirkliche Schemen, erreichen nur in der Geburt und Anbetung die sdiärfisren Umrisse und inneren Linicnzüge einer Goldschmiedsarbeit, gehen indess auch hier nicht weiter in die dritte Dimension als jene halb flächenhaften Gebilde aus getriebenem Silb('rV)l< (h, in denen die Ilöhcnausdehnung als Slell- vertreterin der Tiefe dient, sobald die Darstellung hinter den Vorder- grund hinausstrebt. Nur vereinzelte I""iguren stehen, wie die jungen Könige, leidlich sicher auf \hrvu Ueinon, wenn auch immer auf ab- schüssigem Terrain mit abwärts gerichtclcn Füssen; sonst waltet wie bei Loreii/o Monaco di(^ Neigung, den unteren Teil der Ge- stalten in dekorativer Absicht, fast wie kalligra|)hische Schnörkel, auszuschweifen, schwebend in die Fläche zu breiten und mit Draperie zu verhängen.

Dem gemäss wechseln aucii die Proportionen seiner iMguren, je nach dem Bedürfnis ornamentaler Flächenfüllung /wischen lang gestreckten, zu äusserster Schlankheit ausgereckten Wesen, wie Parri Spinelli sie damals bis zur Karrikatur treibt, und zwischen kurzen, gedrungenen Puppen, die von Goldschmieden in den Reliefe ihrer Truhen und Kästchen bevorzugt werden. Fliegende Engel haben Ober- haupt nur bis unter den Gflrtel eine Andeutung körperlicher Formen,

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Masolixo und MASACao

das nackte Christkind ist nur mit dürftigstctn Leibe geboren wie im ungünstigen Klima des Nordens, die Hände selbst erwachsener Männer gelangen nirgend über die allgemeine Miniatorenschablone hinaus. Und damit ist vielleicht das Wort ausgesprochen, das eine Erklärung für dies schwankende, unausgeglidienc Gemisch von schattenhafter Idealität und {>erspoktivischer Konsequenz zu geben vormr)rhto. Wenn man bedenkt, dass Masolino damals, 1425, sein vierzigstes I .e})eiisjahr übiTschritten hatte, so reicht auch das Schick- sal, einer ThiTgangszeit anzugehiinMi, \v<>l kaum aus, um (liesc llalb- hoit des Wesens und diese Unsicherheit im /usaunnenwirken hete- rogener l'iestandteile seines W'olleiis und Könnens zu begreifen. Man tuhk sich verbucht anzunehmen, doss ihm ausser der Übung in dekorativer Stubenmalerei vom Vater her, dem imbiancatorc, der vielleicht unter dem bescheidenen Namen eines Anstreichers und Tauchers die zugehörige Kleinarbeit schablonenhafter Ausderung mit besorgte, doch während der dgentlichen Lehrjahre nur die Schulung etocs Briefmalers oder Miniators zu Teil geworden sein könne» und dass er schon in verhältnismässig späten Jahren durch die Verbindung mit Stamina zu dem höheren Beruf übergegangen sei, in dem wir ihn jenseits der Dreissiger erst nachweisen können. So würde sich von selbst erklären, weshalb er in seiner Heimat Florenz noch so spät, im Jahre 1423 24 nach dortiger Rechnung, als selb- ständiger Meister immatri( uliert werden muss. Dagegen geraten wir mit dieser Annahme aut Grund seiner l,eistungen in CastigUone. selbst vverni wir sie auf 1425 zurückdatieren, vielleicht in Widerspruch zu Vasaris Nachricht, dass Masolino der Lehrer Masaccios gewesen, der seinerseits schon 1421 22 als Meister in Florenz vereidigt war. ( )drr hätten wir Masolino wirklich, w-ic X'asiiri erzahlt, danel)cn als (loldschmied zu denken, der sich als Gehilfe Ghibertis bei der Über- arbeitung der Bronzereliefe für die erste Tür des Baptisteriums be- schäftigen liess, also kurz vor ihrer Aufstellung 1424, unmittelbar vor seiner Eintragung als Maler noch in dnem anderen Beru&zweige tätig gewesen war? Dann verschöbe sich das Verliältnis der beiden Maler dironologisch erst recht

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^ DIE AUSMALUNG DES BAPTiSTERlUMS ^

l.

Die zweite Arbeit zu Castiglionc d'01<»ia» die für Masolino in Anspruch genommen wird» ist der Freskenschmuck der TaufkapcUe, die durch ein langes Wohngebäude von der K»)llcgiatkirchc getrennt, den Komplex von Bauten auf clor alten Burgholir abschlicsst. Sie ist ein ziemlich niedriger, üusscrlich unansehnlicher Bau, so dass man de für den ältesten Rost dos ursprünglichen Kastclles, nämlich die Schlosskapellc ansprechen konnte, während sie zwoifollos für ihren bcsuiidorcn Zweck erbaut ward, von voriihortMii mit dem Hinblick auf oinhcitlicho Ausmalung des ganzen Innenraumes. Sie besteht aus dem rorhteckigon, mit oinom Kreu/gewolbc god(H kton (iomeinde- haus und einem kleinen ebenfalls rechteckigen Prosbyterium, das mit seiner Langseite an die Schlusswand dem Eingang gegenüber sich anlehnt und durch einen starken, etwas einspringenden Spitzbogen mit dem Vorraum v<»>bunden ist Unter dem Bogen fdhren zwei Stufen in diese nischenfihnliche Erweiterung, die mit einem kurzen Tonnen- gewölbe gedeckt ist, und ursprOnglich nur das Taufbecken und die Geistlichen au&unehmen bestimmt war. Oben im Scheitel der Bogen- laibung sitzt noch der eiserne Ring zum Aufhängen des Deckels aber dem Taufbecken, das jetzt drunten vor den Stufen steht Und an derselben Stelle vor dem Ringe liest man die Jahreszahl

NICCGCXXXV,

die zwar mit rohem Pinsel ernonort ist, aber doch hinreichende Eigentümlichkeiten der ursprünglichen Ziffernform jener Zeit bewahrt, um bis auf die letzte Stelle jeden Zweifel auszuschliessen. Es ist das alte zugehörige Datum zu der langen aufgomalton Inschrift an der Stirnseite über dem Uogon, die von fliegend»'n Engoln getragen bis auf wenig ITclx Tröste lateinischer Verse verloren ist. Hirse Jahreszahl also, wie Crowe und Cavalcaselle tun. für einen Jrrium zu halten, sind wir nicht berechtigt, wie schon A. v, Zahn erklärt hat und neuerdings auch Dr. Sant'Ambrogio bestätigt Im Gegen- teil« wir können hinzufügen : die uikundlichen Naduichten, die uns Ober die Tätigkeit des Kardinals Branda filr seinen Geburtsort, über seine persönliche Anwesenheit uqd die Reihenfolge seiner frommen

■) Bd ihm findet lidi Tay. L dn Einblick in du Innere. Vgl. CavakueUe, Storin della PittniB in Italin U p. 25a Anin. vu Zahn, Jahib. f. Kvsdift. II, S. 161.

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Entstehungszeit

Stiftungen in Casliijlioiu' erhallen sind, tuijrcn mit wiinschcnswertiT Bestimmtheil auf das näinlielie Dalum der V'( »llenduni^ hm. I'nmillel- bar darauf f«>lyt der Ceniralbau des Kirehl(Mns ( nrpus üomini, dnmten im Orte, und im Jahre 1439 das Schulgebäude mit seinem Zubehör.

Am Dienstag den 11. (JklDber 143^ wurde in Gegenwart des Kardinals, der im l'Vühjahr dieses Jahres erst naeh mehrjähriger Abwesenheit .luf dem iv<jnzil /u Ikisel nach Italien /urüekgekehrt war, der um 5. September neu gewählte Erzpriester (iiovainii ßianchi aus Vclate in sein Amt eingeführt und am selben Tage über die Verteilung der Wohnungen zwischen ihm und den beiden CappcUani Maggiori, dem Schulmeister und den acht »Corali« veihandelt, und zwar im Hause des »Kardinalbischofe von Porto«, wie Branda jetzt helfet, und im Beisein des Bischöfe Alexius von Fiacenza, der Herrn Guglidmo und Gabriele Castiglione und Ambrogio de* Conti *). Am 7. Juni 1436 erneuert der Herzog Filippo Maria Visconti die Erlaubnis zur Wiederbebauung des Burghügels, mit seinen seit Odone Visconti zerstörten Türmen und seiner daselbst vorhandenen Kirche, gleichwie diese 1 lerstellung schon früher dem Kardinal iJranda gewährt war, als er noch den Titel Presbyter von S. Clemente trug: -tunc facientis funclioncm Saneü Clementis ])resl)yleri eardinalis nunc \ er<> portuensis Episeoj)i Jct/l handelte es sich also um die I'mfassungsmaiiern des Hügels und tlas getürmte Burgtor, durch das man zur Kollegiatkirehe gelangl, unil so erklärt sieh tlie Schie'lsscharte in einem nisehenarligen Ausbau vor dem li.iptislerium am entgegengesel/len Ilügelrand, wie die nämliche Fensterform in der Taufkapelle selber und deren massive Struktur. In amem Diplom Papst Eugens IV, endlich, wo- durch zwei neue Kaplanstellen in Castiglione bestätigt werden, heisst es 1437 m. Kai. Novembris Pont N. anno VII aus Bologna mit genauester Gegenüberstellung des bereits vollendeten Baptisteriums und des noch im Bau begriffenen Kirddeins della ViUa: >unam, quam in Castro I.oci de Castilliono Mediol. Dtoecesis sub vocabulo sancti Johannis Baptiste fiindasti et construi fedsti pro uno perpetuo capellano, . . . aliam quam in praefato loco sub Sacratissimi Corporis D. N. J. Christi .... Doctorum . . fundari et construi facis.« . . .

Dazu kommt auch hier als Bestätigung die Entwickelungsstufe der Malereien selbst. Der Unterschied zwisdien den Gewölbfresken im Chor der CoUegiata und den Wandgemälden im Baptisterium ist, wie A. v. Zahn mit Recht heprorgehoben hat, so stark, dass

') TTand<^cbrirtl. Akten im Archivin Castigliunt , Fasc I02: Culto ChieW ficneticü. etc ') Abgedruckt bei Matteo Castiglione p. 73 ü.

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BESTIMMUNd DKS MaLEKS

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wir ^nen längeren Zwischenraum zwischen beiden Werken annehmen müssen. "Dies ist um so mdir der Fall, wenn man beide dem selben Meister beimisst, allerdings »eine Annahme, welche keine urkund* liehen Nachweise för sich hat«

Für die Zuschreibung dcs'Freskenschmuckcs in der Taufkapclle an den selben MasoHnus de Florcntia, der ach am Chorgewölbe der Kirche bezeichnet hat, kann in der Tat weder eine Itis( hrift an Ort und Stelle, noch urkundliche Beläge, noch litterarischc l'oberlicferunjif verantwortlich gemacht werden. Wenn jedoch A. v. Zalin behauptet: >dass Beides von ein(HTi Meister herrührt, crj^iebt ^i( h nur aus dem Bilde, welches wir uns von Masolino aus den älteren < leniäldcn der Cappella Brancaeci irostalten. so i^^eht er damit zu weit.

Wir wenigstens haben hier noch keine Vorstellmig- von diesen . Malerei(Mi zu Florenz ins Feld geführt, wed( r absichtlich herangi^zugen noch unbewusst eingemischt. Für uns mögen noch die Fresken der Cappella Brancaeci gehören wem sie wollen. Selbst »die älteren Gc- mSddc« dort giengen uns bis jet/t garnichts an, oder kämen erst in zweiter Linie in Betracht, da der Anteil Masolinos an der Ausmalung der Brancaccikapdle, von dem die Oberlieferung berichtet, der Reise nach Ungarn vorausliegen mOsste, also auch vor den Gewölbefresken im Chor der CoUegiata von Castigli<Mie anzusetzen wäre, während diese, nach unserer Rechnung im Spätsommer 1425 entstanden, »di weit bequemer zur Vcrgleichung bieten. Freilich haben wir audi hier mit einem Zwist lienraum von zehn Jahren zu rechnen, nachdem für die Tautkapelle das Datum 1435 gesichert worden.

Die Zusammengeh« »rigkeit der Deckenbilder im Chor der CoUe- giata und des Freskenschmuckes im Baptisterium daneben ergiebt sich vielmehr aus stilistischen Kigentümlichkeiten. di(^ sell)st bei einem zehnjährigen Abstand so überzeugend übereinstimmen, dass an der Tätiifkeit des Sellien Künstlers hier wie dort garnicht gezweifelt w erden kann. Seilest tlie manrherlci Abweichung"en. di<' daneben hervor- treten, kotmen in der .späteren Arbeit nur befriedigend und vollständig aus biographischen Umständen erklärt werden, die wir eben für den Maler des ersten angefangenen Cyklus besitzen, nämlich aus seinem Aufenthalt in Ungarn, der für «nen florentinischen Meister zwischen 1425 und 1435 doch immerhin ein seltenes und einschneidendes Er- lebnis war, das den Mann kennzeichnet unter Seinesgleidicn.

Die Übereinstimmung muss schon einleuchten beim Anblick der Verkfindigung, die an der Aussenseite der Taufkapelle gemalt, zum Vergleich mit dem Schmalbilde im Chor der Kirche heraus- fordert Während in dem engen Rahmen der Gewölbkappe die beiden Gestalten nahe zusammengerflckt sind, stehen sie hier durch

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Verkündigung

das Eingangstor getrennt, weit ab von einander, unter einem ge- malten Portikus von schlanken Säulen. Der Enpel eilt von links her j'-anz im Profil uiul scj^not mit erholxMicr Rochton die Jung^frau, dio ihrerseits überrascht die rechte Hand bewe^'-l, wahrend zwischen ihnen (iottvater hereinschaut. Von cHoser Halbtigur in der Lünetto der Tür ist loidor wonig erhalten, die ganze unt(Te Hälfte der Maria verloren, und dio l'arbe überall vorblichen oder g"anz mit dem Be- wurf abgeblättert. Aber Kopf und Oberkörper des Erzengels ge- nügen, um die Identität des Malers zu erweisen, der in Technik und Ausdruck nur noch vollere Herrscliaft über sein schnelles Ver- fahren ofiFcnbart, mit dem er die Erschranungen des frommen BUder- kreiscs» die ihm gcl&ufig waren, aus freier Hand auf die schlichte Putzflächc gezaubert hat. Den Geßdiren der Wetterseite vermodite es freilich nicht zu trotzen; aber noch heute überrascht gerade hier die V^erwandtsdiaft mit Fra Angelico da Fiosole. Ein Hauch der Begeisterung und beschwingter Boteneile malt sich in dem rück- wärtsw ehenden Lockenhaar und atmet aus dem voigedrängten Antlitz des Engels, dessen freundliches Auge die Auserwählte trifft, als glitte ein feines lächeln um die kaum g-eöffnoten Lippen. Die lange spitze Nase und das vorspringende Kinn vollenden mit dem scharf- ge.schnltli-iien Munde das florontinische Profil, das dun h weiten Ab- stand zwischen Nase und Ohr, durch den flachen Bogen der Kinnlade und durch die Breite dos Halses noch auffallender wirkt. Die nackton Teile des Kopfes und dio Hände sind wie immer bei Masolino mit besonderer Sorgfalt gearbeitet und haben su der Zerstörung länger widerstanden als Gewand und Beiwerk, das flüchtiger hinzugemalt, sich heute dem Urteil völlig entzieht

Der persönliche Zusammenhang mit den Deckenmalereien im Chor der Kirche wird vollends im Innern der Taufkapelle durch die Teile des Freskenschmuckes bestätigt, die ganz ähnlichen Be- dingungen unterlagen, also auch am ehesten die nämliche Behand- lungsweisc und den gleichen Stil aufweisen müssen, wie zehn Jahre früher: die Einzelfiguren an der Wölbung. Im Ilauptraum sind es die vier Evangelisten, um das Gotteslamm in der Mitte, auf Wolken- streifen tränend. S, Matthäus schreibt, indem er mit der Linken das Tinten fass hält, und lauscht dem anmutigen Engrl ; .S. Marcus spitzt seinen (iänsokiol, während das Buch noch gosi hlo.sson auf dem Knie ruht; S. Lucas ist in Nachdenken versunken bei seiner Arbeit, indem er die Feder erhoben hält; Johannes .schaut hcrchend, indem er dio Arme mit Buch und Feder sinken lässt. zu dem Adler, der seitwärts neben ihm ein off<'nes Buch in den Krallen hält ').

>) Johaaiics und Maicus sind von Brogi photogcapbiert. No 6521 ood 632a.

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IKeser langbärtige Greis nimmt im Kreiusgewölbe gerade die Kappe vor dem Allerhdligsten ein und liat soeben ein Zeugnis über den letzten Propheten, Johannes den Täufer niedergeschrieben, von dem noch die Buchstaben (I01LV)N£S (BA)PTISTA . .E . .IMG lesbar sind.

Die Gestalten sind auffallend altertümlich, unsicher auf ihrem Wolkcn- sitz hockend, mit schlaffen Gliedmaßen und enorvjfioloscr Bewegung, mit dünnem vielfach gerilltem und geschlänj^eltem (tcfält umhangen; nur dir Kopfe haben eine herbe Bestimmthoit und würdevollen Charakter, wenn sie auch hinter den sitzenden Bildwerken, die Nii colo d'Arc/./.o und Donatcllo, Xanni d' Antonio di Banco und Bernardo riuffai,--!!! f i .}f)8 141 S'am Dome von Floren/ geschaffen hatten, c-inptind- lich genug zurückbleiben. Dcr^taler wiederholt nur die (^rlernt(>n Typen, ohne sich durch die Nahe der Bildtiachen für den Be.selKiuer und den Mafsstab der Wölbung irgendwie zu ernsterem Bemühen veranlasst zu Ahlen. £r steht hier noch durchaus auf der nämlichen Stufe, wie bei der Darstellung Josephs und seiner Genossen im Chor der Collegiata. Nur der dekorative Sinn ftr die Bedürfnisse des weiteren Spielraums hat dazu gefllhrt, die gotische Silhouette zu malerischer Breite auszudehnen, hat aber nicht ausgereicht, die gelockerte Strenge der Form mit Kraft und Leben zu erfüllen.

Nicht viel besser st^t es mit den beiden Propheten und vier Kirchenvätern, die in je drei rundbogigen Nischen über einander an der Innenseite des Bogens zwischen Vorraum und Altarhaus gemalt and. Der Meister versucht es, die gegebene Fläche mit seiner perq»ektivischen Kunst wenigstens scheinbar architektotiisch aus- zugestalten, nimmt aber keinen Anstoss an dem Widerspruch zwischen seinen Nischen mit Sitzbiinken darin und der Kurvatur der wirk- lichen Mauer, deren Hälften sich im Bogen gegen einander neigen. Besonders auffallend ist der Mangel einheitlicher Verarbeitung in dem untersten Paar: Jesajas mit dem Spruchband Vox Clamanlis In Deserto. Parate Viam Domini Rectam . das er mit beiden Händen auseinander rollt, ist möglichst breit hingesetzt. Die Beine von den Kniecn ab nach rechts, darüber nach links richtend, be- schreibt der Körper mit dem weit hängenden Gewände die gotische Schlangenlinie nicht unwirksam, ist aber flüchtig hingcmalt bis auf den Kopf, der schon durch seine Grösse aui&llend, ein StQck Fresko- malerei für sich bildet Unter kahlem Scheitel wölbt sich eine mächtige Stirn gerade absteigend zur langen Nase, die unten etwas klumjng Ober den eingezogenen Mund hängt, und ein breiter weisser Vollbart, in der Mitte gescheitelt, umrahmt die langen eingefallenen Wangen. Die Augen blicken unter schweren Lidern seitwärts, während die Brauen sich über der Nase zusammenziehen, und drücken

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zugleich mit den ij;<'kiiiffcncn Lippen wol die trübe Verstimmung- und Bitterkeit des J.eides aus, die seine ( iedankcnwelt erfüllen. Dieser K<)j)i' mit dein schweren Schädel und morosen Charakter offeiib.iri einen entschiedenen und i^rossen Fortschritt in der Kunst des Malers. Leider ist sein Crcnosse drüben und die Mehrzahl der Kirchenväter fast völlig zerstört, in der dewandung erneuert, um diesen I'nterschied durch verfolgen zu können. S. Ambrosius, der Sdiutzpatron der Mailänder Dioccese, sitzt in bischöflichem Ornat, ganz von* vorn gesehen, in seiner Nische hinter dem ein&di ge- zimmerten Schreibtisch^ der vorn offen die Knie des Sitzenden sdion lässt Am Rande des Pultes hängen Tintenfass und Sdieere« rechts die Gcirscl, deren herabfallende Knoten ihren Schatten gegen die Innenseite des Kastens werfen. Eifrig lesend richten sich die Blicke des zusammengezogenen Gewehtes in das aufgerichtete Buch, das von beiden Händen gehalten wird. Der Kardinal SO^. iiii-RONIM*. noch am besten erhalten, sitzt dem Presbyterium zugekehrt und schreibt an seiner Ucbcrsetzung der lÜbel. deren Originaltext auf- geschlagen über der entstehenden Vulgata an der Wand lehnt. Die Nische der Wand enthalt unter dem halbrunden Bogen eine Horte, mit anderen Büchern untl IVrgamentrolhMi darauf. Der Protilkopf mit langem weüsem i^art und kahlem Sch;idel hat aulserordentlich energische^ imd hebt sieh vm dem flaelien I leiligenschein sehr

wirksam ab. Der scharfe Blick tles Auges, die runzlige Haut an Stirn und Hals, die geschwollenen Adern an der Schläfe charakte- risieren das Alter des an geistige Arbeit gewöhnten Mannes glücklich genug, während die Hände breit und kurz, doch nur konventionell behandelt, der Tätigkeit nicht entsprechen und, wie der Körper mit abfallenden Schultern, nur lahm erscheinen*).

Nehmen wir dazu noch, an der Stirnseite dieses das Taufbecken überwölbenden Bogens, die schwebenden Engel mit dem grossen Schrift- band hinzu, dessen lateinische Verse bis auf wenige Reste verloren and, beachten auch hier den wolbdcannten Kopftypus, die lang- gestreckte Gestalt, die vom Oberschenkel in Gewandfidten ausläuft, und den schematisch gefältelten Saum ihrer vom "Wolkenstreif begränzten Röcke, so haben wir das Nebenwerk beisammen, in dem vielleicht nur die bedeutsameren Teile, die eigene Sorgfalt des Meisters forderten, während alle andern schm II fertiges, nur etwas allzu summarisches Verfaiircn beweisen. Wenn hier noch altertümliche Gewohnheiten

') S. Ilu.-ruiiymus, Phot. Brogi Nu 6323 /.cigt oben die Jahreszahl MCCCCXXXV. S. Ambrosias No 6324, Jesajas No 6335. Aof der linken Seite der Bogenlaibniic ist zuoberst S. (^irctior kenntUcb damnler folgt S. Angustio, daoo ein Pro|diet. Über den ZusUnd vgl. Cr. u. Cnv.

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Zacharias im Teaipel

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und wUlkürlidie Behandlung der CrewandhQlle wie des darunter gedachten Körpers vorwalten, so sind doch die Köpfe ernst und würdig; mfen die Durdigreistigung der ZOge, die Fra Angelico gelang, ins Gedächtnis und streifen anderseits an die etwas rauhe Grösse des Luca deUa Robbia in seinen Medaillons mit den vier Evangelisten der Cappella Pazzl In mancher Beziehung erklärt sich die ungleiche Durchführung mit der KOcksicht auf technische Be- dingungen, und grade die flottesten, wenn auch otwas nbi rfläch- lichen Partieen schlichter Freskomalerei sind hier am ixisten erhalten.

n.

Die Hauptsache für die Bcurteihmgf des Künstlors selbst bleibt der Cyklus der Wandgemäldo, die dem Leben Johannes des Täufers gewidmet sind. Hier konnli^ dem Künstler, wenn ihm daran la^, ein Jahrhundert heimischer Kunstübuniif zur Seite siclicn. die dit'S(Mi Gegenstand, dem 8tadtheiligen von Florenz zu ühren, mit immer neuem Kifer bearbeitet hatte.

Im Baptisterium zu Castiglione beginnt die Reihe der Dar- st^lungen an der Eingangswand redits von der Tflr und zieht sich linksherum durch die ganze Kapelle mitsamt dem tonnengewölbten Recess. Die ersten Bflder haben aber, besonders an der Wetterseite des frei liegenden Hügels, zur Linken des Eintretenden, so arg von der Feuchtigkeit gelitten, dass nur wenige Spuren noch erraten lassen, welche Scenen sie enthwlten. Deutlicher erkennt man den Zusammen- hang der Reste mit Hülfe der Photographie, während an Ort und Stelle nur bei hellstem Tageslicht nach vorangegangener Nasse die Schatten sich wieder beleben, ftdls ihnen die Geduld des Beschauers und genügende Vorbereitung zum Hineinsehen in Farbenflecken und Umrissfetzen entgegen kommt.

Tn der vordem Ecke rechts stofsen das erste und das letzte dr-niälde zusammen. Das erste iiel)en dem Eingang zeigt uns Zacharias, wie ihm die Geburt eines Sohnes vcrkimdigt wird. Ein kleiner sechs- eckiger Tempel i)ffnet .seine drei \ ordtTen Seiten. - die uusserste links soweit sie nicht durch den herabsteigenden Gewtilbzwickel beschnitten wird. Zwei schlatike sechseckige Pfeilersäulen tragen das gerade Gebälk, das von gleichartigen Eckpilastem der ge schlossenen Wände aufgenommen, sich über den letzteren hinzidit Obgleich der hohe Fries aussen mit farbiger Marmorinkrustation bemalt ist, die hier und da den Eindruck einer Ausbauchung hervorbringt, geht die Glieder- rung doch nicht über Schreinerarbeit hinaus: die dünne Deckplatte mit Rundstab darQber, wo wir einen kräftigen Architrav erwarten.

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Zacharias im Tempel

darauf die hohe Planke, die nur durdi den aufgemalten Mittditreifen

über die Schlichtheit des hölzernen Parapets täuschen mag. dassdimale mit einer Schmiege zwischen zwei Platten profilierte Sims, alles Zimmermannsgeschmack Darüber oder gar dahinter steht eine Reihe von je acht, auf jodor Seite frei aufgorichtoton Stützen, abwechselnd viereckige Pfosten und schlanke Säulchen, die durch (Querbalken und Sims verbunden, als ZwerggaU-rie ein Zeltdach zu tragen scheinen und die Kuppi^hvolbung verdecken, die ohne Tambour in sechs Kappen aufsteigt. Am schlichten Altar drinnen siehcn, von den Vorderpfeilern eingerahmt, zwei Personen sich gegenüber. Zur Rechten in priester- lichem Ornat ein bärtiger Greis mit Heiligenschein um das Haupt, ohne Zweifel Zacharias» dessen zerstörte Hand wol das Rauch&ss schwenkte. Ganz klein über dem Altar schwebend wird die ganze Figur eines Engelcfaens sichtbar, der die Hand des vorgestreckten Armes gegen das Antlitz des Alten orhebt, dass er verstummt Ebenso nah an der andern Ecke des Altars steht ein 21euge dieses Vorgangs im ZeitkostQm, eine weisse Kappe mit Ohrenklappen auf dem Kopf, die Hände in einem Muff verbergend, wie vom Spaziergang draussen in rauher Witterung oder gar von der Reise kommend hier zufcillig eingetreten. Die bevorzugte Stelle und die Purpurfarbe des aemiellosen Kaftans erlauben wol nur ein Bildnis des Kardinals Branda darin zu sehen, wenn auch das Antlitz in seinem zerstörten Zustand keine nähere Festste! hing der Züge mehr gestattet. Desto unverkennbarer sind die Porir.iikopfe seiner nächsten Angehörigen, die in ihrer vor- nehmen Laientracht mit ("apuccio hinter dem Würdenträger der Kirche htTeintreten. Guglielmo und Gabriele Castiglione wären die Namen, die uns die Akten von 1.135 bestätigen, als im Herbst der Kardinal- bischof von Porto selber zugegen war. Rechts hinter Zacharias drängen sidi andre Zuschauer ebenfeUs im Zeitkostfim, in Jagdmfitze oder hc^m in einander geschobenen Fildiut, vieUdcht ein (zeistlicher in ihrer Mitte, allesamt von Feuchtigkeit und ruchloser Hand sehr entstellt *).

Die Darstellung des biblischen Vorgangs beschränkt sich also auf die Person des Zacharias und das eUenhaffce Engelchen; alle Uebrigen sind Zuschauer, und zwar nichts als das, nur Schaulust keine innere Teilname verratend, der Kirchenftlrst vollends an solche Eingriffe aberirdischer Mächte gewöhnt. Die erste Scene des Cyklus ist nur willkommene Gelegenheit, Bildnisfiguren aus der Umgebung des Künstlers auf die Bohne zu bringen, den ehrwürdigen Stifter, die Schlossherren und sonstigen Autoritäten, deren l^haftiges Auftreten

1) Vgl. iioaere photogniiliisdie Anfnlme.

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Visitation Gebukt

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aUein sdion die frommen Gremüter im Parterre zu erbauen pflegt. Doch ist auch hier eine Gleichwertigkeit der Köpfe, der idealen wie der wiildichen, zu bemerken und noch kein vorwaltendes Interesse f&r die Tracht. Der Charakterkopf des alten Zacharias erreichte, soviel sich erkennen Iflsst den selben Grrad der Belebung und mehr Aus- druck als die Bildnisse der Lebenden, und der prächtige Chormantel des Hohepriesters hat die Aufmerksamkeit des Malers in dem selben MaTse in Anspruch genommen wie der moderne Anzug der Statisten, und zwar überwiegt noch keineswegfs das Bemühen die Kleidungs- stücke und das Gebaren darin mit emsij»-stor Klcinmalorei abzu- konterfeien. So erinnert die Durchführung^ der Fi^"iiren tr'Tade hier noch übfTzeugend genug an die Gewülbemalcrei im ( lu^r dor C 'ollcgiata, besonders an die jungen Könige bei der Anbetung und das Bildnis des Kardinals gegenüber. Aber diese (iestalten fühlen eben den festen Boden unter ihren Füs-sen, weil sie nach dem Leben beobachtet sind, und der Tempel, der sie aufnimmt, ist freilich nur ein hölzernes Modell, aber kein luftiges Phantasiegebilde mehr wie beim Sposalizio dort. Kaum höhor wölbt sich Ober uns das brdte Kreuzgewölbe des Baptisteriums oder gar der Eingangsbogen des eihOhten Heilig- tums über dem taufenden Priester; also bezeugt das Verhältnis der dargestellten Personen zur umgebenden Räumlichkeit in diesem ^de sdion einen unlflugbaren Fortsduitt. Seitdem Andrea PIsano an der Bronzetür in Florenz die Scene so ganz auf 2^charias und den Engel beschränkte, dass selbst die Oertlichkeit nur als Andeu- tung gegeben ward. \ orkündet sich die Zwischenzeit eines Jahrhunderts, die Wandlung der Intentionen in keinem andern Zuge so stark, als in dem Auftreten von Porträtfiguren umschlossen von dem ebenso getreuen Abbild des Schauplatzes selber.

Auf der andern Seite der Eingangstür folgte die Begegnung Marias mit Elisabeth, die nur in den allgemeinsten Zügen noch ont/iffort werden kann. Vor dem gotischen Palast des Zacharias erscheint von linksher kommend der Hesurh. die Jungfrau mit zwei Begleiterinnen; rechtsher tritt Elisabeth auf sie zu. Die l'mri.sse der beiden Haupigestalten lassen erkennen, dass die beiden Frauen sich innig umarmten.

Die Seitenwand links ist durch ein Fenster geteilt, das, erst neuerdings wieder geöffnet, dem Licht und der Luft bessern Zutritt gestattet. Sie enthielt dem gemäss zwei Scenen, von denen wir die erste nur aus der notwei^igen Reihenfolge als Geburt des Jo- hannes, oder Wochenstube der Elisabeth bestimmen können, da rechts davon die Namengebung durdi Zacharias wenigstens in den Hauptsachen noch sichtbar blieb.

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Namengebung

Hier lernen wir den Meister von einer Seite kennen, die Crowe und Cavalcaselle, wie sclion A. v. Zahn hervorgohoben hat, ZU un- günstij^ beurteilt haben und zwar auf Grund ihrer nicht ganz korrekten Abzeichnunir des letzten, dieser Wand gegenüberliegenden Bildes mit Salome. Der Maler verlegt nämlich die Namengebung in einen langen Säulengang, wie er im J\rdg*'S( h< 'ss eines Palastes ndor im Kloster- hof eines bevorzugten florentinischcn Stiftes damals gefunden wordi-n mochte, ganz im Stil lirunelleschis, dessen neu erfundene Ikiuweise hier mit überraschendem perspektivischen Durchblick in einem lU ispiel verherrlicht wird, das sich seither der Gunst aller Kunstverständigen ganz besonders erfreute. Wir blicken durch eine Arkade, deren Stirn* Seite acheint es noch den rohen Backsteinbau zeigt, während der Bogen «ch Ober dnem Paare glatter Brunelleschischer Säulen qnnnt ; deren attische Basen entziehen sich hinter einem spätem Altar- vorsatz unserm Blick, «nd aber nach Analogie der übrigen Doppel- reihe sicher vorhanden, wie ihr Kapitell in voller FrOhrenaissance.

Der Standpunkt des Beschauers ist so gewählt, dass wir die Säulenreihe rechts voll überbHdken, bis an die Scbmalwand hinten, die glatt abschliessend doch durch «ne rundbogige Tür den Ausblick in den anstofsenden ßaumgarten erOffitiet, während die Säulenreihe links, weil senkrechter gesehen sich stärker verschiebt, wol noch gestattet die einzelnen Rundstämme zu zählen, doch nicht über die Zwischenräume zu urteilen wie zur Rechten. Hier dagegen ist deutlich, dass die Säulen dicht an die Längsmauer anstnfsen, dass ihre K.ipitelle konsolenähnlich .ms der Wand vortreten und so die (irate des Klostergew« )lbos aufnehmen, dessen Stichkap[)en an der Wand rund- bogige l.unetten zu bilden scheinen. Die.se Hogenfelder sind (jetzt) mit rotbrauner Farbe getüncht, d.is (icwolbe dagegen wei.ss, gleich den Hasen der Säulen, deren Schäfte samt dem Kapitell das Lieb- lingsgrau der Pietra Serena bdialten.

Der Maler, der durch seine biblische Geschichte keineswegs veranlasst war, über die bisherige Stubendarstellung hinauszugreifen, stellt sich also ganz aus freien Stücken eine Aufgabe, deren Losung im Jahre 1435 nur einem Florentiner möglich war, der die Kuhst- entwicklung seiner Vaterstadt im letzten Jahrzehnt nach zwei ent- scheidenden Seiten hin genau kennen gelernt hatte: die Ausbildung der Architekturformco zum Stil der Renaissance und die Herrsrhafl über die perspektivische Darstellung solcher Säulenhallen, d. h. die volle Aneignung zweier HauptstOcke aus dem Kunstvermögen des Quattrocento, deren Erfindung dem grossen Architekten Brunelli>schi verdankt ward. Die I-'iguren allerdings stehen durchaus nicht auf der Höhe dieser Zeit, verzichten vielmehr gerade hier auf die Wirk-

Namengerung

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lichkeitstreue und die eingehende Durchbildung des eigenen I^bens^ die so leibhaftige Raumentfaltung uns schon erwarten Iftsst Zur linken sitzt vorn der alte Zacharias allein an seinem l^ult, um den Namen des Kindes, den er auszusprechen nach jener Erscheinunj^j im Tempel nicht mehr vermag-, auf seine Tafel zu schreiben, damit die Andern ihn läsen. Vor ihm steht cino annnitijjfp Frau, in der man fa.st die befreundete Maria vermuten m<')chte, mit dem Kind auf dem Arm. Dazwischen beugt sich ein Neugieriger herüber, um die Buchstaben zu lesen, die der alte I lerr bod.ichtig^ niederschreibt, und auf der andern Seite der jungen l'Vau noch eine ( ie\atlerin. die beim Kinde nicht fehlen darf. ( lanz rechts aber tritt feierlirhen Ganges in langem weichfliessendem Gewände mit weiten Armehi und f&n gerillter senkrecht verlaufende Fältelung ein Jünger des geist- lichen Amtes mit offenem Buch in der Hand herdn. Die Höhe dieser vordersten Gestalt, die ausserordentlidi schlank ersdieint, erreicht doch nicht den Rand des Säulenschaites, d. h. ein Verhältnis, das bei den sichersten Vertretern der perspektivischen Raumdarstellung zur Iß&k der FrOhrenaissance üblich ist Der einzige Kopf, der ausser dem Kinde leidlich erhalten blieb, ist der des Zacharias : ein Grau- bart mit kahlem Schädel, der dem Propheten Jes.iias ähnlich sieht; die Haltung seines Körpers aber kann nur noch der flüchtigen Ver- zeichnung- entnommen werden, die jetzt zu Tage tritt Die g-anze figürliche Komposition gehört der nämlichen Entwicklungsstufe an, wie das Sfxisalizio im Chor der C'oliegiala, d. h. sie entstammt einem letzten Ausläufer des I receiUo, der zu {)lastischer Durchbildinig der Körper, zu schwierigem \'(Tknr/nngen der (iliednialsen oder der Köpfe, zu mannichfaltiger Charakteristik der mitwirkenden Personen nirgends einen Ankiuf nimmt. Es ist die selbe weiche (iefühligkeit, die selbe getragene Stimmung, die zum Elegischen neigt, wie in jenem Deckengemälde, nirgends ein Anflug jener Unmittelbarkeit und Frisdie, die in so reizender Räumlichkeit toskanischer Klöster und Paläste auch das wirkliche Leben darin beobachtet hat und des- halb auch in seiner wirksamen Farbigkeit, seiner zufälligen Beleuch- tung an Ort und Stelle malen wilL

Zwischen dieser Namen geh ung und dem Bogen, der zum er- höhten Recess hinanfthrt, ist eine Wandnische gemalt und davor ein Taufbmnnen, der mehr die Bestimmung des ganzen Raumes kenn- zeichnet als zu einer Scene der dargrestellten Greschichten in Beziehung steht, wol aber darauf hindeutet, dass das gemetsselte Becken von der Hand des Bildhauers, der auch den Portalschmuck des Kirchletns

') Vgl. unsere pbot. Aufnahme. Schmarsow, Masaodo.

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Johannes in der Wüste

Corpus Domini gearbeitet, noch bei der Ausführung dieses Fresken- eyklus nidit vorhanden war.

Die Geschichte des Täufers setzt ach im Prcsbyterium an der linken Schmalwand fort. Ganz oben im felsigen Gebirge steigt der Knabe in Wüstencinsamkeit umher, bis er firuntcn den Weltkindem, die seines Weges kamen, zum orsten Male als Bufsprediger entgegen- tritt. Bärtig und ernst erscheint er in härenem Gewände und drüber- gosrlilatTf^nom Mantel, wie ihn die vorangegangene Kunst vorb("r<Mt(»t halte, ja gonau so wie bei Andrea Pisano, nicht heftig erregt, nicht pathetisch .ausgreifend, nicht schreckhaft entstellt, noch immer in der würdigen Haltung eines r< imischen Ki'duers, wenn auch ohne Eleganz. Aber er steht sicher auf seinen nackton Füfsen und nimmt sich /.u- sammen in geschlossener Gebärde. Allerdings der Maler versucht es auf der andern Seite auch nicht, die zündende Macht seiner Rede, ihr Einschlagen im Kreise der Hörer zu zeigen. Die Beziehung der bekannten Mahnworte auf die lebende Gemeinde giebt ihm viel- mehr Veranlassung, eine Reihe von Bildnisfiguren aus CastigKone d'Olona hier vorzuftihren, die in gemessener Entfernung von dem WOstenmcnschen sich aufgestellt haben. Bei aller Aulinerksamkdt bewahren sie im Zuhören den ruhigen Anstand ihres herrschaftlichen Betragens. Sie falten ihre Hände über den Bauch oder stecken sie* behaglich in den (lürtel ihres Rockes; sie richten ihr Auge auf den sonderbaren Heiligen, dessen fremdartige Erscheinung durch den Gegensatz der modischen Kostüme für uns gewifs mehr als für die Zeitgenossen gesteigert wird. Die letzten besterhaltcnen Zuschauer scheint nur der Anblick hcr/ulocken, während unsre Neugier sich unwillkürlicii diesen Porträthguren und ihrer Kleidung zuwendet. Voran steht vielleicht in der Rolle des ih rodes selbst ein stattlidier, wolbeleibtcr Herr in dunkelrotem Rock, mit einem hohen Filzhut, der sich aus einem halben Dutzend in einander geschobener Stockwerke auftürmt, als habe ihn die übermütigste Faschingslaunc erfunden. Aber das gemächliche Benehmen des vornehmen Trägers läfst kdnen Zwdfel, dass dies Konterfei emstlich gemeint sei, und die Ähnlichkeit mit den Gesichtern bei der Verkündigung an Zacha- rias im Tempel belehrt uns, dass es dem Meister wie seinen GOnnem aus der FamUie der Castiglione vielmehr auf Bildnistreue und ehr- liche Porträtkunst ankam. Hier ist die Predigt gegen Wcltlichkcit und Herrenprunk nur Vorwand, das leibhaftige Dastehen der Personen mit wolbekannten Zügen. Grofs und Klein, Dick und Dünn, welt- lichen imd geistlichen Standes, von vornherein die Hauptsache gewesen. Leider ist die Mehrzahl völlig verloren, das Spiel der

ECCE ACfNlTS Dei

.5«

Hände wie ihre Fonn nodi so konventionell, dass es mOTsig wäre, zu fragen, wie weit sich mit dem gaffenden Zuhören Zerknirschung und Reue vertrugen oder nicht ').

Dass uir nicht ungerecht ein Zurückbleiben der Durchgeistigung im Sinne der idealen Aufgabe hinter dem Zuwachs des Könnens im Sinne realer Nachahmung vormuten, das beweist die Behandlung

clor benachbarten Sconc an der Hauptwand, wo der Prophet seine Hörer auf Christus als Erlöser hinweist Hier sind alle Köpfe in dem Ausdruck erhalten, den der Maler ihnen gegeben hat, und ein entscheidendes Urteil kann tr'^sprf^chen werden. Wied<'r steht Jo- hannes links, in der sell)eii li.illuns^- und (iebärde. nur nicht so f(\sl wie im vorij^«-pn Piilde ; sein laue r,il)wallen(lcs Schrittband in der Linken, <lie Jvcchte in cckij^er uiii^elenker Hcwei^ung vor der Brust erhebend, das Antlitz in Drciviertelsiclit nach rechts tfekehrt. Es ist sjfenau der selbe lanj^bärtigc Kopf", den wir als vordersten Freier neben Joseph im Sposalizio gesehen, nur dem Malssl ib und der Nähe hier entsprechend ausgebildet und im Einzelnen sogiu* auf- faUend realistisch durchgeführt, besonders auch die Hände.

Ein sclirag von links nach rechts Verlan jender l'"elsblofk tr(>nnt den Propheten von Christus, der mit dreien seiner jünger in halber Figur an der oberen Ecke des Bildes sichtbar wird. Auch er ist nur die weiter entwickelte Wiederholung des Gottessohnes, der am Chorgewölbe der Collegiata die Mutter krönt; nur hat der Kopf durch festeren Knochenbau mehr Halt bekommen. Der Gesichts- typus selbst» mit den höchgeschwungenen Brauen aber schmal- geschnittenen Augen, der zugespitzt vorgeschobene Mund, der da- durch «nen kleinlichen Zug bekommt, und der dünne Flaum des ebenso zugespitzten Backenbartcs, ist nicht verändert. Er blickt in schläfiriger Teilnahme auf Johannes und erhebt die Rechte zum Segen. Nicht minder leicht vermögen wir, die Köpfe seiner Jünger unter den Freiern im Sposalizio wie unter den Kvaiigejistrm der Derke hier wieder zu finden. Der (iraubart zur Rorhteii des Merni ist eine Wiederholung des ältesten I-Veiers. <ler hinter dem Vordersten hervorsieht, er ähnelt dem anbetenden Könige zu l- iilsen des ("iirist- kindes, und erscheint in diesen Variationen wol nicht anders als eine Übertragung des Christuskopfes ins (ireisenalter. Der Jünger zur Linken des Meisters bekundet die nächste Verwandtschaft mit dem stabbrechenden Freier, bemOht sich hier als scharfer Eleobachtcr

*) Vgl. nnsere photr^nmphtsche Aufnahme.

«) Phot. V. Broßi Nr. 631.H. Auf dem Srhrifll.an.l : ECCE AONVS DEI ECCE gVI TOLUT PECCATA MVMDI HIC EST DE yUO DIXI POST ME VENt.

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Jdealköpfe und Bildnisse

des Wüstenpredigers, halb verdeckt herfiberlugend, neben dem er- staunten Knabonantlitz des Lieblingsjüngers, der die Rolle des Pagen bei dm Königen aus Mnrgonland weiter spielt. Die Unke Hand des Erl<^sers ruht eigentlich auf der FelsenknuHsse; aber sie ist mitsamt dem Arm und der ganzen linken lirust bis zur Schulter hinan durch einen auf i,remaken Ilut nachträglich zugedeckt. Diese abonteuorliche Kopt lieiicckung gehört dem ersti-n Zuhörer lies Jo- hannes, d. h. zu einiT higur, die erst hinzugetugi wurde, als die übrige Freskomalerei bereits fertig war. Nur das Antlitz mit dem Ihdse ist auf einem neu eingestrichenen Stücke des nassen Bewurfes al fresco ausgeführt, das Übrige al secco hinzugepinselt. So blieb von dem aufdringlichen Herrn Castiglione nur die sorgfältige Arbeit des Porträtkopfes wol erhalten, während das Gewand, so prächtig es war, samt den zweifarbigen Strumpfhosen, siltierweiss und schar» lachrot wie das Wappen der Familie und dem kOnstlichen Filz* türm auf dem Scheitel wieder verschwanden. Fast ebenso steht es mit dem gdstlichen Herrn daneben, der unter da Soutane ein Paar von Beinen verbarg, die ihm nicht gehören ; jetzt kommen die weltlidien Strümpfe wieder zum Vorschein, während auf den Schultern mit dem Chorhemd das eingesetzte Freskostück mit tl(»m Bildniskopf die Züge des Arciprete in übcrr;ischender Unverletzliehkeit bewahrt. Ks lileibt kaum ein Zweifel, dass es der neugewählte Giovanni Bianchi da \'elaie sein mufs, der am ii. Oktober 1435 sein Amt eingesetzt wurde.

Hinter dem pelzxerbrämten Rockzipfel der ursprünglichen Figur, der gleich Hut und Mantel des letzten Zuhörers im vorigen Bilde ganz ruhig um die Ecke herumgenialt worden, stehen in der Schräge des Fensters n<^ch drei andere Figuren'): ein weltliches ^litglied der Stiflerfamilie mit üppigem, aber etwas strup|)igem ll.iar. das rund zurechtge.schnitten fast ebenso perrückenhaft erscheint wie das des Geistlichen, der es wahrscheinlich aus seiner Stelle vorn verdrängte. Sein kurzer pelzbesetzter Rock mit abstehenden Falten und die dunkelrote Strumpfhose des sichtbaren Beines entsprechen der Tracht, in der nodi bei Benozzo Gozzoli die Vomehnsen jener Tage «ch verherrlichen Uelsen. Der junge Mensdi im langen lUttel mit einer Pelzmatze auf den Ohren, der nur einem alten Schul- meisterantlitz noch gestattet hervorzulugcn, tritt überall, soweit sich erkennen läfst, als williges Modell des Malers in die letzte Stelle. Hier hat er in dem 1 m^ren Rock mit geschlossimen Ärmeln wol seine Amtstracht als ächreil>er bewahrt, und dies sorgfältig ge-

') Vgl. unsere yixot, Aafnahme.

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Taufe Christi

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arbeitete Gesicht hat so wenig italienischen, sondern germanischen Schnitt, dass wir versucht sind auf einen Sekretär des Kardinals 2U raten, wie I.ciffrad Cleipcl aus Münster oder ^^atthcus de Beize ans Lüttich, die der Legat aus dem Norden mitj^ebracht hatte.

Das Fenster, in dessen (rewände diese Zuschauer des Ecce Ag-nus« gemalt sind, durchbricht die ^^ittc der gradcn Schlufsmauer und ist so Veranlassunj^ sro worden, di«- jLfanze Wandflächc, die sich dem Auge des Eintretenden al^ Einheit darbietet, für die Dar- stellungen des Cyklus /u \ er\verten '). I )as Hogenfold über dem Fensler ist in seiner vollen Breite der l'aide Christi eingeräumt. YHC BAPTISATVR A . lOUE INIORDANE lautet die Unterschrift über dem flachen Fensterbogen. Aus der Hefe des Bildes, dh. aus der Höhe herabfliessend, durchzieht der Fluss ein felsiges Tal, das Unks und rechts von Bergen eingesdüossen nur einen kleinen Teil unter dem Scheitel des Rundbogens fOr das Blau des Himmels übrig lässt, wo die Taube des heiligen Geistes herein- flattert Dieser Versuch der Raumentfaltung in freier Natur ist so kindlich ausgefallen, die Höhenausdc^nung muss darin die Tiefe in solchem Umfang vertreten, dass man den Maler nach diesem Bei- spiel allein für einen Spätling des Trecento erklären müs.ste, der von der Anforderung des Quattrocento an Darstellung der Raumtiefe, von der l^rfindung Brunelleschis, durch perspektivische Konstruk- tion auf der l'lache den Schein d(>r dritten Dimonsion zu erzielen, gar keine Kenntnis besitzt. Dir W'iodergabe der landst hiiftlichcn Umgebung bleibt hier, wo er nur durchs I-enster auf Hügel und Fluss- tal hernieder zu schauen Ijraucht, im Bilde auf der Stufe genügsamer Unwirklit likeit stehen, bei der Fra Ang« lico einsetzt. Ja der helle Widerspruch mit dem Augenschein draussen scheint garnichtzu stören. Statt der Berge sehen wir nur Pappfelsen, wie aus Spidzcug- schachteln hier aufgebaut,, das kahle abgestufte Erdreich der Trecento- maler ist mit ein paar Grasbüscheln oder Blumen im Vordergrund besät, am Rande der Hügelketten eine Reihe vereinzelter Tannen- bäurochen hingepflanzt Das Flussufer fällt steil gegen den Wasser- strudel ab, soweit es überhaupt durchgefllhrt wird, genau so wie es ein Goldsdimied damals in dünnem Silberblech von der Rückseite herausgearbeitet hätte. Nicht weniger auffallend beweist die Ein- ordnung der F^[uren in dies abfallende Hochplateau des steinicliten Syriens< die mangelhafte 1 iefenanschauung des Malers. Gerade das Streben nach Verteilung der verschiedenen KompositionsgUeder fördert die Unfähigkeit zu läge, eine bestimmte Richtungsaxe fest-

*) Vg). die Ge—mtwfiwhroe bei Sent Atnbrogio, Castigliofie Oloiu, Mailand 1893^ Tat 50.

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Taufe Christi

zuhalten. Oder ist dies Fresko von Unks nach redits fortschreitend

so unbedilchtsam in mehreren Absätzen zusammen gepitiselt, dass der Meister die ( iesamthcit des Bildes selbst erst überblickte, als er das Gerüst abbrach, um darunter fortzuf;ihren ? Die Abwesenheit jeder architektonischen Absonderung der Lünetie von den beiden unteren \\'andt<-ldern lässt noch jet/t. wie auf der voranhe^-cniien Schmahvand, (he Xälite der h'resk« )t]achen wie den Zusaninu nliang der fluchenartigen < lescinitvorstelkuig' der ganzen Wand erkennen ').

Am Ufcrrando hnks stehen dicht aneinander aufgereiht, auch in ihrem Gesamlumriss die schnelHertige Bequcmhchkeit des Meisters ketni/eichnend drei iugendhche Engel mit langen Gewändern. Sic haUen die Klei<ler des ( lottessohnes. die ihre Hände wie ein Stück des hkissufers \crbergen. Wm ihren Köpfen ist der mitlk-ro in I )reiviertelsicht, die beiden äussern in Profil genommen, das Flügclpaar nur beim vordersten voihanden al secoo aufgemalt und wieder abgeblättert, wie alle anderen derartigen Zutaten. Sie kommen den lieblichen Engrehi Fra Angelicos sehr nahe, nur das gotische Faltengehänge der KleidungsstQcke beweist ihren eigenen Zusammenhang mit der ältem Kunst, dem gemeinsamen Boden, auf dem der fromme Dominikaner wie Masolino beide erwachsen sind. Im strömenden Wasser vor ihnen steht Christus, bis über die Kniee bespült, mit einem leichten Tuch um die Lenden, sonst nackt von vom gesehen. Die Arme sind halb erhoben, indem die rechte Hand die Finger zum Segnen stellt, der Kopf leise nach der andern Seite geneigt, um den (iuss des Täufers zu empfangen. So bietet er dem Auge einen dürftigen Körper, in dem sich allerdings das Streben ofTenl)art, sorgfakigere Naturbei »bachtung zu geben als d(Mi Vor- gängern möglich war, von einer künstlerischen Auffassung und g(>trcuen Darstellung des nackten Leibes aber' noch nicht die Rcile sein kann. Weder im plastischen Sinne vermag das Ganze für sich zu wirken, noch malerisch im Zusammenhange mit der Natur- umgebung. Dies ist schon durch den gänzlichen Mangel an Luft und Licht im Gemälde selber vollständig ausgeschlossen. Das Antlitz hat zu dem kleinlichen auch einen herben Zug und bestätigt nur die Befangenheit in dem überlieferten Typus, die in solcher bibli- schen Scene ohne modernes Publikum nur am reinsten hervortritt. Davon zeugt auch Johannes, der dicht am Ufer rechts ein Knie ge- beugt hat, mit der Linken seinen Mantel an der Hüfte zusammen hält und die Rechte mit der Schale über das Haupt des Täuflings ausstreckt. Der ganze Körper erföUt keineswegs in wahrheits-

*) Phot. 3rogi 6316 und, alles Figflrliche uiDfRssesd, Nr. 63 17, nach der ansre Tafel.

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Taufe Christi

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gemässer Durchbildung was mit der Wahl dieser Bewegung und

(Tlicderhaltung gefordert war. Das Knie dos einen Beincs berührt den Boden in gerader I-inie hinter der Ferse des aufgesetzten andern l'\isses. aber das Faltengehänge, über das vordere Bein bis zur andern 1 lüfte sich ausspannend, gestattet dem Auge nicht, sich über den ( )berschenkcl des knieetiden, über den druiU'T bi-fiiidUclien Sehofs «h-> I'"ellkleidcs und die Hreite des Runiph-s beim Schenkelausatz auch nur annalierntle Rechcii^i hdtl /u ^"el)en. l^ud <-bensü gleitet der Oberkörper mit den l)ei(lrii nia;.4(Tn Armen vermittelst der Hüllen, wie durch eigene Schmalheit /wischen den Schultern, aus der Körperlichkeit in die Fläche über. In der wirksamen Silhouette ist auch die sditnftchtigste Gestalt noch ungenügend durdigefikhrt; sie steht noch völlig auf der Stufe des Bronzereliefe, das Ghiberti um 14 17 fQr den Taufbrunnen in Siena, nur allzusehr als Nebenarbeit behandelt hatte. So macht die Hauptgruppe, auf die es an so her» vorragender Stelle im Freskeneyklus der Kapelle vomehmlidi ankam, um den Höhepunkt im Leben des Vorläufers gleichsam als Altarbild vors Auge der Gläubigen zu bringen. das Vorbild der Tauihand- lung selber, einen altertümlichen ja nebensächlich unbedeutenden Ein- druck, der durch die Genrescene daneben nur noch mehr zurück- gedrängt wird.

Die Gruppe der Täuflinge rechts, die sich von Johannes Ins an die vorderste Ecke des Bogcnfeldes ausbreitet, während die gegen- überliegende Seite hinter den Engeln leer geblieben, st('»rt vor allen Uingen empfindlich das architektonisc he (ileiehgewicht der Kompo- sition. ( )l)gleich der Christusk« .rper im Jordan die Mittellinie klar markirt und urs|)rünglich als Dominante gedacht war, wird der Täufer doch zu sehr in den Linien/ug dieses Anhanges rechts hineinge/ogen, so dass er seihst an (lewicht all/u\ iel einbüsst imd dass der Vollzug der Taulhandlung an dem (lottessohn nur wie ein zufälliges Moment im Verlauf einer Massentaufe an gleichgiltigen Individuen ersdieinen rouss.

Dagegen erfreut sich diese Nebengruppe einer allgemeinen Berühmtheit; sie entschädigt cinigermalsen für die unfreie Wieder- holung der herkömmlichen Scene und ihren ceremoniellen Zuschnitt; wer die Voraussetzung eines sehnsQchttgen Dranges nach Lebens- wahrheit und Naturbeobaditung mitbringt, sudit gern auch das Haupt- interesse, ein Aufatmen des gelangweilten Künstlers auf dieser Seite. Legt man sich aber die Frai^n- vor. weshalb nicht auch das reizende Motiv der drei Engel mit dca Gewändern zu einer reicheren Entwicklung eigenen Lebens im Sinne einer gleichwertigen (irupi^c ausgestaltet worden sei, und cryinert man sich andrerseits, dass

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Die TÄUFLINGE

wir uns iin Jahre 1435, doch geraume Zeit nach dem l ode Masaccios, in der Hinte Fra Angclicos und Dunatellos, in doii Anfängen des Luca dclla Kubbia und des Domenico Vcneziano bctindcn, so rcj»t sich wo! der Zw eifel, w ie w eit diese TäuHinge das Lob, das ihnen gespendet worden, verdienen.

Zunächst hinter Johannes lugt ein TVicrender, in seinen Mantel eingehüllt, zu Christus hinülier, als überfiele ihn das Vorgefühl des kalten üergwa-ssers. I^^ ist dem Platze gemäfs noch im kleineren Malsstab gehalten, erreic ht nur die (iröfse des knicendcn Täufers, macht also den Eindruck eines Kn.iben. besonders im \'ergleich zu den drei Andern v<»rn, die sich zu engerer (iruppe zusanmien- schlielsen. Ein Sitzender rechts zieht seine l^einkleider an; ein Zweiter, schon entkleidet, etwas höher sitzend, streift die Strumpf- hosen soeben noch vom rechten Fufs ab; ein Stehender, diesem zur Seite und zu Häupten des Vorderen, vom Rücken gesehen, zieht sich gerade das Hemd aber den Kopf. Dieser letzte, in verhfiltnirs- roäTsig einfacher Haltung, ist am besten gelungen; er gicbt, wenn auch immer noch summarisch und unsicher die ruhig synunetrischc GUederung der Rückseite nach einem Modell wieder, das Iddlicb gebaut war. Die Körper der beiden Anderen, von vorn gesehen, sind hager und unerfreulich, nicht so gleichmäl«g durchgeführt. Der Mittlere ho< kt in unbequemer Haltung auf dem Rand des Fels- blockes, das linke bereits entblöfste Bein hängt herunter ohne den Fufs zu rrst< r Stützung auf den Pioden zu setzen, indem es durch die Hebung des rechten Heines, das von der einen H.md üljer den Knöcheln gehalten, von der andern im Abziehen tles Strumpfes am l''ufs gezerrt, unwillkürlich gednht wird. So ist der ()berkörj)er ziemlich gut hingebracht, wenn auch der rechte Arm zu kurz und muskelsclnvach, die Ueine dagegen in ihrer V(*rkurzung nur recht mangelhaft geraten. Durchaus häfsUch, oberflächlich zurecht ge- schmiert und verfehlt ist der Vorderste, der sein Wams schon wieder angetan hat und sich abmüht, die Beinkleider auf die leuchten Glieder zu ziehen. Nur dies Bewegungsmotiv ist erhascht, aber weder kräftig noch überzeugend als unliebsame Anstrengung durch- geführt, sondern in sich lahm, energielos, die Haltung des andern Beines vollends unwahrscheinlich hinzugefügt, und dazwischen auf- gehängtes (humcs (iewebe. das die Sduim verdeckt, ebenso kon- ventionell, wie der Rumpf verschwommen zwischen Armen und Beinen hinzugetuscht Eigentlich i.st also dem Künsder nicht sowol an der Uewältigung des menschlichen Körpers in mannichfaltiger Haltung der (ilifdinafsen gelegen, als vielmehr an dem (lenremotiv um der Bewegtheit willen, und das Urteil kann nur lauten: Ut

Die Täuflinge

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deunt vires, tainen est laudanda voluntas. Wir können wol seine Lust verstehen, eine Gruppe von Budcndcn zu schaffen, die er am

Wiesen^'nind diT Olona oder am Arno gesehen, wir m«'v:on ihm nachempfinde 11, dass er sich aus Froudc daran verleiten lielj^. sie hier anzubringen, so gut wie wir Michelangelo begreifen, wi ini er aus der Schlacht bei C.iscina ein denrebild von badenden Soldaten gemacht, die vom Alarmsignal iibernis( hl noch mit feuchter Haut in die Kleider fahren. Aber es klingt wie Hlaspheniie. angesichts eines solchen ErsLlings\ ersuches wie liier an s(jlrhe Grofslatcn voll- endeter Herrschaft über die plastische Form auch nur zu erinnern, weil die Motive daran anklingen. Selbst die Täuflinge Masaccios, die dem Maler hier vor Augen gestanden hatten, als er 1435 diesen ähnlichen Anlauf nahm, können nicht emstlich als vergleichbare Erscheinung genannt werden. Legt man sie wirklich daneben, wird dies dilettantische Untergingen im Verdacht des Wetteifers - auch von dem schattenhaften Oberrest der Cappella Brancacci in Grund und Boden gespottet, gleich dem Urteil aller begeisterten Kunstfreunde, die sich in Castiglionc an dieser frischen Episode ge- freut, ohne Masaccios Leistung mehr als ungenau im Gedächtnis mitzuführen. Das Einzige, was aus IHorenz herbeigezogen werden kann, wäre ein T'aar von ebenso dilettatiti.schen Zeichnungen, auf bläulichgrauem Papier mit Weiss gepin.selten Modellstudicn ') : ein nackter Mann auf hohem Stul sitzend, mit Stecken in der vor- gestreckten Linken, eine It.iu gegen den Stul mehr lehnend als sitzend; darunter eine (iewandtigur mit Stecken auf niedrigem Stul. eine. Frau auf dem Lkxien hockend, die llandi' ül^ers Knie gefallet; auf der Rüclcscite ein Mann auf hölzernem Schemel, die Frau am Boden hockend, gegen einen Stul gelehnt und nochmals aufrcdit sitzend in lehriiafter Gebärde. Mit diesen und ähnlichen Überresten der Uflizien verdienen diese Täuflinge in eine Reihe gestellt zu werden, wie andrerseits aufserhalb der Hauptstadt des Quattrocento, in Prato mit der Steinigung Stephans, in der man ein Werk des Gherardo Stamina oder des Antonio Vite da Pistoja gemutmaist hat

Wenn es schon dem Feingefühl des Künstlers für seine ideale Aufgabe, die Taufe Christi als And ichtsbild des Baptisteriums dar- zustellen, ein etwas bedenkliches Zeugnis ausstellt, darin eine (renre- scene anzubringen, die sich schon im bürgerlichen Dasein dem Auge gern entzieht, so konnte das malerisch glückliche und an sich dank-

•) Phot. Philpol 544. 340.

^ AJinari Phot Nr. 115*4. Ober diese, tettweilig fm Cicerone (1874, S. 873. Beitr. S. 34) aacb mit Masolino in VerbioduDg g^bnditen Malereien vgl. Scliinaraow, Die Capelb deü* Amntn im Dom m Pnto^ Repertor. f. Kwadift 1893.

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Gottvater in Engelglorie

bare Motiv doch neben der herkömmlichen Komiwisition der bib- lischen Scenc schon t(arnicht bis /u einem Grade von Wahrheit und I'Vischo durchj^'oführt werden, der ihm selber /u seinem j^uten Recht verhüHe. So ist der /weck beider Hcstandteile nur beeinträchtij^'^t, und die Wiech^r^abe der Xaturscene so nebenher erscht>iiit künst- lerisch niclit minder frivol als die oberlluchliche Wiederhol uiilt des kirchhchen Geg^enst.mdes, mit dem sie willkürhch verbunden wird.

Zu dieser Darstellung der Taufe Christi gehört auch die Er- scheinung Gottvaters an der halbcylindrischon Wölbung des QiOr- leins. Neun Vertreter der Engeischaaren, vier auf der einen', fünf auf der andern Seite schweben anbetend empor zu dem Bilde des Höchsten, der in halber Figur aus einem runden Rahmen herab* schaut auf die Scene im Jordantal. Die Engel sind durchaus die nämlichen Gebilde, die wir aus der Htmmelfehrt Marias im Chor der Collcgiata bereits kennen. Kindliche, mädchenhafte Köpfe mit kraus* gelocktem oder schlichtem Flaclishaar, mit andächtig gefalteten oder verehrend über die Brust irekreuzten Händen, mit einem wehenden Gewandende, das von Wolk« ii ^a>tra>ren, unbestimmt läfst, wo sich die Andeutung des Körpers in dem luftigen Schemen der Phan- tasie' verliert. Auch Gottvater besteht aus einem lanjjfbärtij*'en (ircisen- kopf und i-iueiTi Paar abwärts ire.streckter Arme, einem Mantel und einem Rock ohne rechten Korper darunter. Freilich fliefsen die Palten des Zeuges über die Schultern nieder, werden am R(.)ck von einem Gürtel zusammengehalten ; aber die Gestalt bleibt Ilächenhaft Desto auffitllender ist Schnitt und Besatz dies^ Kiddung und der f) pus des Kopfes. Beide wcidien von dem toskanischen Charakter, ja vom italienischen dieser Periode Oberhaupt ab. Man sucht zuerst in Venedig, dann noch weiter ostwärts unter slavischen, bulgarisdien Christen nach einem Vorbild, vcrtällt bei den breiten Besatzstreifen, die Ober dem Leibe sich kreuzen und mit Reihen rautenförmiger (Toldplatten benäht sind, auf russische Ghnadenbilder, und erinnert sich bei dem weifsbärtigen Greise mit langem gescheiteltem Haupt- haar, das in gewellten Strähnen sich symmetrisch über die Schultern Icyt, an ungarische l*atriarchen oder doch an die Erzväter und Heiligen der griechischen Kirche. Jed(Mifall.s stammt der Anflug fremden Wesen.s. da.s hier in der luichsten Person des italienischen Jiilderkreises fühlbar lj"(mui^ zum Vorschein kommt, aus jenen o.sl- lichen Läntlern. in tleneti der Kardinal Uranda so häutijr und lange als Legat gewirkt hatte, in denen auch spätbyzantinische Fresken- cyklen in Kirchen und Klostern der römisch-katholischen (iemeinden verbreitet smn mochten und selbst einen toskanischen Meister, der zdtweilig dort beschl^gt war, nicht ohne nachhaltigen Eindruck eutlieisen.

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Johannes mahnt Herodes

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IIL

Einen entschiedenen Fortschritt realistischen Strebens zeigten im Gegensatz zum hieratischen Wesen der Taufe Christi und der oi)crflächlichen Einmischung- von (icnremotiven dio W'andiremäldo darunter zu beiden Seiten des Fensters. Es ist die leibhaftige Wiedergabe wirklicher Personen aus seiner eigenen Umgebung, die den iSfalcr zum Bcwulstscin bringt, wie viel Wertvolleres er eigent- lich mit den Mitteln seiner 'r<'cluiik erreichen kann, als jene ver- blasencn \Vie(lerh< »luni^-en traditioneller l'»ibelillustrati()ii. I )ir l^eulen Predi^t< ti des i äutcrs zci|Lren dies Schritt für Schritt in den /uh< >rerti, die sich vordem Propheten aufj^^^estcllt. ja die Erscheinung des Prt)- pheteii wird von dieser Freude am Einzelnen, eljcn am leibhaftigen Augenschein bis in die Runzehi der Haut hinein, mit crgriifen, wie Antlitz und Hände Orottvaters selbst in der Höhe. Immer wirksamer drängt sich die Genauigkeit der wolerhaltenen Teile dem Auge des * Betrachters entgegen und leitet es an» auch in zersetzten und ent- färbten Stücken nodi die emsige Kleinarbeit zu bestaunen, die bei dem heutigen Zustande freilich den Eindruck eines seltsamen Flick- werks aus lauter Lappen, hier kostbaren Brokats und schweren Wollentuches, dort zerschlissenen Zeuges und leichter Spinngewebe, hervorbringt. Ganz einheitlich war wol dies Abkonterfeien wirklicher Bestandteile schon in der zweiten Sccne der Altarwand, wo Johannes vor Merodes auftritt und ergriffen wird. Vor der Mauer ist aus rotem Backstein eine kleine l.ogg^ia herausgebaut, in der die Sccne spielt. Sie öffnet sich unter dem riachen Dach mit schmalem Sims- streifen in einer Doppelarkadi- nach vorn, zwischen deren schlanken Pfeilern jcdcH:h zwei Miliclsaulchen weggelassen sind, utn den Einl)li( k nicht zu durchschneiden. Ebenso ist die Schinalseile links offen, widirend zur Rechten, wo der luftige X'orbau an weitere (iebäudc stöfst, eine Tür liinausfQhrt. Drinnen ist die VoUmauer mit einem grofs- gemusterten Teppich aus Damast oder gar Brokatstoff behängt; denn links an der Schmalseite tronen dicht bei einander Herodcs und die Gattin seines Bruders; vor ihnen steht Johannes, den ein Kriegsknecht, durchs Tor schreitend, soeben ergreift ')•

Wenn schon die Abfindung mit der Haltbarkeit des kleinen Backsteinbaues bedenklich erscheint, und die Konsolen unter den Arkaden vielmdir auf die Hinterwand gemalt sind, als in gehörigem Abstand vor ihr, so bezeugt auch die Durchführung der Figuren

•) PhuL Brogi 6319.

6o

Johannes mahnt Merodes

wieder den Mangel an Konsequenz trotz allem Fortschritt im Einzelnen. Der Vierfürst mit dem Scepter in der Linken, wie seine unrochtmärsi.t;(> (ionossin tragen das modische Kostüm der ober- italienischen Stadtherren und kleinen Tyrannen des Quattrocento, ja die ganze Kloidcr]>racht mailändischer Adolsgcs* hlochter, die auf Darstolluiigcn aus dorn Lohen dieser Jahre, z. B. in Casa Bf^rromeo AU Mailand begegnen ; der Scherge tritt in Helm und Stahlrüstun^ damaliger Soldat« n auf. Johannes, in langem henulartigcm Kittel und barfufs, halt aber eine ganz unwahrscheinliche Pergamentrolle mit den Worten seines X'orwurfs in der linken Hand: NON LICET TIBI HABERE VXOKE 1 KATRIS TVI ADVLTERAM. Mit der Rechten weist er auf Herodias hin, während er den Macht- haber unerschrocken ins Auge &(st. Sein Kopf, hier besonders würdevoll und ernst mit seinem dunkeln Haar und Vollbart, ist ganz in Profil genommen, grofs geschnitten, aber mit Falten auf Stirn und Wange in eindringlicher Strenge gezeichnet, mit einem * breiten Heili^^cnschein aus gerilltem und punktiertem Gold umzogm. Fest und sicher stehen auch die nackten Fülse auf dem I^oden ; ihre anatomische Durchführung ist noch ungenau, aber ihre malerische Wiedergabe mit dem Boden umher und der Beleuchtung des Raum- teiles schon überraschend gelungen, so dass Domenico Veneztano und l'ien» dei Lranceschi als unmittelbare Lortsetzer dieses Könnens zu nennen sind. Dagegen ist die Haltung der g-anzen Gestalt durch- aus lahm und hölzern, ohne i'athos, ohne dramatische Kraft.

Schläfrigen Auges blinzelt die betroffene, des Ehebruchs ge- ziehene l'ürstin zu dem Bufsprediger hinüber, ihre linke Hand erhebt sich, wie unwillkürlich ah\v<-lirend gegen den lästigen Vor- wurf, wahrend die andere lassig auf dem Schoise ruht. Die stummen kaum berührten Züge des Gesichts verraten in stolzer Kälte fast Nichts von dem Aufruhr drinnen. In dem fasten, glattrasierten Profilkopf des Herrschers verkündigt liöchstens die emporgezogenc Braue und der stechende Blick den Unwillen, während um die Lippen des kleinen ztisammengepressten Mundes ein Kampf mit der bittcm Wahrheit, die er kosten mufs, zu zucken scheint Fast mechanisch hebt »ch der Arm, mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Johannes deutend, als einzige Aufsening des Befehls, den kühnen Ankläger zu entfernen. Dem Häscher genügt der Wink; er w enigstens greift kräftig zu. Sein Eisenarm legt sich auf die Linke des l'ropliettMi, die rechte H.intl krallt sieh schematisch ungeschickt in der Zeichnniig, in sein Gewand auf der Brust. Sein Gesicht stiert auf die Gebieter.

Johannes mahnt Herodes

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Die (TotiauiL^koit und Sorgfalt, mit der die Kleidung des tronenden Paarrs vermalt ist, besonders die liohc Fürstenmütze und die wulstige Haubr, dir an bur^nindischo 1 1' »ttr.icht eriniionid. sieh mit goldener Kruiuiiig dunkeln ( irundf des Waiidicpjdchs ab-

heben, verleiten den Besciiauer auch in dt-n K(»|i}t n die /üi^c be- stimmter Individuen zu sehen, die mit llerodes und seines r)ru(l(Ts Weib nichts zu schaffen haben. Doch kann die Bildnistreue uol nur bei Herodes selber zugegeben werden; denn die üenossin seines Trones hat bei aller Durchfuhrung doch nur das typische Gesicht, das der Meister auch sonst bei schonen Frauen und jugendlichen Engeln zu zeigen pflegt Freilich gewähren die zerstörten Bilder der Namengebung, der Wochenstube» der Begegnung Marias mit Elisabeth keinen Anhalt mehr; aber schon die Engel bei der Taufe leiten uns zurQck zu den Deckenbildem im Chor der Collegiata, besonders zur Maria in der Krönung« und nicht umsonst hat mne fromme Hand der I'olgezeit in das Praditgewand der Herodias den Gruis des Engels eingeritzt „Aue maria gracia plena, dominus" , denn in der Tat ist dieses stolze Antlitz mit den ebenmälsigen Zügen, der rundgew(">lbten Stirn und dem kleinen spitzen Mimdchcn nur aus dem zarten Antlitz der Jutii^dVau entwickelt, das im Marien- leben des Masolinn vorherrscht. Die d* nuiiit;e Kr>nii^in des Himmels ist freilich in eine hochfahrende Konit^in liieser F.rde verwandelt, die um so sicherer dem Rach< iredaiiken für die Krankunv,»- dieses Augenblickes nachhängt, je weniger das Auge seinen Schleier lüftet Wer hätte sich auch dazu hergegeben, mit ßildniszügcn hier als Ehebrecherin zu sitzen, die das Scfariftband des Täufers fQr jeden Lateinleser brandmarkt? So kann von diesem Kopfe nur gesagt werden, dals es dem Meister gelungen ist ihn mit soviel Kennzeichen persönlidien Daseins auszustatten, dafs wir die kalte Schönheit als Charakterbild hinnehmen, das er gewollt hat 5>o erscheint zum ersten Mal die biblische Figur des Johannes mit dem Gegenspiel im Zeitkostüm einheitlich verarbeitet zu einem Ganzen, das nicht mehr in sich durch die Kontr.istc auscinanderfftllt. Leider ist die Farbe seines Gewandes bis auf die Vorzeichnung verschwunden und ebenso der sorgfältig vorbereitete Glanz der Rüstung bei (lern Kriegsknecht, der im Rahmen der Tür aus dem dunkeln Vorplatz überraschend genug hereinbricht.

Die Sinnesart des Malers, die Vorzüge und die Gränzen seines Könnens und Wollens, kommen erst recht zum Bewufstscin, wenn wir den selben biblischen Gegenstand von einem Zeitgenossen be- handelt zum Vergleich herbeiziehen. Ein Hildner, der dieser Schwester- kunst so nahe steht wie der persönlichen Bildungsstufe Masolinos,

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Ghibertt und Masolino

Lorenzo Ghiberti, hat in einem Bronzerelief für den J'auf brunnen in Siena um 1427 die nämliche Sccne komponiert, in der Johannes, aus dem Angeklaßlen zum Ankläg-er trewnrden, unter dem Ansturm der Häscher und dem Machtwort des (Tohietors noch, die mahnende Stimme der Warnung- erh<'bt. deren Nachhall ihm selber das Ende bereitet. Auch da eim^ Mischunjr l)iblischer, klassischer und ita- lienischer Tracht, aus denen die Künstler j<Mier Tage das (lewand jeder ml.iii/.entU n \'ergang(>nheit zusaiumen\V( )ben ; aber wie ein- heitlich alle I'iguren, in Erscheinung und Gebaren eine homogene Gesellschaft, die nur als Kinder dieser einen Phantasie hervorgehen, aber auch ihre volle Berechtigung in sich selber tragen. Denn es ist eine Handlung, die sie alle vollziehen, ein lebendiger Flu(s un- mittelbaren Geschehens, der sie alle bewegt, klar in den Gregen- sätzen durch jede Form, jede Gebärde, aufs Höchste dramatisch in dem Widerstreit zwischen der äulseren Macht, die den Mahner bewältigt, imd der inneren Seelenkraft, die den Gefangenen noch Ober alle hinaushebt. Gcg-en diesen Reichtum und Adel ist Masolino arm an £rfindung und roh in m inoTi Mitteln. Der einzige Ersatz, den er solchem Meisterstück Ghibertis gegenüber zu stellen hat, ist die farbige Wiedergabe des Augenscheins im Einzelnen, eine Einfachheit der malerischen Kontraste, die trotz aller Heschrrmktheit und Un^-eschicklichkeit im starren Nebeneinander den Eindruck der Grüfse, ja der Wucht erzeugt.

Dieser Vorzug eignet auch den folgenden Stücken, die in allen bisherigen Besprechungen dieses Cyklus in Castiglione zu kurz gekommen sind, weil die Aufmerksamkeit schnell zu dem letzten grofsen Wandbild mit dem Triumph der Herodias übergicng. Es nnd fast nur Einzelfiguren die dazwischen liegen ; aber sie tragen wesentlich zum Gesamturteil über den Maler bei und werden will- kommenste BelcLTstücke für den historischen Zusammenhang wie für die V'erj^leichung mit den Cyklen in Rom und ni Florenz, dif uns ferner beschäftigen nui.ssen. Denn diese HiUler geben die (icstaltcn in ähnlichen Situationen wie sie dort vorkommen, (xler bezeugen, wie dieser Kün.stlcr /u C 'asiiglionc im Jahn- i.}35 sich mit ahnlichen Anforderungen des Stoffes abfand, die auch dort zur Aufgabe gehören.

Neben jener Tür, durch die der Kriegsknecht eintrat, um Johannes zu greifen, Öflftiet sich auf der anstofsenden Schmalwand der Hof des Palastes, dessen Fensterreihe im oberen Geschofs noch gotische Wimperge und Fialen mit mancherlei Skulpttirenfichmuck aufweist, nnri aus Marmf)rinkrustation der unteren Teile zu nacktem Backsteinmauerwerk oben hinanreicht.

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Einkerkerung des Johannes

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Ganz links tritt durch das offene Bogentor der i^cwappnete Kriegsknecht an die Kerkerpforte daneben und heui^t sich vornüber, um den starken Riegel vorzuschieben oder den SchHissel aVv.uzichen '). Es ist die volle Gestalt eines jutit^cn Suldners im Eiscnklrid, dessen Darstellung mit den Mitteln der lTrsk< 'malerei den Mi i>ter unwillkürlich zum Wetteifer mit den ])lasiis(hen Werken eines Donatello und sinner Gesinnungsgenossen drangt. ( )der kam der Anreiz von Bravourstücken andrer Maler selbst, imd mit der wachsenden Übung die Lust, etwas Ahnliches zu wagen? Jeden- falls ist die Wahl des nebensächlichen Motivcs för ein eigenes Wandbild an sich schon beachtenswert. Die eigentümliche Be- schaffenheit der Mauerfläche, die an dieser Schmalseite, abermals durdi ein Anspringendes Fenster zerteilt wird, wie drüben die Predigt Johannes durch die Wandnische fitr Gerät,- niag allerdings dabei mitgesprochen haben.

Wir kennen Masolinos Vorliebe für Genremotive aus gelegent- licher Erweiterung seiner Bilder, aus den Hirten in der Anbetung der Könige im Chor der Collegiata, aus den Täuflingen am Jordan- ufer luer; aber der Versuch perspektivischer Illusion mit Hülfe zweier Türen in der Ecke und anstofsender Rundbogenfenster, die er zum wirklichen hinzumalt, und di(^ Wahl gerade dieses Be- wegungsmotives beim Schliefsen der Kerkerpforte fordert die Er- innerung an einen Präcedenzfall in der Kunst seiner Heimat heraus. Vasari erzählt im I-oben des Masaccio, dieser habe im Klostrrhof des C'armine die ganze Procession zur Einweihung der Kirche vom IQ. April 1-12 2 abgemalt: .,e vi ritrassc . . . anco la porta con- vento ed il portinajo con le chiavi in mano." Es ist allerdings aus diesen Worten allein nicht zu entnehmen, in welcher Aktion dor Fra (iuardiano dargestellt war, ob in der Ausübung seines Pfortner- amtes beim Auf- oder Zuschliefsen selber, oder als ruhiger Zu- schauer neben dem Tore nur mit den Schlüsseln in der Hand, und das Wandgemälde selbst vermögen wir, da es verloren ist, nicht mehr zu Rat zu ziehen. Aber die Idee der perspectivischen Täuschung ist sicher aus der Schilderung nachweisbar, und die Bekanntschaft mit jenem vidbewund«ten Werke Masaccios mufs angesichts dieses verwandten Versuches in Castiglione bei Masolino im Jahre 1435 vorausgesetzt werden, gleich gut vorerst, in welchem Jahre zwischen 1422 und 1428 jenes Fresko im Carmine entstanden sein mag.

Ebenso absichtlich, für den Anblick der Gemeinde berechnet, ist die Wahl der Fensterschräge zur Darstellung Johannes des

') ^S}- >uure photQgraphische Auduibme.

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Johannes im Kerker

Täufers im Kerker. Kurzsichtige freilich werden die Hauptperson als Gefangenen im Burgverliefs erst suchen müssen. Auf dem dunkeln Grunde der Kerkerfinstemifs hebt sich in vollem Licht die Halbhgur des ffottesmannies heraus, dor betend durch das £isen> gitter schaut, und wirkt ergreifend. Besonders der Kopf, vom jrf>Ulenen Hoili^enschoin umrahmt, gehört zu den glücklichsten Im- provisationen Masolinos, die hier in Castiglione übrig' sind. Bei dem verblichenen Zustande kommt die Photograjihie zur Herstellunir ursprünglichen Kindrucks, wenn auch mit Abzug der Farbe sehr zu Statten 'i. Johannes wendet das lange sdimale Antlitz wie verklärt von Gottvertrauen nach oben, die helle Beleuchtung glättet alle Furchen, und die grade griechische Nase, die eng gestellten Augen, das schlichte in der Mitte gescheitelte Haar und der spitze VoUbart geben dem Ganzen eine Ähnlichkeit mit dem byzantinischen Ideal, die ihn edler erscheinen lAlst als Christus selbst und Gottvater droben am Gewölbe.

Jenseits des Fensters hat wol die Ungunst der Wandfläche dazu veranlalst, von der sonst beliebten Scene des Besuches der Jünger abzusehen, die Andrea Pisano an der Tür des Baptisteriums in Florenz so ergreifend geschildert hat, ohne Johannes selbst dabei zu zeigen. Wollen wir dem historischen Zusammenhang .Schritt für .Schritt folgen, so müssen wir aus dem Chörlein zurück in den llaupt- raum tretend die Seiten wand, die dort noch übrig bleibt, und das schmale .Stück neben dem Durchgangsbogen. dem Anfangsbilde des Cyklus gegeniihr-r, zusammen betrachten ; deim hier verteilt der Maler die einzehien MomcMite des letzten Aktes ohne Rücksicht auf ihre örtliche und zeitliche Folge nach Mafsgabe der Bildflächen, die noch ziu" Verfügung standen. Obgleich die 1 lauptwand, rechts vom Eingang, nicht durch ein Fei»tm* unterbrochen ist, wie drüben zur Linken, und somit ein einheitliches Gemälde zu schaffen erlaubte, werden hier noch zvnü sdbständigc Scenen, wie Wochenstube und Namengebung dort, herausgegriffen und nebendnander zur Dar- stellung gebracht: das Gastmal des Herodes mit Salome und die Darbringung des Hauptes an Herodias. IMe Hauptsache dagegen, die eigentlich mitten hineingebort, wird an den schmalen Wand- streifen zur Seite des Gastmals verlegt: die Enthauptung selbst, die sich nun dem Eintretenden sofort zur Rechten des AUerheiiigsten darstellt.

Künstlerisch gehört dieses Martyrium, wie Masolino es vor- führt, vielmehr in eine Kategorie mit der Einkerkerung; denn wie

Vgl dk GesamlanfiMlime Tat. 50 bd Sut Ambro^ vad dei Joliaiiiwt.

Enthauptung

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dort drinnen ist auch hier der Scherge die Hauptperson Ar den Maler und dor Moment, den er wählt, nicht die Handlung selbst, sondern die Situation darnach, oder richtiger «ne Genrefigur im NachsineL Während dort, in der Fensterschräge wenigstens, Jo- hannes noch zu seinem Rechte kommt, ist hier die Gestalt des Opfers oin j^äu/lich milsj^dürkios Nebending, in dem weder die Würde der hcilii^rn Person bewahrt wird, noch die Wahrheitsliebe da- mahgen Kunstgeschmackes ihr (Tcnüge findet. Johannes Hegt mit beiden Armen auf der Schwelle der Kerk('r{)f(>rte, deren schweres Eisengitter sich nur zum Tode wieder gc^offnet hat. Der Streich ist gefallen, das Haupt wird aber, noch am Runipte hangend, zwischen den Armen gdialten ; nur ean Blutstral entspringt dem getroffenen Gcnik und bildet eine Lache vor der TOr. Die gänzliche Unf^gkeit Maso- linoB einen MenschenkOrpcr in starker Verkflrzung zeichnerisch zu bewältigen, muis bei dieser Schaustellung um so peinlicher auf- feilen

Zar Seite vor der hellen Mauer steht der Kriegsknecht, der den Befehl vollstreckt hat, in voller Rflstung und streift von der Spitze des langen Schwertes, das vom Rückschlag noch über den Nacken hängt, das Blut ab. Diese Oberraschende Stellung des strammen Burschen festzuhalten und dem Eintretenden unerwartet in möglichster Leibhaftigkeit vor Augen zu st^en, das ist das Ab- sehen des Malm, und diesem Bravourstück hat er die andern Rück- sichten geopfert. Die Wiedergabc der Haltung ist auch trefflich genug gelungen, allerdings auf Kosten wirklich überzeugender Bewegung und ihres weiteren Zusammenhangs. Wie der Türschliefser dort ist der : Schwertfeger hier eine völlig plastische Erscheinung nach dem Herzen dieser Zeit, gemalt ohne dabei in die harte Kr)rpcr- konstruktion eines Paolo Uccello zu verfallen, die der äufsersten Rundung der Formen zuliebe so leicht die malerischen Reize ver- niclitct und den perspektivischen Kunststücken eingelegter Holzarbeit zu ähnlich wird. Mit erhobener Rechten, in deren Faust das lange Schwert, der eigenen Schwere folgend, über den Rücken hängt, dodi so dass die Linke das letzte Ende noch errachen kann, steht der junge Krieger leicht ausschreitend da und blickt zugleich auf- merksam auf die hdkle Manipulation der blolsen Hand an der sdiarfen Schneide Mn, dte bis auf die letzte Spur gerdnigt werden soll, damit ae nicht Idde. Die Malerei selbst hat natüiUdi zu viel gelitten, um ein vollständiges Urteil zu gestatten, besonders da die Rüstung mit ihrem Metallglanz nur unter Zuhilfenahme eines komplicierten

') Vgl. unsere jihot. Attfiudiae. Schmarsow, Masaccio.

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Enthauptung

Verfahrens auch al sccco horgcstcllt worden ist. Dodi erkennt man gerade in dem jetzigen Zustand, dass sich der Maler auch in der

Ausführung noch s4"on.-uioro Rochenschaft über den jujjfondlichon K<)rpor jTogcben hat, als man sniist bei ihm erwartet, und kommt in j^onauerer Betrachtung- auf tlen (ledanken, er liabe die (Testali /.uerst im l'mrifs nach dem unbekleideten Modell auf die Wand j^^ebracht, dann erst die Rüstung hiti/u!u,^etan. IVotzdeni <i(ler deswegen ist die Rundung mangelhaft, der Kindruck zu Ilächenhaft geworden oder der Silhouette zu ähnlich geblieben.

Etwa.s allzu nahe rückt dem ausgreifenden Henker auch die Mauer auf den Leib, die links oben durch ein trefflich gemaltes (iitter- fenster darchbrochen, mit ^em gezackten Strafen ans vortretenden Backsteinen unter dem Sims» wie noch heute das Haus mit Schwib- bogen am Burgwege, der zur Kirche führt, und mit Zinnenkranz gesdmiflckt ist Hinter diesem niedrigen GefiUignis sieht man weiter- hin den hohen Turm des Palastes aufragen, und die feine Beleuch- tung, mit wirksamen Schattenkontrasten dazu, erhöht den Eindruck der freien Umdichtung dieser Bildflächc, die freilich mit der Nischen- architekhir des grofsen Spitzbogens darin nicht glücklich zusammen- stöfst

Das grofse Wandgemälde, das den Schlu.ss des Cyklus enthält, ist durch die Abbildung bei Crowc und Cavalcaselle bekannt, wie durch Brogis Photographie ') ; aber die erstere enthält eine Ungenauig- keit in der perspektivischen Konstruktion der Bühne, die dem Original

einen anderen Fehler unterschiebt, als den es wirklich hat. und dann das ungünstige Urteil über den Charakter der Architektur und das V'erhältnis der Figuren zu dirsen Baulichkeiten mitbestinuiu.

Wir l)li(^ken in einen .Schlofshof, dessen I 'nit.tssungsmauern an der Innenseite rechts und im (irunde von Sauleti'^ ,iiig(Mi umzogen sind. Deren Rundbogen ruhen auf bescheidenen .Säulen toskanischer Früb- renaissance ; ül)er ihren Klostergcwölben, die an der Wand auf Kon- solen sitzen, legt sich an den Zmnenkranz der Mauern ein Pultdach, das aber den Arkaden vom von einer Brustwehr mit kleineren Blend- arkadcn zwisdien den Simsen verdeckt wird. Nur ganz rechts erhebt iadi auf einer Terrasse noch eine Loggia, deren sdüanke Säuldien mit Backsteinarkaden unter sdMiichter Obermauer verbunden sind. Dieser Teil reiht sich so dem Tempel mit der Verkündigung an Zacharias und der Ia>ggia mit der Gefangennahme des Johannes als verwandte Erscheinung an. Links dagegen springt, aus dem Hauptzug

') Brogi No. 63 12, in drei Teilen No. 6313 15; eine Gesam Umsicht auch bei Snnt Ambrogio Taf. 49.

Gastmal des Merodes

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des Palastes etwa, ein zwmgeschossiger Vorbau heraus; unten Ofihet sich gfegen den lief eine Ecklaube, deren drei sichtbare Säulen die beiden offenen Vorderseiten des quadratischen Grundrisses bcgrän;;en, während die beiden inncrn Seiten mit \V)llmauern geschlossen sind. Wie die vortretende .Stirnseite der Wandelbahn rechts, so bietet sich auch hier die offene Suulenstellun^ von vorn i^osehcn, mit ihrem j^cradon (iob^llk, das aus Architrav und rdch^'^ej^hedertom Sims besteht, und lalst uns die flache Derko <h<>sos hifii^n^n deni.iches ülierbhckcMi. Darüber erhebt sich wie driiben ein Paraju t. hier aber wie Säulen und (icbälk aus y^raueni Sandslein geineilselt und mit einem Reii»-en guirlandentragender Kinder geschmückt, wie der Fries am llaupt- portal der Kirche Corpus Domini. Auf diese geschlossene Balustrade, die sonach die Stelle eines Frieses bekommt, setzt als Obergcschoss des Pavillons eine zweite Loggia mit eigener Brustwehr auf. Sie ist allem Anscheine nach aus Holz gezimmert. Dem Abstand der gemeisselten Putten entsprechend tritt über jedem dieser Kranzträger das Postament eines Pfeilers heraus, um das sich das feine Gresims der Brüstung verkröpft, im Einklang mit dem Profil der Kämpfer unter den kleinen Rund1)ögen und mit dem bescheidenen Dachrand darüber. Wie in der Pergola rechts war auch hier ursprünglich die getäfelte I lolzdeckc zu sehen, ist aber hier wie dort bei früherer Ausbesserung mit dunkler Farbe übertüncht, \^)n den fünf schmalen Arkaden der Vorderseite eni/ieht uns der Rundbogen, der das Gemälde einfa.sst, ein Stück wie auch drü!)en. /wis( hi'n beiden Baulichkeiten hindurcii blicken wir iib(^r die IJmfassiuigsmauer d<^s I'alaslhdfes aut das (iebüsch des Gartens o<ler I.ustwäldchens und drüber hinaus in die kahl ansteigenden Berge, wo auf einer Halde in kleinen Figuren die Bestattung des Johannes durch seine Jünger gezeigt wird: DlSaPVU SEPEUERVNT lOVANEM BAPTISTAM, wie die ergänzte Unterschrift lautet. Nur fehlt es für solche Femsicht dem Gemälde allzusehr an Luft und Abtönung gegen die Tiefe zu, um die Intention des KOnstlers in rechte Wirkung zu setzen.

Vom unter der Edelaube des Palastes sitzt Herodes mit seinen Gästen beim Male. Auf einem hölzernen Podium stehen schmale Bänke vor den teppichbehängten Wänden und der gedeckte Tisch mit sauberem Leintuch. ]Jnks an der Spitze der Tafel atzt der Vierftirst selber, in dem nämlichen KostOm und den selben Porträt- zQgen wie vorher beim Vorwurf des Bufspredigers. Er hebt die rechte Hahd leicht über den Tisch, wie in peinlicher Ueberraschung, mit dem selben bittcrsüfsen Zug um den kleinlichen Mund, wie dort vor dem Mahnwort des Gottesmannes. Neben ihm an der Lang.

Seite des Tisches sitzt, alsj ausgezeichnetster Gast oder würdigster

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Gastmal des Hekooes

Ratgeber gedacht, ein geistlicher Herr in silberwcissem liaar. Seine Tracht ist die eines römischen Kardinals mit dem purpurnen Ueber- wurf und der polzgefiltterten Cappa, die heruntergelassen mit weichen Falten des weissen HermeUn den Hab umrahmt Dieses Amtskleid und das Alter der dargestellten Person lassen keinen Zweifel, dals luer ein Bildnis des Branda Casdglione gegeben sei, und zwar in seinem Alter von 85 Jahren. Aber auch dieser Kopf ist etwas durch den Versuch entstellt, der Scene enstprechend, einen mis- billigenden Ausdruck, vielleicht des bedenklichsten Widerwillens darin auszuprfigcn. Sd erklärt sich auch die Wendung des Kopfes, der rechtshin hörend sich nach der andern Seite abkehrt, so die Erhebung der Hand vom Tische, mit der selben unwillkürlichen ( iebärde halb entsetzten Erstaunens wie bei Ilerodos, während die Linke noch beim Male beschäftigt ruht. Sein Nachbar lässt beide Arm(> sinken, dass die I-äuste mit dem Messer in der einen, dem Becher in der andern, gewifs nicht geräuschlos auf den Tisch fallen, und blickt vor- wurfsvoll oder lief bekümmert nach der nämlichen Seite, von der das schlimme Wort gekommen. Unverkennbar ist auch hier die Porträtdarstcllung, die durch ein fremdartiges Aeufsere noch mehr auffällt als der Kardinal und der Herzog, die wenigstens nach Italien gehören. Während alle Uebrigen entblOssten Hauptes an der Taföl des Forsten sitzen, bleibt er gleich diesem selber bedeckt, und zwar mit einer hohen Bärenmütze, die audi am südlichen Fuls der Alpen kaum Ihresgleidien &nd. Hals und Sdiultem bedeckt ein zugehöriger Pelzkragen. Aus dem geschlitzten Ueberwurf kommen enganliegende seidene Acrmel hervor, während der schwere Stoff des Rockes unter dem Tisch bis auf die Fufsspitzen reicht. Es ist die Tracht eines ungarischen Mag^naten jener Zeit, die der Maler konterfeit, - ohne Zweifel sein Träger Pippo S|iano selber, der (iönner des Meisters Masolino und Freund des Kardinallegaten in I'ngarn am Hofe König Sigismunds. Die Beschreibung seines Aeulsorn, die uns erhalten, stimmt in allen Zügen wol mit diesem Bild überein, das Masolino aus Stulweifsenburg mitgebracht haben muss, als er dort die Kapelle des Obergespans von Temcsvar und Grafen von ( )/(>ra zu malen hatte, »Dicesi, heisst es im Leben des Filippo Scolari, lui csscre stato di mediocrc forma, d*occhi neri, di pelo bianco, di faccia allegra e quasi simile a uno die ride, di corpo magro, di buona valetudine . . . Usö barba lunga e' capelli instno in sulle spallc lunghi secondo il costume di quella gente; Ic vesti insino in terra lungh» e sempre di seta. « Hier erscheint er allerdings in hohem Alter, mit verwetter* ten Zagen, die durch gichtische Schmerzen, an denen er jahrelang eiden mulste, das Lächeln der Jugend, das man in Florenz erinnerte,

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Salome 69

verlernt, aber immer noch gutmütig, ein Charaktorkopf, dem die Herzenswarmc aus diMi Augen leiu litet, so heldenhaft und würde- voll zugleich seine ganze Erscheinung wirkt. ITntl ist es nicht das selbe ledcal, das dem Maler hier noch bewulst oder unbewulst bei seinem Johannes und seinem Gottvatter vorschwebt?— Jedenfalls versetzt uns der Anblick des jungen Herrn zur Seite des Hospodars in die selbe Umgebung. Seine durchsichtige Hautfabe mit rosigen Wangen dazu, seine blonden in die Stime gekämmten Lodcen, sein rötlicher Schnurbart vollends können nur einem Prinzen jener Ost- lidien Reiche gehören. Er blickt als Höfling erwartungsvoll nach dem Fürsten an der Spitze des Tisches, wie einer Antwort aus dem Munde des Monarchen gewärtig.*)

Draufsen vor der Loggia, zwischen den Säulen zunächst« er- scheint die junge Tochter der Hcrodias, in langem schleppendem Gewände, als Bitterin ; denn sie senkt fast demütig die Augenlider und kreuzt die Arme über die Brust, als erwarte sie in wientalischer UntcrwQrfigkcit die Antwort. Der verführcrisdie Tanz mit dem sie das Gelage verherrlicht und die Sinne des Fürsten betOrt hatte, muss also vorüber sein. Die Bitte aber, deren Erfallung ihr als Lohn versprochen war, lautet nun ganz anders als diese sanftmütige Maid vermuten läfst. Das grause Verlangen, das die Muit i r ihr aufgetragen, ist den Lippen entflohn. Daher der Ausdruck des Mifsbehagens, des Widerwillens, des Vorwurfs und der Spannung in allen Gesichtern der 'rafelrinide ; d.iher die schw üle Stimmung bei den Begleitern, die der Tan/erin gefolgt sind. Ilinlrr ilir .stt ht ein junger Page mit hell- blondem ] .ockenhaar, der die schmausenden Herrschaften bediente, und blickt mit etwas schläfrigen Augen doch fragend genug auf die Würdenträger des Hofes. X'erlegen wartet der Jüngling, verstimmt blickt der Zweite zu liodcn, in reicherem Kostüm mit kurz gehaltenem Bart über Lippen und Kinn, nicht unähnlich dem Oberiteferten Bild- nis des Malers Masolino^ ganz vom runzdt der Adteste die Stirn und presst die glattrasierten Lippen mit kritisdier Bedenklidik^t aufeinander, nicht ohne Sarkasmus über die Päuse der Verlegenheit Sogar die Warzen auf seiner Wange sind nicht vertuscht, ein meisterhaftes Porträt im Sinne des Quattrocento, das an dieser be- vorzugten Stelle wol nur einem CastigHonc gewidmet sein kann. Die Farbe des pelz verbrämten Rockes mit dem weiten runden Aermel, aus dessen kleiner Oeffnung die Hand hervorkommt, ist völlig ver-

') Ur-pninj^lidi war in ilcr \V.in<i iilter ilir-ciu Polcnkopf eine Ocffnunp prmalt, die dann durch Erhöhung des Tcpj>ichb verdeckt und durch Abblättern der i'aibe wieder sichtbar gevordm ist.

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Herodias

schwundcn; aber die Hand stützt sich auf einen kurzen Stab, der aufs Knie des ausschreitenden Beines gestellt, sicher die Würde des Majordomus bezeichnet, die er im Palast des Herodes übernehmen

muss, um hier aufzutreten. Aber die Sicherheit dieses Dastehens charakterisiert ebenso das v^cschlossene Wesen der Persönlichkeit, wir die höchste VoUendimg der Kunst, die dem Meister erreichbar blieb.

Die Person der Salome verbindet diese Scene links mit der anderen gegenüber. Ihre Erscheinung bestätigt wieder, wenn irgend eine, den Zusammenhang- dieses Cyklus im Bapti.sterium mit den Dcckc^nbildorii im ("hör der Cullegiata, dh, die Tatsache, dals niemand anders als Masfilinus d'^ l'T<» r c n t i a, der da/wischen in Ungarn gewesen, sie beide gemalt hat. Seine Tochter der Jlerodias entspricht nämlich gerade in ihrer demütigen (lebärde und ihrem sanftmütigen Antlitz dem Bilde der Maria in der \"<^rkündigung und d^r Krönung am Chorgewolbc, an dem der Name steht, und ili«' Fort-'schnlie der Durch- führung im Einzelnen zeugen nur für furtgesetzte üebung der nämlichen Kraft in einem Jahrzehnt, das dazwischen liegt. Bei allem Zuwachs in der Wiedergabe der farbigen Aufsenseite sind doch die altep Fehler noch kenntlich, die dem Vierzigjährigen schon 1425 anhaf- teten und begreiflicher Weise unverbesserlich blieben. Die Länge des aufrechten Leibes, die an sitzenden und knicenden Figuren im Kirchen- chor gerügt werden mufste, entstellt auch hier die letzte CKruppe, wo Salome niederkniet, um der troncnden Mutter das Haupt des Johan- nes zu überreichen. rriumjAierend hat sich die junge Tänzerin einen Kranz von vollen Rosen aufgesetzt, wo sie unter der Ilofhalle rechts bei Herodias erscheint. Die k<)nigliche l-'rau sitzt auf erhöhtem Stul unter der vordersten Arkade, umgeben von zwei mädchtnihaftcn Dienerinnen oder ( iespielinnen des Tochterleins, und emptanjrt auf ihren Knieen die silberne Schale mit der blutigen (iabe. Sie beugt den Ivopf, den die turbanartige Haube mit der Krone darauf be- schwert, der Last des hochgctürnitni W ulstes gehorchend vornüber, wie ein Pfau, und der lange Hals, bis in den Nacken entblöfst durch den Ausschnitt des prachtvollen Brokatklddes^ das die Brust um- schliefst, sieht fast aus wie gebrochen. Beide Gestalten, die sitzende wie die knieende aind vid zu gestreckt, und die beiden Mägde neben ihnen erscheinen wie zierliche Blumenelfen, denen zum Engelsantlitz nur die Flügel fielen. Sie ßdiren entsetzt zur Seite bei dem grausen Anblik des abgeschlagenen Kopfes, und werfen die Arme in die Luft, während in den ähnlichen Zügen der Salome nicht das leiseste Zeichen des Schauders auftaucht und Herodias selbst keine Miene verzieht, indem ihr Auge die todesbleiche Stirn und die verstummten Lippen des Mahners betrachtet, vor deren Vorwurf sie einst erbleicht war-

Architektur

7'

In sich ungleichmufsig und ungcuügund \ e rarbeitet, setzt sich die Scene nur aus oberflächlicher Wiederholung fertiger licstantlteile zusammen, die der idealere Vergangenheit des Malers ebenso angehören wie seiner letzten realistischen Entwicklung. Die geläufigen Figuren der Engrel und Jungfrauen neben den neusten Errungenschaften in getreuer Inaitation der Modetracht beweisen durchweg den Zusammenhang, der nur durch die Identität der Person jenes Masolino und seinen besondem Lebensweg befriedigende Erklärung findet. Die ganze Gruppe ist aber, mit den Ortifsenverhültnisscn der ! lauptgostalten im Widerspruch, in die erste Säulenarkade der Wandelbahn hinein gesetzt, wie in einen eigenen Bildruhtnen, unbekümmert um die Zugehr»rig- keit der übri^'^en Architektur, die denn doch mit prrs])ektivischcr Konstruktion durch^-eführt, gradr an dieser Seit*- sirii schnell nach hinten zu \ erjün)^ft. und mit ihrer /.us.inimensch windcndiMi Suulenn ihe, mit der win/iyfcn Arkad<Mifro!it am Eudi' des Hofes allzu fühlbar gegen die grolsen Portrattiguren des Vordergrundes protestiert.

IV.

W ie Crowe und Cavakasdlc über dieses Mifsverhaltnis zwischen den dargestellten Personen und dem umgebenden Schauplatz geur- teilt haV)en. so spricht sich auch ncu(Tdini;s Cornel von Fabriczy gelci4< iiilich libcr dies Ictzli' W'aiKiyeiiiäldc aus: de>sen architek- tDiiiM hc Staffaj^'c uol den i'ntNchicdcncn Willen zu perspektivischer Belebniij^-, aber au( h di(.> Unfahii,'-keit kundsj;iel)t, d.iniit über das von der Schule (liottos erreichte Niveau hinauszukoiumen '), während andrerseits Diego Saut Ambrogio, in Anerkennung dieser architek- tonischen Abbildungen, MasoHno auch f&r den leitenden Architekten der Renaissancebauten in Castiglione anzusehen geneigt ist % Ich vermag keinem dieser Urteile beizutreten. Cavalcasdles Anseht ist schon, wie gesagt, von A. v. 2^hn mit Recht beanstandet worden, txiSt aber, in der Modifikation durch Nachprüfung des Originals oder der Photographie statt des Holzschnittes, noch immer die Sache am besten. Die Architckturperspektive, f&r sich betrachtet, ist auch im Jahre 1435 noch eine höchst anerkennenswerte Leistung, ebenso wie die Säulenhalle im Hause des Zacharias drüben, in der die Namen- gebung statthndet. Heide gehen weit über das Köiuien der letzten Ausläufer des Trecento hinaus und würden einem Paolo Uccello Ehre machen, äie können von Alasolinu, wenn man die ersten An-

■) Filippo Bruncllc^,cbi, Stuttgart 189a. S. 5a

*) Text xn Cisügtione Olona, Mailand 1893. S. 3s f.

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Architektur

laufe zu architektonischer Staffage an den Gewölbefeldem der Colle- giata von 1425 'vergleicht» nur auf Grund erneuter eifriger Studien in Flcwcnz, während der Zwischenzeit zwischen seiner Rflckkehr aus

Ungarn und seinem Wiederauftreten in Castiglione d'Olona zu Stande gebracht sein, wie auch der Stil der darjjfcstellten Architek- turen beweist. Der wunde Punkt ist das Verhältnis der hinein- gesetzten Personen, die unpfonüpcndo Verarbeitung' beider Faktoren zu einer einheitlichen tiesamtanschauung. der Mangel an ausge- glichener Bildwirkung, an dem auf der andern Seite auch die un- gleichmässige Behandlung der (Tcst.dten unter sich schuld ist. Wäre diese Schwache Masoliiios nicht auch im I'igürlichen allein zu beob- achten, so würden wir zu der \'crmutung gedrängt, dass alle diese perspektivischen Darstellungen von Renaissancearchitektur nicht Masolinos eigene Errungenschaft wären, sondern Bdträge eines im Stil Brunelleschis und seiner Mitstrebenden genau bewanderten Genossen, womöglich eines Baumeist^s selbst, dessen Aufrisse er nur al fresco ausgeflOhrt hätte. Dann wOrden sich Ungenauigkeiten und Missgriffe, würden sich die Innern Widersprüche . des Raum- geftahls erklären, die zwischen Figurenkomposition und Bühnenkon- struktion vorhanden sind. Damit kämen wir zur Umkehrung der Idee Sant Ambrogios, indem wir nicht dem Maler Masolino Anteil an den Bauten von Castiglione, sondern dem Renaissance- Baumeister des Kardinals Hranda den perspektivischen Anteil an der Architekturmalerci in den hreskfjn von Castiglione beimäfsen.

Wir hätten also von diesem Architekten ungefähr das selbe zu sagen, was man von der Tk-ihülfe Bramantes in Rafaels Schule von Athen behauptet hat, und haben in der Frühzeit des Quattrocento, wo weder die Formen des Renaissancestiles noch die pcrsi^ektivischc Zeichnung von Bauwerk im Aufriss so sehr Gemeingut waren, wie beim Beginn der Hochrenaissance, gewifs mehr Anrecht zu einer derartigen Unterscheidung. Aber das Beweismaterial, das zu weiterer Begründung und Nachprüfung solcher Ansicht notwendig wäre, ist zu lückenhaft auf uns gekommen. Die Uebereinstimmung des Frieses mit guirlandentragenden Putten am gemalten Palast des Herodes und an der gleichzeitig erbauten Kirche Corpus Domini reicht nicht aus; aber das reizende Skulpturwerk des Portales wird vom Maler nur skizzenhaft gegeben, in seinem plastischen Wert nicht erfasst und ausgeftihrt Sein Bild kann sogar entstanden sein, bevor das Portal der Kirche gemeifselt ward; dann aber hatte er wol sicher einen Architekturprospekt des befreundeten Baumeisters oder Bildners als Vorlage für sein Fresko in Händen. Als wichtigstes Mittelglied fehlt uns die Palastarchitektur im Stil der FrUbrenaissance, die z. B. an

Architektur

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der Wuhnung des Kardinals entwickelt war. Die Falsade hat noch die spitzbogigen Terrakottafenster des Uebergangs, gegen den Platz zo war im ersten Stock eine offene Laube mit kurzen Pfeilern und Säulen unter gradem Gebälk vorhanden, die jetzi ^ .schlössen ist; aber die poetische Bescbreibung des Plantanida redet von einer »spicula alta« mit gemalten Heldengestalten, und geht aus in »aurata atria longa per hortos« und ähnliche Vermittelungen zmschen der festen Wohnung und den Lustgärten, ja dem Hain, der freien Natur. Wie weit war also in Castiglione selbst auch dem Maler ein Vorbild gegeben, oder wie weit müssen wir den Anreiz zu solchen Prospekten in den Schöpfungen anderer Künstler suchen, die er bei seiner Rück- kdu* in Florenz vorfand ? etwa jenes Bild mit der Verkündigung in einer Säulenhalle, das \'asan dem Masaccio zuschreibt in S. Niccolo ollr' Arno, oder eine Kajiclle in S. M. Magi^iore, die Paolo Uccollf» per- spektivisch umgcdiclitet hatte, dem auch ein 'leil des Altarwerks, das Afasaccio sonst geliefert, gehören sollte '), beides verlorene Stücke aus der fortschreitenden Kntwicklung dieser '/.v'\t

Also lassen wir solche These vorläufig dahingestellt und fragen das Vorhandene im Haptisterium zu ("astiglion<>, was es uns lehren kann. Schon der 1 urni hinter dem Kerker ni der Enthauptung dc-s Täufers ist ein erstaunlicher Anblick bei einem Maler, an dessen Raumgefühl zu /weifein wir sonst alle Ursache haben. Mit der nachlässigen Routine, die hier bei Verwendung aller gewohnten Re- quisiten religiöser Wandmalerei bemerkt wird, während die Gcnre- rootive und die Porträtfiguren mit entschiedenem Realismus behan- delt sind, hängt ein andres Verhalten des Künstlers zusammen, das sonst ein unerklärter Widerspruch bliebe. Das ist die Sorglosigkdt gegenüber dem Aufbau des gegebenen Innenraumes, den er mit einem Cyklus von Wandmalereien zu schmücken hat Masolino zieht lustig fbrtorzählend seine Gesdiichten ringsum auf den vorhandenen Flächen hin, ohne sich um die einheitliche Gliederung seiner Innen- ddcoration und die klar gesonderte Einrahmung dtf einzelnen Bilder irgendwie zu kümmern. Eine Fensteröffnung veranlasst ihn aller- dings das "Wandfeld zu teilen; aber er scheut keinen Augenblick davor zurück, die Reihe der Personen um die I'\^nsterschrage herum fortzusetzen. Er trennt die oberen Scenen einer Wandtlache nicht durch ein gemaltes desims, wie alle ernsten Meister des Ouattro- cento, oder wenigstens durch flache ( )rnamentstreifen wie die \'er- tretcr der Trecentokunst. Wie so häutig in den Anlangen einer

*) Vgl. Vasui Opere II, im Loben des Masaodo uod Paolo Uocello, sowie Fr. Albertiai Memorie.

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Raumgefühl

auf Wahrheit t r])ichteii Neubclebung, verwechselt er sie mit der Wirklichkeit des Alltags und wähnt, die Natur <1( r Dinge um so unmittelbarer zu fiissen, je rej^elloser er dio orliasciilen Bruchstücke wieder auftischt. Und gerade dieser, architektonisch so dürftig" ^c- gliedi rte Iiincnraum des Baptistcriums in Castiglione forderte die llülte einer gemalten iVrehitektur fühlbar genug heraus. xVber Ma- sulino ist gegen derartige Wahrnehmung offenbar ebenso stumpf wie Fra i'ilippo im C hor des Domes zu Prato. Johannes als Knabe in der Wüste, seine Predigt und sein Hinweis auf Christus gehen alle auf einem und demselben felsigen Grunde didi, wie zwischen den zufälligen Vorsprüngen eines Stdnbrucfaes. Und die Taufe im Jordan geschieht ebenso über der Loggia des Herodes, als ob der Strom sich ohne Gefahr f(kr das angränzende, an sich schon haltlose Bauwerk herunter orgOfso von dem schrägansteigenden Hochplateau, welches seinerseits die Tiefenanschauung des Malers auf einem so unentwickdten Standpunkt zeigte, dass wir die Architcktur- prospekte hüben und drüben in der nämlichen Kapelle ohne fremde Hülfe kaum begreiflich fänden.

In dem letzten grossen Wandgemälde mit der Rache der He- rodias stiefsen wir bei aller Anerkennung für die Vorzüge doch auf die selbe Schwäche des Raumgefühls. Die Konstruktion des dar- gestellten Schauplatzes ist einheitlich aus einem Augenpunkt ent- worfen, wenn auch nicht überall genau ohne Verschiebung während des Malens bewahrt. Das ( entrum liegt nicht ungeschickt für den Prospekt allein in ein Drittel der (iesamthr>he des Mittellotes, in dem ersten Kapitell der (|uerlaufenden Arkaden, das hinter dem Hut des vordersten Zuschauers herv(jrsieht. Da dieser Prospekt aber die volle Hohe der zweigeschofsigen Baulichkeiten und die ganze Länge des Palasthofes in der Mittelaxe zu umfassen trachtet, ent- steht aus der regelrechten Konstruktion eine Bühne, die fUr Figuren von zweidrittel Lebensgrofse im Vordergrund zu empfindlichen Wider- sprüchen führen mufs, sowol mit den schnell zusammenfliehenden Horizontallinien wie mit den vertikalen Hohenmalsen in der Archi- tektur. Dieser Kontrast des Figrürlichen mit dem Architektonischen wird besonders anstöfng aufgedeckt, da zwei Gruppen links und rechts in die Gebäude gebracht worden, deren eme jedoch ihre Statistenreihe bis an die Mitte des vorderen Planes hineinstreckt, so dass das volle Normalmafs der Gestalten unmittelbar mit der stärksten Verjüngung der Architektur zusammentrifft, ohne dass die Luftix'rspektive den räumlichen Abstand zwischen vom und hinten mildernd ausfüllt. Je lebeiidiuer diese Zuschauer hinter Salome sich geltend machen, je überzeugender ihre bildnismäfsige Wirklichkeit

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Raumgefühl

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errdcht ist, desto empfindlicher klafft die Lflcke daneben, fällt die andere Gruppe, in niedriger Arkade eingeschlossen, aus dem Zu- sammenhang der Raumanschauung heraus« So fühlt der Beschauer die Ancinanderschiebung zweier Bilder, deren mittlere Gränzsch«de nur willkürlich unterdrückt oder misvcrstätidlich abhanden gekommen, scheint, und dieser Zwittereindruck behält die Oberhand, so oft das Aug-c von Ein/(4darst< Hungen solcher Art r^ni,^sllm /u dem Schlufs- bildc zurückkehrt, in dem sich Masolino zu einer höchsten Leistung zusammen fasst.

Neben solchen Auftritten in mehr odi^r weniger geschlossenem Innenraum nehmen sich diejenigen in laiuisch.ittlicher Freih<Mt schon im \'erhältnis der Figuren abweichend aus, und noch starker ist der Gegensatz bei den Einzelfiguren, bei denen die Umgebung nur teil- weise mitgegeben ist oder ziemlich neutral der Gestalt nur als Folie dient, wie beim TOrschlieiser und Schwertfeger. Vergleicht man diese plastisch selbständigen Grenrefiguren am Ende des Cyklus mit der Anfongsscene der Verkündigung an Zacharias im Tempel, die der Enthauptung grade gegenübersteht, so muls der ganze Abstand klar werden, der sich mit allmählicher Abstumpfung gegen die ge- gebene Raumgrö(se und fühlbarem Zuwachs an Freiheit des Malers herausstellt. Dazwischen fällt überall das Schwanken zwischen diesen beiden Polon ins Auge und giebt auch eine Erklärung für die Haupt- schwäche des Salomebildcs. das uns bei einem Vergleich der beiden Breitbilder der Cappella Brancacci. der Heilung des Lahmen mit der Erweckung Tabithas auf der einm und der Geschichte vom Stater auf der andern Seite noch einmal beschäftigen wird.

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Masouno

oo erweist sich MasoUno in der Taufks4>ellc zu Ciiätiglione d'Olona vom Jahre i-j.vs, wo or mittlerweile sein fünfzigstes Lebens- jahr überschrillrn hat, doch als einen Mi'istcr des I'ber)^»-anLjs. in dessen Kuiistweise die Kiemente des Neuen, ilie er sich in wieder- h<iltcn Anlaufen zu erwerben strebt, mit den verschw immenden Kesten des l^rb^ules nicht zu voller Ausgh^ichung i^i^kf »nunen, ge- sdiweigi» denn ganz fertig geworden sind. Die raannichtalligen An- regungen, die ihn ergreifen und bestimmen, vermag er nicht zu haltbarer Abklflrung za bringen. Auch ihn dOrstet nach Wahrheit, er beraiucht sich an dem Most des neuen Jahrhunderts; aber er filUt den jungen Wein auf den schal gewordenen alten, ftkllt sogar mit rtlhrendem Eifer von Jahr zu Jahr den Ertrag seiner kleinen Kelter nach und bringt so den Vorrat immer wieder in Gärung. Sein ganzes Benehmen in dem Rahmenwerk des Chorgewölbes be- kundet ja schon 1425, dass der architektonische Sinn ihm eigentlich fehlt, obgleich er in architektonischer Staffage dilettiert. So bewährt er auch in der Taufkapelle zehn Jahre später nirgends eine einheit- liche Raumvorstellung innerhalb eines gegebenen oder fest gewählten Mafsltabes und macht bei dem Uberblick üljer den ganzen Cyklus den Eindruck des ITnordentlicheii, ZerfahnMien, Unklaren wie l^Va Filij)])!), der in dieser Beziehung mehr V^erwandtschaft mit Masolino besitzt als mit irgend einem and<Tn seitier Vorgänger und Zeit- genossen. Indefsen fehlt Masolino aufser dem Rückgrat der Raum- kunst auch sonst Folgerichtigkeit des Denkens und Gleichmäfsigkeit der Verarbeitung. Der Aufbau seiner Gruppen entb^irt des gesetz* mäfsigen Gefügcs, die Ausbreitung seiner Bilder des organischen Zusammenhangs. Wie die Scenen werden auch die Figuren bdiebig aneinandergereiht, besonders da, wo die Lust am Bildnis bestimmter Personen aus seiner Umgebung den überkommenen Büderscliatz Qbcrwuchert. Pie Wirklichkeit des Lebens zu erhaschen greift er seiner leichten, aber oberflächlidien Begabung gemäfs, nach auf- fallenden Einzelheiton statt an den Kern des Wesens. Mit solcher Hingabe an den Augenschein verliert er aber den Halt, den die Schulung am Ende des Trecento überhaupt noch hinterlafsen, und besitzt doch nicht die Kraft und die Tiefe der Auffassung, um sich selber zu voller Ilerrscliaft durchzuringen, liier reiht er also Por- trättigurcn an die biblischen Typen, dort Gcnrcmotive an die hei-

Masouno

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ligcn Mysterien und verlotkt das Auge des Beschanors von der Andacht im kirchlichen Anschauungskroisc /u der pr<>fant n Wirk- lichkeitsfreude, die auch ihn verführte. st<)rt die Hrscheinunj^ der Gottheit selbst in ihrem Tempel durch burleske Aktfi^^uren, verliert die Hauptperson der Er/ahlung darüber aus dem Sinn und unterhält uns mit stämmigen Kriegsknechten statt mit dem Märtyrer. Gewifs folgt er als Kind seiner Zeit darin dem starker und stärker werden- den Strome, aber eben mit fortgerissen von dem schnellen Fort- schritt Anderer und deshalb nicht Herr dieser Fortschritte selber als eigner ErrungenschAften. So hinterlälst sein Freakenschmuck im Baptisterium von Castiglione, wie viel des Anziehenden, Ober- raschenden, Wertvollen im Einzelnen er auch enthalte, dodi keinen harmonischen Eindruck, weder eine künstlerisch mächtige Vorstellung der biblischen Geschichte oder der Persönlichkeiten seiner Tage, noch eine lebendige Empfindung von dem selbständ^en Wesen des Künstlers.

Gewifs träg^ auch der heutige Zustand der Malereien seinen Teil der Schuld an solchem Ergebnis. Indeb entgeht dem kritischen Betrachter keineswegs, dass an der gegenwartigen Entstellung nicht Örtliche Einflüsse und willkürliche Eingriffe im Lauf der Zoit ;dlein gearbeitet haben, sondern dass die Ursache wesentlich mit in der ursprünglichen Ungleichmäfsigkeit, im \'erfahren d(\s Malers Sf^lbst gesucht werden muls. Gmiauere Prüfung entdeckt einen solchen Wechsel zwischen flüchtiger Schnellfertigkeit und sorgsamer Einzelarbeit, dass diese technischen Metamorphosen den Urheber schon sehr bezeichnend charakterisieren, bevor noch die künstlerische Auffassung der vorgeschriebenen Gegenstande seiner Darstdlung im Sinne poetischer oder malerischer Fhantame mitzusprechen beginnt. Es and die Dinge, in denen man Nachweise der Schulung und Be- weise der Selbsterziehung zunächst zu suchen hat Oft kommt dem Forscher die jetzige Zerstörung der Oberfläche^ die Blolslegung der untern Schichten dabei zu Statten, indem sie Vorgänge zu verfolgen eriaubt, die von deckenden Farbhüllen dem Auge sonst entzogen werden.

Nach den besterhaltcncn Überresten heben Crowe und Caval- caselle hervor, dass ein lichter rosiger Ton durchweg überwogen haL »Die für K<">pfe bestimmten Stellen sind zuvor glatt poliert

gewesen, die Schatten mit finom dünnen grünlichen Grau aufge- tragen, mit tlüfsigen Lasuren übergangen und dann durch sorgfäl- tiges Auftupfen, wobei die Bewegimg der Bogenlinie angestrebt wird, mit den rosig gelben Lichtjiartieen verbunden. Für die höchsten Lichter sind pastose Retouchen zu Hilfe genommen. Das ganze

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Masouno

Vorfahren ähnelt der K<»lorierun]L,r von Miniaturen auf Pergament, wobei (li(^ I*"läche des Stoffes selbst für die belichteten Teile dient und die plastiseh(^ Wirkuni^ nur dadurch hervorgebracht ist, da.ss die transparenten Schatten durch den weilsen Untergrund Brillanz bekommen.«

Es ist also \ (^n keiner reinen l'Veskuiichnik die Rede Einige erhalten gebliebene grüne und rote Stücke sind offenbar in Wasser- farbe aufgetragen, wie z. B, der grüne Mantel des Propheten Jesajas erkennen lälst, in dem aus dem weifsen Grund die Lichter ausge- spart »nd und das GrrOn audi in den Sdiatten nur dOnn blabt; ähnlich sind an andern Figuren die gelben Stoffe behandelt und schillernde Gewebe -mit roten Schatten und grflnen Lichtem. Dieses Verfahren, das init dem Fra Angelicos genau fibereinstimmt und die grolse Zahl seiner Malereien erklart, in denen er darüber nicht hinausgeht, gewährt den Vorteil der Geschwindigkeit, läfst aber durch den ^^ang<'l wirksamer Farbenkontraste und raumschaffenden Helldunkels alle Sorgfalt der Zeichnung, alles Studium der Form nicht voll zur Geltung kommen. In dieser Gesamthaltung sehen die Reste der Deckenmalereien im Chor der ( 'ollcgi-tta durchaus denen des Baptisteriums gleich. Dagegen kommt in den (ieschichtcn des Täufers besonders ein anderes Bemühen hinzu, das unmittelliar neben den schnellfertigen Teilen emsigste Sorgfalt in der Durchführung von Einzelheiten zur Schau stellt. Gewifse für die Freskotechnik schwer oder garnicht verwertbare Farben sind durch dunkle (jrun- dierung vorbereitet, so das Gold der Heiligenscheine, der Purpur oder Scharlach fürstlicher Kleider, sogar das Grün der Pflanzen. Dadurch entsteht abermals Ähnlichkeit mit impastierten Teilen kost- barer Miniaturen. Dazu kommt dann noch die umständlichere Nach- ahmung mehrferbiger Gewebe, des Goldbrokates der Stickerei ober- italienischer Ricamatoren. wie im Anzug der Herodias, des Ober- gespans oder am Wandteppich, der in der Loggia beim Gastmal auf gelbem Grunde aufgesetzt ist Hier spielt der Wetteifer mit Gentile da Fabriano hinein, der auf seiner Anbetung der Kr.nige von 1423 in Florenz die Prachtgewändf r der morgenländischen Fürsten auf Goldgrund gemalt und mit Freilegung des Metallglanzes den erstaunlichen Schimmer erreicht hatte, den alle Kleinarbeiter als Ziel ihres Wcllcifcrs 1)encidelcn. .Solche Hravourstücke im Gold- schmiedrgcschmack kontrastitTcii dann selt.sam mit der nachlassigen Aufmalung al sccco, die nicht allein bei nachträglichen Zutaten vor- kommt, sondern z. \^. bei ganzen Gewändern oder bei Abgränzung und Auslchmückung der landschaftlichen Gründe. So treten auch die Deckfarben der Kleider, die schwerfällige AusstafBrung mit

Masouno 79

Futter und Pelzbesatz neben den zart behandelten Floischpariieen zu stark hervor und beeinträchtigen die fein ausgeführten Köpfe, ohne bei all ihrer Füllo grofsartij,»- zu erscheinen, fienui*-. das ver- schiedonartii^e technische Verfahren brinj^t schon an sich oft den Kindruck hervor, dass hier ein Ki>pf zu seinem Runiptc nicht stiiiuncn will, oder dass individuelle Persönlichkeiten mit aller Krdenschwerc neben luftigen leichten (iestalten wohnen, die wir als (iäste über- irdischer Re^nonen bcgrülsen oder nur unter sich als Erscheinungen poetischer Phantasie vertragen. Die Vereinigung so widerstrebender Bestandteile lässt weder den Glauben an das Märchen noch den an die Wirklichkeit aufkommen, und aller Fleife der Einzelnach- ahmung ist fikr die Wirkung des Ganzen umsonst und fällt heute vollends als Stückwerk wieder auseinander.

Und dürfen wir dem Maler bei seinen technischen Künsten auf die Finger sdien, so verraten diese wechselnden Manipulationen, durch die Stelle wo «e auftreten, dass der Meister bei seiner idealen Aufgabe selber nicht warm geworden, bis auf dnzdne Stücke. Deshalb stehen seine Zuhörer dem Gottesmann bei der ßufspredigt ziemhch teilnamlos gegenüber, und ^ie Wirkung des Proj »luvten wird nirgends überzeugend. Deshalb meidet Masf>lino die Wahl des ent- scheidenden Momentes, wo es galt die Handlung dramatisch zuzu- spitzen. Kein tragischer Widerspruch ori.'^reift uns in der ^^ahnung des Asketen vor dem sündigen I' ürstenpaar ; keine Leidenschaft stöfst den T'^^ncrschrockenen in die Nacht des Kerkers; kein Besuch der Jünger führt uns das Loos des Dulders eindringlicher zu (lemüte. Statt des Hau|)tniomentes wird der nächste daneben gegriffen und statt des Kreignifses oder der Tat die ruhige Situation oder ein Genremotiv der Gelegenheit gegeben. Es schneidet in das Innerste dieser Künstlerpersönlidikeit, wenn gesagt werden muls: er sucht den äuTseren Sinnenschein der Dinge, aber nicht ihr Wesen zu packen, er zeigt den Henker nidit im Zuschlagen oder auch nur im Ausholen, sondern nach geschehenem Hieb beim Putzen der Klinge. Welcher drastischen Wirkung wären in andrer Hand die beiden Scenen fähig gewesen, die das letzte Wandbild verdnigt: sei es der berückende Tanz der Schönen, sei es das Entsetzen über den grau- sigen Preis. Masolino schildert das Zuständliche mit Liebe, den mannichfaltigen Reflex. Das schüchterne Mägdlein bleibt hier das unschuldige Werkzeug der rachcdursti^^pn Muttor, das ahnungslos seine Bitte sagt; aber was geht in diesem Kopf unter dem Rosen- kranz vor, da sie das abgeschlagene Haupt in den Händen hält? Die erschrockenen Ehrenfräulehi erscheinen wie zimperliche Gäns-

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Masolino

chen neben der dämonischoti Gaukicrin, die mit l&chelnder Virtuosität den SchluXiseffekt ihrer Rolle zu halten wdis.

Weder In seelischer Hefe noch in dramatiacher Aktion jedoch dart die Begabung dieses Meisters gesucht word^, das merkt sich bald auch ohne solche Erwägung. Durchgehends fehlt der elektrisdie Strom, der aus dem lebenden Bild, das er zu stdUen vcrsudit, erst ein Bild des Lebens macht, das uns gefangen nimmt. Und trotzdem hat er in dem rosigen Schimmer des Tons, in der liebenswürdigen Hingabo an Dingo, dio sein Auijc ontzückon, selbst in der Obor- flärhlichkoit seinor Xatur manchen ertVeulichen Zug zu bieten, dass wir auf Augenblicke die innere lhih;ütbarkeit seines bunten (icwebes aus Wirklichkeitskonterfei und Legendendichtung vergessen.

Anders freilich mufs das Urteil ausfallen, wenn nach seiner histo- rischen Stellung im (lange der toskanischen Kunst gefragt wird. Dies Urteil kann sich erst im Vergleich mit seinen tonangebenden Zeit- genossen ergeben.

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^) DIE WANDGEMÄLDE IM CHOR DER KOLI-EGIATKIRCHE

Unser Urteil über Masolinos Leistungen im Baptistorium die wir nach dem vorhandenen Datum um 1435 entstanden glauben, erhält eine Ergänzung und Bostätii^unfr durch den Vergleich mit den Wandgemälden im Chor drr ( ollcgiata. die den GewOlbebildem Masolinos von fremder Iland hinzugefügt wurden.

Wie die Kirche, laut Inschrift am Haiiptp< >rtal, der Madonna und den beiden Märtyrern Laurentius und Stcph.tnus geweiht war, so schliessen sich im Chor an die Deckengemälde mit der Verherr- lichung Marias nun die Geschichten der beiden Titelheiligen auf den Wänden an. Aus dieser engen Zusammengehörigkeit zu einem em- heitlichen Plane, der um so mehr seit Anbeginn des Neubaues be- absichtigt sein mochte, als die Kollcgiatkirche aus der Vereinigung mehrerer Heiligtümer mit der alten Pfarrldrche San Lorenzo zu Stande kam, hat man das Recht hergeleitet die Entstehung der Wandgemälde mit den Legenden des ursprOnglichen Patrons und des Protomartyrs möglichst unmittelbar nach jenen Deckenbüdem anzusetzen, die wir um 1425 datieren. Den chronologischen Anhalts- punkten, die wir besitzen, gemäss ergäben sich 'zwei verschiedene Termine Der Erste warde, wenn man von Masolinos Abreise nach Ungarn ausgeht, den Tod Pippo Spanos im December 1426 und den Katasterbericht von Masolinos Vater z. J. 1427 berücksichtigt, in die Zeit seiner »ehern Abwesenheit fallen, also noch vor dem Ab- schlussdatum 1428 am Portalrelief der Kirche. Dafür spräche der Umstand, dass Masolino, nochmals in Castiglione d'Olona beschäftigt, im Jahre 1435 das Baptisterium ausmalt und nicht erst die Fort- Scbmarsow, M»Mcdo. 6

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Entsterungszeit

Setzung des begfonnenen Cyklus im Chor der Kirche abemimmt. Man meint nämlich, dass doch diese Fortsetzung zunächst wichtiger

gewesen sei, und dass der Beginn einer anderen Arbeit dedialb als Zeugnis für die frühere Vollendung dieses Cyklus angesehen werden dürfe. Indes weder die Voraussetzung noch der Schluss daraus sind zwingend und sicher. Schon in Rücksicht auf den regelmftss^en Chordienst, der schon 1423 dring^ond ersehnt ward, mochte man sich Jahre lang mit dem Schmuck der Wölbung begnügen, und dem Kardinallegaten, der so viel mit dem Marienkultus jenseits der Alpen in seiner Innigkeit und l iofo verkehrt hatte, mochte als Süttcr ganz besonders um die Erhöhung dieses Ideales zu tun sein, selbst auf Kosten der älteren I'atrone des Ortes. Und das Baptisterium andrerseits ward, wie gesagt, in so einfachen architektonischen Formen, eigentlich nur als Bedürfnisbau aufgeführt, dass es viel not- wendiger den Schmuck der Schwesterkunst forderte. War einmal, nicht ohne Anhänglichkeit an die alte kirchliche Gewohnheit, die Selbständigkeit der Taufkapelle beschlossen, so musate um ihre voll- ständige Fertigstellung ^ den Bedarf der Gremeinde am ehesten gesorgt werden. Die Wahl eines sdilicfaten Ziegelbaues und die Hilfe der Malerei gehen Hand in Hand.

Es ergäbe sich also aus diesen Erwägungen allein kein hin- reichender Grrund, die Ausführung der Wandmalereien im Chor der Kirche vor 1428 anzusetzen, oder auch dem Freskenschmuck des Baptisteriums von 1435 voraufgehen zu lassen. Aber der Spidraum ftr diesen ersten der möglichen Termine bleibt immer von 1426 bis 1434 offen, freilich soweit nicht andrerseits die Daten aus dem Leben des Auftraggebers sich dagegen stellen. Wir dOrfen nicht vergessen, dass er besonders durch das KoncU zu Baad, von 1431 bis 1434 dauernd seiner Heimat entrückt war, dass er vor dieser Zeit, besonders bis zum Tode Martins V. vor allen Dingen der Kurie in Rom gehörte, während unter dem Nachfolger Eugen I\', ein unruhiges T,eben begann, das während der Koncile zu Ferrara und Morenz dem V' ielerfahrenen wenig Mufse Hess.

So drängen diese Schicksale des Kardinals Branda viel mehr zu dem zweiten Termin, der von Masolinos zweiter Anwesenheit in Castiglione, also frühestens von 1435 ab, bis spätestens zum Tode des Kardinals im Frühjahr i reichen würde, es sei denn, dass die Vollendung des Freskent^yklus im Chor seiner Kirche, wie es hautiger vorkam, erst im Auftrag seines Testaments geschehen wäre. Für die Datierung nach 1435 fällt dann entscheidend ins Gewicht, dass eben nicht Masolino den Cyklus fortgesetzt hat Und wenn wir nicht annehmen, dass der Maler damals gestorben sei, so wird

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Eni-stehungszeit

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auch die Wahrscheinlichkeit eines Zwischenraumes zwischen der Vollendung^ des Baptisteriums durch seine und der Wiederaufnahme des Chorschmuckes durch andre Hand grösser.. Die Annahme einer solchen Zwischenzeit ergiebt sich ohonso im Verfolg der Urkunden über die Bautätigkeit des Kardinals und seine Stiftungen in Casti- glione d'Olona. Er hat, wie früher berichtet ward, nach der Tauf- kapelle zunächst das Kirchlein Corpus Domini. im Angesicht seiner Wohnung erbaut und ausgestattet, dann tur das Schiilhaiis Sorge getragen. Zu Anfang Docember 144-' erriclitcte er, nachdem er sich im Oktober in Rücksicht auf sein Alter vollständig nach Castiglione zurückgezogen, das Amt eines l^raefckten für die F.rhaltung seiner Schöpfungen. Das war also ein Schritt abschliessender Sicherung für sein Lebenswerk; über das (irab hinausblickend mochte er sich sagen, dass die Erben entweder nicht gesinnt oder nicht bemittelt seien, die frommen Stiftungen und nützlichen Anstalten zu pflegen, wie er aus den Zuflüssen kirchlicher Pfründen und Legationen «ie gegründet.

An dem kleinen, abseits vom grossen Verkehr gelegenen Orte am Fuss der Alpen, war ausserdem gewiss inrnier die Villegiatur, die der Kardinal sich hier am Stammsitz seiner Väter im Kreise der Angehörigen gönnte, die willkommenste, vielleicht die einzig passende Gelegenheit, auch Künstler herzufilhren und in seinem Haushalt mit zu v^pflegen. Je mehr persönliche Liebhaberei des Kirdienfbrsten im Spiele war, desto mehr wird er verlangt haben, gerade die Aus« führung von Malereien selber mit zu erleben, und ein gut Teil der Schn^lfertigkeit mag sich aus dieser kurz bemessenen Frist erklären, wenn nicht auch Ungeduld im Temperament dieses Mäcens lag wie bei Julius II. Jemehr die Schwäche des Alters dem vielgereisten Herrn das W^aidwerk und sonstige Kurzweil junkerlichen Landlebens versagte, desto mehr mussten Gespräche im I .u.stgärtchen seines Palastes oder literarische Beschäftigung drinnen I'>sat/ schaffen. So Hess er malen und meisseln, um die Arbeit im Entstehen zu geniessen wie ihren Fortschritt zu überwachen, mit lebhaftem Anteil Alles durchzusprechen und seine Tage mit Inhalt zu füllen. Kurz vor seinem Ende kam sogar Cyriacus von Ancona zu ihm nach Casti- glione und fand ihn schwach und kränkelnd, nicht mehr aufgelegt wie sonst zu geistiger Unterhaltung.

Die Entscheidung, welcher von ])eiden Terminen für die Wand- gemälde im Chor der Collegiata festzuhalten .sei, muss wieder dem kunstgeschichtlichen Dokumente selber anheim gestellt werden, d. h. der stükritisclien Untersuchung der vorhandenen Iklalerden, Eine solche Prüfung ist allerdings bei dem arg zerstörten Zustand schwer.

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^4 Granzscheidung

Die Fresken warm lange schon -wegen Schadhaftigkeit« Qbertüncht, als sie in unseren Tagen, zu Anzing der vierziger Jahre, durdb un- vorsichtigtiges Abkratzen wol oder übel wieder zum Vorschein kamen. Bei der Enge des Raumes, die durch einen unförmlichen

Hochalter mit breitem Baldachin noch verschlimmert wird, kann auch die Photographie mir unter ungüiistitron Bedingungen zu Hilfe kommen; wo immer sie regelrecht arbeiten konnte, verdanken wir der Camera eine so klare Zusammenfassung der Reste, wie das Auge sie nicht erreicht

Schon Ober dem (vergröaserten) Rundfenster in der Schluss- wand des Chorfaauptes ist die Darstellung der Dreieinigkeit in Halbfiguren ein Zeugnis fiir den durchgreifenden Unterschied der

Kiinstweise, die hier mit der Fortsetzung des von Masolino begon- nenen Freskenschmuckes betraut ward. Obgleich Gottvater und der gekreuzigte (lottessohn noch dem älteren gotischen Typus verwandt sind, ist doch die realistische Sinnesart ilures Malers unverkennbar, und die Cherubim, die sie umgeben, erscheinen gar derb wie Rauern- jungen, besonders die in der Fenster.schräge trotz ihren T. grünen Flügeln auf rotem Grunde. Unterhalb dieses i-ptistcrs standen viel- leicht zu beiden Seiten die Finzeltitjuren der litelheiligen Stephanus und Laurentius, deren Lt-^^cnde auf den anstossenden Wänden erzählt wird. Nur in der Leibung des Fingangbogens, also an der äussersten Gränze der Chorkapelle, haben noch andere Heilige.' von denf>n An- tonius Abbas und ein Bischof i Ambrosius?) erkennbar geblieben, bescheidener Platz gefunden.

Der Nachfolgfer Masolinos, der diese Dreieinigkeit gemalt hat, beweist gerade hier, in der Behandlung des Hodiheiligen, wie wenig er mit dem Urheber der Krönung Marias am GewOlbefeld darüber gemdn hat'). Er unterscheidet äch von ihm wie Fra Filippo von Fra Angelico, oder wie Donatello von Ghiberti; eine entscheidende Wandlung der Kunst scheint sie zu trennen.

Das Erste, was Masolinos Nachfolger im Qior unternimmt, ist sodann die architektonische Einteilung des gegebenen gotischen Raumes, ja bis zur Umdiditung im Sinne der Renaissance. Wo die Rippenwulste des Gewölbes aus der Mauer hervortreten, setzt er gemalte Pfeiler-

>) Die bewihrte Sotglidt d«t Fhotognpbcn C. Buaeiiler tut «enigitciii tiue Reihe von daokentweften Attfnalmien m Stande lebndi^ die f^eidhiettig im Vcriege von

Th. G. Fisher in Cassel erscheinen.

'-') Bei der Konfusinn der Notizen von Crowe und Cnvalcuelle bedarf es keines Hinweises auf die falsche Gränzscbeidung.

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Stephanslegende

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kapitelle darunter, mit Voluten .m den Ecken und klassischem Blatt- werk ; als Träger giebt er ihnen, statt der schlanken Dienste, breite kannellierte Pilaster, so dass je ein Paar mit dem SdiUdbogen darflber die ganze Wand umrahmt Von einem Ka|iitellansatz zum andern zieht er einen Simsstreifen, der das rechteckige Feld unten von dem Bogenfeld darüber trennt Nur die beiden schmalen Fenster der schräg- stehenden Chonrände springen mit ihren Spitzbogen störend in diese Horizontalgliederung ein.

Die Neigung, dem neuen Architekturstil in der Malerei dieses Innenraumes Geltung zu verschaffen, ist bei dem neuen Meister so gross» dass in den ersten Bogenfeldern gloichsiim im Gegensatz zum go- tischen Gewölbe überall klassische Bauformen vorgeführt werden, seien es wie in der Hauptteilu^g kanellierte Pfeiler mit Rundbogen oder Säulen, oder gar eine romanische Kirchen&ssade.

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Die erste Scene aus der Stephatisloi^onde ireht in einer Tempel- hallo vor sich, die durch vier kanellierte Pfeiler mit Rundbogen darüber in drei Schilfen sich öiTnet, als befänden wir uns etwa wie auf Rafaels Teppichbild mit der Heilung des Lahmen, an idcr Pf(^rte. die da heisst die schone , unter dem offenen Vorbau einer B;isilika, wie ein (iesinnungsgenos.se des Michelozzo sie wünschen mochte. Sie ist in etwas trockener Sauberkeit mit wenig ausladen- den Basen und Köpfen in rosa-grauem Sandst^n gebaut und ge- währt links zwei sitzenden Weibern freien Einblick in den Vorgang, der sidi drinnen vollzieht während rechts hinter einem Rautengitter der Anblick in die Landschaft frei wird.

Im Krdae der Apostel, die ihn dicht gedrängt umstehen, er- scheint unter dem Mittelbogen knieend der junge Stephanus, wie er das Diakonengewand empfangen soll, und wendet sich nun mit ge- falteten Händen ganz im Profil nach links, der majestätischen Gestalt des Apostelftirsten zu, der hoch aufgerichtet neben dem ersten Pfeiler, links, mit emster Mahnung zu ihm redet, während der andre, im bischöflichen Chormantel (also wol Petrus), ihm das Abzeichen seines Amtes anlegt. Die ganze Versammlung ist bis auf die Um- risse der Köpfe mit ihren Heiligenscheinen und Ueberresten der biblischen Gewandung verloschen, aber noch die Schatten lassen eine gewisse feierliche Grossartigkeit erraten, die von Donatellos

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S l EPHANSl.EOtNDE

Auffassung der Gottesmänner bestimmt scheint, in Einzelheiten an Nanni d'Antonio di Banco, besonders die vier Heiligen in einer Nische an Orsanmichele erinnert.

Wol erkennbar bis auf das Antlitz ist der Redner, der schon zweifellos Masacdos mächtigste Grestalt in der Cappella Brancacci v<Mrau8setzt, wenn er in der fliessenden Faltengebung auch nicht die Breite und Einfachheit dieses grossen Malers erreicht Hier hindert Oberhaupt die seltsame Verstellung mit Architektur. Verwertbar för ein T^rteil Ober die Zeichnung der Gesichter sind fast nur die beiden Frauen, die, mit weichen IJnnentüchern Ober dem Kopf, an- dächtig lauschen. Die Vordere hat den Ellbogen auf das Knie ge- stützt und lehnt die Wange gegen die Innenfläche der Hand, während die Linke lässig auf dem andern Knie ruht. Sie bezeugen in Blick und Haltung eine ^anz andre Koncentration als sie Mas^^lino auch 1435 noch irohin^cn war, ohne aus ihrer Nebenrolle herauszutreten.

Den nanilichon Blirk. etwas seitwärts jrewetulct. richtet der junge Diakon aut -M-inc Ih^rcr, wie er als begeisterter Bekenner seines Glaubens in der Synagojre lehrt. Er steht in einer pcr.spekti\ i.srh korrekten, wenn auch etwas niedrij^en Tempelhalle. die uns in Unten- sicht gezeigt wird, auf einer Kanzel gerade über dem einspringen- den Spitzbogen des Fensters im nächsten Bogenfeld inmitten einer links und rechts sitzenden Versammlung. Und das Zusammen- wirken des Ausdrucks ist auch hier, dem naiven Ton der Legende gemflss, wol getroffen.

Darauf folgt, in der untern Reihe dieser Hälfte, der weitere Verlauf. MerkwOrdiger Weise ist jedoch die Verteilung der Scenen nicht mehr im Anschluss an die architektonisdie Gliederung erfolgt, sondern, weil die Hauptscene, das Mart3nrium des Heiligen, sonst durch das Fenster allzusehr beeinträchtigt wäre, ein Drittel der ersten Wandflache der Sdulderung dieses Vorganges «ngerftumt, der sogar auf der andern Seite noch die Fensterschrflge in Anspruch nimmt, also unbekOmmert um die Mauerecken und Ober den gemalten Pfeiler sich hinzieht

Das erste Bild, rechts vom Eintretenden, zeigt die Disputation des Diakons mit den Hohepriestern und Sdiriftgelehrten, doch ist der Auftritt hier zur Verdeutlichung der verhängnisvollen Situation mehr als \'erh<)r vor dem Richter oder Ueberantwortung an die fanatischen Juden aufgefasst. Links tronen auf dem Hochsitz, unter «ner Aedicola zu zweit oder dritt neben einander, die Richter, zu denen sich noch ein Katgeber gesellt. Vor ihnen steht Stephanus im Ornat seines Kirclieiiamtes und eriiebt b<'scheiden doch entschieden genug die Rechte zum ik;kenntnis seines dreieinigen (juttes

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Stefhanslegende

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wSSamnä ein AnkUgor auf ihii IrinzeigeDd ttber Lästerung schreit, und ein Scherge schon Hand anlegt, auf einen Wink der Richter zuzugrdfen. Hinter ihm drftngt noch ein Kirchgänger oder Geist- licher herein, der sem Gebetbuch im Säckchen trägt, wie es zur Zelt des Malers ttblidi war. So tragen auch alle übrigen Personen, so- gar der Heilige selbst, das KostOm des Quattrocento; einen fiiemd- artigen Eindruck macht nur der Bewa£Ehete, der im langen Rock, einen krummen Tflikensäbel an der Seite, an Ghibertis Darstellung des Pfingstfestes auf seiner ersten Tür erinnert, vielleicht aber auf Er- schwungen des Florentiner Kendls und der Gefolgschaft des Griechen- kaisers zurückgeht. Zur Hauptsache wird diesem Maler das Kostüm nirgends, so dass wir auch in diesem Punkt den Abstand von Ma- solinos Stoffimitation gewahren. Die Einheit des Vorganges und die Klarheit der Anordnung behaupten unverkennbar ihr gutes Vorrecht. Sehr geschickt ist die Rank (Irr Richter mit dem Baldachin darüber schräg gestellt, und die Hauy)tperson an die Spitze einer l'iguren- masse gebracht, die sich keilförmig in die Mitte vorschiebt. Besonders bemerkenswert ist auch das Spiel der Hände und der Augen, beim gegenseitigen Aufmerksammachen, Zurückhalten, Befragen.

Der Kckpfeiler der ( ierichtslaubc links trennt diese Scene von der Steinigung, die sich links im Freien vollzieht. Ein Drittel, diis noch zur selben Wandfläche gehört wie das erste Bild, ist dem Auf- lauf des wütenden Pöbels eingeräumt. Am Rand eines Hügels, der mit einzelnen Bäumchen besetzt ist, drängt die Schaar der Angreifer in schräger Linie vor. Drei leibhaft bewegte Jünglingsgestaltcn bilden die Spitze, drei ruhigere Männer die B^isis des Dreiecks. Der Mittlere der Burschen bückt sich, Steine vom Boden aufzuraffen, wahrend die andern beiden in voHer Wurfbewegung ausholen. Der Eine, mehr im Profil, erhebt nur den rechten Arm und blickt vor- wärts, sein Geschoss zu verfolgen. Der Andre vom hat mdir Platz und wird in ebenso wahrer wie eleganter Aktion ganz vom Rücken gesehen, indem er, den Vorwärtsstrebenden entgegengewendet, doch den Kopf dem gemeinsamen Ziele zukehrt Auf dem rechten Fuss stehend hebt er das linke Bein, nur mit den Zehen nodi den Boden berflhrend, und dreht den Oberkörper, der mit ausgestrecktem rechtem Arm vom Aufheben des Steines noch halb gebeugt ist, soeben in der Richtung des Blickes herum. Ganz abgesehen vom Grade des Gelingens, verdient schon die Absicht des Künstlers, diese mannich- faltige Augenblicksbewegung eines schlanken jünglingskörpers mit zwei andern völlig verschiedenen in überraschender Gruppe zu ver- einigen, unsre volle Beachtung; denn sie bekundet in der lebendigen Wiedergabe zugleich den Wunsch und die Fähigkeit über das

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Stephansleoende

hinauazugdien, was z. B. Masacdo in der Figur des Torwäditers auf dem Hauptbilde der Cappella Brancacci erreicht hatte. Zwischen den beiden Schleuderem erscheint der Kopf des wOtenden Anklagers als der psychisch zunächst Beteiligte, und, ausserordentlich wirksam gegen diesen Aufruhr vom. kommen sodann dio beiden letzten der Gruppe, deren Einer noch mit leidenschaftlicher Erregung seinem Begleiter ins Auge schaut, während dieser, ein bärtiger Alter in turbanartigem Hut und langem Rock, sich äusserlich ruhig verhält, aber beide Arme auf den Leib zusammetileircnd. doch in den scharfen Zügen den fanatischen Hass nicht birgt noch den grausamen Genuss am Untergang des Christen.

Wenn der Wert dieser ausdrut ks\ ollen Köpfe und lebensvollen Gestalten nur noch mühsam entziffert werden kann, da die Farben fast vollij^r verblichen sind, so fällt die Schönheit der Hauptfigur wenigstens unmittelbarer in die Augen. Zwischen dem gemalten Pilaster und dem Fenster erblicken wir den ktiieenden Stephanus und seinen nächsten Angreifer, der mit einer Hand den Rockschofs voll Steine haltend, mit der andern das Haupt des Märtyrers trifft. Je brutaler die Gewalt dieses rohen Knechtes gegeben ist, zu dem ein Bauemrflpel Modell gestanden, desto ergre^nder wiikt die herrliche Gesült des Heiligen, der sich betend auf ein Knie nieder- gelassen hat und mit kindlicher Zuversicht aufblickend sein furcht- bares Ende hinnimmt wie ein unschuldiges Opferlamm. Jugend- liche Frische und Kraft gewinnen unsre volle Teilname; denn hier offenbart der Künstler, der seiner Wahrheitsliebe sonst, solange sie nicht abstossend wirkt, entschieden nachgeht, eine Wärme der Empfindung, die so in der Richtung der neuen Kunst ohne Einbusse dnen bewundernswerten Fortschritt erreicht Die beiden Figuren allein, vor dem Felshang mit ein paar Bäumchen darauf kommen in voller plastischer Grösse zur Geltung.

Welchen Rang diese Steinigung Stephans in der Malerei jener Tage verdient, das wird erst recht klar, wenn man sie mit zwei Wandgemälden desselben Gegenstandes vergleicht. Ich meine die zeitlich frühere eines unbekannten IVbergjmgsmeisters in der Cappella dell'Assunta des Dopies zu Prato, und die späte Leistung des Fra Angelico in der Privatkaprlle Papst Xicolaus V. im Vatikan. In beiden Versuchen i^eht ühcr dem Streben nach Bewegung und Hast in den Tätern die Bedeutung des Dulders fast verloren : hier behauptet bei aller Energie des Ansturms diis Bild des Opfers den Sieg.

In der F'ensterschräge stehen als Zeugen dessen zwei weitere Personen, wie gebannt. Der Eine von ihnen, ganz im Profil, ist ein Jude mit Spitzbart und gepflegten Locken vor und hinter dem Ohr ;

SXEPHANSLEGENDE

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der Andre, ein junger bartloser Btirsch mit breiten Schultern, eine Filzkappe mit abwärts stellendem Rande auf dem Kopf. könnten sie, dieser als Paulus, jener als dessen Lehrer gemeint sein, die beim Ende des Protomartyrs eine Rolle spielten.

Der letzte Vorgang, an der Fenst< rschräge grgrnübiT, .stellt wol nicht die Bestattung des Toten, sondern die Wiedemuffindung des Leichnams, der die Kirche ein besonderes Fest gewidmet hat, oder die Bergung der Reliquien dar. Wir sehen vom Fussende einen Marmorsarkophag, in den die sterbliche Hülle gesenkt oder aus dem sie gehoben wird, also ein persi>ektivisches KunststQck, bei dem schon die ceremonielle Feierlichkeit des Vorgangs in etwas die Deutlichkeit der Handlung beeinträchtigt, bei dem aber auch sonst die überraschende Vertiefung des Raumes und die schwierige Vericfirzung einiger Kopfe das Hauptabsehen des Künstlers gewesen. Zu ruhiger Betrachtung und religiöser Erbauung eignet sich das Bild allerdings auch seiner Stelle nach wenig; es fällt immer nur ptotzlkh und vorübergehend ins Auge, es sei denn, dass wir den unbequemen Zugang erzwingen.

Ueber dem Kopf des Heiligen, der etwas erhoben, vom Kinn aus gesehen wird, guckt nur noch ein Teil vom Antlitz des Trägers in die BUdfläche herein. Daneben erschdnen zwei wunderlich ver- kürzte Köpfe, bestimmt verschiodcno Stimmung der Beteiligten au»* zudrückeUi doch nach dem selben Modell. Der vordere, mit rund geschorenem Haar, beug^ sich vornüber, als gucke er sinnend oder forschrnd in den Steimarg. so dass wir von der Ifoho dos Scheitels Ober den Nasenrücken auf die gesenkten Augenlider und die breiten Backen sehen ; der andro hinter ihm bhckt gon flimmel. lobpreisend oder verzückt, und wirft dabei den Kopf in den X.icken. sodass wir unter seine Kinnladfii, die Oberlippen, die Xascnlörher und die Augenbrauen schauen. Ein Dritter wendet sic h in .scharfem Proiil nach rechts, während eine Nachbarin, ein junges Wrih in Dreiviertel- sicht die Uppen öffnet wie beim Singen. Das Antlitz des Haupt- trägers link.s, der sich über den Rand des Sark^phages beugt, ist leider völlig zerstört. Den Hintergrund bildet ein antiker Rund- tempel mit schlanken Säulen und geradem (lebälk. durch dessen offene Halle wir in der Ferne noch sitzende Hirten und weidendes Vidi auf einer Bergwiese entdecken.

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l.AUKENTIUSLFXtENDK

n.

Wenden wir uns auf der anderen Seite den Bildern der Lau- rentiuslegende zu. so beginnen sie links vom Eintretenden, ganz ähnlirh wie die Geschichte des Stephanus. Die Bogenfelder bewahren

auch den nämlichen Ton der Erzählung wie dort. Nur sind schon

in der ersten Lüncttc zwei \'orgänge in einoti Rahmen gebracht. Links im orsten Drittel gicbt Laurentius Almosen an eine Gruppe vor ihm sitzender und stehender Bettler: rechts verteidigt er sich vor dem Tron des Herrschers, und diesem beliebten Auftritt sind die andern zwei Drittel der Bildilache eingeräumt.

Die erste Scene ist ntx h der früheren Kunstweise sehr ver- wandt, oder steht wenigstens solchen Darstellungen bei Fra Angelico, oder aus der Frühzeit des Ik nozzo Gozzoli sehr nahe. Aus der Tür der Kirche, vor der die Armen und Kranken sich wartend nieder- gelassen, ist der junge Diakon hervorgetreten, dem Papst Sixtus II. den Kirchenschatz anvertraut hatte, und trägt wie der Geistliche, der ihn begleitet, einen Geldsack in der iland, um den Inhalt zu verteilen. Rechts tront auf einem Podium, mit einem Pagen hinter sich, der Kaiser Decius. In langem Gewand» eine Zinkenkrone auf dem Haupt, atzt er auf kunifischem Stule und wendet sich in Profil zu der Gruppe vor ihm. Sein bartloses Antlitz hat eingc- foUene Wangen, stechende Augen und eine lange scharfe Adlernase» die bei der gebieterischen Gebärde mitzuwhrken scheint, mit der er die Hand gegen den Angeklagten ausstreckt. Diesem Arm der Gerechtigkeit oder Gewalt zunächst steht der Ankläger, ein Pontifex mit kurzem dunkelm Vollbart und hober Mütze. Mit grimmigem Blick streckt er die Rechte abwärts gegen den Christen aus, als gälte es den milden, auf der Tat ergriffenen Gottesmann noch seines Tuns zu überführen, oder durch jähen Vorwurf von jedem Versuch zur Rechtfertigung abzuschrecken. Drei Lictoren, elegant in höfische Tracht des Quattrocento gekleidete Jünglinge, umringen den angeblirhon \''olks\erführer, dessen beide Arm»^ mit rückwärts gebogenen Händen nur ruhig abwehrend solchem Vorwurt begegnen. Mit dramatischer Zuspitzung sind die widersprechenden Charaktere zusammengebracht, und mit dem (iipfelpunkt in der Mitte baut sich die Komposition als wol abgewogene und klar gegliederte Gruppe vor uns auf

In der f<^lgenden Lünette, in die das Fenster einschneidet, ist oben ein offenes l^aptisterium mit dem Taufbrunnen vorn in der Mitte sichtbar, perspektivisch korrekt für den Standpunkt des Be-

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i^AURENTlUSUifiENDE

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Schauers von unten, so dass wir den Heiligen, der einen Jfingling tauft, nur in Halbfigur sehen. Aut dem Immersionabecken steht die Inschrift S: ECCL. E8IE« Zu den Seiten des Fensters harren links swei Jünglinge als Zuschauer, während rechts der Heilige zu einem Manne redet, der vor ihm ein Knie beugt.')

In der unteren Reihe haben wir auf dem grossen Wandfelde das Hauptbfld: das Martyrium des hL Laurentius. Die Malerei, die von vom her«n sehr hdl und dOnn von Körper gewesen war, ist fest völlig abgeblättert und verlöscht Die Scene spielt auf einem Platz, der von mehreren Gebäuden umstanden scheint; besonders breit dehnt sich die Fassade eines reidien Palastes, mit offenen Ar- kaden unten und rechtwinkligen Fenstern über dem kräftij^en Kaf* gresims; zu ihm scheint auch eine vortretende Säulenhalle links zu gehören, die mit einem Fries von Idassischen Guirlanden zwischen Stierschädeln geschmückt ist. Ganz vom in der Mitte, gerade über dem Bogen, unter dem das Grabmal dos Kardinals Branda steht, befand sich der Rost, auf dem der Heilige nackt au.sgcstro( kt den Feuertod erleidet, soviel wenigstens lässt si(h noch erkennen. Zu Häupten und zu Füssen schüren zwei hagere Gesellen, in leichtem Kittel, mit Stangen die brennenden Scheite, während eine Schaar von Zuschauem in zwei Reihen die ganze Breite des Platzes besetzt. Links treten ein Krieger im Melm, ein heidnischer Priester, oder Juden in langen Gewändern und Jünglinge in Stutzertracht hervor, Einer sogar mit dem Falken auf der Hand ; weiter vom in der Mitte, in prächtiger Rüstung, der Befehlshaber selbst, hrmt dastehend, mit dem Kommandostab auf die Hflfte gestützt, ein bärtiger Wüteridi, und neben ihm gepanzerte Begleiter, darunter Einer auf seine Hellebarde gelehnt Ganz rechts erscheinen drei Reiter : zwei von ihnen, auf Fuchs und Braunem, ruhig haltend, der Eine empor- schauend mit der Hand Ober den Augen, als blende ihn ein licht von oben ; der Dritte sprengt auf einem Schimmel heran, oder viel- mehr bäumt sich das Tier und hebt den Kopf schaudernd vor den auflodernden Flammen zurück, sodass der Hals von unten gesehen wird, das Maul sich wiehemd öfFnet und die Zähne bleckt. Es ist die unverkennbare Wiedergabe des einen Dioskurenrosses von Monte Cavallo in Rom; aber der Maler hat die Kühnheit, einen Reiter darauf zu setzen, der sich kaum zu halten vermag.

Noch jenseits vom einrahmenden Pilaster scheinen hier die Zu- schauerreihen sich fortzusetzen und sDi^ar die eine Fensterschräge zu üDdlen; aber es lässt sich wenig mehr entziffern.

') Ciowc und CftTilGMelle (II, 77 Anm. 3) beluuipten irrtflinlidi, an dieser Stelle td „Momtt «illifen Soldaten und einem lahmen Bettler nidita erhalten."

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Zwei Maler

Auf der anderen Hälfte der Fensterschräge ist dagegen die Bestattung des Märtyrers erkennbar geblieben. Audi hier wird der Sarkophag mit dem nackten KOrper. dea man hinein senkt, vom Fufaende aus gezeigt Die Veikflrzung des heikuliscfaen Leibes, dessen Kopf» vom Kinn her sichtbar, etwas erhoben ist, verrät die Flüchtigkeit der Mache auch im heutigen Zustand noch. DreiTn^;er sind mit aller Anstrengung beschäftigt, das Bahrtuch herabsulassen, zwei rechts zur Seite, einer von vom gesdien zu Häupten, ohne doch den Vorgang wahrscheinlich zu madien« während in der Mitte der Bischof mit Buch und Weihwedel. mit singenden Geist- lichen hinter sich, ebenso gewaltsam und weihelos die kirchlichen Bräuche vollzieht- Der Maler schwel^^t in roher Kraft, korpulenten Bauern und brutalen Bonzen, doroti ])ickkO{^ in mancherlei Ver- kürzung hart und rücksichtslos hingehauen werden, mehr um das Auge des Beschauers vorübergehend zu erschrecken, als dauernd /u erfrouen. Zeichnun^»^ und Farbe zeigen in diesen allerdings über- raschenden, wenn auch derben Bravourstücken mehr Gewöhnung an Intarsiatechnik als an wirckliche Malerei

IIL

Schon aus dieser Betrachtung der verloschenen Freskt nreilio, soweit l)ci ihrem heutigen Zustande irgend noch Rechenschaft über die Kin/olheiten möglich ist, muss sich ergeben, dass sie nicht alle- samt von der Hand eines und desselben Künstlers herrühren können. Deutlicher werden die Gegensätze, wenn wir die Bilder in der Reihenfolge durchmustern, wie sie aus praktischen Gründen wahr- scheinlich entstanden sind, d. h. wenn wir nicht der gegenständlichen Einteilung gemäss wie oben die Legende des hl. Stephanus auf der einen und die des hl. Laurentius auf der anderen Seite gegenüber- stellen, sondern die Bedingungen des Raumes und der Arbeit der Freskomalerei entscheiden lassen. Hier wurde zur Fortsetzung der Deckenbilder, wo sich MasoUnus de Florentia bezeichnet hat, zunächst jedenfoUs die ganze Reihe der Bogenfelder darunter in Angriff ge- nommen, für die ein Gerüst im Chor angebracht werden musste, und zwar bei der Enge dieses Altarhauses wahrscheinlich eine durch- gehende Bretterbühne, unter der Avenigstens der Chordienst noch möglich blieb. Darnach wäre etwa Stephans Weihe zum Diakon das erste Stück gewesen, das hier oben zur Ausfahrung kam, dafür

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REIHENTOTXtE

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spricht auch die Verwendung- der nämlichen kanncllierten Pfeiler wie bo der Gesamteinteilung der Wandmalerei . und Stephanus in der Sjmagoge hätte sich angeschlossen. Die Dreieinigkeit über dem Riindfenster liegt in der Mitte, blieb vielleicht vorerst ans dem Spiel. Auf der andern Seite jedoch folgte I^urentiiis taufend, indem die besondere Beschaffenheit der vorhanden«'!! BiUltläche sie natür- lich mit (Irm gegenüberliegenden näher /usammenstellt, und zuletzt die Almosenspende und die \'erant\\ orlung vor ileni Kaiser, in der vordersten Lünette lidks, wo der Gegensatz zur gegenüberliegenden hervorbricht.

Darauf erst käme die untere Reihe In Betracht. Und wenn hier sich schon die Frage einstellt, f)b damit auch die zweite Hand beginne, so erhalten wir aus dem \*ergleich der letztgenannten Lünette mit dem ersten Wandfelde der Stephanslegende unten sofort die entscheidende Antwort, dass vor der äusscrlichen und um«ni Uebereinstimmung dieaer beiden Gemfllde Frage nach dem zweiten Ikialer noch zorflcktreten mius. Wie nämlich in der Lflnette droben zwei Scenen, Almosenspende und Verhör, in einen Rahmen zusammengefosst «nd, so dass ein Drittel Ar jene, zwei Drittel filr dieses verwertet worden, die räumliche Abgränzung zwischen beiden aber nur durch die Kouüsse der dargestellten Bahne bewirkt wird, genau so benimmt sich der Maler bei der Geschichte des Stephanus unten gegenüber, wo das Verhör vor dem hohen Rat von Jerusalem und die Steinigung vor den Stadtmauern dargestellt werden sollte, und doch nur e i n ungebrochenes Wandfeld vorhanden war. Die Verlegenheit, die an dieser Stelle zum Austrag kommra rousst^ wurde drüben an der Laurentiusseite dadurch vermieden, dass man sich mit der Disposition der ausgewählten Scenen recht- zeitig vorsah, z. B. die Diakonenweihe und die Aushändigung des Kirchenschatzes durch Papst Sixtus II. kurzweg bei Seite liess, ob- gleich sie als \'orausset/ung erwünscht waren und auch bei Fra Angelico im Oratorium des Vatikans nicht fehlen.

So ist, wie erwähnt, dem Verh'ir S. Stephans der irrössere Teil der W'andfläche eingeräumt, wo der rechts in den Chor eingetretene Beschauer beginnen soll, und ein Drittel entfällt für die Schlcuderer bei der Steinigung, indem nur die Rückwand des Tribunals mit ihrem Eckpfosten die Statte des hohen Rates von der bergigen Landschaft trennt.

Vergleichen wir dagegen das Martyrium des lü. Laurentius auf dem gleichen Wandfelde gerade gegenüber mit diesem hier oder mit seiner zugidiörigen Lünette droben, so tritt der Gegensatz der beiden Hände, die wir im Verfolg des Einzelnen vermutet, voll zu

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GrAnzschsioung

Tape. Wir haben nicht nur die einhpitliche X'orwertung der gamen Bildfläche, ein Vorzug, der durch die bedenklichen £rfahrungen in der Arbeit vorher gewonnen war, sondern auch eine anders^ artige technische Behandlunj^.

Die Wanflmalerei dieses andern Meisters ist viel schlechter erhalten, obi^loirh die Mauer nicht mehr als drüben g'efährdet war. Die Wieder^.ibr des Maisch es zeigt den vorherrschenden Gebrauch grellen-n Rntf>s und einen erhitzten Ton. der allerdinpfs zu dem Feuertode d<is Heiligen passt. aber keineswegs als Widerschein der Flammen gemeint ist, und <'bcnso in den anstofsenden Feldern wiederkehrt. Nach dieser Ilüchtigern unsolidem Malweise, wie nach der wenig durchdachten Komposition und nach dem „überperspek- tivischen Wesen", das ihnen unter sich gemeinsam ist« hätten wir dem selben Meister auch die Bestattung des Laurentius und die Auf- findung der Rest#» S. Stephans beizumessen. Und diese Abgrftnzun^ des Anteils bestätigt sich auch durchweg in dem Unterschied der Typen und der sonstigen Grundlagen künstlerischer Durchbildungr, deren genauere Prüfung die Frage nach Herkommen und Person der beiden als Nachfolger Masolinos hier auftretenden Maler einBchliesst.

Das Verhältniss der Bdden wäre so zu denken, dass der £ine, der die architektonische GesamtgUederung gemalt, die Stephans- legende rechts oben begonnen und alle Lünetten ausgeführt hat» erst bei Vollendung der untern Wandfelder den Genossen beikam, sei es weil der Abschluss der Arbeit bis zu einem gewissen Termin erreicht werden sollte, sei es weil dieser Geschäftsfreund, gleichzeitige beauftragt, erst später eintreffen konnte, oder zuerst mit anderen Arbeiten für den Kardinal, in den Seitenkapellen der Kirche, in Corpus Dornini oder im Palast beschattigt war. oder weil er aus irgend welcher Veranlassung als Ersatzmann für den Ersten ein- treten musste. Dergleichen Vorkommnisse waren damals ja häufig genug.

Alle bisherigen Versuche, das Verhältniss der Wandmalereien zu charakterisieren, gehen von der Vorau>.seL/.ung »lus, dass sie un- mittelbar nach tler Gewolbcmalerei entstanden sein müssen, und möchten deshalb über den etwaigen Schülerkreis des Masolino nicht hinausgreifen. Crowe und Cavalcaselle» die auch 1883 in der italienischen Ausgabe die Zusammenwürfelung mit Masdino wieder- holen, ohne sich um die Bemerkungen A v. Zahns und W. Lübkes in den Jahrbüchern für Kunstwissensdiaf^ (1869 1870} zu kümmem, sprechen sich für die Urheberschaft „einer minder geschickteD und minder erfiüirenen Hand" aus, der die Fertigstdlung des Freskeneyklus übertragen worden. (II, p. 249.)

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Schüler Masounos ?

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A. V. Zahn lAsst sich in seinem berechtigten Bemflhen, die Be- teiligung des MasoHno selbst an diesen Wandgemfllden zu verneinen, allzusdir durch die aufiallende £rscheinung des Geg-ensatzes in den letzten Bildern bestimmen. Angesichts der Malereien Masolinos im Baptisterium jedoch bemerkt er durchaus zutreffend, schon aus der Gruppe der Täuflinge am Jordan sei ersichtlich, wie weit Masolino das Studium des Nackten sich angelegen sein Hess, „ohne dabei in jenes harte überpersijektivische Wesen des Ucrello, das aus den Wandbildern der Kirche spricht, zu verfallen". I)as heis.st doch an- erkennen, dass Masolino unten im Chor der CoUci^nata nicht als leitender Meister betrachtet werden darf, wie ( rowe und Cavaleaselle anzunehmen versuchten; das heis.st doch ebens'» anerkennen, dass in den letzten Bildern der Stephanus- und Laurentiuslegende liestrebungen hervortreten, die über Masolinos ivunstwelse und Geschmacksrichtung hinausgehen. Und trotzdem bringt A. v. Zahn für diese Teile den Schüler Masolinos, Paolo Scfaiavo^ in Vorschlag, indem er die Stelle VaaariSk die von diesem Maler handelt, etwas allzu stark in seinem SSnne inteipretiert.

Vasaris Worte: „Paolo Schiavo, che in Fiorenza, in sul canto de'Gori fece la Nostra Donna con le flgure che scortano i piedi in SU la cornice, sHngegnö rndto di seguir la maniera di MasoHno"... berechtigen kaum, von besonders ^tauschenden Verkürzungen" zu reden, geschweige denn grade diese zum entscheidenden Charakteristicum zu erbeben. Ebensowenig sind solche Dinge bei eihaltenen Arbeiten dieses Paolo S6hiavo vorhanden. Er hiess, wie Milanesi berichtet, eigentlich Paolo di Stefano Badaloni und hat 1426 ein bezeichnetes Fresko in S. Miniato bei Florenz gemalt, das besser erhalten ist als das restaurierte Tabernakel am Canto de'Gori, jetzt „le Cantonelle*' ge- nannt- Von dem selben Maler rührt meines Eraditens auch das Tabernakel in Lippi a Rifredi vor Florenz her, über das W. v. Seidlitz in der Zeitschrift für bildende Kunst bei Besprechung des Buches von Knutzon berichtet hat (1879), nur dass die Inschrift aus späterer Zeit, bei Gelegenheit der Restauration, den Xamen Paolo di Stefano mit dem bekannten Paolo Uccello vertauschte.')

Wenn Lübke in voller Anerkennung des Guten in diesen Wandgemälden von (^astiglione d'Olona, sich zu dem Ausruf ver- steigt: „Welcher Maler hätte um 1426 solche Grestalten hin- zusetzen vermocht, wenn nicht Masacdo?* so ist er wol später

M Ich hofff dies demnächst mit Hülfe phntogr. Aufnahme der bctreilcndcn Werke und eines unbeluuinteD Bildcheos voa Paolo Uccello, xom Beleg seiner frühem Entwick- huig, genantr wdaan n kfloiMii.

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Der Zweite von Beiden

selbst von diesem Vorschlag zurückgekommen, der neben der Blas- phemie auch einen Anachronismus einschliesst Aber seine Qiarak-

teristik : „g-ewisse starko Verkürzungen der auf und nieder blickenden Köpfe, besonders in der l^eordigung^ des Stephanus. sind noch nicht i^an/ i(olunjjfen, beweisen aber deutlich g-enug die Tendenzen dieser neuen Kunstrichtung" ist vollkommen zutreffend, freilich wiederum, wie die A. v. Zahns, imr für die letzten Bestandteile. Und für die Kntstehung.szeit bleibt uns ja der Spielraum nicht allein von 1426 bis 1428, sondern ein volles Jahrzehnt später, von 1436 bis 1442 offen.

IV.

Fragt man sich vorurteilsfrei, was denn diese Wandgemälde im Chor der Collegiata überhaupt mit Masolinos Art gemein haben, so bleibt kaum etwas Grrdtbares übrig, um ein persönliches Schulver- hältnis festzustellen. Wol aber zeigt sich die Verwandtschait, wenn etwa matUndische Lokalpatrioten die Frage stellten, ob diese Fresken wifklich florentinischen Ursprungs seien. Die allgemeinen Eigen- schaften, die im Charalcter der florentinischen Kunst dieser Zeit über- haupt liegen, sind allerdings unverkennbar dmnten wie droben.

Oder will man die jA^are Masolinos in der Untugend des un- reifen Realismus suchen, dass die untern Kider rücksichtslos um die Wandecken gebogen, in die Leibungen der Fenster mit hineingemalt sind? Wir haben erklärt, wie man im Gedränge zwischen den dar- zustellenden Scenen und den vorhandenen Wandflächen dazu ge- kommen sei, und durften dies nur so erklären, da das Uebergreifen in der obern Reilie nicht vorkommt, und die gemalte Gliederung des Tnnenraumes ausserdem bezeugt, wie wenig solche Unart ursprünglich in der Absicht gelegen. Und da wir die Annahme, dass auf Maso- linos Deckenbilder unmittelbar der Cyklus der Wände gefolgt sei, nicht für liindend erkennen, so bliebe ja sogar die Möglichkeit offen, dass die Priorität dieses Verfahrens, das übrigens noch Fra Filippo in den sechziger Jahren zu Prato sich erlaubt, hier in Castiglione zwischen Kirchenchor und Baptisterium strittig werde.

Jedenfalls aber kommen wir mit einem Gehilfen «xier Schuler llAasolinos nicht aus. Und gemäss unsrer obigen Unterscheidung zweier verschiedener Meister sind jene »überaus wunderlich ver- kürzten KOpfe« nur auf die Rechnung des Zweiten zu setzen, sodass auch seine Dazwiscfaenkunft erst den Ausschlag gegeben

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Paolo UcrEr.Lo

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haben könnte, mit der architeki« mischi n I )isj>(!sitioii. dir sein Vor- gänger t est est eilt. kur/«'n Prn/c^s zu machen, und iur den Bruch mit der klaren (ilicdcrinig des ("\klus dur(Mi vcrbliitfende Kunst- stücke der Tiefenillusion und Verkür/ung zu entschädigen, wie denn die beiden Fonsterschrägen nur dem Ergötzen der Giorherm dienten. Xur hier in den letzten Stücken des Cyklus bricht das »harte Ober- perspektivische Wesen des Uccello« durch, von dem A. v. Zahn ge- sprochen, nur hier ist die »rohere Ausführung« zu bemerken, die Cavalcaselle hervorhebt. Damit ist unser zweiter Maler bezeidinet.

Sieht man sich im Kreise der bekannten Zeitgenossen um, so ist der Name, der ange^chts dieser überraschenden Kunststücke zu- erst genannt werden muss, jedenfalls Paolo Uccello. Nicht ein Nach- eiferer Masolinos war es» der »soine Gestalten so täuschend verkürzte«, sondern Paolo di Dono, genannt Uccello, der in die Schwierigkeiten der perspectivischen Probleme so vernarrt war, dass er die Farben- palette darob vergass, und den Tadel Donatellos wie den Mismut seiner Frau zu dulden hatte.

In der Tat glauben wir als den zweiten Maler, der hier im Chor der CoUegiata mitgewirkt hat, niemand anders mit solchem Recht in Anqprudi nehmen zu können als Paolo Uccello selber. Der Nachweis genügender Ilebereinstimmung mit beglaubigten Werken seiner Hand, die wir besitzen, knüpft sich am besten nicht an die letzten Stücke zunächst, wo die brutale \'. rkürzung allen Forschern aut<4( t"alleti ist, sondern an die erst*' Darslellunv;-. die wir der nämlichen llanti beimessen, an das Martyrium drs heiligen Laurentius. Sie giebt, auf breitem Wandfelde unter den gew< 'hnlichen Bedingungen der Freskomalerei, auch am besten eine \'<jrstellung von der per- sönlichen Art ihres Urhebers und von dem Durchschnitt seines Kunstvermngens.

Zwei ganz individuelle Eigentümlichkeiten .si)ringen als besonders bezeichnend sofort ins Auge: die .stattlicli gerüsteten Krieger, die mit sichthcher Vorliebe aufgestellt sind, und die derben Streitgäule, zu deren Einführung in der Legende selbst kein Anlass vorlag. Beide Bestandteile tragen mit ihrem besondem Grebaren. zumal die Rosse mit ihrer Unruhe, unläugbar dazu bei, den Vorgang mannich- faltiger zu beleben ; aber sie sind auch gewagte Zutaten, aus eigenem Vergnügen des Malers, ohne \*iel Rücksicht auf Andacht oder Rührung der Besdiauer hinzugenommen. Nur das Bedürfnis des Realisten, die unmalbare Feuersglut, in der Laurentius leidet, durch solche Mittel wenig^ens vor die Phantasie zu rufen, erklärt zum Teil ihre Wahl, die in dieser Zeit doch für den Mann entscheidend cbarakteristisdi bleibt Beide Bestandteile erklaren sich als willkonunene Schnartow, lianodo. 7

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Paolo Uccello

Requisiten bisheriger Praxis bei keinem andern Florentiner so selbst- verständlich wie bei Paolo Uccello, der durch eine Reihe von Schlachten- bfldem aus dem Garten der Bartolini in Gualfonda allgemeiner be- kannt geworden ist als durch sonstige Leistungen. Eins nur be- findet sich heute noch zu Florenz, in den UfHzien, ein anderes zu Paris im Louvre, und ein drittes in der National Gallery zu Ix>ndon. Wer diese Stücke nicht im Gedächtnis hat oder im Original ver- gleichen kann, wird wenigstens Photographieen neben unsre Auf- nahme des sch.ittonhatten Ueberrostes aus Castiglione legen. Selbst die ausführliche Beschreibung, die Crowe und Cavalcasello von jenen drei S(-hladitbil(lern gegeben haben, führt der Einbildungskraft genug bestimmte Züge zu, die sich im Chor der Collegiata wieder- finden. Wenn diose onorgisch auftretenden Krieger mit ihrem Be- fehlshaber in der Mitte sriion in ihrem Dastehen den Kinfluss Donatdlos verraten, so er/.ahlen die sorgfaltig gezeichneten l'anzer, Beinschienen und Heime vom Interesse des Malers an der künstlerischen Durch- führung der \\'afr(Mischmi(Mle im klassischen ( rescliinack der Re- naissance, von seinen Studien antiker Ornamentsliicke. die er mit I,orenzo dhiberti teilt, und seinem 1 langen an l-jn/.ellieiien, die der Bildhauer besser bei Seite Hess. Die turbanahnliche Koptbedeckung oder der hochgetürmte, vielfach ineinandergeschobene Filzhut kommen auch hier vor, wie bei den Fürsten und Condottieren in jenen Sdilacht- gemalden und in einem kleinen TumierstOck, das sich fraher in der Sammlung Castracane zu Urbino befimd, wo im Istituto di Belle Arti wenigstens noch drei Predellenstacke ziemlich armseliges Zeug- nis von seiner Tätigkeit ablegen. *) Hier in Castiglione haben die Kri^gäule die nämlichen schweren Hufe und derben Köpfe, die sdbst das Rdterstandbild John Hawkwoods im Dom zu Florenz, das Uccello in sichtlichem Streben nach antiker Schönheit gemalt hat, mit allen vorgenannten Beispielen teilt Der Schimm^, der sich rechts vor dem Feuer bäumt, ist wie gesagt die Nachahmung eines Dioskurenrosses von Montccavallo. ein weiterer Beleg für die Studien in Rom, und selbst der Palast mit seinen Arkaden und seinem Fries von Guirlan'l i mit Stierschädeln nach römischem Muster offen- bart ein gleiches Streben auf dem Gebiet der architektonischen Staffage und Dekoration.

Technik und Farbenwahl bestätigen die Uebereinstimmung mit Uccellos Malerei, soweit dies bei dem Zustand dieses und der sonstigen Beispiele nur möglich bleibt Besonders charackteristisch

') Vgl. Schmarsow, GlovMuti SftDti, Beriln 1887 S. 41 11. Melocio dm Forli, Stutt- 1886 p. 359 f.

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Paolo Uccello

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ist die Vorliebe für kalte graue Töne neben roten Tinten, die sowol In der Kamation, wie in den Gewändern, ja im Steinmat^rial der Architektur neben einander stehen. Seine Gestalten sind fast immer schlank, in den Proportionen den Jugendwerken Dooatellos ver- wandt, etwas dünnbeinig, aber elastisch und stramm Ss^eniig; in der Wif>derj^abe der Extremitäten nicht seiton nachlässig behandelt; im Rumpf ohne die Beweglichkeit lebender Körper, aber von plastischer Bestimmtheit der Form, die überall vom Eindruck statu irisrher Bildung- zeugt. Seine Köpfe /eigen besonders zwei verschiedene r\]>en. Der Eine hat ein länglirhes (Hai als (irundforni. erscheint bei verkürzter Ansicht oft etwas j^estrerkt und im /iisammenhang der Teih» verschoben: der Andre ist ein liroitrr, in den l'^mrisscn plumper Ruiidkopf. <iess»'n innere ( n si« htstcilc niclit selten klein und gedrückt, eckig wie stereometrische Zeichnungen ausfallen.

Beide Tvy)en finden wir auch hier in unserm Fresko, bei ferner stehenden Figuren sogar den Mangel an Schädel unter dem platten Hut oder die gequetschte N'erkümmerung der Kinnladen, die ihm beim Ringen mit schwierigen Ansichten und perspektivischer Illusion auch sonst begegnet Darin hat dies Wandgemälde In Castiglione sogar einige Aehnlicfakat mit den flüchtigen Produkten der lieber- gangsmeister wie z. B. in Prato, mit der Auffindung der Reste S. Stephans oder dem Sposalizio gegenüber, in der Cappella dell' Assunta.

Sehr entscheidend spridit für Paolo Uccello endlich die Kom- position, die er mit dies^ Bestandteilen hier anordnet Sie ist durch- aus reliefinässig und setzt nicht sowol die eigene Gewohnhdt in jenen Sdhlacbtenluldern, ab vielmehr Masacck» breite Wandgemälde in der Cappella Brancacd voraus, besonders das Meisterwerk mit der Geschichte vom Stater und die (von Masaccio unvollendet gelassene) Auferweckung des Königssohnes. Wie dort eine isokephale Reihe von Figuren als Zeugen des 1 1 au pt Vorganges in der Mitte steht, und zwar auf verhältnismässig schmalem Vordergrund, so auch hier vor der Palastfront als Skene, und wie dort zu den Seiten die Koulissen schräg vorgeschoben oder Durchblicke eröffnet sind, so auch hier mit dem loggienartigen Vorbau links und der Vertiefung des Prospektes rechts, wo die Reit^T hall*Mi. Dass grade Paolo Uccello bemüht gewesen, die Gesct/.e der Reliefkunst auf die Malerei anzuwenden, ist immer zur Charakteristik seiner l^igenart hervorgehoben, und hängt aufs Innigste mit seiner sonstigen i)lasiis( hen Auffassung der Einzel- formen wie seiner Anordnung der Gruppen, seiner Dreiteilung der gegebenen Üiidfläche zusammen. ,

>) Yf^ Crowe und Cavalcasetle besonders bd Gelegenheit der Sntflnt im CUostio verde nm & M. Noretla.

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Paolo U<:(:eli.o

Die beiden letzten Darstellungen in den Fensterschrägen sind vollends nichts Anderes als Experimente schwierigster Verkürzung, die in ihrer Häufung von Kunststücken uns knabenhaft und schülcr- mässig vorkommen müssten, wenn wir uns nicht hineindächten in jene Zeit einer völlig neu* n Disciplin, der es bitter ernst war mit der Bewältigunjr aller Aufgaben solcher Art, sodass sie die «er- lernte l.ösung^ der Probleme aurb. in regelrechter Foltr*" auftischt wie in einem Lehrbuch der «TCometrie. liier ein nackter, dort ein l)e- kleidctcr >rper von den Fiisson .lus y^esehen ; hier der K«'pf der licjufcndon (u'sialt \oni i\iiui her, dort vnn der Xiihenspit/e aus. odiT hier mit aufwärts dort mit ahw.irts stehentlem Kinn verjimj^t. Dort ein Autblickender und ein Xied(M-l)lickcnder unmitlelhar n(d.)en ein- ander; hier breite .Scl)adel und I-'eithalse wol^cnahrter i»i>n/.en. dort hagere, asketisciic. aber ebenso hochfahrende i'faften. liei der Be- stattung des Laurentius im Hinterj^runde die Stadt Rom. bei der Auffindung des Stephanus ein klassischer Rundtempel in nächster Nähe mit dem Durchblick auf die Bergweide zwischm den Säulen hin. Hier sind auch die verwandten Züge der Einzelheiten schon unverkennbare Zeugen des Zusammenhangs mit Uccellos letzten Fresken in St*. Maria Novella. Die Gesichtsbfldung des Stephanus und die Gewandbehandlung erinnert an die stehende Figur in der Sintflut, die Sarkophagschräge an die Wand der Arche Noahs. Und die Weinlaube, wo der trunkene Erzvater beim Fasse eingeschlafen, wie die Halbfigur Gottvaters über dem Altar mit dem Kopf nach der Tiefe des Bildes zu geben nur Umkehrungen der hier in Castiglione versuchten Konstrucktionsprobleme, die kaum geschmack- voller ausgefallen sind, aber die Zugehörigkeit zu Uccellos syste- matischem Arbeitsprogramm beweisen.

Unserer Uebcr/eugung nach kann die Tatsache, dass auch hier in Castiglione d'fJlona Wandmalereien des Paolo Uccelle dem völligen Untergange nahe sind, kaum noch bezweifelt \verd(^n. 't Es fragt sich nur, wann wir etwa seine Anwesenheit und damit den Abschluss dieses Cyklus im Chor der Kirche ansetzen dürften.

Paolo di Dono ist nachweislich zu wiederholten Malen in Ober- italien gewesen. Schon am 5. August 1425 machte er in Florenz s^n Testament vor der Abreise nach Venedig, wo sich die Florentiner Dombehörde noch i.j^:? beim Geschäftsträger der Signorie nach seinen Leistungen in der Mnsaikmalerei erkundigt. Im Jahre 1 } vi kehrt er dann in seine Heimat zurück, wo er mannichfaltig von der

') Ich erinnere auch an die „Hcrocs picti in spicula alU" der Kardinalswuboung. Vgl. oben S. 13 f.

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Der Andre

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Opera des Doms beschäftigt wird bis 1437. Dann fehlen die Nach* richten über ihn bis 1443, also gerade bis /um Todesjahr des Kar- dinals Branda. Nach Vasaris Erzählung wäre er noch bei Donatellos Uebersiedolung^ nach Padua in dieser Stadt Oberitaliens gewesen, wo perspektivisches Srliiilwoson seitdem sd vorherrschend den Charakter der Malerei bestimmt. W ir hätten .ds<>. was die Anwesenheit l'c- cellr>s in Ciistiglinne betrifft zwei lermine zur Wahl: zwisrhi-n i^2t> und ^vo er nicht ausschliesslich in Venedig geblieben /u seiri

brauchte, imd zwischen 14.37 ^^^^^ '44-- ^^^^ Komposition des

Martyriums aber die letzten Kompt^sitionen Masaccios in der Brancacci- kapelle voraussetzt, andrerseits die perspekli\ ist:hen Bra\ ourstücke soviel Verwandtschaft mit den letzten Fresken Paolo I'ccellos selbst in S. AI. Xovella aufweisen, entscheiden wir uns unbedenklich für den zweiten Termin, der sowol mit der ChronoU^gie der sonstigen Unternehmungen des Kardinal Branda wie mit dem Entwicklungs- gang der toskanischen Malerei abereinstimmt

Ganz anders geartet ist der Meister, der, unseres Erachtens vor Paolo Uccello, die Ausmalung der Chorwände mit Bildern ans der Legende des Stepbanus und I^aurentius begonnen, also dort un- mittdbar fortgcfehren hat, wo Masolino's Gewölbekappen aufhören. Gewisse EigentOmlichkeiten sprechen flir einen ausgebildeten archi- tektonischen Sinn, ja fbr eine Neigung, seine Gestalten mit um- gebender Architektur zusammen zu denken, die sogar die Freiheit ihrer Bewegung einengt. Kr malt nicht allein einen Renaissance- Autbau aus kannellierten PUastem und gradem Gebälk in diesen gotischen Chorraum hinein, wenigstens seinem Bedürfnis nach klarer Disposition und fester Finrahmung der Bilder zu genügen, sondern benutzt auch die Spitzbogen der beiden Fenster in den l.ünetlen. wo sie \ on unten eins])ringen, wie einen gew(")ll>ten l'tu<'rl)au tür feste Bestandteile seiner Darstellung, das Tauflx-cken hier, die Kanzel dort, im Mittelpunkt des Baptisteriunis. der Synagoge, die er dem Blick fies Beschauers ottnet. Bedenklicher wird diese architektonische Konsequenz in den beiden vorderen l.ünctten, wo die Arkadenreihe mit ihren Pfeilern vorn die Figuren der llan«llung durc hschneidet oder doch den Linientiuss der Gruppen beeinträchtigt, die der Künstler sonst wiederum so klar und gesetzmä&sig aufzubauen, so sicher zu*

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sammenzuhalten und in einander zu schieben weiss. Je mehr er mit dem Raum fOtr die Geschichte seiner frommen Helden Haus halten muss. desto mehr giebt er die Verteilung der Bildfläche durch vor- tretende Bauglieder auf. schiebt sie als Skene in den Hintergrund,

odor benutzt sie, wie das Tribunal des hohen Rats, zur Sondemng der Schauplätze. Von der nämlichen Durrhbildunj^'^ seines (rcschmackes zeugrt auch die Verwertung des Hüjjfclrandes beim Martyrium des Stophanus, sowol für die rührende Haupttijjfur als Folio, wie als Halt und Riclituiitfsaxe der Raumontfaltunsr im Fr< icii. I'ud obenso die räumliche Ausnutzung der ßildliäche nach üirerForm und ihrer Stelle für den Betr.n lucr.

Bei der Finkleiduntr des Stephaiuis inmitten der Apostel triebt die dreifache Arkade des Atriums .uu^h die Haujjti^'liederuny der tast symnietriseh vert<'ilten \'ersammlun^ mit dem ;\postelfürsten und dem knieenden Diakon in der Mitte, während dir dreieckigen Seg- mente des Bogenieldes links und rechts für Beiwerk entfallen, das mit feinem GefQhl für das Auge des Eintretenden gewählt ist: gegen den Eingang vom Langhaus zu öfihet sich der Raum möglichst leicht und neutral, auf der andern Seite wird er mit sitzenden Frauengestalten im Vordergrund geschlossen, in denen die Bedeutung des Auftrittes wiederscheint.

»Zwei schöne Kompositionen« nennt auch Cavalcaselle die beiden Scenen, die in der Lanette gegenüber vereinigt sind, die Almosen- spende und die Verantwortung des I^üientius. Sie sind es im Auf- bau jede für sich, aber auch als Teile des ganzen vom Spitzbogen umrahmten Bildes ; denn das Uebergewicht der zweiten Gruppe, die zwei Drittel der Fläche beansprucht, wird für das Auge durch die Architektonik des Schauplatzes aufgewogen, so dass hier die Haupte person, der Heilige, umgeben von den Haschern, genau in dem Höhenlot des Bogenfeldes, von zwei Eckpfeilern der geroalten Bau- lichkeiten eingerahmt erscheint, zwischen denen sich ein Bogentor öfFnet. und /u Häupten dieses schmalen Mittelstückes wiederholt ein dreiteiliges romanisches Fenster oder drei Hogenstellungen einer Zwergg.ihrie über dem Portal <iie (Tli'derung des (tanzen.

Andere (iesct/e walten in dem unter' ii W'aiidstreiten mit dem Verhör des Steph.musund seiner Steinigung. \)cu KelieJ ki >mi)i isitionen eines (rhiberti \ erwandt (Mitwickelt sich die Reihe der sitzenden und steluMulen Figuren fast in gleicher Kojjthohe. Wo Stephaiuis vor den hohen Rat gefuhrt wird, ist /wischen den beiticn (iruppen ein Ausschnitt frei, wie der Zwickel zwischen einem Bogenpaar; die Mittellinie trennt unsichtbar und doch w irksam genug den Märtyrer von seineti Richtern, obwol seine Feinde hinter ihm drein drängen.

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Noch üzinier wirkt die Gewohnheit nach, in nahezu quadratischen BUdem, oder doch mit wenig überwiegender Breite zu denken, wie an den Türen des Andrea Pisano und Lorenzo (rliiberti, oder in den

Froskocyklen des Trecento. Sotrar die bekannte Vierpassumrahmung, dieGhiberti fV-,th ilton musste, wirkt hier noch fühlbar weiter: besionders in den beiden ^\.nklagesccnen, die auf das Vorbild ..Christus vor Pilatus" oder „Johannes vor llerodes*' zurückgehen, l'm so bezeich- nender ist die ratsache, dass die Komposition eines breileren Ver- laufes, wie dir- SteinijkTung, welche als fortlaufender Streifen eines uii'^r-ljrochencn W'andfcidcs behandelt werden konnte, sofort in Bruch- teile iiuseinanilergeht. Iii ilcr Steinii^uni,'' hier schiebt sich die l<ntt(^ der Ani^reifer wie ein Keil aus der l iete in schräger Linie g<'gen den gemalten Pfeiler \ i >r. als mache der Weg, hinter diesem Träger an der Mauerecke, eine Piegung, und so ist allerdings wieder das wirkliche X'erhältnis der beiden \\"«indstu( ke zu seinem Recht ge- kommen; wer aber von diesen zufälligen Absätzen in der M altlache absieht, bemerkt die Gewohnheit des Meisters, in schmaleren Rauni- ausschnitten zu denken, deren Zusammenschiebung und Verarbeitung hier fireilich durdi das örtliche Hindernis unmöglich wurde.

Grenug, in Allem, was die Disposition der Bilder und die Kom- Position der Gruppen betrifft, gehört dieser Mann der strengeren Schulung an, der die besten Errungenschaften des monumentalen Stiles aus dem Trecento noch nicht abhanden gekommen sind über den Aeusserlichkeiten des Realismus. Er steht dem Brunellesco nAher als dem Donatello, er weiss sich Eins mit Masaccio und mit Ghiberti, die in diesem Punkte zusammengehören. Er ringt hier darnach, das wertvolle Erbteil der giottesken Tradition, soviel es angeht, mit dem neuen X'erlangcn nach wahrheitsgemässer Dar- stellung des Kaume^ und der Körper darin zu vereinigen. Die Konsequenz der räumhclu ti Anschauun«; steht ihm voran, die plastische erst in zweiter Linie; auf Wirklichkeitstreue und Ausführlichkeit des Einzelnen ist er am wenigsten erpicht. Auf jener Seite liegt seine unltiu^bare rk^iia1)uiiL'. tille Vorzü^^e seiner ernsten (iesinnun*; und gcisti<;cn Kr.itt. .Nur sc heint ihm auf der einen Seite die (Tcle<;en- heit gefehlt zu haben, sich zu monumentaler Breite auszuwachsen, und auf der andern Seite die malerische l echnik oder die Gabe vollen malerischen Sehens in farbiger .\nschauung. die d.im.ils vielleicht vielfach unverstanden von den Zeitgenossen nur M.isaccio offenbart.

Ausserdem ist es die leidige Vielheit der Scenen, die auf engem Raum von ihm verlangt ward, dn verhängnisvolles Erbt«! der Trecentoikunst im Dienst der kirchlichen Lehre, aber auch ein ver-

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breitetes Verlangen der I,ust am Fabulieren, an der die Malerei und noch mehr die Plastik im ganzen Quattrocento krankt Damit hAngen bei diesem Maler aus dem ersten Drittel des neuen Jahrhunderts natürlich die sonstigen Eigenschaften seiner Weise zusammen.

5>eine Gestalten sind länglich und schlank, haben also audi in den Proportionen noch Verwandtschaft mit denen des ausg^ehenden Trecento; aber sie bewogen ach freier und natürlicher, und haben in dem harmonischen Kluss ihres Benehmens viel von dem Geschmack desGhiberti. sind aber lebhafter von Temperament und dramatischer in ihrem Gebaren, das hier und da selbst vor drastischer f^t-rbheit nicht zurttfkschreckt. wenn «»s z. B. gilt, dem ergebenen Märtyrer einen rohen ( resellen entge^en/nstt^llen Seine Gewandung ist gross und feierlich in der Vcrsaninilun«^ der Apostel, soweit die Archi- tektur nicht hindert, nimmt in den Aiiklagcscenen reizvolle Kostüme der eigenen Zeit neben dem faltenreichen (Vnat der Diakonen oder des Kaisers auf und weiss neben den LangrOcken die kurzgeschürzten Pagen «^der l^antini mit ihren .Mäntelchen und die aller lästigen Überwürfe entledigten Schleuderer in ihren enganliegenden Strumpf- hosen und leichten Kitteln zu schildern; er weiss wirksam zu wählen, wo diese oder jene Faktoren am Platze sind, ohne sich bei der biblischen Draperie in die konvention^le Allgemeinbat der Trecento- maier oder beim modischen Kostüm in die Stofihachahmung und Kleinkrämerei des Masolino zu verlieren. Er behält bei allem Realismus der Auffassung dodi die ideale Aufgabe im Bewusstsein und wägt nach diesem höheren Zweck die Bestandteile der Wirk- lichkeit ab, denen er Zutritt gestattet* WennCrowe undCavalcaselle m^nen» die Gflte der Ausftkhrung entspreche nicht der Schönheit der Aktion, so bestimmen dies Urteil wol wesentlich die untern Stücke der I.aurentiuslegende mit. iV<- vir Uccello zugewiesen; denn über die malerische V\)llcndung der i.ünetten ist bei dem schattenhaften Zustand der abgekratzten Flächen wol kein Urteil mehr möglich. Fast überall ist, besonders bei den Gewändern, die obere Farben* Schicht mit dor Kalktünche abgeblättert, die sie zu einer Zeit zuge- deckt hatte, als gewiss das Aiissehen schon zu viel zu wünschen übrig liess. Kinzclnc Stellen dagegen, in den unlern Wandstreifen besonders, wo die Malerei besser iThalten blieb, berechtigen noch heute zu Lübkes Aussage: „durchweg herrscht in der Farbe ein kräftigerer Ton" ..eine vollere j)lasiische Modellierung der Form, eine schärtere und mächtigere Autfassung des Indi\ iduellen" {als in den Deckenbildern des Masolino). ..Das feierlich Würdevolle der tronenden Richter*' und der Apostelschaar, die „beiden lebensvollen Portratköpfe rechts im Fenster, mit der tief bräunlichen Karnation"

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hatten auch wir auf die Rechnung unseres Meisters zu setzen, und damit auch hier wol das -zeitliche Verhflltniss zu Masaccios male- rischen GroTstaten in der Brancacdkapetle bezeichnet, an die auch Lflbke sich erinnert fand. Freilich wird die Breite und Wucht der Gestalten, die durchgreifende Energie der Charaktere Masaccios hier ebensowenig erreicht, wie von andern Zeitgenossen ; aber es ist schon dne hohe Anerkennung, wenn die ernst und sorg&ltig durch- dachten Kompositionen neben dem Besten aus jenen Tagen floren- tinischer Kunst bestehen. Wie dieser Maler in Castiglione ungern aus dem architektonischen Rahmen heraustritt, so bleibt auch sein Individualismus fast unbeirrt in einem idealen Medium, das er von der Tradition des Trecento um so lieber festhält, als er fühlen mag, dass beim Aufgeben des getragenen Tones, den auch Gliiberti nicht ver- lässt, zugleich ein gut Teil seiner \vert\ ollst<Mi Kii^enscliafton gefährdet würde und sicherlich manche Schönheit verloren gienge.

Schwieriger als über diese innorn Qualitäten der schlecht er- haltenen Bilder dürfte eine Verständigung über die Person des Künstlers zu erreichen sein, wenn wir es darauf anlev;ten. bestimmte Namen in Vorschlag zu bringen. Im Augenblick aber scheint mir der Stand der Forschung bei allen Fortschritten, die ihr neuerding^s gelungen sind, noch nicht in der Lage, nach einer einzigen, auf diese Weise herausgeschälten Arbeit den Identitätsnachweis mit einer historisch bekannten Persönlichkeit zu versndum. Sind uns doch gerade aus der ersten Hfllite des Jahrhunderts so viele Cyklen florentiniacher Wandmalerei in Kirchen und Klöstern verloren gegangfen, dass wir uns von dem Wesen oder gar den Fortschritten gar manches Meisters nur unvollständige BegriffiB machen können. Aus biographischen Daten wahrschdnliche Vermutungen zu spinnen wäre Gelegenheit genug; Anklänge an den Stil bestimmter Maler drängen sich ebenfalls axxS, jemehr uns der ganze Umkreis vertraut geworden, in dem auch diese achtenswerte Kraft erwachsen sein muss.

Gewisse EigentOmlichkeiten mögen indess hervorgehoben werden. Die Apostel in der Diakonenweihe mit ihren strähnigen Haaren, ihren markanten ZOgen und ihren bald fliessenden, bald wulstigen Gewändern erinnern mehrfach an das Abendmal des A ndr ea del Castagno in Sant' Apollonia zu Florenz, wo auch die weiche Behandlung des Stoffes bei einzelnen Jüngern wiederkehrt wie bei den Richtern des Stephanus hier. Eine der Frauen vor der Tempel-

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hall(^ stützt ihren Kopf wie der vorletzte der jüng-cr rechts, während die Intensität des Blickes beim Ankläger des Diakons und dem Beirat am Tribunal, wie in dem vorletzten Kopf bei der Steinigung dem durchbohrenden Sdtwärtsstarren der Köpfe Castagnos nahe kommt Die Gesicfatsbildung des Johannes in Sant' Apollonia hat grosse Aehnlichkeit mit dem Stephanus» und der alte Jude, der als letzter der Steinigung beiwohnt, zeigt die selben auffallenden Eigenschaften des verlorenen Profils wie & Romuald im Fresko von S. Matteo, wo sowol der gekreuzigte Christus wie Johannes die etwas geschwollenen zugesfntzt vorgeschobenen Lippen aufweisen, die auch hier in Castiglione bemerict werden. Eine ganze Auswal solcher Uebereinstimmungen glauben wir in der Doppelscene zu er- kennen, mit der die Legende des Laurentius beginnt, ganz besonders in den Köpfen des Kaisers Decius, des nächsten Trabanten und des Pontifex, bis hinein in die Bildung des Ohres, der Nase mit geblähten Flügeln und dem durchbohrenden Blick. Indess die Vergleichung muss ja, sobald es sich nicht mehr um Einzelheiten der Manier hand''lt, rrsiijrniert stehen bleiben, da uns all*^ Mitteigflieder, alle Handhaben lür weiteres Eindrinp^en versagt sind. Bis zum Jahre 1444, wo Castagno in l'loren/ zünftig wird und die Zeichnung der Kreuzabnahme für ein Glasfenster der Domkuppel übernimmt, ent- zieht sieh sein Bildunirsgang unsrer Kenntnis. Der Mann, der 1435 den Beinamen Andreino degli Impiecati verdient, zeigt in den er- haltenen Beispielen .seiner Malerri vielmehr den Einfluss des Paolo Uccello, wie z. B. im Abcndmal, imd erfasst als Hauptaufgabe auch des Malers vielmehr das plastische Bestreben, jeden Körper selb- ständig in mös^chster Schärfe und Rundung hinzustellen, d. h. er huldigt der Richtung des Bildners Donatello und verdankt ihr ein gut Teil der Wucht und Grrossheit seiner derben Heldengestalten aus Villa PandoUini wie seines Feldherm auf plumpem Kärmergau im Dome.

Das ist ein völlig andres Wollen als die Charakteristik unseres Unbekannten in Castiglione d'Olona ergab; es scheint mit solchen Anfängen in sorg^tig überlegter Komposition und feiner Erfindung unvereinbar. Und doch bleiben die Anklänge bestehen. Daneben walten noch andre Zusammenhänge mit dem gememsamen Besitz der florentinischen Schule. Die feste Umrisszeichnung z. B. in den besterhaltenen FrauenkOpfen der vordersten Lflnetten, wie des Lau- rentius im Baptisterium und des Stephanus in der Synagoge, ja noch bei der Steinigung, die nicht wenig zur Markierung des Typus bei- trägt, lässt sich bis zu untergeordneten Handwerkern wie Neri di Bicci verfolgen. Sie ist auch einer Gruppe von Madonnenbildem

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kleinen Formates eigen, die z. B. im Städelschen Institut in Frank- furt a. Main (Nr. lo), im Privatbesitz in England und sonst mehrfach vor- kommen. Sie scheinen mir aus Gründen, die ich hier nidit entwickeln kann, vielleidit Anspruch auf einen andern Namen zu haben, wenigstens zunächst als Sammelmarke statt der jetzigen »Graffione« ^ das wäre der des Giuliano d*Arrighi, des alten Pesello, der bisher immer noch zu den unbekannten Grössen gehört, und mindestens mit ebensoviel Recht wie Dello ^) für diesen Anteil zu Castiglione in Betracht kommen dflrfte. Doch genug der Hinweise auf Beziehungen, die ein festes Ergebnis noch nicht gestatten.

Wenn es mir gelungen ist. in der Cappella dell'Assunta zu Prato die Hand des Domenico Veneziano nachzuweisen, und damit zugleich darzutun, wie nah seine Anfänge noch von Masolino be- rührt scheinen^, so gewähren diese Wandgemälde im Chor von Castiglione andrerseits Gelegenheit diejenigen Elemente zu erfassen, die im künstlerischen Werden eines I-Vancesco Pesellino oder Alesso Baldovinetti ihre Rolle gespielt haben. Mit Francesco Pesellino hängt besonders das V'erhör der l)eideii Diakonen und die Steini- gung des Stephanus zusammen, deren (iostalten ich hier mir ein Beispiel des genannten Meisters zum \'ergleich an die Seite sirlleii will, das ist eine tränende Madonna mit S. Antonius und S. Hie- ronymus, S. Ludwig von Toulouse und S. (lef)rg, nebst zwei weib- lichen Heiligen im Besitz des Capt. G. L- Holford in London. (Ex- liibition of Early Italian Art. The New (iallery 1S94, \r. u)-) ein Werk, das mit dem bekannten Bildchen in Casa Buonarroti zu Florenz ganz nahe zusammengehört.

Wir mögen uns vorstellen, dass der Meister, der hier den grössten Teil der Wände gemalt, im Verein mit Paolo Uccello, dem das Martyrium des Laurentius, die beiden perspektivischen Kunst- stücke mit den Toten und die Dreieinigkeit Ober dem Rundfenster nebst dem weiteren Schmuck dieser letzten Polygonseite zufielen, den Freskenacfamock noch bei Lebzeiten des alten Kardmals Branda zu Ende geführt habe.

') Für die BOdatrelen im Venczianisch-Veronc^ischen Gebiet ist neuerdings: Pictro raoletti, L'Architettura c la scullura dcl Rina-^cinicnto I. Venezia 1S93. S. iS und 7.S und weitere Nachweise über Giovanni di Bartulo il Rosso und den Meister der i'cllcgriui- kapdle »1 veiiMdieii. Darnadi Ubne Dello «Is Niduter anch hier ia Betndit

■) Repertorinm ftr Knostwiisenachail XVI (1893) $• >S9 ff*

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S. Cleuente in Rom

Lvamit wäre die Reihe der künstlerischen Unternehmungeii

dieses Kirchonfürstcn in seinem Heimatsitz boschlossen und unsre Aufgabe in Castigli« 'ii«^ d'Olona erfüllt; doch werden wir dem Kar* dinal noch ein Mal als Stifter eines wertvollen Denkmals floren-

tinischer Kunst in fremder Umgebung begegnen. Denn auch in Rom, an soin<^r 1 itolkircho S. Clemente hat Niemand anders als er die berühmte mit I resken ausgemalte Kapelle gestiftet, die nach der selben Ii eiligen S. Katharina von Alexandrien benannt wird, der hier oben in Castiglione d(^r Altar der I.^nterkirche geweiht ist, wie sie drobon am dowolljc des Chores bei der Geburt Christi das Bildnis des Stifters begleitet, das Masolino vor seinem Weggang nach Ungarn gemalt.

Antonio Beffa Nej^Tini (geb. 1532, gest. i'^o,^) sagt in seinen P31ogi Historici di alcuni personaggi della famiglia C a s t i g 1 i < ) n , I . (gedruckt Mantova MD VI) p. 259 von unserem Kardinal Branda:

,,Fece fare vna Capdla in Roma, in San Clemente SHO primo titolo, dipinta et ornata di bellissime figure, doue sole7ui spesso andare a mirarle il diuin Michel' An- gela Bonarotti: nel frontispiaio della quäle veggOHsifin' al giorno d'hoggi farme di Branda. '

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I^egesten des Kardinals Branda Casüglione für die Jahre 143 1— 1443

1421.

1421 Apr. 13. ab Nadirolger de* Giovaimi Domiidci apott. Legat in UBgara, and durch pipstL Schreiben vom VI id. Apr. d. J. mit ununiscbränkter Vullmacht fOr Böhmen, MährcD, Meissen und Deutschland versehen. BarooittS, Annal. ecde». Lucca 1752. VIII. (XXVIIj.

> Mai 31. auf einen Tage der Fflrstea und Stldt« su Wcwl; cmahiit vtnchiedene Slidte die UBtcrn^mnogen der Koifftnlen g^en die Husriten an unter- stützen. Reichstagsr-kten VIII. 66 vgl. VIII. p. 6a, 30. 50» u. p. 65, 19.

» Juni 6. in Köln. R. T. A. VIII, 67. Z. 4»b u. ;7"tl Palacky, Gesch. ». Böhmen III, 2. 244 not. 205.

» Juni ai. In Lflttich, von wo er am i. Aug. nach Böhmen abgeht (Cbron. Belg, aagn. v^. Ann. «cd.)

» Okt. a6. Rom. »Monsignore di Piagenza lia oggi Brief drs Bart, de' Bardi

an die in Gaeta befindlitbcn Gesandten von Florenz Muh. <\v Castfllani und Rin. degli Albixi. (Commissioni di Rinaldo deglt Aibizi, ed. Guasli. I. iiS.)

» Dtc la. A di ta dt dieembre detiuno ooi oardinale di Piageni*; e poi per par- Ure della materia, cavalcamo con lui e col cardinale di Pisa ') alla cacda :

e tutto conferito in'iicnic, ti <H'-s< ii<> che noi andassiino l'altra mattina al Papa, che vi sarebbe <|ucl di Piagenza per acconciu del fatto: accio che not avessimo buona risposta, e sanza indogia (Rinaldo degli Albizi, Com' adsaiMii. L p. 36$.)

» Dec la. datiert ein pipetHches Sdiretben worin Branda angetragen wird : mt Bohemos MoraToiqne cathoHco« crada symbolo insigniret*.

1422.

I4aa Janoar 7. Bulle Martins V, welche einem Wunsche Brandas gemäss die Vereinigung mehrerer Kirchenpfarrcion und Kaplanstellen in Castiglionc «l'Olona zu einem Archipresbj tcr.u verfilgt. Gedruckt in: De Originc Rebus Gestis ac Privilegüs Gentis Casiillioneae . . Matthaei Castillionei I. C. Commenlaria. Mcdiolaai Es Oflkina Tjrpogn^liiea quon, Fadfid Pontij. 159$. 5. 65.

» April 25, ist Branda am Rhein. R. T. A. VOT. p. lag. No. n8.

9 Mai in der Nähe von Rc^cn-iburf,'.

» Mai 22. in Nürnberg .zum andern male« R. T. A. VlII, p. 232, 16. ibid 226, 35,

vor 10. Juni; Juli 8.— Aug. 5. ibid. 228, 7. * Scpt 4. Bfsbiadior Koorad von Maina berichtet an Herwg Adolf von Beig, dasa

Card. Branda auf Geheifs des Papstes dem König Sigismund au St. Sebald

in Nürnberg eine geweihte Fahne ftbergeben habe. ibid. IS3 No. 141,

«S4 S.

*} Ahmanno Adimari, Presb. Card. S. Eusebii, f 17. Sept. 1422.

HO

Kegesten Brandas

1422 Okt 3. Rcgcatburg. Dcvlidutr Brief Brud» ms Markgraf Friedri^ von Bramlcn-

burit ibid. 186. No. 163. vgl. 145, No. 199.

» Herbst Dann in Böhmen? ibid No. 191. art 3.

1423 Mai 15. Erlaas Bnndas von Main an den Bladiof Johann II. von R^nsbutg.

R. T. A, VIII. 291. No. 343, » Weihnaditen soll er nach Brfinn Itonimen.

14J4.

1424 Jan. 17, Kurfliistenlag an Bingen in Anwesenheit des Kardinals Branda. Dann

Gesandter in Polen, v^. Caro^ An^ v. Ciolelts Uber cancdlarin» 456. Pakcky, Urk. Beitr. I. 309 313. » Mftrz 6. Vertreter des Papstes bei der Kröniint: der Sojiliii», Gf nialin Jagellos von Polen, in Krakau. (A^chbacb, Sigmund III. 184. Engel, Gesch. Uogaros U. 309.)

» April, in der Charwoche bt er bei KOntg ^gmund in Stnlweissenbug (Asdib. IIL 185. Engel n. 310.)

1425.

1425 Januar. Briefe Martins V. an Wladislans von Polen und an den Henog von

Litthanen (non. Jan. pontif. anw» VIU. Annal. Eod. Ton. IX. (XXVUL)

nach denen Branda no^ in Deutschland ist. » Mar/ 25. in Casliglione d'Olona bei der Einweihung der Kollegiatkirche zugegen. Mai 5. Brief von ihm, in einer Rede des Rinaldo degli Albizi zu Florenz erwähnt,

wonadi er beim Hersog in Mailand anwesend sdieint. (Commisaioni di

Rin. degli Albtzi. II. p. 325. Vgl. die Festrede, die Paolo BiumI beim

Besuch des CoIIegio de* Dottori in Mailand an Branda gerichtet, Mscr. d.

Ambrosiana. Fr. Peluso, L* chie^ di Castigliont p. 15.) » Juli 24. Die llorentinischen Gesandten in Rom besuchen den Kardinal Branda

»qoel di Piacencin el quäle molto d sbigneva al n^ionaaMUto ddla paoe.€

(Albizi.)

» Juli 24. Geheimes Konsistorium zum Empfang der florentinischeii Gesandten : »Furonvi XI. Cardinales, omnes excepto A<|uilc^cnsi.« (K. degli Albi/i, Comm. II, 534.) Nach Michele Siminetti, Mcsculanzc Mscr. Drcsd. Ob. 44. Bl. 20*): »nel qual eonslstoro fuiono I'infra scritti cardinali dok Ordinale dcIH orsini *) » di conti *J

> di viuiers uece cascellicrj ') » dilodi «) » dl vinegia») » di siena«)

*) Vgl. tUmr diese Hdschr. in Dresden Gustav Buchholz, Zsdir. f. vergl. Litt. Geadi. u. Renaissance Litt. N. F. II.

•) Giordano Orsini, Ep. Card, Albanensis.

') I.ucido do' Conti, Diac. Card, di S. M. in Cosmedin.

•) Giovanni Armet, de Broniac (iSrogncrs prcs Anccy) f H^^».

*) Fr. Angelus de Aima, Kpisc. Laudeosis, Episc. Card. Praenest. f 1428.

*) Fiaaoesco Lando» Fntiiardi Gonstantinopel. f ^4*7»

*) Gabr. Condnfancr, Presb. Card. S. Clementis nadunals Engen IV.

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Regesten Brandas

III

Cardioali di iricarico ') di piagenxa ') » di Mn naioo^

» de* brancacci *)

» <li sanlo cu>.taclii ')

1425 Sept. 0. in Rom anwesend. (Rin. dcgli Aibizi. II. ^Üy.) 9 Okt. St. (ibid.)

1426.

1426 Mai 34. seine Unterschrift auf riner Urkunde Martins V. : dat. Rnniae q Kai. 1426.

Eh<>nso: Kai. Julii »qnia ex . . dilecti lUü Brandae reUlionibus constitit et constat . .

Im Febniv 1426 war Kardinal Jordano Onini als Nachfolger Brandau

nun Legaten designirt, er kehrte in» November desselben Jahres aus Dcutsclilaiid heim. (Commis>.. ,li Rinaldo If^li Albi/it und sein Nach- folutT wini Henricus Beaulort, Episc. W'iiitüniensis, tit. S. Kusebü presb. Card. 14. März 1427. (Annales Kcd. XX VIII. (IX.)

1429.

1429 Hirz (14 Kai. Aprilis) Bulle Martins V. über die Gründung eines Kollegs in Pavia tlurcb Branda Castiglione. > Sommer ist Bmda aar Herstellung seiner Gesmidheit in Montecasaino vgl Ambros.

(TwnmaXi Ckmald. Lat Epist a P. Caaneto editae. Florent. I7S9- Piaebtio IL u. XLVm.

1431-

1431 IClR 2. Konklave. W.ilil Eugens IV. in Rom.

» März 15. erhält Branda ila^ erle<Ugte Bistum von Porto?

» Juni. Abreise des apostol. Legaten Giuliano Cesarini aus Rom nach lias«*! (Ankunft 19. Juli).

Nov. 12* Fipstl. Urknnde ohne Unterschrift Brandas: Romae pridie Id. Not.

»432.

1432 Sept. 6. sidier in Basel auf dem Kondl icaidinalis Placentimis«.

»434-

1434 Min 2S- (Vm. Kai. Apiilis) Päpstliche Urkunde noch ohne Unterschrift Brandas.

1435.

1435 Febr. 17. (13 Kai. Martii) Florenz, Päpstl. Urknnte: »Bnada , . . Episc. Portneninsc

(seit MOrs 143 1 Inhaber dieses Titels?)

■) Toromaso Brancacci, Episc. Tricariensis Presb. Card. S. Joh. et Paul, j 1428. <) Bnada Castiglloaa, Episc. Placentimis, Presb. Card. S. Clementis. •) GniU. riUastK, Piesb. Card. S. Marci. f 1428.

*) Raynaldo Brancacci, Diac, Card. S. Viti c Mod. f 142".

') Jac, Isolani, Diac. Card, di S. Eustachio. j »43 oder Alfonso Carilla, der diesen Titel durch Benedikt XII. führte, und bis 15. August 1423 I.^gat in Bologna gewesen war. (R. d. Albin Commissioni, I. 414).

Damach fehlten aber ausser Antonio Psncerinit dem Patriarchen v. Aqnileja noch andere Kardinals, 7. B. Antonio rnr.-irie, der am >}. Nov. 1421; ans seiner Legation in Perugia xunickkrbrt, (Commissioni di R. d. Albizi. II.); ferner l'icrrc de Foix, I'resb. Card. S. Steph. in Coelio, der seit Januar 1425 als L^at zur Unterdrücktmg des Schisma in Spanien war, woher er erst hn Janwir 1428 rarfldckebrt

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112

Regesten Brandas

1435 Okt. II. ConreosioDi fim l'Aidprete, U due CappeUani Maggiori e lo scoUstioo della CoUegfaita di Casti^ne »Die Martb XI If eniii OctoMa ... in pretentia

Revmi D. D. Brande de Castilliono Episcopi Portuensis Cardinalis Dig- nissimi . . .< Rogato Gio. Batt. CaitigUone, Test Aleziui Dei GraUa Episcopas Placcnlinus.

1436.

I43C Juni 0. erneuert Fiiippo Maria Visconti die Erlaubnis zur Bebauung des Scbiou- bügela in Castiglione.

» Brief an Bnnda v. Bemabo Carcsnens. Mscr. in fol. H. nun 48. der AmbiMiuia.

* M37. 1437 Okt. 30. (in, Kai. Novembris) Errichtung zweier KaplansteUen in Castiglione an der Tavf liapelle und der Kirdie Ctorpui Chriatl. Piptti. Urlrande ana

Bologna.

Dec. 4. Statuten des Coli. Castilion. an der Universitit Pavia, dat Bononiae apod

S. Jacob.

1439-

I4J9 Juli 6. Uttionniritvnde d. Florentiner Roncüi. spridle non. Ja].c » Sept. 96. (VI. Kai. Octob.) Florenz. Erectio Sddae Castilioni »pro parte veaeim* biUs liBtris nostii Bnuidae Epiaoopi Portneniis . . .€

1440.

1440 (Ang. 6. Oct. 8.) >Epi<icopus Sahinensisc Siej^el Brandas in Florenz, S. Maria Madd.

del ( fstdlo hoi Mansi, Dom. M. Osservazioni istoriihe sopra i sigilli antichi de' .sccoli bassi. Tomo IX. Firenze 1742 p. 81.') Vgl. Poggiali, Memorie storicbe di Piacenaa. VII (1759) p. 224.

1442.

1442 Ort. 30. Ankunft und Kmpfang in Mailand. ')

Dec. 8. De pracfecto Fabricae . . Castil. »coram D. D. Branda miseratione Divina

Episcopo SaUnenai . . . Tealea: Angelna, Episcop. Arrlanensit; Petras de Man decnt Doct. Araepo*. Embriaoen . .

1443.

1443 Jan. 20. Cjrriaeu t. Anonna beandit den Kardinal in Caati|^ioae d'Olona (Kiriaki

AnoonllBid Itineraiiuni. Novn fifagns. am Pomp. Compagnini. Fiaauri 1764.) » Febr. J. T«v1 Bran<Jas.

Grabschrift: >L'Epitaf!io compostn da Ler)iiardo Griil'io, nobile spirito di 4uei tempi« bei Betia Negrini, Elogio 41, dessen Edition schon von Ceaare Campana vorbereitet war. Vgl. Argelati« MbUothecn Scriptonun Mediolanensium. I. (179$) Na (XGCXC. coL 349—351 (Leonardi)s Gryphu«:, Bischof v. GvbUo I478, Erablldior VOtt Benevent 1482, gest. 1485).

>) Dort wild erwihnt: >Li]io Gregorio Ginldi aagt, im Dialogo IV. de* Poeli» er

habe ein Manuscript mit der Aufschrift: Andreae Dominici Flood Florentini ad Bfandam Cardinalem Placentinum Je Romaiii«; Magistrat ibu"« I-iber.«

') Vgl. CoUutio pro aiiveulu . . . Brandae , , auct. Matt, de Zeccbis. Msc. Am- broaian. B. n. 116.

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Lieferung I

Verzeichnis der Tafein.

I.

Caatiglione d'Olona. CoUegiata» Chordecke. 1) Krönung Marias. 8) VerkfiBdigung.

3) SfKMuUzio.

4) Geburt Christi.

6) Anbetung der Könige.

n.

Bapii«tefiuni.

6) VcrkflodigungsengeL

7) Johannes der EvaageUat.

8) Prophet Jesajas.

9) Zacharia.s im Tempel.

10) Namengebung.

11) Predigt Johannis.

18) Ecce Agnus.

1H) Zuschauer in der FensleracbrSg^.

14) Taufe Christi.

15) Gottvater in Engelglorie.

16) Jobaanet nudint Herodes.

17) Einkerkerung des Jobannesi.

18) Johaancfl im Kerker.

19) Enthauptong.

20) Gastmal des Herodes.

21) 1

22) [ Detstls daraus. 88) \

m.

Wandgemllde Im Chor der CoUegiata.

S4) Legende des heiligen Stephaans.

2.')) Martyrium des heiligen Stephanns.

2'i) (ioscliiihtrn des S. T^uretttlas.

J7) Bestattung der beiden.

IV.

Masaccio.

28) /ni« hniint: n.K Ii i-int-m l")io*.k«rrn vom (Juiriual in Rom. (l'hnt. Hraun nach Original im British Museum an London).

SCHMARSOW

MASACCIO-STUDIEN

ZWEITES BUCH

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MASACCIO

STUDIEN

VOM

AUGUST SCHMARSOW ^ 11

MASACCIOS MEISTERWERKE

(Mit i8 Lichtdrucken)

Th. G.

1896 Fisher KASSEL

& Co.

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MASACCIOS

MEISTERWERKE

SrUDIEN

VOM

AUGUST SCHMARSOW

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Inhalt

Sdtc

Du Urttil der ZritfenotMO i 4

I. Die Hanptstflcke der obem Reihe in Cappelk BnUKacd 4—34

1) Die Geschichte vom ZoUgroschcn 4 14

2) Die Vertreibung au.s dem i'arAdiese 14 23

3) Die Taufe '3—30

Die Zeiduraof einei Diodntren voa Moate Cavello 30—33

n. Die aiiteie Reflbe Beiner Fresken in Cnppella Brancnoci 34^5^

1) Die Almosenfpende 3^~39

2) Die Schattpnheilunp . 39 4*

3j Petrus in Calbedr» . . . \ 43-~46

4) Die Erwednuig des Kndieii. f *46— 50

La Sagre dd CanniBe $1— 60

Iir. Die 9oasti|ien MeiatersHlcke dieser Periode 61—96

1) Das Fresko in S. M. NoveUa 62—71

2) Das Riimlbildchen in Berlin 71 76

j) Das Altarwerk von Pia« 76 89

Die HeUnng des beatüMen Knaben 89—9*

MASACCiO'S MiiiSiER WERKE

Masaccio hat niitten in Florenz sein Lebenswerk entfaltet, und die nachtol^cndc Generalinn steht den firnfstaten seiner kurzen l.autliahn wie ( )ftenl)arungen einer Wuiulerkralt gegenüber. : lJomo niaraviglioso tigura niaravi^lii »sa ma lui maraviglioso storia niaravigliosa d'artifieio a ogni inti ndente , stammelt Antonio Manetti zwischen der sehliehten Aufzählung seiner Leistungen, ein Architekt und Mathematik»^r, der gewiss zu den Sachverständigen gehörte.') Und welch höhere Anerkennung konnte es geben, als was zeitge- nössische Handschriften dieser kurzen Nachricht hinzugefügt : -^Filippo di ser BruneUesco, der grosse Architekt, hat ihn sehr geliebt, weil er semen durchdringenden Geist erkannte, und hat ihn viele Dinge der Kunst gelehrt Bei der Nachricht von seinem Tode zeigte er, wie tief sie ihn ergriff, und wiederholte unter sdnen Leuten: wur haben einen grossen Verlust erlitten.»*)

Schon im Jahre 1480 ist das Urteil des gebildeten Florenz, mit seinen schar&innigen und geschmackvollen Freunden der Kunst, vollständig abgeklärt Mit bewusster Sicherheit über den Wert des Erreiditen, der gewiss in mancherlei Gesprächen erörtert war, drängt Cristoforo Landini im ersten Florentiner Druck der g^öttlichen Komödie Dantes den Wahrspruch der Zeitgenossen in ein paar Sätze zusammen, die nur zu oft wiederholt sind: ^Masaccio war ein

>) Opcrotte istoriche cdite et iaeditc di Antonio Manetti, ncc da Gaetano Milane&i Kirenzc 18S7,

*) Vgl. aiibro di Aiiloofo Vm (Cod. Strozzian.), Cod. Macliabecchian. d. XVn, 17 und Cod. Fttnl bei C. v. Fabrictjr, Filippo Branellesdii, Stuttgaft 1892 S. 489.

Sdhinanov, MaaawitvStiidien II. 1

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2

Masaccio's Meisterwerks

vortrctHicluT Nachahmer <lcr Natur, voll plastischer Durchbildung, ein Meister der KomiM »siii« »u, uiii\ ersell. und rein ohne Zieru erk; denn er er^ab sich ganz der Nach.ihmung des Wahren und der ])lastischen Erschein uni»' der (lesialten. l'"r beherrschte di»- Perspektive* so jTut wie iruend ein anderer jener Zeit und besafs (>ine gmsse Leichtigki'it des Schaffens, tla er doch noch sehr jung war. indem er mit sechsund/wanzig Jahren starb*.^)

Schon damals aber scheint der Inbegriff seiner Kunst an eine einzige Stelle der Amostadt geknüpft. IMe kurze Nachricht des Antonio Manetti beschränkt sich wenigstens auf Kirche und Kloster del Carmine. obwol dem Verfasser die sonstige Ausdehnung des Wirkungskreises auf andere Stellen in Florenz, auf Pisa, Rom und anderweit nicht unbekannt war. Ihn leitet das schere GefQhl, hier im Carmine sei doch die Hauptsache zu suchen.

Und hier wieder bildet die Cappella Brancacci den Mittelpunkt, die noch Giorgio Vasari als unerschöpfliche Quelle der Bd^urung gepriesen hat Man muss sich klar halten, was es fQr einen Künstler mitten im sechzehnten Jahrhundert bedeutet, wenn er das Bekenntnis ablegt, hier seien i precetti e le regole del far bene« zu suchen, hier habe Rafael den Ursprung seines schönen Stiles gewonnen, hier T.ionardo da Vinci nicht minder, ja selbst »der göttlichste Miehelagnolo Buonarroti , und die berühmtesten Bildner und Maler seither, si»" hätten es durch Studien in dieser Kapelle so herrlich weit gebracht. KIint,rt es (|o( h wir die N'orausnahme eines Lehrsatzes aus akadeniisch« !! /■ it*Mi, wenn ir Masaccio das h<")chste ]^)h zu- erkennt, ni.issini aniente per aver egli dato ordine nel suo magisterio alla bella maniera dei tempi noslri .

Wie das Ansehen eines Heiligtums, das die Hand der \'or- schung V. >r (in^hcnd. ni l'ntcrgang bewahrte, gar bald die Ansprüche aller anderen zurückdrängt, so mochte sich diese alte Wallfahrts- stätte der Künstler aufs Neue herausheben, seitdem beim grossen Brand der Kirche von 1771 nur dieser Teil des ganzen Grotteshauses verschont geblieben war. Die Hand der Menschen hätte ohnehin dafQr gesorgt, die Zahl der Werke Masaccios zu verringern, selbst in Kirche und Kloster del Carmine sich nicht gescheut, ein Beispiel seiner Meisterschaft nach dem andern preiszugeben.

Im Besitz des Besten blieb man unbekümmert um die Frage wie dieses Wunder erwachsen sei, und erst der historisdie Sinn der letzten Generation fordert vorwurfevoU Rechenschaft aber solche

<) Der Commentar des Landioi ist von 1480, der Dradt «m 30. August 148 t voUeadet. Die Worte sind in sUen oUgen drei Hmdsdififten vor dem Veneidwis der Werlce Masscrio's wiedergegebeD.

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Lebensdaten

Einbusse, weil ihm jede Vorstufe, jeder Zwischenakt im Verfolg dos Hddisten willkommen wäre, und weil er meint, gerade diese ver- tuitreuten Stflcke mflssten, in solchar Nachbarschaft zumal, sein Be* dOrfiiis nach genetischer Erklärung befiriedigt haben.

Noch immer vermag die Cappella Brancacci an S. M. del Carmine zu Florenz In ihrer Reihe von Wandgemälden so reichen Einblick in das Schaffen des Malers zu gewähren, dass daneben alles Uebrige nur noch Ergänzung oder Erläuterung scheint Deshalb suchen auch wir heute, ihn an 4icser Stelle zunächst zu fassen.

Und dieser sichere Ausgangspunkt verdient um so mehr den Vorzug auch des zidbewussten Forschers, je weniger die spärlichen Daten aus Aktonmaterial für die Kunst selber zu ergeben im Stande sind. Was haben wir denn für das \'erständnis des Genius gewonnen, wenn wir wissen, dass Masaccio nach Aussage seines eigenen Bruders am Tbomastage, cl. h. am 21. Dozomber dos Jahres i joi geboren ward, und zwar als Sohn cin<'S Xotars in dem kloinon ( >rt ("astollo San Giovanni im nlierfn Anuit.il.'i 1 )(.-m Künstler k< iiimeu wir näher mit der Angabe, er siehe schon am 7. Januar i }_m in d«'r Matrikel der Aer/te und Spe/eristen ver/.eielmet -). sn dass er schon mit zwanzig Jahren sich selbständig- gemacht, während im alten l.ibro dell* Arte di S, Luca sein Xame Maso di ser (iiovanni (hi s.mgiovanni mit der J.ihreszahl AlCCrCXXIX' versehen ist. Neuerdings ist als Errungenschaft eifriger Archivstudion die Tatsache hinzugekommen, dass ihm 1426 mn Altarwerk in Pisa zwischen dem 24. Juli und dem 8. Dezember in mehreren Raten bezahlt ward.*^ Aber die Tafel, die so beglaubigt und datiert wird, ist in Pisa nicht mehr vorhanden, und fast befriedigt mehr der Nebenumstand, dass Donatello ihm dabei als Zeuge zur Seite steht. In kflmmerliche Verhältnisse lässt uns seine eigene Angabe zur Einschätzung des Jahres 1427 hinein blicken/) wenn wir nur etwas zwischen den Zeilen lesen. Danach wohnt er mit seiner zum zweiten Mal verwitweten Mutter und seinem zwanzigjährigen Bruder Giovanni zu Florenz in einem ge- mieteten Quartiere und arbeitet in einer geteilten Werkstatt, die der Badia gehört Sie haben mehr Schulden als Einkommen, so dass

') >A di 15 di flettembrp 1472. schreibt Antonio Manetti am Rande seiner Scbrift HiiDmini sint^ilari in Fircnze ila! MCCCC innan/i', mi di^^p In Srhojjfpa suo fretcllo^ che nacque nel 1401 cl di di Santo Tomaso aposlolo, ch' t a di 21 di diceinbre.«

') Baldinuod, Notizie dei profes.sori (Ausgabe Firenze 1S45, Bd. I, 472) ; dmdbe glebt aber das Jahr des EinIriUs in die Maleisilde S. Luca auf 14S3 an, was Milaoeai verbessert, ohne die Matrilcel der Medici e Spesiali sn dtimn.

*) L. Tanfani Centofanti, Donatello in Pisa. 1887.

*) Gaye, Carteggio I. 11$ f.

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4

Cappella Brancacci

er sogar dem Gehilfen Andrea di Ginsto noch seinen Lohn nicht entrichtet hat Und als Tommaso im folgenden Jahr zu Rom ums Leben gekommen ist, man weiss ntdit wie, da weigert sich sein Bruder, die Erbschaft anzutreten, weil er nichts aufbringen kann.*) So wichtig solche Anhaltspunkte werden können, sobald man sie richtig verwertet, die volle Bedeutung dieser Namen und Jahres- zahlen vermag doch erst einzuleuchten, wenn die Betrachtung der Werke selbst ^»^e/cigt hat. wo die Pr<>bl«'mc liegen, und begreifen lehrt, welche Tragweite den Fragen nach dem Wie und Wann gebühre.

^ DIE HAUPTSTÜCKE DER OBEREN I^EIHE IN CAPPELLA BRANCACa ^

Die Geschichte vom ZoUgroschen

Während der letzten Jahre seines Aufenthaltes zu Florenz, der durch Zalilun^^eii in Pisa für und durch die Einschätzung

für 1.J27 belegt ist. denken wir Masarcio sonst in voller Tätigkeit bei den Freskomalereien der Cappella Brancacci. die er dann un- vollendet /uriickgelassen, als er nach R<>ni gi<'nv4. s*» dass sie nach seinem unerwartet* n Knde erst lange Jahre spiiter durch Filippino Lippi vollendet wurden.

*) Dieser Giovanj^, geoMint loScbeggia, vegetiert ab Maler In» i486. Der Name fties Vaters lantet in den Urkunden >Mr Giovanni di Mone Gvidi«. Im Codex Ma^iabeodi.

XVII, 17 findet sich schon der Irrtam »Tnmniaso Masaccj«, (drr bei Francesco Alherlini (1510) wiederkehrt}, aber wenigstens mit dem Zusatz »detto \yer cognome Masaccio«. Diesem Spitznamen, der ungeläbr un&erm Deutschen »der wüsle Toms* entspräche, sucht Vasaii den Belgnchmad^ des Spottes oder Tadds su nebmen, der ein nngOnstices Vor^ urleil erwecken kdnnle; Nur sein vAllis^ Aufgehen in der Kunst kabe dem Blaler fttr die alltflglichen Dinge des Lebens keine Zeit und Laune übrig gelassen, so dass er andl in <leldangelegenheitcn sttr^los gewesen, wie mit seiner Kleidung, Die Versicherung, Mab^ccio sei bcsundcrs liebenswürdig und hiltbercit, die natiirlicbe Güte selbst gewesen, ist also hier xu sehr RflckschUig jenes Beinamen^ um als flauhhafle Charakteristik gelten an dflrfien. Die einfachste VcraaUssnng, da» man den groeaen Thomas durch die Be* Zeichnung Masaccio nur vom kleinen Thomas, n.'imlich «Tommaso di ChristofaiKi di Fino^ oder Masolino da Panieale unterschicdei) halje. weil l>eide in Florenz nebeneinamler gelebt und verkehrt, wird nirgends erwähnt, - vielleicht weil sie selbstverständlich schien, bis Vaaari darllher moralisierte.

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Die Geschichte vom Zolui roschen

5

Da erscheint noch heute, wie schon Vasari sich ausdrückt, die Geschichte vom ZoUgroschen als wichtigste Leistung vor den Obrigen, die Masacdo hier gemalt. »Da sie nun gen Kapemaum kamen«, erzahlt das Mathäus-Evangclium im XVII. Kapitel, »giengen zu Petrus, die den Zinsgroschen einnahmen und sprachen: Pflegt euer Mdster nicht den Zinsgroschen zu geben ? Er sprach : Ja. Und als er heim kam, kam ihm Jesus zuvor und sprach: Was dOnket Dich, Simon? von wem nehmen die Könige auf Erden ZoH oder Zinse? von ihren Kindern oder von den Fremden? Da sprach /u ihm Petrus: Von den Fremden. Jesus sprach zu ihm: So sind die Kinder frei! Auf dass aber wir sie nicht ärgern, so g^ehe hin an das Meer und wirf die Angel, und den ersten Fisch, der herauffälirt, den nimm, und wetui du seinen Mund auftust, wirst du einen Stater finden ; denselben nimm und j^icb ihn Wir nii( h und dich. Diese Fr/ahlung wird in dem v^rossen Broitljildc Ijohandolt, das den i^anzcn nbrrcn Streiten der oint ti Scitcnw and. zur l inken dos Jiosuchors einnimmt. Sic ist hier in «Irci Motnento /erlegt; nd«r vielmehr dem letzton Moment der biblisi hen l' r/ahlung sellist. dem Befehl ( hristi an Petrus, sind die l)eiden folgenden der Ausfuhrung hin/ug(^fügt, nämlich die Aulluulung der Mün/c im Fische und die Entrichtung des Zolles an den Einnehmer. So weit konnte die Vorschrift oder Hülfe eines geistlichen Beirats gehen, den wir im Kloster der Kar- meliter voraussetzen müssen. Die Anordnung der Scenen, ihr Ver- hältnis zu einander, und was die Darstt^ung sonst bietet, bt ganz des Künstlers Eigentum. Zur Verdeutlichung des Hauptroomentes ist schon die Forderung des Beamten unmittelbar hereingezogen, so- dass diese Mittelscene den Befehl zugleich mit seiner Veranlassung zeigt. Das Ganze wird vor den Mauern der Stadt Kapernaum gedacht, als handle es sich um Entrichtung des TorschiUings.

Auf breiter Strasse, die sich von links her zwischen Hflgel- ketten und dem Gestade des Sees hinzieht, hat sich die Schaar der Jfknger, mit ihrem Meister in der Mitte, der Stadt Kapernaum ge- nähert, deren Tor mit dem Wächterhäuschen zur Rechten liegt. Soeben ist der Beamte auf die Ankommenden zugetreten und fordert die Abgabe vor dem Eintritt in die Stadt. \'om Rücken gesehen, steht er in kurzem Kittel fest auf dem linken Bein, wahrend das re( hte, nur mit den Zehen den Boden berührend, in .schräger Haltung sich .seitwärts streckt; die linke Hand hält er geotinet hin. die Münze zu emj)tängen. während die reihte zur Erklärung- des An- sinnens rückwärts auf das Tor weist, \\ >> \ >m jedem Fremdling ein Fingangszoll erhoben wird. Ditse doppelle Bewegung in der bäurischen breitschultrigen, scheinbar sogar etwas buckligen Ge-

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Cappella Brancacx:i

stalt, deren Antlitz wir nur in verlorenem Profil zu sehen be- kommen, weil es sonst die Wirkung der sprechenden Gebärde beeinträchtigt hätte, ist ein Meisterstück anschaulicher Exposition. Es ist kein Bettler, der Almoseti heischt, sondern ein Mann, der auf seinem Rechte steht, ganz objektiv behandelt, nur in Ausübung seiner anerkannten Funktion, die an sich gleichgiltige Veranlassung zu dem wundervollen Auttritt, der sieh nun zwischen Christus und den Seinen abspielt. Hrgrinimt ülier die l'orderung an die Kinder der Annul steht Petrus dem l<>rwärt(T i^eneiiüber. alle Miiskehi seines (lesiehls /ieheii sich /usaiiimen, wahrend die \ (>rgcs( hobcnc Kinnlade den /ornigen lUiik l.isl verächtlich lier.iusfordcrnd be- j4leitet, und liie linke Hand, leise \ (»rjjestreckt sieh hebend, dem lästigen Anlauf" allein gegenulier, eine Zurück W eisung bedeuten wollte. Aber des Meisters Wink verwandelt den Sinn tler Antwort im Volbtuge. Christus selbst tritt in diesem Augenblick zwischen beide Gegensätze und befiehlt dem alten erreglichen Genossen, an den See zurflckzugrehen und dem ersten Fisch, der an seine Angel beisst* das GreldstOck zu entnehmen, dessen sie bedOrfen. Unwill- kflrlich streckt sich die Rechte des gehorsamen Jüngers in derselben Richtung aus, wohin die Weisung geht, und die abwehrende Haltung der anderen Hand wird nun zu einem »Warte, bis ich dich befriedigen kann«. Auch hier wieder ein kritischer Übergang im Ausdruck zweier verschiedener Momente der Handlung. Nur Christus steht ruhig und klar, mit sich selber eins, vornehm im Wesen und har- monisch im Wirken da. Sein Wille löst den Widerspruch, bevor noch die Verlegenheit ein Ärgernis gegeben, und nur in der horchenden Jüngerschaar spiegelt sich Spannung und Staunen ob des seltsamen Befehles wieder.

Von Petrus auf der einen zum Wächter auf der anderen Seite der Hauptperson umgiebt den Meister ein weiter l^ogen. der sich ■beim Wortwechsel sofort gebildei hatte, während hinler i'etrus (^irie enggedrängte Keihe .mlschliesst. wie sie des Wegs dahergewandelt kam und nun /urück'>taut. So malt sich der unerwartete Zwischen- fall noch im friedlichen Zuge Wie das flüssige Klement vor dem hineingeschleuderten .Stein im Kreis auseinanderwtMcht und wieder- kehrt, so hier nachgiebig oder ratlos die l'Vommen. Nur Einer macht Miene zum Widerli.ilt, imd häner gewährt Rückhalt, wenn es nötig wird: das lirüderpaar Petrus und Andreas. Und so hebt - sich doppelt das Auftreten des Führers, dessen geistige Ueberlegenheit den Anprall aufhebt und die Welle glättet Neben Petrus, der zum Stein des Anstosses zu werden drohte, steht der milde Johannes, ganz Hingebung und Vertrauen zum Herrn, und am anderen Ende

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Die Geschichte vom ZoLUiRoisCHEN 7

des Hogcns der /wcireliide. iinv,däubij^fe 1 ImnMs. der mit .lusserster Skepsis dem Ablaut iolgt, wahrend die lel/Uii drüben, mit dem langbärtigen Andreas wie einem Eckpfeiler an der Spitze, sich zur Mauer zusammenschlöfisen, wenn er das Beispiel gäbe. Drei Charakter- köpfe verschiedenen Alters sind gleich gerichtet dem Mittelpunkt zugekehrt, während ein vierter, nach ihnen hingewendet, zu Petrus, ihrem Vordermann, überfährt, der nun erst recht als Säule hervortritt Ihm reiht, in gldchem Werte, sich Johannes an, während der nächste Kopf zwischen ihm und Christus, wie der folgende, zwischen Christus und dem Torwärter, nur wie Trabanten des Meisters in angemessener Entfemung^verharren, doch als Folie der Hauptperson zugleich durch energischen Blick nach dieser wie nach jener Seite vermitteln. Uebcr der Schult« r des Beamten sichtbar, blickt noch ein jugendlicher Kopf nach rechts hin zu der Schlussreihr \ <>n abermals drei (ie- stalten, die denen links entsprechend, nach Innen gerichtet gegen- über stehen. Su führt von der mächtigen Gewandtigur, die wir als Thomas anerkannt, die doppchc I'ewegung des Znllcinnehmers in seinem Kittel zu Christus nach der Mitte des ganzen (iestaltenringes zurück.

Eines Weges Breite trennt diese in gleicher Kopfhöhe durch- geführte Hauptgruppe des Bildes von dem gemalten Hlaster, der den Wandstreifen links begränzt Hier sieht man vor einer Reihe junger, noch spärlich belaubter Bäume, die unsre Wanderer im Rücken gelassen, den Rand des Wassers, wo das Wunder mit dem Fisch geschildert wird, soweit es lunlich war. Halb sitzend, halb auf ein Knie gestützt, beugt sich der alte l'etrus am T'fer des Sees vornii1)er. um mit beiden Händen das Maul des Irisches /.u offnen, der ihm die Münze bringt. Die abgeworfenen ( )berkleiilcr liegen neben ihm am Boden, sodass die angestrengte Haltung seines K'^rpiTs in ihrem /weckmalsigen Zusaninienhaiii^ auch in stark ge- krümmter Ansicht ixu li kl.tr her. mstrilt. Sie maciit in ihrer l>i stiinmi- heit und lvn(Tgie dem Meist« r unisonichr I-.lire. als er si( h durch die Schwierigkeit der Liistung nicht h,it verleilen lassen, sie auf- dringlich in den X'ordergrund zu rücken. Er sehicbt d.is Bravour- stück vielmehr entschlossen auf den ferneren I'lan. im richtigen (lefühl, dass all/.ugros.se Deutlichkeit des (ieschelu'ns dem Wunder schade, und ordnet es so als Nebensache nur dem (i.mzcn unter, dem gerade diese Erweiterung des Raumes zugleich eine Strecke Weges, den die fromme Schaar zurückgelegt, absehbar einverleibt, und ausserdem, im Gegensatz zur anderen Seite, eine Wifkong sichert, die dem innersten Geheimnis seines Genius angehört

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8 Die Geschu ute vom Zullüroschen

Während hier das Auge des Beschauers den Abstand der Körper ermisst, ohne sich aUzusehr gefesselt abseits zu verlieren, dringt die Scenc rechts am Tore nah und deutlidi auf volle Be- achtung. An der Schwelle des Eingangs zur Stadt, wo ein paar Stufen schräg hinanföhren, steht wieder der derbe Gesell mit seinem Stecken unterm Arm, beinahe wie ein Wegelagerer. Zum BetÜer fast, dem man Almosen reicht, drückt ihn die vornrhmo Haltung des Petrus herab. Hoch aufgerichtet ist der Aix)stel zu ihm herange- treten und legt das Geldstück in die nffimo Hand. Fast ganz vom Rücken gesehen, den Kopf im Profil herumwendend, würdigt er den Einnehmer kaum eines Blicki-s. Meisterhaft ist die (tegen- übcrslolluniL,»' des rMtnisrhcn Togalr-iv;* Ts, mit (h m wc issgelorktcn Jiipiterkopf .tul ijreitem Nacken, und d^-s linkischen Kii|)els, der mit seinen slanimitr gewachsenen (iliedrrn nicht reiht zu bleiben weiss und nur zum Kiiei ht geboren ward. Die groben Züge des Kinen, durch ein telilerhatl liet sit/eiides ( )hr und eine flängclippe entstellt, bleiben im Schatten, w.dirond den Kopf des Apostelfürsten das volle Tageslicht erhellt. Schon diese stärksten Kontraste der seitlichen Beleuchtung erschweren es, ausser sichtlicher Beschädigung des Kopfes, beim Wächter die echt italienische Schilderung Vasaris im Einzelnen zu kontrollieren. Er sah oder fühlte: »die Gier des Em- pfangers, der mit grösster Freude das Geld in seiner Hand betrachtet, wie den A£fckt des Andern, der zahlen muss.«

Zwischen beiden Figuren steht vom am Rande der niedrige Gränzpfahl, das wolbekannte Wahrzeichen der drohenden Barriere, noch heute das Ärgernis des I^^ndbewohners, der die Cinta daziaria passieren muss, wenn er in die Stadt will Und gerade von hier aus beginnt die perspektivische Konstruktion der Seitenkoulisse mit dem Wächterhaus und seiner Laube, deren Arkade so wirksam die Gestalt des Petrus umrahmt. Ihr quadratischer Unterbau von ein- fachen Pfeilern getragen, legt sich nach drei Seiten offen mit der vierten vor das längliche Rechteck der Wohnung. Ein schmales Pultdach mit roten Ziegeln läuft über den BogenofftumgfMi h(>nmi und schützt auch die Türen des 1 lauses zur Seite hüben und drüben. Eine durchgehende Reihe von Fenstern mit halbgeöffneten llolz- läden gewährt eine Vorstellung des luftigen < )bergeschosse.s, dess(Mi Abschluss sich schon dem Anblick entzieht, währentl an der Schmal- seite des Gebäudes vorn ein klein(\s Gitterfenster die glatte Mauer durchbriciit, um dem schmalen Hausflur über der l ürhohe Licht zu geben oder von innen dii^ Beol)aclituiig d(\s Stadltores zu erleichtern. Die Fluchtlinien an der Frontseite dieses Bauwerks laufen nach dem Mittelpunkt der perspektivischen Konstruktion, der unmittelbar über

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Perspektive und Komposition

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dorn Scheitfl der ! lauptjx rs< »ii jj^elrjri^n ist, also an drei Fünftel dos Ilöhenlotos ühor dor ( »rundlinif. <n ht man in den Abmessungen der BildHache \on dem ( enlral|»unkte über dem Kopie des C hristus aus, so ergiebt sich, dass rechts ein neutraler Streifen ausserhalb <it>i'iggcl^saen ist, der an Breite ungefähr der Wunderscetic mit dem Fisch zur Linken entspricht So kommt es, dass diese Architektur, so korrekt sie an sich gezeichnet ist, zu den dargestellten Figuren noch nicht in richtigem Verhältnis steht In ihren Teilen etwas zu klein, und zu schwächlich fQr die wuchtigen Gestalten, erinnert sie noch deutlich genug an die Gewohnheiten des Treccnto und an die allzu schlanken Bauwerke selbst auf Ghibertis Porta del Paradiso.

Unverkennbar bezeichnet die Figurenkomposition wieder fär sich einen zweiten Anlauf, und zwar einen unverkennbaren F<Mrtschritt in der Erkenntnis des monumentalen Stiles, in dem die Handlung der Menschen immer dio Hauptsache bleiben will. Sie ist fast aus- schliesslich schon auf die plastische Selbständigkeit und volle Wirkung der Gestalton berechnet. Sie beschränkt sich deshalb auf einen ziemlich schmalen Vordergrund, und zwar ganz ähnlich wie die Reliefkomp<isitionen Donatellos. Die Bergzüge dahinter geben einen Untergrund von willkommener Neutralität und die l'aunikronen vor di<'sen einen Mafsftab, wie weil diese inn< rr Relieffläehe zu wirken hat. Die Seenerie giebt nicht mehr und nicht weniger als zum Verständnis des Vorganges erforderlich wird, und bildet .lueh als solche nur die äussere rmgebiing. Xur in unmittelbarer N.dio, an der Aussenseite der Stadt zur Re( hten genauer ausg(^führt. b(\ginnt hinler dieser Koulisse, die Kapcrnaum bedeutet, sogleich die Ilügelreiho, die das Seetal umkränzt, und die Strasse begleitend in die Feme flieht, aber von einem Seitental durchbrochen einer höheren Gebirgskette Raum gewährt herüber zu schauen und den Schauplatz beruhigend abzusdüiessen. Ohne durch besonderen Charakter, schroffe Fels- formen, zerklOftete Wände, üppige \'egetation oder sonstiges Beiwerk die Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, rücken diese Bezeich- nungen der Oertlichkeit den Figuren nirgends auf den Leib und bieten dem Auge erwünschte BlicklKihnen, sich über die Weite zu orientieren. Es ist nur die freie Natur, die wir fehlen, milde anmu- tige Gegend mit ernsterem Hintergrund, das frische l^ub der Bäume, und 1)( inah ein kühler Luftzug über der Wasserfläche eine länd- liche Umgehung, in der die Menschen sich ungestört ergehen, bis die Nälie der Stadt zur abendli« lien Einkehr winkt. Auf solchem Grunde kann die Entfaltung der Personen zu vollem Rechte kommen, sei es in Charakter und Handlung des Kinzelnen, sei es in Gesamt- haltung einer gleicbgearteten Sippe. Ja noch mehr. Gerade diese

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Die üeschichte vom Zollgroscuen

freie Natur des I-atidcs, ( in Stuck V.rdo, das Allen ^^ehtirt. bis die ab- grän/ondcn iM.iuern sich /eigen, entspricht dem tieferen Sinn der Scene, die hier geschildert wird. Sie ist die Voraussetzung für die Antwort Christi: eigentlich sind wir als Kinder dieses Landes, als Söhne seines 5>ch5pfors und Herrn, von Abgalten frei, und eben ae bringt uns den ( iegensat2 in dem Auftreten des ZoUeinn^mers und der Hcbestellc einer Stadt unmittelbar zum Bewusstsein. Dahin wirkt die ganze Disposition des Bildes: rechts am Rande wird die Nähe betont, links am Rande die Feme eröffnet, und dadurch die Tiefenbewegung diagonal durch die breite Fläche geführt, ohne dass die Mitte sich verengert Das ist Raumkunst!

Und wieder bildet die Schaar der Jflnger den ruhigen Hinteln grund für die handelnden Personen, die aus ihr hervortreten, wie für das lebhafte Spiel der Bewegung, das die XOrderreihe durch- zieht, und über die Hauptgruppe hinausweisend auch die Neben- momente links und rechts mit iiir verbindet.

Eine unsichtbare Mittellinie, die das Ikeitbild mathematisch halbieren würde, geht /wischen Christus und dem Zollbeamten hin- durch, der ganz am \i »rderstcn K.mdc stehend in seinem doppelten Motiv e die S( lieidung luMdcr Ilälilon und ihren inneren Gegensatz bezeichnet. Iiis an die Ciranze sein« s (iebietes vorgetreten, hat er den Zug iler WandiTcr angehaltt-n luid löst in anschaulichster Altern. itive den ganzen Ablauf der Handlung .lu.s. Mit genialem Wurf ist diese volkstümliche Gestalt hier auf die Bühne gebracht, als derber Anstofs iut Kntfaltung idealsten Inhalts. Sie offenbart ein Verständnis der Fomip« i äpektive, eine Kühnheit der Zeichnung und ein so ausgeprägtes Gcftkhl fQr die Wirkung lebendiger Gebärde, des Körpers und der Gltedmalsen auch ohne das Antlitz und sein Mienenspiel, dass schon sie allein das Eindringen des Malers in das Innerste der plastischen Kunst bezeugt Wie die burleske Figur des Boten in der antiken Tragödie erscheint hier der Wächter vor dem Protagonisten und seinem Chorus würdiger Männer.

Diesem treibenden Agens in seiner phy^schen Gestaltung treten die Hauptpersonen iti ebenso statuarischer Durchbildung ent- gegen. Statt der länglichen Proportionen, in die Plorentinischc Künstler damals so leicht verfallen, sind es gedrungene breitschultrige Typen, die Masaccio bevorzugt. Körper von voller Rundung und Breite, die jc(l(Mi fremden Halt entbehrlich maclKMi. fast allzu untersetzt und wuchtig bis aut den Meister in der Mitte

( liristus allein wird ganz von vorn gesehen und wirkt völlig tr<M in seiner Sphäre : mm gewinnt es Macht, dass er im Central- punkt dieses Mittelstückes steht, auf den alle Fluchtlinien der Perspek-

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Gestalten und Bewegung

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tive zusammcnluhron. Er ist d.is männliche und doch in voller Jui^endkratt stndendo Idcdbild dfs lleiland«'s, wie es im /us.iiniiu n- hang^ nocli mit dem wcrlx allsten Erbteil des 'rre( eiito. doch im Sinne der neuen (icner.itii>n (^r\vachs(Mi konnte. (ir<iis und l"eierli( h in der breit drapierten (icwandunj^- tritt er licrvor . in elastischer Körper- bewegung wendet er das Antlitz und dir aust;( streckte Rechte zu Petrus hinüber, während die Linke, über die Hüfte herabhangend, den Mantel trägt und diese Seite ruhig und vornehm gegen den Anspruch schliesst Der Typus des Kopfes, die Hände» die weite flach Ober die Brust hangende (irewandung verraten noch am deut- lichsten die Nahe des Agnolo Gaddi und Don Lorenzo Monaco, und doch gelingt dem wirklichkeitsfreudigen Eifer des Quattrocento schon hier viel überzeugender als jenen die Verkörperung der idealen Persönlichkeit

Petrus daneben, älter und wettergebräunt, beherrscht auch al^ Graubart kaum noch seinen Feuerkopf. Als Beleidigung des ge- liebten Meisters scheint er das Ansitmen des Torwärters zu empfinden, und wie aufbrausend hebt sich sein gedrungener Bau gegenüber dem Frechling in seinen Augen, der Al)i4al) -n heischt von freiwillig Armen. In der ganzen Haltung ist das degenbild des Zöllners durchgeführt, nur in höheror Tonart und leidenschaftlichem Tempera- ment. Dhne Dazwischcnkunft (>iner höheren Einsicht krmnte es dem Unbequemen hier aludich wie dem Knechte Malchus gehen. imd nicht umsonst erscheint er. wo Petrus ihm allein begegnet, mit dem Stecken unterm Arm.

Beredt genug, nur durch die Erscheinung wirkend, steht nelxm ihm der Eiebling des Herrn, johaniics, ein herrlicher Jüngling \i>n kliissischer Schönheit, dessen blonde Kingellocken leider so regel- mässig auch nach antikem Vorbild aufgereiht sind. Die Eormen seines Kopfes scheinen sonst wie in Marmor gemeissclt, und der träumer»die Blick, der wol Hingebung und Zuversicht, dodi weder Entschiedenheit des Wollens noch Klarheit des Denkens bedeutet, hebt ihn kaum aus der Ruhe stiller Gegenwart zu lebendiger Be- ziehung empor, und die Haltung der Hände, die nur mit dem Mantel beschäftigt sind, dient der malerischen Breite der Draperie allein. So filhlen wir den Unterschied von Christus wie von Petrus gleichermalsen.

Der langbärtige Andreas steht dagegen grade aufgerichtet und unbeugsam wie ein Erzvater des alten Bundes, wie Donatellos Abraham am Campanile des Domes, das Urbild des Moses für die folgenden Künstlergenerationcn, dem auch Michelangelo noch seine ganze Kraft gewidmet hat Und so leuchtet auch hier der Unter-

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Die (jESCHlCHTE VOM ZOLLGROSCUEN

scliifMl der lU'iK n I n iH nbildung ein, zwisrlien ihm und Johannos, den ilif !• Ii •rciuiiKT bisher als Verfasser der Apokalypse in lu>hcm Alter und mit langem Hart /u denken pflegen. Neben Andreas sieht gar Donatello selbst herein, und es gewinnt die Veragherung Vasaris, der Thomas drüben sei das eigene Bildnis des Malen in der Rolle seines Schutzpatrons um so mehr Wabrscheinlichkdt, als auch dc^ ältere Apostel neben ihm die Züge des Päolo Uccello trägt Doch sei es mit der Porträttreue dieser Charakterköpfe wie es will. Der letzte Apostel rechts, den sein durchbohrender Scharf- blick allein zum Thomas macht, ist eine herrliche Gewandfigur, die grandios und einfach den Kreis der Jünger schltesst. Bei aller bildnismälsigen Bestimmtheit der Köpfe waltet eine einheitliche Behandlung, die alle Besonderheiten ausg-leicht. ohne ihr berechtigtes Mafs zu verwisehen, und die schlichte Breite der Draperie träv^'t •nicht weni!^'^ dazu bei, die würdevolle Getrag"enheit des Tones durch- zuhalten. Auch da ist wieder das wertvolle Krbteil des gotischen Stiles, das Masaccio noch festhält wie Ghiberti, ein ideales Medium für so viel Individualität.

Kitie Art X'erklärung giebt diesen m.inniclifaltiv^en Köjifen die einheitliche LVlcurlilung; sie lichtet ihre Ki ihcn und setzt hier und da, die ganzen l-igiin-n unifliessend. sie in plastischer Selbständigkeit auscitiandcr. sodass überall die reliefmälsi^e Komposition deutlich gegliedert und zu maleri.scher 1* reiheil .lut'^clot.kert wird. Und diese Beleuchtung gerade ist doch nichts Aiulert s. als die resolute Auf- nahm(^ der Wirklichkeit in. das Wandgemälde, nach den besondem Bedingungen der Bildfläche an ihrem Ort in dem Kapellenraum selber. Wie das Tageslicht durch das gotische Fenster heranstrOmte, so führt es der Maler in voller Schärfe durdi den Schauplatz, den er entfaltet, bis hinten gegen die Hügelwand, die sich seitlidi vorsdiiebt, und über die Spiegelfläche des Wassers, die der Wandpfeiler links zum grössten Teil verbirgt So treten uns auch seine Gestalten erst recht überzeugend entgegen, mit dem Abglanz des lebendigen Lichtes auf der Stirn, und wir glauben dieser Schaar, die da droben zusammensteht, hinausgehoben über die kleinlichen Bedingungen des Alltags und zu bleibend gültiger Erscheinung mit grossartigem Geist durchdrungen. wie einer (xemeinschaft auserlesener Männer, und cniptind(>n den Anlauf des Tor\värters wie den natürlichen Widerspruch der roheren Aussenwelt.

Durch diesen (ieg-ensatz wird auch das Auge schon energisch in das Innerste des Hildes hineingeführt ; denn es gehorcht auch hier dem Willen des Al.ders, der niit klugem Sinn seine Vorkehrungen getroffen hat Die nackten beinc dieses bäurischen Gesellen fallen

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Beleuchtung und Farbe 13

schon auf vor der einheitlichen Masse gleicher Gewandung; sie leiten unsem Blick in die entsdieidende Bahn. Die orangerote Farbe seines Kittels kommt hinzu,* den Kontcast zu vollenden. In tiefblauem Mantel, der leise in Grün fällt, hält ihm Christus das Gegengewicht, und hebt sich in hellviolettor Tunira. deren Lichter in Hellrot übergehen, mit rotblondem Haar und Hart heraus, und zu Petrus hinüber, der einen tfclbrn Mantel üIkt dir srrflne Tunica ge- schlagen hat. vf-rniittolt durch Jr^hannes. der das Hellrot von Christus aufnehmend, üln r dem bläulich grünen Rock, aus dem sein nackter Fuss hervorsieht, die nämliche mild»' Farbe in woitctn Mantel aus- breitet. Andreas in hellgrüneni Mantel und hcilkarniinrntom Rnck auf der oin<Mi Seite, und Tliomas mit sein<'!ii l)r«'il('n Ul)er\vurf in ebenso ht lh-m Rarniin auf der andt-rii Sritc schlir-ssrti auch den Kreis der l'arhcn ab und heben die drupjx' aus dem (irunde. Dir tiefbhiue i'arbo mit ihrem gesättii^^tiMi Inn /cicluiet nur Christus aus, sie wird ringsum weislich vermicdm mul klingt nur einmal noch deutlich an, w<i Petrus am Tore für beide zaldt.

Cjemeinsam ist den Farben der (iewandstoffe, besonders den helleren, die auffallende Eigentümlichkeit starker Unterschiede zwischen den Schattentiefen und den beleuchteten Faltcnrändem oder breiten Flächen. Sie nahem sich dadurch gradweise der Kamation, Alle nackten Teile sind im kräftigsten Gegensatz zMnschcn Licht- und Schattenseite herausmodelliert, während die Heiligenscheine am hellen Ende der Gruppe durchsichtig, fast verschwindend, an dem andern wie metallene Scheiben in sdiarfer perspektivischer Zeichnung ge- geben, und vergoldet, wie alle flbrigcn Mittel dazu beitrugen, die Reihe plastischer Gestalten vom landschaftlichen Grunde abzuheben, der seinerseits ebenso abachtlich in einheitlichem Ton gehalten, ^e starken Gegensätze vermeidet un<l so erstrecht den Eindruck räumlicher Tiefe für das Auge herv^orbringt.

In dieser Ki( htung gehört mit dem grossen Preiibilde, das die Geschichte vom Zollgroschen erzählt, das benachbarte Stück am Eingangspfeiler der Kapelle aufs Engste /Aisammen. Dir Rechnung mit Licht und Farbe folgt durchaus den seilten Grundsätzen, nach Mafsgalie nur des gegrlicnen IMat/cs an der Leibung des l\ingangs- bogens; die tccluiischen Kigeniii-it«n, die vollendet breite, sichere Finsclführung, die im (imssen arbeitet und sieh auf Kleinigkeiten nicht einlässt, sind bi-idcn l'Ve.sken gemeinsam, so tlass sie als male- rische Leistungen sich unmittelbar aneinander sehliessen. Und es darf der Umstand nielit irn^ inai Iumi, dass die Wahl «Ics dargestellten (iegen- standes der Erwartung keineswegs entspricht und mit der Geschichte des Apostelfürsten in keinem Zusammenhang steht. Auf dem

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Die Vertrexbung aus dem Paradiese

schmalen Felde, das sich in gleicher Höhe bietet, erblicken wir die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradiese.

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Die Vertreibung aus dem Paradiese

D ie malerische Uehoreinstininning mit dorn anorkannton Haupt- werke ^Tasarrios erweist auch (licscs Stück als Eigentum des- selben Meisters, das X'asari allerdinv,'-s jrar nicht erwähnt. Wie drüben am andern Kiulc im Schatten der Altarwand das Stadttor VI »II Kapernaum sich öffnet, /u dt^ni der Zu^*" der Jünger mit ihrem >lerrn in der Mitte hinstrc-bt. so dran^^t sich liier die schmale Pforte des Paradieses .yanz dicht an den Rand des Bildes links, w ie ein Stadttor mit Zinnenkran/. Und der Betrachter der Kapelle tritt durch den Eins^anj^sbo^en zugleich mit dem erst«Mi Menschenpaar in den Bami dir besonderen Pxleuchtunj^^ dieses Raumes. Rechtshin schreiten die beiden X'erbannten, und werden so vom vollen Lichte getroffen, das durchs Fenster in der Mittclaxc des Innengemaches hcreinstr&mt Den bcstindcron Bedingungen dieses äussersten Platzes unter dem Eingangsbogen entsprechend, ist der Hinter- grund für die beiden Figuren ganz dunkel gehalten, und die Durdi- führung des hellbraunen Erdbodens, auf den sie hinaustreten, be- schränkt sich auf die Andeutung seiner öden unfruchtbaren Kahl- heit, des starren Gregensatzes zum irdisdien Paradiese, das ver- schlossen hinter ihnen liegt. Ja der Engel des Zornes, der Ober ihnen auf einem Wolkenstreifen knieend, hinter den Verbannten dreinfährt, wie die Stimme des eigenen Grcwissens, die sie vorwärts treibt, ist mitsamt dieser Wolke ganz rot auf den dunkeln Grund gesetzt. Dt'iss in Gewand und Korper, in Antlitz, Haar und Händen bis auf die feuerroten Schwingen kein Untersc hied (h^r Farbe waltet, wie im natürlichen Kbenbilde des Menschen, erklärt sich nicht allein aus der Absicht, den Träger des flammenden .Schwertes zu kenn- zei(hnen.') Er trägt dieses Schwert ruhig in aufrechter Haltung, mehr im Arme ruhend wie ein .\bzeichen der (ierechtigkeit, tlenn als r(irclit< rHi h<* Waffe, mchi abwärts gekehrt, noch als sprühende J'lannnenrute ausgemalt. \ur die Linke streckt er befehlend vor sich hin und weist sie aus dem auscrwählten Bezirk der Kinder

■) Goldene Stralen, die an den Tor heieiis&lifeii, bedcnlea aniseideiii dea Stoea einer Kcafk, die Unter deo Sflndigen dreinUitit

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Der Engel des Zorns

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Gottes in die fremde Welt da draussen. Es ist die malerische Er- wägung- mafsj^Tbend jrou . sm, dass die gleichartig:*^ Bdiandlung des Ilimmolsboton mit dem Alrnsclionpaar (laruiU< r, die i^l^ iclic Stärke plastisrlior Modolliorunj;^ und ferbiger Wirklichkeit in boidrn I aktoron eine fitüsche Wirkutijjf horvorti-oliradit hätte, dio doti Sinn des Vor- gang-es nur verdunkeln, don Wort der Hauptsache nur boein- trächtig-cn konnte. Dcshall) reduciert Masarcio aucli hier, wie lioim Auffiruh'n des Stater nebenan, ein Hrav«nirstüek seiner X'erkürzung' durch die unwirklielie und i^leiehni.ilsiL;e l arlnniv^ zu einein Xeben- werk. Sein 1 liniiuelsbi)te tritt nirht « in in die \ollc I .eil)h.itt ii^kt it wie die nackten Mensehen \'>r un.sern Austen; mit dem einzitfen Mittel, dem Widersprueh zu natur^emäfsen l*'.irl)en. wird er zum überirdisehen Wesen, befreit von tler unmittelbaren J »erühruni^-, nah und doch utuiahbar, wird it zugleich untergeordnet, als eine Art geistiger Voraussetzung, ein symbolisches Zeichen nur für andere Dinge, die der Maler im Bilde des Menschenpaares selber zu zeigen sich erkühnt Wir müssen ihm erst nachschauen in seiner Höhe, ihn zurückverfolgen in seiner Bewegung, um seiner Vorzüge recht inne zu werden und die künstlerische Leistung zu ermessen, die der Maler mit dem roten Anstrich wieder zugedeckt, weil er noch H6her€^s will

Dieser Jüngling im langen Gewände, mit engen Ärmeln und hohem Grürtel, kniet mit dem rechten Bein auf seiner Unterlage und streckt das linke rückwärts über die Wolke hin, sodass nur die Hälfte des Oberschenkels noch sichtbar bleibt. Kr beuget den Oberkörper wie in rascher l'ahrt vorniiber. indess sein Flügelpaar sich aufwärts spannt. Das Antlitz nei^ sich unter der Sonne und hat auf der reinen Stirn keinen .Sehatten eigner l,eidenschaft. Die Verkürzung des seitwärts nied» rbliekenden Kopfes das Yor-

beugen . das l 'bersrhneiden des reehten ( »berschenkels üIxt die nach links zurürkw«'iehende Jlauptlinie dt r destalt habeti die \')llste Anerkennung feinsinniger F>e< ib.ichter ' l gefunden, sobald sie hinter die Hildwirkung des ( ianzen zurü< k/ugehen trachteten. Die rhythmische Schönheit der ( iliederbewe^ung erschien in ihrem malerisch ganz vollendeten N'ortrag hi«'r so plötzlich, neu und über- zeugend her\ orzul)rechen. dass man darüber fast der kleinen Schief- heit im Oberkörper und der summarischen .Steifheit des rechten iVrms vergafs, die gleichsam als chronologische Mcrkmiilc dieser Frühzeit gerade den kühnsten Fortschritten Masaccios anhaften. Nicht durdi den Wolkenstreifen als Andeutung der Luftregion

1) A. T. ZdiD, JahrtfAcfaer f. Kwsdift. Leipzig 1869. S. 168.

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Die Veriheibung aus dem Paradiese

über unsern Häuptern ist hi- r clor Eindruck eilenden Schwebens her\'org^obracht, sondern durch die Haltung des Körpers, die I^ge sein«T ' iliedmafson zu einander und die uniro\v(^hnte Ansicht solcher Vers( hi< l)uni^ von initen her. Die verkürzte /«'irhnunj^ wird jedoch nicht wen i unterstützt und in ihrem ( iesamteindruck so annehnilKir i;"enia< ht, wie überrasciiend zui^leieh. durrh dii- lieleuehtung' von der Seite her, die das \'orsprinv4'en der xori^cstreekten 1 eile noch ver- stärkt und die uuwieluii4<'reu zurüek^csc lK>heuen Partiern des Leibes in Schatten leirt, oder wo sie anfani^en kr.iuiten fra^'-würditr zu werden, \oll(Muls der l^rj^änzunv^ unsrer Phantasit^ ül)erlassen darf. Nehmen wir nun abermals die unwirkliche Färbung hinzu, die solche An- sprüche fernhält, so dienen die Wolke drunten wie die Flügel droben fast nur als Folie, deren Utnrisslinien den Zug der Form- verjüngung begleiten und alles Gewidit vermittelnd in die Flädie breiten.

Die Schmalheit derBildflächc gestattete dem Maler ausserdem in seinem Engel das Abwärts mit dem Vorwärts an einem Wende- punkte der Bahn zu verbinden, sie schnitt von selbst räumliche Umgebung und körperhaftes Beiwerk ab, die uns sonst filr das Verhalten der Dinge zu einander den Ma&ftab geben. Sie erlaubte ihm mit den beiden unteren Figuren, die hinzukamen, den Schein der niederfahn iulen Bewei^amg beim Himmelsboten diurch das Aus- schreiten der FUichtlinge, die er vor sich hin treibt, zu unterstützen, und leluto ihn bei soldiem Wcclisel Verhältnis zugleich, die drei Gestalten so nah miteinander zu verbintlen, dass im mannichfaltigen (iebaren der Einzelnen doch der einheitliche Zug der gemeinsamen Bewegung noch Vf>rwaltel. Der Engel, der neben dem l'ore v<>rüV)er- scliwebt. und das v< rbannte I'anr, das hindurchgcscliritten ist, bilden zusiimnien eine wundervoll bewerte druppe.

SciilepjM'nden (iang(^s sehreitet Adam daher. Das linke Bein setzt er v<>r, das rechte wird nachg<'Z< »gen , ndcr hängt vit-lmehr in einer Lage, als halte die icrse an der S( i\\\'elle, oder gleite nur langsam, aut" den Zehen verweilend hinüber. Unsicher und /aghatt ist das >Vut"ireten, sehwankend und mühsam der Schritt; denn Scham und Reue haben das aufrechte Bewusstscin geknickt und lassen keinem Widerstand Raum. Der Nacken beugt sich dem harten Gebot, dessen Bannstralen hinter ihm dreinfahren, und beide Hände verbergen das Antlitz. Gescheucht und zitternd setzt auch Eva, hastigeren Ganges ihre Fässe voreinander, mit der linken Hand deckt sie den Schofs, mit der rediten den Busen, und wirft den Kopf in den Nacken, schliesst die Augen und öffnet die Lippen, als dränge aus ihrer Kehle ein schriller Klagelaut Der Sdiaro,

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Adam und Eva

mit der sie ins Freie hinausläuft, gesellt sich nichts als die Angst des All 5^(11 blicks, als fühlte sie sich pfozüchtigt von strafender Hand und schriee untfr dem körperlichen Schniorz; denn der ganze Leib erbebt ziu kcnd wie unter plötzlichem Schauder.

T>io beiden nackten (Gestalten sind nicht aus Ix-n < lin< ten Propnrti<nien der g-otischen Schultradition oder nach Malsgabc antiker Statuen aufgebaut, sondern wirklich nach der Natur ge- bildet, sodass der ITnterschied beider ( leschlechtf t /u vollem Recht g-clanjgt und wesentlich mitwirkt /u dem psvehologisc lieii P>il(1<" des AugtMd:)licks. Es sind nicht blf)s Akltigurcn, sontlrm Iclx iulig Ix-- we^lc Menschen, kein«* so und so /urfchtgcstelltcn Modelle mehr, sontlern \'on innen heraus beseelt«- Wesen, di«* sich benehmen, wi«* die furchtbare Mniphndung sie treibt. Der tjanze Leib ist Werk/eug des seelischen Ausdrucks und die Organis^iiion der grundver- schiedenen Charaktere von Mann und Weib oflfenbart sich im Kon- trast als gegenseitige Steigerung. Schmerz und Scham äussern sidi so einficu:h und unmittelbar in ergreifender Wahrheit» dass die sach- lichste Angabe Ober Haltung und Gliederlage sofort zur Deutung ihrer Sprache wird.

Solche Durchftthrung eines einheitlichen Affektes durch den ganzen nackten Körper setzt eine Kenntnis dieser leiblichen Er- scheinung und eine Herrschaft über die Ausdrucksfähigkeit aller Teile voraus, die den Zusammenhang des Malers mit plastischen Bestrebungen ausser Zweifel stellt, und als eigene Leistung in so früher Zeit volles Zeugnis seiner Meist« -rschaft, seiner genialen Über- legenheit bedeutet. Die charakteristis« h«- (ieb.irdf^ beider Gestalten vereinigt sich mit «h-r tr«Ml)«Mi(len Kraft d<'s Eng»'ls zu einem mäch- tigen Zusammenklang, «len die pla.sti.sche Ruiulung der b'ormen, die Kntfaltung der ganzen (irupp** aus einem Mittelpunkt in perspek- tivischer Konstruktion, die fülilb.ire Gesetzmässigkeit nur wirksam unterstützen, h in feines .Spi«-1 der Lichter un«l Srh.itt<'n setzt auch die beleuchteten Flächen des l.eihes in Relief und malt sein aus- (Iruckvollstes Mu.skelspiel, walirend die Hauptg«\staltimg «1«t Korper .lus kräftigsten (iegensätzen zu Stande kommt. Schon Rumi>hr er- kannte hxvr den steigenden Mut im llestreb«'n nach Rundung, al)« r auch einen Rest von Unsiclu rheit oder wenigstens flüchtigeres Dreinfahren im Dienste der (iesamtwirkung und zum Fcstlialten des Seelenlebens im sinnlich fassbaren Abbild.

C. F. V. Rumohr beobachtete den für Masaccio persönlich

bezeichnenden »Fehlgriff, die Höhe der Lichter nicht in die

Mitte, sondern an den Rand der Formen zu bringen, was diesen

durchbin ein gewisses Ansehn von Schiefheit giebt«, und wh*

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i8 Masaccto und Quercia

dürfen in dor sumni.irischcn Ficzeichnunjr der inneren Gesichtsteile bei F.\M, in ihrer phvsic »i^iminischen \'ers('hiebiini^, sowie in der etwas (Irrhen Olierfl.irhlirhkeit ihres auf der Üriist lieyen(hMi Armes, ihrer h ü.sse und ( lelenkkn« •rhcl wd Spuren hastiger \'<»lh'ndun)^ sehen, wahrend daneben tler I.eib Adams mit seiner (he liekk-mmung' verratenden l^inziehunj^'' aiisserordJMUlieh nei,düekt ist. und der lihitter- schur/ um die Hüften beider, der mit seint^ii (irün die kühh> Kar- nation erst recht in Wirkung setzt, das untrügliche Gelingen des grossen Malers oflFenbart

Den Wert dieser »Vertreibung aus dem Paradiesec darzutun, beruft man sich gewöhnlich auf die Schätzung Rafaels, der nodi spät in den Loggien des Vatikans nur eine Wiederholung dieses Vorbildes gegeben habe. Dieser Vergleidi ist jedoch nur unzu- treffend oder oberflächlich; die Entlehnung beschränkt sich nur auf Adam und höchstens die schon wesentlich veränderte Eva; die Gleichstellung des Engels aber, der in ganzer Figur auf dem Boden neben ihnen wandelt, giobt dem Ganzen einen völlig anderen Charakter. In dieser Beziehung fordert das Breitbild der Loggien vielmehr zum Wrgleich mit plastischen \\'( rken auf, und ein solcher ist auch hier lehrreicher für Masaccins Art als ein .Sprung ins Cinque- cento zu den Werkstattbildchen des r()mischen Rafael. Wenn wir dort in den Logp^en nicht wissen, ob den Engel, der seine Hand auf Adams Schulter legt, während er mit dem Schwert in der Rechten mit den Schuldigen über die Schwelle schreitet, mehr Mit- leid beweist oder Zorn, wenn wir in Kvas allzu gefälligem Gehalten die l)eutlichkeit des Kindrucks völlig vermissen, so zeij^t uns ein Bildner am Anfani^ des Ouattmcento. wo wir im Umkreis unserer hist< irischen BetraelituULr bh iben. die ganze Kraft d«'s plastischen ricdaiikens. der au( Ii den I limin"lsl)( iteii auf die l<.rd<' stellt in einem Werke, das au( h Rafael gekannt wie Michelangelo. In einem Relief der Fönte gaja zu Siena') lässt Jacopo della Quercia (14 19) den Schuldigen mit Gewalt hinausstossen ins Elend. Der Htmmels- bote, des Menschen schöneres Ebenbild voll Jugettdkraft, stemmt beide Arme gegen den ROcken Adams, der seinerseits nidit ohne Zaudern, Verwunderung oder gar Widerstreben den Sitz des Glückes lässt, das er verscherzt, während Eva neugierig mehr und leichtem Sinns sich umschaut, als gäb es noch Erbarmen, oder als sei nidit völlig ernst gemeint, was da geschieht Und in dem späteren Relief desselben Meisters, am Hauptportal von S. Petronio in Bologna, ist Adams Sträuben mit verzweifeltem Pl^en gepaart, die in mächtig

Alter GypMbguM in der Libieri« de» Dornet datellwt.

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Masaccio und Ghiberti

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«

hemmender Gebärde zurfickkehren g^gen den Vollstrecker des

Bannbefehls.

Masacci«>s I*V( sk<> bleibt, (lurrh das S( h\v<'b( n dos Knj^rls und seine un]k»-o\vohnte Färb»-, b«M aller ])histischen Bestimmtheit im (iebiet des Malorischon. und gleicht eben darin mehr dcT I ).irstelhinj'f eines anderen Rolietbildners, dor ihm in Ort und /l it nncb näher stand als Ouercia. Das erste Hrmi/ebild der l'orta del Taradisn von [.«»rcn/o (ihiborti enthält die selbe Scefie tu ben andern und fordert nicht nur /.um X'eriileich ln-raus, sondern zu kunst^esehichtlicher Hrwätfiuiir \fun/. aktueller Art. Im Januar 1425 hat (iliiberti den Auftras^r für dies Werk «'mpfinjren; wie ma-^^ Masa' rio da/u stöhn? ( ieiiau so wie hier am Kingan^- iler IJranraccikapelle ist auf dom Bronzerolief die Pforte aufgorichtot. nur die Schwölle hober hinauf- gerückt; denn (rhibortis Engel schwebt nicht nobon dem Tor dos Gartens gleichsam über die Mauer hin, sondern durch den Bogen hindurch» sodass die vordere Hälfte des Körpers mit gespanntem Flügelpaar draussen sichtbar wird» das Ende dagegen, wenigstens ein zweites anliegendes Flügelpaar und der 2^pfcl des Gewandes drinnen jenseits, wo am Himmel Jchovah selbst im Sphärenkranz, vc»n Schwann der himmlischen Heerschaarcn begleitet, dem schnellen Fluge des Boten folgt In heftiger Bewegung sehen wir Adam entfiidien, nur den Blick zurQckwcndend zu dem Seraph, der zu ihm redet Aber er wird fast völlig verdeckt und jedenfalls völlig Qberstralt von Eva, die, einer Venus gleich, in nackter Schönheit dasteht. Staunend wie die Schaumgcbome hebt sie die Rechte und wirft ihr lockiges Haupt herum, als h()rte auch sie die IStimmo und schaute das Nahen des zürnenden Schöpfers; aber die Reinheit ihrer Formen ist ungetrübt, die harmonische Anmut ihrer Bewegung l)loibt die selbe, wie LiebosgtHter sie nach Gottes W'inl: .rebildet, ilin- roissonde Schönheit ^reht diesem Künstler über .\lles; or opfert ihr den furchtbaren Ernst der Aufgabe, die iiuierlicho Bedeutung tles X'organges unbedenklich auf und enisc liadigt das Auge mit einem seligen Traumbild, wo wir Angst und Reue. Scham und Schuld- bewusstsein, Schmerz und \'erzweiflung /u seilen erwarten. Kr deckt mit mild(T Hand die verhängnisvolle Vertreibung /u und lässt auf dem verfluchten Ilodcii (h-r Erde die .schönste Blüte der Schöpfung weiter blühen, kraft seiner Kunst, die alles reinigt und verklärt.

Ganz anders Masaccio! >Sein starkes männliches Greftihlc,

hat schon Rumohr anerkannt, »sein hoher Begriff von der Würde

der Aufgaben, deren Lösung ihn beschäftigte«, spricht hier auf

engem Raum so deutUch, wie auf dem breiten Wunderbild daneben.

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Masaccio und Brunelleschi

Und dieser Ernst des Künstlers, der den Menschen an das Herz j4^reift, verbinch i sich mit einer Hoheit der (iesinnung-, die uns weit hinaus ru( kt ülx r die naiven Anschauungen, die kindHchen Märchen seiner iii^cnnsscii. wif über so tnaiichcn Naclifolgor, der diese .VufFassmiL: niclit \ » rstandf -n liat. Vcrvjflcirhen wir ihn mit dieser S( ii<)j)t"un,y ( rliil^crtis, so tritt er hislDrisdi auf die Seite des Filippo BruneHesrhi. Krirnicrii wir aber an thcsen Freund und üesinnung-s- genossen, dmi er sn \ id verdankt, so ist es bilhg, auch den l^nter- schied /u betonen, der /wischen lirunelleschis Fii{jf<'l beim Opfer Abraliams und Masaccios Engel des Zornes sich IieraussleHt. In jenem kleinen Konkurrenzrelicf vom Anfang des Jahriiunderts fährt doch der Gnadenbringer schon handgreiflich drein, weil echte Bildnerkunst leibhaftiges Handeln braucht; nach mehr als zwanzig Jahren tritt der Maler hier, Masaccio, sicherlich bewusst und frei, mit seinem Engel auf Ghibertis Seite: er schwebt und weist, im Fluge sich neigend, die Verbannten fort, lässt aber das Rache- schwert im Arme ruhn.

Ghibertis erstes Relief an der Porta del Paradiso, das die Er- schaffung Adams und Evas, den Sündenfell und die Vertreibung in einem Rahmen vereinigt, offenbart auch in der Anordnung dieser vier R(\stan{heile die Sinnesart des ^Nfeisters charakteristisch genug. Die Erschaffung Adams ist in die Ecke hnks des Vordergrundes g(>rückt, wie wir (t warten mögen, weil die Erzälilung damit beginnt; der letzte Moment, die Vertreibung, füllt den schmalen Streifen zu- äusserst rechts, ein letztes \'iertel. Die ganze brente Mitte zwischen Anfang und Knde wird allein der (iest.iltung des Weibes gewidmet. Der Entstehung dieses Meisterstückes der Xatur wendet sich die liebevolle Teilnahnie tl*s liildners so ])(^geistert zu, d.iss sie im Kranz der Engel wie eine hiinndische \'<»rherrlichung hervorgeht. Dagegen ist der Sündenfall in flachstem Relief ganz in den Hinter- grund g(Hlrängt. So legt sich, \'or dem Auge des soeben zum lie- wusstsein erwachenden Mannes links, die übrige Reihe fast wie ein Traumgesicht auseinander, die Erschaffung der lockenden Gefälirtin, mit der alles Übels Keim in die Welt gekommen, die Verfährung unter dem Baume der Erkenntnis und die Verjugung aus Eden.

Mit dieser Anordnung der Gruppen im Raum und dieser Reihenfolge der Momente in der Zeit hat das benachbarte Wand- bild Masaccios eine merkliche Verwandtschaft. Eine breite Haupt- scene nimmt auch hier die Mitte des Feldes ein; sie enthalt den Kern und Ausgangspunkt des ferneren Verlaufes, ohne zunächst ein Vorrecht für weiteres Ausgreifen vor den flbrigen Momenten der Erzählung beanspruchen zu können. Diese entfidtet sich links

MasACCIO und (illinKRTI

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und rechts in zwei seitlichen Grruppen, und zwar ebenso in einer kleineren im Hintergrund, die zeitlich zunächst folgt, und einer voll- wertigen aber schmalen im Vordergrund, die den Abschluss bildet, sodass das Auge des Betrachters von der Mitte nach links und dann um das Hauptstück herum wandern muss, um den Verlauf in seinem Kausalzusammenhang nachzuerleben. Der springende Punkt der Fabel liejit bei Masacrio wio bei Ghibcrti in dem versteckten, stief- mütterlich behandclton Eroijrnis, das beinahe jenseits der eigentlichen Bühne vorgelit. Nur ist der Maler in besserem Reicht, weil er den Vordergfnind links vor diesem wichtigen Fernbild w(Miigstr iis frei- lässt, die Bahn für unseren Blick fühlbar und einladend oficn legt, und weil der wunderbare bang, <in sich kaum darstellbar, für die (ioschiclite selbst bei Weitem nicht die Bedeutung li.tt, wie der Sündenfall Iti seinem Zusammenhang dort. ( rhiberti v t rhüllt die Peripetie, dir- Schuld, weil seine Bildiu rkuiist an dies< r Stelle dos Reliefs dem psychel"gisch(Mi Inhalt doch niclit g«'rechl werfleti kennte, es sei denn auf Kosten der willkommensten ( lelegcnheit. das jilastisch Schöne selber ungetrübt /u geben. Masaccios raumli( Ii -/eilliche l)isp<»sitif)n dreier Momente eines V'erluufes stimmt vollkommen überein, bis auf den einen Punkt wo bessere Ucberlegung ihn drüber hinaus hebt Da nun die übrigen neun Reliefe der Porta del Paradiso oder andere Arbeiten Ghibertis die nAmliche Kom- positionsweise nirgends darbieten und auch Masaccios Fresko in der Brancacdkapelle in dieser Hinsicht vereinzelt dasteht, so bleil^t wol die Obereinstimmung der beiden Arbeiten auf benachbartem Kunst- gebiet eine bemerkenswerte Tatsache, die Erklärung heischt Und das merkwfirdige Auftreten der Vertreibung aus dem Paradiese neben der Legende des Apostelfilratcn, mit der sie gar nichts zu tun hat spricht vielleicht mit bei diesem Zusammenhang, dessen geschichtliche Ursache sich unserm Blick entzieht.

Die Breite der Entfaltung für einen verhältnismässig so un- wichtigen ( irgenstand, wie die Episode mit dem Stater in der Ge- schichte des Petrus zunächst war, die Möglichkeit, das Kreignis selbst durch Zus.immenschiebung der beiden Seitenbilder viel deut- licluT im Sinn der Legenilc /.u vc^ranschaulichen. während nuti das Mittelstück mit der Exposition, /u v<»llem Übergewicht her\ or- gewachsen, als un\ erkemil)are Hauptsache dasteht, das alles verlangt einen Aufschluss, je mehr wir diese Momente als Symptome eines fortschreitenden Prozesses auch in der Auffassung des schaffenden Künstlers erfiissen. Wenn die schonh<Mtstrunkene Seele Ghibertis uns unmittelbar verständlich macht, weshalb er mit dem Aufgebot von Engeln und Liebesgottern zugleich an der Schöpfung Evas

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Christus unter den Aposteln

hängen bleibt, als gebe es für den Bildner kein wichtigeres Ge- schehnis in der Wcltentstehung nachzuerleben, als diese plastische Gestaltung des fruchtbaren Gefässes^ dies Formen und Bilden der SchApferidee im fühlbaren StofiF, dies Werden und Wadisen des Leibes unter den liebkosenden Händen der Geistcrw < It, was sollen wir da von M.isacrifi sasjf<'n, wenn er das Auttn-ion eines Torwächters jt*^anz ^ihnllch in die ßreiu (lehnt:' Sein Christus im Kreise der Apostel tritt hier in die Welt, durcli äussere Veran- lassung nur hervorgerufen, wie auf den Wink des junc^en Malers, neu g-eschaffen, und dieso Scliopfunir', vollwertig und bliMbonfl zu- gleich, hf'dciitct < ini' I al, lur ihn mli'irli \vi(-htii4" wie das kiinstl(Tische Tun des HildinTs. tl.is Srlbsthi-krimtnis (thihr-rtis dort. In diosem Christus mit sfint-n Aposteln lifgt eine llolunt der (i(Mlanken, rine W'eilu- der Stinmiuii'^'. dass rs sieh um luehr liand<>ln sollte, als um die KntricliluiiiL;' < ines Zoll|L("rnsch«'ns oder um ( in Auskommen ohne Ärgernis mit den Jieamten des Staates. Der liefehl, einen hisch zu fangen tuid ein (ieldstück in seinem Munde zu finden, weil der Herr es nicht in der Tasche trägt oder der gemeinsame Beutel leer geworden, das genügt uns nicht als Inhalt der idealen Erscheinung, die vor uns steht Die packenden Erfolge der WirkHchkeitstreue sind auch hier einer höheren Aufgabe untergeordnet; ein strenger« auf Ernst und Würde gerichteter Sinn durchwaltet diese Schaar von auserwählten Männern mit solcher Freiheit, dass erst die Träger des glücklichsten Aufschwunges diesen Vorzug wieder zu verstehen tmd anzueignen vermoditen. Rafaels Teppichkarton mit dem Auf- erstandenen, der die Einsetzung des Schlüsselamtes mit dem Auüruf: »Weide menio Lämmer!« verbindet, giebt audi uns die Ant\iv'ort, was ( iyentlich in diesem ^^>rb^ld von Masaccio geleistet ist. Die AutVal)«', die der malerischeste Genius des Quattrocento in die.sem Wandbild zu lösen versucht, geht über den Wortlaut der Leidende »Staterem in ore l^sds inveoit« weit hinaus. Dafür wäre der Auf- wand viel zu reich. Erst die folgenden Siitze Claves regni caelorum a dnniiiio aeroj»ii , - ijascendas oves a Christo suscejiit^ irewähren uns volles (ienü;^e und lieben den Inhalt, d(T d(Mn Cieist des Künst- lers V orgesc hw ebt, der seine Seele durchleuehtet und seine ( iestaltuni^ erliolit hat, sodass di<^ Schaar tl<T (joltesmanner in breitem* Bogen auscin.inder trat um Christus und Petrus in ihrer Mitte.

Auf diese .Sätze der Le^reiida aurea fol^t unmittelbar: tria milia hominum in pentecostt; sua predicatione cotivertit , wie in der liilderreihe der lirancaccikapelle die Predigt Petrin auf der an- stossendcn Fensterwand zu sehen ist. Folgen wir aber andererseits dieser hymnischen Aneinanderreihung der Ruhmestitel des Apostel*

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Schlüssel AMT und Transfigukation 23

flürsten hinter die Geschidite mit dem Zollgroschcn zurQclc, so stossen wir auf seine Bevorzugung durch den Meister in anderen Fällen: »Hic super mare ad dominum ambulavit, in domini transfiguratione et puellae suscitatione a domino clectus fuit» . . . d. h. auf seine Gegenwart boi P.rweckung von Jairi I < < ht. rl» in und bei der Ver- klärung auf Tabor. \vio auf die stümiischo Fahrt, wo Christus am Meere erschien und Petrus aus dem SclüfFe rief, zu ihm übrr das Wasser zu wandeln. Diese Scene erwähnt \'asari im Leben des MasoHno als eins der oberen Uild<'r: il tempestoso naufrairio deyli Apostolis. und die 1 r a n s f i u r a t i <> n hätte zu folgen, wo jetzt die VertnMl)uip.4 ans dem l^aradicsr i^emall ist.

Um so .tutiailiut r wird die Wahl ditscs tcrnlif^^onden. tVir die Petrush'g^ende beziehiinj^sjns<Mi ( le^ensl.uidos am I-Jnj^ans^ <i«T Kajielh?. Nur tli<' \'«)rh<'be des Meisters und das I )rani,a>n der /,< it nach der l>arste]km^ des Mensrhen in nackter Sclv uihcit niai»- auch hier an- j^eriilen werden, wie in dem Schopf unvisliilde des Loren/o (diiberli. Das Problem, die volle Ausdrucksfahigkeit der vran/en Gestalt für die Kunst des Malers zu verwerten, geht völlig im Sinne Masaccios Ober das Heispiel des Bronze- Reliefs hinaus. Und gerade hier kam ihm das Verständnis der eigenen Generation wie die Bewunderung der folgenden zuerst entgegen. Das verrät noch der Umstand, dass die alten handschriftlichen Aufzählungen seiner Werke von seinem Anteil in der Brancaccikapellc nur eins herausheben »infira raltre figure vi h uno che triema«, «cosa mirabile a vedere«. Es ist nur ein Nachtrag aus diesen Notizen der Quattrocentisten, wenn Vasari am Schluss noch das selbe Stock erwähnt: »Neil istoria dove San Pietro battezza, si stima grandemcnte un ignudo che triema, fra jjli altri battezzati, assidcrato di freddo, eondf)tto con l)ellissimo rilicvo e dolce maniera*. So schlicsst die »Taufe'«! schon als künstlerisch willkommener Gegenstand sich unmittelbar an die »Vertreibung aus dem Paradiese« an.

Die Taufe

Die Darstellung, wie Petrus tauft, mit der berühmten Figur des Zitternden darin, die Vasari und seine handschriftlichen Quellen besonders hervorheben, gehört zu den bestbeglaubigten Werken Masacdos, aber leider auch zu den schlechtest erhaltenen Stücken der Cappella Bfancacd. Sie befindet sich an der Altarwand zur

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Petrus tauft

Rechton des ursprünglichen Fensters, das lang und schmal, wie in den Bauten jener Zeit, herabreichte, wo jetzt das marmorne Taber- nakel sich ausbreitet, und d;irüber erst im alten Bogenfeld das neue Fenster aus|L,^obrnchoii \\.ird. Wenn damals auch nur die westwärts rückende Sonne, grade hcroinstralend, dem geblendeten Auge diese aiistolscndon Teile des IniK-rn cntztig, s'» gehörte doch immer dieser l^latz /u ilr-n ungünstii;st< ii der ganzen Ka{)elU-. Von der l'ildthu he nolx-n dem Fenste r (A)cn war nur das untere Stück rechts mit gewöhnlichen Mittehi leidlich verwertbar, das Tlel^rige um so weniger, je mehr man nai h links oder nach oben hinaut rückt. Diese örtlichen Jiedingungen mussten die Komposition wesentlich mitbestimmen, wenn die Stelle einmal für die Taufe ausersehen war, mochte nun die Apostelgeschichte oder die Legende för die Wahl des Momentes entscheidend sein.

Die kurz formulierten Epigramme der I^egenda aurea enthalten nur ein Beispiel, wo Petrus als Täufer auftritt: xComelium baptizavit« d.h. den Uebertritt des Hauptmanns von Caesarea mit seinem Haus, von dem das X. Kapitel der Apostelgescluchte erzählt Dagegen findet sich hier noch im II. Kapitel, schon im unmittelbaren AnscUuss an die Püngstpredigt, gleichsam als ihr Erfolg die Angabe: »Und die sein Wort gern annahmen, Hessen sich taufen, und wurden hinzugetan an dem Tage bei dreitausend Seelen So erscheint die unmittelbare gen Überstellung beider Scenen, links und rechts vom Fenster, auf diesen Zusammenhang hinzuweisen. Wie in der Predigt nicht sowol die Bekehrung der zahlreichen 1 lorerschaar, sondern vielmehr das Auftreten des Apostels als Prediger des Evangeliums überhaupt gegeben werden konnte, so mochte auch hier sehr bald die Absicht vorwii'gcn, die Finsei/.ung und Austeilung dieses Sakramentes durch den ersten Nachfolger Christi im Allgemeinen zu schildern. Wichtiger freilich erscheint die Heliandlung als degenstück zur Predigt, wenn zugleich der iiberraschende Frfolg des Wortes gezeigt werden sollte. Darin lag die Aufforderung, die gleiche Bildfläche hüben und drüben auch zu künstlerischer Kontrastwirkung zu verwerten. Wer immer die Ftredigt zu malen hatte wi; lassen es vorläufig dahingestellt ~, er musste den Nachdruck fast ausfcMesslich auf die Person des Redners legen, dessen überzc.gende Gebärde die lauschende Versammlung ergreift, aber auch ruhig zusammenhält. Hier dagegen gilt es nur den Ein- druck äusserlich zu besiegeln, die Aufnahme in den neuen Bund zu vollziehen und zwar in herkömmlicher Form erkennbar an jedem, der es wünscht, d. h. so oft gleichmäsaag zu wiederholen, wie es heute noch geschieht Die Rolle des Apostels ist wesentlich anders:

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Unterschied von der Taufe Christi

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er bleibt nur der vSpender des Sakramentes in vorg-oschriebener Tätigkeit, soweit die Wirkung seines Wortes um sich greift und ein Beispiel das andere nach sich zieht. Der Andrang der l äuflinge zu ihm, das begeistcrto Verlangen der Menge ist das aktive Prinzip, und dem Prediger bleibt nichts anderes übrig, als diesen Rückschlag des eigenen Pathos auszuhalten und seine Ernte einzuheimsen, wo immer die Ausfaat gesegnrt w.ird.

So ist die Abwec hslung zugleich mit dem dankbarsten Motiv des zweiten iiildcs gewonnen, das nun erst aus eiiwr Parallele zum Gegenstück gedeilit. So waren wol Predigt und Taufe im Leben des letzten Propheten genugsam vorboreiti-t. in Florenz zumal, wo Johannes der Täufer als Schutzpatron verherrlicht ward. Aber . fjferade ein Vergleich mit diesem Oberlieferten Vorbild offenbart den Charakter des Meisters» dem hier S. Petrus als Täufer zugefallen. Er begnügt sich nicht mit äusserlicher Antithese, so sehr die Stelle seines Wandfeldes dazu einlud die Taufe Christi als Vorbild zu benutzen.

Wie der Wflstenprediger tauft auch S. Petrus am Flusse zwischen den Bergen. Ab^ der Hauptperson wird nicht die Stelle des Täufers Johannes in jenem überlieferten Schema eingeräumt, obgleich sie mit dem bestbeleuchteten Fleck der Mauer hier zu- sammenfiele. Der Apostel ist auf die linke Seite gebracht, die Neophyten ihm gegenüber aufs rechte Ufer des Flusses. Möglich, dass dabei die Absicht mitgespielt, den Zusammenhang mit der Ptingstpredigt drüben dadurch erst recht vor Augfen zu stellen, die Scene hüben nur als Folge der \ oranj^egangenen zu schildern. Möglich auch, dass die Täuflinge schon den besten l'latz im Bilde für sich verlangt(>n. Jedenfalls hat sich sofort die Schwierigkeit ein- gestellt, die das ererbte Vorbild der Taufe ( hristi schon vermied. Dort steht Johannes auf der rechten Seite, damit sein rechter .\rm mit der Schale über dem Haupte des Messias, sich ins Imiere des Bildes erstrecke, nicht nach Aussen vor den Kopf des ( iottessohnes her. Hier ragt sofort die Rechte des Apostels aus dem Bilde heraus und erschwert unserni Auge den Einblick in die Tiefe des Schauplatzes. Aber auch dieser Nachteil wird dem Künstler Ver- anlassung zur Aufnahme eines neuen Problems, das die ganze Wandmalerei als Raumkunst berührt, wenn auch zunächst nur ein kühnes Wagnis glücken mag. Der Platz am Fenster würde nicht allein den Helden der Darstellung in Schatten stellen, sondern auch nur vom Rüthen zeigen und, wenn die Ortliche Lichtquelle fest- gehalten wird, von rückwärts beleuchtet Und diese Fortführung fitktischen Seitenlichtes im Bilde selbst giebt der Maler nicht auf,

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Petrus tauft

der einmal an diesen Wänden damit geredinet hatte. Er hilft sich anders und schafft ein erstes Bdspiel pera^ktivischer Illusion. Er stellt seinen Apostel auf einen Vorsprung des Uferrandes, so weit ausserhalb der vorgesehenen Bühne hin, dass er vom einströmenden Lichte mehr empfängt als der Rahmen von gemalter Architektur. Mit hell beleuchtetem Nacken Profil und Arm hebt er sich in mächtigem Umriss vor den übrigen ab. Seiner Rolle als Spender des Sakranionts entsprechend, die eine psychologische Vertiefung dos Ausdrucks fast verbietet, erscheint dieser Petrus in erster Linie als grossartige Gewandfigur, lieber dem geschlossenen Zusammenhalt der Draperie wirkt der orhobeno Arm mit der Schale, und das würdige Antlitz in Profil gerichtet, doppelt stark als durchgreifende l*'unktion, die für alle gilt. Und di<» Wucht die.ses (i(»barcns mit di-r ernsten Majestät der Person gepaart, verleiht in den Augen des Brs( hauers dem Guss des Wassers erst die Bedeutung, die er haben soll.

\\e\ sol( h(>m Auftreten des Feuergeistes stellt auch das Ansehen sich imgerufon ein. Zwei vornehme Florentiner aus der Zeit des Meisters, mit breitem Kopfbund kommen hinter der Kurve der Apostclfigur zum Vorschein und schauen andächtig, mit gesenkten Augenlidern, auf die Taufe, die hier vollzogen whrd. Im Wasser drunten kniet mit gefalteten Händen ein junger Mann und beugt sein Haupt vornüber unter den Guss der Schale. Auf Scheitel, Brust und Schultern vom Licht aus der Höhe Qberströmt, hebt er sich ganz gesammelt der Gmade entgegen, als fasse er allein vor all den Zeugen die Weihe des Augenblickes im Grebet zusammen. Nichts stört den Eindruck, der sie alle bannt Nun mag der Maler dem nackten Körper des Jünglings mit unveiiiolener Freude seine Sorgfalt widmen. Er trägt die blutwarmc Fleischfarbe mit voUem Pinsel auf, und folgt mit seinem Strich dem Zug der Schwellungen und Furchen nach, als runde er plastisch die Formen. So gelingt ihm trefflich die Modellierung der Muskellagen, der Polster zwischen festen (ilioderungen des Knochengerüstes, und die weiche Fülle der Jugend, die vor ihm aufblüht, reizt den malerischen Sinn noch mehr. Die durelisielitige Welle des liergwassers kf)mmt eilenden Lautes daher und umspielt mit ihren Ringen die str.immen Schenkel des lietcrs, der a( lillos seine Knie hineingelaucht. Und Licht und Luft iresellon sich di in schimmernden Wasserspiegel, um die Schön- heit des nackten Lcihes in freier Xatur zu offenbaren und, mit all ihrem farbigen Schein umgeben, sie liebkosend in sich aufzunehmen, als wäre sie ein Stück von ihr, das Menschenhand nur töricht ihr entzogen.

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Die Tauflinüe

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In klaren Augenblicken ahnt das Auge des Betrachters auch heute noch die Augenkist des Malers und fühlt ünn nach, was er gewollt, obgleich von seinen Farben nur spärliche Reste noch auf dieser Fläche haften. Das fortschreitende Verschwinden ihrer Glut darf uns nicht verleiten, die malerische Leistung für jene Zeit zu unterschätzen. Wenn Paolo UcccUo, der harte Schemattker der Perspektive, im Klosterhof von S. M. Xovella selbst unter dem Ge- wirr der Sintflut nicht versäumt, die Kreise des Wassers um einge- tauchte Körper wiederzugeben, so wirkt diese Wiederholung aus den vierziger Jahren um so mehr als Warnung, das Vorbild auf Masaccio's Wandgemälde zu würdigen, wie es ihm gebührt, wenngleich der Nachfolger im Chiostro verde sich auf einfarbige Kälte beschränkt

Zur Gruppe des Apostels mit seinem frommen Täufling gehört als dritter Faktor noch die helle sclilanke (irstalt am rechten ITfer. als Gegenstück der breiten Gewantifigur des Petrus, die völlig nackte des Frierenden. Es ist ein hocligesehossener (icselle, der <'chte Florentiner im \'crgleich zu dein j^edrungeneii K«)m<'rsohn, der vor ihm kniet. Fr luit dif Anne kr» u/weis über tlio Brust geschlagen und wartet auf den Augenblick, wo auch er ins Wasser treten kann. Doch wie es soelxn am Rückrn des X'ordermaniifs nieder- rinnt, so überläuft das \'orgefühl des kalten (iusses auch seine I l.iut, als müssten ihm di<- Kniee schlottern, die w fröstelnd aneinander drückt. Und unwillkürlich, wie der Kücken sich dehnt, schlingen die Arme sich fe.stcr zusammen. Solche zufällige, der Natur ab- gelausdite Erscheinungen im ßildc anzubringen lag grade im Geschmack der Zeit. Die Sehnsucht, aus den Schemen der Ueber- lieferung ins freie Leben selbst vorzudringen, bezeichnet den Aus- gang des Mittelalters und den Uebergang zum Wirklichkeitskultus des Quattrocento. Zahlreidic schwache Anläufe, von Antonio Veneziano mit seinen Fischern im Camposanto zu Pisa bis zu Gherardo Stamina mit seinem Schulbuben unter der Rute, einst im Carmine hier, bezeichnen den Weg« Und jauchzend klinget uns der Jubelruf der Staunenden „uno che trema cosa mirabile". Aber in Masaccios Bilde guckt dies Bravourstück keineswegs aus dem Ganzen heraus, ebenso wenig wie sein flammender Cherub an der Pforte des Paradieses oder sein gebückter Petrus beim Fischfang daneben. Er stört nicht die ernste Haltung des Vorganges, wie dies von Masolino in seiner Taufe Christi \m Paptlsterium von Castiglione d'Olona gesagt werden musste, obgl» h die Wirklidi- keitstreue seiner Genrefiguren noch 1435 so weit hinter diesen Leistungen Masaccios zurückbleibt.

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MAI.EKISCHE WlRKUN(i

Die willkommene Grelegenheit, in nackten Gestalten zu schwdgen, verleitet den wahren KOnstler nicht, die künstlerische Freiheit zu misbrauchen; bei ihm nimmt jede Figur in der Oekonomie des Ganzen nur ihren wolberechneten Anteil, und er opfert Lieblings- geschöpfe, die ihm gelungen, der Gesamtwirkung auf, wo diese ge- fährdet wird. Zwei ruhig ernste Grewandfiguren ') dienen schon hier als Folie för den charakteristischen Umriss des fröstelnden Burschen, der seinerseits dem Apostel drüben die Wage hält. Ein dritter Täufling steht halb entblösst weiter zurück und lässt sein Hemd über die Hüften nieder, während auch hier ein Büfser in dunkelm Rock mit dem Ausdnu k tiefer Zerknirschung den Andrang hemmt, als wäre er ein Begleiter drs P(^trus, der mit dem Chrisam in der Hand die Coremonie erst abschliesst. Dann erst schaarcn sich die Jünglinge Kopf an Kopf und schauen iti manniclifahiger Haltung schon verlangend oder neugierii,'' nncli herüber. Hell beleuchtf^t, be- zeichnen sie /uy^leieh eine (iasse, die rechts her aus der Tiefe kom- mend, am engen Schauplatz des Flüsschens mündet, und lenken den IMick auf die freiere (truppe des \'ordergruiids. \^)n Petrus aus- gehend erftreckt sich diese Bahn als Richtungsaxe des Raumes diagonal an den Bergen vorüber, die in ähnlichem Zuge Kuppe an Kuppe hintereinander aufrücken.

Als dunkle Massen aufgerdht dienen diese Höhen zunädist dazu, die hellen Figuren drunten energischer herauszuheben und an dieser schlecht sichtbaren Stelle wenigstens die hellen Körper zu Selbstleuchtem zu machen, die dem Betrachter ins Auge fallen. In klaren Augenblicken erkennt man auch hier trotz- aller Beschädigung auf dunkelgrauen Felsen noch grOnbewadisene HAnge, tiefere Schatten der Einschnitte mit seitlich beleuchteten Spitzen darOber, und das Spiel des Helldunkels setzt auch hier das Leben, das \'orn in reicher Fülle drängt, ins Weite fort bis über alle Berge. Eine landschafdiche Feme mit freierem TU^berblick wäre auf dieser Fläche schon für den gegebenen Standort des Beschauers nicht mehr und nicht weniiifer als ein Misgriff gewesen, und dergleichen zu verlangen, ist solchem Maler nur eine Torheit, wie dem wahren Philosophen die Spiegelfechterei sophistischer Beweise. Wer immer, soweit der traurige Zustand dies'-»s Wiudg.^tn.lldos irgend nocli ge- stattet, die feine Abstufung aller Mittel nach/uwägen versucht, der wird an Masaccio i/eradi* hi<T bewundern, wie sehr der plastische und der malerische Sinn im Kauragefülil zusammengehen.

') Am Hinterkopf «tcs ZiUercrs ist eine starke ProtuberADZ, «in Gesiebt seines Nebenmannes rechts ebenfalls Uebermalung bemerkbar.

Zeichnung

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In der Ausfilkhrung des Einzelnen musste schon beiden hinteren Figuren ein summarisches Verfahren walten, das mehr andeutet und voneinander absetzt, als zeichnerische Präzision erstrebt ; desto wirk- samer stolpert sich im Vordergründe die Formgebung zu vollge- nindoter P.estimmtheit. - Leider hat die Afittellage gerade am meisten tiurch Feuchtigkeit der Wand nd(>r \'erwaschung beim Brande gelitten. Die ungleich v<'rscli\vomnieni' Weiclilieit darf doch nicht verführen, hier duftigen Zaulnr zu suchen, den erst weit spätere Maler Italii-ns erstrebten. Aber sciion X'asari. d< r sie unbe- schädigt sah, lobt an d«'r Figur des frostciiulcii Jünglings niclit nur V)ellissimo rilievo , sondern auch *dolce iiianiera«. So gut wie neben diesem nackten Körper der hellgraue Kck|)feiler mit seinem Rosarot an Basis und Kapitell nicht ohne Eintluss bleibt, so hilft auch die Wärme der Kamallon an dem knieenden Täufling nicht wenig mit zur malerischen Einheit, ja die Röte des Fleischtones ist ein unentbehriicher Faktor, den Maaaccio mit bewusster Wahl in seine Rechnung einsetzt

An dieser schwierigen Stelle des Kapellenraumes mit Licht und Farben Wunder zu tun, war fikr den jungen Künstler eine technische Angabe, die wol alle Kraft in Anspruch nahm. So er- scheint es durchaus natürlich, wenn bei dieser Ausführung ein anderer Teil, der zugleich erledigt werden musste, eine gewisse Flüchtigkeit und Schwäche deutlicher als anderswo verrät. Was buso Zungen hernach von Fra F'ilippo sagten, er habe mehr als billig die Hände versteckt, das könnte man hier erst recht an Masaccio tadeln. Die wenigen Beispiele, die er zeigt, sind mangelhaft geraten, die Füsse nicht viel besser, und in mancher anderen verkürzten Form kehrt jene Schiefheit und Wulst1)ildim}; wieder, die wir mit Runv^hr sclvn soeben iti der (ifsciiichlc vom ZoHgroschen und in der Vertn ibung aus dem ^^^radies(• bemerkt» 11.

Die (icstalt des knieenden T.iutiings, die Adams dort und die nackten Beine des loru äciiters von Kapernaum haben so viel charakteristische Merkmale, Vorzüge wie Mängel, miteinander ge- mein, dass sie als Reihe unbezweifelter Arbeiten Masaccios uns die Bestimmung eines vierten Stückes ermöglichen, dessen \' ergleich grade hier ausserordentlich willkommen ist. Denn diesen malerisch wirksamen, in breiter Freskotechnik auf die Wand gcbraditen Figuren gegenüber regt sich wol ohnehin der Wunsch, Masaccio als Zeichner kennen zu lernen, womöglich bei dem Absehen, die Formen, die er sieht, in festen Umriss zu fiissen, und mit genauer Rechenschaft über alles Einzelne zu eigenem Besitz aufs Papier zu bannen.

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ZEICHNUNCfEN

Die Mehrzahl freilich drr vielen Blätter, die hier und da in unsorn Sammlungen als Originale Masacci<»s ausgegeben werden, dürften sich eher als Studien spaterer Künstler nach seinen Vor- bildern herausstellen. Schon X^asaris Erzählung von dem eifrigen Bemühen, ihm gleich/ukommcn . macht solchen Ursprung wahr- scheinlich. Die meisten vnn ihnen sind wierler ( iewandtigiiren : die Breite seines Wurfes, die schhchle (irosse seines Vortrags sind tlas Ziel des Slrei>riis, das hier gelingen kann und bis auf Weiteres täuschen, dort seltsam genug sieh mit der l^igenart des Nachahmer vercjuickt und an der Unart elxu den wahren Autor kenntlich macht. F.in Beispiel für \'i(^le ist l'ilippiut» I^ippi, der eine Zeit lang sich redlich ein/.uarbeitcn versucht hat, um die unvollendeten Stücke des Cyklus hier zu Ende zu bringen, und darin alle Anerkennung verdient, freilich nur um desto sdineller in Schnörkel und Bausche, in flatternde Bänder und verwickelten Aufputz zurückzufallen und als ausgemachter Manierbt zu enden.

Die Zeichnung eines Dioskuren

Hier aber gilt es den nackten Gestalten, die Masaccio selbst gemalt, eine Aktfigur anzureihen, die er selbst gezeichnet Vielleicht

gcHniit es in genauer Verglcichung dieser Proben wenigstens einen Neophytcn anzuschliessen und diese Taufe sogleich vollgültig zu bescheinigen. Die Zeichnung, die wir nieirien, verbirgt sich unter dem Namen Antonien del BoUajuolo, der ihr alle Ehre macht, il gran disegnatore sagt R.ifaels Vater. Aber sie tragt einen zu früh<-n C harakter schon an d<'r Stirti geschri<'l)en. entspricht weder in der leelmik der Ausfuhnini^»- ikhIi in der Formgebung der wol- bckannten Art dieses vom ( ruldsehmiedshandwerk ausgegangenen Meisters. .Sie war im Printrooni des British Museum, unter de.ssefi reichen Schätzen sie bewalirt wir<l. auch vor zehn Jahren schon und länger nur mit l- r.igezeichen nnter die.s(^n Namen eing(^reiht. ') (Payne Knight Pp, i No. i8.) Auf l)lau grundiertem Papier mit Silberstift gezeichnet und weiss gehöht, erscheint hier einer der Dioskuren von Montecavallo in Rom, in voller Ansicht vor seinem Rosse, das rechtshin in die Höhe steigt Der linke Arm des Jüng-

') Vgl. unsere Tafel (in Lieferung 1) nach Pbut. Braun No. 65. British Museum^ valCT PolUjuoIo. Et »t der als »opus PliidlMc beicidiiiete, wm Fd. QuMiude Unlo.

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DiOSKUR VON MONTECAVALLO 31

lings hebt sich mit der Faust dicht vor das Grebiss des schnauben- den Tieres, dessen roähnfngesrhmürkter Hals g-orade hinter der Schulter des Bändigers endigt. So überragt der Kopf dos Pferdes völlig den des Mannes neben ihm, l.iutor bc/oichn<'iuU* Ab- weichungen des ^uattroccutisten von dem Vorbild der Antike, das er studiert. Die gesenkte Faust des rechten Armes, der jeder Üraperie entledigt ist. steht in schräger Linie zwischen seiner Schulter und dem S(^hweit niitttn xordcni 1 ünterl).u^ken des (iatiles. der gedrungen und kurz, g.ui/ >»hne die ('n< rgi^rlir Muskulatur des Marniorwerkes. doch ebenso angstlich, fast /itlcrutl vor dem Ruck des Zügels beide 1 linterhufe dicht aneinandcrsetzt. Ross und Mann sind hier zur Einheit verbunden, wahrend sie auf Ah >nte< avallo aus- einandergehen. Das Tier dient dicsi ui Zeichner nur als I-Dlic für die Menschengestalt, di« er in v<»ller Breite rntfcdten will, h reilich die Auffassung bleibt auch hier weit zurück hinter der gewaltigen Kraft des antiken Herocnleibes. Die prachtvollen schon Obermässig hervor- gedrängten Muskellagen mit den tiefen Schattenfurchen dazwischen bleiben fast unbemerkt Die Breite des Brustkastens mit seinem vorgewölbten Bau wird gradezu ins Engbrflstige der unvoll- kommenen Modelle zurQckflbersetzt, die der Maler sonst zu sehen bekommen. Und doch ist kein Zweifel, er hat in Rom vor diesen Statuen selber gearbeitet und verfolgt unverkennbar die Absicht, in seinem Abbild wiederzugeben, was er am Vorbild ersehen kann. Und mit welcher Deutlidikeit folgt die gewellte Umrisslinie von der Achselhöhle zur Holte hinab den Schwellungen der Muskulatur oder den Rippen, deren Ränder sich bemerkbar machen. Wie ballen sich ähnliche Polster voll fester Spannung am Arm entlang, wol gelungen am rechten, aber fast ins Gegenteil missglückt am erhobenen linken, wo das l.icht den Zeichner geblendet. Wie eifrig giebt er im (iesicht d(\s Streiters die Anstrengung der Kraft, die gepressten Lippen und geblähten Nasenflügel: ja das Auge bekommt eine Intensität des Iilickes. wie er im Marmor nicht erschien, und das Ross gar menschliclu' Züge nach IVecento-Art.

demiissigt in allen h'ormen, gekürzt im VtTgleich zum bäumen- den Tiere, wird die (iestalt des Mannes in der unteren Hälfte voll- ends ungenau. Mit gespreitzt<Mi B<'inen tritt er auf, aber der Sinn der Haltung, die Richtung des Widerhalts ist nur obenhin erfasst und schwach betont. Eine autfallende Eigentümlichkeit aber prägt sich aus: die breite Phalanx der Zehen und das Aufpressen beider Fflsse auf den Boden grade an dieser Stelle, hier wie da. Nehmen wir dann noch die scharfen Gegensätze in der Modellierung nament- lich seines rechten Beines hinzu, oder die machtigen Fäuste mit

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Zeichnukg Masaccios

dem breitf'n Metacarpium, dem dicken Wulst unter dem Daumen und d( n kleinen verkrümmton Fingern« so «od wir bei Masaccio und dem Krträgnis dieses Studiums mit seinen Vorzüß"en und seinen Fehlern. IJeino und Füssc Adams und dos Torwärters bezeugen die trenaueslc Verwandtschaft, in der Hildunw;- der Einzelheiten, die wir hervorsrcholj. n, wie in der Modellierung, deren Misserfolg schon Rumohr so tri ffend beschneiden hat. »Die Hohe der Lichter nicht in die Mitte, sondern an den Rand der I'ormen zu bringen, was diesen durchhin ein gewisses Ansehn von Schiefheit giebt«, diese lYocedur zeigt auch die Zei(hmnig im British Museum. Die UeberhOhung der Lichter, die seilen ins Kreidige übergehen, die Randbeleuchtuug auf der einen und die tiefen Schatten auf der anderen Seite finden sidi ebenso auf diesem Blatte wie auf den Fresken der Brancaccikapelle.

Ohne Zweifel hat Masaccio nicht diese weiss gehöhte Ansicht des Marmorwerkes auf seinem blaugetonten Papier allein nach den Kolossen von Montecavallo gefertigt, sondern auch sonst eifrig an ihnen studiert Denn die Bildung des jugendlichen kraft- strotzenden Leibes, die er hier sich ausersehen» kdut wieder an dem knieenden Beter in der Taufe. Die Form des Oberarms besonders mit der starken Muskelschwellung, die Falle der Brust mit der £in- scnkung in der Mitte findet sich ebenso, und ebenso zeigt sich an allen nackten Gestalten, am Frierenden wie an Adam und Eva drüben, die nämliche Nabeltiefe mit auslaufender Furche nach oben. Ueberau endlich begegnen uns Kopfe unter den läuflingen hier, wie in der Apostelschaar um Christus, die ihre Herkunft von den klassischen Vorbildern deutlich offenbaren. T'nter ihnen bemerken wir einige, die nach Bedarf der I-'reskomalerei den grossflächigen Zug der Marniororiginale noch beibehalten, während die Zeichnung des Dioskuren .selbst ihn intimer vcrfi 'inert. .Sie zeichnen sich da- durch aus, da.ss die Xase in ununterbrochenem Zusammenhang v«m der Stirn ausgeht, mit scliarf lielexichtetem Rücken sich lieraushebt und dass die Augen tief beschattet unter den breiten Höhlenrändern liegen ; ebenso ist der plastische Vorzug stark vorspringender und voll geschwellter oder leise geöffneter Lippen bewahrt. So Johannes der Evangelist und der jugendliche Apostel hinter dem Steuer- einnehmer. Dagegen stidit in anderen bartlosen Köpfen mehr die Aehnlichkeit mit dem Antlitz hervor, das Masaccio unwiUkflrlidi unter den Händen erwuchs, als er die Zeichnung nach dem Dioskuren in vermeintlicher Nachahmung des antiken Typus voll* endete. Ihm gleichen besonders die beiden Apostel hinter Petrus, besonders der neben dem Bilde Donatellos hat den Blick und die

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DiOSKUR VON MOXTECAVALLO

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Formation der oberen Hälfte seines Gesichts, sein Nachbar die tief eingegrabenen Mundwinkel und die aufgeblähten Nasenflügel wie auf dem Blatt in London. In den übrigen Fresken wie in der Almosenspende wirkt in J ohannes der antiko Idealkopf fort, von dessen Ursprung nur die Zeichnung zu erzählen weiss, die wir als Masaccios Kigontum in Anspruch nehmen.

Das Blatt im British Musoum mit seinem blau getönten (irunde und seinen wriss gehöhten IJclitcrn liat, als (ian/cs ])etrachtet, noch eine X'erwancUschaft aufzu weisen, die wol nur hestäligi. weshalb w ir sie früher angesetzt haben als l'nllaju"l(» und in anderem rnikreis surhfii als bei der ( Tdldst hiniedsgruj)})»' in d< f /.wt-iten ll.ilfte des jahr- hundertü. Sie gleicht bis in die starken Kontraste des Weiss und Hlaii den Majtdlkaplatten des Lnca della J<<>bbia. wie /. B. d«Mi Monatsbildern im South Kensington Museum, die aus P.d.izzo ^^e(h^i stammen. diese Malerei des befreundeten lonbildnors, der

mit Filippo di Ser Brunellesco und DonatelUi, also auch mit Masaccio zusammengehört, so trügt auch die Zeichnung in der Wiedergabe der Formen, in ihrer Befangenheit und Naivctät, noch Spuren genug an sich, die uns die Nähe eines Fra Griovanni da Fiesole auf der einen Seite und eines Benozzo Gozzoli auf der andern verraten. Als Einziger der späteren Generation gehört nur Piero de Franceschi hierher, dessen Taufe Christi« als willkommenes Beispiel in I^ondon, auch die Erbschaft dieser Antikenstudien Masaccios antritt, wie noch so mancher andern Errungenschaft, die nur er mitzunehmen ver- stand in seine Heimat am oberen Tibertal. Masaccio selbst aber, vor dem antiken Marmorbilde eines jungen Heros dem Studium des nackten Körfiers in seiner plastischen .S( h- >nheit ergeben, das ist fiar uns die Hauptsache hier, noch nicht Masaccio in Rom, den dieses Blatt beglaubigt

Sclmariow, MaModo^tadien It.

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34 mm^m®

DIE UNTERE P^EIHE SEINER FRESKEN IN DER BRANCACaKAPELLE

»Im Verfolg der (reschichten S. Peters» die Masolino begonnen, vollendete er einen Teil«, erzählt Vasari von Masaccio: »d. h. die Geschichte vom Stul Petri. die lloilunjr <ler Kranken, die Aufer- weckung der Toten, die ( losundung der J\.rüppol durch den Schatten beim Tempo] v^'-ant»' mit S. Johannes . Die unt^cn.iuc Ausdruckswoiso dieses Berichts, der aus d»'ni (icdarlunis allein schöpft, kann über die llaui^tsache. was er meint, keinen Zweifel lassiMi. \'asari denkt an die untere Reihe der Wandbilder, die seines Wissens M.isaccio gehören, das heisst, in chronologischer Folge der Vorgängf^ iiaimt, die Almosenspende, die Schattenheilung, di<' Auferweckunj^ tl( s l ür.sten- sohnes und die Stulfeier „la storia dcUa caltedra." Die beiden ersten, die Erldchterung der Kranken und die Heilung der Krüppel, ge- hören noch der Erzählung der Apostelgeschichte an; die beiden letzten, das Wunder vor Theophilus von Antiochien und die Ein- setzung in der Kathedrale, sind der Legende entnommen.

In die Zeit der ersten Gemeinde zu Jerusalem ftkhrt uns die Schilderung brflderlichen Zusammenlebens. JEs war auch keiner unter ihnen der Mangel hatte; denn wie viele ihrer waren, die Äck^ oder Häuser besafsen, verkauften sie und brachten das Geld des verkauften Gutes, und legten es zu der Apostel Füfsen; und man gab einem je^didien, was ihm not war." Im Anschlufs daran er/ ihU das fünfte Kapitel den Zwischenfall mit Ananias, der einen 1 eil des Erlöses aus seinem Gut zurückbehielt, und von Petrus durchschaut, vor ihm niederfiel und seinen (ieist aufgab. „Ananiae et Saphirae mortem prcdixit" rühmt das Loblied lakonisch genug. Und unmittelljar auf diese Bestrafung tler Unwahren, folj^t die Heiluni^- der Krüpi>el: „also, ilals si»- die Kranken auf die (i.tssen h< raustruj4'-n^ und 1( pten sie auf hetlen und l'ahren, auf dass, weim

i'etrus käme, dals sein Schalten ihrer etliche überschattete und

wurden alle gesund."

Ohne Zweifel sind diese beiden Vorgänge, schon in der heiligen Sclirift so nah verbunden, auch hier in der Brancaccikapelle als Paar von (i egenstücken vorgesehen, wie droben die Predigt am Pfingsttag und ihr Erfolg, die Taufe der Bekehrten. Streng zusammengehalten erscheinen die beiden Darstellungen darunter an der selben Altar- wand, nur in umgekehrter Folge, die Almosenspende redits» die

Disposition und Schaüpi-atz

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Schattenheüung links vom Beschauer, und schon beim ersten Einblick in die Kapelle, durch das Gritter hin, wirkten ne zu beiden Seiten äße Hauptaxe als symmetrische Hälften einer Bühne. Hier galt es, den normalen Mafsftab für alle Verhältnisse des Innenraumes zu geben, schon vor dem Eintritt )Lrehörig zu orientieren und den richtigen vStandpunkt ftlr die Umscluui anzuweisen.

Deshalb ist die perspektivische Vertiefung des Schauplatzes fbr beide Bilder wenn auch nicht aus einem und dem selben Mittel- punkt im Hohoniot der Wand konstruiert, wie es später Andrea Mantetj-na in Freskenpaaren aus der I.iLjrnde dos Jakobus und Christophorus zu Padua grtan hat, doch mit bewufstem Anschluss an die Bedingungen des \s irkhciicn Raumes, und nicht wie dort bei den Ereniitani im Kampf mit Konst cjucn/en. sondern zum Vorteil des IJcsclK'iucrs. Hie s( heinatis( he (irundlai^f der I>is])osilion verleitet jedoch den Maler keineswegs, bei genauer und deshalb langweiliger Entsprechung der flälften stehen zu bleiben, sondern er entfaltet den Schauplatz in jedem Bilde nach den Erfordernissen des Vorwurfii und sucht in ihm um so mehr Abwechslung als er die Hauptperson der Sceno beidemal rechts anbringt, während sie im oberen BQder- paare, bei der Predigt wie bei der Taufe, links steht Während die beiden oberen Scenen in Gebirgstälern gedacht sind, mit Höhenzug als Hintergrund für die Figuren, geschehen diese beiden darunter in den Strafsen der Stadt Jerusalem. Der scharf begränzte, von Baulichkeiten umgebene Ort der Handlung umschliefst die Gestalten in unmittelbarer Nähe, und ordnet sie zwingender als sonst den Malsverhältnissen der Häuser und Paläste unter, vor denen sie hier unten in Tischhöhe des Altars erscheinen. Das war kein leichter Entschlufs für den Maler, der seine majestätischen Personen schreit und frei schon ausgelegt hatte, sie auf offenem Plan cd s feste Körper im Räume hinzustellen und geltend zu machen gewohnt war. Das alles konnte in enger Gasse, unter sichtliarem TMuspruch der Architektur wieder zu Schanden werden. l'nd in der Tal befremden diese beiden pcrspektixisch wirksanillen Stücke der Altarwiind durch die strenge Reduktion der Figuren, im \'(^rglei( Ii zu den übrigen Ge- mälden der Kapelle. Nur .sorgfältiges Eindringen in die Oekonomie des Meisters läfst wieder erkennen, wie bi u ulst er auch hier die Faktoren der Anschauung abgewogen, mit welcher IV'berlegcnheit des Gefühls er die Ga.sse frei marhl für diese (.Gestalten, und das Auftreten der Personen wieder so hindurchfülirt, dafs sie die Koulissen seines Theaters nicht Lügen strafen. Das eine Mal galt es, den Schatten der Hauptperson im Vorübergehen an einer harrenden Reihe entlang sichtbarlidi hinzuwerfen. Hier zeigt er nur die eine

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Das Freskenpaar der Altarwand

Seite der StraTse mit ihrer Häuserflucht, und sein Apostel kommt in diagfonaler Richtung aus dem Hintergrunde um seinen Weg * nach der linken Ecke vom zu nehmen. Das andre Mal schrotet Petrus mit seinem Gefolge im Vordergrund quer über die Bühne und trifft an der Ecke eines Kreuzweges mit der Bettlerschaar zu- sammen; gerade hier aber, wo die Querstrasse mündet und der Blick ins Freie sich «"»ffnet, wird auch der Fortgang der Handlung durch (Mnen Zwischenfall unterbrochen. S(i bringt der Künstler Ab- wechslunv^ in den Anblick der Scenen und Mannichfaltigkeit in den Al)lauf des (tcsc hehens, je nach dem Inhalt der Erzählungen selber. Aber beidemal geht eine Bewegung von rf^rhts her aus der Tiefe hervor und begegnet einer Masse, die ihrer wartet ; denn beiile \'or- gänge srhildt-rn das Auftreteo der Apostel und ihr Walten in der ersten (ienieinde.

Die Almosenspende

Neben dem Marniorpfeiler rechts, der die liühne begränzt, drängen sich fiberschauende Köpfe, ein junger nach einwärts, ein alter nach vor- wärts, hinter dem Ebenbild der Barmherzigkeit und Milde Johannes, der Petrus begleitet Und zwischen den Häuptern der Apostel mit ihren Heiligenscheinen hindurch starrt, ganz von vom gesehen, ein Mann mit dunkelm Vollbart herein, wie versteinert vom Entsetzen. Was geschieht hier mitten im Vollzug des Liebeswerks?

In der Linken den offenen I^erbeutel vor sich haltend Iflsst Petrus aus den Fingern der Rechten soeben ein GeldstOck in die Hand eines jungen Weibes gleiten, das mit einem Kind auf den» Arm herantritt. Ihr Kleid ist grau und armselig ein weifses Tuch um den Kopf gewickelt, und die bleiche (fesichtsfarbe wie der magere I (als verraten, dafs Elend und Leid ihr die Frische geraubt hat. Sie bedarf der (iabe vor Allen. Eine andre junge Mutter eilt hinter ihr herein, ein Mann kniet neben ihr und hält die Hand noch wartend offen, als sei er übergangen. \'on links her humpelt ein Krüppel heran, an der I^rke des vorspringenden Hauses; auf Is-rücken gestützt, hat er die Finger nicht frei, aber desto gieriger dringt der hiick der funkelnden Augen imter buschigen lirauen her\ «»r, und die kahle Platte seines Schädels leuchtet über dem dunkeln llaar- schopf im Nacken und dem Spit/bart am Kinn, das ebenso eifrig

Ananias

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dem Almosengeber entgegenstrebt Vergebens versucht das alte MOtterlein mit breitem Kopftuch vornüber gebeugt noch neben ihm vorzukommen; er sperrt mit seinen Stelzen den Zugang. Oder packt auch ihn die Furcht, so dals er bei Seite lenkt?

Zu den Ffifsen der Apostel liegt ein kräftiger Mann auf der Strasse hingestreckt Der Kopf ist auf den linken Arm gesunken, während die Rechte an das Handgelenk greift und die Finger der Linken sich flach auf den Boden breiten. Die ungeschlachte Form des Körpers in guter bürg^erlichcr Tracht veranlafst unwillkürlich an die Wucht eines jähen Zvisaminenbruchs zu denken, wenn auch die Zerstörung der UildHäche dun Ii den neuen Altar tccrade an der Stelle, wo die Beine wettern Aufs< blnfs vrrbon sollten, uns voFle Klarheit versagt. Ist es ein Kranker. «1er mit tfläuhiger Inbrunst sich niederj^cworleii hat, als (tHcIio er mehr dctin Alnrnson von don hoih'j^rii Männern- S(h\vtrli(li: denn wenigstens joh.inncs wurde sieh ihm /.uwcnden, wenn l't trus seiner ii< m Ii nit lu achtet ; al)cr klar und fest verharrt der I.iehliiigsjung«^r des lli rni und blickt nur bc^- kümniert vor sicli hin, wo si<-h voll/ielit. w.is ihn nirht iiberr.isclien darf, l'nd Petrus sell)st ist garnicht so im Austeilen der Mim/en ))ef.mgen, dafs er aljge/ogen erschiene von di«\seni Zwi.sch(MitaIl. Auch er blickt vor sich hin, aber ni« ht in stiller Wonne des (iebens, wo die Linke nicht sieht was die Rechte tut, sondern ernst und streng, mit dem unverkennbaren Ausdruck des Ingrimms über etwas, das die brüd^üche •Gemeinschaft stört und dem Geist der Liebe, den er soeben betätigt, zuwiderläuft.

Es würde dem engen Ansciiluls an die Aj)ostelgeschichte nicht entsprechen, wenn wir mit Vasari ein „lil>erare gli infcrmi", schon eine Krankenheilung erkennen wollten, wo es sich um Ver- teilung aus gemeinsamer Kasse handelt Und der Ausdruck un- heimlichen Grauens, der plötzlichen Aufregung hüben und drüben wäre unerklärt Die feste Haltung der Apostel, die finstre Miene des Petrus verträgt sich mit der Almosenspende nur, wenn wu- zu- gleich die Bestrafting des Ananias vor uns sehen. Masacdo steigert den dramatischen Kontrast zu voller Anschaulichkeit, wenn er die verschiedenen Momente der biblischen Erzählung zusammenzieht: die Ueberreichung des Kauferlöscs in der Börse des Ananias. die nur soviel enthält wie er preisgeben will, die Verteilung des Inhalts an die Armen und die Erkennung wie die l^estrafling des Betrugs. „Warum hast Du das b:.r,r.ngen in Deinem Herzen " murmelt Petrus, „Du hast nicht Menschen sondern Gott belogen." Und der Vorwurf streckt den Mann zur Erde wie ein Blitz.

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Almosenspende

So denkt Masaodo; aber es kommt ihm nicht bei, den Stral des Zornes in seiner Wirkung an dem Opfer mit grälslichcr Ver- zerrung durdhzuführen. Ananias taumelt nicht willenlos mit Zuckungen

allor Glieder zurück, wie auf Rafaels Teppichkarton. l'etrus ist nicht der Zauberer, der mit drohendem Wink physische Vernichtung vollzieht Es ist die Haltung eines Reuigen, eines moralisch (ie- troffenen, in der hier ein starkor Mann am Boden liegt. Das Herz ist ihm jiehrochon, der Schhiij hat ihn gerührt. s;iv!on dio Leute, weil sie nicht wissen, wie es geschah. Ananias ticl nieder und gab den Geist auf. I^rst .Sa])phira hat die Stirn zur Widerrede, ihre freche Lüge macht sie \ <>ll,iuf zur Mitschuldigen, und auch sie wird at)getan. Hier aber sehen wir sie nicht, wid>rcnd sie bei Rafael sclion ahnungslos dun h die Türe kommt. Ein Fall genügt, um so mehr, da Läugnen sich nicht malen lafst.

Masaccio ist ebenso weit entfernt von der Sanftmut und Weich- herzigkeit eines Fra Angel ico. Weder seine Apostel sind in so kindlicher Einfalt von der Seligkeit des Gebens durchdrungen, noch seine Armen so harmlos im Begehren, so friedfertig im Nehmen wie beim Klosterbruder von S. Domenico. Dieser Mann hier kennt den Stachel der Armut wie der Herzen Härtigkeit Aber grade dadurch hat der einfache Vorgang der Almosenspende schon einen Reichtum an psychologischem Ausdruck gewonnen, wie ihn kein Liebeswerk im Klostergarten um sich sieht. Diese Verteilung gemeinsamen Geldes ist eine Volksfcene, die den Keim des Auflaufe in sich trägst Die Geber wie die Xehmcr müssten es fühlen, dals ein Kömchen Sauer- teig das Ganze in Gärung bringt. Xur der unerwartete Zwischen- fall, das fur( h'l ur Seliic ksal des reichen Mannes weift den Vorg-ang in die Schranken der Armenpflege zurück. So wird das Antlitz des Apostel fürsten, in dem sich diese Wendung spiegelt, zur I lauptsachc des Bildes. Er waltet seines Amtes unbeirrt: aber kein Blick be- geisterter Freude und warmen Anteils leuchtet unter den gesenkten Lidern hervcr; scharfe h'urchen laulen aliwarts über die Wangen in den Hart, als handh- es sich mehr um bitltTii Ausgleich unge- rechter Not oder um die herbe Strenge der strafenden Gerechtig- keit allein.

Die ganze Helligkeit des Sonnenlichts str()mt über die Bcttler- schaar auf dieses Antlitz umi die beiden (iestalten der Apostel. Vor dem karminroten Mantel des Johannes und dem gelben Ueber- wurf des Petrus über grfinem Rock können wir nicht umhin den Körper am Boden zu beachten, der in feuerrotem BOrgerkleide da- lieget Unter dem peinlichen Eindruck des Falles, unter dem starren TCntaetzen und der beweglichen Habgier auf den Gesichtern umher.

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Schattenheilung 39

wird der Ausblick ins Freie zur Woltat. So stellt der Maler einen hohen Turm mit gotischen Fenstern im Rusticabau zur Seite auf, an der Ecke der Qucrstrafse einen leichten Palast übereck, sodass wir sein Zeltdach überblicken und die schräge Flucht seiner Hauptfassade mit ihrer rundbogigen Penstcrreilie im Mittel geschofs verfolgen. Auf der andern Seite der Gasse, links am Rand des Bildes, lässt er die dunkle M.isse eitu s Bürgerhauses, mit vorgekragtem Ausbau, V)is auf das Eckfenster im Schatten liegen, und eröffnet danehtni die I .andst hatt, wo d»'r l'.ihrwog sich zur sanften Höhe eines Iiüg(»ls iiiiianw iiulet. aus dessen Griin eine w<-ifse schlofsähn- liche Villa mit kurzem Turm über dem /iiiiienkranz hervurglanzt, wälirond ein Höhenzug dahinter die seihe Richtung in die Ferne dehnt, je meisterhafter die h ührung des Lichtes hinter dem hölzernt^n Eckbau hervor über die Flache des neugebauien 1 lauses am Strafsen- anfang gelungen ist, desto williger folgt das Äugt- dort hinaus, als schimmere ihm lockend die Villa Castcllo am Fuss des Monte Mor^lo entgegen.

Die Schattenheilung

Auf der gegenüberliegenden Seite der Altarwand blicken wir im entsprechenden Bilde auf die Häuserreihe zur Linken einer schmalen Gasse. Der Augenjmnkt liegt ganz ausserhalb, fast um die ganze Breite der Bildtiäclie nach rechts, so dafs diese Architektur- koulisse mit Vorbauen, Dachrändern und Fenstern eine Anzahl energischer Fluchtlinien und perspektivischer Wahrzeichen aufweist. Nur ein dreieckiges Feld rechts bleibt für die Einstellung der Figuren übrig; aber gerade dadurch wird der Eindruck einer un- mittelbar vor uns hitigesetzten Scene erreicht, (ienauer als sonst wird vorn in der Ecke ein Rusticabau mit hohen gewölbten Fenster- öffnungen im Obergeschols und der v«)rgelegten Stange zum Auf- hängen vrm Wäsche, mit Steinbanken vor der Tür und dem Ein- blick ins Innere geschildert. D.tr.in schlielsen sich leichtere Fach- werkhäuser von grauer und rotlicher Farbe, mit schrägen Stütz* balken unter dem vorspringenden Oberstock an, und hinten ragt ein schlanker Turm ab» die Dächer. An dieser Häuserflucfat entlang sendet die Sonne ihren Schein, wie das wirkliche Licht des Kapellen- fensters von oben einfiUlt, Diesen örtlichen Umstand macht der Maler

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Der aiagische Schatten

zum Buntlosjron«.ss(Mi seiner Kunst» die Darstellung des Wunders mög- lichst sinnfällig und überzeugend \ nrdic wahrheitsdurstigen Augen seiner ( iemeindc zu bringen, „l'inhra sui corporis intirmos sanavit" rühmt Ii' l.<>gonde vom Apostel Petrus; das konnte der realistisch denkende Künstler in dieser Kapelle nur auf dieser Stelle malen. Hier allein sendet eine aus der Tiefe kommende l*<Tsi>n ihren Schatten in seillieher Richtung v<<raus. so dafs die W'undcrwirkuiig dieses Schattens im \'urbeigehen wenigstens als uiiniitt<'lbare Folge nelx ii dem Träger der llcilkrafl sellier /tun Vorschein kommen nuH-lite. Eine soh he Na( lu\ irkuiig hinterrüc ks \ r.r/uiuhren, so dals (kr Apostel garnicht von Angesicht gezeigt ward, verlK)t sich für die heilige (leschichle xon selbst 1 )csh.ilb schiebt sich die Hauser- reihe /.ur Linken hin. liier haben die Gläubigen ihre Kranken auf der Steinbank niedergesetzt, hierher sind Krüppel gekrochen und andre Dulder zusammengedrängt. Von der Sonne beschienen warten sie, dafs Petrus vorüberkomme und erlösend flberschatte wen es grade trifft

Im VoUbewufstsein seines lloheitsrechtes wandelt der Apostel daher, wie verloren in Gedanken. Sein rechter Arm hängt ruhig herab, der linke wird vom gelben Mantel völlig verhüllt; denn ohne eigenes Zutun, ohne Mitwirkung der Hand oder nur des Blickes geht die Heilkraft von ihm aus, sein Schatten genügt sie überzu- leiten. Er selber aditet der Wandlung nicht, die seine Nähe aus- übt; aber siehe da, wohin nur ein Streifen seines Schattens gefallen, da erheben sich die Kranken gesundet und loben den Herrn, der sie begnadet.

Ein bärtiger Mann in hemdartigem Kittel unmittelbar zur Seite des vorübergehenden Petrus, steht schon aufgerichtet auf seinen nackten Beinen, als merkte er eben, dafs sie ihn wieder tragen wollen, und faltet die Hände in Anbetung, scharf beobachtet, wie es scheint, von seinem Nachbar in rot(^r Kapu/.e, der beide Hände auf einen Stock gestüt/t hereinschaut und nach X'asari das Bildnis Alasolinos wäre. Neben dem Beter mit verbundenem Bein kniet ein Kahl- kopf mit liolilen Augen und schmerzvoller Stirn; seine Arme sind demütig über die Brust gekreuzt, aber sein Blick vermag aus dumpfer Lethargie des langen Leidens kaum noch mit Zuversicht sich aufzu- raffen. Ein armer Krüppel dagegen, der sich mühsam auf kleinem Holzschemelchen am Boden hinschleift, lugt wie ein Hund nach einem Knochen auf, auch er noch ein Menschenkind das Erlösung hofft Eine ergreifende Stufenleiter leiblicher Gebrechen, von halber Tier- heit bis zur Wiedergeburt in voller Gesundheit führt zu Petrus hinauf, dem ein schmalwangiger Jüngling mit verblichenem Heiligen-

Formen und Typen

schein, also doch wol Johannes - in karminrotem Mantel« und ein langbärtiger (trcis mit Käppchen auf dem Scheitel, in gemessener Entfernung folgen.

Bei dem jetzigen Zustand des Bildes, das gerade an der linken Seite besonders gelitten hat, würde man allerdings, ohne den Inhalt zu wissen, kaum noch den Schlagschatten dos Apostels als eigent- lichen Wundertäter erkennen. Aber die scharf und klar durclige- fülirtc Beleuchtung belehrt noch immer unzweifelhaft genug über die Absicht des Malers, mit seinen Mitteln wirklich zu zeigen, was keine andre Kunst darzustellen vermochte. Noch immer orrcgl die wirksame Modellierung der Kopfe bis zum cnt.irt<li-n (iescliKpf hiiuintcr, oder die llall)tigur mit nackten .Xmicn und k.ih!(Mii Schädel Vor dem gr.iucu Kock des stehenden Nuchbiirs. 1 >< wundt run^. wemi auch di<' \'ftllkraft an dieser Stelle nur mit schweren s(hw.ir/<Mi Scbattrii crk.uift ist. Mit welchem dehihl für malcrisclu' (ie^rn- sätzc ist mitten hinein in (V\v dunipff dannneriv^e dassc des Armcn- vicrtcls die l.ichtgestalt des (inadenspcndcrs cin^efulirl, nur vorüber- gehend allerdings, aber desto unberührter als Krscheiiumg.

Wol mag es auffallen, dufs an dieser Stelle noch die nämlichen Fehlor wiederkehren wie an den Händen Evas und den etwas schief in die Breite gehenden Köpfen der Apostelschaar. Die beiden Paare neben Petrus mögen etwas allzu stark im Mafsi^ab differieren, weil der Meister alle Kunstftückc versucht, die Tiefe zu ertäuschen. Alle diese kleinen Schwächen erklären sich wie die unläugbare Tatsache, dafs die ganze Behandlung nicht so kühn und breit ist wie sonst, aus d^ Be&ngenheit im engsten Raum. Die strenge Einfügung der Figuren in den brauchbaren Ausfchnitt seiner Fläche, die per- spektivisdie Gebundenheit im Interesse der Gesammtwirkung als Wandgemälde und im /.usammmhang oines vielgliedrig^n ( ianzen haben unwillkürlich die Freiheit seiner Hand beschränkt. Wie sehr wir diese «irtlichcn Bedingungen in Betracht zielu ii müssen, das lehrt besonders ein vergleichender Blick auf die Jiinzelgestalt des Helden.

Bei der Almosenspende erscheint der alte Apostel wie eine bewufste Weiterbildung d(\s strengen Typus, den wir schon bei Giotto deutlich hervortreten sehen. Das volle llau])thaar legt sich in drei wulstigen Kingen um den Schädel, fa.st wie eine Perrücke, deren stark unterschniltener Kanil mit ticten Schatten iiher Stirn und Ohr den Backi'nbarl. fler über die Schlafen hin.itisti igt, wie ein künstliches Anlulngsel erscheinen l.ilst. Die längliche .\dlerna.se und der abwärts gezogene Knebelbart über dem vollen weifsen Haarwuchs am Kinn verstärken den altertümlichen Eindruck dieses

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Disposition der Langseitek

Kerfes, der dem ^^roisen Eiferer wol ansteht.') Dagegen sehen wir in der andern Wandhälfte, in ganzer Breite von vorn, ein weit milderes Antlitz, unter dem grauen Haar und Bart firischerc Farben und minder durchfurchte hlaclien. Als ganzes ist es kein so aus- geprägter riiarakterkopf, alles malerisch vereinfacht zu woltuender einheitli( hrr Wirkung. Und infolge dessen wol mit ist der jugend- liche Bogleiter, den wir als Joliannos ansprechen müfsen, zu zarter Schwäche zusanimcngcschwiiiul« !!, weit entfernt von dem Dioskuren- kopf bei der Almosenspciule re( hts oder gar von dem herrlichen Antinous des grolson llauptbild<\s an der l.ängswand. Der Apostolfürst seihst aber kommt in der malerischen P»ehandlung schon dem tränenden Petrus nahe, der unnnttelbar daneben im untern Wand- streiten zur Seile des Altars links verehrt wird.

Die feierlichste Verherrlichung des Apostels auf Erden st^t hier in der Kapelle seinem Martertod am Kreuz gegenüber, sidier schon als entsprechende Glieder im Freskenschmuck voraus bestimmt, unter entgegengesetzter Beleuchtung wie die beiden Bilder der Altar- wand. Und im unmittelbaren Anschlufs an die nämlichen Bedingungen des seitlichen Lichtes von oben her, wie das Schattenwunder, ist offenbar auch diese Anbetung des Kirchenhauptes gemalt In der Legende bezeichnet .J^etrus in catiiedra" freilich den Abschlufs der Scctienreihe, der dieser ganze untere Streifen der linken Wand ge- widmet ist.

„Als nämlich Petrus bei Antiochien predigte, so erzählt die lleberliefennig. ward er von Theophilus, dem Fürsten dieser Stadt zur Rede gestellt, warum er deji Sinn des Volkes verkehre. Da aber Petrus sich des Glaubens .111 ( "hristus rühmte, liefs er ihn fesseln und ohne Speise und Trank gefangen setzen. Als Paulus von diesem Schicksal des Petrus erfuhr, begab er sich zu Theophilus und stellte ihm vor, der alte Mann, der Kranke heilen und Tote erwecken könne, werde in Freiheit aurh dem l ürsten wol zu nützen im Stande sein. We.shalb er sich deim nicht selber aus den Banden befreie, entgegnete Theophilus. Wenn er vermöge ihm seinen Sohn, der seit vierzehn Jahren tot sei, zurückzubringen, so solle er ledig sein und unversehrt bleiben. Als Paulus dem Crefangenen diese Botschaft brachte, meinte Petrus: „Du hast Grofses versprochen;

') Vgl. den Farbcndnick der Arandd Society mit den neuesten photograpbischen AufiMhBMn.

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Aufbau des Andachtsbildes

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dennoch mit Grottes Hilfe wird es ein Leichtes sein." Und heraiisgef)lhrt aus dem Kerker, betete Petrus am geöffneten Grabe des Knaben, und sogleich kdirte diesor ins Leben zurück. Darob ward Theophilus imd das ganze Volk Antiochiens mit vielen Andern gläubig, erbauten eine herrliche Kirche und stellten mitten hinein einen hohen Sitz, auf den Petrus erhoben ward, damit er von Allen gesohen und gehört werden könne. Auf diesem Bischofstul von Antiochien saTs Petrus sieben Jahre bevor er nach Rom zog.'**)

Petrus in Cathedra

Diese Kirche von Antiochien strllt Afasacrio am rechten Kndc seiner Iiildflächc dar, s(» dafs wir eine Schmalseite in starker \'er- kürzunjr urid ciiicii Teil der ajistofsenden Langseitc vorn parallel zur Grundlinie des liildcs vcrl.iutoii sehn. Das untere Stockwerk dieses schlichten Baues ist an Stell«' eines Simses mit einem Pidt- dach uni/ovren, dessen Sparrenwerk unten mit flacher Felderdecke verschalt, oben mit roten Ziegelsteinen bedeckt ist, jLfanz ähnlich wie droben am Wächterhaus vor Kapernaum. Zwischen einer recht- winkligen Türe rechts und der Ecke des (lebäudes ist unt< r diesem Dache der Tron für Petrus errichtet. Ein grüner Vorhang bekleidet die Wand im Rücken des Tronenden, ein Tcppich breitet sich Aber die Stufen unter seinen Fflisen.

Der Apostel legt in dankbarem Gebet die Hände zusammen und blickt andächtig empor, nicht zum Nachteil der ehrferchtge« bietenden Erscheinung der eigenen Person, deren offenes Gottver- trauen auch dieser Heroenkultus nur zur Ehre des Höchsten wendet. Der Ausdruck aufrichtiger Demut hält die einfache WOrde des Greises von allem pomphaften Wesen rein und giebt der schlichten Gestalt eine natürliche Ueberlegenheit über alle Verehrer, die nun, statt den Apostel anzubeten, sich mit ihm im Gebet zum Ewigen vereinen.

Im Halbkreis knieen zu seinen Füfsen drei fromme Männer im Gebet, während rechts und links sich stehende \^>rehrer an- schliefsen, zu je dreien gesellt. Vorn in der Mitte wird die Figur des Fürsten Theophilus nur vom Rücken j^esehen. Rechts neben ihm erscheint ein Zeiliren, isse des Malers in scharlachrotem (rcwand mit kahler Platte zwischen dem kurzgehaltenen Haar, gewifs ein

^) Jacobi a Voragiae Legeoüa Aurea (rcc. Graes&e) Cap. XLIV.

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44 Malerische Vorzüge

Bildnis des Patronatsherrn der Kapelle, der den ganzen Freskenschmuck zu Ehren des ApostelfQrsten bestellte. Und neben ihm stehen wol die andern Angehörigen der Familie Brancacci, zwei Mannet vom und eine

Frau, M > s hoint (>s: erkennbar ist an dieser arg mitgenommenen Stelle, (vor der dunkeln Kirchentür ursprünglich gewiss sehr wirksam hervortretend^ nur das Antlitz des einen Neffen,*) der aufmerksam aus dem Bilde heraus sdiaut, während der Kopf einer vierten Person, (lio ihm nur an die luiltcr reicht. \vi(> ein Eindringling am Tür- pfosten hcreintriiekt. Zur Linken der Miudtii^ur dajjfetrcn nehmen die Mönche des Klosters in schu ar/u (Mlsein Karmelit< rkleid ihre Rechte in Anspnuli. \'nrn kniet iedrntalls der Prior, begleitet von drei An- i^eh« »rii;« 11 srint's ( )rdi'ns,die an die Keke des K irchenk« >rj)ers heriintre- Ireten, stt^liend vrrh.irren. Sie gehören /u den bcslerhaiteixMi i'ortrat- fi)^airen, die Mas.n < in hier ^'^elun>4( n sind, und bezeichnen aut solcher Bahn die höchste Staffel seiner Kunst.

Die ganze Komposition dieser Gruppe rundet sich und gipfelt in hoher ardiitcktonischer Schönheit Jeder Körper hebt skh in plastisdier Selbständigkeit aus dem Grunde und hängt dodi in klarer Beziehung zu seinen Nachbarn mit dem gemeinsamen Mittel- punkt zusammen. Feierlich getragen vollzieht ^di jede Gebärde in bleibender Bedeutung, während Blicke, Faltcnzug und Beleuchtung sie zur Lebendigkeit einer spontanen Aeulscrung steigern. Solf:h ein Bild vermochte doch nur die Malerei mit dem vollem Umfang ihrer Mittel zu erreichen. Vom einheitlichen Tageslicht Übergossen, wie es jeden Gegenstand an dieser Stelle je nach dem Platze den er einnimmt treffen mag, in ei^er Farbe, aber vom Widerschein der Nachbarn wie von ihrem Schatten mit verändert, erscheinen alle Bestandteile für das Au^c des Beschauers so eng verbunden und verwebt, und der Reiz des farbigen Helldunkels verwandelt die stumme Pantomime in klangvolle Harmonie. Erst diese Einstralung aus der Höhe läutert die Anbetunj^. die dem Apostel gezollt wird, zur Andacht in Gott, der ihn beseelt. Es ist eine ideale Zusimimcii- tassung im Sinne des tianzcni Heiligtums, und .so ein Meisterstück m< »numcnlaler Wandmalerei. Xo< h heute, in dem manniclifaeh be- schädigten Zustand, ist die Einheit der farbigen (irundlagc so st.irk, dafs (Ii«' drän/e, wo Masaecio aufgebort und Filippino Lij)pi .seine (icst.ilten her.ingedr.mgl iiat. sofort empfunden wird, trotz allem Be- mühen den Gegensatz auszugleichen.

Die Rundung und Auseinandersetzung der Körper im Iteht- durchströmten Medium der Luft, die Klarheit der faringen Er-

*) Vgl vorlinfig die AacKbeo im Vasail ed. Mflaacii IX. p. 196 Ami.

Masaccio und Fiuppino

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scheinung Im gemeinsamen Raum, die volle Freiheit des Gebarens und schlichte Ursprünglichkeit des Ausdruclcs, die lebendige Gegen- wart der historischen Person unter den lebenden Verehrern, das Alles erweckt die hck:hste ErwartiinR-, was aus dem Haupthilde da- neben, dem letzten Stück hütte werden k«>nnen, wenn Mosaccio es vollendet. Aber diese letzte Kcmpnsition besteht aus Beiträgren zweier Hände, aus Anfänj^en uiul ( iriuullajjfen vr»n Masaccio und Zutate n voll h'ilippino, die unser historisch v,'^oschultfs Auge doch immer auseiiuindorsioht. Und frag< ii wir genau, was Masaccin ge- malt und gewollt hat. so stolsen wir gerade hier zuerst auf ein neues Element, das sein glücklichstes fielingen w iedi-r getahnlet : eine Masse von Rildnisfiguren ist eingeführt, die Zahl der Zuschauer so hetleiiklich \ ermehrt, dafs wir /.weitelu. ob nicht dadun h flie Vor- züge der Huldigungsfcene wi<'der erdrückt wurtleu. l iiter der Hand Filippinos, der die Macht des Helldunkels und die einfache Entschiedenheit raumschafiender Mittel nicht bcsiifs, ist dieser Chorus jeden&Us erstarrt. .

5>chälen wir die Zutat Filippinos in der Mitte der Figurenreihe einmal heraus» dh. verfolgen wir vom letzten Karmeliterkopf Masacdos, dessen Cresicht so energisch hinter den beiden Ordensbrüdern her- vorsieht, die Laienportrats Filippinos, die mit scharfer ROckenlinie der vordersten Profilgestalt ansetzen* so kommen wir mit dem achten Kopf, der den Vordermännern nur über die Schultern blickt, wieder an die Arbeit Masaccios und erkennen seine Freskotechnik unzweifelhaft in dem vollbärtigen Mann, d<^r in schwarzer Kapuze und grünem Talar grade auf den nackten Knaben herabschaut ; diesen letztem hat, wie auch Vasari erzählt, Filippino g* nialt nebst dem grünen Gewände des stehenclen Zuschauers, der Kleidung des knieenden Petrus und der Hand des Petrus.')

In der ganzen h'.cke die daran stofst bewährt Masaccio, bis auf einen von hilippino erneuten I\o]>r uiii stum|)fer grauer (iesichts- farbe, in seiner eigenhändigen Lr-istuug di«' überlegene I Veiheit eines Malers, der vor den kühnsten Problemen der h'ormetn r rkürzung und Auseinanderhaltung im Räume nicht mehr zurückschreckt. sond( rn vielleicht grade durch die Sc hwierigkeiten zu Wagnissen \ erlockt ward, die, zu autfullend im hin/einen, die hiU'monischc (iesumt-

*) Die Grinse llnft von unten am Mantel des Petnii empor, sdineidet seinen Arm (dessen unterer Teil nebst Hand von Filippino ist), unter dem Bart des Paulas hin, an

«lfm grünen Gewand des Mannes mit schwarzem Vollbart in iVw HOhe, imter i!i<seni Bart weiter uml jjeht zwisclieii diesem Kopf und dem nüihslni itifwärts. Links \om Tribunal ist sicher auch der /.weite Kopf mit weifsem Kra|{cn von Masaccio (der vierte von Knks gerechnet).

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Schauplatz und Figuren

Wirkung vorerst erschweron. Als Stückwerk eines unvollendeten Ganzen fordern sie stets den Hinwi is auf das Fehlende, Versudien wir es wenigstens, sie zunächst als Bestandteile der grossen Koni- Position, im eigenen Umkreis ihres malerischen Zusammenhangs zu würdigen.

Die Erweckung des Knaben

In der richtigen Erkcnnlnis, dafs in dem unteren, dem Besucher der Kapelle so nahen Streifen der Längswand, eine grössere Entfallung der Raumtiefe nur die Grölae der Figuren und ihre selbständige Wirkung beeinträchtigen würde, bat Masaccio den Schauplatz der Handlung durch eine quergezogene Gartenmauer nach hinten zu be- sc]u*änkt. Damit nahem sich die Bedtngungeii der Komposition be- trächtlich denen eines Reliefs. Vor allen Dingen ist die perspek- tivische Entwicklung in centraler Konstruktion filr die ganze Wand- brdte ausgeschlossen, die für den Standpunkt in der Kapelle ein gewaltsamer Zwang, für den Standpunkt an der Schwelle des Heiligtums vollauf ungünstig gewesen wäre. Nun rücken dte beiden Sccncn an die Enden (K s Wandstreitens auseinander, und die Mitte wird neutral, sodafs die Trennung der beiden Momente durch einen gemalten Pfeiler m<)glich erscheint, wenn er wie drüben und ober- halb auch tatsächlich Aveggoblieben ist, und nun die ganze Länge der antiken Bühne sich einheitlich vom Eintritt in die Kapelle bis an den Altar hin entr(»llt. Links und rechts treten Gebäude als Ab- schlufs hervor, dort eine Katliedrale mit dem erholuen Stul Petri, hier ein Palast mit dem eriiöhten Tribunal. Die dartenmauer mit prachtvoller Marmortäfelung und irdenen Blumentöpfen darauf zieht sich verbindend zwischen beiden Höhepunkten hin, und läfst zugleich über dem vorderen Palasthof den Blick frei, auf die Baume des jenseits anstofsenden Gartens, auf den blauen Himmel, genug in die Weite draussen. Und diese Illusion wird sogar noch angebahnt durch die Gartenfassade des zugehörigen Palastes links, die in drei Stockwerken herfiberragt und auf der schrägen Fläche noch einmal das Sonnen- licht auffängt, das von rechts hereinfällt

Das Fürstenhaus ist an der Vorderwand durch kannelierte korinthische Pilaster gegliedert, an der Schmalwand rechts mit einer Nische für den Richterstul und Bänken für die Beisitzer versehen. Ueber dem Architrav, den die Pilaster aufnehmen, ragen aus der

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Handlung und Ausdruck

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Maxier braune HoIzbaUcen hervor, die ein riegelgedecktes Sdiutzdach tragen, lieber diesem rotem Pultrand, der das Licht abfängt, wird ein Obergeschofs mit Parapet und Fensterreihe sichtbar. Jenseits der Gartenmauer zeigt sich in gleicher HOhe ein Doppelgescbofs, mit kleinen rediteddgen Fenstern im untern und Gruppen von je zweien neben einem grosseren Giebelfenster im obem Stockwerk, über dem dann noch ein Mezzanin oder eine Dachkammerreihe sichtbar wird. Aus den Fhichthnicn dieser Profanbauten wie der Kirche drüben ergiebt sich, dafs beide aus oinom gemeinsamen Centrum perspek- tivisch konstruiert sind, also die Einheit des Schauplatzes, dessen Augenpunkt in dir Kopfroiho der stehondcii Figuren fällt.

So entsteht für den Auttritt s< Ibst eine Hähne von mäfsiger Tiefe, und Alles drängt darauf hin, die korixThafte Erscheinung der Dinge in ni<>glichst«'r Schärfe zu entwickeln. Auch dazu dient die rück- stralende Mä( he der niarni(irf:etäfelten Mauer hinter den I' iguren; denn im sonnt-nhellen Tageslchein wird es inCiglich auch den Ictztrn Streifen ties Raimies formend zu durididringen. Nur links v<>r dem Tribunal des Fürsten öffnet sich die Tiefe geräumiger für die Haupt- personrn und ihn^ nächste Corona,

Auf dem Hochsitz in der Nische tront Theophilus, in hellrotem Rock und dunkelm Pelzbarctt, mit Reichsapfel und Scepter in den Händen, ein noch junger Mann mit rundem Kopf und spitzem Kinn- bart. Formgebung und Faltenzug erinnern ausserordentlich an den Stil des Luca della Robbia, dessen Klarheit und Harmonie hier auch sonst in mancher Erscheinung vorbereitet wird. Der Herrscher schaut mit grossen runden Augen ruhig drein, fast ohne eine Miene zu ver- riehen. Erwartet er so wenig das Gelingen des Wunders, dafs er gamidit darauf achtet, wie weit es schon gediehen? Der eine seiner tehwarzgekleideten Räte blickt in hödistem Erstaunen zu ihm auf und weist mit den Händen auf den Vorgang unter seinen Augen hin, damit der Vater nur gewahre, dafs sein Sohn schon wieder im Feben ist. Gerade dadurch kommt ein Bild beredtesten Ausdrucks, ein- dringlichsten Mienenspiels zu Stande. I'nd m ben diesen gespannten Zügen wirkt auf der andern Seite des Fürsten das leise Schmunzeln des alten Rechtsgelehrten vorn, der in kritische Erwägung verloren i:cheint: er hat die Hände in den Schofs geleg^t und trifft mit seiner Skepsis wol den betenden l'aulus, der das Antlitz zur Höh*' richtend am Hoden kniet. Zwischen ihnen lieitlen steht Petrus in gelbem Mantel über graugrini«-r l unica, mit seinem Rücken nach der Palast- ecke, mit der \ orgeslreckten Rechten und nit derschauendcni Plick dem innern Kreise zugekehrt. W(^ die (iebeine des Knaben aut einem Linnentuch liegen, das aus dem Grabe herausj^ehoben, hier

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Masaccio und Filippino

ausgebreitet ward. Wie Masaccio dio Srhwiongkeit des Wunders zu überwinden dachte, in wie weit auch bei ihm das Nebeneinander der Knoch«'n und «Ics lebenden Körpers die l ebendi^machuntf eines vor lanj^n-n Jahren vorstor}>eiirti Knalx n veraiisrhiiiilidn n sollte, wissen wir nicht; dafs er i^liu klirher darin i^-cwesen wäre als Filippino hier, oder l.nrcnzo dhiherti an der Area di S. Zanobi, ist schwer /u denken. Aber sein Apostel weiiij^stens /eujLjt in jedmi /mW \ '>ii (Irr /uversielit des Goitesniainies, dais au( h diesmal <lie liidle des llinnnels und die W'underkraft seines Ghiul)» ns nicht ver- sage. Kr allein ist hier der (icw alti^^c, der ul)er lOd und Leben gebietet, selbst an zerfallenem Gebein die Wiederbringung des Fleisches vollzieht Jemchr sich in Paulus die Inbrunst des Gebetes von dem Gegenstande weg zum Himmel wendet, desto eifriger sind die andern Zeugen erpicht zu sehen, mit zweifelnden, verwunderten Augen zu folgen, womöglich zu erspähen, wie die Er&Uung des Gebetes, der Vollzug des Machtgebotes vor ihnen geschieht. So der dunkle vollbärtige Mann in grünem Talar, mit goldner Kette und schwarzer Kapuze, der die Mittelaxe der Komposition Masaccios innehält, er beobachtet, wie der Arzt die Atemzüge eines schwer Erkrankten. Und zwischen ihm und Petrus drängt sich über dem Haupt des Paulus eine Schaar erstaunter Zuschauer Kopf an Kopf heran. Nur der Vorderste hinter dem ktiieenden Ap')stel hat Platz, mit beiden Händen den überraschenden Verlauf zu begleiten, während die Uebrigen hinter ihm und seinem jugendliclien Neben- mann, begierig nur einen JMick n\ erhaschen, hindurch lugen so gut es gehen will, lieber/engend ist dieser }{iiil)lick zwischen die Knpfe der hinteren Reihen hier wie zw ischiMi IN trus und dem Ri<-htrrsit/ ; - überreich in mannichfaltiger I ialtung vmd charakteristischer 1 V wegung. fitst zu lit stimnit in die verschiedensten Einzelheiten verfolgt, die W irkung des Kreignisses in der Mitte. Die .Schärfe d<>r plastischen Durt hbildimg. die Al)we( hsluntj; verkürzter Aiisiehien. die unerltiiUiche IJesonderheit der Indix iduen, sie muten dem Auge des Üeschauers eine Arbeit zu, die vom Hintergrunde doch wieder zurückge- stoßen wird.

Hinter dem aufblickenden Kopf des Beisitzers ist leider eine Veränderung vorgefallen, die sich doppelt fühlbar macht, je lebendiger der letzte Kahlkopf, mit ausgearbeiteten Zügen wie Donatellos Niccol6 da Uzzano, hervortritt Sein Nachbar, zur Unken des Fürsten, erscheint wie ein fremdartiger Zusatz, und zwar durch seine ge-> senkten Augenlider wie durch seine aschgraue Kamation. Wir würden glauben, dass Filippino Lippi dies Porträt eingeflickt habe; Cavalcaselle versichert, es sei nur durchfimisst als man eine Durch-

Die Erweckung des Knaben

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Zeichnung davon nehmen wollte, '"i Auf der andern Seite des Tribunals, an clor Lang-seite des ralasles, stehen dapfegen fünf Zu- schauer, den n Mehrzalil die Mahveiso l ilippinos aufs lOeutlichste erkennen läfsl. Nur der l-lrste an (l« r Kcke der Steinbank koinite Zweifel erregen, wahrend der /weitf, ein Karmeliter scheint es, sicher als ein l'eberresl von Masacci< is Hand selber begrülst werden darf. Filippinö malt mit starkem Reflexlicht, g-eringerm Gegensatz von ] .!( ht und Schatten, wie bei gedeckter Beleuchtung. Er ist vor- gesclirillen im Kinzelnen, td>er auf Kosten der J lauptwirkung, die bei Masaccio auch in weiterem Abstand noch ihre volle Kraft bewahrt.

Schon hier also verrät ach Filippinos Mangel an Raumgefühl. Er verfällt, gewifs den Wünschen andringender Gönner entsprechend, in Uebcrladung mit Bildnisiiguren, und hat in der Mitte der Wand gerade damit ohne Zweifel der Komposition Masaccios empfindlich geschadet Flach und körperlos stehen diese Statisten aneinander g^fercht, wie ein photographisches Massenbild von heute mit auf« geklebten Einzelköpfen» ohne I.uft und Licht um sich herum. Selbst der Knabe hinter dem auferweckten Fürstensohn hebt sich nicht ge- nügend von der Gestalt des Vaters ab, der ihm seine Hand auf die Schulter legt, gewifs in rührender Teilname bei dem ähnlichen Schicksal. Die Malerei Filippinos hat mehr Farbenkörper, ist aber auch weniger durchsichtig als die ^fasaccios und befolgt nicht seine wirksame Oekonomic, den hellen l'ntergrund zur Ausfparung der Lichter zu verwerten. Seine Karnation ist deshalb lange nicht so .selbstleuchtend und warm wie die Masaceios, sondern stumpfer, .schmutziger, bald zu bräunlieh, wit* gek«»( ]it, bald durch einc^n Stich ins ( )livenfarbige getrübt, und <lie \'e»r/üge seiner feineren Model- lierung mit weicheren l' elter '.^•aiii^en und reiferer Ausgleichung er- .scheinen in dieser Xachbarsrli ift wie ebenso viel Abweichungen von der grofsarlig numumentalen I>esk(»kunst des Vorgängers.

Wenn aber I''ilij)pino aus (Tetälligkeit gegen seine Mitbürger die künstlerische Ptlichl versäumte, (h'e Reihen so aut/ul< k kern wie der plastische Sinn Masaccios daneben es vermocht, so darf nicht verschwiegen bleiben, dafs diese Neigung, Bildnisse aufzunelimen, schon bei Masaccio vorbereitet war. Schon er „führt das damalige Florenz als mithandclnd oder zuschauend mitten in den Hergang ein,*' und eben darin liegt ein wesentlicher Unterschied dieses letzten, unvollendet hinterlassenen, Wandgemäldes von den übrigen, besonders von dem gleichgrofsen Breitbildc darüber. THes leiden«

>} Storiftddk Pittum in Italia II, 309. Wer aber Uttte dann den Jesnitenirat des Beisitzers ««ndlnldet?

Schinnriow, Mnsaccio-StndieD IL 4

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Bildnisse der ^eitgenossek

schaftlicho Vorlanjrcn mich liidi\ iduelloni, nach dor strotzenden Fülle persönlichster Wirklichkeit, das ist ein neues Mon^ent im Entwick- lungsgang des Meisters, im Jahre 1427, und daraus erklärt sich manche andre Kigentünili(>hkeit dieser hetzten Leistung wie \ on selbst. Der Andrang der Bildnistreue ist auch hier von Masaccit». dem hoch- begabten Maler, noch nicht völlig bewältigt, noch nicht rein ins malerische Ganze wieder aufgegangen, und diese letzten Bruchstücke seines ScIiafFens bezeichnen deshalb mehr den Beginn eines aber- maligen Eroberungszuges in die umgebende Welt hinaus als den Abschluls des ausgereiften Meisters» der zur letzten Klarheit schon hindurchgedrungen wäre.

Je sj)ärlicher die Bildnisse von Zeitgenossen sonst iji der Reihe dieser Wandgemälde hervortreten, bei der Taufe nur tragen die beiden Zeugen hinter Petrus ungescheut ihr modisches Kostüm desto stärker erhebt sich för uns die Frage nach dem Ursprung dieses Wandels. Bezeugen die frühem Darstellungen Masaccios, die wir soeben betrachtet» bb auf eine Ausnahme das Reinhalten der heiligen Geschichte von solcher Zutat, der einheitlichen Erscheinung zu Liebe, oder haben wir nur die natürliche, allmählich fortschreitende Erweiterung der Herrschaft des Malers über alles Lebendige, den notwendigen Vollzug realistischen Strebens zu erkennen?

Von künstlerisch freier Verwertung bestimmter Individuen tür Charakterkopfe der Apöstelschaar, wie die Geschichte vom ZoU- groschen sie darbietet, ist es doch ein entschlossener Schritt zur Aufnahme des Zeitkostüms und seiner Träger zugleich, dh.zur voll- ständigen Abbildung der lebenden Person.

Im Gegensatz zu solchen Heiligenlegenden oder biblischen Er- zälilungen, die den idealen Schwung des Geistes, die Hoheit der Ge- sinnung und die Reinheit des GefiQhls mehr in Anspruch nahmen als die täuschende Wiedergabe der Welt, hat Masacdo hier im Carmine zu Florenz, aber ausserhalb der Brancacdkapelle, ein andres Meisterstück geschaffen, das eben durch seine volle Porträtwahiheit das Staunen der Zeitgenossen erregte, und das Konterfei eines be- stimmten Strafsenprospektes mit den Bildnisfigfuren zahlreicher Mit- lebenden verband. Hier lag aber die AufiEbrdening zu solchem Nachahmungswunder im Gegenstande selbst, den Ort und Gelegen- heit zunächst ati die Hand gegeben. Wir meinen die sogenannte Sagra del Carmine.

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t>AS WandgeüAlde im Klosterhof

La Sagra del Carmine

Am 19 April 1422 war die Kirche vom Ersbischof Aroerigo Corsini geweiht worden. ,Jn Erinnerung daran** oder »^um Andenken daran** so erzählt Vasari „malte Masaccio in Chiaroscuro mit grOner Erde, und zwar oberhalb der TOr, die zum Konvente ftkhrt, drinnen im Klosterhof, die ganze Feierlichkeit wie sie geschehen; er bildete darin eine zahlreiche Menge von Borgern in Mantel und Kapuze ab, wie sie hinter der Procession hergehen: unter ihnen Filippo di Scr Brunellesco auf Holzpantoffeln, Donatello, Masolino da Panicale, der sein Meister gewesen war, Antonio Brancacci, der ihm die Kapelle aufgetragen hatte, Nicrojn da Uzzano, Giovanni di Bicci de'Medici, B;irt<^li>mnieo Valori, die hi'klo von seiner Hand porträtiert auch im Hause des Simone Cnrsi, c^incs fl» »n ntinischen Edelmannes zu sehen sind. Desgleichen bildete (t darin ab den Lorenzo Ridolfi, der in jenen Tagen Gesandter der Republik Florenz in Wnodig gtnvfsrn, und konterlt'ile nicht allein d'w genannten vor- nehmen Herrn nach (l< r \atur. sondern auch die Tür des Konventes und den Ttortner mit »len SchhilNohi in der Hand. Dies Werk weist in der Tat grosse Vollkomnu-nheit auf, da Masaccio es so trefHich verstanden hat, auf die M.iclie dieses IMat/es, zu fiinf und sechs gereiht, den gan/iMi Zug dieser Leute hinzustellen, dir sich in \v olherechneter Al»tuhuig verjiuigen, wi(^ sie für die Ansicht unsres Auges erscheinen, dafs es wirklich ein Wunder ist, ') und umsomehr als man darin, grade als ob sie lebten, seine Rücksichtnahme erkennt, indem er diese Männer nicht alte nach einem Mafeftab entwarf, sondern mit richtiger Beobachtung die Unterschiede zwischen Kleinen und Dicken, Grofsen und Schlanken wiedergab. Und alle setzen ihre Fflfse auf die selbe Ebene, in ihrer Reihe sich so gut ver- kürzend, dafs es in Wirklichkeit sich nicht anders ausnimmt**

Leider ist dies Wandgemälde Masaccios im Klosterhof des Carmine nicht mehr vorhanden oder doch endgfltig wol dem Blick entzogen. Giovanni CineUi erzählt in seinen Anmerkungen zu Bocchi's Bellezze di Firenze^ gelegentlich eines Dantebildnisses, das Giotto in Santa Croce gemalt haben soll, „che poi e stato scorte- semente imbiancato, come fu fatto nel Carmine a' ritratti del Brunel- lesco, di Donatello, e d'altri uomini insigni di que* tcmpi, a' quali per6

>) Antonio Manotti: nHOM storia inaravi{^1insa d'artifido * ogui intendeote, dove ti npits«nt.i l;i pia/a dcl Carinino con m>'ltp fi^hurc.'*

') Le Bellezze ilella Ciltii üi J:* ireazc, bcriltc giü da M. Fraiu csco F3occbi Kd ora dB M. GiovMuri Ciaelli AnapHate, ed aocresdate. In Firenie 167;. p. 336.

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Die ICiRCHWEIHPROdESSIOll

e stat.1 fatta minor srortosia, poiche per riquadrarc il prinio Chiostro gli e stata al/.ata davanti una paroto scnza puastarli," dl», es soi ihnen vor der Naso nur oino Wand entlani^gezrgcn. ohne sie zu verderben Aber d'w Xarht< trseliun^en von vmuur Kirkup und Padro Santi Mattei im Jahn- 1S5Q halx n \v<'l zur Anfdrckimg andrer I 'elxTrcste \ on rar])ig«"n Wanihnalcreien liilu't. nieht al)er zur l'Yeilcgung jems „Chiarnscuro (h xcrde terra" \<>n dem X'asari so ausfülirlich erzählt luid s( h<in Antonio Maneiti aus(h"ückli('h cljenso hervorhebt, es sei „di verdo terra" geniaU. Kicha iVeiheh hatte sch(in 1762 in seinen Notizic istorichc delle Chiese Fiorcntine (Tomo Dccimo, IV ) versichert, dafs dies Fresco bei der Herstellung der Klosterhofe um 1612 heruntergt schlagen sei. Und eine Zeichnung von drei Personen, die sowol Cavalcaselle wie Santi Mattei gesehen haben, enthält von einer Hand des 17. Jahrhunderts die Bemerkung „di mano d'Anni- bale Mancini da Masaccio nel chiostro dcl Carmine, hoggi mandato a terra o coperto dall'intonaco." *)

Wenn dieses Blatt von der Hand des Annibale Mancini schon einer späteren Zeit angehört, so haben wir eine, wie es scheint, wertvollere Skizze aus dem 15. Jahrhundert selbst noch unter den Zeichnungen des Domenico Ghirlandajo in den Uffizien zu Florenz. In der Führung der Feder durchaus mit den ersten Entwürfen dieses Meisters iiir seine Fresken in S. M. Novella übereinstimmend, doch mit dem fühlbaren Charakter einer Abzeichnung nach fertigem Vorbild und ebendeshalb mit Hülfe leichter hellbrauner Bisterfarbe durchschattiert, w<Min auch ebenso flüchtig, stellt dieses kleine Blatt unzweifelhaft o-nen 'l eil aus soll linm Fo.stzuge dar, „processione** sagen die handschriftliehen f Ju' llen der selben Zeit g<>radezu von diesem Wandgemälde „im Jvlosterhof des Carmine, bei der Tür die zur Kirche führt". Dieser Zug- bewegt sich nach rechts, wie wir an der Stelle erwarten müssen, die Richa noch \ erständlicher als Manetti und Vasari mit ihrem „sopra", angicbt: „nella facciata dcl

'1 Ra;;ioii;uncnti intorno all'anlica chiesa dcl Caiinine di Fircnzc per il p. Sanli MaUei Carnnlitano. Fircnze 18G9. S. 5. Cavalcaselle, Storia dclb Pitlura in Ilaiia II, 315 Anm. „Iii i|ik--1o dii^cgno, la figura di profilo snlla siimtra di chi (^arda, porta zooooH. E comc il Vasari d dice che la figura del Braoellescbi aveva simlle calzatuTa, OOSi pottebbe essere questa fi(^ura il sun ritmtto/' . . Weiter in<">chtcn wir jedcnTalls nicht gehen, wenn Crowc \i Cavalcastlle noch andre Schlüfsc aus Vasaris Auf/ähhin}^ futj^i-tn. Leider giebt keiner dieser Ciewähr&männer an, wo er die Zeichnung gc!>chcn oUer wo >-io sich jetxt befinde. VgL andi Lanzi, Storia pittorin della Italla. Piia 181$. L p. 59. „la Saccm della chieaa del Carmine, di coi vidi iin Disegno io Pavia presse Ü dotto P. Lettor Fontana Bamabita.**

*) Vg). Anhang cn diesem Kafätel. S. 6a

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Skizze von Ghirlandaju

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Chiostro« che ö lungo la Chiesa**. Domcnico CThirlandujo ^iebt auf seiner Federskizze drei Reihen der Kirchwcihprocesston hinter- einander. Von der vordersten sind noch drei Männer »chtbar, von der zweiten vier, von der dritten fiinf. Und hier ist durch die Nebeneinandcrstellung eines Grossen, der die andern überragt, und eines Kleinen, der ihm nur an die Schultern reicht, jene Auflockerung bewerkstelligt, die Vasari besonders her\'orhebt» und auch uns sofort die ähnlichen MaPsnahmen in Massaccios Fresken der Brancacci- k.ip< lle vor die Kriniirruiivr ruft ITeberhaupt passt die Besrlirt ilninjjf Vasaris von der Sagra dcl ('arniinc ^unz i^cnaii für diese Abzcich- niini»- ciiHs Ausschnittes von Ghirland.ijo. Alle l'tTSonen sind in Mantel und Ca]niccio, und die nialerisch breite, doch unjfesucht ein- tacli»' ['»eliaiullnii^'- stimmt so sehr mit Masaccios Ki|Lrfnart ülKTcin, dass wir uns anlieischi^" iiiarln'n. n u h di< N< r Probe, die ( ihirl ind ijos Hand bewahrt Ii.it. di<" /eil der l-.nisi» lune^ dvs ( »rij^in.ils srllisi im l.oben Masairiiis /u b< •stimmen 'i, ol)wol es d(Mn Xaelifnli^cr doch mir darauf ai)i<am, einige Hauptsachen, die ihm wiclitig waren, für sich fV-st/uhallen.

Ski/ze oinos Ausschnitts aus dem (ian/en, die wir Domenico (diirlandajo verdanken, reicht tr< ili(li nicht aus. ilcn Wert die.ses (ran/en /u ernn-ssen und den I-Ündrui k nai ii/useh.ifF<Mi . den es auf die ZeitL,"^«!!. >>srn und che Nachwek aiisveubt hat. kimsthrische Leistung als solche war ein (iet^enstaiid di r I iewundcrunjr tur alle Sacln erstamliy^on, von Antonio Manetti bis ( lior^io X'asari, die d.irin die erste sie^rreiehf Losung' eines solchen perspektix ischen Problems zu würdigen wulslcn. .,Maravigli<->sa d'artificio" sagt der M.iiln in.itiker, und setzt hinzu „a ogni intendente;" die liegründung^ i'^ seiner

Beschreibung selbst: „dove si rapresenta la piaza dcl Carmino con molte figure'*, das heifst in der Raumdarstellung auf der Fläche und in der richtigen, glücklich gelungenen Ilineinstellung der zahlreichen Figuren. Das fahrt Vasari nur aus nach beiden Seiten, indem er schon mit den Ausdrücken „quest* opcra veramente ha in sc molta perfezione" und „e proprio una maraviglia** das Oberliefcrte Lob des Quattrocento auch für seine vorgerückte Zeit noch bestätig^ IMc Voraussetzung des Gelingens war erstaunliche Herrschaft über die Gesetze der Linear- und Luftperspektive, und die Wahl mono-

*) In F«iti*s Katalog von 1881 unter Cornice 19 Nr. 76, richtig als Ghirlandajo. Froher ia Pbilpota Fhotograpliieen Nr. $^6 schon als Masacdo, und ebenfalls bei Brogi Nr. 1681 in Lichtdruck. Oben links i^t eine Halisstraitc sichtbar, wol an der Ecke eines Hauses der Pia77a Canninc t;«dacht. al« r nicht weiter ausgeführt als zur SchAtxuog des MaüisLabes lür die i- iguica erforderlich bchica.

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Bedeutung des Chiaroscuro

chromcr Malerei, eines grün in grün gearbeiteten Chiaroscuro, wie wir es im Chiostro verde von S. M. Novella noch heute an W( rk( n seines Zeitgenossen T'aol«» Uccollo und manchen anderen Ucb«r- rosten sehen können , bedeutet bei diesem Meister der naturwahren Farbe wol nichts .Vnderes als eine Reduktion der Schwierigkeiten auf die Ihiuptsacheii . auf die es ihm ankam. Der überraschende Architekturpros])<'kt , die Ansicht des TMatzes V(^r d<'m Carminc draus.sen nocii einmal an der Wand drinnen iur die Insassen der Klausur und ihre Besiirli«T ah^rehildet, wurde nur trapi)anl« r durch den Kontrast der \ i('llarbii((^n AX'irklichkeit und des einfarbii^^en Ab- biltls, der sich dein Auge auf'dranj^te, als auch durch die Ablehnung eines all/u u'dankrnlosen N'rriji^leiches zwisihen dem wechselnden Farbenciiuinu k tlr.iussfn und dem gleichmassig beharrenden, .so zu .sagen abstr.ikten Bildeindruck drinnen. Die Abstreifung der ].cbensfarbe bestimmte jedoch nicht allein ^e Leistung der Raum- malerei» sondern auch die Wirkung der Gestalten. Sie betonte auch hier gleichsam das Wesentlichste an ihnen, hob die Kürper- erscheinungen als Ganzes und damit den Qiarakter der Haltung und Bewegung, die Gesamtphysiognomie der Individuen hervor, das heifst das mimische Element, die Funktion des Einzelnen im Rhythmus des feierlidien Zuges. Das geht aus Vasaiis Bemerkungen die bei wulstigem Satzbau doch wcrtx'oUe Beobachtung beibringen, noch deutlich hervor, während die Skizze Ghirlandajos gerade hier Manches verschleift, weil er die Reihen als gegliederte Masse Studiert und eben die Reihe nicht die P'inzelncn Mann für Mann als Körper auffaist, den er malerisch bewältigt.

Aber auch in diesem flüchtigen Abbild eines Ausschnittes er- kennen wir die FOlle mannichfaltij^^en Lebens, im (tebaren der Finzelncn die einen Gegenstand in der iland tragen, wi(> im Ge- spräch der Nachbarn, die in der plittzlichen Wendung des Kopfes, dem scharfen Seitenblick, ja der lächelnden oder bedenklichen Mieiu^ nach, das Eins(hlagen eines Witz Wortes bezeugen, das der Dritte vorgebracht ohne eine Miene zu verzielien.

Das sinti genau liic seUx^n Kigenscludten, die wir in der unteren Reihe der Wandgemälde driruien in Cappella Brancacci beobachtet haben, während droben in der Apostclschaar um Christus wol schon die sichere Stellung auf dem Boden, die klare Einordnung der Körper in den Raum vorhanden ist, aber nodi nicht die ganz persönliche Charakteristik des Benehmens, das übermtftig zudcende Spiel florentinischen Geistes in solcher Gesellschaft, eben keine Bildnisreihen im Sinne der lebendigen Gregenwart, des Tages- interesses selber. Das bedeutet dies Chiaroscuro an der Wand des

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La SAÜRA DEL Carmine

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Klosteiliofes fCar Masaccia Ist es doch «eher eine freie selbstge- wahlte Aufgabe, die zur Erfrischung zwischen ernster Arbeit unter- nommen ward, auch die Lösung eines Problems, auch eine künstlerische Tat, aber nicht für die Kirdie und den religiösen Menschen, sondern für den Menschen im Religiösen d. h. selbst im Mönche, im Kloster und auf d^ Strasse, ein SensationsstQck des Realismus, das die Uebung anderer Kräfte gestattet als der Maler gewöhnlich anspannt, also dn Spiel trotz dem wunderbaren Ergebnis, eine Art Benefiz- vorstellung fiür den Künstler, J'art pour Tartf* in erster Linie.

Solche spontane Aeufscrungen üb^^rschüfsig^cr Kraft, wie du- Philister sagen Allotria, habon für den künstlerischen Gang auch ihre merkbau« Bedeutung, mag der Genius sie selbst bewufst oder unbewufst vollziehen. Eine Kraftprobe gewährleistet eben den Ge- brauch vielleicht ungeahnter Fähigkeiten, und diese melden sidi wieder zu ihrer Stunde. Solche Symptome darf der Prophet ex eventu, der sich Historiker nennt, nicht entgehen lassen, adso legt er den Finger darauf, wo er sie findet Dies Nebenwerk, die Sagra del Carmine, enthielt eine Fülle von Bildnissen von solcher Schärfe der Bezeichnung, dass Vasari noch im Stande war, eine ganze Reihe von Namen zu überliefern, die sich fest von Generation zu Generation mit diesen Figuren verbunden, diosr trugen also jedenfalls mehr Existenzberechtigung in s'u h als K<'stiimtiguren, auch des Ouattm- cento sonst, \V(» der Kleiderschnitt die Hauptsache für die Nachwelt wird statt der l'crson, die darin stockt. Deshalb bietet sich hier eine Möglichkeit dar. die Vorliebe für Bildnisroihon und die Uebung im Hin.stollen so ganz individueller Geschöpfe, die auf einmal auch in die Pctruslegendc eindringen, aus cinor avisscrcii \'(>ranlassung zu er- klären. Wie wäre es, wenn Masaecio l)ei jenen vornehmen Zeugen des Pt'trns in der Taufe droben /n» rst in v ollem Mals die Woltat empfunden, einmal nicht /u dichten, sond.rn /.u lebtMi , wirkliche Pcnsoncn «lus der (Mgnen Umgebung hiii/usicllen ? 1 )ann die Sagra im Kloslcrhof, die lediglieli diesen Drang nach I .ehensu ahrhcit be- friedigl, ein Schwelgen im i'orir.ii /u suchen scheint, nun freilich mit dem Einstellen wirklicher Personen auch die Unterlage fordert, den wirklichen Schauplatz, und aus Beidem den historischen \^or- gang wieder gebiert: in memoria di ci6 . . . Dann enthielten fbr uns auch Vasaris Worte „d op o qucsto, ritornatoal lavoro della cappella de* Brancacci" einen Kern von guter Ueberlieferung, ,,seguitando le storie di San Piero . . . ne fini una parte, cioö l'istoria della cattedra, il liberare gl'infermi, suscitare i morti, ed il sanare gl! attratti con Torobra etc.'*

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Entsteuungszeit

Mehr Gewicht freilich als auf diese Ucbereinstiminung mit dem routinierten Erfinder von zeitlichen, örtlichen und ursächlichen Ver- bindungen zwis(*hcn seinen znsamn^engesu^ppelten Notizen, und zwar entscheidenden Wert legen wir auf die stilistische Uebcreinstimmung der Skizze Ghirlandajos mit der unteren Freskenreihe der Cappella Brancacci. Ghirlandajo ist ein objektiver Interpret, er ist geübt in •exakter hingebender Beobachtung und wird durdi übersprudelnde Genialität, durch erregliches Temperament oder angelernte Manier nicht gestört. Er hat sich mit viel mehr Erfolg in Masaccio einj^-c- wöhnt als iMÜppino Lipp! m II »st, der anerkennenswerte Vollender der Kapelle, je vermochte. Desh ' t sein Blatt zuverlässig, zum Ver- gleich mit Originalen des näniliclion Meisters in allen Haujitsachen, die er wicdi r uiobt. wol gi oiotu t. Und dieser Vergleich beweist den engsten /us.inmienhang dt r Sa'^nM mit <lon Ix idm untern Bildern der Alt.irwan*!. der Alni(jsenspi>ii(U> und d<T Sc iiattonhcihmg, sowol im Malsllal:» untl /usrhniit tliT rigurcn im W-rliiillnis /um Raum, wie in d<'r ( icwandljcliandlung und di r< n l^altf-n/ug. Da dieser letzte ( iesi« litspimk! bei der Ski//r ( diirlandaj« »s \ (ir\\ alten mufs. ja fast allein zur Geltung knnuueii l.anu. si> sei nur daraut hiie^^ewiesen, dafs die Geschichte mit dem Xollgn «sehen gerade darin m- nuineiualere Breite entfaltet, weil sie mit den Gestalten in freiem Raum fast allein wirtschaften mufs, während auf der andern Seite die Erhöhung des Apostels vor der Kirche von Antiochien und die Erweckung des Fflrstensohnes aus der beschränkteren Oekonomie der Altarwand wieder herausdrängen; besonders bei Petrus in Cathedra sehen wir die Gewandfiguren in feierlicher Huldigung auch von selbst schon malerisch in die Breite gehen, mehr jedenfalls als die zugespitzte Aktion des Wunders daneben gestattete. Die Raumanschauung und Gesamtdisposition dieses untern Wandstreifens empfängt aber ihre unmittelbare Vorlieri itung durch die Sagr.i, wenn wir die Pr< k < ssion vom Eingang d s Klosterhofes bis zur Kirchentür mit dem Pförtner am Ende ausgebreitet denken.

Damit wäre allerdings; jene andre Auslegung der \\'.»rte „in memoria di cio . . . dipinse tutla la sai^ra come ella fii," als handle es sich um sol<^rtige AbhiMuriL^ durch Masaecio als A ugen/ 1 ii-^' n, aufs Einfachste beseitigt, und \ tisaris \'( »rl^ereitung in diesem Siiuie: .Aecadde, mrntre che e' lavorava in quest" «»pera. die e' fu eotisagrata la detta cliiesa del Garmine" bedfutete Xielits als eine von seiiu:'n /ahlreichen Kombinationen ähnlicher Art. Die Zeichnung Ghirlantlajos, scholl als Bruchstück, luul die ( iiaraktcristik der künsthM iselion Probleme, die hier gehest waren, bei \'asari selbst \vid< rsprechen einer so engen Verbindung zwischen dem Datum der liinwcilmng

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Lebensdaten der Dargestellten

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am H) April 1422, und dein Abbild im Klu.stcrhut von Mii.siu ci<»s iland.

Docb l.issc'ii wir. da jene I riili/cit des Meisters n('< h nicht bc- sproclK'ii worden ist, die l-r.iye nach dem Entstehunysjahr jenes Chiaros( uro vorerst dahin j^estollt, und geben hier allein noch histürisclicn Erwägungen das Wort, die sich an dargestellte Personen knüpfen, deren Namen Vasari überliefert. Schon die Kommentatoren machen darauf aufmerksam, dafs die Bezeichnung des Lorenzo Ridolfi als Gesandter der Republik Florenz in Venedig sich nur auf sein Verdienst um die Vaterstadt in schwieriger l^ge beziehen kann, das heilst auf die Tatsache, dafs er am 11 April 1425 in Venedig angekommen, am 4 December desselben Jahr<>s die berühmte I^a zu Stande brachte. *) Die Schlufsfolgerung: ,^11ora la Sagra del Carmine sarebbe stata dipinta qualchc anno dopo av\*enuta tal cerimonia,*' das heifst nach i 125. erscheint freilich noch unsicher, da wir nicht wissen, ob das Bildnis dos lorenzo Ridolfi hier durch iM^ine Tracht o<l< r sr)tist ein Abzeichen als (iesandter keiuitlicli ge- macht war. Wol aber wurde er, na< h 1- lorenz /uriickgek<'hrt, für Juli und August 1424 (Toiifaloni<Te der Stadt, und in dieser Würde könnte ihn Masaceio «l.iri^'^estellt haben, da es ihm sicher auf histoiische Treue in Wahl imd Stellung der Teilnehmer seiner S igra nicht an- kam. I)ie politische Tätigkeit des I .( iren/o (rAntoiiio Riciolli beginnt allerdings truher; er war schon im ( )klober 1423 im Rat der Zehn, am 12 ( »klobcr 14-'} als (ir>.indter in Rom u. s. w. ; aber die aus- gezeichnete Stellung, die l'njndarität seines Namens, die Jl-uc I r.idition bei Vasari « rklart, vtTdankt er doch erst jene in Mrtolg in Venedig. Kinen letzten Termin, vor dem das Werl: Masaccios entstanden sein muls, ergiebt die Erwähnung (lr> l'.artolommeo Valori, dessen Porträt von der Hand Masacci<»s Vasari noch im Ilauso Simone Corsi's sah. Er ist am 2 September 1427 gestorben.*) Solange Valori im Rat der Zehn ^tze, berichten die (iresandten im Oktober 1424 aus Rom, wolle Papst Martin V. mit Florenz kein Abkommen schliefsen; denn er halte sich von ihm beleidigt. Aber Rinaldo degli Albizi selbst hebt hervor: „Papa cupidus est, et utilitates proprias querit ultra alias omnes" {II, 327) und noch im Juli 1425 sals

•) Vj;!. Commissioni di Rinaldo dep;li Albizi (ed. Guasti) Firenzc 1867- 73,

*) Da> I.ebcn Valnris ,,Vita di l'.artolommeo di Niccol.'. di Taldo di Valorc

Rusticbelli, schua in lingua lutina da Luca di Simone dclia Kobbia c faUa %'olgare da

MesKT Piero della Stub Cuiooico iSorentioo" io Ardiivio >tor. ital. IV. Fiienze 184}.

eothalt wenig dironologiade Daten. Seine Ricordi in Rer. Ital. Scrr. XVIII. 115a.

Sein Grab im nfinUkben Krevaarm von Sta. Croce wurde Ton Ghiberti mit Marmoiplatte

geachinficlit.

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Bildnisse von Zeitgenossen

Bartolommeo Valori im Rate von Florenz. Mit ihm zusammen nennt Vasari den Giovanni di Bicct de* Medid, der mit diesem Papst wie mit seinem Vorgänger Jobann XXIII in bestem Einvernehmen ^rcstanden, der Martin nach Rom begleitete, als er am 9 September 1420 Floreni vcrliefs. Er war 1421 GdnfalnnicT. <>htir besonders honor- zutrcteii; «Tst unter dorn Kriege mit Mailand, der das Ansehn des A 11)1/1 »lurdi die Niederlag-e von Zag-onara 1424 untergrub, wuchs sein Kiniluls als Freund dr-s Volkes. Der erste Kataster von 1427 zeigt ihn nächst Pall.i Stro/zi als den reichsten Mann, der seinem Gönner „Johannes (juond.im papa" das konij^liche Grabmal in S. Giovatini errichten Ik'ls. Vs ist .im .70 l'ebruar 1429 gestorben. Diesem Medici .sieht der mächtige Verlreii r der Optimatenpartei /ur Seite, Niccolo da Uzzano (f 1432), dessen Büste von Donatello die wirksamste Charakteristik gicbt, die sidi denken läTst, seit 1417 mit Rinaldo degli Albizi an der Spitze des Staates. Warum fdilt dieser letztere, den 1434 die Verbannung und 1440 gar die Infamie ereilte, als die Volkspartei ans Ruder kam. Schweigt Vasari aus diesem Grunde von ihm, oder war sein Bildnis wirklich nicht auf der Sagra, das Wandgemälde Masaccios also während seiner Abwesenheit auf irgend einer Gesandtschaftsreise entstanden? War er dorli 1426 ^ar fern in Ung-arn, als ^Masolino für Filippo Scolari die (iral)ka|)el]e in Stulweilseidiurg' malte. Das Bildnis dieses „T.ehrers ' von Masaccios lland Ix dürfte der Erklärung cler ix-rstni- liclien Anwesenht it nicht so tu 'tu cndij^" wie die Ki)|)f(^ d(T vornehmen JI«Tni, son.st spräche sein Konterfei im /ug<> der Künstler neben Brunellesco und Donatello tur das Jalir 1427, in dem er aus l"fit»"arn zurück .sein mochte, oder für die Zeit vor Hochsommer 142.5, wo er Florenz verliefs und über Castiglione d' Olona ins Ausland gieng.

Wie mit dem Bilde dieses seines Meisters^ das bei manch^'lei Gelegenheit abgenommen sein konnte und auch sonst in Masaccios Fresken vorkommen soll, stand es am ehesten audi mit dem Porträt des Auftraggebers Brancacci. Nur wissen wir nidit, wann Masaccio zuerst zu ihm in pers6nlidie Beziehung getreten, wissen aber wol von mancherlei Abw «\seidu'it dieses Mannes von Florenz. Nicht Antonio, wie Vasari angiebt, ist der Name des Brancacci, der auf der Say-ra dargestellt war, denn die.ser starb bereits 1391, sondern sein Vetter T-'elico di Michele di Piuvichese Brancacci kommt allein in Betracht. Dieser Patron der Kapell«' im Carmin(\ um die es sich handelt, war i |i.S Gesandter in der Lunigiana beim Mar« hes(> l-eonardo Malaspina. i42o()ratnr der Florentiner in Citt.i di Ca.stello. Im Jahre 1422 wurdi- er beauftragt, im Interesse der tIor(^nlinischen Kaufleute zum Sultan nach Babylon zu gehen, und machte deshalb

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Entstehungszeit

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am 26 Juni dieses Jahres ein Testament, in dem er für den Fall seines Todes das Patronatsrecht Ober die Kapelle an eine Seitenlinie seines Hauses, Gaspare di Sil\ ostro und die Söhne seines verstorbenen Bruders Bartolommeo di Silvestro sowie an CHuliano di Giuliano di Tommaso Brancacci vermacht, offenbar weil er selbst keine maniiHchcn Nachkommen besiifs. Kr kehrte: jedoch tflücklieh aus dem lernen ( )rient heim und erscheint mach P.issi'riiii Anm. /. Vasari II, 2()f)} schon 1425 als (iesandler tiach Siena, in den ( (»niniissioni des Rinaldo dev^li Albizi 1426 als Kommissjir der Florentiner im l.avjfer bei Brescia, wo er bis /um 6 November verl)leibt. Am 26. desselbeti Monats wird er mit Pietro di Leonardo Beccanugi von Florenz nacli Siena geschickt, von wo er am 10 Deccmber zurück- kehrt Später finden wir ihn als Kommissar der Republik im Kriege gegen den Herzog von Mailand am 29 December 1430 in Lucca, im December 143 1 in Rom, 1432 im Rat der Zehn. Im December dieses Jahres wird er zu Eugen IV. geschickt und wirkt 1433 an der Kurie in Rom* 1434 in Bologna, bis auch ihn das Mistrauen der Medici nach Capo d' Istria in die Verbannung treibt, ja 1458 zum Rebellen erklärt. Auch hier also w&re die Zeit vom 26 Juni 1422 etwa bis 1425 sicher ausg^ srhlossen, dann nur die erste Hälfte von 1426 wahrscheinlich, sonst schon 1427 in Frage zu stellen. Doch wie ges;»gt. die Aufnahme seines Porträts konnte Masacci«». solani^n« der Auftrag für die Kapellentnalerei in Kraft war. nicht schwer fallen, wenn wir auch gerade diese persdiiliche l^>eziehung zur Zeit der Finweihung d(>s ("aniiitK'. etwa April bis Jujii 14:?^ schon an- nehnu>n dürfen, und während der Abwe.stnheit des (iesandten in Babylon bis zur Rückkelir 1425 auch nicht zulassen können, sondern wieder auf Masolinos Weggang von Florenz nach Ungarn im Sommer 1425 verwiesen werden.

Das widitigstc Argument, nach dem die Entstchungszelt jenes grfln in grfin gemalten Wandbildes im Klosterhof zu bestimmen ist, bleibt immer die künstlerische I^stung als solche, die Lösung des per- spektivischen Problems und die Fülle \ on Porträtfiguren in Procession, die Antonio Manetti und Giorgio Vasari als Sachverständige für ein wunderbares Meisterstüc k < rklären. In der Cappella Brancacci zeigt erst das letzte durch Masaccios Weggang nach Rom und seinen Tod unterbrochene Stück dies Eindringen der ^eitei nös.sischen Bildnisse unter den Zu.schauern, oder als Verehrer und Stifter am Stule des Apostelfürsten, fiier erst am Knde, 1427 auf i.\2S, droht die leidenschaftliche hreude an rf-alistischer Nachbildung leibliaftiger Individuen den eigentlichen Inhalt der Darstellung zu überwuchern. Welch ein innerer Abstand zwischen diesem Chorus ilorentinischcr

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Vermeintliche Überreste

Persönlichkeiten und der homogenen Gesellschaft der Apostel droben um ihren Meister, selbst wenn dem Maler das Antlitz seines Vor- bildes und Nam< nsli< iligen Thomas zum eigenen Selbstbildnis ge- worden w.ir iitul Kunstgcnosson wie I )()n;it<'ll() zu Gefährten dieses Aposti'ls IxTutcii .srhiiTien. Das ist der nämliche l 'cbergang', den wir vom Marcus ;m ( )rsanmichcle /um Ilahakuk und Jeremias am Cami»;ini!(' lici Donatclln be<>l)a( Ilten k'»nnrn. und niemand anders als in /,u( ronc ist tU r (■nl^< lit idcnde Keprascntant dieses Wandels.

Ks v^ilt im Lebenswerk l^Ia^ac» ill^ d< n Wendepunkt zwischen jenen beiden lireitbildern der Cappella P>ranca( ( i naher zu bestimmen, und dazu bieten zwei Mittel sich an: ein Meisterstück perspektivischer Raumdarstellung in strengster Koncentration, das Fresco in S. M. Novella, und ein festes Datum, der Ablieferungstermin des Altar- werkes in Pisa von 1426.

Die Freskofragmente im Klosterhof des Carmine

Da Antonio di Tncdo Manelti, (Am. nio Ililli u, s. w.) sowie Giorgio Vasari in der Angal)c des Ortes übereinstimnien: „ncl i:hic>--trn sojira l;k pnrt.i dondc si va in chtesa, in dellu cbiostnj" „.-.upra iu j)ort4i tbc vu in convenlo dcntro ncl chiuütro." oder „nel chiostro dalla porta, che entra in chicM" so kann nur, wie Richa angiebt „la facciata del cliiostro, che ^ lungo I* dlieta" gcnK-int sein. <1us lieifst die Aussenniauer der Kirche /wi'-ohen <lem Seitetiansf^^in^ aus dieser und tlcin jct/i<^en Tor des otsten Klti.ster- hofes gegen die Piazza dcl (Jaiminc zu. Bei dcu Bcnudiunj^en die Sagra Ma&accios wieder an&ttdedcen wordeB wdteiliifi Fngnienle buntfarbiger Wandmalerei ao^ededKt, die Crowe und Cavakaselle Ifir Masaodo in Ansprach geDommen haben. Vgl. Phot. Bragi Nr. 6364, 6365.

In lebcnsj^rns^en l""i;^iiren sii-bt man leclils einen Karmclitcrmr>nch mit langem Krcu<:!>lab vor einenj .\llur im Freien stehen und weiter eine den Rücken wendende Figur in roter Kardinalstracht. In der Mitte kommen swci knieende llAndie vnd mehr in der Tiefe ein dritter Karmelitir /um Voi>theiii luui Reste einer Gruppe stehender Personen in i^eisllither und wthlithci Tiacht. 1 lier <il)crra-ciit dureli seine Lebendigkeit und Frische die kühn bingcworienc Gestalt eineb vornehmen ilerrn in gelbem Mantel über rotem Rock, dessen Kopf in rotem Barett sich linkshin wendet, offenbar im Ge^ridi mit andern Personen, die neben ihm gemalt waren, aber mit dem Bewurf abgefallen sind.

Auf dem andern Stiiik sind zwischen Hüf^cln des an--!''i;;endrti Terrains ein/eine I?aulichkeiten verstreut, auf der Hohe ein Haus mit Turm in gewagter Verkürzung und Beleuchtung davor, in der Senkung eine sehr mangelboTt gezeichnete Kapelle, vor deren Tflr zwei Mdnche stehen, deren vorderer seinen Kopf im Gesprldi sam Genossen snrfldi- wendet, während er die Iland ausftreckl um vorn etwas /u zeigen. Sie werden halb durch ein<"n kleinen Hü^' I mit Bäumchcn ilarauf verdeckt, und lii'-r sit/.t vom auf einer Rasenbank ein feister alter Klosterbruder, der sichtlich schmunzelnd die Beichte eines vor ihm knieoid«!! FnaddcMMi* hört, der andi leiBeneiu das Grinsen iddtt Warna kann. So

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Buntfarbige Wandmalerei

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manprlhafl auch diese Physiognoniiecn erhalten siiul, so sdieint dotli ilie ilbermfltine Laune des Malers unverkennbar. Er mischt allerlei verschiedene Dini;c; ullentlicbe Feier, die mir die Stiltung einer Kirche, beim Beginn des Altarbanses, bedeuten liann, mit Teil- •■lune des hoben Klems und vornehmer Gönner* neben iniimen Georescenen des Kloster- leliens in ländlicher Umgcbun};, die nach Art ct'r ..Kinsicdlcr i p.^dri dcl dcs<"rt<i" ^p- dadit wird. In sich haltlos wie diese Kaumealfaituoi; i»t auch <!!•■ r,(sinnung, die aus dem Ganzen spricht, and neben fiberraacliend genialer Begabung bc^c^ncn doch so viele Fehler, s. B. in der Modellierung der KCpfe, deren seitlich gesehene Gesichter oft an bedenklicher Breite und Scliii flirit Icidon, niiht selten auf Kosten dos Hint« rkopfcs, dfr noch durch riesige Ohren entstellt \i iri!. oder in der Zcichnun;; <lcr Hände, dafs wir nicht hegreifen, wie sich sulch ein Machwerk mit dem künhllcriiKzhc-n Krnst Masaccios vereinigen liebe, selbst in einem flüchtig hingepinselten Fresko, das er ja immerhin „come per saggio dci coiori" hfltte machen kCnnen.

Wenn Cavalci^ellr lueinf, die t- chnisrlien Fi;^ei)schaften und niali ri^ihcn Verzüge sprächen für Ma&accio selb&t: eine solche Masse von Licht und Schatten in so treulicher Verteilung, ein so warmes und durchsiditiges Kolorit, eine so breite und einfache Ge- wandbehandlnn^ verbunden mit soviel Mannicbraltigkcit der Charaktere, so leichten und natürlichen Bewegungen, könne keinem andern zugeschrii ! > i. •> r<icn, so bleibt »loch beachtenswert, dafs die Teclinik dieser Frcskoniakrei am < Ii' 1- n noch mit den --i hnfll- feitigen Erzeugnissen des Masolino in Castiglione verglichen werden kann, nicht über mit erhaltenen Beispielen von Masacdos Arbeit. Und daneben ist immerhin das Zeugnis Vunris behcraigenswert, Fra Fi I ippo habe als junger /Högling des Karmeliterordens durch das Studium der Fresken im ("arniine doch soviel erreicht, da>s schon <lic Zeitgenossen seine Mache sehr ähnlich fanden : „aveva preso la mann di Masaccio si che le cose sue in mcnlo simili a quelle faceva, che moUi diccvano lo spirito di Masaccio csserc entrato nel corpo di Fr* Filippo,** und dne Gestalt des 5. Marzinle, die Filippo an einem Pfeiler der Kirche gemalt, könne den Vergleich wol aufhallen. Dafs es Kennern von lieute n<>ch so gehen k<''nnte. in di< "-'T g<'niakti Sudflei den Geist Masaccios zu cikennene, bii ibt alkr- diogs schwerer begrcilbch als das lionmot der Kkircnlincr, ilas Vasari beibringt, ohne es selbst SU vntersdkrelben.

Die Reste gestatten es freilich nicht, eine bestimmte Arbeit des Fra Filippo zu identifiziren, die Vasari bezeugt: „ncl chiostro, virino alla Sagra di Ma«-arric), un l'apa che conferma la rcgola dci Catmelitani," um ein päpstliches ( (insistniium kann es sich hier nicht handeln, und dieses war, wie Vasiri hinzusetzt „lavoro di verde terra" idso ein Claifobscur wie Masacdos Sagm und Uccellos Wandbilder im Chiostro verde von S. M. Novclla. Aber es folgt auch „cd in molli lunghi, in chiesa in piü pareti, in frrsco dipinse** dazwischen kann auch die Gründung «i<r Klo-lcrkirLhe und die V o r g e s c h i r Ii t e des Ordens gewesen sein, deren Ricba {edcnkt, /. Ii. die Verherrlichung des Stifters Cione di Ulk di Rinieri Vemacd del P^Kdo di S. FeKdti und seiner Testamentsvollstreckerin Midoiw» i^ete, oder die Grundsteinlegung durch BiscbofGlovanni de* Mnngiadori am 30 Juni 1286.

Wir schlief>en uns also <ler Meinung (>tto Mündlcrs an, der sich schon iSfio angesichts der freigelegten Reste für Fra F il ippo ausgCKprochen bat (S. Matlei, Ragiuna- menti etc nennt ihn freilich, Signor Mfiller addetto alla Galeria naaionale di Londra,")

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^ DIE SONSTIGEN MEISTERSTÜCKE

Das Fresko in S. M. Novella

den ])estheglaiibijTten Werken Masaccios gehört ein Wand- jjemälde in der Kirche S. M. Novella zu Florenz, das von seiner ursprünglichen Stelle im Xebensrhiff nach der Klosterseite zu weg- genommen und an die Einganj^.smauer neben dem Hau]itpf>rtale rcclits v<tm KintretfMiden übertragen worden ist. ,.Co.stuj dipinse in Santa Mari.i Xovt^lhi uno crociti.'isr). rioe la Trinita et a piede la morte molto bella dietro al pergamo, " heifst es im Libro di Antonio Billi, und ähnlich im Codex der Magliabecchiana d. XVII, 17, im Codex Petrei und in aller Kürze auch bei Francesco Albertini, im Memoriale di molte statue et picture . . . di Florentia/* 15 10. Aus- föhrlich beschreibt es Vasari : *)

Jn S. M. Novella malte er in Fresko eine Dreieinigkeit mit Maria und Johannes dem Evangelisten, die sie in die Mitte nehmen und den gekreuzigten Christus betrachten. An den .Seiten liegen zwei Figuren auf den Knieen, soweit sich urteilen läfst, die Besteller des Werkes. Aufser den Figuren ist aber besonders schön daran eine I lalbtonm iuvolbung. perspektivisch aufgerissen und in vier- eckige I'elder mit Rosetten darin geteilt, die sich so vortrefflich verjüngen und verkürzen, dafs es scheint als sei die Mauer aus- getieft."

„Mehr als das!" köiuien wir heute noch hin/.ufügcn, sobald wir des arg mitgenommenen Bildes an seiner ungünstigen Stellenur ansichtig werden. Masacdo hat hier nichts Geringeres versucht, als die

1) Vasari selbst hat dteie Malerei „am Altare di S. Igtmsio" mit doem grolaen Ge-

m.'iltlo seiner Hand ?ii}^<xleckt, so t]af> sir liintcr seinem Altarc i!cl Ros.irio verborgen war. Als man diese Leinwand bei der letzten Restauration der Kirche wegnahm, fand sich das FkscOi wurde TottsUhidig ausgcbesiert und an die jetzige Stelle übertiagen. Cavalcaselle, der Gelegenheit batle wlhrend der Arbeiten in der Kiidie das Werk in eeinem dunnHeen Zustand zu prüfen, dir es wieder ausjjebesscrt ward, berichtet über die Einzelheiten (Sloria della Pittura in Ilalia II. 316); Ks hltc an dem Beiwerk /. B. andern j^emalten Haupt- sinis die i<'aibc, hier und da .schon der Bewurf. Am Mantel Gottvaters war zum Teil die Farbe verloren, zum Teil dnnicel und tillbe geworden, wie dies ancli beim Breide Marias geschehen war. ICbcnso fehlte an den Armen u. mebr noch an den Händen des Christus stcllenweis vAlli^ die Farbe oder war verblichen wie der untre Teil der Kleider an den btiflerbildnisäen. Erst neuerdings ist es meinen wiederholten Bemühungen ge- lungen, das bedeutsame Deohmai in befiriedieender Weise pbotographieren zu lassen und im eisten Jahrgang der „Kunsthistoriscben GeseUschaft fOr photogiaphisdhe PublikatknieD'' Leipzig 1895, heranszugeben.

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Dreifaltigkett in S. M. Novella

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Kirchen wand in Altarhöhe scheinbar durchbrechend - für das Auge des Bescliauors eine anstofscndo Kapelle /u «rsrhlicrson, violloicht ^ar mit dem Ausblick ins I-"reic daliintcT. l'.r unir.ihmt. dioso Oeffnunvjf zunächst mit einer Scheiiiarelütekuir im nnnsten ( T(\srliniack seines Freundes Brunelles( hi. Ulk Ii klassischem Vorbild, doch neu er- funden. Zwei liohe kaimellierte I'ilasier aus hellgrauem Stein treten aus der Wand hervor, genau so wie die gemalte Gliederung der C appella Braticacd! and tragen auf hellroten korinthischen Kapitellen den mehrfach gegliederten Architrav mit seinem römischen Kranzgeams. Zwischen dieser Hauptordnung hindurch öffnet sich der Eingangsbogen des Heiligtums» dessen halbrund vorspringende Marmorscfawelle zugleich den Fufsbodcn des innem Schauplatzes um eine Stufe höher legt. Links und rechts an die Pfeiler angeschlossen runden sich glatte Säulen mit rAtItchen Basen und \'olutcnkaj)itellcn. In drei \'iertel Höhe der Pilaster vom setzt auf diese Säulen eine schlanke Archivolte auf, und (»ffnet so auch dieses obere \'^iertel der Wand bis auf die Zwickel der rccliteckij^-en Umrahmung", in die zwei K\mdm«^daill<)iis mit muscholarli^er N'ertieiung;, ebenfalls rot auf grauem Grunde, eiiit;( lassen sind. An die Leibung des I^ogens, die in scharfer Perspektive die Mauerdic ke bezeichnet, stoist das KavSsettengewölbe, d<ssen llalbc\ linder hinten wieder von einem gleichen Bogen aufgenommen wird, den auch dort zwei gleiche Säulen tragen wie vom. Seitlidi ruhen säe beide auf dem Mauerwerk der Eckpfeiler, zwischen denen auch die Seitenwftnde links und rechts durchbrochen sind» so dass nur ein gerades Gebälk auf den gleichen angelehnten Säulen ruht Auf diesen Archttraven ansteigend ent- faltet das Tonnengewölbe perspektivisch fflr die Untensicht dem Beschauer seine quadratische Gliederung mit vergoldeten Randleisten und Rosetten in den ausgetieften Feldern, sicher und meisterlich aufgerissen, so dafs wir heute, mehr als Vasari damals, die gemalte Beleuchtung bewundern und geniefsen.

In der Mitte dieses Allerheiligsten steht, wie in einem Altar- hause, der marmorne Hochsitz (iott\ atfTs : auf Konsolen der Rückwand Vorgelegt, dient eine steiner«' I is« hj)latie als S( lieniel, eine Marmorbank darauf als Tron; an den vordem Rand dieses altarartigcn Autbaues ist das Kreuz des Krli'sers angelehnt, ilas aus dem Fufsbodcn der Ka])elle aufsteigt. Jehovah hat sich vom Sitz erhoben und hält hoch aufgerichtet das Kreuz an beiden Armen, während über dem Haupte Cliristi die Taube des heiligen Geistes ihre Stralen niedersendet So erschaut dae Doppelgestalt des Vaters und des Sohnes mit dem Zeidien der dritten Person zwischen beiden Gesiebtem, die damalige Dar- stdlungsform der Dreißdtigkeit , gerade in der Mitte der dn-

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Trinität mit Maria Johannes und Stiftern

rahniriidtni Arkade. Der Stamm des Kreuzes, an dem das Opfer liäiigt, verbindet die obere Gruppe mit dem untern Aufbau. Das Holz steckt in einem kleinen Erdhngel, der Andeutung' von Golgatha, und an diesem Sockel des Krucifixes war ursprünglich vielleicht der Schädel Adams zu sehen, der nach altem Braudie dazu gehört»)

Zu den Seiten des Kreuzes stehen Maria und Johannes noch als Zeugen des Opfertodes auf erhöhter P»ühne m«igHchst nah an die Säulen gerückt. Die Mutter links als ernste Matr(>n(\ kaum ge- beugt, erhebt die Rechte wie hinweisend auf den Dulder, der voll- bracht hat; Johannes gegcMiübcr, rinj.;! die gefalteten Hände und blickt aus seinem Schmer/ zu Maria hin. erstaunt, dalh sie zur Rede deti Mut findet. So ist die althcrg('l)raclite Gruppe um das Kreuz in ungewohnter Xahc mit der Erscheinung <ler dreif.dtigen G<)ttheit verlnuulrn, und füllt in leil)hafiigiT (iegc nwart den kleinen Innen- raum. \'ier plasti.sch durchgeführte Menschengestalten sind es, gleichwertige Körper zunächst. Nur der symmetrische Aufbau zu pyramidaler Gipfelung, mit Hülfe der Marmorbank auf dem Altartisch hergestellt, erhebt das Ganze in die Region des un- wandelbar Bestehenden und sichert dem kühnen Wagnis den Ein- druck feierlicher Würde, den der Künstler bei all der realistischen Sinnesart keinen Augenblick als Endziel ausser Acht läßt

I"'nd wieder verbindet er diese statuarische Kreuzgruppe in ihrem TcmpeU lu :i /n unmittelbarer Xahc mit den Lebenden drau.ssen, indem er einfach das (resetz des iimeren Autbaues jenseits des Rahmens fortsetzt, als gälte es nur die zwingende Macht des Zu- sammenhangs zu bewalireti. X'or der Schwelle kiiieeii di(^ -Stifter: re( lits die J-rau, aueli m hon eine würdige Matr« >ne, die ihr schwarzi-s Maiiteltuch über den Ki*j)f gez«»gen, links der Mann in scharl.ich- rotcin ( .ipu( ( io und almlichem 'l uchrnck, beide mit zusiimmcnge- Icgten Händen, ganz in l'rohl gesehen.^) Unwillkürlich haben sie

>) Vgl. t. B. das Relief des NiccoIA Pisuio am Dom von Lucca, und die Vorschrift

des M.ilcrl)ui.lu s .im Bcrfj«- Atlio';. Sonst wäre nicht mehr zu saf;en, was die .iltc Po- schrcibunjj in den hamKr hriftlichcn Oiicllcn ,,a picdc la ninrtc" hei Antonin Büli, „cUf ha a picdi una Morlc" im Codex Pelrci bedeuten will. Ks sei denn unter dem erhaltenen Wandgemllde nocb ein Einbliclc in die Krypta der Kapelle oder in eine Grabkammer gemall, sonst etwa ein Sockel hinter dem freistehenden Altar nut dorn Todosbild daran i^cschmiickt gewc^'-n. Hei Arr it.ili' tii^i Ii- n R' /firlinnn^' ..l.i .Moi tr" donkon wir zunächst an die allctjori*' lio Darslellung im Campo.saiUo, das bcifst an ein weibliches Gespenst, nicht an ein TotenskcieU. Aber die übliche Zier der Bahren und Sargbehilnge mit Totenkopf und Beinkreuc kOnnte ebenso gemeint sein, also der Sdddel am Kreuesftamm.

*} Bei Bocchi, Bellezzc di Firenze^ ed. QnelU 1677 p. 253 beiist die Kapelle „de Capponi."

Einheit der Erscheinung

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dem stillen Zug^ des Eindrucks gehorchend mcll angescblossen, ab- hängig als Gli'd' T des einen Prinzips, und oben dadurch ihren eigenen festen Hak gewonnen. Die Blicke dt s frommen Verehrers richten sich auf Johannes, ihm gegenüber, die Augen der Gattin haften an d<r (iestalt Marias. So durchkreuzt sich in diagonalem Autsticjr der /usammcnhanuf, \<<\) Ix-idon iMicljauikicn aussen durch die Kichtunj^j der l-'ormcn, ( icb.irdcn, I'<-/.i< liunj^M-n, wie durch den Ix'iulcitenden Rhythmus der ar( liitfkl« .nischen (iebiUle und der Raum- eultailung überall her auf den llCihcpunkt des Menschlichen, den Mittelpunkt des Ganzen, auf das Bild ilcr Gottheit selber geleitet. Nicht minder ist die Wahl der Farben und ihre wechselnde Wieder- kehr in diesem Sinne durchgeführt Die schwarze Kleidung der Stifterin gehört zu der dunklen Gestalt Marias und zu dem tief- blauen Mantel Jehovahs, das rote Kostfim des Florentiners zu dem hellroten Gewände des Lieblingsjangers, das voller nur im Rock Gottvaters wiederkehrt Kleinere Stellen der nämlichen Farben in umgekehrter \'erteilung an Aermeln, Unterkh^idem, Besatz dUTCh- schlimmen die Ilauplreihe dieser Tone. Die lebonswarme Karnation der Bildnisse erblasst allmählich oben bis /.um fahlen Aschgrau des Toten am Kreuz; während das Antlitz des Höchsten nu hr in Schatten zurückbleibt, stralt die 1 aube in hellstem Wt-ils zwischen den goldenen Heiligenscheinen. Selbst die .\rchiiektur, von der lichten Marmor- schwelle mit rosafarlx neni Rand, \ (>n hellgrauen Säulen nu't roten Kapitellen, bis in die Üe< keiuM ilbung mit blauen goldbesetzten Kassetten darin, drauss» ii im riigesfchein, drinnen im Dämmerlicht und Schattendunkel, bewaltrt die selben Grundlagen einer klaren Harmonie.

Verfolgt man das Zusammenwirken der architektonischen Formen und der menschlichen Gestalten auf diesen Blickbahnen weiter, so erkennt man aberall wolcrwogene Gegenüberstellung und gleichmäfsiges Entsprechen aller Glieder, eine vollständig durch- dachte Komposition. Mag man vom Verhältnis der senkrechten und wagerechten Linien ausgehen, oder der Verteilunj^ der Massen, der Körper, der 1 1ä( lien, mai^ ni in die Tonstellen der Beleuchtung mit denen der Bedeutunv,'-, die farbigen mit d<Mi geistigen Faktoren ver- gleichen, überall die Bestätigung, dafs wir es trotz allem Realismus mit eini'm MustcM^bild m^numentaU-n Stiles zu tun haben und zwar im Sinne der höch.steti religiösen Kunst. In innigstem Kinvernehmen mit Architektur und I'ildnerei su^ht hier Masaccio zur konsequentesten Bösung einer Aufgabe vorzudringt^n, die sich der grossartigen Wirksamkeit der beiden Schwesterkünste unmittelbar anschliefst. Raumkunst ist der gemeinsame Boden auf dem »e alle drei sich Schmartow, MMOcdo-StuiBett H. 5

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Masaccio ünd Brunelleschi

begegnen und zum Bunde die Hand reichen, wie Masaccio selbst, der Maler, ach in seiner Gesinnung einig woifs mit dem grdssten Baumeister und dem grössten Bildner seiner Tage.

Die perspektivische Ansicht der Kapelle hier, im reinsten Stile der Friihronaiss;in( ( , ist nidn denkbar ohne den Schöpfer dieses Stiles, Filippo BnincUeschi. ') Und wäre dieser Einblick nicht gröfser als das Altarhaus einer Cappella Pa//i. so Ist es doch eine künstlerische Tat, deren Bedmitiing in so früher Zeil , w ie spat auch im Lehen Masacrios das Werk zu datieren sei. nicht unterschätzt werden darf, dies eine Heispiel bcreclitivrt zu dem Schluls: Masaccio nimmt hier zu seinem l-rcunde und Lehrer ßrunelleschi in der malerischen Wiedergabc des Raumgefühls und des neuen Ruumideales seiner 2^it eine Stellung ein wie Rafael später zu Bramante. Wie wir, an einer ähnlich bedeutsamen Krisis der Architekturgeschichte Italiens angekommen, eigentlich nur auf Rafads Schule von Athen einen Gesamteindruck des Innenraumes empfangen, wie Bramante ihn zu verwirklichen hoffte, so hat Masaccio hier die bescheidenere Bau- phantaae der Frflhrenaissance zuerst zum Ausdruck gebracht, und mitten im gotischen Gotteshaus der Dominikaner einen Haugedanken im neuen Stil, eine glückliche Erstlingsschöpfung an die Wand gfe- malt, die nur als reife Frucht römischer Studien des Filippo Brunelleschi begriffen werden kann. Wie von Rafa<-1 und Bramante erzählt \'asari auch \(>n l"ilij)po, dem Erfinder der |)rrs|>ekii\ ischen Zeichnung, und e])en deshalh mit noch unzwejfelliafterni l<t ( ht<\ er habe sie besonders dem Masaccio, |iitbir allor gi<>\anf, mollo suo amico - vermittelt, und fügt anerkt inu nd hinzu ..il quäle gli fcce onore in quelle che gli mostro, come appare negli cdifizj dell* opere sue."

Ganz wie bei Rafael noch die Darstellung der herrlichen FhilosophenhaJIe zunächst eine Gefahr fUr die Selbständigkeit und Bedeutung der Personen darin einschloss, und wie die ROcksicht auf monumentale Wirkung der Figuren fOr sich nur durch künstliche Vorkehrungen wieder zu ihrem Rechte kommen konnte, so be- obachten wir den nämlichen Vorgang hier, sobald wir Masaccios

') Dies spricht neuerdings auch der Biof;raph des ,, Filippo Brunclleschi" (Torncl V. Fabriczy auf S. $<> seines trefflichen Buches aus. (Stuttgart 1892). „Die majestitische »MwimiioilMHe in die er di» Seene seiner ]3reilU(%keitsfi«dn in S. M. Novelle veriegt hat, ist wenn «ndi das einzig fibrige (?), docli vollgOltige Zeagoia dalQr, «ddiei Gewidit

der Meisler auf die perspektivische Durchbildunj; des Schauplatzes seiner Komposition legte, wie sehr er die Lehren der junj^en Wi^s- nsdiaft beherrschte, j.i selbst wie enge er sich auch im Formalen der Architektur an sein grofses Vorbild schloss.*' Vgl. d. Amn. deadbst.

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Gestaltung und Ausdruck 67

Gestaltenbüdung, die plastische Seite seiner Aufgabe ins Auge fassen, die mit dem geistigen Inhalt natOrlich in unlösbarem Zusammen»

han^v st.'ht.

Das Bindeglied zwischen der architektonischon und der bildnerischen ScbOpfung ist das Kruzifix, wo im stärksten Kontrast zwischen dem organischen l.eibe des Ciekreuzi-;' !i und d<'m tek- tnnischen derüst des Marterwerkzeuges doch die Einheit errcii lit werd(>n soll. Die umgebende Architektur bindet den Meister an (las naturliche \'«rlialtnis menschlicher Mguren zu diesem Raum, den er uuN /eigen will, und grade seine Wahrheitstreue tordert den \'er/.icht auf den Ausweg, den die Idealisten sit h immer gestattet, auf den jfröfseren Mursitab überirdiscluT W^esen. So kommt es, dafs sem Christus am Kreuz nur schmächtig, zart gebaut erscheint, und besonders durch Schmalheit des kleinen Kopfes auffWt Nichts desto weniger ist der nackte Körper in dem strengen anatomischen Sinne behandelt, den seine Kunstgenossen Brunelleschi und Donatello in der Plastik forderten, und der wirklichkeitsgemäfsen Haltung zu Liebe wird der Wollaut der Umrifstinien, den die gotische Idealität eines T,orenzo Ghiberti treu bewahrt, hier lieber preisgegeben. Nicht der Ausdruck des Göttlichen in menschlichem Bilde, sei es auch nur der äussere Abglanz harnmnivf her SchönhfMt noch im Tode, s<mdem das Menschliche im P>ilde der Gottheit ist ihm die Haupt- sache. Nur die fühlbaren Merkmale der eigenen !• rtalirniiL:, mir di(^ volle Hediiigtlieit in irdischen (ie>et/en vermag diese (leneration des (Juatlrocento auch von Dasein iwlor Moglirhkeit ihrer Ideale zu ül)erziHigen, Nur in mensehli( list< r Erscheiining greift ihnen auch die Religion noch an d.is Herz. Dieses pers«'»nliche Bedürfnis tritft hier aber mit dem Sinne der Aufgabe selber zusammen, so weit es äch um den menschgewordenen Gottessohn handelt, der tot noch, als Sohnopfer am Kreuze hängt, aber in diesem Augenblick wieder aufgenommen wird vom Vater, um in die ewige Herrlichkeit zu- rückzukehren, ohne die bleibende Bedeutung seines Erlösungswerkes abzutun. Noch zeigt der Allwissende ihn am Kreuzesstamm der sandigen Welt als Wahrzeichen seiner Liebe. Deshalb ist auch die erste Perstm der Dreifaltigkeit nur das würdevolle Kbenbild der zweiten, des Menschensohnes, der auf Erden gewandelt. Die regel- mäfsigen Züge bekommen nur durch einen l.'ingeren A^'ollbart «las Ausfehcn hohem Alters. Die gnii/e (iest.ilt, untersetzt in den Pro- portionen, stämmig im Aidtreien und breit in di-r vollen Gewandung, die dem nackten Korper am Kreuz die wirk.same Folie giebt, sie hat etwas von der wuchtigen Kraft, mit der Donatello seinen Christus behandelt hatte. Selbst der Kummer ist nicht ganz aus dem Antlitz

b*

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GESTALtUNG UND AUSDRUCK

dieses Urvaters wichen, der ganz im Geist der alten Typologie an den Patriarchen erinnert, dem Jehovah ein ähnliches Opfer zu- gemutet In so unmittelbarer Berührung- mit der irrüschm Hfllle des eig-enen Kindes überkommt auch ihn in Erdennähc das mensch- Hche Gefühl. Und wiodfT ofFt-nbart uns dies Eindringen in den Kern der künstlerischen Schöpfung zugleich das (ieheininis ihres Zusanimen- hang<'s mit andern Aufserungeii der Zeit. Sowie wir den Krzvater Abraham neiuien, so niüsste es der ßrunelleschis sein, den wir ver- gleichen. An die Körperbildung, die ("hurukieristik des Auftretens und des Ausdrucks, die der ältere Meister in seinem Broncerelief vorgebildet, werden wir deutlich erinnert, selbst die Behandlung des Nackten beim Knaben dort erschliesst uns am besten das Ver» ständnis des Gekreuzigten hier. Masaccio schmiegt sich im Bild- nerischen seines Werkes hier noch innig an die Formen^ache des Altem Freundes an, als stünde Donatellos Abraham Ober Isaak noch nicht am Campanile. ')

Die Berechtigung des Menschlichen wächst, sobald die beiden näch.sten Angehörigen Christi, Maria und Johannes hinzutreten. Teilnehmend bei dem Krcu/.e.st(^d sind sie Mittelspers<^neii zwischen der Gottheit driibt n und ihren Kindern auf Krden. Kein verklärter, dem P>denleid entrückter Heiland hätte ihre Rolle verständlich maclK-n können. Dem Sieger über den Tod. dem Gotteslolm iu seiner Ilerrlidikeit hätte auch die Mutter nur stolz und triumphierend, der Jünger nur begeistert und zuversichtlich zur Seite gestanden. Hier ist gerade Das worauf es ankam, um die kirchliche Zusammen- stellung von Personen zu einem begreiflichen Vorgang durchzu- motivieren, den herkömmlichen Lehrsto£P künstlerisch mit Leben zu erfiällen : das dogmatische Symbol der Dreieinigkdt ist mitten hinein- gesetzt in den geschichtlichen Zusammenhang, und damit der Weg eröffnet, den auch Dürer gefunden hat und in dem Holzschnitt von 151 1 siegreich, fast triumphierend zum gewaltigen Historienbilde durchverfolgt, auch ohne Maria und Johannes hineinzunehmen.

Bei Ma.saccio bleibt es ein Andachtsbild. So bewahrt die Muttergüttes im .Schmerz noch die Ibiheit ihres Wesens, hält mit fester Hand da.s \\(Mte violettblaue Gewand zusammen, richtet den Nacken w ilh nsltark genug empor und zeigt uns ein Antlitz, das unter herbem Weh den Adel .seiner Züge nicht verliert. So mochte die Witwe eines edeln Hauses, die im Kloster eine Zuflucht gefunden, sdiwergcprüft doch immer ihrem Werte treu einhergehen. Und wie

') Die Gruppe ist eine gemeinsame Arbeit Donatrllos und seines Ateliergenossen Nanni di Bartolo il Rosso, die urkundlich zwischen Mai uod November 14a i vollendet wird.

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Schwächen und Vorzüge

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anders, der Jugend angemessen, benimmt sich Johannes! Auch er ist ein 2^ugnis, wie sehr dem Kunstler die notwendige Ueberein-

stimmung der K(>rperformen und ihrer Bowo^aing mit dem Ausdruck des Augenblicks bewurst geworden war. Wie ein schlanker Baum mit gradcni Stamme unter dem Sturmwind nur den Wipfel beugt, steht dieser jünger da: die Hände zusammengopresst gegen die Brust er- hoben, das Haupt zu träumerischer Trauer wol geneigt, doch nun mit elastisch<*m Schwung si< Ii rrckend, tds würde er im Angesicht der mutigen Matn^ne selber /um lebendigen Zeugen des Meisters, der sein Schicksal erfüllt hat.

Diesen seelischen Inhalt in überzeugender Wahrheit zur Er- schdnung zu bringen, trotz aller Schwierigkeiten des vorgewählten Malsftabes im Innenraum, das ist Masacdos sichtliches Bemidien. Darüber vemachUUsigt er, wie nicht verhehlt werden soll, die Einzel- heiten der Form, die ihm offenbar nodi weniger geläufig waren. Die Hände besonders sind noch altertümlich befangen, winzig und dünn; sie sehen neben der Breite der Gewänder, der Energie der Bewegung und der durchdachten Tiefe der Gesamtwirkung, wie verkümmert aus. Hier wird man am ehesten geneigt sein, für die Datierimg des Werkes im Kreise seiner übrigen Leistungen, den zeitlich frühesten Anhalt zu suchen.

Dagegen sind aber die Bildnisse der Stiller nach Seiten wirk- licher Beobachtung und malerischer I »ehan<lluiig olmc Zweifel das Beste, und zeugen für den vorgerückten Standpunkt der Meister- schaft. Hier war die freie (iesialtung und volle Wiedergabc des Lebendigen nicht mehr durch erdichtete Arclütektur eingeschränkt. Wenn auch auf schmaler Bühne knieend, giebt ihnen das Pilaster- paar doch nur den Untergrund, und wie diesen erst der wirkliche Kirchenraum von Sta*. Maria Novella den Malsftab. Sie erscheinen in LebensgrOlse, wie alle andern Beter im Grotteshaus. IMe Matrone ist eine von jenen robusten Patrizierfrauen, die wir auch sonst in Bildwerken des Quattrocento kennen, wie etwa Donatellos Bronze- büste im Bargello, nur nicht nach der Totenmaske wie dort, sondern nach dem Leben selber gebildet. Nicht eben anmutig, aber freund- lich und gfutherzig dreinschauend, verrät sie mehr männliche Tüchtigkeit und Geratlheit des Sinnes als sanftere Reize des weib- lichen Geschlechts. Der Stifter selbst, ein kräftiger Mann in den Sechzigen, gch<)rt mit seinem energischen Profil und seineji ehernen aber sprechenden Zügen in die Reihe der scharfkantigen, eigen- willigen Charaktere, deren Florenz damals so viele gezeitigt. Mit wie persönlichem (jchaben crfafst ihn der Maler bei seinem Gebet, und mit welcher Natürlichkeit entfaltet er die malerische Tracht, mit

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Stifterbildnisse

den weiten rundon am Handgelenk wieder geschlossenen Aermeln und den einfachen aber wirkunjjfsvollen Falten des Tue lies. Nichts lehrreicher als ein Vergleich dieses florentinischen Paares mit den Stiftern des Geiiter Altarwerkes der Gebrüder van Fv( k, jodorus A'ydt und seine Frau Isabella Burluut, jenem flandrischen (jcgen- stück avis der nätnhchen Zeit.

Wenn eine yanzf* Reihe von Stifterbildnisscn in Florenz bis ans Ende des Jahrhunderts nennen wir nur die besten des Domenko Ghirlandajo sich an dieses Vorbild anschliesst, so wundern wir uns nidit*). Wol aber [jH( gt die bisherige Kunstbe- traditung die geschichtliche Bedeutung mehr als billig aufser Acht zu lassen. Fragen wir einmal nach dem Rechte der Priorität, so kann wol kein Zweifel sein, dafs eine gröfsere freiere Verwertung des hier Erreichten durch Masacdo selbst sich unmittelbar anschliefst: die Ver- ehrer seines Petrus in Cathedra, jener Theophilus im modernen Fürst en- kleide vom, jener Stifter Feiice lirancacci zur Rei hten und jener Abt der Karmeliter als Hüter des I leiligtums zur Finken. Dort ist das Bild- nis in seiner malerischen Breite als knieonde (lewandfi^ur schon vollauf im Innern des i5ildes selbst verwertet und weist uns vorwärts weithin auf die Kunst des Fra Bart« »lommeo uiul seines urbiuatisclien Freundes. Durch diesen Eintritt der Fiildnisse in den ( )ri.:.inisnuis selbst, j»-iebt jene I luldigungsfcene neben dem Altar der Cappella lirancacci, sowie sie hier zum \'ergleich herantritt, einen wertvollen Wink für den zeitlichen Abstand des Werkes in Sta. Maria Novdla. Ein natOr» lieber Entwicklungsprozess hat sich zwischen diesem Stifterpaar vor der Dreifaltigkeit und jenem Halbkreis von Verehrern um Petrus vollzogen. Und doch waltet das ndmliche Prinzip der Komposition in beiden Gemälden, dort wieder in mal^ischer Breite unter freiem Himmel, draussen vor der Kirche, dem Bericht der Legende zum Trotz, also in bewulster Absicht des Meisters; hier in architek- tonischer Strcni^-e unter dem Zwang" linearer Konstruktion und unter dem plastischen Gesetz des 1 ilienlotes als unerbittcrlicher Dominante.

So steht (las flauptbild im Fresko von S. ]\1. Xovolla in fühl- barem Zusammenhaiii^ mit den beiden Historie!! an »IfT Altarwand im Carmine, der Schattenhciluny und der Almosr-nspeiule, deren j)er- spektivischcn Zusammenhanvjf mit der Raimiwirkung- des Innern der Kapelle wir oljen durzulegen versucht haben, um zug"leich die Be- schränkung in der Breite ihrer F iguren zu erklären. Nur sind eben

') HierHer gehört aber auch das Terral<otlHl>ilf1nis des betenden Stifters in der Pelleghaikapelle von St. Anastasia zu V^erona und eine Büste im Museo dvico zu Trcviso. Zaa Vctj^eich empfehlen sich die Grabsteine der TrcnU von Jacopo dell» Qaerci« in S. Fkadiaao su Luoea^ von 1416.

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KimSTGESCHICHTLICHE BEDEUTUNG

jonos zwei getrennte Scenen, zu den Seiten des Altartisches uikI der Mittelaxe der Fensterwand, k'*rrosiKnKlieren(!pn Flügeln vergleichbar. Hier im Altargcniiilde vnn Sta. Maria Novella herrsclit die volle K < >neentration des Mittelsiiickes selht r. D.is tiefgreifende Zusainmen- wirkoii der drei Schw( ^terkuiiste. Arehitektur, l'lastik und MaltTei, tiie ihren Anteil daran gehabt, obgleich nur der Maler das Ganze hervorbringen koiuUe, die Strenge des Aul baues, die Selbständigkeit aller Gestalten im engen Zusammenhalt, die Abgeschlossenheit ringsum sind Eigenschaften, deren Wert nicht jedermann zu würdigen ver- steht Was ist damit gesagt, wenn wir seit Giotto zum ersten Mal wieder ein vollendetes Werk monumentaler Wandmalerei darin er- kennen, und zwar hinausg^end über Giotto und das ganze Trecento durch die volle Einbeziehung der dritten Dimension, der Tief^ und die damit zusammenhängende Eintracht des dargestellten Raumes mit seinen Körpern darin. Nach l*( ( ello hat zunächst kein Floren- tiner den Ernst des Probkms wieder erfafst oder gar den Weiter- bau für die Kunst der Mcderei wieder aufgenommen. Erst Piero dei Franresehi aus Borgo S. Sejxijero im t>bern I ibertal, sieht und l)egreill mii was es sich handelt, und wird dun h Melozzo da Fnrli und Fictrn l'eruLiin" /uiu \'< rniitll('r /wischen Masaccio und Ratael. Die 1 )reif'altigk< iisk.qx lie in S. M. Xovella ist in der Tat das erste lVis[iiel dieser Raumkunst, der Anfang einer Kntwickhmgsreihe, an deren Ende Rafaels Disputa unii Schule von Athen dastehen, berühmter freilich, aber för viele Bewunderer selbst ebenso unver- standen, wie diese Schöpfung Masaccios. Erst wer diesen An&ng mit jenem Ende zusammengreift, erfasst auch den pragmatischen Zusammenhang der ganzen Reihe geschichtlicher Ersdieinungen, erst das ist Kunstgeschichte im wahren Sinne des Wortes.

Das Rundbildchen in Berlin

Das h'resko in S. M. Xovella be/eichnct natürlicher Weise im künstlerischen Streben Mas.iccios eiiu'n relativen Höhepunkt; es ist das 1 Iauptstü(^k einer (iruj)pe verwandter Lösungen ähnlicher Probleme, in denen die archiiektonische und plastische Zusammen- fassung nur nicht so konsequent war wie hier, oder ein Mal bei geringerer Eigurcnzahl, ein ander Mal bei transitorischem Charakter der Darstellung eine so entschiedene Betonung gesetzmälsigen Auf- baues weder forderte noch vertrug.

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Verkündigung in S. Niccolo

Erst wenn wir an solchom Boispiol don vollen Einblick in die Anstrencfiintj und Arbeit jTcwonnen, mit der die sichere Konstruktion des Innenraumes auf der l '.ildfläclie erobert werden mulste, empfanj^en für uns auch andre Leistuntjen die l^edeutuny von Ereignissen im historis( hf-n Entwicklungsi^dn^ der Malerei. Erst dann iorncn wir den entscheidenden Wert ermessen, den noch X'asari /u rühmen weifs. Ihm allein verdanken wir die Nachricht von einem ver- schollenen Altarbild Masaccios in der Kirche S. Niccol6, jenseits des Arno; darin war eine Verkündigung vor einer perspektivisch ver- kürzten Säulenhalle dargestellt, »un casamento pleno di colonne<, deren Schönheit besonders auffiel. Ausser der linearen Zeichnung, die vollkommen genannt wird, hatte Masaccio auch die Farben der- maßen abzutönen verstanden, dafs die Räumlichkeit täuschend dem Ge^dlt allmählich zu entschwinden schien. Er gab also darin einen Beweis wie viel er nicht allein von Lincarperspektivc sondern auch von Luftperspektive verstand.

Nach Verlust dieses Beispieles, das als Vorbild wieil» r eine granzc Reihe ähnlicher Arljeitcn von Zeitgenossen, wie Era Angelico und Masolino, oder Nachfolgorn. w'w Lra Eilippo und Picro de' Franceschi, erklären hilft, wird jedes aiulrc verwandte Stück des Meisters willknmnion sein, wo irgend die pprspektivische Durch- bildung; des Sciiaujtlal/f.s und die malerische Abbildung der liau- gedanken im Anschlufs an Lilippo di Ser Brunellcsco hervortritt. So werden wir, an dieser Stelle am besten sogar ein flüchtigeres Weikcheo hmnziehen, das ursprünglich nur die Bestimmung eines IVäsentiertellers hatte, wie man sie Wödmerinnen zu übersenden pflegte*), und das in diesem Falle sidi auch in der Darstellung an diesen Gelegenheitszweck anschlielst. Es ist ein kleines Rundbild von nicht mehr als 56 Centimctem Durchmesser, das im Jahre 1883 für das Berliner Museum erworben ward. ') Hier versetzt uns die Kunst des Malers mitten liinrin in das Innere eines florentinischen Palastes, wie ihn damals das Haupt einer begüterten Familie für sich erbaute oder erwünsf htf. oder wie er bis dahin nur einem Bau- meister, nämlich Eilippo di Ser Urnnellesco Sf^lbst, klar genug vor Augen stand. Wir schauen in den Hof des Palastes, der von

>) Im Fdazzo Medid befand sich o«ch dem lovenUr (MflnU. Les coUectioos des Ittdkls au XV. sMcle. Paris 1888 p. 86) „1100 deaco da parte drentovi ima schemiagKa dt mano di Masaccio."

*) Katalog Nr. 58 C. Vjjl. besomlcrs die Ausgabe von 1883 p. 553 und die Aus- gabe von 1S91, p. 162 1. Auf der Unterteile des Tellers ist ein nacktes Kind mit einem Hunde endend (a]s SinnbSd ebeKcber Treue?) mehr dekorativ, flfiditig gemalt und ImmUiacli stilisiert.

Desco da Parto in Beruh

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Gängen mit ofFencn Säulen-Arkaden umzoj^en ist, so dafs sich in der Mitto des Bildes eine Flucht dieser VV^indelbahn in der Axe des Heschauers auftut, währeiul links die andre Seite in rechtem Winkel anstöfst, sich also" in d< r Breiteiidimensiun erstreckt. Durch diesen, in der Breite sichtl^aren daui^ kommt von links ein frstlichr-r Auf/ng' herein: voran zwei lieroldr, dfT eine in die i rompeif stof'^end, an der ein Trainier mit dem I ilif nw .ippen der Stadt Fl-Tt n/. die otti/ii'llc SendunjL;^ vi'rküntU't. dann zwei vornelnne jun^^»' Herrn mit Cieschenkcn in der Hand, oder ijar aut dem „Desco da parto," den wir beschreiben. In der Mitte aber schreiten aus der Tiefe würdige Frauen nach vom, und die erste biegt soeben nach rechts in eine TOr ein, die zum Gemach der Wöchnerin ftkhrt Hier ruht die Herrin des Hauses auf ihrem Lager, umgeben von Dienerinnen, deren eine vor dem Bette sitzend das neugcbome Kind auf dem Schojse hält *) Es ist die riicksichtsvolle und die geräuschvolle Gratu- lation zur Geburt eines Erben, die sowol die Matronen der Verwandt- schaft als auch die Gevattern mit dem Stadttrompet <t herführt, hier noch ganz einfach aus der Wirklichkeit des florentinis< hen Lebens heraus jafegriflTen, wie die kirchliche Kunst unt» r d' in X im<Mi der Geburt Johannes d( s Täuf» rs odrr der langcrscimtcn Maria die Wochenstube der Klisabeth oder Anna nach dem Brauch der Zeit zu schildern j^cwohnt war.*)

Der überraschende Durchschnitt, in di-m dn i v< ns< hiedme Räume eines Palast-lnnern erschlossen ucidm, entrollt zugleich in dreif.ichem Auftritt ein Sittenbild jener Tage. Es ist ein genialer Wurf glücklichster Art, der uns auf einmal erklärt, wie in dieser Stadt und unter diesem Volke selbst die intimen Ereignisse des Hauses durdi den Zusammenhang der Familie und die politische Stellung der Männer sich dem o£fcntlichen Anteil nicht entziehen. Die trauliche Abgeschlossenheit des bürgerlichen Daseins» die wir auf vlämisdien und holländischen Bildern so anziehend finden, und

•) Drr Oticrschnitt, <lrr diese Wochon^tMhf wie den Hof offen Icgt, Wird nach oben allerdin^ü mit Inkrustation als Fassade gegeben.

*) Alt Gebort einer HeUigcn gilt anch bei Boeehi-anettV !> Bellezze della Cittft di Fimute, 1677. p. 366 ein Bflddiea solcher Art, das er als Masaccio im Hause des

Baccio Valori beschreibt: „Quadretto dipinto a tcmpera, an parto di una Santa di niano di Masaccio di gran bcllo//a di vcro : dovc oltra la Jonna di parto, che i fatta coii vntnnia diligenza, e bellissima una tigura, che ptccbia un uscio, e dentro ad una pancrctta che ha in capo porta nn cappone; la qoale h pannegg^atn com taaU graaia che det tntto par vera.** Die Darstellung weicht also gerade darch diese Grcstalt von dem Berliner Bilde ab. Vgl. Domenico Veneziano's Geburt Marias im Dom 7n Prato (Rrp'^it f. Kwfchafl XVI. p. 175) und die Beschreibung der Wochrnstube in S. Maria Nuuva zu Florenz bei Vasari. (Opere U, 677.)

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Geniales Bravourstück

schon im Gegensatz zur Strasse fiihlon, wenn nur die Haustür offen steht oder das Fenster die Reihe der Naclibarhiiusor lioreinschauen läfst, sie orschoint hier so selbstverständlich dorn Anrecht der weitem Kreise ]»r<'ist;o<^oben, als verleiiie tlies«^ Mitwirkung erst dem (iHirk des F.iii/el neu sfiiion \ollen Wert. Und wie n<>t\venr1it( wohnt di<'M' Auffassung (l<'r iiiensrhlichen Dinge gerade in .solclieni Hause, wif es uns liier ge/eigl wird, das in seinem limern unter freiem Himmel einen <iftetKn mit liogengangrii umzogenen Hofraum um- schliefst, der den Charakter eines VersanimlunjfSDrtes annimmt, von allen Selten zum Zutritt einladend, alle Teile der Wohnung mit einander verbindend, gleichwie der Platz mit dem Kirchlein draussen die Bewohner aller umliegenden Gassen zusammenströmen und sich wieder verteilen sieht.

Die sichere Wiedergabe der Architekturformen im Stil Brunellescos, die meisterhafte Behandlung der kleinen Figuren im Zusammenhang mit dem Renaissancebau, und die malerischen Vor- züge, selbst bei flüchtiger AusfQhrung bezeugen mit einander, dafs wir es mit der Arbeit eines g-ewiegten Meisters zu tun haben. ITnd dieser ist auch unseres Eraclitens kein andrer als Masaccio. Wenn ein Kritiker wie (iinvanni MorelH meint, dafs alle Kenner des Masaccio den K^pf bedi nklich zu der gewagten Taufe schütteln werden, und seine N t rhi sserung (hdiin formuliert, der selben Zeit ungefähr nnige d.is lÜldehen angeh..r''n, allein für Masaccio sei es zu .schwach: es rühre wcl von (l«r iiand eines unterge» »nlneten Nachahmers her',!, so läfst t-r i-inmal tlie liestimmung' des Wcrkchcns als Gebrauchsgegenstand und üeleg^enheitsgabe ausser Acht, und zweitens die architektonisdicn und perspektivisdien Voraussetzungen för so ein kleines Bravourstück, die damals eben weder der Hand noch dem Verstand eines untergeordneten Nach* ahmers zuzutrauen waren. Wir können also den Erörterungen der Berliner Galeriedirektion nur völlig beistimmen, wenn sie die Eigen- tümlichkeit der Komposition, die Freiheit der Schilderung hervor- hebt, in der „verschiedene Vorgänge sehr sinnvoll und zugleich rein

') Kunstkritik he Studien über ital. Malerei. Die Galerie n Berlin von Jvan LermoHcIl. I.^ijizi^ i^^OJ. S. i". „Vic-IleiolU ein WVrk jenes An<1rea di Giiislo, der in den letzten Jabreii der W irksamkeit da Masaccio sein Gebülfc war (hiebe Gaye, Cartcggio tt. 8. w. I. 116).** Dt kbneii wir doch wol eher itodi auf Muacdot Bmder Giovanni lo Scbeggia, der ebenralls Maler war, dli. ins Atelier des Meistets sellMt turtdt und von der Rucks'Mt" T'-ll -rs Anch wo] zur eignen Person des Meisters selbst. DlS Url'M'! j'-ner Kunstki iincr wie Morclli bleibt eben an Aeussfrlichkeiten hfingen und verrilt wie immer wenig Sinn für die innern Quaütlten der Leistung und ihren Wert im geschichtlichen Znsammenlwng der Kunst.

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Darstellung von Raum und K<^rpekn

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künstlerisch vereinijjt sind. Das Kostüm der dargestellten Personen führt mit aller Grenauigkeit in eine Zeit der Frührenaissance, da die praktisclic Ausübung der neuen Hauart erst begonnen hatte, und

docli wird diese schon in voll cntwit^koltoii Formen vorjrctraijfon", wird d\c X'iTtiofunjLr dos !\,iunit s auf der Biidtlai Iic mit oinor Sicher- heit erreicht, (he ihis /usammeiiw irkeu \ ersehiedeiier Riclitun_v;saxen, den nuilcrisrheii Reiz der 1 )iirchbUck«-, den Kontrast eines tr.iuHrli eni^en Gemarhes und eines riff. nen Saulcnhofd's. /u einem dan/.en verwertet, das als Schauplat/ wietler auf das Innigste zur über- zeugenden Wiedergabe des Geschehens mitwirkt Mit der nämlichen Sicherheit sind die Figuren und sonstigen Körper in richtigem Ver- hältnis als stereometrischc Bestandteile in den Kaum hineingesetzt, so dafe sie fühlbar hineingohOren, dafs diese Umgebung diese Menschen wie ihre eigne Welt umschliefst. Es ist der Einblick in einen Mikrokosmos voll ausgeprägter Formen und voll charakteristischen Lebens, der uns hier geboten wird. Welche Stärke des künstlerischen Vermögens das erforderte lehn ein Blick auf die Halbheit des Masolina noch zehn Jahre später in den Fresken des Baptisteriums zu Casti^^liono d'Olona, ein Vergleich, bei dem von einem „untergeordneten Nach- almier" noch nicht gesprochen zu werden pflegt. Dort sieht man in der Xamengebung des Zacharias die vollständig ausgebildete Per- spektive und die Wiedergabe der neuen Stilform« n nach dem Vor- bild t\os l'ilippo Bruiielli'S( hi verbunden mit einer zurückg« bli« b. in n Schwäche alles Figürlichen, welche die Einheit des dargestellten Schauplatzes mit den Personen darin nicht herzustellen vermag. Dort fdilt es an der Ixiibhaftigkdt des Gesamteindruckes, der das Rund- bildeben in Berlin so entschieden auszeichnet. Und 'dabei haben wir zu Castiglione um 1435 doch mit Wandgemälden in beträchtlichem Ma&ftab zu tun, in denen sonst aller mögliche Aufwand der Einzel- arbeit versucht wird, um die Wirklichkeitstreue zu erhöhen, während der „desco da parto" nur bestimmt war, nach seinem Gebrauch für die Darbringung der Gesdienke an die Wöchnerin, vielleicht in ihrem Wohnzimmer als Dekorationsftück aufgehängt zu werden, also höchstens dr-n Rang von Truhenbildern und handwerklichen Erzeugnissen ähnlicher Art zu behaupten. Gerade so betrachtet, bezeugt auch die Arbeit des Malers in all ihrer Schnellfertigkcit die Genialität der Meisterhand. Die Farben sind stellenwcis so dünn aufgetragen, dafs die Zeichinmg durchscheitit. stellenweis so markig und voll, dals nnt diesen Gegensätz(>n die selbe körperhafte Wirkung erreicht wird, die Masaccios Fresken vor allen andern voraus haben. So bewahrt gerade dies kleine Beispiel die Unmittel- barkeit einer Farbenskizze, die mit der nadilässigen Sudelei eines

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Aesthehscher Kern

grofscn Koloristen eher verwechselt werden könnte als mit dorn ängrstlichen Gestammel eines Schwächlings. Nur liegt der Malerei schon dio strenge Konstruktion der Körper und der >\rrhitoktur zu Grunde, die mit malerischor Begabutitr allein nicht /u errrichen war, sondern als ..artificir» per <^\Lrni intondentc" jenen „ingegno perspicace" vorauslcl/.t, der für Hrunelleschi Veranlassung ward, dem Maler diese wissensehaftliclu n 1 1 ültsniittel der Raumdarstellung zu er- schlielsen. Die Lust der Leute an solcher Spiegelung der Wirklichkeit kam dabei der Kunst sehnsüchtiger, durstiger entgegen als wir heute bei dem aesthetisdien Vorgang in Rechnung zu setzen vermögen. Jener Generation, die mit allen Kräften sich aus dem Bann des Mittel- alters losrang, war jede Bestätigung der Realität, jede koncentrierte Wiedergabe der gesetzmässigen Grundlagen des Daseins in Raum und Zeit, eine willkommene Stärkung des eigenen Gefühls auf festem Boden im Licht [der Soime zu wohnen, also ein Zuwachs an Leben. Und dies Rundbildchen an der Wand des Zimmers, am Kamin, über dem liett nalim die selbe Stelle ein und erfüllte die seihe Leistung für den menschlichen Bew(ihncr, wie jener Rund- spicgel im (ieniaeh des Arnoltmi, den Jan van l'"vck um die selbe Zeit zu lirügs^r(. r^rin.ilt mit dem ganzen Ausl)lick durch die ge- öffnete Tür darinnen. So tritt denn dies Familienstück mit der WorlKMistuWe .uich seinem aesthetischen Kern nach mit dem Kirchen- bild von S. M. Novella in eine Reihe, eng verbunden durch den Wert ihrer architektonischen und plastischen Strenge. Sie verhalten sidi zu einander, wie die Altartafeln för die flffentlidie Andacht zu den Rundbildern für die häusliche Sammlung im Gebet So be- zeichnen Fra Filippos Madonna mit der Wochenstube S. Annas dahinter im Palazzo Pitti und seine Krönung Marias in der Akademie solch ein Paar, das sich ergänzt

Das Altarwerk von Pisa

Die ganze Reihe der Meisterwerke Mas.uxios, die wir bisher betrachtet, vcrtfilt sich auf eine kurze Spanne Zeit, auf wtniigo Jahre vor seinem letzten (iange nach Rom, wo er 14J8 seinen Tod fand. Der \'ersuc;h, eine chronolourische Folge diescT Leistungen herzu.stellen, wird im Wesentlichen die Abvvägning künstlerischer Qualitäten ins Auge fassen, ein Verständnis der Fortschritte, die jedes einzelne Stock bedeutet, für wichtiger halten und sich gern bei relativen Bestimmungen aber den Ablauf der Entwicklung be-

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Altarwerk für Pisa

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fchmden; denn der Wert dieser lehrreichen Beobachtungen wird

durch feste Daten in so beschränktem Zeitraum schwerlich gewinnen. Dennoch ist es willkommen, wenigstens einen Anhaltspunkt durch urkundlich überlieferten Termin gesichert zu wi-^sen, und mit dessen Hülfe vielleicht die Periode voller Meister^ luitl. die dem plc>tzliclien Tod«' des jun^MMi Mannes unmittelbar \ <>r.uij^»'eht, von einer früheren /u scheiden, die durch Kintragun^ in die I.ukas^ilde im Jahre und die frühere in die Arle de' Medici e Spe/i ah \<>n \^2i bezeichnet wird. Sctlch ein Datum ist erst neuerdin^fs j^t lunden. ' i

Zwischen dem 24 Juli und dem 18 December 1421) wurde dem Masaccio ein Altarwerk bezahlt, und zwar in mehreren Raten, im Ganzen mit achtzig ( ioldgulden. Sein Freund Donatello dient dabei als Zeuge, da er damals bei Arbeiten fDr das Grabmal dos Kardinab Raynaldo Brancacci (in S. Angelo zu Neapel), das dieser noch bei Leb- zeiten bestellt haben mufs (f 27 März 1427) in Pisa beschäftigt war. Seit Anfiing des Jahres 1426 war dort in der Kirche del Carmine eine Marmorka|)elle in Arbeit, die Pippo di (tiovanni di Gante, der Vater des Isaia di Pisa, und (ir^fsvater des (iiancriftoforo Romano zu liefern hatte, und für diese Kapelle im ( "arniine war auch das Altarwerk des Masaccio bestimmt. Der Auftrajrtrcber. ein pisanischer Notar, hiefs Giuliani di ("oIin<> da S. (iiust<>; di shalh erscln inen die Nanieiishi iligen Juhaiuis uml Nicolaus, der Schutzpatron des Stifters und der seines X'aters NicoHnu imter den l''inzelfiv;urcn dfs ( ft inaldcs, das X'asari an seinem ursprünglichen Standort gesellen und ausluiir- lich beschrieben hat:-)

„Darin &ne Madonna mit dem «Söhnchen, und zu ihren FQPsen einige musicierende Engel; einer von ihnen, der die Laute spielt, horcht mit Aufmerksamkeit seinen Tönen. Dies Madonnenbild wird in der Mitte genommen von S. Petrus, S. Johannes dem Täufer, S. Julianus und S. Nicolaus, lauter tüchtigen und lebensvollen Gestalten. Unten auf der I^edella sind in kleinen Figuren Geschichten aus dem Leben dieser Heiligen und in der Mitte die drei Magier, die Christus opfern, und in diesem Stück sind einige Pferde so schön nach dem Leben gemalt, dafs man es nicht besser wünschf n kann, und die Hotleute der drei Köni^«- sind in verschiedenen Tr.u hten gegeben, die damals Mode waren. < »icrlialh der 1 afel sind als Abschluss nieiirere Bilder mit lieiligenhg^uren um einen Crucihxus herum angebracht"

>) Donatello in Pisa, Documenli publicati da L. Tanfani-CCatoliuiti. Pin, MariotU 1887. Vgl. Repert. f. Kwfchft XII. 213. f.

*) Opere II. 292. „Nelia cbiesa del Carmine di Pisa, in una tavola che e dcntro ft ma capella dd tramtiio. . . .

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S. Paulus in Pisa

Das Altarwerk ist im Laufe der Zeit aus der Kirdie der Karmolitcr verschwunden, zerstückelt und z^treut; die Hauptbe-

standteilo scheinen sogar völlig- vorschollon. ') In Pisa selbst ist nur oin Ucbcrrost erhalten gcblit lxMi. der diesem Ganzen ange- hört haben wird: die Halbfigur des Apostels Paulus auf (roldgrimd, deren ursprüngliche Bestimmunir /wischen jenen Heiligen des oberen Aufsatzes gesucht \ver<]>Mi nuifs, die Vasari uni den ( ie- kreuzigten otfenl>ar das Mittt lstüek <lies<T obern Reihe herum geordnet sah. Dies Ktn'estück, ol)en abgenmilet (jetzt \iereckig eingerahnU), beliiulet sich im Aluseo Civico an S. Francesco zu Pisa, nachdem es lange Zeit in der Pinacoteca comunale bei der Akademie gewesen.^ Es trägt auf der Rückseite eine längere Aufechrift von einer Hand, die zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts zurückweist, und das Bild als „Opus Masaccij a Castro S. Joannis Vallis Ami, Pictorum actatis . . . Pr. . beglaubigt Der AposteU in gelbem Rock und hell lila Mantel ist dreiviertel nach rechts gewendet, und hält in der erhobenen Linken ein Buch, in dem herabhängfenden rechten Arm das aufrechte Schwert, über dessen Ouerstango am Griff sich die Finger herüb. rlf^yen. Der Kopf mit dunkelm Vollbart fällt auf durch s(Mne starke lange Xase und einen wulstigen Haar- schwall im Nacken, während der Schädel Norn sich lichtet. Xur dieser ( "harakterkopf selbst ist sorgfältiger ausgeführt, wenn auch sichtlich summarisch für die Wirkung aus verhältnismärsiger Hohe l)ereehnei, dh. iti starken (Tegensätz<Mi von Hell und Dunkel heraus- niodclliert. Um so eher stellt sich der Eindruck der Schiellieit ein. als ob von vomhermn die verkürzte Seite des Gesichtes nicht ganz gelungen sei. Am linken Auge stört ein Fehler. Der breite Heiligen- schein ist aus dem Goldgrund heraus punktiert, hat ein breites Band mit fünfblättrigen Blumen, dreiteiligen Knospen und lancettformigen Blättern darin, und dreiperlige Zacken am Rande. Die Gewandung ist flüchtig gemalt und in der Farbe sehr blafs, viellcidit in der Somie ausgel)lichen, aber im Wurfe ziemlich grofs, auf der linken Schulter hoch aufgebauscht und verrät el)en dadurch, nicht, wie Crowe und Cavalcaselle meinen, eine 1) f i- « iie .Sehülerhand, sondern die malerische Freiheit des Meisters, der eine breite, locker um den

In der Kirche war das Werk sicher um irso iiirht mehr an seinem PUUe, vgl. A. da Morrona, Pisa, illuslrata 1793, III, 290 f. Vgl d. Berliner Katalog.

*) Nr. 199. H. 0,51 Br. 0,30 m. Es ist sehr dnrch Wnrmsticb beschidigt, be> sonders unten, wo ein SUickcbcn ausgebrochen.

') Die Aufschrift dt r Rfirk^oite (Nr. i beginnt A\ Cavo CoIp (Cok ?) Lo. Kaimondi. Sie erwähnt das Lob des Micbaclangelus Bonarotus und giebt das Epigraoun des Aanibale Caro.

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S. Andreas in Wien

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Leib geschlagene Draperie bevorzugt, genau so wie die Apostel- scfaaar um Christus in der Cappella Brancacci und Petrus bei der Almosenspende sie aufweisen.

Wenn wir dieses nach rechts gewandte Bild des zweiten ApostelfiSrstcn auf der oinon Seite des Altarwerkcs suchen, wo auch d<'r rs! ' in der Hauptrcihf unten stand, so habon wir ein ganz gleicht'S (iogonstück im I>esitz des (irafon Lanckoronski in Wien zu vor/oirhnr»n. ') Es enthalt, ebenso oben abj^-erundet, auf ( n 'Idi^ruiid die Ii.ill)liLj-iir des Apostels Andreas, ii.k h links i»-<'\\ t-ndct. mit dem Buch in der I,iiik« n \orn und dem gr.ui.irmigt n Kreuz ati der Kochten. Dies lateinische Kreuz ist in perspektivischer Ansicht j^-egeben, und zwar schräg gegen die Millelaxe des liild^ s gestellt. Hier sowol. wie in dem Kopf des langbilrtigen Greises kehrt die energische Behandlung mit starken Gegensätzen von Licht und Schatten wieder, und ähnlich ist in der Gewandung die unverkenn- bare Gewohnheit der Freskomalerei auf das Temperaverfahren Ober- tragen. Die gleiche Form und Randverzierung des im Goldgrund eingeritzten Heiligenscheines mit seinen dreiperligen Zacken, wenn auch anderm Rankenwerk im breiten Bandstreifen, beweist wie die Mafse der Tafel und der ganze Charakter des Stückes die unzweifel- hafte Zugehörigkeit zum nämlichen Ganzen, von dem der Paulus in Pisa stammt. Der Kopf hat unverkennbare Aehnlichkeit mit dem grofsartigeti Andreas im llauptbilde der r.ipjxdl i l'rancacci, zeigt aber einen (Irad \ on Befangetdieit, im \ ergleich zu diesem, dafs er früher ang^esetzt werden mülste, wenn nicht solch liesliindteil eines Altarwerkes auf (Goldgrund immer liinler der h'reiheil der Wand- malerei zurückbliebe . . l>ei der .Mniosenspeiide sieht ein ganz ver- wandter Ko})!" in gleifdier Su llung !iiiit* r Johannes her\i>r.

Als Zwischenbildchen in horiz« )nt.der Reihe, wie sie jetzt ge- rahmt sind, oder vielmehr als l'ilasterfüllung ursprünglich über einander angebracht, wären vier ganze Figuren in kleinem Mafsftabe zu denken, deren Behandlung auf Goldgrund, im Verein mit dem Charakter der Köpfe, mit der Manier der Gewandung und gemein- samen Fehlem in der Zeichnung uns vollauf berechtigt sie der selben Zeit zuzuweisen, während die Ordenstracht der Karmeliter bei zweien von ihnen auch die Zugehörigkeit zu einem Altar jn Carmine'* bezeugt Sie sind nach England versdilagen und befinden sich jetzt im Besitz des Herrn Charles Butler, F. S. A. Auf derWinter- ausTtellung der New Gallery 1893/94 waren sie in London zu sehen

') Durch die Liberalität des Kigcntüincrs sind wir in der Lage eine Photographie nach dem Original in unsrer Abbildung ra reproducieren.

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Vier Heiugb in England

und trujfen den überlieferten Xamen „Masaccio" auch im Katalog^. ') Drei von ihnen sind nadi rechts, der vierte nach links g-ewendot. Zwei Kirchenväter. S. Hieronymus und <in Bischof, fordern die beiden andern Lehrer der lateinischen Kirclu' zur Erjjfän/ung^. Die Charakteristik ihs l'.ischofs t^estatlt-t niclit, uns für S. Augustin oder S. Anibri'sius /u entsehoidin. Kr steht yanz im Profil nach rechts und liest eifrig' in seinem liuclie, das er mit beiden llätulcn trägt; ein hellroter Chormantel bedeckt in einfach breiten Falten die ganze Gestalt bis auf die unten hervorsehende Alba; ebenso einfach ist auch die Mitra mit rückwärts herabhangenden Bändern. Das Antlitz des noch jungen Mannes umrahmt ein kurz gehaltener dunkler Vollbart, -> sonst würde er Masaccics Jc^nnes gleichen; so aber begegnet er uns bärtig in kriegerischer Tracht als Hauptmann des Ilerodes demnächt wieder. S. Hieronymus da- neben ist dur« h Kardinalstracht kenntlich. Er steht barhaupt, ge- senkten Blickes vor einem hölzernen Pult, über dem ein Schrift- blatt hängt, das seine rechte Hand im Lesen weiterschiebt. Der Typus des altern kur/l)ärti!^'^en Kojjfes ist fast völlig der des Petrus bei der Schattenheiluni^ in der Brancaecikapelle. V'on den beiden Karnieliterlieilig(Mi ist der eine langl)ärtig und alt, ist den AjKtstehi Andreas in Wien und Paulus in Pisa nah \cruandt, sonst etwa dem g< heiiten IJeter (neben dem MasolinokupO ini Schatten- wunder verglt ichbar; er hält ein Buch unter dem Arm und fas^t mit der Unken die Flügel seines weiten Mantels über der schwarzen Kutte zusammen. Der andre, nach links gekehrt, schaut doch mit lebhaftem f^eitenblick aus dem Bild heraus; er ist jung und bart- los, voUwangig und vollblütig dazu. Die Hände wissen nicht zu bleiben und verraten so erst recht die Ungeschicklichkeiten, die wir schon anderweit kennen: die breite Phalanx der Hnger, die Stärke des Daumens und andre Schwächen der Zeichnung, und zwar in einem Grade, dass man immer g"eneigt ist an Beschädigung vuul l'eberschmierung zu denken. Besonders dieser letzte, etwas diek- nasii^«' vnid grolsoliri^e Mrinchstypus ist das unmittell)are Vorbild des Fr.i f ilippo ge\\ <jrdcn, mit seinen l-Chlcrn wie mit seiner Breite und AVurht. w.iliretid wir l^eim Ersteren nicht zweileln können, seine Gewandvmg mit der des Petrus und jL»haniu:s in der Almosenspende zu vergleichen, wenn auch lange noch nicht mit seinen Ordens- brüdern bei Petrus in Cathedra.

•) H. 0,545 Br. 0^395. Holl. Katalog der „Exhibition of Ewrly IteBn Art la tbe New GaHerjr (Rcgeat Street) Mr. 97. V^. umere AbbildooB.

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Predellen in Berlin 8i

Drm andre Bruchstücke desselben Altarwerkes sind vor Jahren schon in der Sammlung des Marchese Grino Capponi zu Florenz von deutschen Forschem erkannt worden und seitdem 1880 in das Berliner Museum gewandert') IXe Beschreibung Vasaris wurde zuerst von Adolf Bayersdorfer auf sie angewendet, und Wilhelm Bode hat zur Bestätigung ifar^ Echtheit den Verglich mit den Fresken der Cappella Brancacci angerufen. Die Analogie in den Typen und im Stil der Figuren, in der Art der Beleuchtung und der Komposition ermöglicht(> schon damals den Nachweis, das Pisancr Altarwerk müsse den 1( t/ten Jahren Masaccios angehören. Nun. da wir die Zahluii^'^stcrniine zwischen Juli und December 1426 kennen, bestäti^»^t sich gerade fiir die PredelU n diese Einordnung durchaus, während die Ilalbiiguren der Apostel, die wir soeben be- sprochen, den Zusammenhang mit der früheren Kunstweise des Alalers deutlicli machen.

IMe Besdireibung Vasaris weist den drei Fragmenten genau ihre Stellen an: Nsotto, nella predella, sono di figure piccole, storie della vita di quei Santi (Petrus^ Johannes Bapt, Julianus und Nicolaus) e nel mezzo i tre Magi che ofiferiscono a Cristo,* Die Bildchen in Berlin enthalten die Anbetung der Könige, das Martyrium des Petrus und die Enthauptung des Täufers.

In beiden Legendenbildchen, die jetzt, nicht ohne erkennbares Zwischenglied, in einem Rahmen aneinander sitzen, ist die Beleuchtung scharf von der linken Seite her durchgeführt, gewifs im Anschluss an ihren ursprünglichen Standort in der Kapelle des Giuliano di Colino da S. Giusto,

Das Ende des l^etrus wird „inter duas metas" nach den An- gaben dargestellt, die uns in der Miral)ili»'n Roms begegnen"'); aber diese beiden antiken Bauwerke sind nicht einm il so j^^cnau wie auf einer Predella des Jacopo da Casentino in den Utfi/ien gegeben, ermangeln der wichtigen Spitze und lassen dem Kerker mit ge- öffneter Tür die Hauptbreite des Hintergrundes flbrig.

Hier wird der Apostel auf seinen eigenen Wunsch kopfüber ans Kreuz gebracht £in&ch und entschlossen beschränkt sich der Vorgang auf die Hauptsache und IftCst das Beiwerk um so eher fort, als die Schmalheit des Auslchnittes die grOlste Sparsamkdt gebot Mit den Füfsen schon am Kreuz befestigt, hängt der alte Mann nüt dem Scheitel auf den Boden sto&end am Holz, und zwei Knechte

>) Kitfdog Nr. 58 A n. s8 B. Holt. H. Q,ti Br. 0^61.

•) Vgl. Mirabilia Romae ed Gast. Parthey, Berlin 1869 p. 28. u. über die Ikono- graphie der Kreucigung Petri . Stizygnwski, Cimaboe und Rom, Wien 1888 p. 76 ff. Scbmarsow, Masacdo-Studien II. 6

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Martyrien des Petrus u. Joh. Bapt.

sind dabei auch beide Hände anzunageln. Befehlshaber und Wacht-

hauptmann stellen im eng-en Hof, eine Rejhe von Soldaten sperrt den Zujyan^ /.ur Rechten a]>, wo unser Blick auf luij^elige Gegend hinausichweift und wieder inne wird, dals er dem Strom des links luT cinfalli'ndfMi Lichtes fc^lgt. ')

Ebeiise) kurz und bündig wird daneben die Enthauptung des Täufers vorgeführt, und zwar im entscheidenden Mumonte selbst. Links zur Smte des übereck gestellten Turmverliefses in prächtiger Kleidung mit flachem Hut der BevoUmflchtigte des Vier- fürsten und streckt die Hand aus zum ßefehl. Auf dies Zechen schwingt der Scharfrichter, den wir neben ihm vom Racken s^en, w&t ausholend sein Schwert gegen Johannes. Dieser kniet auf der Schwee» wahrend ein Krieger ihn beim Schöpfe fasst und mit dem S' 1 seiner Str itaxt den Kopf herniederdrOckt. Mit beiden Händen (las (iesicht bedeckend erwartet er den Streich, während zvr&. Soldaten zur Seite ihre roten Schilde vorhalten. Auch hier schliessen kahle Felsblöcke den Schauj>lat/ der Richtstätte zur Rechten ab, aber fühlbar näher, zur Sonderung von dem Mittelbild der ganzen Predella.

Ausserordt'titlich charakteristisch für Masaccios Sinnesart ist die resolute Schlichtheit, mit der die beiden (iewaltakte ohne Um- sdiweif und ohne gerflhrte Zuschauer dastehen. Der Eindruck auf die Kriegsknechte, die dazu befohlen sind, genügt ihm. Noch ein Jahrzdbnt später sehen wir Masolino in seinen Wandgemälden von Castiglione d'Olona die eigentliche Katastrophe umgehen. Statt des Höhepunktes der Entscheidung giebt er einen Moment vorher und einen nachher, und bricht dem Ereignis dadurch die Spitze ab. Masaccios kleine Predellenstiicko geben die Hauptsache; sie sind voll Leben und Energie, in der Bewegung des Augenblicks erfasst, selbst die Röte des andringenden Blutes im Kopf dos Petrus nicht vergessen, wie Vasari bei der Auffindung des Stater im ge- fangenen Eische hervorhebt, und der scharfe (fegensatz von Licht und Schatten in den Köqjerfornieii, die in eng anschliessender Hülle oder gar n.icki <tviftn^ten, steigert noch die einschneidende Wirkung der sonst sehr hellgelialtenen Malerei.

Das wichtigste Stück bleibt indefs die Anbetung der Könige, die sich in doppelter Breite entwickelt und unter dem Bfadonnenbilde gesessen hat

') Ks sei auch hier auf die Verwandtschaft des Schlufsbildes in der Brancaccikapcllc hingewiesen, das Ireilicfa Filippino gemalt, aber wol sicher nach einem Entwurf des Minodo idber, der dem Besteller oder Ratfeber im Kloiler »otgilegt vir, in Anfing bekommen bit.

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Anbetung der Magier

«3

Links ragt das Strohdach dt^r ()ffeiUMi Hütte herein; darunter !tteht der Esel angebunden und lagert w iodcrkäuend das Rind, beide nach innen der Krippe zugewandt, wälirend am l'tbsten \orn der Sattel für das Grattti«r sidi am Boden breitmacht. Nodi unter der Dadilinie dieses Stalles sitzt auf einem Faltstul im Profil nach redits Maria, ganz eingehüllt in ihren Mantel und hält den Knaben auf ihrem Sdiols. Das grolae Kind ist halb nackt, nur mit ein^ Tuch um den Leib bedeckt, und wendet sich lebhaft zu den Gästen, während Joseph, ein Weihgeschenk im Arm, gebeugten Hauptes bei Seite steht Der älteste König, ein weissbärtiger Greis, hat sich entblöisten Hauptes auf die Knie geworfen und berührt mit seinen T.ippon das nackte l'üfschen des Knaben. Der zweite, ein Mann mit dunkfhii Maar und X'ollbart, erhebt in gleicher Andacht die ge- falteten ll.indr, noch in angt-niessoner Kntiernung von dem Ver- heifsonen, während sein l*age hinter ihm die abgenommene Krone in den Händen hält und sinnend b«'trachtet oder nach Dienerart durch die Finger gleiten läfst, genug sich abkehrt. So schlierst sich fürs Auge sogleich der dritte König dem Zug der Handlung an, auf die es abgcschoi Ist Es ist ein bartloser Jüngling, der anbetend hervorschreitet, indem sein Kämmerling schnell den goldnen Reif vom Scheitel hebt Er hält die Mitte des Bildes und bezeichnet den Höhepunkt der Hauptpersonen, deren drei£u:h abgestufte Be- wegung sdiräg, wie ein Kdl, aus der Schaar der Uebrigen heraus- tritt Unmittelbar an seiner Seite stehen wie Vasari will, als Höf- linge gedacht, in der Tat als auserwähltc Zeugen, sehr bemerkbar im Vordergrund, zwei Männ* r, in der Tracht vornehmer Bürger aus den Tagen des Malers, ohne /writd Ser Giuliano da S. Giusto, der Besteller des Werkes, und sein Vater Niccolino, bei aller Klein- heit doch (iestalten voll personli( lien (lebarens mit ganz individuellen Gesichtern. Das Irt/te \'ierlel di( ser Bildfläche ist wieder Neben- dingen eingeräumt, die zur Erklärung dienen, wie die Hütte drüben: Hier warten die reichgezäumten Ro.ssc, von Reitknechten gehalten, in mannichfacher Stellung, zum Staunen Vasaris schon so über- rasdiend lebendig, besonders das äusserste redits, auf dem nodi ein Trossbub sitzt, vomQber gebeugt, im Begriff sidi Futter zu raufen oder aus einer Ff&tze am Weg die Zunge zu netzen.

In der ganzen Breite des Bildes sddielst eine niedrige Hügel- kette am Rand der Straise den Mittelgrund, nur wenig höher als die Köpfe der stehenden Figuren vom; aber die H<dien selbst sind bis in weite Feme mit hellem Schimmer übergössen, als hätten die JE^eisenden noch gerade beim letzten Gruss der Abendsonne ihr Ziel erreicht Die Beleuchtung von links her giebt gerade diesem Bildr

6*

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Gentile da Fabriano

chen trotz der liellen Malerei, in der es ausgeführt ist, einen eigen- tümlichen Reiz. Und wenn wir die Photoyrnphie zu Hilfo nohmen. so kommt die urspriin^»-liche Kraft dor Lichttührung orstrccht wieder zum Vorsclu'in. Sie bringt auf dem sclimalon Schauplatz der nied- rigen Staffel den Schein einer l iefe und freien Entfaltung hervor, der weit mehr Beachtung fordert als die Wiedergabe des Einzelnen und die Beobachtung des Lebens bei Mensch und Tier. Die Stralen der sinkenden Sonne streifen über den Boden, so da6 im Duidcel der Hotte der Esel durch Reflexe von unten beleuchtet wird, und dafs die stehenden Figuren lange Schlagschatten hinter sich werfen. So bleibt die heilige Familie an ihrer Zufluchtstatt in bescheidenem Dunkel gegenüber den voll und scharf erhellten Verehrern, die in ihrem Glanz sich demütig beugen, wie wirksam aoch das Gefolge sich hinter ihnen brdtet Das aufgelöste vSpiel der halbgebrochenen Streiflichter über Rosse und Trabantc^n bin durchdringt alle Hauptsachen des Vorgangs, der so wie aus märchenhaftem Dämmerschein Gestalt gewinnt.

Diese kleine überraschende Fjjipbanie gehört zu den liebens- würdigsten Gedichten, die unwillkürlich die zarteste Knij)findung des grossen ITistonenmalers offenbaren. Und diesen Irischen Predellen- bildchen, in denen der junge Meister nicht mehr durch (Toliigrund und sonstige kirchliche Rücksichten gelnmden war, verdanken wir auch ein unbewufstes Hekenntnis, welche Vorbilder der Tafelni.ilerei ihm damals nocli dem SchOpfer so grolser Freskowerke selbst in die Augen stachen. Besäfsen wir das Hauptstück der Altartafel von Pisa, dann würde allerdings auch das Marienlnld in der Mitte wol als wichtige Urkunde solcher Anregungen und Eindrücke da- stehn. Vasaris Beschreibung schon deutet dies an; denn wer liest wol ohne Verwundern darüber hin: „7u den Füssen der Madonna musicierende Engel, deren Einer aufhordiend dem Klang* der eignen Laute prüfend folgt'*, mitten im Spiel der andern! Das ist neu im Sinne des Realismus der Florentiner, wie ein gemaltes Präludium zu reizenden Bildwerken eines Luca della Robbia; aber damals, in der Arnostadt und ihrem Kunstgebiet, wol eigentlich ohne Gleichen.') Wir müssen schon ins umbrisehe Land hinüberschweifen, um dieser Anordnung jubilierender Engel zu den Füssen Marias zu begegnen. Dort aber in der Heimat des dentile da Fabriano und (Jttaviano Nelli von üubbio ist gerade diese Erfindung der Ausdruck,

•) Vgl. aber in der Akademie zu Florenz Nr. I87 (Al^lo Gaddt) M*d. del gitjlio mit musicierenden Engeln und anbetenden unten berom. Nr. 129 (Nico, di I'ietro Gerini und Comp.) Nr. 142 (Ignoto) Cb. F. Marrays Meister, v. 25. Jau. 14^0, KtOnttiig Mtriu mit matidefeiuleii EnBeln, der deo selben Gesenstand 1439 mh mRosmIü Jacopi FnuKbl" betekhaet bat

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MASACaO UND Gentile

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der das sinnige Gomüt des Volkes allein befriedigt, das natürliche Bild für die lyris<'ho Stimmung ihrer Andacht. Ist es ein Hauch umbrischen Empfindens, der hier horeinwcht? Dann hätten »ch die Zeiten sehr geändert. Denn Allegretto Nuzi, den Fabriano etwa als Lehrer des Gentile aufzuweisen hätte, er ist nicht allein zünftig gfcwe.sen in Florenz, wo di<' Malermatrikel im Jahre 134^) seinen Namen tragt, sondern auch ganz Florentiner geworden im Hann- kreis (Mnes lackleM (iuddi und dudrer (lioltisten. Nun aber kommt Cjcntile <la i abriano als anges* hentr Makr, von Venedig und Brescia, vom Norden Italiens herein, wird 142 1 in die Lukasgilde aufge- nonunen. weil er Aufh'äge ausftlhrcn will, im selben Jahre wie der zwanzigjährige Masaccio als Anfänger eintrat Und die Wirkung seiner Kunst ist zweifellos zu spüren. *) Im Jahre 1425 haben wir Masolino schon droben in Castiglione d'Olona zur Verherrlichung Marias so sdilanke duftige Gebilde malen sehen, als seien die Gre- stalten nichts als schemenhafte Träger lyrischer Stimmung, als tauchten sie in biegsamer (lehärdc nur auf. um schwungvoll und feierlich zu den Kl intren der Orgel ihre rhythmische Bewegimg zu vollführen. In der ( k hurt des Christkindes, in der Anbetung der Könige sahen wir nn ihwi isli( h Reminiscenzen an das Altarwerk des Gentile da Fabriano in Floren/.-)

l'nd nun «lie l'reilcll.i mit dir Anbetung der Könige von Masaccios Altar in Pisa. .Sic lässt vollends keinen Zweifel, wiesehr die nämliche Darstellung des umbrischen Meisters, den Papst Martin von Brescia kommen Hess, auch die Phantasie dieses Malers in Florenz ergriffen, wie wenig auch Masaccio selbst den poetisdien Reizen, der intimen Beobachtung des Tierlebens, den Versuchen märchenhafter Kontraste zwischen Dämmerschein und Dchtglanz sich verschlols. Das Altarwerk des fremden, von Oberitalien zu- gewanderten Malers trägt als Vollendungsdatum die Jahreszahl 1423. Ein Vergleich seiner Epiphanie mit der Christnacht, der Fluclit nach Aegypten und der Darbringung im Tempel an der Predella, mit Ualbfigurcn dor Wrkündigung und dem Antlitz des Welterlösers in Runden droben, mit /arten Blütenzweigen im Rahmen- werk, ist ebenso lehrreich für die fruchtbaren Beziehungen, wie für die Unterschiede peräunlichcr Eigenart und örtlicher Schultradition.

*) Er ToUeiidet im Mai 1435 das Altarwcrk ftr die Qiuratcsi ia S. NkoolA oltf* Anio, von dem vier Einietfigiirea in die Uflizien gerettet sind, das Mittelatflck veriorai

scheint Es war ein Madonnenbild gewifs nach ambrischer Art, vielleicht der Anreiz für die Bi'<;(cllun>: iles Gitiliano di Colino M;i<uiccio £U Aniang 1426, oder DOch un« tniUelbarcr nach Aufstellung des Bildes von Gcnttle. *) Vgl. Entes Bndi S. 35.

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Das Jahr Mccccxxvi

Bei Masaccio, dessen Denken und Schaffen ums Jahr 1426 mit soviel ernsten Aufgaben erfüllt war, tritt die Zartheit des Sinnes gelegentlich nur einmal so glücklich hervor. Wenn aber der Zauber des Lichtes in diesen Bildclion von Pisa irgendwo vorbereitet war, so steh(>n die Schöpfungen (»cntiles zunächst da. Dort trcilich in der Sakristei von S. Trinitä, die der reiclie Palhi Stroz/i ausgestattet, war das Schimmern von innen her, der durchsichtige Schatten der Nacht mit Hülfe dos Goldgrundes erreicht worden. Masaccio rechnet mit dem seidicb «n&Uendeii Licht des Fensters in der Kapelle, für die er malt, selbst in Pisa draussen, und führt die Straten der tiefetehenden Sonne von links her Ober die Landstrasse vom und über die Hügfel- kette im Hintergrund, Das Gedränge der Rosse, Stallknechte und zahlreichen Jagdgenossen zu Pferd und zu Fufse; mit dem Gentile die Hftlfte seines Bildes füllt, die Allotria vollends mit kleinen Jagd- leoparden und Affen im Sattel, mit Falken in der Luft und grossen Hofhunden am Boden, diese Ueberfülle ohne Platz und &nn im Ganzen, schmilzt bei Masaccio von selbst zu einer Nebengruppe zusammen, deren Bedeutung niclit üIkt die Haupthandlung hinaus- wächst. Klarheit, Einfachheit und Entschiedenheit zeichnen den Toskaner überall aus, in der l^inzelgesialt ebenso, wie in der Hand- lung oder feierlichen Ceremonie. Genlile da Eabriano wird gewufst haben, was er tat, als er den Wirkungskreis am Arno wieder auf- gab und im selben Jahre, wo er die Tafel der Quarate« für S. Niccolo vollendet, nach Siena weiterzog, und über Orvieto dann nadi Rom zum Papste, der seiner begehrte. S. Giovanni in Laterano, mit seiner Fieberluft und seinem Modergeruch, bereitete diesem Triumphzug ein schnelles Ende. Und als er noch im Jahre 1427 gestorben war, rief man Masacdo nach Rom, die begonnene Arbeit weiter zu filhren; aber auch ihn noch raffte der Tod von S. Giovanni in Laterano hinweg.

Betrachten wir endlich das ganze Altarwerk, soweit wir uns noch heute sei es durch den Augenschein, sei es aus Vasaris Beschreibung oder aus historischen Erwägungen eine Ansiclit darüber zu bilden vermögen, mit dem festen Datum der Ablieferungs- termine zwischen 24. Juli und 18. December 1426 in der Hand, so ist vor allen Dingen darauf hinzuweisen, dafs unter den erhaltenen Stücken die Halbfiguren von Aposteln auf Goldgrund, vom oberen Teil des Aufbaues, ganz beträchtlich von den Predellenbüdchen ab- weidien, die vom Goldgrunde frei geworden, ohne Zweifel die letzte

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Das Jahr Mccccxxvi

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Arbelt an dem Ganzen ausmachen. So bieten gerade sie, wenn audl in kleinem Mafsstab. die Möglichkeit, cl< n Stil des Malers in der zweiten Hälfte dos Jahros 1426 zu charaktfrisit-ren und den Zu- sammenhang- mit den Wandj^'^omälden der Cappella Brancacd vlel- l^cht an einer bestimmten Stelle nachzuweisen.

Schon Bode hat bei einer liesprechung- der Bildchen im Ber- liner Museum darauf hingewiesen, dafs im Kresko mit der Auffindung des Stater im Maul drs Fisches ..die Gestalt des l ischers fast ganz dieselbe Person sei, die sich auf dem Martyrium des Johannes findet". ') Kr meint den lürwächter \<'ii K.ipcrnaum, der die Al>gabe ver- langt, und den Henker, der vom Rucken gesehen den Schwert- streich fulirt.

Wir wflrden jedoch dem Maler Umgeht tun, wollten wir nicht hervorheben, dals er jede der b^den Gestalten genau &ar den Vorgang berechnet hat wie er sie brauchen will. Der Henker im Predellen- bildchen ist ganz in einheitlicher Tätigkdt, die beide Arme zugleich in Anspruch nimmt und den Kittel, dessen Saum zur Seite weht, beim Heben des Schwertes in die Höhe zog. Der Zolleinnehmer im Fresko th r TVancaccikapolle hat jene sprechende Doppelbewegung-, bei der die Rechte begründet was die Linke fordert. Aber in den Beinen ist, trotz zweckentsprechender Verschiedenheit, die Verwandt- schaft auffallend gcruivf. und ganz besonders in den Füfsen, deren KeclUtT fest auftritt, während d<'r Linke nur mit den Zehen ilen Boden berührt. Das lieben der Ferse, im Zug des Schwunges dort, als Nachklang des .Schreitens hier, ist beiden gemein, in beiden hallen ein wirksames Miilei der Uelehung, eins von jenen be- gleitenden Merkzeichen des Verlaufes, die den zwingenden Anreiz für die Phantasie zur Weiterdichtung des Augenblicks nach vor- wärts oder rQckwftrts enthalten. Die Erfindung zweier so über- zeugender Grestalten ist allerdings ein schlagender Beweis ü&r die Urheberschaft desselben Meisters sobald man die Zeit, in der »e entstanden, mit zu Rate zieht

Der Kopf des Petrus auf dem Predellcnstück hat bei aller Kleinheit des Mafsftabes doch unverkennbare Aehnlichkeit mit dem Petrus des Masaccio in den Fresken des Carmine, und zwar am meisten wol mit dem Apostelfürsten in Cathedra; dh. in einer Scene, bei deren Komposition für die Nahe des Altars zugleich die Rück- sicht auf das Gegenstück gewaltcL h.it, nämlich die Kreuzigung gegenüber. Der freundliche Kopf des Petrus bei der wunderbaren Heilung durch den Schatten, im Fresko der Altar wand daneben,

') Gnttt« da Bmm-Agti 1888. I. p. ^4.

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Beziehung der Werke

kehrt dagcg-eii in der Anbetung der Könige wieder: der gutmütige Pflegevater Joseph stimmt mit dem Apostel hier soweit überein wie die Haltung vornüber und die Belouchtunp von der Linken her es irgend erlaubten. Der jj^eheilte Kranke mit dunkelm ITaar und vollem Bart, der dankbar wieder aufreelit auf seinen Beinen steht, nachdem ihn Petrus soeben beschattet hat, er ist mit samt den ge- falteten Händen für den knieenden K()nig verwertet, dessen fürst- liche Tracht sonst der des Theophilus im letzten Fresko gleicht. Und dfe beiden andern Könige kehren hinter Petras wieder, der langbsrtige Greis wie der bartlose Jüngling, nur sind die beiden Typen ab Magier ganz in Profil gestellt Die allgemeiner gehaltenen Kopfe der Dienersdiaft hier wie der Soldaten bdm Martyrium des Apostels und der Enthauptung des Täufers entsprechen natQrlich am meisten den Nebenfiguren gleicher Art, wie den Jünglingen bei der Taufe oder den Jüngern bei Christus in der Brancaccikapelle. Ueberau, auch bei dem Bildnisse 6es Stifters Giuliano di Colino, fällt die gleiche Bildung der unteren Gesichtshälfte mit dem scharfen Kinn und den zugespitzten Lippen auf, die wir l)ei Johannes in der Almosenspende, wie in der Apostelschaar sonst hervorpfchoben. Die beiden Stifterporträts aus Pisa erinnern ebetiso in ihrer Bchandhing an das knieende Paar in S. M. Novella, wo die biblischen wie die göttlichen Personen des Hauptbildes wieder mancherlei Ucberein- stimmung mit den Predellen des Altarwerkes erkennen lassen.

Wenn hier in strenger architdctonischer Umrahmung an Maria und Johannes unter dem Kreuz die minder grosse &eite der Draperie auffiel, und im Vergleich zu den Betern drauTsen der feiner geadilängdte Faltenzug, dann dürfen wir uns nicht wundem, an den winzigen Figuren des Epiplianienbildes von 1426 diese kldnere Behandlung und verwickelterc Durchführunjj an einzelnen Beispielen erstrecht zu beobachten. Der Mantel Marias in S. M. Novella und der des Petrus in der Schattenheilung gehören so eng zusammen, wie der Ueberwurf des Johannes unter dem Kreuz mit dem Josephs bei der Anbetung der Konige. Hier aber hat die Gewanduujr (l(>r jungen Mutter mit dem Chri.stuskind auf dem Schofs ebenso wie der greise Konig zu ihren FüTsen unzweifelhaft die Vorliebe des Gentile da Fabriano lür scliwungvolle Bogenlinien angenommen, die allerdings einem Grotiker wie Lorenzo Ghiberti auch in Florenz nicht finemd geworden war.

Cranz besonders endlich wh^ der Einfluss des kleinen Malsftabes der Pisaner Fredellen bemerkbar, wenn wir unter der Kiddung die Gliedmalsen der Figuren betrachten. Da sind dann allerdings der oben erwähnte Henker, der Johannes enthauptet, wie die beiden

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Im Furtscurut ues Meisters

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kObn verkttrzten Burschen, die Petrus kreuzigen, in ihrem drallen KostQm ebenso vollgültige Zeugnisse sicherer Kraft, wie der nackte Petrus selber. Aber durch diese Ausnahmen wird der Durchschnitt sonst noch fOhlbarer. Die dünnen Beine mit eckigen Knieen, die sdmialen Füfsc mit langen Spitzen befremden vielleicht am meisten, wenn man die Freskomalerei im Carmine dagegen hält. Dafs die Arme etwas kurz geraten, etwas eckig gebogen oder steif gestreckt sind, daran sind wir mittlerweile gew()hnt, wir .in die kleinen sum- marisch behandoltcii i lande. Die Zcichnuiiy^ der Boino jedoch, ohne An- deutung der Kniescheiben und der Knöchel behiirrt, auch als Neben- sache genommen, gar seltsam in der Gewohnheit der Trecentistcn. Bei Fra (iiovanni da Fiesol«* und Don Lorenzo Monaco erwarten wir sie nicht anders, bei Masaccio wol, und es bedarf der schlagenden Beispiele seiner Bravour in dem nackten Petrus und der sehnigen Henker der zugehörigen Bilddien, um auch in diesem Unterschied nur die Kennzeichen einer und derselben schnell fortschreitenden Entwicklung zu erkennen. Das Auftreten freilich ist bei allen schon mit Sicherheit gegeben, aber die Obermassige Schlankheit und dib ieinknochige Magerkeit auf dem Mittelstflck der Predella hat höchstens im gekreuzigten Christus von S. M. Novella ihres Gleichen. Wie stark jedoch ist das Erbteil der Giottistenschuhing in den Figuren der Wochenstube auf dem Rundbildc zu Herlin ! Selbst in der Brancaccikapclle fehlt indes nicht ein belehrend' s Stück : di(^ zu- sammengekauerte, kühn verkür/tc Gestalt des IN irus beim Fi.s( h- fanjjf. links im MiUelsrrunflo des grofsen Hreitbildcs. Hier stimmt, unter ähnlichen lV(hngungen , alles überein, bis /u der hulzerncMi Form und Stellung der Extremitäten, begreiflich genug weshalb.

Die Heilung des besessenen Knaben

(bei Mr. Uoo Sonite, Brtnel ) So mannich&ch also die Beziehungen der Pisaner Predellen- stücke zu den Fresken im Carmine tiem mOgen, so weist doch die ähnliche Verbindung mit dem DreifaltigkeitslMlde von S. M. Novella sdicm über den Umkreis der Capf>ella Brancacci hinaus, l^nd ge- rade die Gegensätze zwischen schlanker Zierlichkeit und wuchtiger Breite, welche die Bildchen in Herlin noch bewahren gleichwie der Wandgemälde der grofsen Klosterkirche zu Florenz, sie vorlangen nach einer verständlichen Erklärung, die den Meisterwerken jenes Hauptcyklus, dem unbezweifelten Eigentum Masaccios, nicht voll- standig scheint es, entnommen werden kann.

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90 Ein Probestück

Diese befremdende Eigenschaft habon nun die Pisanpr Bildchen von 1426 noch mit Hnom andern IVobcstück der Kunst Masacctos pemcin . das bei V'.isari ausführlich brsrhrieben wird, bei seinen Biographen abrT für v^Tschollcn </i\t. war ausserordenthcli eifrig

in d(T Aiisarbcituni^ <1(T rcrspi klivo, erzählt Vasari, und in tlcr Bewällij^uny ilirer Sc h\\ ioriv;k<'ir,.i] kunstreich und wunderliar. J )as sieht man iiu einer von seinen hi^lorisciien Darstellunjj^en in kleim-n Figuren, die sich heute im Hause des Ridolfo del ühirlandajo be- findet Darin sind ausser Christus der den Besessenen heilt, sehr schone Baulichkdten in Perspektive aufgerissen, und zwar so, dass sie zugleich das Innere wie das Aeufsere zeigen, weil er ihre An- sicht nicht von vom, sondern der grosseren Schwierigkeit wegen übereck genommen hatte.**

Durch Vermittlung unsres unvergefslichcn Nestors, Karl Eduard von Liphart, sah ich zu Anfanj^ der achtziger Jahre ') beim Cav. Dufour-Berte ein dem Sammler William Spence in Fiesole gehöriges Bild, das nut (Hosen Angaben X'asaris der Hauptsache nach so über- raschend /usamnienslinunt. flafs kleine Aljweichungen dagegen nicht entscheidend ins (rewicht fallen und chensowonig einen Zweifel an der Identität des Stückes aus ( asa Ki(U)Ht) dhirlandajo begründen können wie ähnli( lic rngenauigkeiteii in der Beschreibung der Wandgemälde, die X'asari aus dem Gedächtnis hinwirft. Ganz neuer- dings ist dieses Bild aus Floretiz nach Brüssel gewandert, wo idi CS im Besitz des Herrn L^n Somzte wieder gesehen habe.

Man blickt in eine nach allen Seiten offene» drdschifiige Hall^ die wie ein Ausschnitt aus einer Basilika erscheint, und zwar von der vorderen Aulsenecke des linken Seitenschiflfes aus, so dass die diagonal gegenüber liegende innere Ecke des rechtwinkligen Bau- werks in die Mitte der Bildfliiche fällt.

Die Verschwindungspunkte der zusammenfliehenden Linien für beide Aufsenseiten der Basilika liegen links und rechts etwa um die halbe Breite der Bildfläche ausserhalb derselben. Durch die hohen I'toilerarkaden sieht man in das Innere, bis unter die Sparren des Dachstules, und zwar öffnet sich, an der FYontseitc rechts, der

') Seii«l( m spielt es in meinen Seminarübungen schon in GOtUngen die Rolle, die ihm gebührt. K. v. Lipbart besafs eine Photographie, nach der eine Durdiceicbnung «ad VeifrBiieniog f&r untre Reprodidttion von Dr. A. WinMer gefertigt wurde. Ihm verdankt jcdenralls auch Bodo die Kenntnis des Bildes, der in der Gaz. d. BeMnt>ArtS 1888, a. a. O. kurz d.^raut hindeutet, ohne über die Echtheit entscheiden fo wollen. Das Stück ist, wie die Heiligenscheine mit dem Zeichen S. Bernardins beweisen, schon im 15. Jahilnindett Sbenoilt, Mr. Somite hat nir «iae neue Aufiielnie flbr die FabU* katkm dkter Studien sugesagt.

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Die Heilung des Besessenen

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Sdilubbogen des linken Seitenschiffes, der breite Triumphbogen des Mittelschiffes, und die Hälfte des entsprechenden Abschlusses vom

rechten Seitenschiff, in dessen Dachscliräj^^f riiio I'onsterroso ein- schneidet. Das MittolschiiT hat einige Aehnlichkcit mit dem Innern der alten Peterskirche in Rom. An den Langseiten 2eigt sich zwischen gegliederten Krkpfeilern je zwei starke Sauli^n. darüber ein hohes gerades (rebälk durch dreifache Sim^liri itcii j^n-tcih, darauf die Obeniiauer, di-n Irägerii unten entspriM hciui durch vortr(^t<'ndo Pilaster unterbrochen, mit je einer rechteckig eingerahmten l'enster- offnung, breiter als hoch, in solchem Abteil, und oben mit ver- kröpftem Ilauptgesims umzogen, auf dem die (Juerbalkcn des offenen Dachstuies ruhen. IMe Seitenschiffe haben an den l^ngsdten je drei Arkaden von sdüanken IHeilem gebildet, von deren Kämpfern Pilaster Aber die Scheitelhöhe der Bogen hinaufsteigen, das Dach- gesims durchbrechen und in fialenartige Postamente ausgehen, hinter denen die Sparren des Daches auistofsen. Durch die oficnen Rück- seiten der Basilika sieht man auf benachbarte Häuser, rechts im Hinter- grunde sogar in Stralsenprospekte hinaus. Deshalb redet V^asari von „Casamenti" statt von einem Hauptgebäude, das den eigent- lichen Schauplatz bildet.

Vor dem Unken Pfeiler des Triumphbogens vollzieht sich die Scene, die \'asari als „Ib^lung des Besessenen dun h ( "hristus" be- zeichnen mochte, liier stehtauf dem Kstrich der Uasilik.i, der durch .Stufen über den hoden der Str.ifse erhöht ist, Jesus von einigen Jüngern im ihilbkreis umvjcben, und erhebt ilie Rechte zu einem Machtgebot gegen einen nackten Jüngling, der draufscn vor den Stufen in andächtiger Erwartung bei einem Kinde kniet, das rück- lings wie tot oder in Krämpfen an der Erde liegt Bei dem Jüng- ling konnte man zunädist vermuten, dafs wir es mit einem Aus- filtzigen zu tun haben, der in einiger Entfernung verharrt. Aber mit dem beklddeten Knaben am Boden, auf den sich die segnende Gebärde des Herrn bezidit, kommen wir zu der Erzählung des Evangeliums, die Vasari meint, Matthäus XVH, v. 14 ff. zurück: „Und da sie zu dem Volke kamen, trat zu ihm ein Mensch und fiel ihm zu Füfsen, und sprach: Herr erbarme dich über meinen Sohn, denn er ist mondsüchtig, und hat ein schweres Leiden, er fällt oft ins rVuer und oft ins Wasser. Ich habe ihn zu deinen Jüngern gebracht, und sie konnten ihm nicht helfen . . ')

>) „Aoeesrit ad emn homo genibns provotutas ante emn, dkens, Domioe ndaeicie

filio tneo^ qob lunaticus est et male palitur : nani <nf>iir < .idit , . . Rcspnndcn^ Jesus ait: . . . Afferte huc illum ad me. Et iacr«pavit illum Jesus et exiit ab eo daemoniumi et cnratos est pner ex Ula hora.** ,

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92 Zusammenhang der Studie

Hinter dem vordersten Eckpfeiler des Seiten s( Iii ffps sdidnt noch ein andrer Unglücklicher daher zu kommen, der Heilung ver- langt; denn die nackton Beine treten unsicher auf, die Arme heben sich wie willenlos in Rcflcxbowogiinp. als litte er am Veitstanz, l^nd scheuen Blic kes sielit er sich nach einer (iruppe von Männern um. als gallo es au dioseu Pharisäern und Sehriftgelehrtcu unbe- merkt \ oriilnT/usehlciehen /u dem Rabbi, der allein helfen kann. Durch eine wirksam abschlicfsende dewandfigur, mit Kapu/c über dem Kopf, vom Rücken gesehen, sondern sich diese vor der Mittel- arkade finks, wo bärtige Greise bemflht sind, einem gebeugten Aeltesten die Stufen herabzuhelfen. Redits dagegen unter den Säulen scheint Petras mit Christus im Gespräche zu stehen, ja so- eben im Begriff auf den Wink des Meisters davon zu gehen, während andere Ghruppen hier und da in der Halle vertdtt sind, das Bild eines Öffentlichen Versammlungsortes zu beleben, den der Maler nach antiken Reminiscenzen oder Ruinen des christlichen Rom wieder aufzurichten versucht hat.

Der DurchbHck durc h die Hallo und die Bew^illtigung perspek- tivischer Schwierigkeiten, bei denen es durchau.s in'i ht ohne Irrtümer im Einzelnen und Verwirrung in den durchkreu/endon Linien des Aufrisses abgegangen ist, behalten für den Kindruek des Bildes das rebergewirht, das sie in der Arbeit dos /.(Mehners beansprucht. Die Figuren sollen in richtigem Verhältniss zu diesem Scliauplatz er- scheinen; sie sind deshalb in einem so kleinen Mafsdab gegeben, dass «e fast nur wie Staffage wirken. Aber sie sind mit Ausnahme des betenden Jünglings vom, der nur mit einem Schurz bekleidet ist, und des Kranken im Hemd, allesamt in weite Gewänder gehOUt, mit der deutlichen Absicht auf malerische Breite. Auch darin er- kennen wir den Charakter des Experimentes bis hinein m unvollendete und aufgegebene Partieen des Hintergrundes und Andeutungen mannich£altigcn Nebenwerks in den Praspekten.

So angesehen, als Probest ü' k, behält das Bild auch in s^nem jetzigen vielfach entstellten Zustand, der ein sicheres Urteil kaum mehr erni< »j^licht, doi h als Urkunde für die Entwi( klung der Malerei zu Anfang des Quattrocento eine gewisse Wichtigkeit. Unverkenn- bar ist dieser Versuch durch die neuen (trundsät/e des hilippo Brunellcschi angeregt. Die Architekturformen sind noch übermässig schlank und schwank; aber so bleiben sie bei Ghiberti, wo er auf seinen BronzetOren antike Halten nachahmt, immerdar. Darin vet' rät sich auch hier die Erbschaft des Trecento, dessen gotische Bildung doch entschieden abgelehnt wird. So sehr jedodi der Obergaden des Mittelschiffes schon an Bauten wie S. Lorenzo er-

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Am Wendepunkt des Strebens

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innert, oder gar auf Fra Filippos Vcrküiulijrun^sbild in dieser Kirche wiederkehrt, ja dem Pulasto des I heophilus in der Auferweckung- des Knaben von Masarc io nicht fern steht, so vielfach sind die Be- fangenheiten der l)isherii4en R.mmdarstellung aus der Schule der Trccentisten, wie Angt lc daddi und SpincUo Arctino, dem Gelingen des Ni uen noch hinderlich.

Ganz ähnlich verhält es sich mit der Konipt)siti()n und der Grestaltenbildung im Einzelnen. Manches findet in Reliefgebilden Gbibertis schon eher seines Gleichen als in GremOlden jener Zeit, deren Gestrecktheit der Ftoportion, deren willkOrliches Geschlängel der Draperie bereits vermieden wird. Wir empfangen auch hier den Eindruck einer Uebergangsleistung, einer Studie für allerlei Probleme, aber zugleich die Ueberzeugung, dass sie einem begabten Künstler angehört, der aus erlernter Schultradition herausgewachsen mit schnellen Schritten zur Eroberung eines neuen Standpunkts vorwärts dringt. Jeder Schritt bedeutet einen Zuwachs seines eignen Könnens, jede kleine (iruppc. an ihrer Stelle im Räume hingesetzt, einen Erfolg auf dieser Bahn, selbst wenn ebfudadurch, auch in flüchtiger Ausführung schon, Uugleichniüssigkeiten entstehen, die unvermittelt bleiben, und deshalb v( rbiet(«n, die letzte Hand daran zu legen, um schlitHsli( h ein (ianzes zu erreichen, (ieradc deshalb erscheint es völlig ausgeschlossen, angesichts dieser Tafel an eine trügliche Nachahmung oder an das misratenc Machwerk eines Nach- folgers zu denken. Darüber kann auch der 4raunge Zustand der Tafel nicht irre machen, der immerhin doch erkennbar läfst, dafe die ursprünglidien Eigentflmlidikeiten der Technik vollkommen mit der Datierung und Zuschreibung Obereintreffen. Das Ganze war so nur in jener Entwickelungsfdiase der florentinischen Kunst möglich, wo die Malerei durch Masaccios und Ucccllos Bemühungen im Sinne Brunelleschis aus der kindlichen Andeutung der OertUchkeit zur perspektivischen Konstruktion des Schauplatzes wir- zum richtigen Verhältnis zwischen Architektur und Menschen gelangte. Aber auch in dieser Reihe erscheint es als ein Versuch, der als Bild nie völlig ausgeführt sein dürfte.

Fragen wir bei der aufTallenden Verbindung der beiden fein- knochigen Gestalten mit etwas hölzernen Gliedmafsen und der vielen untersetzten Gewandfiguren von malerischer Breite nach einer ge- naueren Bestimmung seiner Entstehungszeit, so leuchtet auch hier die mannich&ltigste Beziehung des Bildes zu den Meisterwerken der Brancaccüupelle, wie zum Fresko in S. M. Novella ebenso ein wie zu den Tal^ von) Altarwerk aus Pisa und zum Greburtstagsteller in Berlin. Nichts aber dürfte dnen festeren Anhaltspunkt im Schaffen

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KiNREIHUNG DES GEGENSTANDES

Masaccios gewähren als der Gegenstand der Darstellung selbst, den wir vor uns haljen. ,.11 Cristo che libora lo indini<>ni;an" sagt Vasari; die (ieschichtc vom bisossenen Knaben steht im Evangelium des Matthäus (XVII. 14) unmittelbar hinter dor Verklarung Christi auf Tabor. Deshalb hat Rafad den \ tTs^rcblichon Versuch der Jünger den bösen Geist /u baniu ri mit der Darstellung <ler Transfiguration auf einem Bilde vereinigt. Und auf die Austreibung des Dämons durch den Machtspnich des Meistefs adbat folgt nnmittdlMr die Geschichte mit dem Zollgroschen zu Kapemaum, die Masacdo so ausfikbrlich auf dem grolsen Brdtbilde der Cappella Brancacd er- zahlt Das heifst der Gegenstand dieses perspektivischen Probe- stückes geh<Vrt mitten hinein in die biblische Erzfthlung, aus der die Momente zum Leben des Apostels Petrus für den Freskenschmuck der Kapelle ausgelesen wurden. Die Wahl gerade dieses sonst nicht geläufigen Vori^- atigs führt uns mitten hinein in die geistige Beschäftigung des Malers, in die Periode seiner Laufbahn, wo er mit den \'orarbeiten für die Wandgemälde beschäftigt war.

Und sc hlagen wir das Kapitel der Legenda aurea „De sancto Petro apostolo" auf, so beginnt jene Aufzählung des Panegyricus, die iiix h heute wie eine Reihe von Tituli aus dem Liber Clementis hervorklingt: „Ilic super mare ad dominum ambulavit, in domini transfiguratione et puellae suscitatione a domino electus fuit, staterem in ore pisds invenit, daves regni caelorum a domino accepit etc.'* Die KleinglAubigkelt beim Gang über das Wasser zu Christus ,41 tempestoso naufragio degli apostoli*', wie Vasari sich ausdrackt, war in einem Bogenfelde der Brancacdkappelle geschildert Wie nun, wenn die folgende Reihe darunter, die audi die Bildfläche des Ein- gangsbogens einbeziehen konnte, für die Verklärung auf Tabor u.8.w. bis zur Findung des Stater und Einsetzung des SchlQsselamtes be- stimmt war, wie wir schon angesichts des grofsen dreiteiligen Breitbildes mit Christus unter den Jüngern in der Mitte vermutet hatten, dh. für uns liier, wenn die Transfiguration für die l.eibvuig des I' ini,Mngsl)Ogens in Ausl ieht genommen war, für die Stelle also, wo sicli jetzt die Vertreibung aus dem Paradiese Ix-hndet?

Dann hatten wir ja wol den nächsten Punkt gefunden, wo Masaecio sich im Anscliluss an die Verklärung auf Tabor auch mit der Heilung des mondsüchtigen Knaben zu beschäftigen Venmlassung hatte. In der Tat erscheint das Gesprach zwisdien Christus und dem Apostel redits in unserm Bilde, wo der Mdster ruhig steht, der Jflnger schon ausfchreitet zum Gehen, wie jener Moment, wo Petrus von der Forderung des Steuereinnehmers berichtet und den Auftrag empfangt, die Münze aus dem Fischmaule zu holen, hier

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Verknüpfung mit der FrOhzeit

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noch in genauerem Anschluss an die Worte der Schrift, von denen das grofse Fresko so bezr-irhnend abweicht.

T'^nd ausserdem, der ( hristus in jenem Me isterwerk ist noch kenntlich als hervortfevv arhscn aus dem „( risto ehr libera lu in- demoniato", der 1 i.iuptpcrs« m dirscr „istoria <li Hgure piccole in casa Ridolfo del (ihirl.mdajo", wir die kleine Schaar der Apostel hier schon deutUch genug, wenn auch in unentwickeltem Zustand noch, die berflbmte Reihe von Gottesmännern auf dem Fresko der Brancaccikapelle vorUldet Nehmen wir dann Maria und Johannes unter dem Kreuz in S. M. Novella und die vier kleinen Heiligen vom Altarwerk fiOr Pisa (bei Charles Butler. Esq.) hinzu, so er- klflren nch die Gewandfiguren hier, wie der vorderste Kapuzenträger links, der das traditionelle Kostüm der Rfircaccio-Porträts zeigt, eben- so wie der tänzelnde Kranke im Hemd und der knieende Jüngling^ dessen Nacktheit wol ganz ein lielieben Masaccios ist, aus den ver- wandten Erscheinungen der Enthauptung Johannes des Täufers in Berlin oder der Taufe des Petrus im Carniinc

Verj^leicht man endlich die Häus<T und sonstigen Architektur- koulissen auf diesen anerkannti ii P.ildcni Masac( i<>s, den Kerker des Johannes und des Petrus zwischen den wiii/igcn kleinen Pyriimiden auf der Pisaner Predella, oder das W'.u liierhaus am Tor von Kaper- naum, sowie die Strafscnprospckte in Cappella Brancacci, so wird man inne, wie wenig nodi die Auffassung der Bauformen und ihres Ver- hältnisses zur Menschengestalt von dem mangelhaften Probestack hier abweicht, wird aber ebenso bestimmt erkennen, dals das Rund- bildchen mit den Gratulanten der Wöchnerin auf dem flOchtig ge- malten Desco da parto, gleidi wie jene Strassenprospekte der Al- mosenspendc und Schattenheilung, und vollends das Heiligtum der Dreifaltigkeit in S. M. Novella die letzte Meisterschaft in solchen Dingen bezeichnen, zu der Masaccio erst am Ende seiner Laufbahn gelangt ist. Die volle Erklärung für die Absichten, dio unser un- vollendetes, zur eijjfnen Uebunj>- im Anschlufs an die Darstellungen der Petruslegende entworfenes Historienbild, mit kleinen Figuren in der weiten Basilika, an der angewiesenen Stelle bestimmt haben, das praktische Verständnis des I laupt{>ri tblenis, das sich dem Maler im V'erfolg seiner Arbeit aufdranj^^le, dazu finden wir den Schlüssel erst beim Pförtner des Klosters, am Ende jener Procession der Sagra del Carmine: „avendo saputo mettere tanto bene in sul piano di quella piazza Tordinanza di quelle genti, die vanno diminuendo con proporziene e giudizio secondo la veduta dell' occfaio, che h proprio una maraviglia", dh. hier die vollendete Losung, „uh artificio a ogni intendente**, und die Vorbereitungen drinnen in der Kapelle

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Masaccio oder Masolino

selbst, in der Ilcilun^'^ des Lahmen an der Pforte des Tempels und der Auferweckung der l'abitha mit dem freien Platz in der Mitte und der Strafsonflucht links und rechts im Hintergrund, dh. in einem WandgemäUlo. das Vasari dem Masolino zuteilt.

Das hriist. wir werden an dem Ausgangspunkt unserer Be- trachtung, an derselben Stelle, wo sich die Vertreibung aus dem Paradiese dem Sflndenfidl gegenüber befindet, und schon die Frage aufdrängt: «wie kommen diese Darstellungen in das PetrusheUig- tum?" auf die Streitfrage aber den Anteil des Masaodo und Masolino an diesem BUdercyklus, und damit auf die früheren Jahre Masaccios zurückgewiesen, deren Erörterung der folgenden Studie überlassen bleibt

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Lieferung II.

Verzeichnis der Tafeln

I.

Brancacci-Kapelle Florenz Curmine. Obere Reihe.

1) Die Geldlichte vom ZoUcroiclieB.

2) Die Vertteibnog tau dem Ftoedieee. 8) Die Predigt ^

•n der Altarwend.

4) Die Taufe

Untere Reihe 6) Almoseospende \ ...

6) Sdurtte-heilanj

7) a. Petrus in Catheilra v b. und Erweckaog des Knaben. \

IL

Einseiarbeiten an veradtiedenen Orten.

8) La Sagra dd CfenaiiMk

Dom. Chirlandajo. (Uffitien).

9) Desco da parto, Berlin. K. Muaeeo.

10) S. Andrcaa, (Wien)

11) Vier Heilise (England) 19) Martyrinm des Petrus l Altenrtrk

Johannes

von Pisa

des Täuiers (Ikrlin^

13) Anbetnng der Magier

14) Heilong des Beteaaenen, BrUtMl, bei Mr. Soroate (nadi Zeidiaaqg.)

m.

AltanvMlc am 8. M. Maggioft in Ron

(Belk«e «m Liefbniag III) 16) Cmdfizas mit Maria und Johaime«

(Rom, Vaticana.j

16) Himmelfahrt Marias iNeapcl

17) Gründung vun S, M. Maggiore IMtiaeo.

18) Beetattnng Marias (Rooif Vaticana.)

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SCHMARSOW

MASACCIO-STUDIEN

DKITTES BUCH

MASACCIO

STUDIEN

VON

(

AUGUST SCHMARSOW

MASOLINO ODER MASACCIO ?

(MIT 13 LICHTDRUCKEN)

1898

Th. G. Fisher & Co. KASSEL

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MASOLINO ODER MASAGCIO?

DIE STREITFRAGE

IN OER

CAPPELLA BRANCACa ZU FLORENZ

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Inhalt

Seite

I. Cipptlb BmmoA itt S. IC dd Cmm 1-16

n. Die cnte Gfopp» der cAelteMO Wandgeiiiilde >7*-64

|Hdta«teLd». ,-«,

\ ErwedEonK Tebitfaee so—

Die DoppdbiM ab Ganeec >5~3i

s) Der SflndenM 3>— 39

FetiM «od Ffealns ea Ofipdb Sene^ 39— 40

Cemeiaeeie IBSffmAtSbm der Wandbilder reditt 41—43

Du Tafelbild in d^r Akademie 43— 'SO

3) Die Predigt des Petras SO— S3

Beziehungen zu andern Arbeiten (Fragmente in Pisa, Wien und firaniflsischem

Privatbesitz) 53 55

Das Fresko m Empoli 56 60

Eigebnine 61 64

nOL Sonstige TaMfafUcr 65—88

Ztrd Madomien H— ^74

Cappeilettn in S. M. Uaggioce sa Rom 74—88

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L. DöU in Cassel.

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^ MASOLINO ODER MASACCIO

4^ CAPPELLA BI^ANCACO ^

TTnsere Aufgabe, die strittigen Wandgomaldc dor Brancarci-Ka- pelle in S. Maria del Carmine zu Floren/ /wisrhon den Meistern zu verteilen, die nach zuverlässiger UebiTÜcterung darin gemalt haben, furt uns zurück in den alten Backsteinbau der Kirche, von dem im Neubau nadi dem grossen Brande von 1771 nur nodi wenig Bestandteile vorhanden sind, zurück jedenfiUls zur Einweihung am 19. April 1422, deren Andenken durch Masaccios bcrOhmtes Fresko hn Klosterhof noch während zweier Jahrhunderte lebendig blieb, d. h. in jene Tage, wo in Florenz zwei Maler namens Tommaso oder in fiblidier Abkürzung Maso neben einander wirkten, so dass man, bequemer Unterscheidung zuliebe, sie nach augenfälligen Merkmalen ihrer Person als Masolino und Masacdo, d. h. den kleinen und den grossen Toms bezeichnete.

Die Kapelle der Brancacci, um die es sich handelt, war bei jenem Brande verschont geblieben. Noch kurz vor diesem furcht- baren Ereignis, das ein reich geschmücktes Denkmal zerstört und damit den Einblick in die Kunstgeschichte des Ueberg-angs vom vierzehnten ins fünfzehnte Jahrhundert so vielfach erschwert hat, be- richtet Richa im zweiten Teil seiner »Notizie istoriche delle Chiese Fiorentine« (X, 17 ff.) 1752: Wappenschilder der Brancacci im Mauerwerk ebenso wie schriftliche Nachrichten bezeugten, dass der linke Kreuzarm der Kirche von ihnen gestiftet sei, während am Glockenturm das Wappen der Alberti den Anteil dieser alten, seit 1387 verbannten, Familie Icenntlich mache. Den Kopf des linken Kreuzarms vom Hochaltar aus gegen das Kloster und wdter gegen Porta S. Frediano zu, bildet eben die vielgenannte Brancacci-Kapelle. Schmarsow, IfMacdo^tudiai III. 1

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Cappella Bramcacci

Ihr gegenüber lag die Cappella del Crocifissino«, so genannt nach dem »Crocifisso dclla Provvidenza* oder »doli' Alberto Bianco«, das 1636 dann in die Cappella Ferrucci, neben dem Hochaltar links, übertragen ward, nur einen halben Braccio hoch, wie Richa an- giebt >stanipato in sula carta.i Diese Kapelle gehörte ursprünglich den Soderini, kam dann aber in den Besitz der Serragli, als diese Familie ihr Patronatsrecht am Chore, der 1318 noch den Nerli ge- hört hatte, den Soderini überlieaaen, um dagegen diese Kapelle in der Kirche selbst und die der hL Lucia in der Sakristei einzutauschen. Schon vor diesem Besitzwechsel hatten die Serragli die Ausstattung des Chores» dessen Schranken inmitten der Kirche bis 1568 standen, mit Ausname nur des steinernen, von den Martellini erricliteten Eingangsbogens, als Denkmal ihrer Frömmigkeit hinterlassen. Die Balkendecke des Chores liess Andrea Corsini, Bischof von Fiesole, herstellen, wie zwei Inschriften von 1365 und 1366 besagten.

Die Wände der Chorkapelle wurden dann, im Auftrag der Soderini') von Angiolo Gaddi mit dem Marienleben geschmückt, das allerdings nicht den Erwartungen entsprach, die man von ihm hegte. Die einzige DarsteUung, die Vasari darin lobenswert findet und beschreibt, ist ein Genrebild, das ausserordentlich bestimmt schon die Richtung der Uebcrgangsperiode bezeichnet: Maria als junges Mädchen bei der Handarbeit mit zalreichen Gcfärtinnen: >in una stanza sono motte fanciulle che, come hanno diversi gli abiti e Tacoondature del capo, secondo che era diverso l'uao di que'tempt, cosi fanno diversi esercizj; questa fila, quella cuce, queU'altra incanna, una tesse, e altre altri lavori, assai bene da Angelo considerati e condotti«.

Etwas froher schon war &ar die Ausmalung der Kapelle neben dem Hodialtar gesorgt, die den Manetti gehörte*). Am 30. Oktober 1350, wie schon am 28. September 1348, hatte Vanni Manetti in seinem Testament bestimmt, dass die Kapelle Johannes des Täufers,

die er im Carmine errichtet, so schön wie möglich ausgemalt, ge- schmückt und ausgestattet werde. Vasari schreibt diese Wand- gemälde, von denen noch einzelne abgenommene Ucbcrreste in Liverpool, London und Pisa vorhanden sind dem Giotto selber zu. Aber die erhaltenen Fragmente wie das Datum des Testaments von

1) In Oioff befand sidi Midi dm Grab dn Mkoolö Gcii Soderini f 1381$ der •Ifo wol «b Stüter aamidien ist, so den wir ein Detnm fBr die Entitehung der Malerei gewinnen.

*) Boccht, Bellezze di Firenze, giebt an, die Cappella Manetti liege neben dem HodialtMr n oonm cpiilolae.

*) Vaiari Opere I p. 376 Crowe n. Cavalcaadk I, $36 ff.

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CHIESA DEL CaRMINE

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dem die Datierung ausgehen muss, schliessen den Mdster aelbst aus und weisen auf seine Schüler, wie Taddeo Gaddi (f 1566) oder dessen Sohn Angelo (f 1398). Auf der anderen Seite des Hoch- altars haben wir dann die Kapelle zu suchen, an deren Wänden Spinello Aretino die Geschichte Marias fortgesetzt hatte: »In un altra cappella della medesima chiesa, che e accanto alla maggiore. fece Spinello« erzält Vasari im Loben seines Landsmannes »pur a fresco alcune storie dclla Madonna, o gli Apostoli qiiando, innanzi al trapassar di lei , le appariscono innanzi miracolosamcnte : e cosi quando ella muore e poi r portata in cielo dagli Angcli . Und da diese Darstellung in Hochformat sich mit der Niedrigkeit der Kapelle nicht vertrug, die nicht tiefer als zehn Braccien und iünf hoch war. so verlegte Spinello die Himmelfart in eine Reihe mit den übrigen Scenen neben der, wo Christus und die Engel sie empfangen, so wenigstens deuten wir die Worte: »£ perchi . . . la picdolezza della cappella . . . non capiva il tutto e massimamente Fassunzione di essa Nostra Donna, con bei giudizio fece Spinello voltarle nei Inngo della storia da una parte, dove Cristo e gli Angel! la ricevono« Die ausnemende Niedrigkeit der Kapelle spricht daf&r, dass ^e sich unter dem Glockenturm befand, also eine Stiftung der Alberti war, die denselben Meister auch droben in der Sakristei von S. Miniato und draussen auf ihrem Landsitz in Antella beschäftigt haben. Von Spinello rürten aber auch die Malereien in der Kapelle der Apostel Jacobus und Johannes her, die den Caponsacchi gehörte. Unter ihnen hebt Vasari die Begegnung der Mutter beider Brüder mit Christus hervor, die für ihre Söhne die besten Plätze im Himmel erbittet, und die Berufung beider Jünger von den Netzen ihres Vaters Zebedäus, con prontezza e maniera mirabile.

Die berOmteste Kap^e von allen, die um die Vierung herum- lagen, war jedoch ausser der Brancacdkapelle <üe der Pugliesi, die von Gherardo Stamina mit Geschichten ihres Titelheiligen & Hieronymus ausgemalt war, und zwar in Fresko sowol an den Wanden wie am Altar« Nur der Letztere mit der Darstellung des Todes dieses Heiligen war zur Zeit Richas noch ttbrig. Vasari aber erzält (II. 7.), Stamina habe in dem Bilde von Paola und Eustachio mit S. Girolamo einige Trachten dargestellt, die damals bei den Spaniern Mode waren, und sich durch angemessene Erfindung und sinnreiche Mannichfaltigkeit im Gehaben der Personen ausgezeichnet So sei beim Schulgang dos Knaben Hieronymus die Züchtigung eines andern durch den Schulmeister als Gegenstück vorgeführt

') Die Wiederholung bei B«nozzo Gozzoli in S Gimißnano im Leben S. Angustins giebt wol noch eine Idee tod diesem »maestro che, fatto Icvare a cavallo ud fandullo

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Cappella. BrancacoI

beim Testamentmachen des Heiligen besonders die Aufinerksamkdt

der Hörer und Schreiber sohr gelungen.

Das Langschiff der Kirche, dessen Wölbung erst am 16. De- cember i jsg jreschlossen wurde, war dagegen gfanz ohne Seiten- altärc, und von J-oron/o di Bicci dekoriert. Nur die Schlusswand vorn hatten die Ardinghclli zum Gegenstand ihrer Fürsorge auserkoren. Sie Hessen die Bekleidung der Fassade mit grauem Sandstein be- ginnen, gelangten aber nicht über das Portal hinaus. In seinem Testament hatte indessen Chiaro Ardinghelli 1377 wenigstens noch eine Summe ausgesetzt, von der die Capitani di Santa Maria del Kgallo die erste Kapelle rechts vom Antretenden herstellen und aussdunttcken Hessen« Im Jahre 1400 wurde die Wandmalerei von Lorenzo di Salvi vollendet, w&hrend Don Lorenzo Monaco die Altartafel mit der VerkOndigung lieferte >)•

Einem Spätling der Trecenstoschule wie Lorenzo di Biod, der die Gew<ttbe des Langhauses ausgemalt haben soll, gehören auch, wie Crowe und Cavalcaselle mit Recht vermuten, die Malereien der Sakristei, und wie wir meinen auch das Fresko im Klosterhof mit der Madonna imd Heiligen in breiter spätgotischer Umrahmung, das die selben Forscher mit Unrecht für Giovanni da Milano in An- spruch genommen haben, dem es auch der Cicerone noch zuweist

Da auf Betrieb des Francesco Soderini am 19. April 1422 die feierliche Einweihung der ganzen Kirche durch den Erzbischof Amerigo Corsini, unter Assistenz des Benozzo Federighi, Bischofs von Fiesole, und des KarmeUterbniders Antonio del Fede. Bischofs von Soana, vollzogen werden konnte, so wird der BaukOrper rings- um, besonders mit seinen Kapdien am Querhaus damals gewiss fertig gewesen sein. Das heisst audi die Cappella Brancacd, in der das wundertätige Bild der Madonna del Popolo verehrt ward, stand da und war dem Kultus abergeben. Ja, schon im Jahre 1406 wurden die Siegestrophften aus der Schlacht gegen die Fisaner als Dank fOr den Beistand vor diesem Bilde aufgehftngt

addosso un altro, lo percuote con la sferza di maniera, che ii povero putlo per io grua dulo mmwlff le gambe pwe die fiMudo tenti nordeie «b araoduo a cdal die lo tlcMu n che taU» com gresie e owlto Icgpednineiite eipmee Ghenndo oone oolni dw aadsva ghiribizzando intorno alle cosc della natun.c >J MiUncfi zu Vasari Opere II. 29 Anm.

*) Rieb« bat S. 89 die Notiz: si dice aaoor» che fouevi in quetto cbiottro osa lladoam dl beworiHero di Doaeldlow

Jetzt befindet sich Uber dem Alttf ttett jeoet GaedeBbSdes, das schon 1279 >o* Besitz des Klosters dcl Carmine erwähnt sein soll, eine Halbfigur in Terracotla von dem sogenaonten »Meiater der Pellesrini-KapeUe« in S. Anastasia zu Verona, d. h. von einem flovnrtteliAcB ZaUgiaamm de« Lorano CHiiberti und Jaoopo della Qoeida.

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Cappella Brancacci

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Wenige Monate nach der feierlichen Sagra del Carmine, am

26. Juni 1422 errichtete Feiice di Piuvichese Brancacci, im Begriff als Gesandter seiner Vaterstadt zum Sultan nach Babylon zu reiflen, sein 'festament, in dem er für den Fall seines Ablebens seinen Vetter Gaspare di Silvestro und die Söhne von dessen verstorbenem Bruder BartoU^mmeo di Silvestro, nebst Giuliano di Giuliano di Tommaso Brancacci zu Erben aller seiner Rechte einsetzt, und ihnen die Fürsortre für die Kapelle überträgt, von Malereien darin jedoch nichts verlauten las.si. Der Testator kehrt indessen selbst glücklich aus dem Orient heim und erscheint, wie schon erwähnt worden (II. 59), 1425 als Gesandter in Siena, 1426 als Kommissar der Florentiner im Lager bei Bresda, wo er bis zum 6. November verbleibt, um vom 26. November bis la Deoember abermals in Siena zu wirken.

Die ältesten und zuverlässigsten Nachrichten die wir Ober die Mal«rden der Brancacci-Kapdle besitzen, finden «ch in der Schrift des Antonio Manetti »Uomini singolari in Firenze dell MCCCC innanzi«') und im sogenannten »IJbro d' Antonio Billi,« das in

verschiedenen Reproduktionen vorliegt*).

Der Erstere schreibt in der Notiz über Masaccio: »fece in Firenze nel Carmino uno Santo Pagolo tra la cappella de' Serragli (ch'e dov'c S. f) [= crocetisso] c la cappella dipintovi la storia di Santo Girolamo, hgura maravigliosa .

»Dipinse nella cappella de' Brancacci piü storie, el mcglio che v' e:6 dipinta di mano di 3 maestri tuUi buoni, ma lui maraviglioso«

Der Codice Strozziano hat fol 78° in der Nachricht über Masolino: »Costuj dipinse insieme con masacdo [la cappella] de Brancaccj nel Carmine di firenze«.

»Fece ntü Ourmine nd frilastro ddla Cappella de SerragU u(n)o s(ant)o piero«.

Die drei Maler, die Antonio Manetti mehit, nennt uns Fran- cesco Albertini in seinem »Memoriale di molte Statue et Picture sono nella inclyta Cipta di Florentia« von 151a

»Sancta Maria del Carmine e antiqua et devota, lunga brac 143, n^ quäle sono picture di antiqui maestri: et maxime nel

*) Operette istorkbc di Antonio Manetti cd. Milancsi, Firenze 1887 p. 165. ') Vgl. Coroel v. Fabriczy, Filippo BtuncUe5cbi, Stuttgart 1892 p. 490.

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Cappella Brancacci

primo claustro sopra la porta per mano di Tho. Masacci et la cappella de" Brancacci meza di sua mano et l'altra di Masolino excepto sancto Pietro crucifixo per mano di Philippe. El sancto Pietro allato alla cappella dello Starnina e per mano di Masolino et sancto Paulo di Masaccio.« ')

Darin haben wir den ersten Versuch zur Abgränzung des Anteils: nach Abzug der späteren (schon technisch leicht erkennbaren) Zutat des Filippino Lippi, die bei Albertini allzu kurz als Kreuzigung^ Petri bezeichnet wird, soll Masacdo die eine und Masolino die andre Hfllfte der Kapelle gemalt haben. Es fragt sich nur, wo die Halbierung liegt

Dann kommt Giorgio Vasari, dessen Text in aller Händen ist. Er unternimmt es, über Albertinis Angabe hinauszugehen, indem er Darstellungen namhaft macht, die dem Einen und andre, die dem Andern gehören sollen. Aber er schreibt flüchtig, aus dem Gedächtnis, würfelt einige Scenen der Legende zusammen und lässt andre Stücke der Malerei ganz unerwänt.

Im Leben des Masolino erzält er: ^im Carmine machte er zur Seite der Cappella del Crocifisso die Figur des S. Petrus, die man noch dort sieht«. In gewohnter Weise verknüpfend fügt er hinzu: das Lob, das diese Gestalt bei den Künstlern gefunden, sei Veran- lassung zu dem Auftrag geworden, die Brancacdkapelle mit Geschichten des Petrus auszumalen, eine Aussage, die wir vorerst auf sich beruhen lassen, da Vaaari sicher nicht ftlr diese Motivierung ein- stehen konnte und nicht einmal das Faktum verborgt, dass die Kapdle einfech dem Masolino in Auftrag gegeben sei. Dagegen erkennt er, als historisch unterrichteter Künstler, nur einen Teil des ganzen Freskoscbmuckes als Arbeiten des Masolino: »er führte mit grossem Fleiss einen Teil zu Ende«, und zwar *an der Wölbung die vier Evangelisten«; femer »wie Christus Andreas und Petrus von den Netzen ruft s dann »sein Weinen über die Sünde, Christus verläugnet zu haben i. . , .

Alle diese Bestandteile sind nicht mehr erhalten ; denn die Wölbung wie die anstossenden drei Bogenfelder waren schon im i8. Jahrhundert durch Feuchtigkeit so zerstört, dass 1747 Vincenzo Meucd beauftragt ward, an der Decke die Eradielnung der Madonna del Carmelo vor Simon Stock zu malen, wahrend Carlo Sacconi die LOnettenbilder durch aufgemalte architektonische Ornamente ersetzt hat*).

*) Amcabe von SdiOU ta Cnmt a. Omdcudle» D. A. Jovdaa, Bd. IL Anhang. •) Ridia, Chkte FfcNcatia« X (1762) p. 40.

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ÜBERUBFERTE SCHEIDUNG DES ANTEILS

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Dann aber geht Vasari auf eine der erhaltenen Darstellungen, links oben an der Altarwand über: ed appresso la sua predicazione per convertire i popoli . Wir k<')nnon also aus dieser Ortsangabe über die Predigt des Petrus den Rückschluss ziehen, dass sich das vorher genannte zunächst gelegene Bild der Reue über die Ver- läugnung* im Bogenfeld über der Altarvvand befunden habe, da zwischen dem Gewölbe und der rechteckigen Mauerfläche keine andre Stelle übrig bleibt Dieser Schluss wird auch bestätigt, wenn Vasari in der AufzSlung fortfthrt: »fecevi U tempestoso naufiragio degli ApostoH, equando San Pfero libera dal male Petronilla ana figluola; e neUa medesima atoria fece quando egli e Gri(yvanm vanno al tempio, dove innanzi al portico h quel povero infermo che gli ddede la limosina, al quäle non petendo dare nh oro nh argento^ col segno della crocie lo libera«. Das heisst, die stürmisdie Seefart der Apostel, bei der Petrus zu Christus über das Wasser schreitet, war das Lünettenbild über dem erhaltenen Hauptstück der Seiten» wand rechts vom Eintretenden, das sowol die Heilung des Lahmen als die Auferweckung der Tabitha (Vasaris Petronilla) umfEMSt, nella medesima storia, zwei Scencn in einem Brcitbilde.

Darnach bliebe für die zuerst genannte Scene, die Berufung des Petrus und Andreas von den Fischernetzen nur das Bogenfeld übrig, das sich über der andern Seitenwand der Kapelle, links vom Eintritt aus, befand, und damit wäre der Anfangspunkt für die Petruslegende, unterhalb des Kreuzgewölbes mit den Evangelisten- figuren, fest besdnunt.

Den SQnden£sül, am Eingangspfeiler rechts, nennt Vasari Über- haupt nicht, sondern scfaliesst: »le quali storie aopraggiunto dalla morte lasdd imperfette«.

Dieselbe Angabe begegnet in der Biographie Masacdos; aber bei der kurzen Rekapitulation im Leben des Filipfuno Lipp! stellt sich der Sachverhalt rund und nett heraus: »Costui . . . diede fine alla cappella de' Brancacci nel Carmine di Fiorenza, cominciata da Masolino e non del tutto finita da Masaccio per essersi morto«.

Dem Erklärungsbedürfnis Vasaris fehlte somit nur der Beweg- grund für die Unterbrechung der Arbeit Masolinos und den Ueber- gang des Auftrags an Masaccio. Diesen Beweggrund aber kennen wir heute: es sind andre vorlockende Aufträge, der Wunsch des Filippo de'Scolari, seine Stiftungen in Ungarn, besonders seine Kapelle in Stulweissenburg von einem fiorentinischen Künstler mit Malereien schmücken zu lassen, und ifie persönliche Werbung des Kardinals Branda Casttglione, der im Frühjahr 1425 durdi Florenz kam, und den Maler, der sich zur R^se nach Ungarn entschloss, zugleich für

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Cappella Brancacci

seine Kirche in Castiglione d'Olona verwendet hat. Wir wisson, dass Masolino am b. Juli 1425 in Florenz noch eine kloine Summe einkassiert hat, die ihm die Compagnia di S. Agnese delle laudi beim Carmine für eine Gelegenheitsarbeit schuldig war, gewiss schon im Begriff von daniien zu gehen. Im Spätsommer desselben Jahres müssen die Malereien am Gewölbe des Chores in der KoUegiatkirche von Castiglione d'Olona entstanden sein, die er mit seinem Namen Masolinvs de Florentia bezeichnet hat, als er, bei guter Jahres- zeit noch, nach Ungarn weiter zog. Denn dort hat er fttr Rppo Spano» der am 27. December 1426 gestorben ist, nodi bei Lebzdten dieses Bestdlers dw Grablcapdle vollendet, die dem florentinischen Gesandten Rinaldo degli Albizi schon im Mai dieses Jahres gezeigt ward.

Erinnern wir uns nun, dass der Stifter der Malereien in der Brancaccikapelle noch am 26. Juni 1422 in seinem Testament über die Kapelle verfügt, ohne die Malereien zu erwänen , die doch hAchstens angefangen gewesen sein könnten, also durch seine Sendung nach Babylon und seinen etwaigen Tod auf dieser Reise, grade mitten im Vollzuge gefärdet werden mochten, so gewinnt die Tatsache, dass Masolino sich erst am 18. Januar 1423 in die Zunft der Medici e Speziali zu Florenz eintragen Hess, besondere Wichtig- keit Es ist nicht wahrscheinlich, dass die kontraktlichen Ab- machungen zwischen ihm und Feiice Brancacci vor diesem Termin rechtsgiltig stipuliert worden sind.

IVIasolino kann nur zwischen 1423 und 1425, also jcdenfiiUs vor dem erhaltenen Cyklus der Dec kenbiklcr in der KoUegiatkirche von Castighone d'Olona seinen Anteil in der Brancaccikapelle gemalt haben. Diese Deckenbilder in Castiglione können allein als Mafsstab dessen betrachtet werden, was Masolino bis zum Sommer 14^5 leisten vermodite.

Schon nicht frei von Einwänden und Abzügen wäre die Zulassung des Vergleichs mit den Wandgemälden im Baptisterium von 1435; nur die Gewölbebilder und Idealfiguren, nicht die unteren Gesdiichten aus der Legende Johannes des Täufers^ dürfen herbeigezogen werden.

Vasari gicht im Leben des Masaccio die Notiz, dieser sei bei seinem Paulus am Pleiler der Capp. del Crocilisso beschäftigt gewesen, als die Kirchweibc statirand, das wäre im April 1422; doch darf man dieser Zeitbestimmung kaum grösseren Glauben acbcnlMii th den übrigen, die falf^n.

Fehler der bisherigen Kritik

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Dagegen ändert es nichts an dem Wert dieser Dokumente seines Könnens, wenn einzelne Forscher noch annemen sollten, die Deckcnbilder der Kollegiatkirche seien erst nach dem Aufenthalt in Ungarn bis 1427, also nicht 1425, sondern erst 1427 28 zu datieren Im Gegenteil : diese, unseres Erachtens unzulässige, Verspätung würde das Urteil, das darauf begründet wird, nur verstärken.

Die bisherige Kritik hat also den Fehler gemacht, auch nach der Auüeckung und der allmfthlichen Bekanntmachung der Fresken im Chor von Castiglione d'Olona, zu Vasaris Fttrung zurück zu keren, der von diesen unbezweÜelbaren Werken Masolinos ebenso wenig Kenntnis hatte wie von sdner ferneren Wanderung nach Ungarn. Nachdem nun vollends eine Vert^entUchung photographischer Auf- namen der Deckenbilder (zum ersten Buch dieser Studien) statt- gefunden hat, darf das \'erfaren sich durchaus nicht innerhalb der Brancaccikapelle allein vollziehen. Solange die Kritik sich darauf beschränkt, mag- auch die Erinnerung an Castighone gelegentlich hineins{)ieleii bewegt sie sich fortwährend in einem Kreise; denn ihre Schlussfolgerung \erwertet Vasaris Zeugnis als untrügliche Voraussetzung. Ihre Praemissen sind :

Vasari schreibt Dieses dem M;isolino, Jenes dem Masacciu zu;

Dieses unterscheidet sich stilistisch von Jenem, und sie zieht daraus den Schhiss:

Also ist Dieses Masolino's, Jenes Masaccio*s Eigentum, während höchstens gefolgert werden durfte:

Wh anerkennen den selben Untersdiied, der Vasari bestimmte, Dieses zum Anteil Masolinos, Jenes zum Anteil Maaaccios zu rechnen; aber ob diese Unterscheidung der Arbeiten zugleich die Unterschddung der Personen mit sich bringt, bedarf erst weiterer Begründung.

Seht» um Vasaris Urteil vollständig nachzuprüfen und im Ganzen zu verificieren, fehlt uns ein wichtiger Teil des damals Vor- handenen, fehlt uns grade Alles, was sich aus dem Umstände, dass Masolino die Ausmalung der Kapelle begonnen, sachgemäss als sein Eigentum ergäbe: nämlich der Anfang dieser Ausmalung von der Wölbung an. Es fehlen uns die vier Kappen des Gewölbes mit den Evangelistenfiguren sowie die drei daran anstossenden Bogen- felder mit den storie di San Pietro«, deren Anfang ebenfalls Masolino gemalt, ndmlich die Berufung des Petrus mit Andreas, die Klein- gläubigkeit, ab Christus ihn Obers Wasser zu stdi kommen Usst, der altoblichen Darstellung der »Navicella«, und endlich die Reue Ober die Verlaugnung des gefangenen Meisters im Hof des Pilatus, die wir nach Vasaris einsdtiger Betonung des Weinens nidit recht vorstellen können, ohne die Verläugnung selbst gegenOber dem

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Cappella BRANCAca

belastenden Zeugnis der Magd hinzu zu denken, etwa auf beiden Seiten des einspringenden Spitzbogens, in dem das Fenster der Altarwand ursprünglich gewiss geschlossen war. So erzält auch die Legenda aurea: ^negat Christum et de negatione poenitentiam agit« (vgl. Matth. XXVI., 69 f.)

Wir sind also garnicht im Stande zu verfolgen, wie weit die Be- hauptung Vasaris berechtigt war, diesen Anfängsbildern der Petrus- legende auch noch die Predigt an der Altarwand und das Breitbild an der rechten Seite als Eigentum Masolinos hinzu zu fügen, während er von dem SOndenfail ein&ch schweigt, wie bei Masaccio von der Vertreibung aus dem Paradiese. Und die Uebereinstimmung mit den unbezwdfelbaren Anfängen des Kapellenacimiuckes wfire doch der einzige Beweisgrund, der uns bestimmen könnte, das Urtdl Vasaris auch für herausgerissene Stücke der Wandbilder darunter als zwingend anzuerkennen.

Dagegen besitzen wir in den Malereien zu Castiglionc d'Olona, besonders in den bezeichneten Deckenbildern, so entscheidende Bei- spiele von Masolinos Kunst um die selbe Zeit, dass sie, sobald sich ein Widerspruch zwischen diesen Urkunden und Vasaris Meinung ergäbe, die letztere durchaus entkräften müssen, und uns nur ver- anlassen können, das selbst gebildete oder aus mündlicher Ueber- lieferung empfangene Urteil des Biographen ein ftOr alle Mal bei Seite zu stellen,

Vasaris» um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts gebfldete* Anädit ist um so bedenklidier, als sie zu der Alteren Tradition bei Francesco Albotini, der seine Aufstellungen als texaminate per mezo di homini degni di fede et di scripture antiquec bezeidinet, nicht stimmen will. Fr, Albertini hat sich selbst sogar, wenn auch noch so dilettantisch unter der Leitung des Ghirlandajo mit Malerei befasst, dh. Gelegenheit gehabt die Angaben eines Künstlers zu hören, der gew^iss zu den eifrigsten und eingehendsten Verehrern dieses Heilig- tums der Malerei zu rechnen ist, der vor dem Abschluss durch Filippino schon darin studierte. Albertinis Angabe: vmeza di Tho. Masacci et l'altra di Masolinos kann doch keine senkrechte Teilung in eine linke und eine rechte Hälfte meinen. Dann würde die Taufe, die unsere frühesten Gewährsmänner ausdrücklich als Masaccios Leistung rühmen (»unoche triema^ ebenso wie die Almosenspende darunter auf Masolino £Ulen, wie das Breitbild der Wand daneben, drQben dagegen hätten whr die Predigt Petri, die Vasart dem Masolino zutmlt, wie die Heilung durch den Schatten ebenso als Masaccios Anteil zu erkennen, wie die Geschichte vom Zollgroschen und Petrus in Catiiedra. Ausserdem wOrde das Bogenfeld mit der Berufung,

Albertinis Halbierung ix

dh. der Anfang der Legende zu dieser Seite gehören, wie auch die halbe Lunclte der Altarwand, und wir wüssten nicht, wie das Kjeuzgewölbe halbieren.

Albertinis kurze und bestimmte Angabe kann zunächst nur eine horizontale Gränze bezeichnen wollen; es fragt sich nur in welcher Höhe? Bis Hi die Mitte der Wandfelder kennen wir un- möglich herunter steigen, da auf diese Weise nach Abzug der Kreuzigung Petri und ihres Zubehörs für Filippino Lippi sicherlich keine Häl^ f&r Maaacdo flbrig bliebe, bei dessen Namen AlbertinI doch zu diesem Ausdruck greift. Er kann also die Grrftnze nur eine Reihe höher l^;en, so dass seiner Meinung nach die vier Gewölbe- felder und die drei Lünetten dem Masolino, die eigentlichen Wand- gemälde dagegen bis auf einen Rest Masaccio zukämen.

Wir hätten damit den vorläufigen Abschluss der Arbeit bei Masolinos Weggang aus Florenz ähnlich wie im Chor der Collegiata zu Castiglione, mit der Fertigstellung einer oberen Region anzu- setzen, die bis auf Weiteres dastehen konnte, ohne das Auge zu ver- letzen, und nach Wegräumung der Gerüste auch den Kultus nicht störte, bis die F'ortsctzung der Mnk^rci möglich ward. Solche Enklaven, wie sich nach Vasaris Abgrunzung herausstellen, würden sich dagegen nur durch ein plötzliches und unvorhergesehenes Abbrechen dear Arbeit erklären, wie er selbst es unwillkflrlich im Tode des Malers sucht Der Entschluss nach Ungarn su gehen und, auf dem Wege dahin, dem Kardinal Branda einen Gefallen zu tun, liess ihm Zeit seine Angelegenheiten zu ordnen, also auch das Abkonmien mit Feiice Brancacci zunftgerecht zu lösen. Möglich, dass er selbst den Masaccio als Ersatzmann gestellt oder dem Auftraggeber empfolen: die Zumutung, ein paar Stücke wie die Predigt an der Altarseite und das Breitbild mit der Heilung des Lalimen und Tabitha in die eigne Arbeit hineinzunemen, wäre gewiss für einen Nachfolger von so selbstständiger Art, wie Masaccio, ein unerträgliches Opfer ge- wesen, das wir der Langmut dieses ausgeprägten Charakters nicht ohne Weiteres zutrauen dürfen. Es sei denn, dass die Gemeinschaft beider Meister damals noch auf einer Stufe gestanden wäre, die all jene entschiedenen Eigenschaften Masaccios, die seine spätem Werke deutlich o£fenbaren, noch unentwickelt gelassen.

Dazu kommt aber noch Eins: die Einschaltung der beiden schmalen Gegenstücke »SOndenfallc und tVertreibung aus dem Paradiese« an der Laibung des Eingangsbogens der Kapelle, d. h. die Auihame zweier Scenen, die mit der Petruslegende gamichts zu schafiFen haben. Mag der Sttndenfall dem Masolino oder dem Masaccio gehören, er bedeutet immer einen Bruch mit dem ursprOng-

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12 Cappella BRANCAca

liehen Programm und schneidet an dieser Stelle, nachdem die Bogen- feldcr schon mit dem Anfang der Petrusg-eschichten gefüllt waren ^ sehr auffallend in den gegenständlichen Zusammenhang des Ganzen hinein. Die Gegenüberstellung dieser beiden Eingangsbilder beur- kundet also an derselben Stelle, wo die horizontale Halbierung zwischen Maaolino's und Masaccios Anteil im Sinne Albertinis be- ginnen mflsste, einen Wendepunkt in der AusfiQrung, einen neuen Anlauf, der das ursprüngliche Programm doch gewiss nicht ohne Zustimmung des Auftraggebers beträchtlich verschob.

Die oberen drei Scenen, die in den Bogenfeldem Platz ge- funden hatten, sind im Matthäus- Evangelium erzftlt: die Berufung des Apostels Kap. IV, der Gang über das Wasser bei der stürmischen Seefart Kap. XIV und die Reue über die Vcrläugnung Kap. XXVI. Ausserdem ist unter den vorhandenen Bildern nur die Geschichte mit dem Zollgroschen noch aus dem Evangelium entnommen, während die Predigt und die Taufe, wie die Wundertaten hernach, den Acta Apostolorum angehören, die letzten gar erst der Legende. Ziehen wir die Legenda aurea zu Rat, wo die Ruhmestitel des Apostels Petrus wie in einem Hymnus epigrammatisch aufgezält stehen, so folgt auf die altberümte Scene mit der Navicella »hic super mare ad dominum ambulavit« nicht sogleich die Gesdiichte mit dem Zoll- groschen : »staterem in ore fuscis invenit«, wie in der Kapelle Bran- cacci, wenn die Reihenfolge der Bilder alternierend zwisdien beiden Hauptwänden verliefe, sondern erst: »in domini transfiguratione et puellae suscttatione a domino electus fiiit«, d. h. die Verklarung auf Tabor und die Auferweckung von Jairi Töchterlein. Die letztere würde, als Wundertat Christi, der Auferweckung Tabithas durch Petrus, die in einer Kapelle dieses Apostelfürsten notwendiger war, allzu ähnlich gewesen sein, so dass man sofort begriffe, weshalb sie weggelassen ward. Die Verklärung auf Tabor w'äre jedoch, schon als Erhöhung des Meisters, sehr wünschenswert gewesen. Auf sie folgt bei Ja(obus a Voraginc dann unmittelbar: »staterem in ore piscis invenit die Hauptdarstellung der Kapellenw and links, so dass die Stelle, wo jetzt die Vertreibung aus dem Paradiese steht, am Pfeiler des Eingangs, für die Verklärung bestimmt sein mochte. Dann aber folgt »daves regni caelorum a domino accepit, pascendas oves a Christo susoepit», d. b. zwei Momente von derselben Be- deutung und Unentberlichkdt in der Verherrlichung des Petrus, dass wu: das ursprüngliche Programm gewiss nicht vollständig dächten, wenn nicht wenigstens Einer daiüi vorkam. TDüb Schlüssel- übergabe wird mit dem Worte Christi bei Matthäus Kap. XVI be- legt, das unmittelbar vor der (Kapitel XVII erzälten) Auffindung

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ÜRSPRÜNGUCHES PROGRAMM 13

des Siater vorhergeht. Denken wir uns den Auftritt im sdiriftlichen Verzeichnis der Bestellung beim Maler an dieser Stelle eingeschaltet, 80 würde der Doppelacene drüben, der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas, gegenüber auch hier eine Doppelscene gedacht sein: die Einsetzung des Schlüsselamts und die Auffindung des Stater. Genau so sind noch heute die letzten Breitbildcr \on Masaccio und Filippino disponiert: Filium Thcophili in vitam restituit et in cathedra positus est auf der einen Seite; \'crurioilung und Kreuzigung auf der andern Seite, so dass auch hier die alternierende Reihenfolge zwischen den Wänden, von oben nach unten ab- steigend, steh wieder bestätigt

Auf die Grescfaichte vom Stater fdgrt im angezogenen Kapitel der Legenda aurea: »Tria milia hominum in pentecoste sua predi- catione coovertit«, wie in der Kapdle, die Zweitdlung fortsetzend, an der Altarwand die Predigt, als Ursache, und die Taufe, als TKHrkung, links und rechts vom Fenster stehen. Dem entsprechend salicn wir darunter die Bestrafung des Ananias mit Sapphira und die Heilung durch den Schatten als Ge:>cnstOckc zu den Seiten des Altars , und zwar nach dem V, Kapitel der Apostelgeschichte (v. I 10 u. V. I S ff-\ wahrend auf die Taufe im II. Kapitel der Acta zunächst die Heilung des Lahmen im III. folgt, wie hier an der Seiteiiwand der Kapelle, und die Erweckung der Tabitha aus Kap. IX, V. 36 als Steij^^orung daneben erhalten hat, besonders da im selben Kapitel die Heilung des paralytischen Aeneas (v. 33) un- mittelbar vorhergeht, die, der Aehnlichkeit mit dem Wunder an der Tempelpforte wegen, nicht zu besonderer Darstellung geeignet war. Das gleiche Verferen erklärt die Ausscheidung der Taufe des Hauptmanns G)nie]iu8, die daselbst Kap. X berichtet wird. So be- greifen wir die Auswal aus der Fortsetzung des Festcantus bei Jacobus a Voragine: »Ananiae et Saphirae mort^ praedixit Aeneam paralyticum curavit, Comelium baptizavit, Tabitam suadtavit, umbra sui corporis infirmos sanavit« und stossen nun auf den Schluss »ab Herode incarceratur, sed ab angelo liberatur«, eine ähnliche Antithese, und zwar nach dem XII, Kapitel der Apostelgeschichte (v. 3 10)

Die Befreiung aus dem Kerker durch den Engel steht noch heute am Eingang der Kapelle rechts, von Filippino Lippi gemalt, und drüben ebenso die erste Seeno, die srhon zur spätem Legende von der Erweckun^r des Fvirsteiisohnes in Antiochien gehört, - Petrus im Kerker von Paulus ermutigt«^, das Wunder zu wagen, das der Fürst Theophilus von ihm verlangt, nämhch die Wiederbringung des vor vierzehn Jahren Gestorbenen. Verfolgen wir auf dieser nodi von Masacdo begonnenen, Seite die ErzUung wtiter, zu

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Cappella Brancacci

Petrus in Cathedra, so begreifen wir, weshalb drflben auf der andern Seite, dem Altar zunächst, die Kreuzigung angebracht ist. Das ist der Schluss des Ganzen ; die Scene vor dem Richterstul Agrippa's geht unmittelbar und notwendig vorher. Dann aber kann die »Be- freiung aus dorn Kerker des Herodes« kaum für die Stelle nm Ein- gang unten bestimmt gewesen sein, wo wir sie jetzt finden, sondern \v\r haben hier einen Vorgang aus der Legende, aus den letzten Tagen des Petrus in Rom zu suchen : also etwa die Begegnung mit Christus: >Domine quo vadis?« Dies abermalige Auftreten der Gestalt des Herrn, in dem Augenblick, wo Petrus aus Rom fliehend sich noch der letzten Katastrophe entziehen will, nnd dann umkert, um in treuer Nachfolge den Kreuzestod auf sich zu nemen, diese Vision im Dunkel der Nacht, die als Vorbereitung für die Kreuzigung mit dem Kopf nach unten so unentberiicfa war, ist nicht allein ein treffliches Seitenstück zur Befreiung durch den Engel und ^e Steigerung zugleich, sondern auch ein Gegenstück zu der Begegnung mit Paulus, zu dem es ebenso eine Steigerung bildet, wie endlich als letztes Auftreten Christi selbst in dieser Bilderreihe, eine fülbare Fortsetzung der Verklärung auf Tabor, der wir die Stelle oben links am Eingang anweisen durften.

Damit drängt sich die letzte P'rage auf, w^as stand dieser Trans- figuration grade gegenüber, wo jetzt der Sündenfall zu sehen ist? Im \'erfolg der Apostelgeschichte kämen wir, nach der Auferweckung Tabithas auf die Ge&ngenschaft unter Herodes und die Befreiung durch den Engd. Dann würde die unterste Reihe der beiden Seitenwflnde ganz dem Stoff der Legende zufallen, mit dem Besuch des Paulus am Kerker in Antiochien links und der Begegnung vor dem Tore Roms »Domine quo vadis« rechts, vcMn Eintretenden. Bei Seite gelassen wäre dann der Wettstreit mit Simon Magus, wo die Himmelfart dieses Zauberers auf das Grebet des Apostels zu Schanden wird. Die Legende erzält davon ausfQrlich vor dem Ende in Rom. »Cum Simone Mago disputat; inter duas metas crucifixus est.« Den Sturz des falschen Propheten könnten wir als Antithese der Verklärung auf Tabor verwertet denken, auch in räumlich-körperlicher Disposition auf der Wandfläche. Aber dem realistischen Bedürfnis würden ebensoviel Schwierigkeiten erwachsen sein, wie dem dekorativen Sinn sich Vorteile boten. Und der An- schluss an die biblische Erzälung oben, an die l.egenda aurea unten, lässt vermuten, dass die Anname der Verteilung, wie wir sie ge- geben haben, dJi. die Befreiung aus dem Kerker durch den Engel an Stelle des Sündenfrdls und »Domine quo vadis« an der Stelle des untern Bildes von Filippinos Hand, die urspranglich beabsichtigte gewesen sei

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SOhdemfall und Vertreibung

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Darnadi muss es einleuditen, was es hiess, wenn statt der »Befreiung aus der Gefangenschaft bei Herodes« hier und der tTransfiguration .uif Tabor« gegenüber, nun auf einmal der Sünden- fall und die Vertreibung aus dem Paradies eingeschaltet wurden, und zwar in umgekcrter Folge der Plätze. So erweist sich dies Bilderpanr erst recht als Einschiebsel, das den dang des Betrachters, ganz gegen die sorgfältige Vorschrift der Auftrag^geber, nur irre- füren konnte. Wenn bei jenem Programm der schriftgclcrtc Prior der Karmeliter in treulicher Gemeinschaft mit dem Künstler ge- arbeitet haben mochte, so dürfen wir im plötilichen Auftauchen der ersten Eltern und der Verlegung des allgemein bekannten Anfangs der ganzen HeQsgeschichte an die verkerte Stelle, rechts statt links vom Eintretenden, erst recht den Eingriff eines Neuen erblicken, sei dies «m Kflnstler aus Sehnsucht nach dem Nackten oder sdn Auftraggeber, der Stifter der Kapelle, im Einverständnis mit ihm. Der Theologe konnte nur den Kopf dazu schfltteln.

Der neue Anlauf aber geschah nicht etwa, nachdem das Breit- bild der rechten Wand mit der Heilung des Lahmen und der Er- weckung Tabithas bereits gemalt war, sondern vorher, oder doch gleichzeitig mit der Inangriffname dieser Scenen, dcron frühere Ausfürung vor der gegenüber geforderton Geschichte vom Zoll- groschcn und vom Schlüsselamt doch ebenso auffallend bleibt. Sündenfall, Tabitha und Heilung des Lahmen gehören in eine zusammenhängende Reihe ebenso, wie wir dies von Masaccios Meisterwerken gegenüber, von der Zalung des Stater bis zur Ver- treibung aus dem Paradiese nachgewiesen haben; denn hoben v^e drüben ist ein entscheidender Schritt im Sinne der architektonischen Einteilung der ganzen Kapelle geschehen.

Alle erhaltenen Wandgemälde, die schmalen Stflcke am Eingang, wie die Brettbilder an den Seiten und die schmalen Paare an der Altar- wand z^gen die nflmHcfae Einramung durch korinthische Filaster, die ganz in Brunelleschis Art gemalt sind, und ein horizontaler Streifen sondert die Gesamtl^he der Mauerflächen in zwei Stockwerke, während voll entwickeltes, gerades Gebälk mit Zahnschnittreihe die Abgrenzung gegen die Wölbung und die Bogen felder so stark wie möglich be- tont. Es ist eine Umdichtung der gotisch gebauten Kapelle nach dem neuen Ideal der Renaissance-Architektur vollzogen, das damals Filippo Brunelleschi soeben erst den Florentinern vorzufüren begann. Diese gemalte Architektur mit ihren korinthischen Pfeilern und ihrem klassischen Gebälk ist genau dieselbe, die Masaccio an seinem Fresko der Dreifaltigkeit in S. M. Novella gemalt hat. Sollte nicht ihr Gegensats zu den oberen Bildern des Kreuzgewölbes und seiner

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Cappella Brakcacci

Bogenfelder die klare Unterscheidung- hoi TVanceico Albertini in »eine Hälfte von Masaccio' und die andre von Masolino veranlasst haben? Wenigstens dürfen wir nach den Deckcnbildern im Chor der Kirclie wie im Baptisterium zu (^istiglione d'Olona, auch in dem oberen Teil der Brancaccikapelle von Masolino kein solches streng- architektonisches Gerüst voraussetzen, sondern können nur an- nemen, dass die vier Gewölbekappen mit den Evangelisten ganz ähnlich einge&sat waren, wie das Baplist^um sie zeigt, zumal da diese Ausmalung eines ahnlichen Kreuzgewölbes im Jahre 1435 auch sonst den altertamlichsten Bestand seines KunstvermOgens gewiss ebenso wiederholt, wie er ihn in Florenz schon vor seinem Weggang ausgebildet hatte: Noch in den unteren Wandge- mälden des Altarhauses malt er die Geschichten Johannes des Täufers unbekümmert um die Ecken der Wände z. B. in die Fensterscbräge hinein und sondert die IVedigt und den Hinweis auf das I^mm Gottes nicht durch Ramen als selbständijje Bilder von einander ab. Der Einblick in das Baptisterium lehrt überzeugend, dass es ihm mehr auf fortlaufende Erzälung als auf strenge Gliederung seines Bildercyklus ankommt, und dass er für die räumliche Disposition der Taufkapelle mit ihrem kleineren Altarhaus wie für den selb- ständigen Wert der Wände und Wölbungen in ihrem Verhältnis zu einander keinen Sinn hatte. Das heisst Masolino war durchaus k«n so ardiitektonbch denkender Kopf, wie wir ihn bd Masacdo, dem Freunde Bnmellescfais selber, in allen Werken setner Meister- schaft anerkennen mussten.

Damit ist gegen jedes Herausschneiden einzelner Kider aus dem eigens gemalten Gerast korinthischer Pfeiler in zwei Geschossen ringsum von vornherein eins der stärksten Bedenken erhoben, <Ue es beim Uebergang zur klaren FrOhrenaissance flbeihaupt geben kann.

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DIE ERSTE GRUPPE DER ERHALTENEN 1»^ WANDGEMÄLDE. 4^

Beginnen wir die Betrachtung der noch heute vorhandenen Fresken der Brancaccikapelle vorurteilsfrei auch unsrerseits un der Stelle, wo die Anhänger Vaaaris die Arbeit des Masolino in erster Linie zu suchen gewont sind: bei dem Doppelbilde') an derredtten Sdtenwand mit der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas, die Vasari fiUschlicb ftr Petronilla angesehen hat

Heilung des Lahmen

Zur Linken schiebt sich in diagonaler Richtung die Vorhalle einer Kirche mit ihren drei schlanken Ffeilerarkaden in das Bild hinein, so dass wir in perspektivischer Grenauigkeit die Laibung der Bogen, wie das Kranzgesims zu sehen bdcommen und Aber die entschiedene Vertiefung der Bohne an der Hand strenger Kon- struktion nicht im Unklaren bleiben. Auf schlichtem Podium ohne Fussgei^ms aufgesetzt, macht diese Pfeileriialle jedodi den Eindruck eines gezimmerten Holzmodells und hängt so mit den Architektur- koulissen des Trcccnto noch ortg zusammen. Ganz in der Ecke vorn, wo vor dem Haupteinj^anp eine Stufe weiter vorspringt, sitzt der lahme Bettler mit seinen verkümmerten Beinen in der selben Diagonalrichtung gegen das Innere des Bildes gekert. und beugt sich weit vor, indem er die rechte Hand den Ankommenden ent- gegenhält, um ein Almosen zu empfangen. Nicht minder als der »portico del tempio«, wie Vasari sagt oder »die Pforte, die da heisst die schone«, wie es in der Bibelflbersetzung lautet, verrät die Gestalt des Krüppels in ärmellosem Kittel, mit einer Binde um den Kopf noch ihren Ursprung aus der Erbschaft der florentinischen Malerei, wie die letzten Träger der GHottoschule sie zu flben pflegten. Wie unter den Grenrefiguren des Angelo Gaddi in S^^ Croce könnten wir sie im Camposanto zu Pisa unter den Fischern des Antonio Venedano suchen, und zwar ist die Verwandtsdiaft grade mit dem I.«tzteren und den Geschichten des Nicolaus von Bari in S*»- Croce, die man mit Vasari dem Starnina, mit Cavalcaselle dem Angelo Gaddi beimisst, während sie meines Erachtens von Antonio Veneziano herrüren, ganz besonders hervorzuheben. Sie beweist damit schon

Vgl. «Bscn giMM AbUldttag Ttf. L ScIiiBartow, IfaaaeckhStadieii IIL 2

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Heilung des Lahmek

einen engen Anschluss an den grossen florentiiiischen FreskenstU und die ernste Gesinnung- dor Boston, die den menschlichen Körper, selbst in seiner Entstellung noch, als Faktor monumentaler Rechnung zu behandeln gewönt waren. Mit dieser Grossheit des Zuschnitts verbindet sich freilich eine Durchfürung der verkürzten Ansicht vom Rücken her, die bei aller summarischen Breite doch gegen jene verblassten Ueberreste von Figuren des Antonio Veneziano schon ausserordentlich vorgeschritten erscheint. Und besonders die Bdeuditung von links oben her, die das Greucht, von der SchlAfe ab, und die vordere Hftlfte des Körpers in Schatten legt, ist schon so wirksam, dass wir auch in dem heutigen Zustande des grade hier sdir beschädigten Bildes die bewusste Absicht des Malm verstehen ; d. h. auch in d&r Lichtf&rung zeigt er sich mit den Prinzipien des Antonio Veneziano vertraut, die wir auf Gherardo Stamina über- gegangen glauben.

Mit unfehlbarem Zwang gleitet das Auge des Betrachters über diesen Gegenstand des Wunders zu der Hauptperson hinüber, der sich sein Arm entgegenstreckt. Vom vollen Licht übergössen wendet sich Petrus, auf den Eingang zuschreitend, zu dem Bettler, der ihn anspricht, und schaut ihm, leise vornüber gebeugt, mit durch- dringendem Blick in die Augen, als wollte er durch sie hindurch Herz und Nieren prüfen. Und ebenso forschend wie der alte Grau- bart bfickt auch der blonde Jüngling Johannes, Schulter an Schulter zu seiner Rediten dahmchreitend, im inständigsten Zusammenhalt mit dem Träger der Kraft ihres Meisters. Solche Verdoppelung des scharf au6 selbe Ziel gerichteten Blickes ist auch ein Mittel zur Verdeutlicfayng des Geschehens, das schon im Trecento, jedenialls seit iämone Martini und Pietro Loren zetti verwertet ward.

»Petrus aber sah ihn an mit Johannes, erzält die Apostel- gesdüchte, und sprach : siehe uns an ! Und er sah sie an, wartete, dass er etwas von ihnen empfienge. Petrus aber sprach : Silber und Gold habe ich nicht, was ich aber habe gebe ich dir : im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und wandle! und griff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf; alsobald standen seine Schenkel und Knöchel fest, sprang auf und konnte gehen und stehen«. Da es unmöglich war, die entscheidende Verwandlung, die mit dem Krüppel vor sich geht, zur Anschauung zu bringen, wält der Maler einen froheren Moment. Die Gebärde des Petrus, der mit hochgezogenen Schultern die Rechte geOfifoet seitwärts streckt, während die Linke unter dem Mantel, dessen Ende sie beim Gehen empdthob, verborgen bldbt, sagt deutlich genug: »was du erwartest, Geld, habe idi nicht«. Diese qirediende Gebärde ver-

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Heilung des Ij^hmeH

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eint mit den Blicken der beiden Männer, die dem Elend fest und unverwandt ins Auge sehen, und, ihre Schritte hemmend, hilfbereit herzu treten, verständiift uns, dass hier kein Almosen g-ewGnlicher Art gespendet wird, das man im Vorbeigehen in die Hand des Armen gleiten lässt, sondern dass die ganze Kraft ansetzt, das Un- glück selber zu heben. Die Hand des Apostels, die soeben nur zeigt, dass sie leer ist, kann zugreifen und aufrichten, das bezeugt die Haltung, an der man das hassliche Motiv des Ausschreitens mit eingedrückten Knieen« getadelt hat ohne zu bedenken, dass es steh hier nicht um den Ausdruck der Bewegung im Gehen handelt, sondern um die Vorbereitung des Aufhebens eines Hilflosen, also um ein Entgegenstemmen, dnen Widerhalt gegen die Last, die der Arm emporziehen soll.

So wirken die drei Wesen, auf die der Vorgang sdbst be* schrankt ist, intensiv genug zusammen ftür die Phantasie des christ- lichen Betrachtes, auf deren Bekanntschaft mit dem weitem Verlauf immer in diesen kirchlichen Bilderkreisen gerechnet wird. FOr sie bedürfen die Gottesmänner kaum ihres Heiligenscheines; denn sie sieht in den beiden Jünglingen im Zeitkostüm, die dahinter des Weges kommen und auf dem Kirchgang sich mit einander unter- halten, schon im Gegensatz die Kinder der Welt, die höchstens eine Münze fallen lassen, da ihnen beim besten Willen die Wunderkrafl nicht inne wont, einen Krüppel mit verdorrten und verkrümmten Beinen gesund zu machen, der lahm war von Mutterleibe«. Eine junge Mutter, mit ihrem muntern Knaben an der Hand bleibt als Gegenbild zwischen beiden Gruppen im Hintergrund, und erinnert eben dadurch an den schrofferen Gegensatz, den die vorgeschrittene Kunst eines Raiael bei der nämlichen Darstellung in den Teppich- kartons wagen mochte: dort ist aus dem Lahmen dn halbvertiertes Scheusal geworden, das einen ebenso unglflcklichen Gre0ürten neben ädi hat, und viel absichtlicher jenem gesundheitstrotzenden nackten Buben gegenübergestellt, so schrill und hart wie GHulio Romano es nur vermochte. Im Hinblick auf solche letzte Steigerung fulen wir uns hier noch dicht vor der Schwelle der kindlich naiven lieber- lieferung, noch immer am Anfang des Quattrocento, und als Erbe dieser Kunst scheint durch die Jarhunderte ein Rest altchristlicher Einfachheit hinüber gerettet, der dem wertvollen Kern der Schule Giottos zu gute kam. Es ist der Grad erneuter Durcharbeit von Innen heraus, deren geistiger Ernst noch mehr in Blick und Haltung, als in freier Bewegung aller Glieder und plastischer Fülle der Formen

>) A. T. Zahn, JahtbSchcr fSr KnmtwIiienMhaft II, 169.

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Erweckung Tabithas

sich ausziufirechea vermag. Fast wären wir versucht, auch den strengen Zusammenschluss dor Hauptpersonen, der diese Gruppe als schräg gestelltes Dreieck völlig isoliert, einen Vonug" lu nennen, der ihre Wirkung stärkt. Damit wäre jedenfalls ein neuer Beleg für die eifrige Schulung des Meisters, clor sie erfand, an den gross- artigsten Vertretern der TrecciUokunst anerkannt, ein bewusster Anschluss an das Beste der Vergang^enhcit , den wir als chara- kteristisches Merkmal ausdrücklich hervorheben.

Gewiss hat auch diese Absonderung mit der augenfälligen Lücke hinter Johannes, die lockere llinzufügung der vornemen Herrchen einen guten Sinn, den weitere Prüfung uns erschliessen mag. Die Wunderscene beharrt so vor der schrägen Tempelfront zur Linken und Iftsst dem figurenreichen Auftritt zur Rechten das Uebergewicht

Erweckung Tabithas

Auch hier flrän^t die Verteilung der architektonischen Massen nach dem Vordergrunde rechts. Während links nur eine schräg- gestellte Koulisse ins Bild hineinläuft, lagert hier quer vorgeschoben die i^lurhalle eines Hauses, ein offener Innenraum in Vordersicht. IMnnen sind sechs Personen versammelt, während noch zwei andre draussen auf der Strasse* stehen. Hier erkennen wir Petrus mit einem Begleiter, wie im Vorbeigehen soeben in die Situation ein- greifend, — also wirkt auch der Impuls von der Mitte des Bildes her nach rechts entlang.

So allein hat der Maler geglaubt die fortschreitende Erzfilung der Apostelgeschichte (Kap. IX) in einem Moment veranschaulichen zu können. »Zu Joppe war eine Jflngerin, mit Namen Tabitha, die war voll guter Werke und Almosen, die sie tat Es begab sich

aber zu der selbigen Zeit, dass sie krank ward und starb. Da wuschen sie dieselbe und legten sie ins C^bergemach (oder auf den Söller, w^ie Luther caenaculum übersetzt)«. Da aber Petrus im nahen Lydda weilte, schickten sie, ihn nach Joppe zu holen: *Und fürten ihn hinauf auf den Söller, und traten um ihn alle Witwen, weineten und zeigten ihm die Rücke und Kleider, welche Tal)itha machte als sie bei ihnen war. Und da Petrus sie alle hinausgetrieben hatte, knieete er nieder, betete und wandte sich zu dem Leichnam und sprach: Tabitha stehe auf. Und sie tat die Augen auf, und da sie Petrus sah, setzte sie sich hin. Er aber gab ihr die Hand und richtete ae auf, und rief die Heiligen und Witwen, und stellte sie lebendig dar«.

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Erweckung Tauthas

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Statt auf stillem Söller ist Tabitha in der offenen Halle des Erdgeschosses an der Strasse aufgebart. Das einsame Gebet des Apostels, bei dem die Erweckung eigentlich geschah, konnte der Maler nicht wälen . da er zugleich Ursache und Wirkung ver- anschaulichen sollte. Die Klagesccne vorher hätte nur das Eine, die Jubelscene nu hher nur das Andere gegeben. Deshalb zog er diese beiden zusammen. Kr fürt uns mitten hinein in die Ver- sammlung der Witwen und Heiligen, von der Petrus erwartet wuida Neben der Bare knieen rechts zwei Frauen in noftnen- bafter Versclileiening; die Eine hält ein Gewand erhoben über den Armen, um es zu zeigen, die Andere hat Kleider neben sich am Boden ausgebreitet'}. Damit ist die Motivierung gegeben. Drei Männer von Joppe stehen auf der Innenseite; zwei von Ihnen be- sonders als Träger des Ausdrucks, den der Erfolg hervorbringt. Petrus mit dem Begleiter, der ihn von Lydda herbeigerufen, erscheint draussen. Ohne die Anwesenden hinaus ZU weisen, wie die Bibel erzält, erhebt er die Rechte zum Segen gegen die Tote hin , die auf seinen Wink sich in ihren Leichentüchern zum Sitzen aufrichtet und die Augen aufschlagend dou Apostel erblickt. Nur der Augen- blick : er rief die Witwen und Heiligen und stellte ihnen die Tote lebendig dar« enthielt für den Künstler die erwünschte Gelegenheit zu mannichfaltigem Ausdruck, die durch Einbeziehung der er- klärenden und motivierenden Momente noch bereichert, zu einem Umsdiwung von Trauer zur Freude ausgestaltet werden konnte. Den ursächlichen Zusammenhang zwischen der Gebärde des Apostds und dem Dasitzen der alten Frau muss auch hier die Phantasie hinzu dichten. Nur die Tragbare und die eingevrickelten Hände lassen erkennen, dass wir es nicht mit einer Kranken, sondern einer bereits Gestorbenen zu tun iiaben.

Dem Bewegimgsbilde an der Pforte des Tempels tritt also hier ein Situationsbild im Hause gegenüber. Während dort der Moment vorher die eigentliche Wundertat vertreten muss, ist es hier der un- mittelbar folgende Zustand, in dem die früheren noch nebenher fort- dauern, oder wenn man den Befehl Steh auf und seinen Er- folg zusammen als die eigentliche Entscheidung hinnemen will, so sind hier drei Momente zusanimengcfasst, Anfang, Mitte und Ende einer Handlung: das klagende Anliegen, seine Erfüllung im Eingriff des Apostels und deren Wirkung. Es ist alo das Zusammen- greifen eines reichen Akkordes, der in voller Stärke des Anschlags gehalten wird.

*) Es ist also übertlassig, Vasahs Deutung als Befrdmig Petronillas von ihrer KnaUMit noA dgent carflduvwciseo.

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Erweckung Tabithas

Meisterhaft sind in der Mittelaxe des dargestellten Raumes, durch die gan/.c l^roite hin die drei Hauptbestandteile verteilt, und zwar ihrem Werte nach in aufsteigender Linie. Dem Auge des eintretenden Beschauers begegnet zuerst neben der Bare, die als Hori/onlale weiter wirkt, am Rande rechts die knieende Witwe mit dem emporgehobenen Gewand, das die Tote gearbeitet, als Trägerin des »treibenden Agens« ; dann sucht es ttber die sitzende Gestalt in Leichentüchera den stehenden Apostel als das 2M der Demon« stration und den Träger der Hilfe, die erwartet wird. .Von seinem energischen Wink als Aeusserung dieser Kraft geleitet, kert der Blick auf dem selben Wege zurück, allseitig sammelnd was sich aus- breitet nebenher. Vor der Bare ist die zweite Witwe, die ebenso die Zeugnisse mildtätiger Arbeit Tabithas vorgewiesen hat, schon in eine folgende Bewegung übergegangen; auch sie kniet zu Häupten der Verblichenen, aV)er die Kleider liegen neben ihr zur Seite und sie selbst erhebt ihre Hand in staunender Gebärde wie ihr Antlitz in dankbarer Ueberraschimg zum Apostel hin. l'eber den drei Frauen reckt sich, wie der Gipfel einer pyramidalen Gruppe, die stehende Gestalt eines Greises empor, der aus mitleidiger Rürung in hellste Verwunderung übergehend mit gespannter Aufmerksam- keit jede Bewegung der Toten verfolgt und mit beiden erbobenen Händen das unerwartete Aufstehen begleitet Er ist zugleich der Höhepunkt des dramatischen Ausdrucks und der Träger der Peripetie. Denn die beiden Männer, die neben ihm jenseits der Bare vor der Hinterwand der Halle stehen, geben die beiden Momente getrennt und in stärkstem Kontrast zu einander. Der Eine, mit langem wassern Bart und gescheiteltem Silberhaar, neigt sein Haupt abwärts, wie nach innen blickend und ganz eingehüllt in seinen Mantel, ohne ein Glied zu regen, wie versunken in Gram. So wird er des Er- eignisses, das vor sich tjeht, noch kaum gewahr, während sein Nach- bar, in langem Rock und weissem Turban, wie von Entset/en ge- packt, das ihm den Kopf herumwirft, mit den Händen herausfärt; die Linke abwärts streckend, die Rechte erhebend, lugt er die plötz- liche Regung starr geglaubter GHcder wie etwas Unheimliches nur von der Seite an. Hier setzt sich der psychische Affekt in physische Bewegung um, und so steht diese heftigste Gebärde als drastischer Uebergang von Ursadie zur Whrkung zwisdien dem Apostd und Tabitha. Der Träger einer höheren Macht charakterisiert sich daneben, von dem ruhig ernsten Boten wie von einer Folie sich abhebend, durch wflrdevoUe Selbstgewisshdt und vomeme Haltung auch beim be- fehlenden Aufruf. Die Kraft seines Willens fasst sich im symbolischen Zeichen zusammen, dem er weiss es auch die Toten geliorchen.

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Erweckung Tabithas

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Und wie da: Jünger von Joppe, der den gewaltigen Gottes- mann gerufen, nur als Schatten dieser Persönlichkeit den Abschluas der ganzen Kompontinn bewirkt, so versuche man nach dieser Analyse noch einmal die BewoirunLifsUnie /u verfolgen, die vom Arm des Petrus gewiesen in schräg m « 'ffnctem liogen um den Gegenstand der Teilnamc herumläuft, so ergiebl sich die schöpferische Synthese zwischen eindringlicher Motivierung und ausströmender Wunderkraft des Helden, deren bewegliche Mitte wir in der höchsten Gestalt des Greises mit gespaltenem Vollbart bei jedem Vollzug der einen oder der andern Richtung herausfülen. In grader Linie schneidet die Handlung ein, in engem Kreise wirkt ihr unmittelbarer Erfolg, im weiteren Umkreis klingt noch die vorige Stimmung nach, die den Eingriff von aussen veranlasst hat und berechtigt

Das ist als biblische Erzftlung ein MetsterstUck, in dem das kostbarste Erbteil aus Giottos Tagen verwertet und durch eigene Vertiefung in den psychologischen Gehalt des Vorgangs verstärkt worden ; es ist auf dieser Grundlage als durchaus origrinale Leistung erwachsen, die sich grade durch das Verständnis der lebendigen Erregung und den einheitlichen Fluss der wogenden Bewegung als weit organischeres (Tehilde vor allem Früheren auszeichnet. Nur im Feuer der schöpferischen Üegeisterung einer ernsten, künstlerisch hochbegabten Natur kann sich solche Läuterung vollziehen. Und noch durch eine, bei Giotto nirgends erstrebte, bei Antonio Vencziano erst für sich gepflegte Eigenschaft erscheint die ausdrucksvolle Scene auch als Werk aus dnem Guss. Mehr als die Anfechlflsse des rechnenden Venitandes über die bewusste Oekonomie des Aufbaues kommt fttr die malerische Wirkung die licfatftkrung in Betracht Ein brdter Lichtschein vom Fenster in der Altarwand der Kapelle her streift die entscheidenden Teile der handelnden Hauptperson, besonders den rechten Arm und den Kopf, dessen Antlitz halb beschattet, in Profil sich gegen den Hintergrund ab- hebt. Auch da wieder eine Zusammenfassung des charakteristischen Eindrucks der Person, deren machtvolle Gegenwart hier genüget, und ein Zurückdrängen alles Nebensächlichen, das diesen Eindruck nur zersplittern oder ablenken konnte. Keine stark individuellen Einzelheiten, nur der Trager einer höheren Mission in hilfbereitem Sinne, deren Ausstralung alle L'chrigen bewegt. Dagegen ergiesst sich der volle Lichtstrom über die bleiche (lestalt der Auferweckten, die ganz in weisse Tücher gehüllt, mit einer hellroten Decke über den Füssen, sich als Mitte aus den dunkeln Gewandmassen ihrer Umgebung heraushebt Grelle Gegensätze von Licht und Schatten unterstatzen die jahe Erschütterung des Mannes im hellen Turban ;

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Erweckung Tabithas

Streiflicht, das in die Dunkelheit fällt, malt das Auftauchen des weissbärtigcn Greises aus dumpfem Schmerz; spielende Halblichter verdeutlichen den Stimmunj^rswechsel in dem breiten Kaikopf: milde Klarheit breitet sich über die reinen Gesichter der I-rauen, die in treuem Ernst und unschuldiger Zuversicht der Erhörung harrten. Die Wirkungen des HeU und Dunkel, wie die der F^rben- töne, sind aber Gefblsaache, wie die einer Melodie, und ihre be- wusste Verbindung mit den Vorstellungen, die wir angedeutet, ent- zieht sich was den Maler selbst betrifft unserer Kontrole. Heisst das zu viel aus einer ktlnstlerischen Leistung heraus lesen, die so viel Vorzüge innerlicher Auffassung au&uwdaen hat?

In der Gestaltung des Einzelnen freilich trägt sie unverkenn- bare Anzeichen noch schwankender Herrschaft über die Mittel an sich, die wir durch Donatollo und Luca della Robbia in schnellem Fortschritt gewinnen sehen. Aber diese Errungenschaften der grössten Bildner sind damals eben erst im Vollzuge oder auch auf plastischer Seite noch nicht erreicht. Um 1424 steht neben den freien Erstlingsstatuen Donatcllos noch Lorenz© Ghiberti in vollem Ansehen, sein Johannes der 1 äufer neben dem herrlichen S. Giorgio, und der Petrus Donatellos neben dem Philippus des Nanni d'Antouio di Banoo in den Nischen von Orsanmichele, deren letzte noch leer geblieben *). Noch flberwiegen auch bei diesem Maler das spätgotisdie Faltengehänge und die weiten Kurven des Zuges in den Gliedmaisen wie in der Draperie; aber die Neigung zu wuchtiger Brdte und glossflächiger EinÜMfaheit ist ebenso unverkennbar.

Sind diese Beobachtungen richtig, und die wolberechnete .Anordnung wie die erreichte Intensität des Ausdrucks kOnnen als Tatsachen doch nicht in Abrede gestellt werden, selbst wenn man die bewusste Wal des Linienzuges und der Lichtfürung in Zweifel zöge, dann suchen wir vergebens nach ähnlichen Erscheinungen in den anerkannten Werken des Masolino bis hinein in die spätesten Arbeiten, die wir von seiner Hand besitzen, und vermögen ebenso wenig dem Urteil zuzustimmen; hat Masaccio diese Gruppen ge- schaffen, so müssen sie erste zaghafte im Geiste Masolinos begonnene Versuche heissenc *). Es mag, wie A. v. Zahn sich ausdrflckt, »frei- lich sehr von der individuellen Anschauungsweise, die in solchen Fragen eine eigentliche Bewdsf&rung nicht gestattet, abhängen,

') Die gemeinsame Arbeit von Ghiberti und Michclozzo, S. Matthäus, ist 1422 MtatMxlen. Der Auftrag an Dooatello tür die Nische mit S. Ludwig (wo jetzt Vcr« roochios Christas und Thomis) toll 1423 erfolgt sein. Ghibextis S. Stephan ward 14*6 ToIIeadet

*) A. V. Zahn, a. a. O. p. 169.

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Das Doppelbild als Ganzes

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ob man sich entschliessen kann, mit Crowe und Cavalcaselle . . . v<m der Auferweckung zu sagen: Nichts kann schöner sein als die Gruppe der Männer und Frauen am Krankenbett« >). Aber auf einen einzelnen Superlativen Ausdruck kommt es wol nicht an! Unläugbare Tatsachen der verjjjleic hcnden Beobachtung- aber ge- statten auch eine eigentliche iieweisfürung, wenn auch mehr als Demonstration ad oculos, d. h. für die T.ogik unsres anschaulichen Denkens zwingend, selbst wo es uns schwer fällt die Logik unsres begrifdichen Denkens als dabei oktroyierten Mafsltab immer so glatt zu befriedigen, wie sie es mit Abstraktionen fertig bringt Diese Tatsachen aber werden von Zahn wol nicht genügend in ihrem Wert gewürdigt, wenn er meint, die Kompotition beruhe »ganz auf dem Prinzip flach ausgeschnittener Figurensühouetten.« eine Aus- sage, die entweder tatsächlich falsch ist oder, nur relativ gemeint, die historische Bedingdidt der Kunststnfe, mit der wir es bei Masolino wie Masaccio um 1424—25 zu tun haben, nicht in Rechnung zieht »Jene leisen Abweichungen in den Ricbtung^linien der Gliedmafsen, wdche in der antiken wie in der neuem Kunst das entscheidende "Moment der Entwicklung vom Gebundenen zum Freien, von der typischen zur begeistigten Menschengestalt sind,« wollen eben durch angestrengte Arbeit erst errungen werden, uncl es ist wol nicht minder unrichtig als ungerecht, das entscheidende Moment der Kntwicklung »Alles was, mit Vasari zu reden, die bella nianicra moderna offenbart nur in diesem einen Teil der künstlerischen Gestaltung allein zu suchen.

Das DoppelbÜd ate Ganzes

Diese sonstigen Bestandteile des Kunstvcrmogens werden sicher von dem selben Kritiker aufs Einseitigste unterschätzt, weil er stets von dem Vergleich mit den spätem Bildern der Kapelle ausgeht, und ihre Beweiskraft wird grmlczu in den Wind geschlagen, wenn er hinzufügt: »der bessere architektonische Hintergrund kann nidit dabei irre machen«. Da grade liegt das entscheidende Problem. Und das Urteil eines geschulten Fachmannes wie Cavalcaselle wiegt doch schwerer. »Masolino hätte dieses Bild mit seiner Hintergrund-

>) Die deutsche Ausgabe giebt die Stelle übrigens so: »Volle Schönheit der Gruppierung zeigen die Minner und Frauen, welche das Krankenbett Tabithas' om- sldieB, wlhxcod tüt «nf da» Gebet des Petn» wieder anfleht«. Die itiiieiiiidie Avipbe

bat dann noch einschränkender: »Nulta di meglio a noi par possibile^di vedcre per quei tempi, del tjruppo il"uomini e dclle due donne che inginocchiatc sul davanti circondaoo U lelto di Tabila nel dipinto della rcsurreüone, e guardooo a San Pietro, OMBli« d in «tto dl eonpin» U minooloi.«

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Das Breitbild als Ganzes

Perspektive nicht malen können. Nirgends finden wir bei ihm architektonische Hintergründe, seien es nun einzelne Häuser oder ein bebauter Platz, in so strenger Durchfürung und in so gutem Verhältnis zu den Figuren. Das ist keineswegs zufällig, sondern ein Grradmesser für die Aneignung der Wirklichkeit. Und für die vorhegenden Fresken, insbesondere ftr die Erweckung der Tabitiia, hat dieser Punkt entschiedene Beweiskraft«.

Davon sind audi wir fiberzeugt. Die Begründung dieser An- sicht bei Crowe und Cavalcaselle^ aus der wir die oUgen Sätze in etwas verbesserter Ordnung herausgehoben, wdl sie in dieser Folge- richtigkeit ihre Wirkung kaum verfehlen können, wollen wir jedoch damit nicht <dine Wdteres in allem Uebrigen untersdueiben, noch uns mit ihren Beweismitteln allein begnügen. Wir müssen vielmdir anerkennen, dass Masolino die beiden Vorderkoulissen, die Eingangs- halle des Tempels dort und die offene Loggia des Hauses hier, in den Fresken des Baptisteriums zu Castiglione d'Olona wol erreicht; aber diese fallen nach dem unbezweifelbarcn Datum i43.«5 am Gewölbe ein volles Jeihrzehnt später und bezeugten uns in dem Fortschritt von der Verkündigung an Zacharias bis zur Enthauptung des Täufers ringsum die Früchte eines neuen Aufenthaltes in Florenz nach seiner Rück- ker aus Ungarn 1427, und des Studiums der inzwischen entstandenen Fresken in der Brancaccikapelle von seinem einstigen Genossen Masaccio. Die grOsste Aehnlichkeit mit dem Doppelbilde der Ftetnu- legende, vor dem wir stehen, kommt grade erst in dem letzten grossen Wandgemälde des Baptisteriums mit dem Mal des Herodes links und der Darbringung des Hauptes an Herodias rechts zum Vorschein. Dort aber stehen die seitlidien Hallen grade in unglfick- lichem Verhältnis zu den Personen, und das Bravourstück der perspektivischen Konstruktion, der Einblick in den Hof des Palastes mit seinen Wandelbanen an den Umfassungsmauern herum, erhöht grade den peinlichen Kontrast zu den grossen Figuren, die unver- mittelt davorstehen, und die Bühne schneidet endlich durch die Quermauer grade an der Stelle ab, wo die Schwierigkeiten der Linienflucht erst recht beginnen. Beide Bilder, das im Baptisterium und das in der Brancaccikapelle, haben Eins miteinander gemein: sie geben rechts und links nahe Gegenstände und in der Mitte die Ferne. »So verengert sich die Tiefenbewegung, breit anfangend nach der Tiefe hin» und wir empfinden das Nahe als das Weite und die Feme als die Enge« schreibt Adolf Hildebrand ') und hebt aus- dracklich hervor: »Eine solche Anordnung wirkt von vornherein

>) Dm Ftchkm der Form in der büdenden Knait 1895 p. $6.

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Das Brbitbild als Ganzes

unserm wahren und normalen Naturveriialtnis entgegen, beengt unser

RaumgcfÜI anstatt es ins Unbegränzte anzur^nenc

Hier aber haben wir einen Specialfall vor uns, eine künstliche Konstruktion, die für die Goschichto der Malerei im Quattrocento ihre besondere Bcdeutung^ hat: es ist sozusagen ein Paradig-ma der strengen l.inearperspcktivo, die BruncUeschi vorlangt hatte, und zwar durch die Verbindung zweier Scenen in einem Ranien. als linke und rechte Hiilfte einer gemeinsamen Bühne, auch ein Muster- Stück, zu welchen Konsequenzen das Gebot des Architekten fürt Maaolitto aber nimmt in Castiglione die Unleidlicbkeit der Anschauung ruhig in den Kauf, wenn er nur die Fcrtigkdt perspektivischer AuiHsse zeigen kann, und kümmert sich gamicfat darum, ob die Figuren mit dem Schauplatz in annembarem Zusammenhang stehen oder nicht Grade darin liegt die auffälligste Schwache der letzten rdfsten Kompodtion, die wir von ihm besitzen. Und nun sollte die Losung der s^ben Aufgabe, die das Doppelbild der Brancaccikapelle Inetet, um 1424 von dem selben Maler herrOren, eine Lösung, die so viel glücklicher gelungen, dennoch grade den schwachen Punkt für das Auge des Betrachters zu verdecken sucht! Wir haben absichtlich diesen Teil des Breitbildes bis hierher zur Be> sprechung aufgespart.

Unsere Betrachtung hat die Heilung des Lahmen und die Auferweckung Tabithas als ein Paar getrennte Scenen der Petrus- Icgende, jede für sich mit ihrer zugehörigen Räumlichkeit aus- einander zu halten gesucht Denn nach der Dli^Midtlon des StOfflfes für die ganze Kapelle waren, wie wir gesehen haben, auf jeden dieser Wandstreifen zwei Darstellungen verteilt gewesen, wie unter unserm Doppelbilde noch das Verhör und die Kreuzigung ties Petrus von Filipptno. Dachten wir dnen trennenden I^laster dazwischen, so hätten wir auch den Uebelstand vermieden, dass die Aufbarung TabiUias in oifenpr Halle des Erdgeschosses an der Strasse oder am Platz, statt im Coenaculum oder auf dem Söller geschähe. Ganz in gewonter Weise würde sich von einander sondern, was örtlich und zeitlich geschieden war. Wie kam der Maler überhaupt auf den Einfall, die Heilung des Lahmen an der Pforte des Tcmi)cls zu Jerusalem, mit der viel spätem Erweckung Tabithas zu Joppe ganz gewaltsam in einem Ramen zu verbinden und auf dem selben Schauplatz vorzufüren ? Dieser Schritt war doch keine Kleinigkeit, weder ohne Bedenken noch ohne Schwierigkeiten. Wir können darin nur ein weiteres Moment der nämlichen Erwägungen sehen, die den Aufbau einer zweigeschossigen Pfeilerarchitektur eingefürt hatten. Und in der Tat schehien beide Kompontionen zunächst als

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UrsprOnguche Halbierung

selbständig eingeramte Bilder beabsichtigt zu sein: noch heute schneidet eine auffallend grade Linie am Rücken des Begleiters Pctri senkrecht hüben und drülien wie neben einem wirklichen Kamen in der Mitte ab. Aber beide Scenen waren doch ursprünglich schon als Hälften eines einheitlich von einem Centrum aus konstruierten Bildstreifens entworfen, und zwar, ohne Zweifel, in Rücksicht auf die Gesetze monumentaler Wandmalerei, im Sinne des Realismus, dessen Dnrchftarung in der Raumansdiauung unseres Wissens erst Bninelleschi gefordert hatte. Der Centraipunkt wflre dann hinter den Mtttelpfeiler zu liegen gelcommen, ganz ähnlich wie noch in den fünfziger Jahren Mantegna aem Paar aus der Jacobuslegmde, Taufe und Verhör, wirklich gemalt hat, und ganz ähnlich, wie wir es im untern Paar der Altarwand, Almosenspende und Scfaatten- heilung, von Masacdo durchgefbrt sehen.

Nun aber denke man sich, solchem Entwürfe gemäss, die beiden Strdfen dar Wände links und rechts mit unerbittlicher Konsequenz, wie das Gesetz des Architekten es zunächst verlangte, in zweimal zwei solcher Bflhnenhälften zerschnitten I Die Unleidlidikeit solcher Anschauung fOx unser RaumgefÜl musste die Strenge des Prinzips ad absurdum füren. So versteht sich von selbst, weshalb die Teilung durch den Mittelpfeiler auch bei dem angefengenen Paar aufg^[eben und eine andre Lösung versucht werden musste, sd es auch um den Preis, zwei entlegene Scenen, die nichts miteinander gemein haben als die Person des Helden, auf einer Bühne vorzufüren, scheinbar gleichzeitig. Die Mittellinie der ganzen Wandfläche geht dicht hinter der äussersten Person der Auforweckung dh. am Mantel des Begleiters, der Petrus nach Joppe geholt hat, entlang, und die gleiche Absonderung gcwaren wir links hinter dem Rücken dt^ Johannes. In dem Mittelstreifen dazwisclien liegt der Augenpunkt, und zwar in zweidrittel Höhe, ungeßü: hinter dem Kopf des Spazier- gängers, der mit seinem Gefärten über den Platz zum Tempel schreitet Diese Höhenlage des Centraipunktes der gemeinsamen Konstruktion bedingt die Entfaltung eines ziemlich weit in die Tiefe gehenden Bühnenfeldes, das der Maler nun wie einen gertumigen Platz einer italienischen Stadt seiner Tage als Hintergrund für die beiden Seitenkoulissen eröffnet. Und zwischen den Vorgängen links und rechts vermitteln die beiden florentinischen Jünglinge im Sonntags- stat, als Körper in der Gestaltenreihe zu dem Paar von biblischen Personen gehörig, dem sie den Rücken drehen, als Zuschauer dagegen zu dem andern Paar, das vor ihnen zum Tempel geht. So wird die Verschiebung der Symmetrie durch die Kraft der Beziehung wieder

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Das Doppelbild, als Ganzes

aufgewogen, soweit es sich mit der Absicht der Gesamtdisposition verträgt, von der noch später die Rede sein muss.

Diese künstlerisch wichtigen ^LückeobfiSse^< lassen bequemen Durchblick frei in die Flucht der Strassen, die auf den Platz münden, und auf die Kirchgänperinnen, die aus den anstossenden Häusern kommen, während andre Männer g-emächlich auf der Bank eines Palastes sitzen, und das Auge des Beschauers mag zu rein malerischem (Tonuss der Beleuchtung oder der perspektivischen Reize sonst hinausschweifen na( h Belieben, die Weite der städtischen Um- gebung zu ermessen. Grade in der Mitte aber, hinter den beiden neutralen Statisten Offinet sich die Feme nicht, sondern eine Häuser- gruppe tritt als Wand vor, von der sidi die Figuren abheben, und so ist der Fehler vermieden, den Masolino noch 1435 begeht, dass die Enge uns beklemmt »Die beiden kurzrOckigen Jünglinge in der Mitte«, diese »interesselosen Fflllfiguren«, die in ihrem Quattrocento- kostOm sich so gar nicht mit dem biblischen Charakter der Wunder- taten vertragen wollen, ^e sind doch nicht allein adiere Kennzeichen einer nachtrftglichen Vereinigung beider Bildhälften zu einem grössern Ganzen, sondern sie sind in diesem Breitbilde gradezu eine Woltat fttr das Auge. Sie beweisen, wie die p>erspektivischo Raumtiefe, die sie mit d'^n (xcstaltenreihen links und rechts im Vordergrunde vermitteln helfen und zugleich erstrecht in Wirkung setzen, die Ueberlegenheit des Malers, der hier gewaltet hat, Grade ihr vom poetischen Inhalt aus »unmotiviertes Auftreten« ist künstlerisch von höchster Wichtigkeit, ein Auskunftsmittel immerhin, aus der Ver- legenheit einer veränderten Oekonomie, aber zugleich die glückliche Lösung eines malerischen Problems^ das die starren Konsequenzen des Ardittdcten und seines perspektivischen Linien^temes wieder gut madit

Schneiden wir einmal die beiden biblischen Scenen heraus, so dass nur diese KostOmfiguren mitsamt der Hintergrundspeispektive ttbrig bleiben, so behaupten wir mit Crowe und Cavalcasdle in vollstem Einvernemen: Masolino hätte dies Bild nicht malen können; es kann von Niemand anders als Mzisaccio sein. Die Raumentfaltung der gemeinsamen Bühne, des Platzes mit den Strassen, die darauf münden, bedeutet eine so persönliche Errungenschaft Masaccios, dass er sie gemalt haben müsste, auch wenn die beiden Wunder im Vordergrund von Masolino herrüren sollten. Eine solche Kenntnis der exakten Grundlagen , wie eine derartige Prospeklmalerei sie voraussetzt, besafs Masolino nachweislich im Jahre 1425 noch nicht, und erwarb ebensowenig bis 1435 das GefÜl für Reliefanschauung, das tkh in der Zutat dieser LückenbOsser offenbart Für jene

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30 Raumperspective und Reuefanschauung

wissenschaftlichen Voraussetzungen giebt nur der Hinweis auf die Gemeinschaft mit Filippo BruncUeschi befriedi^renden Aufschluss, und das Verständnis fOr den Unterricht und die Aufgaben dieses genialen Architekteii besab» wie dieser seltist bezeugt hat, unter den Malern nur lifasacdo in dem Mafte, dass er zum vertrauten Freunde, zum fruchtbaren Vertreter der Ideale und zum unermfldlichen Be- aibetter der Probleme ward, soweit eine Verwertung im Bilde sich irgend mit seinem echt malerisdien Sinn vertrug. Ffir jenen Aus- gleich der strengen Linearperspektive mit den natürlichen Be- dingungen unseres RaumgefiOls» und zwar in erütf Linie mit der einheitlichen Reliefauffassung der vorderen Figurenreihe, giebt es aber wiederum nur bei Masaccio die Erklärung: es ist das Eingehen in die bildnerischen Bestrebungen eines Donatello, das auch Vasari ausdrücklich hervorhebt, und die Walverwandtschaft mit Luca della Robbia, die wir im Fortschritt der anerkannten Meisterwerke hervor- gehoben. Nur im lieben des Masaccio findet der Platz, der den Tempel von Jerusalem und das Haus von Joppe zusammenfasst, seine Stelle: es ist die Vorstufe zu jener mtistefhaften Darstellung der Piazza del Carmine, die der Mathematiker Antonio Manetti wie der llfaler Giorgio Vasari mit gldcfaer Sachkenntnis in der »Sagra« bewunderten, die uns als schlagendes BelegstOck leider verloren ist Nun erschienen aber die beiden biblischen Scenen Ar sich be- traditet, als so ernste, seelisch energisch verarbeitete Kompositicmen, in denen das Wertvollste der Trecentokunst mit soviel Eigenstem verbunden ist, dass wir eine Zuweisung dieser Stücke an Masolino nach Allem, was er geleistet, nicht verantworten konnten. Es ist also an eine zeitweilige Arbeitsgemeinschaft beider Maler bei diesem Breitbilde, oder an die Ueberarbeitung vorhandener Stücke dos Kincn durch den Anderen, ebenfalls nicht zu denken. Vielmehr hängt die allmähliche Entstehung des Ganzen, die wir nachzuweisen versucht haben, in allen Stadien so eng mit den persönlichen, durch Brunellcschi beeinflussten Bestrebungen des Masaccio zusammen, dass die Er- findung der Kompositionen wie die Ausförung des ganzen Doppel- bildes in seiner jetzigen Redaktion nur ihm selber beigemessen werden kann, und zwar als erster Teil seiner Tätigkeit in dieser Kapelle.

Das bezeugt endlich auch ein weiterer Zusammenhang mit der Gresamtdisposition der Freskenreihe. In dem Breitbilde, das nun die Heilung des T,ahmen und die Erweckung Tabithas auf einem Schau- platz vereinigt, fällt das Uebergewicht der rechten Hälfte, also die völlig unsymmetrische Verteilung der Figurenmassc auf und die beiden Eindringlinge, die das Situationsbild rechts in das Bewegungs-

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Zusammenhang mit dem dritten Bilde 31

bild links Qberleiteiw können darüber nicht tauschen. Diese Un- gletchmässigkcit in der Zweiteilung, die zu augenfällig ist, um als unbewusster Fehler gelten zu können, löst sich sofort, wenn wir die weitere Verteilung an Ort und Stelle ins Auge fassen und mit dem eintretenden Betrachter der ganzen oberen Bilderreihe auf dieser Seitenwand rechnen.

Die Komposition des Doppclbildes aus der Pctruslcgendo gravitiert nach Aussen hin, d. h. nach der Seite des Eintretenden, der unter der Bogentjffnung der Kapelle stehend in diesen Innen- raum hineinschaut: aber der Zug der vorherrschenden Bewegung in den Figuren selbst geht eb«naflo fldbar nach Innen zu gegen die Altarwand, d. h. zum Mittelpunkt des Heiligtums. Nemen wir nun aber das erste Fresko der nämlichen Reihe, das der Beschauer rechts neben sich hat, die schmale, von Pilastern nicht einge- schlossene Darstellung des Sfinden&lls am Eingangspfeiler hinzu, so erkennen wir einmal in diesem Bilde för sich ebenso deutlich den starken Abschluss nach rechts, sodann aber auch die ab^chtlidie Uebercin Stimmung mit der dreifigurigen Komposition zuäusserst links. Selbst wenn die Breite der beiden Bilder in wirklicher Ab- messung nicht gleich ist ; die Nähe des Pteilerbildes, die absetzende Ecke des wirklichen Archittkturtoilcs, wo das Gitter die Kapelle schloss, und die gemalte Absonderung von der Altarwand drinnen, vor Allem aber die optische Verkürzung bewirken die Gleichwertigkeit, so dass I.ahmenheilung und .Sündenfall wie die Flügel zu dem breiten Mittelblück mit der Erweckung Tabithas erscheinen. Damit aber rechtfertigt sich um so mehr die auffallende Lücke zwischen dem Apostelpaar und den beiden Pflastertretern; die letztem sollen ihrerseits in dieser Rechnung zum massigeren, figurenreichen Haupt- bilde des Streifens gdiOren. Damit ist die einhdtliche und wol ab- gewogene Gesamtdisposition erwiesen, und die drei Bilder dieser Reihe gehören unauflöslich zusammen, ebenso wie dies gegenüber von der Geschichte mit dem Zollgroschen und der Vertreibung aus dem Paradies dargelegt worden.

Dies Argument spridic um so entscheidender mit, je wenigo: ein Zusammenhang des dargestellten Gegenstandes mit der Pctrus- legende solche Verbindung schon an sich naholrgte. Bei der Wal dieses Gegenstandes scheint ebenso das künstlerische Verlangen des Malers mitgespielt zu haben. Die Nacktheit der Personen gab ihm Gelegenheit, sein Bestes im Sinne der neuen Zeit zu wagen, oder gar selbst erst die malerische Darstellung des nackten Menschen- leibes zum ersten Mal mit der ganzen Wahrhaftigkeit zu versuchen, deren die begabtesten Bildner sich damals befleissigten.

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DtE Erste REraE der Wandgemälde

Der SündenüBlI

Das erste Menschenpaar in nackter Schönheit hinzustellen, wie ^ es aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen, noch rein und ohne Fehl als Ebenbild des Höchsten, das auch die Kirche zuliess, das ist die Aufgabe die sich der Meister gestellt hat Schon beim ersten Anblick kann darfiber kein Zweifel bestehen. Nur mit schmälstem Streifen eingeramt, ist die verfögbare Bildfläche fast ganz für die beiden Gestalten benutzt, und dennoch, aus der Behandlung- des Hintergrundes und der Verwertung des oberen Stückes, das über ihren Köpfen übrig blieb'), sofort ein- leuchtend, dass es nicht ausschliesslich im Sinne gemalter Plastik, sondern bei allem Interesse für den Bau der Körper und die Modellierung ihrer Formen doch im eigentlich malerischen Sinne geschieht Adam und Eva im Paradiese, die nackten Menschen in freier Natur, ist sein Thema. Der Baum der Erkenntnis und das böse Prinzip in Gestalt einer Schlange kommen als notwendige Be- standteile hinzu, den Sflndenfiill daraus zu machen, und es ist nicht zu läugnen, sie sind ziemlidi äusseiüche Zutaten geblieben; wir müssen sie suchen, wenn die stumme Zwiesprach der beiden Mensdien verhängnisvollen Inhalt haben soll. Wir folgen der Ent- stehungsgeschichte des Bildes, wenn wir diesem Gang des ersten Eindrucks genauer nachdenken.

Die ursprüngliche Abmessung der Pfeilerflächc, wo das Bild erscheint, bestimmt auch das Verhältnis der Körper, die daraus hervor- treten. Sie sind hocli und schmal gebaut, einander so ähnlich in den Mafsen, dass sofort die Frage sich vordrängt, wie weit das Schema einer Normalfigur, wie weit die Anschauung eines männ- lichen und weiblichen Modells hier gewaltet Die gleichmässige Be- vorzugung dieser gestreckten Proportionen bei beiden Geaddechtem bedeutet hier keine persönlidie Wal aus dem Rdchtum mannich- faltiger Gebilde, der dem Künstler zu Gebote gestanden hatte, sie ist noch Ersatz für den Mangel an Naturanschauung und an An- eignungsfähigkeit, selbst wo Beobaditung zu Grmnde liegt Die gesetzmässige Berechnung des Aufbaues nach Mafsgabe ardii- tektonischer Regeln dient als Laufkorb, so lange die jüngere Schwesterkunst noch nicht auf eignen Füssen stehen und ihre eignen Wege gehen kann. Diese Körper von neun Kopflängen sind ererbte Schulgewonheit, die der toskanischc Maler am Anfang des XV. Jahrhunderts erlernte, gotische Mafsgerechtigkeit, die hier

») Oben ist ein betricbtttches SUkk der tmprflnglldken BiUUttdie dnrch du beim Ntnbttt der Kirche elagefUgfe Getfam aoi Hols soBedeckt worden.

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Adam und £va

fortwifkt, ohne sich noch bewusat zu werden, wie sehr die Tatsachen der Erfaning ihr widersprechen. Es geht dem Quattrocentisten damals genau so mit der Auffassung antiker Bauformen; überall .'oichnct er die Höhendimension zu gross im Verhältnis 7.ur lireitc, die Kinzclbildungcn zu schlank und dünn, luftige Konstruktionen, die er in Wirklichkeit parnirht so vor sich sali. Wenn das noch von (ihibertis Architekturen an der Porta del Paradiso gesagt werden darf, so kann es vorher bei einem Maler gewiss nicht Wunder nemen. Ein Blick auf Vorgänger erklärt die Erscheinung, die wir vor uns haben. Man vergleidie nur die lange hL Katherina, die ein unmittelbarer Nadifolger oder Stellvertreter des Spinello Aretino um 1388 in der Kapelle der Alberti zu Antella gemalt hat *), die beiden Figuren Johannes des Täufers und der hl. Reparata in S. Miniato al Monte ^, die sicher schon ins erste Jahrzdint des XV. Jahrhunderts gehören, oder vollends die Darstellungen von Adam und Eva in den Deckenbildern des ehemaligen Convento del Ceppo (S. Antonio Abbate) zu Pistoja'), die von Lokalschriftstellem fQr Antonio Vite in Anspruch genommen werden. Hier begegnet die nämliche Scene: Eva lang und dünn, mit eng aneinander ge- schlossenen Beinen, kerzengrade vor einem Gebüsche stehend, wie sie Adam die verbotene Frucht nach links hinüberreicht. Adam wendet sich dreiviertel oder ganz im Profil zur Gefärtin und greift mit der Rechten zu. Zwischen ihnen der Baum, um dessen vStamm sich die Schlange ringelt, deren menschlicher Kopf genau die Züge des Weibes wiederholt Dieser Trecento-Nacktheit gegenüber, die man einem Sdifller des Gherardo Stamina, also einem Alters- und Ateliergenossen Maaolinos zumuten will, obwol sie in völlig ver* stftndnisloser AUgemeinhett beharrt, und überhaupt der ganzen bis- herigen Behandlung des Nackten gegenüber, muss nun diese Ijeistung in der Brancaccikapellc um so mehr ins Auge &Uen.

Hier ist mit der Aufgabe wirklich Emst gemacht, zwei Menschen in körperhafter Erscheinung hinzustellen, wie sie auf dem Erdboden- stdien oder sich bewegend auftreten können *). Diese Körper haben ein festes Knochengerüst, dessen Hauptformen und Teilungen dem Meister bekannt sind und in natürlichem Zusammenhalt unter der Oberfläche der Haut gezeigt werden.

Besonders Adam steht auf dem linken Bein, mit der Fufssole am Boden haftend, sicher und doch elastisch da, indem das rechte

«) Phot. Alinari 3615. ») Phot Brogi 6461. ') PhoL Brogi 6258. *) Vgl wmn AbbiUu« TA TL Schaartow, ICaMcdo-Stadim. m. 3

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Adam und ßvA

Bein leicht nach der Seite vorgestreckt in Spannung- bleibt; nur ist hier das Abheben der Sole und die Haltung der Zehenreihe noch nicht glücklich. Hier steckt in der summarischen I^ehandlung dos Fusses noch ein Rest der befangenen Schullorni, (^benso wie in der Eckigkeit des Armes, dessen Einbogen nach auswärts steht, während die Hand bis zur Brusthöhe erhoben wird. Die Linke hängt gerade an der HHHie herunter und h&lt einra Zweig, der die Scham ver- deckt; mdem diese ganze Hälfte des Oberkörpers in seitlicher Drehung zurQdctritt Zwischen starken Schultern erscheint die Brustwelte etwas dürftig, als wäre auf ihre Kosten der Rflcken starker entwickelt Auf kräftig ansteigendem Halse hebt sich der Kopf aufrecht In Dreiviertelacht, genau in der Richtung des Oberkörpers nach redits gedreht: der harte, eher eckige Bau des Schädels, die bestimmte Durchmodellicrung der Gesichtsteile mit scharfer grader Nase und grossem Ohr, kurz gehaltenem Haar und Vollbart, machen durch ihren freien und cnerg^ischen Charakter das Misverhältnis vergessen, in dem die Gesamtlänge des Körpers zu ihm steht. Er ist in sich gross gehalten, dass er sich auch so geltend macht.

Auffallender bleibt diese Kloinlieit des Kopfes bei Eva, obgleich das längliche Oval das Antlitz mit seiner langen gradcn Nase, kleinen Augen und spitzem Mund, wieder schmal und gestreckt erscheinen Iflsst 1^ hocfasitzender unentwiclcelter Busen betont die gleich- armige Länge des Leibes und der Schenkel nur erst redit, und weckt, wie die Unbestimmtheit der Durchmodellierung in allen diesen Teilen, den Zweifel ob dem Maler Oberhaupt ein weibliches Modell 2U Gebote gestanden, oder ob er genötigt war, sich auf Erinnerungs- bilder zu verlassmi, oder sich mit Umformung eines jungen Burschen zu begnügen. Im Grrunde haben wir wol nur die Abwandlung der selben Normalfigur vor uns, die beim Manne ebenso das volle Ein- gehen auf Naturw.-ihrheit nicht aufkommen lässt, also eine Kon- struktion nach der Schulrcgel gotischer Bauhütten. Jedenfalls ist das vortretende linke Bein in ganzer Länge ziemlich unartikuliert und die Knöchelpartie zu stark wie das Handgelenk. Das rechte Bein bleibt vom Knie ab zurückgebogen hinter dem andern. Während der linke Arm, um den Baum gelegt, mit dem Zweig in der Hand vorgreift, hebt sidi der rechte, nnt der Frucht In den Fingerspitzen zur SchulteihOhe, um den Bissen zum Munde zu Aren.

I^e malerische Absicht des KOnsders dagegen ist völlig eigen und klar. Hr zeigt uns die weibliche Gestalt, fest ganz von vom gesehen in voller Beleuchtung des weidier geftirmten Leibes, den männlichen Körper muskulöser und knodiiger, in Drdviertddrehung zur Geförtin und energischem Gegensatz von Sdiatten und licht.

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1*LASTISCHE UND MALERISCHE AliSICHT 35

SO dass z. B. der linke Obendienkel und Arm sowie ein grosser Teil des Rumpfes, im Schatten liegend, nur durch ReflexHcht erhellt wird. Und diese Beleuchtung ist sdir bemerkenswert: sie entsprach genau dem Standort des Hildes an der rechten Seite der Kapelle vom Eingang aus, wo das einzige Fenster, schmäler als jetzt, in der Altarwand die Lichtquelle war, der anstossende Kreuzarm der Kirche dagegen nicht so lichtvoll wie heute im Neubau des achtzehnten Jahrhunderts, sondern eher dunkel wie in S. M. Novella oder Croce.

Und noch mehr, bei dieser vollen Modellierung der Formen in immerhin harmonischem Umriss, kommt es dem Maler doch auf etwas anderes an als die rein plastische Wiedergabe, Klarheit der Zeichnung und Rundung des Körperlichen. Er empfindet den eigentOmlichen Reiz des Nackten in der freien Natur und breitet das Grfln des Gartens Eden mit Baumschatten und HQgelwand als FoUe darunter. Die Wirkung der hellem Hautfiu-be des Weibes und der dunkleren Kamation des Mannes so nah bei einander, auf dem brflunlidien und blAuUchen GrQn des Baumschlages hat gewiss das Absehen der Aus- fQrung ursprünglich noch mehr bestimmt, als wir es beim heutigen Zustand des Wandgemäldes verfolgen können ; aber dass die kolo- ristische Stimmung mitspricht und gewollt ist, wird jedes Auge auch jetzt noch herausfülen.

Natürlich steht das Menschenpaar am liaum der Erkenntnis, dessen Stamm die Eva umfa,sst, und aus dem Gezweig der Krone reckt sich der bewegliche Schlangenleib mit dem kleinen menschen- ähnlichen Kopf hervor, genau so gebildet, wie wir sonst die Engel am Tron Marias zu sehen gewont sind. Dies feine Kinderanttttz steht herabschauend grade in der Mitte, wie die hdmiiche Bundes- genossin des Weibes, die Peitho der antiken Kunst, zwischen und Ober Beiden, wie die verfilrerische Macht des Beispiels» das stäiker ist ab alles Ueberreden. Evas Augen sind nach der Seite des Mannes gerichtet, während sie die Hand mit dem veifaängnisvollen ^ssen hebt; Adam folgt mit ernstem Blidc, ob vorwurfsvoll, ob ge- spannt, ob zaudernd, schon diesem Vorgang, noch nicht mit der Hand dem Munde so nah, wie die schwächere Gefärtin, doch bereit genug das Stück zu kosten, das sie g^egeben, er genommen und be- halten hat. Ein letzter Rest des Zagens vor der Tat, deren Vollzug kaum zweifelhaft bleiben kann: das ist der Inhalt des Augenblicks, den der Künstler gewält hat

Ob der Ausdruck den Grad sprechender Lebendigkeit erreicht, den er gewollt hat, oder den wir wünschen, sind zwei sehr ver- schiedene Fragen, auf dexen zweite nur eine subjektive Antwort

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Der SüHdenfalL

gegeben werden kann. Ueber Adams f^rn<:tpn Blick und das Spiel der beiden Hände, zwischen denen der Kopf des Dämons wie das Zeichen an der Wage steht, an dem das Zünglein noch leise hin nnd wieder schwankt, über diese sichtbare Amicutiin^ des seelischen Vorq-angs geht der Ausdruck kaum irgendwie hinaus. In den Ge- stalten sonst kaum ein leichtfüssigcs Entgegenkommen beim Weibe, ein unsicheres Innehalten beim Manne. Aber man vergesse nicht, sie sollen ja noch rein und unschuldig sein ; Leidenschaft und Sünde haben das keusche Gefilss ihres Leibes nodi nicht berOrt, das bose Gewissen ihre Nerven nicht durchzittert; die DarsteDung solcher Spuren des Einmal filr alle Mal wäre ein Verstoss gegen die Schrift gewesen, deren Veranschaulichung nur als die Aufgabe des Malers betrachtet werden darf. Deshalb dürfen whr nur das MustentOck des ersten Mensdienpaares, die Ebenbilder Gottes im Sinn der Kirdie, Normalfiguren nat* t^ox^v im Sinne der Kunst von damals erwarten. Deshalb soll nicht geläugnet werden : man merkt, dass die Bewältigung der Schwierigkeiten, die sich dem Kennen des Meisters bei solcher Arbeit ergaben, die Darstellung der beiden Körper in schlichtester Ruhe schon so sehr die Kräfte in Anspruch genommen hatte, dass die Belebung der Gestalten im Sinne eines einheitlichen Affektes vielleicht von selbst schon zurückblieb. »Einen absoluten Mangel jeglicher Beziehung zwischen den beiden schlanken Gestalten«, wie A. V. Zahn urtdlt, vermag ich nidit suzugeben, tmd der Vergleich mit der Vertreibung aus dem Paradies ist fteilicfa an Ort und Stelle sdir natOrlich, last unvermeidlich so ehiander gegenfiber, aber dodi immer ein Anachronismus» wenn der Abstand von ein Paar ausser- gewOnlich fortschrittlichen Jahren dabei ausser Rechnung bleibt. Wenn er vollends zu dem Ergebnis fürt, dieser Sündenfidl erscheine daneben, >als eine leblose langweilige Komposition«, so ist dies relative Urteil allerdings richtig, aber ebenso ungerecht und irre- fürend, wenn man den Stand der florentinischen Malerei im Augen- blick der Entstehung vergisst.

Den letzten Schritt zu tun, der den Abstand zwischen beiden Bildern nur durch Zuteilung an zwei verschiedene Künstler erklären zu können glaubt, dazu kann auch A. v. Zahn sich gegen Cavalcaselle nicht entschlicssen, Er »will den Sündenfall dem Masaccio nicht absprechen«; denn Crowe und Cavalcaselle hatten geurteilt: »im Stil des Kontuis und in der ffildung des Nadcten sei dies Gemilde von den flbrigen nicht wesentlich verschieden«. Und doch weist grade Zahn auf die Leistungen Masolinos in Csstiglione d'Olona hin, »gegen welche der Sflndenfell zurflck stehe«, auf »die Gestalt des getauften Qiristu% den Frierenden, den sidi Abtrocknenden

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BiASOLENO ODER MaSACCIO

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unter den Neophyten«, Letstiingeo, die, als 1435 dh. ein volles Jahnehntsptter entstandene, zur Entsdieidung zwisdien Masacdo und Masolino in der Brancaccikapelle gewiss nicht mehr so ohne Weiteres herangezogen werden können, ausserdem aber einesteils ganz heterogene Genremotive sind, wie die Täuflinge am Ufer, andemteils durchaus nicht die Vorzüge zur Schau trag-en, die sie in Zahns Erinnerung besassen. Man lege sich doch (mit Hülfe unsrer Abbildungen) die beiden Figuren nebeneinander, die sachgemäss allein in Betracht kommen dürfen : den Christus im Jordan dort und den Adam im Paradiese hier. Der Letztere ist weitaus überlegen.

In der Stellung des Körpers, in der Haltung des rechten Armes haben beide viel Verwandtschaft; aber nach einem Blick auf die oberflfichliche und unverstandene Durchmodellierung der Brust, auf die dürftigen Arme, auf den zartknoddgen und doch AltUch gebrech- lichen Bau des Gottessohnes hei Masolino, mfiaste man eher geneigt sein, diese Darstellung des Nackten fhr viel froher zu halten als den Adam der Brancaccika|>elle, der daneben wdgebaut, stramm und frisch, wahrhaft männlich erscheint, und in der Modellierung der Muskulatur eine viel genauere Kenntnis und fortgeschrittenere Mittd der DurchfOrung aufweist. Jener Christus in Castiglione stünde, wenn wir kein Datum dafür besässen, gewiss als gotische Vorstufe da, aus der sich durch eifriges Modcllstudium und technische Uebung in der Wiedergabe der Kaniation der Adam entwickeln mochte, wenn jene Taufe ein Jugendversuch in der ererbten Schulmanier, dieser Sündenfall ein eigener Anlauf zu kühnem realistischem Streben wäre. Da die Daten beider Werke jedoch grade umgekert liegen, so folgt daraus unweigerlich, dass der Maler des Christus in der Taufe von 1435 ^^^ht im Stande gewesen sein kann, ums Jahr 1425 schon diesen Adam im Sflndenfidl zu malen. Denn selbst eine fiflchtige Wiederholung geläufigen Eigentums, wie wir sie bereit- willig bei dem oberen Bilderschmuck des Baptisteriums m Castiglione zulassen wollen, wflrde doch bei solcher Hauptfigur, an ehier der vomemsten Stellen des Cyklus, nicht frohere Errungenschaften in der Kenntnis des Körpers wieder preisgeben. Masolino hat Oberhaupt die Tektonik des KnochengerOstes niemals soweit erlernt, wie der Adam sie zeigt

Als gleichzeitige Leistungen dieses bereits vierzigjährigen Meisters stehen ja die Deckenbilder der Collegiata in Castiglione, mit seinem Namen da. Nur sie dürfen wir fragen, ob Masolino diesen Adam in Florenz unmittelbar vorher gemalt haben kann oder nicht. Wem spränge die Unvereinbarkeit nicht in die Augen? Die Proportionen seiner schlanken, langbeinigen und kurzbrüstigen Gestalten, mit

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Masolino oder Masaccio

ihren kleinen Köpfen und ihren fliessenden Gewändern sind freilich sehr verwandt; sie gehören zur selben Schultradition. Aber dort haben wir einen Miniaturstil als Grundlage, hier den Mnnumonlalstil in vollem Ernste. Wir haben in Castiglione beobachtet, wie un- eigentlich diese Wesen Masolinos dastehen, wie die Arme bald zu kurz unter dem Mantel verborgen, bald lang und dünn in engem Aermel, doch ohne jede Andeutung ilirer Gelenke und Muskulatur, fem abliege von dem Bemflhen um Durdibildung des Nackten und um Herrschaft über alle Glieder des Menschen. Dort steckt dieser Abkömmling des Stamina noch ganz in den körperlosen Gewand- figuren des Trecento, durch deren feierliche Draperie er wirken will, ohne Ghibertis Schatz von anmutigen und ausdrucksvollen Motiven, oder seine Gabe harmonisdier ' Entfaltung des Leibes zu besitzen. Seine realistischen Neigungen gehen mehr auf perspektivische Kunst- stücke im Beiwerk, auf luftige Architekturen in Untensicht, grade da, wo sie am wenigsten am Platze waren. Sonst lautet doch das Urteil allgemein : architektonischer Rhythmus des gotischen Stils«, »von jedem realistischen Anklang V(')llig freie Arheit- (A. v, Zahn) und wir sollten in chronologischer Konsequenz nicht Lübkes Ausspruch zustimmen? »Wer zwischen 1422 und 1427 (um den weitesten Spielraum, den die Daten lassen, zuzugestehen) die Bilder am Chorgewölbe der Collegiata ausgcfürt hat, die noch so stark vom gotisdien Stile bestimmt «ind und erst schwache Spuren einer neuen Belebung zeigen, der kann unmöglich um die selbe Zeit auch nur die schwftdisten Bilder in der Cappella Brancacd gemalt habra«.

Wenn im Sündenfall »nur die völlige Koncentration der Kräfte auf die dem Künstler aufdämmernde Schönheit des Nackten«, wie A. V. Zahn überzeugt ist, den Mangel einheitlichen Zuges im Aus- druck des seelischen Vorganges erklärt, so ist schon damit wol ausgesprochen, dass wir eher einen jungen aufstrebenden Meister wie Masaccio vor uns haben, als einen vierzigjährigen Mann, der seine Aneignung der Körperform nicht soeben erst ernstlich beginnt. Wir legen aber auf diese Eroberung der Grundlagen alles (iestalten- bildens für den realistisch gesonnenen Maler, die hier vollzogen ist, viel mdir Gewicht als auf den Ausdruck. IHe Tektcmik des Knochen- gerOstes und die Rundung der Formen im plastischen Sinne sind die konstitutiven Merkmale fttr das Können des Meisters, der hier gewaltet; sie sind exakte Dinge, die sich durchaus verstandesmSsdg und objektiv kontrolieren lassen, also von zwingender Beweiskraft.

Deshalb mag hier den Verfechtern Masolinos, die sich doch hauptsachlich auf Vasari berufen» auch wenn er den Stindenfall nicht

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Einzelfiguren S. Peters und Pauls

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auadrQcklich als Maaolmos Anten erwänt, noch eine Erwägung vor- gehalten werden, die sich ganz genau an Vasaris adsdrOcldicbes Zeugnis hält Sie betrifft das sichere Dastehen oder feste Auftreten der Figuren im Sündenfall, die sich dadurch wesentlich von den Deckenbildem in Castiglione unterscheiden.

Petrus und Paulus an Cappella Serragli

Vasari erzält, Masaccio habe an einem Pfeiler der (.'appella de! Crocifisso im Carmine die destalt des Apostels Paulus gemalt, »die sich bei den Glockr-nsträn^ren befindet«, und die ihm auch von Antonio Manetti ') und dem Libro d Antonio BiUi, den zuverlässigsten Crewftnmännem des Quattrocento selbst, zugesprochen wird. Und zwar sei dies geschehen, wie nur Vasari weiss >oome per saggio«, um die Verbesserung zu zeigen, die er in seiner Kunst erreidit hatte. An dem andern Pfeiler derselben Kapelle hatte Masolhio die Einzelfigur des Petrus gemalt, die ebenso bestimmt m jenen Quellen als sein Eigentum bezeugt ist

Die beiden ApostclfQrsten an den Eingangspf^em einer Haupt- kapelle, wie die »del Crocifissoc war, hochverdienten Patronen ge- hörig, wie die Serragli im Carmine sich bewärt, und in unmittel- barer Nachbarschaft der Kapolle des Starnina«, wie Fr. Albertini noch 1 5 10 hervorhebt, sie mussten von vornherein zum Vergleich zwischen beiden Meistern herausfordern. Nun aber lesen wir bei Vasari, die Gestalt des Paulus von Masaccio habe ausserordentliche Vorzüge besessen. Der Kopf sei das Bildnis des Bartolo di Angiolino Angiolini gewesen (der 1373 geboren, damals also ungefär fünfzig Jahre zaite) und zwar von so aberraschender Lebenswahrheit, >dass ihm allein das Wort zu fehlen sdiien«. Dennoch habe er dem Charakter des Apostels Paulus, den er darstellen sollte, besonders entsprochen: »durch jene Verbmdung römischer Urtianität mit christ- lichem Glaubenseifer«. Da taucht für uns als neues VergleidisstQck auch 8. Matthäus an Orsanmichele, von Ghibertiund Michelozzo (1422) auf. Als Gemälde aber bekundete die Fig^ur »ein staunenswertes Verständnis für Verkürzung in Untensicht, da er die Schwierigkeit in der Stellung der Füsse überwunden hatte und so über die unge- schickte Fehlerhaftigkeit der altern Maler, die alle ihre Figuren nur auf die Fussfpitzen zu stellen wussten, hinausgekommen war«.

In einer eigens deshalb angeschlossenen Erklärung nimmt Vasari das Verdienst dieses Fortschrittes für Masaccio in Anspruch und verficht sein Prioritätsrecht nochmals, nachdem er die selbe

uno Santo Pagholo tra la cappeüa de'Seragli, ch' & dov* t S. CrodfiMO» e cappella dipintoTi la »toria di santo Giroiamo, fighuim tnaravigUoM.

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40 S. Paulus und S. Ivo

Sache achcm vorher Besprechung des hL Jvo voo Bretagne an einem Pfeiler der Badia hervorgehoben hat Leider ist auch dies

Freskobild, in dessen unterem Tdl die Witwen und Waisen, die von diesem Heiligen Hülfe erwarten, zu ihm aufblickend dargestellt waren, nach zeitweiligem Aufenthalt in einem Nebenraum '), verschollen. Da auch die beiden Gestalten an den Pfeilern der Cappella Serragli im Carmine, der Brancaccikapelle grade gegenüber, schon 1675 dem Neubau des Corsini-IIeiligtums zum Opfer gefallen sind, so ist es uns versagt, ein eigenes Urteil zu bilden. Die Aussage \^asaris aber ist klar und niuss für seine Anhänger bestehen bleiben. Hat Masaccio erst den gemalten Einzelfiguren diese statuarische Eigenschaft sichern Dasteheoa erobert, so hat sie Masolinos S. Petrus eben nicht be- sessen, — und nicht Masolino, sondern Masacdo hat Adam und Eva im Sflnden&U am Eingang der BrancacdkapeUe gemalt

Damach erscheint die Tatsadie, dass Vasari den Sflndenfiül gamicht unter den Stocken au^alt, die er ftr Masolinos Arbeit ansah, in ganz anderm Lichte. Und wir müssen der philologisch- historischen Methode, die mit den Zeugnissen dieses Biographen operiert, das Recht absprechen, solch ein nicht bezeugtes Werk für Masolino zu verwerten, weil sie sich dadurch zu dieser Erklärung Vasaris über Masaccios Priorität in direkten Widerspruch setzt. Von Masaccio dagogen berichtet der selbe dewärsmann ausdrück- lich über eine ganz analoge Leistung: lavoro in Fiorenza una tavola, dentrovi un maschio ed una femmina ignudi, quanto il vivo, la quäle si trova oggi in casa Palla Rucellai«.

Mit dem Sünden&U gebort nun aber au& Engste die Erweckung Tabitfaas zusammen. Wir finden das Antlitz der Eva, das doch gewiss als wolerwogenes Ideal des jugendscbönen Weibes angesehen werden darf, dh* als Bestes, was der Maler damals zu erreichen ver- mochte, wir finden es ganz genau im Kopf der nächsten Frauen- gestalt des Nachbarbildes wieder, jener nonnenhaft verschleierten jungen Witwe, die rechts in der Ecke kniet und ein rotes Kleid, das Tabitha gefertigt, auf den Armen vorweist nur in veränderter Stellung die nämlichen Züge. Die Wiedergabe mit den gleichen technischen Mitteln lässt erstrecht über die Wiederholung des Typus keinen Zweifel, dass wir in beiden Stücken auch nur die Hand eines und desselben Malers erkennen dürfen.

Indessen so ein einzelner Kopf ist ja immer nur Stückwerk gegenüber den durchgehenden Erwägungen, durch die wir dies dritte Bild am Eingang schon mit den beiden Scenen der Petnislegende drinnen verknüpft haben. Alle drei Teile dieses Wandstreifens sind

') B occhi-Cinelli, Le Bellezz« . . di Firenze 1677 p. 383.

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Einheit der Bildekkeihe

fQr uns nur denkbar als die Erfindung eines und desselben Meister^ der sie susamroen, je nach ihrem Werte und ihrer räumlidien Wirkung im grosseren Ganzen der Kapelle komponiert hat, wie er in allen die wirkliche Beleuchtung vom Fenster dieses Innenraumes aus sowol gleichmässig durchgef&rt, als auch im Aufbau der Figurengruppen zur Richtschnur genommen hat. Schon der Um- stand, dass Petrus als Bringer der Heilung für den Lahmen rechts auftritt, wie Kva als \'erfürcrin des Mannes, durch die alle Sünde in die Welt gekommen, dagegen im Mittelbilde der Apostel links, nur vom Rücken her beleuchtet, während die Erzälung der Schrift ihn ganz allein ans Lager der Toten bringt, diese für die Aufer- weckung wol berechnete Mafsregel, also Gesetz und Ausname setzen einheitlidie Erwägung voraus. Und wenn wir fragen, bei welchem Kflnstler wir mehr Veranlassung finden, solche Absicht anzuerkennen, so kann die Antwort wol Aller nur »Masacdo« lauten, und der Name Masolino fiült atogesichts seiner gesamten Leistungen in CaatigUone einfach aus dem Ramen dieser Büderreihe in der Brancaccikapelle heraus. Masaodo ist damals überhaupt der einzige Maler, der mit solchen Abwägungen von räumlichen und körperlidien Faktoren operiert, und grade dadurch zum Begründer des monu- mentalen Stiles der Wandmalerei geworden, auf den Piero de' Franceschi und Melozzo da Forli folgen und auf dem noch Rafacl fusst. Da liegt für uns die Grundlage für allen Ruhm der I^rancacci- kapelle, auch wenn nicht Alle, die darin studiert haben, diesen Kern der Leistung zu erfassen vermochten.

Gehen wir darnach auf jenen Punkt des Kunstvermögens über, zu dem ^e Wiederker des weiblichen Idealtypus schon hindr&ngte und auf den A. v. Zahn seine Aufinerksamkeit allein gerichtet hat: auf die Bildung und Bewegung der Grestalten.

Da stehen wir keinen Augenblick an, auch hier den fiübaren Zusammenhang mit der Schulgewonheit des Trecento anzuerkennen. Aber auch hier madit aicli das Studium der besten ftltem Meister allen Ernstes viel mehr geltend, als die Verwandtschaft mit Masolinos Deckenbildem in Castiglione. Gegenüber jenen scUanken, zärtlich weichen Gebilden erscheint in den Bildern der Brancaccikapelle ein ganz anders geartetes starkknochiges Geschlecht, das auch die Per- sonen der Johanncslegcndc noch im Baptistcrium an markiger Energie übertrifft, jedenfalls vor der letzten Reihe dieser Wandgemälde vom Verhör bis zur Enthauptung fUr Masolino undenkbar wäre. Wie

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Gemeinsame Eigenschaften

PMrus und sein Begleiter den geheiligten Typen treu bleiben und in ihrer Geaamterscheinung noch den glüddichsten Leistungen eines Agfnolo Gaddi und Antonio Veneziano nahe stehen * ), viell^cht nur durch grossere Sicherheit in der Wiedergabe des Knochengerüstes und kräftiger Modellierung aller Formen, durch den starken Aufbau des Körpers und durch die Festigkeit des Auftretens dem neuen Jahrhundert angehören, so ist dieser Entwicklungsproccss auch in dem stehenden Kaikopf zu Häupten der Bare besonders deutlich. Ein hochbeiniger gotischer Gliedermann ist mit jenem feierlichen Quergehänge drapiert, das wir bei allen Aposteln und Propheten des Lorenzo Ghiberti und seiner Schulgenossen, besonders an der ersten Tür des Baptisteriums finden. Aber vergleicht man sie mit Ghibertis Statuen an Orsanmichele, vom Täufer (1416) bis zum Stephanus (1426)* so wird man inne, welche malerische Breite der Gewandung, welche Wucht des Gebarens in dieser Gestalt am Lager Tabithas erreicht ist Und die energische Modellierung dieses aus- drucksvollen Kopfes geht über Alles hinaus, was wir bd Masolino und Ghiberti finden, beruht vielmehr auf einer plastischen Grossheit, die wir allein in der Richtung Donatellos suchen können. Aber es ist eben nur der Kopf, und die heftig bewegte Figur des Turban- trägers zeigt daneben deutlich, wie das mangelhafte Körpergestalten dem Maler in der Durchfürung seiner Absichten noch ein Hindernis bleibt. Dagegen ist die Gestalt Tabithas schon in ihrer sitzenden Haltung auch mit verhülltem Körper klar und bis auf die Füsse befriedigend gelungen, und die knieende Witwe vorn, die wol zuletzt ausgefürt wurde, schon von einer einfachen Grossartigkeit, die wir aus Masacdos Portrfttfiguren bei der Dreifaltigkeit in S. M. Novella oder bei der Cathedra Petri in dieser Kapelle wol kennen, bei Masolino jedoch nirgends, auch im Herodiasbilde zehn Jahre apftter nicht in dieser Weise, nadizuweisen vermögen.

Uniäugbar sind die Ungleichheiten im Wert der Ausftrung, und schon die Unterschiede in der Gewandbehandlung, die hier be&ngen und altertümlich scheint, dort breit und grandios wird, verraten, dass der Meister hier und da flüditig dreingefiffen und das

Tagewerk der Freskoarbeit an ihren Gränzpunkten zusammengemalt hat, während er in ausdrucksvollen Köpfen, in sprechender Gesamt- haltung und in einheitlicher Lichtfürung vollauf sein Bestes gegeben. Geht man diesen Ungleichheiten im Einzelnen nach und vergisst

>) Den besten Aufsdiliist Aber Antonio Venetiano geivlhrt wol die Tafel mit

knieenden Aposteln in Altenburg, die zu einer Hitnmelfart Christi gehörte (Abbildung in der Festschnft /n Ehren des kh. Inst, in Florenz, Leipzig i8()- S. t"-;) und die Einzelfigoreil „Agnolo Gaddi, S. Julian u. S. Nicolaus in München," Phot. Bruckmann N. 9^4.

Gestaltenbiu>ung Bewegung Ausdruck

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nicht, wie bei alledem doch die Gesamtwirkung- sowol im psychisch- dramatischen wie im malerischen Sinne herauskommt, so erkennt mati wol die raschen Fortschritte eines hochbegabten Künstlers in seinem Aufstreben aus der Schultradition, der bei der Schnelligkeit seines Ganges unniOtrli( h alle Teile seines Kunstverniogens aus- gleichen kann, sondern soviel Neues will und Neues zu geben hat, dass daneben das minder Wichtige oder noch nicht zu freiem Besitz Erarbeitete zurückbleiben niuss. Als I-eistungen eines vierund- zwanzigjährigeii Malers wie Masaccio »nd sie durchaus, in ihren Fehlem, wie in ihren Vorzügen, begreiflich, allerdings längst keine zaghaften schüleihaften Versuche mehr, geschweige denn nm Geiste Masolinos be&ngen«, der so etwas nie geschaffisn, nie so von Innen aus sich herausgeboren hat

Tafelbild in der Akademie

Zu diesen entsdieidenden Eigenschaften des breiten Doppel- bildes und des sdunalen Eingangsstückes, die wir als früheste Bestandteile der erhaltenen Wandgemälde in Caf^lla Brancacci betrachten, kommen nun noch Beziehungen zu andern W^erken hinzu, die zeitlich hierher gehören, und soweit sie in unseni Quellen- schriften erwänt sind zur Vervollständigung unserer Beweismittel dienen.

So kert vor allen Dingen der (_Tesichtst\'[)Us der jungen Witwe zu äusserst rechts, den wir auf das weibliche Ideal des Künstlers in seiner Eva zurückfüren inussten. zum dritten Male wieder als Madonna auf einem Tafclbilde, in dem auch das Antlitz der alten Tabitha, das uns in der Auferweckung in scharfem Profil gezeigt wird, als heilige Anna vorkommt, wenn auch diesmal von vom ge- sehen. Das Tafelbild stellt »die hL Anna selbdritt« dar und befindet sidi jetzt in der Florentiner Akademie.') Vordem war es in der Kirche S. Ambrogio, wo es an seinem alten Standort nodi von Vasari ausdrücklich als Werk Masacdos bezeugt worden ist:

»Von seiner Hand ist ein Tafelbild, in Tempera gemalt, in dem eine Madonna im Schols der heiligen Anna sttzi; mit dem Söhnchen im Arm ; diese Tafel ist heutzutage in S. Ambrogio zu Florenz in der Kapelle unmittelbar neben der Tür. die zum Sprechzimmer der Nonnen fürt*.

Seitdem hat es als eins der bestbeglaubigten Beispiele für Masacdos Tafelmalerei gelten müssen, zumal nachdem das Altarwerk

Vgl. unsere AbbUdoRg Tafel V. Mitte.

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Tafelbild von S. AMBRoaio

im Carminc zu Pisa zerstückelt worden und ganz verschollen schien. Durch die Sorglosigkeit bei Veränderungen in der Kirche, durch Sonnenschein, dem es an seiner letzten Stelle daselbst wol ausgesetzt gewesen, dann wol auch durch Herstellungsversuche nach seiner Ueberfürung in dio Akademie hat dies Altarstück die ursprüngliche Parbenfrische eingebüsst. Auch die Grosse der Tafel scheint an den Seiten beschnitten, und die Abrundung oben nicht ohne Wider- spruch zur vollständigen Form eines Kleeblattbogens ausgefürt, dessen Nasen noch in die Goldgrundfläche einspringen, und wie das gotische GehAuse, das wir hinzuzudenken haben, den mneren Aufbau der Gestaltengruppe und den altertQmllchen Apparat dabei mit bestimmt haben. Auf doppelsitzigem Stul, dessen sddicfate hölzerne Pfosten mit birnformig gedrechselten Kop&tQcken geschmttckt sind, tront auf einer obem Bank die heilige Anna, eine ernste Matrone in nonnenhafter Verschleierung, so dass nur Gesicht und Hände frei bleiben. Sie legt die Rechte auf die Schulter ihrer Tochter Maria, die zwischen den Knieen der Mutter auf der unteren Bank sitzt, und erhebt die Linke über dem Haupte des Knaben, der nackt im linken Arm der Jungfrau auf deren Schofs sitzt, zugleich von beiden Händen Marias gehalten. Die linke Hand des Christusknaben ruht auf der seiner Mutter, während die Rechte sicli /um Segnen empor- hebt, linkshin auf den Beschauer, dem auch das AnlUtz des Kindes sich zukert, während Maria ernst und stumm nach der rechten Seite hinausblickt An der vom ausgerundeten Stufe des Podiums sind die Worte

Ave : Maria : Gr(a)tia Plena Dominvs Tecvm :

Be(n)edictatv h- herum geschrieben, die etwas kleiner und enger beginnend, grösser und wdter endigen und in Rücksicht auf die Perspektive die An- geklammerten Buchstaben versdiwindcn lassen. Auf diesem etwas von oben gesehenen Untersatz steht links und rechts am Pfosten je ein Engel, das Weihrauchfass schwingend, während drei schwebende Engel einen prächtigen Vorhang von Goldbrokat hinter der Gruppe emporhalten, so dass der Stoff von beiden Händen dieser Träger erfasst symmetrisch in Form eines spätgotischen Vorhangbogens herunterfällt. Der oberste, vom Kreissegment des einramenden Kleeblattbogens eingcfasst, neigt sich vornüber, so dass sein Kopi vom Scheitel gesehen zwischen den ausgebreiteten Schwingen und Armen die Spitze des Ganzen bildet. Die beiden seitlichen Grefiürten wenden sich in Dreiviertelsicht den Hauptpersonen zu.

Diese Engel bezeugen am auffiiUendsten, dass es dem Maler dieses sonst noch starren Kirchenbildes^ das zur Heiligung der Mutter

S. AnKA SSLBBRlTt

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Anna selbst das Ceremoniell des Weihrauchopfers und byzantinische Teppichbreitung aufbietet, wie irgend die Sienesen des Trecento, g^rade diese dienenden Engel beweisen, dass es dem Künstler persön- lich um die wirkliche Erscheinung menschlicher Körper zu tun ist, und zwar an ihrer Stelle im Raum. Er will sich nicht mehr mit der Allgemeinheit des Goldgrundes begnügen, noch das Mittel des Vorhangs nur benutzen, die räumlichen Verhältnisse der Gegenstände zu einander nach Bequemlichkeit zu verschleifen, um die Verteilung idealer Wesen auf der FlAche beliebig nach dekorativen Rücksichten vomemen zu können, sondern er will Körper und Raum deutlicher als bisher auseinander setzen. Auch die Engel tragen wie die drei Glieder der heiligen l^ppe rekifagemusterte goldene Kreise um das Haupt, aber die erhobenen Flagel des Einen verbergen zum Teil diesen Schmuck im Nacken, und in der Modellierung der KOpfe wirkt sdion eine ganz bestimmte von iinks oben her einfidlende Beleuchtung mit, die über die allgemeine Helligkeit von vorn in den Bildern älterer Zeitgenossen hinausg^t Die nämliche Beleuchtung breitet sich auch über die Ilauptgruppe aus, und die entsprechend energische Schatten gebung hat, wie es scheint, zum Teil den jetzigen Zustand des im Ganzen stark gebleichten Bildes verschuldet. Darüber belehrt vor allen Dingen die dunkle Karnation des nackten Knaben, der breit gebaut und wol genärt, mit rundem Kopf und vollen Formen eher etwas derb, wie ein junger Herkules erscheint. Der Körperbau dieses kräftigen Bambino bestätigt vollends, dass wir es mit einem Maler zu tun haben, der die Bestrebungen der zeitge- nOssiscben Plastik in seine Kunst aufnimmt, und zwar im ausge- qnochenen Sinne der Realisten, wie Donatello, Midielozzo und Luca deOa Robbia. Am Taufbecken des Baptisteriums in Castiglione sind die nackten Buben am Baluster nicht heaaer gelungen, obgleidi sie zehn Jahre später datiert werden müssen. Sie aber teilen mit diesem Christusknaben hier eine Absonderlichkeit, die während der Frührenaissance häufig begegnet: die winzige Bildung der Hände (die Füsse sind ganz verdeckt) im Verhältnis zum übrigen Körper, besonders zum dicken Kopf. Damit rüren wir an die selbe Zwie- spältigkeit des Mafsstabes, die hier zwischen Engeln und Jesuskind ins Auge fallen muss, und um so mehr verletzt, je vollständiger die Körperlichkeit des nackten Bürschleins auf dem Schofs der Mutter herausgearbeitet ist. Den nämlichen Widerspruch zwischen der neuen Naturtreue und dem ererbten Idealismus der Gotik ge waren wir innerhalb der Engelfiguren selbst, deren Oberkörper eine ganz andre Realität gewinnen als der Rest im langen Gewände. Erst ein VergleiGh mit den Engeln Masolinos bei der KrOnung an der Decke

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Aufbau der Gruppe

der Collegiata oder in der Glorie Gottvaters noch bei der Taufe im Baptisteriuin belehrt über den Abstand des WoUens wie des Könnens.

Zum vollen Verständnis des Geleisteten gelangen wir alxT endlich durch die Kontmlo des Aufbanos der Ilauptg'ruppe, indem wir das Verhältnis der beiden sitzenden Frauenkorper zu dem Tron- stul näher ins Au^e fassen. Dies plastisch tektonische Gerüst ist ausserurdentlich klar und bestimmt auch unter dem Gehänge der Mäntel und Schleier ausgeprägt In scharfer Bezeichnung der Stufen- folge gipfelt sich das Ganze zu einer geschlossenen Pyramide, zu der die vom stehenden Engel hinzugerechnet werden. Die vor- stehenden festen Punkte^ wie Kniee, Elbogen, Schultern sind stark betont, wahrend die Vorderarme S. Annas» wieder mit kleinen Händen, offenbar zu kurz geraten. Sonst sind es Gestalten von sehr gestreckten Proportionen, und diese Bildung verrät wie der Typus der Köpfe noch engen Zusammenhang mit den Letztlingen oder Nachzüglern der Trecentokunst. Der Umriss der Köpfe zeigt ein langes Oval, das durch Augenbrauen und Nasenspitze in drei gleiche Teile geteilt wird : die Schädelform ist kugelig gerundet, die Augen schmal geschlitzt, die hochgezogenen Brauen als feine Bogenlinien gezeichnet, die Nase grad ablaufend mit scharfkantigem Rücken, der Abstand zwischen Nase und Mund ziemlich lang, die Lippen etwas vorstehend, besonders der mittlere Teil der Oberlippe, so dass die Mundparde wie kleinlich zugespitzt oder bedenklich vorgescboben erscheint Sie haben darin eine gewisse Aebnlichkeit mit der ziemlidi rohen und oberflächlichen Wandmalerei m & Miniato al Monte, die unweit der Grabkapelle des Kardinals von Portugal die hl. Reparata und S. Johannes den T&ufer darstellt und schon oben Ütr die Pro- portionen von Adam und Eva herangezogen wurde. Diese Eigen- schaft zeigt sich aber v<Mrnemlich bei Maria, d. h. bei dem weib- lichen Ideaitypus, und gerade dieser ist es wieder, der das Tafelbild aus S. Ambrogio augenfällig mit den Wandgemälden der Brancacci- kapelle, die wir soeben besprochen, verbindet. Der Maria wie den Engeln gleichcrmalsen verwandt sind auch die jugendlichen Köpfe der beiden .Stutzer. Die erhobene Linke S. Annas kommt ganz ähnlich bei dem kalköpfigcn Greise mit gespaltenem Vollbart über den Frauen vor, deren Tracht wieder völlig dem Witwenstande gemäss mit der Annas hier flbereinstimmt. Ueberall begegnen die nflmlicfaen FaltenzQge, die mit den weichen, fliessenden Stoffen nicht allehi das Hervortreten der entscheidenden Haltpunkte und Grelenke des Körpers zur Geltung bringen, sondern zwischen solchen Höhe- punkten ein brdtes malerisches Gehftnge bilden. Endlich entsprechen auch die Farben, soweit ein TafislbUd hier mit Fresken dort im

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S. AmNA SSLBDRITt AI

heutigen Zustande noch einen Verjjleich postattct, dem Charakter jener obern Reihe in Cappella Brancacci durchaus. Die Karnation g-eht von rosiger Jugendfrische in den Kngeln zu bräunlichem Weizen- gelb beim Kinde und zur Lederfarbe im runzligen Angesicht der Matrone. Der Mantel Marias ist blau, ihr Kleid ziegelrot; ein weisser Schleier, der auch um die Büste geschlungen ist, deckt ihr hell- blondes Haar. S. Annas Unterkleid ist blau, darüber liegt der weisse Wdhel mit dem Gebftnde unter dem Kinn und vom Scheitel herab der weite, an beiden Seiten des Kopf«« grade herunterfidlende Mantel, dessen helles Karminrot in den Lichtem ins Gelbweisse Ober- g^t Der Tep|»di sdieint einen Damaststoff von dunkdm Karmin- rot mit eingewirkten braunen, ja grauschwarzen Mustern wieder- zugeben. Die Gewänder der Engel sind rotgelb, gelbrot, violottrot und rosaweiss schillernd. Der Tron ist in hellem Grau, wie die Pietra Serena, angestrichen. Wir haben also die beliebte Zusammen- stellung von hellem Karmin und Silbergrau wie an der gemalten Pfeilerarchitektur der Brancaccikapelle und dem Fresko der Drei- faltigkeit in S. Maria Novella, als Umgebung der Figuren gruppe, durcli das Gold der Heiligenscheine und des Hintergrundes in Wirkung gesetzt.

Nach alledem kann durchaus kein Zweifel aufkommen, dass dies lafelbild aus S. Ambrogio aufs AUerengste mit der obem Freskenreihe in der Brancaccikapelle zusammenhängt, und dass es ein Beispid der Kunst des selben Meisters für die kirdilichen Zwecke der Andadit giebt, das unmtttdbar vor der Entstf^ung dieser Wand- malereien vollendet sein mag. Die altertamlichen Bestandteile dflrfen darüber nicht täuschen, da die Bestellung der Nonnen von S. Ambrogio jeden&Us viel davon ausdrQcklich verlangte.

Da Vasari dies Kirchenbild nun aber ausdrücklich Masaccio zuschreibt, und zwar nach einem Jugendversuch in perspectiviscfaen Schwierigkeiten an erster Stelle namhaft macht, so giebt er uns damit einen Gegenbeweis in die Hand gegen seine Zuteilung jener Fresken an M asolino. Nach unserer Rechnung hätten wir in S. Anna selbdritt, wie etwa in der Einzelfigur des Apostels Paulus die un- mittelbare Vorstufe für den Beginn des Doppelbildes aus der Petrus- legcnde vor uns, also Masaccio um 1424, und die Bestellung der Nonnen von S. Ambrogio k<jnnte der Anlass sein für seine Ein- tragung in die Malergilde mit der Jabreszal MCCCCXXIV.

Wäre diese Schlussreihe nicht richtig, so bliebe nur die Um- kerung ofien: Vasari hätte die Fresken dem Masolino mit voller Sachkenntnis zugeteilt, die Notiz Ober das Bild in S. Ambrogio aber fiUscUich in das Werk des Masaccio, statt in das des Masolino ein-

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Masaccio od£r Masolino

gel&gt Dies ist die Sdilussfolgerung aller deijenigen Pondier ge^ blieben, bei denen nch die Vorstellung von Masolino nach den er- wänten Wandgemälden der Brancaccikapelle gebildet hatte, so dass

zu schwer davon loskommen können, um vorurteilsfrei den Gang von den bezeichneten Deckenbildern in Castiglione her noch einmal durchzumachen.

Uniäugbar nähern wir uns in diesem Tafelbilde der Akademie um einen fülbaren Schritt jenen Darstellungen der Marienlogende im Chor der Collegiata. Ganz besonders sind es die Engel, auf deren Verwandtschaft mit denen Masolinos hingewiesen werden darf. Ja, wir gehen noch weiter, da wir auch in Castiglione die Uebereinstimmung der Kunstweise zwischen diesen Deckenbildem und dem ganzen obeni Schmuck des Baptisteriums ausdrücklich an- erkannt haben. Wir anerkennen damit auch zaMche Beziefaungen zu den hieratischen Bestandteilen dieses spatem Cyklus von 1435, den Engeln, Evangelisten, Propheten und Kirchenvätern Masolinos, und warnen nur vor der Einbeziehung der letzten Bilder aus der Johannes- legende vom Verhör bis zur Enthauptung als ganz uozulftssig >). Dies Alles zugegeben, genügt uns doch ein Hinweis auf die sichere, plastisch oder wenigstens tektonisch durchaus klare Darstellung der sitzenden Figuren, die sorgfältige fast baumeisterlich rigorose Be- tonung der Kniee, Schultern, Köpfe usw. in ihrer scharfen körper- lichen Form, um S. Anna selbdritt für ein ganz anders geartetes Werk zu erklären, das weder vor 1425, also vor den Deckenbildern im Chor der Kirche, noch vor 1435, also vor den Deckenbildern dos Baptisteriums, auf die Rechnung Hasolhios gesetzt werden darf. Man vergleiche doch die Unbestimmtheit des Daaitzens auf dem Tron bei Maria sowol als bei Christus in der Krönung; man ver- gleiche dodi den Pkopheten Jeremias oder gar den alten Zadiarias unten bei der Namengebung. Dann aber könnte wie das Bild in S. Ambiogio auch die Freskenreihe der Brancaodkapelle, die so eng damit zusammen gfdiOrt, von dem Masolino, den man sich aus beiden Bestandteilen herausgelesen hat, erst länger als ein Jahrzehnt nach der bisherigen Datierung der Brancaccifresken, also etwa nach seiner Rückker aus Ungarn gemalt sein. Damit aber fiele ja die anerkannte Chronologie völHg über den Haufen.

Der Meister, der das Bild für die Nonnen von S. Ambrogio ge- malt hat, war damals indess nicht allein ganz anders vorgebildet, in viel strengerer Zucht geschult, sondern auch von Natur ganz anders geartet, so dass er nur völlig andersartige Gestalten zu schaffen ver-

») In diewn Pdiler vwrOllt Knadtsoa, Ifancdo p. 186 f.

t>AS KiRCHENRILD AUS S. AMBkOGtO

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majf. Vor allfMi Dingen fällt doch wol an dem Bilde der Akademie der gänzlit hc Mangel an Anmut auf, für den auch die Engelköpfchen nicht entschädigen können. S. Anna ist eine hartknochige Sibylle mit runzligen Zügen , wie die unerbittliche Priorin des Klosters selber. Maria hat nichts von der silphidenhaften Zartheit und weichen ^lildo des Wesens, das die Jungfrau Masolinos zu einem anziehenden, wenn auch noch so unwahrscheinlichen Phantasieg(\schripf macht. Und das robuste Kind vollends hat trotz der Segenspendo etwas von dem mürrischen Ernst der beiden Mütter, dafür aber eine ge- sunde L^Hdikelt mit auf die Welt bekommen, die wir Maaofinos Christkindldn keinen Augenblick, aber auch seinen Patten, als Genien mit einem Schriftband nicht zutrauen dürfen. Die Anspannung der geistigen Kraft, die Anstrengung der mühsamen Arbdt spricht Über- all aus dem Tafetbilde, so dass wir schon daraus nur auf einen jungen, gewissenhaft ringenden, aufstrebenden, aber noch nidxt mit aicfa und seinen Mitteln fertig gewordenen Meister zu schliessen ver- mögen. Und die Ungleichmässigkeiten die übrig geblieben sind, der Widerspruch zwischen den Mafsstäben, zwischen idealen Restand- teilen und wirklichkoitstreuen, die sich kaum mehr miteinander ver- tragen , all das erklärt sich nur im I'obergangsstadium einer viel tir tor greifenden .Seh» Opfern atur, als Masolino je gewesen und ge- worden ist. Ganz unverkennbar stehen hier zwei verschiedene Ein- flüsse nebeneinander: das Studium der besten alten Meister, bis Giütto hinauf und Brunelleschi herab, auf der einen Seite, und die leichte, lieUicfae Weise, die wir bei Masche gefunden und ebenso in den Anfängen Fra Angelicos die Grundlage bilden sehen. Aber selbst ^es bequeme Erbteil des nahestehenden Malers nimmt der Ui> heber der strengen Altartafel nicht mehr ruhig hin: die Engel vom mit äea Weihrauchfitesem sind nicht die sdinellfertigen Crelnlde Masolinos bei der KrOnung melir, sondern ftür ihre Stelle und ihre Tätigkeit gedacht, und ebenso die Teppichträger bis hinein in die Stellung ihrer Flügel, vollends aber der oberste, dessen schwierige Ansicht in Verkürzung vom Scheitel her und mit Rücksicht auf den untenstehenden Beschauer niemals, an so unwichtiger Stelle noch dazu, von Masolino unternommen wäre. Dieser eine Kopf, als selbstgestellte Aufgabe, im Zusammenhang mit dem ganzen körperhaften Aufbau der Mittelgruppe, bis auf die vortlerste Stufe des Trones hinunter, beweist allein schon, dass Masaccio dies Bild gemalt hat, und knüpft den Zusammenhang mit anderen Werken, in denen eine Reihe solcher Probleme verfolgt wird.

Nadi dieser dngdienden Analjrse des Kirdienbildes aus Sb Ambrogio stellen wir uns auf die Seite von Crowe und CavaK Scbnarfow, Maiacdo-StoJiMi III. 4

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^tASOUNO ODER IbtASACCtO

casclle, die es als unbezwcifelbaros Work Masaccios betrachten und als Beweismittel auch für das letzte Fresko der Brancaccikapelle, das von Vasari für Masolino in Anspruch genommen worden ist, ins Feld füren: die Predigt des Petrus, an der Altarwand oben, links vom Fenster.*)

Die Predigt des Petrus

Nicht an die Heilung des Lahmen anstoasend, wo wir die Fort- setzung der Freskoarbeit zunächst erwarten könnten, scHidern auf der anderen Seite, der Geschichte vom Zollgroschen benadibart, erweist sich dies Bild doch, durch die Wiederker der T)rpen schon als zeitlich nächstes in der Reihenfolge, so dass es auch für uns notwendig zu der bisher betrachteten ersten Gruppe der Wand- malereien hiii/.ugehort. In schräger Linie nach links in das Bild hinein erstreckt sich die Versammlung, deren Mehrzal sich in Reihen hintereinander niedergelassen hat, dem Redner zu lauschen. Der kalkopfige Greis mit gespaltenem Vollbart, den wir aus dem Hause Tabithas kennen, begegnet dem Auge zuerst als auffallende Aus- drucksfigur: ganz zusammengekauert sitzt er in sein weites Gewand gehüllt und lehnt das Haupt gegen den aufgestützten Arm, den Blick zu Boden gerichtet wie zur tieften Einker in sich selbst ver- sunken. Ganz am Munde des Predigers hangt daneben die junge Nonne, mit glattem Kinderantlitz gläubig zu ihm au&chauend Sie ist durdiaus der Maria im Tafelbilde von S. Ambrogio und der jungen Witwe bei Tabitha, wie der Eva im Paradies verwandt, luid erscheint nur etwas voller und blühender, so dasa sie mit dem jungen Stutzer im blauen Damastmantel, der zum Tempel schreitet, die grösste Aehnlichkeit hat. Diese gesciiwisterlicho Eigenschaft teilt auch die Nachbarin der Nonne , die mit gesenkten Lidern horcht und ihre Wange in die Handfläche schmiegt. Ihr üppig gewelltes, hellblondes ll.iar macht sie der Magdalena vergleichbar und nähert sie andrer- seits dem Evangelisten Johannes, den wir aus Masaccios Meisterwerken kennen. Sehr bezeichnend aber für die Formgebung dieses Meisters ist der junge Manneskopf, der hinter dem alten Jeremias aus der dritten Reihe mit gespannter Aufmerksamkeit hervorguckt: er trägt alle Merkmale der persönlichen Eigenart Masaccios an sicfa^ bis hin- ein in den Sdmitt der etwas vorstehenden Oberliiqpe, des Nasra- rQckens und des grossen Ohres. Der Apostel selbiÄ aber, dem sie alle zugewandt «nd, ist gegen die beiden ersten Darstellungen wesentlich verändert Nach dem ersten Anlauf bei der Heilung des

*) Vgl WMere Abbüdniig, Diit dem Gegenstoß der Tmle taimmen anf einer Tafel (Uefemog n, Nr. }).

PRKDir.T DES PkTRUS

Lahmen und der bewussten ZurOckhaltung an der Bare Tabithas, bezeichnet diese Gestalt einen achtenswerten Portschritt und zwar ■m Sinne der Propheten- und Apostelstatuen Donatdlos, so daas

sie schon dem Marcus an Orsanmichele nicht mehr fem steht Dieser Petrus hat etwas von der derben Wucht im Auftreten und dem un- geschlaclitcn Gebaren, als käme es darauf an, den Versammelten möglichst handg^roiflich ins Gewissen zu reden. An der linken Seite des Bildes, nohcn dorn Pfeiler, ganz im Profil gesehen, fasst er mit dem linken Arm den Mantel, dessen Ende über das Handgelenk geschlagen ist, so dass die breite Faust sichtbar wird, und erhebt die Rechte bis zur ITAhe des eigenen Angesichts mit einer Finger- stellung, die mehr Mahnung und Vorwurf als pathetische Begeisterung oder dialektische Beweiskunst bezeichnet. Wie die nackten Füsse mit den Solen fest auf den Boden gepflanzt sind, hat diese Hand mit dem breiten Armansatz, den der zurflcksinkende Aermel frdlflsst, eine urwüchsige Kraft und wirkt als plastischer Faktor vollen Wertes mit dem Stiemacken, der durch die gehobene Schulter bedrängt wird, und dem mftchtigen runden Kopfe, dessen bestimmende Teile durdi- aus bildnerisch herausgearbeitet sind, schon imponirend genug zu- sammen , nicht unwesentlich unterstützt durch die grosafl&chigen Kontraste von Schatten und Licht. Hinter dem Apostelfiirsten wird, vom korinthischen Pfeiler halb verdeckt, ein Porträt sichtbar, in der breiten Kapuze und dem faltenreichen Uebcrwurf der florentinischen Patrizier von damals, begleitet von einem jugendlichen, fast weiblichen Gefärten. In so unmittelbarer Nähe der Hauptperson, deren Ver- herrlichung die Malereien der Kapelle gewidmet sind, dürfen wir in diesem energischen Antlitz in Dreiviertelsicht wol nur ihren Stifter Feiice di Michele di Piuvichese Brancacci erkennen. Es ist ein schmal- gebauter Kopf mit adiweren Augen und langer' Nase, deren Spitze mit dem vorgeschobenen Lippenpaar wetteifert und den üppig ge- schwungenen Mund wie das festgebaute Kinn zurückzudrängen droht, eine Physiognomie, die an van Eycks Tuchhändler Amölfini er- innert und an Donatellos Niccol6 da Uzzano streift. Auf der andern Seite, die beim Einbau des Altartabemakels leider stark beschnitten worden, stehen ebenso aufrecht und bewusst einige Karmeliter, An- geh«>rige des Klosters, natürlich in ihrer Ordenstracht und unter Fürung des wolbeleibten Priors, der sich soweit vorwagt, dass er fast dem Apostel Konkurrenz macht ; dafür ist aber sein Kopf durch das RatTieinverk des Altars zerstört worden, so dass nur die breite Hand auf dem Uebcrwurf noch dreinredet.

Diese Porträtfigun n , deren Anwesenheit bei der Predigt des i*etrus befremden mag, sind doch als Hörer in den Hauptvorgang

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Masouno oder Masaociö

einbezogen und haften am Wort des Redners wie alle Uebrigen ; daneben aber sind sie un.ibweisliche Zeugen für die Vergrösserung des Stiles und den Zuwachs an selbständiger Naturtreue. Wird schon in den sitzenden Figuren der vorderen Reihe die nämliche Grosahmt aufgenommen, die soeben im Vordergrund der Auf- erwedcung Tabitfaas erreicht worden war, so meldet sich in den Stehenden vollends eine schlichte Unbefongenheit, die mit dem zu- sammengeballten Haufen der Kopf an Kopf gedrängten Gemeinde «dl kaum m^ vertragen will, und sichtiich Qber die ererbte Fassung biblischer Geschichten hinaus treibt.

Um aber zu begreifen, was auch in diesem Innern der Kom- position Neues ftir die damalige Zeit erreicht worden ist, genügt ein Blick auf den starren Bussprediger Johannes, den Masolino noch zehn Jahre später wiederholt. Wo wäre die machtvolle Erscheinung, die überzeugende Gewalt, das Einsetzen der Persönlichkeit, wie beim Petrus hier, von dem wir das rhetorische Pathos oder die römische Urbanität des Paulus freilich nicht erwarten. Wo wäre die tief inner- liche Wechselbeziehung zwischen dem Redner und seinen Hörern wie hier, wo unter der Braue sehies Auges die feurige Hingabe des Apostels» aus Blicken und Benemen der Gemeinde so aufrichtige Ergriffenheit ^richt Während bei Masolino die Reihe von Porträt- figuren in voller Gemfltsruhe nur dasteht, um konterfeit zu werden, drangen sich auch hier die Neugierigen aus der Florentiner Gregen- wart zu dem wundersamen Heiligen, der drausaen in den Bergen zum Volke predigt wie der Täufer; aber sie geraten unter den Bann seiner Worte und selbst die Fratres vom Carmine feigen fest mit offenem Munde.

Für den innern Zusammenhalt und die gesc hlussene Einheit des Bildes, die dort in Castiglione solchen Bildnisst n zuliebe verzettelt werden, sorgt hier an der Altarwand der Brancacci-Kapcllo auch die bestimmte Beleuchtung, die in dem schmalen Wandstreifen oben genau so durchgefürt ist, wie sie durch das Fenster daneben herein- fiel Ein Streiflicht von rechts oben geht Aber die Gesichter der Mönche und der Sitzenden hin, wahrend es vollauf nur der Haupt- person zu Ghite kommt Aus solcher Oekonomie der verwertbaren Plätze, die dann auf dieser Wandfläclie vecftlgiMr blieben, eiklärt sich zum grossen Teil auch die Aufeinanderschiebung der Figuren im Vordergrund und der Abschluss durch nahe Hflgel, die nur als Folie der Ausdrucksköpfe in gleichmässiger Färbung ansteigen, und in ihrer Gesamtformation, eigentlich erst im Verlauf ihres Kammes oben, die raumschaffende Wirkung gewinnen, die sich der Maler in der Auseinandersetzung dieser Kuppen mit der Luftregion nicht ent-

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Predigt des Petrus

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gdien laset Diese Redinung aber, auf die Masolino gar nicht verfidlen wäre^wie seine Taufe Christi beweist, enthalt grade die kOnsdeiische Absicht Masacdos an der dunkeln Stelle der Kapellenwand. Wer den Anspruch auf selbständigen Wert dieser »Landschaft« erhebt,

der hat von *der Albernheit seines Ansinnens keine Ahnung, und berücksichtigt jedenfalls den Umstand gamicht, dass die Kapelle früher mit ihrem schmalen vrotischen Fenster, in dem gewiss auch farbige Glasscheiben nicht feiten, noch viel dunkler war als heute, wo sie aus dorn hellen Querhaus noch dazu starkes Reflexlicht erhält.

Nach alledem brauchen wir kaum mit Crowe und Cavalcaselle noch hinzuzufügen: »Zur Kräftigung des Beweises, dass wir es hier mit keinem Andern als eben mit Masaccio zu tun haben, kann ein Vergleich dieser Petruspredigt mit der »Conception> in der Akademie der Kflnste in Florenz dienen.« Mit den Deckenbildem in der CoUegiata zu Castiglione sind diese Reihen von ausdrucksvollen Köpfen und psychisch ganz vom Wink des Apostels abhängigen Figuren, wie diese lebendigen Bildnisse ganz unvereinbar. Und sie gerade müsste Masolino ja unmittelbar nach diesem vereinzelten Stock der Altarwand gearbeitet haben, das seinem Orte wie seiner Stellung zur Bilderreihe rechts gemäss nur als letzte Leistimg vor dem Weggang aus Florenz angesfurochen werden dürfte.

Beziehungen zu andern Arbeiten Dagegen wird es ratsam, auch in beglaubigten Werken Ma- saccios nach chronologischefn Anhalt zu suchen, zumal da wir das Kirchenbild aus S. Ambrogio mit der »Conception« oder S. Anna selbdritt vidmehr mit den ersten Scenen, die Masacdo unseres Er- achtens hier gemalt hat, in Verbuidung gebracht haben. Zur Flredigt des Petrus und zum Mittelbilde des Wandstreifens mit Tabitfaa stdit ein andres Werk in näherer Beziehung, nämlich der Altar fOi die Kh^e der Karmeliter in Pisa, dessen letzte Teile dem Maaacck> im Lauf des Jahres 1426 erst bezalt wurden. Wir haben bei Be- sprechung der Ueberreste des vielteiligen, bei Vasari genau be- schriebenen Tafelwerkes die Predellenstücke in Berlin mit der An- betung der K(^nige besonders für die späteste Zutat erklären müssen, die wir bis dahin kennen; dagegen durften zwei Halbfigiiren von Heiligen auf Goldgrund, die dem obern Aufsatz über dem Hauptbild angehc)rt haben, S. Paulus im Museo Civico zu Pisa und S. Andreas beim (rrafen Lanckoronski in Wien '), als altertümlichere und deshalb früher entstandene Beiträge betrachtet werden. An dieser Stelle unseres

*) Vi||. lief: D, Nr. la

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S. Paulus und S. Andreas aus Pisa

Weges erst kann der weitere Schritt zur Begründung des Urteils geschehen, nämlich die Behauptung, dass die beiden Halbfigwren von Aposteln ganz eng mit den soeben besprochenen Fresken der Brancacdkapelle, der Predigt des Petrus und der Auferweckung- Xa- bithas zusammenhängen, also wahrscheinlich im Jafire 1425 ent- standen sind. Die Hochschultrigkeit durch aufgebauschte Gewan- dung beim Paulus und die Schiefheit der Ansicht boini langbärtigfen Andreas, mit den scharfen Kontrasten von Hell und Dunkel, sind felerhaftc Eigenschaften, die für diese Zeit als charakteristisch er- kannt wurden.

Nun aber sind mir inzwischen noch, wenn auch nur in Ab- bildungen, zwei andre Stücke bekannt geworden, die schon durch die Ma&verhältnisse der Figuren zum Goldgrund wie durch die genaue Ueberdnstimmung der breiten Heiligenscheine mit Rosettenrand und dreiperligen Spitzen an der P^ph^e die Zugehörigkeit zu einem gleichzeitigen Werk des Meisters dartun. Es sind zwei Taföln, deren jede zwei BOsten, eines männlidien und einer weib- lichen Heiligen enthält, und zwar so. dass das ^ne Paar dem andern sich zukert, also einander gegenüber gestanden haben muss. Der männliche Heilige, links S. Johannes der Täufer, rechts ein lang- bärtiger Mönch in schwarzem Ueberwurf über weisser Kutte, be- fand sich nach Innen zu, der Mitte des Ganzen näher, die weib- liche Heilige, links eine Martyrin barhaupt mit Palme, rechts eine Andre mit dem Mantel über dem Kopf, ein Krüglein in der Iland, einen Dolch auf der Brust, den die Finger der andern Hand kaum berüren, dagegen nach Auswärts.

Die beiden Tafeln sind in dem Katalog »Peintres pcimitifs, cdllection de tableaux rapport^ dltalie et publik par M. le ' Chevalier Artaud de Montor, Paris 1843, Taf(d 25 in guter Lithographie nach offenbar sehr zuverlässiger Zeichnung von Gaell abgebildet, dort aber falsch bestimmt und bisher unerkannt geblieben. Uns aber gewären diese vier Köpfe, die man abgesehen von den Halb- figiiren in Wien und Pisa immor nur auf Masacdo oder MasoHno taufen könnte, ganz besonderes Interesse» denn sie werden un- g-ezwungen zum Mittelglied zwischen den versclüedenen Arbeiten des Meisters, deren Reihenfoly^e wir soeben zu begreifen suchen.*)

Johannes der Täufer, dessen Linke mit dem Rohrkreu/. abge- schnitten ist, weist mit der Rechten dorthin, während sein Antlitz gegen die Nachbarin gekert ist. Der Charakterkopf ist nicht der- jenige in M.isolinos Bildern im Haplislcrium, sondern steht /.wischen

') ^S^* unsere Abbildung Tat. Iii. Vom Besitzer als „Buflalmacco" ausgegeben, tiao dodt wol mit Ffn in bigeiidweklier Beaidning. H : t6a X

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Fragmente eines Altarwekks

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Adam im SündenfiUl, Christus in der Gesdiichte vom Zdlgrosclien, und Grottvater in der Dreifaltijjrkeit von S. M. Novella in der Mitte. Selbst das runzlige Antlitz der hl. Anna könnten wir, besonders für Stirn und Mundpartie herbeiziehen, um auch dieses Stück damit zu verbinden.

Ganz ausserordentlich dem berühmten Christus unter den Aposteln auf Masaccios meisterlichem Breitbild verwandt ist die junge Martyrin mit Palme, im Schnitt der Züjjfc in der Stellung des Kopfes, und der schlichten, schmucklos und faltenlos über die I3rust fallenden Tunica, über die ein Mantel bis an Nackenhöhe hinauf und Ober den linken Arm drapiert ist, so dass die Hand ganz ähn- lich hervoraieht wie bei Petrus in der Predigt Den langbärtigen Mönch mit krauslockigem Haar könnten wir unter den Aposteln neben Christus oder Thomas suchen; aber er ist auch dem Kanne» liter und den Kirchenvätern auf den vier EinzelstQcken in engliscliem Privatbesitz (Ch. Butler, Esq.) auf der einen Seite, wie dem sinnendm Greise am Lager Tabithas ähnlich genug. Die junge Dulderin aber, die neben diesem glaubensstarken Gottesmann so weich und schmerz- voll das Haupt neigt, während sie aus Trauerschleicrn hervorblickend ein Trünenkrüglein darbringt, wie die Marien am Grabe, sie steht den Kugeln auf dem Bilde aus S. Ambrogio am nächsten und damit der Kunstweise des Masolino. mit dessen weiblichen Wesen an der Decke der Collegiata sie man( heu Zug gemein hat. Bei genauerer Vergleichung aber entspricht der Schnitt ihrer Gesichtes dem ge- kreuzigten Christus im Dreifaltigkeitsfresko von S. M. Novella, iiire Haltung im Mantelschleier der Maria in der Anbetung der Könige aus Pisa (Berlin.) Doch genug, sie wird uns später noch mehr- lach beschäftigen.

Gestutzt auf die durchgehende Uebereinstimmung mit den beiden Fragmenten« dem Paulus in Pisa und dem Andreas in Wien, wflrden wir die Zugehörigkeit zum Pisaner Altarwerk behaupten, wenn nicht ein Bedenken sich erhöbe: S. Johannes der Täufer könnte hier wol nicht als Halbfigur noch einmal vorkommen, während er schon im llauptbilde neben S. Petrus stand, und zwar in ganzer Figur neben der Madonna, mit seinem Martyrium zu Füssen in der Predella. Es sei detm diese Halbfigur nur der zusammen- geschnittene l'eberrest des ganzen Hauptheiligen, der nach Vasaris Beschreibung als einzelne (iestalt unten neben dt r des Petrus ge- standen hat, eine Anname, die der Zusammenhang mit der Nach- barin verbietet.

') Vgl. AbbilduDg in Liererung II Nr. II.

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Masolino oder Masaccio

Fresko in Empoli

Auf dem Wege zwischen Florenz und Tisa, den Masaccio bei Gelegenheit des Altarwerkes fQr Ser Giuliano di Coline mehrmals zurückgelegt zu haben scheint, begegnet uns in dem kleinen Land- stadtchen Empoli ein eigentflmlicheS) scfaneUfertiges und doch grossartiges Wandgemälde, von dem alle Kenner geurteilt haben, es dürfe auf den Namen Masolino oder M asacdo Ansprudi ofheben. In der TaufkapeUe der alten Kollegiatkirche, die unter ihren Kunst- Schätzen so manches Kleinod beherbergt, ist an der Hauptwand hinten wenn auch in arg beschädigtem Zustand, doch in ^t allen Teilen noch erkennbar, eine sogenannte Pictä gemalt. Em schmales, hohes Wandfeld, oben durch einen dreieckigen Giebel abcfeschlossen, war ursprünglich gewiss als Hauptstück einer gemalten Dekoration stark genug cingeramt, um es als solches /.u kennzeichnen und den Beschauer auf die figürliche I Darstellung vorzubereiten, die es ent- hält. Der hölzerne Kreuzesstamm mit der Inschrift INRY auf dem Zettel, und Geissein, die am Nagel der Arme aufgehängt sind, nimmt die obere Hälfte des Rechtecks ein. Davor erblicken whr unten, statt der Abname vom Kreuz oder der Beweinung des abge- nommenen Leichnams eine damals immerhin seltene Darstellung, die auch den folgenden Moment noch, die Grabtragung voraussetzt, und den toten Christus berdts im Grrabe zdgt GewOnlich wird der entseelte Körper des Gottessohnes dann von Engeln gdialten, die als himmlische Hüter zugleich ihrer Trauer freien Lauf lassen. Hier dagegen sind die nächsten Angehörigen, die beim Kreuzestod zu- gegen waren, an die Stelle der Engel getreten. Maria auf der einen, Johannes auf der andern Seite fassen den Korper des Er- lösers, der zwischen ihnen bis an die Hüften im (irabe steht. So nähert sich die Gruppe einer Grablegung, ohne die physische An- strengung, die dabei mitspielt, einzubeziehen. So bleibt Christus mit den allernächsten Sdnen allein, wie in stiller Totenkammer; aber auch diesen durfte die Last nicht aufgebürdet werden, und so ent- steht ein geheimnisvoller Vorgang, bei dem der Tote, halb ins Leben zurückgekert, schweigsam aber aufrecht, unbeweglich und doch teilnemend mit ihnen zu verkeren scheint, als fiUte er ihre Tränen und tröstete, noch selber leidend, ihren Gram

Von den Hüften abwärts ist der Körper von einem Marmor- Sarkophag mit einfacher römischer P*rofilierung und eingelegten farbigen Platten auf dor Vorderfläche urntjeben. Aber nach der scharf konstruierten, auch in Licht und Schatten genau perspektivisch

') mneie AbbOdnas Taftl IV.

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l' RtSKO IN EmK)L1

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gegebenen Form hat dieser marmorne Behälter quadratischen Grund- riss und gleicht mehr dem Rande eines Brunnens oder der Oeff* nung einer unterirdischen Grabhöle, in die der Körper nur in auf- rechter Haltung herabgelassen werden konnte, wie es noch heute in Gelnrgsorten Toskanas oder in Masseni^äbem des Armenfnedho& von Neapel geschieht. Immer jedoch bleibt das Stehen bei solchem Verhältnis des Poz/o zum Körper unerklärlich üQr uns. Aber aollen wir darnach fragen ?

Nicht minder jedoch als die aufrechte Haltunjr fordert die per- spektivische Genauigkeit zu so realistischer Rechenschaft heraus. Maria allerdings umfasst den Toten, dicht am Grabesrande kniecnd, mit ihrem linken Arm um den Rücken, so dass ihre Hand um seine Unke Schulter greift während seine Rechte ftber ihren andern Arm, dessen Hand sich unter dem Mantel emporhebt, in geknickter Hai- tung herQbefhängt An ein Festhalten des Iweicfanama» der willenlos seiner eignen Schwere folgte, ist nicht zu denken. Und drQben vollends kniet Johannes nur liebkosend, indem er den linken Unter- arm des Toten auf beiden Hftnden hält und mit seinen Tränen benetzt ■Sowol die grade Stellung des Oberkörpers, wie die aufrechte Haltung des Kopfes» der kaum mit leisester Neigung sein Antlitz der Mutter zukert, können also nur der eigenen Tätigkeit des gekreuzigten Gottessohnes oder einem mystischen Wunder zugeschrieben werden, das hier mitten im Todr den Schein des Lebens erweckt. Dazu kommt, dass die gesenkten Augenlider leise geölfnet sind, und die Augen nicht starr wie gebrochen erscheinen, sondern müde blickend, wie beim Augcnaufschlag aus tiefer Erschöpfung und bei der Rück- ker zu schmerzvollem Halbbewusstsein.

Es ist alsp eine VonteUnng der religiösen Phantasie, in der das Leiden des Opfers und der Seinigen, wie in einem Höhepunkt der Fassion zusammengefesst wird, ein inbrünstiges Gedankenbild zur sinnlichen Anschauung gebracht. Mit den Mitteln einer wahrheits- eifrigen Malerei durchgefllrt musste sie den innerlichen Widerspruch heraustreiben, den die Wdt der Empfindungen, ja der dichterischen Vorstellung wol vertrug. Geben wir die Bereditigung des Andachts- bildes auch in so augenfälliger Bestimmtheit zu, so übt es unläugbar grade durch die Wahrheit und Leibhaftigkeit des Einzelnen eine er- greifende Wirkung aus, die uns das Wunderbare bald wie selbst- verständlich hinnemen lässt.

Der nackte Korper ist g^ross und wolgebildet. mit einer für die Zeit der Entstehung ganz überraschenden Naturbeuhac hlung durch- modelliert. Der Maler lässt sich allerdings nur auf die Hauptsachen ein; aber er beherrscht den Bau des Knochengerüstes, wie die

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58 Masouno oder MASACaO

Mtlskellagen in einer dem Trecento völlig fremden Sicherheit Auf starkem Halse erhebt sich ein edler Kopf, dessen Züge noch viel von dorn bei Angelo Gaddi und seinen Nachbarn üblichen Typus bewart: die längliche Adlernase, die gradlinigen Brauen, das schlichte, in breiter Welle über dem Ohr zurückgestrichene Haar, das in den Nacken hängt. Maria und Johannes haben breitere Köpfe. Die Mutter zcii^t in nonnenhafter Verhüllung nur ihr tiefbekümmertes Malronenantlitz, desst^n Auufonbrauen sich in starken Falten zu- sammenziehen. Johannes hat reiches blondes Haar, in der Mitte ge- scheitelt, und fast weibliche Züge, so dass man ihn als Magdalena angesprochen hat Beide Gesichter, wie das Christi in Dreiviertel- sicht gestellt, sind in der Verkürzung nicht völlig gelungen, sondern etwas verquetscht 0.

Ueber diesem Hauptbilde ist ein breiter Fries angebracht, mit Laubornament im Geschmack des Niccolö d'Arezzo in der Mitte, das ^ flaches Relief wiederzugeben versucht, daneben aber links und rechts zwei Rundmedaillons eingeschlossen, in denen, wie durch Fensteröffnungen zwei Halbfiguren von Propheten in perspektivischer Verkürzung sichtbar worden. Der Eine, zur Rechten, der einen Toten- st:hädel in der Hand halt, hat durch Abblättern des Bewurfs den Kopf eingebüsst ; der Andre zur Linken beugt seinen langbärtigen Greisenkopf vornüber, sfxlass wir den Scheitel sehen, und liest, mit einem Gestus der Hand die Worte begleitend, aus einem Sclirift- band. Ein ähnliches, etwas grösseres Rund öffnet sich auch im dreieckigen Innenfelde des Giebels; darin erscheint das Antlitz des Erlösers auf dem Tuch der Veronica, aber völlig plastisch durcfa- modelliert mit dem roten Kreuz hinter sich, das auch unten den Nimbus Christi von den glatten Schaben der Heilige» unterscheidet Diese „Vera ikon" muss als wolerhaltene Darstellung des Christus- ideals, das der Maler mit aller Sorgfalt in harmonischer Schönheit, ganz von vorn gesdien, regelmässig und ungetrübt, dem Bilde des Leidenden drunten gegenübergestellt hat, vor allen Dingen Auf- schluss geben, wer der Meister sei.

Die beiden Zeitgenossen, die bei dem Wert der Leistung allein und ganz persönlich in Frage kommen dürfen, Masolino und Masaccio, haben beide Gelegenheit gehabt, ihren Christustypus wiederholt in mehr oder minder selbständiger Weise vorzufüren. Unter Maso- linos Malereien zu Castiglione, haben wir besonders die Krönung Marias an der Decke des Chores, dann die Taufe im Jordan und

') Man vergleiche mit dieser Pietä einerseits Donatcllos Grablegung am Tabernakel in S. Feter zu Rom (1433) und andrerseits Luca deUa RobbiM Relief «m Federighi» Gnbmil in S. Fiuwefoo dl FSmU (1455).

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Fresko in Emfou

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auch den Hinweis auf den verheissenen Messias im Baptistcrium.

Von Masaccio, darf die Sconc mit Petrus und dorn Torwächter in der Brancaccikapollo als reinster Ausdruck seines Ideales j^dten, während die Drcitalti^keit in S. M. NovoUa, mit ganzen Figuren in beschränktem Raum, der Architektonik zuUebe die (irossheit der Idealgestalten geopfert hat.

Masolinos Christus in der Krönung und im Hinweis des Johannes erschoint so stark von der Seite gesehen, dass wir beide- mal nur die durchgreifende Verschiedenheit von dem Gekreuzigten im Grabe hier feststellen können. Ein prinzipieller Unterschied Hegt . aber in der weit zartem Andeutung oder schwächem Durchbildung des festen Knochenbaues, das Masolino auch 1435 noch sehr ver- nacliläsagt, wo er nidit bildnissmaasig nadi der Natur arbeitet Sein Christus hat tiefgeränderte Augen mit schweren Oberlidern und hodigezogenen, in scharfen Bogen gespannten Brauen, unter denen der Augenhölenrand gamicfat markiert ist Dies ist auch beieichnend für die Taufe, wo aus der länglichen Eiform des Um- risses die Augen, die Nase und die Lippen nur klein und spitz her- vortreten, wie die abwärts gerichteten Enden des Bärtchens. Ein Blick auf den schwächlichen Brustkorb dieses zahmen Täuflings und die mangelhafte Durchfürunj^ iler gc\n/.en Aktfigur beweist dann vollciuis, dass der Urheber dieser wichtigen HauptdarstcUung im Baptistcrium \<>n Castiglione, der bei aller Vorliebe für nackte Korper in der genrehaften Ausschmückung dieser Scene durch fremde Täuflinge so wenig entwickelte Kenntnis des menschlichen Leibes zur Schau stellt, unmöglich den Christus in Empoli gemalt haben kann, ein Werk, das nach sonstigen Unvollkommenheiten beträchtiich froher datiert werden mflsste.

Dagegen stimmt der Christustypus oben auf dem Veronlcatuch sehr wol mit dem Christus von Masaccio im Hauptbilde derBran- cacdkapelle fiberein. Und die Bemühung um einen regelmässigen Idealtypus, wie sie hier unverkennbar in sorgsamer Berechnung der Proportionen auftritt, sdiliesst sidi unmittelbar an die Auffassung des ersten Menschenpaares im Paradiese an, wie wir sie nur dem Freunde Brunelleschis zutrauen, und wie sie durch die Tafel, die Vasari bei Palla Rucellai sah, ausdrücklich von diesem Malerbio» graphen für Masaccio bestätigt wird: seine Worte „un maschio ed una femina ignudi (]uanto il vivo" umziehen doch absichtlich die Be- zeichnung als Adam und Eva, weil es mehr die Xormaltypen bei- der (leschlechter waren, auf die es dem Künstler ankam, als die biblische Geschichte, die doch wol den Vorwand abgegeben.

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Masouno oder MASAcao

EinzelhMten dar Geaiditsbilduhg, wie in der starken graden

'Nase und der vorstehenden scharf abgekanteten Mundpartie zeigen sich in Empoü beim Christus oben wie unten, in der nämlichen Weise wie bei Maria und Anna auf der Tafel aus S. Ambrogio und auf Masaccios unl)estnttencn Bildern der Rrancaccikapelle, wo auch Maria und Johannes ihre Verwandten finden, die wir in Castiglione vergebens suchen. Ein vollgültiges Beweisstück zu Gunsten Ma- saccios ist endlich der starkverkürzte Kopf des greisen Propheten, der durchs Rundfenster droben gesehen wird: ihn hätte Masolino . aidi niemals auferlegt, besonders nicht als Beiwerk, und vermodite ihn auch niemals fertigzubringen. Wir werden ihm noch wieder begegnen, mflssen hier aber auf den Joseph in der Anbetung der Könige zu Beriin und andrerseits auf den sinnend vorgeneigten Grreis am Lager Tabitfaas hinweisen, die ebenso vom Sdieitel ge- sehen werden.

Damit sind wir in dem Umkreis angekommen, wo ^e Da^ tierung des Werkes versucht werden darf. £s steht in mancher Beziehung noch dem strengen Kirchenbilde aus S. Ambrogio nahe, wie es bei dem Gegenstand der Darstellung nicht anders sein kann, gemant aber in Maria und Johannes doch schon an die Dreifaltig- keit in S. M. Novella, die wegen der vollendeten Architektur und Perspektive nicht zu den frühen Arbeiten gerechnet werden kann. Die Ausfürung aber, die allerdings auch ursprünglich niclit in allen Teilen gleich sorgfältig gewesen sein wird, weist wieder an- sehnliche Fortschritte auf, so dass wir neben der Predigt Fetii erst die Entstehung dieser gelegentlicfaen Improvisation sudien können. So erscheint es in der Tat wie eine Leistung Masacdos, die auf der Wanderschaft nach Pisa, in kurzer Frist fertig geworden. Die Ver- wandtschaft des Johannes, den man für Magdalena gehalten, mit jener vollwangigen hellblonden HOrerin des PetruSi die ihre Augen schliesst, als möchte sie durch nichts umher abgezogen werden, gerade diese Beziehung zwischen dorn Fresko in Emf>oli und dem StQck der BrancaccikapeUe ist wol durchschlagend genug. ')

*) Crowe und Cavalcaidk «kdeiliokii in der itd. Axaffhe von 1883 nodi ihr

unbestimmtes Urteil (II p, 364) für Masolinos Autorschaft, das sich mit Umr Ent» fcfaeidong über die Fredigt Petli vnd den SündcnikU durcbaiu nicht vertilgt.

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£rste Reihe der BrancacciKapelle 6i

Ergebnisse

Koren wir darnach zu der ersten Gruppe der erhaltenen Wandgemälde im Carmine zurück, so hat sich wol nach mehreren Seiten der Unterschied von dem ßildorschmuck Masohnos in Casli- g-lione deuthchor als sonst herausgestellt. So dürfen wir mit Cavnl- caselle die Folgerung ziehen, dass Vasari sich in der Zuschreibung dieser Bilder an Alasolino geirrt hat, und glauben mit Lübke: „es kann nach Betrachtung der Fresken, von Caatiglione kein Zweifel mdir sein, dass Maaolino keinen Finselstridi im Carmine gemalt hatf' , nftmlich soweit die heute noch vorhandenen Ueberreste des einstigen Gesamtcyklus reiclien. «Trotz unläugbarer Schwächen st^en selbst diese frOhesten Bilder im Carmine so hoch Ober den Grewölbmalereien in Castiglione, dass man sie bei ihrer gleichzeitigen Entstehung keinem Andern als dem Masaccio zuschrcibon kann, der schon in der Heilung der Petronilla (d. h. Erweckung der Tabitha) ^ch allen Zeitgenossen weit überlegen zeigt."')

Doch wetni wir Vasaris Zuschreibung aut den Namen Masolino für das Doppelbild der Seitenwand wie für die Predigt an der Altarwand oben zurückweisen müssen, so kann diese kunsthistorische Berichtigung erfclgon, ohne damit sein künstlerisches Urteil sonder- lich herabzusetzen. Nur müssen wir bei einem Künstler um die Mitte des sechzehnten Jarhunderts wie Giorgio Vasari von vornherein darauf gehsat sein, dass smne Unterscheidung der PersOnlidikeiten und damit auch der Namen wesentlich durch den geniessbaren Wert bestimmt wird, den die einzahlen Werke auch in semen Augen noch besitzen. Die Fresken Masacdos in der Brancacdkapelle sind Ihm eine hohe Sdiule der Malerei; er empfielt sie den jungen Künstlern, fttr die er vornemlich schreibt, durch die Aufzälung all der eifrigen Zeichner, die in Folge diestt Studien es so herrlich weit gebracht und selber berühmt geworden. Also wird er wörtlich vielleicht nicht anders urteilen als Antonio Manetti: „la cappella e dipinta di trc maestri, ma lui (Masaccio) el mcglio che v' e." Nur wird eben diese Wertbestimmung bei dem Spätling des Cinquecento sich etwas gegen die des näher stehenden Zeitgenossen, der den Durchbruch der Hochrenaissance nicht mehr erlebt hat, verschieben. £r muss schon eklektischer die Vorzüge nur da suchen, wo sie der eigenen Bravour bereits verwandt sind. , J>as, was die Künstler vor den Fresken der Cappella Brancacd fesselte, sagt Albert von Zahn,

*) Jalub. L KmulwInaiMdMft IIL 184. Vgl. beionde^ mch K. WocmiMUi, der mehrfach fttr diese Uebeneagnng dngetreten iit

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Masolino oder Masaccio

muss doch die ganz eigentQmliche Schönheit der Formen, die Vor- ahnung des klassischen Stils der BlOtezeit gewesen sein."

Nun beobachten wir aber auch heute in der Beurteilung der grössten Meister, eines Lionardo, Rafacl, Michelangelo ebenso wie zeitlich näher stehender Klassiker, in der Kritik über Echtheit und Uncchtheit der Werke, die ihren Namen tragen, einen leicht ver- zeihlichen weil schwer überwindbaren Irrtum, der auch die scharf- sinnigsten Klopfe verstockt. Man bildet sich nach den anerkannten Leistungen oder gar nach einer Auswal des Bedeutendsten ein Ge- samturteil über die geistige Eigenart des Künstlers und glaubt da- mit den untrüglichen Mafsstab zu besitzen, der seine persönliche Arb^ zu untersdieiden und aus allein Fremden berauszuscuidfim berechtigt. Damit aber beschr&nkt man sich mindestens auf den fertigen Meister, den »Klassiker.** Zu solchem kritischen Ver&ren bedarf es aber noch eines andern, oft unentberlicheren Faktors damit man des werdenden oder des ver£ülenden Mdsters nicht ver- lustig gehe: der genauesten Kenntnis des historischen Zusammen- hanges nach rückwärts wie nach vorwärts, der sichersten Vertraut- heit vor allen Dingen mit sämtlichen Nachbarn, mit denen dieser „Einzige" etwa doch zeitweilig verwechselt werden konnte, oder, wer weiss wie, verwechselt worden ist. Kein Wunder, wenn schon Vasari . der von Geschichtswissenschaft nichts ahnte, den wordenden Masac< io etwas zu kurz hinter dem ßcginner der bclla manicra modcrna abschnitt und die Stücke, die ihm noch zu altertümlich schienen, zurückwarf auf den nächsten Vorgänger. Dies eklektische Verfaren in Cappella Brancacci, wo die Stilfhige sozusagen aktuell auftrat, kommt ihm gamicht bd,wo er die sonstige Ueberlieferung Ober vorhandene Arbeiten Masaccios wiedergiebt. Andernfalls wflrde das Tafelbild aus S. Ambrogio oder die „Heilung des besessenen Knaben**, ein perspektivisches Experiment, das er im Hause des Ridolfo Ghirlandajo gesehen, wol der nämlichen Ver- neinung erlegen sein. Forscher, die Rafaels Jugendwerke behandeln, ohne die Sc Ii ul genossen im Atelier Peruginos, wie Giannicola Manni, Giovanni lo Spagna, Eusebio di S. Giorgio, ebenso wie Bornardino Pinturicchio und Timoteo Viti genau so /u kennen, wie sie Rafael zu kennen t^lauben, haben niemals Aussiciit auf haltbaren Erfolg ihres Bestrebens. Wer den werdenden Rafael verstehen und unter- scheiden will, muss alle Fäden, die in ihm zusammengehen, zurück- verfolgt haben, sonst feit ihm ja für die Kompetenz seines Urteils die erforderliche InibrmadcHi.

Ganz ebenso dflrfen whr auch von Vasari nidit «warten, dass sein Urteil den Gang rfldcwärts in die EntwiGklttng;q>eriode oder

t^OftLEMATlSCHES £RGEBNtS

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gar dir I.chr/.eit eines Künstlers mitzumachen im Stande seL Wo die Werke Masaccios nicht mehr der Vorstellung entsprechen» die er von ihm als vorbildlichem Meister bei sich befestigt hat, da ge- hören sie einer Vorgeschichte an, die er als „maniera jcj^ofFa" von den Musterstücken möglichst fern hiilt. Bei seinem Hinweis der jungen Künstler auf die Meisterwerke Masaccios in der Brancaccikapelle kommt es ihm garnicht auf eine genaue Feststellung des beglaubigten Eigentums, sondern eben auf die Auswal der Hauptsiichen an, die jene anerkennen und studieren sollen. Das waren: die Zalung des Stater, ^ Taufe und die Enreckung des KOnigsohnes drinnen, draussen die MSagra" und, wenns hoch kam, die Einzelfigur des Paulus ,A>ei den Glockensträngen^ Wie wenig er auch darin vollständig zu sein bemflht ist, sagt wol das Uebergehen der Vertreibung aus dem P^uradiese.

Das hindert uns jedoch nicht, bereitwillig anzuerkennen, dass die Aussonderung der Predigt Petri, als vereinzeltes Stück der Altarwand, einen guten Blick für künstlerische Unterschiede be- kundet Hier macht sich in der Tat, im Vergleich zur Taufe da- neben und zur Schattenheilung und Almosenspende darunter, ein Abstand bemerkbar, wahrend andrerseits die Verwandtschaft dieses einen Stückes mit der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas ebenso einleuchten muss. Wir haben eben deshalb die erste Gruppe der erhaltenen Wandgemälde, mit Einbeziehung des Sündenfalls, nach der Predigt des Petrus geschlossen. Vasari er- kannte mit einer Bestimmtheit, die ihm manch heutiger Kunst- historiker beneiden mag, zwischen der Predigt und den benach- barten Wandbildern ringsum eine Kluft, die willkommen genug der alten Ueberlieferung zweier Namen entgegenkam, das Eigentum des Einen gegen das des Andern, des Altem gar gegen das des jQngem und Grössern grade hier abzugränzen. So lange die bezeichneten Deckenbilder in CastigUone d'Olona und ihre Entstehungszeit nicht bekannt waren, durfte so weiter geurteilt werden. Nachdem die Gewölbebilder und Lünetten verloren waren, musste die Nach- prüfung der Angabc Vasaris sich vollends bescheiden, so wenig sie sich mit Albertini's Halbierung der Kapolle vertrug-.

Wir aber, die nun, gegenüber den Leistungen Masolinos in Castigliono von 1425 und 1435, nimmer mehr glauben können, dass er vorher den Sündentall, das Doppelbild daneben und die Predigt Petri geschaffen habe, sondern in dieser Reihe schon die Hand Maaacdos erkennen, wir stehen vot der nämlichen Kluft mit der Verpflichtung nach einer Brflcke zu suchen. Und da muss in vollstem Einvememen mit Vasari erklärt werden, dass in der Brancacci»

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l>ROBLfiMATISCHES ErGEBKIS

kapcllc selbst ein befriedigender Uebergang nicht so leicht zu fassen ist. Die Predigt Petri findet ihre natürliche lortsetzung jeden- falls nicht, wo wir sie zunächst erwarten, an der selben Wand : weder in der Taufe, noch in der Schattenheilung. Einigermaisen naher stdit die Geschidite mit dem ZcAlgeoathiea, und von ihr aus- gehend haben wir dne Anknfk|ifiing an das Pisaner Altarweric wie an die Heilung des besessenen Knaben (m BrQssel) und den ,J)esco da parto^ (in Berlin), versucht Immer jedoch will Cavalcaaelles £r- klSrung, die uns in der ganzen Reihe den Entwicklungsgang eines und dessdben Malers suchen lehrte, an dieser Stelle noch nicht be- friedigen. Zwischen Predigt und Zollgroschen glauben wir doch einen Sprung zu sehen, der selbst im kühnsten Fortscliritt einer genialen Kraft zu viel auf einmal zu erreichen schiene.')

») VgU Buch II. S. 72—96.

*j Anf dicMii EtniehBitt hinter der Predigt Petrl und vor jeden aadem ab weitere Fortietsiiog der Malerei in Cappella Htmacacd sich aaUeteiidcn Bilde habe ich in meioen

Uehungen über die Streitfrage bereits im Wintersemester 1881 82 meine Göttinger Schüler Cb. BergbütTer, H. Dierks, F. Köpp und R. Linde aufmerksam gemacht, und ihnen bereits damals die LOsong angeboten, die im folgenden Heft dieser Stadien dar-> gelegt wild.

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4«§ SONSTIGE TAFELBILDER §4

Eine Lösung der Schwierigkeiten, die zwischen der Predigt Petri und den Nacfabarbildern ringsum, sei es der Taufe, oder der Schattenheilung, oder der Entrichtung des Torgeldes, einem ver- ständlichen Uebei^rang entgegentreten, ist unseres Kraditens nur möglich,' wenn die voUe Durchf&rung der historischen Betrachtungs- weise versucht wird, und zwar durch die möglichst genaue Fest- stellung der chronologischen Reihenfolge, wie wir es faish^ getan haben, und ebenso genau vergleichende Einordnung der übrigen er- halte noii Werke des Meisters in die Freskenreihe der Brancacd- kapelle.

Zwei Madonnen

Da mag, um an einem einfacheren Beispiel zunächst das Pro- blem, um (las ('S sich handelt, zu verdeutlichen, und die Frage nach dem tlinüborwachsen des Künstlers \<)ii einer Stufe zur andern durch wirkliche Anschauung überzeugend vurzufüren, an dieser Stelle ein Paar von Madonnenbildern besprochen werden, das so- viel ich weiss in der Streitfrage, die uns beschäftigt, keine Ver- wertung gefunden hat. Zwei MadonnenbUder von Masolino oder Masacdo? Wo waren denn diese zu finden, fragt man.

Die eine Ta£sl befindet skh in der alten Pinakothek in M fluchen, und ist sdion seit geraumer Zeit der Gegenstand einer Meinungsverschtedenheit zwischen mir und dem hochverdienten Konservator, Dr. Ado^ Bayersdorfer. Die allmählich zurOck- weichende Datierung des Bildes in den Auflagen des Katalogfes und die Zuteilung an die Florentinische Schule, neuerdings um 1440, giebt Zeugnis von diesen Verhandlungen.') Als ich zum ersten Mal mit meiner Bestimmung des Autornamens hervortrat, wusste ich nicht, dass die alte Uezciclituing im königlich bayrischen Besitz auf „Masaccio" gelautet hatte, noch dass es von andrer Seite für „Masolino" angesprochen worden.

Auf einem länglichen Polslerkissen mit zwei Troddeln links, das auf dem Fussboden liegt, sitzt Maria in weitem blauem Mantel, der über das Haupt gelegt und auf der Brust zusammen gesteckt

>) Katdoff (1893) Nr. 1019. Vgl. niiMt« Abbüdnitg Taf. V. c. Sclmarsow, IfanodO'Stndien Ul. 6

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2wEi Madonnen

ist» und halt mit beiden Annen das nackte Kind, das auf ihrem

Schofse liegt Das linke Bein dient als Stütze filr die Hauptlast, indem sidi das Knie deutlich heraushebt, wälirend das rechte g-e- senkt wird und die Falten des weichen StofTos in tiefem Bog-en zwischen den festen Punkten rorbts und links hernieder zieht. So dient das Handgelenk dos linken Armes nur als Kissen für den Kopf des Kindes, wahrend die rechte Hand ein untergebreitetes Tuch über dem einen Beinchen des w il^enärten Knäbleins hiilt, das den andern Fuss strampelnd erhebt und gegen den Arm der Mutter lehnt, wälirend beide Armchen emporstreben, mit den Fingern die entblösste aus dem roten Kleid h^orschauende Brust, die soeben seinen Durst gestillt hat, zu liebkosen, indess die grossen Augen ebenso befidedigt zu uns herausschauen wie das vcHle Bäuchlein und das dralle Beinwerk. Milde und freundlich, aber etwas zagend, zwischen mfltterhchem Stolz und jungfräulicher Verwunderung Ober das Bdiagen des strammen Buben, neigt Maria das Antlitz zu ihm und hängt mit ihrem Blick an ihm allein, ohne dass ers merkt. Ein breiter Heiligenschein mit sechsblättrigen Blumenstemen im Rande und dreiperligen Spitzen an der Peripherie auf dem Gold- grfunde umgiebt ihr Haupt, wie ein kleinerer das des Kindes, lieber ihrem Scheitel schiesst dicht daran die Taube des heiligen Geistes hernieder gegen das Kind zu, gesandt von Gottvater, der in Halb- figur und kleinerm Mafsstab, von einer Cherubglorie umgeben, unter dem Spitzbogen oben sichtbar wird. Es ist ein langbärtiger Greis in fliessendem Gewände, dessen Mantelzipfel nach links ausflattert, während seme beiden Arme sidi auf die andre Seite strecken, die Eine mit dem Buch, w<»in gotische Nadibildungen von Omega und Alpha ttr A mit Abkflrzungszeichen darüber geschrieben sidien, die Andre segnend gesenkt Der kldne liaftatab dieser Ersdirinung in der Höhe, deren Wolkenstreif unmittelbar an den Nimbus Marias rflrt, die sdtfiche Drehung der Figur, <Ue nach Goldschmiedaart in Relief gelegt ist ohne einen V«:such schwieriger Verkflrzung, und ihre spätgotische Draperie, müssen im Vergleich zu dem realistischen Motiv aus der Kinderstube besonders auffiillen. Aber Jehovah ist nicht der einzige altertümliche Bestandteil auf dem Goldgrund, der uns in Lorenzo Ghibertis Nähe versetzt. Links und rechts knieen auf vier ähnlichen Wolkenstreifen je zwei anb(>tcnde Engel, deren zweiter hüben und drüben den vordem um Kopfeslänge überragt, so dass ihre Flügelpare nebeneinander aufragen und mit ihren bunt- farbigen, metallisch ausgeschnittenen Federn die Kurven des Spitz- bogens begleiten, in dem die Tafel schUesst

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Die MOnchener Tafel

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Trotz ihrem viel nebensächlicheren, fast nur dckoraliven Auftreten haben grade diese Engel die deutlichst ausgesprochene Verwandtschaft mit denen Masaccios im Unterschied von denen MasoUnos, so dass idi auch untnittelbar von Castiglione d'Olona hefmkerendf sae nidit mit diesem letzteren vereinbar find. Sie haben genau so hellblonde Köpfchen, genau so fiurbig abgestufte Flügel, genau so doppelt ge- grQrtete Gewänder, wie die Masacdos auf dem Kirdienbild aus S. Ambrogio in der Akademie. Aber sie greifen ja nicht wie dort als Teppichträger oder Weihrauchspender lebendig in den Aufbau ein, sondern sind wie Ornamente nur auf die Fläche ausgeteilt, und woUen nicht zur nahen Wirklichkeit gedeihen, wie die Gruppe vorn, sondern als Erinnerungsbilder oder Gedankenspiel der Phantasie, als aetherische Wesen betrachtet sein, deren Gegenwart von Mutter und Kind ebenso wenig gespürt wird, wie der Eingriff des ewigen Vaters im Himmel droben. Solche halb nur zur gleichwertigen Realität herausgebildete iüigel finden wir bei Lorenzo Ghiberti als ^anz geläufige Bestandteile seiner Relief bilder; aber auch noch bei Luca della Robbia in seinen sonst so kräftig modellierten Türlünetten neben der Halbfigur Marias mit dem Kinde^ und erstrecht bei Nanni di Banco, freilich im Giebelfeld seiner Tab^nakd an Orsan- michele, also stärker getrennt von den Statuen darinnen.

Damit aber sind wir an der entsdieidenden Stelle für <Ue Da- tierung des MOnchener Bildes^ bei der natürlich die Hauptgruppe von Mutter und Kind, besonders die Nacktheit und kraftvolle durch- aus plastische Bildung des letztem den Ausschlag geben muas. Grrade in dieser Folge haben wir uns zweifellos das Wachstum des Gaxaen vorzustellen. Nodi der weite Mant^ der als gotisdi stili^ sierte Draperie sich über den Boden breitet, sein zügiges Falten- gehänge, das die Körperhaltung darunter beinahe zu verschleifen droht, wo wir beim abwärts gestreckten Schenkel dringend darnach fragen, bewaren die herk()mmliche Weise ganz im Sinne Ghibertis, würden wir sagen, wenn auch schon seiner fortgeschrittenen Werke, d. h. der Schöpfungsgeschichten und der Statue S. Stephans etwa (i4:?6), ja der Area di S. Zanobi im Dome. Die Modellierung des Kindes aber und der entsprechenden nackten Teile an Brust und Kopf Marias sind überraschende Fortschritte, die gewiss bisher veranhuöt haben, das Werk erst unter dem Einfluss jener Madonnen eines Luca della Robbia in die Florentinische Malerschule einzu- reihen. Dann aber geraten wir in Widerspruch mit den altertOm- lichen Bestandtdlen auf dem goldenen Grunde, gegen den der Fuss- boden auch nodi in flächenhafter, ziemlich unräumlicher Wdse ohne

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68 Zwei MadomneK

perspektivische Miistorung^, sozusaj^ron neutral hingestrichen ist.') Obwol grade hier unten starke Rostauration stattgefunden hat, darf doch gesagt werden, dass erst mit dem Kissen und dem aufge- stützten Kiüe die volle Körperlichkeit hervordrängt. Von dem malerisch breiten Gehänge über den Schofs bis hinauf an die Taube Ober dem Scheitd der Madonna ist die Relie&nschauung klar aus- geprägt, also flEkr ihre Halbfigur etwa vorhanden, wie hi den zal- feichen Terracottabildwerken jener Tage, die darunter abschneiden» und doch geht der tnldnerische Gedanke schon weiter zur ganzen Figur und ist ohne das Knie als Stütze in der Mitte und ohne das andre 'drunten, als Endpunkt dem Kopf entsprechend, nicht auszu- denken. Und diese Symptome zusammengenommen zwingen schon zu einer frühen Datierung, d. h. in eine Zeit, wo wir ein solches Werk, des Uebergangs allerdings, aber doch einer bahnbrechenden Kraft, nur einem in die Tiefe dringenden Künstler zutrauen dürfen. Und da steht als Vorgänger Fra Angelicos und Fra Filippos nur Masaccio in Frage, der durch das Wagnis dieses Madonncnmo- tives und durch das lebensvolle Kind, wie das liebenswürdige Ant- litz der Mutter hier zum Vorbild auch Luca s della Robbia wird. Der strampekide Bamlnno wird sdion in der hl Anna selbdritt durchaus entsprechend vorbereitet, dort ernst und der Situation ge- mäss sidi zusammennemend, hier hat ausgelassen in sattor Frische und Fröhlichkeit Die Gewandung aber stimmt, wie ihre malerische Verwertung durchaus mit der Auferweckung Tabithas» und die Aus- filrung des TemperabÜdes ist so flott und frei, dass wir es trotz aller frommen Zutaten erst der Predigt des Petrus mit ihrem er- gröfienden Ausdruck und ihren schönen Frauenköpfen, mit dem breit- spurigen Karmeliter und dem Bildnis des F'elice Brancacci an die Seite stellen möchten. Ein wolgebildeter Knabe in voller Nackt- heit wie dieser findet nur neben der markigen Gestalt des Apostel- fürsten seinen richtigen Platz.

Daneben kommt als Kleinigkeit, die für philologische Augen wirksamer sein mag, auch die Bildung des Heihgenscheins in Be- tracht, der bei Maria die nämlichen Ornamente trägt, wie bei den Heiligen Paulus und Andreas vom Altarvverk des Carmine in Pisa, und wie bei den vier Büsten auf zwei Tafeln in französischem Prix at- besitz, die einst gar zu den Seiten der MOnchener Madonna gesessen haben könnten. Denn fragen wir, durch den Vergleich mit den Be- standteilen aus Pisa veranlasst, ob unsere Maria mit dem nackteu

>) Deshalb hat man wol ao «tae ia aolchen Diogeu «nrflckgehUebene Sdtnle wie Bologna gcdadit, wie es im Katalog 1884 »odi „BologMiiidi um 1480** hieb.

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Die Münch£Ner Tafel

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Kinde nicht das Mittelstück jenes Altars gebildet haben könnte, der 1426 vollendet ward, ao erhalten wir in Vasaria Beschreibung „darin eine Madonna mit dem SOhndien, und zu ihren Ffiaien einige mu- siciereude Eng^; dner von ihnen, der die Laute qnelt, horcht mit Aufinerksamkät seinen eignen Tönen" wol vemdnende Antwort Die musiderenden Engel feien, * und es ist kaum anzun^nen, dass sie firOher noch zu den FOssen der Maria am Boden gesessen, dann aber durch Absägen der Tafel teils weggeschnitten teils znge> deckt wären.

Sonst kennt Vasari in Florenz nur noch zwei Altarwerke von Masaccio, die hier in Betracht kommen könnten. Eins in S. M. Maggiore in einer Kapelle neben der Seitentür, die nach S. Giovanni d. h. nach dem Baptisterium fürte. Es enthielt die Madonna nebst S. Caterina und S. Giuliano. Und in der Predella waren in kleinen Figuren Geschichten aus dem Leben der Caterina und des Giuliano, wie er Vater und Mutter tötet, in der Mitte aber die Geburt Christi „con quella sempliciti e vivezza che era sua propria nel lavorare*** Diese Fredella freilidi soll nach Francesco Albertini, der in seinem Memoriale 15 10 die Tafel von Masacdo ebenfells erwänt, schon von Paolo Uccello hinzugefügt s«n, wie Jo archo di sopra,** und dies letztere Stück beschreibt wol Vasari selbst im Leben des Uocello: Jan una cappella allato alla porta del fianoo che va a San Giovanni una Nunziata a fresco", also jedenfells als Fortsetzung des Kapellen schmuckes Aber die Altartafel hinaus. „Dort malte er einige Säulen, heisst es weiter, in perspektivischer Verkürzung, so dass sie über den Rand der Wölbung, an der die vier Evangelisten dargestellt waren, hinaus zu ragen schienen."

Richa kennt in seinen Chiese Fiorentine (III. 281) nur noch eine Malerei des Paolo Uccello am Pfeiler links vom Tor; seitdem aber ist alles vorschollen.

Das andre Altarstück Masaccios, das Vasari in S. Niccolö oltr* Arno beschreibt, enthielt als Hauptdarstellung den englischen Gruss: la Nostra Donna che vi e dair Angele annunziata, die Veikflndigung, auf deren weiteren Schauplatz wir an andrer Stdle zurQckkommen mOssen.

Wäre somit gegen die Möglicfakdt, dass wir es in Manchen mit dem Mittelstack des Altars aus S. M. Maggiore in Florenz zu tun haben, vorerst nichts einzuwenden, so belehrt uns aber die Datierung, die wir im Anschluss an die Tafel aus S. Ambrogio und die Fresken in Cappella Brancacci versudit haben, jedenfalls beeaeat noch die zweite Madonna, die an dieser Stelle besprochen werden soll, in der Kunsthalle zu Bremen*).

>) Nr. 164. AltfloranÜidBdia Sdnle. warnt AbbOdaUK TiC V. ».

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Zwei Madonnen

Dies kostbare Stück hat sidi in seinem alten Ramen erhalten, und wenn audi der letztere hier und da zerstossen und sein Giebel mit spätgotischem Kriechblattwerk geborsten ist, SO ist doch die Tafel darinnen unberürt. und am Sockel nicht nur zwei Stifter- wappen, sondern neben der Inschrift auch eine Jahreszal angebracht. Alles von unbezweifclbarer Echtheit:

O QVANTA -MISERICORDIA E- INDIO- A 1423.

Auf den doppelt vorgekropften Postamenten finden sich die Wappen, rechts ein steigender Löwe auf senkrecht halbiertem links rotem, rechts blauem Felde. Gegenüber ist ein horizontal geteilter Schild, in der obem Hälfte schräge Streifen von Sdiwarz und Gold, unten eine breitgedrflckte Lilie oder Palmette (verletzt) in Gold auf schwarzem Grunde. Auf diesen Untersätzen ftissen je zwei schlanke gedrehte Säulcfaen, das äussere Päar als Träger von Fialen, deren Risen abgebrodien and, zur Einüissung des Wimpei^ das innere, etwas zurücktretende Paar als Träger des Spitzbogens darunter. Dann vertieft sich der Ramen an allen Seiten schräg gegen eine innere Ein£EUBung, die von einem dritten Paar solcher gedrehten Säulen und einem in kleinen Halbkreisen ausgezackten Spitzbogen gebildet wird, an dem die vergoldete Bildtläche anschlicsst. Die Stirnfläche des Giebels, der in Form eines Vorhangbogens, wie an einigen Taber- nakeln an ( )rsanmichele, mehrfach gebrochen aufsteigt, ist ebenfalls vergoldet und links und rechts mit zierlicher Ranke im auf keimenden Renaissancestil gefüllt, während ein Rundmedaillon mit der Vera Ikon die Mitte bildet Durch dieses ganz von vom gesehene Ant- litz des Erlösers geht leider der Sprung mitten hindurch.

Im Hauptbilde sitzt Maria auf einem Goldbrokatkissen, das ebenso wie in Mflnchen auf dem Fussboden liegt, aber ohne sdiarfe Ecken und Quasten daran, noch mehr mit der Marmorierung dieses Grrundes zusammengeht'). Ihre Haltung ist fast völlig ebenso wie in Mflnchen; nach rechts gewendet, hat sie ihr linkes Bein auf- gestützt, so dass das Knie hoch heraustritt unter dem fliessenden Gewände, das andre Rein aber verschwindet völlig unter den Falten- zügen des blauen Mantels, der sich in ausgesprochen gotischer Dnipcrie über den Boden breitet. Auf dem linken Knie Marias (also rechts vom Beschauer) steht aber das Knäblein in einem kurzen Ilemdchen, dessen feines Gefall kaum noch die Hälfte der Hüften bedeckt, und dreht uns so die Rückseite der nackten Beine zu, die drall und wolgenärt zur Schau gestellt werden. Das eine Füsschen steht auf den Zehen nur noch fest, das andere streckt sich aus-

') Es ist ein rot und {goldiger Brokatstoff mit verücfter l*uoMrbeit, darüber ein Muster in schwätz autgcmalt, durchaus echt.

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Das Tabernakel in Bremen

schreitend in die Luft und wird von Marias zarter Hand bebutaam gehalten, während ihre Unke sdifltzend auf dem Rfldcen des Kleinen

ruht, der lustig emporstrebt, mit beiden Aermdien ihren Hals um- fasst, und eben im Begriff seine Wange gegen die der Mutter zu drücken, noch einmal neckisch oder verlegen zu dem firemden Be- obachter dieser stillen Freuden herausschaut. Es ist ein blondes Köpfchen mit krausem Gclock und blauen Augoti. So lenkt seine Hand, die den nackten Hals der Mutter berürt, unsere Aufmerksam- keit auf diese, die bescheiden, mit dem blauen Manteltuch über dem Kopf, ihr weiches Oval und den Blick der gesenkten Augen nur dem Söhnchen zuwendet. Die Ränder dieser Kopfbedeckung, unter der kein weisser Schleier sichtbar wird wie in Manchen, sind auch nicht über der Brust zusammengehalten, sondern lassen das schlichte, nur Aber dem Leib in dünnen Falten herabfliessende hellrote Grewand sehen, unter dem sich der langgestreckte sdilanke Oberkörper mehr erraten läast als wirklich modelliert^).

So erweist sidi das Ganze als eng zusammengehörig mit der Münchener Madonna, aber als eine viel zartere noch und schüchterne Redaktion, in der das bekleidete, doch schon halb entblösste Kind, in seinem muntern Kletterversuch, wieder die Künheit und Lebens- frische des beobachteten Motives aus der Wirklichkeit offenbart, die sich doch frommen Sinnes noch in lieb gewordenen Gewonheiten eines ganz idealen Stiles auszusprechen bemüht. Viel knospenhaftcr noch als die Uebcrgangsmadonna mit dem Prachtbuben in München, entspricht dies reizende Bild im Tabernakel von Bremen doch durch- aus dem zeitlichen Abstand, den wir mit der Jareszal 1423 nun als festen Anhalt gewinnen, und weder nach seinen innem noch nach seinen äussern Qualitäten kann ein Zweifel eriioben werden, daas beide Tafelbilder, das frohere von 1423 in Bremen und das spatere, wol nahezu zwei Jahre spätere in MOnchen, einem und dem selben Mtister gäiOren.

Die technischen Eigenschaften des Bremer Bildes, besonders der Schmelz der Fleischpartieen und die sorgfältige Imitation des Gold- brokats im Kissen, wie des bunt marmorierten Fussbodens und die zier- lichen Goldsäumc um den Mantel gcmanen an sienesischen Geschmack und erinnern neben der zarten Empfindung, der süssen Innigkeit, mit der das Verhältnis von Mutter und Kind hier erfasst ist, an einen firemdher zugewanderten Meister, der im selben Jare 1423 ein

>) Das bellrote Kleid sowol wie der blme Mantel, der besonders in den Schatten einen Stich ins Qrünbraune bekommen bat, sind stumpf geworden. Die Karnntion ist von ausserordentlicher Sorgfalt und Feinheit, hell mit einem rosigen Hauch, der bei der Vera Ikon logar in einen krlftig blntwanwn Tom Übergeht.

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Zwei Madonnen

grosses Meisterstück vor Augen gestellt und damit die Herzen gar manches Kunstfreundes und ,.;( wiss auch manches Künstlers in Florenz gewonnen hat. Wir meinen Gentile da Fabriano, und seine Anbetung der Könige für die Sakristei von Sta. Trinita. Aus ' Umbrien und dem Umkreis der ^enesisdien Nachbarn wie Taddeo fiartoli stammend, war er Jare lang in Venedig und Bresda tätig gewesen, gewiss nicht one Zuwachs seiner miniaturartigen Nach- amung der Naturdinge und des bringen Glanzes ihror Wiedergabe inmitten märchenhafter Fhanta^egetnlde, die er von Hause mitge- bracht. Nun aber von Papst Eugen gerufen, zur Kurie nach Florenz gekommen, hat er Aufträge auch von Florentinern wie Palla Strozzi und den Quaratesi empfangen , die ihn grade während der ent- scheidenden Jare, die uns beschäftigen, 1421 1425 mit dem Kunst- leben der Arnostadt verbanden. Wir glauben diese Beziehungen zur technischen Bchandlungswcise wie zur Gefülstimmung des Gentile da Fabriano in der Bremer Madonna von 1423 zu erkennen, und müssen deshalb um so mehr auf die Abweichungen hinweisen, die das Granze wieder von dem schimmernden Prachtaufwand Gentiles unterscheiden, auf die zurückhaltende Einfechhdt der Kleidung und die keusche Bescheidenheit der Stoffe wie der Farben.

Nach Gentile erst werden wir auf Masolinos Malereien in Castiglione d'Olona geleitet, die am Gewölbe des Chores 1425 ent- standen, selber schon wie nachgewiesen wurde den Einfluss des Meisters von Fabriano bezeugen, und zwar in noch stärkerem Mafsc von dem berauschenden Vorbild abhängig erscheinen. Da ist es dann kein Wunder, wenn diese Madonna in Bremen von 1423 in der zarten Weichheit der Typen, der schlanken Feinheit der Hände, dem leichten Fluss der dünnen Gewandstoffe bis hinein in die zal- rcichen Parallelrillcn in Kleid und Hemdchen, an jene schmiegsanion Gebilde Masolinos erinnert. W^'un sie ihnen in mancher Beziehung auch sonst ganz nahe kommt, so erscheint der Zweifel, ob dies Tabernakel nicht vielmehr sdn Werk sei, durchaus verständlich. Ich selbst habe, solange meine Veigleidiungen von Ort zu Ort vor den Originalen freilich, aber mit Erinnerungsbfldem ausgef&rt werden mussten, eine Weile geschwankt, wie die Entscheidung zu fSSlen sei Nachdem aber die Gewölbemalereien der Collegiata in meinem Auftrag endlidh photographiert worden sind, muss diese Zuteilung als Fehlschluss aufgegeben werden. Masolino klebt noch als Vierzigjäriger an vorn emster Stelle der Wölbung seine ge- streckten Gewandfiguren, Christus und Maria, an dem Tronsitz so haltlos und uneigentlich liin. dass die selbe Drehung der Madonna auf dem Kissen hier die durchgreifende Verschiedenheit des Korper-

Madonna von Masolino

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gefüls vor Auueii st» 11t. Und das pos« hiebt in der Kr()nuny' ausser- dem in engstrr Xaclibarschaft mit »inom architektonischen (ifrust, das Halt gewären konnte, ja es bleibt im Widerspruch zu der Statik dieser lotrechten und wagrechten Linien. Und lüer sollte er den frei aufragenden Körperbau ohne solchen Apparat durchgedacht und ein relativ so gelungenes Ergebnis erzielt haben, das trotz dem (joldgrund hinten und dem Faltengeschlftngel vom unser Auge so- weit befiriedigt, wie der Gregenstand der Darstellung erheischt In Castiglione steht ausserdem ja über dem Rundbogen einer Haustür mit dem Wappen des Kardinals Branda in der Mitte, ein verblichenes Fresko mit der Vcrkündiy^ung, wo die rechts von ihrem ßetpult zurückweichende Maria und der links herzuschwebendo Enj^cl die ganze T^nbestinimtheit der Körperhaltung und der Raumanschauuntr Masolinos bei einer Aiifirabe verraten, die durch <">rtliche Bedinj^^unj,,fon schon zu perspectivisch wirksamer Durchfürung der Untensicht herausforderte. Auch diese Probe gchc>rt in den ersten Aufenthalt von 1425, so dass sie ein vollgültiges Zeugnis ablegt, wahrend wir bei der Verkündigung am Chorgewölbe gern die sphärische Fläche als Mflderungsgnind anerkenn«! wollen.

Vor einigen Jaren war in Florenz in der Kapelle der Fe- rnaugen Päpstwohnung neben S. M. Novella» jetzt Militärschule in Via della Scala, ein kleines Rundbild in Fresko ausgestellt, das von einer Aussenmauer dieser umfassenden Baulichkeiten des ehemaligen Klosters abgenommen war. Darin war die, kauernd fast, am Boden sitzende Madonna dargestellt, in gekrümmter Haltung über das Kind in ihrem Arm, mit weiter gotischer Draperie des Mantels, und ihr gegenüber eine Vase mit polygoner, scharf geknickter Wandung und einem Lilicnstengel darin. Die florentinischen Fachmänner wussten nicht, was daraus zu maclicn sei, und so verschwand der Findling sehr bald, wie es heisst im Dejx'it der l'ftizien. Ich habe vom ersten Augenblick einen Masolim» darin erkannt, und glaube die lebhafte Krinnerung daran auch mit gutem Gewissen vertreten ZU dürfen, bis durch geeignete Publikation der Vergleich genauer möglich whrd, um meine Bestimmung von damals zu bewahrheiten oder zu berichtigen.

Der Zusammenhang der Madonna von Bremen mit der Münchener und dieser mit der HL Sippe von S. Ambrogio in der Florentiner Akademie muss allen ernsten Forschem einleuchten, die auf mehr als Ohren und Hände zu achten gewont sind. Der Kern des Kunstwerks ist in allen dreien mit Masolinos Können unvereinbar. Der Schlüsse der aus der nahen Verwandtsdiaft äusserer Züge in

<) Ceno No. 13. AbbiUiiBg bei Diefo Sut 'Aahnpo, CutigUoae Tav. VI.

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Masolino oder Masaccio

dem Tabernakel von 1423 mit qAtem Malereien Masolinos gezogen werden darf, kann also nur die überlieferte Tatsadie bestätigen« dass Masaccio und Masolino vor der Ausmalung der Brancacdkapelle schon in kOnstlerischer Gremelnscfaaft gestanden haben. Nach Vasari wäre der Aeltere sogar der Lehrer des Jflngem gewesen. In den Einzelfiguren des Petrus und Paulus an den Pfeilern der Serragli- kapelle im Carmine treten sie als selbständige Genossen auf. Seit 142 1 ist Masaccio zünftiger Maler in Florenz, in der Arte de' Medici e Speziali eingetragen, sogar firüher, als Masolino diesen Schritt vollzog.

Cappelletta in S. M. Maggiore zu Rom

Die Madonna von Bremen mit dem Datum 1423 darf also als Bdegstück für die Kunst Masaccios gelten für die Jare, die seinen ersten Arbeiten in der Brancacdkapelle voraus liegen. DasKirchen- bfld aus S. Ambrogio mit S. Anna selbdritt (und der verlorene Paulus im Carmine vielleicht) würden ihr im Jare 1424 gefolgt sein. So angesdien fllrt das Tab^nakel, das isoliert an einem Pfinler ge- hangen haben mag oder in einer Nische am Palast eingelassen war, schon durch den Aufbau der Gruppe wie durch das originelle Motiv mit dem munteren Christkind als Hemdling, dessen dralle Beinchen schon mit heidnischen Putten und lustigen Amoretten, dh. mit den erklärten Lieblingen der Frührenaissance wetteifern, in das intime Wesen des jungen Meisters ein, der die letzte Hülle der gotischen Draperie ^ar bald vollends abstreifen sollte. Das Bild des Krlösers an der Giebelstirn weist uns aber den Weg noch weiter hinter das Datum 1423 zurück, wie es andrerseits zur Vera Ikon am Fresko in Empoii weiter leitet, mit dem Adam im Sündenfall der Capp)ella Brancacci als Vermittler. Dies Antlitz Christi, ganz von vom ge- sehen, mit der absichtlichen Symmetrie als unverrückbares Ideal« kert als Typus des Mariensohnes auf einem Altflirchen wieder, das Vasari ausÄUckfich als Werk Masaccios beglaubigt, indem er sich zuglddi auf Michelangelo Buonarroti bezieht

»In der Kirche S*«. Maria Maggiore« schreibt er, der alten BasUica Liberiana in Rom, sei von Masaccio eine Tafel »in einem Ki^llchen nahe bei der Sakristei : darin sind vier Heilige so trefflich ausgefürt, dass sie wie in Relief erscheinen, und in der Mitte Santa Maria della Ncve; und das Rildiiis des Papstes Martin nach der Natur, wie er mit einer Hacke die Fundamente dieser Kirche zeichnet, und bei ihm der Kaiser Sigismund II. Als Michelangelo und ich

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Aliarchkn von S. M. Mai.gujre in Rom

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eines Tages dies Werk betrachteten, rfihmte jener es sehr und Algte hinzu« die B«den hätten zur Zeit Masacdos gelebt«.

Vasari meint also wie Michelangelo, die beiden Zeitgenossen

Masaccios, den Papst Martin V. aus dem Hause Colonna und den Kaiser ^gismund den Luxemburger, als König von Ungarn der zweite dieses Namens, auf der Darstellung zu erkennen. Papst Martin V. hat, in den ersten Jarcn nach seinem Einzut^ in R(im, am 30. September 1420, wol eine Zeit lang hn S. M. MaiLjt^iorc residiert'), und auf Kosten des Hauses Colonna waren die vier Altäre errichtet, die sich am Anfang und am Ende der Seitenschiffe an den Schluss- wänden der Basilica erhoben ^) ; aber er ist keineswegs der Erbauer der Kirche gewesen. Sein Bildnis kann also nur in der Rolle eines andern Papstes gemalt sein, der bei der GrOndung von S. Maria Maggiore beteiligt war. Dies fürt auf die Legende von der Entstehung der Basilica Uberiana, auf die Vasari auch mit dem ursprünglichen Namen >S. Maria della Neve« Bezug nimmt Unter Papst Liberius 352—366 beschloss Johannes Patritius, Senator Urbis, da er ohne Erben war, seinen Reichtum zu Ehren der Madonna zu verwenden. In der Nacht des 5. August erschien ihm Maria und gebot ihm auf dinem Platze, den sie bezeichnen werde, eine Kirche zu bauen. In der selben Nacht erschien sie auch dem Papste Liberius ; als er dann am folgenden Morgen mit Johannes Patritius zusammentraf, meldeten Boten, dass auf einer Stelle des Esfiuilin Schnee falle. Dorthin geeilt erkannten sie das Wunder ; der Papst umschrieb sofort mit einer Hacke den Grundriss, und Johannes T*atritius Hess darauf die Kirche erbauen, die nach diesem Vorgang in heisser Jareszeit den Namen S. Maria ad Nives erhielt').

Wenn also auf jenem Altarstacke, das Vasari beschreibt, Papst Martin, der Zeitgenosse Masaccios dargestellt war, wie er mit der Hacke die Fundamente der Kirche umriss, so hätte er bei jenem Stiftungswunder die Stelle des Papstes Liberius übernommen, und wenn der Maler, im Geschmack des Quattrocento, auch andern Personen noch Porträtzüge verliehen hatte, so wäre der Patritius Johannes gewiss d( r Nächste dazu, das Bildnis Sigismunds zu suchen, das Michelangelo darin erkannte. Dass auch dieses unmittelbar nach dem Leben gemacht worden sei, wird von Vasari nicht be-

>) Vgl. Annales Eccles. ed, Baronius. XXVII. p. '>,}b f?. Pastor, PSptte L l886, p. 177. Vasari meint deo Altar am Turm im SeitcoscbitV der Basilika.

*) BnnwB n. FbUmr, Besdireibung Roms m, a p. a68. Darin andi Malcrdeii von BeDoao Goiioli. Vasari 48.

*) Etwas anders berichten die Mirabilia Romae (cd. Farthcy p, 47): «vocata est Maria mayor quia in medio Mai cecidit oiz«.

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76 Cappelletta in S. M. Maggiore, Rom

hauptct ; es ist also unnötig daran zu erinnern, dass dieser Luxem- burger erst im Jahre 1433 zu seiner Kaiserkronung durch Eugen IV. in Rom gewesen ist. Martin V. kannte ihn als römischen König" vom Koncil zu Konstanz her, ebenso eine grosse Anzal von Kardi- nalen und besonders Branda Castiglione, der Jahre lang als Legat an seiner Seite gewirkt hatte. Sein Bild wird in den Kreisen der römischen Kurie schon aus Segdn nidit unbdcannt gewesen sein ganz abgesehen von der Frage, ob Midhelangdo in diesem Punkte genau und zuverlässig unterrichtet war oder nicht

In der Kirche S. Maria Maggiore zu Rom ist kein Altargemälde mehr vorhanden, das mit dieser Beschreibung Vasaris übereinstimmt, wol aber geben uns Reliefs eines Marmortabcrnakels aus den Tagen Pius TT., das T\ardinal Guillaume d'Estoutcville von Mino da Fiesole für seine Titelkirche hatte arbeiten lassen, noch heute vereinzelt in die Wand der Chortribuna eingefügt, über die Darstellungsweise dieser liegende Aufschluss. Darunter befindet sich als Hauptstück die Wundergeschichte vom Schneefall, die sich an die Gründung der altchristlichen Basilica knüpft, und eine Glorie Marias, die in mandelformiger Aureola von Engeln emporgetragen wird. Diese Reliefs aus dem Ende der filn&iger oder den ersten sechziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts stimmen ihrerseits in Einzel- heiten wied^ so aufiallend mit zwei Tafelbildern im Museo Bor^ bonioo zu Neapel überein, dass der Zusammenhang mit einem Heiligtum der Madonna della Neve nicht zweifelhaft sein kann, und ihre Herkunft aus der Kirche S. Maria Maggiore , auf die sich die Gründung durch liberius allein beziehen lässt, sehr wahrscheinlich wird. Mit den Reliefs des Mino da Fiesole verglichen, erscheinen sie als \''orhilder, die dem Marmorarbeiter vor Augen gestanden und zur Nachachtung angewiesen sein müssen, dh. sie gehörten ursj)rünglicli zu dem Altarwerk, das Vasari mit Michelangelo in dem Kapellchen unweit der Sakristei gesehen hat Nach seiner Beschreibung wären dann die vier Heiligen wol als Flügelbilder zu den Seiten zu denken; in der Glorie der himmeliarenden Maria hätten wir das Mittelstock, das er »S. M. della Neve« nennt, und ausserdem die Grflndungsgeschidite, bei der genau so, wie auf Minos Relief, die Halbfiguren nicht nur Marias allein sondern auch Christi voran erscheinen. Da nun die beiden Tfifelchen in der Galerie von Neapel ganz gleiche Grösse haben und beide oben gleich abge- rundet sind, so haben wir uns entweder ein doppelseitiges Triptychon zu denken, so dass die Wundergeschichte das Mittelstück der Rück-

*) lUOb De Vtti dirMcB 1874. IL p. 15. Cxme o. Ckmleudk ital. Aiisg»be It p. a86 Schmartow, Mdouo da Forli 1886 p. 36.

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Zwei Tafelbilder in Neapel

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sehe bildete und das ist bei dem freien Stand des Altars vor der Wand durchaus das Wahrscheinlichste, oder aber wir hätten eine doppelte liilderreilie von je dreien zu denken, so dass die Assunta über dem Schneewunder zu stehen käme, wie je ein HeiUger über einem der beiden andern unten, eine Anordnung, die in Mittel-Italien befremden dürfte und besondere Herleitung als Remioiscenx aus dem Nordeh erlieiscbeii wflrde Die Anordnung des in anderm MaTsftab gedachten Stiitungsbildes auf der ROckseite und die Porträt- zflge der Figuren darin vereinigen sich besser mit damaliger Sitte, bMonders da wir durch das Bildnis Martins V. gedrängt werden, an ein WeihgMchenk des Papstes selber in die Faniilienkapelle der Colonna zu denken. Damit eröffnete sich auch die Möglichkeit, die Entstehungszeit mit Hilfe biographischer Nachrichten über den Stifter zu begränzen: es wären die ersten Jahre nach seinem Einzug in Rom, solange er seinen Wohnsitz bei S. Maria Maggiore aufgeschlaq-en hatte, dh. vor 1425, wo er sich schon bei SS. ApostoH im hergestellten Familienpalast aufzuhalten pflegte, statt im ungesunden und ver- wahrlosten Vatikan

Die beiden, gewiss aus dem Besitz der spätem Colonna nach Neapel verschlagenen Tafelbildchen, tragen in der Galeric des Museums den Namen Gentile da Fabriana Betrachten wir sie mit der sichern Ueberzeugung, es seien die von Vasari besprochenen Stocke aus S. M. Maggiore in Rom, so ist der erste Eindruck der sorgfiLltigen Ausfbrung in kleinen Figuren auf Goldgrund gewiss befiremdlich, so dass wir, bei solcher Verwandtschaft mit einer alter- tümlichen Miniaturmalerei, geneigt sein würden, einen früheren Meister darin zu suchen, als Masaccio, dem Vasari und gewiss audi Michelangelo sie zugesprochen haben.

Dabei wirkt vor allen Dingen auch die völlig hieratische Kompo- sition der HimmcUari Marias, In der Mitte des Bildes, ganz von vorn gesehen, sitzt Maria mitbt^tend zusammenj^ciegten Händen. Ihr blauer mit Gold gemusterter Mantel ist über den Kopf gezogen, unter dem Hals geschlossen und auf den Knieen übereinander geschlagen, so dass nur Antlitz, Hände und ein kleiner Teil des Kleides darunter hervor- sehen. Zwei Reihen von sechsflügligen Engelköpfen, rote und blaue, umgeben sie in der Form dner Mandorla, in der sie wie auf dnem

>) CavalcAseUe denkt unoöiii^er Webe «a eine» »reiten Altar in den vier Colonna- Kapellan. Die Sidhiag der Reliels ud Hodiabartibenalwl war ebenso eutsprediead. LeliMNdlljr, Bffifiees .de Rome moderne III, 309.

*) In den Annales Ecdes. Schrütstflclce von 1431. III. id. Sept, VIII. id. oct. 1422, VII. Kai. dcc. 1423 Id. Aug. Non. Aur. Kai. Sept., VI. id. Sept. 1424; Sept. 18 geht Martin von S. Paolo fuori nach S. M. Maggiore (Conimihs. d. Kinaldo degli Albizi). SdrifUtOdte XIV. Kat. Okt ~ Vm. Kai. Dcc ~ 1415. VL id. Jao. apud S. Apoitoloai

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Assunta

Sitze tront, während aussen zu beiden Seiten eine Rdhe von je »eben Engeln mit ihr daherschweben. Es sind je zwei Vertreter der übrigen Engelchörc. Unten zw« Paare musicierender mit Orgel und Geige, Citlier und Psalter, dann zwei mit einem Schriftband, auf dem der Name »Virtutes« steht, darüber zwei in voller Rüstung" knioende Jünglinge mit Schild und Schwert, zwei schwebende mit dem Kreuzbanner in den Händen, noch höher zwei mit Reichsapfel und Scepter, und zuoberst, eine blaue Mandorla vor sich haltend, die Throni. Zu Iläuptcn Mariiis schlii^sst unmittelbar eine runde Cherubglone an und umramt die lialbfigur des Gottessohnes, der sich vomüberbeugt und die beiden Arme hemiederstreckt, die ver- Uftrte Mutter zu empfangen.

Die Verkflrzung dieser Figur, deren geneigtes Haupt vom Scheitel aus beleuchtet ist» entspricht aber dem Engel an ahnlicher Stelle über der heiligen Sippe aus S. Ambrogio^ den wir dem Masolino nicht zuzutrauen vermöchten, der zurQckflattemde Mantd ist dagegen ganz nach gotischer Schulregel ausgelegt, wie bei Gottvater auf der Madonna in München. Gen an so dekorativ fungieren die Engel- kleider mit den Wolkenstreifen darunter. Bei genauerer Vergleichung der Köpfe stellt sich jedoch grössere Aehnlichkeit mit denen Masaccios auf dem Bilde der Akademie und auf der Münchencr Madonna heraus, als mit denen Masolinos in der Glorie Gottvaters oder der Himmelfart Marias über dem Altar der Collegiata, deren kraus- lockiges Haar von dem massigen hier schon bezeichnend genug abweicht Ganz besonders aber ähnelt einer der Kreuzfahnenträger, zur Rediten in Sitzhöhe, dem Christuskind auf der Madonna von Bremen. Der letzteren verwandt ist die Madonna, sowol im Typus des Gesichts wie in der VerhQllung durch die Mantelkappe; aber cUe volle Vcmleranacht giebt ihrem Aussehen noch etwas Puppen- haftes, eine stumpfe Verschlossenheit von befremdender Kälte. Wer aber verfolgen will, was bei dem nämlichen Künstler aus dieser nonncnhaften Maria werden kann, sobald ein starker Ausdruck sich in Haltung und Züge ergiessen darf, der vergleiche damit die schmerzhafte Heilige, die Dolch und Tränenkrüglein vorweist, auf den Fragmenten eines wenig Jare spätem Altarwerks in franzö- sischem Privatbesitz, die wir oben besprochen haben. Ganz beson- dere Anerkennung verdient an sich schon das sichere Dasitzen dieses Körpers auf dem luftigen Thron der Mandorla, das auch Mino, der Bild- hauer fast vierzig Jare s|)äter noch nicht so zu erreichen vermocht hat

Das zweite Bildchen ist durch dnen brdten Wolkenstreif in einen himmlischen und einen irdischen Schauplatz geteilt In der oberen Hälfte erscheinen am Goldfirmament in runder, stralender

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Gründung der 6asiuca Liberiaka 79

Regenbogonjrlorie und hellem Licht zwei Halbfiguren in grösserem Mafsstab als die menschlichon Personen drunten. Voran Christus mit abwärts gestreckten Armen nach vorn heraussrhauend und neben ihm Maria, mit der linken ihren Mantel fassend, die I-inger der Rechten zu leichtem Wink erhebend und den gesenkten Blick dem Vorgang drunten zugewandt. Denn aus den Wolken fallen leicht geballte Wolkchen auf die Erde nieder, die wir als duftige Schneemassen annemen sollen, weil unten auf dem Boden schon die weisse Decke ge&Uen ist, um den Grundriss der Kirdie zu becdcbnen, die Maria jeu Ehren gebaut werden soll.

In der untern Hälfte bezeichnen zwei Gebäude, die etwas allzu schlank antaken PfeileihaUen nachgebildet» mehr wie stdien- gebliebene Reste der alten Kaiserstadt erscheinen, gleich zwei Seiten- koulissen in starker Perspektive den sonst freien Platz auf dem Esquilin, wo Johannes Patritius die Basilika gründet, während zwischen ihnen, über Cestiuspyramide und Monte testaccio nebst einem Zug der Stadtmauern mit dem Tor, der AusV3lick auf Garten- land und eine Hügelkette hinten hinausgeht. Auf dem Boden seihen wir den Plan der Kirche, von einem Arm des (Juerhauses aus, in der selben allzu schnellen Verkürzung: rechts rundet sich (He Apsis, links wird sich der Hacke des Papstes folgend das Langhaus er- strecken. Natürlich in vollem Ornat, mit der dreifachen Krone auf dem Haupt ist dieser soeben im Begriff die FhichtKnie der Umfiissungs- mauer vom einspringenden Winkel des Kreuzarmes weiter zu ziehen; aber die Haltung der Hände verrät wol ungewonte Arbeit Die Züge entsprechen auch in dem kleinen Mafsstab durchaus denen Martins V. dessen Bildnis wir auch auf der bronzenen Grabplatte von Donatello und Micheloz/o in der Lateransbasilika besitzen.*) S^n Archidiakon hält bei der feierlicben Ceremonie die Schleppe des Chormantels, der sich prächtig genug von dem leinen Gefält des weissen Byssos- gewebes der Alba abhebt. Neben diesem feisten Prälatenporträt ^ folgt noch eine Reihe von Kardinälen in ihren pelzgefütterten Kappen, also vom Maler sicher nicht in heisser Jahreszeit gedacht, sicher ebenso bildnismässige Köpfe, doch in eifriger Beobachtung des wunderbaren Vorgangs alle vorgeneigt, so dass sich diese Gruppe trefflich abrundet. Der Kreuzträger des Papstes begleitet

^ Dtetm hMm MdiMera nmfii der tberwiegende Antdt u dem Werke bei- fcmencn worden, das Vwari den Simotie Ghini tiucbreibt, deseen eigne Goldadunieds-

art höchstens in der trapezförmigen Tafd mit Wappen und Genien erkennbat geblieben ist.

') Archidiakon war Lodovico dci Fieschi von Genua, Diac. Card. S. Hadrian! t 3. April 1433, seitdem daim Lucido de' Conti, Diac Card. S. M. in Cosmedin. Wefea der Abrigen Heft LS. i lo C

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KOSTÜMFIGUREK XJND SCHAUPLAtZ

auf der andern Seite des Langschiffes in der Tiefe das Wei tor- schreiten, und hält den Zuschauern Stand, die sich daneben sammeln, neugierig oder erbaut den schneeigen Kirchenplan begucken oder erstaunt hinau&chauen auf das fremdartige Gewölk am HimmeL Modisch gekleidete Herrn wechseln mit langbärtigen Greisen aus apostolisdier Zeit und lieblichen Frauengestalten, in deren erster wir wol die Gemalin des Johannes Pfttritius erkennen sollen, der ganz rechts dem Papste gegenfiber stdit. Er trägt den länglidien Rock der ftürstlichen Herrn von damals, aus blauem Sammt mit Pelz verbrämt, um die Hüften gegürtet, und rote Strumpfhosen darunter. Der feine blonde Backenbart, den Sigismund auf der Krönungsmünze als römischer König trug, wird wol diese Kenn- zeichnung veranlasst haben; denn bei der Krönung in Rom durch Kugen IV. trug er, wie das Relief an der l^^terskirche lehrt, schon einen langen Vollbart, dass man unwillkürlich an absichtliche Aehnlichkeit mit Barbarossa (vor Papst Alexander III. in Venedig-) denkt. Ganz ähnlich wie auch König Wenzel überliefert ist, nimmt sich die Gestalt im Hintergrunde aus, drüben an der Schmalseite des KreuzflOgels gewiss als fremdartige Höflingserschefnung ab- «chtlich dem italienisdien Herrn an die Seite gestellL Also das Zeitkostflm aus den zwanzig»' Jahren des XV. Jahrhunderts und noch starkes Interesse für die nordischen Bekanntschaften aus den Tagen des Koncils zu Konstanz, an denen es abrigens auch in Rom unter Martin V. nicht felt^ unverkennbar; aber all das der Hauptsache entschieden untergeordnet.

Bei einer Komposition, die zur Veranschaulichung der Legende so bestimmt auf Darlegung eines Grundrisses angewiesen war, darf von Lockerheit des figürlichen Aufbaues nicht tadeliul die Rede sein. Die perspektivische Darstellung dieses Kirchenphms im Schnee ist nicht felerhatt, sondern nur zu korrekt, wenigstens gewesen, denn er ist neu gemalt, aber misslich durch die Wal eines zu hohen Augenpunktes und das dadurch entstehende allzu starke Zusammen» fliehen der Linien. Dieses Centrum der Konstruktion liegt in der Mitte der untern Hälfte des BUdes. Das Gresetz des irdischen Schau- platzes, das ^runelleschi den Malern auferlegt, ist hier als unver- brachUch angenommen, nur f&r die himmlische Region darüber er- sdiien es darum noch nidit anwendbar. Und diese Erwägung fällt, je früher wir das Werk datieren müssen, desto schwerer für den intimen Freund Brunelleschis ins Gewicht, der sicher zu den Ersten gehört, wenn nicht neben Uccello etwa der Erste war, der die strenge Lincarperspektive so entschlossen von Aufgabe -zu Aufgabe exempltficiert hat.

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Verhältnis zu Gentile da Fabriano dt

Der Vorgang- ist einfach und naiv, aber verständlich orzält, und darauf kam es vor Alloni an ; der Schauplatz ist angedeutet, bestimmt genug charaktcrisiert t. ohne sicli aufzudrängen, und die nächst beteiligten Personen wie der Chorus von Zuschauern mainiich- faltig belebt, wenn auch in einem Sinne zusammengehalten. Die Einheit und Intensität des Ausdrucks, bei aller Milde der mehr lyrischen Empfindung, verdient um so mebr Beachtung als hier Büdniase von Zeitgenossen des Kflustlefs und des Besteilera die Rollen aus ferner Vergangenheit übememen, und als die Wiedergabe des IndividueUen sicher die ideale Aufgabe des Malers erschwert. Die GlddunAssigkeit des vomemen Anstandes trat ausserdem be- schränkend hinzu und nOtigte zu passiver Feicrlichkdt des Vortrags. Aber die Abwechslung in der Tracht der geistlichen und weltliclien Würdenträger, die Mannichfaltigkeit der Typen und Charaktere kam wied^ dem malerischen Reiz zu statten.

Unzweifelhaft , die Auffassungsweise des Gentile da Fabriano, den der Papst zu sich berufen, als noch die Kurie in Florenz ver- weilte, die Tonart dieses obcriialienisch geschulten Umbrers ist die herrscheiule, als dieses Werk für Martin V. gemalt ward. Aber sein Werk kann es doch nicht sein, trotz der Begreif lichkeit der Taufe auf seinen Namen in der Galerie von Neapel; es ist bei alledem toskanisch, und zwar in ebenso fiübarem Unterschied von der An- betung der Könige, die Gentile 1423 fCae Palla Strozzi vollendet Nirgends wird die Ceremonie zum Vorwand nur für die Häufung buntester Kostümfiguren, noch das Wunder zur Gelegenheit der phantastischen Erfindung Breien Lauf zu lassen.

Dieser Unterschied kommt natürlich schon durch den per- spektivischen Aufbau der Bühne hinein. Wenn Gentile wie ein echter Abkömmling der Croldschmiede nur den Vordergrund in horizontaler Lage verwertet und hier die übermässige Fülle von Gestalten zusammendrängt, die auf dem schmalen Streifen gar keinen Platz finden, um dann sofort die Tiefendimension mit der Hohen- richtung zu verschloifen, wo sich felsige Terrassen auftürmen, wie in getriebener Metallplatte, die man von rückwärts bearbeitet, oder wenn wir seine historischen und legendarischen Wandmalereien uns am richtigsten gewiss nach Art gewirkter Tcppiche vom £nde des Trecento vorstdlen, wie jenen grossen BlinnefirOhling im Ger- manischen Museum zu Nürnberg, wo zwischen Garten und Wiesen- hang vor den Mauern der Stadt zwisdien figurenreidien Grruppen sogar noch Schriftbänder zur Erklärung entrollt werden» so ist.

*) AbgdiUdet, Gesch. d. deutschen Konit (Grote, Bcrlu) V. sa S. iio. Scbmarsow, Maaacdo*Stndien. in. 6

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Verhältnis zu Iii asouHo

hier dag e^'-en alles gesetzmässige Konstruktion, und sofort gewinnen die Figuren zum Schauplatz das richtige Verhältnis, drängen sich nicht, die Klarheit der Raumfaktoren wieder zu verdecken, sondern dienen selber als Kürperwerte, jede an ihrer Stelle, zum gleichen Zweck. Die Architektur, die nicht einmal im Vordergrund auftritt, zeigt trots ihrer Schlanklieit keine Spur von gotisdier Formgebung mehr, sondern beruht auf klas^achon Studien; sie verfiUlt nirgends in schnörkelhalte Erfindung, sondern befleissigt sich einer schlichten Wahrheit, die wiederum auf den Umkreis des FSfippo BmneUeschi und den Ertrag seiner römischen Forscherjare zurQckweist Wie bestimmt aber ist in der Region über den Wolkensoffitcn die Untensicht innegehalten, allerdings in Reliefauffassung, d, h. auf der Fläche, nicht in vollrunder Körperlichkeit des späteren »sotto in su€. Und hier begegnen uns die grösseren Halbfiguren der Himmlischen mit besonderer vSorgfalt bis ins Hinzehiste durchgefürt und abge- wogen, und sie grade sind es, die dieses Altärchen für S. M. Maggiore in Rom mit dem 'i'abernakel von 1423 in Bremen verknüpfen. Die Uebereinstimmung zwischen dem Antlitz des Erlösers hier und da kann schon , ohne in schablonenhafte Wiederholung zu verfallen, nidit grösser sein, und die Verwandtsdiaft der reizenden Madonna muss auch bei grösserer Abweichung in Haltung des Kopfes^ Richtung des BHckes und Mafsstab des Gänsen durchaus «nleuditen.

Genauere Profung der beiden Mdchen in Neapel wird leider durch ihren heutigen Zustand erschwert Sie haben durch wieder- holte Restauration, durch Oelretouchen in ^e Temperafarben hinein und durch schlechten Firnis viel von ihrem authentischen Charakter eingebüsst. »Der Himmel z. B. ist ganz neu vergoldet, berichtet Cavalcaselle ; einige Köpfe der Kardinäle übergangen, an andern Stellen in Fleischtcilen wie Gewandpartieen mit frischer Farbe er- gänzt und mit warmen Tönen herum getupft«. Nichts desto weniger spricht sich ein genauer Kenner der Technik, wie dieser hochver- diente Forscher nach reiflicher Erwägung daliin aus, er glaube in diesen Tafeln bestimmt eine Kunst und eine Manier wiederzu- erkennen, die den Malereien des Masolino hi der Lombardei wie den Fresken der Katharinenkapelle in S. demente zu Rom verwandt seL In den wolerhaltenen Teilen, besonders in den Uneamenten der IVauengestalten begegne eme Sflssigkeit des Ausdrucks» die grade MasoUno eigen war. In der Tat erinnern die t»eiden zarten Damen neben dem Patritius Johannes und die Madonna über der Schneewolke selbst auffallend an Masolinos Sposalizio an der Decke der Collegiata zu Castiglione, wie an die sorglichen Frauen mit dem Johannesknaben bei der Namengebung durch Zaciiarias, wo ausser-

Masaccio

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dem die feingeriUte Wiedergabe der Qiofliemden duidwus dem Kreuzträger im Hintergninde hier entspricht Aber dteae Aehnlidi- keiten mit späteren Arbeiten Masolinos haben bei der firCOien Ent- stehungszeit dieses Altärchens alle nicht entfernt die Bedeutung, die zu einer I :mf o auf den Namen dieses Meisters erforderlich wOrde. Viel entscheidender ist der Nachweis des innem Zusammenhangs mit Brunelleschi und den strengen Grundlagen des Wissens und Könnens, über die der Autor verfügt.

Und was können wir denn boi Masaccio neben diesem persön- lichen Verhältnis zu dem grossen Architekten während der Erst- lingszeit seines Schaffens anders erwarten, als die Uebereinstimmung in allen Schulgewonheiten mit Masolino? Diese anerkennen wir ausdrOcklich ; sie geht noch bis in die Motive der Haltung und Bewegung, besonders die FingersteUung, und die Einzelheiten der Draperie hinein. Aber trotzdem ist hier ein anderer Kern und etwas Neues im Ganzen. Bei Masolmo sind in CastigUone d'Olona noch flberall die Räumlichkeit und die Figuren zwei getrennte Dinge; es ist ihm nie gelungen, sie unter einheitlicher dreidimen- sionaler Anschauung zusammenzufassen und als solche Einheit, als in sich gleichartiges Ganzes der Körpcrwclt vorzutragen. Hier ist beim Schneewunder diese Einheit zwischen KOrpem und um- gebendem Raum vorhanden, und trotz dem sperrend gespreizten Basilikenplan am Boden mitten zwischen den Figuren, in der Bildanschauung aufrecht erhalten. Welch bewusste Entscheidung gehört dazu, das irdische Theater unten durch die Wolken- streifen gegen den oberen Teil der selben Goldgrundfläche so ab- zugränzen, dass sogleich die Aufhebung der Raumtiefe fülbar wird. Die Sphäre der Göttlichen, die oben am Himmel steht, ist nur filr den Beschauer des Bildes^ vor dem Altar drausaen, und dn Blick auf Rafiiels Madonna di Fuligno aus S. Bl in Aracoeli zu Rom, belehrt aber die Schwierigkeit dieses Problems und das BemUhen des fortgeschrittenen Meisters die mittelalterliche Schddung der Welten un Bilde wenigstens zu vermitteln. Den untern Teil der Gründung von S. M. Maggiore verbindet aber ein übersichtlicher Weg mit den Predellenstücken des Altarwerkes von Pisa (in Berlin), deren Figuren noch den nämlichen Zuschnitt aufweisen, besonders die selbe feinknochige Bildung der Beine und Arme, wie hier; nur wurde durch die Gegenstände, die Martyrien des Petrus und Johannes Baptista oder die Anbetung der Konige nirgends die gewaltsame Ausweitung der Tiefendimension verlangt, wie durch das Ansinnen, den Grundriss einer altchristlichen Basilika an entscheidender Stelle, d. h. an der Kreuzung gesehen, auf der Bühne auszubreiten und die Figuren nur aussen herum aufoistellen. 6*

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Zusammenhang mit Werken MASAcaos

Dort in don Pisaner Predollen ist die Bekanntschaft mit DonatcUos Rclietkunst (z. R. Horodesmal für den Taufbrunnen in Siena) hinzugetreten ; hier dagegen spielt ausser lirunelleschi, dessen Nähe wir in Rom noch bei andrer Gelegenheit genauer beobachten werden, für die Besonderheit der Malerei Masaccios gewiss das Ver- hältnis zu Greotile da Fabriano bestimmender mit Das Nacheifern erstreckt *8ich sogar auf die rötliche Kamation, die heüm Christus» köpf im Giebel des Tabodiakels zu Bremen ebenso aufifollen muss, wie in den Neapeler ^Idcben, und auf den Schmelz der Farben, die in wolerhaltenen Teilen eine miniaturartige Feinheit mit flflssig vertriebenem Auftrag verUnden, wie Email. Dieser Wettbewerb mit den VorzQgen des Umbrers ist grade bei einem kostbaren Altärchen, das wie anzunemen der Papst Martin V. selber bestellt hatte, doppelt erklärlich, da es den Gönner Gentiles zu be- friedigen galt. Wenn das Nämliche sodann auch von der Wal der Idealtypen und der Weichheit des Ausdrucks gesagt werden darf, in dem wir sie mit Gentiles Madimnen-Bildchen in Pisa, oder den Florentiner Arbeiten tür vStrozzi und Quaratesi, namentlich den vier Heiligen in den Uffizien vergleichen, so sind das lauter Dinge, die auch Masolino noch dem Beispiel des Umbrers erst verdanken mochte. Bis wir Gherardo Stamina genauer zu charakterisieren vermögen, den Vasari als seinen Lehrer bezeichnet, muss das in der Schwebe bleiben; denn die sichern und datierbaren Malereien Maso- Unos, die mt mit Masaccios Erstlingen zusammen zu bringen ver» mögen, sind ja später, erst 1425 bis 1435 entstanden !

Ist aber der Zusammenhang der beiden Tafeln des römischen Altarwerks in Neapel mit der Bremer Madonna von 1423 erwiesen, wie wol jeder zugestehen wird , dann darf der Auftrag für die Colonnakapelle in S. M. Maggiore auf dem Esquilin nur vor diesem Datum angesetzt werden. Im Jahre 1421 ist Masaccio als blutjunger Meister in die Zunft der Medici e Speziali aufgenommen, wie auch Gentile da Fabriano nach seiner Ankunft in Florenz; im Jalire 1424 erwirbt er die Gerechtsame au& Neue hei der Malergilde von S. Luca. Inzwischen mag er, längere Zeit von Florenz abwesend, sein Meister- recht nicht ausgeübt und die Beiträge nicht geleistet haben, so dass die Immatrikulation Ar erlosdien galt, als er heimkerte und neue Aufträge in Florenz empfieng. Gentile da Fabriano, der vom Papste herbeigerufene Meister, gieng nicht im Herbst 1420 mit der Kurie nach Rom, sondern zog es vor, in Florenz zu verweilen, um wenigstens .einige lohnende Bestellungen noch auszufQren. Kr blieb bis 1425, und Hess sich dann weiter in Siena und in Orvieto beschäftigen bis ins folgende Jahr hinein. Wenn der Papst in Horn daran gieng, die

Fragmente im Vatikan

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verfoUeneii Kirchen heniiatdlen, and an eister Stelle das Heiligtum der Familie in S. M. Maggiorc mit einem Weihgeschenk zu sdmittcken, zumal cki er während der Sommer- und Herbstmonate im an- Stossenden Palast des Titulars Wonung nam, so lange der Vatikan unwirtlich und das Haus dor Colon na bei .S. S. Apostoli im Um- bau begriffen war. so wird ein florentinischer Maler, der sich in Rom befand, willkommen genug gewesen sein.

Das fürt zur Frage nach Masaccio oder Masolino in Rom«, der die folgende Studie nun ausschliesslich gewidmet werden mag.

Dagegen sind an dieser Stelle noch zwei Bruchstücke zu er- wfinen, die ich schon im Frühjahr 1884 in den Glasschränken des Museo del finasdmento der Biblioteca Vaticana entdeckt und seit- dem wiederholt nachgepfOft habe, bis es mir neuerdings durch die Gute des Frefetto P. Ehrle gelang sie photographieren zu lassen, und auf dem letzten Blatt der vorigen Lieferung schon mit den beiden Neapeler Bildchen zusammenzustellen.

Das eine dieser Stücke (Armadio P, Nr. V) enthält die Be- stattung Marias, wobei nicht allein, wie es üblich ist, die Apostel an ihrem Grabe versammelt sind, und Christus in ihrer Mitte hin- zutritt, die Seele der Mutter in Gestalt eines Kindes auf seinen Arm zu nemen, sondern auch links und rechts noch je zwei Engel als Kerzenträger bei der feierlichen Ceremonie zur Seite stehen. Die Komjxisition des niedrigen Breitbildes, das offenbar das Mittelstück einer Predella gebildet hat, schliesst sich noch deutlich der Kunst- weise eines Spinello Aretino an, dessen Darstellung des selben Gegenstandes in der Akademie von Siena hier herangezogen werden mag. Aber sie erhält durch die abschliessenden Engelfiguren in aufrechter Haltung und die Hfigelrdhe die den Hintergrund büdet, wie durdi die schlichte Ans^Kiidislodgkeit der Felsgegend» deren Boden durch keine Vegetation belebt wird, doch einen strengen relie&rtigen Charakter. Und die innere Gliederung des Aufbaues verrät den nämlichen Emst der auch in kleinen Dimen^onen und untergeordneter Bedeutung der Teilarbeit noch den Zusammenhang mit der besten Tradition der Florentinischen Meister nicht verläugnet. Der Sarkophag zeigt die perspektivische Ansicht von der vordem Ecke des Kopfendes her, während das l ufsende durch die vornüber- gebeugte Gestalt des Apostels, der die Leiche herabsonkt. verdeckt wird. Diesem Träger der Füfse hilft der Andre beim Haupt der Toten nicht an der Schmalseite selbst, sondern am ersten Platz an der Langseite hinten, so dals die vornemste Stelle am Scheitel für Petrus frei bleibt, der die Grebete liest, während ihm wiederum kreuz- weJs gegenObergeordnet am Endpunkt der Diagonale die Ersdieinung

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Bestattung Marias

des Erlösers selbst ent^richt, der die laiche mit dem Weihwedel besprengt. Die Typen Christi und seiner Jüng-er sind durchaus die nämlichen, die wir aus den Fragmenten des Pisaner Altarwerkes von Masaccio kennen gelernt haben, und stehen in ihrem unent- wickelten Zustand ganz bcs(}nders der »Heilung des besessenen Knaben« nahe (Brüssel, bei M. Leon Somzec), die Vasari als per- spektivisches Versuchsstück aus früher Zeit beschrieben hat. Die stehenden Engel ab«' gehen vortrefflicli mit den Weihmnchspendern am Tron der Madonna im Scho& der Mutter Anna zusammen, wie mit denen der Madonna von München.

Am gröfsten aber ist die Verwandtschaft der Köpfen wie der Grestaltenbildung und der Gewandbehandlung mit der Assunta Im Museum von Neapel, d. h. mit dem einen ilauptbilde des AltSrchens aus S. M. Maggiore in Rom, zu dem diese Verbindung von Tod und Bestattung Marias als Predella schon inhaltlich sich völlig sach> gemäfs zusammenreiht. Nicht diese ikonographische Kombination mit dem einen nach Neapel verschlagenen Stück der Cappel letta Colonna hat mich beim Studium dieses kleinen Ueberrestes im Vatikan bestimmt, sondern vielmehr der unzweifelhafte Charakter Masaccios, der mir auch unter dem Schleier vielfacher Entstellung und dem bei aller Restauration noch traurigen Zustand der Malerei selbst entgegenleuchtete. Nachdem ich dann langer als ein Jahrzehnt ge- wartet und nach starlcen Zwischenpausen den Eindruck immer wieder bewftrt gefunden habe, wage ich es mit voller Zuversicfat, dies MittelstQck einer Altarstaffel ab zugehörig zu dem firOhen Mdsterwerk von S. M. Maggiore in Rom in An^midi zu nemen.

Sehr merkwürdig sind darauf die Heiligenscheine gemalt: sie sehen aus wie flache irdene Schalen und sitzen auf den Schultern der Figuren senkrecht, ohne Rücksicht auf die Haltung des Kopfes und ohne jeden Versuch zu perspektivischer Verschiebung. Sic haben alle einen schlichten Rand von gleicher Dicke, der wiederum wie bei Tellern scharf beleuchtet ist. aber keinerlei Verzierung, wie sie auf Goldgrund regelmässig vorkommt. Auch hier also eine Uebereinstimmung mit dem Brauch des Meisters, wie er an den Predellenstücken des Pisaner Altarwerkes im V^ergleich zu den oberen Fragmenten auffidlen muas. Die sorgsamste Kleinarbeit an den Heiligenscheinen findet sich dagegen genau so wie auf den Neapeler Bildchen auf einem »Colmetto« der vatikanischen Bibliothek, auf dessen Goldgrund der Gekreuzigte zwischen Maria und Johannes gemalt ist (Armadio R, Nr. IL)

Ein gebrochener Spitzbogen schliefst die eigentliche Bildflftdie gegen die rundbogige Umramung ab; diese letztere ist modern

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CDLMETTO im VATIKAN

erneuert, das Innere des spätgotischen Giobolstücks dagegen ver- hältnissmässig wol erhalten, bis auf das Atulit;^ ( hristi. das unter Küssen gelitten haben mag, und auf den nachgestrichoncn Gold- grund, in den die Heiligenscheine mit den näniliihen Mustern ein- getieft sind, wie bei den Kugeln und den Cherubkripfcn der Himmel- fart Marias in Neapel, und zwar mit lienutzung der gleichen Elemente, wie an den Halbfiguren des Pisaner Altarwerkes in Wien und Piia oder an den Fragmenten der Sonunlong Artaud de Montor in Paris.

Mit feinem Raumsinn ist das kleinere Spitzbogenfeld oben fbr «ne symbdiscfae Zutat benutzt: auf dem Kopfstflck des Kreuzes- stammes wftdist ein Bäumchen hervor» dessen Krone die gebrochene Bogenform im Kleinen wiederholt und in ihrer Mitte das Nest des Pelikans beherbergt, der seine durstige Brut mit dem eigenen Blute tränkt Die eigentliche Darstellung des Gekreuzigten mit den trauernden Seinen darunter mufs Tin mittelbar an das vorhin be- sprochene Fresko der Pieve von Empoli und andrerseits an die Dreifaltigkeit in S. M. Novella zu Florenz erinnern, während der Zusammenhang mit den gleichen Darstellungen des Trecento keinen Zweifel darüber läfst, dafs es dem zweiten wie dem orsten der ge- nannten Wandgemälde zeitlich voranliegen mufs, auch wenn man die Bedingungen der Tafelmalerei auf Goldgrund und die Kleinheit des Malssttabes gebärend in Rechnung setzt Die feinknochigen schlanken Gestalten, der hagere Körper des Erlösers und die viel- fiich geschlAngelte Draperie besonders bei Johannes konnten auch Spezialfofscher zunächst so befremden, dafs sie versucht wären das Ganze früher zu datieren, als es darf. Das unruhige Faltengehänge, das übrigens auch an den Aposteln der Grablegung sehr ähnlich wie hier bei dem IJeblingsjünger wiederkert, findet seine Erklärung HOr die Frflhzeit eines Masaccio und Masolino vollends durch einen Hinweis auf die Liebhaberei des Parri Spinelli, wie sie noch heute in einer Klosterkapelle von S. M. Novella, die jetzt zur Spezeria gehört, und in Zeichnungen der Uftizicn, an deren Echtheit nicht zu zweifeln ist, mitten in Florenz vor Augen steht. Das alte Motiv der aufgestützten Wange gestattet dann, das jugendliche Antlitz dieser Gewandfigur, das fast einer blonden Magdalena gleicht, in ruhigerer Wehmut zu zeigen.

Hocfaaufgeriditet dagegen, mit den gefalteten Händra unter dem dunkeln Gewände, steht links Maria in vollem Auf blick des matronenhaften Angerichts zum Sohne hingewendet. Ein letzter Rest der gotischen Kurvatur geht durch die ganze Grestalt als Be- wegungslinie, und wirkt als einzige, allen Crram zusammen&ssende

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Crucifikus mit Maria und Johannes

Gebärde, in der sich das schmerzerfüllte Haupt emporreckt Ganz ihr zugewendet erscheint wie im letzten Abschiedswwt der armeelige Leib des Gekreuzigten, der willenlos und dodi nicht ohne miniisdien Ausdruck am Holze hangt Das Haupt ist leise vomflber gesunken und so in Schatten gelegt bis auf die Stirn, auf der ein greller Licht- sdhein lagert, vom hellblonden Haar umfiossen und venu goldigen Nimbus umramt. Nur der ausilattemde Zipfel des Schurzes weht zu Johannes herüber. Sonst galt die ganze Sprache des Todesseufzers dem Mutterherzen; das sagt der Zustand, der hier vom Maler fest- gehalten wurde. Und so wirken sie alle drei ergreifend zusammen.

Das Ganze ist die tiefempfundene Leistung eines jungen werdenden Künstlers, der den idealen Inhalt trotz allem liemühen um die Wahrheit des Lebens nicht aufgeben will, und das köstlichste Erbteil des Mittelalters hindurchzuretten versucht durch die An- wandlungen des Neuen, die sich auch bei solcher Aufgabe schon machtig genug cmpordrängen. Wer sich die Mühe nimmt, die be- rfimte Drdfaltigkeit mit Maria und Johannes unter dem Kreuzes- stamm in S. M. Novella auf der «nen Seite und die H^ung des l>ese8senen Knaben in BrOsael auf der andern zu vergleichen, der wird es verstehen, wenn wir Greist und Hand des nftmlichen Künstlers hier erkennen und dies Gicbelstück eines Altärchens in Rom als organisch wol erklärtes Zwischenglied betrachten. Körper- bildung und Anordnung des Crucifixus stimmen in wesentlichen Dingen überein und erinnern an ßrunelleschis Meisterwerk. Die Bildung der Innern Gesichtsteile auch beim Gottvater der Trinität, oder bei Maria hier und Anna auf dem Bilde der Florentiner Akademie beleren des Weitern über enge Beziehungen. Endlicli das üppige, in der Mitte gescheitelte, hellblonde Haar, das wir in Empoli und in der Brancaccikapelle (Predigt Petri) wiederholt gefunden, und die kleine ScMefheit in der veikOrzten Ansicht des Cbristoskopfes, wo Haarscheitel und NaaenrQcken gegeneinander verschoben er- scheinen: Alles bezeugt die Urheberschaft Masacdos, die mir fbr. diesen Colmetto der Vaticana noch zweifelloser auch aus der besser erhaltenen Malerei t}eglaubigt acheint, als für die abgeriebefl« Be- stattung Marias daneben.

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Lieferung III

Verseiclinis der Tafeln

Florenz, C arm ine. Brancacci-Kapelle: i) Breitbild der oberen Reihe rechts, Fresko,

a) HeUung det Lahmeii ^

b) ^wedmiic TaMfhai

3) Hochbild am Einging itdits, Fmko^ der Sflndenfidl.

Plorans, S. IC Novella, Eingangswand: 3 a) Dicifiüti^Keit mit Kail» und Jo* haaiMi» Fcako.

Paria? Sammlung Artaad de Mon- tor (1843); b) Vier Halbfigaren von Hdl^en, ans einem Altarwerk zwei Tafelbilder anf Goldgntnd.

Enapoli, Collegiata:

4) Hodibild der Tanikapelle, Fiedw in gemaltem Ramea : Christus im Grabe mit Ifaria «ud Johannes. \

Bremen, Kunsthalle: 5 a) Madunua mit Kind in Tabernakel vom 1433,

Tafelbild auf Goldgrund.

Plortns, Akademie, ans S. Ambngio:

b) S. Anna Sdbdrttt mit Anf Hageln,

TafelbUd aoi GoUgrnnd.

MOadMii, Pinakothek:

c) Madonna mit Kind, Gottvater und

Engeln. Tafelbild aul Goldgrund

Rom, Bibliotcca Vaticana: 6) Vier Predellenslücke mit Legenden des hl. Nicolaus v. Bari;

a) Gebort

b) Goldspende

c) Auterweckung

lalclbildchen H; 0,3t) X ««JSV«

d) Rettang in Stnrmgefar, breiteres Mittelstflck der selben

Predella.

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ScHIvlARSOW

MASACCIO-STUDIEN

VIERTEB BUCH

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MASACCIO

STUDIEN

VON

AUGUST SCHMARSOW

MASACCIO ODER MASOLINO ?

(MIT 20 LICHTDRUCKEN)

1898

Tu. G. Fisher & Co. KASSEL

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MASACCIO ODER MASOLINO ?

DIE STREITFRAGE SAN CLEMEN TE ZU ROM

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Inhalt

I. C«ppdb ddU FanioM i— 17

Die UalmitB an dar Dedke und w der Aoneueite 18—38

Gpiiamtdifiposition des Inaeni 38— S9

II. Die Katharinenlcgcnde 30 50

III, Die Arohrosiusicgende , 51— 6a

IV. Die Krcuzijjunß 63 75

V. Einoninunt; des Kapellcnschmiickes in da«. I^beiuwerk des Meisters , . , 76 90

Geschichten des hl. Nikolaus im Vatikan Hz 90

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Omck von L. DM1 in CHid.

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VIERTES BUCH

-^MASACCIO ODER MASOLINOß^

4^ IN S. OLEMENTE ZU I^OM S#f

I J artn/ickige Meinungsverschiedenheit scheint sich unter den Kunst- historikorn einzubürgern, wo es gilt, die Malereien in San Clemontc zu Rom dorn p;o.schichtlichen Zusammenhang einzuordnen, ihre Entstehungs/eit und ihron Meister zu bestimmen. Das liegt zum Teil gewifs an dem iM'dauernswerten Zustand, in dem sie nach zalrcirhen Ilerstellungcn und Erneuerungen sich gegen- wärtig befinden, zum Teil aber gewifs auch an der grundsatzlichen Verschiedenheit der Betrachtungsweise, in der die Schulrichtungen der heutigen Forschung auMinandergehen* So droht die Frage, ob in diesen Fresken ein Jugendwerk Masaccios zu erkennen sei, oder ob wir ae Masolino zuwdsen dürfen, indem wir Vasari eines staiken Irrtums zeihen, unsere Erkenntnis der Anfänge des Quattrocento wesentlidi zu verschieben. Und einer solchen Frage kommt doch mindestens ebenso grolse Bedeutung zu wie der Entscheidung Über das soge- nannte Venezianische Sldzzenbuch, das auf der einen Seite für Raphael in Anspruch genommen, für die Entstehungsgeschichte der Hochrenaissance nicht minder wichtig wird als für die Entwickelung des einzelnen grofsen Meisters, auf der andern Seite dem Bernardino Pinturicchio zugeschoben oder gar an mehrere Spätlinge der uml)risrhcn T.okalschule verzettelt, nur das Durcheinanderlaufen vers( hiedener Nachamung ohne ausgesprochenes Ziel des eigenen Wüllens bekunden würde.

Wer den Kapellenschmuck in S. Clemeute dem Masolino überantwortet, eotdefat damit auch dem römischen Aufenthalt Masacdos oder doch seiner Wirksamkeit in Rom die greifbare Schmarsow, Muaoeio^ludien IV. 1

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^EDEimTNG DER FRAGE

Grundlage, und versagt unsern wissenschaftlichen Bemühungen zu- gleich die Möglichkeit, aus solcher Berüning des Hauptmnlers der Frührenaissanco mit der ewigen Stadt noch Aufschlüsse über das Werden und Wachsen der neuen Kunst zu gewinnen. So wenig wir davor zurückschrecken, auch eine solche Folgerung zu ziehen, wenn es im Namen einer gewissenhaften Kritik nicht anders sein kann, so ernstlich mufs doch an einer derart entscheidenden Stelle gegen die Leiditfertigkeit gewarnt werden, gerade lii«r der Sucht nadi fiberraschenden Neuigfcdten die Zflgel schiefsen zu lasaen oder gar sophistische Taschenspielerkfinste tOr wissenschaftliche Forschung auszugeben.

Vielleicfat ftlt es nur an einer methodischen Profung der er- haltenen und unverjßllschten Bestandteile dieser Malereien, die den inneren Charakter der künstlerischen Leistung wesentlich bestimmen, und bei aller Gemeinschaft technischer Gewonheiten, die zwischen zwei gleichzeitigen Genossen vorhanden sein und zu Verwechslungen Anlafs geben mochte, doch gestatten, die geistige Organisation des Einen wie des Andern scharf genug zu unterscheiden, oder Besitz- tümer des Wissens und Könnens festzustellen, die dem Einen ge- läufig sind, aber dem Andern fremd geblieben oder in ihrem fruchtbaren Kern verschlossen gewesen. Auf Grund solcher un- läugbaren Nachweise mfllste doch eine Verständigung unter allen wirkHch andringenden Forschem erreichbar sein.

Deshalb soU auch hier vorurteilsfrei versucht werden, zur KUrung der Streitfrage zwisdien Masaccio und Masolino beizutragen, was sich aus langjAhrigem Verker mit den Freskencyklen in Castiglione d'Olona, in Florenz und Rom ergeben hat

Wir stellen Masaocios Namen voran, weil seine Tätigkeit in Rom von unserm zuverlässigsten Gewärsmann Antonio Manetti schon beglaubigt ist: »e fece ancho in altri luoghi in Firenze, in chiese e a persone private, e a Pisa e a Roma e altrove«, während die Quellen bis auf Vasari von einer solchen bei Masolino nichts wissen, so dass dieser zweite Name überhaupt erst von der modernen Kritik herangezogen worden ist, wie bei dem Altärchen aus S^«^ Maria Maggiore in Rom, das sich jetzt in Neapel befindet, und das wir als früheste Leistung des jungen Masaccio im Auftrage Martins V. betrachtet, wie einst Michelangelo und mit ihm Giorgio Vasari.

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koM, S. Clementr 3

Cappella della Passione

Die Kapelle, um deren Freskenschmuck es ach handelt, ist ein Einbau in der alten Basilika S. demente, und zwar am Ende dos einen Seitenschiffes, dessen Langseite an der Strafse nach dem Lateran gelegen, jetzt durch eine Tür unmittelbar betreten wird, während man früher nur durch den Vorhof in die Kirche gelangte. Tritt man durch diesen ins eigenthche liauptportal, so liegt die Kapelle zur linken Hand und schHefst vom Eckpfeiler dieser Ein- gangswand an bis über die Säule der ersten Arkade hinaus durch ilirc eingezogene Mauer das Mittelschiff an dieser Seite. In der Breite des Nebensdiifiies ist auf Anspringenden Pfi^lera ein ricinlich flacher Spitzbogen eingespannt, über dem die Obemiauer auch hier glatt ansteigt So entsteht ein rechteckiger Innenraum, der mit einem Kreuzgewölbe eingedeckt, offisnbar zur Sicherung des alten Kirchen- gebäudes an dieser gefärdeten Edce bestimmt war.

Er bietet drei spitzbogig abschliessende Wände dar, deren eine zur I^ngseite der Basilika gehörige von einem Fenster durchbrochen wird, dessen Form später veränd^ worden, UTBprfing- lieh gewifs noch ebenso gotisch zugeschnitten war. Die Kämpfer- simsc des Eingrangs, die Eckkonsolen des Gewölbes und was sonst an Kennzeichen des Einbaues erhalten ist, erweisen als Entstehungs- zeit die Uebcrgangsperiode aus spätgotischer Gewonheit in die schlichte Freiheit der Frührenaissance, wie sie in Rom noch im ersten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts sich meldet.

In der Altarwand der Kapeile, die dem Eingangsbogcn gegen- über, einen Teil der alten Schlufiimauer der Basilika gegen ihren Vorhof bildet, ist rechts an der Ecke eine TOr eingebrochen gewesen, die mit Benutzung altchristlicher Fragmente hergestellt, ursprOngltcfa wol durch eine anstoisende Sakristei, dem Kardinal-Htular der Kirche von seiner obem Wonung aus den Zutritt in die Kapelle gestattete, jetzt aber zugemauert und mit einer langen Inachrüt auf den 1830 hier bestatteten Kardinal Benedetto Naro belegt ist. Zur Linken des Altars sitzt ein marmorner Schrein für die Er- fordernisse des Messopfers, ein Werk, dessen Mischung spätgotischer und antikisierender Formen ebensowenig wie seine Mosaikverzierung im Cosmatengeschniack über die Kntstehungszeit täuschen sollte. Es ist ein römisches Machwerk unmittelbar vor dem Eindringen der toskanischen Quattrocento-Skulptur, wie die Stiftungen des Kardinals von Alen90Q in S. M. in Trastevere und die Grabmäler des Paolo Romano daneben oder in der Malteserldrche auf dem Aventin (c. 1405 14 17).

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4 Cappella della Passion^

Eine ältere Altarstätte mochte hier schon vorhanden sein; für die Behauptung aber, diese Stätte sei schon vor dem Einbau der Kapelle der heiligen Katharina geweiht gewesen, feit der Beweis. Das Heiligtum, von dem wir reden, ist ganz und ijar im ersten Viertel des XV. Jahrhunderts errichtet, ja nach Ausweis der Einzel- formcn wol nicht vor 1420 zu datieren, und steht wahrscheinlich mit der Herstellung der verfallenen Titularkirchen in Zusammenhang, die auf Betrieb Martins V. nach der Rückker der Kurie in das lang verwarlofite Rom statt&nd.

Ueber dem Scheitel des Eingangsbogens ist das Wappen eines Kardinals gemalt Der au&teigende Greif aber, den es jetzt entliält, kann erst unter einem späteren Titnlar von S. Demente lün«ngdcommen sein. Er gdiOrt, wie Crowe und Cavalcaselle schon berichten, dem M. Antonio Franciotti von Lucca, der unter Urban VIII. von 1637 bis 1641 dieser Kirche vorstand und das Mosaik des Fufsbodens, vielleicht auch Andres in der Kapelle herstellen liefs. Der scheinbare Anspruch dieses Wappens auf den Freskenschmuck ist also viel zu spät ei ngesciiniu segelt worden, um Glauben zu finden, und sollte schon durch die sellsanie \'ersrhiebung des Wappentiers in seinem Felde den Vcrdachl des Hcraldikers erregt haben.

Zu den Seiten dieses Wappens ist oben die Verkündigung gemalt. An der Stirnseite des Pfeilers links, der breiter ist als der Ansatz an die Aufsenmauer zur Rediten» sieht man den heiligen Christophorus, wie er das Qiristkind auf den Schultern durch das Wasser trägt An der Laibung des Eingangsbogens sind zwölf Kamen nach Art der Vierpässe an den Erztüren des Florentiner Bapttsteriums mit den Halbfiguren der Apostd darin, am Kreuz- gewölbe drinnen die vier Evangelisten und die vier lateinischen Kirchen- väter paarweis gesellt: S. Lucas mit S. Gregor über dem Eingang, S. Marcus mit S. Hieronymus über der Fensterwand, S. Matthäus mit S. Ambrosius gegenüber, und S. Johannes mit S. Augustin über dem Altar. An dieser Schlusswand der Kapelle befindet sich die Kreu/ii^-ung Christi, welche die ganze verfügbare Fläche füllt, schun durch das abtrennende Gitter den Besuchern der übrigen Heiligtümer der allen Basilika ins Auge lullt und den Namen »Cappella della Passionec bestimmt hat. Die Seitenwände dagegen sind in zwei Reihen geteilt, und zwar so, dass das Bogenfeld zwei Abteilungen, das untere rechteckige Wandfdd deren drei enthält Zur Rechten des Altars ftllt die Legende der heiligen Katharina von Alexandrien die geschlossene Hauptwand {links vom Besudier). Gegenüber in der Fensterwand, zur Rechten des Besuchers, entfallen eigentlich nur vier schmälere Bildflächen für die Geschichte des heiligen

Diniti7fld hv C;np3lg

ÜBERUEFERUNG UND KRITIK

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Ambroeius. Den Nachweis, dass hier nicht die Jagend der hL Katharina

oder die Wunder des hl. Clemons crzält worden, wie man gemeint hat, verdanken wir Franz Wickhoff Ueber den Zustand der Malereien,

die neueste Restauration dfr Katharinenbilder und die Ablösung der beiden oberen an der Fonstorwand, haben Crowe und Cavalcaselle neuerdings in der italienischen Ausj^abe berichtet -). so dass wir diesen Sachverhalt als bekannt voraussetzen dürfen und nur ge- legentlich im Einzelnen noch Bemerkungen einstreuen.

Da. älteste Zeugnis» das wir Ober den Urheber dieser Malerden besitzen, ist das Vasaris^ der in seinem Leben Masacdos erzält: Dieser habe .... von eifriger Liebe flBr seine Kunst getrieben, nach

Rom zu gehen beschlossen, um dort zu lernen, damit er die Andern Oberträfe, und habe dort dann ... für den Kardinal von S. demente, in der Kirche von S. demente eine Kapelle gemalt, wo er in Fresko die Passion Christi mit den Schachern am Kreuz darstellte und die Geschichten der hl. Martyrin Katharina.

In unserm Jahrhundert hat sich mancherlei Zweifel gegen die Nachricht erhoben. Die Herausgeber des Vasari erklären: Queste pitture, no per il concetto, ne per la esecuzione offrono somiglian- za veruna colle opere autentiche di Masaccio; Y invenzione e il disegno le annunzia invece lavoro dt tempo anteoedente").€ Vom Text des Giovanni dall' Armi zu der vorza^chen Publilottion*) in Umrissftidien 1809 nemen sie merkwürdiger Wdse keine Notiz, als ob de dessen sorgfiUtige Bemericungen Ober Masacdos Leistungen in dieser Kapelle gar nicht gekannt hätten. Crowe und Cavalcaselle dagegen sind zu Vasaris 2^ug^is zurückgekert und sehen darin Jugend werke Masacdos» dessen Aufenthalt in Rom sie 14 17 beginnen und bis 1420 dauern lassen: Der Gesamteindruck des c^anzen Gemäldccyklus der Kapelle bekundet einen jugendlichen Geist am Beginn seiner künstlerischen Entwicklung, der noch mit den Wider- sprüchen und Unvollkommenheitcn zu kämpfen hat, wie sie einem Erstlingswerke naturgemäss anhalten^).« Albert von Zaim hinwieder

<) Zdtecbrift ftir bildende Kunst XXIV. 1889. 308. tt. *) Stork della pittura in Itali.i II (1883) p. 379.

'j Vasari, Le vite (cd. Lemoooier) III. 158, t. Opere (Saiuoai) II, 393. *) Le pittore di Mwtcdo edtlntl is Rona adk Btiilict di & Caamente colle teste Ivddate dal Sig. Cario Labniui e piibblicate da Giovanni dall* Arnii* Roma 1809^

lOjr. fol. Nach dieser gewissenhaften Publikation, die bei dem jctzifjcn Ruin der Wand- bilder besonders wertvoll geworden» geben wir einen groüen Teil unserer Tafeln in ent* sprechend verkleinertem Maüsstah.

') Dcvtldie Am|ibe II (1869) S. 100,

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Meinungsverschiedenheit

erbebt in seinen JahrbOdiern für Kunstwisaenachaft (1869) Bedenken gegen die Annamc. dass Masaccio die »durdiaus nicht schfllerhaften Fresken von S. demente« im Alter v<mi 16—18 Jahren aiwgefiElit habe, und denkt an eine Verwechslung mit Masolino, die um so leichter gewesen, als diese Arbeiten in Rom »in diejenige Periode fielen, in welcher von der grossen stilistischen Eigentümlichkeit Masaccios noch nicht die Rede ist und die Künstler- I radition feite Daraufhin giebt auch Anton Springer') das Urteil ab: Die neuere Kritik . . . schreibt die Fresken in S. Clemente in Rom, aus dem Anfang der zwanziger Jahre des 15. Jahrininderts, bald dem einen bald dem andern Maler zu. Die Meinung, daas der Mebter in S. Qemente auch die Fresken im Baptisterium zu Castiglione gemalt hat, verdirat unbedingt den Vorzug.« Leider nnd diese AuasprQcfae ohne weitere Begrflndnng liingestdlt worden, und ebensowenig motiviert, warum die Autor-Frage zwischen Castiglione und Rom eigentlich umgekert wird, wie es dem zeitlichen Verhältnis zuliebe doch nicht ohne Weiteres geschehen darf. Dagegen ist Burckhardts Cicerone, mit alleiniger Ausname der \ on Zahn bearbeiteten dritten Auflage 1S74, bei Masaccio gcbhebcn und seit der vierten Auflage von Bode ganz entschieden für Cavalcaselles Urteil eingetreten, in der letzten Bearbeitung von 1893 sogar ohne Rücksicht auf den neuesten Versuch, die Malereien in S. Clemente erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts zu datieren. Dies unternam Franz Wickhoff, dem wir die Bestimmung der Darstellungen an der Fensterwand als Legende des hL Ambrosius verdanken, in der Zeitschrift für bildende Kunst 1889.

Er erkennt in den Fresken den Einfluss des Vittore Pisanello, und fikrt diese Wirkung der oberitalienischen, spedeller veronesischen Kunstweise in Rom auf ein bestimmtes Werk des genannten Meisters zurück, nämlich seine (reschichten »Johannes des Täufiers« in der Lateransbasilika, welche als Fortsetzung der Anfänge von Gentile da Fabriano zwischen 1428 und 1432, nach den bisher aufgefundenen Zalungsvermerken vom April bis Juli 1431, ausgefürt sein müssen. Unter den Kardinälen aber, die nach 1431 den Titel von S. Clemente innegehabt haben, si heint ihm der Bruder des Königs von Cypern Hugo von Lusignan, durch sein allzuschnelles Aulrucken zu einer hohem Stufe der Hierarchie, der Venezianer Francesco Condulmer, durch den Mangel jeder Beziehung zu den dar- gestellten Heiligenlegenden, ausgesdilossen, so dass nur Henricus

') Wie im Textbuch zu den Kunstbistori&cben Bilderbogen, »0 weh in den »GfoaitaiteB der Kui^ptdiicbt«« 1889. S. 304. Vgl. K. Wdimano, Godi. d. Mäleni II, (i88s) p. 139, dafCfen K. Woemum f&r Manodo. Knut und KOnttler III. 48 «. fOMt

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ÜBER Zeit und Urheber

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de AUosio, der ErxbiMihof von Mailand flbfig bfiebe, der von 1446 bis 1450 der Kirdie S. Demente vorstand und allen Grund gehabt hätte, den Schutzpatron seiner Diöcese, S. Ambrosius, auch in seiner Titellürche zu Rom zu verherrlichen.

Obwol nun Hasolino, nach der gewönlichen Identifiderung mit dem Maso di Cristo&no Fini, der am 18. Oktober 1447 im Dom zu Florenz beerdigt ward '), bereits zehn Monate nach der Ernennung des Allosio zum Kardinal-Presbyter von S. demente ausserhalb Roms gestorben wäre, so setzt Wickhoff, doch auch dieses Bedenken bei Seite, verlängert das Leben des Malers Masolino, der 1384 geboren, damals jedenfalls über scchzig^ Jahre zälte, nach Belieben ins Un- gewisse und läfst ihn zwischen 1446 und 1450 zu Rom den Kapellen- schmuck in S. demente ausfüren; denn »bei Künstlern die ein hohes Alter erreichen ist eine solche Stilwandlung möglicli; da er- sdieinen zuweilen am Schlüsse der Laufbahn solche zarte Gebilde, wenn sich die Meisler auch in ihrer Jugend dem gewaltigen und ernsten Stile zugewandt hatten.«

Damit wflren wir aUerdings beim entgegengesetzten Extrem der Meinung CavalcaaeUes angelangt : statt dnes Jugendwerkes von Masacdo eane letzte Leistung des greisen Masolino. Und in der Tat kurz vor den 1455 entstandenen Malereien im BapCisteiium von Castig- lione» wie es als unmittelbare Wirkung der 1432 fertigen Fresken Pisa- nellos im Lateran erlaubt wflre, könnten die Arbeiten in S. Clemente unmöglich angesetzt werden. Denn, wie Wickhoff selber zugesteht^ scheint es schwer denkbar, »dals ein Maler, der sich ganz der Kom- positionsweise, der Behandlung u. s, w. der veronesischen Schule gefangen gab, später wieder Werke ausfüren sollte, wie die Fresken in Castiglioiie d'Olona, an denen von solcher Einwirkung nichts zu sehen ist.« Und da diese Malereien Masolinos im Baptisterium gerade das nämliche Heiligenleben, die Geschichten des Täufers behandeln, die Pisanello soeben für S, Giovanni in Laterano geschaffen hatte, und zwar wenn auch nicht in einem »gewaltigen und ernsten Stile«, doch in durchaus anders geartetem Shine, so ist die Bekanntschaft mit Pisa- nellos römischem Cyklus damals noch völlig ausgeschlossen. Die Entwicklung femer. die sich an den beiden Büdercyklen in Castiglione bemerken läfst, ist wie Wickhoff urteilt, >eme Entwicklung innerer Art; sie beruht auf der Vervc^ommnung des KOnstlers in sehier Riditung und ist nicht durch äussere Umstände bewirkt.^ Das wollen wir, indem wir an Ungarn 1426 und an die Heimker nach

>) MilADcsi zu Vasari, Opere II p. 266 (wo die Jahreual fclt) dazu p. 263 u. IX (Indid) p. II, wo es heilst »viveva aacora 1435*.

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Beziehung zu Fresken Pisanellos

Florenz um 1427 erinnern, dahingestellt sein lassen, da Wickhoffs Chronologfie in Castiglionc statt mit 1425 erst mit 1428 beginnt, i lii San demente tritt aber ein aufserer Grund für den Fortschritt, die Kenntnis der Malereien des Pisanello hinzu : wir werden die Fresken in S. demente daher später als jene in Castiglione setzen müssen.« Nur schade, dafs diese Fresken Pisanellos in Rom, die in Wickhoffs Argumentation eine so grosse Rolle spielen, gamicht mehr existieren, und, da wir nidit einmal eine Beschreibung besitien, äch auch beim besten WiUen dem VorsteUungsvermögen voHstäadig entzidien. Was von ihnen vorausgesetzt wird, ist lediglich eine Fiktion auf Grrund andrer Arbeiten FSsanelloa» von denen keine recht ausreicht» auc:h in der Phantasie nur einen Freskeneyklus zu ergänzen, dem man grade so einzige, von allen kleinern Leistungen des selben Meisters nicht erreichte Wirkung beimessen soll, wie WickhofF fordert, indem er seine ganze chronologische Deduktion an Pisanellos römische Tätigkeit von 1431 anknöpft.

Diese willkürliche Kon,struktion eines untergegangenen Fresken- eyklus, als sei er eine bekannte drrjfso, mit der man wissenschaftlich rechnen könne, hängt ebenso wie die willkürliche Verlängerung der Lebenszeit Masolinos nach Bedarf einer Hypothesenreihe, nur mit dem Bestreben zusammen, die Malereien in S. demente möglichst spät zu datieren. Da bietet sidi als Besteller mit einiger Wahr- sdieinlicfakeit unter den Kardinälen von S. Demente audi nur Enrico Allosio, der Erzbischof von Mailand an. Aber die Wahrscheinlich- keitsgrflnd^ cUe aus dem Inhalt der Darstdlungen für diesen sprechen, fallen ebenso stark für den weit früheren Kardinal Branda ins Gewicht, den selben, der Masolino in Castiglione d'Olona unwdt Mailand beschäftigt hat

Schon am Eingang der Kapelle deutet, wie Wickhoff selbst her\'orhebt, die (iestalt dos hl. diristophorus auf oberitalienische Liebhaberei! Ja, das ist noch zu allgemein ausgedrückt. Wir können die Jicziehungen ganz persönlich fassen, sobald wir an Branda denken, der in Castiglione an seinem Kirchlcin Corpus Christi, das 1437 ausgestattet ward, die Kolossalfigur des heiligen Christoph genau so am Ein gange anbringen liess wie hier, nur in Stdo gehauen, zur Rechten der Tür, dem vorfibergehenden Wanderer zunächst an der Strasse. Und ein Mann wie Kardinal Branda, der als Legat so viel ge&rvoUe Reisen in fremde Länder durchgemacht, der in Kriegs- läuften und Ketzerverfolgung so viel Nachstellungen ausgesetzt war, hatte alle Ursache, dem Schutzheil gen, dessen Anblick vor ge- waltsamem Tode bewaren soll, seine intime Verehrung zuzuwenden, oder für die Erhörung gar manches Sto&gebets in Angst und

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Bestimmung des Siimers

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Fftriichkeit ihm seineD Dank zu zollen. Noch mehr: »die Schilderung der Wunder des grossen mailändisdien Heiligen Ambrosius wSren ein dem mail&ndischen Edelmann angemessener Gegenstand« wird anerkannt; aber »es steht dem entgegen, dass Branda . . . eine gar geringe Achtung und Liebe für die Heiligen seiner Heimat hatte.« Wickhoff erzält als Beweis für diese viel zu sehr verallgemeinerte An- klage die Anekdote, die Corio berichtet, und stellt sie als Streich gegen die unschuldipo anibrosianische Liturgie hin. Dieser Miss- crfolg" des Xeun/igjahri^;cn. der die I'nionsbestrebungen Kugens IV. auch in seiner Heimat durchzusetzen dachte, beweist doch keine Nichtachtung und Lieblosigkeit gegen den Schutzpalrmi der Erz- diöcese, der Branda als »Episcopus Placentinus zugehorte, wie er als Kardinal noch immer sich zu bezeichnen liebt. Wickhoff scheint völlig zu vergessen, dass alle Stiftungen Brandas auf Schritt und Tritt das Gregenteil seines Vorwurfe dartun. Von Christopherus nicht mehr zu reden, ist am Portalrelief der Kollegiatkirche neben den TiteOieiligen der Kirchenvater Ambrosius ausgewftlt, wenn auch der Papst Gregor den Stifter am Tron der Madonna vorsteUt In dem selben Gotteshaus war der Altar des einen der beiden Neben- chOre dem heiligen Clemens, Ambrosius, Konrad a. A. geweiht, und 1428 erhielten die vier Doktoren der lateinischen Kirche zusammen im Kirchlein Corpus Christi drunten noch höhere Ehren, Als Ilalb- figuren erscheinen sie am Portal, als Statuen im Innern des Tempels, und in der Urkunde, die der Kardinal bei der Kurie in Bologna ausfertig-en liess, wird auffallend genug gegen die gewonte Reihen- folge der I.ischuf Ambrosius an cr.*>ter Stelle, vor dem Papst Gregor und dem Kardinal Hieronymus genannt.

Und diese »quattuor doctores Ecdesiae,« denen er das Gottes- haus in Caatiglione widmet, das sdner eigenen Wonung unmittelbar gegenüber steht, erscheinen nun ebenso bemerkbar hervorgehoben an der Decke der Kapelle in S. demente, seiner Titellürche in Rom, den vier Evangdisten gesdlt, doch sicher auf die ausdrückliche Wdsung des Bestellers.

Endlich die Legende der Hauptheiligen, die den Geschichten des Ambrosius an der Fensterwand gegenüber die günstigste Stelle für einen Bildercyklus einnemen durfte: S. Katharina von Alexandrien? Wickhoff weiss nur zu sagen, diese Legende sei aueh unter Allosio ganz natürlich hinzugetreten, da dit^ser Heiligen die Ka})cile ge- weiht war, die schon länger existiert haben muss. Auch da also muss ein Widerspnich. ticr im Bau selber vor Augen steht, erst beseitigt werden zu Gunsten einer Hypothese. Es geschieht mit einer willkürlich hingeworfenen Behauptung, und ausserdem ohne

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Bestimmung des Stii-ters

Erklärung für die Wal der vornemsten Stelle zur Rechten des Altars und der bestbeleuditcten auaserdem. Audi die heilige Katharina wdst ganz persönlich auf Branda Castiglione als Stifter hin. Denn er hat schon in der Collegiata seiner Heimat den Altar der Kr>'pta unterm Chor an erster StoUo eben dieser Heiligen geweiht und erscheint droben auf dem D' ckenbild von Masolino boi der Geburt Christi kni(HMid von einer weiblichen Heiligen cmpfolen, deren Kopf durch die griissie Aeliiilirhkeit mit ihrer Darstellung in S. demente aufTfillt. Und wenn endlich für du- Wal der Kreuzigung als Haupt- bild die kirchliche (jesinnung AUusios im Allgemeinen herhalten rouss, so wäre hier vieUdcht der Gedanke an die firOher vofliandene Altarstätte eher angebracht gewesen. Wir aber besitzen wieder das Beweismaterial, das Branda Castiglione als Begründer dieser »Appells della Passione« kennzeidmet. Das intimste Heiligtum des Kardinals in seiner' Hdmat, die Hauskapelle snner Wonung selbst enthält noch heute den nämlichen Gegenstand der Verdirung, wie ihn die Verse Plantanidas zum Ruhm dieses Palastes kurz erwänen, den Dulder am Kreuz:

Vestibulum ingens portas aperit, mox porticus aurea A dextra Christi aediculum ofFert Darnach wären für alle Teile dos Bilderkreises, die einer Er- klärung aus persönlicher Wal des Auftraggebers bedürfen, die Be- ziehung zu Branda (Castiglione erwiesen. Ja sogar die Verkündigung über dem Eingangsbogen kerl über der Tür des Ha])tisteriums wie über dem Portal eines Hauses der Familie in Castiglione d'Olona (Corso Nr. 13) wieder. Und so stünden wir abermals vor dem Wappen am Sdieitel des Spitzbogens, das nachweislich im äebxdmten Jahr- hundert verändert worden, mit der Frage, ob sich aus ihm nicht noch ein Anhalt, eine Bestätigung gewinnen Hesse;

Die heraldischen Abzeichen keines der späteren Kardinäle von S. demente, die als Besteller der Malereien in Anspruch genommen änd, hat die geringste Aehnlidikeit mit dem vorhandenen, dem

aufsteigenden Greifen des Franciotti von Lucca, so dass eine Modi-

fication leicht gewesen wäre. Hcnricus de Allosio fürt in dr^ Streifen : oben einen schwarzen Adler auf goldnem Grunde, darunter zwei goldene Lilien auf rotem Grunde und im untersten umgekert rote Lilien auf Gold. Die venezianische Familie der Condulmer, der nicht allein Eugen IV, bis zu seiner Papstwal der unmittelbare Rivale Brandas in diesem Titel (1408— 1431), sondern auch dessen Nepot Francesco angehört, der 1431 1445 der Kirche S. Clemente

') Vgl Buch I dieter Studien S. 14, und Diego SmC Ambrogio a. a. O.

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Das Wai'I'en der Castiglione

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vorstand, fiirt als Wappen ein blaues Schild mit schrägem (ioldbandi', und 80 hat dn Schimmer blauer Farbe »un campo turchino«^ wie Giovanni dall'Anni angiebt, auch Knudtzon genügt, auf Gabriel Condulmer ^ugen IV) zu weisen, ohne sich um den Grafen und die Farben der Frandotti zu kOmmem. Sieht man aber das Wappen- tier, wie es im Felde sitzt, genauer an, so muss aufiallen, wie wenig die heraldische Zeidinung das Gleichgewidit bewart und in dekorativer Abwägung die Formen in die Fläche verteilt. Besonders zwischen den Vordcrkrallen und dem Schnabd ii^ ein leerer Raum, wahrend die Flügel schmal und spitz sich nur zaghaft zu entfalten vermögen wegen der Nähe des Randes rechts. Ein Blick auf das Wappen der Castiglione giebt für Alles die erwünschte Hrklärunj.,r. I£.s zeigt, dass die Grundzeichnung des Waj)pcntieres nur leise verändert worden, um die Fälschung zu erreichen ; denn Branda allein fürt auch ein steigendes Tier im Schilde; den Löwen, der als redendes Wappen ferner ein Kastell in der erhobenen Pranke hält Dies Kastell ist links oben zugedeckt, an dem Rücken des Tieres aber das Flügel- paar angefügt, so knapp es auch gehen mochte, der Kopf in den eines Vogds verwandelt, so dass ein ziemlich unglflckliches Phantasie- gesehopf entstanden ist, dem nicht dnmal omamentaler Zug die er- forderliche Einhdt und Berechtigung verldht

Und dass wir bei dieser durchsichtigen, sehr bequemen Fälschung des vorhandenen Wappens nicht allzu hellseherisch ver&ren sind, hat sich femer durch ein litterarisches Zeugnis bestätigt, das wir als Warnung vor WickhofTs Hypothesenbau schon im Voraus mi^ geteilt haben. Es beantwortet die vielumstrittene Frage nach dem Stifter der Kapelle in S. demente rund und nett, und zwar ebenso aus unmittelbarer Näho Michelangelos wie die Nachricliten Vasaris selber. Diese Stelle, die bis dahin den rOrschern seihst historischer Schulung entgangen war, findet sich bei Antonio Belfa Xegrini, der 1532 in Asola bei Brescia geboren inul lange Zeit im Mantuanischen als Richter tätig gewesen, 1603 gestorben, in die Zal der vielseitig gebildeten, künstlerisch und litterarisch angeregten Männ^ jener Zeit gehört hatte, und in Rom auch mit Michelangelo in persönlidiem Verker gestanden war. Er hat schon 1566 einen Band »Rime« in Venedig drucken lassen, dann aber handsduiftlich aus ältem Quellen eine umüuigreiche Kompilation zur Verherrlichung des Hauses Casti- glione hergestdlt, die nach seinem Tode in der etwas ungeordneten Form wie sie vorlag durch Cesare Campana zum Drack befordert

') Vgl. Braun» Pbot. Nr. $ «od die mte Talel LabnutU, die wir in nmem Ab- bildungen reproduderen.

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Beffa Negrini und Michelangelo

ward. In diesen »Elogi Historici di alcuni personaggi della famiglia Castigliona, Gia raccolti da Antonio Beffa Negrini et hora dati in luce da Francesco Osanna stampatore diicale. Mantova MDCX'^I« (kl. 4") ist das eiiiundvierzigsto Klogium dem Kardinal Branda Casti- glione g-ewidmet. und hier findet sich S. 239 die entscheidende Stelle: Er liess zu Rom in S. demente, seiner ersten Titelkirche, eine Kapelle machen, gemalt und geschmückt mit sehr schönen Bildern, wohin häufig, um sie zu beschauen, der göttiiche Michel Angelo Buonanoti su gehen pflegte; an der Stirnseite der Kapelle sieht man bis auf den heutigen Tag noch das Wappen Brandas«

Dieser durchaus glaubwürdige Verfasser berichtet also mit der Genauiglceit eines Augenzeugen, der gleichsam das beglautngende Siegel des Stifters nach Juristengewonheit bestätigt, sonst aber die SdiOnheit der Gemälde wo! mehr auf die Autorität Midieilangelas

hin hervorhebt. Er verschwcigrt den Namen des Malers, und das erlaubt wol den Schluss, dass er, bei Niederschrift seiner Nc^tiz wenigstens, von Vasaris Künstlerbiographieen keine Kenntnis gehabt, jedenfalls keinen Gcbraurh macht, sondern dass er die gleichwertige Zuverlässigkeit eines zeitgenössischen (Tewärsniannes beanspruchen darf, dessen Zeugnis wol geeignet wäre, die Angaben Vasaris zu bekräftigen oder zu ergänzen. Dabei darf es nicht unbemerkt bleiben, dass er ebenso von Michelangelos Bewunderung für die Malereien in S. demente zu berichten weiss, wie Vasari bei dem Altärcheo Masacdos in S. Maria Maggiore, wo uns aus den Bemerkungen des Biographen ein persönliches Erlebnis mit dem verehrten Meister iast wie ein Gespräch heraus klingt. Michelangelo auf seinen einsamen Gängen sich freuend an den AnftUigen der Kunst» die er selbst so weit darflber hinausgefttat, oder in Gresellschaft der wenigen Aus- erwälten, die glücklich waren ihn gelegentlich begleiten zu dfirfen, mitteilend, belehrend, in stetem Vcrker mit den Leistungen floren- tinischer Landsleute in der ewigen Stadt. Bezögen sich beide An- gaben, Negrinis iitul Vasaris auf ein und dasselbe Werk oder auf einen Künstlernamen, so würden wir Beffa Negrinis Hinweis auf den l'nfelbaren, nur als Echo Vasaris vielleicht, geringer bewerten müssen. Hier dagegen stehen die beiden Aussagen unabhängig neben einander, und die Kenntnis des Stifierwappens bei Negrini, dem Juristen, stellt vor allen Dingen unzweifelhaft fest, dass der Besteller, Vasaris »Kardinal von San demente« kein Anderer gewesen ist als Branda Castiglione.

*) Veisl. des iuL WortlMt im Enten Bndi (1895), S. 108.

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BrANDA CASTUiLIONE

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Damit iat die ganze Hypothese WickhofEs von einer Ent* »tehung der Malereien nach 1431 beseitigt» da Branda im März dieses Jahres zum Kardinalbischof von Porto aufstieg« wahrend der Titel als Presbyter von S. Clemente auf Hugo von Lusignan, Diakon von S. Adriano, übergieng und schon im November des- selben Jahres, als dieser Bischof von Pramcste werden konnte, an Francesco Condulmer weiter s^regcben ward, den Eugen IV, gewiss von vornherein am liebsten /um Erben seines einstigen so lange angefi »chtonen Titels ausersehen hatte. Seit März 1431 hatte Branda Castiglione nichts mehr mit S. Clemente zu schaffen, zu einer Zeit also, da Vittore Pisitnello die Fortsetzung der Malereien Gentiles da Fabriano im Lateran kaum noch begonnen haben dOrfte.

Dagegen bestätigt ein Äusserer Umstand, dass Kardinal Branda sobald wie möglich auch sonst seine Macht als Inhaber dieser Titel- kirdie ausgeübt hat, die Tatsache nämlich, dass er sich für den Neubau der CoUegiata in Castiglione d'Olona auch eine Reliquie des hl. Clemens verschaift haben muss, da der Xebenchor neben S. Am- brosius diesem römischen Patron der Titelkirche geweiht ward. Gabriel Condulmer dagegen, der Bischof von Siena, für den sich Giovanni dall'Armi wie auch Crowe und Cavalcaselle erklärt haben, war allerdings einige Jahre tVulier als Branda (g Kai. 1408) zum Titular von S. Clemente ernannt worden, aber beim Aufenthalt Papst Gregors XII. zu Lucca. und unter lebhaftem Einspruch der Kardinäle und Diplomaten gegen diese Kardinalskreation, welche den Abfall von dem wortbrüchigen Papste, den Zusammentritt des KoncQs zu Pisa und die Wal Alexanders V. herbeiftren half Mit seinem Oheim Gregor XII. flflditig geworden, bt Gabriel Condulmer nicht in den Besitz des Titels gelangt, auch als das Kostnitzer Koncil sein Kardinalat anerkannt hatte; denn die Ver- leihung von S. Clemente wurde als ungiltig betrachtet und durch Jobann XXIIL am 6. Juni 141 1 dem Branda Castiglione zugewendet, der wegen seiner freimütigen Vorstellungen von Gregor XII. seines Bistums Piacenza enthoben war. Bei der Wal Martins V, zu Kostnitz erhielt Gabriel Condulmer den Vortritt yor Branda, wurde aber von dem neuen Papst gleichsam als Erbe seines Oheims Gregor, der als Legat von Piccnum gestorben war, sogleich in die Mark Ancona geschickt, dann später (16. August 1423) mit der Bewältigung des aufständischen Bologna betraut. Seit 30. August 1424 finden wir ihn freilich in Rom, und noch am 24. Juli 1425. im November desselben Jahres und im Januar 1426 wird seine Anwesenheit an der Kurie durch Urkunden bestätigt.

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CONDULMER UND CASTIGLIONß

Grade deshalb musste dem später ernannten Kardinal Bratida daran lietfon, von seiner Titelkircho auch dur< Ii äussere Zeichen gleichsam Besitz zu ergreifen, l'nd solhe dies nicht schon unter dem Pontifikat Johanns XXIII. gesi hehen sein, als dessen I -ej^fat er wiederholt nach Polen und I7nyarn v^n'schickt war, bis wir am 2. Mai 1415 auch ihn aui di in Koncil zu Konstanz tinden, so brachte die Rückker der Kurie nach Rom im Herbst 1420, wo jeder Kardinal bei seiner Titelkirche Wonung nam, schon die Notwendig- kdt mit sidi, dass Branda bei S. Clemente einzog, wahrend Gabriel Condulmer in der Mark Ancona verweilte. Der Zustand der römischen Kirchen verlangte, nach langer Verwarlosung in den Zeiten des Exils von Avignon und des Schismas darnach, der neapolitanischen Eroberungszüge und des römischen BQrgcrzwistes, dringend die Fürsorge aller Berufenen. Musste doch der Papst Martin selber, während des Winters im verfallenen Vatikan hausen, im Sommer und Herbst bei S. Maria Maggiore auf dem Esquilin eine Zuflucht suchen, bis er im Mai i.}^.} seine l'\amiIienwonung bei S'i Apostoli, die er inzwischen neu aust;(^baut hatte zu be- ziehen vermoclite. Er befal auch seinen Kardinälen ausdrücklich ihre iitelkirchen zu erneuern, in emem Rundschreiben von 1425 das der Sachlage nach mehr fOr die Säumigen und ausserhalb Roms Lebenden bestimmt war ab für die Anwesenden, die der Verfiill obn^n zu werktätigem Eifer zwang'). Dem Kardinal Branda, dessen unermüdliche Freigebigkeit für seine Pfründen und sonstigen Stiftungen wur genugsam kennen, stellt auch Vespasiano da Bisticci in der kurzen Skizze seines Charakters das Zeugnis aus: >Fe riparare piu chiese, e massime de' beneficii che avcva tenuti, e fomile di paramenti; e fcce fare e compro per esse libri di cantare; e buona parte di quello n'aveva tratto ve lo rimise per questa via . . . Fece fare in l.onibardia una l.ibraria. comune a tutti quegli che desideravano averc notizie delie leltere^ ').

Ist aber Branda Castig-lione nach dem Zeugnis des Beffa Xegrini auch der Stifter der Kajjelle in S. demente, mit deren Malereien wir es hier zu tun haben, so ergelien sich auch für seine Person, durch längere Albwesenheit von Rom, bis zum Jahre 1431 mehrere

>) Vcffl. GrecoroTins, Geidi. Roms, VII, a {t%7i), p- 13 vu Plutor, Plpitel, 177; sowie oben Buch 111, p. 77.

•) Ad cius imitalioncm omnes fere Sanctac Romanae Ecclesiac cardinales eorum titulos ruinac pacnc ])roximos rcpaninint et ad magnum ornatum usque perdoxenint (Montori, Scriptores III, 2 p. 86;}.

*) Fuadalio CoUecii CtttUionei tu Ftevb, Urkunde vom 4. Dec 1437 «as Bolofst, vni^. Uatteo Cut^ione, S. 76*

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fiRANDAS tjBrrATIONEN

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Einschränkungen, die zur näheren Datierung dieses Freskonschmuckes füren können'). Im September 1420 mit Martin V. nach Rom ge- kommen, wird Branda bereits am 13. April 1421 zum apostolischen Legatoii in Ungarn ernannt, da Giovanni Dominiri g-cstorben war, und behndet sich zum Krcu/zug gegen die Ilussiten ermanend bereits am 31, Mai in Wesel auf einem Tage der Fürsten und Städte, Anfang Juni in Köln, und zieht am 21. Juni in Lütlich ein. um von dort am i. August nach Böhmen aufzubrechen. Ende Oktober desselben Jahres bis zum Frühjahr 1422 ist dagegen seine Anwesenhdt in Rom beurkundet; seit April 1422 wissen wir ihn wieder hi Deutschland (2$, April am Rhein). Und diesmal kert er erst nach iSrngerem Aufenthalt auch in Ungarn zum 25. Marz 1425 nach Castiglione d'Olona zurück, wo die Kollegiatkirche geweiht ward, und reist von da über Mailand^ und wahrscheinlich auch Florenz nach Rom, wo seine Gegenwart sicher am 24. Juli 1425 beim Empfang der florentinischen Gesandtschaft im Konsistorium bezeugt ist. Seitdem ist er dauernd an der Kurie geblieben bis zum Knde Martins V. und der Wal Eugens IV. Nur im Jahre 142g war er seiner leidenden (jesundheit wegen während der Sommer- hitze nach Montecassino "1 gegangen, und scheint sich im (Tedanken an sein Ende vorwiegend der (iründung d<\s r<>ll(>gium Castilioneiim an der Universität Pavia zugewendet zu haben, das zunächst durch eine Bulle Martins V. vom 19. März 1429 bestätigt wurde.

Ziehen wir nun die Erbauung der Kapelle selbst in Betracht, so ergeben sich zur Beauftragung eines florentinisdien Malers drei Möglichkeiten für diesen Besteller: die erste vor seiner Abreise zum Betrieb des Kreuzzugs gegen die Hussiten, also bis April 142 1; die andre beim Aufenthalt in Rom Oktober 1421 bis März 1422; die dritte vom Mai oder Juni 1425 bis zum Jahre 1429, wo er sich andern Stiftungen zuwendet, oder spätestens bis zum Konklave von 143 1, aus dem Eugen IV. als Papst hervorgieng, der Branda zum Bischof von Porto erhob.

Befragen wir darnach die Lebensnachrichten der beiden Maler, die bis jetzt in der Forschung allein in Frage gekommen sind, so

*) Vergl. die Rcgeslen Kardinal Brandas im Anhang; des I. Buches.

*) Rinaldo dcgli Albizi erwänt bei seiner Anwesenheit in Florenz am 5. Mai 1425 einen Brief des Kardinals von Piacenza aus der Umgebung des Visconti von Mailand und ichdat die ptnOnlidie Gegenwart dei KonMpoadmtM behn Henog TonHucoMtieD. Conmiisnoni II, 325.

•) Ambr. Traversari an Branda Lat. Epist. a P Canneto editae. Florent. 1759. Pkieiatio XLVIIL u. IL. Vergl. G. Voigt, Die Wiederbelebung des das«. Altertums I*, 1880, p. 361 : »In JoU kam Poggio idbrt aadi MonlMMiiao «ad iwar in Gcnciih idiaft idt KuHmi Bttada«. Anifiadiiiig dtr Handaelirill de« Fiontiana.

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CffRONOLOGIE MASOLINOS UND MxSACaOS

erhalten wir für Masolino, der am i^. Januar 1423 in Florenz immatrikuliert wird, freie \'erfüj^ung- bis /um Hr^inn seiner Malerei in der i'rauraccikapollo, den wahrscheinlicli cbc-n tlieser Eintritt in die Zuntt der \'ai<>r.sta(it Inveichnet, und dann erst wieder nach seiner Rückker aus rn^^arn, wo er noch 1427 verweilt, und zwar ^bis 1431, solange l')raiKla den litel von S. demente fürt, jedenfalls) vor der Ausmalung des Baptist^ums in Castiglione, dessen W6lbung die Jahreszal 1435 enthält Für Masaccio dagegen haben wir die Eintragung bei den Medici e Speziali am 7. Januar 1421 und die bei der Lukasgilde im Jahre 1424 zu berücksichtigen, zwischen denen der erste Spielraum läge (grösstenteils während der Abwesenheit des Kardinals); dann (nach dessen Rückker aus Deutschland im Frühjahr 1425, wo er Masolino veranlasst haben muss, die Brancacd- kapelle aufzugeben und üb^ Castiglione d'Olona zu Pippo Spano nach Ungarn zu gehen) nur die nämlichen Jahre, wo Masaccio als Fortset/er MasoHnos in der Brancaccikapelle beschäftigt war, d. h. spätestens vom Juli 1425 ab. wo Masf)lino noch in Florenz weilt, und in etwaigen Unterbrechungen, wo auch Altarwerke für Florenz und Pisa entstanden sind. Endlich bliebe nur das Todesjahr, das ihn nachweislich wieder nach Rom gefürt hat, also um 1428 übrig. Aber HQr diesen letzten Termin wäre allein die Notiz Vasaiis ver- wertbar, dass ihm ein Teil der Wandfelder von S. Giovanni in Laterano aufgetragen sei, die sonst von Gentile da Fabriano und Vittore Pisano gemalt worden; denn diese Mdster haben nicht gleichzeitig mit einander in Rom gearbeitet, sondern Pisandtto hat, wie Fazio erzält^), die von Gentile begonnenen Fresken aus dem Leben des Täufers fortgesetzt Zalungsvermerke, die Gentile be- treffen, sichern seine Arbeit vom Januar 1427 bis Juli dieses Jahres; tvcnig später muss er gestorben sein, da 1428 die Erbschaft nach Fabriano ausgeliefert werden soll. Pisanello jedoch erscheint in den Zalungen der päpstlichen Kammer erst seit dem 18. April 143 1, nach der Wal Eugens IV., der ihn von Venedig und Verona her. oder aus seiner langen Tätigkeit als Legat in den Marken bis Ferrara hinauf kennen mochte. Nach dem Tode Gentiles, der »Einiges nur angedeutet und unvollendet zurQckliess«, wie Fazio beriditet') ,

') (Pisanuä) pinxii et Romae in Joaiiuis Laterani templo, quae Gentilis d. Joannis Biptistee htttoria incbotte idiqmnt, qwid tanmi opus piwtea, qimtttia es eo enditri perietis humectatione p«ne oblitteratum est.

*) Eiusilcm est opus Romae in Joannis Laterani templo Johannis ipsius historia •c supra eam historiam Prophetae qoinque ita expressi, ut non picti sed e marmore &cti C8K videutnr; . . . QuaetUm etlain in eo opere adimbnte modo «tque imperfteta morte pneventm leliqvit. De virb iOwtr. 145$/ $6 ed. Mdu», Florenx 174s). Vgl. Münts, Les Arts Cour des Papes I, 1878 p. 47 tu lltfuvtt d'Aichtokgb et d'Histolre pablite par TEcole ffanqdse de Rome 1884.

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ÜMKEHRUNG i>ER AbhAnGIGK^

Wäre also ein ZwischennMim für Masaccio offen, der ebenfiüls in

Rom dahinstarb.

Auf jeden Fall sind die Malereien in S. demente vor der Be- rufung Pisanellos nach Rom entstanden; denn schon im März 1431 wird der Kardinalpresbyter Branda Castigliont» von dieser Titelkirche zum Kardinalbischof von Porto befördert, und damit ist ein späteres Datum für seinen Auftrag zu Gunsten der Kapelle in S. demente so gut wie aosgesdilossen.

Wenn also wiridich Elemente der veronesiachen Kunstweise in diesen Malereien zu- erkennen sind, wie Wickhaff meint, so muss dafür dne andre ErkUrung gesudit werden, als der ^nflnss der spatem römischen Arbeit gewflrt

Oder aber, mit der Umkerung des chrcmologisdien VertiSlt- nisses, muss auch die Schlussfolgerang dahin gezogen werden, dass die Anregung viehnehr von diesen Malereien in S. de- mente ausgegangen und in Pisanellos ganzer Kunstweise seither sich geltend gemacht habe.

So wenigstens begriffen wir die Wertschät;^ung Michelangelos erstrecht, der »oft in die Kapelle von S. Clemente gieng, um die (iemälde zu betrachten«, d. h. eine Bewunderung hegte, ilie er den Nachamungen nach Fresken Pisanellos im nalien Lateran gewiss nicht gewidmet hatte.

Scliiliartow, Mancdo^StndieD IV.

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Die Maiereien an der Declce und an der Aussenaelte

A m Gewölbe des Innenrauiiies sind in jeder Kappe zwei auf Wolken atzende Gestalten zusammengeordnet, ein Evangelist mit seinem symbolisdien Attribut neben sich und ein Kirdienvater; aber die schlechte Erlialtung grade dieser durch Feuchtigkeit viel&ch zerstörten, durch Restauration fost noch starker entstellten Malereien gew&tt keinen authentischen Gesamtdndrudc mehr^). Soviel aber ist auch heute noch ersichtlich, dass die strenge Symmetrie der gotischen Tradition aufgegeben war, und dass an die Stelle der sUhouettenhaftcn Raumlosigkeit ihres lediglich dekorativen Pdnzips die volle K<>r]^er!ichkcit und der Anschluss an die Bedingungen des wirklichen Ortes zu setzen versucht wurde. Die Gestalten sind in ihren Proportionen noch lang gestreckt ; aber sie sollen den statischen und mechanischen l^edingungcn unseres Leibes entsprechend auf ihren Wolkenbünkcn dasitzen und ihre l-"üssc auf einen untern Streiten von gleicher Konsistenz stützen, wie auf den sichern Boden, wo auch ihre tierischen Begleiter in voller Brräte lagern können. Sie werden also im Knochenbau gewissenhaft, auch unter der Ge- wandung deutlich durchgefUrt, soweit die Anforderungen an die Kenntnis damals irgend gehen können, und leidlich erhaltene Stellen zeigen sogar kräftige Modellierung, und zwar mit Hilfe scharfer Beleuchtung von einer Seite, die durch gegebene Verhältnisse des Kapellenraumes selbst bestimmt wird. Das ist sdion ein entscheidender Schritt, der die Ausmalung dieses Kreuzgewölbes wesentlich von der Dekoration einer gleichen Decke im Baptisterium zu Castiglione unterscheidet , und uns sofort in einen Anachronismus verwickelt, wenn wir annemcn sollten, diese Arbeit in S. demente sei das Werk eines und des selben Meisters, der dort in Castiglione 1435 die vier Evangelisten gemalt hat.

Aehnliche Unterschiede bemerken wir in der Gewandung, die dort kleinlich und manierirt erscheint, während hier bei aller Be- fangenheit in den ererbten Gewonhdten dner allgememen Draperie und ihren hergebrachten Bogen&lteni doch zwei bedeutsame Zwecke damit verfolgt werden: die Betonung der festen Formen, besonders ihrer hervorstehenden Höhepunkte oder GrelenkkOpfe, die zum Ver-

') VergL die Pboto^rftphieeii der einxelnen Kappen von Braun mit der oeaen Gwamtanlaahme von Aliaari, dasu den SinUick ia den üanenranm bei LabnmI. Unaete Abbildnnf Tat I n, O.

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Kirchenvater und Evangelisten 19

ständnis der Haltung dienen, und die malerisdie Breite, die zwischen der plasdschen Sonderung der Gliedma(sen wieder vermittelt und die Körper mit den übrigen Bedingungen ihres umgebenden Raumes ausgleicht.

Die Motive bleiben die plausibeln, schon im Lauf des Trecento verävisscriichten des Schreiberhandwerks, neben donoii die Inspiration mir durch das Symbol zur Seite noch angedeutet wird ; aber sie sind doch frisch beobachtet und mit dem Alter der Evangelisten in charakteristische Verbindung gebracht. Die Kirchenväter daneben, deren Mangel an solchem Hausgenossen zur Seite eine Störung der Symmetrie, oder doch ein einseitiges Uebergewicht, nach der Rechten vom Mittelpunkt des Bildes ans, also nach der Linken des Beschauers ringsum veranlasst, hsben doch ihrerseits die Reihenfolge der Evan- gelisten mit bestimmt, oder wenigstens da die Verbindung der Paare nicht die flbHdie ist zuerst die Plätze emgenommen und je einen Verfasser der Evangelien nach sich gezogen. So wQrde es überraschen, grade Lucss mit seinem geflügelten Stier an erster Stelle über dem Eingang zu sehen ; aber neben ihm sitzt der Papst Gregor, und dieser ist es, der den Rang bestimmt hat, wie er den Stifter am Thron Mariens empfielt auf jenem Tympanonrelief der Kirche von Castiglione. Der Evangelist in voller Mannesfrischc, mit kurzem Vollbart dargestellt, beguckt die Spitze seiner Gänsefeder, die er in Schulterhöhe erhebt, während die Link(^ mit dem Tinten- fass in der Faust zugleich den Pergamentstreifen auf dem Knie fest- hält, wo der Anfang seiner Schrift »IN DIEBVS . . .* zu lesen ist. Gregor schreibt in ein Buch, wie alle vier Kirchenväter, scheint aber der Taube ah seinem Ohr gelauscht zu haben, die jetzt verschwunden ist (Eine Halskrause ist spätere Zutat, unter der die Deutlichkeit der Kopfhaltung gelitten hat) Gegenflber diesem ersten Päar erscheint oberiistb der Altarwand mit der »Kreuzespaasion« offenbar in sinnvoller Beziehung zu diesem Hauptgegenstand der Kapelle S. Johannes der Evangelist mit S. Augustin. Der Lieblingsjünger des Herrn, der unter dem Krcuzesflamm noch jugoidlich als Ersatz des Sohnes bei Maria auftritt, ist hier oben als der greise Seher auf Patmos, der Verfasser der Apokalypse mehr als des Evangeliums gegeben, wie es damals in Florenz üblich war. Sein langbärtiges Haupt sitzt vorwärts gebtickt zwischen hohen Schultern, und die gekrümmte Haltung kennzeichnet die Mühe beim Schreiben seiner Anfangsworte: tlX PRIN« . . . Aber die verblassten Züge, die Er- gänzungen, besonders am Gewand von den Knieen ab, die Auf- frischung des Adlers» der mit offenen Flügeln auf einem beaondem Wolkienstrdfen unten dahersdireitet, gestatten kein weiteres Angehen.

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KiRCRENVATCR und £vANGELIStBlf

Ebenso verletzt ist die Seite Augustins beim Elbogren aussen, so dass wir nur die schwarze Kappe über dem Chormantel als Kennzeichen der Person und dio Bougung^ zur Schrift des Nachbarn hinüber als Versuch zu näherer Beziehung hervorheben können.

Rechts, vom Altar aus, erkennen wir an der Geissei in der Hand, die zugleich das Tintenfass hält, den hl. Ambrosius, wie er auch in Castiglione gezeigt wird, so dass er sich der Fensterwand mit den Geschichten seines Lebens gegenüber befindet Der Kopf mit dem kurzen Graubart und der Chonnantel sind entstellt» wie der Kopf des Matthäus daneben, so dass nur die Haltung des Letzteren, durch die Abhängigkeit vom Engel unten; Interesse erregt. Er schreibt dem Horchen zuliebe unbequem auf dem rechten Knie all^n, und nur der Uebelstand, dass die Malerei den Wortlaut der Botschaft doch auch nur auf einem Schriftband geschrieben ver- mitteln kann, hat diese Beziehung wieder gelockert, indem der knieende Engel seine Legende >LIBER GENERATIONIS« in Mund- h(")ho vor sich erhebt. Soviel vou ihm noch Ursprüngliches erhalten ist, gehört durchaus zu den Juig-chi bei S. Anna selbdritt in der Akademie zu Florenz und bereit* t hier vor auf die Himmelsboten im T-eben der hl. Katharina auf den Bildern der Wand zu Füssen dieses Paares. Verhältnismässig wolerhalten und besonders im obern Teil unverfälscht ist das letzte Paar über der Fensterwand» obwol der LAwe des Marcu«, der dem Elardinalshut des Hieronymus gegen- flberlag, jetzt vollends verschwunden ist Wie un Gewände des Matthäus drOben weiden wir bei diesen etwas dflrftigen Draperieen noch am ehesten an die Figuren Mssolinos in Castiglione erinnert; aber wflhrend die letztem von 1435 noch die volle GleidigOltigkeit gegen Raumwahih^t geigen, kann hier nicht verkannt werden, wie sorgsam diese beiden mit einem Knie fast aneinanderstossenden Körper zusammen konstruiert sind, als sässen sie innerhalb einer Mandorla, deren Bogenlinien links und rechts als Gränze fulbar worden, und auf zwei Radien eines vor der Kurvatur der Wölbung befindlichen Mittelpunktes, so dass sich durch diese Faktoren die Beugimp, ja die Formation aller Teile bestimmt. Das ist streng perspektivische Rechnung, die gewiss von der Beleuchtung durch den Spitzbügen des alten Fensters mit veranlasst wurde. Die Ge- wandung, die biblische des Apostds sowol wie die mAncUadie des Kardinals, wird uns aber noch widitiger, und ebenso ^ beiden Typen die wir in enger Gemdnscfaaft beisammen finden: Maxcut ist der Petrus auf dem ersten erhaltenen Breitbilde der Brancacdkapelle, und Hieronymus niemand anders als der Greis lAit- gespaltenem Vollbart am Lager der Tabitha. Ja, die Uebrigen, soweit sie er^

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Perspektive, Typen, Beleuchtung

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halten sind, vergleichen sich fast nflher der Apostekeihe gegenflber in der Geachidite vom Zinsgroedien, und der Lucas Aber dem Ein- gang kommt dem knieenden zweiten König in der Anbetung des Pisaner Altarwerkes (zu Berlin) so nalie wie nur möglich in der

andersartigen Drehung seines Kopfes. Nehmen wir dann endlidi die sehr beschädigten Büsten der zwölf Apostel in den Vierpass- ramen an der Laibung des Bogens hinzu, so spinnen sich die Be- ziehungen zum S. Pauhis in Pisa und S. Andreas in Wien so vielfach und überzeugend wie zu den beiden oberen Breitbildern der Brancacci- kapelle an, dass wir sie eben so eng mit diesem Kreis von Werken zusammen denken müssen, wie wir sie weiter und weiter von den Vergleichsstücken in Castiglione zu scheiden genötigt sind. Die nämlichen Vorzüge des Strebens nach plastischer Deutlichkeit der Haltung, nach Hervordrängung der entscheidenden Gliedmaisen, aber auch nadi Grossflacfaigkeit und Breite, d. h. nadi malerischem Eindruck des Bildes im Ganzen, neben den nämlichen Fehlem oder Nachliasigkeiten in etwas schiefer Ansicht, die zu Hochschultrigkeit oder gar Bnckligkeit Aren kann, die sich bei genauerer FMifung aber ebenso wie beim S. Andreas in Wen als Konsequenzen per- spektivischer Konstruktion des Körpers in seinem Räume, d. h. als uttgflnstig starke Verjüngung der Formen nach der Tiefe zu heraus- stellen. Diese Aufgabe richtiger VerkOrzung der Gestalten nach Mafsgabe der Raumverhältnisse, unter denen sie im Bilde erscheinen, hat nun aber Masolino niemals recht erfasst oder nur in Angriff genommen, und, wie an allen Arbeiten in Castiglione nachgewiesen wurde, selbst da nicht versucht, wo die umramendcn Linien der Architekturkoulissc, die an sich in Perspektive gesetzt war, dazu zwingen sollten auch die Figuren nicht mehr als flache SiliiüueLlen darauf zu kleben.

^Venn wir zwischen den authentischen Ueberresten der Decken- bilder, besonders am Lucas vorn, genaueres Modellstudium und be- stimmte örtliche Beleuchtung erkennen, und zwar von oben und genau von der Seite her, wie das Licht aus dorn Seitenfenstor ein- fj5.11t und am Gewölbe sich verteilt; wenn die Wirkung der nämlichen Lichtquelle aufs Genaueste bei Marcus und Hieronymus wieder- gegeben wird, deren einander zugewandte Köpfe von der Mitte her beleuchtet sind, wälirend die Aussenhältten in Schatten bleiben: so sind diese exakten Beobachtungen schon an sich so schlagende Be-

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Verkündigung

weise für die Autorschaft Masäccios, bei dem allein die Kenntnisse für solch realistisches Wollen nachgewiesen werden können, dass wir das geduldige Eingehen auf die neuesten Kontroversen für ein- sichtige Leser wol ersparen dürften. Für die Durchbildung einer eigenen, auf die (xrundlagen künstlerischen Schaffens zurückgreifenden Methode der kunstgeschichtlichen For- schung dürfte indess die völlig objektive Abwägung des Für und Wider an allen Teilen dieses einheitlichen Kapellenschmuckes ein für alle Mal von Nutzen sein ; deshalb soll sie auch im Folgenden hier, zu; nächst unabhängig von den bisherigen Ergebnisseii der vorigen Studie Ober die strittigen Gemälde der BrancaccikapeHe^ durchgefbrt werden.

Fflr dies Ver&ren mögen uns die Darstellungen an der Stims^te der »Cappella della Fäiasione« den Weg weisen. Sie schlieasen sich äusserlich unmittelbar an die soeben beqirochene Bogenlaibung mit den Brustbildern der zwölf Apostel an; wenn es aber erlaubt ist, vorauszusetzen, dass die Malerei am Kreuzgewölbe zuerst erledigt worden, ehe mit dem Schmuck der Wände begonnen ward, so dürfte hier an der Aussenwand die Vermutung natürlich sein, dass an dieser Stelle der Abschluss der ganzen Arbeit zu suchen wäre. Die Entscheidung über das zeitliche Verhältnis zu dem Bildercyklus im Innern mag aber der stilistischen Verglcichung vorbehalten bleiben; die Analyse der beiden Darstellungen, der Verkündigung oben Ober dem Biogen, und des hL Christo^ioras unten am Pfeiler zur Linken, darf hier vorausgenommen werden, da kein weiterer Zusammenhang diese Bestandteile mit dem Uebrigen verbindet Je mehr sie etwa einem vorgerackten Standpunkt des Meisters an- gehören, desto besser können sie als Leitstern und Ma/astab zugleich für seine Bestrebungen gelten.

Weder das poetische Interesse an dem Inhalt eines Geschehens, noch das malerische an mannichfaltigem Kostüm und täuschender Nachamung vorschiedeniu-tiger Stoffe spielt hier eine Rolle. Des- hall) sind diese Stücke bei WickhofF sozusagen vollständig unberück- sichtigt geblieben. Grade sie aber füren uns ebendeshalb desto unmittelbarer zu dem Kern der künstlerischen Problenie, die sich der Maler selber gestellt hat, unabhängig von der Wal des Gegen- standes durch den Auftraggeber.

Ueberraachend genug ist schon der Schauplatz, der über dem Bogen für die yerkflndigung aufgebaut worden, um die beiden Figuren des Engels und der Jungfrau auf festen Boden zu bringen, und dem Standpunkt des Beschauers entsprechend diese Bohne per- spektivisch wirksam zu gestalten. Bis zu halber Höhe der beiden Segmente steigt links und rechts, vom Kämpfergesuns der Pfeiler aus,

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Perspektive, Beleuchtung, Plastik

eine Reihe sdilicbter schmaler Arkaden empor, wie sie an den Bade* Steinmauern Roms vorkommen und selbst in ihrer luftigen Schlank- heit noch an den Eindruck der Aquaedukte durch die Campag^na hin erinnern. Diese Substruktion. die wir uns ebenso wie an der

Vorderseite ringsum auch an den übrigen drei Seiten eines recht- eckigen Grundrisses vorstellen mögen, trägt den hochgelegenen Söller, dessen Fussboden unmittelbar hinter der f)bern Hälfte der Rügenramung, mit dem Wa|)p<'n auf ihrem Scheitel, beginnt, bis auf einen schmalen Vorderstreifen aber dem Auge des untenstehenden Betrachters entzogen bleibt Um so mehr dagegen zeigt sich von der obern Ausdenung in die Tiefe an den Säulenarkaden und der getäfelten Decke der allseits offenen Halle. Dicht am vordem Rande stehen die Basen der ersten Reihe von kurzen Säulen, deren Voluten-Kapitelle durch eine aufgenagelte Goldldste verdeckt werden, während ndr von den hintersten Arkaden wol die verbindenden Rundbögen und das gerade Gesims daraber, nicht aber den untern Teil der Schäfte und die Basen ihrer Säulen zu sehen bekommen. In dieser etwas niedrigen aber weit genug entwickelten Pergola kniet rechts ganz vorn an ihrem Lesepult Maria mit gefalteten Händen in Dreiviertclsicht, so dass ihr Körper von den Knieen bis zum Scheitel die ganze verfügbare Höhe der Bildfläche einnimmt. Eben deshalb, d. h. zu Gunsten der Grosse und Bedeutung der Gestalten, kniet aucli der Engel gegenüber ganz vorn, und streckt die rechte Hand, mit der segnenden Gebärde seine Botschaft be- gleitend, vor dem Säulenschaft hin, während die Linke den Lihen- stengel hält; nur die rückwärts gestreckten Flügel, ebenso plastisch wie der KOrper in seinem doppelt gegürteten Gewände durchgefürt, und die flatternden Enden der Bänder verraten noch etwas von dem Fluge, der sdner Ankunft vorangegangen. Sein Kopf mit hdlbbndem Haar und klassisch geschnittenem Profil stdit ganz in Seitenansicht vor der punktierten Goldscfaeibe des Heiligenscheines, der ebenso wenig wie bei Maria in perspektivischer Ansicht gegeben wird, während andrerseits noch die Drehunijf des Lesepultes, übereck gegen seinen Kasten darunter, das Aufsuchen solcher Aufgaben bekundet, deren Schwierigkeit allerdings auch in den Bügenstellungen, Säulen- fÜasen und -Köpfen nicht ganz bewältigt worden ist.

Man sieht, neben dem Reiz des Durchblickes durch die Loggia in Untensicht ist es vor allen Dingen die volle Korperrundunyf in echt plastischem Sinne, die den Maler beschäftigt hat, und auch hier schliesst sich seine Verteilung von Licht und Schatten bei aller Idealität der erdichteten Räumlichkeit an die Bedingungen des wirklichen Standortes im Sdtensdiiff der Kirche an« mdem sie die

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MASACaO UND Masolino

Beleuchtung von dem Fenster der Aussenmauer gegen die Strasse her in aller Schärfe auch hier oben durchfürt Es sind volle Gesiditer und wolgebaute Leiber, deren sicherer Halt in engfstem Zusammen- hang mit dem statischen Gesetz der Bogenwölbung darunter gfe- wonnen ist, wie es nur ein Künstler vermag, der für die geheimen Mächte der Baukunst ebensoviel Gefül und Verständnis hat, wie für den statuarischen Wert der Körperformen in ihrer Einordnung- zwischen Säulenstämmen und tektonischen Bestandteilen der Raum- bildung sonst. Man beachte nur, wie zielbewusst die lotrechte Haltung des Engels dem Pultchen gegenüber und der leise aus- wdcbenden Gestalt der Jungfrau die Wage halt So wirkt das Wappen in der Mitte, wie der Souffleurkasten an der Bfllme, als Absdiieber vor der Hefenerweiterung dahinter, und die künstlerische Oekonomle dieser VerkOndigung erweist sidi als originale Erfindung- aus den besondem Gegebenheiten an Ort und Stelle heraus, a^ ein schöpferischor Gedanke des räurolich-körperlidi anschauenden Malers, der uns weit intimer in das innerste Wesen seiner Geistes- tätigkeit einfürt als der Ausgleich zwischen antiken Einzelformen mit gotischen Bauteilen, der hier im Sinne der Frührenaissance, ja ihres Begründers Filippo Brunelleschi selber erfolgt, als schauten wir hinein in den Verker des Malers und des Architekten mitten unter den Ruinen der alten Kaiserstadt und den Klosterhöfen der Cosmatenzeit

Deshalb giebt es kaum einen lehrreidieren Vergleidi als mit dem Veriialten Maaolinos unter ganz ähnlichen Bedingungen und bei demselben Gegenstand, lieber dem Tofbogen eines Hauses (Nr. 13 am Corso) in Castiglione d'Olona begegnet uns eine Verkflindigung von Maaolinos Hand, aus der Zeit seiner Deckenmalereien im C3ior der Collegiata, d. h. 1425. Es ist ein Rundbogen; aber der eingetiefte Ramen mit spätgotischem Blattwerk bemalt, das auf beiden Seiten von der innem Peripherie aufragt mit Sternblumen auf dunklem Grunde dazwischen und einem Spruchband oben in der Mitte, das an den Enden gerollt, in gotischen Minuskeln die Aufschrift pa^ t\im boinili enthält. Darüber erhebt sich das ebenfalls eingetiefte Wappenschild in flachem Steinrelief Links und rechts die beiden Hälften der oben rechteckig eingefassten Bildfläche, deren Kalk- grund für die Freskomalerei aufgetragen worden, bevor noch der Rohbau der übrigen Fassade mit Bewurf verkleidet war und so gegen die unverhfillte Schichtung aus Flusakief ein stehen geblieben ist Die Farben sind unter dem Einfluss der Witterung sehr ver- blaast, aber die entscheidende Disposition doch deutlich erkennbar: links schwebt ein Engel mit stark geknickten Knieen, um so den

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Vekkündigungsbilder

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Zwickel in ganzer Länge zu fUlen, aber ebne Halt nnd ohne Gleidi- gewidit mit dem Gemach Mariens gegenüber, wo ein Betpult in missglOcIcter VerjQngung der schrflgen Platte nach oben und ein aenkrechtes Architekturstück neben der zurückfliehenden Jungfrau aufgereiht sind. Wir haben die nämliche Diremtion der beiden Gestalten, aber ohne alles Gefül für die Architektonik an solcher Stelle über dem Eingang vor uns, d, h, einen Mangel, der im Ver- küiidigungsbilde des Chores in schmaler Gewölbkappc und im Konflikt mit der hinoingemaltcn Säule ohne sichtbaren Fusspunkt vom erstrecht empfindlich wird

Ganz anders Masaccio in S. Clemente. Aber auch für ihn bietet «ch Gelegenheit zu einem Vergleich dieser, durch den ein- springenden Bogen bedingten, Lösung in der Art dnes Doppelbüdes, wie auf jenem Wandfelde der Brancaodkapelle mit der Heilung des Lahmen auf der einen und der £rweckung TaUthas auf der andern Seite neben der Tiefenflucht in der Mitte.. Vasari beschreibt eine AHartafel in S. Niccol6 olti' Arno zu Florenz als besonders berühmtes Werk Masacdosfolgendennarsen : darinnen sei (in Tempera) ausser unsrer lieben Frauen, der vom Engel die Botschaft verkOndet wird, ein Gebäude voller Säulen in Perspektive aufgerissen, und zwar sehr schön, denn ausser der Linearkonstruktion, die vollkommen gezeichnet war, Hess er durch Abtönung der Farben auch den Ein- druck (körperlicher Nähe) so abnemen, dass es ganz allmählich und unmerklich dem Blick zu entschwinden schien. Zeigte Masaccio sich dadurch im Vollbesitz der malerischen Perspektive, so hat seine Leistung in Florenz olfenbar bald eine Reihe von Nachbildungen angeregt, aus denen wir die Anordung des verlorenen Originals zu encfaUeisen berechtigt sind. VerkflndigungsbOder von Fra Angdioo*) und Fra Filippo"} sdion belehren uns» dass dieser Durchblick durch den Säulengang im Hause Marias wesentlich dazu diente, die Mitte des Bildes zu vertiefen, wenn auch, den Gesetzen der Veijflngung entsptechend, zugleich wol zu verengen, ganz ähnlich wie es noch auf dem Rundteller mit der Geburtsfeier im Berliner Museum geschieht Die Gesamtheit des Bildes klinget wol, zugleich mit der besondem Abweichung von der Solleransicht in S. Qemente,

>) Das kleine Tafelbild der VerkflsdigWie ^ ^ Stfarbtei der Collegiata darf da- gegen nicht filr Masoiino in Anspruch genommen werden, wie es bei Crowe und Cavalca- seUe geschieht, ■ondern gehört dem Maler der Diakonaweibe Stephans und der zugehörigen FntlMamle im Chor der Kiiche. Bndi Z p. tot. Uacmflceade AbbOdimg der Sekilttebdhltse bd Diego Sant Ambrogiok CastigUone d'Olona a. S,

') Vgl. die Predellen in Cortona, dir wir damit absichtlich spUer datieren.

Vgl. das dem Fra Filippo zugeschriebene Bild, daa lange liaeoUPO hiCH» in der Pinakothek zu München No. 1007. Phot. Bruckmann.

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Nackwirkung der AimuNziATA in S. CLBifENts

den Bedingungen der rechteckigen Altartafid gemäiB, am deutlichsten in jener Verkündigung des Piero dci Francetdu nach, die sich jetzt als seltsamer Aufsatz eines Triptychons zurechtgeschnitten in der Galerie zu Perugia befindet '). l'nverkennbar wirkt auch der herr- liche Gabriel aus Rom trotz konsequenterer Einfügung des Körpers in die dargestellte Räumlichkeit bei dem grossen Meister der Per- spektive fort, und nicht minder beweist noch Melozzo da Forli die nachhaltige Krait dieses Eindrucks in einer Tafel, die er bejart, noch lange nach seiner römischen Glanzzeit mit Hülfskräftcn in der Heimat gescha£fen Ueberall die selbe Hochachtung der hervor- ragendsten Nachfolger des Quattrocento f&r dieses Meisterstack Masacdos in S. Clementel und doch jedesmal in besondrer Ab- .wandlung des Vorbildes.

Wie diese Tatsachen der Kunstgeschichte f&r die Autorschaft Masacdos in S. demente zeugen, so rind die Typen dieser Maria und dieses Engels Gabriel die allerflberzeugendste fiestfttigung ftlr die Herkunft der Münchener Madonna mit dem nackten Kinde aus Hand und Sinnesart desselben Künstlers, so dass hier angesichts der Stirnwand an Brandas Kapelle zu Rom nur behauptet werden kann, dass der nämliche Maler, der diese jugendlichen Ideale ge- schaffen, auch die Münchener Madonna gemalt haben muss, und zwar in kurzer Frist das Tafelbild dort wie das Fresko hier!

Neben der Verkündigung und ihrem ^Casamento pleno di colonne tirato in prospettiva di sotto in su« ist auch die Umramung des Bogens nicht belanglos. Die breite Kante aus perspelctiviscb abgestuftem WfirÜBlfnes zeigt uns gemalt ein bei Luca della Robbia in glasierte Terraoottafliesen Übertragenes Muster, das genau so z. R an der Decke der Kapelle des Kardinals von Portugal oben an S. Miniato al Monte vorkommt. Dazwischen sind Rund<3ffiiungen mh Fensterrosen darin, die ihre Entstehung gewiss romanisdien Kirchen' eher als antik römischen Vorbildern verdanken.

Am breitern Pfeiler links ist dann noch die Darstellung des hl. Christophorus eben als Träger des Christkindes hinzugekommen, wie er auf einen starken Stab gestützt durch das Wasser watet. Zur Andeutung des anm»-estrengten Tragens der mit jedem Schritte wachsenden Last des Kleinen, der so freundlich mit der Weltkugel in der Hand auf seiner Schulter hockt, ist die Gestalt des Riesen gar breitbeinig hingestellt Hochaufgeschossen und etwas steif durch die Verlängerung des Beinwerks^ erscheint er an Breite des Baues

») Phot. Alinari No. 5t>82.

^ PbMoolcci di Forii No. 113 ab M. VaL Mocotini. Vgl Scbmanow, Mdotso da ForU iMÖ^ ^ «84. Fhot. AUaari.

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S. Christophorus

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und der MaakiUatur der Gliedmafsen um so weniger reckenhaft, ab der Obericflfper sich vorbeugt, die tragende Schulter sich senkt,

und unwillkürlich als Widerhalt eine Drehung in den Hüflen hervor- ruft, während das Antlitz sich fragend oder horchend dem KnAblein zuwendet, das ihn zu einem andern Atlas werden lässt.

Mit Masolinos Einzelfiguren in Castiglione d'Olona bietet eine solche komplicierte Haltung wenig Aelinlichkeit dar, selbst wenn wir an die späteren Zutaten des Baptisteriums, den Türschliesser am Kerker oder den Schwertfeger, der den Täufer enthauptet hat, heranzutreten gestatten. Die Besonderheit der Aufgabe hat eine so vollständige Durcharbeit des ganzen Körpers veranlasst, wie wir es bei ICaaoIino überhaupt nirgends antreffen. Indes» dieser Qiarakter als Ausoame macht es, neben dem Zustand der Erhaltung mit entstdlenden Pinseleien darüber, aucJi nach solcher Entschddung verliiltntssroftssig schwer, die Abwandlung der Normalfigur zu ent- zi£Bem und den Typus beranszuschftlen, der dieser VergrOsserung doch zu Grunde liegen muss. Dennoch bleibt wol die gestreckte Proportion des hochbeinigen Gesellen als spezifisch flcMrentinisch erkennbar genug, und reiht ihn dem Adam in der Brancaccikap>elle nicht minder notwendig an als das Format der Eingang^bilder dort und hier, d. h. der grosse Christopher in S. demente stellt sich in momentaner Haltung wol grade in die Mitte, zwischen dem Normalmenschen Adam im Sündenfall und dem gefallenen Sünder in der Vertreibung aus dem Paradiese.

Auch da bemerken wir das Bestreben des Malers auf der Bahn der monumentalen Kunst Die Gelegenheit zu Übermenschlichem Mal^ Stab auf d«r cdnen Seite, und zu koncentrierter Darstellung physisdier wie psychischer Peripetie in einer Einzelgestalt auf der andern wird ihm sofort fruchtbar, die plastische Grundlage seiner Figurenbildung zu starken, und die Ausdrucksmittel durch Verschiebung des Normal- zustandes der Gelenke sowol wie der Gesicfatszüge zu steigern. Antlitz und Gliedmafsen müssen sich dabei noch etwas allzuviel ge- fellen lassen, wie es im Vollbesitz der bildnerischen Kenntnis des Korperbaues nicht mehr begegnen kann. Aber die Wiedergabe der nackten Teile, der Beine bis an die Hüften, der Arme bis an die Schulter, des Halses bis an das Kinn empor, beurkundet doch, soweit der Normalzustand in Ruhe vorherrscht, einen sichtbaren Zuwachs an statuarisch verwertbarer Vertrautheit mit dem menschlichen (Organis- mus, der gewiss zum grossen Teil dem Anblick rumischer Antiken mehr als römischer Modelle verdankt wird. Unwillkürlich gedenken wir der nämlichen Beobachtung, die wir vpr Meisterwerken Masacdos, ide beim Torwaditer vor Qiristus und seinen Jüngern und bei den

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Beziehung zu Masaccios Werken

Täuflingen vor Petrus an der Altarwand, ausgesprodien haben. Und wie von selbst reiht sich in diesen Zusammenhang nun auch die Zeichnung im British-Museum, nach einem der Dioskuren auf Monte- cavallo hier ein, jene charakteristische Studie nach einem berümten Marmorwerk, an dem auch Pisanello sich versucht hatte, zug^leich ein der Technik Luca della Robbias in Blau und Weiss so nah ver- wandtes Probestück, das wir für Masaccio in Anspruch genommen Mao verradie nur ^nmal, äcih eine Umkeninsr des Dioiknren vor- «lateUen, und vergleiche sie dann mit dem ausgefihrten Chrisfeopli, dessen Beinstellung so in allen Hai^itsOgen Obereinstinimt Daza kommt die Bildung der FOsse mit der Phalanx ilirer Zehen» die Faust am Stecken und das Metacaipium der Hand mit der starken Ausladung des Muskelpolsters an der Seite, selbst die Nase mit den geblähten Nüstern» hier in Untensicht, und die Behandlung der Augen, soweit die Malerei noch authentisch erscheint Ueberall lässt sich das Studium des Vorbildes und der Fortschritt von Befangenheit zur (Trosse hin verfolgen, der Ertrag emsiger Vertiefung in die Meister- werke der antiken Plastik für den Maler zur selben Zeit, wie wir auf dem gleichen Wege den Erneuerer statuarischer Kunst Donatello selbst gedeihen selien.

Die Qesamtdtoposition des Innern

Im Innern der Kapelle bemerken wir, wie an der Stirnseite^ das Bestreben, den vorhandenen goCiscfaen Zuschnitt des Einbaues mit dem antikisierenden oder eher noch romanisierenden Geschmadc der

Frührenaissance auszugleidien, und wenn auch der Gegensatz der Stile noch nicht bewusst und klar ^pfunden wird, doch für den Bilderkreis ein eigenes RaumgefÖl vorzubereiten. In den Ecken sind schmale Pfeiler mit kräftigem Kapitellschmuck unter die wirklichen Konsolen der Wölbunir eingenialt. und zwar als Träger des Ramcn- werks, das von hier emporsteigend die Bogenfelder der Wände um- giebt. Diese gemalten Pilaster sind kannelliert, wie in der Brancacci- kapelle und am Dreifaltigkeitsbilde in S. Maria Novella zu Florenz, und reichen bis auf den Fussboden der Kapelle, während unter dem

*) V8p.LiereniiigI, No. aS n. Ueftnng n, TaSAlmAxam AbUUw« TMel m Test Bodil]^ S. 3», PI« 7.ekhmiin Vmuälm in ^ Anbmju» in IftÜMid,

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liASAoaos' kAxmicoNst ^9

Bilderschmuck noch bis zu halber Höhe di^r Eckträger eine schlichte Wandverkleidung mit aufgemaltem Teppichgehänge herumläuft. Der Maler übernimmt also nicht die Einteilung der Mauern durch das tief herabgreifende Kreuzgewölbe mit ihren grossen Bogenfoldern und breiten, nach Abzug auch eines nicdrivjercn Parapets, immer sehr gedrückten Rechtecken darunter; sondern or giebt seiner ganzen Disposition die Verhältnisse der klassischen Architekturteile, die er als Träger hineingestellt und betont durch breite Simsstreifen die Horizontalgliederung in der Höhe, wo die ideale Bühne seiner Dar- steUungen beginnen soU. Die beiden Settenwände gliedern sich in der so entstandenen Proportion in zwd Stockwerke, um dJe Mehr- zal von Scenen unterzubringen, die durch die Aulgaben aus der Heiligehlegende gefordert ward. Nur die Altarwand bleibt, der Lage gegenüber dem Eingangabogen entsprechend, ebi Ganzes, in dem die selbstgegebenen Ranrogesetze nichts desto weniger bestimmend w^ter wirken.

Die Raumdispoaition des Malers för seinen Bildercyklus ist eine S^tetändigc Leistung und setzt baumeisterliches Denken voraus, auch wenn das Ergebnis zwischen gotischem Bau und unfertigem Stilgefül der neu erwachsenden Renaissance auf der einen Seite, wie zwischen Evangelium und Legenda aurca auf der andern, nur als Kompromiss erscheinen kann, wie so manche Leistung des Quattro- cento auch fernerhin. In der Brancaccikapelle zu Florenz lag das Verhältnis der Höhe zur Breite bedeutend günstiger, besonders da ein gotischer Neubau aus entwickelter Zeit vorhanden war, nicht ein Einsduebsel in die untersetzten Dimensionen eines Seitensdiiffes alt- christlicher BaaHken wie hier. Dennoch hat die architek- tonische Umdichtnng durch den Maler die selbe Be- deutung wie im Carmine auch hier in S. demente^ und ich bestreite der modernen Kritik jede Be- rechtigung, dieses geistige Unterfangen dem Maso- lino beizumessen, von dem zwei vollgültige Beweise vom Gegenteil vorliegen, wie die Deckenmalerei im Chor der CoUegiata von 1425 und das ganze Baptisterium von 1435, dessen Verkündigung an der Ausscnscite das unerreichte Vorbild von S. Qemente erst recht in seinem Werte schätzen lehrt

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4^ DIE KATHARINENLEGENDE (4

Die Anordnung der Bilder aus dem Leben Katharina» von Alexandrien folgt nidit genau dem Gang der Legende, zumal da der Kflnstler nur f&nf einigermalsen gleichwertige Felder zur VerflIpinS' hatte, wahrend ^e Vorschrift jeden&Us aechs oder gar aieben Haupt- momente von ihm forderte. Dies Programm ist noch erkennbar, und sollte in der Weise ausgefürt werden, dass je einer Scene der obem Reihe die darunter befindliche der zweiten Reihe folgte ; da nun aber das Bogenfeld oben schwerlich drei gleich wcrtigfe Abschnitte jrewären konnte, so musste in einer Hälfte desselben eine Zusammen- schiebung versucht werden. Auch da vielleicht haben wir das Ringfen des Malers gegen die Anforderungen des Auftrags im Sinne seiner monumentalen Kunst zu erkennen.

In der Legenda Aurea lesen wir vom Auftreten Katharinas vor dem Kaiser bd der Verehrung des -GOtterbOdei im Tempel, von ihrer Disputation mit den PhÜofiophen, die der Kaiser nach Alexandrien berufen hatten von deren Bekerung zu Christua und ihrer Verbrennung; dann folgt der Besuch der Königin bei Katharina im Kerker und ihre Bekerung mitsamt dem Hauptmann Por- phyrius und seinen zweihundert Kriegern der Übwache, darauf die wunderbare Zers^ditterung der Räder, mit denen die Heilige zer- rissen werden soll, und die Enthauptung der Königin, die für Katharina und deren Glauben eingetreten war, ihr Schicksal teilen auch Porphyrius und seine Soldaten. Nach abermaliger Zurück- weisung auch der Hand des Kaisers geschieht die Hinrichtung der Heiligen selbst, deren Leichnam von Engeln zum Berge Sinai ge- tragen wird

Der Maler hat seine Disposition der bildlichen Dastellung nadi der Zal der Figuren, dem Gleichgewicht der Kompositionen be- stimmt, und bei der Entfaltung der Scenenfolge unverkennbar auf den Stan^^punkt des Besuchers Rficksicfat genommen, der fltr g^ wOnlich, durch das Gitter vom Innern der Kapelle getrennt, unter dem Eingangsbogen stehend hineinschaut. Aus diesem Grunde öffnet sich auf der linken Hälfte des Spitzbogenfeldes oben zunächst als Schauplatz des ersten Auftritts der heidnische Tempel, wo das

*) Vgl. zur Legenda nim Jamlnu VoKi|f»e ftnwr H. Kmut^ Gtidi. d. Legende der hl. Katharina von Akiandrien und der U. ICnrin Aegjptiacn nebst onedirten TcnlMi. 1890.

t>ER Auftritt im Götzentempel

it

Götterbild verehrt wird, in Untensicht, als blickten wir in den an- stossenden Raum, den die Bog'enramung von dem unsrigon ab- schneidet, hinauf. Zwei Säulen, links und rechts am vordem Rand dos Bildes aufgerichtet, begränzen die Bühne, um so überraschender, als die Eine zur J^inken hinter dem Bogensegment stehend nur bis an die Mitte des glatten Sciiaftes sichtbar wird. Mit attischer liasis nnd Kompositkapitell bekunden sie schon die Absicht, uns ein aotiket HeOigtum zu Bcliildeni. das der KQnstler den Ruinen Roms nachgebildet hat, die er vielfiich noch in votlatändigerer Erhaltung vorfond als sie heute dastehen. Er zeigt uns zwischen diesen SAulen eine Tribuns, deren im Halbrund auftteigende Mauer durch eine Alkadenreihe gegliedert ist, ^e ersieh trotz ihrer Schlankheit oflGen, und nicht wie wir als Nischenreihe gedacht haben wird, mit doppel- tem Sims darüber und einem Halbkuppdgewölbe, das wieder nach römischem Vorbild mit Kassettenreihen geteilt ist, die bezeidinend gfenug für den Zustand des Verfalls, den er vor sich hatte, ihres architektonischen Rameiischmuckes und innern Zierrats entberen. Der Einblick in diese römische Tempelnische charakterisiert sofort den Stand der Antikenstudien und damit den Zeitpunkt der Früh- renaissance, wo dieses Fresko entstanden sein muss, und zeugt ebenso für das Verhältnis dieses Malers zu dem Architekten seiner Tage, dessen Bemühungen er in perspektivischer Darstellung solcher antiken Raumbilder treulich zur Seite steht: FOippo di SerBrunellesco. Die schlanke luftige Arkadenreihe, die fast nur den malerischen Reiz romischer Aquaedukte verwertet, ohne die Wucht und Haltbarkeit romischen Mauerwerks zu fossen, als wäre es eme WandgHederung mit Lisenen oder Nischenramen, beweist wie die Nacktheit der Kassettenwdbung, die er darauf setzt, dass sein Verständnis für die Einzelformen des antiken Massenbaues noch in den Anfängen be- griffen is^ zunächst etwa auf einer Stufe steht wie bei Lorenzo Ghiberti, der seinerseits darauf zeitlebens beharrt und geschickte Prospekt- zeichner wie Benozzo Gozzoli noch in den vierziger Jahren zur Hülfe nimmt'). Dieser Maler in S. Clementp, dem der konstruktive Halt selbst in Ruinen, wie so manchem Baumeister auch, der an gotische Herauskerung des Gerüstes gewönt war, noch unverständlich blieb, hat doch mit seinem Auge sofort die Grossartigkeit der antiken Raumformen, die Macht und Einfachheit solcher Einblicke begriffen. Wie langer Studien und wie allmählicher Gewönung der Architekten hat es bedurft, um aus der Kleinheit der Abmessungen oder der

') Benozzo hat diese Fertigkeit bei Paolo Uccello erworben, vielleicht aacb ebenso Wie Fm FlUppo mit MIchelocM fa B«di^hiing gesunden, bevor er n ¥n Angelico aadn Ron gicB^

iNMEllkAtni ÜND ^GUR£N DAllllI

Schlankheit der Proportionen herauszuwachsen zur Weiträumfgkelt und Hoheit der römischen Kaiserbauten in einstiger HerrHchkeit!

Das Bemühen um die perspektivische Bewältigung der römischen Innenräume geht bei dem Maler in S. Clemente, wie sogleich das erste Bild der KatharinenlegeBde ') beweiit, Hand in Hand mit der Herstellung eines richtigen Verhältnisses swischen dem arcliitek- toniscben Sdianplats und den darin auftretenden Personen. £r wagt es, auf einen Altar von der Form eines Unglicfaen Serhwwrkn, dessen breitere Rfickwand sclirig gegen die Seitenkoulisse ge- schoben ist, eine kurze Säule mit der nackten Statue des Gottes auf dem Kapitell, also einen Aufbau von ziemlicher Höhe, in den Tempel zu stellen, und diesen Mittelpunkt der heidnischen Ver- ehrung von der höchsten Stelle inmitten des Kuppelraumes ganz nach rechts zu schieben, um so, für den Beschauer am Eingang der Kapelle, die Hauptsache des Vorgangs möglichst übersichtlich vorzufüren und die Personen in ihrer Beziehung auf dieses Stand- bild klar und frei zu entfalten.

Schräg hinein blicken wir in den Tempel und sehen an der .vordem Breitseite des Altars grade vor dem Götterbild, von dem sie redet, Katharina selber stehen. In sprechender Geibftrde wdst sie mit der Linken hinauf zu dem Idol, indem sidi ihr Blick zu dem Forsten wendet, der zu ihrer Rechten mit ge&lteten Händen anbetend emporschaut Während die Heilige» nur dnrcii ihren Nimbus um das Haupt und das reine Ehcnmafs ihrer Züge als Trägerin höherer Erleuchtung kenntlich, in schlichtem Kleide jungfräuliche Bescheidenheit bewart, erscheint der Götzen- diener mit spitzem Vollbart im schweren pelzverbrämten Fürstenrock, der nach der Mode des fünfzehnten Jarhunderts bis auf die Füsse reicht, mit prächtigem Gürtel um die Pfüftcn, wol erkennbar als Gebieter, aber keineswegs pomphaft ausstaffiert wie die Könige auf den Märchenbildern eines Gentile da Fabriano oder Benozzo Gozzoli. Ein Page hinter ihm hält übrigens die Kopfbedeckung mit dem gddnen Reifen darum während der Andacht des Hemdiers in der Hand, und Höflinge in bunterem Schmuck bilden sein Gefolge^ indess im wdteren Kreise Verehrer verMhiedenen Alters herum- stehen, in Anbetung oder Verwunderung zum GotterbQd aufblicken, zu dessen Ruhm ein Tubabläser hinter dem Forsten soeben eine Fanfare g^gen die Wölbung schmettert;- als gälte es die Manung der Heiligen gewaltsam zu ObMtOnen.

Der zierlich gekleidete, junge Mann mit geringelten Locken, mit bunt gestickten Strumpfhosen und weit abstehendem Rockschols^

5"vS «mm TdW IV «X

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ttoSTt^FIGUR t^SAKELLOS>

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Ist neuerdings besondere Veranlassung geworden, auf den 2Susammen- hang dieser Fresken in S. Qemente mit Vittore Pisatio hinzuweisen. WickhoflF meint, es sei dies eine Tracht, die von Pisanello erfunden oder doch umgebildet ist, da sie sich nur bei ihm oder seinen direkten Nachfolgern findet, und zumeist, wie auch hier für vom Rücken gesehene Figuren verwendet wird. Er muss direkt nach einem Werke des Pisanello kopiert sein«. Die chronologische Vor- aussetzung dieses Exempels aus der Kostümgeschichte beruht auf einem Irrtum. Der Versuch, eine solche Kostümfigur überhaupt als zwingendes Beweisstück auf die Person eines Meisters zurückzufüren, kann in dieser Answchliegalichkeit ausserdem nur zu verliängnisvollen FfthlschlOasen verieiten. Pisanello hat in seinem emsigen Eifer die Erscheinung der Wirklichkeit wiederzugeben sicher gar kein Kostüm erfunden, wenn' es sich um Darstellung wirklicher Menschen, nicht biblischer Personen oder himmlischer Wesen handelte. Es wäre möglich, dass er ein Kostüm, das in der abenteuerlichen Mode seiner Zeit vorkam, nach künstlerischer Laune »umgebildet« hat, wie Wickboff, sich s^bst einschränkend, hinzufügt Haben wir aber an diesem Jüngling in Rom nur die Wiedergabc einer Zeittracht, wenn auch einer gesucht koketten, eben höfischen Geckentracht, so kann es sich nur um die trage handeln, ob die "Wiedergabe hier auf dem Fresko in S. demente die Behandlungsweise Pisanellos zeigt? Und diese Frage muss ebenso entschieden verneint werden, wie im Kostüm des Kaisers der Wetteifer mit Gentile da Fabriano oder seinen Geschmacksgenossen. Das Seltsame an dieser Tracht ist nur der Schnitt mit dem, nach Art von WeibenrOcken, &ltenreich und wulstig abstehenden Ansatz unten. Pisanello giebt uns, wo er zeichnet oder malt, nicht auf Medaillen, wo er den Bedingungen des Reliefe gemfiss verein&cht, eine Berdcherung des Besatzes nach der minutiösen Vorliebe seiner Heimat und der befreundeten, von venezianischem Luxus oder franzflsisch-burgundisdier Zier mit angesteckten Höfe Oberitaliens, unter denen die Este von Ferrara nachweislich hervorragen. Dort, wo die Ricamatori und andre Kleiderkünstler den Löwenanteil an dem Aufwand der Fürsten und Herrn davontrugen, erklärt sich dies üebermafs kostbarer Stickerei und abenteuerlicher Bordüren von Pfauenfedern, Goldfransen und ausj.^'^cschlagenen Tuchzaddeln. Vergleicht man aber z. B. in einem Hauptstück, wie der Anbetung der Könige, dem Rundbild in Berlin, das auch WickhoflF sicher im Auge hat. diese Auswal üppiger Mode- kostüme mit der Gewandung der biblischen Personen, die so vOUig in gotisdier Befangenheit beharrt, so kommt man zu der Meinung, Pisanello kOnne diese KostOme auch nur durch sorgfältigstes Nach-

8«bmarsov, lfaiMci»5tadi«i. IV. 8

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MaSACCIO und t'lSANELLO

amen wirklicher Exemplare sich ang-ccii^^net haben, wie alle seine Eroberung-en aus der Wirklichkeit sonst, und habe sicher nicht phantasiert, sondern die 1 .ieblingsschät/.e aus der Guardaroba seiner Besteller darin konterfeit. Von dieser kleinlichen Wiedergabc, dieser strotzenden Uebcrladung mit Einzelheiten ist an jenem Corpus deficti in S. Clemente garnichts zu spüren; eher ist cbis Vorbild ver- einfacbt, besonders in dieser plastisch wichtigen Normalfigur des Vordergrundes» und von einer Nachäffung Pisanellos k<ynnte schon deshalb nicht die Rede sein. Dieser junge Mann zur Sdte des Kaisers steht hier so viel frder und sidurer da, und es kam dem Maler auf dies feste, selbständige, allseits runde Behaupten seines Platzes als Körper im Raum so viel an, dass der £infall» sie könne nach einem Werke Pisanellos direkt kopiert sein, nur wenig Ver- ständnis für die Schwierigkeit der Hauptsache, des tektonischen Aufbaues dieser Komposition, und damit für das übrige Wollen und Können dieses Malers bekundet. Das Bild Pisanellos in Berlin wird mit Recht auf dessen letzte Lebenszeit, kurz vor der Mitte des fünfzehnten Jarhunderts datiert, in die auch die Melirzal seiner Medaillen gehört, oder von Andern schon einem Nachfolger zugeteilt. Es ist also nicht nötig, auf den Anachronismus in jener Vermutung weiter einzugehen und einen Vergleich mit froheren Malerden, wie am Brenzoni-Grab in S. Fermozu Verona zur Berichtigung derartiger Willkür zu empfelen, oder auf den Freakencyklus des Lorenzo und Jacopo da San Severino in der Kapelle Johannes des Täufers zu Urbino von 141 6 zurückzuweisen, oder auf die Deckenbilder des Ottaviano Nelli im Palazzo Pubblico (Xrinci) zu Euligno, wo 1424 im Tempel- gang Marias schon genau solche Kostüme aus freiem Antrieb hin* gestellt worden. Wenn Pisanello seit 1431 solche Gestalten zu malen liebt, so wären wir eher zu der Anname berechtigt, er habe die Anrej^amg dazu auf seinem Wege nach Rom oder gar aus diesem Beispiel in S. Clemente empfangen , während die Mode inzwischen sich selber gesteigert hatte und solange überbot, bis sie unmöglich wurde

Im Uebrigen sehen wir diese Trachten auch auf dnem Werke, das f&r die Frage nach Masaccios oder Masolinos Autorschaft sicher in Betracht kommt, bevor an Pisanellos Wirksamkeit in Rom zu denken w&re, nftmlich auf dem Altärchen, das Papst Martin V. fta seine FamiUenkapeUe in S. Maria Magg^ore gestiftet, mit der GrQnduog der alten Basilika darauf. Und es ist beachtenswert, dass

*) Hier liegt also cbrondlogbdi tulgerdlit das Material zu einem Kapitel der Koatangetchicble Italiens, deren genaaere Bcaditniig «ndi Komüiistorikem au Gute kimaii

Altarwerk von S. M. Maggiore

der Kaiser und sein nAchster Begleiter, denen Katharina die Eitel- keit des Götzendienstes vorwirft, genau mit den Zagen zweier Personen unter den Zuschauer n dieses Wunders der Madonna ddla Neve übereinstimmen : mit Johannes Patritius, in dem man den König Sigismund sah, und einem andern Vomemen des Hinter- pTiindes. Sio trafen, wie übor don Lippen, auch am Kinn den spitz gezog-oncn Bart, der unten sich S])altet und oiwas struppiges, schräg aus der Stirn j^ekämmtes Haar. Auf dem selben liildchen in Neapel finden wir im Hintergrund neben jenem fürstlichen Herrn den Kopf eines Aufblickenden in starker Verkürzung vom Kinn aus gesehen, wie er sehr ähnlich bei der Verehrung des Götterbildes ganz rechts im Tempel vorkommt Uebecliaupt ist die Verwandtschaft der Typen zwischen den Bildern aus S. M. Maggiore und dem. ersten Stack der Katharinenlegende von S. Qemente so ausserordenllidi nah, wie es bei der Verschiedenhdt des Malästabes und der Technik nur irgend sein kann, und ebenso zeigt sich in beiden das Streben nach Abweditlttng in Alter» Ausdruck und Charakter dieser Köpfe, die als Zuschauer eines kritischen Vorganges auftreten. So viel sich aus den weniger übermalten Teilen des Freskobildes entnemen Usst, bietet selbst die Malweise, die Farben wal und Behandlung die nämlichen Analogiecn, wie die Darstellung der römischen Architektur, so dass der sorgfältige Anfang der Katharinengeschichte nur wie ein weiterer Schritt auf dem dort bereits eingeschlagenen Wege angesehen werden darf. Beide Werke gehören einem und dem . selben Maler, und grade die perspektivische Methode im Schnee- wunder hat uns bestimmt, diese Leistung nur dem Masaccio zuzu- trauen.

In dem Freskowerk von S. Qemente bestätigt aber sogleich die nächste Scene, das erste BUd der untern Reihe, die Konsequenz der perspektivischen Berechnung, die wir im oberen hervorgehobea Wir blicken auch hier, dem Standpunkt des Beschauers unter dem Eingangsbogen gemAss, seitlich in ein schmales Gemach, in dem die Disput ati on Katharinas') mit den Philosophen stattfindet, hinein und zwar in der nämUchen Verschiebung wie oben, nur nicht in so starker Untensicht, so dass wir den anstossenden Raum oberhalb des Parapets so sehen, als wäre nur die trennende Schmalwand ge- fallen. Die linke Seitenwand erscheint deshalb in stärkerer Ver- kürzung als die gegenüberliegende rechte, und der Kaiser, der auf dem Podium genau in der Mitte der Sclilusswand hinten tronend den Vorsitz fürt, verschiebt sich auf der BUdfläche etwas nach

') Vgl snseie Tafd V, a)

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biSPUTAtlON itATRAlinfAS

links. So konnte in der Mittellinie des Wandfeldes selbst die Gestalt der idealen Hauptperson aiifpostellt werden, ohne die des Macht- habers zu verdecken. Aber noch ein Vorteil wurde erreicht: diese Mafsregel gestattete dem Maler auch die Folge der Disputation, von der die Legende erzält, mit anzudeuten, d. h. ein kleines Bild *in das grössere aufzunemen. Die breitere Wand rechts wäre zu kahl erachienen. Deshalb treibt der Meister die perspektivische Tausdiuog noch weiter zu einer neuen Leistung in dem erOfineten Innenraum des Konklave: er Iflsst uns durch dn breites» niedriges Fenster in dieser Wand hinausschauen ins Freie, wo die bekerten Philosophen, von Katharina ermutigt, den Flammentod eridden. So wird ein notwendiger Moment der Legende miterzält, den man seltsamer Weise für ein Gemälde mit den »Seelen im Fegefeuerc angesehen und für eine spätere Zutat erklärt hat*). Schon die Wiedergabe der Mauerdicke und die perspekti\nsche Zeichnung der Wandöffnung hätte über die Acchtheit und Ursprünglichkeit dieses liestandteiles aufklären sollen, der bei der ganzen Verschiebung der Ansicht garnicht entbert werden kann, vielleicht gar als Entstehungs- ursache mitgespielt hat.

Und wie wenig in dieser Absicht ein Versehen oder eine Xach- Iftssigkeit zugegeben werden darf, beweist die lineare Konstruktion des Gemaches, dessen Deckenhohe etwas Ober den obem Rand des Ramens oder Wandausschnittes, durch den wir schauen, hinaus- ragt. Diese bewusste Bewältigung einer Schwierigkeit zu Grünsten der Figurenkomposition und ihrer inneren Bedeutung fiUlt Ihr die Kunst des Malers um so schwerer ins Gewicht, je einfacher, an- spruchsloser die Handlung selber vorgeftlrt wird. Links und rechts eine Bank, auf denen je vier Philosophen zuhörend still sitzen. Auf dem Tron vor einem Wandteppich der Kaiser in seinem pelz- gefütterten Rock, auf dem Koj)f einen mörserartigen Filzhut mit niedergeklapptem Rande, nur mit leichter Bewegung der linken Hand die innere Abwer verratend; in der Mitte, ganz im Profil nach links gewandt, Katharina stehend, wie sie schlicht und be- scheiden ihre Gründe an den Fingern herzält Nur die lichte sym- pathische Erscheinung selber kann für den Inhalt wirken, den sie ver^ tritt; ihr Ausdruck ist sanft und milde, eher geiülvoll als streitbar die Gebflrde, nturdie konventionelle Andeutung des logisdien Disputierens, kein Zug an ihr ihetorisch aufgeregt Es ist der Augenblick, wo Sure Rede aberzeugend die Gegner und deren Einwände zum Schweigen

*) So Doch Cavalcaselle in der iulieaischen Aasgabe 1883, S. 275, t., obgleich die ^mdoM Eildinnig des Gefenitandee beieiti in der dcutidieii Aiufebe ipod Jordea ricbtiggestdlt war.

Disputation Katharinas

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bringt; sie ergeben sich ruhig, legen die Hände in den Schofs, horchen andächtig, begleiten den Kindruck ihrer Worte kaum durch ein staunendes oder beipflichtendes Spiel der Pinger; nur die Mienen drücken tiefere Ergriffenheit, widerwilligen Umsturz aller Gedanken aus. Der räumliche Eindruck wirkt fast mehr als die Aktion der Versammlung zu dem Ziel, als handle es sich hier um eine Ver- Mblebung der bisherigen Weltansicht, als wanke berdts die Axe unter dem hemdienden Mitfedpunkt Von den Mitteln des Aus- drucks, spredienden Gesten und dergleichen besitzt der Maler nodi wenig, um die Welt der Gedanken und Gefllle nach aussen sichtbar zu machen. Stftrkere Bewegung verbot der Anstand geistlicher Herren vielleidit durchaus. Aber in den Kdpfen bt schon durch Haltung und Miene viel erreicht. Aufwärts gezogene Brauen oder finster bededcte, einwärts blickende Augen, abwärts sinkende Mund- winkel geben Grundzüge der Stimmung, die er beobachtet hat Die Reihe der nächsten Hörer, zu denen sicli Katharina wendet, sind in ihrer besseren Erhaltung ebensoviel Zeugnisse für die Fähigkeit des Malers, auch Charaktere, ganze Individuen in ruhiger Gegenwart lebendig und wirksam zu fassen. Der alte, kalilo Koinerschädel ist schon machtvoll genug und der vorderste im Käppchen scheint ebenso das Abbild eines Kirchenfürsten, in dem man die Züge des Stifters Kardinal Branda vermuten muss. Die Uebereinstimmung mit der fiildnisreihe Martins V. und seiner Kardinäle auf dem Tftfelchen aus S. M. Maggiore ist auch hier noch unverkennbar, wenn die Gewandung der Sitzenden auch schon breiter und malerischer drapiert, die Körperlichkeit durch den Malsstab schon stärker ist als dort

In dem kleinen Ausblick zur Seite erkennt man nur noch Katharina, in ähnlicher Haltung wie im Hauptbilde, nach rechts hin die Reihe der X'erbrennendcn abschreitend, und denkt ihre zuversichtlich vcrhcisscnden Worte hinzu.

Ganz anders als hier sind im zweiten Bilde des Bogenfeldes, rechts neben der Tempelscene, zwei Momente in einem Ramen vereinigt, die zeitlich auscinunderliegen oder durch Einschaltung des Mittelbildes unten erst den Kausalnexus erlialtcn, den die Legende er- hält: die Bekerung der Königin') bei ihrem Besuch am Kerker Katharinas und die Enthauptung der gläubig gewordenen Fflrstin, die erst durch ihr Auftreten nach dem Radwunder veranlasst wird. Hier sind beide Ereignisse in gleich grossen Figuren dicht neben- einander voigef&rt, weil der Maler die Drdteilung des Bogenfeldes

») V||. «BMie Tafti nr, b).

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BEKERUNG der KONIGIN

aus architektonischen Rücksichten gewiss ebenso unzulässig, wio die entsprechende Schmälerung der Bildflächen, die dann entstanden wären, mit den verschiedenen Aufgaben seiner Kompositionen unver- einbar fand. Die Tempolscouc vorhmgte für eine Festversammlung schon grössere Breite, und die folgenden Momente konnten nur im schlichtesten Ton, in dem dieser Meister zu erzälen weiss, auf wenige Hauptpersonen beschränkt, daneben noch zur Daxstellung kommen. WAhrend dort bewuaste Wal der perspektivischen Schwierigkeit vorlag, muss hier ebenso bewuaste Verein&chung des legendarischen Vorwurfe erkannt werden, durch die er Klarheit im Verständnis des wertvollst«! Inhaltes ebenso wie Sorgftlt in der DurdihUdung des Einzelnen zu sichern weiss»

Ein Blidc auf die Darstellung der nämlichen Geschichte, die Spinello Aretino in der Kap>ellc der Villa Alberti zu Antella bei

Florenz um 1386 gemalt hatte belert darüber und zwar um so entscheidender, als die Kenntnis dieses Freskeneyklus sich durch Einzelheiten der Inscenierung deutlich genug in S. Qemente verrät. War dort schon das Auftreten Katharinas gegen den Götzen- dienst als öffentlicher Zwischenfall in der Opferfestlichkeit auf freiem Platz geschildert , wo links der Kaiser tront, rechts die Aedicola mit dem brou/enen Götterbild auf tfewundencr Säule sich öffnet, mit Priestern, Posaunenbläsern und knieenden Betern davor, in der Mitte dicht vor der Leibwache Katharina redend dazwischen tritt, so namen die Disputation und die Verbrennung der Philosophen zwei ganze Bilder dn. Die erslere findet nach giottesktf Art in niedriger Loggia statt, wo der Kaiser rechts zu Häupten unter der Kuppel tront, Katharina links am wolbewachten Eingang steht, dazwischen auf querstehenden Bänken die Philosophen sitzen, deren vordere Reihe uns den Rücken kert. In der anderen fürt der Kaiser ebenso den Vorsitz, und Katharina darf, von der Leibwache gehütet, an der Schwelle des Flammenpfuls den Sterbenden predigen. Darunter folgen wieder zwei Darstellungen: auf der Einen sehen wir die Erscheinuni^ Christi bei Katharina im Kerker und die Bekerung der Kaiserin mit Porphyrius und seinen Mannen, die vor dem Gitter des Käfigs knieen ; auf der Andern muss Katharina vom Söller herab mit dem Kaiser der Hinrichtung zuschauen, die drunten

') Am 1 1. Juli 1387 fehlte nach dem Testament des verbannten Bestellers Bcne- detto d<|jU Alberti aw noch das Bc^enfeld Aber dem Altafbaas mit der Hinrichtung und Bestattoi« Kntbarinas. Vgl. Passerini, GH Alberti di Fiieose 1870. II, 186 ff.

u. Schmarsow, S. Catcrin.» in Antella, Nationalzeitung, 25. Dcc. 1888 u. Festicllrift au Ehren des kunsthist. Inst, zu Florenz, 1897, p. 29 ß. mit Abbildungen.

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MASACaO UND Spinello Aretino

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im Palasthof an der Kaiserin, dem Hauptmann und seinen Leuten

vollzogen wird.

Hier in Rom bleiVjt also die ganze Söldnerschar mit Porphyrius an der Spit/e. ebenso wie die Vision der Heiligen im Kerker bei Seite. Und k<immt der Verzicht auf diesen überirdischen V'erker mit dem himmlischen Bräutigam, wie auf die Verlobung mit dem Christkind, die Spinello ausförlicb sdifldert,' auch vieUdcht auf Rechnung des {geistlichen Herrn, der den Cyklus in S. Qemente bestellt hat, so ist dodi die Abwer der Ldbwacfae und ihres Be- felshabers Aür den Maler jedenfalls zugleich ein Opfer wie ein Vor- teil, jedenfalls ein Entschluss, der seine Kunstweise sehr be- zeichnend von der seines Vorgängers Spinello unterscheidet. Der Meister bekundet sich als echten Florentiner, der die Bestrebungen der Letztlinge des Trecento, zu denen der Aretiner Spinello gehört sehr wo! gekannt hat ; aber sein persönliches Urteil fürt ihn über diese Ausläufer der Giottoschule zu den grossen Ilauptmcistern zurück; er zieht die Einfachheit der Kf^mpositioncn mit wenigen Figuren überall da \ or. wo es auf Vermittlung eines geistigen Ge- haltes oder auf unmittelbar verständliche Darlegung ursächlichen Zusammenhangs ankommt, er verziclitet auf den malerisclien Reich- tum, den er sonst wol zu schätzen wäss, zu Grünsten der Hauptsache, des Kernes, den er mit einschneidender Sdiärfe bloszulegen weiss» während Sinnello leicht die Nebendinge ihn üborwucfaem iSsst Dieser florentinische Charakter des Autors ist ein Erbteil, von dem weder Pisanello noch Gentile etwas aufiEuweisen haben!

Auf der zweiten Hälfte des Bogenfeldes in S. demente sehen wir in der Mitte einen turmartigen Bau als vordem Abschluss einer Häuserreihe, die sich links in perspektivischer Ansicht der Strassen- flucht hinanzieht. Im Erdgeschoss des Turmvcrliesses ist Katharina eingesperrt , schaut aber aus niedrigem Fenster ungehindert von Gitterwerk oder sonstigem Verschluss, mit dem halben Körper vor- geneigt, zur Königin heraus, die sich in der Stille der Nacht ihren Polstersessel auf die Strasse gestellt hat, und in traulicher Zwie- sprach den Lehren der Heiligen ihr Herz öffnet Die Seena gleicht in der Anordnung auffallend dem Fresko Spinellos mit dem Besuch der jungen Katharina beim Eremiten: dort schaut der Lehrer aus dem Fenster seiner Zelle und spricht zu der jungen Disputantin, die draussen ntzend allerdings auch gestikuliert. Aber wie die ganze Familie und Gefolgschaft, die bei Spinello zuschaut, hier be- seitigt worden, so hat der Florentiner in Rom das innige Verhältnis der beiden weiblichen Personen überrasdiend fein empfunden, so dass man mit Recht dabei an Fra Angelicos sinnige Schöpfungen dieser

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Enthauptung der Königin

Art erinnert hat, ohne doch eine Abhängigkeit des Künstlers hier von dem frommen Klosterbruder voraussetzen zu dürfen, zumal da die nachweislichen Beispiele bei dem Letztern schwerlich so früh zu datieren sind. Grade im Gegensatz zu dem lebhaften Temperament der dialektisch begabten Königstochter bei Spinello ist hier in der ganzen Gestalt und Haltung der Kaiserin die Sammlung und Be- schaulichkeit des tiefergriffenen Gemüts mm Auadrnck gebracht Die hohe Frau, nicht ohne Schleiertuch und Krone, sitzt ganz an Katharinas Lippen hangend da, und legt die Hände fest zusammen- gefosst auf die Knie, als wSre es dem Maler darauf angekommen, die völlig andre Natur ihres Wesens und ihres Seelenzustandes herauszuarbeiten. Ganz im Profil, wie der Kopf der Hörerin, ist auch die Gefangene ihr zugewendet; sie stützt sich mit der linken auf die Fensterbank und erhebt die Rechte wie eindringUch manend oder unterrichtend, vielleicht gar weist sie gen Himmel, indem sie der Ncubckertcn das Martyrium vf)rraussagt, das sie erleiden soll.

Daneben sogleich die Erfüllung. Rechts vor der Aussenseitc des Gefängnisses liegt der entseelte Körper der Kaiserin, auf die Einbogen gestützt, wie sie in betender Haltung vom Streich des Henkers getroffen dahinsank, und der Kopf daneben, vom Rumpfe getrennt, mit langgezogenem Schleiertuche am Boden hingerollt, wahrend ein Engel die Sede der Gläubigen in Kindergestalt zum Himmel trägt Vor der Kerkermauer steht der Scharfrichter nach vollbrachter Arbeit, im Begri£F, das lange Schwert wieder in die Scheide zu Stessen. Es ist eine hohe Gestalt in eng anliegender Jacke und Strumpfhosen; weit ausholend mit dem Arm und in voller Aufmerksamkeit herabblickend auf die sorgfältige Bergung der scharfen Klinge, deren Spitze er soeben in die Ocffnung fürt, steht er fest auf dem rechten Uc\n, während das linke sich streckt und die Fussfole vom Boden hebt, so dass nur noch die Zehen ihm Halt gewären. Das Motiv findet sich wieder bei Spinello Arctino, der den Tod Katherinas in diesem Moment unmittelbar nach der Enthauptung selber darstellt. Leider ist auf diesem Bilde zur Rechten des Triumphbogens grade die Figur des Henkers in ihrem obem Teil bis zur Hallte des linken Oberarms verloren ; aber die Spitze des Schwertes, die in die Scheide geht, deutlich sichtbar, das Ausschreiten der Beine heftiger gegeben, aber die ganze Bewegung nach Spinellos Art nur flüchtig beobachtet und oberflächlich ange- deutet. Genug, wenn er die dichtende Phantasie des Beschauers anrsgt, das Ihrige hinzu zu tun. Ganz anders dieser Künstler des Quattro- cento in S. demente. Die Bewegung der ganzen Gestalt auf dem Wendepunkte wiederzugeben, wie die schwebende Haltung des

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Masaccio und Masouno

nachgezogenen Beines noch das vorangegangene Ausholen des rechten Annes begleitend malt, und zugleich die volle Tätigkeit dos Willens auf die zweckmässige Leitung seiner Werkzeuge ge- richtet, bei der Schwierigkeit des Zielens und der Vorsicht für die Schärfe des Stals eine Weile braucht, ehe der Stoss abwärts folgen kann, diese kritische ISpannung auf der Höhe, wn der Atem stockt und die Gheder elastisch in der Schwebe bleiben, das ist es, was ihn fesselt und was er geben will. Leider verbietet auch hier die Uebermalung, weiter auf die Einzelheiten der Durchfilrung ein- zugdien ; aber schon die Umrisszeichnung sagt genug für den Emst der Absicht Sie fordert jedenfeUs zum Vergleich mit der ganz verwandten Soene, der Enthauptung johannes des Täufers im Baptisterium von Castiglione d'Olona heraus, die Masolino um 1435 gemalt hat. Hier liegt, wie wir (1, 65. Taf. 19.) sahen, der Körper über dem Rand der Schwelle, sehr ungeschickt und ungenügend in der Ver- kOrzung ; ein Blutstral bildet eine Lache daneben, aber das Haupt scheint noch am Rumpfe zu hängen. Der Henker dagegen streicht schon das Blut von dem langen vSchwert ab, das unmittelbar nach dem Hiebe zurückgeschlagen nach rückwärts sinkt. Dcmgcmäss ist die Haltung des Oberk<")rpers mit dem einen erhobenen und nach hinten zurückgebogenen, dem andern nach vorn gekrümmten Arm v'icl schwieriger, aber in der starren Eisenrüstung auch keineswegs plastisch erfreulich» noch in der Verkürzung so überzeugend gelungen. Die Stellung der Beine ist fiat die nämliche wie in Rom, nur das Spidbein nicht so elastisch bewegt, die Fusslble nicht vom Boden gdOst, also nur ein seitliches Aussdveiten gewollt, wie es der Mani- pulation an der abwärts hängenden Schwertspitze entsprach. Damit verliert diese untere Hälfte des Körpers allerdings sehr an Reiz, zumal da die Beine kflrzo' und stämmiger gebildet, wie man sieht, durch die Eisenhülle sogar nachträglich noch verstärkt sind. Sehr bezeichnend ist der Unterschied des Modells oder der gewälten Proportionen : dort in Castiglione ein junger, robuster Kerl, unter- setzt in den Verhältnissen des Körperbaues, voll und weich im Fleisch, etwas mühsiim sich bewegend bei seiner Gedrungenheit im starren Panzer; hier in Rom ein älterer aber schlanker l'echter, lang gestreckt, aber gestält in den Muskeln aller Glieder, sichtlich von schnellster Bereitschaft für jede Kraftlcistung, eher ein etwas ausgemergelter, sonnenverbrannter Torero. Dort in Castiglione haben wir sidier einen Lombarden, hier in Rom keinen Römer, sondern einen Florentiner vor uns» oder wenigstens die Normaliigur der florentinischen Maler am An&ng des neuen Jahrhunderts, die fiber- höhten Proportionen der gotiacben Bauhütten am Uebergang aus

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ROMISCHE Modellstudien

dem I recento. Solch ein Unterschied ist g-anz erklärlich , wenn jener am Ende einer längern Arbeit auf mailändischcm Gebiete, im Verker mit den Fantini der Casa Castiglione oder den Reitknechten des Kardinals Branda zu Stande kam, dieser dagegen am Anfimge eines Auftrages in Rom, wo die Gewonheit der florentinischen Heimat noch aberwog, bis antike Statuen und »Romani di Ronoair bestimmenden Einfluas auf die Anschauung des Malers gewonnen. Und diese Erklärung muss man beim Verfolg der Katharinenlegende um so mehr vorraussetzen, als in ähnlichen Gestalten sehr bald ein Wechsel des Mafsstabes oder des Modolls bemerkbar wird. An Stelle des hochaiifj^oschossencn schlanken Toskaners tritt der kürzere Römcrtvpus, nachdem sich in Kostümfig-uren, den Bedürfnissen der Raumdarstellung entsprechend, schon vorher diese bequemern Pro- portionen einj^cstellt hatten.

Solche römische Modcllstudien machen sich schon in dem zunächst dazugehörigen untern Bilde, in der wunderbaren Z erst öru n g des Marterwerkzeugs bemerkbar, wo die Schwierigkeit der Aufgabe sorgfältige Vorbereitung des Ganzen erheischte. Diese beliebte Hauptscene aus der Legende der hL Katharina, die im Cyldus Spinellos in AnteHa leider flbertancht worden ist*), nimmt hier in S. demente die Mitte der untern BUderreihe gprade unter dem HOhenlot des Bogenfeldes ein, steht also an der Hauptstelle der ganzen Wand, besonders fOr den eingetretenen Besucher im Innern der Kapelle.

Zur Rechten und im Hintergründe ist der Palasthof durch hohe Mauern geschlossen, die ursprünglich aus lauter hohen schmalen Arkaden gebildet, wie die Tribuna des Tempels oben, uns abermals an die allzu luftige Wiedergabe römischer Aquaedukte auf dem Bildchen aus S. M. Maggiore erinnern, und perspektivisch gezeichnet einst den Durchblick in die Landschaft gewärten, jetzt aber nach der Uebermalung nur als Blendarkatur massiver Wände erscheinen.*) Die schwanken Bogenreihen tragen auf ihrer 'verbuidenden Ober- mauer einen breiteren Fries und ein weit vorspringendes Gesims, das den modernen Restauratoren mit Recht zu schwer vofkam. Es schliesst sich jedoch an die gleiche Simsbildung der Brustwehr eines Vorbaues an, der an der hintern Ecke linlcs in den Hof hinein- tritt. Unten wird er von ehier Säule getragen, die so mit zwei festen Wänden eine quadratische Loggia bildet, während auf dem

Erkenobar iit aUerdiiigB, dm die Ridcrung ebeofo im Pahsthof gMdiidit wie die Hiariditiiiie des Pociribyriiui, «Im» die Vermuidtidnft det Sdumplmics aodi in Rom.

') Vgl. den Stich Labruzzis, nach dem unsere Abbildung V, b), mit den Photo> gnfiliieen von finmn und Alinari nach der Uebencbmienangl

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Das Radwunder

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Dach dieses Untergeschosses durch eine massive Brustwehr und zwei kleinere Säulen mit einem Holzdach darüber, das an die Palast- mauer lehnt, eine obere Pergola gebildet wird. Dieser ganze Vor- bau ist offenbar otn beliebtes Stück damaliger Palastbauton ; denn wir finden eine schmuckvollere Version der nämlichen (irundfürm in Castiglionc als Festhalle, wo Merodes tafelt, statt der hohen Um- fassungsmauern des Hofes, die in S. Ch^menle nur misverständlich nach römischen Ruinen gezeichnet wurden, die offene Wandelbahn mit Halbkreisbogen auf niedrigen Säulen im Geschmack der Floren- tiner Renaisaance. Im Ganzen at»ht aber der Pdasthof in Korn seinen Vorbildem im Treoento^ sei es von Spinello Aretino in An- teUa oder von den Lorenzetti in S. M. dei Servi zu Siena viel nfther, als das entwickeltere Beispiel im Baptisterium zu Castiglione, und schon aus diesem Grunde wäre die Anname dner spatem Ent- stehung der Fresken von S. demente wol abzulehnen, besonders aber wenn sie von einem und demselben Meister etwa zehn Jahre nach jenen gemalt sein sollen !

Auf dem vorsprinj^renden Soller steht als Zuschauer der Kaiser und eine zweite Person, in der wir der Legende zufolge die Kaiserin erkennen müsstcn. In seiner hohen Pelzmütze mit aufgeklapptem Rande schaut Maxentius herab, und erhebt die Hände staunend über das Wunder, das sich drunten so unerwartet und blitzschnell vollzieht Dort sind die beiden nach dem Rat eines Höflings ge- bauten Rftder mit eiseroen Hakm auf dem Rande so dicht bei ein- ander au^estellt, dass zwischen ihnen nur ftr das Opfer der Ghrau* samkeit Platz bleibt Das Eine vor ihr, das Andere hinter ihr, in entgegengesetzter Richtung gedreht, sollen die Heilige zerfleischen. Katharina steht gefiust zwischen den furchtbaren Werkzeugen, mit betend erhobenen Händen den Blick gen Himmel richtend, ganz in Profil nach rechts. Ihre schlichte Gestalt ist ganz die selbe geblieben, wie auf den vorigen Bildern; denn durch den Schutz des Höchsten haben ihr Hunger und Kerkersnot nichts anzuhaben vermocht. Die beiden Knechte, die die Räder drehen sollen, haben in voller Tätigkeit alle Kraft angestrengt. Um dies recht anschaulich zu zeigen, sind die Maschinen gegen die vordere Ecke des Bildes zu in schräger Linie aufgestellt. So sehen wir den am Vorderrade nach innen drehenden Mann zur Hälfte nur durch die Speichen hindurch; aus- schreitend und vomflbergebeugt setzt er die ganze Wucht des Körpers gegen die Kurbel, wahrend das rfickwArts bleibende Bein sich hebt und die Zehen gegen den Boden stemmt So ist im Vordergrund links filr den Arbeiter am Hinterrade Raum, ebenso nacfadrflcklich seine Stärke zu ent&lten, indem wir ihn von vom sehen. Er tragt

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I

44 I>EK RETTENDE EnGEL

nur einen hemdartigen Kittel, die Beine sind nackt; ausschreitend vornüber gebeugt umspannt er mit beiden Fäusten die Handhabe und setzt das schwere Rad in Umschwung, ohne hinzusehen, wie die Eisenhaken fassen. Aber die stalbewerten Radreifen zersplittern wie Glas, ehe sie Katharina berüren, die zerhackten Klötze fliegen den Zuschauern an den Kopf, dass sie entsetzt davoneilen oder ge- troffen zu Boden stürzen» und der grausame Anstifter des Ganzen ist selber geriditet. Dies Wunder ist das Werk eines Engels, der in hastigem Flug aus der Höhe hemiedenchoss und mit himmliscbem Sdiwerte das menschliche Machwerk zerschlug. Wie der Blitz fiUrt Sehl Stab herum; denn am Hinterrad ists geschehen, wahrend er schon das Vorderrad straft, und iast senkrecht stOfiSt er aus der Luftregion auf sein Ziel.

Diese Durchbrechung der Naturgesetze zeigt auch den Wider- spruch, in dem sich der Maler zwischen seinem Gegenstand, der Wundcrlogonde, und seinem künstlerischen Wollen, der wirklichkeits- treucn VeranschauHchun^^ betindet. Der Kngcl ist, soweit er menschlich gestaltet werden konnte, vorzüglich in der Augenblicksbewegung erfasst: beide Arme strecken sich, das Schwert haltend, vor, das Antlitz blickt auf den Zielpunkt, während die rückwärts wehenden Haare die Schnelligkeit und Riditung der Bewegung eikennen lassen; aber an den Achseln spannen sich Flflgd in horizontaler Haltung, zur Hemmung des Fluges immefhin, und der Kleider- rock vom Gflrtel ab nimmt niederfiUlend die Gestalt eines Blumen- kelches an, dessen Randapfel auf die Seite aberklappt Erst wenn man sich klar macht, was in Engelserscheinungen solcher Art in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts oder im ersten Viertel vollends geleistet worden, leuchtet die Külinheit des realistischen Strebens ein, und stellt sicli dieser Versuch in Rom in die Reihe von Masaccios Engel der Vertreibung aus dem Paradiese und dann des Picro dei Franceschi in Arezzo beim Zelt des Kaisers Konstantin ; d. h. er erscheint als Abkömmling noch der Engel, die S. M. della Neve gen Himmel tragen auf dem Altärchen Martins V. und als Abwandhing der Teppichhalter am Tron S. Annans selbdritt, noch ohne den Versuch, auch die untere Hälfte dieser Luftbewoner mit menschlichen Gliedern auszustatten, also auch wol zeitlich denen der Mflnchener Madonna naher stehend, als dem Racheengel der Bran- cacdkapelle; Die beiden Henkersknechte v<dlends sind in ihrer an- gestrengten Bewegung so entschlossen und auft-ichtig der Wirklichkeit nachgebildet, dass sie auf Grund vorhandener Beispiele bis 1428 nur dem Masaccio zugetraut werden können. Masolino hätte sich in un- mittelbarem Wetteifer mit Masacdo selbst abertreffea mOasen, wenn

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1>IE HEHltERSRMEClrrfi

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er sie nach der Rfickker aus Ungarn gemacht haben sollte^ und hat noch 1435 im Baptisterium zu Castiglione, selbst in den Genre- figuren der Taufe oder dem Schliefser des Gef^gnisses keine ähn- liche Kenntnis der Natur zur Verfügung. Er vermeidet derartige Körperhaltung^ überhaupt in verkürzter Ansicht zu zeigen, oder be- weist mit einem Versuch, wie die Täuflinge, wie weit er in solcher Kunst zurückgeblieben war. Dagegen müfste man nach der Wal und Wiedergabe des Modells, besonders bei dem vordem Gesellen mit nackten Beinen schon auf Masaccio schlieisen, weil dessen Tor- wächter in der Cappella Brancacci so auffallende Aehnlichkeit besitzt» dals man nur an Benutzung einer und derselben Studienreihe denken kann, weil der Wnnsdi, den feierlich gewandeten Aposteln und ihrem hehren Meister einen derberen Gesellen als Kontrast auch schon im Anzug gegenober zustellen, wol kaum zur Genflge erklärt, weshalb der ZoUeinnemer grade dieser barft&ige. Bauemjunge sein muls statt ^nes mehr oder minder soldatisch uniformierten Doganiere» dessen amtliclie Abzeichen jeder Verwechslung mit einem Bettler oder Facchino vorgebeugt hätten.

Nach der selben Seite sinkt die Wage der Entscheidung zwischen Masolinos und Masaccios Anspruch auch bei der Abwägung des letzten Bildes der Katharinenlegende, wo das Ende der Heiligen dargestellt wird. ') Die KompositicMi rechnet wieder genau mit dem Ort der gegebenen E"läche, an dritter Stelle der untern Reihe, indem sich die Handlung möglichst aus der Ecke neben der Altarwand nach links zur Mitte der Wand hervordrängt, und die rechte Seite fbr die Andeutung eines Schauplatzes verwendet, der &st nur dazu au^^beutet wird, um Raumtiefe zu gewinnen und Luft zu sdia£fen ftr das fireie AusIdingen, so dafo eine neutrale Fermate auch dem Inhalt der anstofsenden Altarwand keine Konkurrenz macht Aus einer Oden unbebauten Ebene steigt plötzlich die steile Wand eines oben abgeplatteten Felskegels auf und schliefst hinten die Ecke: es ist das letzte Ziel, der Berg SinaL In diagonaler Richtung zu diesem Felsen entfaltet sich links vom, in strenger Sachlichkeit die Katastrophe des Heiligenlebens. Eine Reihe römischer Soldaten sind aufmarschiert und halten ihre langen Schilde, von der Form eines halbrund gebogenen Rechtecks, vor den Leib, dafs nur unten die Füfse, oben die Köpfe hervorsehon. Die Vorderen markieren das Halt! Stillstehen; nur der Flügelmann rechts mufs den Ein- dringling aus der zweiten Reihe, der die Front durchbrechend seine Neugier oder Teilname nicht zu halten vermag, zurQdcweisen,

<) Vgl. noflm TkM V, c).

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Enthauptung Katharinas

während er solbst mit vorgestreckter Faust wie der Fürer links schon den Daumen hält: polHce verso. Denn der Scharfrichter fört soeben den Streich, der das Haupt der Heiligen vom Rumpfe trennen soll. Diese Soldatonauj^en sind auf das (ielingen mit einem Schlag gerichtet; aber auch Erschütterung macht sich bemerkbar, als bebte diese geharnischte Mauer, nicht vom Andringen der Masse allein. Scliräg aus der linken Ecke in das Bild hinein kniet mit betend zusammengelegten Händen vornübergeneigt die Heilige, geduldig den Todesstreich erwartend, während der Henker, der ihr soeben den Kopf niedergedrückt hat wie er ihn haben will, die Linke mit offener Hand noch abwärts streckend, nun aus der Tiefe heraus- schreitend mit der Rechten das Schwert vom Rflcken beraberschwingt Im Zusammenwirken der Glieder sehen wir die Wucht des Hiebes, als müfsten wir das Sausen der Klinge vememen. Droben in den Lüften wird auch die Folge dargestellt. Ueber der Hügelreihe schwebt ein Engel mit der Seele der Märtyrin gen Himmel; auf der Höhe des Berges Sinai senken drei Engel den Körper der Toten in einen Steinsarg, wo Tyrannenwut ihn nicht entweihen wird.

Doch diese beiden Momente der Erzälung bleiben auf dem Bilde ganz in weiter Ferne, nur als Andeutungen für die Phantasie, Die Entliauptung vorn ist dem Maler die Hauptsache. Und wir kennen diese unumwundene Art. Bei Spinello Aretino, der den Tod der Kaiserin bei der Massenhlnrichtung des Porphyrius und seiner Krieger abgetan hatte, steht der Auslieferung Katharinas an den Scharfrichter der Moment nach der Vollstreckung gegenüber. Das Haupt ist gefiülen, das Schwert wird in die Scheide zurfickgestolseD. Hier in S. Gementa war diese Dantdtung fbr das Ende der Kaiserin gewält, gerade oberhalb dieser letzten Scene, der de xeitlidi un- mittelbar vorangeht. Für die HauptpeiBon mufste zum Abschlufs das stärkere Mittel, der Vollzug selber versucht werden, hinter der das Schicksal der Königin nur sekundäre Bedeutung erlangen durfte, also in so naher Parallele sich wolweislich unterordnet. Wer aber die physische Anstrengung der Raddreher so sachgemäfs und augen- fällig vorgefürt hatte, konnte auch hier vor der Schwierigkeit, die andere Kunstgenossen umgiengen, nicht mehr zurückschrecken. Und er mochte sie wagen eben auf Grund jener Modellstudien, aus denen auch sein Scharfrichter hier, der selbe gedrungene Geselle wd un« mittelbar erwachsen ist Etwas seltsam Ist nur der wehende Zipfel des leichten, hemdartigen Kittel^ dessen Saum sich straff Aber die nackten Schenkel zieht, wie es plastische Darstellung nur wfinschen kann. Wir finden aber die selbe Beobachtung genau so, nur passend verkfirzt vom Rücken gesehen, in der Enthauptung Johannes des

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t*ISANER I^REDELLA IN BERLIN

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T&ufers wieder, die Masaccio urkundlich 1426 f&r S. M. del Carmine in Pisa geliefert hat Die Ftedella in Berlin enthalt auch bei dieser Scene wie der Kreuzigung des Petrus die nämlichen römischen Soldaten, die mit ihren Sdiilden Front machen zur Absperrung der Richtstätte und zur Wehr gegen das fallende Opfer selbst. Die markige Kflrze des Prooesses, die männliche Geradheit, die m Kern der Handlung unumwunden zu Leibe geht, ist durchaus charakteristisch für Masaccio, bei dem die nämliche Sinnesart hervorbricht wie bei seinem FVeund und Lehrer Filippo di Scr Brunellesco in Abrahams Opferung des Sohnes oder bei Donatello zu jeder Gelegenheit. Es ist darnach wol wenig zutreffend, nur so schlechthin von i besonders zierlichen Kompositionen und isentimcntalen Fignren der Katharinen- bilder« zu sprechen, wie es WickhofF beliebt, der mit kurzen Worten Ober diese ganze Freskenreihe wegeilt, um sie zu den HaiiptstQdcen der Brancaccikapelle »mit ihren majestätischen Figuren und den grolsartigen aber wuchtigen Grruppen« in möglichst unvereinbaren Gegensatz zu stellen.

Unsere Analyse ihrer unveränderten Bestandteile, besonders ihrer perspektivischen Raumdarstellung im Sinne Brunelleschis und ihrer plastischen Gestaltenbildung im Sinne Donatellos, hat unlaug- baren Zusammenbang mit den Ldbtungen dieser Art in der Brancaccikapelle ergeben, die als Masacdos Eigentum völlig un- bestritten dastehen. Sie hat von den KostOmiiguren bei der An- betung im Tempel bis zu den Soldaten bei der Enthauptung Katharinas auf das bestbeglaubigte Altarwerk von Pisa hingeflkrt Üaneben ward auf der andern Seite die AehnUchkeit mit MasoUno kdnesw^s ausser Acht gelassen. Nur waren es &st immer seine erst 1435 entstandenen Malereien im Baptisterium von Castiglione, die zur Vergleichung herangezogen werden konnten, und hierbd musste doch immer die Möglichkeit offen bleiben, dass Masolino vor dieser späten Arbeit noch bei seiner Rückker aus Ungarn sowol die Kapelle in S. demente zu Rom als auch die Fresken Masaccios in der Brancaccikapelle in Florenz kennen gelernt und verwertet hatte, soviel irgend in seinen Kräften stand. Nicht an die zarten gliederlosen Gewandfiguren der Deckenbilder des Chores, sondern an die Herodias und Salome oder an die Engel bei der Taufe erinnert hier in Rom die Katharina. Besonders die züchtig bittende Toditer hat d<Mrt Admlichkät mit der Kitaiigstoditer von

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£rG£BKIS

Alexandrien hier, aber die kleinbrQstigen und kurzarmigen Hof- fräulein daneben oder die Idealfiguren der oberen Bilder bleiben doch hinter ihr zurück. Nur das j^rosse Schlussbild im Baptisterium kann als Ganzes der Legende Katharinas in S. demente zur Seite gestellt werden, und grade die Entwickelung des Malers, die sich im Baptisterium nach der Art der Scenen vor unsern Augen gleich- sam vollzieht, widerstrebt einer andern chronologischen Ordnung, die uns etwa ermöglichte, demselben Maler Masoiino auch die Fresken in Rom beizumessen.

Dies letzte Wandbild mit der Beststtung des enthai^iteten Täufers im Hintergrunde steht ungefibr auf der nämlidien Kunst- Stufe wie die Katharinenbilder, wenn man sie im Allgemeinen Ober- blickt» den schlichten und sanften Ton der Eraalung heraushört und den naiven Sinn, 'mit dem die Zutaten der frommen Legenden- phantasie weitergeftlrt werden, selbst wo der Wirkliddcdtsdrang' daneben schon auf drastische Wiedergabe ganz anderer Dinge ausgeht. Mit den jugendlichen £rscheinungen des Johannesleb^is haben diese Geschichten Katharinas auch den sogenannten »senti- mentalen Zug gemein, den man neuerdings in ihnen gefunden hat, der aber wol kein anderer ist als bei Fra Giovanni Angelico da Fiesole, sonst jedoch wenig \'erwandtschaft mit dem Anschauungs- kreis des weltfremden Mönches aufweist. Jedenfalls aber kann von diesem Teil des Freskenschmuckes in S. Clemente nicht behauptet werden, dass sein Urheber »sich ganz der Kompositionsweise, der Behandlung u. s. w. der veronesischen Schule gefangene gegeben habe. Denn der einzige vermeintliche Beleg Ihr einen Zusammen* hang mit Fisanello, den man in einer einzelnen, grade als solche neben- sachlichen KostQmfigur des ersten Bildes gesucht hat, ersdiemt als anachronistisches Qui pro quo und wird durch die Bdhandlungsweise dieses ZeitkostQmssdbst widerlegt Dagegen ist die Kenntnis der Dar- stellung der Katharinenlegende von Spinello Aretino auf dem Land- dtz der Alberti in AnteUa bei Florenz durch gelegentliche Reminis- cenzen ebenso erwiesen, wie die vollständige Umwandlung des künst» lerischen Strebens im Flinzelnen und im Ganzen, d. h. die floren- tinischc Herkunft dos Meisters, aber auch seine Stellung unter den Zeitgenossen im Verhältnis zur wertvollsten Tradition der Giottoschule klar bestimmt. Der Gegensatz gegen einen Letzüing des Trecento kann um so weniger verwundern, als der Maler von S. Clemente der ersten Generation des yuattrocento und zwar dem engsten Kreise der bahnbrechenden Neuerer wie Brunelleschi und Donatello angehört Für die persönliche Bezidiung zu dem Ersteren und den Anteil an dem Fortschritt in der eigenen Kunst zeugt

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Masaccio oder Masouno 49

nicht allein das Studium der antiken Bauwerke Iii Rom, und zwar in seinen Anfingen noch mit mangelhaftem Verständnis fttr die Konstruktion oder unzur^cfaender Uebuhg im Erfiusen und Wieder- geben der Einzelibrmen, sondern daftr zeugt auch die perspektivische Zeichnung des Raumes, die konsequente Rechnung mit dem Stand- punkt des Beschauers und die damit zusammenhängende Disposition der Bilderreihen. Aus diesen Grundsätzen ergiebt sich überall die Komposition und Oekonomie der einzelnen Darstellungen. MOg- lichste Vereinfachung der Fabel, Beschränkung- auf die entscheiden* den Hauptzüge der Handlung und auf bescheidene Personenzal bog-ründct auch den sonstisren Charakter des figfürlichen Aufbaues. Dieser ist übersichtlich und locker, in zunemendem Mafse vom plastischen Interesse für die Selbständigkeit beherrscht. In der sorgfältigen Durchbildung der kühn bewegten, voll ausgerundeten, in mancherlei Verkürzung gezeigten Körper, die in der zweiten Hälfte der ßilderreilie hervortreten, erkennen wir den Einfluss des Donatello und seiner Gesinnungsgenossen. Diese Energie des kflnstlerisciien Wdlens» der Sinn f&r dramatische Handlung und wirksame Kontraste, die Wal des entscheidenden Momentes, die nur mit Hfilfe entschlossener Bewältigung schwieriger Aufgaben die realistische Wahrheit erreichen konnte, Alles das widerstrebt dem Naturell Masolinos ebenso stark, wie es mit dem Charakter Masaoctos flbeizeugend und unveräusserlich zusammengehört ioweit wir ihn beglaubigten Leistungen oder flberlieferten Urteilen bei Zeit- genossen und Nacfafolgem entnemen können. Endlich besteht zwischen dem ganzen Freskenschmuck der Kapelle des Kardinal Branda in S. demente und seines Baptisteriums in Castiglione d'Olona noch ein wesentlicher l'^nterschied, der uns über die Un- möglichkeit der versuchten Personalunion zwischen beiden Malern belehren sollte. Die Fresken im Baptisterium zu Castiglione sind ohne Rücksicht auf die architektonischen (iränzen der Wände beliebig um die Ecken in die Fensterschrägen u. dergl. herum- gemalt, mehrere Scenen auf einer Wandfläche garnicht durch Ein- ramung von einander gesondert, sondern die Momente der Erzälung gehen in einander über, grade wie bei Lorenzo Ghiberti an der Porta del Paradiso oder bei Fra Filippo im Chor des Domes von Prato oder in Tod und HimmeUart Marias zu Spoleta In S. Qemehte herrscht fibenül klare Gliederung in vorbedachter Verteilung des Stoffes, umerlichste Selbständigkeit der Bilder bei bescheidenster Abtrennung, selbst ohne lineare Bezeichnung der Gränze, wie zwischen Bekerung und Tod der Königin. Wenn auch hier zwei Momente der Erzälung in einem Ramen vereinigt werden, wie SchmAriow, MaawQo^tttdieo IV. 4

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Ergebnis

man es bisher gewont war, so treten hinter einem Hauptvorgang die Nebenmomente entschieden zurflcl( als Andeutungen der Folge,

wie beim Martyrium Katharinas ihre Bestattung, oder es ist der zweiten Scene in kleinerem Mafsstab sogar ein eigener Ramen eröffnet, wie beim Flammentod der Philosophen, so dass sie wie mn Bild im Bilde wirkt und dafür angesehen worden. Immerhin mögen diese verschiedenen Versuche, die strengere Disciplin auf- recht zu erhalten, auch wo die verlangte Er/ülung und die ererbte Gewonheit sich widerspänstig erweisen, als ebensoviel Kennzeichen eines noch ringenden, innerlich noch nicht ganz mit sich einigen Künstlers gelten, der seine Prinzipien mit dem Zeitgeschmack aus- einander zu setzen trachtet. Von der saloppen Nachlässigkeit, von dem unüberlegten Sichgehenlassen Masolinos sind sie weit entfernt. Wie wenig GefiU ftlr gegebene Raumgliederung jener besaas^ erkennt man auch im Widerstreit seiner Deckenbilder gegen das feste Rippensystem der Chorwölbung, das er im lombardischen KircUein von Castiglione vorfend, einen Widerstreit, den er durch seine per- spektivische Architekturmalerei ledigüdi selbst verschuldet hat. Bei ihm zeigt sich noch am Ende seiner Tätigkeit, soweit wir sie bis 1435 verfolgen können, eine Unsicherheit des Verfarens, eine Ver- mengung unverträglicher Bestandteile, wie flüchtig andeutender Idealfiguren und sorglich konterfeiter Kostüme mit Bildnisköpfen, ein Mangel an gleichmässiger Verarbeitung und harmonischer Klar- heit des Stiles, ohne dass man absieht, wohinaus sein eigenes Streben eigentlich will, und dass man zweifelt, ob überhaupt bewusstes künst- lerisches Wollen zu Grunde liegt. Ungleichmässigkeiten und Un- vollkommcnheiten, »die Zweifel der noch unerreichten Selbstbe- mdsterung« sind auch in S. Demente fülbar ; aber daneben offenbart sich flberall ein energischer Geist, der in schnellstem Fortschritt wd SU schwanken schdnt, aber genau weiss, wo sein Ziel liegt und welche Federungen uch aus der strengen, man mödite sagen wissenschaftlichen Grundlage «einer Arbeit ergeben. Die Worte Vasaris Ober Masaccios Bemtlhen »seguitando sempre quanto e* poteva le vestigie di Fllippo e di Donato ancorach^ l'arte iusse diversac sind so zutreffend für die Katharinenbilder in S. Clemente, dass sie fast wie Bemerkungen Michelangelos an dieser Stelle klingen.

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14 DIE AMBROSIUSLEGENDE ^

Wohinaus dieser Maler will und wie er den Fortschritt zum monumentalen Stile im Sinne des Realismus sucht» das beweisen die Qbrigen Wftnde dieser Kapelle, in denen z. B. die Nebenmomente schon vollständig beseitigt sind, während doch der Stoff für die gegenüberliegende Seite noch eine durchaus v^wandte Erzälung aus der Heiligenlegende diirbot.

Die Ausscnmauer, zur Linken vom Altar, ist durch ein Fenster, das später noch vergr^ssert wurde, in der Mitte durchbrochen. Es war also nicht möglich, die Wand mit dem Rilderschmuck der andern zur Rechten völHp ins Gle it hg^ewicht zu setzen. Dennoch sind auch hier im Bogenfelde zwei, im untern Wandstreifen drei Abschnitte vorhanden, nur dass unter dem Fenster das Mittelstück nicht für eine gleichwertige Figurenkompoation brauchbar wurde und, schon des ungQnatigen Lidites wegen, von der ErzAlung aus- geschlossen blieb. Dennoch verwertet es der Maler nidit zu dekorativer FOllung, sondern, wie wir sehen werden, za möglichster Betonung räumlich-kOtperlidker Gesetze, die das Gef&l des Gleich- gewichts und sichern Bestandes an Ort und Stelle verstärken, und so die Wiricung des Fensters darüber, die der Tiefenanschauung in den Bildern widerstretten könnte, durch Gegenmittel wieder auf- heben.

Die beiden Darstellungen neben dem ursprünglich schmäleren und jTotisch zug-espitzten Fenster benutzen aber ebenso die Licht- zufuhr und den Eindruck der Luftigkeit in der Höhe. Beide Bilder des Rogenfeldes sind aus einem Centrum konstruiert, das in der Mittellinie dieses Fensters Hegt, bilden also die Hälften eines Ganzen, das durch die Raumbildung der Kapelle selbst gegeben war, und bezeichnen so im Anschlues der Wandmalerei an die Architektur einen bewussten Fortscliritt über die Gliederung des gegenüber- liegenden Bogenfeldes der Katharinenlegende'). Ebenso kann im Aufbau der Massen innerhalb dieser pefspektiviscfaen Konstruktion des Raumes nicht unbemerkt bleiben, dass die Höhepunkte der Figurengruppen beiderseits nach derselben Mittelaxe gravitieren

Sie sind von Ad. Braun & Co. leider in verschiedenem Mafsstab photographiert worden und die nntern Bilder der Fensterwand wol wegen ihres Erhaltungszustandes ftberlunqit mggdumo. AUimii liat von den Letst«m ndi mir «ins •«^»iioibiimii. Vgl. tmtere AbUldungeii nidi den Stichen Labrauis. Taf. VI o. VIL

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t)AS BlENENWUNDEK

und dcfa symmetrisch zum Höhenlot des Fensters als ihrer gemein* samen Dcmiinante empcu'gii^ln. Damit amd abermals Gesetze d^ Raumkunst im Sinne monumentaler Beharrung für die Wandmalerei gewonnen, die wir an der Altarwand der Brancaocikapelle im untern Bilderpaar von Masaccio wieder befolget finden.

Die erste Hälfte des Bogenfeldes links vom Fenster ist der Namenserklärung des kleinen Ambrosius gewidmet, wie die Legenda aurea sir p^rn voranschickt: Sicut dicitur in Glossario: ambrosia = esca angelorum; ambrosium = coeleste mellis favum^ , so kam, als das Knählein in der Wiege lag, ins Atrium der väter- lichen Praetorwonung ein Bienenschwarm hereingeflogen, setzte sich auf das Antlitz und in den Mund des Kindes und flogen aus und ein wie bei der Honigarbeit, zum Entsetzen und Staunen der Wärterin, aber nur um friedlich himmelwftrts zu versdiwinden. Wenn das Kind am Leben bleibt, sagte der Vater, muss etwas Grosses aus ihm werden. Diesen Auftritt zeigt das Gemälde, nur sind die Bienen von unverständiger Restauratorenhand verloscht und achtlos fibermalt, so dass der Sinn rätselhaft wurde, und die Bewundrung der Leute ebensogut auf. die Kindlieit der heiligen Katharina oder des heiligen Clemens gedeutet werden konnte. Wie der Göttertempel beim ersten Auftreten der Königstochter von Alexandrien, ist hier eine selbständige Architektur hinter dem Bogen- rande autgestellt, so dass die Kurve des Ramens uns einen Teil des symmetrischen Ganzen verbirgt. Wir blickon durch zwei Arkaden der offenen I.oggia eines Palastes. Die völlig ausgebildeten Formen der Frührenaissance: kurze glatte Säulen auf attischen Basen, Halb- kreisbögen auf Blätterlcapitellen, Rundmedaillons in den Zwi<^eln, mit quergespannten ScheidbOgen dahinter, die auf vortretenden Pfeüercfaen oder leichtem Wandstfick ruhend an der Rflckmauer l^en, kassettierte Holzdecke u. s. w. bestätigen den Fortschritt des Malers auf dem Wege BruneUeschis und die Kenntnis des inzwischen erdachten florentinischen Baustiles, der in Masacdos GemAlden fest eher fertig vor Augen gestellt wird, als wir ihn in wirklicher Aus- ftrung an Bauwerken nadizuweisen vermögen. Der Geburtstags- tdler im Berliner Museum mit seinem £inblick in den Palasthof mag als schlagendes Beispiel neben diesem Fresko in S. demente genannt werden.

Die perspektivische Ansicht des oberen Stockwerkes bis hinauf zum luftigen Söller hat noch weniger Bedeutung als drunten die Richtigkeit des Verhätnisses zwischen der Halle und den darin stehenden Figuren. Die hohen l'Vauen, die zur Rechten eingetreten, in frommer Verwundrung zu Häupten der Wiege auf das Kind

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Wal zum Bischof von Mailand

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herabschauen, reichen allerdings mit ihren Köpfen bis ans Kapitell der Säulen ; aber die Bescheidenheit der TT^'ihendimensionen ist charakteristisch für die Architektur der Frührenaissance in ihren Anfängen, besonders in der Privatwonung. Besser schon stehen die Männer zu Füssen der Wiege, wol der Vater, als Praetor in reicherem Gewände, und der Arzt, den er herbeigerufen, beide mit dem Capuccio auf dem Haupt. Besonders der bartlose Mann in seinem schlichten aber stofüreichen Gewände, mit dem offenen Mantel, der auf der Schulter befestigt die Rechte frei ISsst, ist in seiner ruhig zuhörenden Haltung so einfach und gross erfiust, so sidier hingestellt, dass er wieder vollauf f&r Masacdo zeugt Was der weise Mann dazu sage, möchte nicht nur der verbindlich erzftlende Praetor aus seinen Mienen erraten, sondern auch die Frau erlauschen, die an der Wiege sitzt, mit dem Fächerfähnchen wedelt« aber mit offenen Augen und I-ippen am Munde des Doktors hängt. Der kleine Heilige, den sie schaukelt, lässt sich durch den Besuch seines Honigmundes und dessen Vorbedeutung nicht stören in seinem gesunden Schlaf. Desto selbstbewusster soll er später, wie sogar die Legende ihm nachsagt, von der Schwester, die \oii seiner hohen Bestimmung nichts ahnte, schon als Knabe den Handkuss verlangt haben, mit dem sie den Priester verehrte.

Die Wal des Laien /um Biscliof von Mailand wird uns in der andern Hälfte des Bogenfeldes rechts gezeigt. Der Laufbahn des Vaters folgend wird Ambrosius vom Kaiser als Praetor in die Ftovinzen Ligurien und Emilia geschickt und kommt, da in Mailand Zwisdgkdten zwischen KaAoliken und Arianem wegen der Bischo&- wal entstehen, zur Beruhigung des Aufttandes dortbin. Sofort be- grüsst ihn ein Kind mit lauter Stimme als Bischof, und die streitenden Parteien vereinigen sich auf seine Person.

Wie sich im ersten Bild der Einblick in die Halle eröffnet und die Architektur des Palastes von der Seite gesehen nach der Mitte emporsteigt, so schauen wir auf dieser Seite schräg in das Mittelschiff einer altchristlichen Basilika liinein, und zwar dem Standpunkt des Besuchers entsprechend von rechts hinauf bis an die Fcke des Triumphbogens und der Apsiswölbung. Auf hohen Säulen mit gradem Gebälk erhebt sich der Lichtgaden mit seiner Fensterreihe, und durcli die Zwischenräume der Marmorschäfte wird das NebensciiifF mit dem Bogen des Querliauses, mit schmalen Fenstern über kräftigem Gurtgesims der Umfa.ssungsmauer und mit einer Seitentür sichtbar, bei der sich die Breite des Langhauses zu verdoppeln scheint. Aus der sorgfältigen Nachzeichnung Labruzzis am An&ng unsers Jahrhunderts ist noch deatltdier, als aus den

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Kaumkunst Masaccios

vielfach entstellten Ueberresten der Malerei selbst, zu erkennen, wie kflhn diefer Inneniaum aufgerissen und perspektivisch durchgeftürt war bis In die LichtArung hinein, ohne dass wir angsdlcfae Nach- anmng aller Einseiformen eines rOmiscben Originals erwarten dOrfon. Ohne Zweifel war dieser Prospekt aber nach dem Vorlnld einer der Basiliken mit gradem Giebälk entworfen, sei es S. M. Maggicne, mit dem die Aehnlicfakeit heute noch einleuchtet, sei es die zerstörte Petersldrche oder die verbaute, von Borromini ganz veränderte Form von S. Giovanni in Laterano. Am Triumphbogen drinnen, wo ein Engel in Mosaik erscheint, wie an der Aussenseite links, wo der Maler sichtlich phantasiert, wird die Studie nach Bedürfiiis des Bildes freier abgewandelt.

In diesem Kircheninnern schreitet vom Chore kommend, der junge Praetor Ambrosius durch die Menge daher, mit erstaunter Gebärde über das Ansinnen, das in dem Ruf des Knaben an ihn gestellt wird. Nicht nur der Kleine weist mit dem Gruss »Ambrosius Episcopus« auf ihn hin, sondern vomeme Bürger treten auf ihn zu, Geistlidie drflngen sich, ihm ins Antlitz zu schauen, oder bestOrmen sein Ohr mit inständiger Bitte, wflhrend stttwSUts eine Kriegerscfaar, die Vertreter der arianiscfaen Herrn des Ijindes, in voller Rüstung eingedrungen sind, aber ruhig dastehend in diesem Augenblick bereit scheinen, das Schwert in die Sdidde zu stecken, sobald Ambrosius zustimmt, ihr Bischof zu werden. Die reckenhaften Longobarden sind Gestalten wie Donatellos S. Giorgio, und haben durchaus nicht Ihresgleichen in Castiglione d'Olona, sondern nur unter den Täuflingen der Cappella Brancacci, während Ambrosius im Auftreten wie im Gesichtstypus auffallend an den Christus Masaccios inmitten der Apostel erinnert, und an die Vera Ikon in Empoli oder auf dem Tabernakel in Bremen ebenso eng anschliesst, wie an die Erscheinung des Gottessohnes auf dem Altärchen Martins V. aus S. M. Maggiore.

Leider haben grade diese oberen Bilder, die der Feuchtigkeit besonders ausgesetzt sind, um so mehr gelitten, als man äke neuer- dings abgelöst und auf Leinwand gezogen hat, um sie nicht ganz dem Schidcsal preiszugeben, das die unteren schon froher ereilt hat Soviel alter ist auch heute noch (schon aus den Photographieen von Braun) erkennbar, dass die Lichtf&rung sich in beiden Bildern ebenso nach dem Fenster in der Mitte richtete, wie ilure Komposition und ihre Bühne sonst, d. h. dass im ersten die Beleuchtung von rechts, im zweiten von links einföllt, ein Vcrfaren, das wir ebenso bei Masaccio an der Altarwand der Cappella Brancacci, wie ttlierail in seinen Wandgemälden daselbst beobachtet haben.

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Untergang des Übermütigen

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Die untere Reihe ist allerdings von Uebermalung- niemals so heimgesucht worden, wie die obere oder gar die Katharinenlcgende; desto stärker jedoch haben feindliche Elemente zu ihrer Zerstörung zusammengewirkt und kaum mehr als Schatten zurückgelaaaen. Ausser der Komposition und den Hauptzügen der Zeidmung, die man mit Hülfe der Stiche Labnizzis noch entziffert, können nur wenige Farbenreste noch eine Ahnung von ihrem urspranglichen Aussehen gewftren. Die Aufiiame des einen Bildes» die neuerdings Alinari erreicht hat» erweckt wenigstens die Hoffnung, dass es möglich wäre^ durch die Photographie die wissenschaftüdi verwert- baren Resultate zu erzielen, wie es auch mit den WandbÜdem im Qior zu Castiglione gelungen.

Zur Linken ist nicht, wie man gemeint hatte, eine Ueber- schwemmung in Alexandrien dargestellt, derentwegen ein junges Mädchen von Labruzzi als hl. Katharina angesehen und durch einen Nimbus ausgezeichnet worden, den das Bild nicht aufweist. Wir haben auch keine Seena aus dem Leben des hl. Clemens vor uns, sondern vielmehr, wie Wickhoff nachgewiesen hat. ein Erlebnis des hl. Ambrosius. Auf einer Reise nach Rom war er in Tuscien irgendwo im Hause eines reichen Mannes eingekert und glänzend bewirtet worden. Auf die Nachfrage des Gastes hatte der Hausherr seinen Ueberfluss gepriesen und sein nie getrQbtes Glück so blind- lings gerflmt, dass der Heilige entsetzt die Seinen zu schnellstem Aufbruch mante. Und siehe da, kaum hatten sie den Hof hinter sich, in dem keine Gottesfurdit mehr zu finden war, da erfiülte sidi schon die Ahnung des Strafgeridits. Die Erde tat sich auf und verschlang den Hochmütigen mitsamt seinen Gütern und all seinem Gesinde. Nur eine tiefe Grube bezeichnete noch die Stdle, wo sein prächtiges Anwesen gestanden war.

Auf dem Bilde sehen wir vom das Haus mit seiner offenen Pfeilerhalle im Boden versinken, aus dem die Wasserflut hervor- bricht und die doppelt überwältigten Bew^oner in die Tiefe hinab- reisst, während andre im obern Stockwerk befindliche Personen vergebens um Hülfe schreien. Keine Menscheiiliaiid vermag sie zu erretten, und so sehen wir auch den Heiligen mit seinem Gefolge zu Ross nur davoneilen, voll Grausen über das Verhängnis, dem sie selber entronnen. »Ein solches Elementarereignis darzustellen, war ein Wagnis«, wie Wickhoff mit Recht hervorhebt. Und wenn es mit den damaligen Mitteln der Kunst nicht vollauf gelingen konnte, so bleibt doch der Versuch beachtenswert, mit der Natur allein aus- zukommen. »Ein liialer der vorausgehenden Creneration würde die Scene durch dn direktes Eingreifen Gottes oder seiner Diener, die

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Konstitutives und Transitorisches

das Gebäude stürzen, versinnlicht haben ^, meint derselbe Kritiker. Wir können wenigstens daran erinnern, wie auch dieser Künstler bei der Rädening Katharinas zur Einfttrung eines Engels greift, den Überirdischen Ursprung der HiUe» den Bruch der Rader Ober- haupt als Wunder zu kennzeidinen. Die unheimliche Ueberraschung eines Erdbebens, der Ausbruch unterirdischer Gewflsaer erscheint auch im Mittelalter als etwas Anderes; es ist das dumpfe Walten der dira necessitas. Und dies Erlebnis des Ambrosius auf der Reise ist hier statt eines Wunders g^ewiss im Anklang an eigne Erlebnisse des vielgereisten Bostollers Branda Castiglione gewält worden, die als Walten der rächenden Nemesis gedeutet, wol kaum die Hand Gottes oder seiner Engel vertrugen. Unternimmt es der Maler, die (.icwalt des entfesselten Elementes selbst dar/.ustcllen* . so strisst er dabei ganz sichtlich auf einen Widerspruch mit seinem eifrigsten Bestreben, die dreidimensionale Räumlichkeit und Körperlichkeit anschaulich auch im Bilde vor Augen zu stellen. Das vomemste Anliegen dieses Realismus war, wie der Architekt Brunelleschi den zeitgenössischen KOnstlem demonstriert hatte, die Herstellung der konstitutiven Gesetzmässigkeit in strenger Konstruktionp die AufHditungr des Koordinatensystems und die Einordnung aller Körper in diesen Be- stand des umgebenden Raumes. Diese selbstverständliche Grund- lage aller Verhältnisse auf unsrer Erdoberflache macht sich grade dann am fülbarsten geltend, wenn die reditwinkligen Durchsdmddungen der Richtungsaxen uns sofort orientieren, wenn lotrechte und wage- rechte IJnicn sicher dastehen, wie im Bauwerk. Der Umsturz dieses festen Bestandes, wie er im Zusammenbruch eines Hauses, im Schwall des Wassers aus der Tiefe, im alles verschlingenden Abgrund des Erdbodens selber verlangt ward, nnisstc gr.ide dem eifrigsten Nachfolger Brunelleschis im architektonischen Denken des Schau- platzes am meisten zu schaffen machen, (irade ihm ward sein Koncept verrückt. Dennoch muss auch der kritische Betrachter des Geleisteten anerkennen, der entschlossene Realismus im Erfassen dieser Aufgabe sei »vorerst bedeutend genug«.

Warum aber legt er dcfa dann, angesichts solcher kuost- geschichtlichen Tatsache nicht die Frage vor, ob im bekannten Weric des Masolino^ den er für den Urheber hält, auch nur die ge- ringste Berechtigung vorliege, dies Wagnis auf seine Rechnung zu setzen, nachdem er in stinen vollendetsten Arbeiten im BapCisterium zu Castiglione den Fortschritt seiner Kunst auf völlig andern Wegen gesucht hat, und nach Allem, was wir sonst im Keim etwa ent- decken können, für solchen entschlossenen Schritt viel zu zahm geartet war.

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Die Reitergruppe

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vStatt solcher Erwägung weist uns Wickhoff auf die Grruppe von Reitern hin, deren Pfcrdo in starker Verkürzung von hinten gesehen werden, »eine Art der Darstellung, die uns aus den Werken des Pisanello und in einem besonders schönen Beispiele aus dem Revers seiner Medaille auf den griechischen Kaiser bekannt ist . Sie soll also den Einfluss des Pisanello beweisen. Statt dieses Hinweises auf eine Medaille, deren Porträt des griechischen Kaisers erst nach dessen Ankunft in Italien zum Koncil von Ferrara (März 1438) ent- standen sein kann, hätte es wol näher gelegen, an die Anbetung der Könige von Gentile da Fabriano zu erinnern, die solche vom Racken geseihene Reitergruppen, eine Bergstrasse hinansprengend, schon 1423 den Florentinern zur Schau gestellt hatte, und dabei audi Masacdos Darstellung des gleichen Cregenstandes auf dem Altarwerk für Fiaa. von 1426 nicht zu vergessen, deren Pferdegruppe in mannichfaltiger Ansicht schon Vasari bewundert Damit würden die Rosse in S. Clemente ihre natürlichste Beziehung erhalten, wenn die Erdung nicht schon an sich verlangte, das »voltar le spalle« zu veranschaulichen, das bei dem Hochformat des Bildes nur so erreichbar war. Von den Schlachtenbildern des Paolo Uccello, die WickhofF bei seiner späten Datierung der Kapelle hätte berück- sichtigen müssen, wollen wir absehen, sobald man uns nicht zumutet, die Fresken Pisanellos in S. Giovanni in I.aterano oder Medaillen vom Schluss der dreissiger Jahre als notwendige Anregungen für einen Maler zu betrachten, der im selben liilde die Neuerung ver- sucht hat, ein elementares Naturereignis so unmittelbar wie möglich vorzufüren und ohne Umschweif als brutale Tatsache wirken zu lassen, wie es hier ganz im vielbewArten Charakter Masaccios geschieht Eine Anzal Reiter in verkürzter Ansicht zu zeichnen, ist daneben jedenfalls eine erklecklichere Leistung als die ver- einzelten Bespiele eines ruhig f&r sich dastehenden Gaules, den wir bei Pisanello audi im Drachentoter S. Georg in St Anastasia zu Verona mit aller Sorgfalt fQr das Einzelne durchgefiürt sehen. Der Gruppe entfliehender Reiter hier in S. Clemente, die nur der Haupt- person, S. Ambrosius unter ihnen zuliebe, etwas nah erscheinen, reiben sich die mannichfaltig verkürzten Köpfe der versinkenden und schreienden Opfer des "Wasserschwalls durchaus im selben Sinne an. Wir halten demnach den Versuch zur malerischen Wiedergabe eines unentrinnbaren Untergangs durch Naturgewalten für eine Vorstufe zur Sintflut des Paolo Uccello im Chiostro verde von S»»- Maria Novella, deren Kntstehungszeit vor dem Bilde darunter mit dem Porträt des Delio, also vor 1446, gesichert ist Damit ist die Leistung

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S. Ambrosius auf dem Sterbebett

Masaccios in S. demente auch ihrer historischen Stellung nach im Gang der toskanischen Kunst rein sachlich bezeichnet

Nicht besser steht es mit der Begründung der Hypothesen Wickhofifs, wenn er im letzten Bilde der Ambrosiuslegende die Nachamung eines oberitaUenifdien Vorbfldes erkennen will. Wir wollen seiner sorgfiUtigen Beschreibung gern gerecht werden, indem wir sie vollständig, mit einigen Korrekturen in Klammem, hier aufhemen :

>In einem Gremach mit roten Wänden und einer Balkendecke [getäfelten Holzverschalung] steht das Krankenbett, mit dem Kopf- ende an ^e rechte Seiten wand angestossen, von der Rückwand des Zimmers aber etwas abstehend, so dass zwischen ihr und der Lang- seite des Bettes eine kleine Gasse bleibt. Von einer Eisenstange hängen die zurückgeschlagenen weissen Rettvorhänge herab. Der greise Heilige, der eine rote, hermelinbesetzte Kappe trägt, ist mit weissem Laken und grünem Wollenzeuge bedeckt. Rechts am Kopfende auf dem Antritt vor dem Bette [oder auf einem Kissen vor den Stufen der Bettstatt] sitzt ein junger, blonder Kleriker. Er trägt die Tonsur und ist mit einem rot und grün schillernden Ge- wände bekleidet. Wie er sich von Müdigkeit übermannt, schlaf- trunken doch noch aufredit erhält, ist meisteihaft wiedergegeben. Durch das Fussende [die Fusswandung] des Bettes dem Heiligen verborgen und durdi einen Vorhang von ihm abgetrennt (?) be- sprechen sich eifrig vier Männer, durch ihre Tonsuren ebenfalls als Geistliche bezeichnet, drei von nodi sehr jugendlichem Alter. Ueber ihnen an der linken Seitenwand des Zimmers ist ein Sdiränkchen angebracht, mit Gläsern besetzt, die so gut wiedergegeben sind, dass man ein zierlich geblasenes aus Murano^ mit flügelartigcn Henkeln und einem bunten im Bauche eingelassen on Medaillon noch wol er- kennen kann; daneben hängt der strohumtiochtene Fiasco . In der liinterwand zur Seite der Bettstatt ist eine andre Mauernische ebenso durch ein Brett geteilt. An der obcrn Abteilung liegen Bücher, in der untern aber steht das Christuskind, das Haupt mit einem Stralennimbus umgeben (auf dem Stiche Labruzzis über- sehen). Das kleine Figürchen neigt sich zu dem Heiligen hinunter. Ber aber schdnt mit weit geöffnetem Munde laut zu rufen«. Ich habe allerdings auf den Borten dieser Nische auch nur zu entdecken vermocht, wasLabruzzi gesehen, nämlich oben eine Apothekerscfaachtel und unten ein Stück Zeug, wie ein Taschentuch hingelegt ^) ; während

*) Avdi A I i na ri s neueste Photognpiliie fewlit keinen weitern Anhmh, aas Fteditn des ResUntntorpinaeU aoch mehr su entsiffem.

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EINFLUSS Veronesischer Kunst?

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mir der Fiasco stets als aufgehängtes Tönnchon erschien. Aber die Legende erzält freilich: als Ambrosius in seiner letzten Krankheit lag, hatten sich vier seiner Diakonen über den Nachfolger auf dem bischöflichen Stul beraten. Leise, so dass sie sich kaum selbst gegenseitig verstanden, sprachen sie den Namen des Simplicianus aus. Obwol nun der kranke Heilige entfernt ruhte, rief er doch sogleidi laut ans: >dn Grreis zwar, aber passend«, und nun sah der Sterbende Jesum auf sich zukommen und ihn freundUcfa anlächeln.

Ob der Kardinal Branda oder sein Maler diese Viaion mit hineingttiogen und sie in einem Wandscfarftnkcben zu winzigen Dimensionen verurt^t haben, ist doch ebenso fraglich wie die Ejüstenz des Christkindes, das Wickhoff an Stelle des Schnupftuches erblickt hat. Mir sdietnt der einzige Zeuge dieser Vision ausser dem Sterbenden, der wachende Kleriker auf dem Kissen vorn fordert schon eine andre Richtung für das Herannahen der Er- scheinung, wie etwa durch die geöffnete Tür des Nebenzimmer links, wo ein oberer Abschnitt durch die Erweiterung^ des Fensters ver- loren gejj^ungcn ist. Doch hören wir den Kritiker forttarcn:

»Das Schema der Komposition ist keineswegs vom Maler der Katharinenkapelle erfunden. Aber nicht in Florenz treffen wir die Vorbilder. Diesen sorgfältig durchgefürten Innenraum einer Kranken- stube mit dem grossen Bette kennen wir aus einem der Bilder der linken Wand der Kapelle S. Feiice im Santo zu Padua mit Wundern des Heiligen Jacobus von ComposteUa. und treffen ihn wieder im Turmgemache von S. Maria ddla Scala in Verona auf einem nodi nicht gedeuteten Cyklus. Wie allgemein anerkannt, rOrt die erste Bilderreihe von dem grossen Altichiero, die zweite, Aber 50 Jahre jOngere, von dnem Schttler des Vittcre Pisano her. Auf veronesisdie Kunst also werden wir gewiesen«.

WickhofF denkt hier offenbar sehr lebhaft an Masolino als »Maler der Katharinenkapelle in Rom«, der seiner Rechnung nach 14Z8 bis 1435 Oberitalien geweilt hat. also die genannten Werke gesehen haben könnte. Wir wollen nicht untersuchen, ob Masolinos Weg nach l'ngarn und zurück über Padua und Verona füren musste oder nicht; da die Reisen aber vor 1428 liegen, so dürfte das Vorhandensein der Malerei von eiiu ni Schüler des Pisanello, wie Stefano da Zevio, in S. M. della Si ala zu Verona, über fünfzig Jahre nach Altichieros 1375 begonnener Kapelle S. Feiice im Santo, kaum in Betracht kommen. Altichieros Schlafkammer im Santo zu Padua bietet aber so wenig Vergleichungspunkte dar, ausser der Darstellung eines ün Bette liegenden Hannes, und enthalt ausser einem Madonnenbilddien und einem Kleiderriegel so gar keine Aus-

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Florentinische Vorstufen

.Stattungsgegenstände . dass der Hinweis darauf sachlich durchaus fclgnnft. Aber, selbst angenommen, dies Bild im Santo böte einen Einblick in das Gemach von überraschender Intimität, so würde doch die Schmalheit dieses Ausschnittes mit der Ansicht von völlig anderm Standpunkt aus, gar keine Verwendung als »Schema der Kompositiont ftr dies Fredco gestatten, das so sicher wie irgend eins in dieser Kapeile von S. demente filr seine Stelle im Raum erdacht und berechnet ist

Indessen« wosu überhaupt soweit in die Feme schweifim, wenn das andre Mal so bestimmt an Rom gebunden, der FreskencyUus im Lateran vorausgesetzt wird. Schon Crowe und Cavalcaselle hatten ja darauf aufmerksam gemacht, wie nah das Gute lag. Sie erinnern an Glottes Franciscusbilder, an den Traum des Bischöfe von Assisi, wie er in .S^a ("roce zu Florenz dargestellt war, und an die Vision des Franciscus selbst oder des Papstes in der Oberkirche von Assisi. Für das Wandschränkchen mit Hausrat eines Kirchenvaters giebt Mas<^)lino schon in Castiglione zwei Beispiele, die WickhofF über- sehen zu haben scheint, da er sie sonst gewiss zu Gunsten dieses Meisters verwertet hätte ; es findet sich solche Wandnische im Baptisterium hinter dem Schreibpult des Hieronymus, aber auch in den Declcenblldem der CoUegiata, also nach unserer Rechnung zehn Jahre früher bereits, in der VeikOndigung Marias.

Beim Maler in S. Demente hat das Wandschrflniccfaen einen ganz andern Sinn und Wert für die perq>ektivische Darstellung des Innenraumes, in dem wir wol nichts Anderes als das Schlafgemach des Kardinaltitulars, seiner Wonung bei der Basilika zu erkennen brauchen. Für den Standpunkt des Beschauers unter dem Ein- gangsbogen der Kapelle wird das anstossende Innere eröffnet. Die sonst glatte Wandfläche neben der offenen Seitentür im Bild links hinter den vier Diakonen bedurfte einer perspektivisch wirksamen Gliederung, um ihr V(;rhältnis zur Bettstatt und den Personen dem Auge des Betrachters schnell verständlich zu machen. Tm Halb- schatten unter dem Fenster waren sogar die auffallenden Gefässe, die glänzenden Dinge willkommen. Es sind lauter Mittel Raum- werte zu schaffen, deren Wirkung der Maler nicht entberen konnte, um nur den Vorgang zwisdien dem Sterbenden und den Flflsterem am Fussende des Krankenlagers klar zu erzälen.

Doch es ist ja noch mehr voriianden. Das neutrale, sddecht bdeuchtete Stück der Wandflädie unter dem Fenster ist, wie Wickhoff hervorhebt: »filr die Fortsetzung unseres Bildes benutzt worden. Ein kleiner Bibliotlieksraum wird sichtbar, der ddi gegen das Schla%emach mit seiner Tflre öffiiet Ein Sdureibtisch mit

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MaSACCIOS RAUMKUNSt

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Bachern besem. tan Pult, ftllen die nun leere Arbeitastube des Heiligen«. Wir sehen darin eine wolmotivierte Andeutung der

litterarischon Bedeutsamkeit dieses Heilig-en, des Kirchenschriftstdlers, des Doctor Ecclesiae, den man sonst in der Auswal der Scenen aus seinem Leben liier vergebens gesucht hätte. Wir sehen in dieser »feinen Durchbildung der Schrei bstube<r den Eindruck des Studio Kardinal Brandas, der einem malerisch begabten Künstler gewiss willkommenen Anreiz bot. Derartige Darstellungen wonlichcr Itinen- räume lagen beim Beginn des Quattrocento wol im allgemeinen Geschmack, oder die Ausfürlichkeit und Sorgfalt in diesen Dingen ist wenigstens ein naheliegendes Bedürfnis der Wirklichkeitstreue, das in erster Linie Befriedigung heischt. Wo anders als am Arno war die Heimat jener Intarslatoren, die im eingelegten Holzgetäfel ihrer Schrankwerke, ihrer Chofstllle die perspektivischen Kunststacke ver- wendeten, geöffnete Schränke mit Bachem und Gefässen anbrachten, seit Paolo Uccello grade zu diesem Zweck die strengste Konstruktion nach BruneUeschis Vorschrift erlernt und seine geduldigen Aufrisse in den Dienst dieses Zhnmer- und Kirchenschmucks gestellt hatte? ^ Wenn Wickhoff Recht hat, diese Wonung des Kirchenvaters Ambrosius in S. demente sei »vielleicht die erste Darst^ung eines Innenraumes als solchen in der italienischen Malerei«, so hat sicher Masaccios Geburtstagsteller in Berlin den nächsten Anspruch daneben in Betracht zu kommen, mit dem P'inblick in den Korridor und die Wochenstube daneben. In der Kapelle des Kardinals Branda geht aber der Einblick in den Kuppclraum des Götzentempels, in das Konsistorium drüben auf der Katliarinenlegendo, die Prätor- wonung mit Ambrosius in der Wiege und die altchristliche Basilika mit seiner Wal zu Mailand an dieser selben Wand voraus, und, wie angedeutet, steht dies Studierstübchen unter dem Fenster in ebenso engem Zusammenhang mit der Rechnung des architektonisch falenden und denkenden Malers: neben dem Bilde des Umsturzes, wo ein Haus aus dem Lote weicht und in den Wogen untergehen soll, bedarf es grade hier, wo die Wand schon durch die Lichtzufuhr durchbrochen wird, einer Stärkung des klaren Bestandes, einer Wiederaufrichtung des RaumgeAUs, damit der Beschauer nicht irre werde. Die ganze Leistung perspektivischer Konstruktion, die hier vorliegt, ist durch und durch motiviert und von dem Bestreben des Künstlers, die Gesetze monumentaler Wandmalerei auf den Voraussetzungen des Realismus aufzubauen, untrenn- bar. Wir bedürfen keiner Laune des XachäfFens zu ihrer Erklärung.

Und endlich der kühne, koloristische Versuch, die breiten, weissen Vorhänge und Bettlaken zu dem Grün der Decke, dem

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Koloristische Versuch K

Rot der Wände zu stimmen, um dann diese beiden Farben nodi einmal am schiUemden Gewände des Warten zu verbinden«, er findet nach Wiclchoff in der froheren florentiniscfaen Kunst keine Analogie. Nun gut! Stoasen wir wirklich auf Spuren, dass die

toskanische Malerei beim Beginn der Renaissance »von dem grössten Kunstereignis nach Giottos Auftreten, der unglaublichen Entwicklung der veronesischen Kunst von 1370 an etwa, . , . berürt worden« ist, was zwingt uns oder veranlasst uns dann mit der Erkenntnis dieses Einflusses zu warten, »bis sie in Pisanello ihren H(")hcpunkt erreicht«, und einen persönlichen Spezialfall zu konstruieren, der Pisanellos Fresken im Lateran voraussetzt, also erst nach 1431 mög- lich wäre? Steht nicht der Name Gent ile da Fabriano im selben Jahr in dem Zunftregister von Florenz wie der Masaccios ? Und sind hier am Arno nicht Antonio Veneziano und Gherardo Starnina schon als Träger eines neuen ; Dranges, bei Vasari und seinen Gewärs- mannern noch, bdcannt, so dass wir, wenn nidits Greifbares sonst, wenigstens die Empfänglichkeit der Florentiner herauserkennen, die dem Einfluss Gentiles bei semem Auftreten bis 1425 von allen Seiten entgegen kam? Stdien wir da nicht vielmehr einem langem weiter verzweigten historischen Entwicklungsprocess gegen- über, wo Wickhoff nur die sporadische Abhängigkeit eines einzelnen Toskanera vermutet, den die Fresken der Lateransbasilika um 1446 bis 1450 erst ergriffen haben sollen, nachdem sie schon bei iiir^ Entstehen die Bewunderung der Kunstverständigen erregten.

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14 DIE KI^EUZIGUNG ^

Das grosse Hauptbild, nach dem die Kapelle ^della Passione? f^enannt wird, nimmt die g^anze Altarwand ein '). In ihm muss sich alle Kraft des Künstlers entscheidend zusammenfasson, sein Wett- eifer mit den monumentalen Darstellungen dieses Gegenstandes seither oder sein neues Wollen den Höhepunkt erreichen; denn hierhin sind aller Augen gerichtet.

»Es überragt an Bedeutung alle übrigen Bilder dieses Raumes«; aber ein Blick soll uns, wie Wickhoff meint, die vollständige Ab- hängigkeit von PIsuiello deutlich machen. »Es ist zwar nodi alles steif, schachtem, nacfageamt ; aber durch alle diese Naivetät leuchtet ein grosses Vorbild voll feiner, naturalistischer Aui&ssung durch«. Seltsam, wek^ WidersprQdie ein Vorurteil zu verweben weiss! »Es ist ein LandschaftsbOd ersten Ranges«; »aber in freier Be- wegung der Komposition, in koloristischer Wirkung, im Verständnis der Luftperspektive (und dann wieder in genauer Durchbildung der einzelnen Details der belebten und unbelebten Natur) war der Veronese weit voraus«, wird behauptet, aber wo denn ? Wo ist der Beleg für diese Bewertung seiner Leistungen ? War es unnötig oder überflüssig die Beispiele namhaft zu machen, an denon wir dies Urteil kontrolieren können 'f Und diese ganze Rechnung mit einem unfassbaren Spuk, den verlorenen Fresken der Lateransbasilika nur hervorgegangen oder ermöglicht aus der falschen Datierung der Malereien in S. Clemente, die als Stiftung des Kardinals Branda, wie wir nachgewiesen, nur yar 1431 entstanden sein können, d. h. vor Pisanellos Eintreffen in Rom schon fertig dastanden.

Wir können das Verhältnis umkerend nur sagen : nichts natOriiciier, als dass dies Werk in S. Clemente einen fein organisierten Künstler, der damals nach Rom kam, ergriff, dass diese Ldstung eines Tos- kaners von erstem Range den Verooesen wie eine Offenbarung ge- fimgen nam, dass sie ihm zur fruchtbarsten Anregung wurde in allen Stacken, wo seine Begabung ausreichte, auf dieser Bahn zu folgen. In genauer Durdibildung dex einzelnen Details der belebten und unbelebten Natur war der Veronese freilich weit voraus; denn er ist ein Meister der Kleinkunst, wenigstens soweit wir urteilen können, nachdem uns grossere Fresken in Venedig und Rom oder

*) Vgl. ninae Abbildung ivf Ta£ Vm aaeh Fliot uid den Sablidt in die Ki^dl» ■•dl Labrutsi, Ttf. I.

64 PiSANELtOS ÜND GENTILES BiLDWEISfi

in Mantua und sonst vielleicht verloren gegangen. Jn freier Be- wegung der Komposition« aber vermögen wir ihn mit solchem Cyklus wie die Kapelle Brandas in S. demente oder die Kapelle Brancacci im Carmine ganiicht in entsprechendem Mafse zu vergleichen. Das Einzige was uns übrig bleibt, ist die Verkündigung über dem Grab- mal Brcn/.oni in S. Fermo Maggiore zu Verona und S. Gt'urgs Ausritt zum Drachenkampf in S. Anastasia daselbst. Nur das letztere Fresko über dem Eingangsbogen einer Kapelle kann als Historien- bild und als freie Komposition auf breiterem Wandfelde hier in Betracht kommen. Dies Beispiel aber orientiert uns vollkommen Aber das Verfaren des Malers um die mittlere Zeit seiner Tätig- keit» auf die es ankommt Er folgt, bis aut die plastisch stärker durchgebildeten Pferde» deren eines» für S. Greorg gesatt^t, vom Hinterteil gesdien wird» während das andre» mit seinem kleinen Waffenträger darauf fast ebenso von vom erscheint, nur jenes breit« spurig auf den Druck des Reiters wartend, dessen Fuss schon den Steigbügel berürt, dieses schon in Bewegung, bereit heranzutraben, und bis auf den demgemäss verbreiterten Vordergrund durchaus den Prinzipien des Gentile da Fabriano, die wir aus der Anbetung der Könige von 1423 kennen lernen, d. h. den Goldschmiedsgewon- heiten in getriebenem Silberrelief oder dünnem Goldblech. Schon die Verkürzung des frommen Ritters, der seinen schweren Gaul besteigt, ist nicht eben glücklich gelungen, sein Körper von vorn gesehen doch in die Fläche seitlich ausgelegt wie der Kopf, dessen Augen linkshin nach dem 2M seines Ausritts (offirabar dem Dradien auf der zerstörten HäUte an der andern Seite des Bogens) hinflber- schielen. Die Prinzessin dicht daneben in ihrem kostbaren KostOm mit der langen, bei den Pferdehufen gewiss gebürdeten Sdileppe, ist eine Silhouette, nur in flachem Profil» ebenso wie die Pferde- k<^pfe und -beine rechts, der unpassende Widder am Boden imd der grosse Jagdhund gegeben. Ueberall ist dieser Vordergrund durch niedriges Strauchwerk und ansteigendes Terrain dahinter oder darüber, wie vom oborn Teil des Reliefgrundes abgegränzt Links am Wasser, wo ein Kahn sehr unwahrscheinlich gegen das felsige Ufer ansegelt, drängt sich eine Reiterschaar mit Typen fremder Länder zwischen heimischen Fürsten so unglücklich zwischen solcher Felskoulissc und der l^ergcshöh dahinter zusammen, dass wir an Gentiles unräumliches Geschiebe im Zug der Magier denken mCkssen. Dicht hinter ihnen erhebt sich der Galgen mit zwei Ge- hängten vor dem Tor der Stadt, deren Tfirme hinter dem Hügel hervorgucken. Unter diesen erkennen wir gotische Zierbauten wie die Scaligergräber und auf der Höhe rechts ein vieltQrmiges Kastell»

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t^SANELLOs Landschaft

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als Anklänge an das Stadtbild von Verona; aber die Höhen- dimension fungiert überall an Stelle der Tiefe und das Interesse des Kflnstlers ist nicht das Landschaftliche, das Fernbüd des echten Malers, sondern das Dekorative^ die FlAchenfbllung des Goldschmieds. Zu dem System der Komposition, das von Grentile da Fabriano übernommen ist, hat sich also nur die plastische Grewonheit des Medailleurs fttr ein roSssiges Relief hinzugesellt, und diese in ver- schiedener Stärke körperhaften Bestandteile sind in keiner einheit- lichen Raumanschaimng mit einander ausgeglichen.

»In koloristischer Wirkung« können wir Hsanello auf den beiden Fresken in Verona und auf den beiden Tafelbildern, S. Hubert auf der Jagd und S, Georg mit S. Antonius Abbas unter der Madonna am Himmel, in England, auf verscliicdciit 11 Stadien seines Fortschritts kennen lernen, und erhalten in dieser Reihe jedenfalls den Beweis, dass sein Verständnis der Luft Perspektive^ nur im engsten Gesichtskreis ausgebildet, durchaus nicht hingereicht hätte, »ein Liindscliaftsbild ersten Ranges« auch nur annähernd zu be- wältigen oder durch sein Beispiel zu inspirieren, wie es hier in S. demente gesdiehen sein solL Seine frohere Versudie, die freie Natur wenn auch nur im Ausschnitt zu geben, wie der Wald fear die Jagdvision Huberts l>leiben beim Zusammenschieben ver- einzelter Stacke, sei es auch in feiner, naturalistischer AusAlrung der Einzelstudien stehen, und die Wiedergabe des Schauplatzes als Ganzes ist nicht anders, als wie wir es aus Niellen dieser Zeit und dieser Schulweise kennen lernen Seine spätem Werke oder viel- mehr das einzige Rundbild mit der Anbetung der Könige in Berlin, das Wickhoff vielleicht schon einem Nachfolger zuteilt, darf zeitlich auch als Pisanellos Eigentum kaum mehr in Rechnung gesetzt werden, hält aber ebenso an Grossartigkeit der Auffassung den Vergleich mit der Kreuzigung von S. demente nicht aus. Dem Maler dieser kreis- runden Tafel, in dem icli, als es unter dem Namen P e s e 1 1 i n o in Berlin aufgestellt wurde zuerst, und im Widerspruch zur Galerie- direktion und andern Kennern (wie Herrn A. v. Beckerath z. B.), die Art des Veroncsen P i s a n e 1 1 o und die Gegend bei S. Martine erkannt habe, feit doch die Einfachheit und Weite des Sinnes, der Blick für die umfassenden Wirkungen des Lichtes und der Luft in ausge- d^terer Ueberschau. Er sddiesst den Horizont ab, um uns in absehbarer Nähe tausend Kleinigkeiten von entzackender Feinheit au&utlschen, sei es auch ein ganzes Tal mit firommen Hirten und Königen aus Morgenland.

<) V|^. t. B. die Attbetaog der Könige, Dudiesne Na 33, abfeb, bei Ddabocde, La gravare en Italic p. ai.

S elimarsow, MMacdo^tndieik IV. 6

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t>iE Landschaft Masaccios

Das Hauptbild vonS.Cleinente dagegen eröffnet Hie weite Ferne, wo Himmel und Erde verschwimmen, und lockt die Seele hinaus /um Traum der Unendli« likeit. Und dies einheitliche Stimmun^'sbild sollte im Vordergrund aus lauter Stückvv(>rk /usammengest« >])pf'U sein, das der Maler von Pisaiiellos Medaillon und wer weiss wo von diesem Künstler abgesclirieben« (wie Wirkhoff drucken lassl!), und das steif, schüchtern, n.a\ kindischer Trödelkram bleiben musstc, »hinter dem nur ein grosses Vorbild heraus leuchtet«, das sich doch nirgends &ssen, nirgends wirklich nachweisen Iflsst Solch ein aus lauter Fetzen zusammengeflicktes Narrenkldd vrird über den wolgewacfasenen, gesunden Leib gezogen, weil der scharföchtige Kenner, der dem Gaukler hinter die Koulissen guckt, die Wasser- flädie drunten in der Landsdiaft »lieber für einen Landsee in der Art der lombardischen als für eine Meeresbucht halten möchte«, d.h. lieber den kleinen Masolino statt des grossen Masaccio als Urheber erkennen will, car tel est notre bon plaisir, und statt des Werkes, aus dem uns, auch als Schatten noch, die Ahnuncf einer grossen Künstlerseele anweht, /u srorn wieder seine verblüffende Entdeckunjj zu Worte kommen lässt. die alle bisherig^e Chronologie über den Haufen wirft und das richtige defül nur verdrehen kann. Sind es (loch gar seltsame Sprünge einer innerlich haltlosen Beweisfürung die sich selber widerlegt, indem sie hier die Nachamung eines be- stimmten Werkes in Rom behauptet, das Keiner von uns mehr ge- sdien hat, und die ganze Geschichte an dieses Hirngespinst hängt, um im nächsten Augenblick das Vorbild einer Landschaft am Fusse der Alpen zu suchen und aus originellster Naturauflassung dies Erstlingswerk der Landschaftsmalerd vom höchsten Range zu erklären.

Nichts von den lachenden Ufern der lombardischen Alpenseen,

nicht die villenbesetzten Höhen um Como oder Lugano, nicht die schneebedeckten Berge im Hintergrund des Lago Maggiore, noch die üppige Vegetation der Brianza oder die reiche Kultur um Varese, sondern öde unbebaute Flachen, die sich wellig heben und senken, W'^eidetriften höchstens, die sich weithin übereinanderschieben, nur auf fernem llügehi die Baumgruppen und Wonungen iler Herren, die römische Campagna und die Castelli Romani dahinter, breiten sich auf diesem Bilde der Kreuzigung aus. Es ist ihr einsam melancholischer und doch so grossartiger Charakter, die ungestörte Weite, aller emsigen Betriebsamkeit und Menschenhast fremd, in ihrem endlosen Verdämmern, mag die Wasserfläche das nahe Meer bedeuten oder den Albaner See^ oder eine aberscfawemmte Sumpffläche ; auf Wiedergabe einer ganz bestimmte Oertlichkeit,

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Die Gekreuzigten

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mit ihren kenntlichen Details kommt es dem Maler gewiss viel weniger an als auf die Erfassung der Gesamtheit, auf die malerischen

Eindrücke, die sich seiner Seele bei Wanderungen oder Ausblicken von Rom eingeprägt haben. Und ihre Stimmung ist so g«iau ge- troffen, dass Niemand, der in Rom gelebt hat, an das Arnotal oder die l^mgebung von CnstigHono d'Olona denken wird. Beide würden sich mit einem Ausschnitt der ( astelli Roman i, aus nächster Nrdie genommen, vielleicht \erwcchsoln lassen, nicht aber die Campagna im Vordergrund, die hier als Hauptsache sich geltend macht und den (irundton dieser römischen Kreuzigung bestimmt. So denkt sich der Maler, der aus dem ( »arten Toskanas stammt, den Ort des Hochgerichts: die vorderste Erdschwelle, deren breiten Rücken wir vor uns sich wOlben und zu tieferer Senkung abfallen sehen, ist ihm Golgatha. Hier mnd am Rande des Abfalls die drei Kreuze auf- gerichtet« die hoben und drOben weithin sichtbar emporragen wie unheimlicfae Wahrzeidien einer sonst gemiedenen Stätte drauasen vor den Mauern.

In der Mitte steht der höhere Stamm mit dem gdneuzigten Jesus von Nazareth. dem König der Juden, 7u beiden S^ten scfarflg darauf gerichtet die (tauförmigen) niedrigeren Kreuze der Schächer, zur Rechten Christi der reuige Sünder, dessen Seele ein Engel er- rettet zur Linken der verstf)ckte Uebeltäter, der dem Bösen ver- fallen bleibt, beide mit übereinandergeschlagencn Beinen herab- hängend, während die Füsse des Erlösers mit einem Nagel auf schrägem Untersatz befestigt sind. Erschöpft und ergeben hängt der Kopf des Reuigen auf die Brust hernieder, während der Andere sich im Widerstreben windet. Von Uebermalung freier geblieben ist nur der Messias selber, dessen Kurper schlank und schmächtig doch edel gebildet, schon mit Sorgfalt modelliert, auf klare, plastische Wirkung vor Allem berechnet war. So stehen die drei Kreuze, symmetrisch das Bogenfeld füllend, soweit auf den beiden Nachbar- wänden die Teilung reicht, in ihrer verschiedenen Ansicht und Be- leuchtung, rflumlich und körperhaft gegeneinander verschoben, vor dem weiten Himmel, der nur unten von der Flucht der Hfigdkette und des Uferrandes am Wasser begränzt wird.

Unten am Kreuzesstamm des Erlösers kniet Magdalena, das Holz umarmend und emporschauend zu dem geliebten Herrn ^. Der Vordergrund unterhalb der Kreuze ist durch das gotische Wand- tabemakel links vom freistehenden Altar und durch die Türeinfassung

'j Vgl. unsere AhhiMung nach Labnuzi auf Taf. IX a). •) Vgl. unsere Taf. X. aj.

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t>iE Angehörigen Christi

rechts an der Ecke zerschnitten, ausserdem zwischen diesen beiden einspringenden Störungen durch Uebermahing so entstellt, dass über die ursprüngliche Komposition nur unter \'orbehalt noch berichtet wcrdtMi kann. Nur so viel ist sicher, dass 7.11 beiden Seiten des Tabernakels feste Figurengruppen von gleicher l l()he sich anschliessen, dt^ren rcliefartige Masse als Ganzes auf der linken Seite auch auf der Recliten, bei der Tür. einen ähnlichen Zusammenhalt voraus- setzen (wie denn Labruzzi hier die Soldaten, um das de wand würfelnd, angiebt mit welchem Schatten von Berechtigung im damaligen Zustand, sei dahin gestellt).

GHrade in der Mitte erkennen wir, leidlich erhalten, den Lieblings- jünger Johannes, der schmerzvoll die Rechte an die Wange legt und wie geUhmt vom eigenen Weh nur untätig auf Maria sdiaut, die neben ihm ohnmächtig in die Arme der Frauen sinkt, die sie stützen und hfllfreich umgeben. Auch diese Gruppe hat durch Uebermalung gelitten, doch die Hauptzüge der Gestaltung bewart, und muss in ihrer ergreifenden Wahrheit schon früh die Bewunderung der Künstler erregt haben. Pietro Perugino z. B, hat sie, wie Crow« und Cavalraselle bemerken, in der Kreuzabname, die er nach FiUppino Lippis Tode 1505 zu vollenden bekam, ohne Bedenken wiederholt, und Michelangelos Tadel seiner Bequemlichkeit gründete sich eben auf dieses Beis]Mel. Der Anflug von Fra Bartolommeo, den die Originale durch Restauratorenhand erhalten, befremdet deshalb das Auge nicht so sehr Die Gestalt eines zum Kreuz aufblickenden Jünglings, stark übermalt * scheint die Ueber- leitung zu Johannes zu bilden, wfthrend auf der andern meist zer- störten Sdte eine Leere klafit Hier waren vor dem Kreuz des verstockten Sünders Henkersknechte beschäftigt, ihre Werkzeuge, Hammer und Nägel zusammen zu packen; jetzt sind akademische Genrefiguren eines ländlichen Males draus geworden.

Verhältnismässig wolerhalten sind nur die Männer in der Ecke links 2). Sie zeugen in ihrem sichern Auftreten und ihrer geschlossenen Haltung für die ursprüngliche Absicht des Meisters wie für den Grad seiner Fähigkeit in monumentaler Gestaltung der vordersten Figurenreilie. Sie reden untereinander über den Gekreuzigten : der Vorderste, seitwärts von hinten gesehen, weist hinauf; der Nachbar im hohen Hut folgt erstaunt den Blicken des Krzälers. während der Dritte, mit grimmigem Ausdruck, eine Schriftrollc in der Hand, dem Kreuze den Rücken wendet. Es sind ofifenbar die Vertreter

*) IMe KOpfe sweier Fnueo bti Libnmi, auf tmarer TaC X, b). ^ Die drei Köpfe bei Labruzzi, anf uosrer Taf. IX, b).

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Dos Juden und die Reiter

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der Judenschaft, und der aufblickende Jflngling gant links hinter dieser Gruppe soll, nach dem Beutel in der Hand, Judas lachariotfa sein, der hastig, im Begriff zu verschwinden, doch nicht lassen kann, einen Blick hinauf zu werfen, dessen Eindruck ihn dann zur Ver« zweiflung treibt

Sehr deutlich ist dagegen über diesem relicfartigen Streifen die Bewegung auf der Ilcho des Erdwalls. Von allen Seiten wenden sich Reiter, stillhaltend oder herankommend dem Kreuze zu. Voll- ständig in der Breite gesehen, hält rechts der Befelshaber, der die Schergen bei der Hinrichtung kommandierte'), während neben dem Kreuze des Schachers ein Ritter in voller Rüstung auf prächtig geschirrtem Gaul mit erhobener Rechten gestikulierend die Höhe heransprengt, so daas wir Ross und Reiter in lebendiger Bewegung und kühner Verkfirzung von vom sehen. Links vor dem Kreuze des Reuigen halt schräg zu Christus gewendet der gläubige Haupt- mann Longinus und betet, hoch zu Ross» zum Gottessohn zu dem er emporblickt^. Ebenso meisterhaft erfunden wie der Herauf- sprengende hinter dem Kreuze rechts, steht diese Gestalt in Ruhe auf dem Kamme des Hügds links vom Kreuze, raumschaffend und stimmungschaifend zugleich, so dass die beiden Reiter in ange- messener Entfernung Magdalena, einsam .im Kreuzesstamm, in die Mitte nemen. Nicht minder wirksam als diese Diagonale, über- zeugt von der Raumtiefe der letzte Reiter links, der neben Longinus hält: mit der lant^en l.anze, von deren .Spitze ein Doppehvimpcl niedertlattert, steht er, ganz vom Rücken gesehen, in schimmernder Rüstung eine überraschende Leistung plastisch wirkender Malerei. Weiter hinten ein Standartenträger, ein junger Knappe in hohem, spitzem Lilzhut, ganz von vorn gesehen, und ein zum Kreuz auf- blickender Ritter, der mit erhobener Hand die Augen beschattet, zwischen Longinus und seinem Fähnrich ; sie tauchen aus der Senkung jenseits der Höhe auf, wahrend zwischen Longinus und Magdalena eine Reihe von andern Berittenen in verschiedener Riditung dnander begegnen. Besonders eifrig scheint ein Jüngerer von der Seite her, dem langsam heraufkommenden Forsten zu berichten, der lang- bArtig in sein«n Mörserimt wol Herodes vMstdlen soll, aber einem griechischen Patriarchen gleicht. Die sorgfältigen Durchzeichnungen Labruzzis haben nach den damaligen Resten noch eine Auswal mannicbfaltiger Köpfe gerettet, die in verschiedenster Haltung, meist in schwier^r Verkürzung, den erfinderischen Reichtum des Meisters

>) VkI. ansen TmC IX. c (linki).

■) Vgl. unsere Tiif. IX, c (rechts). >) Vsl. onsei« Taf. X, a).

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KOMPCJSITION DES GANZEN

bezeugen, in dem gegenwärtipon Zustand des Bildes aber nur als Schatten noch fassbar sind. Sic tragen entweder kugelige oder k-niischc Helme mit engem Ausschnitt für das Gesicht, oder ']vne abtnttuerlichen Kopfbedeckungen, weiche Mlzhauben und hoch- gctürmle Hüte, ineinandergeschachtelte berettoni . die uns aus GentUes Anbetung der Könige und gleichzeitigen toskanischen Bildern ebenso bekannt sein sollten wie aus Masolinos Johannes- geschichten in Gastiglione d'Olona oder aus Medaillen Vittore Ptsanoa Das Einzige was bei einem Vergleich mit diesen andern Beispielen des ZeitkostOms auf&llen dürfte, wäre die malsvollere Form in S. Qemente, während in Oberitalien, nach Masolinos und Pisanellos Darstellungen zu schliessen, die phantastische Willkür der Mode am übertriebensten graust zu haben sdieint, d. h. aber wol erst in spätem Jahren, kurz vor ihrem Ende.

Wenn uns die biblischen Figuren im Vordergfrund und auf der Höhe, die Reitergruppen zu beiden Seiten der Kreuze, die mannich- faltig verkürzten K()pfe in Stalhelm oder Fil/but die wolverdientc Bewunderung für den neu erfindenden Kifer des Malers abgenötigt haben, der den alt überlieferten (i egenstand der Passion Christi am Kreuz zwischen den beiden Schachern* so völlig anders zu ge- stalten sucht, als die gotische Kunst seit Giotto vor ihm getan hatte, so kommt man von dem Einfall, einen Nachamer in ihm zu sehen, wol endgiltig zurück. Wir können uns wol denken und dürfen es, wie bei Ambrosius im Krankendmmer für die Fhmciscusbilder, gewiss annemen, dass der Maler auf dem Wege nach Rori, wo Griotto in Peter gemalt hatte, auch die grossen Kreuzigungen in Assisi gesehen hat; vielleicht war er von der ältesten in der Ober- kirche und von der letzten des Fietro Lorenzetti in mancher Hinsicht mehr ergriffen als von der Giottos oder Giottinos. Aber sein eigenes Wollen gieng mit keinem dieser grossartigen Vorbilder völlig zu- sammen. Er weiss die Vorzüge jener byzantinischen Tradition und dieser Giottos ebenso zu s( hätzen wie die gewaltige Erregung Loren- zettis, der aus dem Kreu/rstod des (lottessohnes das erschütternde, die ganze Schöpfung mit (hirclihi hende Weltereignis gemacht hat. Des- halb hält er einerseits an der strengern Komposition fest, bringt sip aber zugleich in Zusammenhang mit der umgebenden Architektur der Kapelle selber und vollzieht damit den bedeutsamsten Sdiritt zum monumentalen Stil im Sinne des neuen Realismus. Höchst energisdi wird die Dominante des Ganzen herausgdioben und doch nach allen Seiten hin in Beziehung gesetzt. Strafie Symmetrie herrscht in dem obem Teil, wo die Kreuze gegen den Himmel ragen ; aber die Ab- wandlung der Anmcht, Christus^höher, ganz von vorn, die Schächer

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Auffassung als Historisches Ereignis

seitlich darunter zurücktretend, nur in perspektivischer Verschiebung, ist wieder bezei( hnond für das Verhältnis dieses Hauptbildes zu den Seitenwänden. In den Gestalten selber wird dies innerlich motiviert: der Gottessohn ist ungobro« hen, die Sünder daneben hier ergeben ZUsammcngosnnkcn. dort vergcwahigt vom furchtbaren Tode. Nach dieser architcktonisciion Klarheit, die nur mittels der Beleuchtung durch das Fenster von rechts Iht in der Art gemildert wird, dass die schreckliche Verzerrung des I'nhufsfertigen si(li im Schatten zurückzieht, die Demut des Reuigen in volles Licht gesetzt wird, war es erstrecht schwer, die untere Hälfte des Wandbildes mit dieser obem, weithinausgehobenen Region zu vermitteln. Meistwliaft ist auch hier das Verferen, soweit die Bedingungen am Orte nicht störend dazwischentreten. Nur bei dieser Behandlung des Bogen- feldes ersdieint die Horizontalteilung der Nachbarwände links und rechts nicht als ein Widerspruch, und zum Dank aberträgt sich die Dreiteilung der untern Wandstreüen auf dieses ftfittelstück, das breite Rechteckfeld der Altarwand in sich zu gliedern, und durch kräftigen Zusammenhalt der beiden äussern Figurengruppen auch den Anschluss an die Flügel zu beiden Seiten mit ihren Legenden« bildern fülbar aufrecht zu erhalten.

Wenn wir den Reichtum der mannichfaltigen, hier unten ver- einigten Motive, die Gegenwart all der verschiedenartigen Zeugen des letzten Augenblicks Christi zurück verfolgen wollen, so bedarf es schon einer läng-ern historischen Betrachtung, von Pietro Lorenzetti jedenfalls zu LorfMUo und Jacopo da San Severine, die im Jahre 1416 noch eine solche stark bewegte, mit Motiven überhäufte, aber sonst über die oberflächliche Art eines Spinello Aretino nur wenig hinaus- gehende Kreuzigung im Kirchlein S. Johannes des Täufers von Urbino gemalt hatten. Hier in S. Demente wird aber zum ersten Mal der Kreuzestod des Erlösers als hbtorisches Faktum aus den Tagen des Künstlers vollauf in der zeitlichen und Ortlichen Um- gebung vorgelürt, in der sein Auftraggeber und seine Gemeinde das gewaltige Drama als dg«ies Erlebnis vor den Toren Roms erschauen mochten. Und in all dieser bewegten Abwechslung malerischer Typen des damaligen halb kriegerischen Zustandes über- nemen die Reiter vom Befclshaber zum Fahnenjunker und zum Trossknecht die Hauptstützen der Komposition, die als Gipfelpunkte in die (irup|)on hineingestellt, sowol nach oben überleiten als die untere (iHedtrung übersichtlich markieren. In echt malerischem Sinne kommt in diese feste Aufstellung^ nach Hcdarf wirksamer Raumwertc noch die Wellenbewegung der Hodenfläche hinein, sei es im Vollzug der Jircile nach beiden Seiten, sei es gegen die Tiefe

B£W£GUNG VKD Beleuchtung

mit der ganz originellen Verwertung einer abfallenden Halde, die uns den untern Teil der herankommenden Figuren entzieht, so dass hier und da nur Büsten auftauchen, die Qberrasdiend genug nicht wenig zum natOrlidien Gewoge des Lebens betragen, das die wpl- durchdachte Anlage des Ganzen wie ein wediaeloder Strom vorflber- gehenden Geschehens durchzieht Der Eindruck des Transitorischen inmitten der bleibenden Bedeutung des Augenblicks, der im Bilde f&r die Andacht des wiederkerenden Beschauers fortdauert, wird dazu auch in dieser unteren Versammlung noch erhöht durch die momentane Beleuchtung, die im Anschluss an die gegebenen Be- dingung^ der Kapelle, von einer Seite her durch das Ganze geht, während der Grundton nach dem Wortlaut der biblischen Erzälung die heraufziohondo Verfinsterung festhält

Die abendliche Sonne ist schon im Westen versunken, nur ihr letzter Schimmer berürt noch die Bergkämme und sammelt sich zu glänzenden Reflexen am Uferrande des Wassers links. Auch das ist dem Kritiker nicht entgangen, dem wir bisher widersprechen mussten^): »wir treffen hier auf eine Absicht nach grosser, einheit- licher Wirkung. Alles Licht ist auf die Wasserfläche vefsammelt; über das umgebende Land ^eht sidi eine angenehm verbindende Dämmerung«. Es ist eine landschaftliche Stimmung, ein Beleuchtungs- eindruck ganz ausserordentlicher Art, der in der ganzen italienischen Malerei dieser Jahrzehnte nicht seines Gleichen findet, und nur an- nähernd auch in der Taufe Petri an der Altarwand der Bran(»cci- kapeile, wie im Hintergrund der Geschichte vom Zollgroschen be- obadltet wird, während das Wunder der Schattenheilung wenigstens zu anderm Zwecke das Rechnen mit solchen l-aktoren bei Masaccio beweist. Hier in S. demente beherrscht die Lichtquelle die Mitte des Bildes, verbindet Oben und Unten und gleicht alle Gegensätze der Tragödie aus. Es verlischt das Licht der Welt, doch nur für eine kurze Nacht, das lehrt allein das Auge; durch den Einklang zwischen Natur und Menschenschicksal ahmt es die Seele nach.

Darnach wäre die Landschaft als integrierender Bestandteil und die Helldunkelwirkung des Ganzen eine malerische Leistung, die selbst für den genialsten Maler, der grade in diesem Punkt alle Nachfolger bis auf Piero dei Francesdii und Lionardo da Vinci weit überragt, &8t zu modern anmuten dflrfte. Wenn man auch anerkennt, dass schon der Versuch, durch die Verteilung der Figuren

•) Ich kann mich, bei wieiierholtcr Beschäftigung mit Wickboffs Aufsatz in der Zeitschrift für bilcieoüe Kunst, nie recht der Vermutung erwercn, als habe der Autor die Verfechter MmoUbm eigentlicfa durch die abenteoerUdieo Wider»prOdie nur ad abrardom fflfen wollen. iDie Eioftll lob ich mir, der GoU bat Wils geg^bent.

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Malerische Wirkung

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vor und hinter einem Hügelrand auch die Luftperspektive zu heben, eine beachtenswerte, ja geniale Mafsname sei, die doch ebensoviel Orginalität des Gedankens als Verständnis der natürlichen Er- scheinung^on in solchem !• all voraussetzt, so darf andrerseits nicht verschwiegen werden, dass zu dem vorhaiulonen Dämmerschein und seiner einheitlichen Wirkung nach Art vorgeschrittener Koloristen allerdings der gegenwärtige Zustand des Wandgemaides etwas bei- trägt, d. h. die Zerstörung des Freskobildes, das ursprünglich nicht ganz so gedämpft und gestimmt gewesen sein kann, wie es heute ^ dem modernen Auge so »angenehm verbindend« erscheint Dagegen darf auf die dfimpfende Wirkung der Butzenscheiben oder ferbigen GlAser des ehemaligen gotischen Fensters hingewiesen werden, die ursprOnglich gewiss in Rechnung kamen, während jetzt entweder bei voller Durchsichtigkeit der heutigen Glasscheiben das TagMlicht in voller Stärke einfUlt oder durch einen roten Verhäng unangenem gefärbt wird. Bei alledem aber bleibt die Lichtfikrung und die Luftperspektive ganz erstaunlich, und kann überhaupt nur aus Masaccios sonstigen Bestrebungen, unter den«! auch die Pisaner Predella mit der Anbetung der KOnige nicht vergessen sei, eine annembare Erklärung finden.

Wäre es darnach noch notwendig, die Anwartschaft Maso- linos auf eine solche künstlerische Tat zurückzuweisen ? Was macht er denn aus einer ganz ähnlich verwendbaren Altarwand im Sanktuarium der Taut kapelle zu Castiglione d'Olona (1435)? Hier begegnet auch eins der landschaftlichen Beispiele, die wir von ihm besitzen : das Jordantal in der Taufe Christi mit seinen Hügeln aus Pappe, mit seinem gänzlicfaen Mangel an Luft und Licht und Abstufung in der Weite Oberhaupt Nicht minder muss der Ausblick auf benachbarte Hohen vom Palastfaof des Herodes aus, mit der Bestattung des ent- haupteten Täufers durch seine Jünger darinnen, jeden Versuch, das Kreuzigungsbild von S. Qemente mit ihm zusammenzudenken, als lächerliche Torheit brandmarken, selbst wenn man den unerwarteten Aufschwung in hohem Alter oder glücklichste Inspiration in bessern Jahren voraussetzen wollte. Bei Aiasaccio dagegen haben wir in der Brancacdkapellc keineswegs nur »steile Felsen, die wie eine graue Wand den Vorgängen als Hintergrund dienen«, so gern uns WickhofT zu solcher Kurzsichtigkeit verfürtc, um desto weitsichtiger an den Landschaftsmal< r Pisanello und seine wunderbare Wirkung auf abschreibende Nachamer glauben zu können. In der Anbetung der Könige von 1426, in der wir gern einen Anreiz von Gentiles Flucht nach Aegypten her erkennen, d. h. in einem Predellenstück von so bescheidenem Malstab, liegt jedenfalls ein Belcuchtungseffekt

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VERHALTNISWERTE. ABEKD?i€HEIN

ganz verwandter Art vor: Tiefstand der Sonne, lange Schatten am

Boden, der Reflexe von unten herauf wirft und so einen Wider- schein dor Hollipkoit in die dunkle Hütto sendet, und ein eig-on- tündich( r dämmernder Lichtglanz über den Hügelreihen bis in die Ferne iiin.

Hier boiiTi Krcuzest<i(l .uif ( iuljj-atha war der Abendschein beim Sonnenuntergang, oder das unheimliche Horoinbrechen plötzlicher Verfinsterung noch mehr im Thema selber gegeben, da die Erzälung des EvangeliuRis davon redet Und in diesem Falle kam dem Maler allerlei zu HQlfe, das nicht in seiner Macht lag: die Weite des Wandfeldes, das för eine grosse Darstellung verwandt werden sollte, während die Seitenwände der Kapelle, in zwei Reihen geteilt, schmale Bilder enthalten ; die hochragenden Kreuze, die durch diese Bedingung gefördert, in einem grossen Stück gemalten Himmels allein stehen : der Mafstab der Figuren darunter, der sich natürlich nach dem der Legendenbilder bemessen musste, hier auf dem ein- heitlichen Felde jedoch in ganz anderm Verhältnis zum Bildraume wirk- sam ward, lauter befreiende, erweiternde, auflockernde Momente, die sowol den F.indruck des Beschauers als auch die ( >ckonomie des Künstlers bestimmen. Endlich, und nicht zum geringsten ist der (irad landsehaftlicher Xaturdarstcllung bedeutsam, der einem damaligen Florentiner auch bei grösster Begabung /.u Gebote stehen konnte: es feit an dem Reichtum der Einzelbeobachtung, über den eine länger geübte Landschaftsmalerei verfügt, es fidt an Bestimmt- heit der Formen, filr deren Aui&ssnng und Wiedergabe Auge und Pinsel geübt sein wollen, und sorgfältige Einzelstudien. Stückwerk, wie es Pisanello sich angedgnet und mit unglaublichem Feinsinn zu kleinen Ausschnitten verbindet, das hätte hier auch beim besten Willen nicht ausgereicht, die vorhandene Wandfläche zu itUlen, über- haupt wol kaum wirken können. Dies F^en scharfer bestimmter Einzelheiten, charakteristischer Bergformen, Bäume, Eingriffe mensch- licher Kultur, gficbt dem Landschaftsbilde die Allgemeinheit, die seinen Gesamtcharakter rein bewart, ihn desto grossartiger wirken lasst und eine einheitliche Stimmung hervorbringt. Kin Blick von den Ilügehi Roms auf die Campagna hinaus, im Dämnierschein des Abends, wo alle kleinen Dctailbildungen verschwimmen, und der weite, mel.mcholische Hintergrund für den Tod des (iottessohnes war gefunden. lieber dem verzweifelnden Schmerz der Seinen und der unklaren Aufregung der Fremden, der dumpfen Beklommenheit der Feinde breitet sich der Ausblick über Land und Wasser, Hügel- reihen und HtmmeL Greller Lichtglanz auf dem Spiegel der See, schimmernde Helligkeit über dem Gebirge, zerstreuter Widerschein

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Allgemeinheit des Landschaftlichen

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auf Fahnen, Rüstungen Reitergruppen bis in den Vordergrund und überall dazwischen die Vorboten der Dunkelheit, wie beim Anbruch der Nacht, wo die Unendlichkeit Alles umfängt.

Das ist der malerische (iedanke, der diese Kreuzigung von allen früheren ebenso unterscheidet, w*ie von dem berümten Fresko des Fra AnjroHco in S, Marco: es ist kein symbülisrhes Andachts- bild, wie bei den (iiottisten, kein tumultuarischer Schlussakt einer Geschichte mit Volksauflauf und (itMlränge, wie b(M den \'cronesen, sondern eine Wiedergabe der biblischen Erzälung im höchsten Sinne, doch mit freier oder naiver Uebertragung in die Gegenwart des Quattrocento, in die Welt des Abendlandes im f&n&ehnten Jahr- hundert und in das Bewusstscin, dass ein solches Ereignis zu Rom wieder die ganze Christenheit zum Zeugen neme.

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76 m^&m^mm>wm^^^

§4 EINORDNUNG DES KAPELLENSCHMUCKES IN DAS LEBENSWERK DES MEISTERS i4

Wird nach dieser Betrachtung des Freskenschmuckes der Kapelle Branda Castigliones in S. demente nun ein abschliessendes Urteil erwartet, so kann wol kaum zweifelhaft sein, dass wir uns allein ftkr Masaccio entscheiden können und damit auf die Seite der Künstler- tradition bis Michelangelo bei Vasari und der kritischen Vergleichung bei Cavalcasdie treten, wenn wir damit auch weder die biographische Einkl«dung des Einen noch die Datierung des Andern auf die Jugendjahre zwischen 141 7 und 1420 gutheissen wollen.

Der Eindruck dnes vielversprechenden, aber noch in sich unsichem Strebens, den Crowe und Cavalcaselle aus den Legenden- biidem empfiengen, wich im Fortschritt unserer Betrachtung immer mehr dem Eindruck Albert v. Zahns von einer durchaus nicht schülerhaften Leistung. Sie können beide zu Recht bestehen in relativer Bedeutung; denn die historische Stellung, die diese Arlieit im Entwicklungsgang der toskanischen Malerei und im Lebenswerk Masaccios einnimmt, wenn anders unsere Erwägungen über ihren Zusaninienhang mit seinem sonstigen Eigentum sich weiter be- wären, bestimmt sich grade durch diese Beziehung nach beiden Seiten.

Den Vertretern der entgegengesetzten Ansicht: »dass der Meister in S. demente auch die Fresken im Baptisterium zu Castigltone gemalt hat«, wie Springer wolQberlegt seine lieber« Zeugung formuliert, oder »dass Masolino als Urheber beider Cylden, in welcher Reihenfolge immer, gelten müsse« widersetzt sich schon eine Reihe von unübersteigbaren Hindernissen, besonders im Hinblick auf die exakten Grundlagen des Wissens und Könnens, die wir im Obigen nachgewiesen, aber auch schon in Rücksicht auf die Chronologie, die für MasoUnos Leben und Werke festgestellt worden. An die letztere sei hier zuerst noch einmal kurz erinnert:

Wir besitzen für Masolino den Nachweis, dass er im Januar und zu Anfang Juli 1425 in Florenz anwesend war. haben darin alltT Wahrscheinlichkeit nach ungefar die Gränzen einer zu- sanmieniuingenden Tätigkeit, und zwar vornenilieh an Deckenbildcrn und Lünetten der Brancaccikapelle, Dann folgt die ( jcwOlbemalerei des Chores in der neugeweihten Kirche zu Castiglione d'Olona noch im Sommer 1425, bereits auf dem Wege zu Pippo Spano nadi Ungarn, wo er zu Stulwdssenburg eine Kapelle ausmalt und auch

Masouno^

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•nach dem Tode dieses grossen Florentiners (Ende Dezember 1426) noch verweilt, als sein Vater Christoforo Fini m i: 0 Denunzia fttr 1427 schrieb, worin er den Sohn Maso als dreiundvit rzigjührijj und ab- wesend in Ungarn auffürt. Das folgende Datum ist dann die Jahreszal 1435 am Bogen des Altarhauses im Haplistcrium zu Castiglione, aus dessen Malereien wir die Ueberzeugung gewonnen hatten, da&s Masolino inzwischen wieder in FlonMiz gewesen und neue Elemente der künstlerischen Entwicklung seiner Vaterstadt aufgenommen haben müsse. Lag es doch grade ihm am nächsten, wenigstens nach Masaccios Tode 1428/29 die Vollendung der Bran> cacdkapelle wieder fOx sich zu erstreben, oder in Rom durch Kardinal Branda Bestellungen zu erhalten, der nadi der Wal Eugens IV. Bischof von Porto geworden, zum Koocil nach Basel reiste, wober er erst zurfickkerte, als Eugen mit der Kurie wieder in Florenz eine Zufluchtstätte gefunden, d. b. wahrscheinlich im Herbst 1434.

Nun ist wol von allen Forschem, die Masolino flQr S. Clemente in Vorschlag bringen, anerkannt, dass eine engere Verwandtschaft dieser römischen Fresken nur zu den Malereion des Baptisteriums in Castiglione von 1435 f. besteht, nicht aber zu den Deckenbildem im Chor der CoUegiata, die doch zu weit hinter dem Entwicklungs- stadium zurückbleiben, das in S. Clemente erreicht ist, mag man sie um 1423, oder 1425, oder gar erst 1428 datieren. Diese Historiker kiMintcn also die Cappella dclla Passione in Rom nur m<)glichst lange nach der GcwOlbemalerei der Collogiata und möglichst kurz vor dem Baptisterium in Castiglione, also zwischen 1428 und 1431 an- setzen. Sie hätten darnach im Gange ihres Masolino ein Zwischen- glied gefunden, das den Abstand erklären mOsstäi ftkr den auch A. V. Zahn einen Zwischenraum von mehreren Jahren fordert, »um die Entwicklung des Künstlers von den dorbitdem zu denen des Baptisteriums zu begrün«. Nur schade: die Legenden in S. Clemente zeigen eine viel grössere Sicherheit in der Kenntnis der Perspektive als die Johannesgeschichten in Castiglione an ihrem Anßtng, sie sind viel konsequenter für den Raum erdacht und disponiert als diese, sie gehen auch in der ( lestaltenbildung der Idealfiguren an plastischer Bestimmtheit und voller Leiblichkeit weit hinaus über alle Mittel Masolinos. die er 1435 in der Taufe Christi zur Schau stellt und noch im I riumph Salomes nicht überbietet. Nirgends in Castiglione versteigt er sich zu so dramatischer Handlung, zu so schwierigen Verkürzungen der' mitwirkenden Personen wie im Martyrium Katharinas. Und endlich noch Eins! In den Fresken des Bap- tisteriums sehen wir bei zunemender Bildnistreue aucii die Ein- drücke seines Aufenthalts in der Fremde lebendig werden, germanisch-

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Masolino>

magyarische Erinnerungsbilder mit einer Frische empordringen, dass man meint, der Maler müsse soeben erst aus Ungarn zurückgekert sein. Dieser Schluss ist aber nirlit durchaus notwendig; denn der unläugbare Tatbesland lässt sich auch durch mitg"ebrachte Studien und {^gezeichnete Porträtautnamen erklären : die persr»nliclie Re- rürung mit Rranda. der so lange als Legat in jenen Gegenden ge- lebt hatt(\ die Ges])rä( ho /.wischen Maler und Auftraggeber konnten dies Andenken wieder auffrischen, die Skizzen von der Reise und sonstiges Material, besonders aber die Bildnisse Spanos und andrer Personen hervorlocken oder gwadesu zur Verwertung bestimmen.

Aber weshalb feit jede Spur des Ungarischen in S. Qemente, so kurz nach der Heimker aus jenen Gegenden, in deren halb- orientalische Physiognomie sich die Erlebnisse Katharinas so natürlich gekleidet hätten, wenn der Maler seine Wirklichkeitsfreude nach der Richtung zu befriedigen anfieng, die wir in Kopien und Kostflmen des Herodeshofes so stark überwiegen sehen. Oberitalienische Züge, veronesischc Komposition imd Behandlungsweise, sogar einen Land- see in der Art der lombardischen haben die eifrigsten Augen wol darin entdeckt, aber keine Reminiscenzen aus Ungarn, die Masolino zwischen 1428 und 1431 so viel näher lagen. Dagegen sehen wir im Kaiser und seinom G(»folge die Nachklänge deutscher Fürsten- tracht und hötischer Moden vom Kcmcil zu Konstanz in der Katha- rinenlegende, wie auf dem Altärchen Martins V. für S. M. Maggiore, in dorn noch Michelangelo ausser dem Bildnis dieses Papstes die Zuge Sigismunds zu erkennen wusste, d. h. KostOmfiguren in Bildnis- charakter, wie solche in den Händen des neugewälten Päpstes und seiner Kardinäle oder im Gefolge der Kurie ebenso wol wie durdi die Gesandtschaften nach Italien kommen mussten

Diese negativen Instanzen gegen Masolinos Autorschaft haben aber lange nicht die einschneidende und radikal widerstrebende Be- deutung wie die künstlerischen Qualitäten, die positiv ftr Masaccio entsdieiden. Wenn es nun aber gelänge, für die Zwisdienzeit 1428— 1431, für die Masolino allein in Betracht kommen kann, auch ein Beispiel seiner Kunstweise in Vergleich zu stellen, wie wir für die Florentiner Zeit vor dem Weggang 142,5 in einem Rundbild der Madonna, jenem abgenommenen Fresko von der Papstwonung bei S. M. Novella nachgewiesen haben, dann wäre wol das Beweis- verfaren auch für die äussersten Ansprüche geschlossen?

•) ist wol nicht ohne Bedeutung, dass Piero dci I'rancescbi noch 1451 den heilen KOniE Sipimaiid tob BuTgnod nuf dem Freaco su Rimlni lo dem MOtverhat des Kaisen bei der DisfmUUon Katharinens in S. demente danttellt.

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Anbetung der Könige in München 76

Ich glaube dn solches BdegstOck wenigstens für die Tafel- malerei Masolinos vor dem Freskeneyklus des Baptisteriums zu

kennen« das zugleich unser Postulat eines abermaligen Aufenthaltes in Florenz und eines erneuten TCinflussos heimischer Fortschritte auf sein eigenes Vermögen bestätigt, deshalb also notwendig in die Jahre nach 142.^ jj^ehören muss. Es ist eine Anbetung der Könige in der alten i'inakothek in München (Katalog Nr. looij, das dort der Florentinisch* n Schulo um 1430 50 zugeschrieben wird'). Um Masolino selbst als l^rheber dieses Temperabihhs /u erkennen, genügt seine llerlcitbarkeit aus dem Deckenfresko desselben degen- ßtandes, das wir vom Jahre 1425 in der Collcgiata zu Castiglione be«tzen. Die Gestalten vor allen Dingen sind sehr verwandt geblieben, besonders die Uebereinstimmung zwischen dem Joseph hier wie da in allen Grundzügen des altertflmlichen Charakters durchaus schlagend. Zunächst käme dann Maria, in deren Ver- breiterung das Streben nach grösserem Stil schon deutlicher wird. Die ganze Komposition aber ist umgedr^t und auf die Haupt- Personen beschränkt Während wir in dem früheren Fredco dss Vorbild Gentiles wirksam fanden, ist es hier ebenso untäugbar das des Fra Angclico da Fiesole, in dessen Nähe jedermann, der die Arbeiten Masolinos in Castiglione nicht genau kennt, das Münchener .Stück verlegen wird. Die wolweisliche Zurückhaltung der Münchener Galeriedirektion in solcher Verbindung des Bildes mit I'>a Angelico zeugt gewiss nur von der Krkenntnis eines abweichenden, auf Atelier- arbeit oder Schulgut in unmittelbarer Abhängigkeit von dem Dc^mini- kanermönche nicht /.urückfürbaren Charakters. Die Reihe der an- betenden Könige schliessL links in Bogenlinic an und rundet so die ganze Scenc ab, in der die Architekturkoulisse lange nicht die wichtige Rolle spielt, die wir bei Fra Angelico bemerken, sobald er mit dem Baumeister des Klosters von S. Marco, Michelozzo in kflnstlerisdie Berürung gekommen war, aber auch schon firOher in allen seinen (oft bisher nur zu früh datierten) Leistungen vorbereitet finden. Diese Typen wie die Kostüme dieser Könige sind abge- wandelt und kommen in dieser Form auch auf den Erstlingswerken Fra Angelicos noch nicht vor, wol aber einigcrmafsen ähnlich in den Arbeiten seiner mittleren Zeit, wo die Tätigkeit für das Kloster S. Marco beginnt. Die Röcke der Könige mit ihren rund sich bauschenden Falten wie aus Doppelstoff oder schwerem Goldbrokat sind kürzer geworden, so dass die FOsse vom Enkel ab frei hervor-

>) Cab. XVII. „Das Bild zeigt den ^flasi Genttie da Fabriano's anf die dem Fiesole nachfolj^enden Künstler'* hrisst ps wol etwas anachronistisch, da Gentile I438, Fra Angeiico, bis 1445 in Florenz, er.si 1455 gestorben ist.

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Masolino in Rom nach lilASACCto

treten und das sichere Dastehen bewären, das Vasari als wesent- lichen Fortschritt der Maler durch Masaccios Vorgang bezeidinet Die Färbung ist aussercnrdcntlich hell und klar, in gleichmäs^ger

Schwächung aller Tinten im Sinne der Freskogewonheit oViiio Stoffimitation, die wir als gemeinsame Basis bei Masolino (vor den untern Teilen des Baptisteriums) und bei Fra Angelico kennen. Das Gan/o entspricht also, obsclmn in bescheidenen Dimensionen unil in Temperatechnik, doch durchaus (h^m mittleren Stande der Kunstübung, den man nach den Dcckenbildern in CastigHone einerseits und neben den oberen Teilen des Baptisteriums andrerseits, voraus- setzen darf. Und dieses Beispiel weicht in seiner Harmlosigkeit und Einfachheit des WoUens und Könnens ebenso entschieden ab von den Fresken der Passionskapelle in S. demente zu Rom, so dass wir uns sagen müssen, seine Entstehung sei nur denkbar, bevor Masolino in Florenz die Augen aufgegangen waren für Masacdos Fortschritt in der Brancaccikapelle und bevor das emsige Mflhen um die Perspektive, das er bei Paolo Uccello vorfinden mochte, auch ihn an die Anfänge dieses architektonischen Trachtens erinnert» die er selbst in den Deckenbildcrn von Castiglione zum Besten gegeben.

Erklären wir uns in Rom aber mit aller Entschiedenheit, auf Grund dieses Gegenbeweises gegen Masolinos Autorschaft vor 143 1, für Masaccio, so bleilit dabei die Schulgemeinschaft zwischen beiden ja gleichwol die Voraussetzung, von der auch wir auszugehen haben, wie beim Altarwerk aus S. M. Maggiore und dem Tabernakel mit der Madc^nna von i.}23 in der Kunsthalle zu Bremen. Sie bedingt die Uebereinstimmung des technischen Vcrfarens, die grade Caval- caselle hervorgehoben hat, und manches Gemeinsame sonst in Zeidinung und Typenwal, in Auffassung und Gebärdensprache. Was aber die Aehnlichkeiten im Baptisterium zu Castiglione betriffi, so muss aus chronologischen Grttnden das Ergebnis der dahin zielenden Beobachtungen bisheriger Forscher ja geradezu umgekert lauten. Nicht S. Qemente ist von Castiglione abhängig, sondern eher umgekert, die Johann^geschichten Masdlinos von der Katharinen- legende beeinflusst. Von seinem Aufenthalt in Rom findet sich auch bei Vasari eine, wenn auch doppelzüngige Nachricht: Masolino habe in Rom »la sala di casa Orsina veccliia in monte Giordano« ausgemalt, und zwar bezeichnet der Biograph deren Gegenstand genauer in der andern Version, wo er im Leben des lOmmaso detto diottinti er- ziilt, dieser habe »una sala piena di uomini famosi an selbiger Stelle gemalt '). Solche Darstellungen berümter Männer, die auch

*1 Opcre cd Milanesi, I, p. (126.

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MaSACCTO TN ttOM 8l

Branda Castiplionc in dor Pergola seines Landhauses in der Heimat vom selben Meister Masoliito hatte malen lassen, la^ im Hause Orsini Niemand näher als dem cifrig-en Bücherfreund Kardinal Giordano Orsini (i 1438), dessen ei^j^fno Wonung allerdings an der Ecke von Via l'apalo und Via Montcrone geletfen war.

Dagegen ergiebt sich für uns die Pflicht, die Fresken Masaccios in S. demente nun im T.ebensgang ihres Urhebers bestimmter ein- zuordnen , wo sie im natürlichen Zusammenhang mit seinen an- erkannten Werken sich selbst als notwendiges Glied seiner Ent- wicklung oder dodi als begreifliches Stück seines Schafifens erweisen würden. Betrachten wir die Jahre vor 1420 schon der grossen Jugend des Malers wegen als ebenso ausgeschlossen, wie sie es, der Abwesenheit der Kurie von Rom und des Bestellers Kardinal Branda wegen» schon jeder historischen Erwftgung erscheinen müssen, so bleiben wie oben auseinandergesetzt, drei Möglichkeiten übrig: die Jahre 1 421— 1424, nach vorwärts und rückwärts durch die Im- matrikulationstermine in Florenz begränzt, fiir einen zusammen- hangenden Aufenthalt in Rom; oder zeitweilige Zwischenpausen zwischen der Beschäftigung an der Brancaccikapelle 1425 27; oder endlich das Jahr 1428, wo ihn der Tod in Rom hinwegrafifte, wir wissen nicht wie.

i»ehmar.sow, Masaocio-Studien. IV. 6

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14 GESCHICHTEN DES HL. NIKOLAUS IM VATIKAN ^

In" mehr als oinor Bezichuntr wird clor Zusammcnhanj^ zwischen dem FreskoiK ykliis in S. ("lonuntc /u Rom und den allgemein an- erkannten Arbeiten des Masacci») verniitti^U flureh eine Reihe von vier kleinen l^ildclien, die ich schon im Frühjahr 1884 in den Glas- schränken des Museo del rinascimento der Bibliotcca Vaticana ent- deckt, seither wiederholt selber nachgeprüft und durch einen Schüler g-anz selbständig habe untersuchen lassen, um sie jetzt endlich nach photugraphisdien Aufhamen zu veröffentlichen. (Lieferung III, Taf. 6.)

Es sind vier Stocke dner Predella, zu denen mindestens noch ein fünftes g^Ort haben muss, das sich an dieser Stelle nidit findet, und zwar so, dass es an Grosse mit dreien von ihnen überein- stimmend, ursprünglich am äussersten Ende rechts gesessen hätte, während das eine der hier vorhandenen, beträchtlich breiter, das Mittelstück der Staffel unter dem Hauptwerk bildete. Sie alle nämlich erzälen die Legende des hl. Nikolaus von M yra, und ordnra sich gegenständlich in der angegel)enen Folge, der auch die räum- liche Disposition auf den Hildflächcn, wie sich sogleich erkennen lässt, entspricht. Die drei i^]ei< hgro^scn, je 0.36 hoch und 0,35'/? breit, befmden sich im Armadio P. als No. XII, XIII und XIV. Diese hat auch Dr. Ulmann, dem ich im Januar 1894 die Aufgabe stellte, in jenen Schränken der Vaticana eine Reiiie von Bildchen zu suchen, die für Masaccio in Betracht kämen, als Eigentum dieses Meisters erkannt» dagegen nicht herausgefunden, dass auch im Armadio O. noch ein zugehöriges Stück der Nikolauslegende steckt, das dort als Na X bezeichnet, in der Hohe ganz den andern entspricht und auch mit seiner grosseren Breite notwendig zur selben Predella wie zum Eigentum desselben Meisters gehört Das erste der kleinen Bildchen schildert das Wunder des neugeborenen Heiligen im ersten Bade, das zweite die Spende der Goldkugeln an den armen Vater mit seinen drei heiratsfähigen Töchtern; dann folgt die Rettung in Sturmgefar auf dem Meere, für die das breitere Mittelstück gewält is^ und auf der andern Seite schliesst die Auferweckung der drei gepökelten Scholaren sicli an.

Sehr eigentümlich ist sogleich beim Ersten die räumliche Dis- position, die der Maler auf der kleinen, fast quadratischen Fläche versucht. Zwei Drittel ihrer Breite rechts werden benutzt, durch eine grosse Bogenotinung den Einblick in das Innere des Hauses zu gewären, dessen Aussenseite wir links im ersten Drittel erschauen. Schon hier begegnet also dn Fjroblem, das Vasari ausdrücklicfa

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Das Knäblein im Bade

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unter den besonderen Bestrebungen Masaccios hervorhebt: nämlich Gebäude so flbereck gesehen in Perspektive zu zeigen, dass man

sie zugleich von aussen und von innen sah, wie es bei jener ■Heilung des mondsüchtigen Knaben«, im Hause des Ridolfo Gbirlandajo dor I'all war*). So blicken wir in bescheidenerm Um« &ng links durch ein Bogenpförtchen in den anstossenden Garton mit Orangenbaum und Blumenbeet, dixs sich an der Aussenmauer dos Hauses hinzieht, wie oben auf die Reihe von drei Fenstern mit kleinen Klceblattbogon darin und auf den schlichten Simsstreifen darüber. Drinnen dagegen ersehliesst sich vorn die Stube mit ge- täfelter llulzdcckc und oinem Kamin in der Wand rechts, untl durch eine schmale Tür in der glatten Querwand noch der weitere Einblick in die Schlafkammer, wo die Mutter im Bette liegt und so den wunderbaren Vorgang miterlebt, dass ihr neugeborenes Sohnchen sich aufinecht in der Waschwanne hinstellt und die Hände faltet zum Gebet Staunend eihebt die Gevatterin, die dahinter kniet, beide Hände, während die Wärterin, links auf dem Boden sitzend, die Windeln auf dem Schemel vergisst und auf den einen Arm gestützt, mit der Rechten auf den Wunderknaben weist, den sie als hilflosen Kleinen zu versorgen dachte. Diese Pflegerin mit weisser Netz- haube und dunkelgrünem Kleid auf dem hellrosa Fussboden kontrastiert kräftig mit dem lila Kloido dor I'rau, deren weisses Kopftuch sich von der hellgrauen Wand abhebt, während drinnen eine scharlachrote Bettdecke uns entgcgcnstralt und die Wöchnerin in blauem Gewände und feinem Schleier zwischen dem schneeigen Linnen hervorlugt.

Kein Zweifel, wir haben den nämlichen Maler vor uns, der auf dem (ieburtstagsteller in Berlin so koloristi.sch reizvoll den Einblick in die Wochenstube der vornemen Florentinerin eröffnet, und grade hier so deutlich den Zusammenhang mit den ältern Meistern des Trecento, mit Retro Lorenzetti mdir nodi als mit Giotto und den Seinen festhält Die Wärterin besonders möchten vnr eher bei der Geburt Marias vom Sienesen Lorenzetti und bei einem Virtuosen emailartiger Farbe, wie Gentile da Fabriano suchen, als bei den reinen Florentinern. Eben deshalb aber stimmt die Gesamtheit aller Eigenschaften, soweit der schlechte Zustand dieses Predellenstückes, die Uebermalung am Kinde, an der Frau dahinter und an der Mutter, sie noch erkennen lässt mit dem Desco da parto in Berlin und der Anbetung der .Könige aus Pisa aberein.

Opere II, 290: CMMnenti in praspettiv» tiiati in am nuunietm dw «* dinuMtnao

in HD tempo mcdcsimo il dtdcntro e il di fuori, per avcre egli presa la loro vedoUl wm in facda, in tu le cantonate per magpor dUficoltii. VgU Liefetuag II, No. 14.

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$4 Goldspende an die Töchter des Armen

Die unverletzten Teile, wie die scharlachrote Bettdecke, das dunkelgrüne Kleid mit hellen Lichtern auf Nacken, Schultern und Knie, der rosa Fussboden und das Grau der Mauern, finden ihres- gleichen auch in dem zweiten Bilde diosor Reihe, das bei weitem besser erhalten ist. Hier ist die nämliche Raumdisposition, d. h. ein Drittel links fiir die Aussenseitc, zwei Drittel für das Innere des Hauses, durch den Gegeiistaud der Darstellung selber vollauf motiviert; denn wir müssen draussen auf der Strasse den jungen Heiligen erkennen , der nächtlicher Weile am Hause des armen Mannes emporklcttert, um seine goldenen Bälle zur Ausstattung der Töchter durch ein Gitterfenster Ober der verschlossenen HaustOr hinrin zu werfen. Deshalb stdien auch links und rechts von diesem verriegelten Eingang die Steinbänke, die das Au&tagen erleichtern» und der junge Mann sttttzt nur den einen Fuss auf das Ramenwerk der kassettierten EichenholztQr, indem er sich bereits mit der linken Hand am Eisengitter der Fensteröffnung festhält. vSo hängt die Gestalt in lebendigster Bewegung droben in der Schwebe, und erregt durch den kühnen Versuch, die Erzälung der Legende nadi dem Sinn einer realistisch denkenden Generation plausibel auszu- malen, die Aufmerksamkeit des Beschauers für das seltsame Wurf- geschoss, das er mit geschickter Hand hiiu^in/uscMKlen im Begriff ist. Der keusche Woltäter trägt einen karminroten Mantel (mit weissliclien Lichtern, wie Masaccio zu malen pflegt, ) und einen dunkelgrünen Rock mit aufgestreiften Acrmcln über scharlachrotem Tricot an Armen und Füssen, hebt sich also wirksam gegen die hellgraue Mauer des Hauses ab, dessen rotes Ziegeldach vom und hinten vorspringt. Rechts wird uns durch schlichte Pfosten mit gradem Sturz Aber skulpierten Eckkonsolen der Einblick in die Schla&tttbe der Familie gewärt Vom in der Ecke sitzt auf sdilichtem Holzstul mit Strohgeflecfat der alte Vater in lila Haus- rock und Kapuze, Im Fro/Bl nach links; vor ihm kniet die jüngste Tochter in rosa Kleid, soeben bemüht, ihm einen Beinling der scharlachroten Strumpfhosen auszuziehen, die auch ihm nicht feien. Die rürende Fürsorge motiviert vortrefflich den hilfreichen Eingriff, dessen nur die beiden andern Töchter beim Schlafengehen ansichtig werden. Die Eine will soeben ihr Kopftuch abnemeu, und wendet sich, in kecker Verkürzung vom Rücken gesehen, mühsam hinauf- blickend zum offen gebliebenen Luftloch empor, durch das bereits zwei (ioldkugcln auf das Bett gefallen sind. Sie trägt ein dunkel- violettes Kleid mit roten l upfen, während die Decke des Lagers wieder scharlachrot, der Vorhang der Bettstatt darüber grün und die braungelbe Holzfarbe der Truhe davor mit dem Weiss der

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Beziehung zu Brunelleschi und Gentile

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Linnen und dem Gold der BAlle wirksam kontrastieren. Jenseits des Lagers wird vor der dunkeln Wand mit einem Rundbogen- fenster, das sorglich mit Holzläden verschlossen ist, noch die dritte Schwester sichtbar; sie ist grade dabei, sich ihr Kleid über den Kopf zu ziehen, und lugt so, halb schon im Hemd, verschämt zu dem Eindringling empor. So mischt sich in das Mitleid mit den armen Tochtorn. das den Heiligen statt der Neugier beseelt, die man sonst bei dem jungen Klcttorcr vermuten könnte, für den ein- geweihten Betrachter ein Zug glücklichen Humors und verleiht der frommen Legende in dieser malerisclien Schilderung einen Anflug florentinischer Novellen, der uns als Erbteil des Quattrocento aus den Tagen des Boccaccio und bei dem Freund Brunelleschis mit seiner grausamen Fopperei am »Grasso Legnajuolo« wol nicht über- raschen dar£

Nemen wir diese beiden ersten Bildchen aus dem Leben des heiligen Nikolaus mit dem genial hingepinselten Geburtstagsteller in Berlin zusammen, auf denen allen die schwierige Linearkonstruktion scharf vorgerissen ist so haben wir drei Beispiele intimer Darstellung von Innengemächem vor uns, neben denen das Sterbezimmer des heiligen Ambrouus und das Studio des Kardinals Branda daneben in S. demente zu Rom keinen Augenblick mehr befremden können. Und gerade in der Goldspende an die drei Jungfrauen ist auch die Malweise durchaus die charkteristische des Masaccin selber, die wir an den Predellen aus Pisa ebenso finden: die grünlichen Schatten im rosa Fleisch und die zarten, roten Bäckchen bei den jugendlichen Wesen; nur der Heilige, dessen Kopf sonst so sehr mit den Ge- schenkträgern auf dem Dcsco da parto übereinstimmt, hat durch Erneuerung diese technischen Keimzcichen eingebüsst.

Bei diesen beiden Predellenstücken sei aber noch einmal aus- drücklich auf das Studium des Altarwerks von Gentile da Fabriano Üar 8** Trinita vom Jahre 1425 hingewiesen, besonders auf die Geburt Christi, die Darstellung im Tempel (jetzt im Louvre) und die Flucht nach Aegypten an der Staffel, denen sich das ganze Altarwerk mit der VerkOndigung in S. Alessandro zu Bresda so sehr verwandt zeigt

Ganz anderer Art sind die malerischen Vorzflge, die uns auf dem mittlem Breitbilde der Nikolauspredella flberraschen. Zwei Drittel der Bildflftcfae sind in horizontaler Ausdenung dem stürmisch bewegrten Meere, nur der letzte Streifen oben dem Himmel ein- geräumt. Darinnen treibt der Wind ein Schiff, mit vollgeblähtem, aber schon zerrissenem Segel, rechtshin in die Dunkelheit des Un- wetters hinaus. Hinten am Steuer schwanken die Strickleitern über dem Rettungskahn, der wie eine NussTchale auf den Fluten tanzt.

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86 Rettung aus Sturhgefar

gleich andern kleinen Farzengen, deren »Segel hier und da in der Ferne auftaucht. Ueber dem hellen Spiegel der Bark, der mit zwei Kronen bemalt ist, ragt die Gestalt eines Insassen hervor, der beide Arme sehnt/flehend zur Höhe streckt, während die Genossen schon angstvoll ihr llalj und (rnt über Bord werfen. Und hier erscheint ilim in <"if(>rmigem Nimbus der Bischof Nikolaus, den er angerufen ii.it, in schraij-er Richtung alnvärts schwebend, indem er die rettende Hand über dem llaupt des Beters ausstreckt. Aufatmend aus ihrer Angst gc waren ihn auch andre Männer im Schiffe und weisen auf die liQlfe von oben hin, während drunten im Wasser die Wixe, von der Lichterscheinung des Heiligen verscheucht, nur noch einmal zu ihm aufblickend davon sdiwinmit

Das kleine Breitbild ist in aller Bescheidenheit der Mittel eme ganz ausserordentliche Leistung, besonders in dem einheittichen Zug der Bewegung, der das wunderbare Ereignis inmitten stürmischer Fart so lebendig zu Gefül bringt, und in dem übersichtlichen Zu- sammenhalt aller Bestandteile vom richtungweisenden Bugspriet und Segclriss bis zum überirdischen Begleiter, der wie ein Movenschwarm hinterdreinsclnvcbt, und zum Gefolge im Wasser, wo die Meermaid statt der Haifische sichtb.ir wird. Alles Figürliche ist in die Um- gebung der drohend<*n Elemente hincingcnommen, und so in der Abhängigkeit des ganzen Vorgangs von der endlosen Weite ein echt malerischer Eindruck erzielt. Fast müssig wäre es, daneben an Giottos Na\ icella vor S. Peter in Rom, oder an das Deckenbild der Cappella Spagnuoli bei S Maria Novella in Florenz zu erinnern; denn es ist ein drittes, völlig neues MeisterstQck in diesem Bildchen gegeben, das auch vom Schiff S. Rayners im Sturm auf Antonb Venezianos Fresko im Camposanto zu Pisa nur wenig entlenen konnte. Dagegen verbindet es sich aufe Engste mit verwandten Problemen in S. Qemente. Als Versuch, den drohenden Unter- gang des Schiffes durch überlegene Gewalten zu veranschau- lichen, d. h die Aufgabe in vollem realistischen Sinne zu fassen, verdient es als Fortsdiritt nach dem Fresko der Ambrosiuslegende genannt zu werden, wo das Haus des übermütigen Reichen mit allen seinen Insassen von der Erde verschlungen wird. Auch da spitzt sich der Zug der Bewegung in den fiiehenden Reitern gegen die Tiefe /u ; aber während sie sich im Sattel umwenden, vollzieht sich nach V(jrii /u die Katastrophe in immer breilerem l^mfang, so dass der unaufhaltsame Zu.sammenbruch dem Beschauer entgegen- stürzt. Hier dagegen entweicht das heimtückisch dämonische Wesen unter der Oberfläche des Wassers nach vorn, und die herabfarende Gestalt des Beschützers treibt das Segelsciuff in gesichertem Lauf seinem Ziel

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Malerische Einheit

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entgegen in die Tiefe. Die Gestalt des niederfarenden Bischofs selbst in lichtem Oval entfaltet sich nach oben wie ein langer Blumenkelch, so dass wir zwischen den gekräuselten Rändern des Chormantels und der Alba die beschuhten Füsse mit den Solen aufwärts hervorgucken sehen. Diese Darstelhingsweise tles Schwehcns (MUsj)richt ganz dem adlermässig hernieclerstolsenden Rettungsengel bei der Räderuiig Katharinas, wird hier im kleinen Hreitbilde der TYedella jedoch schon durch die Unikerung der Marsverhaltnissc /u einer glück- licheren Lösung, indem sich der i lug zwischen Himmel und Meeres- fläche mehr dem Schwimmen durch die Luilregion in horizontaler Riditung nähert, während dort im Hochformat des Wandbildes durch die einschliessende Architektur des Hoiraumes grade die mildernde Entfaltung in die Breite behindert war.

Im Vergleich zu den Seitenstacken der nämlichen Altarstaffel selbst endlich, wo in quadratischen Ramen sonst die Architektur- koulisse so stark vorherrscht und die Figuren in räumlicher Enge gezeigt werden, bedeutet dieses Breitbild mit seinem aus wdterem Abstand gesehenen Seestück einen absichtlichen Kontrast, und kann als Ganzes in seiner malerischen Gesamtauffassung nur mit dem grossen Landschaftsbilde des Kreuzestodes in S. demente verglichen werden, wo die Weite des Himmels und der römischen Campagna sowül die Gekreuzigten drohen als auch dir Versammelten unten in sich hineinnimmt, wie in einen unabsehbaren, über alles Gegen- wärtige hinausreichenden Zusammenhang, der mächtiger ist als alles einzelne Geschehnis.

Das letzte dieser Predellenstücke im Vatikan stellt die Auf- erweckung der drei Sdiolaren dar, die müde vom Wandern bei einem Fletscher dnkeren und wol bewirtet, nachts aber geschlachtet, zerstückelt und eingesalzen werden. S. Nikolaus kommt des Weges, bringt den schlimmen Gastwirt und sein Weib zum Greständnis und ruft die drei jungen Burschen aus ihren Fässern zum Leben zurflck. Die Scene spielt im Hof der Herberge, deren Front mit Aushänge» sduld und seltsamen Hausmarken links und rechts von der Tflr, durch die wir das Innere mit der Sti^e zum Obergeschoss erblicken, mit Fensterreihe darüber und rotem Ziegeldach den Hintergrund bildet. Rechts schiebt sich die Ecke eines andern Gebäudes mit Gitterfenster an den Rand des Bildes vor und versteckt so zur Hälfte den Küfer, der beschäftigt ist, Wein aus einem irdenen Kruge auszuschänken. Vor der Tür sind Wirt und Wirtin auf die Knie gesunken, während der heilige Hisc hof in vollem Ornat die Schwelle einer schoberartigen Halle überschreitet, die sich nach vorn und nach dem Hofe zu in je einem schlichten, hohen Bogen öffnet, nach

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AUFERWKCKUNG DER EIMGESALZEKEN SCH0L£R

den beiden andern Seiten aber geschlossen ist. Hier stehen unten dio drei Fässer, aus denen auf seinen Wink die drei nackten Jung- linge, bis an den Giirle] sichtbar, mit staunender \'orehrung hervor- kommen, während danf^brn oine Leiter auf den Vurratsboden fürt, wo Speckseiten und Zwiebelbündel neben Topf und Kessel hängen. Auch liier ist also der .Schauplatz mit Bauliclikeiten s<> gegliedert, dass zwei Drittel für die Haupthandlung verwertet werden, das letzte Drittel als einleitendes Anhängsel für Nebendinge entföllt; nur liegt das letztere hier auf der rechten Seite, so dass der Schwerpunkt der Erzälung wie der Gebäude nach links rückt Vergleichen wir diese Umkerung des Verfarens mit den tieiden Anfiuigsbildem der Legende, so kann kein Zweifel bleiben, dass dies spätere Wunder jenseits der Meer&rt, d. h. auf der rechten Seite des ganzen Gradino gesessen hat, und dass mindestens ein Nachbarstfick noch ebenso nach der Mitte zu linkshin gravitierte, d. h. wol das Ende der Erzälung mit dem Tode des Heiligen, der hier feit, oder dem Oelwunder sdner Grabstätte enthielt.

Wie dem aber auch sei, die Zugehörigkeit dieses Stückes kann auch bei dem heutigen Zustande nicht zweifelhaft erscheinen. Die drei nackten Jünglinge sind freilich .stark erneuert, wie das Antlitz und der Krummstab des Bischofs; aber sein roter Mantel und der grauliche Ueberwurf der Frau, wie die Architektur des Hinter- grundes mit dem Einblick ins Haus sind besser erhalten und stimmen in der Malweise durchaus zum Uebrigen. Die knieende Frau er- innert wie die Sdtenloggia sdir deutlich an cUe Auferweckung Tabithas, an die Katharinenlegende in & Demente und an den Desco da parte in Berb'n. Der Einblick in den Hausflur koount ganz ähnlich in dem arg zerstörten Teil links auf der Sdiattenheilung der Cappella Brancacd vor, und der hl Bischof selbst entspricht einiger- mafsen dem Kirchenvater neben S. Hieronymus^ zwei Fragmenten vom Altarwerk in Pisa, die mch jetzt im Privatbesitz bei Mr. Charles Butler in England befinden und 1894 in Ncw-Gallery Exhibition ausgestellt waren (vgl. unsere Tafeln der Lieferung II, No. 9 u. 11).

Wenn man trotzdem, durch eine gewis.se Oberflächlichkeit in der Durchfürung dieses Stückes veranlasst, an die Mitwirkung eines Gehilfen in der Werkstatt Masaccios, wie /. B. an die Hand seines Bruders Giovanni denken sollte, die wir schon auf der Rückseite des Geburtstagsstcllers selbst vermutet haben , so darf doch das Eigentumsrecht des Meisters an Komposition und Gestaltung damit keineswegs angetastet werden. Offenbaren doch grade die nackten Jünglinge, unter der Uebermalung nodi, ihre nahe Verwandtschaft mit den Täuflingen dnerseits und den hinteren Hörem der Fk^gt

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Wiederholung in Breitformat

89

andreraeits an der Altanvand der Brancaccikapelle. Ausserdem aber muss grade diese Predella mit der Nikolauslejfendo sich einer besondern Beliebtheit erfreut haben, und eben das eine iieispiel, das uns zur Hand ist dies aufzuzeigen, beweist zu][jlei( h die Wichtijjf- keit der obigen Analyse, besontlors was die Raumökonomie der quadratischen Bildchen im Unterschifd vom breiteren Mittelstück betrifft. In der erwänten »W'inter-l'^xhibition of Karly Italian Art from 1300 to 1550 in the Ncw-( iallery. London war unter

No. 37 das nämliche Wunder ties hl. Nik(jlaus mit den eingcschlachteten Schülern »Florentine School, lent by Charles Butler, Esq.<''). Darin haben wir von etwas späterer, aber weit geringerer Hand genau dieselbe Komposition wie auf dem vatikanischen Stacke, nur in die Breite ausgezogen, und zwar durch Zusatz einer ganz mflssigen Gartenpforte links hinter dem Schuppen, durch Wegschtebung des turraartigen Gebäudes rechts, neben dem auch noch ein Bäumchen und Stacket Platz gefunden hat, während der KOfer an seinem Usch nun deutlicher sichtbar wird, die Tafeln mit seltsamen Zeichen am Hause dagegen sich verlän^^ert mid die Zal der Fcnst^ sich auf sechs verdoppelt haben. Die Verzettelung der Bestandteile hier überzeugt von dem Wert der ursprünglichen Koncentration erstrecht, die zu notwendier mit der Gesanntdisposition der vatikanischen Predella im Ganzen zusiimmcnhängt, um die Originalität der Erfindung durch Masaccio, wenn auch immerhin auf Grund älterer Darstellungen, wie in den Fresken der Nikolauskaj)ello in Croce ^. - zu bezweifeln.

Weist uns aber die schwache Nachamung eines I'lorcntiners (bei Ch. Butler, Esq. in London) wie die Freskenreihe in S''^ Croce als Vorbild nach der Arnostadt, so bleibt die Frage nacli der Her- kunft der Fragmente in der Biblioteca Vaticana zu Rom doch sdiwer zu beantworten. Nachrichten über den ursprttngUdien Stand- ort der Bildchen in den Glasschränken des Museo del Rinascimento sind kaum irgend etreichbar. Und lesen wir die spärlichen Angaben glaubwOrdiger Berichterstatter über Masaccios Werke nach, so sagt uns freilich Antonio Manetti: »E fece anco in altri luoghi, in Firenze in chiese e a persone private, e a Pisa e a Roma e altrove«; aber bei der nähern AusfÜrung in Va.saris Biographie könnten wir zunächst nur auf das Altarwerk in S. Niccol6 oltr' Arno ver&llen, dessen Hauptstück allein uns beschrieben wird und die oben erwänte Ver* kündignng enthielt. Wenn es nicht grade unmöglich wäre, mit dieser Darstellung an vornemster Stelle nebenher die Lt gendenbildchen zu Ehren des Titelheiligen der Kirche verbunden zu denken, so bietet

') Kaulog S. 7. Pbotograpbiert von Heniy Dixon & Son. *) Phot. Brogi 6983—85.

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90 Reihenfolge der Werke in Rom und Florenz

sich wol die Handelsstadt Pisa für den Schutzpatron der Seefimr noch williger an; aber auch eine Entstehung in Rom selbst wäre nicht abzuweisen, wo der heilige Bischof von Myra in dem Kirchlein S. Niccolu in C-.irrcrr am Kapitel besonders verehrt wird.

Wichtiger aber als ortliche und geschichtliche Beziehungen solcher Art sind die künstlerischt- n , die wir mit einer Reihe von andern Werken Mas.iccios aufii;-« wiesen haben. Sie erlauben uns, die Kntstehungszeit dieser Predollenstücke der Vaticana mit der Legende des hl. Nikolaus ums Jahr 1425 1426 anzusetzen, also mitten in die Bildeiteihe der Altarwand in Cappella Brancacd, wo wh: in der Predigt noch den engen Zusamnienliang mit den oberen Bildern der rechten Wand, namentUch mit der Erweckung Tabithas festgestdlt. wfihrend die Taufe gi^enfiber sdion ebenso notwendig zu den vollendeten Meisterwerken der linken Wand gehört

Um so bedeutsamer wird die AusßUlung der LOcke zwischen Predigt und Taufe durch diese Nikolauageschichten und donh die Fresken in S. demente zu Rom, die unter einander so nah verwandt erschienen. Von den Anfängen der Katharinenlegrende bis zur Höhe der Kreuzigung bieten sich Analogieen genug zwischen dieser monumentalen Arbeit im Dienst Kardinal Brandas und den ver- schiedenen gleichzeitig entstandenen Tafelbildern dar, die wir in Neapel und Bremen, in München und Rom, wie in Berlin und üngland nachzuweisen vermochten.

Wir denken uns nach alledem den Heginn dieses Fresken- schmuckes in 8. demente zu Rom auf der nämlichen Stufe der Ent- wicklung, auf der Masaodo in den ersten enthaltenen Wandgemälden der Brancacdkapelle erscheint Mit den Deckenbüdem, den Kirchen* Vätern und Evangelisten, in Rom stimmen die Heilung des T ahmen, die Erweckung der Tabitha. nodi am nftchsten Qber«n. Die €re- schichten der hl. Katharina reihen sich daran natOrlich an und erreichen die Predigt des Petrus, wahrend die Geichiditen des hL Ambrosius wieder einen deutlichen Fortschritt aufweisen. Die Verkündigung an der Aussenseitc geht ebenso über die Madonna in München hinauSk wie Christophorus darunter als Vorstufe zu den Täuflingen in Florenz oder zur Vertreibung aus dem Paradiese sich darstellt. Genug überall hin laufen die Beziehungen zu anderen Werken IMa.saccios und drängen wie das grosse liauptbild der Altarwand, di<^ Kreuzigung, die das I'resko der Dreifaltigkeit in S. M. Novella voraussetzt, zu der Aufgabe, das Werden und Wachsen des Künstlers nun in einheitlichem Zuge durch/.uverfolgen, wie es in unsrer letzten Studie zusammenhangend versucht werden soll.

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Lieferung IV

Verzeichnis der Tafeln

Rom, S. Clementc, Cappella delU 1

Passione : '

l) Gesamtansicbl des Frcskctiacbmuckes .

dmch den Eingangsbogen (nach dm

Uflttimticii von Labnusl) s) Breitbilcl über dem BingaagtbogeB:

die Verkündigung)

a) Gabriel

b) Ifaria. I

3 a) DeckengewOlbe mit den vier Efta* ^ gelistcn und %-icr Kirchenvätem. b) S. Chh&topborus, Fresko zur Linken vom Eingang mmeii. 4) WandgMBlIde 4et Bogenlddfl* aw | Linken vom Eingang innen :

a) Katharinas Auftreten gegen den GyUendienst

b) BdcOTOBg «nd Eadumptoag der Königin 1

(nach Labruz/is Stichen). 1 Wandgemälde zur Linken vom Ein- . gang, untere Rdlw '

a) Diipiilalioii Kmtbarinas lud Ver* brennung der Philosoplien

b) Das Radwunder (

c) Enthauptung Katharinas und Beatattang $ni Simd 1

(nadi Labniid» Stidiea). i

6) Wandgemälde des Bngenfeldes rar

Rechten vom Eingang:

a) Das Bienen wunder

b) Die Wal des hL Ambroeia» tum Biichof Ton Mailand

(oaeh l«abnuii« Stichen).

7) WandgemUde zur Rechten vom Ein*

gang, untere Reihe

a) Der Untergang des Reichen

b) S. Ambrosius auf dem Sterbebett (nach Labnuiis Stichea).

8) HocbbUd der Altarwaiid: Der Krenxettod Christi.

9) Kmellwiten der Krettsignag (nach

Labruzzis Stichen)

a) Der Kopf des reuigen SflndciS

b) Drei Juden, links unten

c) Dar Kopf de* Jndas fsduuioth (links) und des Befelshabevs (rechts).

10) Einzelheiten der Kreuzigung

a) Kopf des Longinus, der Magdalena am Kreuzesstamm und dreier Kri^er

b) Köpfe aweier Fzanen bei Maria «nd vier von Reitern in der Tiefe.

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SCHMARSOW

MASACCIO-STUDIEN

FÜNFTES BÜCH

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MASACCIO

STUDIEN

VON

AUGUST SCHMARSOW

DER

FORTSCHRin DES MEISTERS

(MIT 53 UCHTDRUCKEN)

1899

Th. G. Fisher & Co. KASSEL

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DER

FORTSCHRITT DES MSTERS

I42I 1428

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Inhalt

I. Die Frübzcit des Meisten * t—s8

Das Triptydion Martins V. für S. M. Magpore wa Rom Die Madonna von 1423 zu Bremen Die Katbarinenlegnide in S. Clemente lu Rom (Fiasmeot au S. Bf. Maggiore io Floieiis vgl. S. iy>t) n. IHe erste Gruppe der Wandgem&lde im Carmine zu Florenzand ihre YerwuldteB 99—44 Die Heilung; des Lahmen und Erweckung Tabithas

Die Heilung des besessenen Knaben (Brüssel) Der SADdenfiril und die beiden Tafelbilder in Floieu vad MflndieB Die Predigt Petri und das Fre§ko in EmpoU

m. Die Vollendtin;; des Freskenicbmackes cn Rom 4S'~~57

Die Ambrosiuslegende

Die Verkündigung

S. Chrislopb oad der Dioeknr

Die Kreuzigung

IV. Die zweite Grupi^e der Wandgemilde im Caimine zu Florens und die ver- wandten Meisterwerke 58 75

Das Altarweik fttr Pisa und Fragmente der Ssmlg Montor Die Gescbidlte vom Zollgroschen Die Vertreibung aus dem Paradies Die Taufe der Dreitausend Die Dreifaltigkeit in S. M. Novelia

Die Nikolanslegeiide in Rom Die Taldbüder in Berlin Die Almosenspende wid die Schatttnlieilang

V. Der letzte Stil 76—88

La Sagra del Carmine

Da* Fbrtrtt in der Fiaakothek .Mllndiett Das leiste «nToUendete Waadfemllde

Petrus in Cathedra

Auferweckung des Ffirstensones Schlussbetrachtungen

Rfldiblick: Fortadiritte der Wandmalerei in Toskana von GIoNo bis Masacdo 89—136

Fragmente von Werken Masaodoe in Montauban (S. 130 f.) und Allenburg (S. 134)

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Drudi von L. DfiU in CumL

I

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I.

4^ DIE FRÜHZEIT DES MEISTERS |4

\ uf Grund der kritischen Studien, die wir vorausg^cschickt, darf die zusammenhängende Betrachtung, die nun dem Werden und WachstMi Masaccios in einheithchem Zuge gewidmet wird , bei einem neuen Ausgan i^r.spunkt einsetzen. Wir beginnen nicht, wie \'asari, mit dem Probestück seiner perspektivischen Problome, der lltilung des bisessenen Knaben, die sich damals im Hause des Ridolfo del (ihirlandajo erhalten hatte, oder mit dem Kirchenbild aus S. Ambrogio, S. Anna selbdritt, in der Alcademie zu Rorenz. Wir stellen ebenso wenig, wie Crowe und Cavalcaselle, die Male- rden in S. demente zu Rom voran, in denen nicht allein die wieder- holten Anläufe fortschreitender Meisterschaft sichtbar hervortreten, sondern sdiwerlich audi der Erstlingsversuch dnes An&ngers ge- sucht werden kann. Ein allsdtiges Hervorwachsen des Eigenen aus dem emsig erworbenen Erbteil der Vorgänger würde sich gewiss nur in einem Skizzenbucb, wie das venezianische Rafaels, oder in Folgen von Zeichnungen, Studien und Entwürfen, wie wir sie in London und Paris für Jacopo Bellini besitzen, und bei genauester Kenntnis der voranliogendcn, wie der gleichzeitigen Bestrebungen italienischer Maler beobachten lassen. So günstig sind wir bei Masaccio nicht gestellt. Wol aber gewären auch seine fertigen Leistungen, da sie bei so kurzer L<^brnszeit (1401 1428) fast alle noch den jungen Jaren regsamster Entwicklung angehören, überall den Einblick in die mannichfachen Ansätze des Wachstums ange- borener Graben oder in die rastlos vorwärts drängenden Errungen- schaften seines bewussten Kflnstlerwillens. Der Zusammenhang mit dem Trecento verquickt sidi zunädist sogar mit den Eroberungen des Neuen, die das Kapital fiir das ganze Quattrocento ausmachen

Schmsrtow, IfkModo-Stadieo V. 1

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2

Das Erste Meisterstück

sollton, wie mit den anungsvollen Offenbarung-en eines künftigen grossen und abgeklärten Stih s, die den Rringern der Hochrenaissance wie Lionardo erst verständlich werden, so erstaunlich, und diese Verbindung voll/ieht sich so schnell, dass sie dem kritischen Sinn des Historikers fast unbegreiflich vorkommen würde, wenn dem Genius nicht doch der glücklidie Wurf gelänge, da* sie tatsädiHdi ab Schöpfung vor unser Auge stellt

Das erste MeisterstQck, von dem wir ausgehen dürfen, um die Grundlage fOr den weitem Aufbau zu gewinnen, ist das Altärcben, das Papst Martin V., aus dem Hause Cotonna, für die Ideine Familienkapelle unweit der Sakristei in S. M. Mag^ore zu Rom ge- stiftet hat. Das Weihgeschenk kam jeden&lls in die alte erwflrdige Basilika, als dieser Papst in den ersten Jaren nach seiner Rückker in die ewige Stadt die anstossende Kardinalswon ung beziehen musste, d. h. zwischen Spätherbst 1420 und 1424. Wenn der junge Meistor, dem das Werk gehört, selbst erst am 7. Januar 142 1 in die Matrikel der Aerzte und Spezeristen zu Florenz eingetragen worden ist, so dass er die Ausübung seiner Kunst selbständig zu betreiben berechtigt war, dann schränkt sich die Entstehungszeit noch etwas ein, Wärend andrersiits der Auftraggeber gewiss nicht bis zum Ende seines Aufenthalts aut dem Esquilin mit der Bestellung für die Kirche gewartet hat Auf das Jar 1422 kämen wir, wenn das Porträt des darin dargesteUten Ardüdiakon sich als das des Lodo- vico dei Fieschi von Genua bestimmen liesse, der am 3. April 1423 gestorben ist, indem wir damit einen letzten Termin der Auf- name wenigstens dieses Bestandteils erhielten. Die Jareszal 1423 trägt tan andres Werk von Masacdos Hand, das bereits fortge- schrittener erscheint, die Madonna in Bremen Im Jare 1424 er- wirbt der Maler die Zünftigkeit bei der Lukasgilde zu Flcu^nz, ist alsowol nach längerer Abwesenheit b< i:--< k rt, um dort einen Auf- trag zu übernemen, wenn damit auch die Beziehungen zu Rom nicht abgebrochen zu sein brauchen.

Das Triptychon Martins V.

Wärend Gentile da Eabriano, den Martin V. zu sich nach Florenz hatte koniin( 11 lassen, ruhig am Arno blieb, als die Kurie von danncn zog, und Altarwerke für P.dla Strozzi und die Quara- tesi vollendete, finden wir Masaccio noch nicht zwanzigjährig in Rom. Sein Altärdien fitar S. M. Maggiore dessen Mittclstücke im

*) Vgl. Bttdi m p. 74 ff. Abbildinini Ueferaag II, TkC t$— 18.

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AltArchen Martins V.

3

Museum von Neapel erhalten sind. 1^ /' ugt in der Darstellung des Schneewundors, dem diese Kirche ihren Ursprung verdankt, sojjfleich seinen Verkcr mit den Ruinen aus iUt Kaisorzoit wie mit den mittelaltorlichen Mauern, die in keinem Stadtliild feien. Die (irün- dung der iiasilika durch I*apst Liberius. die er liildern soll, er- heischt als Schauplatz allerdin^rs die Hohe des Fscjuilin. Dagegen erscheint als Hintergrund eine Ansicht vor Porta S. Paolo mit dem Monte restaccio und der Cestiuspyramide, und /war umgekert auf die Bildtlächc übertragen mit diesen Warzeichen rechts; aber die Mauern erblicken wir von der Innenseite, das Tor wird nicht kennt- lidi wie „fuori le mura**. Nicht emstlicher wollen auch die Bauten auf beiden Seiten, ein Palast zur Linken, eine Arkadenreihe zur Rechten, beim Wort genommen sein, wenn ein Topograph aus ihrer Lage zu einander die dargestellte Oertlichkdt bestimmen wollte. Was Warheit sei, wird auch im Lauf rles Quattrocento erst allmäh- lich entdeckt, und den Künstlern, als Vertretern der schöpferischen Phantasie, nur langsam anerzogen. Aber die Anschauung des Malers haben die liauwerke Roms ergriffen und klärend durchsetzt, darüber ist kein Zweifel, sobald wir diese ersten Beispiele, die er verwertet, mit den Vorstellungen andrer Roinfarer vergleichen.

Vor allen Dingen aber erfüllen sie diesen Zweck, den wir zu- nächst aufzudecken haben, one fremdartige Anforderungen an das Bild zu stellen. Er schafft sieh mit ihnen die feste Begranzung des Schauplatzes, nach Art unsrer heutigen Büne, und grailc diese Monumente: das Mal neben dem Scherbenhügel, die Arkadenreihe mit kräftigem Kranzgesims auf der Obermauer, die übereck ge- sdienen Bestandteile eines Palastes mit seiner geschlossenen Um- fassung von Stereometrtscher Klarheit und Wucht, sie orien- tieren den Beschauer sofort über das Verhältnis der Dimensionen mit ein paar entscheidenden Senkrediten und Wagrechten. Das innere Raumvolumen steht da, bereit die Körper der Figuren in sich aufzunemen. Dies Gerüst seiner Büne setzt geläufige Kennt- nisse voraus: die perspektivische Konstruktion ist bereits folgerichtig durchgefürt Aber auch dafür sind schon zwei Mafsnamen vorweg getroffen, die von bewusster Rechnung mit den bcsondern Anfor- deningt^n des Gegenstandes zeugen.

Die schmale, oben al)gerundcte, aber gewiss ursprünglich mit gotischen, gebrochenen und ausgezackten Bogenformen cingcramte Tafel wird nämlich nicht als Ganzes in die Konstruktion einbezogen, sondern das obere Drittel, etwa bis an die Kapitelle der gedrehten Sftuldien des einstigen Gehäuses, ist als himmlische Region ausge- sondert, wo auf goldenem Grunde in krdsrundem Regenbogenrand

1*

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4

Das Erste Meisterstück

(Wo Halhfig-uren des Gottessones und seiner Mutter erscheinen. Diese Glorie steht auf einem breiten Wolkenstreiten, der (he untern zwei Drittel als rechtwinklige Bildfläche nach oben begrän/t. Es ist die Schneewolke, aus der die I locken herniederfallen :iuf den erwälten Hügel Roms, um die Stätte für das künftige Heiligtum zu bezeichnen. Nur auf diesem irdischen Schauplatz bemdien die Gesetze der Linearperspektive, deren Erföllung sein Freund, der Architekt Filippo Brunelleschi, eben damals von den Malern gefor- dert hatte. Auf dem klaasischen Boden sollte jedoch femer der Grundriss der altdiristlichen BasUika an ihrer entscheidenden Stelle, d. h. das Tau-fbrmige Kreuz mit halbrunder Apsis sichtbar gemacht werden. Als Hauptsache erscheint eben dem Maler, der in so per- sönlicher Beziehung zu dem Baumeister der Frührenaissance steht und von ihm gelernt hat, sich über das Raumschema der römischen Bauten Rechenschaft zu geben, eben diese (irundform, die der Paj>st an Ort und Stolle mit der f lacke umgränzt. Kr giebt also den Ueberblick von der einen Schmalseite des (Juerhauses bis zur an- dern, mit der Apsis in der Mitte rechts und zeigt den Papst schon im \'erfolg des Langhauses begriffen, das hüben wie drüben breiter als die Tribuna an das Querhaus anstösst, mitbin das Verhältnis der Seitenschiffe zum mittleren ebenso erkennen iSsst So werden die charakteristischen Kennzeichen von S. M. Maggiore gegeben« Zu- gleich aber sind damit an die Ausdenung des Schauplatzes in der Tlefenaxe gans aussergewönliche Zumutungen gestellt Das fiUt zur zweiten Malsname für den besondem Fall.

Die Reg^ ihr die perspektivische Konstruktion, die dem Maler bekannt ist, giebt den Schnittpunkt der Diagonalen seiner Bild- fläche auch als Augenpunkt So entsteht bei der schmalen Grrund- linie des Rechtecks ein ausserordentlich schnelles Zusammenfliehen aller Geraden nach diesem Centrum. Zur Abschwachung dieses, immer noch störenden Eindrucks, wird das weitere Auskunflsmittcl ergriffen: die Zurückschiebung der architektonischen Scitenkoulissen aus dem Vordergrund, in dem jetzt die Hauptpersonen one die Kon- kurrenz tektonischer Körper auftreten können. Freilich rücken die römischen Bauw erke auch in zweiter Reihe noch immer den Figuren zu nah auf den Leib und drängen sich als Ma&ftab auf; aber auch die ringsum versammelten Zeugen der feierlichen Handlung ver- jüngen sich, der Weite des Abstandes entsprechend, und gewinnen zu dem Stadttor, den Mauern und der Pyramide im Hintergrund das richtige Verhältnis, das uns gerade durch die Konsequenz be- fremdet Wie absichtsvoll ist der HQgel drinnen niedrig gehalten gegen die HöhenzOge der Castelli Romani draussen am Horizont

Altärcuen Martins V,

5

Wir scheu also cIlmi jungen Maler nicht allein im Vollbesitz der perspektivischen Konstruktionsregcl, die BruncUeschi Icrte, son- dern auch bemüht, das richtige Verhältnis zwischen Architektur und Figuren liarzuatellen. Er fiusst die beiden Bestandteile, Raum und Körper nicht als Ganzes in einheitlicher Anschauung zusammen, die noch Masolino nicht gelang, sondern setzt sich durch die Frnlegung des Vordergrundes links und rechts schon mit dem Gresetz des Archit^ten zu Gunsten sdner menschlichen Wesen und ihrer Hand- lung auseinander. Er ringt mit der unerbittlichen Folgerichtigkeit und hebt sie vollends auf Ar die Vision am Himmel, die er in schlichter Reliefeuffassung vorfürt, d, h. räumlich frei über der irdisch be£uigenen Büne, doch körperlich wieder vollauf bestimmt und sogar in dorn Kreisrund der Glorie wieder fest umgränzt. Auch das ist bezeichnend für die Zeit und die Gesinnung, dass nach der Aussonderung der Himmel.sretri,,n aus dem Ramen des Historien- bildes unten, doch die malerische Freiheit nicht voll ergriifen und ausgebeutet wird, sondern wieder eingeschränkt nach plastischen Gesetzen, ja durch einen ersten Anlauf, auch dem Aether mit geo- metrischen P^ormen beizukommen.

Wo Wolkengebilde in Luft und Licht verschwimmen könnten, da modellieren ädi hier Gestalten im Rundmedaillon, grdfbarer, tnldneriscfaer durchgedacht, als die Kunstgenossen sonst es ver- suchten. Was wir bei den Malern dieser Tage nicht finden, das erklärt uns ein Blick auf die Marmortabemakel an Orsanmichele, besonders die damals soeben entstandenen Giebelfelder über den Standbildern von Nanni d* Antonio di Banoo, dem 1422 schon ver- storbenen Gefärten Donatellos. Dort erscheint die Halbfigur des Erlösers mit dem feingezeichneten Antlitz und der weich drapierten Gewandung, ganz änlich wie hier Christus und Maria; wir be- greifen sofort den Anschluss des Malers an plastische Bestrebungen seiner Nachbarn und deren günstige Wirkung auf seine gemalten Körper. Die göttlichen Personen sind dadurch an Leibhaftigkeit so- gar im Vorteil gegen die Menschen drunten, die in den Gränzcn der dargestellten Räumlichkeit sich nicht vollauf entfalten können. Der Papst mit seinen Kardinalen, der Patritius Johannes mit seiner Frau und andern Zeugen sind trotz allem Bemühen sie frei zu machen, schmächtige, feinknochige GreschOpfe geblieben. Die Zu- schauer in der Tiefe wirken nur puppenhaft. Und nicht wenig trägt eine gewisse weichliche Grrazie des Benemens, die Greziertheit der höfischen Sitte, aber auch die Kraftlosigkeit der Bewegungen sonst dazu bei, diesen Eindruck hervorzubringen. Darin macht sich der Zusammenhang mit dem Zeitgeschmack, den er vorfindet, und mit

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Das Erste MeisterstCck

dem Vorbild (h s (it-ntiU- da Fabriano oder des Masolino da Pani- caU' noch am meisten t'ulbar. Und die Kinkleidunj,'^ der altchrist- lichen Lei^'^onde in die 1 rächt der (iegenwarl und den Anstand am Hofe Martins V dessen Züge der Paj)st I.iberius angenommen hat, der Versuch, auch in den Kopten seiner Begleiter die Individuen von damals zu konterfeien, wie Lodovico t'iesco, den Archidiakon, oder Braoda Castiglione, den Legaten, und wen der Maler sonst einmal nach dem I^ben gezeichnet hatte, oder zu dem fQrstlicfaen Kostfim gegenaber auch die Züge König Sigismunds wiederzugeben, all dieser Zuwachs an wirklichem Dasein lAsst die Unwarscheinlich- keit des durchgehends unfertigen Korperbaues erst recht bemerk- bar werden, indem es den Anspruch an Wirklichkeitstreue steigert. Zwischen die geistlichen Würdenträger, in d^ n -n historische Per- sönlichkeiten vor uns auftauchen, und die modischen Herrn, die an Fürstlichkeiten beim Konstanzer Koncil erinnern, sind /arte Jung- frauen und truniino (ireise in langen Gewändern eingestreut, wie sie auf Kirchenbildern, etwa beim Sjuisalizio aufzutreten })tlegten. Die Verwirklichung des Vorg.ings ist also nicht vollständig durchge- Uirt. sondern ))leihl auf der n.unliclicn Stufe, wie der römische Schauplatz, auf dem ein/eine Warzeichen, wie Monte Testaccio und Cestiuspyramide, mit Durchsdinittsprobcn, wie die Stadtmauern, zu- sammengestellt sind, one mit der Absicht, den damaligen Anblick des Esquilin bei S. M. Maggriore wiederzugeben, soweit Ernst zu machen, wie mit dem Kirchenplan. Es bleibt bei einer Durch- dringung der mittdalterlichen Legende mit dem Leben der Gregen- wart, soweit die Erfurcht vor der Erstem sich damit vertragen will. Und diese Verquickung der gotischen Tradition mit dem modernen Verlangen nach glaubhafter Realität bestimmt auch die Tonart des Vortrages, der wol mehr elegische FVommigkeit und wei<he Gefüligkeit als feierliche Getragenheit des selbstbewussten Auttretciis eignet. ]{s klingt wie eine Erzälung für die Pilger aus den Mirabilien Roms. J )ass d.ibei die Person des lebenden Papstes und seiner Umgebung .m die Stelle der überli( fi rten Namen tritt, bleibt ein ebenso starkes und vollwertiges Bekenntnis der neuen Zeit, wie die entschlossene Eroberung des dreidimensionalen Raumes ftlr den Aufbau der wirklichen Welt vor unsem Augen, den der Maler auf seiner Goldgrundflache voltzieht Aber eben daraus leuchtet ein : die Konstruktion fOr das Ganze ist früher zur Hand als die Aneignung der Dinge selbst in ihrem natüilichen Zusammen- hang; diese werden einzeln aufgelesen, ja herausgerissene Zfige ganz individueller Art auf das grundlegende Schema aufgetragen, so dass «e wie Töne aus verschiedenen Registern nebeneinander stehen.

Für S. M. MAcnioRK in* Rom

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Die Vcrniittliinsr und Austjleichunj^ zwischen so verschiedenen Graden der W.irhatti^rkt it, nach der wir weiter fratjen. kann nur im Bereicii d<T I-'arhe und des Lichtes nocli gi^sucht wi rdt ii, soweit nicht durch einen \'i>rrat gi'läutiijfer Fonnrln und Weiuiun^f ii dtifür gesor^ ist. In der 1 at vi-rschnn-l/cn An^felerntes un<l l>et)lja< htetes durch das MittelgHed des Konstruierten, das mit der besondern Auf- gabe rechnet, bis zu einem gewissen Grad unmerklich. Die Haltung der Kopfe, leise vornüber oder zur Seite geneigt, überwiegt gleidi- mflssig in der Mdirzal, der andächtigen Teilname an der Ceremonie entqirechend. Nur entferntere Zuschauer blicken zur Sdineewotke hinauf und zeigen kflnere Verkürzung, oder geraten in Beziehung zum Nachbar, so dass wir ein Geflüster vermuten. Die Haltung der Hände schtiesst sich dem an: die meisten sind gefaltet oder in ein- ander gelegt, nur vereinzelt wagt sich eine staunende Gebärde oder ^n Hinweis fllr den Nebenmann hervor; aber auch diese bewaren die getragene, gedämpfte Tonart, die das Hervorbrechen des Un- mittelbaren und Unerwarteten ausschhessl. Diese Wirkung bleibt allein dem A\'under selbst vorlx halten. Und die T'rheber, droben in der (il<:»ri<-, V')ll/i« lion ihre W'ilh'usausst runv;. s<' bestimmt sie auf Erden sich j^esttdtct, doch selbst in nKijestäti.scher Ruhe und Hoheit, wie Christus, der die jL^euffnctcn llaiide abwärts streckt, oder in demütijLcer Bescheidenheit, wie die zarte Maria, die den Gotteslon nur mit leisem Wink bi ^K itet. Das Gleichmafs der rituellen Mimik, wie die kirch- liche Feter und das Andachtsbild auf dem Altar sie teilen, lagert noch über diesem Hbtorienbild, das doch schon die Trennung der Wege deutlich erkennen lässt, und bildet so eine Ausgl«chung zwischen den kräftigeren Momenten, die zur Lebendigkeit des Tat- sächlichen empordrängen.

Zu dieser vermittelnden Phraseologie der Fcurmensprache kommt als wirksamer Faktor im Sinne der Einheit dann die Farbe, Die Grundlage nähert sich bei der Kleinheit des Mafsftabes den Be- dingungen d* r Miniaturmalerei, die vom Absehen auf volle Natürlich- keit entfernt ist. Die Gesrimttarbung ist noch hell, aber ebendeshalb wol abufrtont, nach den harnii >nischen Gesetzen der einmal ange- nommenen Scala, Die Mcist:ht('ilt' sind ilurchsichtig bis in die Schatten hinein, diese aber nicht grün untermalt wie bei Masolino, sondern rotbraun, untl d<\shall) warm. Wie von innrn drinyt die T,ebensglut, dem unwillkürlichen und schüchternen l\rroten vergleichbar, in die Wangen, und erreicht in einzelnen Männerköpfen eine Kraft und Frische, die eine volle Erneuerung verheisst und das dürftige Gebilde des Körpers selbst ergreifen muss. Und merkwürdig wie der neue Adam, den die aetherischen Menschenkinder anziehen möchten,

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Das £kst£ Meisterstück

slclil (irolien der 'TOttesfon selber da mit der jugendlichen (iefar- tin seiner Macht, als wären sie das erste Men-sclicnpaar einer voll- kommneren Schöpfung oder die Urbilder der bevorstelienden Wieder- geburt des plastischen Gestaltens.

Ausser der gemeinsamen Kamation dient noch die larbige Gewandung dem selben vermittelnden Ver&ren des Malers. Aber grade hier geht er über den bunten Glanz der dekorativen Poly- chromie one Unterschied der Stoffe, wie er bis dahin noch bei Don Lorenzo Monaco und seinen Gesinnungsgenossen geübt wird, hinaus. Er vertieft sich schon aus Interesse für die verschiedenen Zeitkostüme der geistlichen und weltlichen Herrn, in die mannichfaltige Natur der Gewebe, der Chorhemden und Pelzkappen, der Sammetröcke und Seidenkleider, bis in die Goldstickerei des Pluviale oder die Edelsteine des Triregno Martins V, die er als wirksamen Gegensatz gegen die einfache Schönheit der Himmlischen in ihrer gotischen Idealität verwertet. Das Vorbild der stoftlichen Kleinmalcrei und d(?r liebevollen Sorgfalt des Gentile da Fabriano ist unverkennbar; aber im Vergleich grade mit dem emailartigen Schmelz und dem funkelnden Geschmeide, die der oberitalienisch gewordene Umbrer in Farben über seine Altartafeln ausbreitet, bewärt sich Masaccio sdion hior, wo er den GrOnner jener Goldschmiedsseele befriedigen soll, seine eigene Gesinnung, die sidi niemals an ganz materielle Wirkungsmittel Volieren kann,

Himmel und Erde zu einem Gemälde zu vereinigen, hat er aber noch, ein Mittel, das wieder mit der einheitlichen Raumauifassung zusammenhängt und selbst die Scheidung in der Konstruktion des irdischen Schauplatzes und der Götterwelt wieder ausgleicht: das ist die Fürung des Lichtes. Von links oben fällt die Helligkeit ein und beleuchtet im nämlichen Sinne das Antlitz Christi und der Madonna, wie des l*apstes und der Kardinäle, nebst allen Zuschauern ihnen gegenüber. Die nämliche Richtung ist auch in der Schattierung der (iebäiide und der Berge durchgefürt, so dass wir noch heute für den ursprünglichen Bestimmungsort des Täfelehens die Forderung stellen dürfen, dass er diesen Bedingungen der Lichtzufur entsprach. Die kleine Kapelle in S. M. Maggiore befand sich, wie Vasari an- giebt, in der Nähe der Sakristei, die wieder durch den Zusammen- hang mit dem anstossenden Palast bestimmt wird. Der Altar stand vom Eintritt durch die Vorhalle rechts im Sdtenschiff zu Füssen " des Turms, d. h. an einer Stelle wo das Licht aus dem Obergaden des Mittelschiffe der Basilika von links oben einfällt. Auf dem be- zeichneten Altar, der gegen die Turmmauer gerückt, seine Vorder- seite in die Längsaxe des Seitenschi& kert, erfiiült die obige Be-

FOr S. M. MagCiIore in Rum

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dinjriJti^^' des I.iclitcinfalls also nur die Rückseite, die wirdrm Historion- bilde vom Sc hncewutider cinger.iunU haben, w.irciid an d< r Vorder- seite das Ikm hheilii^M^ Andachtsbild zu sehen war, d. h. die „Assunta", der die Kin he i,'e\vtMht ist.

Diese ilimnieltart M^irias bleibt selbstverständlich in der hiera- tischen Vorschrift befangen, die gewiss auch die Vertretung der neun Engelchöre dem Maler an die Hand f^ab. Dennoch wird auch hier flberzeugende Wirkung des Vorgangs angestrebt Die völlig körperhaft dasitzende Gestalt der Maria beweist allein schon, wie Maaaccio die Aufgabe von innen heraus neu durchgearbeitet hat Und ergftnzen wir auch hier die spitzbogige Umramung oben mit ein^ningenden Nasen, wie der Gesamtumriss des Figürlichen de heute noch fordert, so fallt die vomQber gebeugte Halbfigur des Gottesfones, der die Mutter zu empfangen mit ausgestreckten Armen aus der Höhe niederschaut, mit seinem Cherubkranz die oberste OeflFnung des Robroclienen liogens, wärcnd die mandelförmijfe (ll<>rie Marias aus roten und blauen seehstlüv^elij^en Kopfrhen sich ring-sum klar gegen die schwebenden Kn),^el abhebt, die sie, paarweis gleich, links und rechts bekjleiten, allmählic h fester und fester auf den Wolken knieend, bis /u den untersten vier, die auf verschiedenen Instrumenten musicii rend, der Erde näher, auch .im j^^rOssesten erscheinen, und zu den Fulsen der Auscrwälten sich zusammenschliesscn, indessihre Kniee auf Wolken ruhen und ihre schleppenden Gewänder sich sdtwärts aus- breiten, wie auf sicherem Grunde. So gewinnen sie den Anschein, als wären sie die Deckblätter einer Knospe, die sich am Boden aus- legen, wftrend der geschlossene Kelch an der Mitte sich gerade zum Licht emporreckt, und das Ganze formt sich wie ein Gewächs gleich dem Mittelatack der Florentinischen Lilie, der nur ihre Seitenblätter feien. Auf den Flügeln des Triptychons waren aber, wie Vasaris Worte „darin sind vier Heilige so trefflich ausjr, fürt, dass sie wie in Relief erscheinen, und in der Mitte Santa Maria della Neve" er- kennen lassen, Einzelfiguren, paarweis gesellt oder jede in besonderem Ramen für sich bestehend. «>ne unmittelbaren Anteil an der wunder- baren AufFart der Madonna dargestellt.

Die „Assunta" im Il.iuptbiUle fand dagegen eine Krj^.inzung in dem Untersatz mit der liest.ittung durch tlie Apn^tel. die sich als weiteres l-ragnient in der Bibliothek des Vatikans erhalten hat. Der traurige Zustand dieses stark übermalten IVberrestes erlaubt allerdings hat nur noch die Romposition als solche /u bewerten. Auch sie aber unterscheidet sich von dem späten Schulgut der Trccen- tisten durch den Emst, mit dem sie neu durchgearbeitet ist. Die beiden Apostel, die den Leichnam in den Sarkophag legen, dann

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Das Ersie Meisterstück.

Petrus, der die (iebetc Host, und ChriMus, der die Seele in Gestalt eines Kindes wiederbringt, sind übers Kreuz einander entsprechend aufgestellt, die Träger des Ausdrucks zuäusserst und in der Mitte eingeordnet, das Ganze dann aber im Sinne malerischer Freiheit und räumlicher Weite seitlich etwas verschoben, so dass selbst die Engel- paare mit brennenden Kerzen hüben und drQben nicht in starrer Symmetrie auf gleicher Höhe stehen. Hoch aufgerichtet in ihren schlichten hellen Grewändern, schliessen sie jedoch den feierlichen Vorgang wirksam nach beiden Seiten ab, wie als Hintergrund eine Hügelkette im Dämmerschein die ^-^mp Gestaltenreihe begleitet

Damit erst haben wir den So( kol für das Fiirurent^ebilde in der Luftregion darüber, wie es die 'i at'el mit der Assunta zeigt, den dunklen Untergrund mit kräftigen } lorizontalen. aus dem die Engol- glorie emporsteigt. Und wieder hat Masaceio durch einheitliche Be- leuchtung für das Zusammenwirken der Teile zum Ganzen gesorgt. Das llaupllicht kommt hier, dem X'organg entsprechend aus der Höhe, über den Scheitel und die Stirn des herabschauenden Er- lösers, über das Haupt Marias, das vom Manteltuch umhüllt ist, und ihre betend erhobenen Hände, Über die Knie der Sitzenden und die blondharigen Engel zu ihren Füssen. Drunten aber bei der Be^ stattung &A\t es wie Mondschein über die Köpfe der Apostel, ihres Meisters und seiner Engel, ganz besonders hell über das Seelchen der Abgeschiedenen in den Armen ihres Sones. Die beiden Sceneo müssen auch /usummengenommen werden, wenn man die Oekono- mie der Gestaltenbildung, von den Cherubköpfen bis zu Maria und Christus empor, nachzurechnen versucht. Die musicierenden Engel, die zu unterst schweben, kommen im Mafsftab den Leuchter- trägern auf dem I*"rdboden und den Aposteln beim Grabe am nächsten. Das Selbe gilt vf)n der X^Tteilung schlichter <Tewandung und faltenreicher Draperie. Christus (iV)en und Maria sind einfach und plastisch klar; nur das aufwärts flatternde Mantclende, das die Herabkunft aus der Höhe nachklingen lässt, und die Breite des Mantelsaums der feierlich Tronenden dienen andrer Absicht, die wir in Engelkleidern durchverfolgen können, bis zu den ruhig stehenden Normaliiguren dieser Himmelsboten bei den näditlichen Exequien. Die Charakteristik der Gewandbehandlung des Meisters: „rein one Zierwerk", die unsre besten Quellen über Masaceio wiederholen, passt durdiaus für diese Predella im Vatikan, die so den aestheti- schen Gegensatz zu der Glorie auf Goldgrund bildet, ihr sozusagen als Folie dient. Wie die Fngel one Flüg' l. one Abzeichen kirch- lichen Ornates und one Diadem auf dem Haupte dastehen, so ist auch Petrus nicht als Presbyter oder gar als Bischof gekleidet, son-

FRAriMKNTE IM VATIKAN

dorn in der i4l<M< hrn anostolisrlifii l'rai ht wie dir- l 't l)rii^« ii und Jesus in ihrer Mitif, l'iid wie der ("hristuskopt hirr wie uhi-n und aut <leni Sehnt- cu undcr .m di-r Rüeks<'iif' schon deutlich tlic weitere V<»llon(hin^ in der r.r.uu ac cikapelle .ils /ui,'ehi »rijf erkennen l^isst. so sei hier besonders aut" die l'ehcrein.siiinnuini^ mit der Kreu/ii^unijr in S. demente hinj^cwicsiMi. Der Zusaiumcnklang im Kfeisc dor JflnKer, mit ihrer encr^frisch zusammenjferafftvn Draperie, bleibt aber die Hauptsache, .sobald wir dies Staffelbildchen aus S. M. M.iggiore in Rom als willkommene Vorstufe fOr den Bilderkreis Masaccios in Florenz erfassen lernen.

Zu diesem Fraf^cnt des Untersatzes tritt noch ein anderes im Vatikan hinzu» das um so eher die oberste Bekrünung des ganzen Altärchens gebildet haben kann, als dieses sich gewiss der damals übliclion Form entsprei liond in dn iyit l'lij^'-cm Aufbau darstellte, so daas über dem Mittelstück n <>ch oin eigner kleinerer Giebelaufsatz hervorragte, warond über den Mügeln spätgotist he Wimperge auf- stiev^M-n. Enthi<lten iliese violleicht in Rundmedaillons die ll ilb- hgiiren der X'erkundigunv,"^. so bietet der .,( olmetto del trittio tri- cuspidale" im X'atikan die herkomndiche Dtirstellung des (i< kr«'U- /igten /wischen M.iria und Johannes '). Im oi)eren Abschnitt des gebrochenen Spitz-bogens. der ilas ( lielieifeld ebenso uniramt, w ie wir uns die unteren Hauptbildcr zu denken haben, wiederholt ein ßäum- dien mit dem Pelikan, der seine Jungen mit dem eignen Blute ndrt, als Symbol aufopfernder Liebe darauf, noch einmal die gebrochene lk>genform des Ganzen, und bezeugt so, aus dem Kreuzesstamm auf- wachsend den architektonischen Raumsinn des Künstlers, der auch in der Form des niedrigen Kreuzes selbst und in der Verteilung der zugeordneten Körper im unteren Abschnitt sich ebenso vorteilhaft erkennen kisst.

Das sichere Dastehen di r beiden Leidtragenden ist höchst ch.iraktrristiscb und als Kenn/ei( hen für die Entslehungszeit wie für den Meister von entscheidender Bedeutung. DiescT feste Aufbau der l-igup'n am Kusse di-s Kreuzes giebt auch den Schlüssel zum Verständnis des (Vucitixus ..elbst. der auf das l-'ussl>rett gestellt ist und so, gegen d( ii Stamm lenend. .uich für die Schwere des Leibes den Rückhalt geuinnt. den der Künstler im Interesse tler plasti- schen Entfaltung statt des Hängens am llol/e gesutht hat. Am schwächsten erscheint trotz der statuarischen llaiiung der Lieblings-

') Vgl. die P.f<rhrri1uin<,' des Pivamr Altarwetks von Ma>..iccio l)ei Vasari, dann das Tabernakel von 14^3 in l'.ienun uti.i den Altar d-s Gentile da !■ al.ri.ino in der Ak.i- demie zu Florenz aus den^sclbeu Jare; aber auch noch späte Provinzulwerke, wie die dct Nioeole da Fal||M.

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Das Erste Meisterstück

jürii^^or, sowol wegen seiner weichen, vielgeteilten Draperie, als wegen seines Wfibliehen Wesens in Antlitz und Richarde. Aber diese Süssigkeit gefülsseliger 'I'rauer entspricht dem froinmen elegischen Ton des Schneewunders durchaus, den sanften Jünglingen wie den holden Frauen, die auch dort, wie mitten aus der (iegenwart her- ausgegriffene Modepuppen gezeigt werden. £s ist die Zeitstimmung, die fest vom Norden her, aus den Tagen deutscher Mystiker, her- über ztt klingen sdieint, und uns begreiflich macht, weshalb ein GentUe da Fabriano durch die Vorliebe der Kirchenfürsten bd ihrer Rflckker vom Kostnitzer Koncil auch in Florens soviel Erfolg hatte. Es ist die nämlidie Stimmung, die im Lebenswerk eines Fra Angelico noch eine so reine und vollwertige Verewigung finden sollte. Dass man noch später einmal den klagenden Johannes des Masaccio mit einer Magdalena verwechseln kann (wie in Empoli), darf uns nicht Wunder nemcn. Sein Motiv der aufgestützten Wange finden wir auch in Rom auf der grossen Kreuzi<^runtr in S. demente wieder und dürfen eben deshalb sicher sein, grade in diesem Jo- hannes noch den alten I U'st.indteil der Gruppe in \irsprünglicher I'assung zu besitzen. Das schmiegsame, wenn auch nicht kleinliche, doch altertümlich anmutende Faltengehänge ist doch nicht allein aus dem gleichzeitigen Vorbild eines Parri Spinelli vollkommen erklär- bar, sondern ist auch in absichtlichem Kontrast zur Maria und da- mit zur Charakteristik des Seelischen gewalt, d. h. der Maler sdbst ist nicht mehr in dieser Mani^ beengen, sondern be«tzt neben diesem Mittel des Ausdrucks schon andre zu freier Verfügung. Das entspridit durchaus der Entwicklungsstufe, die wir vor uns haben. Den Uebergang bildet das Lendentudi des G^reuzigten. das nach Johannes zu noch feingerillt ausflattert, sonst aber im Sinne des Plastischen, auf das es hier ankommt, vereinfacht wird. Dem seiden- weichen Mantel des A|>ostels stellt sich vollends der dicke Wollen- stoff der Matrone grosszü^ig und schwer gegenüber. Wie eine dunkle Masse umhüllt Kleid und I 'ebrrwurf. bis auf das feine Linnen über Stirn und Hals, die ganze Gestalt, .sell)st die gefalteten Hände, und hält so die durchgehmde Gebärde, die sich aufreckt im .Schmerz, wirkungsvoll und einhciilicli zusammen Wärend aber der Christus- körper und der rotblonde Kopf, dessen Gesichtszüge verletzt sind, wie der hellblonde Johannes mit den Fig^uren der Hauptbilder dieses Altarchens übereinstimmt, geht Antlitz und Blick der Mater dolorosa schon Ober die Leistungen hinaus und verkündet eine Sinnesart, die dem jungen Meister nicht als 2^itgeschmack überliefert oder vom Lerer anerzogen ward, sondern aus eigner Walverwandtsdiaffc selber angehört. Wir würden auch sie wol in 8. Qeroente, nur grösser

Tabernakel in Bremen

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in dem bn it<'ii Wandgemälde, wirdt r /u tiiiden crwart«'!), und luogrn ausserdem mit Fuj^ und Rrcht s( li<>n hier an dii- M.iria am drahf in Empoli oder an die Frauen am l.agcr I abiihas. wie an diese selbst und S. Anna sclbdritt oder das Fresko in S. M. Novella er- innern, um den verfolpbaren Zug des Werdenden aufeuweisen.

Nach allen Seiten, die eine verstandesmässige Analyse des kleinen Meisterstücks für Martin V. bloszulegen vermag, verknüpft Mi alflo du Geleistete und das Gewollte mit den umfiussenderen Schöpfungen der folgenden Jare, so dass der Zusammenhang dieser BrucbstQcke hi Neapel und Rom mit dem flbrigen Lebenswerk gewiss durch skeptische Einwände gegen Einzelheiten darin nidit wieder zerreissbar erscheint. In den nämlichen Zusammenhang gehört, fyr die Erkenntnis der gleichen Entwicklungsstufe, noch ein zweites AndachtsbUd, das Tabernakel in Bremen

Die Madonna von 1423

Es ist rin plastisrhr's IVohlem, wie die sitzende Assunta in Neapel, das der M.iler /u l<*s< ii unternimmt. Auf dem Fusslx »tleii, hinter dessen bunt j^emusterter Fladif soirleirh der (loldj^rund ansteigt, one weiter über die Räumlichkt it zu orientieren, liegt ein grosses Kissen, dessen goldbrokatene Hülle fast eine niedrige Truhe oder einen Schemel mit dünnem Polster vermuten lässt Auf diesem b^iebig hingeschobenen Gegenteil eines Tronstuls hockt dne be- scheidene junge Mutter mit ihrem Knäblein, das schon so selbständig seine Glieder braucht, dass es als zweiter organischer Körper hinzu- tritt Statt der ruhig tronenden Einzelgestalt in der Himmelfart Marias haben wir jetzt eine lebendig bewegte Gruppe. Zwei menschliche Gestalten, ein schlankes Weib und ein zweijäriges Bübchen, sollen mit Hülfe des stützenden Untcrschiebsels so aufgel^^ut worden, dass sie die schmale spitzbogig abschliessende Uildtafel füllen, deren rechteckiger Hauptteil unten mit gedrehten Säulchen und Kämpfer- simsen, deren Hogonfeld oben mit einspringenden Nasen zwischen Halbkreisen eingefasst wird, so dass die horizontale Granze über den Trägern eingelegt, das Mittellot in einem .Verhältnis von 11:7 durchschneiden würde.

Die Frauengestalt sitzt, für den l'.oschauer rcchtshin goweiulct, fast nur auf dem Rande des niedrigen rolstcrs und stützt ihr linkes Bein auf den l'»oden, so dass sich das Knie hoch heraushebt, wäreiid das rechte liein unter den Faltenzügen des blauen Mantels völlig

>) Bw^ m p. 70 C Taf. Sa.

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Die Madonna von Mccccxxin

verschwindet, also nur lässii^ heruntorhänjrcn oder schräg' gclairort sein kann. Wol möglich, dass diese Haltung beliebt und solchem Kissen am Bod(>n gi rocht war, wie der Künstler sie nach dem Leben wieder- gab. Für die plastische Klarheit des Körpers ist sie doch ungünstig- und verrät uns, wie allmählich damals erst das Gcfül für die wesent- lichsten l>edingungen des Aufbaues wuchs, auch da, wo wir es am ehesten erwarten. Je glücklicfaer die obere Hälfte durchmotiviert und je sorgsamer die Draperie der untern im Zusammenhang des Ganzen abgewogen ist, desto deutlidier bezeidinet die schwache Stelle das Stadium, wo bei einem so viel behandelten Gegenstand die plastische Durchdringung über die Halbfigur hinauszugehen beginnt und soeben Miene madit, den ganzen Körper als Gesamtorganismus zu erfassen. Mit dorn herausgehobenen Knie als Kopf des langen Unterschenkels ist der Stützpunkt für den Knaben gewonnen, der nur mit Zehen des rechten Fusses noch darauf tritt, um an den Hals der Mutter emporzustreben. Sein linkes Uein .streckt er ausschreitend in die Luft, so dass di«' Hand Marias es fn uiidlich fasst, indem ihre Linke zugleich sich schützend auf df^n Rücken des Kleinen legt. Seine beiden Arme sind zum I Fds der Mutter emporgehoben, aber nur den linken bekommen wir zu sehen, wärend das bionde Kraus- küpfchcn, das mit blauen Augen noch einmal umschaut, schon im Begriff ist, die weiche Wange liebkosend zu berOren. Es ist ein dralles, wolgenärtes BOrschldn, das in seinem kurzen feiniakigen Hemdchen gar lustig schon die nackten Beine braudit Auf dem Scholse geborgen, unternimmt es den kanen Aufetieg wie aus über- schäumendem Behagen und staunt erst oben bei dem Sdtenblick vom unversehens erreichten Standpunkt. Die Mutter hat nur Augen fÖr den Liebling; sie neigt ihr feines Antlitz zärtlich ihm entgegen und senkt die Lider in jungfräulicher Schüchternheit. Das dunkle Manteltuch ist über das Haupt geschlagen und fliesst auf beide Schultern und Arme nieder, um über das Knie gelegt in abwärts hängenden iiogenlinien den ovalen IJmriss zu vollenden, in dessen Mitte nur das schlichte hellrote Kleid sichtbar wird, das an der iirust anschliessend auch one Gürtel, in enggerillten Falten den Leib bedeckt. Wie eine keusche Hülle birgt sie ihr Kleinod, das in kindlicher Unbefangenheit sich hervorwagt und in den rundUchen Formen des stämmigen kleinen Körpers auf einmal die naive Freude zur Schau trägt, der so wol ist in der eignen gesunden Fülle und Kraft Wie die Entdedcung der Bildnerlust mitten im angebeteten Ideal der kirchlichen Frömmigkeit mutet es uns an, wie ein Erst- ling des Kinderjubds, der durch das ganze Quattrocento seinen Reigen sdilingt Der muntere Hemdling i^ der Träger des plastischen

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Vera Ikon

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Problems ji<>\V' >r(l< n, dessen voller I.osimp die vorschliiorto I'raucii- gestalt. w ii' ein unlx rurtes (iohcininis. noch unuljcrsu iglichc Schw it-rig-- keitcn bereitete. Ihre langgestreckten Gliedmafsen bezeugen nur, dais hier noch mit der ererbten Gliederpuppe von gotischen Propor- tionen gearbeitet wird, nicht mit dem ungescheuten Anblick der Natur oder gar geläufiger Kenntnis des weiblichen Körpers in jeder Haltung. Fast will es scheinen, als erröte die zarte junge Frau noch selbst vor dem An^nnen des Malers, den entzückenden Anblick des halbnackten Kinde» auf sein Andachtsbild zu bringen Und war es keine Verwegenheit mehr, diese ausgesprochene Freude an der wolgebildeteii Kreatur vor die Augen der frommen Gemeinde zu stellen ? Dann war die Wiedergrhuri des ganzen Menschen in leiblicher Vollkommenheit ein für alle Mal inauguriert.

Mit sichtlichem I'ehagen sind auch die nackten Teile der Madonna, di*^ Hände und der Kopf, sorgl'altig durcligearheitet nach bestem \V'iss< n des Malers von damals; aber sie l)Ieiben auch sn in den Gränzen des gelautigen l'(sit/es, dem wir auf dem Altärchen Martins \'. liegcgnet smd. Xur der Malsitab ist vergTossert, sonst erkennen wir alle Einzelheiten getreulich wieder.

In dem nämlichen Sinne, wie das frische Knäblein und seine verschämte Mutter in ihrem Glück, wird droben am Giebelfeld des Tabernakels das Antlitz des Erlösers als Idealbild des ebenmässig schönen Mannes gegeben, nicht bleich und leidend im furchtbaren Weh auf dem Todesgang, wie der Abdruck auf dem Tuch der Veronika, sondern als wahres Ebenbild Gottes, wie Adam vor dem Sündenfall, in stralcnder Lebenswürnic und voller Farbenglut, zum Ausweis des ewigen Wertes, der jedem Menschenfon mit (! in leib- haftigen Dasein verliehen wird. Auch das ist ein unverholenes, wenn auch absirhtslos« s i'ekenntnis der Renaissance. Formal gehört dieser völlig symmetris( h in Vorderansicht gezeichnete Kopf natürlich als sorgsame Rf^iaktion des Xormalmenschen, die Masarcio damals, frei von allen al)\vand«'liulen Beziehungen und einschränkenden He- dinguiigen, zu geben weiss, in die oben betrachtete Reihe der ( hristus- bilder, die aul die grossartigste JAMSlung in der Branc.iccikapellc vor- bereiten. Er schliesst sich am nächsten einerseits dem Gottesfon auf dem Sdineewunder für S. M. Maggiore, andrerseits dem Vero- nikatuch auf dem Fresko in Empoli an.

Bb auf den Sprung, der das Rundbild im Giebel leider mitten durchgespalten hat, sind die geroalten Teile des Tabemakeb so wol- erhalten wie sie nur sein können. Zumal das Hauptbild darf des- halb für die ursprüngliche Beschaffenheit auch des Altarchens aus S. M. Maggiore in Rom ab Zeugnb entscheidender Art betrachtet

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Die Madonna von Mccccxxiii

werden. Nur das hellrote Kleid und der blaue Mantel, der besonders in den Schatten einen Stich ins (irünl)raune bekommen hat. sind stumpf geworden. Die Temperafarben sind nicht wieder gcfirnisst. Die Karnation ist von ausserordentlicher hVische und Feinheit, hell mit rosigem Hauch, der im grossen Christuskopf zu kräftiger Blut- wärmc gesteigert wird. Auf Goldschmuck ist an den Gestalten selbst, bis auf leidite Grewandsäume, ganz verzichtet; nur das rotp goldene Brokatgewebe mit schwarzem Muster darüber zeigt, dass der florentinische Master die Kfinste Gentiles wol audi versteht, aber ab- sichtlicb in den Hintergrund schiebt Ihm ist die reine Idealität der jungfräulichen Mutter an sich zu wertvoll« um sie mit kOsdidier Kldn- arbeit materiellen Wertes zu beladen. Deshalb wält er auch in den Farben nur die einfachen Mittel, die das Auge nicht zerstreuen und für sich ergötzen, wendet aber auf die Ausförung durchweg die hin- gebendsto Sauberkeit und Sorgfalt.

In der Grundstimmung freilich berürt er sich mit Gentile, so meint man, ganz nah. Da jedoch das Tabernakel in Bremen die Jareszal 1423 trägt, wie Gentiles berümte Anbetung der König-o zu Florenz, die kaum selbst in Betracht kommen kann, so ergiebt sich gradezu die Aufforderung, die verwandten Madonnenbilder des fremden Malers zu vergleichen. Und zwar in erster Linie das frühe Täfelchen im Museo Civico zu Pisa, aus dem Spital, dann das Mtttel- stQck des Quarateu^Altares, das nach Amerika verschlagen ist, und das wichtige, durch spätem Zusatz beeinträchtigte Fresko im Dom von Orvieto. In Pisa begegnet uns Gentile nodi ganz so, wie er aus Oberitalien gekommen sein muss. Durchaus venezianisch sind die kostbaren Stoffe, die er ausbreitet, der Teppich an der Wand hinter Maria, das Kissen auf dem sie sitzt, am Boden, und das perlenge- stickte Tuch, auf ihrem Schofs, als Unterlage fiOr das nackte Kind, deren orientalische Buchstaben im Rande sogar am Heiligenschein der Mutter verwertet sind. Diese Mutter aber, in reich besetztem Mantel, der über den Koj)f gezogen und über der Brust geschlossen, den geschlängelten Lauf aller Ränder mit lateinischen Sprüchen in gotischer Mimi.skel l)egleitet, sie neigt ihr Haupt in Andacht und kreuzt die Arme über die Brust in tiefster Devotion vor ihrem Knaben. Die Altartafel für die Quaratesi von 1425 zeigte zwischen den stehenden Heiligenfiguren, die jetzt in den Ufifizien sind, ursprünglich in S. Niccol6 oltr* Arno die tronende Madonna mit dem stehenden Kinde. Das Fresko im Dom von Orvieto, das darauf folgt, nachdem das grosse Prachtstück in Siena für uns verloren ist bringt wieder die Himmelskönigin auf hohem Tron und ganz von vom gesdien. Das Manteltuch über dem Kopf ist zurückgeschlagen, nur ein dünner

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Vkkglf.k ii mit Gkstilk i>a Farriaxo

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Srhloier flbor tlon Schcitol pobreitct. Der Knabr in prächtig-em Kiti.'l. ••in M.(iUf ]( liori um dir ii.i« ktt-n licitie, voii der Muttor ge- halten, st« i\;t aut ihr m litcs Knie und erteilt den <^eii. indem er mit breitt-m I.acheln, wie M.iria in ernster Milde, zur betenden Ge- meind" hinaus sehaut. Nur das spii l'-riM-he M<,tiv, d.iss d«'r derbe Bub beim H inautsicigen noch nach <l< m kleinen l inj^^er d< r Linken Marias greift, um einen Halt zu gewinnen, und so die Hand, die sein Mänteldien fasst, herumdreht, gtcbt dem Auftreten des Kleinen in altkluger Machtvollkommenheit einen genrehaften Zug, der den ladienden Ausdruck und die eifrige Bewegung fast ans Burleske drängt *).

Die beiden tronenden Madonnen Gentiles ftlr Florenz und Orvieto zeigen also ein -merkwardiges Eindringen weltlicher Auf> ftissung bei dem Umbrer, der Afulter und Kind noch in Pisa, wo sie ganz allein miteinander sind, durch die Betonung des Unterschiedes zwischen Gottesfon und Gottesmagd so widernatürlich von einander scheid' t. Zwei Jarc fnlher entstanden, als der Altar der Qunretesi in S. Ni( ci>Ii"> oltr' Arno, stellt sich Masaccios Madtimia von i 123 mitten dazw ischen und bedeutet somit dun h di»' p'in menschliche Auflassung des eigentlichen Motives, wie dvir( h die natürliche Innig- keit df^s \'erhaltnißses zwischen Mutter und Kind, eine künstlerische Tat im Sinne der ganzen grossen Bewegung, (ientiles (lemisch von hieratischem und genrehaftem Wesen erscheint im Vergleich da- mit nur als vorbereitende Plänkelei. Hier bei Masaccio gesdiieht ein entscheidender Griff an den Kern der Aufgabe selbst. Der fremde Meister trägt nur Einzelheiten aus der bunten lachenden Welt umher zusammen, Kostbarkeiten von Menschenhand aus der Feme oder Blumen und Gretier aus der Natur daheim, und häuft sie als Hul- digungen um die göttlichen Wesen. Er behängt damit die Auser- wälte des Himmels wie ein funkelnd» s Gehäuse, das unantastbare Gefäis für das höchste Gut; er weckt in dem kleinen Gottesfon die Kinderfreude an Spielzeug und Gaben aller Art, so dass „die Weis- heit des Vaters auf dem Schofs der Mutter" sich der Tändelei hin- giebt und gar lustig s< gm t, wo man llerrgottle spielt. Ma.saccio wagt, ob schüchtern und Im langen, «»der err<>lend, den .Schritt ins AllerlK'iligste der Natur luid schaut in ihrem selii^>ten Geheimnis das Göttliche, d.is keint r ( i. ildk itcrprachl und kemer Zaul)erformel, keiner Opfergaben und im Grunde auch keines Heiligenscheines bedarf, um Vererung zu finden durch sich selbst allein. In aller Unschuld

') Als fiuheic N'oislufe dieser beiden tronenden Madonnen Gentiles crschrint ein Frcskofragmenl in der Pinakothek von Arczzo mtl zwei opfernden Magiern in kk-incm Mabftab vor den Kiden, Jaoopo da CaicntlBo genaant (Phot Alinari 9965.). Schnaariow, Ifaiaocio-Stiidien V. 2

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Rom, S. Clemente

und Einfalt crschliivsst sich ihm noch knosprnhnft wie im orstcn Frühhnp hier in doni juiT^on Weihe mit dem Si)r')ssliiig auf den Kniceii der eu iju;c Wert des Daseins, den die Kunst als höchste (iabc uns erneuen kann.

Die Katharinenlegende in S. Clemente

Durch die VergrOsserung des Figurenmafses im Tabernakel zu Bremen gewinnen wir einen begreiflichen Uebergang zwischen dem Altärchen Martins V auf der einen und den W^andgemälden in S. Clemente auf der andern Seite. Die Gestalt Marias und der Kopf des Erlösers geben uns erst eine Vorstellung, wie weit der Maler seinen Stil schon im Tafelbild zu verbreitern im Stande war. one mit der Zeichnung seiner Formen in unzulängliche l.(^rheit /u ver- iallen. oder mit seiner Draperie die schwachen Stellen der Körper- darstcllunjr nicht hefriediv^end mehr /.udecken zu k«»nnen. Als Be- lebung einer g^ntsstTen Mache für das Auge mit lliiUe mir eitler ausgewachsenen Gestalt, \ erdit-nt die Leistung schon volle A ufmerksam- keit, wenn wir von Malern etwa MasoUno und Fra Angelico bis zu diesen Jarcn, von Bildnern etwa Ghiberti und den Meister der Fellegrinikapellc vergleichen. Mit den unfertigen Mitteln seiner plastischen Formensprache und seiner malerischen Draperie erreidit Masaccio doch schon eine geschlossene Gesamtwirkung in wolab- gewogenem Umriss, der sich mit ardiitektonischer Strenge in das Schema der gotischen Fiale einordnet und zugleich mit dem Spitz» bogen über den seitlichen Stützen, d. h. mit dem Aufbau des ganzen Tabernakels auseinandersetzt. Das sind Eigenschaften, die dem Fresko- maler vorzüglich zu Statten kommen. Nemen wir dazu die ver- schiedene Behandlung der nämlichen Bildtläche auf beiden Seiten des Triptychons für S. M. Maggiore in Rom, der einheitlich empor- wachsenden Jlimmeltart hier und der scharfgeteiltcn Wuntlerscene auf dem Esquilin dort, so haben wir bereits verschiedene W(^ge seines X'erfarcns beisammen, die ihn von andern Zeitgenossen auch in der Bewältigung ganzer Wände und In der Gesamtdtsposition des Bilderscfamuckes für einen ganzen Innenraum unterscheiden müssen.

So trifft ihn der Auftrag des Kardinals Branda Castiglione, die Kapelle auszumalen, die er in seiner Titelkirche S. Demente, am Ende des einen Seitenschiffes hatte einbauen lassen, als er bei der Rückker der Kurie nadi Rom die alte Bawlfka in baufäUligem, den Einsturz drohendem Zustand wiedersah und die anstolsende Wonung

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CAI'I'KI.LA 1>IAA.\ i'ASSlONK

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des l iiulars für sich in lic/itz nani. Auf n vier Kaj)pon dos Kn-iiz- gewolbts j»<)llti'n ilic vi^ r Kirchrnvatrr und die vier Kvangelistcn paar- weis einander gegonQber sitzen. Von den drei Wänden waren nur zwei voUwcrtig, die dritte rechts vom Ilcsucher war mit einem gotischen Fenster durdibrochen, das an der Langseite der Kirche, von der Strasse zwischen Colosseum und I^toran her, direktes IJdit ein&llen liess, Wärend der Eingangsbogen, quer in das Seitenschiff einge^xuint, nur durch ein Eisengitter geschlt>sscn, der Helligkeit des Langhauses mehr cder minder gedämpft ins Innere der Kapelle zu dringen er- laubte. Die Schlusswand hinter dem Altar sollte dw Passion Christi am Kreuz einj^'^eräumt werden, nacli der (]■<■ Kapelle benannt ward, wie die Hauskapelle des Kardinals Jiramla in ("astiglione d" ( )lona. Die Fensterw.ind fiel dem l.ehen s hl. Ambrosius /u. des Patrons der Mailänder I)i' 'f « sc, zu der nicht allein di-r (i< burts^rt des Stifters, sondern auch sein « iusti^t-s liistum Piacen/a j^< li'»rte, nach dem er noch immer Cardinalis Pla( < titinus be/eichm t w.ird. Die X'ollmauer j^cj^cnüber, durch ilas Picht si«nders Ix'gmisligt, s^/llte mit den (ieschichtcn der hl. Katharina vun Alexandrien, der Braut Cliristi gefallt werden, deren Kultus auch die Ktypta der KoUegiatkirche in Castiglionc geweiht ward, one Zweifel aus keinem andern Grunde, als weil der Kardinal Branda persönlich zu ihr besondere Vererung trag und sie vielleicht von früh an zu seiner Schutzheiligen erkoren hatte. An der Stirnseite des Eingangs haben Maria und Gabriel bei der Verkündigung Platz gefunden, wie in Castigh'one, in den Vierpässen der Laibung des Pogens darunter die Brustbilder der zwölf AiH sifl, und links am Pfeih r war iu>vh ein hohes Wandstück breit genug, die Riesengestalt d<'s hl. Christophorus aufzuncmcn, wärend der Pfi'iler rechts für ein figürliches (irgenstück zu schmal erschien, so dass luir ili«- gemalte Wandvertäfelung mit farbigen Marmorplatten herumgefürt werden kminte.

Dies umfassende Pr«igraiiim tles bildlidien Schmuckes hat der Auftraggeber dem M.der gewi.ss vorgeschriebi n, und die Dis|>osition von Reihen er^älentler Darstellungen in mehreren Streifen lu beiden Seiten des Hauptbildes Ober dem Altar im Anschluss an Beispiele gedacht, die ihm aus seiner oberitalienischen Heimat bekannt waren Der junge Meister fand ach selbst im Widerspruch zu der „gotischen** Architektur oder hat doch im Anschluss daran sein Möglidistes getan, den Eindruck des Innenraumes nadi Mafsgabe seiner klassischen Studien umzugestalten. Die Hauptsache, die er als Eigenstes mit-

I) Wir werden heute von erhaltenen Kapellen tunlchst an die des Apostels Jakobos (S. Felice) im Santo zu Padua oder des hl. Georg daneben erinnert ; aber auch das Johannes- Uichldn in UrUno hat die Kfcnsignng an der Schmalaeite.

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Umdichtuno des Innern

bringt und hervoryfcrufeii hat für joden Resuclier, bleibt aber das N(nie, das über l)cid(\s hinausgeht: die konscciuciito räumliche Auf- fassunjr und realistisch im Sinne der perspektivischen Kunst durch- gefürte Umdichtung des Innern, mit der hier zum ersten Mal, im Gegensatz zur mittelalteiiidien Gewonl^t, Ernst gemacht wird. Die annähernd quadratische Grundform der Kapelle, die nicht zwei Langwände fOr ausf&rlich und gleichmfissig fortlaufende Bilderreihen darbot, hat gewiss schon dazu beigetragen, die strengere Koncen- tration der Erzälung zu versuchen. Was die Breite der Mauer nicht hergeben konnte, das mochte die perspektivisdi ertäuschte Tiefen- dimenaon ersetzen. Damit ist die erste Arbeit be/eichiK auf die es vor allen Dingen ankam. So erklärt es «ch rein praktisch, wenn mit der Katharincnlegendc an der normalen Vollmauer be- g-onnon wurde. Hier ist auch di r primitivste CharaklrT sf-inos Schaffens unverkennbar und der riiirsic Zusammenhang mit den vorher besprochenen Werken vorhanden

Gegenüber der behaglichen Schilderunjjf, mit der sein unmittel- barer Vorp'inj^^er Spinello Aretino in Antelia bei I-lor^nz eine ganze Kapelle j^efüUt hatte, werden hier nur die llauptniomente heraus- gej^riffen. Ihre Zal beläuft sich auch so noch auf sechs oder sieben, die ursprünglich gleichberechtigt neben einander gestellt sein mochton, im Iiogcnfeld und Wandstreifen darunter jedoch keinen Platz fandon. So wurde die Verbrennung der bekerten Philosophen, als Bild im Bilde, durch eine Wandöffnungin der Disputation gezeigt, gleichsam als Perspektive in die Folgen dieses Auftritts der Hauptscene selber einverleibt Oben dagegen sind Bekerung und Enthauptung der Königin gleichwertig neben einander in einen Ramen gebradit, Wärend die Erzälung der Legende zwischen diese beiden Momente das Radwunder einschaltet, bei dem die Königin gegenwärtig war. Hier ist also ein Kompromiss mit der frühem Weise, die Masolino ruhig beibehält, übrig geblieben ; dafür aber, wie es scheint, die Königin auf dem Balkon neben dem Herrscher selbst durch eine gleichgiltige Person ersetzt worden. So können die Bilder nun von links nach rechts, erst oben dann unten „gelesen" werden one .Nnstofs. Wärend die Folge ursprünglich von oben nach unten alternierend vom Eintritt gegen den Altar durch die ganze Wand fortschreiten sollte. Daran musste hii^r wieder erinnert werden, um die bewusste Klarheit in der Bewältigung der ^Vufgabe, die wolberechnete Ab- wechslung in der Darstellung des Schauplatzes aufeuzeigen. Oben eröffnet sich der Einblick in das kassettierte Kuppelgewölbe eines

>) hienn Bodi IV, n. n. Taf. 4. 5. Details in dieser Liefemag;

KATtlARINENL£<fENDE

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römischen Tempels, unten in il;is flachj^'odcckt«^ Sitzungszimmer d(\s Kaiserpalastcs mit seiner farl)i^^cn Marniortarclunjjf nach antikem \'orl)il(J. ( )hon blicken wir in die Strassenflurht, an d<Ten K( ko dor Kerker Katharinens sicli l)efindet, vor dem die Königin draussen unter dem Fenster sit/t, gewiss nur, weil der schmale Streifen in Hochformat kein*> andre F.ntfaltunt,»- der Seene irestattete, oiie die Grösse und Ausdrucksftdiigkeit der l iguren zu g^el'anlen, aber auch ebenso gewiss, weil neben dem Innenraum des ersten Bildes hier Aussenarchitektur gezeigt werden sollte. Unten folgt auf diesen engen Prospekt an der HAuserreihe hin als Schauplatz des Rad- wunders dagegen der grade Einblick in den Palasthof, als ruhiges Mittelstack der ganzen Reihe, mit seinen Senkrechten und Wage- rechten in normaler I^ge, zugleidi als konstitutiver FaktcMr der räumlichen Orientierung für die Bilderreihe der ganzen Wand. Endlich steht der Hinrichtung der Königin vor der Kerkertür, an einer möglichst unb<veichneten Ecke, fast wie ein Mord im ver- borgenen Winkel droben, d. h. einer Episode, die nur durch ihre ursächliche Verbindung mit Katharinens l'eberzeugungskraft Be- deutung erhält. die F.nlli.inptuiig dir lleiligen selber ges^enüber, die drunten im Freien, draussen in der Weite des offenen Feldes, mit niilitäris( heni Aufgebot vor den Augen des X'olkes, als V^oll- streckung des kais. rlii hen Richterspruches in Sccne gesetzt ist, und in die Bergung des heiligen Leichnams durch Fngel aut drni Herge Sinai ausläuft, d h wieder einen folgenden Moment hin/ugreift, wie das erste Bild derselben Reihe, hier aber, mit dem Ausblick in die Feme, den versOnenden SchluTs des Ganzen, in räumlicher Weite ausklingt Us Ober die Fermate. Bei aller Sparsamkeit und Gedrängt- heit der schmalen Bilder, die der Wunsch des Stifters au%enOtigt hat, offenbart diese Wand schon eine Folgerichtigkeit und Freiheit der Raumkunst, die bei grösseren Abmessungen sich gewiss noch meisterlicher entfaltet hätten. Ein Bünenraum steht hier, in seiner konsequenten Schärfe für den bestimmten Standpunkt aufgerissen, zu nah neben dem andern, der denselben Anspruch erhebt. Das Feien neutraler Intervalle oder architektonischer Zwischenglieder wird st'Tend fulbar ; aber die Ansat/e dazu in den Ecken unter den (i( w- ilbkonsolen verraten auch, dass der Maler nur in der Zwangs- hige darauf ver/ic biet, sic h auf dümie ( )rnanu'ntstreifen beschrankt hat, weil zu \ iel Momente iler l^rzälung von ihm verlangt wurden.

F.issen wir darnach seine Kunst als Erzäler selbst ins Auge, SO überrascht vielleicht grade neben der .Strenge der Konstruktion und der Bestimmtheit der Archttekturprospekte die schlichte an- spruchslose Art des Vortrags, die Reinheit und Einfidt der Sinnes-

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Rom, S. Clemente

weise, die durch die ganze Reihe geht Wärend Spinello Aretino in Antella das Auftreten Katharinas gegen den (iötzendicnst zu einem öfTfntlicIioii Acrj^crnifs iTwcitnrt, wo der pomphafte Opfcrzug zum Tempel vuiterbrociien wird und ein \'i ilksauflauf den Sinn ihrer reinen Absicht verwirrt, verlegt Masaceie» den X'organg in das Innere des ileihgtum selbst und beschränkt ihn auf wenige l'ersonen, um ihn psychologisch tiefer zu fassen. Kigenthch hat die Heilige es nur mit dem Kaiser selbst zu tun. Auf ihn allein tritt sie zu in dem Augenblick, wo er sich in Andacht dem Altar des Götzenbildes nähert. AlleUebrigen sind nur ßegleiter: die beiden Pagen, die Fürsten- hut und Handschuhe des Gebieters tragen» der Tubablflser und ein Flötenspieler, die ihm folgen, aber sdion hinter der Säule oder dem Bildrand verschwinden, dann die Räte oder Hofbeamten, die dem Manwort der Heiligen lauschen. Auf der andern Seite hinter dem Altar noch einige Beter, die zur Statue des (iottes empor oder zu dem Zwischenfdl hMuiber blicken. Das ist Alles; d. h. die Gebärde Katharinas und die des Kaisers müssten uns die Hauptsache ver- mitteln, um die es sich /wischen ihnen hantl<>lt Kathariii.i erhebt die Linke zum Idul empor und blickt dem Herrscher ins (lesiclit, indem sie die Jxechte senkt, kaum S( hon deuteiul gegen den lioden. Der Kaiser verharrt in der andächtigen Haltung, als sei er noch taub für ihre Worte. Und was sagt sie - - können wir es erraten aus diesem Mienenspiel? Schwerlich, wir könnten sogar meinen, sie weise ihn zu dieser Frömmigkeit der Heiden an; denn die Statue steht aufrecht auf ihrer Säule, kein Anzeichen verkOndet ihren Fall, mit dem sich andre Künstler geholfen haben. Nur der Heiligen* schein widerstreitet dieser Auffassung der Scene, die sonst an Salomos Götzendienst erinnert. Es ist Alles vorbereitet; nur die milde Ton- art, der weiche Fluss der Gebärden, die er überkommen hat, lässt den entscheidenden Accent an der rechten Stelle noch nicht treffen. Es ist genau das Kntwicklungsstadium, das wir nach dem Schnee- wunder erwarten müssen, und auf dem Sündenfall der Brancacci- kapello wiedertiiidon. Ueber die Schilderung Martins \'. und seiner Kardinäle bei der feierlichen ("eremonie der ( irundrisszeichnung auf besclineitem Boden geht indess das hier (Geleistete nach .mdern Seiten schon hinaus: eben durch die geistige Koncentration der (icsamt- anlagc zu einem intimen ^Auftritt zwischen wenigen Personen, der sich fülbar genug auf einen Moment zuspitzt, für den nur der sprechende Ausdruck noch versagt ; andrerseits durch die räumlich- körperliche Koncentration unter annähernd gleidie Bedingungen für alle Figuren, die sich in einem Hauptzuge für die Reliefian- schauung ordnen und so die Mitte für die Begegnung der beiden

Ka i HA KIN EN l.h« . LSUE

Träger der Handlung hergeben. In dieser plastischen Uehandlung der Körper, deren jeder sich an seinem Platz behauptet und als Raumwert zum Aufbau dc's Ganzen mitwirkt, liegt in Verbindung mit der perspektivischen Kaumdarstellung selber der wichtigste Teil der Arbeit, durch die diesem hilde seine bestimmte Stelle im künst- lerischen Fortschritt des Malers an^n wiesen wird. Rechts schiebt der poly^^one Untersatz, der nach Art eines Lesepults im Chore ge- duclil, ab» r mit einem antiken Säulcheii für die nackte Gütterfigur darauf ^rt/t ist, die rersonoii dahinter in die Tiefe zurück, so dass nur K itharina .ni lirr l*'ck<- dieses Altars in ^Mnz«T Gestalt h(^rvor- tritt. Links ulxTniinmt die nandiclie Rolle der sciira^ vtmi Rücken j^eschene, in v r]«>n iirm rrofil n.ich innen j^a^kerte junge Maini in « l.xMiiteni /eilkdsLum, dess»-n runelabstehender Rockschofs und weite Sackannel nicht wenig dazu beitragen sein Volumen zu verstärken, ein augen&lliger Zweck, dem sogar die aufgereihten Harlocken am Hinterkopf, die dienstfertig vorgestreckte Rechte mit den Hand- schuhen des Kusers ebenso entsprechen, wie die Haltung des zweiten, von vorn gesehenen Pagen mit dem Fürstenhut in beiden Händen, ihm gegenüber, und der hinzutretende Tubabläser, dessen Instrument über die Köpfe beider hinweg, sich schräg emporstreckt, so dass es ftkr den >^Mnzen Zuj,»^ des 1 b rrsdiers mit seinem Gefolge die Richtung anzeigt. Nicht allein Vittore I'isanello hat von diesen raumschaffenden Kostümfiguren begroitlicher Weise Kenntnis genommen, als er einige Jare später nach Ruin kam, sondern auch (ientile da Fabriano dürfte schon bemerkt hab<'n. dass mit ihnen etwas j^eleistet war, das er zur selben /eil in der Anbetunj^ der Konige tur l'alla Strozzi noch tn*< ht «Treii ht h.ittr. j ).'r Florentiner lieiiozzo Gozzoli erst besafs die niathemaiistiif \'' irbil(hinj4, um sie, seitdem ihn Fra Giovanni da Fiesole als ( ieliilten bei seinen Malereien iür Eugen IV. mitgenommen, dann weidlich auszubeuten, sei es noch bei seinem Anteil an der Kapelle Nikolaus* V., sei es als Meister in der Kapelle der Medici zu Florenz oder im Camposanto zu Pisa.

Mit dem Altärchen ftlr Martin V. und defai Tabernakel von 1423 verbinden sich sonst die Figuren dieses ersten Wandgemäldes auch als W^citerbildungen der nämlichen Idealtypen oder Bildni»- köpfe, der nämlichen Haltungen und Drehungen bis in die verkürzte Ansicht der Aufblickenden, der nämlichen Handbewcgungcn und lieinstellungen. nur überall in vollerer Rundung und plastischer Be- stimmtheit. Das Antlitz Katharinas besonders erscheint in durch- aus schwesterlich« in Verhältnis zur Madonna von Bremen und zum Christiisk(>i)f am (iiel)el. Und dieser Vergleich giobt auch den An- lass, einen andern Fortschritt des Meisters zu verfolgen : nämlich in

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Rom, S. Ci,emente

der Behandlung der Augen und de» Blickes. In den Erstlings- werken begegnen wir fast überall gesenkten l.idcrn, unter denen die Pupille nur in seitlicher Drohung hervorlui^t: sowie die Aug- äpfV'l s^r;i(le nach xorii blicken, wird ilie S( hwcre des t Jbcrhdes tül- bar, die ( »ofTiuiiigcn scheinen zu eng grschlit/.t, um freies Auf- schauen zu gestatten, wie z. P>. bei d< r Assunta oder Ijeini ( liristus über der Schneevvolke. Am 1 aben.akel in liremen sind die Augen- Sterne des Erlösers schon gross, auf dem Wandbild in S. demente beherrscht der stralende Blick der Katharina schon mit voller Ueber- legenheit den verblendeten Götzendiener im Fflrstenrock, dem sie als zarte sdiUchte Jungfrau, nicht einmal als Königstochter angetan, entgegen zu treten wagt.

Diese Errungenschaft wird dann weiter verwertet auf dem fol- genden Bilde, bei der Zwiesprach zwischen Katharina und der Kaiserin. Mehr empfangend nur, still aufhorchend verhält sich die Fürstin mit Schleiertuch und Krone, die in kostbarem Kleide, auf gepolstertem Stul, dorh so besc beiden draussen auf der Strasse sitzt, als würde sie im l)unkel der Xacht von niemand gesehen. Ihr Kopf gleicht, soweit es im scharfen iVoiil nur möglich ist, dem Marias im (ilorienschein über dem Schneewunder utul in ilcr Ilimmel- fart. Die lerende Katharina «iagegen ist vi>Iler und gn>sser ge- * bildet, die emporweisend erhobene Rechte gewinnt bereits sprechende Lebendigkeit, trotz der herkömmlichen kleinen und zartiingrigen Bildung, und wird darin vom Aufstützen der Linken auf die Fenster- bank mit beachtenswerter Sicherheit unterstützt. Die Hauptsache leistet aber audi hier das weit geöffnete Auge des Profilkopfes, von dem eine geistige Kraft ausgdit, wie ^e noch Fra Angelico nicht intensiver zu geben gelernt hat, nachdem ihm diese Gemeinschaft der beiden weiblichen Wesen von Masaccios Hand einen nachweis- baren und bleibenden Hindruck gemacht. Unglücklich bleibt noch der enthauptete Frauenkörper, der auf beide Elbogen vorn über ge- sunken ist, wie der Streich des Schwertes die Knieende getroffen, mit u;('talieten Händen im Gebet. Aber resoluten Sinn, den selben Moment auch im ersten ..Vulstolsen des tibgeschlagenen Kopfes auf den Boden wiederzugeben, bekundet auch dieses Stück. Die Haupt- sache freilich bleibt die Figur des Henkers, der das Schwert soeben wieder in die Scheide fürt. Er ist durchaus etwas für sich, und bietet gewiss das Ergebnis eifriger Studien nach einem Söldner in solcher Tätigkeit dar. Gerade deshalb aber erschien es bemericens- wert, dass die langgestreckten Proportionen dieser Figur noch der Tradition der Trccentisten in Florenz angehören, und dass der Volksstamm, dem das Modell angehört, viel eher am Arno als am

KATIIARlNBNLK(fENDK

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I ibiT jr<'-«ii< ht \\ « r<ieii ilurtc. Als \'or?>iiitr 111. iv; lii<"r noch aut eine Zt i(linuii^ iK-r l'fti/ii'n \fr\vi<M ti wt-rd» n : sif stdli oincii jutigen M.inn \<«n v^-ui/ dor nainlii lu n .s< hlankt n Statur und tast der gleichen, nur etwas nachlässiger j^ohalli iien I ratht \or, mit einem langen Stab im einen Arm. wärend der andre abwürts g(>streckt mit dner Handbewegung den eb<'n dahin gerichteten lUick begleitet; zu seinen Füssen liegt ein schlafender Hund. Die Zeichnung ist flQchtig, aber eben deshalb wol nach der Natur gemacht, nicht one Schwächen und Schiefheiten. Die aberlieferte Benennung als .,Masolino" wäre nicht unglaubhaft» eben wegen dieses weichen Wesens und erinnert wol an Hirtenfiguren auf dem Hintergrund seiner Geburt und An- 1)' tung am Chorgewölbe der ( " Iii lata /u Castiglione. Deiii!< h h ist ihre Uebereinstimmun^^ mit m S( harfri« hter der Königin in S. demente zu Rom so stark, dass der Name Masaccio für die letztere Arbeit auch wol die iTsiere 1 rffizion. Corni« c<)S Xr. 3<»0 nach sich zieht. Zu diesem Standjtuiikte der künstlerisc hen I'.ntwicklunv;, wie wir ihn soeben charaktrrisi< rt n, passt auch dii Studie nach dem Lehen; wenn die Kenntnis <!• s menst hiicheii Korpers noch nicht geläufig genu^ ist, um s< hart utid b< stiniint, die rnls( hfiilcnden Stellen zu treti'en, so überrascht doch die Xalurlic hk« ;t .s schlalen- den Hundes, der alle Viere von sich streckt, gewiss neben den kind- lichen Zeichnungen der Schafe, des Oechslcins und des Esels, die wir sonst auf Bildern dieser Uebcrgangszcit zu sehen bekommen.

Ganz auf den geistigen Ausdruck stellt sich dagegen wieder das erste Bild der unteren Reihe, wo Katharina unter dem Vorsitz des Kaisers mit den Philosophen disputiert Nidit auf die Schwelle nur der hochgelarten Versammlung darf sie treten, wie bei Spinello Aretino, sondern mitten hinein, zwischen die Reihen rechts und links der lauschenden Männer und Greise, wie Franciscus, der vor dem Papste predigt in Assisi. Finem Konsistorium der Kardinäle gleicht auch die Gesellschaft dieser lu idnisi In n Schriftgolerten, deren erster in Pelzkragen und Kappchen uns bildnismassig anmutet, als wäre es Niemand anders als der Stift'-r der KajH'lle, der Kardinal ßranda Castiglione selber. Wenn Masolinos Porträt an dir Decke zu ('astiglione auch in'cht ausr< iclit, die Identität der Person zu er- weisen, uml ein /weites im ßaptisterium zu zerstt'jrt ist, ein drittes im letzten Hilde, an der Tafel des Herodes nur den Uochbetagten wie- dergicbt, so genügt doch der Hinweis auf die Gründung von S. M. Maggim mit dem Bildnis Martins V. und seiner Kardinäle, um den Sachverhalt völlig glaubhaft zu madien. Die kOnstlerische Aufgabe freilidi lag nicht sowol in der Anbringung dieses sprechenden Bild- niskopfesi sondern, wie gesag^t, im Ausdruck gespannter Aufmerk-

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Rom, S. Clemente

samkeit und maniiiclitacht r Wirkung der gohorlen Worte bei allen Anwesenden. Und hier versucht der Maler in der Tat sein Möglich- stes zu tun, um A hu (u hslinig in den ( harakter und die ILiltung der Köpfe zu bringen, die ihrerseits wieder ganz zweifellos die Her- kunft von den Zuschauern des Schneewunders ebenso bezeugen wie den Fortschritt des Meisters in der Durchbildung des Einzelnen. Das Gleiche darf von dem Spiel der Hände gesagt werden» um so mehr als es auch hier nicht möglich war. Ober den Ausdruck noch sdiwebender Stimmungen hinaus zu gehen und den letzten Erfolg der Rede Katharinas, die schlagende Heweiskraft der Gründe, die sie beibringt, durch die Hekerung sämtlicher Weisen /luu Christen- tum vor Augen zu stellen. £s bleibt ein vSituatioiisbikl, und das Er- eignis erfaren wir nur sozusagen zwischen Tür und Angel, zwischen der Hauptscen*^ und dt-ni folgenden Situationsbild, dem Flammentod der bckerten Philosophen, der uns durchs Fenster gezeigt wird. Das liegt am (iegenstande selbe-r, den man dem Maler aufgetragen. Für den Wert seiner Leistung aber innerhalb ihrer Zeit zeugt nichts so stark wie die Wiederholung seiner Komposition mit leisem Wan- del für alle verwandten Scenen wärcnd des ganzen (Quattrocento bis zu SignorelUs Ausgiessung des hl. Geistes in Urbino und Pin- turicchios Wandgemälde aus dem Leben Pius II. in Siena.

Dem Künstler selbst dagegen scheint soldies Thema one Hand- lung wie eine Geduldsprobe erschienen zu sein ; denn er atmet sichtlidi auf^ als der misglQckte Versuch, Katharina durch Räder zu zerreissen, für das folgende liild an die Reihe kam. Da gilt es physische Tätigkeit der Ilenkerskneclite im Kontrast zu der seelcnreinen Er- gebenheit der Heiligen ZU zeigen, dann die r>estürzung und l>e- strafung der Anstifter, denen die zerbrochenen Stücke an den Kopf lliegcii, da das blitzschnelle Herabfaren des Engels, der die Räder zersplittert, wärend droben vom Söller des Palastes der enttäuschte Tyrann den Erfolg seiner Ihillenni asehine ins ("legenteil umschlagen sieht. „Sta Caterina delle ruotr" ist deini aucli hier zum Haupt- stück der ganzen Reihe gedieiien. Die beiden wuchtigen Kerle, die mit nackten oder engbeklcideten Beinen, der Eine von v(»m, der Andre von hinten gesehen, die schräg gestellten Räder in Um- schwung setzen, sind die bedeutendsten Fortsduitte in der plasti- schen Darstellung menschlicher Gestalten und gewagter Verkürzung, die damals in Rom erreicht werden. Sie berdten den berümten Zolleinnemer in der Ilrancaccikapelle so deutlich vor, dass man meinen könnte, sie müssten zeitlich unmittelbar vorangegangen sein. Nur die sonstigen Bestandteile des Hildes, die ideale Einfalt der Jungfrau in der Mitte, die altertümliche Bildung des Engels, der

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Katiiakinenlkcknde 27

nur bis an (1< 11 (iürtol noch Körper Ijcsit/t, w.in lul il.is lange ( ie- wand wie t-iii iVlumenki lch »>nc jt-dr A lultulunv; fester I'Orm (larülxT sli'ht, und die Wit-dcrholung vv. »ll»ckaiinter 1 landbi'wegungen beim Kais<T <)*ier den Zus< li.iuern. verl>ietcn eine so nahe \'erl)indang niil di-ni Meisterwerk in Mormz, dessen Zeil als (ianzes doch noch nicht gekommen war. Dagegen wäre CS aus den selben Gründen garnicht unmOghch, dass zwischen der Disputation Katharinas und der Vollendung dc>s Radwunders ein Zwischenraum mit andern Ar- beiten angefüllt war, die mannichfultige Uebutig und neuen An- sporn brachten. Die IlauptisQgc der Kompcxsition konnten deshalb doch die nämlichen bleiben, wie sie ursprünglich entworfen und vom Auftraggeber gebilligt waren. Das Gelingen des Einzelnen aber be- ruht auf Errungenschaften, die auch für gewollte Kontraste fast zu weit ü!)er das ruliig- wachsende lUsitztum hinausgehen. Die.sos Neue jed x h bestimmt fast vollständig schon In Charakter des folgenden ßiM< des letzten in der Reihe, mit der hnlhanplung der lleiligen. 1 )er Scharfricliter der im vollen /iige tles Aushe>lens mit di-m Sclnv< rl zum < ntsi lu idend'-n llifb darg< >tellt ist. zeigt uns das nämliche Modell wie die Kadilreher, eine unt« rsetzte, g< drungenc Römerfigur. re( ht im (legensatz zu dem hingen (iesellen drc^ben. Gross und kl. in sb ht in der Reihe der Soldaten beisammen, die das Publikum von der Richtstätte absperren. Mit den langen Sctz- schilden auf dem linken Arm „halten sie den Daumen** in der Faust und folgen mit den Blicken bald dem wuchtigen Schlag des Hen- kers oder dem frommen Gebaren der Jungfrau, die demütig ihren Nacken darbietet, wärend sie betend die Hände zusammenlegt. Starres Entsetzen, stiere Neugier, gerürte Teilname an ihrem Schick- sal blickt zwischen den behelmten Köpfen herüber, bis zu einem Versuch, die Mauer von Kricgskncchtcn zu durchbrechen, der indess die straffe Spannung nicht Stört Droben auf der Höhe des lierges stehen Iingel bei der I'estattung. wie wir sie bei den Exequicn Marias auf der IVcdella des Vatikans gesehen haben, mit doppelt geschürzten (iowändern s< lljst beschäftigt, den Leichnam in einen gleichen Sarkophag zu senken.

Der vielfach rest.iurierte, zum Teil sogar sintdus üb<'rmalte Zu- stand dieser \\'.indj.;< nial(l<* verbirgt uns heute jed<'n weitern An- halt, in die Kntstehuiigsi^c sehii hie i>inzudringcn und etwaige Ab- sätze in der Vollendung der Reihe n.iher nachzuweisen. Die lange, gewiss unerwartet sich hinziehende Abwesenheit des Kardinals Branda würde die Unterbrechung der Arbeit durch andre Aufträge mehr als ausreidicnd motivieren, zumal wenn mit ihm selbst auch die 2^ung ausblieb. Bei seiner Rückker vom Norden über Castig-

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Rom, S. Clemente

lione d* Olona. Mailand und Florenz im Frühling 1425 ward er per- sönlich die \'eranlassunjr, tiass in Florenz ein lockender Auftrag" frei ward, die Vollendunj^ der Hrancaccikapelle, die Masolino auf- gab, um im Juli über Castiglione d" ( )loiia nach Uns^rarn zu gi'hen.

Eins aber ist sicher: die Kirchenvater und J^vangelisten an der Decke der Kapelle in S. Clemente haben in ihrer malerischen Breite, soweit wir die erhaltenen Teile als mal^[ebend betrachten dürfen, die nächste Verwandtschaft mit der Erweckung Tabithas und der Predigt des Petrus, d. h mit der ersten Gruppe der jetast nodi vorhandenen Wandgemälde der Cappella &ancacci in Florenz.

n.

^% DIE £RST£ GRUPPE DEI\ WANDGEMÄLDE IM CARMINE UND IHRE VERWANDTEN §4

Zwei untergegangene Freskomalereien, die Vasari beschreibt, dürfen an dieser Stelle genannt werden, wo es gilt Masaccios Ar- beiten in Florenz mit <lcn soeben besprochenen Wandhiklern aus der Katharinenlegeiul«- in S. demente zu Rom für unser Erklarungs- bedürfnis zu vermitteln. Ks sind zwei Kinzelfigurcn in verschiedenen Kirchen ; sie vT^'hfTen abr-r (hirch eine gemeinsame Eigenschaft, (he Vasari besondrrs nachdrücklich inid wiederholend hervorhebt, nahe zusammen, auch wriin der Horichterstattcr sie, vielleicht eben des- halb, getrennt in cinigrni Abstand von cin.miler in seine Aiif/alung der Wi^rk«- cinsciiaket. Die nanilit he gemeinsame iMgonschaft macht es warscheinlich, dass sie auch chronologisch so auteinunder folgten, wie Vasari sie einreiht, gleichgut ob unmittelbar oder durch an- dersartige Aufgaben dazwischen noch mannichfaltiger vermittelt Ftkr uns gehören sie künstlerisch in eine zusammenhängende Reihe, der wiederum in gewissem Abstand und unter andern Bedingungen die Einzelgestalt des hl Christophorus in Rom sich anschliessen mochte^ wie andrerseits zwei Tafelbilder, die im Palazzo Medici in- ventarisiert worden.

„In der Badia zu Florenz, erzält \' asari, malte er in Fresko an dnem Pfeiler, grade gegenüber einem der Triumphbogentrager, den heiligen Jvo von Uretagne, indem er ihn in einer Nische darstellte, damit die Fü.sse sich für die l'ntersirht verkürzten, eine Leistung, die ihm, da Andre sie damals nicht so gut zu ge])en pflegten, kein geringes I.ob eintrug Und unter dem genannt<>n Heiligen, ober- halb eines andern Simses, versammelte er um ihn Witwen, Waisen und Arme, die bei diesem Schutzpatron in ihren Anliegen Hülfe finden.**

Zu ^ner Zeit aber, wo Masaccio und Masolino als gleichbe- rechtigte (jenossen in Florenz arbeiteten, muss das Paar von Einzel- gestalten der AposteUbrsten entstanden sein, das einst im Gtrmine dieEingangspleiler links und rechts derCappella de'Serragli schmflckte, deren Wandgemälde und Altarbild drinnen von Gherardo Stamina gemalt waren. An der einen Seite hatte Masolino den heiligen

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S. JVO IN DER BaDIA

S. Paulus iu Carmink

Petrus dargjestollt. der in unscrn heston Quollen als soin Eii^cntuin au%cfürt, aber auch von Vasari nicht näher beschrioben wird. An dem andern Pfeiler „bei den G lockensträngen" befand sich bis 1675 der heilige Paulus von Masaccio, der nach Vasarts Auadrücken seiner lebhaftesten Bewunderung entschiedene Vorzüge besessen haben mus& Der Kopf sei das Bildnis des Bartolo di Angiolino AngioHni, nach dem Leben aufgenommen, und zeige „una terribilitä tanto grande'*, daas es scheine, ihm feie nur noch die Spradie, um alle Eigenschaften der Wirklichkeit zu besitzen. Und wer den Apostd Paulus nicht kannte, der werde beim Anblick dieses Bildes jenen Vorzug- römischer Civilisation im Verein mit der unbesiegten Tapferkeit dieses frommsten Geistes sehn, der ganz im (ilaubenseifer aufgegangen. Der Maler aber habe in diesem Werke ausserdem noch in warhaft .staunens- wertem drade sein X'^ersi.indnis für die verkürzte Ansicht von unten norh oben gezeigt. Das trete ganz besonders an den Füssen der (icstalt lit rvor, so dass t r diese Schwierigkeit ganz allein (durch sein lieispiel für all»- Nachfolger) leiclit gi'm.icht habe, im Vergleich zu jener ungeschickten alten Art, die alle Figuren nur auf ihre Fussfpitzen zu stdlen wnsste, ein Verfaren. das bis auf seine Tage dauerte, one dass ein Andrer auaser ihm es verbessert hätte, und das er allein in Richtigkeit gebracht zu dem guten Gebrauch von heute.

Die Richtigkeit dieser Angaben Vasaris zu bezweifeln, liegt auch fQr die strengste Kritik kein Grund vor. Ein Seitenblick auf

die Petrusfigiir des Masolino wird eben diese Ucmerkurig, die im Leben Masaccios schon an früherer Stelle ausfürlich erörtert und bei (ielegenhcit S. Jvos in der Uadia wieder g^estreift war, bei ihm, dem Künstler, abermals hervnrgedrängt haben.

l'nd selbst die Angabt', Masaccio habe dies (logenstück zu der Pctrusfigur Masolinos als Probestück gemalt, „como per saggio", wie sohr er warend des Aufenthalts in Rom seinen Stil vergr<).ssert, klingt als überlieferte Erzülung garnicht unwarscheinlich, wenn wir sie im Sinne unsrer Chronologie verwerten. Eine besondere Veranlagung muss dodi der Konkorrenzarbeit beider BlaJer zu Grunde liegen, und da es die Gestalten des Petrus und Paulus sind, die an der Hieronymuskapelle der Sorragli nicht eben gefordert waren, so wird man dabei an die gegenüberliegende Brancaccikapelle denken, wo Petrus und Paulus aufsntreten hatten. Die Möglidikeit, dass Masolino seinen Petrus zuerst, an einen freien Pfeiler gemalt, one dabei an ein Gegenstück zu denken, nur als Beweis seiner Leistung*» fühigkeit für Feiice Brancacci, der damit umgieng, ihm die Petrus- legende in seiner Kapelle aufzutragen, mag gern offen bleiben. Dann

S. l'Al'UJS IM CAKMINE

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aber setzte M.i>.i( ( i<> seinen P.iulus daiieheii, als er von Rom kam, um die fireijjewordene Fortsetzung^ der von Masolino angefangenen und aufj^'egebcnen Malerei zu crlanjron.

Jedenfalls war dieses Gegenstück am Kirchenpfeiler nur ge- eignet, seine Hravour in der Freskotechnik zu bewären. Die inner- liche Ungleichheit der beiden, in Florenz offenbar vielfach besprochenen Einzelfiguren scheint dann für Masaccio selbst der Anlass geworden zu sein» die Apostelftarsten noch ein Mal, und zwar in einem Par von Tafelbildern darzustellen, bei denen die plastische Rundung der Körper und die farbige Wirklichkeitstreue noch sorgfältiger heraus- gearbeitet werden konnte. Diese Meisterwerke seiner Statuarischen Darstellunj^ auf der I'I.irhe befanden sich dereinst in besten TTänden, im Besitz der Mcdici. In dem Inventar der Kunstschätze, die Lorenzo de' Mcdiei hintcrliess '), stehen sie aufj^^efürt: „dua quadri di legname al Camino, dipinlovi unn san Pietro e uno sancto Pat^holo di mann di Masarcio, stiniaii fiorini i^". Seitdem sin<l sie für uns verschollen.

Dayej^en reicht diese eine lebhafte Heschreibuntf bei Vasari, so wcnij^ sie unserii Ansprüchen auf verj^deiclvnd»' Einordnunj^ in das l.i'b«'iisuerk Masacrios (entspricht, doch dazu hin, dm T'mkreis vr-r- waiidt^T S( h< iplun-^' ti im damali^'cn Kunsth^lx ti \ "n M< ^renz herauf zu b< s<luv<".ren. Ks g' iiüyt, an Donalt llos Marcus und (ihibertis Maliiiaeus unter den Si.ituen von ( )rs.inmichele zu erinnern, zwi.schei) denen die Arbeiten des Nanni d' Antonio di Dance vermitteln. An die Togaii^rur des attischen Rhetors, den Ghiberti und Michelozzo 1422 als Apostel Matthäus aufgestellt, klingt wol Vasaris Ausdruck »quel dabbene della civiltä Romana*' bei Masaccios Paulus an ; aber wenn von «ner Verbindung römischer Urbanität, von Vomemheit des römischen KQrgers gegenüber den handwerklichen Jüngern sonst, mit diristltchem Glaubenseifer auf der andern Seite geredet wird, so dass das Wesen der Person ganz auf die Sache der Religion gerichtet schien, so d.nken wir gewaltigeres Auftreten, feurigere Hercitschaft zum Handeln hinzu, als jener Matthäus sie darbietet, und kommen andrerseits mit dem lUick auf den Marcus Doiiai« llos vielleicht in (rcfar, zu viel, auch der korp*'rlichen Eigenschaften des Standbildes hinein zu rt rhiien, mehr weni;,4.st« iis, als df^r Maler damals sclion an;.;t'e:i,Miet haben mochte. Die \ erw'-riuiig eines P(^rtralkojifes in packender I.ebenswarheit, eines Hürgers von Florenz aus jenen l agen, an Stelle des Apostels, steht doch auf einer Stufe mit DonatcUos Verfaren bei den Propheten am Cam- panile, genug wir kommen mitten hinein in die Probleme

*) llams, U coltoGtion de* Media.

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Florenz, S. M. dkl Carmine

statu. irischer Kunst, die damals den Uildiur beschäftigten, und finden den Maler als Genossen auf seiner Ban. Dadurch eben unterscheidet sich Masaccio von den Zunftgenossen seiner c ignon Kunst, und die wesentliche Eigenschaft des Standbildes sdiwebt auch Vasari vor bei dem selbständigen Dastehen und sicheren Auf- treten auf dem horizontalen Bodenstreifen, das er allein damak bei gemalten Einzelgcstalten erreicht haben soll.

An diese Leistungen mit Gewandfiguren von plastischer Festig- keit und Geschlossenheit des Wesens schliessen sich aber mit künst- lerischer Notwendigkeit andre I 'lestrobungen an, die dem Erwerb geläufiger Grundlagen für die (iestaltung menschlicher Kr)rper im r>il(l(^ gewidnii'i sind: das Studiuni und die Darstellung des nackton I.eibes. An ilif^ getrennten Tafelbilder mit Petrus luid Paulus im Palazzo Meciiri reiht sidi ein andres Stück, wo in (Mnem Kamen neben einander ein Mann und ein Weib nackt in l.ebensgr<»sso gemalt waren. Die Tafel befand sich zu \'asaris Zeit im Hause des Palla Rucellal zu Florenz. Für uns ist auch sie verloren. Waren es nur Aktstudien, I^mOhungen um das Normalmafs der beiden Geschlechter und die weitere Charakteristik in Farben, deshalb zu- sammen gestellt, oder war dies nur das Hauptinteresse, und der Vorwand für die Vereinigung auf einer Taffei dodi der Name Adam und Eva?

Damit sind wir wieder an der Schwelle der Brancaccikapclle, an deren Eingang Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradiese

so seltsam über den (iesc hichtcn des Petrus dastehen, dass man glauben mochte, auch dort seien zwei garni( ht hingeh<')nge, „rome per saggio" gemalte ( leg^ nstücke S( honend (Thailen geblieben, weil sie für ihre Zeit, jedes für sich, ganz hervorragende Leistungen bedeuteten.

In der Brancaccikapclle waren damals die Kappen des Kreuzgewölbes von Masolino mit den Gestalten der vier Evangelisten geschmückt. Auf den anstofscnden Bogenfeldem der drei Wände darunter waren die ersten Ereignisse aus dem Leben des Petrus

gemalt, und zwar links vom Eintretenden die Berufung des Petrus und Andreas (Matthäus Kap. IV,), gegenüber der (iang Übers \Vas.ser bei der stürmischen .Seefart (.Matth. XIV i und die Vor- läusrnnng mit der Reue darüber in der Mitte, wo der Scheitel des Spit/bugenfensters in die Lünettc emporstieg (Matth. XXVI.j Das

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Disposition in dkr Buanh acciivAJ'ei.le

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heisst, die ilienfnl)^c der liilder sollte zunächst alternierend zwischen beiden Seiten der Kapelle verlaufen, so dass die Altarwand mit dem Fenster darin erst in dritter Linie zu Hülfe genommen wurde, be> sonders für Vorgänge, die sich auf schmäleren Feldern darstellen Hessen. Damit hatte Masolino jedoch seine Arbeit für Feiice Brancacd vorläufig abgeschlossen und war im Juli 1425 warscheinlich schon im Begriff, nach Oberitalien und weiter dann nach Ungarn zu wandern.

An den Wänden der Kapelle und den schmalen Streifen der Eingangspfeiler musste nun die Geschichte des Petrus weiter erzält werden, wie sie teils im Evangelium, teils in der Apostelgesdiichte und endlich in der Legende überliefert war. Da folgte im Evan- gelium auf (Ii* Kleingläubigkeit, wie Petrus im Wasser versinken will Matth. XIV I die Einsetzung des S( hUissclamtS (Matth. XVI), die \"orklärunv( Christi auf I !> r, i der Petrus gegenwärtig wari die Aulfindung des Stator M.i ;h W II" die wir somit auf die obere Reihe links an EingangspiV-iler uiul Wandstroifen zu verteilen hätten, so dass die Verklarung den Anfang bildet. L)ie Verläugnung ist dajin das l*l/Ae hinignis hei Leh/. iien des Meisters. Darauf setzt die Er/aUing der .\p< 'stelj^. schii hie' ein mit der Predigt des Petrus zu Pfingsten und der Taufe der hekerten Dreitausend (Aeia II), die wir noch heute links und rechts vom Fenster erblicken, und zwar in der oberen Reihe, wärcnd darunter rechts die Be- strafung des Ananias (Acta V) und die Heilung der Kranken durch den Schatten des vorübergehenden Petrus links zu sehen sind.

Daran sehlie.sst sich die (k simdung des paralytischen Aeneas (Acta IX. 33 t die hier durcli die Heilung des Lahmen an der Pforte des Tempels ( Acta III) ersetzt ward, und die Erweckung der Tabitha (Acta IX, 36). Gewiss durfte die »Befreiung des Petrus durch den Engel« aus dem Kerker des Merodes (Acta XII.) nicht feien und hätte sich hier in der oberen Reihe, am schmalen Eingangspfeiler anfügen müssen (nicht darunter wo sie jetzt zu sehen ist).

Mit der Rückbringung des vierzen Jare toten Fürstensones in Antiochien kommen wir dann zur hegende von Petri Stulfeier. Beide Darstellungen, mit dem Besuch des Paulus am Kerker des Petrus, der dem Wunder unmittellbar vorangeht, am sdimalen Ein- gangsfelde, füllen noch jetzt die untere Reihe links vom Beschauer. Gegenüber zur Rechten sollte, statt der Befreiung aus dem Kerker des Merodes, warscheinlich eine andere Scene aus der Legende am Pfeiler Platz finden, wo sie dem Todesurteil des Agrippa und der Kreuzigung zu Rom ebenso unmittelbar voran-

Scbin«rtow, Masaodo^tudien V. 3

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Reihenfolge der Ausfürung

geht, wie die Ermutigung durch Paulus drOben, d. h. also mit hOcfaiBter WaracheinUcfakeit: die manende Erscheinung Christi bei der Flucht des Apostels aus Rom »Domine quo vadis?«

Damit wären im Anschluss an die ausfürliche Erzälung der Schrift und den kurzen antithetisch zusammengestellten Festhymnus der Legenda atirea sämtliche verf&gfoaren Wandfeldcar der Kapelle besetzt gewesen und zwar so, dass die vier breiten Wandstreifen links und rechts je zwei Einzdscenen auihemen mussten. Die Her- dnname des Sflnden&lls und der Vertrdbung aus dem Paradiese, die zur Geschichte des Apostels Petrus gar keine Beziehung haben, .bat diese gewiss ursprünglich in Gemeinschaft mit dem Prior der Karmeliter vereinbarte Disposition, wenn nicht ganz zerrissen, doch empfindlich durchbrochen.

Masacdos Fortsetzung des von Masolino begonnenen Cyklus setzt nun ausserdem nicht in chronologischer Folge der Geschichten auf der linken Seite vom Beschauer ein, sondern an der rechten, wo die Heilung des Lahmen, die Erweclamg Tabithas und der Sttndenfall sich befinden. Das kann einfiich daran gelegen habon, dass Masolino das liogcnfcld dieser Wand zuU t/t fortig gestellt hatte und das (ierüst aus praktischen Gründen zunächst weiter be- nutzt wurde, wo es eben befestigt war. Ks ist sogar nicht aus- geschlossen, dass Masolino im I'.eg^ritT war, auch dies Wandfeld selber auszufüren, als der Besuch des Cardinais Branda und der Auftrag für Pippo Spane ihn erreichte. Der Charakter dieser Malereien ist jedenfalls der altertflmlicfaste von allen erhaltenen der Kapelle, er beweist ganz zweilellos diesen Gang der Arbeit, und zwar von links nach redits, von der einen Fensterwand her nach dem Eingang zu.

Ein entscheidender Schritt aber, den Masaccio sogleich bei Uebemame der drei Kapellenwände getan hat, war die Einiürung einer streng architektonischen Gliederung durch korinUüsche Pflaster und grades Ciebalk, die sich in zwei Geschossen flbereinander auf- bauen und dem gotisch gebauten Innenraum den Anschein klassischer Veriiftltnisse geben sollten. Urspranglich sdieint diese konsequente Umdichtung durch gemalte Ardiitektur. die eine weitere Stufe des in S. demente zu Rom begonnenen Verfarens bezeichnet, sogar an den T^ngseiten der Kapelle, der Anzal darzustellender Scenen ent- sprechend, einen trennenden Mittelpfeiler links und rechts in beiden Geschossen vorgesehen zu haben Die beiden ersten Scenen, die im oberen Streifen der Wand rechts nebeneinander Platz finden sollten, sind nämUch in sehr augenfälliger Weise zunächst als getrennte

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Vorbilder dks Stiles

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Bilder gedacht und onabhftngig von dnander komponiert Dune perspekttvisdie Konstruktion aber ist, iliror Stellung zu einander gemSw, von ^nem gemeinsamen Centraipunkt aus geschehen, der dann vom trennenden Zwischenpfeiler der Ramenarchitektur verdeckt werden sollte.

Die Heilung des Lahmen und Erweckung Tabithaa

T)io Heilung dos I. ahmen und die F.rw cckung Tabilhas miisscni durchaus in erster Linie als Einzelbilder betrachtet werden, wenn CS tplt ihren Zusammenhang mit der voraufgehenden Florentinischen Wandmalerei und der persönlichen Praxis Masaccios in Rom zu erkUbnen. Denn der junge Meister hat jedenfalls, als ihm der Auf- trag zuge&Uen war, im Bewusstsein das Beste leisten zu müssen, um mitten im kritischen Florenz sein Ansehen als Freskomalw zu begründen, seine lernbegierigen Augen abermals auf die monumen- talen Schöpfungen der grossen Trecentisten gerichtet, die überall in Kirchen und Kapellen zu sehen waren. Der Strenge Giottos freilich war man längst entfremdet; aber der £mst und die Innerlichkeit, mit der Masaccio seine Aufgaben zu fassen und zu ihrem psycho- logischen Kern vorzudringen wusste, erschlossen ihm auch hinter unzureichender (iest;dtunt^ und abstrakter l'nwirklichkcit noch die hohen \'(»r/üge in unposititjn und Ausdruck, die schlagende Kür/e und kraftvolle Tiefe seines Wesens, l iir die (restaltung und Wirk- lichkeitstreue dagegen kam für den (reschmack der neuen Gene- ration vor allen Andern Antonio V'eneziano in Betracht, und der Anschluss an diesen ist unverkennbar, nachdem sich Gherardo Stamina noch immer unserer sichern Kenntnis so völlig entzieht An die Fresken der Cappela Castellani in S> Croce mit Geschichten des hl Nikolaus und Antonius Abbas schliessen sidi diese ersten Leistungen Masacdos in der Brancacci Kapelle am nächsten an und unterscheiden sich eben dadurch von den gleichzeitig entstandenen und bezeichneten Arbeiten des MasoUno an der Decke des Kirchen- chores in Castiglione d'Olona. Es sind vor allen Dingen stark- knochige breitschultrige Gestalten, die hier auftreten; die aufrecht stehenden haben untersetzte Proportionen , wärend die sitzenden, die knieenden und liegenden beträclitlich länger sind. Darin zeigt sich ein rebergangsftadium, das unmittelbar an die (iegensätze der Gestaltuni^ in der Katharincnlej.,'^ende zu Rom anschliesst. Wie dort der hocliaut geschossene Henker der K'>nigin den gedrungenen Schergen beim Radwunder und dem Henker der Heiligen gegen- übersteht, erkannten wir einerseits florentinischc Trecentistcn-

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Cappella Brancacci

g^ewonheit, andrerseits römischos Modollstudium. Aber auch ein andrer Faktor kam hinzu oder war bereits früher da: die Kon- scciuenz der perspektivischen Raumdarstellunp. Und eben diese musstc zunächst dem kleinern MafsTtab der Figuren tU n \\)rrang- einräumen, um zu einem richtigen Verhältnis der Menschen zur umgebenden Architektur zu gelangen. Grade der erneute Verker mit den monumentalen Wandgemälden der Vorgänger in Florenz brachte jedodi die Wage wieder ins Schwanken. Grade die echt fl<xren- tinisch geschulten Meister legten das Uebergewicht bewusst auf die Gestalten und drängten die Architektur, die Landschaft, das Beiwerk dagegen zurOck, wflrend Sfnnello Aretino und Don Lorenzo Monaco mit ihrem gesamten Anhang viel eher aufgelegt waren, alle diese Bestandteile gleichwertig zu behandeln und oft in unklarem Gedränge durch einander zu mischen, wie alle sienesischund umbriscli gebildeten Maler es liebten. Die ernste tiefe Auffassung der Aufgaben, die Betonung des seelischen Gehaltes und die Zuspitzung des Ge- schehens auf einen praegnanten Moment, die wir bei Masaccio si( Ii entwickeln sehen, sie füren notwendig auf eine ( )ekonomie aller Darstellungsmittel zu Gunsten d<>r mensehliclien Personen zurück. So erklärt es sich, wenn in den beiden ersten Scenen, die Masaccio für die lirancaccikapelle gearbeitet hat, in der Heilung des Lalimen und der Erweckung Tabithas, die Rolle der Architektur, über- raschend im Vergleich zu den perspektivisdien Probestücken der Ka^ tharinenlegende, zurQcktritt und, sofern wir von dem gemeinsamen Sdiauplatz mit den Strassenprospdcten vorerst absdien, beinahe einen Rflckschritt in die Behandlung der Trecentisten aufweist, nur freilich keinen Rflckfall in die Unrichtigkeit des Verhältnisses zwischen Raum und Körpern, der &r den Schüler und Freund Brunellcschis ein für alle Mal unmöglich geworden war. Es ist ein Wiederaufnemen des wertvollsten Erbteils der ide.ilen Kunstweise des Mittelalters, was wir gewaren, die angespannteste, alle X^eben- sachen ausscheidende Koncentration auf das innerste Wesen der Handlung und der Charaktere. Was im Leben einer weiblichen Heiligen vr>ll frommer KrgelxMiheit und keuscher Jungfräulichkeit mit dem natürlichen Verzicht auf energisch um sich greifende Tätig- keit gefärdet war und verloren gehen konnte, (wie bei Fra Angel ico und Masolino), das wurde hier im Auftreten eines männlichen Charakters» des alten Feuerkopfes Petrus, wieder vollauf hervor- getrieben: die dramatische Kraft des Handelns» die blitzartige Aus- strömung des Willens im Erdgnis» das vor unsere Augen geschieht, und nicht durch unabsehbare Einflüsse des Himmels sondern durch die Persönlichkeit mitten unter den Menschen vollzogen wird. Der

Das Erste DoppEtaiLD

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Aufwand gdstiger Durchdringung des Stoffes, der in diesen Scenen steckt, ist oben nachgewiesen worden *).

Dann aber bedeutet die Konstruktion beider, zunächst getrennt neben einander stehender Bilder aus einem gemeinsamen Central - punkt, der auch dem Beschauer in der Kapelle sdnen festen Standort anweist, einen weiteren Fortschritt in der Durchbildung des Monu- mentalstiles nach den I-*rincipien des Ro.ilismus. Und zwar schlicsst sich dieser beachtenswerte Schritt wieder so notwendig an die Er- farun>^en mit der Katharinonlegoiule in Rom an, dass er nur nach diesen » rklarli« Ii wird. Dort sind die beiden Bilder zuvorderst links am Jüngani/sbojr<>n, das AuflreltMi im Tempel oben und die Disputation im Konsistorium unten, j^eiiau für den Standort des lietrathters an der Schwelle des Heiligtums, etwa am Gitter der Kapelle berechnet. Die r.ekeruni^ und Hinrichtung^ der Königin dagegen, oben rechts, und die Enthauptung der Katharina darunter entfalten tach perspektivisch am natürlichsten för den Blick vom Altar her, also etwa f&r den Geistlichen drinnen, obgleich durch die breitere Bevorzugung des Vordergrundes auch für den femer stdienden Besucher am Eingang bewusster Weise mit gesorgt ist Das obere Bild mit der Strassenflucht hinter den Frauen zeigt in «ch sowol die ursprflngliche Abgeht, wie die verbessernde Einsidit im Herausholen der Figuren. Nur das Mittelstück der untern Reihe, das Radwunder im Palasthof giebt die Konstruktion des Schau» platzes für den Standpunkt in der Mitte der Kapelle, grade unter dem Scheitel des Kreuzgewölbes. Das entspricht nun freilich der ( )rtsbewetjung der (ik'iubigen, die /um AUerheiligsten des Altar- bezirks nicht vordringen. Ks entspricht aurh der sterei )metrischen Form des nalu/u (luadratisrii anj^'-legten R.iunies dieser Kapelle für sich betrachte -l sehr wo] und deshalb der höchsten Forderung der motunnentalrn Wandmalerei. Aber es stellt sich ein Wider- spruch der Anschauung mit allen Nachharbildern ein, die an der selben Wand aufgereiht, sich one stärkere Sonderung durch Ramen aneinander drängen. Im Bogenfeld oben bildet die Mittelaxe die Scheidung zwischen den Prospekten von links und von rechts gegen dieses Hohenlot der Wandfläche. Im unteren Wandstreifen breitet sich die BOne des Mittelbildes mit dem Radwunder grade unter dieser Scheidungslinie der oberen Hfllften aus und eröffnet seine Tiefe grade von vom gesehen, wärend links die breitere Wand des Disputationsfales dem Bedflrfhis des eingetretenen, vor dem Mittelbilde stehenden Beschauers zuwiderläuft, und ebenso rechts

■) Bvdi m, s. 17—25.

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Cappella Brancacci

die Flucht der Palasthofmauer in entgegenpcsoi/t( r Richtung nach innen zieht, wo wir nebenan ins Freie auf die Richtstätte hinaus- blickcn sollen. TYn^ Anordnung dieses letzten l>ildos lässt wieder erkennen, dass dem Maler selbst die Einsicht autj^ej^atigen, welche Un/uträglichkeiten die Rechnunti' "i't einem doppelten und drei- fachen Standpunkt des fietrachters erijeben hatte. Die Auffassunir des Raumes als beharrender Gröfse und des Betrachters als v(jrüber- gehenden Korrelats, d. h. die simultane und die successive An- sdiauung widerstreiten einander noch one befriedigenden Ausgleich.

Hier in der Brancaccikapelle haben wir ein länglicheres Rechteck mit deutlichem Uebergewicht der Richtungsaxe vom Eingang bis zum Altar vor uns. Der Bewegung des Besuchers gemflss wurden die Langseiten zunächst in zwei Bildflächen zerlegt, so dass sie zwei getrennte Scenen im oberen wie im untern Streifen Platz gewärten. In der Mitte gemalte Pfeiler als Träger des graden Gebalks be- tonten diese Teilung in zwei Hälften. Einer so entschiedenen Halbierung der Wände widersprach jedoch die Einheit des Rogc-n- feldes darüber, das von Masolino bereits mit einem einheitlichen l'ilile gefüllt war, und widersprach ferner das zusammenfassende Kreuzgewölbe, dass wo! ein Mittellot im Kapellenraum, von seinem Schlufsftein hinunter auf den Fussboden gefiillt, anerkannte, eine Diremtion der schlichten Mauern dagegen nicht dulden wollte. Die eingemalte klassische Ordnung geriet hier in unleidlichen Zwiespalt mit dem gotischen Bau der Kapelle, und Masaccio war, wie eben sein Ver&ren in San Demente bezeugt, ein zu architektonisch fülender Künstler, um diese Abläugnung der oberen, von Masolino gemalten Hälfte bestehen zu lassen, so sehr sein antik gebildeter Geschmack sich gegen die Beibehaltung der gotischen Formensprache auch in seiner eignen Gliederung sträuben mochte.

Desiialb wurde die Einstellung eines korinthischen Pilasters in die Mitte zwischen der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas wieder aufgegeben, wenn schon sie hei diesem ersten Paar deutlich fülbar geblieben ist. Die andre Malsregn'l aber, die lun- heit der Wand dadurch aufrecht zu erhalten, dass beide Scenen auf einen gemeinsamen Augenpunkt konstruiert wurden, blieb bestehen. Bei der lireite des fries;irtigen Streifens, den sie füllen sollen, machte sich nun, sowie der Trennungspfeiler verschwand, ein Auseinander- weichen bemerkbar. Dieser Gravitation der Figurenmassen nach bei- den Seiten hinaus musste auf andre Weise entgegengewirkt werden. Da liegt einmal die Veranlassung für den gemeinsamen Schauplatz mit stärkerer Ausbreitung der Tiefendimension, und zweitens die Erklärung Air die Lflckenbfisser, die beiden massigen Spaziergänger,

Die Erste BiLDERRErHE

die an Stelle des Pfeilers vor den Augenpunkt treten, als kämen aie

grade des Weges. Sie vermitteln für die Reliefanschauung zwischen drill Wunder in Jerusalem und dem Wunder zu Joppe ebenso wie die Häuserfront dahinter iwischen den einmündenden Gassen trr ide da, wo Tifft-nflucht uns mit allzuschnellor Verjüngung eher be- engt als befn it liabrn würde. Die Einfügung dieses gemeinsamen Schaupl.it/es zur J'.inii^ung tlcs Gesamteindruckes im Sinne der vor- handenen, im Bau d»T K.ijielle selbst gegebt urn Wandbreite ist ein neuer I'orlsrhritt auf d( tn oingeschlagenen Wcgo des MMinimental- stiles, und wieder nur mit ilulfe der romischen \'orstufen erklärbar; es ist zweifellos eine spatere Zutat, für deren Mntstehung auch der dritte Faktor dieser Reibe, das Bild am Eingangspfeiler, mitgewirkt haben muss. War der Gegenstand der Darstellung hier, wo wir jetzt den Sündenfall sehen, ein Moment aus dem Leben des Petrus, also den beiden andern völlig homogen, wie etwa die Befrdung durch den Engel aus dem Kerker des Merodes, die hierher gehörte^ so war die Notwendigkeit des einheitlichen Verlaufes und der Aus- gleichung für das Auge wie der Verknüpfung fOr die Phantasie noch stärker als jetzt, wo w ir einen heterogenen Gegenstand da finden, der schon durch den Kontrast der näckten Gestalten gegen die durchgehende Bekleidung die erste Bildfiache als Eingangsftück von den anschliessenden des Innenraumes absondert. Statt Petrus, P!ngel imd Wächter, die mit der Zal und Stellung der ersten Scene: l'elrus, Johannes und l>ettler, so viel besser übereinstimmte, haben wir zwei aufrechtstehende Figuren mit der Schlange am Baum in der Mitte. Das Mittelbild überwiegt an Breite und Figurenzal be- trächtlich. Dennoch ist auch hier ein abwägendes und ausgleichen- des Verfaren, feine Rücksicht auf die optische Verschiebung der Reihe filr den Eintretenden zu beobaditen.

Ja, wenn wir einmal die obige Entstehungsgeschichte als er- wiesen ansehen, dann ergiebt sich aus der Einsidit, die tdctonisdien Faktoren des vorhandenen Kapellenbaues, d. h. die Einheit der Wandfareite unter der Einheit des Gewölbes, mflssten durch die Malerei respektiert werden, auch eine Erklärung ftr Wal eines ganz anders gearteten Gegenstandes am Eingangrspfeiler, d. h. für die Einfürung des Sündenfalles und der Vertreibung aus dem Para- diese. Masaccio wert sich mit seinem Gefül für die architektonische Einheit des Innenraums und für die architektonische .Selbständig- keit des eigens überwölbten Hingangs, der als Mittelglied zwischen Kiri he nnil Kapelle fungiert, gegen die Kinbeziehung dieser schmalen Mauerstreifen in den Bilderkreis des Innern, und zwar um so mehr, als ein trennendes Gitter jenseits dieses Eingangsbogens den Ka-

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Cappella Brancacci

pellenraum deutlich geg^en das Querhaus absdiloss. Masaccio wert sich gegen das Hinausmalen, mag die Fülle der Erz&lung auch überquellend ihn ebenso bedrängen wie der Wunsch des Auftrag- gebers oder des Karmeliterpriors, dem es n der Verherrlichung

des lleilijren gelegen war. Masaccio wält, der Klarheit des monu- mciUalcn Stiles, dem Zusammonbanpf mit der Architektur zuliebe, den vcjllig anders ^'■oarteten. weiter hör eink ilcndcn Anfang der Er- lösuiigssrcschiclite. Er will den Ein^anj» als selbständig absetzen gegt-n das Innere. War doch ausserdem die gemalte Architektur, die er da drinnen aufgestellt hatte, so etwas völlig Anderes als die gotische Kirche sonst. Das Gitter schied den klassischen Stil, den Brunelleschi wieder bringen wollte, von der mittelalterlichen Ver- gangenheit Nach solchen Erwägungen ist es nidits, als ein Zeug- nis für das mangelnde Verständnis oder die willfärigere Nach- giebigkeit des Filippino Lippi, wenn er unter den Sündenfall die herausgeworfene Befreiung aus dem Kerker und unter der Vertrei- bung aus dem Paradiese den Besuch des Paulus am Turmverliess des Petrus, eben die Stücke der drinnen erzälten Heiligenlcgende hinaust^ron^ alt hat vor das Gitter, das vielleicht eben damals beseitiget und durch eine P>alustrade ersetzt ward.

Damit habr n wir einen neuen durchschlagenden Bew(Ms für Ma- saccio als Urheber des Sündenfalls und der anschli(\sscn(]on Reihe drinnen gewonnen; denn Masolino wäre zu solchen l\r\vägungen gar nicht im Stande gewesen, hat vielmehr das (iey enteil dieser Sinnes- art bewiesen. Und die Tat Masaccios zu Gunsten der Sonderung architektonischer Raumteile auch mit Hülfe der Malerei ist ja nidits €reringa«s als em positiver Beitrag zum monumentalen Stil der Hochrenaissance, die Entdeckung eines Gesetzes, die von Don- ardo und Rafael wol verstanden ward, wenn auch Filippino sie ge- fbgig wieder entstellte. Das Gefül fdr den hohen Wert des Haus- gesetzes der Architektur lag aber den Künstlern am Anfang des Quattrocento, wie Masaccio und Brunelleschi, die soeben erst aus der Gotik herauswuchsen, noch viel näher als der spätem Genera- tion, die nur die Hefreiung vom Zwange one eigenes Ringen über- kam und der gesetzlosen Naturnachamung vollends verfallen wäre, wenn die perspektivische Regel Brunelleschis sie nicht eingeschränkt hätte. Auch hier liegt also ein Erbteil der (iotik. das wir als un- veräusserliche Grundlage für den Stil der Hochrenaissance veran- schlagen müssen.

Was Masaccio unter Sündenfall und \'ertreibung aus dem Paradies anzubringen gedachte, um den selbständigen Charakter des Kapelleneingangs durchzuf&ren, das vermögen wir nidit zu sagen.

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IlErLUKCi DES Besessenen Knaben

um so weniger, als das Gitter weg^nommen und das zugehörige Kircheninnere durch den Hrand des Caroline zerstört ist, von dessen VerhAltnissen. wie von dessen lielcuchtunj^ ein Urteil durchaus ab- hienge. Vielleicht sollten g^ar keine naturfarbi^^en ( leinälde, sondern Chiaroscuro-Malereien an die Stelle tr< ten. Reliefbilder von Kinzel- gestalten i Petrus und I*aulus?i im Ma^^!tab der drinnen ansehlicssendcn Reiben enthaltend; doch muss die Frage o£fen bleiben.

Zur I'.ntstchung der letzten Zutat, zum gemeinsamen Schau- platz des Doppclbildcs mit den einmündenden Strassen, aus denen noch andre Kircheni^.in^er hervorkommen, \\ arend schwat/ende Mainier auf der Sleiiili.mk. eines Palastes sitzen, mitten hinein in diese befreiende Li-isiunj^ im Rinj^en mit dem Perspektiv-j^esetz Brunellesrhis fürt uns ein merkwürdiges Versuchsstück, auf das schon Vasari aufmerk&.im gemacht hat, one zu bemerken, wie nah der Gegenstand der Darstellung mit dem Gedankenkreis und der Bilderfolge der Brancaccikvt pelle zusammenhängt. Ich meine das flbermalte Temperastück mit der Heilung des besessenen Knaben BrOssel'), einer Scene also, die mitten zwischen der Verklärung auf Tabor und der Geschichte mit dem Zollgroschen zu Kapemaum (Matth. XVIIf 14) erzält wird, mit denen sich Masaccio unmittelbar darauf oder vielmehr daneben fikr die gegenüberstehende Reihe der Wandbil(1(T in Cappella Brancacci zu besdläftigen hatte. Nicht die figürliche Darstellung aber ist hier zun.'ichst die Hauptsache, son- die perspektivische Entfaltung des Schauplatzes: eine übereck^e- stellte, von aussen und innen sichtbare Rasilica, die ringsum cjffen durch ihre Rückseiten den .\usl)li( k auf benachliarte Häuser und Strassen Prospekte mit Leuten. Rosseti und di,d. gtwärt. Das innere mit stämmigen Säulen und hreitgeglieileriein Liclitgaden mag an ri>misclie \'orl)il(ler wie S. diovanni in l.aterano sich aidenen, das Aeusserc mit den überschlanken Arkaden der .Seitenschiffe und der Ansicht des ^Cupolonc del Brunelleschi« wirkt dagegen noch ganz trecentistisch wie Tempel und Haus auf dem ersten Fresko. Die Wiedergabe der weiten Bodenfläche des Innenraumea. die um einige Stufen über den Erdboden ringsum erhöht ist, die Auseinander» Setzung der verschiedenen Pläne, der Abstände zwischen hier und da verstreuten Figurengruppen, »in sul piano di quella piazza«, sind lauter Probleme, die sich mit dem Platz und den Strassenprospekten ziÄ'ischen der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas anh Engste berüren. Das Verhältnis der Figuren zur Architektur ist aber nicht das der Hauptscenen dieses frühesten Doppelbildes

>) Vgl. Buch U, S. 6^ f.

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Cappella BRANCAca

der Brancaccikapello, sondern eben das des später hinzugefü^en

Hinterprundos, mit der IVau, die ein Knäblein an der Hand fürt, und der alten Matrone /nr Seite, die soeben noch von den vordersten Häusern der einmündenden Strasse umramt, vom Palast zur Linken in Halbschatten gestellt werden.

Wärend die lleilunij des besessenen Ktiaben (in Brüssel) in den Fipfuren ' i eine Mischung- schlanker Zierlichkeit und wuchtig-er Breite, hier und da schon Anwandlung^en V(")llii^r malerischer Freiheit zeigt, die nur die Hauptmassen andeutend hinsetzt, und durch ihren skizzenhaften Charakter uns einen Einblick in das Gären und Durch- einanderwogen der Gegensätze» mit denen der rastlos fortschreitende junge Meister sich abzufinden trachtet» in einen unfertig gebliebenen Zustand des Werdens eröffnet, weil es eben als Probestück nur f&r Studienzwecke zum eigenen Gebrauch bestimmt war, so verrät doch bei genauerer Prüfung auch das Doppelbild der Brancaccikapdle grade durch die Ungleichmässigkeiten der Gestaltung, wie schnell dem Maler seine Kräfte gewachsen sind. Ein \'i rgleich zwischen dem Helden beider Auftritte, Petrus am Tempel und am Hause Tabitlias, zwinij^t schon zu dieser 1 '.eobachtung des Wandels, von den Haupt- personen zu den Trägern d^s Ausdrucks und weiter zu ruhigeren, die Komposition abschliessend« -n ( lewandrtgurcn, bis zu den Kirch- gängern im Zeiikostiun. den modischen (lecken vorn und den Frauen im Hintergrund, die am meisten an S. demente in Rom erinnern.

Nemen wir dazu die beiden nackten Gestalten von Adam und Eva im .Sündenfall als Normalleistungen, dann das Altarbild mit der Madonna im Schofs der heiligen Anna aus S. Ambrogio (jetzt in der Akademie) zu Florenz und endlich die Madonna mit dem nackten strampelnden Kinde, das die Mutterbrust liebkost, in München, ein Temperastflck auf Goldgrund wie jenes, das wie eine künere, freiere, breitere Redaktion der Madonna von 1423 in Bremen erscheint, und in dem Motiv, wie in der Bildung des Knaben die deutliche Weiter- entwicklung der beiden Vorstufen, in Bremen und in Florenz vor Augen stellt, dann gewinnen wir eine vollständige Reihe von Be- legstücken für diese erste Tätigkeit in Florenz, di<« kaum über 1425 hinausgehen darf und bis zu den älteren, auf (ioldgrund gemalten liestandteilen des Pisaner Altarwerkes (wie S. Andreas in Wien und S. Paulus in Pisa) heranreicht.

Dürfen wir uns doch auf der einen .Seite nicht wundern, wenn neben der gewagten Darstellung der Aladonna in München, mit

') Vgl. unten phot Abbtldttog befonden aucii mit der Bettattanc UariM in Rom, wo der firldieste AnsdihiM gesadit werdeo darf.

Verwandte Arbeiten Predigt Petri

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ihreni üppigen ausgrelasscnon lUibcn, gleichsam als Gegengewicht so wdUicluT Daseinslust noch hieratische Bestandteil o w iederholt wer- den, wie die kleinen, doch inimer schon knieenden Env^-^el auf Wolkenstreifen, und der gotisch drapierte (iottvater im Chenibkreis, der mit den Halbfij>(ur< ii tl< s Nanni di Banro an < )rsanmichel<' und des Lorenzo Ghiberti an d. r ersten l iir des ['..iptisteriunis oder dem Schopfungsbilde Paolo l cceJlus im Chiostroverde von S. M. Novella noch auf einer Stufe stehL

Die Predigt Petri

Auf der andern Seite bekundet kein Werk so stark den über- quellend sich drangenden Zuwachs, wie das letzte Fresko dieser Reihe, die Predigt des Petrus an der Altarwand. In der an- dächtig lauschenden Gemeinde noch breit wie Ober den Gliedermann drapierte Trager des Ausdrucks, wie der Greis mit gesenktem Haupt und gespaltenem Bart, gleich dem Altersgenossen am Lager Tabi- thaSk körperlich nicht vollgültiger als die Evangelisten in S, de- mente und als die Madonna in München. Daneben aber schon völlige weiche Fraucnbilder, die sich an Katharinas letzte Er- scheinunvron in Rom anschliessen und über den strengen flor< ntini- schen Zuscluiill der M.itronen von Joppe hinaus^ehf-n. Dann suni- inaris< Ii beh.iiuickc Kopfe, unt<*r denen wiciK r Reminisccnzen aus den Anfangen der K.»jM?lle rir.md.i Castigliones iK^gegnen, und die mächtij^sle Heldengestalt S. I'etrus selbst, schon wuchtig und derb wie Donatello. Endlich die Porträts; wie ganz anders als der Kar- dinal unter den Philosophen in Rom, hier die Stifter neben dem Apostel und dort die Karmeliter ihm gegenüber! Die überzeugende Realität, mit der sie dicht herantreten an die Schar der ersten Zuhörer des Petrus, bedrängt geradezu die Kopf an Kopf sich reihende Ge- meinde und es bedarf der handgreiflichen Gebärde des Hirten nicht für die fromme Lämmerherde, sondern gegenüber der strotzenden Falle des Lebens, die aus der Wirklichkeit des Tages heraufge- stiegen, es nun mit ihm aufnimmt.

Wieder auf den Weg nach Pisa oder über die Berge Sienas weist zu gleicher Zeit das flüchtig hingeworfene, aber durchaus ver- wandte und genauestens hierher gehörige Fresko in Empoli mit Christus im Grabe unter dem Kreuzesstamm, von Maria und Jo- hannes gehalten, und mit der Vera Ikon auf dem Sclnveisstuch oben zwischen zwei Propheten köpfen in Medaillons am Giebelfeld. Der

') Vgl. Abbildung Licleiung III, Tafel 4.

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PlETA IN EmPOLI

Gegenstand der Hauptdarstellung leitet zurück zu dem Colmetto der Vaticana mit dem Gekreuzigten zwischen den Seinen. Maria und

Johannes erscheinen wie Vergrösscriingen der damals fttr Martin V. gearbeiteten Vorlage, ebenso der Christus oben wie die entsprechende Weiterbildung^ aus der Glorie des Schneewunders, und zwar im Sinne der neuen, plastisch vervollkommneten Errungenschaft im ^\flam und der ij;'anzeii Arbeit im Süntleufall. Das verkündet der breilsciiultrige Bau des Schmerzensmannes, das die weitgenfTneten Aug^en des Salvators oben mit der energischen Hetonungf des festen Knochengerüstes überall. Die Stellung der Gesichter in Dreiviertel- sicht findet wieder ihre Analogieen in dem Doppelbilde der Bran- caccikapelle und den zugehörigen Verwandten. Der Prophet mit mit geneigtem Scheitel ist gar der Alte grade aber Tabitha. Ziehen wir dann noch die vier Halbfiguren von Heiligen, Fragmente eines Altarwerkes in der diemaligen Sammlung Artaud de Montor *) her- an» so leuchtet auf der einen Snte die Herkunft von weiblidien Köpfen wie die Madonna von Bremen, auf der andern die Umge- staltung des Christus in Empoli zu Johannes dem Täufer hier, zur heil. Katharina dort neben ihm ein, und durch diese Scala hinüber zu dem Christusideal in der Brancaccikapelle bei dem Auftritt mit dem Zollg'roschen.

Heide jedoch, das Fresko in Empoli, wie schon angedeutet, aber auch die Predigt Petri in Florenz, finden vorher noch unmittel- baren Anschluss zu Rom, bei der Fortsetzung des Kapellenschmuckes in S. Clemente. Die nächste Verknüpfung gicbt sogar noch das Doppelbild mit seinem Stadtplatz hinter den bdden koketten Stutzern. Jene Frau mit dem Knäblein an der Hand ist natürlich ein geläu- figes Motiv für Statisten. Wir finden es ebenso bei Masolino, im gleichzeitigen Sposalizio zu Castiglione. Aber wenn die Mutter hei Masaccio noch an seine Katharina in S. Demente streift, hat der muntere Knabe schon die festeren Formen und die lebhaftere Be- wegung bekommen, wie das Christuskind auf Mariens Schofs in der Akademie und in der Mtinchener Pinakothek. Dasselbe kecke, vor- dringliche Bürschlein spielt nun aber eine Hauptrolle im Leben des heiligen Ambrosius: es ruft ihn, als Werkzeug eines höheren Willens, stracks zum Erzbischof von Mailand aus.

0 Vgl AbbUdung III, 3b Text UI, 54 f.

m.

^2 DIE VOLLENDUNG DES FRESKEN- SCHMUCKES IN S. CLEMENTE ZU ROM £4

Die Ambrosiuslesende in S. demente

Die beiden Hälften di s i ><>ironfeldcs, (in die das gcgenwArtig^ vorhandene, in später Zeit erweiterte und rochtwincklig cingeramto Fenster der Kapelle jedenfalls empfindlicher eiiisehneidet als in seiner ursprüiij^'liriirii l'drnii. sind wlo drüben, nur noch meister- licher und einheitlicher als (irsr(.iistüi:k.e konstruiert, so d.iss wir durch den Zwang der IVrsprktive bei dem Einen von links, beim An- dern von rechts her schräg in die 'l iefe der dargeslellten Räumlich- keiten hinein blicken, deren Ansicht ebenso dem Standpunkt des Beschauers unten auf dem Fussboden fjferecht wird.

Im ersten liilil«' mit dem liienen wunder wird die Loggia eines Renaissanccpalastcs, mit Säulen, Rundbogcnarkadon und Medaillons in deren Zwickeln, so voUlcommen im Stil der neuen Architektur Brunelleschis gezeigt, dass wir beim Maler nur die selbe Stufe ver- trauter Bdtanntschaft mit den Arbeiten des Baumeisters und sicherer Wiedergabe des Raumes mit den zugehörigen Menschen darin an- zuerkennen vermögen, wie auf dem Geburtstagsteller aus CasaCap- poni zu Berlin *). Ein ebenso korrektes Beispiel ist die Pergola auf dem Turm des anstoPsendcn Palastes, der oben jenseits dos offenen, im Hofe drunten gedachten Vorbaues sichtbar wird. Die schlanken Frauen, die sich der Wiege des kleinen Heiligen nahen, erinnern noch ganz an die Kirchgang^erin bei der Heilung des Lahmen und an die Heilig'' mit dem Träticnkrüglein loder Salbgefäss, also Mag- dalena! auf dem I raginent der S.immlung Artaud de Montor; aber die Magd mit dem I-acher hat schon die Fülle und Weichheit der Hörerinnen in der Predigt des Petrus, und der Arzt im Capuccio vollends die Gedrungenheit und ikeite der Plorentinischen Haupt- werke. Der Adam im Sündcnfall oder der Christuskopf des Veroni- katuches in EmpoU begegnet uns als heiliger Ambrosius in welt- lichem Richterstande wieder auf dem Bilde daneben. Ein vornemer

<) «OMTB pbot. Abbildvag vad Udcniag H, Tat 9.

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Rom, S. Clemente

Borger Mailands neben ihm erscheint wie eine Verquickuiijtr des predigenden Petrus und dor I »ildnisfiijur hinter diesem. Die neugierig- herzutretenden Karmeliter dort werden hier durch Longobarden er- setzt, die in voller Rüstung, mit dem Scfaweit in der Hand bei der strittigen Bisdio&wal in die Kirche gedrungen tind. Und von dem Oberfairten, den äe aneckennen sollen, trennt sie nur der seherische Knabe, der mit lauter Stimme dazwischen ruft. Die wuchtigen Krieger in Rom geben den Kuttenträgem in Florenz nirhts nach; denn ein Meisterstück der statuarischen Kunst, Donatellos San üiorgio hat für sie Modell gestanden. Und der letzte von ihnen, one Stalpanzer, in leichtem ausgezaddeltem Ueberwurf lässt so frei die wolgebüdeten Sdhenkel sehen, dass wir die fortgeschrittene Kenntnis der F<irmen und Freude an ihrer plastischen Rundung nicht übersehen können. Wie prächtig kontrastieren diese ritter- lichen (icstalten der I'arbaren mit den (iei.stlichen und dem Würden- träger des Kaisers, der versöncnd auf sie wirken will. Auch die hochaufgeschossenen Gesellen aber mussten sich mit ihrem Hoben« ma!b der Gesamtredinung des Bildes Aigen, die es unternimmt, uns mitten hinein schauen zu lassen in die Säulenreihen einer altchrist- lichen Basilika bis an den Triumphbogen und die Halbkuppel der Apsis. Der Einblick eröffnet sich genau so übereck in Mittclsrhiflf und Seitenschiff rechts, wärend links die Aussenseite des Licht- gadens gegeben wird, wie auf der Heilung des besessenen Knaben, teilt mit diesem Versuchsftück nodi einige Schwfidien, erscheint je- dodi als Ganzes bereits so fortgeschritten, dass er nur nach jener Problemlösung entstanden sein kann, die gegenständlich mit (l(>n Arbeiten für l'.rancacci so eng zusammenhängt, dass sie nicht vor Sommer 1425 angesetzt werden darf.

Die nämliche Verwandtschaft mit dem Uä>erblick Aber das ganze Gebäude, den das Bild der Sammlung Somzee in Brttssd zu geben versudit, ist auch am versinkenden Hause des reichen Mannes nicht zu verkennen, von dem der Heilige mit seinen Gefärten zu Ross soeben entflieht. Die Schwierigkeit der Aufgabe, ein elemen- tares Naturereignis unmittelbar, wie es vor den Augen sich voll- zieht, zu schildern und keine Mitwirkung überirdischer Sendlinge oder unterirdischer Dämonen zu Hälfe zu nemen, hat den Meister veranlasst, das Gebäude selbst möglichst ein&di zu halten. Eben dadurch reiht es sich dem Tempel zu Jerusalem und dem I lause Taliitli.is zu Jf'PPf^ <i"f dem Doppelbilde der Rrancaccikapelle noch näher an. Die hereinbrechenden Fluten und die verzweifelte Angst der Versinkenden, die soeben noch in der offenen Halle getafelt hatten, bleiben die Hauptsache. Audi die Reiter, mit dem eigent-

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Ambrosiuslegende

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liehen Helden der Erzälung in ihrer Mitte, sind nicht nur in den Hintergrund gerückt, weil sie schon gehörigen Abstand erreicht haben miusten uro selbst nicht mehr in Gefiur zu kommen, sondern xadn bescheiden durchgefürt, da nur die Wirkung- des fiirditbaren Geschehens selber dargestellt werden konnte. Die ROckansicht der Rosse und die Bewegung der Reisigen im Sattel, als sie das <jet(')M' boren und des Sturzes .insichtig werden, ist durchaus Ma- äaccios würdig, dessen Predella mit dem üefolge der Könige für den Pisaner Altar (jetzt in Berlin) das nädiste BelegstQck liefert Die starken VerkOrzungen der Köpfe drunten im Strudd des Unter- gangs waren sdion gegenüber beim Rad wunder vorbereitet ; mit den Flüchtlingen und Schultligen, ilii von den Splittern getroffen werden , gehören diese ( »pler der Nemesis selbstverständlich zusammen. Die Schlichtheit des unentrinnbaren Vollzuges charak- terisiert den Meister, der auf mannichfaltigcre Motive und unver- stAndlidiere Episoden verzichtet, ganz anders als Paolo Uccello bei der Schilderung der Sintflut im Kloster von S** Maria Novella, die wir dodi zwan/.ig Jare später zu datieren haben.

Wie Weit die besondmi Mittel der Farbe und der Beleuchtung hier mit in Anspruc h L;<-ni iinmeii worden, ist bi i dem heutigen, durch Feuchtigkeit vuUig verblassteii Zustand der üeberreste nicht mehr zu sagen. Die dunkle Stelle unten an der Fensterwand ver^ bot an sich sdion Manches. Und für vorwiegend zeidineriache Mittel blieb der Gegenstand immer ein recht unglQcklicher Auttrag.

So gestattet audi die let/te Aeusserung des sterbenskranken Ambrosius für das noch ubri>4t' Fi-M kaum eine andre Wirkung als die eines Sittenbildes; dctui das Ihenia war nur der laute Zuruf des Abscheidenden auf die leise geflOsterte Frage nach seinem Nach- folger am andern Ende des Zimmers. Bemerkenswert ist indess die perqiektivtsche Konstruktion des Einblicks in das Schla%emadi und das anstofseud Studierstübchen des Heiligen, die hier jedai&Us aus der Kardin.ilswonung von S. demente genommen wurden. Nicht mehr, wie gegenüber bei der Disputation an der entsprechenden Wandstelle links, ist dieser Einbhck für den Standpunkt auf der Schwelle berechnet, sondern Ar den Standpunkt drinnen vor der Fensterwand, und zwar grade, wie beim Radwunder Katharinas, audi wieder ein Sdiritt zur Korrektur der übertriebenen Konse- fjuenzen, der erst nach jenen missliehi n ?"r)"irungen drüben ver- standlich wird, also (>in l'.ewcisgrund hr für unsere Datierung dieser iVrbeit, und um so beachtenswerter neben der perspektivischen KoDstrukticm des Hauses auf dem Nachbarbilde, wo uns die Ureit- sdte ganz von vom, die Sdunalsdte rechts aber in staricster Ver«

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Rom, S. Clements

kürzung gezeigt wird, so dass der Augenpunkt noch im Bildrand selbst zu Uegen kommt» in Simshöhe des Hauses, zu Füssen der Reiter, d. h. auf halber Hohe des Wandfeldes wie hier im* letzten. Fttr die dargestellten Personen konnte die Hauptaufgabe nur im ge- spanntesten Ausdruck der Beziehungen liegen: eine Gruppe von Geistlichen, die möglichst unbemerkbar mit einander ratschlagen, ein Kranker, der sie dennoch hört und darauf antwortet, ein ruhiger Wärter im Vordergrund, das ist Alles. Und wie a\Jsdrucksvoll sind diese Köpfe der Gehdmniskrämer, wie angestrengt das letzte Zu- samroenrafien des müden Greises auf sdnem Lager, wie jugendlich a^los das Antlitz des unbeteiligten Dieners, dar gewiss dem £in> nicken nahe war, als die Stimme seines ll<'rrn erschallt. Und wie anders sil/l diese (Tet>tall in den weichen (icwaiivlrni des Klerikers auf dem lestgopolbterten Kissen am Boden, als die Madonna in Mflndien und vollends die in Bremen von 1423. Auch er bat ein Knie erhoben, um seinen Einbogen darauf zu stützen, wflrend die Handfläche dem Kopf als Lene dienen soll; aber das andre lUin ist vorgestreckt und der Arm herunter gelassen, so dass die Hand auf dem Knie ruht. Die.se linke Seite der Gestalt kert sich nacli aussen gegen den Beschauer, die aufgestützte gegen die Bettstatt des Bisdiofe, so dass wir klaren Ueberblick über Haltung und Lage aller Körperteile gewinnen, auf die es ankommt: eine plastisch durdi- gearbeitete Genrefigur von überrasch« in h 11 1 Reiz ist gelungen und wirkt als Gegensatz zu dem ausgestreckten Cireis, der nur durch drei aufgetürmte Kissen emporgerichtet wird, um das Zimmer über- schauen zu können. Und diese Krankenstube ist mit aller Liebe im Einzelnen geschildert, in der Wal der Farben unverkennbar harmonische Wirkung erstrebt, in der DurchfÜrung der Wand- schränke mit ihrem Hausrat selbst die Kleinmalerei des Stillebens nicht verschmäht. Das müssen auch anspruchsvolle Augen noch heute anerkennen in dem traurigen, verwarlosten, wenn auch vnn fremder Zutat freieren Zustand des Wandgemäldes, dessen untere Teile die Feuchtigkeit schon lange zerstört hat.

Die Verwandtschaft dieser vier Wandbilder aus der Ambroaus- Icgende mit der ersten Gruppe der Florentiner Fresken wird durch die Wiederker der Typen vollends bestätigt. Der jungen Magd an der Wiege vergleichen wir den vollwangiyen Patri/ierson, der hinter Petrus und Johannes zum Tempel gehl; sein Gefarte in Profil ist älter geworden und umgedreht der Arzt beim Bienen wunder, und beiden Gecken audi der Wächter am Lag^ des Ambrosius nidit fem.

Wenn es aber darauf ankommt, die Datierung dieser Arbeiten im Lebenswerk des Masters so bestimmt wie nur möglich zu be>

VerkOkdioung

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grOnden. dann map als (iovinn probe hior fin Blick auf die Ausscn- seilc der Kapello v on Xut/cn si in. wo die I icstandtcile des Wissens und Könnens in eintachcrcn Gegenständen fast tür sich zur Geltung kommen und die freie Wal der kflnstlerisdien Behandlung noch deutlicher hervortritt, als in vcn-geachriebenen Scenen dner Heiligen- legende.

Die VerkOndigung

Droben aber dem Eingangsbogen, dessen Scheltelspitze mit dem gemalten Wappen der Castiglione unter dem Kardinalshut bekrönt ward, sollten die Zwickel links und rechts den Vcrkflndigunga-

enpol und di'- Annuii/iata aufhemen. Die Art, wie dies geschehen ist. charakterisirrt ilm Meister, nicht nur persönlich in seiner Eigen- art, sondern auch an einer bestimmten Stelle seines Ganges. Er errichtet mit Hülfe seines Pinsels zu den Seiten der beiden Bogen- hälften, auf dem Grrunde des Kämpfersimses, wo sie ans der iKnieon- talen Mauermasse au&teij^en, eine Substruktion aus nindbogigen Arkaden für ein allseits offenes Obergcschoss,- vor dessen Fussboden die obere Hälfte des Spitzbogens mit dem Wappen darauf emp>or- ragt. So erscheint darüber der Solh-r, w" Maria zu beton pflegt und der Verkündigung teilhaftig wird, wie eine luftige Pergola, und zwar im heiteren Stil der Renalssancepaläste^ wie Brundlesdii ihn erdadit, mit sdilanken Säulen auf stdlen Ringbasen und runden Bögen über den Volutenkapitetlen, mit einer flachen Decke von bunter Holztäfelung, an die wir von imten hinaufblirken. 'Eine später vorgrlo^'te breite Goldleiste hat leider th-n obersten Streifen der Frontansicht verdeckt bis unter die Kapitelle der vordem Säulenrrihe, so dass sie gcdrOdkter enchdiit, als ur^HrOnglich bei voller Bogenhöhe und darOberllegendem Sims der Fall war.)

Die ganze Scheinarchitektur, der Pfeilerarkaden über den wirk- lieben Wandpfeilcm des Eingangs und der Säulenarkaden ühor diesem Unterbau, dient also mit seiner starken Vertikal- und ilori- ZOntalgliederung einmal dazu, gegen den spätgotischen Spitzbogen aufzukommen und andre Verhältnisse im Sinne klassischer Vor- bilder einzufbren, sodann aber befriedigt sie den Wunadi des Malers, besonders in der hodigelegenen Pergola sdne perspdctiviscbe Dar- stellung in Untensicht sogleich für den ankommenden Besucher zu zeigen. In ihrem ursprünglichen Anblick musste die Säulenhalle (.Imbcn auf den schlanken, enggestellten r^< igmreihen i^fradezu l)e- freiend, über die Deckenhöhe der Basilika selbst hinausiäuschend wirken. Das ist ehie Aeusserung der Freude aber die nenemingene

Scbnarsow, MancdO'Stadien V. 4

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Rom, S. Clemente

Bravoiir der perspclctivisrhm Konstruktion, deren unmittolbarc \'or- stufen in den oberen Bildern lier Ambrosiuslegende soeben erreicht waren. Wir finden sie zu gleicher Zeit, aber so ganücht vereinbar mit dem schmalkappigen Rippengewdlbe der CoUegiata zu Castig> lione bei Masolino in seiner Verkündigung und sdnem Sposalizio, deren Vergleich mit dieser klaren und wirksamen Leistung in S. Clemente grade die Ueborlegenhcit des künstlerischen Urteils bei Masaccio ad oculos demonstriert. Wir finden sie später auch bei Paolo Uccello wieder, der über einem Altarwerk von Masaccio in S. Maria Maggiore zu Florenz auch dne Verkündigung in Fresko auf Wand und Wölbung der Kapelle malte» so dass die Architektur des Schau- platzes die wirkliche Decke zu durchbrechen schien, wie Vasari erzält, oder weit überragte, um den Eindruck luftiger Weite zu er- täuschen. Hier liegen also in Rom die Anregungen, die Piero della Francesca und Meloizo da Forli weiter verfolgt haben bis zur dirdcten Untensicht eines ganzen Kuppelgewölbes.

Grade innerhalb dieser perq)ektivtBdien V^kflrzung des Raumes, die unsem Augen den Fussboden der Säulenhalle bis auf seinen vordem Rand vollständig entzieht, um uns die Decke zu zeigen, verdient die Behandlung der beiden Figuren alle Beachtung. Sie sind nicht mögliclist hineingestellt, als Körper innerhalb dieser Pergola, die den selben örtlidien Bedingungen unterstehen. Dann würden wir die beiden Personen auch nur in ihrem oberen sehen, zumal wenn sie knioen sollten wie hier. Zu Gunsten ihrer volleren Wirkunt^^ hat Masaccio sie ganz hervorgeholt und auf dem vordersten .Streifen knieen lassen, kaum durch die Basis der ersten Säulenreihe vom Simsrande zurückgeschoben. So kommen sie vollauf zur Geltung, und kamen es ursprünglich nodi fireier, als die Gold- leiste über ihrem Scheitel nodi nicht ein Stück ihrer Heiligenscheine wegschnitt wie jetzt. Dem entspricht auch die plastisch Wirksame Behandlung der Kör])er, die in voller Rundung ihr Volumen ein- nemen und «Tfüllen, besonders unterstützt von der .seitlichen I'eleurh- tung durcii das Penster der Basilika selbst, dessen Lichtzufur von rechts oben her im Bilde wiedergegeben und durdiverfolgt ist, so dass die Rüdeseite des Engels und die untere HAlfte des vorge- streckten Armes in Schatten liegen. Die Bildung der Gestalten selbst und ihrer Köpfe zumal schliesst sich den soeben betrachteten Per- sonen der AmbrosiuslegeiKlt' an, aber auch der Predigt Petri, am nächsten natürlich den verwandten Darstellungen der Madonna in München und S. Anna Selbdritt mit ihren Engeln herum, deren Zu- sammengdiorigheit mit dem kflnen perspektivischen Bravourstück am Eingang der Kapelle in S. Demente uns gans besonders be-

S. Christoph Dioskuk

nrhtpnswort orsrhicn 'i. I'nvrrkpnnhar ist j< 'doch dio fortschroitrnde Uinbililung (li« s«T I vjx ti im Sinne der antiken Plastik, doren dotter- ideale um so glücklicijern Einfluss aut den Maler gewonnen haben, je mehr er das Verständnis für die plastischen Wonfige dieser Kopf- nnd Gesiditsbildonif erlangt und demgemAss die wirksamen Haupt- formen, dio Stirn und dir- Aii^rtihi -icn, die grade Nase, die ge- sdiwellten Lippen und das kräftige Kinn betonen lernt.

S. Christophorus und der Dioskur

Was wir am Verkflndigungsongcl in S. Clemente besonders an dem mäditigcn Profilkopf und der breiteren Modellierung der Arme,

in die Finger und ihre Stellung hinein, oder der Bflste und der Hüfton beobachten können, das zeigt sich auch an der ganzen Figur des Riesen ("hristophorus am Pffilor Unten links, ohj,deich die Be- sonderheit der Aufgabe, den wachsenden Druck der kleinen Last auf seiner rechten Scliulter darzustellen, auf der d.is Christkindlein mit der i^elend leidit gehaltenen Wdtkugd ätzt, keine vollauf erfireuliche Verwertung der erworbenen Fahigk^ten geddhmi lies»*). Unwillkürlich greift der Mal« r, da er den langen Kriegsknecht geben soll, /u den gestreckten l'roportionen zurück, die ihm früher als gotisches Ivrhteil gelaufig waren, wie der Srharfrirhler der Königin in der Kapelle hier und der ^\dam im Sundenfalle zu Fltmnz, aber auch die I^gobarden vor Ambrosius sie zeigen. Auf dies GerOst oder die dort erreichte Grundlage ist hier jedoch flberall mehr MuskelfiUle angetragen und an den Gelenken die Wiedergabe der festen Formen bestimmter geworden. Die fariy:e rebermalung <ler Restaurat« »n^n hat, wie sich am Original noch erkennen lasst, nur alku summarisch geglättet und beim Herstellen der (iewandung deutlidi hervortretende Teile versdileift Die Haftdrehung freOich und die anschliessenden Partieen um den GOrtel, wie das V<Hl}eugen der Sdiulter waren wol ursprQnglich sdion die schwächsten, wärend der Gesamteindruck und Aufbau der Gestalt bis hinauf zu dem emporbhckenden Kopf durchaus wirksam genannt werden darf Das Wichtigste für uns heute ist die Ausgleichung der Antikenstudien des Meisters mit der überlieferten Proportion dieser vergrösserten NOTmalfigur. Dem Wunder zuliebe ist das KnAblein auf seiner Schulter kleuier und zarter gehalten, als Masaccio den gesunden Jungen auf dem Schols Mariens sonst adion gebildet hatte; aber er

>) Vgl. lU. S. 49 VL IV, aa ff. AbbUdui« IV, TaT. i a. aa, b. •) AbUMung IV, Taf. jb.

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Rom, S. Clemente

gleicht doch dem Sönchrn der Ktrrhsj-;ing-<'rin h< i der Heilung- des Lahmen in Florenz und dem vorncm gekleideten Patrizierkind, das vom Geiste getrieben die liischofswal in Mailand bestimmt, drinnen an der Femterwand der Kapelle.

Hier ist denn aucii dringende Veranlassung genug, das er- haltene Beweisftack Dir die römischen Antikenstudien MasacctOS heran zu ziehen, das wir in einer weissgehohten Zeichnung auf blauem Gründe mi British Museum besitzen'); ein eigentümliches Zeugnis für die Unbefangenheit auf der einen und die Unzulänglich- kdt auf der andom Stite eben dieser Stmfien vor einem antiken Bildwerk. Das Blatt ist offenbar bdro Anblick eines der beiden Dioskuren auf Afontecavallo gezeichnet, wenn auch daheim nodi im gewonten Verfaren der Durchschattierung überarbeitet worden. Es beurkundet nur eine sehr bedingte Empfänglichkeit für die Eormensprache der beiden selbständig neben einander gestellten Marmorkörper des auftpringenden Resses und des nackten jungen Hdden, der es am ZOgel halt. Aber auch dieser Grad von Hin- gebung hat schon seine Frflchte getragen, und es ist lerreich mit diesem gezeichneten Blatt jener römischen Tage in der fland die nackten Gestalten des Malers zu vergleichen, vom Adam im Sündcn- fall und Christus im Grabe zu Empoli bis zu den Gekreuzigten in San Clemente und weiter zu den Täuflingen im Carmine, zwischen denen sogar die eingepökelten Scholaren, die S. Nikolaus aus ihren Fässern frisch und ganz hervorstdgen Iflsst (im Vatikan) dne Stdle verdienen.

Die Kreuzigung

In dem grossen HauptUlde der Kapelle Brandas da Castig- licme werden nicht alldn fbr Christus am Kreuz zwischen den b^den Sdiächem die Errungenschaften der Aktstudien und Antiken» Zeichnung verwertet, mit denen gewiss zalreiche Blätter des eifrigen Malers einst erfüllt waren *), sondern auch für die untere Darstellung mit Rossen und Reitern. Neben den Kolossen von Montccavallo meldet sich als Vorbild unvericennbar der Marc-Aurel| der damals als Denkmal eines Bauern, der Rom errettet, in der nächsten Nach- barschaft von S. Clemente, beim Lateran zu sehen war. Er ist in verschiedenen Ansichten wiedergegeben oder doch als Unterlage

') Abbildung in Lieferung I, Nr. 28; vgl. Te»t II, 30 ff.

*) In der Sammlung der Uffiiien darf wenigstens eine Ornamentzcicbnung, auf röt- lich grundiertem Papier in SUberschrift, nach einem Mamor-Kelief, Kankenwerk mit dncm aadilMi Genin dinrbdcn, ISr Mmecio in Wng» kornnmi.

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Kheuziüung

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der Studien filr die Aufstellung der zalreichen Reiter, die diese Kreu-

/iis'ung auszeichnen, nachweisbar j^eblieben. In Nachamun^ befaiii^'^<'n freilich wird man dif"^*"" Maler nicht mehr vorstellen dürfen, sobald man sich einmal klar gemacht, wie er mit diesem Skizzenniaterial verfärt und bei der andersartigen Gesamtdisposition dieses Bildes verferen musste.

Am grc»fbar>ten bewart sich der Zusammenhang mit dem an- tiken Vorbild, ausser den Einzelheiten, vielleidit an einer Stelle, wo die gegebene Wandfläche durch das eingelassene Marmortaber- nakelchen links \ om Altar cmptindlicli unterbrochen ward, d. h. wo dieser feste itktonische Itesiandteil, der hell ins Auge fällt, einen besondem Ausgleich mit den Figuren des Vordergrundes um ihn her, zumal bis an den Eckpilaster der Einramung hin, verlangte. Hier ist d\r Anordnung der drei Juden, die unter einander rat- schlagend /um Kreuz empor schauen oder gestikulieren, mit dem Verräter links, durchaus der Reliet komposition entsprechend, die wir spater, und zwar beträchtlich später auch von Donatello befolgt sehen, wo es ridi um fiiesartige Darstellungen in den Verhältnissen der Vorderseite eines Sarkophags, eines Altartisdies oder Altarauftatzes handelte. Jenseits des Tabernakels schliesst die Gruppe der Frauen, die durch Uebermalung entstellt ist, in gleicher Festigkeit des Auf- baues an, so dass die Gestaltenroihe mit dem Lieblingsjünger Jo- hannes, als Gegenstück zu Judas Ischarioth endet. Diese Gewand- figur entbert noch etwas der selbständigen Kraft und Breite, die ihre Stellung fordert, entspricht jedodi der Auffiosung dieses Apo- stels, die wir bei Masaccio Insher beibehalten finden. Sie b^mndet nur neben der plastischen Entfaltung des Körpers der zurücksinken- den Maria, deren ausgestrecktes Bein zunächst die schräge Gesanit- haltung aufrecht erhält, in der die Frauen sie unterstützen. Das Hinüber- und llerübergreifen der hellenden Arme, das Hängen und Auflagern der hilflosen Glieds der Onmftditigen, diese Itetonung der pbyrischen Seite des dargestellten Momentes» der ^len dadurch zum wirksamsten Träger des psychischen Ausdruda wird, sind Eigenschaften, die den jungen Maler auf einer neuen Ban zeigen und aus dem wachsenden Verständnis für die Grösse antiker Bild- nerei hervorgehen.

Um so schmerzlicher vermissen wir die rechte Seite des Vor* dergrundes, wo die zugemauerte TOr noch hMier hineinrdcht; und wo die beiden ansdiUeasenden Genrefiguren, vor denen ein Stack der ersten KtSb» leer bleibt, durchaus verdächtig in ihrem heutigen Zu- stande, wenn nicht ganz, doch i^Tnsstenteils der Hand eines manie- rierten Restaurators aus dem siebzenten Jarhundert angehören.

54 Rom, S. Clkmeme

Der erhaltene, von Kniehohe ab sichtbare Befclshaber, der mit er» hobenem Kommandostab auf seinem Rosse in voller Profilhaltung^ von rechts heranp^ckommen ist, an der Spitze eines Gofolj^c.s, von dorn wenit^stens noch zwei Plerdeköpfe deutlich in das Bild hcrcin- scliaucn, beweist als Eckgruppe schon in der Höhe eines zweiten Streifens, dass auch auf dieser Seite die festaufgebaute Geschlossen- heit des Vordei^frundes beabsichtigt war wie drüben. Die dunklere, vom Fenster in der Seitenwand nur obenher beleuchtete Stelle der Bildfläche gebot onchin massig^eron Zusammenhalt und gestattete h(')chstens einer nebonsiichlichen Episode, wie den Si>ldiiten, die um das Gewand des Gekreuzigten würfeln, die damals allerdings üb- liche Aufiiame (die auch Labruzzi in seiner Gesamtübersidit an- deutet).

Eins aber ist zweifellos und klar vorhanden: der Vordergrund

enthält die bestimmtesten Anläufe zu der grossen, reliefmässigen Kompositionsweise, die wir auf den MejslerwiTken der Hrancacci- kapcllc, in der Geschichte mit dem Zollgroschen und der Wieder- Inlngung des Fflrstensones ausgebildet finden. Es ^d Vorberei- tungen dazu, die an dieser Stelle in die fortsdireitende Tätigkeit des Meisters hineingeboren. Und diese Datierung wird durch ein äusserliches Merkmal noch bestätigt: der Kopf des sogenannten Judas Ischarioth, d. h. der erste Kopf der vordersten Reihe links an der Ecke, ist genau der selbe, der in der Predigt des l'etrus, unmittelbar vor den KarmeUtennOnchm, nur in umgekerter Ridi- tung zum Redner emporschaut. Dort auf dem letzten Fresko der früheren (irupix; in der Brancaccikapelle ist er offenbar eiti P- rträt, schon jenseits der vorderen Reihe von Ausdruckstrai^-^ern intensivster Kraft als Uebcrleitung zu den gleichgiltigeren Hurerii aus dem Kloster des Carmine hineingesetzt, hier auf der Kreuzigung zu Rom in umgedrditer Riditung wieder verwertet, wie mit HoUe dner Bause des Studienblattes.

Einer so grossen Wandfläche, wie die Altarseite der Kapelle in S. demente sie darbot, war jedoch mit solchen Mitteln der Re- liefanschauung, die sich auf den Gestaltenstreifen des \'ordergTun- des beschränken nuiss, nie völlig beizukommen. Nicht minder in- des« versagte die perspekttviaclM Konstruktion im Anschluss an die gegebenen Voliflltnjsse des Raumes, die der Maler bisher auf den Seitenbildern angewendet hatte. Das Bogenfeld mit den drei Kreuzen ist auch hier so behandelt: das Kreuz Christi wird ganz von vorn gesehen und ist höher, die niedrigeren beiden der SchScher links und rechts sind in schräger Richtung dazu gestellt und als Lcitbanen der Tiefenbewegung für das Auge verwertet. So entsteht das Ge-

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Kkeu/.iüung

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fühl des glddiartigen räutnlichen Zusammenhanges mit dem Bilder- kreis rinj»^sum; ;»b<»r es ward aurh zuniichst der rnterschied zwischen der zweigeschossii^nMi 1 riluiig der Seitenwando und der einheitlichen Altarwand bemerkbar, zwischen deren einigermaisen gleichwertigen Bestandteileni dem Bogenfeld mit den drei Kreuzen oben and dem reli^urtigen Figfurenstrcifen unten im Vordergrund« nun eben die Vermittlung gefunden werden mussie.

So verfällt der Maler auf die Erhebung des Terrains bis zur Hohe des Ilflg^ols. auf drm die Kn uze stehen, so dass diese Hori- zontale zugleich die Pfeilerhohe der gemalten IJmramung erreicht, die von der wag^echten Gränze der seitlichen Bilderreihen beträcht- lich, fast noch einmal so hoch, überstiegen wird. Deshalb muss ein zweites Mittel hinzukommen, auch diese EHfFerenz nodi auszugleichen : es find die Reit*T hoch zu Ross, mit erhobenen Annen, aufwärts gestikulierend, anbetend, hinwoisrnd, nmporrufend gar, und mit. langen Lanzen, l anen, liaiinorn, die in die Lüfte raj^en. Sie werden von allen Seiten, wie es sonst nicht üblich, gegen die Kreuze heran- geftort, und bezeichnen so, selbst in verschiedener Hohe zu ein* ander, die ringsum ansteigende Erhebung der Stätte Golgaüia. Die Vermittlung für das Auge gescliieht nicht allein linear in der Fläche, wie etwa von der Konsolhöhe links und rechts zu den l'üssen der niedriger gekreuziijtcn Schacher hin; sondern auch radial im Raum- volumen auf das Kreuz des Erlösers in der Mitte zu. So gewinnt diese centrale Komposition erst auf der jenseits abfallenden Senkung des Hflgels durch dne halb siditbare Gestaltenreihe ihren Abschluss, und zwar in einem gleichen räumlichen Abstand» wie vorn der erste Reliefstreifen, natürlich bei diesem Maler in der w<dberedineten Verkleinern ntj des M tlsltabes. B«'i ihrer Erw.'inung- muss aber darauf aufmerksam ^^fcmaeht werden, dass ^^rade diisc Köpfe in mancherlei Stellung und Verkürzung aufs Eifrigste von Michel- angelo studiert und nachgebildet and, so dass die Oberdnstimmende Erzftlung des Vasari und des Beffa Negrini von der Vorerung des grossen Meisters fOaC die römischen Werke Masaccios durch seine eigenen Zeichnungen bekräftigt wird, (Vgl. z. H. Lieferung IV, Taf. iol> den Kopf des Reiters nt'lu'n den klagenden Frauen.)

Mit den aufgewiesenen Intentionen einer grossartigen, echt monumental schaffenden Raumkunst, steht endlich in engem, ebenso unauflöslichem Zusammenhang der Auablick in die landschaftlidie Feme, der den mittleren Streifen der nildfläche zwisdien der heran- strömenden Schar auf dem Hügel unten und den drei Gekreuzigten droben einnimmt. Die gewollte Kildansehanung ist also die, dass nur die oberste Kuppe des Richthügcls ganz nah sichtbar wird, als

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Rom, S. Clemem e

stiege sie unmittelbar hinter der Wandvertftfelung und dem ab- schliessenden Simsstreifen auf, dor so etwa als F'ensterbank einer brt'iten, spitzbojrijr umramten Oeffnung fungiert. Von den vordersten Gestalten hüben und den hintersten drüben reicht die plastisch körper- hafte Region und umfasst in ihrer Mitte unter das gleiche Gesetz der Ausgestaltung zu voUrundem Schein audi die Gruppe der Ge> kreuzigten droben. Jenseits dieser Gränze der Komposition, die zugleich räumlich konsequent, d. h. dreidimensional im Sinne der realistischen Mi «numetitalkmisi uuigel»aut ist, jenseits der Zone des vollon Tj i'rgt lüles, liegt das l-rniliild. Es ist ein l'eberblick über die weite Ebene jenseits in die Tiefe, mit dem Spiegel eines Sees oder einer Meo^bucht zur Linken, und einer Hügelkette rechts, die sich am andern Ufer des Wassers enüang zieht und elien- falls nach links in die Ferne verliert. Die Fürung der Linien, die Verteilung der körperlichen Massen und der räumlich' ii I.cr re, die Abwägimg des Näheren und Ferneren verrät uns nix h im heutigen Zustand eine fülbare Rechnung, die sich dem Zug der Gcsamt- komposition ansdaliesst, aber eben dadurch Ober alle herausgehobenen Einzdiaktoren des Aufbaues hinausgeht und, von deren Cresetz be- freiend, die Gesamtrinhcit des Bildes voUzi^t. Den Massen des Vordergrundes folgend steigt unser Auge von links her in schräs^'-er Richtung bis zur Gestalt des Hefelshabers auf. der ganz rechts, durch seine befelendc Gebärde eben, die Wendung nach links zurück, aber nach aufwärts, über den nAdisten Reiter zu Christus empor ver- mittdt Wie hinter ihm noch Gefidge zu Ross von redits herein- schaut, so ragen dort audi die TOrme der nächsten Stadt auf zurfldc- liegender Bergkuppe herein und schliesst die Kette dieses Höhen- zuges zunächst auf, wenn nicht mehr als Körper vollauf stereo- metrisch erkennbar, doch als Masse noch dunkel fulbar genug. Die Flucht dieser Hügelreihe geht, im Anschluss an die vorhin durch die Figuren bezeichnete Richtung zu Christus empor, in gleicher Richtung diagonal durch die Bildbrette nadi rechts hinauf, wirkt aber zugleich, fenv r und femer zurückweichend, dem noch immer tastend nacheifernden Auge in nicht mehr greifliare Form ent- schwindend, im Sinne der Raumweite. Und die schimmernde Oberfläche des Wassers zu ihren Füssen wirkt erstrecht für die Fernem die unabsehbare^ wo die Gesetze der Körperwelt tkh unserer Kontrole entziehen und zu weichen scheinen, um andern Mächten den Spielraum frei zu lassen, nämlich dem Licht und den Farben im Bereich des kör|)erl<)seii Helldunkels, das nur noch für das Auge allein, one l'.eirat des (ietastes, da ist und jene Faktoren unmittelbar auf die Seele wirken lusst als Stimmungswerte, iiier liegt die offene.

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Kreuzigung

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ins Unbestimmte auagehende Seite des Winkels, dessen SjMtze wir im römischen Bcfclshabcr, dem Vollstn ( kor der Peripetie gcwarten. Und so wird klar, dass ili. sr einhcitfrhaffciul»' (iesamtn^chnun}»', die l ieht und I.uft als wescntlirhe Mittel der RaumsrhApfung- einbezieht, wieder im en^^sten An.s( hlu.ss an tlic r.iumlirhen Gegebenheiten der Bildflache, an Ort und Stelle, gedacht und durchgofürt worden ist: sie benutzt den wirklichen Einfall des Lichtes durch das Kapellen- fenster von rechts her und antwortet mit dem Reflex auf der Wasser- fläche links im Hintergrunde als letzter Sammlung des Wertes, dem die Kunst des Malers auf diesem Wepe \<>m Vordergrund in die Tiefe für die Modellierung aller da/ vvisrlicn I)t findlichen Ki'ri)er so viel verdankt. Die Wal dieser Richtung, als der weiterleitenden, befreienden oder doch xum befriedigenden Auaklang der Katastrophe ftkrenden, geschieht durchaus natürlich im Sinne der Liditfarung und Raumwirkung im ganzen Seitenschiff der Basilika von S. de- mente, grade so für die Tiefendimension, wie bei der Verkündigung an der Stirnseite der Kapelle für die Ht)hens( hützung. Es ist das letzte, grösste Meisterwerk der Kaumkunst gewt sen, das Masaccio in Rom geleistet hat Und wenn wir nach den nächsten Arbeiten in Florenz suchen, so dürfen wir vor allen Dingen nidit vergessen, dass die gegebenen Wände der Brancaccikapelle ihm keine solche für malerische Weite verwertbare Bildfl.lf lie darboten, dass dort die Altarwand in der Tiefe grade dureh das l enster zerschnitten, fiir einheitliche Wirkung verloren war, und dass die Seiten, n.di sii h aufdrängend, ihn vielmer in die Enge trieben ; zur Reliefautfassung einer vorderen Gestaltenreihe zwangen und auf das Nahe, körperlicb Greifbare zu bcschrftnken drohten.

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IV,

DIE ZWEITE GRUPPE DEF{ WANDGEMÄLDE IM GARMINE UND IHRE VERWANDTEN

Das ist in der lat die Sachlage, die uns erkennbar genug aus der Reihe der allgemein anerlcannten und gleichermafsen ge- rümten Meisterwerke Masaccios in Florenz entgegentritt. Der ver- gleichende Blick, den wir allmählidi ausgebildet haben, unterscheidet immer deutlicher die beiden Hauptprobleme, die sich gegenseitig auszuschliessen scluMnen, je mehr der Maler ihren Wert zu begreifen und ihre besondern Vorzüge auszubeuten lernt, warend die Monu- mentalkunst, in deren Dienst ^ fast allein noch arbeitet, auf einen Ausgleich hindrängt, oder vielmehr eine klare Aliseinandersetzung der Ansprü< 1j. und Berechtigung beider fordern muss. Ich meine die centrale K o m i)o si t iou , die auf volle Verwertung des Tiefen- scheines bedacht ist. und die R e 1 i c f k o m p n s i t i o n , die sich zu Gunsten ihrer liguren mit einem verhältnismassig nahen Vorder- grund begnügt Man könnte «e unter Betonung ihrer letzten Tendenz als «das perspektivische Problem« und »das plastische Problem« unterscheiden, würde damit aber die zalrcichen T'^il>er- gAngc und Vcrmittelungcti übersehen, die tatsäclilirh /wischen Ix iden vorhanden sind und in dein dritten Problem, der monumentalen Raumkunst des Malers grade zu emer neuen Einheit zusammen- treten.

Das perspektivisclie Problem f&rt unstratig, durdi die Er- oberung der Raumweite des Fcmbildes, zur Entdeckung des ^e-

cifisch »Malerischen«, d h. zur höchsten Ausbildung der besondem Aufgabe, die nur die Malerei als Kunst sich stellen kann. Das ge- schieht Ijesonders durch die Tafelmalerei und auf ürund der (^el- technik, gehört also erst der ferneren Zukunft an. In der Gegen- wart aber, wo wir mit Masaoao stehen, haben wir es vielmehr mit der Forderung Brunelleschis der konsequenten Konstruktion des Raumes för die KOrper darin zu tun, also zunächst mit einem Ge- setz, durch dessen liewältigung erst ein malerischer Genius, wie Äfasaccio allein unter allen /eilgenossen, zu ( )freTibarui)t;fen einer höheren Freiheit durchdringt, die ihm selbst vielleicht unerwartet im

KCNMI.l-.KlSCllK rKoUl.LME

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Verfolg der ernsten Arbeit aufgegangen. Im Umkreis dieser Hauptaufgabe jodcxh, der monumentalen Wandmalerei, bereitete dies perspektiv isrhf ( Irsrt/ unläu^bar eine Srhwieripkcit, die Herab- drückung des Wt rti s der l-iguren im X'erhaltnis zum Schauplatz ihrer Handlung, die Unterordnung unter den umgebenden Raum, die dem vorwaltenden Interesse an den menschlichen Figuren durch- aus wMerspracfa. An die Stelle dieses poetischen Uebergewichts« das im Trcc ento seine volle Geltung behauptet hjitte, tritt nun aber immer mehr li.ts j)l.e-ti>rhe Vollifowicht »l'-r K''irper, dessen Dar- stellung durch die Mittel der M ih^ei ein neut s künstlerisches Pro- blem bedeutet. Und hier fanden wir Masaccio eher aut der selben Ban, die der JKldhauer Donatcllo eingeschlagen, und sahen ihn schon hier und da ganz deutlich die Ricliefanschauung wiedergeben, die dem Hildner selbst erst später gelungen scheint.

Nun in Morenz. im täglichen \'erkt r mit den beiden ausge- zeichneten l-'rcundcn. I'.riinelles( hi dort und DunatellD hier, kommt es zum Austrag zwischen den I'rincipien des Architekten und des Pla^kers, die auf dem dritten Gebiet, des Malers, aufeinander stolsen. Masaccios Hauptwerke der letzten Zeit sondern sidi in zwei Klassen, jonachdem das eine oder das andre Problem die Oberhand behält, o<ler den bev, Widern Bedingungen der Oertlichkeit gemäss behalten muss. Da tritt der weiten Kreti/igung in S. de- mente sofort die Drcitältigkeit in .S. M. N'ovrll.i j^i i,M luiber, in denen beiden doch die Eroberung der liefe das Gemeinsame bildet, und die beiden unteren Bilder der Altarwand in C appella Brancacci mit Almoeenapende und Sdiattenhcilung schliessen <dch an. Demgegen- über stehen die Geschichte vom Zinsgroschon und die Auferweckung des Königsfones mit ihrer reliefmässigen Anonlnung, in denen d;is Interesse an der pl. istischen Selbständigkeit der Gestalt so entschie- den das ( ran/e bestimmt.

Doppelt empfindlich wird gerade durch diesen Gegensatz die Lücke, in die das Giiaroscuro der «Sagra del Carroine« im Kloster- hof, die geniale Improvisation, hineingehörte, die in der ersten An- lage des IMatzes das perspektivische Problem verfolgte, in der Aus- fürung des ( iestaltenzuges aber ebenso glücklich zur reliefmässigen Autreihung der Ki)rper übergegangen .scheint. Grade das Wie der Lösung zwischen beiden Ansprüchen zu sehen, wäre das einzige Mittel, das Uebergewicht der einen oder der andern Richtung zu entscheiden oder wieder einen genialen Wurf Ober beide Regeln binauSt we bei der Kreuzigung anzuerkennen. Die besondern Be- dingungen der gegebenen Bilddärln- .m der Mauer des Kloster- gangs sprechen mehr für die Anname, dass die friesartige lintwick-

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Flokenz, Cappella Brancacci

lung des Reliefs den Charakter wesentlich bestimmte, so dass wir es der zweiten Klasse von Werlcen zwischen Zinsgroschen und Petrus

in Cathedra einzureihen hätten.

Suchen wir dagej^en, von solrhon Fraj>-en der Gcsamtdisposi- lion einmal absehend, nach der Verwandtschaft der Forniensprache zu bestimmen, welche Arbeiten sich dem römischen Kapellenschmuck zunächst anfQgen moditen, so kommen wir jedenfalls auf den obem Wandstreifen mit der Vertreibung aus dem Piaradiese und der Ge- schichte vom Zinsgroschen , andrerseits auf die Vollendung des Altarwerkcs für Pisa und den (reburtstapsteller in Berlin. Darauf folgt die Taufe an der Fenslerwand der Brancaccikapelle, die sich den PredcUenstücken mit der Legende des hl. Nikolaus im Vatikan nodi ebenso verwandt zeigt, wie das Fresko der Dreifaltigkeit in S. M.Novella. Dies aber hängt au&Engste mit den beiden untern Bildern der selben Altarwand zusammen, die sich ihm notwendig anreihen.

Man sieht also, die vorfolt/hart'n l äden der beiden Hauptprobleme schlingen siili ihirch ciiiiUider. je nach den Aulgaben, die dem Künstler zulallen, und nach den Bedingungen, unter denen er zu schaffen hat. Es Hesse sich wol eine systematische Einteilung ver- suchen ; aber se würde dem chronologischen Gang der Entwicklung nicht entsprechen, dem wir möglichst genau nachzugehen trachten, weil er allein das Leben des Künstlers selber in seinem vielseitigen Wachs- tum zu vennitteln im Stande ist. Ueberdies s* hiebt sich ja die Ar- beit an einem Werke mit der an einem andern auf engsten Zeit- raum zusammen; der Entwurf Air das dne Uegt sdion weit voraus» Wärend die Ausfbrung wieder durch andre Erfarungen dazwisdien abgewandelt wird in neuem Sinn ; daneben zieht sich die Vollen- dung eines vielteilij^ren Altarwerkes für auswärtige Hesteller, immer nur als Nebenarbeit behandelt, vielleicht durch Jare hin und zeigt so zwischen Anfang und Ende den merklichsten Unterschied, den der rdii»nde Fortsdnitt in allen Teilen des Wollens und KOnnras beim Meister selbst allein erklärlich macht *).

Die Oeschichte vom Zollgroschen

Wärend das Altarwerk von Pisa in den kleinen Predellenstücken mit dem Martyrium des Petrus und Johannes des Täufers nodi die nlm- lidie Kompo^tionswdse zeigt, deren FcMtschritt wir von der Hdlung

') Man vergleiche den Joseph in der Anbetung der Könige zu Bcrlm mit dem Hienrnymu nnter den vier HeUtgenfiguren bei Cb. Batler in Loadon. die beide vom

Altar an* Pi^a »tammcn, un>1 <!ann hci<Ir Kni^f'- mit <!om Petruv bei dCT SclutteilbeillUIg In der Bnnauxilupclle, dazu auch unsere Abbildung aus Altcnburg.

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Gescmichtr vom Zollgrostiien

6i

des Lahmen und dor Erwcckunp Tabitlias bis zu den letzten Le- genden in S. demente Vkm ib.irhtet hal)en, überrascht uns beim aber- maligen Eintritt in die ßrancaccikapelle der jenem Doppclbild neben den SOndenfidl gegenOberliegende Wandstreifien mit dar Geschichte vom 2n8gro8cheii neben der Vertreibung aus dem Paradiese durch dn ganz entgegengesetztes Verfaren, das unbekümmert um das frflher entstandene Gcj^cnstück die Bildeinh<it \ r allen Dingen zusichern sucht und selbst das urs|>rün^diche Pro^Taiiun des Kapellenschnuickes, das auch hier zwei getrennte Scenen Hinsetzung des Schlüssel- amtes und Findung des Stater vorgesehen hatte, preiszu- geben wagt Und mit welchem Mittel ist die Bildeinheit hergestellt? Nidtt gewaltsam und nacbtrftglich wie drOben, wo die (ierspektivi- sclv^ Konstruktion des Stadtplattes mit einmündenden Strassen die beiden Momente, zu Jerusalem und /u Joppe, auf eine Büne zu- sammenzvvin^'t, nicht mit Hülfe der 1 ii fiMKnitf iltung in der Mitte, die nachher durch ein vorgeschobenes Koulissenstuck und eingestellte Statisten verdeckt ward, sondern durch das Gegenteil, die fries- artige Reliefkomposition, durch die vollwertige Ausgestaltung des Nahen vom und die Verschiebuug der Tiefenflucht auf die dne Sehe.

Das ist die eii;entliche (irundlage der (irofstat, die all den Fort- schritt im Einzelnen erst ermöglicht, dessentwegen man so lange dies Meisterstück für unvereinbar mit allem Früheren erklart und das Doppdtnld gegenüber als Werk Masolinos angesehen hatte. Wir glauben erwiesen zu haben, dafs das Neue hier in der Geschichte vom Zollgroschen nur aus der Entstehungsgeschichte des Doppel- bildcs drüben erklärt werden kann und eben jene K< »mpmmilsleistung als Voraussetzung im eigenen Gang des selben Meisters fordert, eine Vorstufe, die bereits den Schlüssel zur nun errungenen Freiheit In sich trägt, den MasoUno nie gefunden, auch nicht als ihm vor Augen stand, «He Masaccio es gemacht hatte.

Ausserdem giebt es noch ein Bindeglied, das für Masaccio sicher beglaubigt ist, eben das Mittelstück jener Predella vom Altar im Carmine zu Pisa, d<T 14J6 bezalt ward. das fricsartige Preitbild mit der Anbetung der Konige. Die Gruppe der Pferde rechts hat gewift noch ndur Verwandtschaft mit Ambronus und seinen Reise- geftrten, die dem Untergang des Hochmütigen entflidien, an der Fensterwand in S. demente, als mit den selbständig gewordenen, vereinzelt zwischen die Fufsgänger eingestellten und in mannich- faltiger Freiheit bewerten Reitern auf der Kreuzi^^uni,r Nun aber beachte man die Könige selbst mit ihrem Gefolge bis zu den Por- trätfiguren der Stifter tmd die Bewegung des ganzes Zuges gegen

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Cappella Brancacct

die IJütU" links. \vf> Nfaria mit dem Kinde als Ziel der Ankömm- j linjje ihn<Mi gr^eiiiiljcr sit/t. Und dann versuche man, sich diesen

. Bildstreifen umzukeren, so liass die Richtung dos Frieses von Hnks

' * nach rechts verläuft, um das Ganze so mit dem ebenso verlaufenden

Wandstreifen der Brancacdkapelle zu vergleichen. Bann haben wir die Hütte rechts in der Nähe vorn, als Ausgangspunkt der Entfal- tung, wie auf dem Fresko das Tor von Kapernaum, das Reiseziel des Meisters mit seini n Jüngern. Die festaufgebaute Architektur

I giebt auch hier das leibhaftig Nahe, von dem unser Auge zurück- ' * schweift, auch wenn wir mit den Gestalten den selben Weg, vom

Eingang der Kapelle bis an den Altar, zurOckgelegt haben und bei

' dorn entscheidenden Moment, wo Petrus triumphierend d n Zoll ent-

richtet, angekommen sind. Der IMick folgt dann dem Zug der

l lierge, Ober die Häupter der Jüngerschar hinweg, nach links; er

trifft, wo sich das Tal erweitert, am Ufer des Sees die erklärende

« Kebmscene, wo Petrus die Mflnze aus dem Maul des Fisches zieht, und

findet dort Luft und Ucht zum Ausflug in ferne Bergeshöh. DieFflrung , des Linienzuges, wie die Heleuchtung zeigt also die nämliche Oekono-

niie wie das letzte grofsc Fresko in S. demente, die Kreuzigung, nur in die ^*c^hältnisse des niedrigeren Rreitbildcs übertragen. Da-

'j von ist in der i\nbetung der Könige von Pisa noch nicht die Rede,

so sehr auch hier schon die Wirkung der tiefetehenden Sonne, die , hinter der dunkeln Hatte hervor den ankommenden Vererem ent- gegenleuchtet und zugleich ihren lichten Schein Aber die Hfigel-

i| kette breitet, zur malerischen Stimmung <les Auftrittes wesent-

I lieh beitragt. Der weitere Vergleich des Predellenstückes in

Berlin mit dem Fresko in Florenz fürt dann tiefer in die Ent-

stehungsgeschichte des letzteren ein. Man denke sich einmal das kausal Zusammengehörige auch Ortlidi zusammengesdioben ; d. h. hinter Petrus, der den Stater entrichtet, zunftchst die zugehörige Voraussetzung, die Findung der Münze am See, weiter zurückliegend im Hintergrund, aber gleich jenseits der Torhalle. Dann schiebt sich von selbst die Jüngerschar mit dem Meister in der Mitte und den abschliessenden Figuren des Andreas und Thomas als GrAnz- pfeiler auf die linke Hälfte des Wandfelde& Verwandeln wir dann noch den lebendig nach innen wie nach aussen bewegten Torwächter I in eine eben.so vom Rücken gesehene Gewandfigur, so schliefst sich

I der Kreis der Apostel auch von vorn auf dieser Seite der Haupt-

person, und verwandeln wir die Stellung und hinausweisende Ge- bärde des Petrus, an den sich der Meister wendet, in eine gehorsame,

1 1 ' wenn audi flberrasdit seinen Eifer beteuernde Haltung, wie es ein

Niederknieen vor dem Herrn vidleicht am verständlichsten zu geben

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I

I

Geschichte vom Zollgroschen 63

pflegt, s*^ haben wir dio K i n s c t z u n p dos S chl Q sscl a m t o s, die jet/t in der K.ipillo feit, als Bild für sich vor Augen! Aber die Tdlbarkeit des Duppelbildes durch einen Mittclpilaster reifst uns auch zurück in die Vorgescfafehte des Malers, in die Zeit der Entwürfe, aus der noch die Heilung des besessenen Knaben (m BrQasel) eben- so wie die H< ilun^ des lähmen und die Erweckung der Tabitha stammen'!. Diese Ketrt'ljiektiv«' jecii-rh klart mit aller Bestimmtheit darüber auf, welchen durchgreifenden kunstlerisrhen Krwägunüf*n die Metamorphose des Doppelbildes in eine so grossarlige Einiicit ihren Ursprung dankt Nun wurde die Einsetzung des SchlOia^- amtB geopfert, vielleicht als soeben vorausgegangen angenommen, wie die Stellung der Apostelschaar zu den Hauptpersonen noch nahelegt. l'm so plölzlither spricht siih die d.izwis( lienfarende Störung durch den ZoUeinnemer aus. Aber der horchende Apostel, der sich in diesen Rüpel verwandelt, und der Petrus, der wider- willig gehorchen wird, ihm gegenüber, mussten nun zu Angeln der Komposition werden, die beide Nebenscenen, links und rechts, mit dem Hauptauftritt in der Mitte verbinden. Der poetische Kausal- nexus aber, der durch Mimik gegeben werden kann, ist dem Maler nicht mehr die IIaupt.sache, .sondern die plastische Fiufaltung seiner Gestalten in klarer Auseinandersetzung der ein/einen KOrper, dann die durchgehende Reliefanschauung des Ciesamtstreifens und endlich die ebenso durchgdiende Raumentfaltung, die sich jedoch dem plastischen Bedürfnis entsprechend in umgekerter Richtung v<^eht, so dass wir das Nalie, den festen Halt rechts, das Ferne, die lebendige Bewegung links haben, bis in un.il)S( lil).ire Möglichkeit hinaus. Was hier erreicht wird, ist ein intimeri-r .\nschluss an die fülbaren Funk- tionen der tektonischen Faktoren des Kapcllenbaues und die kflnstlerische Odconomie des bestehenden Innenraumes. Es ist die Anerkennung der Wand als einheitliche Fläche, die durch willkürliche Einmalung eines Pfeilers in der Mitte zerteilt wäre, wie drüben. Es ist aber auch die Anerkennung des gleichmässigen N'erlaufs der WandHäche, deren fester Halt vornemlich an der Altarseite, dem Eingang gegenüber betont wird: diesem Zuge der Orts- und Augen- bewegung des Betrachters tragt auch die wachsende Nähe des Gestaltenzuges und ihre vollere Verkörperung, ihre festere Beharrung auf sich selbst Rechnung. Erst wenn der Zielpunkt der Raum- bildung, die Altarschwelle erradit ist, tritt das optisdie Gesetz des

*) NatOrlidi nvb die Fnge, wie weit die erste RedaktioB cedleben war and wie

•-ieli hfi(1i> BiMcr etwa nfbfiir iruinilT auspfnommen hUtten, iin.liraiitwortct l)l''i{)<-n ; ge- nug, wenn die Möglichlieil, Residuen davon in der g&ozlicbcn UnigesUltui^ noch nach- MwciicSf Sb6f kin|^ dalracfctsc.

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Cappella BRANCAca

zum Eingari}^ zurückschauenden I'ilickos ein, dessen Erweiterung" nach aufsen die Raumentfaltung im Hilde ihrerseits entspricht. Es ist ein weiterer Schritt in der Ausbildung des realistischen Monu- mentalstUes der Wandmalerei, den Maaaccio geschaffen.

Wie sehr der ursprüngliche Gedanke an die Einaetrang des Schlüsselamtes auch die Darstellung der Personen selbst zum Vorteil hohcitvollcr Charakteristik bccinflufst habe, ist früher hervorgehoben worden. Es liegt über diesen Christus und seinen Jüngern eine Weihe, die das erstaunliche Gehcifs, ein Geldstück, das keiner von ihnen in der Tasche hat, aus dem Maul des ersten besten Fisches zu hcden, der an die Angel beifsen soll, gewifs nicht «fklären kann, sondern nur die weit höhere Bedeutung, den die Uefaertragung der Macht zu l)inden und zu lösen auf die Pr-rson des einen Apostels, der hier verherrlicht wird, im Sinne der r' Mi.isrlien Kirche bean- spruchen darf. Wenn vollends die Verklarung auf Tabor voraus- gehen sollte, so begreift sich der Abglanz der aberlegeneh Gdstes- natur, der den Meister im Kreise der Seinigen wie dem Andringen der fremden Wdt gegenüber auszeichnet. Aber auch die Charak» tere ringsum, soweit sie in besonderem Wesen hervortreten können, haben soeben, das merkt man, einen j^'^r-hobcnen Moment erlebt, wo jeder auf dem Gipfel seiner Leistungsfähigkeit vor dem Auge des prafenden Herrn gestanden, der die bange Frage bei sich erwog: wer wird euer Haupt sein, wenn ich von euch genommen werde? Die schlichte, schmucklose Grofsartigkeit dieser Männergestalten, mit den herrlichen Köpfen und dem einfachen Wurf der Gewandung hat von jeher das Urteil über Masaccios .Stil bestimmt. Die heilige Einfalt des Genius, nacti der die Nachfolger vergebens ringen, ist das Lob, das bei Vasari nachhallt Es klingt im Munde des routinierten Spätlings wie Sensucht nadi den goldenen Tagen der Jugendzeit seiner eignen Kunst.

In der Tat war hier dem Künstler, durch den entschlossenen Bruch mit dem viel zu viel Kinzelnif imentc tnrdernden Programm, Gelegenheit geboten und zwar zum ersten Mal im grolsen Mafs- stab sich mit seinen Gestalten nach BeMdben auszu1»dten. Dos Zuviel, das die Kirdie vom Kflnstler, vom Maler wie vom Bildner er- zält haben will, war ja die Erbsünde, die seit Byzanz das ganze Mittelalter nicht zur reinen Auffindung der eigenen Gesetze jeder Kunst zu gelangen erlaubte. Wie selten läfst sie eine breite Predella für kleine Figuren unzcrstückt. In Rom war selbst auf der an- sehnlichsten Wandflache der Kreuzigung doch dn Hindernis vor- handen, das eingemauerte Marmortabemakd, das den Ma&ttab der Figuren bestimmen mulste, wenn nicht die eng gedrängten Heiligen-

GüSnilCHTE VOM ZOI.LOROSCHEN

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Irj^ondm auf beiden Sritr-n schon keinen Wechsel der Proportionen inrhr i^M^stattf'ton. So sind sie denn auch mitton auf dorn lang-on Wandstreit'cn zu cinr-r W'uclit und Hroite grdi<^ln ri, dio in engt rni Ramen notgedrungen wieder zusammen zu schrumplen droht. Um SO wicbtifper wird die Geschlossenheit der Komposition, die eine centrale An<Mrdnung mit der Aufreihung des ReÜefii zu verbinden weils, und so, dank ihr« r urs]irün^dichen Selbständigkeit, die Xeben- momonte sirh klar ,d>hcb<Mi lalsl. Diosp wieder sind verschieden an Wert, für die \'i rherrüf hun.^ d<'s Hrldt n ebenso wie für die Oeko- nomie des Malers. Vollkrattig .steigert sich die plastische Festigkeit hat in statuarischem Sinne bei den beiden Einzelfiguren am Tor, wo Petrus der Herr ist und der Zöllner der Knecht, obgleich der erste n mufs, der zweite nemcn darC Keine geringere Leistung bietet der Kün.stler in der zusammengekauerten Gestalt des Fischers am See: die Kiinhrit der srhwiprigen Verkür/unj;, die Anstrt-ngung der altgewordenen Glieder; selbst die aufsteigende Rute im Kopf rümt Vasari. Dennoch wird sie zurückgeschoben und verkleinert, schon weil es nicht angieng, den heiligen Apostelfilrsten in dieser * Situation nah vor Augen zu stellen, so da/s man ihn wddlich be- trachten mufste in einer Reihe mit den hehrsten Gestalten >ind dem bedriitsiniston Aiiftrrtrn der nämlichen Person. Masarrio beweist mehr G<'s< hnia(k als X'asari. indem er seine mühevi.lle Leistung wieder auf das Mafs ihres Wertes im Ganzen herabdrückt. Aber nicht diese Erwägung war es, die zu der schräg verlaufenden Raumentfiiltung geflQrt hat, sondern erst das letzte freie Umspringen mit der Reihenfolge der Momente, der« n /oitliche Ordnung preifr> tfejreben wird, um ein höheres Gesetz, das der Hildwirkung, 7u er- tullen. Ks ist ein entscheidender Sclirilt aus der Iradition des Mittelalters heraus: es wird nicht mehr für die pocti.sche Vorstellung allein erzält, als deren höchstes Gesetz die zeitliche Abfolge der Momente und der richtige Kausalnexus bestdien bleiben, sondern es wird ein Bild geschaffien f&r die sinnliche Anschauung des Auges zunächst, und die Gesetze des Schauens werden als erste und wietlerum als letzte Instanz anerkaimt, soviel auch dazwischen an geistigem Inhalt zu vermitteln gelingt. Die Darstellung mehrerer Momente in einem Ramen ist freilich ein Rest der alten Gcwonheit ; sie zu tadeln kann uns aber bei diesem engen Zusammenhang mit dem durchwandetnden Besdiaoer kaum beikommen.

Lud die letzte einigende Wirkung übernimmt auch hier, wie Iwi der Krcuzigunm'^ in Rom. die recht.sher durchs Kajvlletifenster einfallende Beleuchtung, die wieder links auf d m W a'-serspie(^r(>l und an hohen liergwänden gesammelt zurückstralt, wie aus dem helleren Scbmarsow, Maacde-Stadieii V. 5

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Vertreibung aus dem Paradies

Hauptraum der Kirche für in Ir-brndigen Beschauer der Reflex vom Einj^ang- der Kapell.- Iii rri:i wirkt.

Eben dies Verhältnis, für dessen richtige Erfassung wir uns in den ehemaligen Zustand der Karmeltterkirdie zurQdcdenken mOasen, wie er zur Zeit Masacdos beschaffen war, eben diese besondem Be- dingungen der Lichtzufur erklären auch die Behandlung- des schmalen Eingangsbildes in dieser selben Reihe, nämlich der Ver- treibung aus dem Paradiese, über der sieh ursprünglich der Spitz- bogen des Eingangs erhob, wärend unten ein Gitter den Zutritt ver- sperren konnte.

Die Vertreibung aus dem Paradies

bezeichnet ebenso die Weiterbildung auf der drüben im Sünden- fall gewonnenen (iruiidlage, wie die Geschichte vom Zollgroschen gegenüber dorn Doppelbilde mit der Heilung des Lahmen und der Erweckung Tabithas. Aber wflrend die Versuchung durch die Schlange ganz Situationsbild geblieben ist, wird hier die Vertreibung durch den Engel ganz Bowegungsbild, so sehr, dass die Darstellung der beiden nackten Körper, obwol aus viel geläufigerer Kenntnis heraus, doch flüchtig hingeworfen erscheint im X'ergleich mit dem mühsam abgezirkelten Aufbau und dem sichtlich angespannten Studium dort Wärend drfiben jedoch eben deshalb der Ausdruck des Augenblicks nicht völlig zu seinem Redite gekommen ist, durchbebt der Affekt hier die ganzen Körper, Aind als einzige der bildenden Kunst zur V<'rfügung stehende Träyer des Seelenlebens sind sie ein Meisterwerk aller'-rsten Ranges, eben wieder durch die unumwundene Einfachheit, der nichts fremder ist als theatralische Gsftdkttlation und gemachte Pose. Als Ausdrucksfiguren Im höduten Sinne wollen äe jedoch nicht wie Aktfiguren auf Genauigkeit und AusfÜrlichkeit im Einzelnen untersucht sein, die nur ein kalter Ana- tom oder ein geduldiger Mo(]ellni;der von ihnen verlangen wird. Es sind Menschenkinder gleich uns, Lebewesen in furchtbarster Erschütterung, und so erfafst der eintretende Beschauer, der in die Kapelle will, nur die Gebärde unsagbarer Seelenangst und die un- widerstehlich dreinfarende Bewegung des Engels, die nidit einmal des Schwertes mehr bedarf, als einen Gesamteindruck, der den Rück- schlag der Tat, die sich drüben vorbereitet, nicht gewaltiger im Bilde zeigen kann. Dort sind es die glücklichen, noch sündlosen Lieblingskinder der Schöpfung, die fast anungslos mit dem eignen Feuer spielen, im angetrabten Stande der Vollkommenheit, an deren letzter Schwelle nur die Warnung der Innern Stimme dnen Augen-

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Taufe I'etri 67

blick noch hemmend wirkt ; hier sind es die Urbilder menschlicher

Leidenschaft nach der Kxplosion, der Vcrj^aii^dichkeit anheimgefallen und vom Schrerkt-n vor si* h v. lbst ontstt llt. l"!in und dorsolbo Künstler hat beide Hilder als ( icycnslürke gedacht und durclige- fürt; der gebildete lietrachler wird es stets als seine Pllicht ansehen, de vor allen Dingen so aufzunemen, wie sie geboten werden.

Dabei können wir uns immer eingestehen, dafs der Kflnsiler auf seinem Stadium zur Rechten nicht die Leistung zu schaffen ver- mocht hätte, wie auf dem Stadium zur I.iuken. Es sind in erster Linie die drei ( «ukrcu/:i4t«'ii in Knni, die vorausgehen mulsten, um diese beiden schmerzbew egten nackten Leiber so w irksam zu geben. Resonders der reuige Schächer und die Korperbildung des JErUVsers sind die unentberUchen Vorstufen, wärend die kOn und elastisch im Sattel sich hebenden, bicgend<-n. drehenden Reiterfiguren, ja der zu- saromenpekauerte Petrus bei der Lindung des Stater noch wichtiger fOr den Rarh< cngrl sind, als die ruhig kiiicende f iestalt des Gabriel it> der \"rrkundigung, dem sonst der Typus des Kopfes wie die üewandung am meisten entspricht. Die durchaus plastische Auf- fassung der Aufgabe selbst bleibt för den gegenwärtigen Stand- punkt des Malers die Hauptsache und zeigt den weiten Abstand, den sein eigner Gang zurückgelegt bat seit jenem Erretter Katha- rinas, der die Kader zersplittert.

l)«-n uiimitt" lbaren Atischlufs an die N'ertrt ibung aus dem Paradiese wie an die römischen Studien nach klassischem Vorbild gewinnen wir vollständig auf dem Fresko droben rechts an der Fenster- wand, das eben nun, nach langem Zwischenraum seinem Gegenstück, der Predigt des Petrus links, an die Seite gestellt ward.

Die Taufe der Dreitausend

£s ist wie «ne Zusammenfassung der ersten und da* letzten Gestalten des soeben entstandenen Wandstreifens links» des nackten Sonders Adam und der Togafigur des Petrus vor dem Zöllner, wenn wir den Apostel in Profil auf der einen und den frierenden

Täufling auf <l<>r andern Seite als tonangebende Vertreter des Vor- L,Mngs geu ar< ti. Zw ist hen beiden übers Kreuz wieder eine Ciewand- tigur in bulsfertiger Haltung und der knieende Täufling im Wasser, der vc^Qber gebeugt den Güls Qbers Haupt empfängt, und so deut- lich wie nur möglich die Erträgnisse des Antikenstudiums zur .Sdhau stellt, so.: ir in unmittelbarer Herkunft von den Dioskuren des Montecn\ .tUo die athletische Muskelstärki- r^nos I Toroenleibes ent- hüllt. Den besondem Bedingungen, zumal der ungunstigen ßcleuch-

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Cappella Rrancacci

tung dieser Bildfläche rorhts oben beim Fenster entsprechend, bh^bt auch sonst die I.inko den Kosliimfi^mroii. die Rrchto den selbst schon hellen nackten Lfihrrn überlassen; nur als I'olie für die Sil- houette des Frierenden und eines halb entkleideten Gefärten sind einige ManteltrSger eingestellt. Dem Massenbilde rechts gegenüber stehen links als Zeugen der persönlichen Bedeutung des Apostels, der in phvsisrhcr l.itigkeit funktionieren mufs, zwei mächtige Porträtköpft', die durch ihre Breite und Wucht die Leistungen Ucccllos in der (Tcschichte von Noah vorausncmen. Den Eindruck der andrangenden Masse einer noch unabsehbaren Schar von Gläu- bigen tinterstOtzen die aufsteigenden Bergkegel, deren einzelne Kuppen pyramidal in «ditbarem Abstand von einander gen Himmd ragen und durch Reflexe des Lichtes dem Auge den Ausweg in die freie Luftregion eröffnen.

Fassen wir diesen landschaftlichen 1 liiiterj^runil, tler hier oben nichts als Folie zu sein brauchte, mit den gedrängten l^iguren im Tal zusammen, wie eine Wand von leise halbkreisförmiger Ver* tiefiing, wie sie dem Auge erscheinen, so gewinnen die central an* gei rdiieten vier Hauptgestalton mit dem Synil)'.! des Sakraments, der erhobenen Schale im Miite]])nnkt, ihre volle plastische Rundung und ihre an so lieenv^ter Stolle erstmnlirh ^'ewaf^te raumliche Aus- einandersei/ung die ursprüngliche Krall, die uns noch im heutigen Zustand des Bildes erkennen läfst, wie der Meister, ganz ebenso wie in der breiteren Jflngerschar mit Christus in der Mitte, Ober die Reliefanschauung hinausftrebt und durch die Aufstellung seiner Körper in radialen Axen um eine Dominante sowol deren Selb- ständigkeit zu sichern als den Kindruek des Luftraumes dazwischen zu fördern sucht, so dals die Strome des Lichtes doppelt wirksam durch die Intervalle hindurch ^elien. Der Stellung des Bildes rechts von der Hauptaxe des Kapellenraumes gemäTs, erblicken wir diesen architektonischen Aufiiau der Komposition nicht allein von unten, sodafs Petrus und sein Täufling ganz vorn am Rande erscheinen, wie Gabriel und Maria droben an der Stirnseite der Kapelle in San demente, sondern auch in seitlicher Verschiebung, so dafs die ent- scheidende Hauptaxe des Bildraumes, von rechts nach links gegen das Fenster hinaus, wieder radial zur Hauptaxe des wirklichen Kapellenraumes verläuft. So gewinnt die wolberectmete Ansicht zugleich die malerische Freiheit, die der gewönliche, nicht verstandes- mäfsig die y^anze Oekononiie nachrechnende, Beschauer zunächst und ungestört genielsen wird, liben dieser architektonische druppenbau mufsto jedoch biosgelegt werden, um den Zusammenhang dieses so ganz andersartig erschauenden und vorwiegend durch malerische

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I'Kl-.sKO IN S. M. N<.IVKI.LA

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Reue - wie den Kontrast der Nackten und BekleidoiL-n, der warmen Meischfarb«^ und der dntikfln Berge, des durchsichtigen Wassers uml der s< himmerndeii I .uttr<'i^M<>n - wirkenden l'.iUles, wie die Taufe es ist. mit einem Wi-rkf darzulun, das für solchen architektonischen Aufl>au gerade/u paradigmatischc Bedeutung im Schaffen Klasaccius beansprucht« mit der Dreifaltigkeit in S. M. No- vella, die als Mittelglied zwischen diesem oberen und den beiden unteren Bildem nebst Petrus in Cathedra hierfaergehflft.

Die Dreifaltigkeit in S. M. Novella

Es kann nicht genug betont werden, welch ein durchgreifender Unterschied dies Fresko in S. M. Novella seiner Gesamtanlage nach von allen florcntinischen Wand^eni tlden Masaccios entfernt. Seit den ersten Anfangen seiner Arlu it in dt-r Branraecikapelle scheint er dir I )arsti'lhing eines die I'rrsonen volhg in sich avifnemeiulen Innenraunics liier /u vermeiden, selbst wo die Aufforderung dazu gegeben war, wie bei der ErtiOhung des Petrus auf den Bischof- atul von Antiochien oder der Almnsenspendc mit der Bestrafung des Ananiaa. Nur in Rom begegnen uns solche Beispiele noch, bei der Bisrli .fsu d d.^s And^rosius und dem T«xle des Iii ilii^ron^ uie vorher bei dem Auftreten Katliarinas jTcj^cn den ( n «t/endienst und der I )is|)utation ^rt i^M'n die Philosophen. Auf drund i l)en dieser N'ersuche ma^ dem Maler die Erfarung aufgegangen sein, m welchen Folgerungen die {lerspektlvische Regel Brunelleschis in solchen Fällen für die Dar- stellung der Figuren fiQrte. Oder waren diese halbgeöfiheten Innen- räume mit der immer noch freien Bevorzugung der handelnden Personen d^rin graile dif Ursa< hi^. nun einmal tiie l-Dnlcrnng des Archil<-kten i,'an/ /u rrtullcn. I)ranv;te ilicscr Freund selbst den Maler bei seiner Rückker aus Rom zu \'orfürung eines gemalten Musterstacks seiner neuersonnenen Kirchenarchitektur, wie er beim Bienenwunder des kleinen Ambrosius und auf dem Geburtstagstellw der Casa Capponi si hon Beispiele der Renaissancepaläste gegeben hatte? (irade den juni,'en Meister, der von der Vollendung der Kap«'lle für Kardinal r>randa Castiglione in S, demente herkam, mit dem Sch.iusUiek persj»ektiviseher Darstellung in Untensicht an der Aufsenseite über dem Eingang, mochte das Problem reizen, mitten an der Langhauswand in einer gotischen Kirche wie S. M. Novella den täuschenden Einblick in eine anstofsende Kapelle her- vorzuzaubern, die das neue, dem Mafsftab niensrhli< her Cir^sse viel entsprechcndcri' Idfal \<ir Aui^^Mi stelllt:. N'ielieichl i^rli^rt auch noch ein Mittelglied hierlier, das an jene Verkündigung in S. demente

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70 S. NiCCOLO OUH ARNO S, M. NüVlXLA

sich dem Gegenstande nach anschliefst, und viellmdit ebenso der kanstlerischen Behandlung nach die Stellung einer weiteren Aufgabe bedeutet, die sich aus der soelirn -r-wriltfn I^sung ,;sotto in su** wie von selbst ergab. Ich meine ilic X crküiulipuni;»' als Hauptbild eines Altares für S. Xiccolö oltr' Arno, dessen I lesr lireibtins^ bei Vasari ebenso wie mehr oder minder freie Wiederholung bei den nächsten Nachfolgern bezeuget, dals es sich darin um den Einblick in eine Säulenhalle oder einen langen Säulengang handelte, und zwar in centraler Ansicht der Ticfenaxe folgend und in gewonter BOnen- hOhc, wie es ein Altarstück mit niedriger Staffel forderte.

Dafs die Entstehung dieses verschollenen Tafelbildes hier zrillich eine passende Stelle fände, geht auch daraus hervor, dafs der Stil des Wandgemäldes in S. M. Novella bis auf die zuletzt hinzukomnuenen Stifterbildnisse draussen an der Schwee des Heiligtums, mdir den Tafelbildern, wie den Predellen für Pisa, dem Gebuitstagstdler in Berlin und der Legende des hl. Nik«.!.!ii.s im Vatikan verwandt ist, als den Wandgemälden Der Entwurf wenigstens mag soweit zurückreichen; denn es wäre sonst schwer zu verstehen, wie der Maler nach der Geschichte vom Zollgroschen sich nun mie Weiteres wieder in die Enge zu sdücken gewufst hätte. Dazwischen liegende Tafelmalerei würde aber auch die beiden unteren Fresken der Altar> wand mit Almosenspende und Schattenh<Mlung begreiflicher erklären, als das Dreifaltigkeitsfrosko in S. M. Xm clla allein.

Die Hauptsache bleibt allerdings bei dem letzterem, und dies ist auch die Ursache des grofsen Unterschiedes von den sonstigen Wandgemälden Hasaccios aus dieser Zeit, die Wiedergabe des Innenraumes und die vollständige Abhängigkeit der darin aufge- stdltoi K<Mrper: Gottvaters, des Gekreuzigten, nebst Maria und Johannes, von der perspoktivisrhon Konstruktion dieses sie alle um- f.ussenden Kapeilenraumcs. Nun können die (ifstahen keine andere Grofse und lireite beanspruchen als die GesamlOkonumie auch den tektonischen Gliedern des Gebäudes gestattet. Sie sind aufserdem völlig mit den tektonischen Körpern auf gleiche Stufe gestellt durdi den pyr.iinMalen Aufbau, der mit Hülfe eines eingestellten Altartisches und des Kreuzesstammes erreicht wird, Vas;tri jirei.st die täuschende Verkürzung des Tonnengewölbes mit seinen Kassetten, das dies Heiligtum bedeckt; jedoch er sagt kein Wort über das Opfer, mit dem dieser meistertiafte Architekturprospekt erkauft ist. Aber man ver- gleiche den Christus hier mit dem Christus in Rom, Gottvater, Maria, Johannes mit den heroischen Aposteln bei der Findung des Stater.

T'nd doch ist eben der eentralisien-nde Aufbau der Komposition in dem täuschend dargestellten Räume niclit eher möglich. Die

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NlK«»l.Af.S-l-EOENI)l-, Ri»AI. VaIIKAN

Vorstufen liegen eben in der Kreuzigung in Rom. in der Enthauptung

des Johannes uiul der Kreuzigun:^ P. tri lur Pisa, in der Taufe der Dreitiiusend an lU r I"rnst< r\v,in»l dor liraiu .kh ikaix llo, uu<\ di«> j^c- reifte Frucht dii's»T iTrunj^cnsch.ift slt-hl » brndort als „Petrus in Cathedra" mit seinen knieenden Vererern da. iis ist wieder eine geschlossene Reihe, in die das Werk als Komposition mitten hinein gehört

Und die Nadiwirkunik^ der allseitig bedinf^ftcn F-nj,'c auf die Gestalten ist ja ni>ch an dm i 1< n utUt^n-n Fresken der Altarwand wol /u Spüren, wareiid di<- P> irtraitiyuron um den tnineiuleii Petrus sieh in der Breite ihre.^ Wurfes und der Leibhafligkeit il»rcs D.iseins nur an die Stifterbildnis&c in S. Maria Novella befriedigend anreihen lassen, zumal wenn hier noch die «Sagra del Carmine« als befineiender Genieftreicb eingeschaltet wird, der den flotten Zug des Freskopioaeb

ÄUrÜckv^e Winnen half

lici tUiT 1 '.edinK'thcit bleibt das Drcifaltij^keitsbild in S. M. Novella eine wi( hliv^e I<,taj)|ie nicht nur für ilon M<'ister selbst und seine Ausbildung des Monunicnlalsliles der Wandmalerei, sondern auch für die geschichtliche Entwicklung seiner Kunst flbeihaupt. Besonders sind es die Urobrer, als geborene RaumkQnstler gewesen, die diese l'>bsch.ift ani^etreten: Piero dello Francesca und aeano Srhüler, Metüzzo unil Perugino, und auf den Schultern dieser ganzen Reihe Kafael selber.

Die Nikolauslegende

Welchen Wert diese konsequente Einordnung der Körper In den unigebenden Raum aber in echt inalerisrhom Sinn erhalten kann, wettii dieser R.iuni ni< ht die teste .Xrc hili ktur sell)er ist, die plastisch greifbar auch ihren llewonern all/u nah auf den l.eib rückt, das zeigt ein andres beinahe gleichzeitiges Bildchen Masacciüs zu Rom in ganz aberraachender Weise. Es ist die stflrmische Meer&rt, bei der S. Nikokius als Retter erscheint, auf jenem breiteren Mittdstflck der Predella im Vatikan Da ist das Verhältnis des Schiffes und seiner Insassen zu dem Aush Imitt aus dem unbegränzten Ocean und Sturm- gew«.Ik nur gefunden durch clie hier angestellte fierechnung. Und so erscheinen diese Menschen allesamt in vollster, unbezweüelbarer AUbängigkeit von dem Walten der empörten Elemente um sie her. Die Weite nimmt sie auf in ihren Schols, und die Naturgesetze gehen unerbittlich über sie hin: selbst der Heilige, der sie hindurchrettel, schwebt nur als Lichterscheinung, wie selber schwimmend hinter dem Segel drein, und zersprengt nicht fremdartig hereinbrechend

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ii

72 Cappella Hkancalci

y den durchwaltcnden Zuaamm« nhang^ dor Dinge, den uns der Maler

in einheitliclier Anschauung sichtbar macht. So ist aus dem starren Gesetz des Architekten hier eine Kiit<l(< kiinv> des Mali riselim < iU-

t

sprangen, die mitten in den geluuügcn Heiligenget»chidUen nicht

glQcklicher sdn kann.

Dafs aber tatsächlich die Legenden des hl. Nikolaus in diesen Z^traum hinein zu stellen sind, das zeigt ausserdem die l'eberein- . Stimmung des jugendlichen lleili;.^en, der die ^oldeiuMi Kugeln ins

l Haus des armen Mannes wirtt, mit dem Jnhannes unter dem Kreuz

' ' in S. AI. Nüvella, und andrerseits der auferweckten Scholaren in ihren

Fässern mit den Täuflingen der Brancaccikapclle. Wenn wir nur ' wfllsten, dals die Fragmente im Museo del rinascimento des Vatikan

aus Florenz nadi Rom gekommen seien, so würden wir daraufhin die ! Behauptung wagen, sie hatten zu der Verkündigung in S. Xiccolo

oltr'Arno g<'liort. Schlange über ihre Herkunft nichts zu ermitteln

ist, muls der Nachweis der doppeUen Ikzieluingen zu bestimnUea römischen und florentiniscben Werken genügen.

Almosenspende und Schattenheilung

Die Fensterwand mit der Ambrosiusli grnde in Rom und das » Dreifaltigkeitsbild in S. M. Novella brauchen wir zur Erklärung,

wenn 'wir nun vor die beiden unteren Fresken der Altarwand in der Brancaccikappelle treten. Diese ward eben» an der Schmalseite des oblongen Raumes dem Eingang gegenüber gelegen, vom schlanken gotischen Fenster durchschnitten, dessen lichtspendende Oeffnung dem Besucher gegenüber natürlich die Halbierung in der Mittelaxo für den ganzen Bilderkreis fülbar machte. Die Disposition der vier schmalen Felder ist aus diesem Eindruck hervorgegangen und eine durchaus einheitlich gedachte. Sie umiasst die früher dem Masolino I beigemessene Pk«digt des Petrus von vornherein ebenso notwendig

mit. wie dies letzte Paar. Der Trennung durch das Fenster wirkt ' die Mafsnamc entgegen, dafs in dem oberen Paar von riogcnstüeken,

Predigt und Taufe, die HauptfH r-' 111 tli r I latidluni^ gh ichmalsig links aufgestellt ist, wiirend sie dann im utii< reu Paar rechts angebracht wird. I^e Hauptaxe der Raumentfaltung geht aber in beiden Paaren I sdirftg auf die Mittelaxe des Fensters zu, d. h. in der Predigt und

I der Schattenheilung darunter auf der linkt n Hälfte der Wand von

links narh rechts, in der TauO' und dor Almosenspende darunter auf di r rechten Haltte der Wand \tin rechts nach links, d. h. von { aufsen nach iimon /u. Da nun aber die KichtutJg des Geschehens

I oder der Tätigkeit jedesmal von der Hauptperson ausgeht, so hat

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A I.M< )M-.N -M'KN UE L NU St Jl A 1 1 1 N l!KII.UN(i

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die hervorgehobene Wal dos Standortes für diesen llcUk-n, Petrus, wieder eine Abwech^luiiv; in der Symmetri«- zur l"<>lvr<^', und zwar so. dafs sich die Raumaxe und dir l-rlx-nsaxc auf d»T rt'chtrn Seil«-, in der laufe und der Ahnostni^pendo durchkreuzen, wärend sie auf der Hnken Seite, in Predigt und Schattenheilttng freilich in dieselbe Diagonale fallen, aber in entgegengesetzter Richtung bei der Predigt, im gleichen Sinne bei der Schattriih» ih:nji xorlaufon. Iki dem untern Paar, das dem Keschauer bi-im Kiiitriit in die Kapelle neVx-n dnn Altar als Zii l haui>ts.irhli< h vor Augen steht, strumt Kaunienttallung und I . Ihh aus der l ief.- ihm entgegen, in der pasjjiven Scene, wo Tcirus nur vorubcrgclii, ist die Richtung identisch: aber man könnte sagen, die Ortsbewegung des Helden vollzieht sich vom Innern des Bildes nach aussen, die Blickban des Betrachters folgt dagegen der HAuserflucht, mit den aufgereihten KrQppeln davor, umgekert V'^ti aufV'-n nach innen. In der 'dra- matischen Seenedageg. il. w^ niiuen im \'(>ll/ug der <ieldv< rteilung der Zusanimensiofs mit Ananias erfolgt und die innere Kausidität in dem Zusammenbruch des Schuldigen vor dem Apostel veranschaulicht werden soll, durchkreuzen iüch die Axen in dem Mittellot, die das flbereckgestellte Haus so schneidend verkörpert

So ist die ganze Wand einheitlich durchgearbeitet in RQck»cht auf ihre besondere Stellung im ganzen Räume, und erinnert uns so

durebaus an das Verfare») wolabgewogener Gegenüberstellung und gl' ichin.tl.siger Kntspreelnuig aller (ilie.ler, iLis wir sogar in der harmonischen Farben Verteilung beim Fresko in S M. Novclla nach- gewiesen haben Dazu gehört aber auch die perspektivische Be- handlung der beiden unteren Bilder als Hälften einer Bflne, die zu beiden Seilen des Altartischesdem Auge des eintretenden Betrachters möglichste Tiefenerweiterung vermitteln sollen. Kr blickt hinein in die Strafsen (l< r t' skanisehen Stadl, wo das .\uftreten des Apostels gedacht wird, Und diese Hauserreihe hnks, diese Kreuzung von Gassen redits treten eben deshalb als wichtiger Bestandteil in das Ganze der ^der; sie nemen die Figuren entschiedener als sonst in die Verhaltnisse der Räumlichkeit auf, und geben grade so den starken Eindruck von Ereignissen aus dem < iff. ruli. heti T.eb<>n der eigenen Zeit. Der perspektivisclien Wirksamkeit zuHebe sind die Gestalten in ihren Mafson zusammengesrhrumpft, und zwar beson- ders die Hauptpersonen, die in der Tiefe stehend noch absichtlich Stark verjüngt sind im Verhältnis zu den vordersten, um auch so den Schdn der Entfernung zu unterstQtzen, one doch aus dem ge-

») Vgl. Buch 11, S. 65.

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CAI'I'ELI.A Bkancacci

meinsamen Mafsfstab des Cyklus ringsum herauszufallen. Das ist ein Experiment, das nicht ^^anz eiinvandfn i als i^elun^'^cn bezeichnet werden darf, ein Bravourstück ilos Malers, das ^a>nau die Erfarun^^ verwertet, die im Fresko von S. M. XovcUa systematisch gewonnen wurde: nämlich die Abstufung der GrOfscnverhältnisse der Körper im Raum, vom Centrum im Innern bis zu den Knieenden vor der Sdiwelle des Heiligtums, die doch auch wieder gegen gemalte Architekturteile sich als Bestandteile d< s Bildes selbst abheben. Nach jenem i t chneicn tcktonischen Autbau der feierlichen Gruppe als ( icj^cnstand der Aml.icht für die Beter, versucht er hier jedoch die Freilieit aneinander vorbei gehender Reihen oder gar sich begegnen- der Ströme, die durch einen Zwischenfall ins Stocken geraten. Von Arbdt zu Arbeit vollzieht er den künen unaufhaltsamen Fortschritt, und bei der Kürze der Frist, mit der diese Werke aufeinander folgen M, darf es nicht Wunder nomcn, wenn die immer neuen und j^onialon I-cistunuen auch an oinzcliK-n Stellen nicht \<illig ausge- glichene Schwächen entlialten. Für den (.lusanueindruck können sie kaum in Betracht kommen ; nur der Versuch, den Gang des Schaffens aufzudecken, darf auch diese Symptome nicht unbeachtet lassen. Bleibt doch die erreichte Weite des Schauplatzes und die lebendige Bcwoqi'ng der Personen auf dem engen, für sie brauchbaren Aus- schnitt des schmalen 1 loc hforniates erstaunlich genug.

Bei solcher Geschmeidigkeit des Künstlers, sich in die ort- lichen Möglichkeiten seiner jedesmaligen Bildtku ho hincinzutinden und selbst ihre Mängel dem höheren Zweck der Gesamtwirkung dienstbar zu machen, ja in Vorzage zu verwandeln, die seinem künst- lerischen Walten wie selbstverständlich entsprechen, bei solcher Wandelbarkeit der eignen Kräfte wird es begreiflich, wenn mit dem Schauplatz und dem (icgcnstand, den er schildert, auch seine Geschöpfe selber, die Idealj^cstallen wie <.lie l'ilduissc, wi chsrln, fast jedesmal von andern Seiten ihres Wesens erfasst werden. Welche Metamorphose durdüebt hier allein sein Hauptheld, der Apostel Petrus neben sdnem Begleiter Johannes, der auch ausserhalb dieser Kapelle mehrfach vorkommt. Wo er Almosen spendet ist er felsen>

'} Wenn die Uebcrlicferuag richtig ist, nach der Vasuri den einen Kopf in der SduiUenbeihiDg als BUdnb de« MaioUno benidinet und in seinem Holndtnitt rar

Vit.i (K'^sclben abhiKlr-t ; .latin könntr das Bild erst nach ilcr RüikUi r ilir-.es Malrr-* aus Ungarn, alM nach dem Katasterberichl des Valerc für 1437 entstanden sein. Natürlich wird der Namensvetter, der die Kapelle begonnen, zu den eifrissten Zugchauem bei ihrer rüstig f ittschreitWldcn Vdücinlun',; ^ihört h.ihrn. I)if Aufn.inir I'nrltät'4 wSre

der erste Willkummengrurs bei der glücklichen Heimkunft aus der Fremde. Ebenso wird sein Name l>ei den Küastlerbiidnissen der Sagra del Cannine aufgefOrt.

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Al.MnsENSl'EM>K U.NU SCIIA i 1 JiNHKlLUNÜ 75

hart, so dafs die Kraft der Lflgc an ihm zcrschrllt : wie or die Rechte ausftreckt zum (icben und den Säckel in der Linken hält, rOrt sein Kuls an A uchtig gofornitcii An. Uli. IS, tlor wic ein i^i t.illtrr I^anni- stumpt /u r.i'dcn prstOrzt ist. Wo i-r durch scinon Schatten heilen soll im Vorbei.schreiit n, da u^'ht svhi Korjx r fa.si voHiii- auf in die l'nij^ebunjr, weich und larbig in dem hellen Sonnenschein, der allerdings ein cner)(ische8 Schattendunkel fordert und hervorruft. Nur die auff^ereihten Kranken treten in starkem Relief hervor, Wärend ; ii!m r dii herzuströmenden Hcttler, von hinten oder von der .Seite l»el( ui lit< t. als niassl^'C Korjjer ihm eiityej^rendr.'tni;<'n, aber aui h er, an di r Spit/e seines deloli^es w iderst. mdstahit; genug, wie ein Keil sich vorschiebt, den Andrang zu durchschneiden.

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V.

DER LETZTE STIL

; Sowie die Rücksicht aut" scheinbare Erweiterung des Kapellen-

rautne» hinter dem Altar auf diesen Bildern der Schlufswand alles erklärt, mit Ausname nur der Lichtfttrung, die durch das Fenster bedingt, so wirksam zur Veranschaulichung grade dieser Wunder- scenen mithflfen mufste, so wirft der Maler auch den Zwang aus- fürlirh darj^estcUter Archileklurumjjfebung ab, um an der Seiten- ' wand, w<» solche Absicht nicht vorlag, zur vollen Verkörperung der

' Gestalten um ihrer selbst willen und zur malerischen Breite und

Freiheit des Pinsels zurflckzukeren.

Nur unser Erklärungsbedürfhis sucht nach einem Uebergang von (If'iii untern Bilderpaar der Schmalseite zu dem Längsftri ifr-ü links daneben, mit Pctri Stulfeior und der Aulerw eckung des Kn iln u vor Theophilus in Antiochien. Uns will es immer wie ein allzu 1 unglaublicher Sprung erscheinen, von der freiwillig gewälten Be-

fangenheit der Gestaltung zu der gewaltigen Grölse dieses letzten I . Meisterwerkes, das Masaccio unvollendet zurückgelassen und erst

1 I Filippino^ grade hierin so ganz ins Gedränge geraten, vollendet hat.

Aber es dient nicht allein da/u, den Uebergang begreiHicher j /u niaehcn, sondern auch den (MgiMitümlichen Charakter der letzten

l'hase in der Entwicklung Masaccios zu verstehen, wenn wir her- vorheben, dafe eine letzte Gruppe von Werken sich durch zwei Haupteigenschaften unterscheidet. Einmal ist es die vollplastische Rundung aller Dini,n- für einen nahen Standpunkt des Betrachters, d. Ii. die fast gn ifbare \'erkörperung für die unmittelbare Nachbar- ' scliaft der 'I'asir«\i,'ion. wie ein .starkes liorlirelicf, das keine sell)-

sliindige Kauniliele hinler sich duldet, sondern durch eine Gr.inz- fläche abschneidet, soweit es diesen Vordergrund vollauf für die Ge- ' staltung selber ausbeuten will. Dies grundsätzlich von allem Froheren

j verschiedene Verfaren können wir nur an diesem untern Streifen

I der l'raneaccikapelle aufweisen. Zweitens aber ist es. der Ge-

^ sinnung nach damit eng zusamnunhängend, die Einfürung einer

gröfscren Zal von Bildnisfiguren, die Steigerung des individuellen \ ' durch unmittelbares Hcreinnemen der Personen aus seiner Gegen-

I wart, aus den Strassen von Florenz und dem Kloster del Carmine.

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Fresko im CHiosTRr> dki. Carmine

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Diese Eigenschaft bereitet sich allmAhlich vor. und die beiden letzten Momente in der lirancaccikajx'üc teil» n sif in höchstem (Irade nur mit » iiiem andrrn Wcrko, das « hi r v. . uinlasscnd, aus \i( lits be- stand als aus fiiiem Koniortei der Wirklichkeit, lauter liildiiis- figurcn im Zuge der Kirchweih auf dem PlaU draussen vor der Kirche del Carmine selber, aber nicht in natürlichen Farben, son- dern als ( lii.ir<<s< uro Grün in Grflngrau gemalt, das verlorene Fresko im Klostcrhofl

La Sagra dei Carmine

Die Tatsache, dafs in dieser Darstellung der Fcstprocession Bildnisreihen im Sinne des Tagesintercsscs selber, bekannte Persön- lichkeiten der Künstlerwelt und di r vornomen Gesellschaft von

Florenz in tran/ individuollcr (Charakteristik gej^eben waren, ist durch die Beschreibung' von V'asari jedenfalls v^esichert. Der (iriff' ins volle Menschenleben, one liinkieidung in biblische i rächt oder unter dem Vorwand einer Heiligenlegende, ist die eine unbexweifelbare Seite dieser selbstgewälten Aufgabe, die zur Erholung zwischen an- gestrengten Arlieiten so bei Weg lang ^^eleistet wurde, und zwar gewifs au( h der Billigkeit halber one reicheren 1 ,irbcii:>.'if\vand nur monochrom. Und diese ausrchliefslirhe Bildnismali rei Ijedeutet damals doch einen so gewagten Versuch und ist für Masaccio selbst im Groben etwas so Neues, dab es im florentinischen Kunstleben jener Jare volle Beachtung fordert Die Tendenz zur Wiedergabe der Individuen aus eigner Nachbarschaft begegnete uns ja schon in dem frühesten Meisterwerk für Papst Martin V., aber oben verschleiert, hc\ der l'ebertr.igiintr einer alten Wundervji st hichte aus frühchrist- licher Zeit in die lebeniliye (legenwart. i'x i d< r Disputation Katha- riniui erschien der Stifter der Kapelle unter den l'hilosophen, die sich von ihr Oberzeugen lassen. Im Carmine hatte Masaccio am Pfeiler der Serragli-Kapelle einen florentinischen Bürger ab heiligen Paulus dargestellt, wie Donatello den Poggio Bracciolini als T'ropheten am Dom. In der fVancici ikapelle treten jedoch wirkliche Bildnishp-urcn im eigenen /eitkoslüni. nicht als Statisten wie si ln'ti in R(jm, zuerst bei der Predigt des Petrus auf. Man wird in ihnen die Mitglieder der Familie Brancacci, an erster Stelle hinter seinem Patron den Stifter der Malereien Feiice di Michele vermuten, besonders wenn der Maler mit \'ollendung dieses Stückes Urlaub nam, um seinen römischen Verpflichtun-' t! für Kardinal Branda nachzukommen. Die Karmeliter, die diesen Stitterbildnissen gegrMuiber stellen, sind eben- so sicher Porträts der Oberen des Klosters von damals. Beiderseits

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Darstellung von iNDivrouEN

.schon luirlist ansohnliclic I .t istiincfr>n, die den biblisch gcwandeten I lorcrn des Ajostids hex ,\]]vr luu ryie der Ausdrurkskopfe schon gcfär- liche Konkurrenz machen und fast gegen den Redner selber aufbegeren.

In der herrlichen Jüngerschaar um Christus vermuten wir das nämlidie Verfaren, das Masaccio bei der Einzelgestalt des Paulus und Donatello am Campanile einschlug oder schon an nrsanmichele geübt, das heifst bildnismiifsi^fo rirundlagcn für mehr als einen dieser Charakterköpff. Vasari gicbt den einen, in dem er den Apostel 1 homas sieht, zugleich als Bildnis Masaccios selber. Das Bedenken, das gegen die Richtigkeit dieser Tradition vieU^cfat wegen des Alters erhoben werden könnte in dem sich der Künstler damals befiind, hat bei dem nachgewiesenen Platz des Werkes im Leben seines Urhebers wol nicht die Zugkraft, deren es bedürfte, um die positive Angabc Vasaris zu beseitigen; vor allen Dingen haben wir es aber gar nicht notwendig mit einem photographisch genauen Bildnis, sondern mit einer Selbstdarstellung als Apostel und Schutzpatron zu tun, bei der uns die Betonung der Reife und Geschlossenheit nicht befremden dürfen, je weniger wir in diesem Fall das beliebte Idealisieren Andrer anzuncmen vermögen.

Wirkliche I'orträts dagegen, in der mndis( hen Tracht, mit dem breiten Capuccio unmittelbar neben dem barliauptigen Petrus, er- scheinen dann wieder an der Altarwand oben bei der Taufe. Das sind gewils die beiden übrigen Vettern des Feiice Brancacd, die der Kinderlose schon 1422 zu Erben dw Kapelle eingesetzt hatte ; denn den gleichen Platz wie drüben bei der Predigt mochten wol diese Nrichston allein beanspruchen dürfen. Unten dagegen, in unmittel- barer Xcdie des Altars .selber wird man sich noch gescheut haben, die Einstellung zeitgenössischer Personen in die heiligen Geschichten zu wagen, wo sie jedem Andächtigen ins Auge fallen mubten. Etwas ganz Anderes war ja die Darstellung der Stifter in solcher Andacht selbst, wie sie uns in den beiden herrlichen Bildnissen vor dem Dreifaltigkeitsbilde in S. M. Xovella begegnen. Gewisse indivi- duelle Eigentümlir hkeiten, die selbst die Maria im IMlue und den Johannes ihr gegenüber von den bisherigen Darstellungen dieser beiden Heiligen bei Masaccio unterscheiden, veranlassen audi hier, an die Verwertung bestimmter Modelle aus des Künstlers Um- gebung zu denken, wie an seine eigne Mutter und seinen Bruder Griovanni, die damals mit ihm in Florenz zusammen wonen.

Als eine Genugtuung seiner besten Kraft aber erscheinen, nach

*) Jakob Butckhardt, Bfitr.lgp /ur Kiinsl;;rsrhirhl(* von Italien, Bi--'^! !S.,S. S. 176, WO ftbrigeos die eiste Gruppe der crhalicncn WandjjcmäUic in der Brancaccikapellc wieder

dam MatoUno bdgiaiiMiMn wird.

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Bildnis in MCntiien

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der Einzwängiinp der Gestalten im Innrimuim der dargestellten Kapelle, nun vullrruls dir hciilr n knireiuh n Stifter dr.uissoii. In scharfem Protil heben si» h beide, der Mann links in Rot, die Frau rechts in Schwarz gekleidet, in freier malerischer Breite von der hdlrosa und grau getonten Architektur ab, auf schmalem Stms- streifen knioend, unmittelbar vor dem Relief des tektonischen Grundes, in voller plastischer Ruiulunj;,'. Ks ist ein Par nuister- lichor Portr.ltftiu ke in monument. dem Stil, das m Srhurfe der liidivi- dualisieruntj, \\< iui .uu h r ieht an Ausfürliehkeil der Kleinkunst, sich durchaus dem Uildni^ des Jodocus V'vdt und seiner (lattin isa-

bella Boeriut am Genter Altarwerk vergleichen darf. Schon hier ist die volle Wirklichkeit in unmittelbarer Nähe, dicht an der Gränze

unsrer Tastregion, von der Malerei erobert.

l'iei seiner Beschreibung der S.igra del Carmine hebt Wisari nicht allein hervi«r, dafs Mas.n rio die i'nrger vnn Floren/, flie Kunstler und die vornemen Herrn allesitmt nach der Natur konterfeit habe, sondern erwftnt auch iwei Akr sich bestehende PortrAtbitder, die er noch im Hause des Simone Com» gesehen hatte. Es war das Bild« nis des Giovanni di Bicci de' Medici und des I^rtolommeo Valori. Sie gelten seitdem für verschollen. Und doch darf diese Angabe des Bioy^raj>hen. die wie ein Beleg /ur Identificierung der im Fresko dargestellten Personen eingestreut wird, wol nicht unvcrwertet bleiben gegenüber einem P«»rtrat der Münchener Pinakothek, an dem die ererbte Benennung als Masaccio haftet, wftrend die neueste Kritik verschiedene Namen späterer Maler vorgeschlagen hat, sei es Andrea del Castagno, sei es Alesso Baldovinetti '). Ks ist ein bart- loser Mann, im ("ai»urcio, dessen glattbe/<ipener Ring, vorn frei sichtbar, auf der einen Seite durch flas uliertallende I vicheiule in kurzen, abstehenden Falten l)edecki wird, dessen Ränder in der über beide Oren hängenden l^nge des Hares im Nacken, mit ihren runden Windungen scharf gezeichnet sind, wärend auf der andern Seite der längere Tuchstreifen l)is in das Klbogengelenk des rechten Armes hinunterlauft. Diese Kopfbedeckung verbirgt Scheitel und Stirn, über die .lui Ii die hereingek.'innnten Hare bis auf die Augen- brauen lallen und nur über der Nase einen Zwischenraum frei lassen. Der Blick der grofscn dunkeln Augen ist seitlich nach aussen ge- richtet, die Nase grad herabsteigend, kräftig entwickelt, beim Seiten- licht von links her durch starken Scliatten hervorgdioben, wie die Backenknochen und die Kinnlade mit der leisi- eingefallenen Wange dazwischen; der Mund ist scharf geschnitten, das l.ippenpar ein wenig vorgeschoben und ebenso das Kinn lang und fest hervortretend.

*) Vgl. ODsere Abbildung zu dieaem Hefte.

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8o

München, Pinakothek

Unter der ärmellosen mit grauem Pelz gefütterten 5>chaube, deren jedenfalls tiefsitzenden Gürtel wir nicht mehr sehen, kommen die silhergrau und violett mit einem reichen Granatapfelmuster ge- zeichneten Atlasärmel des Untergewandes hervor. Der linke Arm des Mannes hängt herunter, die rechte Hand ist erhoben und legt sidi leidit gegen den I.cib, am Annansatz und zwischen Daumen und Fingerreihe mit einem feinen weifsen Tuch umschlungen, das in einer Quaste endigt.

Der abgoriebene und wieder restaurierte Zustand des (iemäldes Iflfst kaum noch ein Urteil ülier die Farben Wirkung dieser Halbfigur auf dem neutralen graut n Grunde zu. wenigstens nicht one Vor- behalt im Einzelnen. Zwei ganz auffallende Eigensdiaften bleiben indes auch bei Abzug der naturferbigen Wiedergabe ganz unbehelligt be» stehen: die ModelhVrung durch Schatten und Licht und die Zeichnung in d«'ni selben dun liaus plastischen Sinne. Aus diesen beiden, mit grol'sarlig'er Kinfaiiihrit v^rliandhabton l''aktr>rr'n ergiobt sich schon, dafs an Alesso Baldovin» iti nicht gedacht werden darf. Er ist in der Zeichnung von spitziger Schärfe, die neben dieser auf die Haupt- Sache gerichteten Behandlung kleinlich genannt werden darf. Er ist dafür in den innern Gesichtsteilen viel ausfürlicher, will auf die Details nicht verzichten. Dies Bildnis nach dem Leben hat aber ein Maler geschaffen, clf f in der Lreskotcchnik den monumentaleti Sinn ausgebildet hat und auch in kleineren Formen grofsflachig arbeitet Damach wflrde Andrea del Castagno gewils eher in Frage kommen; aber die Formensprache hat nicht ganz seine Derbheit und und etwas schwerfällige Wucht, und seine Karnation fallt mehr ins Grauliche, nicht selten mit einem .Stich ins ( )livenfarbene. Die Fntrnsicht der runden l-altenränder, wie sie das abstehende Tuch- stück des Capuccio rechts zeigt, hat auch er, wie seine Zeitgenossen, besonders Domenico Veneaano und auch wol Haldovinetti noch. Die Hand dieses Mannes aber zeigt eine Bildung, die wedo- die klobige Grösse bei Castagno, noch die sCharfc Gliederung und krumme Fingerhaltung Baldovinettis erkennen läfst. Ich behaupte, diese Hand ist, mit all ihren Schwächen, aber auch A'orzügen von Masaccio, und weise auf die gestreckten Beispiele an den Betern sowie die gebogenen bei Maria im Dreifaltigkeitsbilde von S. M. Novella hin, denen sich ülnigens in den letzten Fresken der Brancacd- kapelle noch eine kleine Auswal anreihen liessc, wie bei dem Täufling im Wafser, dem geheilten Krüppel neben Masolino in der Schattenheilung u. s w. Ausserdem stimmt die Behandlung der innern Gesicht.steile, der Augen, Nase, der Oberlippe mit der starken Betonung der Furche darüber, und die plastische Verwertung des festen Knodienbaues ganz mit der Art fiberein, die sidi Masaccio

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Fl.<»RKN'X, llKFIZIKN. PoRTRÄTKOPF 8l

in Rom prworb. n hatt- An finij^'O Köpfo aus don lotzH'n Arbeiten in San ( Irtra'iile eriiMM rt dii s l'iUlnis vran/ autrallt-tui. l>if Haltung; des (ian/cn über geht sehr wol n»it lien autjfcreihlen liildnihliguron zusammen, wie sie auf GhirlatuLijt >s Skizze nach der Sagra del Carmine erscheinen, nur in umgckerter Kichtungr. Doch darauf kommt es nicht mehr an, da wir nicht wissen, wen das Portrat in München darstellt und ob dieselbe Persönlichkeit bei der Prot ossion pefi[cnwärtig war. Genujj, was an dem verdiTbenen (i> niälde der Pinakothek nwh als /u\ erlassigt- (iriiiidlage unseres Urteils in An- spruch genomnieii werden darf, spricht für Masaccio, und Wa» von der Malerei selbst nach Abzug alles Verdächtigen ttbrig bliebe, das widerspridit unserer Ansicht nicht, dafs es ursprQnglidi eine charakteristische Leistung dieses Meistr rs. und zwar aus den letzten Jaren zwischen der untern Hälfte der Altarwand und dem grofsen lireilbilde daneben v' ^escn sein ki «nne. und dal> der Xame Masaccio immer noch den mcisltn Anspruch habe dabei genannt zu werden.

D.igegen ist der Kopf des alten Mannes in den Uffizien, den neuerdings Jakob BurckhaixSt als Vorstudie zu dem Pfortner auf der Sagra del Carmine /u erklaren versvi< ht hat. \ on mir schon früher wegen der allzu sehr ins Kinzclne i^^ehenden Kleinarbeit im Gesicht und wegen des eij^eiUundichen ht lleii 1* resk< iti mes. tlie der starken Kontraste cntbercn, mit denen Masaccio damals wirkte, vielmehr für Domenico Veneziano in Anspruch genommen worden, und ich vermag auch heute dem Vorschlag Burckhardts nidit zu folgen*).

Ueber dieser einen Haupteigenschaft des untergegangenen Wandgemäldes im Klostcrhof des Carmine, die erste umfassende Darstellung /eitf^enössischer Portrats gi w( sen /u sein, darf doch die andre nicht vergessen werden, die sich als erste Lösung eines schwierigen Problems der höchsten Anerkennung von eingeweihten Fachmännern der nächsten Jarhunderte, von Antonio Manetti bis Giorgio Vasari, zu erfreuen gehabt hat Das ist die Darstellung dieser Bildnisreihen in Procession auf dem Platz ' r der Kirche del Car- mine. Dies perspektivische Problem verbin<u i tlie Sagra mit den beiden untern Bildern der Altarwand in der Kapelle und mit dem Lrcskü in S. M. Novella, di*' aiiesanit vorausgegangen sein mufsten, bevor das geschilderte Wagnis in Angriff genommen werden konnte. Damit ist die Entstehung dieses Bravourstückes realistischer Raum- kunst ganz sicher eingeordnet in die Reihe der verwandten Arbeiten,

() Vgl. Jak. BofcklMrdt, a. O. 75. Ob nach Vaaaria BcKbreibnng der Fn

Guariliano mit dem Schlarael der Pforte in der Hand nicht viel mehr dem Gefltogoia- wlrter dct Johannes von Mmsolino in Cattigüone verwandt, d. h. all denen Vorbild nt denken sei, mag dabingentelll bleiben.

Scbmarsow, Masacdo^tadien V. 6

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SagRA DEL CaRMINE

die uns erhahm sind, und an oino frühere Entstehung^, kurz nadi der 1422 gfeschelienen Weihe selbst, ^arnicht mehr zu denken.

Wo! aber f-rhobt sich nun eine andre Fra^-'e ; liaben wir uns die perspektivische Darstellung des Platzes in centraler Konstruktion zu denken, wie der Einblick in die Renaissancekapelle in S. M. Novella gegeben ist« also zugleich dne verbesserte Aufls^ des Platzes etwa, der das Doppelbild mit der Heilung des Lahmen und der Er- weckuny Tabithas verbinden soll /u einem rrpsamtbild "■' Dann hätten wir diese Sat>"ra norh /u der Klasse der Hünenprospckte mit überwiegender Tiefenenllaliuiig zu rechnen und der Darstellung des Innenraumes in S. M. Novella anzureihen. Oder aber, war die Darstellung des Platzes doch nur ein Auslchnitt, eine Seite desselben, wie die Häuserflucht in der Schattenheilunjj;^. ja noch mehr als gleich- märsij^er Hintergrund in nicht allzu weitem Abstand hinter dem (Testaltenzug gegeben, wie die Architekturteile auf dem letzten lireitbilde mit der StuUeier Petri und der Wiederbringung des Fflrstensones vor dem Tribunal des Theophilus? Dann gehörte diese Sagra doch vorwiegend zu der Klasse friesartiger ReliefUIder, in denen das plastische Interesse für vollrunde Verkörperung der Gestalten immer die Hauptsache blieb.

Die Entscheidung dieser Frage hängt gewifs wesentlich von dem Orte des Wandgemäldes ab. Die centrale Konstruktion würde nach den bisherigen Erfanmgen und Entsdieidungen des Meisters selbst nur dann zuläs^g gewesen sdn, wenn fOr den stillstehenden Betrachter ein fester Standort dem Bilde gegenüber angenommen werden konnte. Mufste dagegen mit dem durchwandelnden Be- trachter gerechnet werden, der den Kloster^ang abschritt, so dafs sich das Wandgemälde neben ihm an der Mauer und zwar wie Richa angiebt, der Kirchenmauer befand, dann war nur eine friesartige Relie&nsdiauung möglich, deren Gruppen oder Abschnitte successiv eriasst werden. Alle Nachrichten scheinen vielfach für das Letztere zu sprechen. Der Pförtner am Tor selbst war also eine perspektivisch!' U eberrasch ung, fast ein Vexierbild, wie noch spÄt ein Paolo Veronese sie gemalt ^um von geringem \'irtuosen zu schweigen), das dem Eintretenden an dem Eingang des Konventes drinnen begegnete, wie er die ganze Procession die sidi in die Khx^he, d. h. durch das Seitentor gegen den Klosterbof zu in das Innere des Gotteshauses begab, eingelafsen und hinter ihr abschlols. Dann gieng man, von der Strafse ins Kloster tretend, im Kreuzgang neben dem Zuge dieser Porträtgestalten her, oder kam ihnen, avis der Kirche in den Hof tretend, entgegen, beides doppelt wirksam durch die eigene Ortsbewegung. Ffir diese Anname wOrde auch

Cai'I'ki.la Brancacci

die Skizie von Domenico Ghirlandajo zeugen, wenn die tinks oben angedoutoto Balustorrciho zu der Häuserarchiteicturdes Hintcrgntndes g<dlOrte, was nicht klar «Tkoiinbar wird' .

Gegen diese Atuianif spricht jedoch auch M.mchos in der Be- schreibung Vasaris, besonders dals er von der richtigen Hinstellung der Figuren auf der Platzebene so viel Aufhebens macht Diese Leistung würde dodi nur bei eintf gewissen Weite der Uebersdiau von srlclif ni IV?1angsdtt; bei der Beschränkung auf einen porinf^em Abstatul von der H.lnsorreihe würde dajrpjron die plastische Aus- einanilersetzung der Kl »rper den wichtigsten Erfolg bedeutet und das Hauptlob gefordert haben.

Ldder ist das SUzzenblatt Ghirlandajos in den Uffizien» das all«n als Urkunde angerufen werden könnte, besonders unten zu stark beschnitten, so dals es über die Breite des Bodenstreifens vor

den Füfsen der Personen nichts nielir auszusac^en vermag.

Den entscheidenden Schritt zu dem machtigen Ilochreliefstil bezeugt unter den erhaltenen Werken Masaccios jedenfalls nur der untere Wandstreifen in der Brancaccilcapelle mit der Erweckung des Knaben und der Stulfeier Petri, die fibrigens in umgekerter Reihenfolge, d. h. von der Altarseite ausgehend und dann vom andern Ende entge|;renkommend gemalt und grade in der Mitte un- verbunden stehen geblieben sind.

Das letzte unvollendete Wandgemälde

Die perspc'ktivische Raumd.irstellung in centraler Konstruktion für die ganze Wandbreite ist auch hier die (irundlage des (ünheit- lichen Aufbaues als Gesamtbiid geblieben; aber die Tiefenentfaltung in der Mitte wird von vom herein ausgesddossen, d^ Sdiauplatz der Handlung in solcher Nahe des Betrachters durch eine querge- zogene Gartenmauer nach hinten zu beschränkt, wenigstens in der ganzen Höhe, die die Figuren selbst fiir sich beanspruchen. Darüber eröffnet sich der freie Ausblick über die Bäunirh* n des Gartens hin in die Luft des Ilinituels draufsen. Das Auge des Besuchers aber wird auf die beiden Enden des Bildstreifens hingedrängt, deren eines ihm beim Antritt in die Kapelle zunfldbst entgegentritt, wärend das andre beim Vordringen gegen den Altar zum Sammel- punkt wird. Links entzog sich gar ftr den Standort des Andäch- tigen am Gittertor, durch den einspringenden Pfeiler des P'ingangs- bogens verdeckt, ein Stück der Bildflache, wie droben die Scene des Fischfangs; hier wird also ein debäude als Abschlufs aufgefürt, das

>) Vgl. Buch II p. 53. Abbildung II, 8.

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Petrus in Caüiküka

nur auf dem schmalen Vordergrund noch zur Aufstellung minder

betoilij^tor Zuschauer Platz ycwarto, di«- i,rleich dem Besucher selbst nciis^icriii- au das Krris^nis im Palasthof herantreten, das v<>r dem Tribunal des I 'ursten an der Srhnialseite dieses Gebäudes j^cscliieht, hinter dem sich, erst jenseits der langen Gartenmauer, die lurslliche Wonung in mehreren Stockwerken fortsetzt. Am andern Ende da- gegen erblicken wir ebenso die Schmalseite einer Kirche, nach dem Innern des Bildes gokcrt, und einen Teil der anstofsenden Lang- sriio vorn, parallel zur (irundlinie vcrlauffiid, mit dem Tron für Petrus unter cintMU Pultilarh. Die 1'anhi.il des .Schauplatzes, dessen Augenpunkt in die Kopfreihe der stehenden Figuren füllt, ist ge- wart, wie die Einheit und Selbständigkeit der Kapellenwand in dem wirklich vorhandenen Räume sich behauptet, mag auch das menschliche Subjekt darinnen sidi selbst bewegen oder seine Augen hierhin und dorthin wandern lassen nach Pelieben. Der end^iltig-e Standpunkt im Innern der Kapelle ist aber in der NTihe des Altars; das wird auch hier fülbar, wie im obern Streifen. Wie dort Petrus und der 2U>lIner am Tor von Kapernaum fest und körperlich nah hervortreten« so hier die Vererung des Petrus als Bischof von Antiochien ganz von vorn gesehen, in pyramidalem Aufbau, wie ein feierliches Altarbild in ruhiger Beharrung und bleibender Be- deutung. Gegen den Eingang zu aber erweitert sich die .Scene und gewinnt vor dem Fürstentribunal, das in schräger Verkürzung, also viel bedingter als die Catliedra gezeigt wird, die Geräumigkeit eines Hofes als Stätte des Gerichts.

Als reife Frucht der strengen Koncentration im Drei&ltigkeits* bilde von S. M X'>vella und der wiedergewonnenen malerischen Freiheit nach der Sagra del Carmine erscheint die Verherrlichung des Apostels; denn sie vereinigt den architektonischen Aufbau der symbolischen Ceremonie von bleibender Bedeutung und den weichen, doch kraftvollen Vortrag in vollen Farben und wirksamer Beleuch- tung, den die Almosenspende und Schattenheilung wie die Stifter- porirats in S, M. Xovella schon erreicht hatten, mit einer Breite und Kl.irheit des X'ortrages, wie sie seit dt'm früheren Stadium in der Geschichte des /insgroschens noch niclit wieder geglückt war. Die Vorzüge der Komposition in radialer Anordnung der Vercrer um den tronenden Apostel, der durch seine eigne Haltimg die An- dacht Aller auf das Zid droben am Tron des Höchsten richtet, sind an ihrer Stelle hervorgehoben Grade hier haben die nachfolgenden Künstler für die Auffassung sub specieaetemi, von Piero della Fran-

>) Buch II S. 4b. Abbildung II, 7.

EkWU KI:N(i UKS l UKMKNsMNJiS

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cosca bis Kafad zumal, ausserordentlich viel gelernt. Wer aber heute von später eutstandonen Schäden im Zustande des Cianzen

abzusehen weils. der wird in diesem Wandj^'im.ilde eine Vollkonimcn- heit der Uirbigeti li< l>aiulluiiv, i'itu- harm< »nist he Aus^c^flit lieiihcit der Mfxlclllcrung des I k isches und der Stoffmassen, einen Reiz der llelldunkcl*Kontraste zurOckfindcn. an die wir erst Rafaels Messe von Bolsena oder Andrea dol Sartos Madonna dcl Sacco anreihen möchten. Die Scene und dir Strllr waren ja auch die wichtigsten mit im ganzen Kapellcnsi huui< k utul b itten nur in der Krcuzij^-un;«' des Ap('St<'ls U' K'''iüber <'in ebenbiirliires Seiteiisluck erhalten kennen. S<) begreilt sich, dals der Meisler alle Kraft zusammcnnam, den Schutzpatron des Heiligtums im Kreise lauter zeitgenössischer Ver- erer, der Stifterfamilic Brancacci und der Geistlichen des Carmine zu veriierrlichen, wie er es irgend vermochte.

Die andre Scene vorn am EinKatii»- hat da^^-egen nur vorbe- reiti-nde lledeutuiig und einen mehr transitorischen Charakter, fast wie die Predella zum .Mtarstück. Es ist, neben dem Andachtsbild um Ende, ein echtes Historienbild, das sogar ein dramatisches Proces- siercn zweier Mächte vorfQrt Der geordnete Ablauf des Gerichtes, an den die Schranken des PiEdaathofes vor dem Tribunal des Forsten sonst gewollt siml, wird hier durch ein Wunder '4- si..rt. und durch die Vi-bermaelit l ines ( «eifcnpols vollends um^vilrelit. Sonst nämlich ist an «lieser Statte der Fürst, mit seinen Katen zur Seite, der selbst- verständliche Höhepunkt, und die Mitlelaxe durch den Hofraum vor Ihm hin auch die Richtungsaxe für die Macht seines Willens. Nun aber wird Petrus, mit dem «ich Paulus knieend im Gebet vereinigt, als Träger einer hohem Kraft, auf einmal zum Herrn der Situation und der tronende Herrscher auf ein untätiufcs l'eber-sich-iT;,'-ehon- huisen eintjeschrankt. Eben diese -gespannte Sachlaj»^e ist meisterlich durch die Mittel der Kaumkunst veranschaulicht. Durch den mi- mischen Ausdruck der Gestalten in ihrer v<»n Richter abgdccrten Grupfuerung steigert sich dann diese Krisis zu einer so peinlich scharfen Spitze, dafs wir in ihr das schon Geschehene noch als Ge- schehendes zu erleben glauben. Schon erhebt sich der lebentlig ge- wordene (von Filippino Lippi gemalte) Knabe neben dem Häuflein Knochen, das man dem Apostel gebracht, damit er nach vierzeii Jaren den loten wieder erwecke. Aber der Fürst ist so sehr, von der UnmOglidikeit seines Ansinnens durchdrungen, dass er allein nicht gewar wird, was Petrus durch sein persönliches Auftreten vom Allmächtigen droben erwirkt

An dieser Stelle tritt wieder die centrale Kompusitionsweise in ihr Recht. Um die (iebcinc des Knaben auf dem Linnentuch

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66 Cappella Bkancacci

I ^ baut sich koncentrisch die Gruppe des Gegenpols auf : Petrus st^nd

' und Paulus knieond im innrrsten Kreise; die Richter am Tribunal

I und VDllcnds lln-opliilus selber pcraton in die äusserste Peripherie.

Es ist t iue überirdische dewalt, der unsichtbare üott, den die:>e Apostel verkünden, die L'rsiiche des unerwarteten Umschwungs, dessen sicht- barer Verlauf den tronenden Herrscher in diesem Augenblick matt setzt.

So giebt der echte KQnstler die poetische Fabel seiner Dar- stellungen, mit und unter der räumlich-körperlichen Anschauung selbst. Im monumentalen Sc haffen der Wandmah rci kommt es grade darauf an, dals er die (Teheiinnissi- der Architektur, kraft deren j sie als ruunilich-kurperHche Kunst die kosmischen Gesetze der lirden-

welt handhabt, in innigstem Einverständnis selber besitzt und ihre unfelbare, wenn audi häufig nicht zum klaren Bewulstsein dringende

Wirkung weiter füre in der gemalten Welt, die für das Auge allein be- stehen map-, aber im Verein mit dem wirklichen Raum docli unversehens

: Macht y^ewiniU über den ganzen Menschen darin und sein leii)liaftitces

Kürpergefül, das die nämlichen (iesetze als die eigenen anerkennt.

Den dargestellten KOrpem zuliebe umzieht der Mdster diese lebendig bewegte Gruppe und ihre eng gedrängte Corona von Zu- schauern mit dem Nischenaufbau des Tribunals und dem marmornen

farbig getäfelten Gewände des Gerichtshofes so nah, dafs es der

ganzen siegreichen Kraft seiner plustisch modellierenden Malerei und seiner Licht und Luft zwischen die KOrper hinleitenden Ver- wertung der wirklichen Lichtzufiir bedarf um in dem schmalen Bflnenstrdfen nodi Raum filr Alle zu ertäuscfaen. Eben dedudb ftinvit er mit diesen gemalten Wänden, wie an der Palastfront jen-

' seits, tlas rechtsher einfallende l airesHcht auf inul läfst es im kräftigen

Reflex, wie wenn die Sonne im Westen steht, /urückstralen über die erregten, gespannten Gesichter all dieser voUkraftigcn Individuen, deren mannidiü&di in kflner Verkürzung entwickelten Köpfe durch ihre starre unerbittliche Nahe dem Auge des Betrachters selbst eine unablässige Ansj! iiinung zumuten. Unzweifelhaft ist es grade diese Wirkung, das plastische Problem, das der Maler absichtlich bis zum Aeufserften verfolgt. Bis zu welchem Grade der ITeberlegenheit er hierin, sogar einer folgenden Generation voran, durchgedrungen war, das lert uns am nnroittdbanten mn "Bßck. auf die benadibarten I Kopfe des Filippino Lippi, die flach, liditarm und trflbe o-schmnen,

^ neben seinen \ ollrunden, zuweilen etwas vierkantig kubischen Ge-

bilden, deren jedes seinen Platz behauptet und mit blutwarmem Leben wie mit fester Masse füllt ').

') Unsere DeUiUbbildung <ics Theophiliu mit seinen Bci.silxern lisst in der obcrn Reibe besonden deutlich die Nähte der Freskourbeit um den mittlem Kopf erkennen.

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I-tl/l E.S W'ANlM.KMAl.lJt

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Dagegen soll nicht verachwicgen werden, dafs eben mit dieser plasUsdien Illusion auch eine (u t ir für di«- malerische Wirkung des (icsanitbildrs erwuchs. Dio k'iiU'iischaftlichc, fast uuors/Utüch grado tlamals si< h stpii;«Tiulp I.tist am si hroffston Individutilisnuis, das unmittelbare llereinnemcn der ganzen J'ersonen aus dem eigenen Kreise zu Florenz mit seinem Reichtum rflcksichtsloser Charaktere, die unduldsam um sich griffen und nicht selten das allgemeine Wol gefiürdeten, geschweige denn unter sich auf Ijcbea und Tod in I'eilc lairen, das Eindringen dieses vollen Stromes der Wirklichkeit vermochte auch die bestetj Erruntfenschatten der soeben vollendeten Arbeit wieder in Erage zu stellen. .Solch ein Drang ist es unver- kennbar, der im unvollendeten StQck noch keinen Ausgleich ge- funden hat, doch dOrfen wir eben des unfertigen Bestandes wegen nicht mit voller ^cherhmt urteilen. Dennoch trägt dies Fragment den Stempd relativer Bedeutun|^^ kennzeichnet sich als den Anfiing eines Xenen, das die I-rai:'', ja den Zwcitel hervorruft, was aus dem weitern \'erfi>life dieses We;^' s sit h für Masaccio selbst ergeben hätte.

Ein Blick auf »Petrus in Cathedra« l'ifst über die malerischen Vorzüge dieses zuerst vollendeten Teiles keinen Zweifel; aber ein Blick auf die lange Reihe fortschreitender Leistungen, die der sechsundzwanrigjarige Meister damals bereits aufisuweisen hatte, berechtigt auch zu der Ueberzfeugung, dass diese willensftarke, ziol- bewufstc Künstlernatur auch die gröfsten Sclnvierigkeiten überwältigt hätte, one die idealen Auf^ ihen. die er stets hoch irch ilteii. /u ver- gessen oder nur zu kurz kommen zu hissen. In .so knapi>er Frist, wie sie für die Entstehung dieser Hauptwerke fest steht, konnten ja unmöglich alle Seiten der Kunst des Malers gleichmäi^g aus- gebildet werden und gleichen Sduittes mit einander fortschreiten.

Die rückhaltlose Hingebung an das Individuelle hat zunädist

natürlich das Zurücktreten und Verschwinden aller typi.schen Wieder- holung zur Folg-e. Wenn sehi'n vorher bei so auffallendem lieisiiiel. wie seinem Haupthelden I'etnis und dessen nächstem defärtet» eine Wandelbarkeit der persönlichen Erscheinung betibaclitet wurde, bei der von einem festen Idealtypus für die Apostel nicht mehr geredet werden kann, so ist das nun erst recht der Fall. Sowie das plastische Problem als solches die Oberhand gewinnt, bemerken wir als Grund- läge des Verfarens für die Wiedergabe der Köpfe die Errungen- schaften seiner r<")mischen .Studien nach antiker Skulptur, die Betotmng der plastisch wirksamen 1-ormen und des festen Schädelbaucs, die

dessen ucht^raiK l-ürbung mit denen Filippinos fibereinstimmt. Am Runen dc* Wud» geOM» wt beim Hinterkopf des NKfabm ein Feier stellen gcUieben.

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I-LT/.I LS BkL'CHSI l l K

entscheidende Rolle des Kinnes nicht nur sondern auch der gc-

schwellten oder etwas geuffnettcn Lippen. Wo es gilt, eine Reihe von Ausdruckssladien Jieb<'n einander m i^ebcn. da verwertet er \\u\ iini^MSt heut das nämliche l'rbild in vers( liifih'iur ilallunv,'- und wandelt es nur in Alter, llariracht, Bartwuchs und Farbe, so weit um, dafs es wie ein neues Individium erscheint Denn eine gefibrlicho Klippe der modernen Modellmalerei liegt ihm ganz fem, schon wegen der praktischen Bedingungen der Freskoteclinik, geschweige derui b<-i seiner durchdachten Kornymsitinn : das K<i])ieren jedes ein/einen Stückes in der l)esondereii Sirllung un<l Heleuchtuny nach einem wirklichen Substrat. Und wieder ist die Kür/.e der Frist, die fOr vorbereitende Studien in Anschlag gebradit werden kann, das unbezweifelhare Zeugnis für die geniale Treffsidierheit. die der Maler wflrend dieser letzten Jare seines Lebens besessen haben mufs.

Aus diesem Eindruck zumeist erklärt sich jenes Urteil der Zeitgenossen: »Masaceio war ein vorzüglicher Nachamer tler Natur, voll plastischer Durchbildung, ein Meister der Koniposition, ~ universell und rein one Zierwerk; denn er ergab sich ganz der Darstelhtng des Waren und der plastischen Ersdieinung der Ge- stalten. Er beherrschte die Perspektive wie irgend Einer seiner Zeit und besafs eitie grolse Lcichtiv;keil des Schaffens, da er doch noch sehr jung war, indem er mit sechsund/wanzig Jaren starb.

Mitten in der ^Vustürung des letzten erhultencn Wandgemäldes mub ihn eine besondere Veranlassung zum Aufbruch nach Rom verlockt haben. Vielleidit war es der Auftrag, im Dienste des Papstes die Fresken in S. Giovanni in Laterano weiter zu füren, über denen (ientilc da Fabriano soeben weggestorben war. Moglieh, dafs auch die Beschäftigung mit den Kntwürten lür den gegenüber- liegenden Wandstreifen mit dem .iVbschluls der Petruslegende, Verhör und Kreuzigung, die ja in Rom spielten, die Lust gesteigert, noch einmal an den Stätten zu verweilen, die er schildern wollte, oder die Darstellungen im Vorhof der alten Pi tersbasilika zu befragen, nachdem er seinen ersten Entwurf für das Martyrium auf der Predella des Altars in Pisa verausgabt hatte, (ienug, .Masaceio ist nach Rom gegangen und dort vom unerwartet frühen Tod ereilt. »Abbiamo fatto una grau perdita!« seu&te BnineUcsco als ihn die Nachricht traf, und wiederholte vor allen Florentinern, die er sah, in tiefem Schmerze nur das eine Wort: wir haben viel mit ihm verloren!

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FORTSCHRITTE DER WANDMALEREI IN TOSKANA VON GIOTTO BIS MASACCIO

itic (ic'schirlitf tief italiri\is( lu ti Malrn-i im I ri rt iiio j^t liort noch zu den ungt'i.chricbrncn Iluchcrn. Obwtil dii; LitttTalur über diesen Gcgtiistand schon reichlich angewachsen und Manches unter solchem Titel gedruckt worden ist, dafs die Erwartung das Ziel er- reicht zu schon berechtig»! schien, so botUirIrn wir doch einer durch- greifenden, im hfutii^rn Sinn dtr Wüscnschatl bcfriedigt-ndi-n J.ei- stunvf norh ininu r. Die alt»' Autla.vsung von einer ( liotto-Schulr, die tliis gan/f Jarliundert hitidurch bis an den Anfang der Renais- sance gedauert haben soll, luilt sich ungcbürlich lange im Vorder- grund. DUo systematische Darstellung dieser Kunst in Jakob Burck- bardts Cicerone, an sich so dankenswert wie nur möglich, behindert das Aufkommen der Fra^«' nach der genetischt-n Frklärung und befestigt die Vorstellung, als liatte »'in Still.staiul iliir« h Mens» hon- altc?r hin slattg»>fund»'n. iJi«' Ai tuh ruiim ii sriner UearbeiliT, liie sonst den Charakter des herrlichen Bucht s one liedenken durch- brochen haben, beschränken sich hier darauf, die Ergebnisse unserer Forschung in einem Verzeichnis der Werke zusammenzutragen, das mittlerweile /u 1 üfscn des I i xtrs ein Antipodenreich historischer Daten vorftcllt, deren chroncjlogisi he Fi>lge die systematische Zu- Siimmenfassunv,' wit^di-r aufhebt. So wäre es langst an der Zeit, jener Charakteristik der durcligehenden llauptzüge, die tür sich zu vollem Rechte bestehen kann, die mindestens gleichberechtigte Frage nach dem Fortschritt der Malerei wärend des Treccnto gegenOber zu stellen, und, statt nach der Schultradition, nach einer Entwick» lungsgeschichte im eigentlich kunsthistorischen Sinne zu verlangen, die das Neue hervorhebt, wo es sich regen mag.

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KKlilSUiE EkWÄGUNÜEN

Dem Begriff einer Giottoschule mit fest überlieferter Kunst- lere wirkt ju sehr bald die Ausbreitung über Morenz hinaus ent- ließen lind fürt zur Anname verschiedener Filialen von provinziell sehr abweichender liesorulrrhcit. Sehon die Nachbarinnen in Tos- kana haben ausserdem eine selbständige, von Giottu unabhängige Herkunft aufmwdsen, die von der Ucbertragung der Giotto-Kuns^ wenn diese Oberhaupt stattgefunden, jedenfalls untersdiieden werden muss. Die Schule von Sicna i^t langst, die von Pisa vielleiclit auch nouordinj^'s. als besonderer Charakter von cij^oner Bedeutung" aner- kannt ; \"( nrdig- und Mailand mit P.idua und Verona da/wisrhen. die Marken und L inbrien, ja selbst Ncaj>el, dürften bei genauer ße- trachtung einen änlichen Anspruch erheben. Schon damit wird die lokalpatriotasche Tendenz Vasaris, daas alles Heil aus der Amostadt stammen mufs, vor der historischen Erkenntnis in die BrOdie gehen. Und es wäre überhaupt kein Wort darül)er zu verHeren, wenn die Anschauungen, zu denen die (Juattrocento-l'orschung gefürt hat, nach dieser Seite wenigstens konsequent auf die ßcliandlung des Trecento angewandt wOrden. Dann wäre die Durcheinanderwflrfelung von KOnstlem aus ganz verschiedener Gegend, wie sie bei Crowe und Cavalcasellc noch lässig genug vorkommt, bis auf besondere Ausnamon unstattliaft und drängte überall zur Klärung nach geo- graphischen und damit kulturgeschichtlichen Gesichtspunkten. In- dess, damit erwuchst \vi«'der eine andre Gefar, dass nämlich der Ziuammenhang der durchgehenden Entwicklung, der im Mittdalter unstreitig größer ist, verloren gehe, und dass andrerseits durch Zu- rückfürung auf allgemeine geschichtliche Faktoren die Betrachtung der eigentlich künstlerischen Dinge, d. h. die Gcsrhirlite der Kunst als solche verzettelt werde. Bei einer katalog- artigen Aufreihung von Werken mit einigen Lebensdaten dazwischen wie bei Crowe- Cavalcaselle kann das Hauptanliegen des Kunsthistorikers nicht zu seinem Rechte kommen, zumal wenn in der Aufieinanderfolge der Künstler und Schulen die EKsposition des Ganzen verfeit wird wie hier. Wo z. R. Spinello Aretino nach Masolino und Masaccio folgt, statt ihnen voranzugehen, wie es auch Lorenzo Monaco sollte; wo zwischen der echt tlorentiiiischen und den fremden, in Florenz sich später durchkreuzenden Strömungen nicht unterschieden wird, da dürfte auch eine Geschichte der kOnstlerischen Probl«ne nicht gedeihen.

Solche Unzulänglicheiten in dem grundlegenden Hauptwerk,

die bei der Fülle des Materiales, das erst zusammengetragen und kritisch gesichlet werdet! mufsie, nur allzu erklärbar sind, und solche Halbheiten der Organisation des Stoffes, die erst bei öfterem An-

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Kritische EKWAüuxtiEN

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lauf ziuaninenfasaender Darstellung klar zu werden pflegen, ver- sdiwinden allmählich voo selbst vor dem < nerv;isch waclisendcn historisf lii'ii lU'Wulstsi'iii in unscror wissonschaftlichen Schulung, (irf.irli« her jedoch ist (he unkritische l 'ehertra^^uin^ von liej^riffen der (Juattrocento-l'Drschung auf die vorangehende l'i riode und die Auffassung dos Trecento lediglich als Vorbereitung der Renaissance, womöglich gar als Protorenalasance, wie sie sich aus solcher Unklarheit gefOlsfdiwelgeriscber Schriftsteller ergiebt Der Versuch, die Kunst seit Giotto nur als wesensjrlciche Vorstufe d(^r Kenaifsance darzu- stcUen, veruntreut den Korn der künstlerischen Dinpe uiitl damit die intimste Urkunde des Unterschiedes mittelalterli< hen (ieistes- lebcus von dem der Folgezeit, die niclu angetastet werden sollte. Man verwechselt dabei den starken Natursinn der Quattrocentisten mit der allmählich sich versditebenden Neigung dazu, die sich im Verlauf des vierzenten Jarhunderts beobachten lalst, und verwechselt dies sogenannte Natnrvjefiil der Trecentiston wieder mit einer schein- bar iinlichen Anwandlung des Pneten S. Kranciscus von Afsisi. Ja noch mehr, es ist eigentlich darauf abgesehen, von den poetischen Bezidiongen, die der hdlige Franz in seinen lyrischen Ergüssen zwisdien nch und seiner Naturumgebung kraft der Phantasie an- spinnt, eine Hrücke zu schlagen /u der vollen Natumachamung der Renaissancekünstler, die auf wirklichkeitsgetreue Wiedergabe der sinnlichi-n F.rschoinung erpicht waren. Das ist denn doch nichts Anderes als eine sehr vers( hwimmende Analogie, eine in allen Farben schillernde Regenbogenbrücke, auf die sich kein fester Bund begründen labt. Ueber solchem romantischen Zauber, der vidleicht unbewufst. über desto verfürerischer einer wdtem GesdiichtsfiUflchung in die Hände arbeitet, wird j 'lenfalls eine wertvolle Erkenntnis preisgegeben, dafs wir in den lagen (iiottos wie in denen des I' ranciscus das volle Mittelalter vor uns haben, und damit wirtl auch die Grundlage für unsere Erklärung verscher/t, wenn es nachher gilt, das Einsetzen einer neuen Entwicklungsreihe zu verstehen und die Keime dner anders gearteten Sinnesweise au&udecken, ^e es die Renaissance, als Wiedergeburt des natürlichen Menschen in alle si ine Rechte, denn doch war und bleiben mufs. Damit wird cniilich aut Ii eine klare Auseinantiersetzung /.wischen dem I-'rbteil des Mittelalters und dem neuen, dem klassischen Altertum walvurwandten, üeist unmog- licli gemacht, die wir beide grade auch das Mittelalter!') als notwendige Faktoren des Quattrocento betrachten.

>) Vgl. Scbnwnow, BtnA ud Rolroko (Beftfice twr A«stbetik der bUdendea Ktailt II) Ldprig 1897, S. 37 C

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RoMANisciiEK Stil

Doch genug der Vorbemerkungen allgemeiner Art für eine

„Gcschu htc des Trecento**, die hier bei frelegenheit einzelner Ma- saccio-Stuilien zu geben docli weder Raum noch recht der Ort wäre, iiei dem heutii,'eu Staiul der Forsehuni,' können nur cinii^e Winke hingeworfen werden, die auf Grund personlicher Erfarungen von Belang scheinen und vor allen Dingen auf die Entwidclungs- geschlchte der kOnstlorischcn Probleme im Sinne eines tatsädillchen Fortschritts der Wandmalerei abzielen, der neben der Wiederholung des Alten und dem Zusammenhang mittelalterlicher Schultradition einher gieng.

Ich glaube sogar, die Geschichte sowol wie die Systematik

dieser mittelalterlichen Kunst auf italienischem lUnlen würden ge- winnen, wenn man sich entschlösse, die i^ew.illiyen Wandmalereien romanischeti Stiles, mit denen die Ausichmückung der Oberkirchc in ^Vssisi einsetzt, die schwarz gewordenen Scenen des Murienlebens im Chor, die beiden grofsen Kretizigungen im Querhaus, nidit auf die Rechnung von Florenz zu setzen, sondern von Pisa, wenn nidit gar von Siena. I'iir Ti^a spricht nidit allein der Überlieferte Name (iiunta Fisano, der al'^ lU /cit hnung einer Person viel weniger Wert hat, denn als Hinweis auf eine Schule, auf die Heimatftatte dieser Kunst. Für diese Pisaner Kunstgenossenschait, die (iiunia Pisana, spricht ja sdion Manches in der sonstigen Entwicklung, wo die machtige Ilandelstadt mit ihren Beziehungen zum Orient und zu Byzanz als Sammelstatte griechischer Reste, m i t s von Denkmalern sei es von Kunstülnmg erscheint. Die nämliche Bedeutung für tlie (icschiclite der Bildncni. wie für die Geschichte der Architektur, fallt dabei doch sehr ins Gewicht, je niehr uns die Beweisitücke für die Geschichte der Malerei verloren sind. Kommt es aber auf diese an, so würden wir mit zwingender Folgerichtigkeit auf Siena ge- wiesen; denn hier allein ist die Denkmalerreihe v(»-handen, die solche Leistungen voraussetzen lafst ; nur widers(»achc auch das nicht dem Anrecht der Nachb.irin Pisa.

Die Sienesen haben ein grolses Erbteil aus der Vergangen- heit ihrer eigenen Kunst vor den Florentinern voraus Die romani- sche Periode bewart das KajMtal der byzantinischen Tradition, nicht allein in tler ikoixjgraphischen Anordnung der Scenen, wo man es gewönlich sucht, sondern auch in der ( iebärdcnspra« he, in dein gruls/ügigen Gehaben der lang gestreckten (iliedmafsen und der mächtigen Köpfe auf beweglichem Leibe, dessen Verwertung zu

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einem einheitlich (hirchpchcnden Motiv wieder auf di r pl isttschen Schulunj^ der Antiko beruht und in liy/anz offenbar durch fort- gesetztes Studium <1« r lUmonpraxis unterstul/t ward.

Unter den äliesien lafelbildern U\ Sioiia sind dann neigen den Zeugen byzantinischer Ueberlicferung' auf italienischem Boclen hi lateinischer Uebersetzung noch einige ganz anders geartete Altar- stocke vochanden, die man als Zeugen einer lon^^obardisch ge- sonnenen, mit Stammcsbr/iehungon mitten in Toskana zu den Hauptsitzen in der Lombard«'] /us.innnenli.trii^cndcn Kunstj)H( j,f<' be- trachten muis. Vcrwantltt's hndet sich auch in Lucra, s<» d.ifs die Analogie zu der Bildncrschulc der Comasken sich aufdr<ingt. Diu Darstellungen des Gekreuzigten im langen Rock als Longobarden- kOnig, wie der Volto Santo» bestätigen die Verwandtschaft mit ger- manischen Ansrhauuntjen der einstigen Arianen

Durch si'l(li«- \'i iri^'^cschichto orschfint ein Malir wie Cimabue in Florenz, das damals f^cgi n dieses l.eben rin)4>uin isoliert, selbst gegen Arezzo zu wie abgeschlossen bleibt, vollends vereinzelt, und die Konstruktion einer grofscn Schule um seine Person würde zu- gleich das erste Hinaustreten der Florentiner auf den Schauplatz des kfinstierischen Schaffens bedeuten.

£rst Giotto ist jedenfalls, daran darf fest gehalten werden, der erste grofse MaK r des gotischen Kunststilrs in Italien, wie Giovanni Pisano, r liildnor auch das bczei(-hnentler W(>isc, der Son des letzten N'erireters sp.itrc nianischer Plastik. Niccr»].'» Pisano, nach deren Heimat auch Andrea, tler tmwanderer aus Pontedera, der diese Kunst nach Florenz getragen, sich als »Pisano« bezeichnet*). Wie dieser, ist Giotto ein ausgemachter Gotiker; d. h. er vertritt in seinem Wollen und Kennen zunächst durchaus die mittelalterliche Weltanschauung, die den Kinzelmenschen nur als dienendes (iiied des grofsen Gottesreiches anerkennt und seine äussere Erscheinung lediglich als üefafs seiner Seele, als Iriiger des Ausdrucks einer geistigen Innenwelt bewertet. Man irrt deshalb, wenn man vor- zeitig den Ma&stab der Nachamung des Wirklichen an seine Kunst anlegt und von ihr fordert, was sie gar nicht will: die nnnlich sichtbare Natur wiederzugeben um ihrer selbst wegen, etwa gar nach den Ansprüchen an Rcalitätsgcfül weit späterer Generationen.

' Vi;! nicinr Aufsrit/c in ilrr Fr-,t^chTirt zu Eliren des kunstliislorisehen InalitntS zu Florem, Leipzig, A. ü. Licbcskintl 1897 o. S. Martin v. Lucca, BicsUa 1889.

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GlOTTO

Nur was Vehikel seelischen Ausdrucks ist oder werden kann, ist auch das Mittel, nach dem seine Darstolluniif vrreift ; denn er arbeitet in erster Linie immer für die jxk tische Phant<isic\ Nicht das plastische Interesse an dem Körper, vor allen Dingen der Menschen- gestalt als solcher, ist ihm die Hauptsache, sondern das mimische Interesse an der Körperbewegung als Warzeichen des Innen- lebens, an dem Mienenspiel des Gesichts und dem Gebaren der Glieder. Ja, die Gestaltung^ wird überhaupt nur bis zu einem gewissen (rrade ausgebildet, soweit die ( tch.irdo das Knochengerüst und die Körper- massc, d. h. fast immer die Gewandmasse, in Bew^egung setzt. Wo der diarakteristische Zug seelisdier Bedeutsamkeit aufhört, da ftllt der Grundstock der Gliederpuppe oder ihres Zeugbdiangs ganz andern Gresetzen anheim, nämlich dem Hausgesetz der Architektur und der von ihr entwickelten Regeln der Symmetrie, derrroportionalität und besonders des Rhythmus. Da wir Giotto einen Gotiker genannt hal)en, würde die Architektur, die er vorausletzt und der er sozu- s^igen in die HAnde arbeitet, zunächst die Gotik sein mttlsen. Und das ist ä» tatsachlich; nur mOasen wir die Unterschiede zwischen der französischen Gotik und der italienischen nicht vergessen. Da liegt die Hrklariiüi: für einen wichtigen Bestandteil seiner Besonderheit, nämlich das Krgebnis einer allmählichen Auseinandersetzung mit den tcktonischen Bedingungen, unter denen er, eben in Italien sdiafft In Assisi sind es trotz RippengewOlben und Spitzbogen verhältnismäCng grofse, breite Wandflflchen, mit denen er sich abzu- finden hat. In der Arena zu Padua hat er sogar einen salartigen Bau fast v(")llig romanischen Charakters mit glatten, hier geschlossenen, dort nur von Fenstern unterbrochenen Mauern und Tonnenvvölbung darüber ganz allein zu gliedern. In Florenz sind es die hohen schmalen Nebenkapellen des Chorea von S. Croce, deren beide Seitenwände unter dem Spttzbogenfeld eine rediteckige VoUmauer von beträditlicher Hohe darboten, cUe sein Wille «rat in zwei Horizontalstreifen zerlegt. Im Gegensatz zu den gestreckten Proportionen der Bildflächen in der französischen Gotik, die immer von aufsteigenden Diensten oder Fensteröffnungen eingeengt werden, ja die Glasflächen dieser Fenster mit der Stabwerkteilung darin für die figürliche Darstellung zu HOlfe zu nemen gewont sind» verfügt die Baukunst Italiens, in deren Räumen Giotto gemalt hat, stets über ansehnliche Breiten. Und grade dieses, mit der gotischen Figurengestaltung und Komposition so schwer vereinbare Uebermafs der Breitendimonsion galt es zu bcwähigcn mit seinem Mafsltab, der nicht mehr der schlanke willkürlich verlängerte, sondern der kürzere, eher schon gedrungene und unter- setzte ist, wie bei Giovanni und Andrea FSsano audi. Was gesdiieht?

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GlOTTO

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In Assisi werden die Wandstreifen jedes GewOlbjoches horizontal in je drei schmale Felder j^rtrilt In der Arona kommt die Tireito durch tlie Mdir/al dfT Hildcrrcihcn iu)ffT< inandcr last noch starker zum Bewulsisein ; d.i muls die Ausgleithung mit den Figuren Uuriii effolgen, und sie ist anerkanntermafsen geschdien. Aber diese Ver- breiterung seiner Gewandfiguren, wo sie irgend angeht, ist nicht etwa der Ausflufs malerischen Sinnes, sondern eine Forderung der auszufiillen«len Fläche im Sinne <1<t einheitlichen Monument ilkunst unter der Hovfemonie der Architektur. So eben erklart sich der auffallende Umfang einer mehr tcktonisch oder planimctrisch umgränzten als organisch belebten Fläche, die seine Figuren uns darbieten. Die höchste Leistung freilich war fttr den gotischen Stil die Durchdringung der ganzen Gestalt mit einer einzigen Gebärde; aber sie findet sich unter diesen Umständen nicht leicht, und bei Giotto noch seltener als bei den fiiUlnern. wie (iiovaniii Pisano und besonders Andrea da Pontedera, der dafür sehr glücklich begabt war. So steht bei Giotto neben dem mimischen F'aktor. der als Aus- drude des Innenlebens auf die poetische Phantasie und die Be- wegungsvorstellungen des Betrachters unmittelbar, als menschlich verständlich sozusagen mit zwingender Suggestion einwirkt, ein mindestens ebenso starker tek tonischer Faktor, der all jene Wirkungen der Symmetrie und Proportionalität ins I-'old fürt, über die der gotische Baumeister verfügt, vor allen Dingen aber durch die Rhythmik des Ablaufs in Linienzug und Massenverteilung wieder beim Schauen und Vorfiberwandehi des Betrachters die motorischen Reize auslöst, die sich jener Dynamik dos mimisdn n Elements gesellen. Hier liegt gerade/u die innere F.inheil l)eider Faktoren l)eschlossen, durch die sich liic künstlerische ( lemcinschaft der Architektur und Malerei erst ermöglicht: die rhythmisierte Mi- mik oder d«r miraische Rhythmus') sind die Beiträge von beiden Seiten, die ineinandei^reifen zur Erzeugung eines Dritten, auf das es der mittelalterlichen Bildkunst eigentlich ankommt: der poe- tischen Illusion, durch die erst die F.r/ilung der Fiibel zum Er- lebnis des Lesers wird, ich sage absichtlich l.eser; denn die Ana- logie (los Betrachtors mit dem Leser der BUderhandschrifteti ist damals bekanntlich grundlegend für die Oekonomie auch der Wandmalerei.

') Ich nenne mimisdMB Rhythmus den Beitrag der Architektur und ihrer OriM- mentik, in dem das Bewegungsmoment nach Analogie menschlicher Ausdrucksbewegang gegeben, d. h. mimisch bedeutsam geworden ut. Dagegen beieichne ich als „rhythmi- riertt Mimik** den Beitrag des menschendarstcllenden Mal«rs, der die Ansdrackkbe- wci^ingrn ^nnr-r Figuren /ni'i'-i>h aacb den rhytlunisdun Aafofdernngen des Aicbttekten für die bemalte Fläche modiliciert.

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GlOTTO

Erst wonn dioso Analyse seiner Kutistmittol. die sowol seinen nionunirritalon Stil wie seine psychische Energie zu erklären hilft, zur Grundlage der Betrachtung geworden ist, gewinnen auch weitere Beobachtungen Über die Entwicklung des Monumentalstiles von den Erstlingsarbeiten bis zu den letzten Meisterwerken, wie Uber die Abklärung und EinschrAnkung der poetisclien Absicht zu Gunsten der sinnlichen Anschauung, von der ausfürlichen Er/älung in vielen Einzelmomonten zur ruhigeren Versenkung in wenige 1 laupthilder, ihren richtigen Sinn. In der Franciscuslegende zu Ai'sisi wird der Uebergang von der dekorativen FlächenfQUung zu monumentaler, d. h. den Raum des Bildes wenn auch nur als Vordergrund selber konstituierender, Komposition noch deutlich bemerkbar. In der Arena zu Padua ist auf die ahe kunsthandwerkliche Rücksicht, die ganze Flache von unten bis oben /u beleben, kaum irgendwo mehr Bedacht genommen, wo der Gegenstand es nicht etwa an die Hand gab, scmdom dw blaue Grund des Himmels hilft durch seinen grO&eren oder kleineren Um&ng mit zur Raum - Illusion, wenn diese audi, fUr die Schwingen der Phantasie, nicht för die Ffifse des Betrachters, mit ein paar Noten zur Genüge erreicht wird, gradeso wie beim Epiker, dessen Erzälung darauf avisgeht, Bewegtmgsvor- stellungen zu erzeugen, nicht räuniHch-körperliche Konsistenz zu malen. In den Kapellen von S>- Croce zu Florenz beschränkt sich die Erzälung vollends auf sechs Bilder aus der Franciscus» legende oder gar auf je drei Hauptmomente aus dem Leben der beiden Johannes. Damit wird die ganze Oekonomie dieser Erzälung selbstverständlich geändert Hs handelt sich nicht mehr um den vnrüberuandelnden Betrachter, der den Bilderkreis der Arena so- gar nur in mehrmaliger Wiederker, den Reihen von oben nach unten folgend, ablesen kann, sondern um ein viel ruhigeres Schauen hflben und draben, in je drei Zonen Aber einander, deren jede nur ein einziges Bild enthält. Die Rechnung mit der Ortsverändcrimg des Subjektes, die nach Anak)gie der Baukunst, besonders des mittel- alterlichen Kirchenbaues vf)ni gotischen MalfT aufgenommen ward, tritt unter diesen veränderten Bedingungen immer mehr zurück und madit dem Ansdilufs an die beharrenden Faktoren der Raumbil- dung Platz. Die GewOlbebilder mit der Verherrlichung des Fran- ciscus in der Unterkirche von Assisi sind dafür ein lehrreiches Zwischenglied'), mit dem natürlich die Decken der Arena u. s. w. verglichen werden mü&scn. Der erzälende Ton verlangsamt ge-

') Man beachte c. B. wie die beiden Faktoren, der behincnde Aufbau üben und der Zvg einer fbrti^reiteBdeB Bewegung im Vordeigmad, mit eiauder veilmiideii tind.

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Giorro

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wisscrmafst^n, wrnij^stons in den vnrgofürtcn Srenon selbst, indem er auf fVio vielen l'lin/elnn imi-ntr ver/irlitct. die nun hinter die Kou- lissen füllen, aber hinzugedacht werden müssen, l>er Maler muls mit dem ausgcwälten Hauptmoment zugleich das Vor und Nach, Ursache und Wirkung zu geben suchen, also implicite zu erzftlen lernen, und kommt wol gar dazu, statt der Handlung, statt des Ge- sf'hehcns, die ruhi^'e stimniun^'^svolle Situation zu l)ovMrzu^'^en, wie die Reweinun^r des hl. Fr.inz, oder den transiti >rischt i) Moment eines wirksamen Kontrastes in Permanenz zu /eigen, wie beim Ciaslmal des Herodes, sicher zum Nachteil der epischen roesie, die ihm einst diktierte, aber ebenso «eher zum Vorteil der monumentalen Wandmalerei, die eben Giotto durch soldie Krias hindurdi zu dieser n 'he ftirt hat. In der Parallele zwischen dem Täufer und dem !• \ ,tns.;eli.sien j thannes, deren Leben unter einem i^emeinsamen Ciesielitvjiunkt am L;emein.samen (lewiill)e /.us.immengefa.sM werden, langt die historische Kunst (riottos ja schon bei einer höheren Ein- heit, der systema^bcn Disposition an und damit lici der Centrali- sation der cyklischen Reihen unter einer Dominante.

Mit die.srin Uebergang von fortschreitender Bewegung zu ge- sammelter Beharrung vcrfindert sich natürlich die gesamte Ver- wendbarkeit tler I )arstelIungNmittel Was im schnellen vorwarts- tl rangenden lempo summarisch hingeworfen werden konnte, ver- trägt die ruhige Beschaulichkeit des prQfenden Auges nicht; was als derbes Reizmittel f&r die transitorische Auffassung brauchbar war, das beleidigt vielleicht als burlesker Widerspruch den feier- lichen Emst des festgehaltenen Augenbli( ks ( wo kommen z. B. (iiottos Ciassenbuben vor-'); /alreieh*' Momente phvsischer Tätigkeit und extremer (icstikulation verschwinden aus dem Repcrloir, jc- mehr sich der Künstler in die Aufgabe vertieft, Alles was er vor Augen stellt, zu dauernder und oft erneuter Betrachtung, auch unter dem Gericht^imkt bleibender Bedeutung zu fassen. Bei so geringer Zal und solcher Gröfsc der Bilder, deren unterste wenigstens auf die Nähe deutlichsten Sehens heranrücken, eröffnet sich überhaupt erst als neuer Gesichtspunkt: die volle l.eibhaltigkeit lier I)inge. die W'irklichkeiisireue, deren Möglichkeit sich von jetzt ab dem Auge aufnötigt, besonders da, wo die feurige Phantasie des Glau- bigen zu vetsagcn beginnt Bis dahin mufs dieser Mafsftab für das l'rteil als durchaus verfrüht ersch« i; n, und es Wirte tatsächlich noch gute Weile, bis die Möglichkeit als Jt'orderung empfunden ward.

Schm«r»ow, Miuwxio-StiidiMi V. 7

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SiENA Simone Martini

f^s ist aulserordentlich lerreich, mit diesem dang des einen Florentiners den entsprechenden Wandel in Sicna zu vergleichen. Dort mflssen wir jedenfalls Simone Martini als ersten Gotiker anerkennen, haben aber zugleich mit den beiden Lorenzetti min- destens noch Eine andere Variation der gleichen Richtung zu ver- foljrpn. Simone Martinis Bcitrasr fiir die Entwicklung der Wand- malerei in Italien steht ja schon abgeschlossen da vor Giottos To<l. Seine Maeata im Palazzo Pubblico zu Siena hat schon als grofses feierlidies Monumentalwerk von so beträchtlichem Umfang eine ganz eigene Bedeutung. Sie eröffnet die Reihe j«ier die Weltan- schauung eines Mensdienalters zusammenfassenden Darstellungen, die eigentlich keinen weiteren IMlderschmuck im selben Innenraum neben sich dulden : In der C appella degli Spagnuoli zu zweit einander gegenüber ; in der Camera dclla Scgnatura kaum zu dritt, da der Pamass so wesentlich anders wirkt als Dis{mta und Schule von Athen ; in der Cappella Sistina wieder das Eine, das alle übrigen neben sich, selbst die eigenen Michelangelos herunter donnerte, bis es erblindet war. Simones leeres Manertromaldo mit dem vereinzelten I-'ehl- herrn zeiyt dagejjfen nur, wie die .selbe Zeit, die sich bei ihrem höchsten Anliegen am Iroii Marias durch lauter Schutzheilige ver- treten liels, anungsloft emer eigrentlich historischen Aufgabe gegen- Ober stand, den Hdden inmitten seiner Taten vorzuftkren. Dies ist nur ein plastischer Gedanke, wie ein Reiterdenkmal mit Reliefs am Sockel, fxlcr vielleicht sogar richtiger nur eine poetische Vorstellung zu netincn. die Person mit (icschchnissen, Dingen, die auf sie l'»e- zichung haben, ringsum. Als Bildversuch auf die Wand gemalt roufste das Ganze dne Mifsgeburt werden. Aber die zeitgenössische Figur ist doch dabei herausgekommen, wenn auch noch kein rechtes Bildnis, sondern eher eine willenlose Kostümfigur. In dem Haupt» werk, dem l'n -skenschmuck fler Martin.skapelle zu Assisi, wird dann das Neue geleistet, das daraus zusammenschlielsen konnte : Schil- derungen zeitgenössischen Lebens, in das die lieiligenlegende über- tragen wird. Ein Epiker wie Giotto ist ^mone Martini nidit, höch- stens ein NovellisL Was Giotto f&r die Franciscuslegende getan, dafs der Betrachter sie miterleben mufs, war ihm nicht gegeben: kein Fortgang, keine .Steigerung, keine drarnatiR hen Konflikte, son- dern lauter Episoden, aufgereihte Situationsbildcr. Aber im eigent- lich malerischen Sinne war entschieden mehr geleistet : die ursprüng- lich offenbar s^ bedeutenden ferbigen Reize sein«* Malerei Schern ihm einen bevorzugten Platz in der Geschidite seiner Kunst; die Ansfürlidikeit des ZdtkostQms in seiner Rittemovelle vom heiligen

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SiMoNK Martini Pikiku Loken/.ei ti

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Krieger, der ein Bischof ward; die Wiedergabe der selbstbe-

obachtcton Sitten und fJ»hr.iurlie dor oij^enon, von dcni ritter- lichen und ^'^»■istlichfn St.nul f.isl allein bestimmten Welt : die vor- nomo Anmut seiner I- rauengestallen, die gariiiehts zu tun brauehen, als leise, im Wollaut ihres Schrcitens an uns vorüberziehen ; der tief aus dem Innern hervorquellende Ausdruck, der oft nur im Blicke Hegt, at>er die ganze Person durchdringt, one doch irgendwo aktions- filhig hervorzubrechen, das sind Ldstungcn, die der sinnlich sicht- baren Darstellung /u Guti> kommen und die hingelx-nde Wirklich- keitstrcudc in die lit r/« ti der nachfolgend« n Kiinstlrr s.u-ii mulsten. Danebon feit es uiciii an iVnsatzen zu raumliclu;r Kniwicklung des Schauplatzes: sogar schon beachtenswerte Vetsudie zu Durchblicken hl mehrere ineinandergehende Gemflchcr kommen vor; aber grade an solchen l'« ;s]ii<'leii wird man inne, welche Eroberung für die Zu- kunft d<T Malen i lt< \ orsfand. wenn die Entfaltung der Raumtiefe zugleirh ,iurh die Mguren darin ergriff. Aber dif* llauptleistung Simones wird man sluls in den besonders glücklichen Kin/elgest^ilten suchen, die ihm hier und da so Qberraachend gelingen, als nftmen sie die F&higkoit späterer Generationen voraus, und die gelegent- lich audi emmal zu schOner Gruppe sich verbinden : so der Kaiser bei der Soldzalung und der entrückte Bischof Martin, den seine (ieistlichen wecken. Sind diese Fresken von As-sisi doch schon Kenneraugen s«j vorgi-schritten erschienen, dafa man geneigt war, sie bereits dem Quattrocento und mindestens in die Tage eines Gcn- tile da Fabriano oder Vittore Pisanello zu setzen. Welchen Rang dQrfen sie dann in der chronologischen Reihe der Denkmäler bean- spruchen, wenn sie an so frQher Stelle in die Geschichte eingeordnet werden, wohin sie trdioren!

Diese Kindriirki- liorhi ntuickeltiT Kunst sind es auch gewesen, die neben Müchtigkeit um! Unreife vorkommend, bei dem l'.issions- cyklus im yuerhaus der Unterkirche lange veiiiindert haben, an einen so frühen Meister wie Ptetro Lorenzetti zu glauben. Und doch gehören diese Malereien mitsamt der grolsen Kr< uzi'.^ung, mit dem altertümlichen Altari)ilil der Madonna zwischen Johannes dem Täufer und Franci.scus am l-enster des Ouerhauses und dem fortgeschrittensten Stück mit drei solchen auf die Wand gemalten Halbfiguren: der Madonna, des hl. Franz und des Evangelisten Jo- hannes, one Zweifel ihm, und zwar in eine frohe Periode seines Schaffens. Er wächst hier soeben erst heraus aus der romanischen Kunst von Siena, und grade die Vorzüge alter, auf bester Ueber- lieferung b(>ruhender Kompositionen oder Einzelmotive sind es. die jenes Urteil veranlassen. Freilich ein gut Teil kommt auf die

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lOO SiENA PlETRO LORENZETTI

Rechnung der eigenen, grade hier sich schnell entwickelnden Genia- lität, die durchaus Neues zu bieten hat. Welch einen Kampf der t'|)is( heil Dichtung, die das Viele will und durch immer neue Motive die torigesetzie Anregung der Phantasie zu erreichen gewont ist, erleben wir sogleich gegen die feste Anordnung der Architektur» die in dem kapellenartigen Raum, unter einem tief herunterreichen- den Kreuzgewölbe, seiner Rorhnimg mit dem entlangfchreitenden Betrachter und damit auch der fortlaufenden KrzSlung in richtiger Folge widerspricht, und vielmehr ein«' .sysl< tnalis( he Ui.sposition for- dert, die das gegebene Thema, die Passionsgeschichte, nicht duldet.

Unbequeme Bildflädien mit einspringenden Ecken oder lang ausgezogenen Winkeln bereiten ihm Schwierigkeiten, selbst für die notwendige Orientierung über die Raumaxen. Aber mit wachsender Sicherheit fült er sich in die Beding^ungen hinein und lernt die Hin- dernisse sogar wirksam in Vorteile seiner Raunidarstellung verwan- deln. Beim Einzug in Jerusalem und der Gefangenname schieben sich Gestaltenmassen und Stadtprospekt oder Landschaft nodi etwas unklar durcheinander; aber der Fortschritt bei der Kreuztragung ist entschieden. Inncnraume haben durch konsequentere Perspektive dazu verhelfen, wie die iiolvgone Loggia mit dem Abendmal, an die sich <]'.'• schmale Küche mit einer (iiMirescene anschliesst, die l ufs- waschung in einem Refektorium, die Geifselung in der Gerichtslaube mit schlanken Säulen, gradero Gebälk und phantastischem Skulp- turenschmuck zwischen den krabbenbesetzten Rundbogen der Vor- derarkaden, — Beispiele, die als gewagte Versuch(% Figuren in und mit dem umgebenden Raum zu fassen, .schon alle Beachtung ver- dienen. Und wie wutlitig tritt sein ErUiser auf die erhöhte Burg- terrasse, die zum llüUeniur lürt, um den Urvater Adam zu befreien, wie feierlidi steigt er Ober den Wächtern aus dem Grabe, in seiner berlculisdien Bildung beidemal noch dem körperlichen Ideal der romanischen Kunst, dem Sinn eines Niccolö Pisano näher als dem gotischen des (iiovanni. Daneben aber das tieflnnerlichc Situations- bild, pathetisch immer und derb, aber gewaltig und ergreifend, wie die Abnanie vom Kreuz und die (.irablcgung, als kleinere Gegen- stficke zu der leidenschaftlich bewegten Kreuzigung, die das ganze Wandfeld Ober dem Altar fiUlt und als solche Einheit die allerauf- merksamstc historische Bewertung verlangt

Wie ungegorener Most sprudelt es in seinen neuen Erfindungen ; die Fülle der Einzelmotive scheint überzuquellen, wo er sich dem ungestümen Drang seines heftigen Femperaments überlassen darf, und die Gebärdensprache würde in Gefar kommen theatralisch zu werden, wäre sie nicht zu eckig und derb. Auch Pietro Lorenzetti

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PlETRO UM) A.MHKtMilO LoRLN/LlH

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kennt das alte sicnc^schc Kafntal, die {proben mit dem ganzen

Korji' r .is^icreiuli'ti (i^•^taltL■n und ihren machtvollen Schwung' Aber er haiullKibt difs Krbltil k;uiin noch im Sinne der pla.sti.sch*'n Rulle und hihren .\Lij> stat wie (iuidii da Siena und Duccio dl Buonin- segna, bonilern im Sinne der mimischen iiewcyuiig und leidenschaft- lichen Erretflichkeit des Innern. Warend aber Simone Martini den harmonischen Flufs der Linien 2u finden weirs, als hätte er in eifingom Studium antiker Hildwerko, besonders Kameen und Malereien gar, das Gefül für klas-sisi he Si honlu it .iusv;ebildet, ist Pietro l.orenzctli für solche Kei/e vi«-! /u haslii,' und i^^ew.dlsam. Di»' haiifii:? wieder- kercndc liesie mit dem plötzlich zu spit/em Wmkel erhobenen Vorderarm und der beinahe zur Faust geschlossenen Hand mit dem weit abstehenden enormen Daumen entbert auch des letzten Restes antiker Grazie : aber sie kennzeichnet die dreinfarende Energie seines Charakters, selbst in dem ernsten Madonnenbild, der letzten Zutat in dieser Kapelle.

Aus gk^ichor Zeit, wie diese I resken in Assisi, stammte aber ein anderer Cyklus des selben Meisters in S*» Margherita ober- halb Cortona, dessen Verlust als widitiges Ileweisftück für unsere geschichtliche Darstellung nur schwer verschmerzt wird. Denn spAt erst begegrnen ausser der fragmentarisch erhaltenen Kreudgung in S. Francesco andre Beispiele seiner Kunst in Siena, neuerdings wie- der aufgedeckt«' Reste eines Kapellensehnuu ks, wie <t sich (iiottos Arbeiten in S"» Croce an die Seite stellen darf Zugleich aber zeigt nch die Bekanntschaft mit diesen letzten Leistungen des Florentiners in dem Gastmal des Iferodes, das hier durch Gegenaberstellung der Auferstehung Johanni s d. s Evangelisten den Zusammenhang mit jenem Cyklus in der I r ni/iskanerkirche zu Florenz auch im ge- gebenr-n Programm beweist. Diese beiden grofsen Wandgemälde in einer der Nebenkapellen des Chores von S. M. de' Servi '), die vom alten Bau stehen geblieben, bezeugen, wie das drcigieblige Tafelbild mit der Wocbenstube der hl. Anna in der Domopera einen ausser- ordentlidi entwickelten Raumsinn und eine Ausbeutung perspek- tivischer Durchblicke, wie sie kein Florentiner damals au&u« weisen hatte.

In d< r selben Kirche der Servilen ist in einer and(»rn dieser Kapellen auch ein I resko von Ambrogio Lorenzctii zum Vor- schein gekommen, dessen Mitwirkung bei spätem Arbeiten des Pietro ja schon litterarisch bezeugt wird *). Es giebt ittr die vielen unterge-

>) Phot. I^ximbardi Nr. 1258 and 1x59.

*) Kiinsthistorischc GewUschaft Ufr phut. Publikationen i8q7.

>) Phot. Lomlwrdi Nr. 2311. £» kommt nalUrlkb uat eine kritische Beweu-

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Ambroüio I.üren/etti

gangenen Leistungen solcher Art wenigstens ein Bdspiel aus der

biblischen Geschichte, die lebendig bewegte Schilderung des Kinder- mords. Vom die zusammenijctriolienc Meng-e der Möttcr mit den unbarmherzigen Kriegsknechten dazwischen, hinten eine Reihe von Berittenen, die keine Flucht gestatten, links auf dem Balkon des Palastes Herodes selbst, mit der Krone auf dem Haupt herunter- adiauend. Das Verhältnis dieser figürlichen Bedandteile zu einander, wie die Front eines sienesischen Hauses als Hinlcrfjrund und ein Ausblick jonsrits des Schwibboirons in der Ecke, verraten freilich, dass vorerst noch die Sicherlicit der Raumanschauuiig versagt, ob- wol ein änliches Wollen wie bei Pictro hervortritt. An diesem Mangel klarer Ardiitektonik und sidierer Beobachtung der Ab- stflnde Idden ja auch die grolaen allegorisch -kulturgesdüchtlichen Darstellungen Ambroi,nos im Palazzo Pubbliro Bei ihnen kommt noch eine Srh\vierii»^kt it hinzu, da die j,'öttHchen Wesen in gröfserm Mafsftab gegeben werden als die lebenden Menschenkinder. Be- denkt man aber, dafs es damals an einer sichern Methode perspek- tivisdier Konstruktion gebrach, so ist die Fülle der Ausblicke und der Einblicke in Gassen und Häuser. In die Berge und die Felder, die hier geboten wird, schon .iu-serordentlich bedeutsam für das Wollen dieses Malers. Aiit Ambrogio hat der Schönheitssinn und (li<' weiche Anmut Simone M.irtinis schon ]*aiitluss gewonnen; wir tindcn ilui auf seiner iian in den tanzenden Mägdlein und den tronenden Frauen, vermuten sogar die nftmlichen Studien nadi der Antike. Vor allen Dingen entwickdt aber Ambrogio einen plastischen Sinn für die Rundung der Kt)riiiT. der ihn von hier aus das Raum- volumen für seine (iestalten erobern lert. Aber auch den persjjektivi- schen Darstellungen der Innenräume und komplicit-rtcrcr Ansichten von Gebäuden hat er sich eifrig ergeben, wie es nach dem Vorgang des Pietro und des Simone gamicbt anders smn kann. Seine Dar- bringung Oiristi im Tempel und die Legenden des hl. Nikolaus auf dem Tafelwerk in Florenz ') bezeugen dies ebenso, wie seine allegori- sche Verherrlichung Marias als Siegerin über die Sünde in Altenburg

Wieder mag ein Paar monumentaler W andbilder gnis.seren Mafsftabes in einer NebenkaiX'Ue des ( hores von S. I Vancesco zu Siena die Reihe beschliessen : die Obedienzleislung S. Ludwigs vor dem Papst im Konsistorium zu Rom und das Martyrium der Ordens-

fürung für deo Ansprudi des Pietro oder Ambrogio an diesen Fresken für unvern Zweck nicht u. Die beiden Lorenxetü bedOrfen dringend einer monot;raphi»chcn Behandlung. ') Akademie, Pbot. Aliiwri tS93— 94>

*^ Kiin>.thistnr Gcscllsch f. pbot. Pabi. 1897. Vgl. Fealsdirift zu Ehren d. Kitbist. Inst. SU Florenz. Leipzig 1897.

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SiENA Fluren/

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brOder vor dem Sultan ge^enflber. Das letztere mit der luftigen I^ggia, die sich in drei Arkaden nach vorn i-ffnc t. dir orstcre mit dem tronrndt'n l' inst ^iU)/ links und den Ix iilrti Sii/reiht-n ilt-r Kar- dinide, dit- voril»Tf vcn d< r Rückseite der Bank, dit- innere mit dem König von Neapel dazwischen von vorn gesehen, quer durch das Büd, mit dem Einblick in ein Sdtenschiff jenseits» wo die wdtlichen Zeugen des Vorgangs im Zeitkostüro versammelt änd. welch' eine (Irofsiirtipkeit und Künheit der Kaumdarstellung in frappanter Realität! und doch welche Ix-wulsle l'nierordnuni^ dieses Faktors unter die ausdrucksvollen I'ersonen, von denen wir im Konsistorium fast nur llalbüguren und Kojile /u sehen bekommen. Hier liegt die reife Fnidit der Bestrebungen vor, die wir wärend des ganzen Trecento nur den beiden Lorenzetti nachzurümen vermögen. Es ist an monumentaler Selbständigkeit des Bildraumes erreicht, was unter den VorausTetzungen der Zeit zu erreichen war.

Wend en wir von hier aus unscrn lUick wieder rückwärts naidb. I'loren/ zu dem l'unkt. wo wir bei ( iiottos letzten S( liOpfuntjen den (lany der dorti^'en Malerei verlassen haben, so wird jt.-ileiitalls das Vorurteil, als seien die Anfange des Monumcntalstilcs in der Arno- stadt allein zu finden, uns nicht mehr beirren. Freilidi ebenso wenig vermögen wir zu glauben, die nädisten Nadifolger Giottos hfttten nicht audi an ihrem Tdl beigetragen zu dem Fortschritt, den der Historiker zu verfolgen sucht. ^Tag sein, dafs das Gefül der Leere zunächst überwiegt, wie es beim Verschwinden einer pors<^nlichcn Kruft, die Alles in ihren Bannkreis zog, sich einzustellen pHcgt. Selbst die getreuesten Nachamer wie Taddeo Gaddi, lassen das Erbe nicht unverflndert, auch wenn sie es kaum einmal in vollem Umfiing anzutreten vermdgen. Ein Hinweis auf Taddeos Sposalizio in Croce genügt, den Wandel darzutun. Wer den Fort.srhritt in ^Torscn Zü^fn nur skizzieren will, der mufs sich allerdings an die wenij^en Auserlesenen halten. Dann gebürt unstreitig dem An- drea Urcagna der Vorrang, dessen einziges erhaltenes Werk grolser Freskomalerei hi der Cappella Strozzi von S. M. Novella sdion das kOne Unterfangen vor Augen stellt, die ganze grofse AVand- fläche nicht mehr zu zerteilen, sondern von oben bis unten mit einer einzigen Darstellutig zu füllen. Das l'rol)lem kam zwar an einer Wand allein zum vollen Austrag, weil gegenüber die Schilderung des

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Andrea (jkcagna

Inferno schon Unterabtetlung^en nach ganz andern als IcQnstlerischen

PrJncipien vorschrieb, die dritte Seite aber durch das l'enstcr /«t- schnitteti wird AIxt ircrado der Anlauf, di-in wcit'Mi Reirli der Soligi-n beizuki »iiinu'ti, ist auss^rortlcntlich bc/firtiix-iKi ausyt'talU'ii. Dem Plastiker, der in dein Relielbclimuck seines Marniurlabcrnakels in Orsanmidiele fast voUrunde Körper in kasten&nliche Ramen setzt, versagt hier im Bilde, wo es darauf ankommt den Raum zu malen, fast V. lUig die dritte Dimension, sowie es giU, sie über das Volumen der Koi'por im \'i>rderi^nind hinruis/ufürcn. Unwillkürlich schiebt sich an Stelle der Tiefi' nun die H«>hc als Ersatz unter, und selbst der Versuch, eine Raurnleerc in der Mitte (vor oder unter dem Tron der Göttlichen) zu erzeugen, mit dessen Hülfe Bewegung in in die Reihen kommen sollte, um das Einherwallen, den Au£itieg oder den Eingang zur Anschauuntr der I lochsten zu geben, er hat nur den Erfolg gehabt, dafs sich die drei Hilder/onon wieder ein- stellen, auch one bcgränzendp Ouerstreilen ilazwischcn. Das Bogeri- feld zuoberst sondert sich um so deutlicher ab, als der I ron für Christus und Maria ganz körperlich gedadit und schwer gemalt ist; dann folgt die Zone mit dem leeren Raum darunter, durch den Kontrast des tektonischen Aufbaues droben schon befremdend, und zuunterst die ganz gefüllte Reginn, die unserm Tastraum am nflchsten. auch am ehesten die plastische Ausgestaltung vertrug, aber im heu- tigen Zustandt! jedenfalls nicht den Anforderungen des Korperge- fills entspricht, sondern den obern gegenüber zu flache Figuren ent- hält Merkwürdig, wie selbst in solchem Wandbilde schon zu Tage tritt, dafs sein l'rheber, obgleich Hildner und Baumeister, doch kein architektonischer Kopf ist wie Ciicitto, sondern immer nur in dem Stückwcrk-Mafsftab der Kleinkunst denkt, auch wo er sich an um- fassende Aufgaben wagen darf. Soviel er auch beigetragen hat, das Gefül für die Rundung und Fülle des Leibes zu starken, das an nch sdion dem Gedeihen der Plastik, auch wenn sie noch langre auf die rechte Zeit zu warten hatte, doch den l n bereiten half: die Bewäl- tigung einer solchen Wandfläche, wie tiii damalige Architektur sie darbot, mit den Mitteln der (iestaltung allein, ist ihm nicht gelungen. Der malerische Gedanke, der allein dazu helfen konnte, die Raum- tiefe in der Mitte, ist als unbezeidmeter Fleck auf der Oberfläche haften geblieben.

Das Unterfangen jedoch wirkt weiter. Um das Zugehörige sogleich hier anzuschliessen : die Cappella degli Spagnuoli drunten bi i der seihen 1 )i)minikancrkirchc zeigt die Fortsetzung des nämlichen l')emühens! Aber wieder ist es nur eine von den beiden V^oUmauern, wo das Problem mit der malerischen Anschauung eines

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CAFI'KLLA Sl*A«.NLOU

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Gresamtbildcs zu lösen versucht ist Die Wand liiiks wird ja durch ein

tfklunisolics (icrüst mehrfach horizontal und vertikal v,'«^toilt, und durch vermalt, s C horgcstül zu oinrni ]»vr;»ini(l,il sich '^ipffltxli'n Auf- bau für ili hi iliv^oii Triumphali )r hoiiulzt, tiirhts als ciiH- X'cr.iti- »chaulichuiig des systcmalisciu'ii Kaslcngeistes der Uominikancr mit IlOlfe des Pinsels. Und merkwOrdig, wo die ganze herrliche Uild- flache so durch Srnmcrmannsarbcit in Fachwerk aufgelöst wird, da bestraft sich diese Sünde wider die Kunst durch einen andern Mifs- griflf an der T)erke. In die Kappen <les Kreuzgewölbes, wohin die systematisch höhern Instanzen v;ehorten, die schon von der Baukunst praedcstinicrt waren, den Inhalt jeder der vier Wände zur centralen Einheit des ganzen Cyklus überzuleiten, da lülst man historische Scenen malen, wie die stOrmische Seefart, wo Christus auf dem Wasser wandelt, die Auferstehung, die Himmeifert und die Aus- gielsung des heiligen Geistes. Was über uns. rin Kopfe gemalt ist, das erleben wir nicht als ein Geschehen in der /.i it ; denn es ist den Bedingungen des 1 alsachlichcn um uns her entrückt, es feit ihm etwas, das die Ueberzeugung, den Glauben an das Ereignis ver- mittelt; es liegt nicht im Horizont unsrer Erfarung und hat keinen Boden unter den Forsen, den unser KOrpergef&l anerkennt So wird das historische Faktum selbst in die Sphäre ort- und zeitloser Ab- straktion erlloben, vielleicht in seiner dogmatischen liedeutsamkeit erfasst, und das entspr.ich gewifs der lerhaften Absicht der Dominikaner; denn jedes Ereignis hat Bc/ug auf das Wandbild darunter '). Aber der Maler bat sie gemalt, wie seine gewcmten Hi- storien, und so widerstreben sie den Wandbildern, fallen dagegen ab^ statt sie zu beherrschen. Das wu&te sdion Orcagna besser, der in der Cappella Strozzi, wo allerdings die höchsten Dinge oder gar Himmel und Hölle auf die Wand geworfen waren, an den (iewölb- kappeti \iermal die Halbtigur des heiligen Dominikus wiederholt, mit allegorischen Wesen zur Seite und fülbar genug unter Aul hebung der Gesetze unsrer Körperwelt.

An einem anlichen Widerstrat unseres Raumgef&ls kranken audi die Darstellungen aus der Passionsgeschichte üVier dem L'riumph- bogcn des All.irhauses, oljgleich hier sf h<>ti dadurch eine Besserung zu dunsten horizontaler Unterlage eintritt, dals zwei kleinere Dar- stellungen links und rechts zu den Seiten des ßogens l'latz finden und so fOat die grosse Kreuzigung Ober dem Scheitel dieses Bog« ns

>J Die Aiugirfnuig des heiligm Geistes auf den Triumph dieses Geistes im Tho- mw TOB Aquino; die Nivicelh, als Symbol der Kirche, auf die Eccle»ia Iriumphans u. s. w. Aller die Auferstehung über dem Kreuze»lod erscbeini bctcits als llaDeo am historiacben ZosaBuwiiliaiig. Auch hier febt abo unklat das eioe Princip ins «ndie Aber.

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GlOTTINO

einen annähernd wagrcchtcn Unterbau schaffen. Nur die Wand mit der g^rofsen Yerherrlirhunjif des Gottesreiches, bis zur Rolle der »Doniini canes« darin, folgt dem Beispiel des Andrea ( )rcagna, eine um- fassende Bildeinheit herzustellen. Doppelt begreitiich also, wenn Kflnsder, denen diese Hauptsache als Wagnis vor allem Andern in die Auften stacli, selir leicht dazu kamen, den Namen des Malers Andrea da Firenze mit Andrea di Cione, genannt Orcagna* von Florenz zu vervvochseln. Indem wir mit dem Namen des spätem Künstlers, der auch im CaniiK)santo zu Pisa gemalt hat, unserer Ucberzeugung Ausdruck geben, kommt es auch uns nicht auf die Person sondern auf das künstlerische Problem an. Schon die Lö- sung, die hier versucht whrd, verlangt übrigens die spätere Datierung, weil ae bestimmte Vorstufen voraussetzt, die wir bd Orcagna nidit nachzuweisen vermögen.

Die künstlerischen Mittel, die hier aufgeboten werden, um eine an H<ihp aber auch an Breite .sehr ausgedente Wandtl.iclie als Ganzes zu organisieren, nötigen uns nachzuholen, was inzwischen für die Oekonomie der Wandmalerei geschehen war. Giotto selbst hatte, je nach der Räumlichkeit, zwei verschiedene Wege ange- schlagen: die fortlaufende Reibung der Bnder fikr den vorQber- wandelnden Betrachter, wo die successive Auffassung zum Ver- folg einer Erzälung f)der eines sonstigen Verlaufes glcielnvertigor Glieder überwog ; oder aber die systematische Disposition nach den Gesetzen der Symmetrie, der Abstufung oder Gruppierung für den im Mittelpunkt stehenden, nur nach allen Seiten dch drehenden Beschauer, wo trotz aller durch die Einzelbetrachtung bedingten Succession doch zu Anfang und am Schluss die simultane Auf- fassung vorherrsrhen soll, wo <lir ]■ intieii tlt .s (ianzen, wie im Raum- gebilde selbst, ji dentalls aii< Ii in tler yeLstigeii V'ur.slellung zu Stande kommt. Beide Wege waren versucht, weiui auch der letztere noch in keinem Beispiel von voller Tragwdte und Konsequenz zur An> Wendung gekommen.

Der Nachfolger, von dem man sagte, der Geist Giottcs sei auf ihn abergegangen, Giotto di Stefano, genannt Giottino, ist uns seiner Wirksamkeit nach nur unzureirliend bekannl. Wir be- trachten als sichere 1- reskoarbeiten von iliin nur die Geschichten von Kaiser Konstantin und Papst Sylvester in .S*- Croce zu Florenz und fUe Geschichten des hl. Stanislaus nebst der Krönung Marias in der Unterkirche zu Assisi ')• Das Krönungsbild füllt das Spitzbogenfeld

') Völlig ausgeschlosiicn erv:heint inir die kleine Strosiiktypta unten ini Bcgr&bois in Kloftlers unweit der Cap. degli Spagnuoli, obwol Cr»w« nad CmkueUe die idbe

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GlÜTTINO

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einer Wandniadie und hat sehr gelitten. Es ist kaum noch Giottos

Komposition nach dem Altar in S»- Cnxe, nur mit WVglassung der verteilondcn Kamen, sondern \ :< Imrhr im Sinne der ]i]asti.s( )icreti Durch>;pstaltun>^ des Andre.i ( >r( ai^aia j^'i'dacht- Die heiilon schmalen Stücke aus der Le^^ende des polniselien Heiligen sitzen daneben an der Nbdienleibung einander gegenüber, kommen also für unsere Hauptfrage nidit in Betradit; wol aber zeigen sie einen entschiedenen Fortschritt in dem richtigen Verhältnis der (ziemlich untersetzten) Figuren zu dorn umgebenden Raum, der einmal d;is Altarhaus einer Kirche, das andre mal der Kreuzgang daneben ist. (ianz grofs- artig wird diese Kaumdarstellung in der Sylvesterkapelle zu Florenz, namentlich in dem untern Ureitbild mit den Wundertaten des Papstes. Unverkennltor wirken hier auch Fortschritte in der Be- leuchtung der Ruinen mit, um fikr das Auge die Weite des Schau- platzes hervorzubringen. Sowie wir aber von dem Gesamteindruck auf die figürliche Darsti lhm^' übersehen, steht freilich die Gestalt des Papstes noch beherrschend im Mittelpunkt, aber das (ianzc /er- legt sich doch in zwei einzelne Scenen : die Bewältigung des Drachen und die Auferweckung der Magier in Gegenwart des Kdsers und seiner Grofsen. Wir haben also die Suocession von links nach redits noch vor uns, aber doch den Versuch die voraufgehende Scene als Xebenmoment, als erklärende Exposition zurückzudrängen und die Totcnerweckung als Ha\iptsacht^ vorherrschen zu la.ssen, iitid zwar der Einheit des Gesamtl^ildi s zuliebe. Es ist das Bewussisein der Monumentalkunst aufgegangen, dafs solche im Raumgebilda als mn Ganzes funktionierende Mauer wenigstens nicht in vertikaler Rich- tung zerteilt werden darf, wenn die darzustellende ErzAlung es auch fordert. Die früheren, nur den Mafsgaben der Poesie folgenden Maler hätten siihr-r zwei selbständige liilder daraus gemacht, als gleichb<'n ( liliv:ti' W'uiid' rtalen. (iiottintt ist auf dem Wege zum durchgreilenden l ortschritt. Er leitet auch das Auge durch die vorgestellten Ardiitekturteile: Pfeiler und Bogenansatz links, dann die Säule, dazu an, die markanten Stellen der rechten Seite zu suchen. Dits Uebergewicht der Figuren liegt auf dieser rechten Seite, gegen den Eingang der Kajjelle, so dafs der B«>suchcr mit dem Kaiser und seinem (iefolgc auch in tlie Scen(> eintritt, deren (icgen- stand allerdings nicht anders als in zwei hingestreckten Leichen und zwd knieenden Lebendigen gegeben werden mochte d. h. das selbe

Hand darin erkenocB wollen. (lUl. Avag. II p. 110.) Alt Tafelbilder scheinen mir da- gegen die kleinen Stiidie eines Altan la llflaAen, Abendrail und Kretuigung (Phot. Bruckmann) Katal»t; No. 981—983 xonldiat für Giottino in Frage tu koaimeo, dun Mich der Ciudfiaaa in OgniannÜ an FlnrniB (Phot. Aiinaii 4119.)

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Angelo Gaddi

Paar von Magiern doppelt, vor und nach dem Machtsprudi des Heiligen /.uj,'Ieich.

Diese WetKhintf zu (uinstcn des künsllcrisclien Rechtes auf I'.iliieinheil bei (riottino steht als werlvoUer lieitr.iir um so hüher, als der vielbeschäftigte AngelüGuddi liyöj in der Chorkapelle von Croce die Gcsdiichte des Kreuzes so viel befongener im Nacheinand^ des Erzälers vorträgt. Auch er giebt nur noch hori- zontale Teilung, aber auf seinen liildern schieben sich die Ereignisse neben einander in dirliieni (ndränge daher, bald etwas schräg übereinander v^epfropft, bald in breitem Zuge, aber unübersichtlich, so dals der Betrachter Mühe hat, dem l'aden der Legende richtig zu folgen, dabei aber für das Auge nichts gewinnt, das als An- schauung eines Granzen, mag der Kausalnexus der Fabel auch da- bei zu kurz kommen, sonst so reichlich /.u entschädigen vcrmödlte. Episoden und llauptmnniftite gleiten one l'nterschied und Wal vor unserm Blick entlang, und wir wissrn nicht, warum der Strom ab- setzt, um eine andre Reihe zu beginnen, ob hüben oder drüben. Mehr dekoratives Gesdudc bewärt er in der Cappella della cintola des Domes zu Prato, aber auch den selben Mangel an eigentlich architektonischem Sinn, indem er ganz gleichgültig das Bogenfcld in zwei Scenen sondert und den Wandstreifen darunter einheitlich durchfijrt, wenn nur auch zwei Mi>meiUc Platz finden, vom Ver- hältnis zur Wand gegenüber garnicht zu reden. Sein Beispiel ist verderblich; denn es verleitet alle geringeren Kräfte bis über das Ende des Jarhunderts hinaus, von dem inneren Zusammenhang mit dem Raumgebildc der Baukunst fast völlig abzusehen, wenn nur die Flädio fürs Weiterfabulieren nicht zertrennt wird.

Neben solchen kleinen und grofsen Kapellen, deren oberste Region bei starker Höhe kaum noch absehbar blieb, mufs das Ver- faren in weiten Räumen mit fortlaufenden Umfassungsmauern, wo der Besucher beliebigen Abstand gewinnen kann, ganz besonders beachtet werden. Ks ist bezeichnend, was man mit der Fläche an- fieng, wo die Oertlichkdt selbst keinen Zwang ausübtet r,.erreich jedenfalls ist ein Blick in den Camposa nto zu Pisa, der mit seinen Bilderwänden fast einzig in seiner Art dasteht. Soweit das Trecento diese Mauern ausgeschmückt hat, sind schon die ver- schiedensten Methoden versucht. Wieder knüpft sich der Name

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Ca.mpmsam«» ui Pisa

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des Orcagna, fiüacfalich allerdings, aber nicht onc allen Sinn, an die Kolossalgcmäldc, die one aurserliche Zcrlogmig in Streifen und Ab>

schnitte auszukommrn suchten. I)io Ausdmung entspricht etwa der Waiu! «-inos Kicsonsal* s, «leren Bn-ite zu ums[)annrn drni I'x - trachlcr auch vom entferntesten Standpunkt dicht an den itniern Arkaden ebenso schwer fällt wie deren Höhe, so da(s reine Simul- tananschauung des Ganzen sich von selbst ausfchliebt und eine Auf- lösung in successivc Bewegung erfolgen mufs. Es ist ein fonnlicher Kampf mit der Fläche, den wir unter Aufwand aller damals ver- füpharen Mittel sich voH/iehen sehen. Wie unleidlich stehen .Jüngstes dericht'' und „Inferno" neben einander, one Intervall oder Ramenstreif da^wifchen. Die Kolossidtigur des Satanas in dem halbcylindrischen Turmverliefs, dessen Innenseite in vier Horizontal- geschossen, wie Parterre und Ränge einer graungcn Strafanstalt, um den Betriebsdircktitr in der Mitte sich aufbaut, ist plastisch wirk- samer zur Fiiilieit als die paarige Mandorla mit Maria neben Christus und der 1-jigelgruppo darunter in der 1 uttregioti. samt den voll- streckenden Kriegern des Himmels auf dem Erdboden, der seine Toten herausgiebt Orcagnasche Massen Aber einander aufgereihter Figuren links and rechts als Erwftlte und Verdammte, darüber auf Wolkenstreifen, durch die Mittelgruppe der Gottheiten in zwei Hälften geteilt, die troncnden Apostel und über diesen wieder schwebende Kngol mit den Marterwerk/tnigeii, lauter tektonisch- plastische Gliederung, die doch wieder auseinanderfallt, und das Ganze durchaus hinfälliges Stückwerk neben der festen Höhenarchi- tektur der Hölle. Nur die helle unwirkliche Färbung des Ganzen rettet die MOgUdikeit des Bestehens neben einander. Trotz aller Energie des Charakters waltet die Idealit.'it der poetischen Vorstellung, wenigstens in dem Programm, das tlem Maler gegeben wanl. Aber fällt seine Ausfürung ni( ht doch S( li^n dabei aus der Kt)lle ?

Weitere Anlaute mit schräg in die Hohe geschobenem Felsgestein als Wonstfttte der Einsiedler, mit kämpfenden Engeln und Dämonen in der Luft, begegnen uns neben einander auf dem berOmten «Trionfo della Morte", dessen untere Hälfte ^ch wieder deutlich in drei Ab- schnitte auseinander l'^gt : die liegegnung des Reiterzuges der lebeiulen Konige mit den toit n in ihrem Sarkophag, die Ernte der iodesgotiin mit der Sichel unter den Reichen und Glücklichen, Wärend die Armen und Elenden sie vergebens herbeirufen, und endlich den Uebesgarten ganz rechts.

Von einer Bewältigung der gewaltigen Btldflädie kann also keine Rede sein, weder im plastischen noch im linearen Sinne, sondern nur von Anläufen dazu, die als weitere f <ntschritte im Einzelnen

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Camposanto DI Pisa

ihren Wert behaupten. Es ist im Grunde ein Widerstreit zwisdicn dor l'ewopunß- in die Hohe und der in die Breite, als ob das scliu oifcndo Auge und der entlang fürcnde Schritt des Betrachters einander die (Oberleitung streitig machten; aber die räumliche Tiefe will tddti nirgends ergeben, um beide mit einander auszugleichen, wie nur tue es vermag.

Erst wenn man daneben die Schilderung des Eremitenlebens heranzieht, wo ganz tektonisch ein Felsterrassenwerk aufgebaut ist. als wäre die senkrecht aufsteigende Mauer eine schräg atisteigende Gebirgswand mit zaireichen Graten und Klüften, die das Auge nur mit wachsender Unruhe samt und sonders in gleicher Deutlichkeit Qbersdiaut, erkennt man auch die Vorstufe, die dem Triumph des Todes vorangegangen, auch die wachsende Kraft räumlicher An- schauung im Grofsen, die sich in letzterem Wandbild verkündet.

Kin ganz andems Wrfarcn wird jedoch eingeschlagen, wo die Legenden der pisanischen Lokalheiligcn gemalt werden sollten: zu- nächst die Zerteilung der Höhe in xwd FletrallelstrcnfiML Sie nimmt sich im Vergleich zu jenen titanisdien Versuchen, Himmel und HoUe auf diese Mauern zu werfen, doch wol wie Resignation aus. Frei- lich, schon im Triumph des Todes neigt sich das II<'»henlot als Do- minante und wird allmählich zur Diagonale, gleichwie die Betrach- tung von den letzten Dingen, den entgegenstehenden Polen des Üben und Unten, sich nun den Dingen dieser Welt, d. h. dem irdischen Getriebe zwischen Weltfireude und Weltflucht zuwendet, und damit dem Lauf der eignen Zdt, dem Leben des Tages umher. Die Legenden der Schutzheiligen von Pisa erzälen wieder für den leben- den Betrachter, damit er sich in die Person dieses Vorbildes ver- setze oder doch unversehens sich unter die Zeugen mische, die die.se Ereignisse mit erleben. Da braucht es der festen Grundlajje des Bodens, auf dem wir wandeln. So erhält dann die FOrung sofort der voraberschreitende Besucher, «de es in solcher Wandelban, wie diese Umgänge des Ounposanto, sich fast von selber verstehen sollte. IMe successive Auffassung regiert.

Da malt Francesco da X'ol terra die Geschichten von S. Giobbe (1371) nicht one fülbaren Anschluss an die räumliche Vor- stellung der soeben betrachteten Hauptstacke, besonders in der oberen Reihe, so dass man das Recht bezwöfeln darf, ihn dnfach zur florentinischen Schule zu rechnen. Er hat eine ahw( irhende Art, die Ueberschau über ein weites schräg ansteigen<]e.s I orrain zu eröffnen, um so die ganze Höhe des Wandstn ifons für seine Dar- stellung auszubeuten, dass schon aus diesem Grunde seine Schulung anders eridärt werden mub. Sein Vortrag ist nirgends auf knappe

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Andrea da Firenze

tu

Handlung, sondern auf breite Situati<in ang^elegt und srliiMori die T^mtr^^bunp so aus^'odcnt, als blickten wir v<in hohem 1 iirm aus üb«'r die ganze (iegcnd hin. Krst in der untern Reihe njoditiciert sich diese Oekonomie, der Nähe dos Betrachters gemäls; abpr schon die Stadtaiuidit mit den Warzeichen Roms erregt neue Bedenken, ob Siena oder Pisa die Heimat seiner Kunst, auf die hier doch nicht eingegangen werden soll.

VVio anders aber bf^innt Andrea da Firen/e mit dor (ie- s( Iii« htc RaviKTs vom Kinj^.m^ h'-r (13771 unter deullirlior lievor- /.ugung des Zeilkosiums, von tkin sich nur der wunderliche Heilige selbst und seine himmlischen Helfer unterscheiden. Hier ist das enggedrängte Geschiebe einzelner Momente in fortlaufender Rei> hung ganz änlich wie bei Angrl (■ i<Mi iti den Geschichten des Kreuzes, nur bei der j^erin^cni II -Ii«- tl s IViesPtnifons one die (Juetschunjren nach aufwärts, in rc'^t hii.usi^i Tii Parallclismus. Nach einem ersten Anlauf kommt auf jeden Schritt des lictrachtt rs eine Scene filr »di, und zwar hat jeder neue Momrat sekie neue Archi- tekturkoulisse, man möchte sagen, sein GehAuse bei sidi. Die ver- einzelten Fälle, wo zwei Momente in dem selben Gebäude^ aber an zwei verschiedenen Stellen desselben spielen, sind auch die einzij^en, mehr durc h den technischen Vollzug der Freskoarbeit veranlafsten. Versuche zur Kinij^ung im Hilde

Wie mag sich ein solcher I^rzuler mit einer symbolischen Dar- stellung auf einer Wand der Spagnuoli-Kapelle zurechtfinden, fragt man sich angesichts dieses kleinlichen Beispiels im Camposanto. Die Zerteilunj^ in zwei Stockwerke und des unteren wieder in lauter schmale Verlikalstreifeii. w ie für die(ilorie des Thomas von Ariuino, erscheint ilurdiaus l)ejrrcinirh. Aber die X'erherrlichun^ des(ioites- reiches aut lirden gegenüber oftcnbart doch einen überraschenden Fmtschritt. Das Bild der christlichen Kirche selbst, nach dem da* maligen Bauideal eines Francesco Talenti fOr den Florentiner Dom vortrefürt, ruhig und starr als Architekturftück aufj^jerissen, be- deckt schon eitle beträchtliche Flache zur Linken, nicht eln-n mit malerischem Leben, aber d<M;h mit der Aljwechslung. die auch die Schwesterkunst in italienischer (iotik zu bieten weifs, natürlich mit der polygonen Kuppel über der Vierung in die Höhe ragend, wie man sie damals zu vollenden träumte, also mit hohem Phantasiereiz dazu. Unten vor ihrer Langseite beginnt die Figurenreihe, die Ver- treter des geistlichen und weltlichen Regiments bis zu ihrem dop- pelten Haupte Papst und Kaiser neben einanrler. Die schwarz- imd weifs^etlekten Munde, die Dominikaner, soryen in der Menge <ies Volkes, wo sich Widerspruch regt, für die Aufrechterhultung dieser

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Antonio Veneziano

gottpfCWolUeii Ordiumg ; ihre Ordenshcili;?on predigen gegen die Irr- lere und bringen die Ketzer zur Bikerung. Das entfaltet sich im Vordergrund in ^wa fiknf Gruppen nah' aneinander. Bis daMn ver- läuft alap unsere Blickban von links nach rechts weiter, dann aber wird sie durch den terrassenförmige aufgebauten Garten zur Rechten aufwärts gelenkt, um von hier aus die Wendung nach links zurück zu ncmen, über den Aufstieg der Gläubigem zur Schwelle des Him- mels, wie der Weg über dem Bau der Kirche entlang hinaufürt. Droben in der Höhe des breitgedrückten Spitzbogens erscheint Christus in der Mandorla tronend als Beschtttzar seiner Kirche^ von Engeln umgeben. Wärend also der Körper des idealen Bauwerks links den Bildraum in Länge und Höhe ruhig erfüllt, wird das Auge des Betrachters, den Figuren folgend von links unten nach rechts zur mittleren Höhe und von da wieder zurück nach links empor geleitet, durch das ganze Bild hin, Ober dem als höchste Instanz die Person des EriOsers mit seinen Engelscharen wadit UnUugbar sind hier Studien verwertet, die bei unserm Oenkmftlervorrat neben den allegorischen Deckenbildern Giottos in Assisi nur auf die grofsen Wandgemälde des Camposanto, besonders auf den Triumph des Todes zurückgetürt werden können. Damit wäre alsdann auch ein Mittel zur Datierung der Malereien an den W^änden des Cappel- lone gewonnen, das bisher unbeachtet geblieben ist, und dies er« klärte zugleich, weshalb Andrea da Firenze die Legende Ra3rners mit dem oberen Streifen abbrach, vielleicht gar, weshalb die Vol- lendung erst 1386/87 durch Antonio Veneziano geschah.

Nach Vasari hätte Atigelo Gaddi diesen jungen N'enezianer als Lerling aus der Lagunenstadt mit nach Florenz gebracht. Schon 1370 ist er selbständig neben Andrea Vanni in Siena bei der Aus- malung des Gewölbes im Dom beschäftigt, erwirbt aber erst im Septcmbor 1374 die Zünftigkeit in Florenz. Wenn also Crowe und Cavalc.isiOle seine Iland an den Deckenbildern der Capp. Spag^nuoli erkennen, so würde sich sowol der /usammeiihang mit den Kom- positionen des alten Taddco tiaddi, auf dessen Kunstkapital man sie zurQckgeleitet hat, sehr wol erklären, wie andrerseits die Einmiadiung nenedscher Elemente in Gewandbehandlung und Farbe, die Qbrigens auch bei Andrea da Firenze unverkennbar ist und Vasari sogar ver- anlafst hat an Simone Martini zu denken. Damit rüren wir jeden- falls an einen wichtigen Punkt der tl<)reiuinisrhen K unslgeschichlc : den Austausch zwischen der heimischen, im engern Sinn giottesken Sdiule und den viel&ch besonders beliebten VorzQgen der siene- sischen Meister. Dieser Austausch darf als wichtiges Moment der Entwicklungsgeschidite ntdit gering angeschlagen werden. Erbat,

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A XT< »Nif » Vkx k/i ax< >

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wenn ,iu< h (lip \'nrzfiijo hauptsächlich in der Tafrlmalrr* i t^psurht Wf)nU'ii >inil. n:< ht^ dt-stn wrni^t^r aiirh atif dorn rii-hioi d. r \\',in<l- malcrci staU^M luiuirn U.ivon /cUljih ni( lit dllcin <lic hildcr im Querhaus der l'ntiTkirchc von Assisi, jenom l'assionscyklus des Pietro Lorenxetti gegenüber, die andrcrseiti noch dem Giotto s»e1ber ao nahe kommen, sondern auch der ganze Kunstcharaktcr seines nAdisten Gcistos\ crwatHUfn Giotlino nicht minder. Davon zeuj^en ebenso T^ernardo Daddi neben Orcai^na und wt'iier Andrea da Fi- ren/e nel»en Ant »nio \>neziano, wenn er um 1374 die Deckenbilder des C.ipcllone gemalt hat.

Ein weiter Abstand, voll reicher Fortschritte in (rcstaltung und Farbe, trennt jedenfalls die Fresken im Camposanto (1386/B7) von jenen ihm zu{(cschriebenen Stücken in Florenz Als Fremdling aus Veriedig ersrhrint er auf toskanischom Hoden durch die Heicuch» tinii; un<l die belli' fast sfn>stlcii< ht'Mide 1 )ur( hsii htigkeit seiner Kar- nation wie durc h die .M(jdclli(>rung in Hclldunkelkontraslen von gr< Isi-r Kraft. Seine Kaumgesiallung aber, seine Weise mit den gegebenen Streifen als Bildfläche zu verfarcn, auf die es uns zunächst ankommt, unterscheidet ihn grundsätzlich von Andrea da Firenze wie von Angelo Gaddi. Das i^pif 1 Giottinos in Florenz und das Erbteil der Lorenzrtti in Siena h.d)en unverkcnnl)ar znsammen^jewirkt, um das 7i\ er/( U>^en, was t-r bietet; die breite l''nttalluti>^' in jL,n raumiycn Abschnillen, die mit der /.erhackten Koulissenreihung des Vorgängers im oberen Streifen gar seltsam kontrastiv. Aber sdae Seestficke im Sturm mit wirksamer Wiedergabe des Schiffes neben seinen städtischen S< liauplätzen von Pi&i, mit Strafsenscencn drunten und Einblicken in I.oggiongemacher droben auf iWm Söll. r. sie zeigen allesamt, dafs er eigentlich kein an hitektonisrher Kopf ist und auf konstruktiven .\ufbau eitles Kaumgebildes in der 1- lache nicht aus- geht, sondern dafs die malerische Anschauung bei ihm vorherrscht, die Raumgcbilde und Korpergcbilde im Zusammenhang neben ein- ander auffasst, bdde gleich bedingt und abhängig von einem Dritten, das über !' hinausgeht. T'ebcrall ergiebt sich ihm der Aus- blick in die liefe, oft sei mh in Ix-trächtlicher Stärke ; aber es kommt ilim nicht bei, sie als gemems.imen l akli^r mit llülte einer konse- quenteren Perspektive für das Gesamtbild bewältigen und verwerten zu wollen. Er geht ihr immer nur sowdt nach, wie der malerische Rdz ihn lockt, und gleitet dann ebenso leicht in die unbestimmte Fläche Ober, deren Länge der Leitfaden V)leil)t auch bei ihm. Seine Auffassung und Verwertung des Scliauplal/^es hat unläugbarc Vor- wandlschatt mit der Weise des Allichiero und Avanzo in den Fresken zu Padua. Dann aber, in den letzten Momenten, dem Tode Schm»riow, Ifanccio-iStiMlien V. 8

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GinVANNI DA MlLANO

des Hcilii^en und der rrocossion mit seinor l .oidio, g'ewinnt die pla- stische (jcslaltung- eriLsrliifdeii die ( >l)erhand. Das bekunden die Genrcliguren der Fischer am Strande, die fast zu greifbar werden, sdion als feste Körper neben dem wogenden Meere und der halt- losen Weite um das Schiff; es tritt aber dann mit Harte hervor um den aufgebarten Toten und bestimmt dir gan/c Rechnung im feier- lichen Zupc, der sich demyemärs durchaus rclicfarti^ entfallet, sc» dafs die Kr)rpcr der l ii^r.reii - mit den gerade hierfür wirksamen Kindern den Raum um sich erschaffen. Damit stofscn wir un- mittdbar auf die nächste Vorgeschichte des Masolino und Masaccio ; denn zwischen ihnen und Antonio Veneziano scheint nur noch ein Zwischenglied zu feien, das der Name Gherardo Starnina zu Inlden pflegt.

Doch sei vorerst noch an einen /weiten Oljeritaliener erinnert, der schon vor Antonio Veneziano und neben diottino seinen Wirkungs- krtis in Fl<Mrenz und Rom gefunden hat: Giovanni di Jacopo Guidi aus Caversajo bei Como, gewOnlich kurzweg Giovanni da Milano genannt Fr ist freilich als Gehülfe des Taddeo Gaddi in die florentinisclie Kunst hineingekommen, hat aber auch seinerseits heimathche F.igentimilirhkeiten niitvr<"'bracht und beibehalten, die meines Erachtens nicht übersehen werden dürften, und zwar in der Tafelmalerei wie im Fresko. Ganz besonders untersdidd^ sich sein Marienleben und seine Magdalenenlcgende in der Sakristei von S*- Croce durch Schwachen der Raumauffassung, die allerdings mehr psycholotrisch interessant als kunstgcschichtlich bedeutsam sind.') Jedenfalls war das Auftreten des Antonio Ven(>ziann viel wichtiger, und lafst die Frage offen, was seine heimatliche (iabe am iVrnostrand ZU wirken vormodit hat

Im Camposanto zu Pisa folgt aber auf Antonio Veneziano noch ein andrer Künstler, der keineswegs one Weiteres der florentinisdien Entwicklung eingereiht werden darf, obgleich auch er in Florenz beschäftigt und fast heimisch geworden, wie hernach in Siena, eine Anzal wichtiger Werke hinterlassen und .Schule gebildet hat. Es ist Spinello Aretino (f 1410 . Die Malerei des Trecento ver- dankt diesem fruchtbaren Talent aus Arezzo jedenfalls die grOfste Bereicherung nach der Seite der Phanta^cwirkung: er hat alle Gegenstfinde. die er unter Händen nam, darunter ganze Legenden, wie die b. Benedikts in S. Miniato und S. Caterinas in Antella

■) Eben deshalb mab ich gegen Zuweisung der M.-idonna mit Heiligen im Kloftterbof des Camiiat^ die Cnnr« and Cavtilcasclle (Ital. Ausg. II, p. loo) vertreten, Sniprach erbeben wai denke dabei vidmebr an Lorenso dt Bicci, der in der Saltristei des Guniae gemalt hat.

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SPINEI.I.O ArEI'INO

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( I ^Sf I fi (li\s Kphosiiis iiiul I'otitiis im Cimposanto /ii I*isa 'i^wi^ uml im hi.st'irisriii II ( vkliis, wie d\o s< « h/m Bil<i«'r .ms <liT ( icschichtc liarban),ss.is und AU xaiulers III. im Pal. i'ubblico zu Sicna (1407 f.) selbst abstruse und godankonhaftc Themata, wie den Fall Lucifera in Areuo. mit einer Fülle lebendiger Motive und poetischer Be> Ziehungen ausgestattet, dio svlm- P>iin(lungsgabc als allen Andern uborloj^jim orsi h' ini-n läfst N< ben dorn Sinn für roi/vollc liowoj^ungon titul Strlluii^rn der nx iis« hli* Ik n (u .stalt. die er di'c h nirgends bis /.u plaslisthtr Vollendung durchiürt, besitzt er auch eine ebenso bewegliche, auf alle erdenklichen Kombinationen ver&llende Raam- vorstellung, aber auch diese steigert sich nirgends zu der vollen Konsequenz dnidinicnsionaler Entfaltung, die ihn zum Eroberer der p^Tsii' ktivischcii Konstniktionsroifoln hätte marluMi mürsen, noch ZU der m"inimentalen (in >lsartiyk< it, die im Anschluss an gogobonc Räumlichkeit« die architektoniM he Sclioiifung weiier fürt oder zu Gunsten eines Bildeindruckes umzuschaffen vermag. So kommt es ihm auch nicht auf strenges Erfassen seiner Aufgabe, auf die ernste Durchdringung ihres Kernes und die geistige Tiefe der Auslegung an, sondern mehr auf v'm unterhaltendes Spiel der ITiantasie, und die tragis( he Kraft ist ihm fast volIi<^r versauet. Den strengen Std eines diott.» hat keiner in s<>l( hnn L'nitans.,' aiifi^- lockert und dem sichern Zerfall entgegen getrieben wie er, warend man ihm antlrer- seits nachsagen mufs, da» er sich niemals dem Wort dieser Uebcr- Keferung verschlossen, sondern vielmehr Oberall zu lernen gewufst, hei den Sicncsen ebenso wie bei den Florentinern, und sich alle diese \'<»r/ügo soweit m«".glich zu eigen gemacht hat. Er selbst be- sitzt entschieden mehr Verwandtschaft mit den Sienesen und knüptt viel unmittelbarer an die frühen Arbeiten der Lorcnzctti an als an die irgend eines Florentiners, es sei d&m Angelo Gad^, dem er an genialer liegabung weit Qberlegcn war. Die erwänten Cyklen in S. Miniato al Monte zu Florenz und in S. Caterina delle ruotc zu Antolla, im Camposanto zu Pisa und im Pal, Pubblico zu Siena beanspruchen ihn-n gm/ bestimmten Platz in der Kntwicklungs- ge.schichle der WandnialiTei Die I.egcntle Katharinas wurde ein- gehend mit der Ausw.d daraus von Masaccio in S. demente zu Rom verglichen. Die Geschichten Barbarossas zu Ehren des Papstes Alexander fordern mehr zu Vergleichen mit den Leistungen der Lcvenzetti heraus. Die Fresken im Camposanto zeigen fast immer eine zweiteilige Gliederung lies Wandstreifens, in dessen Mitte bald rin<" feste Di>minante hingesetzt ist, wie der feurige < Men, oder ein Inter\ all zwischen Bewegungen in entgegengesetzter Richtung. Immer sind es Gestaltenatrüme, die schnell an uns voraberziehen sollen. Des-

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Gherardo Starnixa

halb geht auch die Anschauiim; nirgends in die I it ti . sondern wird wol jrar dun b cinr-n parallolm 1 1" >lu n/utr liinti r dm I-"iijiirrn al>- gfsclmittm ; alicr si ll)st diost^r Hintergrund begleilet /. Ii. die Wellcii- bewegung der Keilerniasscn. Ks ist im Grunde nur eine flüchtige Dekoration, die er mit geläufiger Bravour spät noch improvisiert, aber noch immer reich an jugendlicher Anmut und ritterlicher Eleganz.

Wir würdt^n gern auf ein gut Teil iler c)berflachlicl]en Krzcug- nisse seiner Mitgenossen und Nachfolger, wie Niccolö di Pietro Gerini und I.x>ren2o di NiccoltV oder Lorenzo di Bicci und Bicci di Loronzo verzicluen, wäre uns dafür ein einziger sicher brylaubii,rt< r Cyklus von Ghorard(^ Starnina erhalten. Soweit di«- kriiische I''f)r.schung heute j^etlieht n ist, besitzen wir gar kein zuverlässiges Werk, um mit seinem Namen eine festumschriebene Vorstellung zu verbinden, zumal da die elngdbendere Beschreibung Vasaris von den Wandgemälden und dem Altarstflck der Cappella Serragli im Carmine, mit Geschichten des hl. Hieronymus, mehr zur Phantaae spricht als konkrete Anschauung Obermittelt. Nach dem Untergang dieses Hauptwerkes sind wir an der Hand der XachnciUcn aul zwei Wege angewiesen, auf die Ableitung aus dem Vorganger Antonio Veneziano oder auf den Rückschluss aus dem Nachfolger, wie An- tonio Vite da I^toja ') oder Masolino da Panicale. Die Ergebnisse beider Prozesse könnten sich ergänzen und würden sich so gegenseitig bestätigen. In der Hauptsache jedoch füren beide zu einem gSMZ entgegengesetzten Result.tt. <las für den Stil des Meisters fast T^n- vereinbares aussagt, zumal da keine längere Periode der Tätigki ii vorliegt, zwischen deren Anfang und Ende ein so starker Wandel gesucht werden dürfte, und da ausserdem die Belege filr dnen fort- geschrittenen Stil früher anzusetzen wären, als die fllr eine sehr schwache Gestaltungskraft.

Starnina ist 1387 bei der Malcrgenossen.si hatl zu Mnrenz imma- trikuliert worden und soll 140^ gt-storben sein. Ware nun die Nach- richt Vasaris, dafs Masolino da P a n i c a K- sein Schul» r gewesen, über allen Zweifel erhaben, dann liefse sich aus den bezeichneten Fresken in Castiglione d' Olona, und zwar aus den Deckenbildem

') Ucb«r Antauio Vite und Gherardo Slarnina V|;l. meine Abhandlung Ul>cr die Cappdh deD* AmnU im Dom zu Pnlo» Repertoriiim lür KaMtwUseaaduift 1893.

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(ililiKAKiM) SlAKNlXA

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von 1425 allein, ein Rarkschluss auf den Lerer mit ziemlidier War-

schfinlichkeit gewinnen. Denn Mas"lino war 1383 geboren, kann also Starniiias S( hii!<T nur iti dt'sscn It t/tcr /»-it gcwesoii srin, wo tl'T Mt'i.sler sich tx r( its im \'t >!lht>siu scintT küiisllerischcn Krrunv^i 11- hchaltcn hi taiid. Wir halten aus jenen Arbeiten Masolinos natürlich die sichtlich neuerworbenen Bestandteile zu eliminieren, wie z. B. die nach BruncUeschis Vorschrift perspektivisch aufgerissene Ardiitektur und dergleichen Versuche im Sinne des Realismus, die si< h mit den Fiifuren onohin nmh nirln /ii einor Einheit verschmelzen haben, blx ii tiicse ( itstaltunjf der heiliv(en Personen erscheint für 1 ]:s merkwürdig zurückgeblieben, und eben sie wäre das ererbte llesitz- tum. Die (iestreckthcit der Proportionen und die Grebrechlichkmt der Glieder befremdet auch beim Rückblick auf die VorgAnger in Florenz. Ks sind überschlanke silphidenhafte Geschöpfe, die weder fest auf ihren Füfsen stehen, noch auf ihren Banken sitzen können. Nur bei Joseph und seinen fienosson meldet sich ein j^edruni^ener Wuclis njit kr.itiivrerem Kopfe; sonst uberwiegl überall eine weib- liche Zarüieit, Hielsende st<jtl lose Gewänder, matte energielose Be- wegung, die sich vielleicht am ehesten in Rankenornamentik spät- gotischer Dekoration einordnen möchte oder sie als Folie verlangt. Genug, eine derartige Bildung findet sich nirgend in Florenz bei den bi'kannteren I-'reskomalern der Zeit Ks sei denn, <lass wir I'arri Spiiii llis überladene ( lewandfigiiren ihrer ahgetrej»pten Draperie nach der ersten Manier des Niccolö d' Arcz/o entkleideten und in einfacher flicfsender HOllc vorstellten. Sonst dürfte am besten auf den Genossen des Paolo Uccello im Klostcrhof von S. M. Novella hingewiesen werden, der neben der ersten Künette dieses ^^'•isters die N't rtreibung ans den Paradiese vmd di«- Kamilio Adam bei der Arl» it gemalt hat, aber au< h in dii'sem Probestück in ("hiaroscuro von Delli. D e 1 1 i ist mehr plastisches (iefül im Sinne (ihibertis ent- halten und verrät sich unverkennbar die Schulung im Relief nach Art der Terracottabildner vor Luca della Robbia. Sollte man da- gegen aus den Deckenbildcrn im Chor der Collcgiata zu Castiglione d' oiona allein auf die ursprüngliche Scliulung Masolinos zurfldc- schlielsen, so käme man wie an seiner Stelle s< hon ansv,fesproclien wurd" viel eher auf einen Miniaturisten oder Dekorateur von Iluchligsier (.ir.i/ie.

Indcfs diese Eigenschaften verbinden nch dodi mit andern, hauptsächlich technischer Art, mit dem rosigen Hauch der Kama- tion, dertMi Schatten allerdings nniidi(h angelegt siiil mit der lichten Klarheit ein«T flotten und in ihrem leicliten Bestände halt- baren Freskomaierci, die auf Starnina zurückgetürt werden durfte.

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CiHiiKARDo Starnina

weil sie schon bei Antonio Veneziano vorkommt, der als sein Lerer gilt.

Daniii miindft dirs(»r ersto \Vc^ an der Stelle j^omeinsamen ßodeiis in don zwi iton, der versucht werdi'n kann, nämlich die Ab- leitung Starninas aus seinem Vorgänger Antonio Veneziano. Sie ergiebt einen ganz andern Charakter: kräftige, robuste Gestal- tung vor allen Dingen, die auf plastische Modellierung durch starke Kontraste der Schatten und Lichter ausgeht; dabei Xtiv,'uni,' /n rea- listischen Genrefiguren, die sich gerti im N'ordergruiidc l)rcit machen, ja zu hafslichcn (icsellen hcImmi wiirdevollen grols/üuii^eri iiaupl- personen. Das wurde zu der Schilderung Vasiiris stimmen, die von Staminas Bildern aus dem Leben des hl. Hieronymus neben der Intens!« tät des Ausdrucks, der gespannten Aufmerksamkeit seiner 5)chreiber beim Diktat des Testamentes, ui Ii lie burleske Scene h^ r\ rhebt, wie als Kontrast /u tlein M ulterkiiahen (iirril.imn ein andres lUib- lein Tunichtgut vom Schuhneiller coram pubHco a posteriori ge- züchtigt wird, d. h. ein derbes Motiv, das noch Üenozzo (rozzoli offenbar von hier übernommen und ins Leben Augustins nach S. Gimignano übertragen hat.

Von dem Wege, den wir einschl ij^en Starnina wiederzufinden, hängt auch die Zuweisung zwfMcr W erke ab, eines arg beschädigten Freskeneyklus und eines gegenwartig \ erschollenen, nur in gewissen- hafter Abbildung vorliegenden Tafelbildes, vielleicht noch eines zweiten, dessen wir soeben wieder habhaft werden. Gdit die For- schung von Antonio Veneziano aus, so kommt sie mit Crowe und Cavalcaselle auf Grutul des Zeugnissos bei Vasari dazu, die wieder- aufgedeckten Fresken der Cappella Castellani in Croce mit Ge- schichten des hl Nikolaus und Antonius Abbas dem ( iherardo Star- nina zuzuweisen. Als Mittelglied dazu bietet sich neuerdings noch der rechte Flügel einer Himmcl&rt Qiristj an, der allein von dem dreitaligen Altar augenblicklich nodi nachweisbar ist, und zwar in der Galerie zu Altenburg, wo ich das Werk wegen der engen Ver- wandtschaft des einen Apostelkopfes mit di :n li] Rayner auf den PVcsken im CamjMDsanto zu Pisa auf .Antonio Veneziano getauft habe'), one darüber unklar zu sein, dals es unter gewissen llc- dingungen auch schon für Starnina in Frage käme, und mit dem ausdrücklichen Hinweis, dafs die Geschichten des hl. Nikolaus in Croce die nächste Uebereinstimmung mit den beglaubigten Werken des Antonio Veneziano besitzen, so dals sie vorerst mit seinem Namen

') Vgl. Festschrift zu Ehren des kun^tbistorischen Inkliluts in Florenx, Lriprig,

A. G. LiebokinM i^<)7. Die nitit.tli< nischrn (icmfildc in Altcnbarg, mit Abbildung des Stäckes, und den acuvo Katalog der äammlung iüg>i.

Antonio Vite

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in Verbindung 2u brinj^on wAren, solange wir über Starnina nicht

urioilcn kAnn«'ri. (ii-ht «l.iL;r'tron die Forschung von Masolino aus rückwärts, s<> erhall fint' uidr'' tra(hti<>n<'lle /uschroihuii^f War- st.lu'inhchkeit, ilie ein Tati lbild in der ehemahgen Sammlung Ar- taud de Montor in Paris mit Staminas Namen belegte. Es ist die Darstellung des Sposalizio in einem niedrigen Breitformat, nicht un> Anlich denen der Hochzeitstruhen.

Hier sind solche schlanken, f.ist sentimental sich neigenden Figuren vorh.inden und zwar durchweg, wie bei Masolino noch in dem Sjxisali/io von 14 -'S. niit dem die K< >m{K>siti()n auch soweit übereinstimmt, wie die andersartigen Bedingungen des schmalen Hochformats der GewAlbekappe gestatten. Mit Sicherheit darf ausgesprochen werden: wenn der traditionelle Namen Starnina for dies (augenblicklich nur aus den wertvollen Tafeln detf Katalogs von 1843 in Steindruck bekannt« Bild nicht richtig wftre, so könnte nur Masolino selbst an die Stelle j^'eset/t werden').

Damit stehen wir vor einem Dilemma, das nur dann noch einer betri' iiu,;' nden Losung näher gebracht werden kt>nnte, wenn uns beglaubigte Leistungen des Alteren Schülers, Antonio Vite da Pistoja eriialten waren, den Stamina als seinen Ersatzmann 1403 nach Pisa schickte, um den Kapitelsal von S. NiccolA mit der Pas- sion Christi /u schmück« ti Diese Malereien waren mit vollem Namen »Antonius Vite de Pistorio pinxit« bezeichnet, wie noch Manni tjelesen und (Noten /u Baldinurri 537 * herii hlet hat.

Sie selbst aber sind untergegangen, also i.st das /.uverlaiisigc Zeugnis zu verwerten unmöglich. Sonst werden, auch von Crowe und Ca- vatcaselle, die unteren Fresken einer Nebenkapelle des Chores im Dum zu Prato mit diesem Schüler Starninas in Zusammenhang ge- bracht. Drei von diesen Wandbildern si>llen ihm geboren, die .Steinigutig des .Stephanus und die Bestattung des Märtyrers mit der Leiche eines neben ihm gefuniiem-n Leidensgefärten, an der linken Wand, wo der oberste Abschnitt mit der Disputation des Stef^nus von einer späteren Hand neu gemalt worden, die auch die andern, und zwar noch in der ersten Hälfte des Quattrocento, restauriert hat Auf der rechton Wand zuunterst das Sposalizio, das ebenfalls über- gangen und von dem selben Maler, Domenico \'ene/iano, mit seinem architeklotii.schen .Schaujdat/ ge.schmut kt ward, der die bei- den obern Bilder Geburt und Tempelgang Marias ganz neu mit samt der Deckenmalerei hinzuftkgen mufste.

Diese drei Fresken der Cappella dell* Assunta der Pieve zu

') VkI. meinen AufsaU in der tiazette des Bcaux-Art» tÜtjS,

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Antonio Vite

Prato jLfcliAren jc<hMifalls einem spAten Abkömmliii}^ ilrr Troconto- nialcn-i. der durch zalreicho Züire im Einzelnen bereits verrat, dals er itu den Zeitgenossen des Masolino und Paolo IJccelU) geliOrt, so sehr auch der Grundstock seines Kunstvermögens mit der altgewor- dencn Tradition zusammen zu hfingen scheint^). Am altertümlich- sten erscheint die Bestattung im Langhaus einer Säutenbasilika, deren Stützen unter dem graden Gebälk nicht voUzälig gegeben werden, weil sic h Fii^airen heran dr.'inifen. Aber das aufg-erejufle farige Wesen des Malers fült sieh oHt uljar überhaupt unbehaglich 1km einer so feierlichen Ceremonie. Er versetzt sie in seine eigene Zeit, schmückt die Geistlidien mit Kardinalshüten und Mitren von damals, und die weltlichen Herrn sonst mit Capuccio und Reisehut, bis zu den Porträtfiguren der Stifter am Rande, deren einer einen Falken auf der Hand tr;i;rt. Die Grundla^-en seiner Körperkenntnis sind sehr unsicher, die Haltung schon der Hände ufi ganz verdreht; aber er liebt die Bewegung und Hast, und stellt sie auch mit völlig unzu- länglichen Mitteln dar. Dem knieenden Diakonen vorn am Sarko» phage, dem gebeugten Bischof zu Füfsen entsprechen oben die wild durcheinanderfarenden Gestalten der Steiniger Nur hinter dem knieenden Opfer des Fanatismus stehen drei ruhige Figuren, selt- sam vereinigt: der l'auhis, schmächtig und schwank in t)iblischcr Tracht, und ein Bürger von Prato in Kapuze, breitspurig und voll Behagen; dazwischen der Kopf eines langbartigen Bramarbas, der schon an Uccdlo erinnert, wie die seltsam gequetschte Kopf bildung mit breiter Schädelbasis und spit/. /tisammenflichendem Kinnbacken auch sonst Das Sposalizio, wo der Priester und J-isojib wi(> manche Frauenk<)]ife wieder an I'ccelli» streifen, artet links in einen 1 unnilt aus, wo nicht nur Joseph geschlagen wird, sondern ein herzulauten- der Knabe sogar den Leib der Braut mit der Faust bedroht, wärend sie den Ring empfängt Das sind allerdings Motive nach jener Art Starninas, wie sie auch bei der Taufe Christi von Masolino noch 1435 in r isti^lione vorkommen. Aber das Wissen und Können, das hier vorliegt, wurde dem I.crer nicht viel Ehre m.ichrn. Ist dies Antonio Vite von Pistoja, der Schüler .Starninas, und zwar in einem vorgerückten Stadium seiner Meisterschaft, so hat sein I^rer, den er bereits 1403 in Pisa vertreten durfte, schwerlich selbst in frühem Jaren die Cappella Castellani in S<« Croc« gemalt

Auf jeden Fall glaube ich dem selben ^^eister. der die Stetni-

gungdes Stepluinus, seine l'.cslallnng und das .'^posali/io in Prato ur- sprünglich gemalt hat, auch noch zwei andre Werke zuteilen zu

V^. «asete AbbUdungen ni diesem Heft.

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Antonio Vite

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dürfen, die seine Charakteristik auch als I itrlmalor vervollständigen. Dabei mufs /uii.ii list oin slark<T Mils^'ritl" l)t i ( rowr und Cavalcasello vorhessrrt wi rdi ti. I)irsr si hrfibcii namlic Ii fünt |in <lt'll< tiartige ialcln in der CiaUrio il»T Uttuicn mit der Befreiung Petri aus dem Kerker und der Kreuzigung des Apostels nebst je vier EinzcUiguren von Aposteln auf den Seiten, der Ausabungf des Schldsselamtes durch Petrus in cathedra als MauptstiU k In der Mitte, dem Jacopo da Casentino zu, den sie als Meister <les Spindlo Arotino an- sehen und neben Hernardo Daddi vortüren't. l)iese /uselireibung ist schon aus clironohigisehen Gründen ganz unmöglich, da Jacopo da Casentino, ein Zögling des Taddeo Gaddi. im Jare 1350 bei der ItegrOndung de»* Malergcnosscnschaft in Florenz ^ch neben Bemardo Daddi bemüht, und als Zeitgenosse dieses Meisters dasteht. Unsere liilderreihe zur Verherrlichung des Petrus gehört aber in die Tage Masarri* PS, ja frühestens in dessen Tiulesjar 1421S; denn sie setzt die Anschauung si iner Komj)ositiunen voraus und bestrebt sich ebenso unverkennbar wie unzulänglich um die malerische Breite und cha- raktervolle Wudit seiner Gestalten. Die Erscheinung des Engels im Kerker und die Befreiung auf einem Dilde erinnern durch die Anordnung der Baulichkeiten mit der Gartenmauer rechts, über die eine Palme herüberschaut, an die Behandlung auf Masaccios let/lem unvollendetem I rcskn. l'nd noch I.U(a della Robbia schlielsl sich in seinem Relief für den Dom {im Bargello) der nämlichen Dispo- sition an, dals man fast ein gemeinsames Erbteil vermuten möchte. Die Kreuzigung ist in schräger Ansicht genommen, überbietet noch die Arbeit der Henkersknechte durch ein zweites oben an den l'üfsen beschäftigtes I'aar und ein<'n dritten, der den Leib des Apo- stels hält: oben schweben Kngel mit der I'alme, und die Soldaten nnt ihrem Hauptmann sind nach links geschoben, hinter die Meta, die deutlich von der Pyramide abweicht. Dennoch scheint dies Stüde wieder nicht one Reminiscenz an Masaccios Predella in Pisa entstanden zu sein, oder es walten sonst gemeinsame Beziehungen, die dun h die A r nli< hkeit der Petrusfigur zu Äark werden, um sich allein dun h den llin.weis auf eine gemeinsame Quelle erklären zu lassen. Das etilst heidi iide Beweisitück ist jetloch vor Allem die Darstellurig in der Mitte, wie I'etrus in Cathedra kirchliche Würden verteilt. Ganz wie in Prato sind hier der Papst und die übrigen Kirdienftkrsten gesdiildert Zwei Kardinäle halten das Pluviale des Petrus, der selbst die dreifache Krone trägt, über beiden .Vrmen zu- rück, Wärend ihre Diener dabei von rückwärts die Hüte empor-

') lul. Ausg. II, 438 f. UfBsieii Nr. 1392. Vgl. umcrc Abbildungcu.

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Antonio Vite

heben, zwei andre sitzen bedeckten IL-^uptes auf den Ecken des Podiums. Links stoht der Klerus mit dem V'ortraufskreuz an der Spitze, rechts \'ertreter des weltlichen Standes, deren vorderster einen Knaben bei sich hat, ganz änlich wie in Prato und wul eben- &lls Stifterporträts. So schliefst sich die Kompoätion schon halb* kreisförmig zusammen oder nähert sich vollends der Ellipse durch die beiden vorn knieenden Gestalten eines Bischofs und eines Dia« kons, die durch Heiligenscheine ausgezeichnet sind wie der Apostel selbst. Nimmt man dazu die pyramidale (iipfelung und den hinter den Stul Petri befestigten l ejipich an der Wand, so ist <\\e Benut- zung des Vorbilds in der Brancaccikapelle so deutlich, dafs kein Zweifel mehr bestehen kann. Die perspektivisch dargestellten Ar- chitekturkoulissen verraten sogar änlidie Anleihen. Und endlich die zweimal vier Ajiostel, die durch Unterschriften in römischen Ma- juskeln erst recht bestätigen, dafs das Uild ins (JuattroceiitD gehört, zugleich aber durch Verdrehung und Feier erkennen lassen, dafs der Maler sich die neue Schrift erst angeeignet hat und noch nicht geläufig handhabt, S THOMAS S > lACOB LVHAS - S lAHOBV M; S ANDREAS S lOHES S MATHE S PIIII.II*1*S, sie haben mancherlei Verwandtschaft mit den Apostel- köpfen, die Masaccio in der Cappella Prancacci und auf dem Pisaner Altaruerke gegeben hatte, (irad*- in solclK-n steheTi(l<'ii I'igvireii fällt aber die Schwäche dieses Xaeliamcrs ms Auge, das Autslulsen der Gewänder nadi Trecentistenart, und die Unsidierheit des Auftretens, wo die Fflfse gezeigt werden. Die untern Extremitäten geraten ihm immer zu klein und schwinden zusammen, wie die Vorderarme, die rcgelnialsiv: /u kurz sind, wärend <iie Finger länglich, bald eckig geknickt i)ald rundlich gebogen, freilicli die Bewegun^sliK lu des Malers ausftralen, aber seiner Kenntnis der Gliedmalscn ein schlechtes Zeugnis ausstellen.

Dem selben unsichern Quattrocentisten wie diese, von Crowe und Cavalcaselle so viel zu früh datierten und dem Jacopo da Ca- sentino beij^emessenen Stücke in den Ufrtzien zu l-lorenz, gehören auch drei Predellenteile von niedrigem Preilformal in der (ialerie aller Meisler des Museums zu Brüssel (Nr. 148 150). Die Stig- matisadon des heiligen Franciscus beweist, dafs dieser flotte Tem- peramaler, mit seinen dOnn hingestrichenen Farben auf Goldgrund, als Abkömmling des Spinello Aretino ananisehen ist, nicht aber als dessen Lerer. Die (le.stalt <1es Franciscus stammt noch völlii^r aus diesem Vorrat, wärend der vom Kucken gesehene Klosti rbruder schon malerische Breite, aber auch burlesken Beigeschmack gewinnt, indem wir ihm auf die Glatze schauen. Die Anbetung der Könige

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Antoniu V'llE

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giebt uns Joseph links, in Gelb und Blau, mit ZOgen, als wäre der

Apostol Petrus gemeint, j^-an/ rmlich wie bei tler ru^freiung- aus dorn Korkor in Floronz, und Maria /oigt in ihrem Profil den Typus (l<-s Engels ilasollist. Der älteste König verrichtet seine Aiidaelit mit der leidenschaftliohon Hast und fast scltnaubonden Inbrunst, die dem Meister eigen ist. Der jüngste erscheint dagegen als Geck, mit weitem rundem Ucberfall Ober dem Aermel, dessen pelzbesetzte Innenseite wir sehen, wie bei dem Angreifer des Joseph im Sposa- li/.ie) zu Prato ; nur ist der Rock hier kurz geschnitten. Der Reit- knecht, in ^■elhrotem Kittel mit blauem Kragen und schwar/on. i)bi>n weit und schlaff hängenden Stietelschülten hat nacktg Beine und erinnert an den Torwächter in Masaccios Geschichte vom Zoll- groschen. Ueberall keren die grofsen abstehenden Oren wieder» wie beim Sdilofselamt des Petrus und schon in Prato. Das leUEte Stück wird auf Antonius Eremita gedeutet, der sich zum .Ausdruck dos Kntset/ens vor einem ( "n >l(lklum[)cii, <ii'r hinter siMner Zelle aus dem l'i'l^i i) wachst. la.st in tanzendem Sprunge bewegt, als sei er von der 1 araistel gestochen.

Diese zusiimmengehorige Gruppe von Werken eines Uober- gangsmcistcrs, der zwischen Spinello Aretino und Masacdo den stärksten Einfluss von Stamina empfangen zu haben scheint, wird selbstverständlich noch weitere Tafelwcrke mit der selben Sicher- heit bestimmen lassen. Der Abschii bei Crowe und Cavalcasclle über Jacopo da Casentino weist schon den Weg, wo sie zu suchen sind. Uns aber genügt dieser Einblick in das Schaffen und die Sinnesart eines energischen aber oberflächlichen Zeitgenossen des Masolino, dem die Erfindungsgabe Spinellos den festen Untergrund entzogen und den Drang nach lebhafter Bewegung eingeimpft hatte, wiirend Starnina's iVispiel vielleicht die Vorliebe für gewagte Kontra.ste zwischen aufgeregter Ergriffenheit und frivoler Laune bestärkte 'J.

So erst ersc heint auch die spätere Entwicklung des Masolino, ihe wir im Bapii.sterium von Castiglione d' Olona beobachten, so auch die Arbeit des Paolo Uccello in den Wandbildern der Kirche da- selbst im richtigen lichte. Um aber bei Masolino den persönlichen Zusammenhang zwischen den sentimentalen Dcckcnbildem und den .Anläufen zu bewegten Genrefiguron wie zu nachamungsjllchtiger Wirklichkeitsfreude in den Geschichten des Täufers ganz zu be-

I) Es il^ dironologisch abo kein Hladernis vor, mit P. deU* V«lle den Antonio Viic da Piütoja mit ciocD) Antonio di Filippo da l'i.ioja so ideatilisief«!!, der noch 1438 in der MaletBlIde ni Siem vorltommt. Vite wlie dano fieimme.

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LuRENZo Monaco

frrcifcn. feit uns n»»ch ein Bindeglied. d;is iincn wichtij^en Fakt«»: (l»>r Hureniinischeii M.ili-rci aiismadit und deshalb nicht vergessen werden Uurf : Uic fruinmc Kuiiüt der Munche.

In die Tage des Aiigi-U) (iaddi und des Spinello Aretino /u- rQck fürt uns die Wirksamkeit des Don Lorenz o Monaco (c. 1370—1424) der die nächste Verwandtschaft mit diesen beiden auf- weist und doch ein Drittes und ganz anders geartetes Neues hinzu-

brinj,^t. Er ist Sicncse von Herkunft und Charakter; er ist von Miniaturnialorri dos Klosters auspffiian^en und Mönch geblieben in der reinsten iW-deutung dos Wortes, uelitn ind und fromm. Er ist der letzte ganz ideale Vertreter des gotischen Stiles in der Malerei und vergleicht ^ch als solcher am ehesten mit Lorenzo Ghiberti als Bildner an der ersten Tflr des Baptisteriums '). Unzweifelhaft hat er dies Erbteil schon aus seiner Heim.it Siena mitgebracht. Wenn Spinello Aretino wie ein Fortsetzer di-r lj<renzctti erscheint, so ist Lorenzo .Mona<i> der I-nrtsetzer des Simone Martini. Seine (uv stulten von schlankem, lang gestrecktem Wuchs sind in noch längere weite Gewänder gehallt, deren Falten» bald weidi und geschmeidig, bald scharfkantig und abgestuft, auf den Boden wallen, so dab vom Scheitel des Kopfes bis an den Zipfel d<T Schleppe sich eine tlurch- gelieiide Kurve Ijesrlireiljt. Ks ist der rhythmische .Schwuiivr der lleweyung wie liei .Simones reinsten imd /u^leieli lehensvi /listen ( ie- bilden, die schwebenden Cianges dahinziehen. Aber als Mönch Streift Lorenzo ihnen die buntfarbigen Stoffe der weltlichen Zdt- tracht ab und kleidet sie stattdefsen in gleichartige, stofflose aber faltenreichere Draperie, die den Hauptzuj.;. statt mit Reizen mate- rieller Art, nur mit fi<rnuilen X'ariationen b( gleitet So sind diese We.sen von aller Verlockunv; d< s Iniisi li< ri geläutert und wirken neben dem Antlitz mit seinem ganz abstrakten Ausdruck fast nur durch die reine, emailartig saubere Farbe dieser Gewänder auf gol> denem Grunde, die nach dem Verfaren dekorativer Polychromie gewifs mehr als durch irgend welche Rflcksidit auf Würkliches be> stimmt wird.

l*nlävii,d)ar ,dier tjowinnon dii-sc I-ijruren, nach haltloseren (ie- wonheiten der Miniaturmalerei, w ie sie in der kleinen Anbetung der

') auch ilic Statue Jobuines d«8 Täufer^ an Onuniiclicle.

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LORKNZO MoXACf)

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K">nii,'<> in di^n l'fli/i»m iKu h \ > >r\va!t<Mi allm ililirh fostoro, plastisrho KiTpcrlit likr-it : Irt ilirii nie lit in stt Tfoniotrisrhcni Sijjiu'. soiulcrti fast durcluius nach Art r gf iriebrn» ri (iuldsclmiiedsarbeit in Icini-ni Metallbicch, d. h. als Relief im stetigen Zusammenhang mit der Fl&che. So kräftigt sich fortschreitend seine Anschauung in den Tafelbildern grAfsern Mafsftabs Das ist der Charakter seines Ge- bots auf dorn Oolhorp in den Uffizien, das man für Gi<ittfi nicht zu V;eriiis^f i^e htet, wärend d' w h die . Sockelbildchen darunter die cnpste VerwandlM-haft mit den Kompositionen Ghibertis be/t-ugen. All- mählich aber schmeidigt sich diese metallische Härte wieder zu malerisdiem Flufs, und als herrlidiste Frucht gedeiht die grofee Krönung Marias von 1413. wo der Einheit des Ganzen zuliebe auch die Zwischcnpfoston des Ramengehauses gefallen sind. Da g-elingt ihm, mit dem Keliefzu^c si^'ner (iest.ilten auch eine Raumweitc zu erzeuf^en. die si( h den lt ii rli< hen Majest.itslnldern der I.oren/clli an die Seite stellt Das ist schon so völlig im Zuschnitt der Wand- malerei gcdadht, dafs wir nicht mehr erstaunen, wenn er auch da tatsächlich Bedeutendes leistet In der Kapelle von Sta. Trinitä, wo wir sonst allein seine Altartafel mit der Verkündigung bewunderten, sind ncuerdinv.'s aber Wandgemälde von seiner Hand zum Vorsi hein gekommen, die durch den groisartivn /ug räinnlicher Entfaltung doch überraschen. Der Schwerpunkt ist in beiden einander gegen- überstehenden Hauptbildem nach aufsen verlegt, für den ankommenden Beschauer. Bei der Begegnung Joachims mit Anna am Tor der Stadt liegt er redits, wärend zur Unken die Ferne sich öffnet mit steilen Burgen am 1- t isyest ide eines .Sees. Heim Spo&alizio liegt er ganz links vor di r I »raulpforte, tleren Vorhalle sich g''ir(>n einen Arkadenhof ofFnet, und in langem Zuge bewegen sich die Gäste von rechts durch diese Gänge schreitend mit Saitenspiel für den Brautlauf heran, bis auf den betrübten Freier, der seinen Stab zer- bricht, ganz hinten in der Ecke. Bei aller keuschen Idealität, die sich von jeder Anwandlung burlesker Motive frei hält, haben diese Wandgemälde eine .Sicherheit des Wurfes, eine Kraft durch Bau- lichkeiten Rückhalt und Weite zugleich zu schaffen, und vor allen Dingen einen feierlich wogenden Rhythmus des Vortrags, dafs wir die künstlerische Macht begreifen, die dieser Mönch im Kloster degti Angeli auf alle frommen Seelen auch der Amostadt ausgeübt hat An formaler Geschlossenheit des Stiles ist er allen unruhigen

*) Ab frfibes Werk dieses Heisters ersdieint mir radi ein namenloses Itleiaes

Triplychon in der Galerie von Siena, mit de» Midoniu auf WolkenNlrcilen sitzend in der Mitte, S. Job. Bapt. und S. Niltolaus auf den Flüpcln. In dem Giebel eio Bischof (Augustin?) linlu und rechts die VerkOndigung in Halbfiguren, Phot. L4Mibnfi Nr. 891.

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Ix>RENzo Monaco

Zerstörern der strenfron Tradition mit ihrer unzulänglichen Eroberunjjf der wirkliclieii Welt weitaus üherlc^a^n. Und wenn es sich um den gotischen Stil handelt, ist Don Lorcnzo Monaco der letzte grofse Vertreter seiner mimisch-rhytfiniischen Kunst, nicht FraAngelico da Fiesole, der freilich mehr vom Geiste mittelalterlicher Fröm- migkf it erfüllt, eine noch seelischere Innigkeit des Gefüls zum Aus- druck hrins^t, aber ebenso wie Ghiberti auch den l-mschwung des ganzen Kunstlobrns mit triebt und den Wandel dor Darstellungs- weise, so weit es irgend in seinen Kräften stand, mit vollzogen hat.

Es giebt eine kleine Tafel von Lorenzo Monaco, ein Stück der Preddla eines gröfseren Altarwerkes, das sich so vereinzdt in Privatbesits nach England verirrt hat '), die Einkleidung eines jungen Mönches im Kloster. Ein vorgeschobener Felsgrat schliefst die Sccno schräg gegen ein Nachbarbild unter freiem Himmel ab, das zur Rechten folgte. Alle diese geistlichen Brüder, in ihren wcilsen Gewändern, sind erfüllt von der Bedeutung des Augenblicks für das Sdlicksal des glaubensdfrigcn Jünglings, der ein Heiliger unter ihnen werden soll. Das niedrige Gemach quillt Aber von dem Seelenhaodi, der aus Haltung und Miene dieser gleichartig« n Gc- wandfiguren uns entgegen strömt. Da begegnet sich Spuiclb > Are- lino und Masaccio, l.orenzo Monaco und Fra Ang»'elico, als hätte es sich um ein Zeugnis für das gemeinsame Anliegen gcihandelt, und als hAtte es keinen Unterschied ihrer Naturen gegeben, der ihre Wege wdt von einander entfernte. Es ist auf der Sdiwdle zweier Zeitalter entstanden.

Bedenken wir nun aber, dafs die Werke «ines Don Lorenz© Monaco in den ersten Jarzcnten des Ouattroccnto neben den Lei- stungen eines (ihorardn Starnina ihre Stcllf l)ehau|itctcn. so er- scheint zwischen ihm als \'ertreter des Mittelalters und den echten Abkömmlingen des florentinischen Monumentalstils allein sdion in der Gestaltung ^n entscheidender Ciegensatz. Vergleichen wir nur S^nc Kapelle in S'* Trinita mit der Cappella Castellani in S». Croce, so mufs schon die durchgreifende Verschiedenheit des Wollens und der weite Abstand zwischen dem Endziel hier un<l da in die Augen springen. Auf der einen Seite noch das mittelalterliche l'rinzip, das die mensdiliche Figur nur um ihrer mimischen Bedeutung willen ansidit, im Zuge der Körperbewegung alldn die Hauptsache zu er- fessen denkt, nftmlich den Ausdruck des Innenlebens, auf den es

') Es war in <lcr New-Gallcry Exbibition zu I»ndon 1894 als Masacdo autgc&lollt und ist dort phutagrapbicTt. Crowe nnd Cavalcasall« erw&nen es (bei Stirling in GIctttysn, Scbottlud) ital. Awc. II. p. 346.

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Lorenz«) Monaco Fra Angelico

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ihm ankommt. Auf dor ajulcrn Seite schon jede dest.ilt als tek- tonischc Masse in breiler Leibhchkeit, die Grundlag«- der Kxistcnz vor allen Dingen gesichert, und auf dieser erst der Ausdruck sozu- sagen aufgetragen. Einer KrOnung^ Marias von Don Lorenzo gegen- aber liegt in einer Tafel, wie das Fragment der Ilimmelfart Christi in Altenburg, oder in r (beschichte des hl. Nikolaus in S*- Croce, mApen sie von GherardM Starnina oder Antonii. Vrneziano herrfiren, schon d.is liokenntnis lU-r Keiiatssanco ausgesprochen.

Dem l'rincip des Gotikers aber huldigt noch Masohno in seinen Deckcnbildem von 1425, wenn audi lange nicht mit dem Ernst des Camaldulcser Mönches, sondern nur gefUlsmäfsig, und daneben för die Regungen des Neuen um so leichter empfänglich, als sich kein ausgeinrftgter Charakter bei ihm selbst entgeg-enstnllt ! Aber auch bei Masaccio erkennen wir den Ueb< ri.,Miig ganz deutlich. Nicht nur in seinen jugendlichen Meisterwerken, dem Altärchen für Papst Mardn und dem Tabernakel in Bremen von 1423, sondern auch in den Anfängen seiner Tätigkeit f&r die Brancacdkapelle. Wie f&I- bar geht die Gestaltung noch am I^ger Tabithas von der mimi- .schon Ausdrucksbewegung des körperlichen Apparates aus; nur die n.iltutig. die Gebärde ist es. worauf es ankommt: ühcr (lies<'m Ge- rüst des Mannequin nur ein (ii liäiige zur Flächeiiiullung zwischen den hervorragenden Gränzpunkten dieser Konfiguration. Aber da- neben in der Ausf&rung wird es schon anders; wir mulsten direkt auf diese Nikolausfresken verweisen. Dann der Umschwung ins plastische Gegenteil, zunächst auf Kosten des Seelenlebens im San- denfall, also i \ Dann noch Srhwankuni^en, wie in d(^r erg^roifen- deii \'ertreii)ung aus dem l'.iradiese, wo Leibliches und Sreli.sches im innigen Zusammeniuing erlasst sind, aber die Mimik doch noch

die Plastik überwältigt Immer klarer jedoch wird ansdiauliche Ruhe, die Hingebung an die dnnlich - sichtbare Erscheinung der KOrpcrwelt, immer bewufster d:is eigenste Anliegen des bildenden Künstlers zum Prinzip der Gestaltung.

Eben damit aber w. is« ti wir auf den l'nterschied des innersten Wesens, der doch zwischen Don Lorenzo Monaco und Fra Angelico besteht. Der Erstere gehört doch enger zu Spinello, der Letztere zu Masacdo und Masolino. Die frühesten Deckenmalereien von MaaoUno, die wir besitzen, haben in ihren schlanken Gestalten viel Aenlichkeit mit denen I-orcnzos. aber die weiche Sentimentalität ihres Gefölsausdruckes. die P^mpfind.samkeit ihrer ro.sicfen Jugend nähert sie noch viel mehr den Krstlinj^fsj,n l)ilden des Giovanni da Fiesole. das eine Wal Verwandtschaft ihrer persitnlichen Sinnes- art? Die späteren Leistungen des Masolino machen durdi ihren

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Gentile da Fabriano

ganz vefschiedenon ( haraktor das kaum sehr gl.iubhaft. l'nd cino Anwandlunp dieser Zartlii^it des f irmütslrhrn f nidm wir sojrar in den ersten Meisterstücki n des jungen Masaccio in Koni, in der Assunta und dem Sdineewunder, wie in der Madonna zu Bremen. Es muls also wol eine Geschmacksrichtung gewesen sein, die eine Zeit lang in Florenz zur tonangebenden geworden war.

Ks ist die Einmündung des umbrischcn Wesens in Florenz, das sich, durch den Verk(>r mit Sienesen schon vorbereitet utid (Kirch verwandte Kräfte aus dem Nachbarj^cbiet von Arez/o nicht mehr ganz fremd, doch in neuer Bestimmtheit erst durch die Person des Gentile da Fabriano vollzogen hat, den Martin V. nach Florenz berief und damit In kirchlichen Kreisen als mustergiltig empfal.

Gentile da Fabriano kam aber aus Oberitalien und dürfte, nach längerer Tätigkeit zwischen Wiiodig und l'.rescia, nicht allein als Träger seiner heimatlichen Begabung aus Umbrien her, sondern auch als Träger des oberitalieniachen Fortschritts betrachtet werden, der sich seit den Tagen des Altichiero besonders in Padua und Verona entwickelt hatte, wenn Florenz ihm nur ein onziges Mal Gelegenheit geboten hätte, sich auch als Frcskomaler zu zeigen, wie in Venedig. Da diesi* \'( irauslctzung jedoch nicht zutrifft, so kommt sein l{inlluss zunächst nur durch die kostbaren Altarwerke, die er für Palla Strozzi und (Juaratesi gearbeitet hat, in Rechnung, bleibt also fiir die Wandmalerei mitten in Florenz, wo ringsum eine so gewaltige Denkmälerrdhe als Zeugnisse des eigensten Wesens vor Augen standen, wenigstens unmittelbar one r)elang. In den Jaren 1421 25 feite es jedoch nicht mehr an aul keimenden Kräften, die sich ange- legen sein Uelsen, mit offenen Augen die Vorzüge zu erspähen, die der Fremdling etwa mitbringen mochte, und in die Auffiissung ein- zttgrdien, die ihm den Beifall des neuen Hauptes der Christenheit und damit gewifs auch andrer GrOnner gewonnen. Masolino und Masaccio wären dazu angetan gewesen und vielleicht auch Gio- vanni da l'iesoic, soweit sie damals in Florenz gegenwärtig blieben. Grade die Auffassung Gentiles wird man eher umbrisch als ober- italienisch zu nennen haben. Das zeigt sich, sowie er sdne Ma- donna mit dem Kinde malt, wie das früheste Beispiel seiner Hand in Toskana, jetzt im Muaeo civico von Raa beweist Die Verwandt-

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GEXTILK da I' ABRIANO

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s< liaft mit Sicna ist flicht zu verkennen, und nemcn wir so-^ioidi »l.is I'chrij^i" hni/ti. u.is h<'Utc> nurh von soinon Arboiton in l lorrn/ stchl, SD (iurh ri wir hin/utiiy< n : .iiu h er ist nirht isiu'mpf.m^lich in Assisi an dfii SLhopfungi-n dfs Simone Martini vorübergegangen, sondern hat sie in sich aufgenommen wie nur irgend Einer, wärcnd die Kunst Giottos ihm ihr wertvollstes Geheimnis versagte. Er hat dir (ir.izic der Ik^wcpunjf in dor Martinsk iprllc gewifs lange Zeit zntn ld< .il sfin< s « iircncn Dichtens und 1 rachtens ^'cmacht, bevor d<'r l '<-li Ts^Miiv; i)a< h Vcncdivr aurh die aiidr«' Scitr dieser An- regung, die I.ust an kostbaren Motten und prunkvollem Zeilkostüm, «u vollem Austrag und Bewufstscin brachte. Aber Eins war ihm fremd, als er aus engerer Heimat vor dieses Bild in Assisi kam : der Mafsrtab der (Gestalten und ihr Verhältnis zur Räumlichkeit. .So erhi« Ii <lie Wirkung des l ! !n dnrh einen andern Charakter, indem sie bi'i der \'r>rli«'bc fur <l.is Kli ine, die Gentile mit seinen »imbri- schen /eilgenossen, wie Jaeopn und Lorenz« > da Sanse\i rino oder Ottaviano Xclli von Gubbio') teilt, auch die Anmut der Bewegungen ins Niedliche und den Schmuck der Kleidung ins Preziöse zog. Die Intensität des Ausdrucks aber, die er im Blick der grofsen Au;4^en wol aufleuchten, aber auch unter schweren Lidern sich ZÜchliii v< rh<'ruon sah. sie ward t;ar bald na< Ii si-inem eigenen Sinn m niinniglic lu r Sülsij^keil und wi irhcr l",mprindsan)k< it, die alle diese Umbrer mit ihm gemein haben. Das brachte er nach Florenz und niemand anders zu einer Zeit, wo die Stimmung frommer Seelen ihm offenbar entgegenkam.

In dem ersten umfassendt^Ten Bilde, das er 1423 dort vollendet, der Anbetung der Könige für Palla Strozzi, hat Gentile da Fabriano auch den Beweis geliefert, dass er eine sichere Raumansdiauung

fiir die Erfordernisse monumentaler Wandmalerei nicht besass. 1( h « in Abstanii /wisc hen der zehn Jare früher vollendeten Kriaumg .M.tri.is von Don l.ormzo Monaco und diesem, unter gleichen Bedingungen des Ramens die Hohe statt der liefe ausbeutenden, Bilde Gentiles mit alt seinem Farbenreiz und seiner kostbaren Klein- arbeit. Die Predellen darunter zeigen es deutlich, dafs sein Reich- tum an Architekturkoulissen aus der Schule Altichieros stammt und

') Dm Datum der berflmten Madonm von OtUiviMio Neil) {n (tubMo kann aHer- dingi nidit 1403 sein, «rieeia «her I.cscfclcr cscrgclicn hat, somU 1 -tcns 10 vielleicht

io Jare tpiter, d. b. 1423. Die ttberlieierte Jarestal 1416 für >1r l iosken aas der Jo> banneslegende in S. Cüo. BaUi»t« tu Urbino von Lorento und }ac. da Sansevcrino er- ■dieint ebeoTaUs nkbt dordwai geddiert.

Scbmaraow, MaMcdo^tndien V. 9

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Gentile Masaccio

nicht danilier hinauswuchs, wärond soino Sronon untor fmiom Himmol, wie flio Murht nach ' Acjj;y|>trn. am diostct. ein A iify^chon flos Malerischen im Sinne eines Ganzen verheilben, nachdem er sich sonst fast immer mit engen Detailausfchnitten voll bunter Dinge be- gnügt. Seine persönliche Stärke ist doch vor Allem die weitge- triobene Nachamung dos St*ifflichen und die lieljcvoUe Aufnamo der Einzelheiten aus der Xalur, der Gräser ui «i i'liinien am i'xKien. der Vögel in der l.uft und gar mancherlei deliers in der Nachbarschaft des Menschen, lauter Einzelheiten für sich, die er nur noch zum StilUeben zu häufen weifs, one sidi um den Zusammenhang des Ganzen im Bilde zu bekQmmern.

Da seine Fresken in Oberitalien verloren sind, so können wir durch den Vergleich des Altarwerks für die Quaratesi und das ver- einzelte Wandgemälde in Orvieto nur zu dem Schlufs kommen, dais

er vhrn damals in Florenz zu der entscheidenden Wendung vom Mimischen /wm l'l.istisrhen gelangt sei. Immeriiin hi-^nint sii hlhch auch bei ihm die Darstellung der ruhigen leibhaftigen Existenz um ihrer selbst willen, im Sinne der Renaissance.

So stand es in Florenz, als im selben Jare mit Gentile da Fab- riano auch Masaccio in die Malerzunft zu Florenz eintrat und den Wettstreit mit dem Fremden aufham.

Erst an dieser Stelle kann das Bruchstück eines seiner frohen Altarwerke Erwänung finden, das soeben im südlichen Frankreidi

wieder entdeckt worden. Es ist ein Predellenbild, das durch den Maler J. A. D Ingres in Florenz erworlx-n und in das Museum seiner Vaterstadt Muntauhan gekonunen, dort als (Nr 1161 Floren- tinischc Schule des 14. Jahrhunderts bezeichnet wird. In Tempera auf Holz gemalt (37X19 cm.), stellt es die Legende des heiligen Julian dar, wie er, vom bösen Dämon verfürt, seinen Vater im Schlaf ermordet. Ein Drittel der Bildbreitc ist rr< lus für die erste Srene unter freiem Himmel ausgesondert, wäreiui das l i iiri'^'^ links das Innere des .Scilla fgi'maches eröffnet Vor dem Hause stehen, gei^eti iMue flüchtig angedeutete graue Ilügelreihe unter dem blauen Himmel sich abhebend, der Heilige (rechts) und der Versucher (links) in leise nur angedeuteter Zwiesprach einander gegenüber. Der ' Böse ist ein bartloser Jüngling, blondharig und rosenwangig, in hellrotem Wams, hellgrün gefüttertem Mantel, der leicht über die Schultern gehängt, die schöne Gestalt in eii^anliegend' r Traf ht völlig frei läfst; nur die schwarzen ßcine gehen unten in Krallenlülse über und vermlen so das dämonische Wesen, dem der junge Ritter vertraut. Julian trägt den mit grauem Pelz gefütterten roten Fürstenmantel über dem

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MASAn.Io IN MUNTAUHAN

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hmyfii vi"|ptlvrraufn Ruck mit piirpur- uml ijoldj^Tschnnicklcin iiwi rti^ch.iMu«- unil ln-lli arrtiinn Hf Fulslx'klciiiuni^. um tlas kurz- harligu ll.iupl den goKlrtU'ii I IcMligcnscliti«!. Er h.it sich des Man- tels entledigt, wio er drinnen in der Stube mit gezogenem Schwert an das Ehebett des Vaters tritt und den grauharigen Alten neben seiner Mutt. r tm Schöpfe packt, um ihm den Kopf al)/ns( hlaircii. Sonst ist (I is Hlt('rnpaar auf sanbcrm Linnen sorjrfallijr bis an die Schultern mit dr-r ft'uorrwtci) !''-Ud<'< kr /ULTi-d'-ckt. wie t-s friedlich schlummerte. Die lieitsiait selbst ist aus braunem Hol/ und steht allein in der neutral grauen Stube, mit dem Kopfende gegen die linke Scitenwand gestellt, die schräg gegen die Hinterwand ver- laufend sich breiter entfaltet als ihr GegcnOber, das zugleich vun Aufsen sichtbar in stärkster X'erkürziint,' «ts* heint. Die perspoktivi- sc hi- I ),irst'^nnniT[ des Iniienrauiiics entspric ht also, <i})irl(.i( h bre iter und niedrii^er in dm Wrh.dtnissen d«ich der Oekonomie des Dis- putationslales in der Katharinenlcgende zu Rom ; aber sie erscheint fast noch primitiver, da die Decke feit, fast nur die drei kalen Wände gegeben sind, und, wärend links noch ein leerer Streifen jenseits der Man« rdirke in Dunk« I übrig bleibt. «Ii- scharf einge- rit/ten Konstruktiotislinifu dt-r 1 '< rs].( ktive rdxT die Art liitektur hin- aus auf den Muchtpunkt weisen. Die Pupp- iistube, von aulsi-ii und von innen gesehen, ist noch eine Leistung für sich. Da/u kommt die Energie der Handlung, beim Zuhauen selber; aber sie kontra» stiert ebenso mit den zarten Gestalten, ihren lieblichen Gesichtern und mit der heileren freimdlit hen I'.irbun^ des( ian/.en. So schliefst sich dies koloristisch hülxsclie uiul ziemlich \v« ilerh iltene Predellen- stuck auf der einen Seite ^a]\/ eni^' an die (iründung vein S. M. tlella Neve (vom Altar Martins \ . tür S. M. Maggiore) und an die Madonna in Bremen von 1423, wie an die Katharinenlegende in S. demente zu Rom an ; auf der andern Seite wird die Verwandtsduift mit der Nikolauspredclla im Vatikan wie mit den Sockelbildcrn des I'isaner Altars in fi<'rlin, besonders auch in d«'r Stellung der Füfse auf dem Boden und dem künv<Tkur/ten Kopf der Mutter im liett schon vjanz deutlich. Wir mülsen das Fragment also in die Lrüh- zeit dos Meisters rechnen ; es wird zum zwingenden Bindeglied zwischen diesen Erstlingen, die noch Masolino änlich sehen, und den anerkannten Hauptwerken Masaccios. Darin liegt der besondre Wert dieser neuen Entdeckung').

') Vgl. untre AbbiMnni;. leb ««fdanke dro Hinweii inf dies venprengte BUd-

lii ii Mfl'-aiiio* in Monlnuban rri» >n< n. fitiin tm A'-'-isirnlcn Dr. Felis WiUlug. Ab ich die er^te Nxcbricht daivon erhielt, tci.stc ich selbst grade in dem (iebiete SOdfiwdueichs, konnte alw den Findling selber prüfen und die achOne Eatdeckttoc vollanf bestltigen.

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MaSACCIO IX MONTAURAK

Dil- Disposition di r F.r/alim^r aus doni l.ibrn S. juHaii.s, ilic \()n rt I lits nach Itiiks al)^«•U•st•ll sein will, ».-r^it-bt nun. dals dies Stück links von der Milte eines gro(sern Ganzen gesessen hat, in dem auf der rechten Seite ein umgekert disponiertes Stück aus dem I^ben eines andern Heiligen entsprechend \-on links nach rechts er/alte, und der mittlere Teil di s. r i^anzcn Predella sich ebenso auf das Mittolstück des Altarwerks br/.oir, wie diese seitlichen Ab- schnitte auf clt sseii I lugel. Wir fordern (h^mnach für den linken FIflgel des zugehörigen Ailarwerkes die Kin/elgcstalt des heiligen Julian und zwar nach rechts gewendet gegen das Mittelbild. Mit Hälfe dieser B^erkungen läfst sich ein Ganzes rekonstruieren, das bei Vasari als Werk Masaccios beschrieben, seither verschollen w ar.

Vasari erwänt, wie übrigens auch Francesco Albcrtiiii unter dt -n Tafelbildern Masaccios in l''lt>renz ein Altarwcrk in S Maria Mag- giore „accanlo alla porta dcl hanco per andure a San diovanni", mit der Madonna nebst S. Julian und S. Caterina. In der Predella, „con figurine piccole, istorie di Santa Caterina c di San Giuliano**, wärend in der Mitte die Geburt Christi mit jener Ein&lt dargestellt war, die Masaccio ei^rnete.

l>as iit iist, das wiedergefundene Stück in Montauban i^rhorlc /u diesem beglaubigten Sockelstreifcn in S. M.Maggiore zu !• lorenz und ermöglicht so vielleicht, die weiteren Bestandteile des Ganzen zu erkennen. Jedenfalls ist damit auch die Zeit der Entstehung dieses Tafclwerks fest bestimmbar geworden, und an ein unfertig hinter- lassenes Beispiel aus der letzten IVricdc des Mi isters, das wir wegen der Weiterfürung des Kapellenschmuckes durch Paolo Uccello ver- muten mochten, ist nicht mehr zu denken.

Kein Wunder, dafs er sich neben solchen frühen Tafelbildern bald genug der ernsten Tradition der florentinischen Wandmalerei wieder zuwandte, und dafs bei der nächsten < iel<.%n nlieil die Fresken der Tappella S. Niccolo in .S»- Croce und die Werke eines Antonio \'enezian' >. eines (iiottino, ja des alten Giotto selljst im Kern ihres Wesens mehr Macht über seine Denkart gewannen als die Jagd nadi dem Kleinen. Mufste er aidi dodi berufen f&len, die Ent- wicklung weiterzufQren bis zum Vollbe«tz der Darstellung des drei- dimensionalen Raumes, und auf diese Grundlage des Realismus feinen Stil der monumentalen Raumkunst zu gründen, die kaum eines der ererbten Ideale preiszugeben gesonnen war, soweit .sie irgend im Bereich des allgemein Menschlichen berechtigt und verstäinlhch schienen. Auch er hat sichscimell von der Darstellung austlrucksvoller Korper- bewegung zur Wiedergabe der vollen Leibhaftigkeit als wertvollstem Kern des Dasdns durchgerungen.

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Masolino

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N'achdt'iTi si 'iu kur/rr I tlnMislauf voll roi( lig-t'S('v^'i«'t' r Arbeit ^choll 14^8 VüUc'iulfl War, bf^innt stigU-ich, wie wir gisiheii haben, div eifrige Nachamung (Ick Krretchtpn; aber nur langinim will das Verständnis der Hauptsache gedeihen, auch bei den Malern, die ihm auf dem Fufsc zu folgen wagten: Masolinu. Fra Angclico. Paolo Ucccllo und Fra Filippo.

M .1 s <>1 i n 0 ' I ist. noch boi I,eV)/<'il<'n n yrolsorcn ( it'u< 'ssm, 1427 s( lu int t s. aus Ungarn lu inig» k< rt iin»i hat oiu- Zwt itci hv'i seinem (i' nner Kardinal Hranda Castiglione in Ruin die nächste Anknüpfung ^-ersucht Dort hat er sich aufs Emsigste dem Studium der Kapelle Masaccios in San Clemente ergeben und daraus ange- eignet was er /u fassrn vornT-diti-. Seine SpAtem Malereien in Castiv:li( iiK- d' (»loiia. denn Antativ^datuni 1135 am Gewölbe des !'.apl!j.UTiuni.s /u li sm steht, beweisen dies j^an/ überzeugend. Die V'crwandtscliafl nnl Masaccius Fresken in San demente ist grölscr als mit denen der Hrancaccikapelle, deren perspektivische Grund- lagen Masolino nicht recht zu bewältigen wufste. Vor diesem i weiten Auftrag des Kardinals r.raiula scheint aber auch erneute Be- rürung mit Pra Aiiiiclico da l-iesi>l.' zu lii i^en, dessen genauer narh- grprüiti' ImUu i( klung darüber Autx liluss gel)en snllte. wie w eit er bereits der gebende und nicht vielmehr der emplangende leil sein konnte.

Eine Anbetung der Könige in der Pinakothek zu München, die dort nidit dem Fra Angelico selber, sondern nur seiner Schule beigemessen wird, gab uns wenigstens Veranlassung eine si)äte Datierung zu beanstanden und die ikiIu- \'erwandts< hatt mit Maso- lino /u betonen, die nach r cinm S< iit> tnil den 1 )(■« kenbildi rn von 1425, nach der andern mit dem Cyklus im liaptisterium von 1455, ihm seine Stelle zwischen beiden anzuweisen vermöchte. Die Figuren der heiligen Familie, die von Fra Angelico am meisten ab- weichen, stinuTn ii sehr wol mit dm Typen des Masolino ülx rein, wie wir sie / B. an di-m ("n wfdbe und in deti ersten (ieschichten des l'aptisli-riuMis sieh wi'-dfrhol.-ii seh(^n. Die I*agtMi mit dem ab- stehenden kurzen Haar entsprechen den Engeln um üoitvater, w&rend der jugendliche König sich sowol dem Gabriel draufsen wie den Rittern und Hofdamen beim Mal des I-Ierodes nähert. Der nächste Begleiter dieses Königs w.ai auf Anregung Gentiles be- ruhen, giebt aber den Typus slavischcr Völker in einer Weise wic-

*) Du Buch III p, 72 erwtate, bei S. M. Novell« von der Huer abgeDommene

Ffc^l«• mit iler kaurmlen .\f.i<l( iina i>t sdlber in Florenc vefscbollen, wir haben also keine Abbildunu bci/.ubria^en vi-mincbt.

•) Vgl. Buch IV. S. 76 ond unsre Abbilduqg Heft V.

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MASACCIO in Al.TENBURG

der, wie wir sio dem woitei-rfistoti I'ccjbachtur M.isulino viel eher zutrauen dürfen als tk-m Klosti-rbruder in S. Domenico Und da- hin gehört doch auch wol die Tracht des ältesten Königs, der hier so auffallender Weise nicht der Knicende ist, sondern rechts noch zuwartend steht und seine Krone in der Hand hält: es ist die Tracht der uiij^arisclion Fürsten, in der r s Masolino seinen Gott- vater und seinen (last .ini Tische <ies litTtidis zeiijfen könnte; sie kert bei dc-in langbärtiiren lU-gleiler im detoli^c, der diesem Typus ganz entspricht, noch einmal wieder, neben einem llötling, der uns auch nicht toskanisch anmuten will. Nicht unhedeutsam ist auch die Komposition, die sich den ersten Geschichten des T&ufers in Castiglione wol anschliefst, wie I i nockcnbildcrn und vor allen Dinyen der Taiifi\ besonders durcii die unsichere Behandlung des schraj^i ii l'fKlcns und die lockere \'(>rteilunif der Fi>4;uren. Zu einer Zeit, wo I'ra Angelico Schule bildete, dürfen wir solche Schwächen der Raumdarstellung kaum mehr vorausfetzen.

Doch genug, ein vollständiger Beweis läfst sich fOr unsre aus- gesprochene Meinung nicht mehr füren, da uns aller Anhalt an son- stigen 'rafel])i!dern Masolinos feit. Es kann also nur ein Vorschlag bleiben, die Lütke /wischen d< n beiden l'feskencyklcn von (1425 und von 1435) in Castiglione auszufüllen.

Der Unterschied der Raumdarstellung kann nicht eindringlicher dargetan werden als durch einen Vergleich dieses Bildes in der Münchener Pinakothek mit zwei kleinen Tafeln der .Sammlung v. Lindenau in Altenburg '1, die wir für MasuTceio in Anspruch nemen. Es sind offenbar versprengte Reste eines gnilsern Altarwcrkes, wie das für Pisa, oder eines gleichzeitigen, wie die Fragmente der Collection Artaud de Montor. Die Kasteiung des hl. Hieronymus unten, bei der ihm ein Engel die Martyrpalme bringt, wie das Gebet Jesu in Gethsemane oben, wo der Engel den Kelch darreicht, sind genau für dieses I-"ormat. das untere rerhtwinklig, das obere zum Giebel zugespitzt, komponiert. Mit voller F.ntsehiedenheit wird unten, besonders durch den schräg gestellten .(VItar, die Perspektive in den kapcUenartigen Ausfchnitt im Felsgestein unter freiem Him- mel entwickelt, wärend oben die Körper mit gleidier Sicherhdt zwischen die tektonischen Blo( k* Irr Felsen verleilt sind, und zwar rechts die Gruppe der schlafenden Jünger in breiler Pyramidalgruppe unten vor dem weiter hinauhreichcnden Gestein, links Christus soweit

>) Vgl. Alihildung Heft V, ^rnnue Angaben im Katalog der GemBldesammlung d«s HcTzogl. Museum« in Allenburg 1898. In dem untera Bilde iM der Kontrast swiscbcn dem Rot und Weib bewiulera stark wirksam, ebenso die SdiaUea und Lichter schrofl' gegen einander geaeUt; das obere milder.

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VirroRK PisAXO

•35

voti niLnlrijren I-'flsu .iiidon um^olir-n. dafs nur soin I l.iu])t in Profil und tlio ßcfalb lfn ll.mdo sich d.irut)' r V 'ni yoldenm (irundr al»- hebcn, gleich wie der Engel in rotem dewaiuie, der in s!(irniis( r Hast herabfarend mit verhüllten Ilandcn herunter reicht, aU gaiie es die Kommunion eines Sterbenden. Trotz mancherlei Schwächen, besonders in den untern Extremitäten, lassen doch beide Rilder den Zusammenhang mit df-n sie hern Werken Masacciosdeutlirh erkennen, und zwar in der (icstaltt uhildung, den Typen, wie in der Malerri. die schon ursprünglich fliK htig und heute in trauri^jcm Zustand d«t( h die eigenhändige liravuur noch lulbar werden lalst. Wie die Kom- position selbst mit ihrer räumlichen und körperlichen Auseinkndcr- sotzung. so spricht vor allen Dingen die koloristische Wirkung beider Stücke, die mit den Fn skcn in S ricnu iiti . u ii in»ch d<m Stcrbo- zimnier s ,\ ii:l>ri isir.s. unii andr« its mit (!< n rrcdi-llen in Berlin schlag<nd übereinstimmt Mülsten wir uns um dieses Cliaraktcrs willen nicht für Masaccio erklaren, so käme der farbigen dcsamt- erschdnung und der strengen Ge«nnung nach nur Fra Angelico in Frage, wärcnd der Vergleich mit Masolinos Goschichten Johannes des Täufers in Castiglionc sogar den Abstand noch ebenso beweist wie die Anbetung der Könige in München.

Masaccios Fresken in Rom, deren Studium jedenfalls f&r Ma- solino dazwischen liegt, haben zur selben Zeit auch einem andern

Künstler gar f< irdersamo Anregung iri-troben : das ist Vittore l'isanello In unlauyl)anni /usammenhang mit <lcr I.okalkunst von Verona, also auch als Erbe der reichen Entwicklung unter Altichiero und Avanzo sollte man meinen aufgewachsen, hat Vcttor Pisano seine letzte Schulung one Zweifel dem Gentile da Fabriano zu verdanken. So ward auch ihm eine Weile der rhythmische Schwung der Figuren Obermitteil, d.r uns in seiner oberitaliciiischen rmsiil)uni4 sn seltsam anmutet. Ins wir ihn als vorübergehende Hrs( heinung und als letzten Nachklang des umbro- sienesischen Schönheitsideales erkennen, das Gentile von den Fresken Simone Martinis mit hinaufgenommen haben muis an den FuGs der Alpen und in die I^gunenstadt der Adria. Die Verkündigung am Grabmal Brenzoni in S. Fermo Maggiorc ist das stärkste Beispiel solches mimischen Schwunges bei Vittorc Pisano. eines gotifchen Zug! s. der sich sonst mit der Art ilieses ruhigen Beobachters wenig verträgt.

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Vittore Pisano

Soiii Wf'ii aber fürt ihn am Knde i'.fvs Pontitikats M.irlins \'. 1431 nach Rom, zu dem Anttraif, als F< irlsct/nr (u ntilos und viel- leicht auch Masaccius in S. diovanni a Latcrano /u malen; und an der Stralse vom Kolosseum zum Lateran Hegt ja die Basilika S. Clemente. Da sind ihm bei aller Verschiedenheit seiner Anlage und seines bisherigen Bemühens 1 h <li< Au^j^en aufgegangen vor den Rossen und Reitern Masaccios in der Rreu/igunj^. und dies«' Sch'<j)- funi^en des Florentiners haben ihm keine Ruhe v;rlass(-n, wcrm au' h nur als Einzelheiten s>ie seinerseits, /umal als iiildncr, der Natur ab- zugewinnen, die einheitliche Erscheinung des Menschen auf seinem Ti«r. Sollte' es Zufall sein, wenn auf seinem Bilde fttr Lionello d* Este (in London) die Vjj^n der Madonna, die den Heiligen Georg und Antonius Abhas zu Teil wird, in . i-i'-r r mden (ilorie am Tlimmel steht, wie die ^[asa^^ios im Si lin« < uuii(lrr tur S. Maria Ma^j^iore zu Rom? In dem abv^i spe rrten Hintergrund, im Aufkloben der ( iestalten auf das liuschwerk, das ihnen als Folie dient, beweist derselbe Maler ja nur, wie völlig fremd ihm die florendnische Behandlung der Raum- tiefe geblieben war, so dafs er wie im Jagdabenteuer des hl. Huber- tus auch im Auszug zum Drachenkampf des hl. Georg nicht weiter darin gedeiht als sein I.erer trekommen war. Seine k stallen frei- lich hal)nn <len Zutj ininiis* her Bc\V( i;ung bereits .lutgi gehen und Stehen ruhig um ihrer selbst willen d.i. als berechligti.- Zeugen wert- vollen Daseins, in lebensfähiger Körperlichkeit und widerstands- fähiger Frische, wie schon die statuarischen Erzengel am GHrabe Brenz. )ni zu Verona.

Doch war es kein Zeichen eines überlegenen VerstSndnisses. wenn Martin V. den Cinitilc und Kugmi \V. den \Mtt'>r Pisano mit Wandgemälden in der Uasilika des Laterans betrauten. Der Kar- dinal Branda Castiglione hatte Recht gehabt, wenn er Masaccio da- für empfolen, als Gentile gestorben war. Erst nach Masaccios Tode entschloss er selbst sich, zu Masolino zurOckzugreifen. Aber auch in l-'lorenz feiten ja die Kratie, die das unvf»]1endete Werk Masaccios furt/uset/en Ixf.thi^t schienen. Die Florentiner haben weder Masolino noch l'aolu l'ccello, weder Fra Angelico noch Fra Filippo damit betraut. Es war das Bewufstsein lebendig geworden, welches Kapital einer grofsen macht- vollen Kunst an den Wänden der Brancaccikapelle vor Augen stand.

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Lieferung V

Verzeichnis der Abbildungen

Tafel

I

n

m

Bf«aMa.KaMtbaIlc: Madonna von Halhfi^ur I MonUuban, Mus^, Coil. IngTCs: > Predella mit GcwbA JuHaiii ^ Rom, S. Clemente. Katharinealegende t) Aafiritt im GOtwBtenpel

a) die Heilige, Kalbfigur ....

b) der Kai>cr und »eio Bq^eiteri

c) drei HöiUnge |

d) Anbetend« reAts \

S) Bckeruiij; der Kaiserin

a) Kopf der Heiligen und der i

Kaiwrin I b K .pr Ics Hrnken n. Engel \

mit der Seele 1 c) Kopf der enthanpteteD Kmi- 1

»erin '

3) Disputation

a) Der Kaiier, S. Katharina,! ein PbikMoph /

b) vier Philosophen link- der vorderite Kardinal Brand CaitiEHone

c) drei Philosophen rechte

4) Radwnoder

a) Die Heilige. Halbfignr ....

b) der V.n^c\ i

c) vier K' i'f'- 'ier Kaiser, ein / Knecht und ^wei BetrotTcne > linlu l

d l BctrofTene fechte ! $) Enthauptung

a) Die Heilige V c

b) Krieger und Zuschauer l

c) Fünf Krieger rechts [ VII

d) BesUtlang auf Sinai >

1

rv

Vb

VI

TafU

Plorens, Cannine:

die beiden Gecken aus

XI

der Heilung des Lahmen VIII b Rom, S. demente: Ambradnalegende i) Bien> nuunderund a)BiaebobwaI

, nach Phol.) IX

1} a) das Kind nnd die Magd 1

b) der Vater und der Ant | X

c) die beiden Frauen ' 3) a; Ambrosius und 3 Nach-

bara Unks

b) vier Nachbarn rechts

c) drei Longobarden

d) der letzte Longobarde nnd der Knabe (Moniken aot

der Ra'iilika)

3) Untergang de* Hanses i

Kopf des Ambrosius, der ' Magd im Fonstcr und vier L Opfer der Katastrophe '

4) Tod des Ambnwins (nadi >

Phnt.l '

a) der Heilige und sein Wärter 1

b) die GeiaUlcben ^ Die Kreuzigung

a) Getarotaufname de» ol>erD

Teils XVIb

b i Gruppe der Jndefi nnd der Maria links Altenburg, Herzogt. Museum: Gie- beletOdt (vom Pinner j Alt.ir-' I

a) Christus auf dem Oelberg {

b) Hieronjmnit alt Bfllier / 1

BlfiOMl, Coli. Som7.'--: | Heilung des Knaben (Phot.)

Xlla

xin

xnb

XV

Tafel

Florenz, Carmine . Godi. V. ZbUppMcben 1

a) Christus . XVI

b) Apostel Thomas (MasaccioA u. Butbohnnins ;

Erweckung des Fürstcnsons Thcophilua und seine

R«e XVII b

MQachCD, Pinakothek:

Masaccio? PorUftt eines Mannes in Ca»

poodo XVna

M as o 1 i no''' Anbe- tung der Könige . . XVlIIb

Paris» ebemal» Coli. Moator

Starnina indrr MatO-

linu?j Spo&alizio .... XVIII a

Tafel

Masolino? PorUltkopr

eines Jünglings Vin«

Rratai Pievc: Antonio Vite da Pistoja? IC. 14251 Frosknn^

a) Steinigung des Slepbanus XIX

b) Beitatmnc der Körper {

c) Sposalizio della Marlor.na ' Florenz. Uffizien: Antonio Vite

da Pittoja? (c. 1430), Predella «) Petri SchlOiselanit

b) Befreiung aus dem/ Kerker. Vier Apostel > XX

c) Pciri Kreuzigung. Vic Apostel

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Druckfeier und Verbcsserungen

Back I, S. 95 Z. 10 V. u. auch >!a<i, tics : kaum «las

S. Z. 7 V. u. n ur da SS , lies: ebensowenig wie von Paolo UcoeUoiauch wenn

S. Z. 6 V. «. dca Kamen Paolo di Stefano Hcs: den OberUeferteB Namen eine» Malers Paulus one nähere Bezeichnung

S. 95 Anmerkung Das Tabernakel in Lippi a Kifredi ist wie das Fresko von Paolo di Stefano mit dem Datwn 1416 in S. Miniato al Monte bei Klnrrn/ von der Knutllistnrischen Gesellschaft fUr photo- ^aphi<.chc Publikationen (189$), allerdingi in nicht völlig ge- lungenen Aufnamen, benusgegeben.

S. 107. Fresken «na der L^nde S. Stepbant n. S. Loratut:

Pc^ellino, F^anc^^co, die erwütit«- IV'- IcI'.t rnit Ge- scbicbten des bl. Nikolaus in Casa Buunarroti zu Florenz balte ick leit einigen Jaren ecben nickt mehr ftlr Arbeiten dirscH Miisirrs, ■■otulern eines i-;>:Ueri'n uinhroflorentinisch ge- bildeten Unbekannten, dem auch ein Tnihcnbild mit der Gebart Ckriiti nnd Aniwttuig der KOaige In Montpellier ge- bßrt. Vgl. hierxa die lesenswerte Monographie von F. Witting, Piero dei Franceschi 1898. S. 158 ff. und neuer- dings auch Mackowski, Ztschr. f. biid. Kst. 1899 Januarheft. WnA n. S. 4} Z. la e. 11. dieaer üea: diesen HenNaknltnt

S. 4S Z. 8 V. u. knieenden Petrus lies: Paulus md der Hand des Petrui.

S. S7 Z. 19 V. o. August 1434 Ues: I437.

S. 77 Z. 10 V. n. in der Mitte, lies: in die Mitte

S. 81 Z. 9 ». U. feit ein Fragezeichen In j den, X u; m Jacopo da Casentino, den Crowe und Cavalcaselle irrtümlich für den Autor halten. Vgl. Buch V. p. 131.

S. 8s AnnMffc. i Das Mittelstock des Quaratesi-Altars von Gentile da Fabri- ano i«it von Ad. V'cnturi in der neu bejjnnnrnen iüustrioiten Vasari - Ausgabe mit Kommentar als in Amerika bcfindbcb nacbgiwisaen nnd abgebildet.

S. 89 Z. 5 V. u. ^;leii'li\vie der, lies; das

S. 91 Z. 5 V. o. zeigt sich, lies: zeigen sich BochllL S. S3 Z. 3 V. Q. Den Fkuhis ha Mnseo Ovioo sn Pisa pkotogmphieien m

lassen, li.ilicn wir uns leider vergebens bcmiiht,

S. 54 Z. (2 V. u. Die Sammlung; des ArUud de Montor, Membre de Tlnstitut, deren Katalog 1843 herausgegeben wurde, ist nach einer Mitteilung von Engen Müntz seither zerstreut, der Verbleib der bespr. Fragmente aKo d cht mehr nachweisbar. Vgl. itber diesen Katalog, dessen gute Abbildungen einige Ver* besaenug der darin erteilten Namen gtstatteo^ meiiien AaF-. sala In der Gaaette des Besnz-Arts 1898.

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BodilV. S. 90 Z. 16 V. u. enthaltenen, Jim: erhmltencB Wandgemälden

Bndi V. S. 5 Z. 5 V. o. nicht all, lies: nicht nur als

S. (> Z. 12 V. o. indem es, lies: er

S. I" Z. 17 V. o. Quaretesi, lies: Ouarate^i

S. 22 Z, 6 V. o. Heiligtum, lie»: Heiligtums

Sb S7 Z. «5 V. o. oder, lies: bald

S. 62 Z. 8 V, u. GrSn/])feiler, lies: -pffilern

S. 64 Z. 6 V. u. Mittelalter, lies: Mittelalter hindurch

S. 78 Z. 18 ▼. o. dflr^ He*: darf

S. 8" Z. 6 V. u. die Apostel, lies: den

S. 88 Z. 6 V. o. Individiuni, lies: Individuum

S. 98 Z. II n. suanunenscUiebea, lies: «idilelsea

S. 98 Vgl. A. Gosche, Simone MarUni, Leiptig 1899

S. too Z. 5 V. u. ungegorener, lies: an gegorener

S. 113 Vgl. P. Schubring, Altichiero und seine Schule, Leipzig 1898

S. ti9 Die AbbÜdooe des Sposalizio von Stataiiia aus der ColL Aitaad de

Montor in U'-ferung V, sowie aoch ein Jocendlkher Portittl-

kopf von Masolino (?). S. 1x8 Z. 7 V. o. das, lies: die S. 134 Z. 20T. o. von (1425, lies: (von 1425

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